201 73 3MB
German Pages 608 Year 2016
Großkommentare der Praxis
I
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AktG
Aktiengesetz ||
Großkommentar 5., neu bearbeitete Auflage herausgegeben von Heribert Hirte, Peter O. Mülbert, Markus Roth Erster Band §§ 1–22 Bearbeiter: §§ 1–5: Gregor Bachmann §§ 6–14: Sebastian Mock Vor §§ 15 ff, §§ 15–22: Christine Windbichler
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Stand der Bearbeitung: 1. Oktober 2016 Zitiervorschlag: zB: Bachmann in Großkomm AktG, § 2 Rdn 1 GK/Bachmann § 2 Rdn 1
Sachregister: Christian Klie
ISBN 978-3-11-029310-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-029388-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038186-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung und Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
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Verzeichnis der Bearbeiter
Verzeichnis der Bearbeiter der 5. Auflage Verzeichnis der Bearbeiter Verzeichnis der Bearbeiter
Dr. Johannes Adolff, LL.M. (Cambridge), Rechtsanwalt in Frankfurt am Main Dr. Michael Arnold, Rechtsanwalt in Stuttgart Dr. Gregor Bachmann, LL.M. (Univ. of Michigan), Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Alfred Bergmann, Vors. Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Honorarprofessor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Dr. Tilman Bezzenberger, Universitätsprofessor an der Universität Potsdam Volker Butzke, Rechtsanwalt in Frankfurt am Main Dr. Christian E. Decher, Rechtsanwalt in Frankfurt am Main Dr. Ulrich Ehricke, LL.M. (London), M.A., Richter am Oberlandesgericht a.D., Universitätsprofessor an der Universität zu Köln Dr. Holger Fleischer, Dipl.-Kfm., LL.M. (Univ. of Michigan), Universitätsprofessor, Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg Dr. Max Foerster, LL.M.eur., Akademischer Rat a.Z., Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Markus Gehrlein, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe, Honorarprofessor an der Universität Mannheim Dr. Dr. Stefan Grundmann, LL.M. (Berkeley), Universitätsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin und am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz Dr. Mathias Habersack, Universitätsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Kai Hasselbach, Rechtsanwalt in Köln Dr. Peter Hemeling, Rechtsanwalt in München Dr. Hartwig Henze, Richter am Bundesgerichtshof a.D., Honorarprofessor an der Universität Konstanz Dr. Heribert Hirte, LL.M. (Berkeley), Universitätsprofessor an der Universität Hamburg, MdB Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus J. Hopt, em. Universitätsprofessor, ehem. Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg, vormals Richter am Oberlandesgericht Stuttgart Dr. Peter M. Huber, Bundesverfassungsrichter, Universitätsprofessor an der Ludwig-MaximiliansUniversität München Dr. Michael Kort, Universitätsprofessor an der Universität Augsburg Dr. Patrick C. Leyens, LL.M. (London), Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg Dr. Hanno Merkt, LL.M. (Univ. of Chicago), Universitätsprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br., Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe Dr. Sebastian Mock, LL.M. (NYU), Privatdozent, Universität Hamburg Dr. Florian Möslein, Dipl.-Kfm., LL.M. (London), Universitätsprofessor an der Philipps-Universität Marburg Dr. Peter O. Mülbert, Universitätsprofessor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Richard L. Notz, LL.M. (Univ. of Chicago), LL.M. I.B.L. (UCP Lisboa), Rechtsanwalt in Stuttgart Dr. Hartmut Oetker, Universitätsprofessor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Richter am Oberlandesgricht Jena Dr. Hans-Joachim Priester, Notar a.D., Honorarprofessor an der Universität Hamburg Dr. Karl Riesenhuber, M.C.J. (Austin/Texas), Universitätsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum Dr. h.c. Volker Röhricht, Vors. Richter am Bundesgerichtshof i.R., Karlsruhe Dr. Thomas Rönnau, Universitätsprofessor an der Bucerius Law School, Hamburg Dr. Markus Roth, Universitätsprofessor an der Philipps-Universität Marburg Dr. Alexander Schall, M.Jur. (Oxford), Universitätsprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg Dr. Michael Schlitt, Rechtsanwalt in Frankfurt am Main, Honorarprofessor an der Universität zu Köln Dr. Jessica Schmidt, LL.M. (Nottingham), Universitätsprofessorin an der Universität Bayreuth Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt, em. Universitätsprofessor an der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn und Professor an der Bucerius Law School Hamburg Dr. Klaus Ulrich Schmolke, LL.M. (NYU), Universitätsprofessor an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg Dr. Claudia Schubert, Universitätsprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum Dr. Rolf Sethe, LL.M. (London), Universitätsprofessor an der Universität Zürich
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Verzeichnis der Bearbeiter
Dr. Felix Steffek, LL.M. (Cambridge), Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg Dr. Dirk Verse, M.jur. (Oxford), Universitätsprofessor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Dr. Eberhard Vetter, Rechtsanwalt in Köln Dr. Hartmut Wicke, LL.M., Notar in München Dr. Herbert Wiedemann, em. Universitätsprofessor an der Universität zu Köln, vormals Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf Dr. Christine Windbichler, LL.M. (Berkeley), Universitätsprofessorin a.D. an der Humboldt-Universität zu Berlin
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Vorwort zur 5. Auflage
Vorwort zur 5. Auflage Vorwort zur 5. Auflage Vorwort zur 5. Auflage Das Aktiengesetz 1965 ist eine der großen deutschen Kodifikationen und hat auch international Maßstäbe gesetzt. Auf die Unternehmenspraxis hat es einen enormen Einfluss ausgeübt, wie sich selbst aus der großen Zahl veröffentlichter höchstrichterlicher Entscheidungen und der kaum mehr zu überblickenden Literatur nur unvollkommen erkennen lässt. Denn die Arbeit an vielen Gestaltungs- und Rechtsfragen zum Aktienrecht spielt sich heute oft ausschließlich im Vorfeld gerichtlicher Auseinandersetzungen ab oder verbleibt in der der Öffentlichkeit kaum je zugänglichen Sphäre der Schiedsgerichtsbarkeit. Umso wichtiger ist eine umfassende Kommentierung dieses Gesetzes. Sie sollte das Ziel verfolgen, gleichzeitig den Ansprüchen der Wissenschaft, den breitgefächerten Bedürfnissen der Praxis und den besonderen Wünschen der Gerichte an Information und kritische Aufbereitung zu entsprechen. Der hier jetzt in 5. Auflage mit seinem ersten Band vorgelegte Kommentar versucht dies in der Weise, dass er besondere Akzente setzt. Zum einen wird, wie schon der Name „Großkommentar zum Aktiengesetz“ zeigt, die Fülle der Information so umfassend wie möglich aufbereitet, damit die Sach- und Rechtsprobleme unter allen wesentlichen Gesichtspunkten ausgeleuchtet werden. Das bedingt, dass auch die Entwicklung der jeweiligen Normen, die möglichst komplette Rechtsprechung einschließlich älterer Judikate, das Schrifttum, auch soweit es schwer zugänglich ist, und die Reformdiskussionen, in den letzten Jahren etwa zur Corporate Governance im weit verstandenen Sinn, angemessen berücksichtigt werden. Der Benutzer soll auch zu Spezialfragen fündig werden. Zum zweiten wird schon durch die Zusammensetzung des Autorenkreises deutlich, dass der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Unternehmenspraxis in den Erläuterungen ein herausragender Platz eingeräumt ist. Aktienrecht ist mehr als manch anderes Rechtsgebiet ein Feld, in dem die besondere deutsche Tradition der Zusammenarbeit von Professoren, Richtern, Unternehmensjuristen und Anwälten ihre international bewunderten und beneideten Früchte trägt. Seit Beginn des Erscheinens der 4. Auflage des Kommentars sind inzwischen fast 25 Jahre vergangen. Das aus dem Jahre 1965 stammende Aktiengesetz selbst, das gerade seinen 50. Geburtstag feiern konnte, ist zwischenzeitlich teilweise erheblich geändert worden. Dabei wird der wachsende Einfluss des Rechts der Europäischen Union, aber auch allgemein von internationalen und ausländischen Entwicklungen, immer deutlicher. Von besonderer Bedeutung ist insofern, dass seit dem 8. Oktober 2004 die „Europäische Gesellschaft“ („Europäische Aktiengesellschaft“) oder mit der (internationalen) lateinischen Bezeichnung die „Societas Europaea (SE)“ (Art. 1 Abs. 1 SE-VO) als weitere Gesellschaftsform in Deutschland zur Verfügung steht, und zwar als Sonderform gerade der Aktiengesellschaft; sie soll daher Gegenstand eines eigenen Bandes dieses Kommentars werden. Die Rechtsprechung hat sich auch im Aktienrecht zu einem wichtigen Partner des Gesetzgebers entwickelt. Wissenschaft und Praxis haben das ihre zur theoretischen, praktischen und insbesondere auch kautelarjuristischen Durchdringung des Aktienrechtsstoffes beigetragen. Aber auch die wirtschaftliche Bedeutung des deutschen Aktienrechts hat sich verändert: Waren in den 1980er Jahren gut 2.000 Aktiengesellschaften in Deutschland registriert, so sind es heute über 15.000 (einschl. KGaA und SE; Stand 1.1. 2016). Die Zahl der an der Börse gehandelten Aktiengesellschaften ist von unter 500 im Jahre 1985 auf zwischenzeitlich deutlich über 1.000 gestiegen. Nach dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom Oktober 2015 betrug die reale Rendite der Aktienanlage seit 1991 im Mittel acht Prozent. Diese Zahl erscheint recht hoch gegriffen, plausibilisiert aber doch die international hohe Bedeutung der Aktienanlage für die zusätzliche, nichtstaatliche VII
Vorwort zur 5. Auflage
Altersvorsorge. Die jedenfalls langfristig positive Rendite spiegelt sich in einer insgesamt auch in der Breite deutlich gestiegenen Bewertung deutscher Unternehmen am Kapitalmarkt wider. Von den hundert größten deutschen börsennotierten Aktiengesellschaften (inklusive KGaA und Europäischer Gesellschaft, SE) hatten Mitte 2016 alle eine Marktkapitalisierung von über 1 Milliarde Euro, die meisten von über 2 Milliarden Euro. Die Marktkapitalisierung der DAX 30-Unternehmen betrug Anfang Juli 2016 durchweg über 5 Milliarden Euro und überwiegend mehr als 20 Milliarden Euro. Mit dieser trotz mancher Krisen im Zeitverlauf deutlich gewachsenen Bedeutung der Aktiengesellschaft ist eine zunehmende Bedeutung auch des Aktienrechts einhergegangen. Die Gründungswelle der 1990er und frühen 2000er Jahre löste der bundesdeutsche Gesetzgeber im Jahre 1994 aus, als er mit dem „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts“ vom 2. August 1994 auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Zugang zur Aktiengesellschaft verbessern wollte. Wesentliche Kernelemente waren insoweit die Freistellung „kleiner“ Aktiengesellschaften von der Mitbestimmung und die Erweiterung des Satzungsfreiraums für diese Gesellschaften. Das wird ergänzt durch die – wenn auch europarechtlich vorgegebene – Privilegierung kleinerer Gesellschaften auch bei der Rechnungslegung (§ 267 HGB). Weitere gesellschaftsrechtliche Maßnahmen sind inzwischen gefolgt. Weit verbreitet wurde (und wird) vor dem Hintergrund kontinuierlicher Reformmaßnahmen von „Aktienrechtsreform in Permanenz“ gesprochen, insbesondere mit Blick auf die Reform des Aktiengesetzes durch KonTraG, TransPuG und BilMoG. Hervorzuheben ist zudem die Geschlechterquote für Frauen und Männer von mindestens 30%, die durch den aktienrechtlichen Teil des „Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ im Jahr 2015 für Aufsichtsräte von börsennotierten und der paritätischen Mitbestimmung unterliegenden Aktiengesellschaften eingeführt wurde; mit ihr wurde das Aktienrecht (wieder) zur Durchsetzung gesellschaftspolitischer Ziele genutzt. Der Durchsetzung gesellschaftspolitischer Ziele dient auch die deutsche unternehmerische Mitbestimmung, insbesondere das eine quasi-paritätische Mitbestimmung vorsehende Mitbestimmungsgesetz 1976 ist in den letzten Jahren in die Kritik geraten. Für die Neuauflage eines Großkommentars zum Aktiengesetz ist diese Gemengelage eine besondere Herausforderung. Im Vordergrund steht wie schon bei der Vorauflage Aktienrecht als das Organisationsrecht der selbstständigen Aktiengesellschaft und – heute schon fast die Regel – der Aktiengesellschaft im Unternehmensverbund. Besondere Schwerpunkte wie z.B. Kapitalaufbringung, Organzuständigkeiten, Treuepflicht, Bezüge zum Insolvenzrecht u.a. hier ankündigen zu wollen, erscheint angesichts der raschen Entwicklung der Materie, aber auch bei der Vielzahl wichtiger Fragen, die dabei zu Unrecht in den Hintergrund treten könnten, nicht angezeigt. Auch besteht heute im Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht weitgehend Konsens, dass es zwar gewiss darauf ankommt, den Meinungsstand ausführlich und die Rechtsprechung umfassend zu dokumentieren, dass es aber vor allem gilt, in der Fülle von Fragen die Funktion und die Grundgedanken der gesetzlichen und richterrechtlichen Regelungen so herauszuarbeiten, dass der Benutzer an den Gerichten, in der beratenden Praxis und aus der Wissenschaft damit selbstständig weiterarbeiten kann. Besonders erwähnenswert erscheint für die Konzeption der Neuauflage immerhin folgendes. In diesem Kommentar soll mehr als vielleicht in anderen ein Augenmerk darauf gelegt werden, dass das Aktienrecht nicht für sich allein steht. Das gilt in mehrfacher Hinsicht. So sollen zunächst soweit wie möglich immer auch die wirtschaftwissenschaftlichen Grundlagen beleuchtet werden. Im deutschen Recht kann es zudem dogmatisch, systematisch und rechtspolitisch von Nutzen sein, Hinweise auf parallele Funktionsprobleme etwa bei der GmbH oder anderen Rechtsformen und die dort gefundenen LöVIII
Vorwort zur 5. Auflage
sungen zu geben. In bestimmten Bereichen wie etwa dem Bilanzrecht ist es (unter europäischem Einfluss) ohnehin nicht mehr die Rechtsform, sondern die an verschiedenen Faktoren gemessene Größe, die für Art und Umfang der Rechnungslegung Ausschlag gibt. Diesem letzteren wird dadurch Rechnung getragen, dass die ausführliche Behandlung des Bilanzrechts (über die Sonderregelungen im Aktiengesetz hinaus) einheitlich für die verschiedenen Rechtsformen von Handelsgesellschaften in den entsprechenden, auch gesondert beziehbaren Bänden des Staub’schen Kommentars zum Handelsgesetzbuch erfolgt. Inzwischen selbstverständlich ist es auch, auf die wechselseitigen Bezüge zwischen Aktienrecht einerseits und dem Kapitalmarktrecht andererseits zu achten. Neben dem Einwirken der zahlreichen kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten für Emittenten und Anleger sowie den Regelungen des WpÜG für freiwillige Übernahmeangebote und für Pflichtangebote betrifft dies nicht zuletzt den aktienrechtlichen Umgang mit (oft ausländischen) institutionellen Investoren, die die Stimmrechte in der Hauptversammlung wahrnehmen – und einen Paradigmenwechsel von der früher in Deutschland vorherrschenden geschlossenen „Deutschland AG“ hin zu international verflochtenen Unternehmen bewirkt haben. Auch das Bankrecht darf nicht ausgeblendet werden, auch wenn im an sich fortbestehenden deutschen Universalbanksystem die Kreditinstitute für die Aktiengesellschaft als Stimmrechtsvertreter, im Aufsichtsrat, als Hausbank oder sogar Aktionär nicht mehr die ihnen früher zukommende Rolle spielen. Insbesondere für große Kreditinstitute ist in den letzten Jahren die Entwicklung eines durch das (europäische) Aufsichtsrecht geprägten „Bankgesellschaftsrechts“ zu verzeichnen – mit einem in seiner Reichweite noch gar nicht auszumachenden spill over auf das allgemeine Aktienund Gesellschaftsrecht. Für den Kommentar kann das gewiss nicht bedeuten, dass die genannten Rechtsgebiete mit abgedeckt werden könnten. Für den Benutzer mag es aber bereits nützlich sein, wenn er verstärkt auf die rechtlichen und funktionalen Bezüge aufmerksam gemacht wird. Dasselbe gilt schließlich für die internationale Dimension, zumal für die Einbettung des deutschen Aktienrechts in das europäische Recht, ist doch die Aktiengesellschaft Hauptziel der Bemühungen der EU um eine Angleichung des Gesellschaftsrechts. Auch dabei geht es schon platzmäßig nicht an, die vielen umfangreichen EU-Richtlinien und EU-Richtlinienentwürfe im Wortlaut abzudrucken oder gar in all ihren Einzelheiten zu berücksichtigen. Doch soll dort, wo eine deutsche Norm auf einer EU-Richtlinie beruht, besonders darauf hingewiesen werden – schon deshalb, um dem Benutzer in Gericht und Praxis die Prüfung zu erleichtern, ob die Umsetzung in deutsches Recht korrekt erfolgt ist oder ob in einem laufenden Prozess eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof angezeigt sein könnte. Klaus J. Hopt und Herbert Wiedemann, die die 4. Auflage herausgegeben hatten, haben die Herausgeberschaft für diese jetzt anlaufende 5. Auflage in jüngere Hände gelegt. Ihnen sei an dieser Stelle für ihren unermüdlichen Einsatz für das Werk gedankt. Die neuen Herausgeber, die dem Werk schon in der letzten Auflage als Bearbeiter verbunden waren, freuen sich zudem, dass Klaus J. Hopt dem Kommentar weiterhin als Bearbeiter verbunden bleibt. Klaus Hopt hat bzw wird die von ihm bislang kommentierten Passagen in Ko-Autorenschaft fortführen. Für die bislang von Herbert Wiedemann kommentierten Partien konnte der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Alfred Bergmann gewonnen werden. Der Kreis der Bearbeiter hat sich gegenüber der Vorauflage nur begrenzt verändert. Ausgeschieden sind lediglich Heinz-Dieter Assmann, Gerold Bezzenberger, Oliver C. Brändel, Herbert Brönner (†), Kaspar Frey, Harro Otto, Winfried Werner (†) und – wie schon erwähnt – Herbert Wiedemann. Ihre Verdienste um den Kommentar seien an dieser Stelle IX
Vorwort zur 5. Auflage
mit besonderer Dankbarkeit hervorgehoben. Die bislang von Kaspar Frey bearbeitete Partie wird von Peter Mülbert fortgeführt, die von Volker Röhricht bearbeitete nunmehr gemeinsam von ihm mit Alexander Schall. Neu hinzugestoßen für die 5. Auflage sind Johannes Adolff, Michael Arnold, Gregor Bachmann, Alfred Bergmann, Volker Butzke, Max Foerster, Peter Hemeling, Sebastian Mock, Florian Möslein, Karl Riesenhuber, Alexander Schall, Michael Schlitt, Jessica Schmidt, Claudia Schubert, Felix Steffek und Hartmut Wicke. Bei der Auswahl der neuen Mitarbeiter haben Herausgeber und Verlag sich entschlossen, die „Tradition dieses Kommentars, der aktienrechtlichen Praxis und der Wirklichkeit des Lebens zu dienen“ (aus dem Vorwort zur dritten Auflage), dadurch weiterzuführen, dass ein noch größerer Praxisbezug durch die verstärkte Einbindung von Kollegen aus Rechtsprechung, Anwaltschaft und Unternehmenspraxis (insbesondere aus Banken und Versicherungen) erreicht werden soll. Im Interesse größerer Benutzerfreundlichkeit haben sich Herausgeber und Verlag entschlossen, das Werk nunmehr bandweise vorzulegen. Bereits erschienen sind in jeweils zwei Teilbänden das Recht des Vorstands (§§ 76 ff AktG) sowie die Kommentierung der Gründungsvorschriften der §§ 23 ff AktG. Im nun vorgelegten Ersten Band werden die allgemeinen Vorschriften von Gregor Bachmann, Sebastian Mock und Christine Windbichler kommentiert. Auf die weiter Maßstäbe setzende Einleitung zur Vorauflage durch Heinz-Dieter Assmann sei ergänzend verwiesen. Die Fertigstellung weiterer Bände steht teils bevor, teils sind sie in Vorbereitung. Dabei ist nicht an eine strikte paragraphenmäßige Abfolge gedacht, sondern an ein Erscheinen so, wie die Kommentierungen fertiggestellt werden. Hamburg, Mainz und Marburg im Juli 2016
Heribert Hirte, Peter Mülbert, Markus Roth und Verlag Walter de Gruyter
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Inhaltsübersicht
Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht Bearbeiterverzeichnis ______ V Vorwort ______ VII Abkürzungsverzeichnis ______ XIII Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur ______ XXIII
Aktiengesetz ERSTES BUCH Aktiengesellschaft ERSTER TEIL Allgemeine Vorschriften § 1 Wesen der Aktiengesellschaft ______ 1 § 2 Gründerzahl ______ 42 § 3 Formkaufmann; Börsennotierung ______ 57 § 4 Firma ______ 73 § 5 Sitz ______ 84 § 6 Grundkapital ______ 97 § 7 Mindestnennbetrag des Grundkapitals ______ 103 § 8 Form und Mindestbeträge der Aktien ______ 118 § 9 Ausgabebetrag der Aktien ______ 167 § 10 Aktien und Zwischenscheine ______ 201 § 11 Aktien besonderer Gattung ______ 249 § 12 Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte ______ 266 § 13 Unterzeichnung der Aktien ______ 284 § 14 Zuständigkeit ______ 289 Vor §§ 15 ff Verbundene Unternehmen ______ 292 § 15 Verbundene Unternehmen ______ 347 § 16 In Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen ______ 378 § 17 Abhängige und herrschende Unternehmen ______ 401 § 18 Konzern und Konzernunternehmen ______ 450 § 19 Wechselseitig beteiligte Unternehmen ______ 490 § 20 Mitteilungspflichten ______ 507 § 21 Mitteilungspflichten der Gesellschaft ______ 549 § 22 Nachweis mitgeteilter Beteiligungen ______ 554 Sachregister ______ 557
XI
Inhaltsübersicht
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Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis aA aaO ABl ABlEG, ABlEU Abs AcP Action Plan
ADHGB aE AEUV
aF AG AG-S AGB AGG AktG AktG 1937 AktR allg allgM Alt aM Amtl Begr AnSVG Anm AR ARUG ArbGG Art Aufl AuR BaFin BAG BAGE BAKred Bank-Betrieb BAV BAWe BayObLG
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anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, der Europäischen Union (Nummer, Seite, Datum) Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Band, Jahr, Seite) European Commission, Action Plan: European company law and corporate governance – a modern legal framework for more engaged shareholders and sustainable companies, Brussels 12.12.2012, COM(2012) 740 final Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in der seit dem 1.12.2009 geltenden Fassung (ABlEU 2008 Nr C 115/1, ber ABlEU 2009 Nr C 290/1) alte Fassung Amtsgericht; Aktiengesellschaft(en); Die Aktiengesellschaft, Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen (Jahr, Seite) Die Aktiengesellschaft, Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen, Sonderheft (Jahr, Seite) Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) v 14.8.2006 (BGBl I 1897, BGBl III/ FNA 402-40) Aktiengesetz v 6.9.1965 (BGBl I 1089; BGBl III/FNA 4121-1) Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) v 30.1.1937 (RGBl I 107), nunmehr AktG 1965 (AktG) Aktienrecht allgemein allgemeine Meinung Alternative anderer Meinung Amtliche Begründung Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes (Anlegerschutzverbesserungsgesetz – AnSVG) v 28.10.2004 (BGBl I 2630) Anmerkung Aufsichtsrat Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) idF v 30.7.2009 (BGBl I 2479) Arbeitsgerichtsgesetz idF v 2.7.1979 (BGBl I 853, ber 1036; BGBl III/FNA 320-1) Artikel Auflage Arbeit und Recht (Jahr, Seite) Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, durch FinDAG ab 1.5.2002, zuvor BAKred, BAV und BAWe Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (Band, Seite) Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, seit 1.5.2002 BaFin Bank-Betrieb, seit 1977 Die Bank (Jahr und Seite) Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen, seit 1.5.2002 BaFin Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel, seit 1.5.2002 BaFin Bayerisches Oberstes Landesgericht (aufgelöst seit 1.7.2006)
Abkürzungsverzeichnis
BayObLGZ BB Bd, Bde Begr, begr BegrRegE Beil Bek Beschl BetrVG BFH BFHE BFuP BGB BGBl I, II, III BGH BGHSt BGHVGrS BGHZ BilKoG BilMoG BilReG
BiRiLiG
BKR BörsG BR BRD BRDrucks BReg BSG BSGE Bsp BStBl BT BTDrucks BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl bzw ca CCZ CEO CII c.i.c.
Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen (Jahr, Seite) Betriebs-Berater (Jahr, Seite) Band, Bände Begründung, begründet Begründung Regierungsentwurf Beilage Bekanntmachung Beschluss Betriebsverfassungsgesetz idF v 25.9.2001 (BGBl I 2518; BGBl III/FNA 801-7) Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Band, Seite) Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (Jahr, Seite) Bürgerliches Gesetzbuch v 18.8.1896 (RGBl 195) idF v 2.1.2002 (BGBl I 42, ber 2909 und 2003 I 738; BGBl III/FNA 400-2) Bundesgesetzblatt Teil I, II und III Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (Band, Seite) Bundesgerichtshof, Vereinigter Großer Senat Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (Band, Seite) Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (Bilanzkontrollgesetz – BilKoG) v 15.12.2004 (BGBl I 3408) Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz – BilMoG) v 25.5.2005 (BGBl I 1102) Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards und zur Sicherung der Qualität der Abschlussprüfung (Bilanzrechtsreformgesetz – BilReg) v 4.12.2004 (BGBl I 3166) Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinien-Gesetz – BiRiLiG) v 19.12.1985 (BGBl I 2355) Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht (Jahr, Seite) Börsengesetz v 16.7.2007 (BGBl 1330, 1351; BGBl III/FNA 4110-10) Bundesrat Bundesrepublik Deutschland Bundesrats-Drucksache Bundesregierung Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Beispiel Bundessteuerblatt (Band, Jahr, Seite) Bundestag Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band, Seite) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Band, Seite) bezüglich beziehungsweise circa Corporate Compliance Zeitschrift, Zeitschrift zur Haftungsvermeidung im Unternehmen (Jahr und Seite) chief executive officer Council of Institutional Investors (USA) culpa in contrahendo
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Abkürzungsverzeichnis
Combined Code
Company Law Action Plan 2003 CorpGov DAX DB DBW DCGK ders dG dies Diss DJT DNotZ D&O-Versicherung DrittelbG DStR DVO DWiR, DZWir DZWIR
E EBOR ECLE ECFR ECGI ed(s) éd EG EGAktG EGBGB EGHGB EGKomm EGV EHUG
Einf Einl end Entsch entspr Emittentenleitfaden
XV
The Combined Code on Corporate Governance, July 2003 (Financial Reporting Council, London), Combined Code on Corporate Governance, June 2006, nunmehr UK Corporate Governance Code Commission of the European Union, Modernising Company Law and Enhancing Corporate Governance in the European Union – A Plan to Move Forward, Brussels 21.5.2003, COM(2003) 284 final, siehe auch Action Plan Corporate Governance Deutscher Aktienindex Der Betrieb (Jahr, Seite) Die Betriebswirtschaft (Jahr, Seite) Deutscher Corporate Governance Kodex derselbe der Gründe (bei Urteilen ohne Randnummern) dieselbe(n) Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Notar-Zeitschrift, früher Zeitschrift des Deutschen Notarvereins (Jahr, Seite) directors & officers liability insurance Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz – DrittelbG) v 18.5.2004 (BGBl I 974; BGBl III/FNA 801-14) Deutsches Steuerrecht (Jahr, Seite) Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (1991–1998), ab 1999 DZWIR, (Jahr, Seite) Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht (Jahr, Seite), vor 1999 DZWir Entwurf European Business Organization Law Review (Band, Jahr, Seite) European Company Law Experts European Company and Financial Law Review (Jahr, Seite) European Corporate Governance Institute, Brüssel editor(s); edition édition Einführungsgesetz; Europäische Gemeinschaft(en) Einführungsgesetz zum Aktiengesetz v 6.9.1965 (BGBl I 1185; BGBl III/ FNA 4121-2) Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch idF v 21.9.1994 (BGBl I 2494, ber 1997 I 1061; BGBl III/FNA 400-1) Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuche v 10.5.1897 (RGBl 437; BGBl III/ FNA 4101-1) Kommission der Europäischen Gemeinschaften Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Amsterdamer Fassung), geändert durch den Vertrag von Nizza v 26.2.2002 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v 10.11.2006 (BGBl I 2553, BGBl III/ FNA 4100-1) Einführung Einleitung endgültig Entscheidung entsprechend Emittentenleitfaden der BaFin, November 2013
Abkürzungsverzeichnis
ErgG ESUG etc EU EuGH EuroEG EUV EuZW evtl EWG EWiR EWIV f, ff FamFG
FASB FG FinG FN FNA fragl FS Fußn G GBl GbR GD gem GenG Ges GesR GesRÄG GesRZ GG ggf GmbH GmbHG GmbHR grds GrS GRUR GS GuV GVBl
Ergänzungsgesetz Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v 7.12.2011 (BGBl I 2562) et cetera Europäische Union; Vertrag über die Europäische Union v 7.2.1992 (BGBl II 1251) (s auch EUV) Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Gesetz zur Einführung des Euro (Euro-Einführungsgesetz – EuroEG) v 9.6.1998 (BGBl I 1242) Vertrag über die Europäische Union v 7.2.1992 (BGBl II 1251) (s auch EU) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung folgende, fortfolgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit idF v 17.12.2008 (BGBl I 2586, 2587; BGBl 2009 I 1102, FNA 315-24) Financial Accounting Standards Board Finanzgericht, Festgabe Finanzgericht (s auch FG) Fachnachrichten, Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (Jahr, Seite) Fundstellennachweis A, Bundesrecht ohne völkerrechtliche Verträge (zuvor BGBl III) fraglich Festschrift Fußnote Gesetz Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gedächtnisschrift (s auch GS/GD) gemäß Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Genossenschaftsgesetz) idF v 16.10.2006 (BGBl I 2230; BGBl III/FNA 4125-1) Gesellschaft Gesellschaftsrecht Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz (Österreich) Der Gesellschafter, Zeitschrift für Gesellschaftsrecht, Wien (Jahr, Seite) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v 23.5.1949 (BGBl I 1; BGBl III/ FNA 100-1) gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung v 20.4.1892 (RGBl 477) idF v 20.5.1898 (RGBl I 846; BGBl III/FNA 4123-1) GmbH-Rundschau, vorher Rundschau für die GmbH (Jahr, Seite) grundsätzlich Großer Senat Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Jahr, Seite) Gedächtnisschrift (s auch GS/GD) Gewinn- und Verlustrechnung Gesetz- und Verordnungsblatt
XVI
Abkürzungsverzeichnis
hA Hb, Hdb HFA HGB High Level Group
hL hM HReg HRR Hrsg, hrsg HRV
Hs HV IAS IASB IASC idF idR IDW IDW FG IDW FN IDW NA IDW PS IDW RH IDW RS IDW S iE IFRS insb, insbes InsO InvG IPRax ISS iÜ iVm JBl JCLS Jg JherJ
jew
XVII
herrschende Ansicht Handbuch Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897 (RGBl 219; BGBl III/FNA 4100-1) High Level Group of Company Law Experts (Winter, chairman, Christensen, Garrido Garcia, Hopt, Rickford, Rossi, Simon), Report of the High Level Group of Company Law Experts on Issues Related to Takeover Bids (High Level I), European Commission, Brussels, 10 January 2002; Report of the High Level Group of Company Law Experts on a Modern Regulatory Framework for Company Law in Europe (High Level II), European Commission, Brussels, 4 November 2002 herrschende Lehre herrschende Meinung Handelsregister Höchstrichterliche Rechtsprechung (1928–1942, zitiert Jahr, Nummer), bis 1927: Die Rechtsprechung, Beilage zur Zeitschrift Juristische Rundschau Herausgeber, herausgegeben Verordnung über die Einrichtung und Führung des Handelsregisters (Handelsregisterverordnung – HRV) v 12.8.1937 (RMBl 515; DJ 1251; BGBl III/ FNA 315-20) Halbsatz Hauptversammlung International Accounting Standards (seit 1.4.2001 IFRS) International Accounting Standards Board (vor dem 1.4.2001 IASC) International Accounting Standards Committee (seit 1.4.2001 IASB) in der Fassung in der Regel Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. Fachgutachten des IDW IDW-Fachnachrichten Stellungnahmen des Sonderausschusses Neues Aktienrecht und des Hauptfachausschusses des IDW zu Fragen des neuen Aktienrechts IDW Prüfungsstandard IDW Rechnungslegungshinweise IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung IDW Standards im Ergebnis International Financial Reporting Standards (vor dem 1.4.2001 IAS) insbesondere Insolvenzordnung (InsO) v 5.10.1994 (BGBl I 2866; BGBl III/FNA 311-13) Investmentgesetz (InvG) v 15.12.2003 (BGBl I 2676; BGBl III/FNA 7612-2), jetzt KAGB Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Jahr, Seite) Institutional Shareholder Service im Übrigen in Verbindung mit Justizblatt, Juristische Blätter, Wien (Jahr, Seite) Journal of Corporate Law Studies (Band, Jahr, Seite) Jahrgang Jahrbücher für Dogmatik des römischen und deutschen Privatrechts, begr v Jhering, Gerber, später Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des Bürgerlichen Rechts (Jahr, Seite) jeweils
Abkürzungsverzeichnis
JR JuS JW JZ
Juristische Rundschau (Jahr, Seite) Juristische Schulung (Jahr, Seite) Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite) Juristenzeitung (Jahr, Seite)
KAGB KAGG
krit KSzW KTS KWG
Kapitalanlagesetzbuch v 4.7.2013 (BGBl I 1981; BGBl III/FNA 7612-3) Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) idF v 9.9.1998 (BGBl I 2726; BGBl III/FNA 4120-4), aufgehoben durch InvG Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz – KapMuG) idF v 16.8.2005 (BGBl I 2437) Kammer für Handelssachen Kaufmann Kommanditgesellschaft, Kammergericht Kommanditgesellschaft auf Aktien Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Band, Seite) Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Dokumente) Kommentar Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) v 27.4.1998 (BGBl I 786) Der Konzern (Jahr, Seite) Gesetz zur Umstellung des Kostenrechts und der Steuerberatergebührenverordnung auf Euro (KostREuroUG) v 27.4.2001 (BGBl I 751) kritisch Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Insolvenzrecht, Konkurs, Treuhand, Sanierung, (Jahr, Seite) Gesetz über das Kreditwesen idF v 9.9.1998 (BGBl I 2776; BGBl III/FNA 7610-1)
LAG LG li Sp Lit LS
Landesarbeitsgericht Landgericht linke Spalte Literatur Leitsatz
m maW MDR MinG MitbestBeiG
mit mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht (Jahr, Seite) Ministergesetz Gesetz zur Beibehaltung der Mitbestimmung beim Austausch von Anteilen und der Einbringung von Unternehmensteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen Union betreffen (MitbestimmungsBeibehaltungsgesetz – MitbestBeiG) v 23.8.1994 (BGBl I 2228) Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie v 7.8.1956 (BGBl I 707; BGBl III/ FNA 801-3) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz – MitbestG) v 4.5.1976 (BGBl I 1153; BGBl III/FNA 801-8) Mitteilungen Marburg Law Review Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v 23.10.2008 (BGBl I 2026) Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie v 21.5.1951 (BGBl I 347)
KapMuG KfH Kfm KG KGaA KGJ KOM Komm KonTraG Konzern KostREuroUG
MitbestErgG
MitbestG Mitt MLR MoMiG Montan-MitbestG
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
mwN MwSt mWv
mit weiteren Nachweisen Mehrwertsteuer mit Wirkung vom
Nachw NASDAQ NaStraG
Nachweis National Association of Securities Dealers Automated Quotations (USA) Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz – NaStraG) v 18.1.2001 (BGBl I 123) neue Fassung Neue Justiz (Jahr, Seite) Neue Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite) NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (Jahr, Seite) Nummer(n) New York Stock Exchange Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht, seit 1992 Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Jahr, Seite)
nF NJ NJW NJW-RR Nr(n) NYSE NZA NZG OECD Österr OGH OFD OGH OGHZ OHG OLG OLGZ PublG
pVV RabelsZ RAG RBegrG RdA RDG Rdn RdW Recht RefE RegE re Sp RG RGBl I, II RGZ RIW RJA RL
XIX
Organisation for Economic Cooperation and Development Österreichischer Oberster Gerichtshof Oberfinanzdirektion (Jahr, Seite) Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Zivilsachen (1949/50, zitiert Band, Seite) Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen (Jahr, Seite) Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen (Publizitätsgesetz – PublG) v 15.8.1969 (BGBl I 1189, ber 1970 I 1113; BGBl III/FNA 4120-7) positive Vertragsverletzung Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Band, Jahr, Seite) Reichsarbeitsgericht, Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts (Band, Seite) Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) v 12.8.2008 (BGBl I 1666) Recht der Arbeit (Jahr, Seite) Rechtsdienstleistungsgesetz v 12.12.2007 (BGBl I 2841, BGBl III FNA 303-20) Randnummer(n) (s auch Rn) Recht der Wirtschaft, Wien (Jahr, Seite) Das Recht (Jahr, Nummer der Entscheidung; bei Aufsätzen: Jahr, Seite) Referentenentwurf Regierungsentwurf rechte Spalte Reichsgericht (Band, Seite) Reichsgesetzblatt, von 1922–1945 Teil I und Teil II (Jahr, Seite) Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen (Band, Seite) Recht der internationalen Wirtschaft (Jahr, Seite) Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, zusammengestellt vom Reichsjustizamt (Band, Seite) Richtlinie
Abkürzungsverzeichnis
Rn ROHG ROHGE Rspr
Randnummer(n) (s auch Rdn) Reichsoberhandelsgericht Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts (Band, Seite) Rechtsprechung
s S SE SEAG
siehe Seite; Satz Societas Europaea, Europäische (Aktien-)Gesellschaft Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz – SEAG) v 22.12.2004 (BGBl I 3675; BGBl III/ FNA 4121-4) Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz – SEBG) v 22.12.2004 (BGBl I 3686; BGBl III/ FNA 801-15) Securities and Exchange Commission (USA) Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft v 22.12.2004 (BGBl I 3675) Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte (Band, Nummer) Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (ABlEG L 294/1 v 10.11.2001) Sammlung sogenannte(r) Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung v 20.12.1988 (BGBl I 2312; BGBl III/FNA 801-11) Die Sparkasse, Zeitschrift des deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (Jahr, Seite) Strafgesetzbuch idF v 13.11.1998 (BGBl I 3322; BGBl III/FNA 450-2) strittig, streitig ständige Rechtsprechung Gesetz über die Zulassung von Stückaktien (Stückaktiengesetz – StückAG) v 25.3.1998 (BGBl I 590) Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, Revue suisse de droit des affaires (früher SchweizAG, Jahr, Seite)
SEBG
SEC SEEG SeuffArch SE-VO Slg sog SprAuG
Spark StGB str st Rspr StückAG SZW/RSDA
TransPuG TUG
u ua überw UG UMAG UmwG unstr unzutr
Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) v 19.7.2002 (BGBl I 2681) Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – TUG) v 5.1.2007 (BGBl I 10) unten unter anderem; und andere überwiegend Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) v 22.9.2005 (BGBl I 2802) Umwandlungsgesetz idF v 28.10.1994 (BGBl I 3210, ber 2005 I 428; BGBl III/ FNA 4120-9-2) unstreitig unzutreffend
XX
Abkürzungsverzeichnis
Urt USA US-GAAP usw
Urteil United States of America United States Generally Accepted Accounting Principles und so weiter
v VAG
von; vom Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz – VAG) idF v 1.4.2015 (BGBl I 434) idF v 30.6.2016 (BGBl I 1514) Verfassungsgerichtshof (s auch VfGH) Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung (Jahr, Seite) Verfassungsgerichtshof (s auch VerfGH) vergleiche Verordnung(en) Vorauflage Vorbemerkung Gesetz über die Angemessenheit von Vorstandsvergütungen (VorstAG) idF v 31.7.2009 (BGBl I 2509) Gesetz über die Offenlegung von Vorstandsvergütungen (VorstandsvergütungsOffenlegungsgesetz – VorstOG) v 3.8.2005 (BGBl I 2267)
VerfGH Verh VersR VfGH vgl VO(en) Voraufl Vorb, Vorbem VorstAG VorstOG
WiB wistra WM WP WPg WpHG WPK WpÜG WuB zB ZBB ZCG ZEuP ZfA ZfB ZfbF ZfRV ZGR ZHR ZIP ZRP ZVglRWiss ZZP
XXI
Wirtschaftsrechtliche Beratung (Jahr, Seite) Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (Jahr, Seite) Wertpapier-Mitteilungen (Jahr, Seite) Das Wertpapier (Jahr, Seite) Die Wirtschaftsprüfung (Jahr, Seite) Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz – WpHG) idF v 9.9.1998 (BGBl I 2708; BGBl III/FNA 4110-4) Wirtschaftsprüferkammer Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) v 20.12.2001 (BGBl I 3822; BGBl III/FNA 4110-7) Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (Jahr, Seite) Zeitschrift für Corporate Governance (Jahr, Seite) Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Arbeitsrecht (Band, Jahr, Seite) Zeitschrift für Betriebswirtschaft (Band, Jahr, Seite) Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (Band, Jahr, Seite) Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (Band, Jahr, Seite) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Rechtspolitik (Jahr, Seite) Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft (Band, Jahr, Seite) Zeitschrift für Zivilprozess (Band, Jahr, Seite)
XXII
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
ADS American Law Institute AnwKomm ArbHdbHV ARHdb Armbrüster Assmann/Pötzsch/ Schneider Assmann/Schneider Assmann/Schütze Bachmann/Kremer/ Lutter/von Werder BankRHdb BankRKomm Baumbach/Hopt Baumbach/Hueck Baumbach/Hueck GmbHG Baums Baums/Thoma Bayer Bayer/Habersack BeckBil-Komm BeckFormularbuch BeckHdbAG Beckmann/Scholtz/ Vollmer Beuthien Böckli Bonner HdR Boos/Fischer/SchulteMattler Bork/Schäfer Bork/Jacoby/Schwab Brodmann BuB Bumiller/Harders von Büren/Stoffel/Weber Bürgers/Körber Butzke Cahn/Donald Consbruch/Fischer Cozian/Viandier/ Deboissy
XXIII
Adler, Düring, Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Auflage 1995 ff American Law Institute, Principles of Corporate Governance, St. Paul, Minn, 1994 Anwaltkommentar Aktienrecht, hrsg v Heidel, 1. Auflage 2003, jetzt Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Auflage 2014 (s auch Heidel) Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, hrsg v Semler, Volhard, Reichert, 3. Auflage 2011 (s auch Semler/Volhard/Reichert) Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, hrsg v Semler, von Schenck, 4. Auflage 2013 (s auch Semler/Volhard) Fallsammlung zum Gesellschaftsrecht, 3. Auflage 2013 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2. Auflage 2013 Wertpapierhandelsgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2012 Handbuch des Kapitalanlagerechts, 4. Auflage 2015 Kommentar zum Deutschen Corporate Governance Kodex, 6. Auflage 2016, bis 5. Auflage Ringleb/Kremer/Lutter/von Werder Bankrechts-Handbuch, hrsg v Schimanski, Bunte, Lwowski, 4. Auflage 2011 Bankrechts-Kommentar, hrsg v Langenbucher, Bliesener, Spindler, 2. Auflage 2016 Handelsgesetzbuch, 37. Auflage 2016 Aktiengesetz, 13. Auflage 1968 GmbH-Gesetz, 20. Auflage 2013 Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001 WpÜG, Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, Loseblatt, 2004 ff Aktienrecht in Zahlen, 2010 Aktienrecht im Wandel, 2007 Beck’scher Bilanz-Kommentar, 10. Auflage 2016 Beck’sches Formularbuch Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, hrsg von Hoffmann-Becking, Rawert, 12. Auflage 2016 Beck’sches Handbuch der AG, hrsg v Müller (Welf), Rödder, 2. Auflage 2009 Investment, Handbuch für das gesamte Investmentwesen, Loseblatt Genossenschaftsgesetz, 15. Auflage 2011 Schweizer Aktienrecht, 4. Auflage, Zürich 2009 Bonner Handbuch der Rechnungslegung, hrsg v Hofbauer, Kupsch, Scherrer, Grewe, Loseblatt, 1986 ff, später: Rechnungslegung Kreditwesengesetz, 4. Auflage 2012/KWG, CRR-VO, 5. Auflage 2016 Bork, Schäfer, Hrsg, GmbHG, Kommentar, 3. Auflage 2015 FamFG, 2. Auflage 2013 Aktienrecht, Kommentar, 1928 Bankrecht und Bankpraxis, Loseblatt FamFG, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 11. Auflage 2015 Grundriss des Aktienrechts, 3. Auflage, Zürich 2011 Heidelberger Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Auflage 2014 Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, 5. Auflage 2011 Comparative Company Law, Germany, the UK and the US, Cambridge 2010 Kreditwesengesetz, Loseblatt Droit des sociétés, 27ième éd, Paris 2014
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Davies/Hopt/ van Solinge/Nowak Dörner/Menold/Pfitzer/ Oser Doralt/Nowotny/Kalss Drygala/Staake/Szalai Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn ErfK Ehricke/Ekkenga/ Oechsler Emmerich/Habersack Emmerich/Habersack KonzernR Erman Fahr
Corporate Boards in Law and Practice, Oxford 2013 Reform des Aktienrechts, der Rechnungslegung und der Prüfung, 2. Auflage 2003 Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage Wien 2012 Kapitalgesellschaftsrecht, 2012 Handelsgesetzbuch, 3. Auflage 2014 begr v Boujong, Ebenroth, hrsg v Joost, Strohn Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, begr v Dieterich, Hanau, Schaub, hrsg v Müller-Glöge, Preis, Schmidt (Ingrid), 16. Auflage 2016 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, Kommentar, 2003 Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Kommentar, 8. Auflage 2016 Konzernrecht, Lehrbuch, 10. Auflage 2013
Bürgerliches Gesetzbuch, Handkommentar, 14. Auflage 2014 Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann, Versicherungsaufsichtsgesetz, 5. Auflage 2012 Feddersen/Hommelhoff/ Corporate Governance, 1996 Schneider Fitting Fitting/Engels/Schmitt/Trebinger/Linsenmeier, Betriebsverfassungsgesetz, 28. Auflage 2016 Fitting/Wlotzke/ MitbestimmungsG, 1. Auflage 1976, 2. Auflage 1978, 4. Auflage siehe Wlotzke/ Wißmann/Koberski/Kleinsorge Wißmann Fleischer Handbuch des Vorstandsrechts, 2006 Forstmoser/MeierSchweizerisches Aktienrecht, Bern 1996 Hayoz/Nobel Frankfurter Kommentar Haarmann, Schüppen, Hrsg, Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Auflage WpÜG 2008 Fuchs Wertpapierhandelsgesetz, 2. Auflage 2016 Fuchs/Köstler/Pütz Handbuch zur Aufsichtsratswahl, 6. Auflage 2016 Geibel/Süßmann Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, Kommentar, 2. Auflage 2008 Geßler Aktiengesetz, Kommentar, hrsg v Geßler (Ernst), Hefermehl, Eckardt, Kropff, 1973 ff, 2./3./4. Auflage s MünchKomm GKHGB Gemeinschaftskommentar zum HGB, hrsg v Ensthaler, 8. Auflage 2015 Goette Einführung in das neue GmbH-Recht, 2008 (v) Godin/Wilhelmi Aktiengesetz, Kommentar, begr v Freiherr von Godin, H Wilhelmi, 4. Auflage 1971 Gower/Davies Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 9th ed, London 2012 Grigoleit Aktiengesetz, 2013 GroßKoAktG oder Aktiengesetz, Großkommentar, begr v Gadow, Heinichen, 1. Auflage 1939, Großkomm 2. Auflage 1961/65, 3. Auflage 1970 ff, 4. Auflage hrsg v Hopt, Wiedemann, 1992 ff, 5. Auflage hrsg v Hirte, Mülbert, Roth, 2015 ff Großkomm HGB 3. Auflage 1967 ff, 4. Auflage 1983 ff, 5. Auflage siehe Staub Grundmann Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Auflage 2011, European Company Law, 2nd ed 2012 Grunewald Gesellschaftsrecht, 9. Auflage 2014 Haarmann/Riehmer/ Öffentliche Übernahmeangebote, Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Schüppen Übernahmegesetz, 2002, 3. Auflage Frankfurter Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, hrsg v Haarmann, Schüppen, 2008 Habersack Die Mitgliedschaft, 1996 Habersack/Drinhausen SE-Recht, 2. Auflage 2016 Habersack/Mülbert/ Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2. Auflage 2013 Schlitt
XXIV
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Habersack/Mülbert/ Schlitt Habersack/Verse Hachenburg Hallstein Hanau/Ulmer Happ Haußleiter HdbAG Hdb börsennot AG HdR Heidel Heidel/Schall HeidelbergKomm von Hein Henn/Frodermann/ Jannott Henssler/Strohn Heymann Hirte Kapitalgesellschaftsrecht Hoffmann/Lehmann/ Weinmann Hoffmann/Preu Hölters Hommelhoff/Hopt/ von Werder Hommelhoff/Lutter/ Schmidt/Schön/Ulmer Hopt Hopt Kapitalanlegerschutz Hopt/Fleckner Hopt/Kanda/Roe/ Wymeersch/Prigge Hopt/Voigt Hopt/Wymeersch Hopt/Wymeersch Hopt/Wymeersch/ Kanda/Baum Hucke/Ammann Hüffer/Koch Jabornegg/Strasser Kallmeyer Kalss Kalss/Klampfl Keidel KK KK WpHG
XXV
Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 3. Auflage 2013 Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Auflage 2011 GmbH-Gesetz, Großkommentar, hrsg v Ulmer, 8. Auflage 1992–1997 Die Aktienrechte der Gegenwart, 1931 Kommentar zum Mitbestimmungsgesetz, 1981, 2. Auflage Aktienrecht, Handbuch, Mustertexte, Kommentar, 4. Auflage 2015 FamFG, 2013 Handbuch der Aktiengesellschaft, hrsg v Nirk, Ziemons, Binnewies, Loseblatt, 1999 ff Handbuch börsennotierte AG, hrsg v Marsch-Barner, Schäfer, 3. Auflage 2014 Handbuch der Rechnungslegung, hrsg v Küting, Weber, Loseblatt, 2002 ff Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Kommentar, 3. Auflage 2011/4. Auflage 2014 (s auch AnwKomm) Handelsgesetzbuch, 2. Auflage 2015 Heidelberger Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg v Bürgers, Körber, 3. Auflage 2014 (s auch Bürgers/Körber) Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts, 2008 Handbuch des Aktienrechts, 8. Auflage 2009 Gesellschaftsrecht, Kommentar, 3. Auflage 2016 Handelsgesetzbuch, Kommentar, 2. Auflage hrsg v Horn, 1995 ff Kapitalgesellschaftsrecht, 8. Auflage 2016 Mitbestimmungsgesetz, Kommentar, 1978 Der Aufsichtsrat, 5. Auflage 2003 Aktiengesetz, 2. Auflage 2014 Handbuch Corporate Governance, 2. Auflage 2010 Corporate Governance. Gemeinschaftssymposium der Zeitschriften ZGR/ZHR, ZHR-Beiheft 71, 2002 Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 4. Auflage 2013 Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, Gesellschafts-, bank- und börsenrechtliche Anforderungen an das Beratungs- und Verwaltungsverhalten der Kreditinstitute, 1975 Comparative Corporate Governance, Cambridge 2013 Comparative Corporate Governance, The State of the Art and Emerging Research Research, Oxford 1998 Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005 Comparative Corporate Governance, Berlin 1997 Capital Markets and Company Law, Oxford 2003 Corporate Governance in Context, Oxford 2005 Der Deutsche Corporate Governance Kodex, 2003 Aktiengesetz, 12. Auflage 2016, bearb v Koch Kommentar zum Aktiengesetz, begr v Schiemer, 5. Auflage, Wien 2011 Umwandlungsgesetz, 5. Auflage 2013 Anlegerinteressen, Wien 2001 Europäisches Gesellschaftsrecht in: Dauses (Hrsg) EU-Wirtschaftsrecht, 2015 FamFG, hrsg v Engelhardt, Sternat, 18. Auflage 2014 Kölner Kommentar, 3. Auflage hrsg v Zöllner, Noack, 2004 ff Kölner Kommentar zum Wertpapierhandelsgesetz, hrsg v Hirte, Möllers, 2. Auflage 2014
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
KK WpÜG Klausing Koch Köstler/Müller/Sick Koller/Kirchner/Roth/ Morck Kraakman et al Kropff AktG Kübler/Assmann GesR Kümpel/Hammen/ Ekkenga Kümpel/Wittig Lang/Weidmüller Langenbucher Lettl Lutter/Bayer/Schmidt Lutter Lutter/Hommelhoff GmbHG Lutter/Hommelhoff/ Teichmann SE Lutter Information Lutter/Krieger/Verse Manz/Mayer/Schröder Marsch-Barner/Schäfer Merkt Merkt US-GesR Mestmäcker Michalski Mülbert Aktiengesellschaft Mülbert/Kiem/Wittig Müller/Rödder MünchAnwHdb Aktienrecht MünchHdbAG MünchKomm
MünchKommBGB MünchKommFamFG MünchKommHGB MünchKommGmbHG MünchKommInsO
Kölner Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, hrsg v Hirte, von Bülow, 2. Auflage 2010 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) nebst Einführungsgesetz und „Amtlicher Begründung“ (AktG 1937) Gesellschaftsrecht, 9. Auflage 2015 Aufsichtsratspraxis, Handbuch für Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, 10. Auflage 2013 Ingo Koller, Wulf-Henning Roth, Winfried Morck, Handelsgesetzbuch, Kommentar, 8. Auflage 2015 Kraakman/Armour/Davies/Enriques/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, 2nd ed Oxfort 2009 Aktiengesetz vom 6.9.1965 und Einführungsgesetz zum Aktiengesetz mit Begründung des Regierungsentwurfs, 1965 Gesellschaftsrecht, 6. Auflage 2006 Kapitalmarktrecht, Loseblatt Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Auflage 2011 Genossenschaftsgesetz, 38. Auflage 2016 Aktien- und Kapitalmarktrecht, 3. Auflage 2015 Fälle zum Gesellschaftsrecht, 3. Aufl 2016 Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Auflage 2012 Umwandlungsgesetz, Kommentar, 5. Auflage hrsg v Bayer, J Vetter, 2014 GmbH-Gesetz, Kommentar, 19. Auflage 2015 SE-Kommentar, 2. Auflage 2015 Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Auflage 2006 Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Auflage 2014 Europäische Aktiengesellschaft SE, 2. Auflage 2010 Handbuch börsennotierte AG, hrsg v Marsch-Barner, Schäfer, 3. Auflage 2014 Unternehmenspublizität, 2001 US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 3. Auflage 2013 Verwaltung, Konzerngewalt und Recht der Aktionäre, 1958 GmbH-Gesetz, 2. Auflage 2010 Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt. Die Aktionärsgruppe bei Bildung und Umbildung einer Unternehmensgruppe zwischen Verbands- und Anlegerschutzrecht, 2. Auflage 1996 10 Jahre WpÜG, 2011 Beck’sches Handbuch der AG, hrsg v Müller, Rödder, 2. Auflage 2009 Münchener Anwaltshandbuch Aktienrecht, hrsg v Schüppen, Schaub, 2. Auflage 2010 Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Band 4: Aktiengesellschaft, hrsg v Hoffmann-Becking, 4. Auflage 2015 Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage hrsg v Kropff, Semler, 2000 ff, 3. Auflage 2008 ff, 4. Auflage 2014 ff, hrsg v Goette, Habersack, 1. Auflage s Geßler Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg v Rixecker, Säcker, Oetker, 6. Auflage 2012 ff, 7. Auflage 2015 ff Münchener Kommentar zum FamFG, hrsg v Rauscher, 2. Auflage 2013 Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, hrsg v K Schmidt, 3. Auflage 2012 ff, 4. Auflage 2016 Münchener Kommentar zum GmbH-Gesetz, hrsg v Fleischer, Goette, 2. Auflage 2015 Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg v Kirchof, Stürner, Eidenmüller, 3. Auflage 2013 ff
XXVI
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
MünchKommZPO MünchVertragsHdb Musielak Oetker Palandt Peltzer Pfitzer/Oser Pöhlmann/Fandrich/ Bloehs Potthoff/Trescher Prölss Prütting/Helms Raiser/Veil/Jacobs Raiser/Veil Kapitalgesellschaften Reischauer/Kleinhans Ritter Röhricht/Graf von Westphalen Rowedder/SchmidtLeithoff Roth Altersvorsorge Roth Ermessen
Roth/Altmeppen Roth/Kindler Roth/Weller Saenger Schaaf Schäfer Schäfer/Hamann Schlegelberger/ Quassowski K Schmidt GesR K Schmidt/Lutter Scholz Schubert/Hommelhoff Hundert Jahre Schubert/Hommelhoff Weimarer Republik Schwark/Zimmer Schwennicke/Auerbach Semler Semler/Volhard Seibert/Kiem/Schüppen Siems Soergel
XXVII
Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, hrsg v Krüger, Rauscher, 4. Auflage 2012 f, 5. Auflage 2015 f Münchener Vertragshandbuch, Band 1: Gesellschaftsrecht, 7. Auflage 2011 Zivilprozessordnung, 13. Auflage 2016 Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 4. Auflage 2015 Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Auflage 2015 Deutsche Corporate Governance, 2. Auflage 2004 Deutscher Corporate Governance Kodex, 2003, 2. Auflage 2005 hrsg v Pfitzer, Oser, Orth Genossenschaftsgesetz, 4. Auflage 2012 Das Aufsichtsratsmitglied, 6. Auflage 2003, bearb v Theisen Versicherungsaufsichtsgesetz, 12. Auflage 2005 FamFG, 3. Auflage 2013 Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, Kommentar, 6. Auflage 2015 Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Auflage 2010, 6. Auflage 2015 Kreditwesengesetz, Loseblatt Aktiengesetz, 2. Auflage 1939 Handelsgesetzbuch, Kommentar, 4. Auflage 2014 GmbHG, Kommentar, 5. Auflage 2013 Private Altersvorsorge: Betriebsrentenrecht und individuelle Vorsorge, Eine rechtsvergleichende Gesamtschau, 2009 Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, Handlungsspielräume und Haftungsrisiken insbesondere in der unternehmerischen Krise, 2001 Günter H. Roth, Holger Altmeppen, GmbHG, Kommentar, 8. Auflage 2015 Günter H. Roth, Peter Kindler, The Spirit of Corporate Law, Core Principles of Corporate Law in Continental Europe, Munich 2013 Günter H. Roth, Marc-Philippe Weller, Handels- und Gesellschaftsrecht, 8. Auflage 2013 Gesellschaftsrecht, 3. Auflage 2015 Die Praxis der Hauptversammlung, hrsg v A Schaaf, 3. Auflage 2011 Carsten Schäfer, Gesellschaftsrecht, 4. Auflage 2015 Frank A. Schäfer, Uwe Hamann, Hrsg, Kapitalmarktgesetze, Loseblatt Aktiengesetz, Kommentar, 3. Auflage 1939 Gesellschaftsrecht, 4. Auflage 2002 Aktiengesetz, 3. Auflage 2015 Kommentar zum GmbH-Gesetz, 10. Auflage 2010, 11. Auflage 2015 ff (Band 1 und 2) Hundert Jahre modernes Aktienrecht, Texte und Quellen zur Aktienrechtsreform 1884 mit Einführungen, 1985 Schubert, Hommelhoff, Hrsg, Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, 1987 Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Auflage 2010 Kreditwesengesetz, 2. Auflage 2013, 3. Auflage 2016 Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Auflage 1996 Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 4. Auflage 2013 (s auch ARHdb) Handbuch der kleinen AG, 5. Auflage 2008 Konvergenz der Rechtssysteme im Recht der Aktionäre, 2005 Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Auflage 1999 ff
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Spindler/Stilz Staub Staudinger Stein/Jonas Steinmeyer Teichmann/Koehler Theisen Thomas/Putzo Ulmer/Habersack/ Henssler Ulmer/Habersack/ Winter Verse VGR Voigt Vorwerk Wachter Wachter AktG Wank Westermann Wicke Wiedemann Gesellschaftsrecht Wiedemann/Frey Widmann/Mayer Wieczorek/Schütze Wiethölter Wilhelm Wilsing Windbichler Wirth/Arnold/ Morshäuser/Greene Wlotzke/Wißmann/ Koberski/Kleinsorge Zahn Zöller
Aktiengesetz, 3. Auflage 2015 Handelsgesetzbuch, Großkommentar, 4. Auflage 1983 ff, Bände 1, 2, 3, 5, 6, 7/1, 7/2, 9 und 12/2 in 5. Auflage hrsg v Canaris, Habersack, Schäfer, 2008 ff Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung 1999 ff Zivilprozessordnung, 22. Auflage 2002 ff, 23. Auflage hrsg v Bork, H Roth WpÜG, Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 3. Auflage 2013, bis 2. Auflage Steinmeyer/Häger Aktiengesetz, Kommentar, 3. Auflage 1950 Grundsätze einer ordnungsmäßigen Information des Aufsichtsrats, 3. Auflage 2002, Information und Berichterstattung des Aufsichtsrats, 4. Auflage 2008 Zivilprozessordnung, 37. Auflage 2016 Mitbestimmungsrecht, Kommentierung des MitbestG, des DrittelbG, MitbestR des SEBG und des MgVG, 3. Auflage 2013, 1. Auflage Hanau/Ulmer GmbHG, Großkommentar, 2005–2008, 2. Auflage hrsg v Ulmer/Habersack/ Löbbe Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006 Gesellschaftsrechtliche Vereinigung, Schriftenreihe der VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, Jahrestagung(en), Jahr, Seite Haftung aus Einfluss auf die Aktiengesellschaft, 2004 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, Kommentar, 2007 Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, 3. Auflage 2015 Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Auflage 2014 Handels- und Gesellschaftsrecht, 4. Auflage 2016 Handbuch Personengesellschaftsrecht, hrsg v Westermann, Wertenbruch, Loseblatt, seit 10/2014 Westermann/Wertenbruch GmbHG, 3. Auflage 2016 Gesellschaftsrecht, Band I, Grundlagen, 1980, Band II, Recht der Personengesellschaften, 2004 Gesellschaftsrecht, 9. Auflage 2016 Umwandlungsrecht, Kommentar, hrsg v Widmann, Mayer, Loseblatt, 155. Aktualisierung 2016 Zivilprozeßordnung, 3. Auflage 1994 ff, 4. Auflage (div Bände) 2013 ff Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, 1961 Kapitalgesellschaftsrecht, 3. Auflage 2009 Deutscher Corporate Governance Kodex, Kommentar, 2012 Gesellschaftsrecht, 23. Auflage 2013 Corporate Law in Germany, 2d ed Munich 2010 Mitbestimmungsrecht, Kommentar, 4. Auflage 2011 Wirtschaftsführertum und Vertragsethik im neuen Aktienrecht, 1934 Zivilprozessordnung, 31. Auflage 2016
XXVIII
Wesen der Aktiengesellschaft | § 1
ERSTES BUCH
Aktiengesellschaft ERSTER TEIL
Allgemeine Vorschriften 1. Teil – Allgemeine Vorschriften § 1 Wesen der Aktiengesellschaft Bachmann
§1 Wesen der Aktiengesellschaft (1) Die Aktiengesellschaft ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit. Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen. (2) Die Aktiengesellschaft hat ein in Aktien zerlegtes Grundkapital. Schrifttum Bachmann Vorgesellschaft und Nachgesellschaft – Ein Beitrag zur juristischen Personifikation, FS Lindacher 2017, 23; ders Gutachten E: Reform der Organhaftung? Materielles Haftungsrecht und seine Durchsetzung in privaten und öffentlichen Unternehmen, 2014; ders Private Ordnung, 2006; Bethge Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art 19 Abs 3 GG, 1985; Bitter Gesellschafterhaftung für materielle Unterkapitalisierung — Betrachtungen aus ökonomischer und juristischer Perspektive, in: Bachmann ua (Hrsg), Steuerungsfunktionen des Haftungsrechts im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, S 57; ders Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000; Brand Der Organbesitz, 2015; Bruns Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 2003; Buck Wissen und juristische Person, 2001; Easterbrook/Fischel Limited Liability and the Corporation, 52 University of Chicago Law Review, 1985, S 89; dies The Economic Structure of Corporate Law, 1991; Fabricius Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963; Fleischer Konzernrechtliche Vertrauenshaftung, ZHR 163 (1999), 461; Flume Die juristische Person, 1983; ders Die Personengesellschaft, 1977; Grigoleit Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006; Immenga Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; John Die organisierte Rechtsperson, 1977; Kleindiek Deliktshaftung und juristische Person, 1997; Kumpan Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014; Laux Die Lehre vom Unternehmen an sich, 1998; Lutter Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180 (1980), S 84; Meissner Persönlichkeitsschutz juristischer Personen im deutschen und US-amerikanischen Recht: Eine rechtsvergleichende Untersuchung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts juristischer Personen, 1998; Möslein/Kingreen Die Identität der juristischen Person: Die Hobby Lobby-Entscheidung des U.S. Suprem Court zur Glaubensfreiheit gewinnorientierter Kapitalgesellschaften, JZ 2016, 57; Meyer Haftungsbeschränkung im Recht der Handelsgesellschaften, 2003; Müller-Freienfels Zur Lehre vom sogenannten „Durchgriff“ bei juristischen Personen im Privatrecht, AcP 156 (1957), 522; Raiser Der Begriff der juristischen Person – Eine Neubesinnung, AcP 199 (1999), 104; ders Das Unternehmen als Organisation, 1969; Rehbinder Konzernaußenrecht und allgemeines Privatrecht, 1969; Roth Zur „economic analysis“ der beschränkten Haftung, ZGR 1986, 371; Schall „Durchgriffshaftung im Aktienrecht, FS Stilz 2014, 537; Schanze Einmanngesellschaft und Durchgriffshaftung als Konzeptionalisierungsprobleme gesellschaftsrechtlicher Zurechnung, 1975; Schirmer Das Körperschaftsdelikt, 2015; K. Schmidt Verbandszweck und Rechtsfähigkeit im Vereinsrecht, 1984; Serick Rechtsform und Realität juristischer Personen, 1955; Stimpel Durchgriffshaftung bei der GmbH: Tatbestände, Verlustausgleich, Ausfallhaftung, in: FS Goerdeler, 1987, S 601; Ulmer Der Gläubigerschutz im faktischen GmbH-Konzern beim Fehlen von Minderheitsgesellschaftern, ZHR 148 (1984) 391; Wilhelm Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981; Wolff Organschaft und juristische Person, Band I (1933), Band II (1943).
I.
1
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Bedeutung und Normzweck | 1 2. Entstehungsgeschichte | 5
3. 4.
Parallelnormen | 7 Europarecht und Vergleich zur angelsächsischen Corporation | 8
Bachmann
§ 1 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
II.
III.
IV.
Wesensmerkmale der AG (Abs 1 Satz 1) | 11 1. Die AG als Gesellschaft | 11 2. Die AG als juristische Person | 15 a) Grundlagen | 15 b) Inhalt der Rechtsfähigkeit | 20 c) Beginn und Ende der Rechtspersönlichkeit | 22 3. Die AG als Körperschaft | 24 a) Allgemeines | 24 b) Analoge Anwendung des Vereinsrechts | 25 4. Die AG als Kapitalgesellschaft | 30 5. Die AG als Handelsgesellschaft | 33 6. Die AG als Unternehmen | 34 7. Sonstige Wesensmerkmale der AG | 36 Einzelfragen der Rechtsfähigkeit | 38 1. Rechtsinhaberschaft | 38 a) Privatrecht | 39 aa) Bürgerliches Recht | 39 bb) Gewerblicher Rechtsschutz | 42 cc) Gesellschaftsrecht | 43 dd) Arbeitsrecht | 44 ee) Persönlichkeitsrecht | 45 b) Prozessrecht | 47 c) Öffentliches Recht | 49 d) Strafrecht | 53 2. Handlungsfähigkeit | 55 3. Zurechnungsfragen | 57 a) Zurechnung von Organverhalten | 57 aa) Wissenszurechnung | 58 bb) Organbesitz | 60 cc) Deliktshaftung | 61 b) Zurechnung von Aktionärseigenschaften und Aktionärsverhalten („Anwendungsdurchgriff“) | 63 aa) Voraussetzungen | 64 bb) Anwendungsfälle | 67 Haftung (Abs 1 Satz 2) | 68 1. Haftung der Gesellschaft | 68 2. Keine Haftung der Aktionäre gegenüber Dritten | 69 a) Der rechtliche Grundsatz | 69
b)
V.
Die wohlfahrtsfördernde Funktion der Haftungsbegrenzung | 70 c) Ausnahmen | 72 aa) Konzernrecht | 72 bb) Wettbewerbsrecht | 73 cc) Allgemeines Zivil- und Gesellschaftsrecht | 74 dd) Öffentliches Recht | 76 ee) „Durchgriffshaftung“ (Weiterverweis) | 77 3. Keine Haftung der Organe gegenüber Dritten | 78 4. Die „Durchgriffshaftung“ | 82 a) Das Durchgriffsproblem und die Durchgriffsdebatte | 82 b) „Theorien“ der Durchgriffshaftung | 85 c) Stellungnahme | 89 d) Rechtsprechung zur Durchgriffshaftung | 94 e) Einschlägige Fallgruppen | 97 aa) Anschein persönlicher Haftung | 98 bb) Vermögensvermischung | 99 cc) Beherrschung | 100 dd) Konzern (Unternehmensgesellschafter) | 101 ee) Aktiver Vermögensentzug („Existenzvernichtung“) | 102 ff) Passiver Vermögensentzug („Unterkapitalisierung“) | 103 f) Durchgriffshaftung für Delikte? | 109 g) Rechtsfolgen des „Durchgriffs“ | 114 h) „Umgekehrter Durchgriff“ | 116 Grundkapital und Aktien (Abs 2) | 118 1. Bedeutung der Normaussage | 118 2. Das „Grundkapital“ | 119 3. Die Zerlegung des Grundkapitals in „Aktien“ | 121
I. Grundlagen 1
1. Bedeutung und Normzweck. Die Norm definiert die Aktiengesellschaft als juristische Person mit beschränkter Haftung und einem in Anteile („Aktien“) zerlegten Kapital. Damit wird die AG zugleich von anderen Gesellschaftsformen abgegrenzt und ihr „Wesen“ bestimmt (s Normüberschrift). In seiner Definition bringt § 1 drei zentrale EiBachmann
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Wesen der Aktiengesellschaft | § 1
genschaften der Aktiengesellschaft (Rechtsfähigkeit, Haftungsbegrenzung, fixes Kapital) zum Ausdruck. Nicht erwähnt, sondern vorausgesetzt wird, dass es sich bei der AG um eine Körperschaft in Gestalt einer Kapitalgesellschaft handelt (dazu Rdn 24 f. und Rdn 30 ff). Ebenfalls unerwähnt bleibt die Eigenschaft der AG als Handelsgesellschaft und das Vorhandensein von Gesellschaftern, welche die „Aktien“ gegen Einlagen übernehmen. Diese Aussagen finden sich in §§ 2 u 3, welche § 1 ergänzen und mit diesem zusammen zu lesen sind. Sachlichen Gehalt haben im Grunde nur zwei Normaussagen des § 1. Zum einen ist 2 dies die Bestimmung der Rechtspersönlichkeit, aus welcher sich ergibt, dass die AG in jeder Hinsicht rechtsfähig ist, soweit die Rechtsinhaberschaft nicht die Eigenschaften einer natürlichen Person voraussetzt. Insofern dient die Norm der sprachlichen und rechtstechnischen Vereinfachung: Anstatt für jede Rechtsposition einzeln auszusprechen, dass sie von einer AG innegehabt werden kann (wie dies im Ansatz § 13 Abs 1 GmbHG und § 124 HGB tun), wird die AG pauschal für rechtsfähig erklärt. Welche Positionen im Einzelnen von einer AG gehalten oder erworben werden können, ist durch Auslegung zu ermitteln (Rdn 38 ff). Zum zweiten enthält die Norm die wichtige Anordnung, dass für Verbindlichkeiten 3 der Gesellschaft nur das Gesellschaftsvermögen haftet. Darin steckt zugleich die negative Aussage, dass die Gesellschafter (Aktionäre) nicht für Schulden der Gesellschaft einzustehen haben – Haftungsbegrenzung. Ob es dieser Aussage wirklich bedarf, oder ob die Haftungsbegrenzung nicht schon Konsequenz der Rechtspersönlichkeit der AG ist,1 ist eine berechtigte, am Ende aber müßige Frage. Jedenfalls vermeidet das Gesetz insofern Missverständnisse und dient damit der Rechtsklarheit. Ökonomisch verfolgt die Haftungsbegrenzung, verbunden mit der freien Veräußerbarkeit der Anteile, das einleuchtende Ziel, potenzielle Kapitalgeber zur Investition anzureizen und die AG damit zur „Kapitalpumpe“ für großvolumige Projekte zu machen (näher Rdn 71). Dagegen ist weniger bezweckt, jedem unternehmerisch Tätigen einen juristischen Schutzschild zu verschaffen; für diese Zwecke wurde 1892 die GmbH etabliert. Dies schließt es selbstverständlich nicht aus, dass sich Unternehmer auch ohne besonderen Eigenkapitalbedarf der Rechtsform der AG bedienen, denn diese steht ebenso wie die GmbH für alle Zwecke offen (s § 3 Rdn 7 f.). Wann der Grundsatz der beschränkten Haftung im Interesse des Gläubigerschutzes 4 zurückzutreten hat und damit der Durchgriff auf die Aktionäre möglich wird, ist weder in § 1 noch in sonstigen Normen des AktG geregelt (Ausnahme: §§ 303, 322). Die Beantwortung dieser – schwierigen – Frage ist Rechtsprechung und Lehre zur Klärung aufgegeben (dazu näher Rdn 77). Der klare Normbefehl des Abs 1 Satz 2 macht jedenfalls deutlich, dass hierbei größte Zurückhaltung zu wahren ist. Ebenfalls nicht geregelt wird, wann und in welchem Umfang die Aktionäre der Gesellschaft gegenüber zu Leistungen verpflichtet sind. Dies ergibt sich aus anderen Normen (zB §§ 54 ff, 117, 302, 317), auf deren Kommentierung verwiesen wird. 2. Entstehungsgeschichte. Die Norm ist mit wenigen sprachlichen Änderungen aus 5 dem ADHGB 1861 übernommen. Schon dort wurde eine AG als Handelsgesellschaft definiert, bei der die Gesellschafter sich mit Einlagen beteiligen, „ohne persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften“ und bei der das Gesellschaftskapital „in Aktien oder auch in Aktienantheile zerlegt“ wird (Art 207 ADHGB 1861). Die Rechtsfähig-
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1 Verneinend (unter Hinweis auf die gesetzliche Haftung bei der OHG, KG, Partnerschaftsgesellschaft und KGaA) Raiser AcP 199 (1999), 104, 135.
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Bachmann
§ 1 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
keit der AG war seinerzeit noch in einem separaten Artikel enthalten und umständlicher gefasst. Verbal entsprach sie der heute noch in § 13 Abs 1 GmbHG bzw § 124 HGB vorzufindenden Formulierung („Die Aktiengesellschaft als solche hat selbstständig ihre Rechte und Pflichten; sie kann Eigenthum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben; sie kann vor Gericht klagen und verklagt werden“). Die gesamte Regelung wurde leicht verändert in Art 178 (Kapital und Haftung) und Art 210 (Rechtsfähigkeit) des HGB 1897 übernommen. Ihre heutige Gestalt erhielt die Vorschrift durch das AktG 1937, welches die bis dato 6 auf zwei Paragrafen verteilten Aussagen bündig in einem Satz zusammenfasste („Die Aktiengesellschaft ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, deren Gesellschafter mit Einlagen auf das in Aktien zerlegte Grundkapital beteiligt sind, ohne persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften“). Zur besseren Übersichtlichkeit wurden diese Aussagen im AktG 1965 in drei Sätze aufgeteilt und auf zwei Absätze verteilt. Die Aussage, dass sich die Aktionäre „mit Einlagen“ beteiligen, wurde dabei in § 2 verschoben (s § 2 Rdn 6). Die damit gefundene Fassung des § 1 ist bis heute unverändert geblieben. 7
3. Parallelnormen. Normen mit dem Inhalt des § 1 finden sich bei allen Kapitalgesellschaften. Eine ganz ähnliche Formulierung enthält etwa § 278 Abs 1 für die KGaA. Für die GmbH sind die zentralen Aussagen (Rechtspersönlichkeit und Haftungsbeschränkung) in § 13 Abs 1 und 2 GmbHG enthalten, wobei die dort gewählte Formulierung noch der Diktion des 19. Jahrhunderts entspricht (s Rdn 1). Das Genossenschaftsrecht verteilt die nämlichen Aussagen auf zwei Normen (§ 2 GenG und § 17 Abs 1 GenG) und folgt damit der Struktur des alten ADHGB. Moderner gibt sich die Societas Europaea (SE), welche die in § 1 enthaltenen Aussagen fast wortgleich, allerdings in anderer Reihenfolge, in Art 1 Abs 2 u 3 SE-VO präsentiert. Für den VVaG legt § 15 VAG die Rechtsfähigkeit und § 19 VAG die Haftungsbeschränkung auf das Vereinsvermögen fest.
4. Europarecht und Vergleich zur angelsächsischen Corporation. Auf unionsrechtlicher Ebene wurde im Jahre 2001 auf Grundlage von Art 352 AEUV (= ex-Art 308 EGV) die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO)2 verabschiedet. Die für die Rechtspersönlichkeit der SE normierten Wesensmerkmale entsprechen den in § 1 für die AG geregelten Eigenschaften (so), sodass sich hinsichtlich der Selbstständigkeit der juristischen Person, des Trennungsprinzips und der damit einhergehenden Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen prinzipiell nichts ändert, wenn die AG sich in eine SE umwandelt bzw umgekehrt. Im Rahmen der Rechtsharmonisierung existieren zudem zahlreiche Richtlinien. 3 So legt etwa die Kapitalrichtlinie vom 13.12.19764 das gläubigerschützende Prinzip des gesetzlichen Mindesthaftkapitals fest, dem mit der deutschen Regelung in § 1 Abs 2 entsprochen wird. Die US-amerikanische Corporation wird ebenfalls als selbständiges, von den An9 teilseignern getrenntes Rechtssubjekt (legal entity) angesehen, welches für vertragliche und außervertragliche Verbindlichkeiten nur mit dem Gesellschaftsvermögen haftet (li-
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2 VO (EG) Nr 2157/2001 v 8.10.2001, ABl Nr L 294, S 1. 3 Übersicht über die wichtigsten Richtlinien bei MünchKomm/Habersack4 Einl Rdn 114 ff; Bürgers/ Körber/Körber3 Einl Rdn 14 ff; vgl zu den bis Mitte 2015 in Kraft getretenen Richtlinien auch Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften6, § 7 Rdn 16 ff. 4 Zweite Richtlinie 77/91/EWG vom 13.12.1976 (Kapitalrichtlinie), ABl Nr L 26/1, mittlerweile neu kodifiziert als RL 2012/30/EU vom 25.10.2012, ABl EU Nr L 315/74.
Bachmann
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mited liability).5 In Divergenz zum hiesigen Rechtsverständnis der juristischen Person stellt die rechtliche Selbstständigkeit der Corporation jedoch nach dem jenseits des Atlantik dominierenden Verständnis nur eine Fiktion dar. Die hinter der Kapitalgesellschaft stehenden, auf diese einwirkenden stakeholder und deren Verhältnis zu ihrer Corporation treten stärker in den Vordergrund, sodass der rechtlichen Selbstständigkeit hier mitunter engere Grenzen gesetzt sind.6 Ähnliches gilt für die britische Company, die wie die US-corporation als Einheits- 10 gesellschaft ausgestaltet ist, bei der also die geschlossene Gesellschaft (GmbH) und die offene Gesellschaft (AG) keine separaten Rechtsformen, sondern nur Spielarten ein und derselben Rechtsform sind.7 Rechtspersönlichkeit erlangt die Company durch Registrierung und anschließende Aushändigung des „Certificate of Incorporation“ (Art 16 (3) Companies Act 2006). Die Begrenzung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen wird vom Gesetz eher beiläufig als Inhalt der Satzung erwähnt (vgl Art 3 (1) Companies Act 2006). Sie ist nach angelsächsischem Rechtsverständnis mehr oder weniger Folge der Rechtspersönlichkeit.8 II. Wesensmerkmale der AG (Abs 1 Satz 1) 1. Die AG als Gesellschaft. Absatz 1 beschreibt die AG als „Gesellschaft“ und wie- 11 derholt damit, was schon in der Rechtsformbezeichnung („Aktiengesellschaft“) zum Ausdruck gelangt. Auch im übrigen AktG ist durchweg von der „Gesellschaft“ die Rede, wenn die AG gemeint ist. Dogmatisch gesehen ist die AG nur Gesellschaft im weiteren Sinne, worunter man alle privaten mitgliedschaftlichen Verbände versteht. Von solchen Gesellschaften im weiteren Sinne ist die Gesellschaft im engeren Sinne zu unterscheiden.9 Damit sind die Personengesellschaften gemeint, deren Grundtypus die in §§ 705 ff BGB geregelte BGB-Gesellschaft ist. Dagegen zählt die AG zu den Körperschaften, deren Grundtypus der Verein ist (unten Rdn 24 ff). Praktische Relevanz erlangt die Unterscheidung bei der Frage, ob ergänzend die Normen der BGB-Gesellschaft oder diejenigen des Vereinsrechts herangezogen werden können, was für die AG im letztgenannten Sinne zu beantworten ist (Rdn 25). §§ 705 ff BGB finden auf die AG damit prinzipiell keine Anwendung. Für die meisten 12 der darin geregelten Fragen ergibt sich dies bereits daraus, dass die betreffenden Anordnungen auf die AG nicht passen bzw durch anderweitige Regeln im AktG verdrängt werden. Namentlich haben die Aktionäre als solche kein Geschäftsführungsrecht (§ 709 BGB) und können die AG auch nicht kündigen (§ 732 BGB). Auch für die Auflösung und Abwicklung (§§ 723 ff BGB) hält das AktG eigene Regeln parat (vgl §§ 262 ff). Die Beitragspflicht (§§ 705–707 BGB) ist besonders in §§ 53a ff geregelt. Denkbar wäre ein Rückgriff auf das Recht der BGB-Gesellschaft, um die Treuepflicht der Aktionäre, verstanden als Ausprägung der allgemeinen Förderpflicht (§ 705 BGB), zu begründen.10 Auch das sog Abspaltungsverbot wird bisweilen aus dem BGB (§ 717 BGB) abgeleitet.11 In beiden Fäl-
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5 Vgl zur rechtlichen Selbständigkeit § 3.02. MBCA (Model Business Corporation Act); zur Anerkennung durch die Rspr s die Nachweise bei Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht3, Rdn 194 (dort Fn 202); zur Haftungsbeschränkung § 6.22 MBCA. 6 Immenga Kapitalgesellschaft, S 353 ff; Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht3, Rdn 416 ff; v Arnim NZG 2000, 1001, 1005. 7 Zu diesem integrierten Regelungsmodell Bachmann, ZGR 2001, 351. 8 S nur Hannigan, Company Law, 2015. 9 Vgl nur Windbichler GesR23, § 2 Rdn 9 ff. 10 In diesem Sinne Lutter AcP 180 (1980), 85, 102 ff. 11 Vgl Hüffer/Koch11 § 8 Rdn 26; KK/Dauner-Lieb3 § 8 Rdn 44.
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len ist die „Erdung“ im Recht der Personengesellschaft möglich, aber nicht nötig, weil es sich um anerkannte Institute des Verbandsrechts handelt, die losgelöst von der dogmatischen Einordnung der jeweiligen Gesellschaft Geltung beanspruchen.12 Schließlich führt auch die verbreitet befürwortete Anwendung von § 705 BGB auf den Gründungsvertrag nicht wirklich weiter, weil die Feststellung der Satzung kein gegenseitiger Vertrag, sondern ein Organisationsakt ist, dessen Wirksamkeit und Rechtsfolgen sich nach eigenen Regeln richten (vertiefend Schall/Röhricht § 23 Rdn 6 ff). Praktische Bedeutung kann die Einordnung der AG als „Gesellschaft“ (im weiteren 13 Sinn) entfalten, wenn andere Gesetze ihre Anwendbarkeit vom Vorliegen einer „Gesellschaft“ abhängig machen. In wichtigen Fällen definieren die betreffenden Normen aber selbst, welche Rechtspersonen von ihnen erfasst sein sollen. So unterwirft das Körperschaftsteuergesetz die Aktiengesellschaft explizit der Körperschaftsteuerpflicht (vgl § 1 Abs 1 KStG). Die europäische Niederlassungsfreiheit gilt für „Gesellschaften“, worunter der AEUV ua die „Gesellschaften des Handelsrechts“ und die „sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts“, mithin auch die Aktiengesellschaft, versteht (vgl Art 54 Abs 2 AEUV). In anderen Fällen kann die Anwendbarkeit der jeweiligen Norm nicht schematisch bejaht werden, nur weil § 1 die AG als Gesellschaft bezeichnet, sondern es ist jeweils nach dem Sinnzusammenhang der betreffenden Norm zu fragen. Im Zweifel ist allerdings davon auszugehen, dass eine Norm mit „Gesellschaft“ jede Rechtsform erfasst, die sich selbst als Gesellschaft definiert. Die AG ist immer auch Außengesellschaft. Als bloße Innengesellschaft (Musterbei14 spiele: stille Gesellschaft, §§ 230 ff HGB, Ehegatteninnengesellschaft) kann die AG nicht ausgestaltet werden, weil sie als voll ausgebildete Rechtsperson selbst Rechtsträger ist und als solcher nach außen in Erscheinung tritt.13 Das gilt selbst dann, wenn die AG lediglich im Register existiert und im Übrigen nicht äußerlich tätig wird. 2. Die AG als juristische Person a) Grundlagen. Absatz 1 spricht der AG „eigene Rechtspersönlichkeit“ zu. Damit bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass die AG juristische Person und als solche in jeder Hinsicht rechtsfähig ist (näher Rdn 20 ff und Rdn 38 ff).14 Die Frage, was das „Wesen“ der juristischen Person ausmacht, ist Gegenstand eines 16 klassischen Theorienstreits, um den es in den vergangenen Jahren ruhiger geworden war, der in jüngster Zeit aber – jedenfalls mittelbar – durch die Frage nach der Rechtsfähigkeit autonomer Maschinen wieder mit Spannung geladen worden ist.15 Zu den klassischen Hauptkontrahenten, der sog Fiktionstheorie (Savigny) und der sog Theorie der realen Verbandsperson (Gierke), gesellen sich dabei eine Reihe weiterer, hier nicht im Detail darzustellender Ansätze.16 Der Streit wird dadurch vernebelt, dass nicht immer klar gesagt wird, worum eigentlich gerungen wird. Richtigerweise kann das Wesen der juristischen Person nicht abstrakt und allgemeingültig („an sich“) bestimmt werden, sondern muss als Antwort auf eine bestimmte Frage verstanden werden. Diese Frage kann lauten, welche Eigenschaften ein vom Einzelmenschen unterschiedenes Gebilde 15
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12 Vgl K. Schmidt GesR4, § 20 IV 2, S 589 ff. 13 Windbichler GesR, § 2 Rdn 13. 14 Unstr, statt aller Hüffer/Koch11 Rdn 4 ff. 15 Vgl Schirmer JZ 2016, 660; Kersten JZ 2015, 1, 6 ff; Gruber in: Hilgendorf/Beck (Hrsg), Robotik und Gesetzgebung, 2013, S 133 ff (Rechtsfähigkeit prinzipiell bejahend). 16 Umfassende Darstellung etwa bei Wolff Organschaft und juristische Person I, S 1 ff; Flume Juristische Person, S 3 ff Erhellend aus neuerer Zeit Schirmer Das Körperschaftsdelikt, S 150 ff.
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aufweisen muss, um als rechtsfähig anerkannt zu werden, und sie kann weiter lauten, ob ein Gebilde, welches diese Eigenschaften aufweist, damit automatisch rechtsfähig ist oder ob es dazu eines (staatlichen) Anerkennungsaktes bedarf.17 Im letztgenannten Fall lässt sich zusätzlich überlegen, welche Instanz (Gesetzgeber, Lehre, Justiz) die Anerkennung aussprechen darf und ob sie dabei frei oder gebunden ist. Diese Fragen, die für nicht ausdrücklich als rechtsfähig anerkannte Gebilde (zB GbR, 17 Erbengemeinschaft, autonome Maschinen) Relevanz entfalten, sind für die AG bedeutungslos, weil sie durch § 1 positiv entschieden sind: Die AG ist rechtsfähig kraft Gesetzes. Weil sie auch über alle Eigenschaften verfügt, die als Voraussetzung von Rechtsfähigkeit diskutiert werden (namentlich Handlungs-, Haftungs- und Identifikationsfähigkeit), ist diese Entscheidung rechtspolitisch nicht korrekturbedürftig. Problematisch ist allein die Rechtsfähigkeit der Vor-AG. Da sie noch nicht eingetragen ist, ist sie nach traditioneller und auch zutreffender Ansicht keine juristische Person (Rdn 22). Dessen ungeachtet kann die Vor-AG als rechtsfähig angesehen werden (näher K Schmidt § 41 Rdn 39 ff). Entsprechendes gilt für die Nach-AG (unten, Rdn 23). In eine andere Richtung zielt die Frage nach dem Wesen der juristischen Person, 18 wenn sie lautet, warum die Rechtsordnung neben der natürlichen Person auch einem künstlichen Gebilde wie der Aktiengesellschaft Rechtspersönlichkeit zuspricht. Dies ist die Frage nach der sozialen Funktion der juristischen Person. Sie lässt sich allgemein dahingehend beantworten, dass es schlicht zweckmäßig und effizient ist, einem Zusammenschluss von Personen und/oder einer separierten Vermögensmasse die Rechtsfähigkeit zuzusprechen. Vor allem der zuletzt genannte Gedanke ist schon im 19. Jahrhundert, aber auch in der neueren, ökonomisch orientierten Literatur in den Vordergrund gerückt worden („asset partitioning“, „Zweckvermögenstheorie“).18 Wäre die AG als juristische Person nicht selbst handlungs- und haftungsfähiges Zurechnungsobjekt, müssten alle Beziehungen zwischen Fremd- und Eigenkapitalgebern, Angestellten, Lieferanten etc vertraglich rekonstruiert werden, was theoretisch denkbar, praktisch aber kaum durchführbar ist. Auch die mikroökonomische Theorie der Unternehmung („theory of the firm“), 19 welche die Korporation als „Vertragsbündel“ („nexus of contracts“) modelliert, will dieser damit nicht die Rechtsfähigkeit streitig machen, sondern zielt lediglich darauf, die (wirtschaftlichen) Austauschbeziehungen der Beteiligten sichtbar und so ökonomisch analysierbar und letztlich optimierbar zu machen.19 Einen anderen Akzent setzt der sog Teamarbeits-Ansatz, der die juristische Person (und die sie repräsentierenden Organe) als „mediating hierarchy“ präsentiert, der sich die Teilnehmer am gemeinsamen Werk verbunden fühlen.20 Diese und andere sozialwissenschaftliche Modelle von Unternehmung und juristischer Person sind inspirierend, für die unmittelbare Rechtsanwendung aber wenig förderlich, da allzu abstrakt. b) Inhalt der Rechtsfähigkeit. Als juristische Person kann die AG zunächst Träge- 20 rin all jener Rechte und Pflichten sein, welche die Rechtsordnung ausdrücklich einer
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17 Grundsätzlich John Die organisierte Rechtsperson; s auch schon Fabricius Relativität der Rechtsfähigkeit. 18 Vgl Hansmann/Kraakman 110 Yale L.J. (2000), 387, 390 ff; Kraakman ua, The Anatomy of Corporate Law2, S 6 f; ähnlich schon Wiedemann GesR I, S 195 ff („Theorie des organisierten Sondervermögens“). Zu Vorläufern im 19. Jahrhundert (Bekker, Brinz, Savigny) s Flume in: FS Kegel, 1987, S 147, 152; ders Die juristische Person, S 22 Fdn 132. 19 Vgl Bachmann Private Ordnung, S 114 ff; näher Zöllner AG 2003, 2; Schanze JNPÖ 1983, 161, 165 ff. Grundlegend Jensen/Meckling J Fin Ec 3 (1976), 305, 310 ff. 20 Vgl Blair/Stout 85 Virg LR, 1999, 247 ff; grundlegend Alchian/Demsetz 62 AER (1972), 777 ff.
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juristischen Person zuerkennt. Darüber hinaus kann die AG jede Rechtsposition einnehmen, die auch eine natürliche Person einnehmen kann, soweit diese nicht ihrem Wesen nach einen Menschen voraussetzt.21 Die AG ist, mit anderen Worten, vollumfänglich rechtsfähig. Sie teilt diese Eigenschaft mit anderen juristischen Personen wie der GmbH, der KGaA oder der Stiftung. Zu Einzelfragen der Rechtsfähigkeit unten Rdn 38 ff. Nicht zwingend verbunden mit der Rechtsfähigkeit ist die Beschränkung der Haf21 tung auf das Vermögen des Rechtsträgers,22 wie das Beispiel der OHG zeigt. Wie man an der KGaA erkennt, schließt selbst die volle Rechtspersönlichkeit nicht die Haftung einzelner Gesellschafter – dort: des Komplementärs – aus.23 Aufgrund des sogenannten Trennungsprinzips, also der rechtlichen Trennung von juristischer Person und ihren Mitgliedern bzw Organen, welches sich seinerseits aus der Rechtspersönlichkeit ergibt, ist die persönliche Haftung aber hier ein Fremdkörper.24 Anders als bei OHG und GbR kann sie namentlich nicht aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz abgeleitet werden,25 sondern bedarf einer eigenständigen Anordnung durch das Gesetz. Angesichts dessen hätte es der ausdrücklichen Anordnung der Haftungsbegrenzung auf das Gesellschaftsvermögen, wie wir sie in § 1 Abs 1 Satz 2 finden, nicht bedurft. Indem das Gesetz sie gleichwohl vornimmt, stellt es die Haftungsbegrenzung zum einen klar und betont zum anderen, dass Durchbrechungen dieses Grundsatzes die Ausnahme bleiben müssen (Rdn 4). c) Beginn und Ende der Rechtspersönlichkeit. Die AG erlangt Rechtspersönlichkeit mit der Eintragung in das Handelsregister, denn vor der Eintragung besteht die Aktiengesellschaft „als solche“ – das heißt als juristische Person – nicht (§ 41 Abs 1 AktG). Die Eintragung übernimmt damit die Funktion, die bei der natürlichen Person der Geburt zukommt (vgl § 1 BGB). Sie – und nur sie – ist das Substrat der juristischen Person.26 Folgerichtig endet die Rechtspersönlichkeit der AG mit ihrer Löschung im Handels23 register.27 Dem steht nicht entgegen, dass die AG sowohl vor der Eintragung als auch nach der Löschung in bestimmter Hinsicht Handlungs- und Zuordnungssubjekt und insofern rechtsfähig sein kann.28 Denn Rechtsfähigkeit ist nicht gleich Rechtspersönlichkeit.29 Das mag zwar mit dem Hinweis bezweifelt werden, dass Rechtspersönlichkeit nur ein anderer Ausdruck für Rechtsfähigkeit ist. Es ändert aber nichts daran, dass das deutsche Recht nun einmal zwischen Rechtsträgern, die keine juristische Person sind (zB „rechtsfähige Personengesellschaft“, § 14 Abs 2 BGB) und solchen, die es sind, unterscheidet. Diese Unterscheidung ist nicht rein akademischer Natur. Solange eine juristische Person eingetragen ist, ist sie rechtsfähig, auch wenn sie über keinerlei Vermögen, 22
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21 MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 25. 22 Nirk in: FS Stimpel, 1985, S 443, 444; Stimpel in: FS Goerdeler, 1987, S 601, 605. 23 Anders noch Serick Rechtsform und Realität, S 1 ff, 220 ff, der die Haftungsbeschränkung gerade als Wesensmerkmal juristischer Persönlichkeit ausmachte. Zutreffend: Müller-Freienfels AcP 156 (1957), 522 (525 ff): „Aus einem solchen Begriff lassen sich keine juristischen Urteile gewinnen“; vertiefend Bruns Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S 184 ff. 24 Vgl Wilhelm Kapitalgesellschaftsrecht3, Rdn 13. 25 So (zur GbR) BGH 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 = NJW 1999, 3483. 26 Bachmann FS Lindacher S 23, 35. Sehr klar dazu auch schon Hadding in: FS für Zivilrechtslehrer 1934/35, 1999, S 147 (154) sowie Heerma Mantelverwendung und Kapitalaufbringungspflichten, S 66 f. 27 Ebenso Hüffer/Koch11 § 1 Rdn 4; MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 28; näher Spindler/Stilz/Bachmann3 § 262 Rdn 90. 28 Dies ist heute unstreitig. Zur Rechtsfähigkeit der Vor-AG statt aller K Schmidt GesR4, § 27 II 3; zur Rechtsfähigkeit der Nach-AG ausführlich Spindler/Stilz/Bachmann3 § 262 Rdn 90 ff. 29 HM, vgl nur Windbichler GesR23, § 2 Rdn 5 u 7 mwN; Bachmann FS Lindacher S 23, 34 ff; aA K. Schmidt GesR4 § 8 II; Raiser AcP 194 (1994), 495.
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keine Organe und keine Mitglieder (mehr) verfügt. Sie kann daher als bloßer „Mantel“ fortexistieren.30 Für andere Rechtsträger gilt dies nicht. 3. Die AG als Körperschaft a) Allgemeines. Praktisch wichtiger ist die Eigenschaft der AG als Körperschaft. 24 Dieser Begriff wird im deutschen Recht in zweierlei Hinsicht verwandt. In einem weiteren Sinn bezeichnet er alle Rechtsträger, die Mitglieder haben, und unterscheidet sie damit von Anstalten und Stiftungen. Dass die AG Körperschaft in diesem Sinne ist, folgt daraus, dass sie zwingend mindestens einen Aktionär haben muss – die „Keinmann-AG“ bleibt zwar bis zu ihrer Löschung rechtsfähig (Rdn 22), doch darf es sie auf Dauer nicht geben.31 Im engeren Sinne bezeichnet Körperschaft einen Verband, der vom Mitgliederbestand abstrahiert und den Mitgliedern gegenüber stärker verselbständigt ist („Verbandsperson“ versus „Personenverband“).32 Gegenbegriff zur Körperschaft in diesem engeren Sinne ist die Personengesellschaft, auch als Gesellschaft im engeren Sinne bezeichnet (Rdn 11). Dass die AG Körperschaft auch in diesem engen Sinne ist, wird weder in § 1 noch an anderer Stelle im AktG angeordnet, sondern ergibt sich aus deren organisatorischer Struktur, wie sie im AktG insgesamt zutage tritt. Körperschaftliche Organisationsprinzipien wie das Vorhandensein einer Verfassung („Satzung“, §§ 2, 23), die Zulässigkeit von Fremdorganschaft (§ 76), das Mehrheitsprinzip (§§ 133, 179) und der kraft Gesetzes mögliche Mitgliederwechsel prägen danach auch die AG. b) Analoge Anwendung des Vereinsrechts. Grundmuster der Körperschaft (im en- 25 geren Sinn) ist der Verein, wohingegen die BGB-Gesellschaft den Grundtypus der Personengesellschaft abbildet. Da die AG keine Personengesellschaft ist, sind die §§ 705 ff BGB auf sie nicht anwendbar (Rdn 12). Hingegen können zum Lückenschluss die Vorschriften über den rechtsfähigen Verein (§§ 21 ff BGB) analog herangezogen werden. Hierbei sind indes stets sorgfältig die Analogievoraussetzungen zu prüfen.33 So scheidet eine Analogie mangels Regelungslücke in all denjenigen Fällen aus, in denen das AktG speziellere Regeln bereit hält. Nicht anwendbar sind daher die Regeln über Sitz, Satzung und Vorstand (§§ 24–29 BGB), ebenso wenig diejenigen über Mitgliederversammlung (§§ 32 ff BGB) und Mitgliedschaft (§§ 38 f BGB).34 Auch die Vorschriften über Auflösung und Abwicklung (§§ 41 ff BGB) sowie über das Registerverfahren (§§ 55–79 BGB) finden aufgrund speziellerer Sonderregeln im AktG bzw FamFG auf die AG keine Anwendung.35 Schon der Sache nach nur auf den Verein bezogen sind die (Sonder-)Regeln über die Erlangung der Rechtsfähigkeit (§§ 21–23 BGB). Ausdruck eines allgemeinen körperschaftlichen Gedankens ist dagegen § 31 BGB 26 („Haftung des Vereins für Organe“). Er findet nach ungeteilter Ansicht auf die AG Anwendung.36 Danach haftet die AG für Schäden, welche Vorstand oder Aufsichtsrat in Ausführung ihres Amtes einem Dritten zufügen (Hopt/Roth § 93 Rdn 556; vgl dazu noch unten Rdn 57 ff). Umstritten ist die Anwendbarkeit sonstiger vereinsrechtlicher Normen.
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30 Vgl Bachmann NZG 2011, 441, 449. 31 Nach hM führt die Alleininhaberschaft der AG an ihren Aktien automatisch zur Auflösung, krit dazu Spindler/Stilz/Bachmann3 § 262 Rdn 64 (für Amtsauflösung analog § 397 FamFG). 32 Wiedemann GesR I, § 2 I 1; Windbichler GesR23, § 2 Rdn 9 ff. 33 Für Zurückhaltung auch MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 15. 34 Unstr, vgl nur MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 17 ff. 35 Unstr, s nur MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 22 f. 36 AllgA, s nur MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 19.
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Für § 30 BGB (Bestellung „besonderer Vertreter“ durch die Satzung) wird sie zT bejaht. Mit Blick auf die zwingende Organstruktur der AG, die vorhandene Sonderregelung für einen besonderen Vertreter (§ 147 Abs 2) und ein bislang nicht nachgewiesenes dringendes Bedürfnis der Praxis nach zusätzlicher organschaftlicher Vertretung ist sie aber mit der heute überwiegenden Ansicht zu verneinen.37 Anwendbar ist dagegen § 33 Abs 1 Satz 2 BGB, wonach die Änderung des Vereins27 zwecks nur einstimmig erfolgen kann.38 Betroffen davon sind nicht Änderungen des Unternehmensgegenstandes, die gem § 179 Abs 2 mehrheitlich beschlossen werden können, sondern der Wechsel von der gewinnerzielenden zur selbstlosen Zweckausrichtung oder umgekehrt.39 In diesen Fällen werden die Grundlagen der Investitionsentscheidung in so gravierender Weise geändert, dass den Aktionären nicht zuzumuten ist, dies gegen ihren Willen hinzunehmen. Insbesondere bei Preisgabe der Gewinnerzielungsabsicht ist Art 14 GG berührt, der bei der Auslegung und Anwendung des Aktienrechts durchgängig zu beherzigen ist und hier eher gegen die Möglichkeit der Mehrheitsentscheidung streitet. Anders mag zu entscheiden sein, wenn die Satzung dem erhöhten Schutzbedürfnis Rechnung trägt, indem sie für derartige Entscheidungen eine Mehrheitsentscheidung in Höhe eines 95-prozentigen Quorums verlangt und/ oder Opponenten eine Ausgleichszahlung und/oder das Ausscheiden gegen angemessene Abfindung verspricht. Denn unter diesen Voraussetzungen muss der Aktionär auch sonst fundamentale Einschränkungen seiner Position hinnehmen (vgl §§ 291 ff, 327a ff). Partiell anwendbar ist § 34 BGB (Stimmverbot).40 Zwar enthält das Aktienrecht zT 28 Sonderregeln zum Stimmverbot (§ 136) und auch sonstige Vorkehrungen zur Vermeidung von Interessenkollisionen (zB § 112). In den davon erfassten Bereichen fehlt daher sowohl die Regelungslücke als auch ein Bedürfnis für weiterreichenden Schutz.41 Jedoch sind diese aktienrechtlichen Regeln lückenhaft. So regelt das AktG nicht den Fall des befangenen Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds in einem mehrköpfigen Gremium. Insofern ist anerkannt, dass der Betreffende von der Abstimmung analog § 34 iVm § 28 BGB ausgeschlossen sein kann.42 Ebenfalls zu bejahen ist die analoge Anwendbarkeit von § 35 BGB (mehrheitsfeste 29 Sonderrechte).43 Zwar ist auch hier zu attestieren, dass es vorrangige aktienrechtliche Sonderregeln (zB § 141: Aufhebung des Vorzugs; § 295 Abs 2: Änderung der Ausgleichsleistung) gibt. Ebenso mag nicht vollends geklärt sein, in welchem Umfang einzelnen Aktionären überhaupt Sonderrechte eingeräumt werden dürfen.44 Wenn die Satzung aber zulässigerweise derartige Sonderpositionen etabliert hat und weder das AktG noch die Satzung besondere Regeln zur Änderung oder Aufhebung bereit hält, ist der Rückgriff auf § 35 BGB, der insoweit die Grenzen des körperschaftlichen Mehrheitsprinzips markiert, sachlich naheliegend. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die anderen Aktionäre der Einräumung eines vetoverstärkten Sonderrechts ihrerseits einhellig zugestimmt haben (näher Mock § 11 Rdn 18 f.).
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37 Ebenso MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 15 ff; Grigoleit/Vetter § 1 Rdn 11; aA Hüffer/Koch11 § 1 Rdn 3; 4. Aufl Brändel § 1 Rdn 31. 38 HM vgl MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 21; K. Schmidt GesR4 § 4 III 2b. 39 Vgl dazu nur Röhricht/Schall5 § 23 Rdn 126 f. mwN. 40 Ausführlich dazu Kumpan Interessenkonflikt, S 511 ff. 41 Insofern zutr MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 21 aE. 42 Für den Vorstand OLG Karlsruhe 23.5.2000 – 8 U 233/99, NZG 2001, 30; näher Kort5 § 77 Rdn 14 ff. Für den Aufsichtsrat BayObLG 28.3.2003 – 3Z BR 199/02, NZG 2003, 691; näher Hopt/Roth4 § 108 Rdn 54. 43 Ebenso Baumbach/Hopt/Hopt36 § 11 Rdn 7; einschränkend MünchKomm-BGB/Arnold7 § 35 Rdn 3. 44 So der Einwand von MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 22.
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4. Die AG als Kapitalgesellschaft. Die Aktiengesellschaft ist – wie die GmbH, die 30 KGaA und die SE – Kapitalgesellschaft. Diese Klassifikation findet sich im AktG ebenso wenig wie im GmbHG, sondern kommt (nur) im Bilanzrecht (vgl Überschrift zum zweiten Abschnitt vor § 264 HGB: „Ergänzende Vorschriften für Kapitalgesellschaften“), im Umwandlungsrecht (§ 3 Abs 1 Nr 2 UmwG) sowie im Steuerrecht (§ 1 Abs 1 Nr 1 KStG) vor. „Kapitalgesellschaft“ ist damit lediglich eine Sammelbezeichnung für die genannten Rechtsformen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie über eigene Rechtspersönlichkeit verfügen (§ 1 Abs 1), Handelsgesellschaft kraft Rechtsform sind (§ 3 Abs 1) und ein fixes Nominalkapital aufweisen (§ 1 Abs 2). International ist der Begriff „Kapitalgesellschaft“, der in der deutschen Rechtswissenschaft als Gegenbegriff zur „Personalgesellschaft“ geprägt wurde, eher ungebräuchlich, das angelsächsische Ausland spricht schlicht von „corporation“ (USA) oder „company“ (Vereinigtes Königreich). Sachlich steht bei den Kapitalgesellschaften die Kapitalbeteiligung, nicht die Per- 31 son der Anteilseigner im Vordergrund.45 Die Versachlichung der Mitgliedschaft in einer grundsätzlich frei handelbaren Aktie unterscheidet die AG insofern von anderen Körperschaften, namentlich dem Verein.46 Kapitalgesellschaften werden manchmal auch als anonyme oder „kapitalistische“ Rechtsform beschrieben, was in dieser Reinheit indes nur für die AG (und die SE) passt. Soweit bestimmte Vorschriften (inbes §§ 264 ff HGB) sich nicht ausdrücklich nur an Kapitalgesellschaften richten, ergeben sich aus der Einordnung der AG als Kapitalgesellschaft keine Konsequenzen. Die bisweilen als strukturprägend genannten Merkmale der Kapitalgesellschaft sind zumeist solche der Körperschaft im engeren Sinn.47 Im Mitbestimmungsurteil hat das BVerfG die Verhältnismäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung allerdings zT darauf gestützt, dass von ihr im Wesentlichen nur kapitalistisch geprägte Unternehmen erfasst würden.48 Die Mitbestimmungsgesetze selbst erwähnen den Begriff der Kapitalgesellschaft nicht. Trotz ihrer kapitalistischen Grundstruktur ist es im Rahmen der durch § 23 Abs 5 32 (Satzungsstrenge) gesteckten Grenzen möglich, eine „personalistische“ AG zu strukturieren.49 Dies kann dadurch geschehen, dass die Zahl der Aktionäre begrenzt bleibt und die Aktien vinkuliert werden (vgl § 68 Abs 2), ferner durch Besetzung der Organe mit Aktionären (zB Familienmitgliedern), was mit Hilfe satzungsmäßiger Anforderungsprofile abgesichert werden kann (näher Kort § 76 Rdn 266 ff). Auch die Mehrheitserfordernisse können durch die Satzung heraufgesetzt werden (vgl § 133 Abs 1, § 179 Abs 2). Trotz alledem bleibt im Einzelfall zu prüfen, ob nicht die GmbH oder die KGaA, die jeweils mehr Gestaltungsfreiheit bieten, die bessere Rechtsformwahl sind. 5. Die AG als Handelsgesellschaft. Wie die GmbH (vgl § 1 GmbHG) kann auch die AG 33 für jeden gesetzlich zulässigen Zweck gegründet werden (§ 3 Rdn 7). Kraft gesetzlicher Anordnung in § 3 Abs 1 gilt sie allerdings stets als Handelsgesellschaft, auch wenn der Gegenstand ihres Unternehmens nicht im Betrieb eines Handelsgewerbes liegt. Sie ist damit sog Formkaufmann im Sinne von § 6 Abs 2 HGB. Zu Einzelheiten s die Kommentierung zu § 3. 6. Die AG als Unternehmen. Die AG kann als juristische Person Träger eines Un- 34 ternehmens sein, ist mit diesem aber nicht identisch. Insofern ist streng zwischen dem
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45 Windbichler GesR23, § 2 Rdn 18; Wilhelm Kapitalgesellschaftsrecht3, Rdn 8 ff. 46 MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 108. 47 Vgl Windbichler GesR23, § 2 Rdn 18. 48 Vgl BVerfG 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (348). 49 Vertiefend Immenga Kapitalgesellschaft; Kleinherne Erscheinungsformen und Gestaltungsmöglichkeiten personenbezogener Aktiengesellschaften.
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Unternehmensträger (AG, GmbH, Einzelkaufmann etc) und dem von diesem betriebenen Unternehmen, verstanden als Gesamtheit der sachlichen und personellen Mittel zur Durchführung des Unternehmensgegenstands, zu unterscheiden.50 Ob die AG ein Unternehmen betreibt oder lediglich als „leere Hülle“ besteht, ist für ihre Existenz als juristische Person und damit als „Rechtsträger“ (im Sinne der umwandlungsrechtlichen Diktion) unerheblich. 35 Diese klare Scheidung ist im 20. Jahrhundert im Rahmen groß angelegter unternehmens- und mitbestimmungsrechtlicher Debatten vielfach in Frage gestellt worden. Schon in der Weimarer Zeit diagnostizierte man eine von mitgliedschaftlicher Kontrolle losgelöste Selbstherrlichkeit aktienrechtlicher Leitung und prägte das Schlagwort vom „Unternehmen an sich“.51 In den fünfziger bis siebziger Jahren erwuchs aus der Mitbestimmungsdebatte die Frage, ob das instrumentell verstandene Gesellschaftsrecht und namentlich das Aktienrecht in einem weiter ausgreifenden „Unternehmensrecht“ aufgehen sollte.52 Dahinter stand die soziologisch motivierte und rechtspolitisch ausgerichtete Überlegung, nicht nur die Anteilseigner, sondern auch sonstige stakeholder in einen rechtlich verfassten, über die aktienrechtlichen Grenzen hinausreichenden Verband einzubeziehen. Diese Diskussion, die manch bunte Blüte trieb, erfuhr ihren vorläufigen Höhepunkt und gleichzeitig ihre Konsolidierung in dem vom damaligen BMJ 1980 herausgegebenen Abschlussbericht der sog Unternehmensrechtskommission.53 Die darin unterbreiteten Vorschläge wurden zu Beginn der achtziger Jahre diskutiert, aber nicht verwirklicht. Im Rahmen der modernen Corporate Governance-Debatte sind sie durchaus wieder mit Gewinn zu lesen, für die rechtspraktische Anwendung des geltenden Aktienrechts aber bedeutungslos. Die vereinzelt unternommene Anstrengung, Aktiengesellschaft und Unternehmen schon nach geltendem Recht zu identifizieren,54 vermochte sich nicht durchzusetzen. 7. Sonstige Wesensmerkmale der AG. Mit der Rechtspersönlichkeit, der Haftungsbeschränkung und dem Vorhandensein eines in Aktien zerlegten Kapitals nennt § 1 drei zentrale, aber nicht alle Wesensmerkmale der AG. Weitere sind die Übertragbarkeit der Anteile, die im AktG als solche nicht explizit ausgesprochen, sondern mehr oder weniger vorausgesetzt wird (vgl § 68). Hinzu kommen die Leitung der AG durch eine von den Anteilsinhabern gewählte, mit ihnen aber nicht (notwendig) personenidentische und von ihnen unabhängige Verwaltung sowie die wirtschaftliche Eigentümerstellung der Aktionäre (vgl §§ 58 Abs 4, 271 Abs 1). Mit diesen Wesensmerkmalen sind zugleich alle Charakteristika angesprochen, die 37 in der funktionalen Analyse als für die offene Kapitalgesellschaft (= corporation) prägend genannt werden.55 Weitere Grundelemente, die bisweilen zu den Wesensmerkmalen der AG gezählt werden, wie die Treuepflicht, der Gleichbehandlungsgrundsatz oder die Organverantwortlichkeit,56 sind keine Spezifika der AG, sondern allgemeine verbandsrechtliche Institute. Prägend für die AG, und diese damit zugleich von anderen
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50 Betont K. Schmidt HanR6, § 3 Rdn 44. 51 Eingehend dazu Laux Die Lehre vom Unternehmen an sich. 52 Hierzu mit weiteren Nachweisen Bachmann Private Ordnung, S 404 ff; K. Schmidt GesR4, § 1 II 4b; Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften5, § 6. 53 BMJ (Hrsg) Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, 1980; s auch Ott Recht und Realität der Unternehmenskorporation, 1977. 54 So zB Flume Juristische Person, 1983, S 48 ff (unter Berufung auf Savigny); von anderem Ausgangspunkt auch Raiser Das Unternehmen als Organisation, S 166 ff. 55 Vgl Bachmann ZHR 174 (2010), 486, 487 f; Kraakman ua The Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl, S 5 ff. 56 Vgl 4. Aufl Brändel § 1 Rdn 28; MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 102.
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Kapitalgesellschaften scheidend, sind dagegen das zwingende Vorhandensein eines Aufsichtsrats (dualistische Struktur) und die Satzungsstrenge (§ 23 Abs 5). Ebenso wie das fixe Grundkapital sind diese aber nur für die deutsche AG elementar, nicht hingegen für die Korporation als solche. III. Einzelfragen der Rechtsfähigkeit 1. Rechtsinhaberschaft. Als juristische Person kann die AG grundsätzlich Inhabe- 38 rin sämtlicher Vermögensrechte und damit verbundener Pflichten sein. Zu erläutern sind daher nur diejenigen Positionen, bei denen Abstriche von der Rechtsfähigkeit gemacht oder zumindest diskutiert werden. Anders als es oft heißt – und von den historischen Verbandstheoretikern auch bezweckt war – folgen die Einschränkungen aber keinesfalls aus dem „Wesen“ der juristischen Person. Es ist angesichts der methodischen Weiterentwicklung der Rechtswissenschaft verfehlt, noch heute aus dem abstrakten Begriff „Rechtsperson“ Antworten auf konkrete Einzelfragen ableiten zu wollen. Vielmehr ist anhand der jeweiligen Rechtsinstitute zu ermitteln, ob diese auch auf juristische Personen Anwendung finden.57 So versperrt nicht etwa das Wesen der juristischen Person den Weg zum Traualtar, sondern die Wertungen und Zwecke des Familienrechts verbieten es, die Vorschriften auf nicht-menschliche Akteure anzuwenden. a) Privatrecht aa) Bürgerliches Recht. Die Vorschriften über fehlende oder beschränkte Ge- 39 schäftsfähigkeit (§§ 104 ff BGB) sind auf juristische Personen unanwendbar. Der Rechtsidee nach wäre durchaus vorstellbar, sie im Gründungsstadium bis zum Erreichen voller Rechtsfähigkeit ähnlichen Abstufungen zu unterwerfen, wie sie der Mensch in seiner Entwicklung bis zum Erreichen voller Geschäftsfähigkeit durchläuft. Diesen Weg hat der Gesetzgeber aber nicht beschritten, weil ein Schutzbedürfnis juristischer Personen auch im Entwicklungsstadium nicht anzuerkennen ist. Unanwendbar sind auch die wesentlichen Normen des Familienrechts. So kann 40 eine AG weder die Ehe eingehen noch Verwandtschaftsgrade im Sinne von §§ 1589 ff BGB begründen. Sie kann auch nicht „Angehöriger“ im Sinne verfahrensrechtlicher Normen (zB § 20 Abs 5 VwVfG, § 15 AO) sein. In einem weiteren Sinne sind verwandtschaftliche Beziehungen allerdings auch unter AGs möglich, etwa als „Mutter“ oder „Tochter“ innerhalb eines Konzerns (vgl § 290 Abs 2 HGB: „Mutterunternehmen“). Maßgeblich dafür sind indes nicht die zivilistischen Regeln für natürliche Personen, sondern die einschlägigen Regeln über verbundene Unternehmen (zB §§ 15 ff). Dagegen kann eine AG „nahe stehende Person“ im Sinne des Insolvenzrechts sein (vgl § 138 Abs 2), desgleichen „eng verbundene Person“ im Sinne des Bank- und Kapitalmarktrechts (vgl zB Art 3 Abs 1 Nr 26 MAR). Umstritten war früher, ob eine AG zum Vormund oder zum Betreuer bestellt werden kann. Nachdem das BGB ausdrücklich die Vereinsvormundschaft und die Vereinsbetreuung zugelassen hat (vgl §§ 1791a, 1900 Abs 2 BGB), spricht nichts dagegen, im Einzelfall auch eine dafür geeignete AG zu bestellen.58 Im Erbrecht scheidet die Stellung der AG als Erblasser oder gesetzlicher Erbe zwar 41 aus, weil die jeweiligen Vorschriften allein natürliche Personen in den Blick nehmen. Dies zeigt sich deutlich zB an § 1923 BGB (Erbfähigkeit), der eine (im biologischen Sinne)
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57 So schon K. Schmidt Verbandszweck, S 39 ff; aus jüngerer Zeit Schirmer Das Körperschaftsdelikt, S 195 ff. 58 Vgl MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 30; eingehend 4. Aufl Brändel § 1 Rdn 38.
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„lebende“ Person voraussetzt. Die AG kann aber sehr wohl durch letztwillige Verfügung (§ 1937 BGB) als Erbin eingesetzt werden. Ebenso ist sie in der Lage, als Testamentsvollstrecker (§ 2210 Satz 3 iVm § 2163 Abs 2 BGB), Nachlassverwalter (§§ 1985 ff BGB) oder Nachlasspfleger (§§ 1960 ff BGB) zu agieren.59 42
bb) Gewerblicher Rechtsschutz. Nach allgemeiner Meinung können nur natürliche, nicht aber juristische Personen Urheber eines urheberrechtlich geschützten Werks (§ 2 UrhG) sein.60 Dies wird in der Regel damit begründet, dass der „Urheber“ als „Schöpfer“ definiert (§ 7 UrhG) wird, und zu einer eigenschöpferischen Leistung nur der Mensch, nicht aber eine juristische Person imstande sei. Jedoch leuchtet es nicht unmittelbar ein, warum nicht auch eine Rechtsperson – durch die besondere Leistung eines ihrer Organe – zur Schöpfung eines Werks in der Lage sein soll. Vielmehr zeigt sich hier erneut der Fehlschluss vom vermeintlichen „Wesen“ der juristischen Person auf den Umfang ihrer Rechte. Und dennoch ist das Ergebnis richtig: Nämlich deshalb, weil das Schöpfungsrecht des Urhebers seiner gesetzgeberischen (Neu-)Konzeption nach als Aspekt der individuellen Persönlichkeit ausgestaltet ist und sich nur auf den menschlichen Urheber beziehen soll.61 Hingegen kann die AG die aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht erwachsenden Nutzungsbefugnisse von Dritten erwerben und dadurch eigene Schutzrechte erlangen, zB als Hersteller von Tonträgern (§§ 85 ff UrhG), als Sendeunternehmen (§ 87 UrhG) oder als Filmhersteller (§ 88 UrhG). Entsprechendes gilt im Bereich der technischen Schutzrechte. Die AG kann nicht Erfinder einer schutzfähigen technischen Erfindung (§ 1 PatG) sein, wohl aber eine (fremde) Erfindung zum Patent- oder Gebrauchsmusterschutz anmelden.62 Diensterfindungen ihrer Betriebsangehörigen kann die AG nach den Bestimmungen des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen63 für sich in Anspruch nehmen und – gegen Vergütung – anstelle des Erfinders die dafür gewährbaren Schutzrechte beantragen.
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cc) Gesellschaftsrecht. Die AG kann sich an anderen Gesellschaften beteiligen, also etwa Aktionärin einer anderen AG sein. Eine Beteiligung ist nicht nur an Kapitalgesellschaften, sondern auch an Personengesellschaften möglich, wobei es bei der KG keinen Unterschied macht, ob als persönlich haftende Gesellschafterin oder als Kommanditistin. Prinzipiell ausgeschlossen ist nach deutschem Recht die Bestellung juristischer Personen zu Organmitgliedern einer Kapitalgesellschaft (vgl §§ 76 Abs 3 S 1, 100 Abs 1 S 1; § 6 Abs 2 S 1 GmbHG). Dagegen kann die AG als juristische Person Abwicklerin einer anderen AG (§ 265 Abs 2 S 3 AktG), einer GmbH,64 eines Vereins65 oder einer Personengesellschaft (vgl § 146 Abs 1 S 1 HGB) sein. Der Einsatz einer AG als Insolvenzverwalterin
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59 MünchKomm/Heider4 § 1 Rdn 30. 60 Vgl nur Dreier/Schulze-UrhG/Schulze5 § 7 Rdn 2. Nach dem LUG von 1901 und dem KUG von 1907 konnten hingegen auch juristische Personen als Urheber gelten. Dies nimmt § 134 Satz 2 UrhG für den Rest der laufenden Schutzfristen hin. 61 Dies macht schon die Urheberrechtsreform von 1965 deutlich, die die zuvor nach LUG und KUG bestehende Möglichkeit, auch juristische Personen als Urheber einzuordenen, abschaffte. Allerdings kann man an dieser Wertung durchaus Zweifel anmelden. Denn es mehren sich die Stimmen, die ein „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ anerkennen, weshalb es nahe liegen könnte, dann auch die Person des Urhebers aus ihrer historisch motivierten individuellen Isolation zu befreien. 62 Vgl Benkard-PatG/Bruchhausen11 § 6 Rdn 3. 63 Vom 25.7.1957 BGBl I S 756. 64 Dies ergibt sich aus der fehlenden Verweisung des § 66 Abs 4 GmbHG auf § 6 Abs 2 S 1 GmbHG, vgl Kühn NZG 2012, 731 (732); Michalski-GmbHG/Nerlich2 § 66 Rdn 17. 65 Der Wortlaut von § 48 Abs 1 BGB ist insoweit offen, die hM wendet daher § 265 Abs 2 S 2 AktG analog an, vgl MünchKomm-BGB/Arnold7 § 48 Rdn 2.
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scheidet demgegenüber aus, da § 56 Abs 1 S. 1 InsO seinem eindeutigen Wortlaut nach nur natürliche Personen umfasst. Der Ausschluss juristischer Personen von der Tätigkeit als Insolvenzverwalter verstößt nach Auffassung des BVerfG und BGH weder gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG) noch gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG), sondern erscheint aufgrund der höchstpersönlichen Rechtsnatur des Amtes sachlich gerechtfertigt und sinnvoll.66 dd) Arbeitsrecht. Wie jede andere juristische Person kann die AG Arbeitgeberin 44 sein, wenn der Arbeitsvertrag mit ihr geschlossen wurde. Ältere Vorstellungen, wonach wegen des personalen Elements des Arbeitsverhältnisses nur eine natürliche Person Arbeitgeber sein könne und innerhalb der AG diese Funktion daher dem Vorstand zufalle,67 sind heute überholt. Praktisch wird die Arbeitgeberfunktion allerdings weiterhin vom Vorstand und hier in der Regel vom Personalressort wahrgenommen. Umgekehrt kann sich die AG verpflichten, Dienstleistungen gem § 611 BGB zu erbringen. Arbeitnehmerin kann sie hingegen nicht sein, weil diese Position persönliche Abhängigkeit erfordert, die nach allg Ansicht nur einer natürlichen Person zuzuschreiben ist.68 Die Schutzvorschriften des Arbeitsrechts (zB betr Pausenzeiten, Erholungsurlaub etc) sind auch erkennbar auf natürliche Personen zugeschnitten. ee) Persönlichkeitsrecht. Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob sich juristi- 45 schen Personen – und damit auch die AG – auf Persönlichkeitsrechte berufen können.69 Sofern man die Frage entstehungsgeschichtlich beantwortet, wird man sie verneinen müssen, denn das Persönlichkeitsrecht wurzelt im Freiheitsideal der Aufklärung und ist damit ausschließlich mit dem menschlichen Individuum verknüpft.70 Der BGH hat sich bis heute nicht klar positioniert: Während in der Vergangenheit durchaus gegenläufige Signale zu vernehmen waren,71 stehen die Zeichen neuerdings wieder auf Persönlichkeitsschutz. In dem Fall einer abwertenden Produktbezeichnung sah das Gericht „unternehmensbezogene Interessen“ der klagenden Gesellschaft betroffen, die „durch ihr Persönlichkeitsrecht […] geschützt sind.“72 Der BGH befindet sich dabei auf einer Linie mit dem BVerfG, das mit steigender Tendenz bestimmte Aspekte des Persönlichkeitsschutzes auch auf juristische Personen erstreckt. Diese Entwicklung ist nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der Begründung zu 46 begrüßen. Denn das Persönlichkeitsrecht ist zwar, um mit den Worten des BVerfG zu sprechen, „seinem Ursprung nach ein die freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistendes Individualrecht“, jedoch ändert dies nichts daran, dass auch juristische Personen, „einer grundrechtstypischen Gefährdungslage ausgesetzt“ sein können.73 Genau genommen ist deshalb schon die Frage nach einem „Unternehmenspersönlichkeits-
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66 BVerfG 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, NJW 2016, 930; BGH 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, BGHZ 198, 225–237 = NJW 2013, 3374; in diese Richtung wohl auch BVerfG 3.8.2009 – 1 BvR 369/08 – NJW-RR 2009, 1502, 1505; MünchKomm-InsO/Graeber3 § 56 Rdn 15 ff; Pape ZIP 1993, 737; aA Römermann GmbHR 2013, 1249; zusätzlich für Europarechtswidrigkeit der Regelung Kleine-Cosack NZI 2011, 791; Bluhm ZIP 2014, 555; kritisch auch Uhlenbruck-InsO/Zipperer14 § 56 Rdn 13. 67 So noch Hueck/Nipperdey Lehrbuch des Arbeitsrechts I7, S 145. 68 Vgl MünchKomm-BGB/Müller-Glöge6 § 611 Rdn 229. 69 Vertiefend Meissner Persönlichkeitsschutz, S 60 ff; knapper Überblick bei Raiser, in: FS Traub, S 331 (332 ff). 70 Eingehend zur historischen Entwicklung Klippel Der zivilrechtliche Schutz des Namens, S 198 ff; Meissner Persönlichkeitsschutz, S 74 ff. 71 BGH 3.6.1986 –VI ZR 102/85, BGHZ 98, 94, 97 = NJW 1986, 2951. 72 BGH 11.3. 2008 –VI ZR 7/07, NJW 2008, 2110, 2111. 73 BVerfG 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, BVerfGE 106, 28 = NJW 2002, 3619, 3622.
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recht“ falsch gestellt: Es geht nicht darum, das der menschlichen Individualität entspringende Persönlichkeitsrecht der Rechtsperson überzustülpen. Entscheidend ist allein, ob die unter dem Dach des Persönlichkeitsrechts entwickelten Fallgruppen sinnvollerweise auch auf juristische Personen Anwendung finden, weil eine vergleichbare Gefährdungssituation besteht – was vielfach zu bejahen ist.74 47
b) Prozessrecht. Die AG ist parteifähig (§ 50 Abs 1 ZPO). Vertreten wird sie in der Regel durch den Vorstand (§ 78 Abs 1), teilweise durch den Aufsichtsrat (§§ 112, 246 Abs 2 Satz 3, § 249 Abs 1 Satz 1) und in bestimmten Fällen auch durch Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam (§ 246 Abs 2 Satz 2, § 249 Abs 1 Satz 1). Daneben kann auch ein besonderer Vertreter (§ 147 Abs 2 und 3) zur gerichtlichen Vertretung berufen sein. In einem Prozess mit der AG als Partei ist zu beachten, dass die jeweiligen Vertretungsorgane nicht zeugnisfähig sind.75 48 Auf Vollstreckungsebene ergeben sich grundsätzlich keine Besonderheiten. Dreht sich die Vollstreckung jedoch um die Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen, so ist zu differenzieren. Im Grundsatz gilt: Ist allein die juristische Person Vollstreckungsschuldnerin, so ist das Zwangsgeld gegen sie, die etwaige Ordnungshaft gegen das Organ festzusetzen.76 Selbiges soll nach der neusten Rechtsprechung des BGH auch dann gelten, wenn sowohl Rechts- als auch Organperson gemeinsam Duldung oder Unterlassung schulden, denn die Zuwiderhandlung des Organs sei gemäß § 31 BGB allein der juristischen Person zuzurechnen.77 Geht es aber um die Vollstreckung einer Vertragsstrafe, macht der BGH eine Ausnahme: Hier haften Organ und Rechtsperson gesamtschuldnerisch.78 c) Öffentliches Recht. Für das Verwaltungsrecht gelten keine Besonderheiten. Wie auch im Zivilrecht ist die AG als juristische Person hier prinzipiell rechtsfähig, kann also namentlich Beteiligte in einem Verwaltungsverfahren (§ 11 Nr 1 VwVfG) und Partei in einem Verwaltungsrechtsstreit sein (vgl § 61 Nr 1 VwGO). Ob einzelne öffentlichrechtliche Positionen ihrer Natur nach ausnahmsweise nur von natürlichen Personen eingenommen werden können, ist – wie auch sonst – durch Auslegung im Einzelfall zu entscheiden. Als rechts- und beteiligungsfähig wird die AG auch im Steuerverfahren angesehen (vgl § 78 AO). Für die Besteuerung selbst ist zu beachten, dass die AG als juristische Person Steuersubjekt ist und einer eigenen Steuerbarkeit in Gestalt der Körperschaftsteuer unterliegt (vgl § 1 Abs 1 Nr 1 KStG). Problematischer ist die Grundrechtsfähigkeit. Den Ausgangspunkt bildet hier Art 19 50 Abs 3 GG. Danach gelten die Grundrechte der Art 1–19 GG auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.79 Entscheidendes Kriterium ist, ob die von dem jeweiligen Grundrecht geschützte Tätigkeit auch von juristischen Personen ausgeübt werden kann und ob sich die juristische Person in einer Gefährdungslage befindet, die derjenigen natürlicher Personen vergleichbar ist.80 Die Marschrichtung
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74 Vgl die Übersicht bei MünchKomm-BGB/Rixecker Anh § 12 Rdn 22. 75 Vgl nur Thomas/Putzo7 Vor § 373 Rdn 6 ff. 76 Zöller-ZPO/Stöber30 § 890 Rdn 6 mwN; differenzierend aber Musielak/Voit-ZPO/Lackmann13 § 890 Rdn 12. 77 BGH 12.1.2012 – I ZB 43/11, WM 2012, 414; zustimmend: OLG Düsseldorf 7.3.2013 – I 20 W 100/10, 20 W 100/10, NZG 2013, 1346, 1347; OLG Frankfurt 12.7.2012 – 6 W 77/12, NZG 2013, 510; OLG Hamburg 3.4.2013 – 3 W 18/13, NJOZ 2013, 2118, 2119. 78 Vgl BGH 8.5.2014 – I ZR 210/12, ZIP 2014, 1382, 1386 ff. 79 Eingehend dazu Bethge Die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen nach Art 19 Abs 3 GG, 1985; für die Menschenrechte s Baldegger Menschenrechtsschutz für juristische Personen in Deutschland, der Schweiz und den Vereinigten Staaten, 2015. 80 St Rspr, vgl nur BVerfG 31.10.1984, 1 BvR 35/82, 1 BvR 356/82, 1 BvR 794/82, BVerfGE 68, 193, 205 ff.
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ist damit klar: Ebenso wie sonst verbietet sich auch für die Grundrechte eine pauschale Antwort. Maßgeblich ist eine Einzelfallprüfung, die das jeweilige Grundrecht darauf abklopft, ob und wie es juristische Personen vor Eingriffen schützen will. Entgegen manchen Tendenzen in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und in der Literatur ist dabei grundsätzlich nicht auf die hinter der juristischen Person Stehenden („umgekehrter Durchgriff“, dazu Rdn 117), sondern auf die juristische Person selbst abzustellen.81 Verfolgt diese, wie bei der AG regelmäßig, kommerzielle Zwecke, sollte es ihr verwehrt sein, sich gegenüber staatlichen Eingriffen (zB Beschlagnahmen zu militärischen Zwecken, Lohnfortzahlung bei Schwangerschaftsabbruch von Arbeitnehmerinnen) auf höchstpersönliche Grundrechte wie die Gewissensfreiheit (Art 4 Abs 1 GG) zu berufen. 82 Betrachtet man die Grundrechte im Einzelnen, so sind für die AG namentlich die 51 Vereinigungsfreiheit (Art 9 Abs 1 GG), die Berufsfreiheit (Art 12 GG) und die Eigentumsfreiheit (Art 14) relevant. Auch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) und die Gleichheit vor dem Gesetz (Art 3 Abs 1 GG) sind problemlos auf sie anwendbar, desgleichen die Artikel 5 Abs 1 u. 3, 7 Abs 4, 8 Abs 1, 9 Abs 3, 10, 11 Abs 1, 13 Abs 1 sowie 17 GG. Umgekehrt scheidet eine Anwendung von Art 1 Abs 1 (Menschenwürde), Art 2 Abs 2 (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), Art 4 Abs 3 (Recht zur Verweigerung des Kriegsdienstes), Art 6 (Ehe, Familie, nichteheliche Kinder), Art 16 (Ausbürgerung) und Art 16a GG (Asylrecht) naturgemäß aus. Differenzierter gestaltet es sich bei anderen Grundrechten. So können die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art 4 Abs 1 GG) und das Recht auf Ehe und Familie (Art 6 GG) wenigstens mittelbar (nämlich bei der Abwägung) zum Zuge kommen.83 Auch die Berufung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art 2 Abs 1 GG) wird man der AG nicht von vornherein absprechen können (Rdn 45 f.). Die sog Justizgrundrechte müssen der AG zugestanden werden, soweit diese selbst Adressat von Strafnormen wird (Stichwort: Verbandsstrafbarkeit, s dazu Rdn 54). Für den Schutz des gesprochenen Wortes (Art 5 GG) hat das BVerfG die Grundrechtsfähigkeit der juristischen Person bejaht, weil hierdurch nicht nur der besondere personale Kommunikationsinhalt, sondern die Eigenbestimmung und Situationsangemessenheit des Kommunikationsverhaltens insgesamt geschützt werde.84 Ausweislich des Wortlauts erfasst Art 19 Abs 3 GG nur inländische juristische Per- 52 sonen, wobei sich nach hM die Inländereigenschaft nach der sog „Sitztheorie“ richtet. Die (Justiz-)Grundrechte abseits der Art 1–19 GG stehen dagegen auch ausländischen juristischen Personen zu. d) Strafrecht. Die Entwicklung im Strafrecht ist im Fluss. Der seit der Antike un- 53 umstößlich erscheinende Grundsatz societas delinquere non potest gerät zunehmend ins Wanken. Einschränkungen erfährt er zunächst durch das Ordnungswidrigkeitenrecht, das in § 30 OWiG die Möglichkeit einer Verbandsgeldbuße vorsieht, sofern ein Organ eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten, welche die juristische Person treffen, verletzt worden sind.85 Der entscheidende Stoß scheint aber von der Strafrechtswissenschaft selbst auszugehen, die mehrheitlich die Schaffung einer echten Kriminalstrafe für Verbände nach dem Vorbild anderer (europäischer) Länder
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81 Kingreen/Möslein JZ 2016, 5763 ff mwN; Sodan/Sodan, Grundgesetz2, Art 19 Rdn 19. 82 Vgl BVerfG 18.10.1989 – 1 BvR 1013/89, = NJW 1990, 241; BVerwG 5.11.1981 – 3 C 10/81, BVerwGE 64, 196, 199 = NVwZ 1982, 195; Kingreen/Möslein JZ 2016, 57, 62 f. 83 Vgl BVerfG 18.1.2002 – 1 BvR 2284/95 = NJW 2002, 1485 (Schächten); BVerfG 24.1.1962 – 1 BvL 32/57 = BVerfGE 13, 290, 298 = NJW 1962, 437. Kritisch Kingreen/Möslein JZ 2016, 57, 62 f, 65 f. 84 BVerfG 9.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98, BVerfGE 106, 28 = NJW 2002, 3619. 85 Vertiefend, auch zur umstrittenen Rechtsnatur der Vorschrift KK-OWiG/Rogall4 § 30 Rdn 24.
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fordert.86 Ob diesem Ruf gefolgt wird, bleibt abzuwarten. Auf europäischer Ebene gibt es seit Jahren derartige Bestrebungen,87 und auch in der Bundesrepublik stehen die Zeichen auf Veränderung: Ende 2013 legte das Land Nordrhein-Westfalen einen ausformulierten Vorschlag für ein Verbandsstrafgesetzbuch vor, der gegenwärtig im Bundesrat diskutiert wird. Der Entwurf baut auf der Idee „originärer Verbandsschuld“ auf und sieht die Verhängung von echten Kriminalstrafen vor, die von einer Geldstrafe bis hin zur Auflösung reichen.88 54 An Aktualität gewonnen hat somit auch die strafprozessuale Frage nach einem Recht juristischer Personen auf Selbstbelastungsfreiheit. Bislang wurde die Übertragung des auf natürliche Personen im Strafverfahren anzuwendenden Grundsatzes nemo tenetur se ipsum accusare auf juristische Personen ganz überwiegend abgelehnt, da er als Ausfluss der Menschenwürdegarantie aus Art 1 Abs 1 GG an Wesensmerkmale von natürlichen Personen anknüpfe und daher nicht nach Art 19 Abs 3 GG auf juristische Personen erstreckt werden könne.89 Der Gesetzesentwurf des Landes NRW hingegen verweist in § 13 Abs 1 VerbStGB-E allgemein auf die gesamte Strafprozessordnung einschließlich des dort intendierten Schweigerechts (§ 136 Abs 1 Satz 2 StPO) und des korrespondierenden Herausgabeverweigerungsrechts (§ 95 Abs 1 StPO) bei drohender Selbstbezichtigung.90 Dies erscheint angesichts der vorgesehenen Verbandssanktionen konsequent und beugt dem Missbrauch vom Verband „erzwungener“ Aussagen oder Unterlagen zur strafrechtlichen Verfolgung involvierter natürlicher Personen vor.91 2. Handlungsfähigkeit. Anders als in der Schweiz, wo Art 54 ZGB die Handlungsfähigkeit juristischer Personen positiv regelt, findet sich im AktG keine entsprechende Vorschrift. Dies ist jedoch unschädlich, da der Handlungsfähigkeit – jedenfalls aus heutiger Perspektive – keine eigenständige rechtliche Bedeutung zukommt.92 Denn wie schon bei der Rechtsfähigkeit lassen sich auch aus einer wie auch immer gearteten „Handlungsfähigkeit“ keine konkreten juristischen Folgerungen ableiten; als abstrakte Größe ist sie allenfalls für die soziale Funktion juristischer Persönlichkeit (Rdn 18) von Relevanz. Für die AG nach dem AktG ist ohnehin klar, dass sie durch die dazu vorgesehenen Organe am Rechtsverkehr teilnimmt, rechtstechnisch geschieht dies etwa durch das Institut der Stellvertretung (vgl etwa §§ 78 Abs 1 S 1, 112 S 1). Wer es bildhafter mag, kann dann durchaus davon sprechen, dass die AG äußerlich durch ihre Organe „handelt“. Die durch die Organe vermittelte Handlungsfähigkeit der AG ist – analog zur Rechts56 fähigkeit – grundsätzlich unbeschränkt.93 Im Ausgangspunkt ist die AG also in der Lage, selbständig jede (Rechts-)handlung, freilich vermittelt durch einen Zurechnungstatbestand, vorzunehmen. Raiser weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass es sich hierbei letztlich um ein Gebot der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung im Vergleich zur natürlichen Person handelt.94 Deshalb ist insbesondere die ultra-vires55
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86 Vgl nur Schönke/Schröder-StGB/Heine/Weißer29 Vorb §§ 25 ff Rdn 127; KK-OWiG/Rogall4 § 30 Rdn 7 (jeweils mwN). 87 So hat sich die Europäische Kommission, dem Expertenrat des Corpus Iuris folgend, auf das Modell einer Kriminalstrafe von Verbänden festgelegt, eingehend Neumann Unternehmensstrafrecht, S 13 ff. 88 Vgl § 2 NRW-Entwurf eines Verbandsstrafgesetzbuchs sowie die Begründung S 27 ff, 40 ff. 89 BVerfG 26.2.1997 –1 BvR 2172/96, BVerfGE 95, 220, 243; Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften5, § 8 Rdn 18; ablehnend auch Arzt JZ 2003, 456; v Freier ZStW 2010, 117, 122. 90 § 13 Abs 1 VerbStGB-E; Gesetzesentwurf Begründung, S 73 ff. 91 Fink wistra 2014, 457, 462 ff. 92 Zutreffend Kleindiek Deliktshaftung, S 171; ähnlich Flume Juristische Person, S 385. 93 Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften5, § 8 Rdn 8. 94 Deutlich Raiser AcP 199 (1999), 104 (134): „Nur die prinzipiell vollständige Gleichstellung mit den natürlichen Personen ermöglicht die unbelastete Teilnahme juristischer Personen am Rechtsverkehr, […]
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Lehre, also die Idee, dass der Aktionsrahmen der juristischen Person von Satzung und Rechtsordnung gesteckt wird und alles darüber hinausgehende Handeln ihr nicht zugerechnet werden kann, dem deutschen Aktienrecht fremd.95 Die Frage, ob und wie sich die interne Unzulässigkeit einer Organhandlung auf ihre externe Unverbindlichkeit auswirkt, ist mithin keine Kategorie der Rechts- oder Handlungsfähigkeit der juristischen Person, sondern sie ist schlicht anhand der einzelnen Rechtsverhältnisse zu beantworten. 96 Der Hauptanwendungsfall satzungswidriger, rechtsgeschäftlicher Handlungen gehört mithin in den Problembereich der organschaftlichen Vertretungsmacht, der bekanntlich je nach Rechtsform unterschiedlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet wurde. Für die AG hat er in § 82 AktG eine klare Regelung erfahren. 3. Zurechnungsfragen a) Zurechnung von Organverhalten. Neben der Stellvertretung gibt es auch andere 57 Bereiche, in denen die Zurechnung von Organverhalten ausdrücklich geregelt ist. Dies gilt namentlich für die Zurechnung von rechtsgeschäftlichen Pflichtverletzungen. Ob hier § 278 BGB oder § 31 BGB zur Anwendung gelangt, ist seit jeher umstritten.97 Ersteres wollte der BGB-Gesetzgeber,98 für letzteres spricht, dass § 31 BGB besser die Besonderheit der Organ-Verband-Beziehung abbildet.99 Praktisch ist die Frage nahezu bedeutungslos, denn beide Wege führen zum selben Ziel.100 Wichtiger sind deshalb die Problemkreise, in denen eine gesonderte gesetzliche Regelung fehlt oder diese nicht konsequent angewendet wird. Praktisch relevante Fälle sind die Wissenszurechnung, der Organbesitz und die Deliktshaftung. aa) Wissenszurechnung. Die Wissenszurechnung ist kein Sonderproblem der AG, 58 ja nicht einmal ein solches der juristischen Person, sondern immer da von Relevanz, wo arbeitsteilig in einer Einheit zusammengewirkt wird, was mit einer Aufspaltung von Wissen einhergeht. Mithin genügt es an dieser Stelle, die Grundzüge darzustellen.101 Ursprünglich war man der Meinung, dass sich auch die Wissenszurechnung aus der „Natur“ der juristischen Person erklären lasse, was – in Anlehnung an Gierke – in die Formel mündete: Wissen eines Organs ist Wissen der juristischen Person. Von dieser Idee einer sog absoluten Wissenszurechnung sind Rechtsprechung und Lehre jedoch in jüngerer Zeit abgerückt – und das zu Recht. Denn letztlich lässt sich die pauschale Gleichsetzung von Organwissen und solchem der Rechtsperson nur mit übergesetzlichen verbandstheoretischen Leitbildern erklären; eine Methode, die, wie auch sonst, für die Beantwortung von konkreten Rechtsfragen fehlgeht. Darüber hinaus reicht die Problematik der Zurechnung von aufgespaltenem Wissen weit über den beschränkten Kreis „wissender“
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nur sie lässt deshalb die juristischen Personen zu vollwertigen Partnern des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens werden.“ 95 Vgl nur Palandt/Ellenberger74 Vor §§ 21 ff BGB Rdn 11. In den Verbandstheorien des 19. Jahrhunderts war die ultra-vires-Idee dagegen (wesens-)dominierend, eingehend Schirmer Das Körperschaftsdelikt, S 153 ff, 163 ff. 96 Deutlich K. Schmidt Gesellschaftsrecht4, § 10 II 1a; Flume Juristische Person, S 370. 97 Ausführlich Flume Personengesellschaft, S 321 ff. 98 Vgl Motive der Ersten Kommission, S 100. 99 K. Schmidt GesR4, § 10 IV 3. 100 Denn § 276 S 2 BGB greift bei der hier interessierenden Zurechnung von schuldhaften Handlungen des Organs gerade nicht; zutreffend Kleindiek Deliktshaftung, S 276: „man sollte hier keine unnötigen Auseinandersetzungen führen.“ 101 Ausführlich Buck, Wissen; Überblick über die Einzelfälle bei: MünchKomm-BGB/Schubert7 § 166 BGB Rdn 63 ff.
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Organwalter hinaus. Richtigerweise wird die Wissenszurechnung deshalb heute unter den Gesichtspunkten des Verkehrsschutzes und der Risikoverteilung behandelt. Eine Zurechnung von Wissen zur AG – oder anderen Unternehmensformen – findet nach der Formel des BGH deshalb immer dann statt, wenn das betreffende „Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation aktenmäßig festzuhalten, weiterzugeben und vor Vertragsschluss abzufragen“ war.102 59 Wenngleich mit dieser Linie die Claims im Wesentlichen abgesteckt sind, ist in die Wissenszurechnung jüngst wieder Bewegung geraten.103 Hintergrund ist die Rezeption einer Entscheidung des OLG Celle, die sich mit der Frage der Zurechnung von vertraulichen Informationen, die ein Doppelmandatsträger in einem anderen Unternehmen erlangt hat, beschäftigte.104 Während das OLG im Einklang mit der überwiegenden Literatur auf dem Standpunkt steht, dass eine Zurechnung an das zweite Unternehmen immer dann ausscheiden müsse, wenn eine Wissensweiterleitung – etwa wegen einer Verschwiegenheitspflicht gegenüber dem ersten Unternehmen – unrechtmäßig wäre,105 ist die Lösung in Wahrheit nicht schwarz-weiß, sondern wie so oft grau: Eine Zurechnung von vertraulichem Wissen verbietet sich nicht pauschal, vielmehr ist unter Zugrundelegung der Zwecke des jeweiligen Kenntnistatbestands und des Vertraulichkeitsbefehls im Einzelfall zu ermitteln, ob eine Zurechnung geboten ist.106 60
bb) Organbesitz. Die Bezeichnung „Organbesitz“ kann verwirren, denn es ist gerade nicht das Organ, das besitzt, sondern die AG selbst, die durch ihre Organe besitzt. Dieser Satz wird heute im Ergebnis nicht mehr angezweifelt, jedoch wurde es lange mit der dogmatischen Begründung nicht so genau genommen. Überwiegend behalf man sich damit, zu argumentieren, die Lösung des Organbesitzes sei die einzig sinnvolle und müsse deshalb auch richtig sein.107 In diese Lücke ist jüngst Brand gestoßen. Seine Erklärung – der Organbesitz sei ein Ausfluss des Prinzips der Organschaft – überzeugt jedoch nur bedingt, da er so letztlich doch in die Requisitenkiste der historischen Verbandstheorien greift und das Phänomen des Organbesitzes aus der „Natur“ juristischer Persönlichkeit erklärt.108 Vielmehr ergibt sich die Richtigkeit der Figur des Organbesitzes, wie Brand umfangreich belegt, bereits aus den Wertungen des Besitzrechts selbst.109
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cc) Deliktshaftung. Für Delikte, die ein Organwalter bei seinem Handeln für den Verein begangen hat, haftet dieser gemäß § 31 BGB. Die Norm gilt analog für die Aktiengesellschaft (Rdn 26). Ein lange Zeit vernachlässigtes Problem war, ob damit die Haftung
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102 So die Formulierung in BGH 13.10.2000 –V ZR 349/99, NJW 2001, 359, 360; zurückgehend auf BGH 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, 331 ff = NJW 1990, 975, 976; zur Entwicklungsgeschichte ausführlich Buck Wissen, S 208 ff. 103 Vgl auch Thomale AG 2015, 641 zu strafrechtlichen Implikationen; J. Koch, ZIP 2015, 1757 ff speziell zur Wissenszurechnung aus dem Aufsichtsrat. 104 OLG Celle 24.8.2011 – 9 U 41/11, S 13 ff (nicht veröffentlicht); zitiert nach Verse AG 2015, 413. 105 Statt vieler MünchKomm-BGB/Schubert7 § 166 BGB Rdn 51 ff; der BGH hat sich der Frage bisher noch nicht angenommen, lediglich in BGHZ 117, 104 = NJW 1992, 1099 findet sich die Andeutung, dass Datenschutzbestimmungen einem elektronischen Informationsaustausch zwischen Behörden (!) entgegenstehen können. 106 Eingehend Schirmer AG 2015, 666; ähnlich für die Wissenszurechnung im Allgemeinen bereits Koller JZ 1998, 75, 81 ff. 107 Vgl BGHZ 56, 73 = NJW 1971, 1358 (zur besitzenden GmbH); für die Literatur statt vieler Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften5, § 8 Rdn 10; K. Schmidt GesR4, § 10 III 2a. Die Figur des Besitzdieners greift für Organe nicht, weil sie gerade nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zur juristischen Person stehen. 108 Brand Der Organbesitz, S 77 ff, 100 ff. 109 Brand Der Organbesitz, S 47 ff.
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des Organs vollständig auf die juristische Person übergeleitet wird oder ob Organwalter und juristische Person nebeneinander haften. Auch hier schien, nachdem die Rechtsprechung von ihrer viel kritisierten Baustoff-Rechtsprechung (= persönliche Haftung des Organs kraft „Garantenstellung“) abgerückt ist,110 das Gerüst zu stehen. Dank der grundlegenden Vorarbeiten von Kleindiek111 hatte man sich auf ein zweipoliges Modell verständigt: Bei eigenhändig begangenen Delikten haftet neben dem Organwalter als Täter auch die juristische Person (kumulative Mithaftung). Wird dagegen eine Verkehrspflicht verletzt, ist die Rechtsperson als Trägerin dieser Pflicht unmittelbar selbst verantwortlich, während eine darüber hinausgehende Haftung des Organs nur in Sonderfällen in Betracht kommt (originäre Verantwortlichkeit).112 Problematisch an diesem Ansatz ist, wie jüngst überzeugend herausgearbeitet wur- 62 de,113 dass der zweipolige Lösungsansatz methodisch in zwei Welten wandelt: Bezüglich der Verkehrspflichthaftung wird zu Recht nach einer interessengerechten Lösung gesucht, die die Wertungen von Delikts- und Gesellschaftsrecht in Einklang bringt. Demgegenüber wird bei den eigenhändigen Delikten noch das Vorstellungsbild des 19. Jahrhunderts hochgehalten, nach dem eine unrechtsfähige juristische Person schon begrifflich undenkbar war und deswegen nur eine Schuldbeitrittslösung in Betracht kam. Anders als üblicherweise dargestellt, ist § 31 BGB jedoch offen für ein modernes und vor allem einheitliches Verständnis:114 Begeht ein Organwalter eine unerlaubte Handlung, realisiert sich unternehmerisches Risiko, weshalb es aus Gründen einer effektiven Risikosetzung und -steuerung geboten ist, die Haftung direkt bei der Rechtsperson anzusiedeln. Die Deliktshaftung von Aktiengesellschaften – wie von juristischen Personen insgesamt – versteht sich mithin als originäre Verantwortlichkeit; ein in korporativer Funktion verübtes Delikt ist – egal ob eigenhändig oder nur mittelbar verübt – damit immer zunächst ein Körperschaftsdelikt. Erst im zweiten Schritt ist zu ermitteln, ob auch den beteiligten Organwalter eine persönliche Haftung trifft. Dies kann jedoch nur in gesondert begründeten Ausnahmefällen, etwa bei vorsätzlichen Schädigungen oder bei der Verletzung von an das Organ selbst adressierten Schutzgesetzen, bejaht werden.115 Das bloße ‚Sichtbarwerden’ als direkter Verursacher ist für die persönliche Organhaftung hingegen niemals ausreichend. b) Zurechnung von Aktionärseigenschaften und Aktionärsverhalten („Anwen- 63 dungsdurchgriff“). Eine andere Frage ist, ob neben den Organwaltern auch die Aktionäre als Zurechnungsanker in Betracht kommen, inwiefern also ihre Eigenschaften, Kenntnisse, Erklärungen oder Verhaltensweisen der AG zugerechnet werden können.116 Obwohl in diesem Zusammenhang üblicherweise von „Anwendungs-“ oder „Zurechnungsdurchgriff“ die Rede ist, sollten diese Begriffe vermieden werden, da es sich in
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110 BGH 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297 (Baustoff) = NJW 1990, 976; jüngst jedoch BGH 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = NJW 2012, 3439 (bereits unmissverständlich im Leitsatz!): „Allein aus der Stellung als Geschäftsführer einer GmbH bzw Mitglied des Vorstands einer Aktiengesellschaft ergibt sich keine Garantenpflicht gegenüber außenstehenden Dritten, eine Schädigung ihres Vermögens zu verhindern.“; vgl zur Einordnung dieser Entscheidung Schirmer NJW 2012, 3398 ff. 111 Kleindiek Deliktshaftung, insb S 214 ff; 238 ff. 112 Statt vieler: MünchKomm-BGB/Arnold7 § 31 Rdn 31. 113 Schirmer Das Körperschaftsdelikt. 114 Schirmer Das Körperschaftsdelikt, S 177 ff. 115 Vgl Bachmann, in: Bachmann/Casper/Schäfer/Veil (Hrsg.), Die Steuerungsfunktion des Haftungsrechts im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2008, S 93, 139 ff; Verse ZHR 170 (2006), 398 ff; Schirmer Das Körperschaftsdelikt, S 235 ff. 116 Gleiches gilt für den umgekehrten Fall, ob also auch den Aktionären Eigenschaften, Kenntnisse oder Verhaltensweisen der AG zuzurechnen sind.
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Wahrheit gerade nicht um ein Durchgriffs-, sondern ein reines Zurechnungsproblem handelt, das durch eine zweckorientierte Normanwendung zu lösen ist.117 Verdeutlichen lässt sich die Problematik anhand des Paradebeispiels des gutgläubigen Erwerbs bei der Einmann-AG: Veräußert der (einzige) Aktionär eine ihm nicht gehörende Sache an die AG, wäre der Erwerbsvorgang an sich wirksam, da ja nicht die AG, sondern nur der von ihr zu scheidende Aktionär bösgläubig ist. Dass dieses Ergebnis schon aufgrund des Missbrauchspotenzials keinen Bestand haben kann, leuchtet unmittelbar ein.118 Abhilfe verspricht insofern eine zweckgerechte Anwendung des § 932 Abs 1 BGB, wobei es letztlich dahinstehen kann, ob sich die AG nun die Kenntnisse des Alleinaktionärs zurechnen lassen muss oder ob schon gar kein Verkehrsgeschäft vorliegt.119 Hat die AG jedoch mehrere Aktionäre, deren Kenntnisse auseinandergehen, liegt die Lösung nicht mehr auf der Hand. Deswegen verbietet sich auch bei der Frage der Aktionärszurechnung eine schablonenhafte Lösung.120 Die Herangehensweise sollte vielmehr zweischrittig erfolgen: Zunächst ist zu klären, wann der Einfluss eines Aktionärs überhaupt eine solche Intensität erreicht, dass seine Interessen mit denen der AG gleichgesetzt werden können. Sodann sind die Konstellationen in den Blick zu nehmen, in denen eine Gleichsetzung auch tatsächlich angezeigt ist. 64
aa) Voraussetzungen. Die Tonlage gibt das Trennungsprinzip vor: Aktionär und AG sind selbstständige, sauber voneinander zu scheidende Rechtssubjekte. Diese Hürde muss überwinden, wer dennoch zwischen beiden hin und her zurechnen will. Dabei geht es aber zu weit, eine Zurechnung nur dann zuzulassen, wenn eine (konzernrechtliche) Beherrschungssituation vorliegt.121 Zwar liegt der Charme dieses Ansatzes darin, dass er mit den §§ 15 ff AktG mehr oder weniger handfeste gesetzliche Kriterien anbietet und so eine gewisse Rechtssicherheit verspricht. Jedoch erfasst die Perspektive der Beherrschung nur einen Teil des Problems, weil der Einfluss, um den es der hiesigen Zurechnungsfrage geht, gerade nicht durch stabile gesellschaftsrechtliche Faktoren – also qua Mehrheitsstellung oder zumindest mehrheitsgleich – vermittelt sein muss, sondern durchaus auch temporäre, rein faktische Einwirkungen erfasst werden müssen. 65 Zu Recht wird deshalb angenommen, dass neben den Fällen der Beherrschung auch eine starke wirtschaftliche Stellung genügen kann, sofern der Einfluss bis in die Geschäftsleitung reicht und der Aktionär so in der Lage ist, eine Gleichschaltung seiner Interessen mit denen der AG zu erreichen.122 Diese Gefahr besteht naturgemäß in besonderem Maße in einer personalistisch geprägten AG, jedoch ist auch hier Vorsicht geboten: Zum einen ist im Unterschied zur GmbH zu beachten, dass – jedenfalls außerhalb des Konzernrechts – auch der noch so einflussreiche Aktionär dem Vorstand keine direkten Weisungen erteilen kann. Zum anderen legt die interne Machtposition zwar die Gleichsetzung der Interessen nahe, reicht aber für sich genommen noch nicht aus. Entscheidend ist vielmehr, ob
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117 Grundlegend Rehbinder Konzernaußenrecht, S 107 ff; zustimmend MünchKomm-BGB/Reuter7, Vorb 21 ff Rdn 22; Geißler GmbHR 1993, 71, 73; aA etwa MünchKomm-AktG/Heider3 § 1 Rdn 57. 118 Anders Wilhelm Rechtsform und Haftung, S 266 ff, der dem wahren Eigentümer – wie auch sonst – nur den § 816 Abs S 1 BGB an die Hand geben will. 119 Für Ersteres etwa MünchKomm-AktG/Heider3 § 1 Rdn 60, für Letzteres die hM, vgl BGHZ 78, 312, 325 f = NJW 1981, 682; Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften5, § 29 Rdn 12. 120 Richtig: Spindler/Stilz/Fock3 § 1 Rdn 65: Weder besteht ein allgemeines Zurechnungsverbot wegen der Existenz der juristischen Person, noch ein allgemeines Gebot der Zurechnung; ähnlich MünchKommBGB/Reuter7, Vorb 21 ff Rdn 24. 121 So aber KK/Kraft2 § 1 Rdn 47. 122 MünchKomm-AktG/Heider3 § 1 Rdn 53 f; Spindler/Stilz/Fock3 § 1 Rdn 66.
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der Aktionär (oder eine Aktionärsgruppe) die machtvolle Stellung auch tatsächlich dazu ausnutzt, die AG auf Linie zu bringen, also eine einseitige Fremdsteuerung vorliegt. Zwar sind dann Aktionär und AG formaljuristisch noch immer voneinander zu trennen, aber aus Sicht des Rechtsverkehrs – und darauf kommt es hier an – verschwimmen die Linien so weit, dass beide als Einheit erscheinen und eine Zurechnung erfolgen muss. Ob dagegen auch eine eigene Kategorie für die Fälle des kollusiven Zusammen- 66 wirkens von Aktionär und Vorstand geschaffen werden muss,123 ist fraglich. Denn die hiesigen Fälle lassen sich wohl schon durch das geltende Recht zufriedenstellend lösen. Deutlich wird dies an dem häufig angeführten Beispiel der arglistigen Täuschung: Täuscht ein Aktionär mit Wissen des Vorstands einen Geschäftspartner arglistig über wesentliche Umstände, so kann sich die AG gerade nicht darauf berufen, dass ein Dritter getäuscht hat. Denn dann kannte die AG – nämlich qua Zurechnung des Vorstandswissens (Wissenszurechnung!) – die Täuschung, was nach § 123 Abs 2 S 1 BGB für die Anfechtbarkeit ausreicht.124 bb) Anwendungsfälle. Das Schulbeispiel des gutgläubigen Erwerbs vom Einzel- 67 aktionär wurde bereits eingangs behandelt; selbiges gilt für andere Gutglaubensvorschriften (zB § 892 BGB, § 366 HGB) oder sonstige Umgehungskonstellationen.125 Auch beim ähnlich gelagerten Fall der Maklerprovision ist so zu verfahren: Vermittelt ein Aktionär, der über die nötige Einflussstellung verfügt,126 für einen Auftraggeber den Vertragsschluss mit seiner AG, ist § 652 BGB einschränkend dahingehend auszulegen, dass ein Provisionsanspruch ausscheidet.127 Ein Wettbewerbsverbot kann deshalb neben dem Aktionär auch die AG treffen; über die Reichweite entscheidet die Auslegung im Einzelfall.128 Daneben kommt der Einheitsgedanke dann zur Anwendung, wenn der (Mehrheits-)Aktionär wider Treu und Glauben den Eintritt einer für die juristische Person nachteiligen Bedingung verhindert (§ 162 BGB).129 Ferner ist § 81 VVG so zu verstehen, dass ein Versicherer auch dann von seiner Leistungspflicht frei wird, wenn ein Aktionär den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt – allerdings ist gerade hierbei zu beachten, dass über die bloße Mehrheitsbeteiligung hinaus auch eine Fremdsteuerung im oben beschriebenen Sinne vorliegt.130 Denn andernfalls ist es nicht gerechtfertigt, zugunsten der Versicherung die übrigen Aktionäre – und nicht zuletzt die Gläubiger der AG – mit in den Abgrund zu reißen. Für weitere Beispiele sei an dieser Stelle auf die einschlägigen Darstellungen verwiesen.131
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123 So MünchKomm-AktG/Heider3 § 1 Rdn 55. 124 Gleiches gilt etwa für die Zurechnung von verkehrswesentlichen Eigenschaften (§ 119 Abs 2 BGB), da es dafür nicht allein auf Eigenschaften des Vertragspartners, also solche der AG, ankommt, sondern direkt auf die Eigenschaften der Mitglieder abgestellt werden kann; zutreffend MünchKomm-BGB/Reuter, Vorb 21 ff Rdn 29. 125 MünchKomm-AktG/Heider3 § 1 Rdn 60; so stellt es etwa eine Umgehung des Stimmverbots aus § 136 Abs 1 dar, wenn ein Aktionär seine Aktien in eine von ihm kontrollierte Gesellschaft einbringt; vgl RGZ 146, 385; Spindler/Stilz/Fock3 § 1 Rdn 72. 126 Vgl Rdn 64 f und die dortigen Nachweise. 127 St. Rspr (für die GmbH), vgl nur BGH NJW 1985, 2473; ausführlich Dehner NJW 1991, 3254, 3259 f. 128 Grundlegend BGHZ 59, 64 = NJW 1972, 1421 (für die OHG); zustimmend Spindler/Stilz/Fock4 § 1 Rdn 68; ablehnend MünchKomm-BGB/Reuter7, Vorb 21 ff Rdn 26. 129 Ebenso MünchKomm-AktG/Heider3 § 1 Rdn 59; KK/Kraft § 1 Rdn 44. 130 So auch MünchKomm-BGB/Reuter7, Vorb 21 ff Rdn 30; großzügiger (Mehrheitsbeteiligung ausreichend) aber Geißler GmbHR 1993, 71, 73; K. Schmidt GesR4 § 9 III 2c; MünchKomm-AktG/Heider3 § 1 Rdn 57. 131 Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften5, § 29 Rdn 6 ff; MünchKomm-BGB/Reuter7, Vorb 21 ff Rdn 24 ff.
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IV. Haftung (Abs 1 Satz 2) 68
1. Haftung der Gesellschaft. Nach Absatz 1 Satz 2 haftet den Gläubigern der AG „nur das Gesellschaftsvermögen“. Darin steckt die – selbstverständliche – Aussage, dass wenigstens die AG mit ihrem eigenen Vermögen voll haftet. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die AG juristische Person ist. Zum Vermögen der AG gehören auch Ansprüche, welche diese gegen Aktionäre (zB offene Einlagen) oder Organmitglieder (zB aus Pflichtverletzung) hat. Indirekt haften damit auch Aktionäre, deren Haftung freilich im Regelfall kalkulierbar ist, sowie Organmitglieder, deren Haftung weniger kalkulierbar, aber heute zunehmend durch Haftpflichtversicherungen („D&O“) abgedeckt ist. Nicht explizit geregelt ist die Haftung der Vor-AG, die heute allgemein anerkannt ist. Zu dieser sowie zum Übergang der Schulden auf die (fertige) AG s K Schmidt § 41 Rdn 44. Voraussetzung einer Haftung der AG ist, dass ihr das Handeln Dritter (Stellvertreter, Organe) zugerechnet werden kann, dazu oben Rdn 55 ff. 2. Keine Haftung der Aktionäre gegenüber Dritten
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a) Der rechtliche Grundsatz. Für Gesellschaftsschulden haftet nur das Gesellschaftsvermögen (Abs 1 Satz 2). Aus dieser unmissverständlichen Anordnung folgt im Umkehrschluss, dass die Gesellschafter nicht für Verbindlichkeiten der AG haften, und zwar gleich auf welcher Rechtsgrundlage (Vertrag, Delikt, öff.-rechtliches Schuldverhältnis etc) diese beruhen. Weil die Schulden (ebenso wie das Aktivvermögen) der AG damit strikt von denjenigen der Aktionäre getrennt sind, spricht man auch vom Trennungsprinzip.132 Dieses Prinzip ist nicht nur positiv verankert, sondern ökonomisch berechtigt, weil der Reiz der Beteiligung an einer AG gerade darin besteht, dass das Verlustrisiko für den Investor klar kalkulierbar ist: Mehr als seine Einlage kann der Aktionär nicht verlieren (Rdn 92). § 54 Abs 1 unterstreicht dies, indem er klarstellt, dass die Leistungspflicht des Aktionärs auch der AG gegenüber eindeutig begrenzt ist, und zwar auf den Ausgabebetrag der Aktie.
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b) Die wohlfahrtsfördernde Funktion der Haftungsbegrenzung. Aus Juristensicht wird die Haftungsbegrenzung zugunsten von Gesellschaftern oft als (zweifelhaftes) Privileg angesehen. Tatsächlich handelt es sich um eine volkwirtschaftlich sinnvolle Einrichtung die, stünde sie nicht bereits von Gesetzes wegen zur Verfügung, vertraglich konstruiert werden könnte und müsste. Demgegenüber vermeidet die Bereitstellung haftungsbeschränkter Rechtsformen, wie wir sie in der AG sehen, unnötige Transaktionskosten. Im Einzelnen sind die wohlfahrtsökonomischen Vorzüge der Haftungsbeschränkung vor allem in der ökonomischen Analyse des Rechts verschiedentlich analysiert und begründet worden. Dabei kann grob zwischen Publikumsgesellschaften (public corporations) und Gesellschaften mit kleinem Gesellschafterkreis (close corporations) unterschieden werden. Für beide Gesellschaftstypen gilt zunächst folgende Überlegung: Anleger agieren wegen des abnehmenden Grenznutzens des Einkommens grundsätzlich risikoavers133, sodass nicht jede Transaktion mit einem positiven Erwartungswert auch umgesetzt wird. Die dadurch entstehenden Wohlfahrtsverluste werden durch eine Haftungsbeschränkung verhindert, weil der Gesellschafter das Verlustrisiko betragsmäßig begrenzen und dieses dadurch zugleich streuen kann, sodass die Risikoaversion aus-
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132 Statt aller MünchKomm/Heider3 § 1 Rdn 45 ff. 133 Zur Risikoaversion wegen des abnehmenden Grenznutzens des Einkommens Posner 43 University of Chicago Law Review, 1975–1976, S 499, 502. Ausführlich dazu Schäfer/Ott Ökonomische Analyse5, S 134 ff.
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geschaltet wird und Transaktionen mit positivem Erwartungswert wohlfahrtssteigernd durchgeführt werden.134 Daneben tritt bei public corporations der auch für die deutsche AG betonte Effekt der 71 Kapitalsammelfunktion: Volkswirtschaftlich effizient ist eine Trennung von Kapital und Management, allerdings entstehen dadurch Informations- und Überwachungskosten für die Anleger. Diese Kosten – namentlich die Kontrollkosten hinsichtlich Management und Mitanteilseignern – werden durch eine Haftungsbeschränkung reduziert.135 Dadurch sinken die Informationskosten der Anleger, was eine Investition attraktiv macht und die Kapitalkosten insgesamt reduziert. Zwar werden diese Kontrollkosten zum Teil auf die Gläubiger verlagert, jedoch fallen diese – volkswirtschaftlich betrachtet – insgesamt geringer aus, weil einer großen Zahl von Anteilseignern eine kleine Zahl von wohlinformierten Gläubigern gegenübersteht. Die für den Anleger reduzierten Kontrollkosten sowie die betragsmäßig begrenzte Haftung ermöglichen ihm darüber hinaus eine Mehrfachbeteiligung an verschiedenen Unternehmen, wodurch er sein Risiko mittels Diversifizierung nochmals streuen kann.136 Schließlich sorgt die beschränkte Haftung aufgrund oben genannter Voraussetzungen überhaupt erst dafür, dass die Anteile fungibel sind und ermöglicht so einen effizienten Kapitalmarkt.137 Diese Einsichten in die ökonomische Funktion erlangen rechtliche Relevanz, wenn es darum geht, die (ungeschriebenen) Grenzen der Haftungsbegrenzung zu markieren (dazu unten, Rdn 82 ff). c) Ausnahmen aa) Konzernrecht. Eine echte Ausnahme vom Trennungsprinzip in Gestalt einer Au- 72 ßenhaftung regelt allein § 322 für den Fall der Eingliederung (§ 319). Danach haftet die sog Hauptgesellschaft den Gläubigern der eingegliederten AG unmittelbar für deren Forderungen gegenüber der AG. Dies ist der „Preis“ dafür, dass die Hauptgesellschaft mit dem Vermögen der AG beinahe nach Belieben verfahren kann (vgl §§ 323 f). Wirtschaftlich ist das Trennungsprinzip bei der Eingliederung daher weitgehend aufgehoben. Weil der Aktionär sich freiwillig in diese Rolle begibt, liegt darin kein ökonomischer Sündenfall. Vergleichbar ist die Rechtslage bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages (§ 291). Zwar haftet der Aktionär als „anderer Vertragsteil“ dabei nicht den Gläubigern gegenüber, sondern unterliegt „nur“ einer Verlustausgleichspflicht gegenüber der AG (§ 302). Wirtschaftlich gesehen ist die Situation aus Sicht des verpflichteten Aktionärs aber keine wirklich andere. Nach Beendigung des Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages ist er den Gläubigern zur Sicherheitsleistung verpflichtet (§ 303). Weil diese sich in einen direkten Zahlungsanspruch umwandelt, wenn die AG zahlungsunfähig ist,138 kommt es in diesem Fall praktisch zur Außenhaftung. bb) Wettbewerbsrecht. Wer gegen ein kartellrechtliches Verbot verstößt, macht 73 sich nach § 33 Abs 3 GWB schadensersatzpflichtig. Normadressat ist, wie sich aus den
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134 Easterbrook/Fischel 52 University of Chicago Law Review, 1985, S 89, 96 f; Bitter Durchgriffshaftung S 160. 135 Easterbrook/Fischel 52 University of Chicago Law Review, 1985, S 89, 94 ff; Bitter Durchgriffshaftung S 159 ff. 136 Easterbrook/Fischel 52 University of Chicago Law Review, 1985, S 89, 96 f; Leebron 91 Columbia Law Review, 1991, S 1565, 1595 f; Bitter Durchgriffshaftung, S 165 f. 137 Grundlegend Halpern/Trebilcock/Turnbull 30 University of Toronto Law Journal, 1980, S 117; zustimmend auch Easterbrook/Fischel 52 University of Chicago Law Review, 1985, S 89, 92; Bitter Durchgriffshaftung, S 166 f. 138 BGH 11.11.1991 – II ZR 287/90, BGHZ 116, 37, 42 = NJW 1992, 505, 506 (Stromlieferung).
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einschlägigen Verbotstatbeständen (zB § 1 GWB), aber auch aus § 33 GWB selbst ergibt, das „Unternehmen“. Der kartellrechtliche Unternehmensbegriff ist weiter als derjenige des Konzernrechts, meint insbesondere nicht den einzelnen Rechtsträger, sondern – ähnlich wie der Deutsche Corporate Governance Kodex (Präambel, Absatz 11) – den Unternehmensverbund. Begeht eine beherrschte AG einen Kartellverstoß, haftet – jedenfalls im Anwendungsbereich der Art 101 und 102 AEUV139 – also auch der herrschende Aktionär, sofern Mutter und Tochter eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des Wettbewerbsrechts bilden, sodass die Tochter nicht mehr autonom agiert, sondern an die Weisungen der Mutter gebunden ist.140 Dann können je nach Fallgestaltung die ganze Firmengruppe, die Muttergesellschaft, Zwischenholdings, Teilkonzerne oder einzelne Tochtergesellschaften als Unternehmen und somit Haftungsadressat im Sinne der Norm angesehen werden.141 Nach §§ 830, 840 BGB können auch mehrere Konzernunternehmen als Gesamtschuldner haften, bspw. wenn Tochtergesellschaften sich vorsätzlich an die von der Muttergesellschaft kartellrechtswidrig vereinbarten Konditionen halten.142 74
cc) Allgemeines Zivil- und Gesellschaftsrecht. Schädigt der Aktionär die AG, kann er der Gesellschaft gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet sein. Das ist keine Durchbrechung des Trennungsprinzips, weil keine Haftung gegenüber Dritten für Gesellschaftsverbindlichkeiten begründet wird. Potenzielle Anspruchsgrundlagen bilden die allgemeinen zivilrechtlichen Normen (zB § 280 Abs 1 BGB, § 823 Abs 1 BGB), zu denen sich solche des Aktienrechts gesellen. Ausdrücklich geregelt ist eine derartige aktienrechtliche Ersatzpflicht in § 117 (vorsätzliche Schädigung) und in § 317 (Nachteilszufügung durch herrschendes Unternehmen). Ist die AG insolvent, können diese Ansprüche auch von den Gläubigern der AG (im Insolvenzverfahren: vom Insolvenzverwalter) geltend gemacht werden (§ 117 Abs 5, § 317 Abs 4 iVm § 309 Abs 4 Satz 2). Der BGH nimmt daneben einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft aus § 826 an, wenn ein Gesellschafter durch Entzug von Vermögen vorsätzlich die Insolvenz der Gesellschaft verursacht hat („Existenzvernichtungshaftung“).143 Dieses Haftungsmodell ist für das GmbH-Recht entwickelt worden, das den Gesellschaftern direkt (als Geschäftsführer) oder indirekt (über ihr Weisungsrecht) den Zugriff auf die Ressourcen der GmbH ermöglicht, und das weder eine strikte Vermögensbindung (§§ 57, 62) noch Normen nach dem Muster der §§ 117, 317 kennt. Theoretisch mag die aus § 826 BGB abgeleitete „Existenzvernichtungshaftung“ auch den Aktionär treffen.144 Praktisch sind kaum Fälle vorstellbar, die nicht über §§ 117, 317 gelöst werden könnten. Bei vorsätzlicher Verletzung der Treuepflicht kommt zudem eine Schadensersatzpflicht aus § 280 BGB (analog) in Betracht.145 Die Literatur will den Gesellschafter, der sich in die Geschäftsführung ein-
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139 Außerhalb des unionsrechtlichen Anwendungsbereichs ist dies umstritten; zum Meinungsstand vgl Immenga/Mestmäcker-GWB/Emmerich, Wettbewerbsrecht II5, 2014, § 33 Rdn 32 dort Fn 83. 140 Vgl EuGH 10.9.2009 – C-97/08, CCZ 2009, 236. Zu den Voraussetzungen im Einzelnen s Immenga/ Mestmäcker-GWB/Emmerich WettbR II5 § 33 Rdn 32; Immenga/Mestmäcker-AEUV/Emmerich, Wettbewerbsrecht I5, 2012, Art 101 Rdn 43 ff. 141 Immenga/Mestmäcker-AEUV/Emmerich WettbR I5 Art 101 Rdn 47 mwN. 142 Immenga/Mestmäcker-GWB/Emmerich WettbR II5 § 33 Rdn 32 mwN; zum Ganzen eingehend Thomas, Unternehmensverantwortlichkeit und -umstrukturierung nach EG-Kartellrecht, 2005. 143 Grundlegend BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689 (Trihotel). 144 Für Anwendbarkeit im Aktienrecht Hüffer/Koch11 § 311 Rdn 7; Müller/Rödder, Beck’sches Handbuch der AG2, 2009, § 15 Rdn 90 f; Kuhlmann/Ahnis Konzern- und Umwandlungsrecht3, 2010, Rdn 425; dagegen: MünchKomm-AktG/Altmeppen4 Anhang zu § 311 Rdn 13; Schall FS Stilz 2014, 537, 547 f. 145 Vgl BGH 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 141 ff = NJW 1995, 1739 (Girmes) mit krit Anm Altmeppen NJW 1995, 1739.
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mischt, darüber hinaus zT auch bei fahrlässiger Schädigung der Gesellschaft haften lassen (unten, Rdn 75). Keine Ausnahme vom Trennungsprinzip liegt vor, wenn der Aktionär Dritten gegen- 75 über nach allgemeinen Normen haftet, deren Tatbestand er erfüllt hat. Schädigt ein Aktionär etwa Dritte, indem er sie in betrügerischer Weise zum Erwerb wertloser Aktien verleitet oder sonstwie beschwindelt, haftet er wie jeder andere Delinquent nach den dafür einschlägigen Normen des BGB (zB § 823 Abs 2 iVm §§ 263, 264 StGB).146 Selbiges gilt, wenn der Aktionär sich für Ansprüche der AG verbürgt hat oder anderweitig als Garant nach außen in Erscheinung getreten ist (vgl § 311 Abs 3 BGB). An die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens, das eine Haftung schon für bloß fahrlässig begründete Vermögensschäden auslösen kann, dürften dabei aber wie beim Organ hohe Anforderungen zu stellen sein.147 dd) Öffentliches Recht. Im öffentlichen Recht gibt es vereinzelt Tatbestände, die 76 im öffentlichen Interesse haftungs- oder ordnungsrechtlich auf den hinter einer juristischen Person Stehenden zugreifen. Als Beispiel wird oft § 4 Abs 3 Satz 4 Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) genannt, der die Sanierungsverantwortung desjenigen anordnet, der „aus handelsrechtlichem oder gesellschaftsrechtlichem Rechtsgrund für eine juristische Person einzustehen hat“. Wie der Wortlaut der Norm zeigt, wird hier aber eine zivilrechtliche Einstandspflicht bereits vorausgesetzt. Ein anderes Beispiel liefert § 74 AO, der die steuerliche Haftung von Sacheigentümern für Steuerschulden einer juristischen Person anordnet, an welcher der Sacheigentümer wesentlich beteiligt ist (Betriebsüberlassung). Auch die oben (Rdn 73) erwähnte kartellrechtliche Haftung kann man hier einordnen. Rechtsökonomische Vorschläge, Aktionäre stets für die deliktische Schädigung Dritter einstehen zu lassen, konnten sich bis heute nicht durchsetzen (dazu unten, Rdn 109 ff). ee) „Durchgriffshaftung“ (Weiterverweis). Problematisch und bis heute in den 77 Konturen ungeklärt sind ungeschriebene Ausnahmen vom Trennungsprinzip, die unter dem Stichwort der „Durchgriffshaftung“ diskutiert werden. Hinter der bildhaften Umschreibung verbirgt sich die Vorstellung, in Ausnahmefällen durch die juristische Person hindurch auf den dahinterstehenden Gesellschafter zuzugreifen und diesen, ähnlich einem OHG-Gesellschafter, unmittelbar für Schulden der Gesellschaft gegenüber Dritten heranzuziehen. Weil es sich hierbei um ein besonders delikates Problem handelt, das durch eine kaum zu überschauende Literatur (bei magerer Rechtsprechung) überwuchert wird, ist es unten gesondert darzustellen (Rdn 82 ff). 3. Keine Haftung der Organe gegenüber Dritten. Ebenso wie die Aktionäre haften 78 die Organmitglieder nicht für Schulden der Gesellschaft. Auch dies kommt in Absatz 1 Satz 2 zum Ausdruck und ist Bestandteil des Trennungsprinzips.148 Keine wirklichen Ausnahmen liegen vor, wenn Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder aufgrund allgemeiner Normen haften, etwa weil sie sich für die Gesellschaft verbürgt, Gläubiger betrogen oder deren absolut geschützte Rechtsgüter verletzt haben. Die allgemeinen Normen dürfen indes nicht so weit strapaziert werden, dass Organmitglieder dadurch zum Ausfallgaranten der juristischen Person werden, weil dadurch das bewusst etablierte
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146 Vgl zB BGH 8.1.2013 – VI ZR 386/11, AG 2013, 350 ff. 147 Vgl BAG 20.3.2014 – 8 AZR 45/13, NJW 2014, 2669, 2671 (Karstadt); BGH 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 184 = NJW 1994, 2220. 148 Schirmer Das Körperschaftsdelikt 2015, S 212 ff.
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Trennungsprinzip unterlaufen würde.149 Zurückhaltung ist namentlich geboten, wenn Gläubiger durch Organhandeln der AG geschädigt werden und die AG anschließend in die Insolvenz fällt. 79 Für Organhandeln haftet gem § 31 BGB grundsätzlich nur die AG, weil § 31 BGB keinen Schuldbeitritt statuiert, sondern eine originäre Haftung der juristischen Person begründet (hierzu bereits oben Rdn 61 f).150 Dies gilt, wie inzwischen auch die höchstrichterliche Rechtsprechung anerkannt hat, auch und insbesondere dann, wenn das Organmitglied den Betrieb der Gesellschaft unsorgfältig organisiert hat, denn entsprechende Organisationspflichten bestehen grundsätzlich nur gegenüber der Gesellschaft,151 und § 130 OWiG, der solche Pflichten nach außen transportiert, ist nach hM kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs 2 BGB.152 Dagegen kommt eine unmittelbare Haftung von Vorstandsmitgliedern in Betracht, wenn diese unter Verstoß gegen §§ 4, 80 im rechtsgeschäftlichen Verkehr den gebotenen Rechtsformzusatz fortlassen. Hier wendet die Rechtsprechung § 179 BGB analog an (näher § 4 Rdn 42 f). Erst recht keine Durchbrechung des Trennungsprinzips stellt die Innenhaftung der 80 Organe gegenüber der Aktiengesellschaft (§ 93 Abs 2, § 116) dar. Hierbei handelt es sich letztlich um Sondernormen zu § 280 BGB und damit um eine normale, wenn auch durch gesellschaftsrechtliche Besonderheiten modifizierte Haftung aus Sonderverbindung. Dieser Anspruch kann unter bestimmten Voraussetzungen nach § 93 Abs 5 Satz 1 in der Insolvenz auch von den Gläubigern der Gesellschaft geltend gemacht werden. Nach hM handelt es sich dabei nicht nur um eine Prozessstandschaft, sondern um einen eigenen Anspruch.153 Die praktische Bedeutung dieses „Anspruchs“ liegt aber lediglich darin, dass Verzicht und Vergleich im Insolvenzverfahren ihre Wirkung verlieren. Außerhalb des Insolvenzverfahrens (masselose Insolvenz) spielt er bislang keine Rolle, weil Einzelgläubiger das Risiko eines Prozesses gegen Organmitglieder scheuen.154 Erweitert wird die Innenhaftung des Vorstands durch § 92 Abs 2 Satz 3 (Insolvenz81 verursachungshaftung) und durch § 117 Abs 2 (vorsätzliche Schädigung), ferner und vor allem durch konzernrechtliche Sondertatbestände (§§ 309 Abs 2, 310 Abs 1, 317 Abs 1 u 3, 318 Abs 1, 323 Abs 1 Satz 2). Auch in diesen Fällen kann die Haftung im Insolvenzfall von den Gläubigern realisiert werden (vgl § 117 Abs 5 sowie § 309 Abs 4 Satz 2, auf den die anderen Konzernnormen verweisen). In der Praxis spielen diese Normen kaum eine Rolle. 4. Die „Durchgriffshaftung“ 82
a) Das Durchgriffsproblem und die Durchgriffsdebatte. Die Frage, wann und wie die Mitglieder einer juristischen Person ausnahmsweise und entgegen der gesetzlichen Regel für die Verbindlichkeiten derselben haften, wird seit vielen Jahrzehnten unter dem Stichwort des „Durchgriffs“ diskutiert.155 Unter diesem Etikett werden in der Regel zwei Themenkreise miteinander verknüpft, die in Wahrheit nur lose miteinander verbunden
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149 Betont BGH 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 184 = NJW 1994, 2220. 150 Grundsätzlich Schirmer Das Körperschaftsdelikt 2015, S 177 ff, 235 ff. 151 BGH 10.6.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26, 33 ff = NJW 2012, 3439, 3441; BGH 18.6.2914 – I ZR 242/12, BGHZ 201, 344, 351 = NZG 2014, 991, 993; strenger noch BGH 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297, 303 = NJW 1990, 976, 977 f (Baustoff) sowie jetzt wieder BGH 15.12.2015 – X ZR 30/14, BGHZ 208, 182 mit zu Recht abl Anm H.-F. Müller GRUR 2016, 570. 152 Vgl BGH 13.3.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 = NJW 1994, 1801. 153 Statt aller Hüffer/Koch11 § 93 Rdn 81. 154 Für Reform daher Bachmann Gutachten E 107 f. 155 Umfassende und übersichtliche Darstellung bei K. Schmidt GesR4 § 9 (S 217 f).
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sind.156 Zum einen geht es um die Frage, wann zB der Irrtum, der böse Glaube etc eines Mitglieds als ein solcher der juristischen Person selbst anzusehen ist (und vice versa). Hierbei handelt es sich um klassische Zurechnungs- und Normanwendungsfragen, die oben bereits behandelt wurden (Rdn 63 ff). Die Literatur spricht insoweit vom „Zurechnungsdurchgriff“,157 doch sollte zur Vermeidung von Missverständnissen die Durchgriffsvokabel in diesem Zusammenhang besser gemieden werden.158 Zum anderen geht es um das, was die Angelsachsen plastisch als „piercing the corporate veil“ bezeichnen, also um das Lüften des korporativen Schleiers, um die dahinter stehende (natürliche oder juristische) Person mit ihrem Vermögen zu packen. Das ist die Frage der „Durchgriffshaftung“, die hier darzustellen und zu erörtern ist. Vorab ist anzumerken, dass der „Durchgriff“ kein Rechtsinstitut ist, sondern nur 83 eine bildliche Sammelbezeichnung für die Frage, wann die Mitglieder einer juristischen Person auch ohne gesetzliche Anordnung für deren Verbindlichkeiten einzustehen haben.159 Diese Frage kann nicht abstrakt für die juristische Person als solche beantwortet werden, sondern muss je nach Rechtsform und auch nach der Realstruktur differenziert betrachtet werden.160 Denn die Funktion der Haftungsbeschränkung, der gesetzliche Schutz des Gesellschaftsvermögens und die Finanzierungsverantwortung der Mitglieder sind je nach Rechtsform durchaus unterschiedlich. Besonders deutlich wird das an der AG, die einerseits über ein ausgefeiltes Kapitalschutzsystem (nebst einschlägigen Haftungstatbeständen) verfügt, und für deren Funktion als Kapitalpumpe andererseits der Ausschluss einer über die Einlagepflicht hinausgehenden Haftung der Aktionäre essentiell ist. Aus diesen und anderen Gründen spielt der Haftungsdurchgriff bei der Aktienge- 84 sellschaft denn auch praktisch keine Rolle: Sämtliche (!) einschlägigen höchstrichterlichen Urteile betrafen andere Rechtsformen, namentlich die GmbH und vor allem den Verein.161 Schon aus diesem Grunde ist die Durchgriffsdebatte hier nur kursorisch darzustellen, wobei der Fokus auf die bislang kaum beleuchtete Frage eines Durchgriffs für Delikte zu richten ist (unten, Rdn 109 ff). b) „Theorien“ der Durchgriffshaftung. Verschiedene Autoren haben sich im Laufe 85 der Zeit bemüht, der Frage der Durchgriffshaftung mit allgemeinen Erwägungen Herr zu werden.162 In den gängigen deutschen Kommentar- und Lehrwerken werden diese üblicherweise in Gestalt von „Theorien“ bzw als „Theorienstreit“ präsentiert. Ob wirklich alle Auffassungen dieses anspruchsvolle Etikett verdienen, sei hier dahingestellt.163 Je-
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156 Zutreffend betont von 4. Aufl Brändel Rdn 97. Für Trennung der Fragestellungen auch KK/DaunerLieb3 § 1 Rdn 33; Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften5, § 29 Rdn 1; Wiedemann GesR I § 4 III (S 219 f); s auch schon Serick Rechtsform, S 76 sowie J. Wilhelm Rechtsform, S 23 ff; MünchKommAktG/Heider3 § 1 Rdn 50. Für einheitliche Betrachtung aber zB K. Schmidt GesR4 § 9 I 2 b (S 220). 157 So zB Grigoleit/Grigoleit1 § 1 Rdn 35; K. Schmidt GesR4 § 9 I 2 b (S 220). 158 So aber eine übliche Darstellungsform, bei der von einem „Zurechnungsdurchgriff“ die Rede ist, s nur Spindler/Stilz/Fock3 § 1 Rdn 65 ff; MünchKomm-AktG/Heider3 § 1 Rdn 51 ff. 159 Windbichler GesR23 § 24 Rdn 24. 160 Zutr Müller-Freienfels AcP 156 (1957), 522, 531 ff. 161 Vgl RG 30.11.1937 – VII 127/37, RGZ 156, 271, 277 (betr GmbH); BGH 12.1.1956 – III ZR 3/55, BGHZ 20, 4 = NJW 1956, 785 (betr GmbH); BGH 8.7.1970 – VIII ZR 28/69, BGHZ 54, 222 = NJW 1970, 2015 (betr Verein); BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312 = NJW 1977, 1449 (betr GmbH); BGH 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 (betr GmbH); 10.12.2007 – II ZR 239/05, BGHZ 175, 12 = NZG 2008, 670 (betr Verein). Zu den Gründen s Schall FS Stilz 537 ff. 162 Übersichtliche Darstellung bei K. Schmidt GesR4 § 9 II (S 221 ff). Kritische Diskussion bei J. Wilhelm Rechtsform, S 285 ff. 163 Zweifelnd KK/Dauner-Lieb3 § 1 Rdn 50.
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denfalls ist das Bild eines Theorienstreits irreführend. Zum einen kann von einem „Streit“ – wenn es ihn denn je gegeben hat – heute keine Rede mehr sein, weil zeitgenössische Autoren sich der theoretischen Auseinandersetzung regelmäßig durch Zuflucht in die Fallgruppenbildung entziehen,164 oder – soweit sie selbst Stellung nehmen – für eine mehr oder weniger eklektische Verbindung der verschiedenen Ansätze werben.165 Und selbst diejenigen, die sich zu einer bestimmten Theorie bekennen oder vorgeben, einen eigenen Ansatz zu präsentieren, liefern in der Regel nur Formeln, die so offen sind, dass jeder damit leben, aber niemand daraus subsumtionsfähige Rechtssätze ableiten kann.166 86 Lässt man die gängigen Theorieansätze dennoch kurz Revue passieren, so verdient Erwähnung zunächst die sog Missbrauchslehre, die in einer subjektiven und einer objektiven Variante vertreten wird.167 Sie betont die Eigenständigkeit der juristischen Person und hebt hervor, dass der Durchgriff auf das Vermögen der Mitglieder nur in ganz besonderen Ausnahmefällen stattfinden darf. Ihr folgt im Ergebnis auch die Rechtsprechung, wenn sie betont, dass über die Eigenständigkeit der juristischen Person nicht leichtfertig hinweggegangen werden darf, und wenn sie für den Durchgriff ein Treu und Glauben widerstreitendes, missbräuchliches „Verstecken“ hinter der juristischen Person fordert.168 Der Missbrauchslehre steht die sog Normanwendungslehre gegenüber, die eben87 falls in diversen Spielarten vertreten wird.169 Ihr Markenzeichen liegt darin, dass sie die Eigenständigkeit der juristischen Person aufweicht, in dem sie diese relativiert. Anders als der Mensch habe die juristische Person keinen Wert an sich, sondern sei nur eine „praktische Denkform“, eine „rechtstechnische Abkürzung“.170 Dies rechtfertige es, in größerem Maße auf die Mitglieder zuzugreifen, als dies die Missbrauchslehre gestattet. Entscheidend soll dafür sein – und daher rührt das Etikett „Normanwendungslehre“ – „ob und inwieweit eine bestimmte Norm in einem konkreten Fall auf diese oder jene juristische Person ihrem Sinn und Zweck nach im Zuge richtiger Gestaltung der sozialen Ordnung anwendbar ist“.171 Für eine Haftung der Mitglieder sei dabei ein „besonderer Rechtsgrund im Einzelfall zu suchen“ und „abzuwägen, welche zusätzlichen Faktoren zu dieser oder jener Entscheidung typischerweise führen sollen“.172 Es liegt auf der Hand, dass mit dieser Formel ebenso wenig an rechtsklarer Ab88 grenzung gewonnen ist, wie mit den Formeln der Missbrauchslehre, wonach die Haftung Konsequenz einer missbräuchlichen, nicht hinnehmbaren Ausnutzung der Rechtsform der juristischen Person ist.173 Einen Ausweg könnte ein dritter Theorieansatz liefern, für den sich keine einheitliche Bezeichnung eingebürgert hat, den man aber kurz als Pflichtverletzungslehre kennzeichnen kann.174 Mit der Missbrauchslehre geht
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164 So zB KK/Dauner-Lieb3 § 1 Rdn 50; Windbichler GesR23 § 24 Rdn 29. 165 Zu solchen „Mischtheorien“ K. Schmidt GesR4 § 9 II 1 c (S 224). 166 So zB MünchKomm-AktG/Heider3 § 1 Rdn 50. 167 Grundlegend Serick Rechtsform und Realität juristischer Personen, 1955. 168 So zB BGH 8.7.1970 – VIII ZR 28/69, BGHZ 54, 222, 224 f = NJW 1970, 2015, 2016 f. 169 Grundlegend Müller-Freienfels AcP 156 (1957), 522, 525 ff; weiterführend Rehbinder Konzernaußenrecht, S 90 ff; Schanze Einmanngesellschaft und Durchgriffshaftung, S 102 ff. Aus neuerer Zeit Hüffer/Koch11 § 1 Rdn 18; der Sache nach auch MünchKomm-AktG/Heider3 § 1 Rdn 49. 170 Müller-Freienfels AcP 156 (1957), 522, 528, unter Hinweis auf das „grundlegende Werk“ von Hans J. Wolff Organschaft, dessen „große Bedeutung im Zivilrecht bis heute nicht voll erkannt“ sei. 171 Müller-Freienfels AcP 156 (1957), 522, 536. 172 Müller-Freienfels AcP 156 (1957), 522, 536. 173 Dies einräumend Hüffer/Koch11 § 1 Rdn 18: „erlaubt noch keine Entscheidung der jeweiligen Sachfrage“. 174 Grundlegend J. Wilhelm Rechtsform; ähnlich später Grigoleit1 Gesellschafterhaftung, 2006; Grigoleit/ Grigoleit1 § 1 Rdn 85 ff.
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er davon aus, dass die juristische Person in ihrer Eigenständigkeit grundsätzlich ernst zu nehmen sei, will diese Eigenständigkeit aber nicht im Einzelfall aus Billigkeitsgründen beiseiteschieben, sondern sie vielmehr konsequent zu Ende denken mit der Folge, dass die Eigenständigkeit der juristischen Person nicht nur von Dritten, sondern auch von ihren Mitgliedern zu respektieren sei. Weil die juristische Person mit ihrem Vermögen danach auch gegenüber ihren Mitgliedern ein „Fremder“ ist, komme der allgemeine Rechtsgrundsatz zum Tragen, wonach jede fremdbezogene Machtausübung pflichtgebunden und die schuldhafte Verletzung solcher Pflichten, zB durch mangelnde Rücksichtnahme auf die Vermögenslage der Gesellschaft, haftungsauslösend sei.175 Diese Haftung ist von der Rechtsfolge her gesehen zwar kein „Durchgriff“, weil nicht der Gläubiger, sondern die Gesellschaft auf den Gesellschafter zugreift.176 Wirtschaftlich gesehen begründet aber auch sie eine (mittelbare) Ausfallhaftung des Mitglieds gegenüber Verbandsgläubigern, weshalb auch sie in den weiteren Kreis der Durchgriffslehren gehört. c) Stellungnahme. Der Missbrauchslehre wird regelmäßig ihre hohe Unbestimmt- 89 heit zum Vorwurf gemacht, doch trifft dieser auch die Normanwendungslehre, deren Formeln – wie gesehen – keinesfalls präziser sind. Die Stärken der Normanwendungslehre liegen insbesondere da, wo es nicht um die Haftung, sondern um Zurechnungsfragen geht („Zurechnungsdurchgriff“), welche aber separat zu adressieren sind (oben, Rdn 82, 63 ff). Im Übrigen lenkt die Normanwendungslehre die Aufmerksamkeit zutreffend auf Sondertatbestände, die vorrangig zu prüfen sind und aus denen sich uU ohne weiteres gesellschaftsrechtliches Räsonnement die Haftung von Gesellschaftern ableiten lassen mag (zB § 33 Abs 3 GWB). Jenseits dessen ist mit dem Normanwendungspostulat nicht weiterzukommen. Dagegen macht die Missbrauchslehre zu Recht darauf aufmerksam, dass – was 90 wenigstens für die AG richtig ist – über die Eigenständigkeit der juristischen Person nur ganz ausnahmsweise hinweggegangen werden darf, liefert dafür außer Fallgruppen und allgemein gehaltenen Topoi aber keinen fassbaren Anhalt. Einen greifbareren Tatbestand scheint die Pflichtverletzungslehre zu bieten, die jedoch – soll die Aktionärshaftung nicht contra legem ausufern – wenigstens im Aktienrecht die Frage aufwirft, wo jenseits der gesetzlichen Haftungsnormen (insbes. § 62 AktG, § 117 AktG, § 317 AktG) überhaupt noch Raum für eine ungeschriebene culpa-Haftung des Aktionärs bleibt.177 Klar erkannt hat dieses Problem die Rechtsprechung, die in verkleideter Form („Existenzvernichtungshaftung“) dem Pflichtverletzungsansatz folgt, dabei aber eine qualifizierte (= vorsätzliche) Pflichtverletzung mit qualifizierten Folgen (= Insolvenzverursachung) verlangt (früher: „qualifizierter faktischer Konzern“, heute: „existenzvernichtender Eingriff“).178 Angesichts dieser Schwierigkeiten nimmt es nicht wunder, dass die moderne Lehre 91 sich von der abstrakten Erörterung des Problems weitgehend verabschiedet hat und ihr
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175 Vgl J. Wilhelm Rechtsform, S 337 ff; sachlich folgend K. Schmidt GesR4 § 9 IV 4c (S 243); ebenso Ulmer ZHR 148 (1984) 391, 416 ff: Haftung für schuldhafte Verletzung der zwischen Gesellschaft und Gesellschafter bestehenden „Sonderverbindung“. 176 Die Lehre wird daher oft als Ablehnung der Durchgriffshaftung referiert, siehe zB Grunewald GesR9 § 8 Rdn 63 Fn 4. 177 Die eigentliche Bedeutung der Pflichtverletzungslehre liegt daher im GmbH-Recht, für das sie auch entwickelt worden ist. 178 Vgl BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689 (Trihotel); BGH 29.3.1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123 = NJW 1993, 1200 (TBB); BGH 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330 = NJW 1986, 188 (Autokran).
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Heil in der Fallgruppenbildung sucht.179 In der Tat ist es leichter, Grund und Grenzen der Durchgriffshaftung anhand typischer Fallgestaltungen zu veranschaulichen und zu erörtern. Dies ändert aber nichts daran, dass auch in Fallgruppen, die als klassische Kandidaten für einen Durchgriff gehandelt werden, und die weiter unten zu behandeln sind (Rdn 97 ff), eine Begründung dafür gegeben werden muss, warum in solchen, nicht aber in anderen Fällen der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften soll. Im Schrifttum verweist man darauf, dass die Gründe sich nicht in einem einzigen Argument erschöpfen, sondern aus dem Zusammenspiel diverser Topoi folgen.180 Das mag richtig sein, doch fragt man sich dennoch, ob es nicht einen einheitlichen theoretischen Ausgangspunkt gibt, von dem aus die Erörterung unternommen werden muss. Dieser einheitliche Ausgangspunkt ist leicht zu identifizieren: Es ist die ökonomi92 sche Analyse des Rechts, konkret: diejenige der Haftungsbeschränkung.181 Rechtsmethodisch lässt sich dies bequem mit der teleologischen Auslegung bzw Rechtsfortbildung verknüpfen, denn der Zweck der vom Aktiengesetz (§ 1 Abs 1 Satz 2) angeordneten Haftungsbeschränkung, der für die Auslegung und ggf Reduktion der Norm maßgebend sein muss, ist einzig und allein ökonomischer Natur. Die Begrenzung der Haftung der Aktionäre auf die Einlage dient dazu, für diese das Risiko ihres Investments kalkulierbar und dieses damit zugleich diversifizierbar und handelbar zu machen. Dadurch wird für eine große Masse von (Klein-)Anlegern der Anreiz geschaffen, Risikokapital zu investieren, womit große und volkswirtschaftlich erwünschte Unternehmungen finanzierbar werden („Kapitalpumpe“). Rechtfertigen aber allein ökonomische Überlegungen die Haftungsbeschränkung, 93 dann müssen sie auch dafür leitend sein, wann der Grundsatz der Haftungsbeschränkung zurückzutreten hat, weil die Haftungsbeschränkung zu überriskanten, volkswirtschaftlich unerwünschten Unternehmungen anreizt. Damit erhält auch die Missbrauchslehre Boden unter den Füßen: ob eine juristische Person missbraucht worden ist, lässt sich nur feststellen, wenn man sich Gewissheit darüber verschafft hat, wozu sie überhaupt gebraucht werden darf. Mit dem ökonomischen Ansatz lassen sich namentlich die praktisch besonders relevanten Fallgruppen der Unterkapitalisierung (Rdn 103 ff) und der Haftung für Delikte (Rdn 109 ff) angehen. 94
d) Rechtsprechung zur Durchgriffshaftung. Die Rechtsprechung zur Durchgriffshaftung betrifft durchweg GmbH und Verein, spielt also für die AG bislang praktisch keine Rolle. Für die GmbH verfolgt die Rechtsprechung einen zweigliedrigen Ansatz, indem sie – rechtsfortbildend über §§ 30, 31 GmbHG hinausgehend – das Vermögen der Gesellschaft gegen den Zugriff der Gesellschafter schützt (sog Existenzvernichtungshaftung, oben Rdn 74) und den verbotenen Zugriff mit einer Innenhaftung sanktioniert, daneben aber weiter für exzeptionelle Fälle den unmittelbaren Durchgriff im Wege der Außenhaftung jedenfalls nicht ausschließt. Für den ersten Ansatz ist im Aktienrecht wenig Raum, weil §§ 57 ff AktG das Vermögen der AG ohnehin weitgehend gegen den Zugriff
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179 Betont KK/Dauner-Lieb3 § 1 Rdn 50; Windbichler GesR23 § 24 Rdn 28. 180 Vgl K. Schmidt GesR4 § 9 II 3 a (S 225); so – unter Hinweis auf Wilburg („bewegliches System“) – auch schon Müller-Freienfels AcP 156 (1957), 522, 535; für Abwägung auch MünchKomm-AktG/Heider3 § 1 Rdn 49. 181 So im Ansatz auch schon Wiedemann GesR I § 4 III 1 (S 221 ff), der den Durchgriff auf das Zusammenwirken ökonomischer und rechtsethischer Überlegungen stützen will. Aus neuerer Zeit insbes Bitter Durchgriffshaftung, S 160 ff; ders Unterkapitalisierung, S 57 ff; J. Meyer Haftungsbeschränkung, S. 951 ff; M. Lehmann ZGR 1986, S 345; Roth ZGR 1986, S 372; aus der angelsächsischen Literatur nur Halpern/Trebilcock/Turnbull 30 University of Toronto Law Journal, 1980, S 117; Easterbrook/Fischel 52 University of Chicago Law Review, 1985, S 89; dies Economic Structure S 55 ff.
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der Aktionäre sperren. Was den echten Durchgriff angeht, betont die Rechtsprechung für alle Rechtsformen, dass „über die Rechtsfigur einer juristischen Person nicht leichtfertig und schrankenlos hinweggegangen werden darf“.182 Ein Durchgriff kommt dem BGH zufolge nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Trennungsprinzip „zu Ergebnissen führen würde, die mit Treu und Glauben nicht in Einklang stehen und wenn die Ausnutzung der rechtlichen Verschiedenheit zwischen der juristischen Person und den hinter ihr stehenden natürlichen Personen einen Rechtsmissbrauch bedeutet“.183 Und weiter, unter Zitat älterer Reichsgerichtsrechtsprechung: „Die juristische Konstruktion [ist] hintanzusetzen, wenn die Wirklichkeiten des Lebens, die wirtschaftlichen Bedürfnisse und die Macht der Tatsachen eine solche Handhabung gebieten“.184 An die Stelle der juristischen soll also, wie im Steuerrecht (vgl § 39 Abs 2 AO), in bestimmten Fällen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise treten. Allein wann das der Fall ist, lässt sich mit den vom BGH gebrauchten Formeln nicht bestimmen. In der Sache verfährt der BGH mit der Annahme eines Rechtsmissbrauchs äußerst 95 zurückhaltend. Zugelassen hat er ihn in dem Fall, in welchem ein Verein zur Vereinfachung der Vertragsabwicklung als Zahlstelle zwischen Pächter und Verpächter geschaltet worden war,185 ferner in Sanierungsfällen, in denen einer notleidenden GmbH das betriebsnotwendige Vermögen in dem Bewusstsein entzogen worden war, dass diese damit ruiniert wird und die Gläubigerschaft leer ausgeht (sog. Existenzvernichtungsfälle).186 Während die letztgenannte Fallgestaltung heute vornehmlich mit einer Innenhaftung aus § 826 BGB bewältigt werden soll,187 nennt die Rechtsprechung als weitere mögliche Anwendungsfälle einer Durchgriffshaftung die Vermögensvermischung und das Erwecken des Anscheins persönlicher Haftung (dazu näher Rdn 99 u Rdn 98).188 Ferner werden das „Verschleiern von Bonitätsproblemen“ und „rechtsmissbräuchliche Vermögensverschiebungen im Konzern“ genannt.189 Nicht ausreichend für die Annahme eines Missbrauchs – und daher keinen Durch- 96 griff rechtfertigend - sind die bloße Beherrschung einer Gesellschaft (auch nicht bei hundertprozentiger Beteiligung),190 die Betriebsaufspaltung,191 die steuerliche Eingliederung
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182 BGH 8.7.1990 VII ZR 28/69, BGHZ 54, 222, 224 = NJW 1970, 2015, 2016. 183 So grundsätzlich BGH 8.7.1990 VIII ZR 28/69, BGHZ 54, 222, 224 = NJW 1970, 2015, 2016 (Siedlerverein); ähnlich BGH 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 271 = NJW 1960, 285, 288: „wenn die Rechtsfigur der juristischen Person in einer § 826 BGB oder § 242 BGB verletzenden Weise missbraucht wird“; BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 314 = NJW 1977, 1449 (Fertighaus): „ausnahmsweise zulässig, wenn schwerwiegende Gesichtspunkte aus Treu und Glauben das erfordern“; unter Berufung auf Treu und Glauben und mit Zitat der RG-Rechtsprechung auch BGH 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 230 = NJW 1957, 181, 182; aus jüngerer Zeit BGH 10.12.2007 – II ZR 239/05, BGHZ 175, 12, 18 = NZG 2008, 670 (Kolpingwerk): „nur ausnahmsweise zulässig, wenn die Ausnutzung der rechtlichen Verschiedenheit […] rechtsmissbräuchlich ist“. 184 BGH 8.7.1990 VIII ZR 28/69, BGHZ 54, 222, 224 = NJW 1970, 2015, 2016 (Siedlerverein), unter Zitat von RG 22.6.1920 – III 68/20, RGZ 99, 232, 234; RG 21.10.1921 – II 113/21, RGZ 103, 64, 66; RG 19.5.1930 – VI 534/29, RGZ 129, 50, 53, 54. 185 BGH 8.7.1990 VIII ZR 28/69, BGHZ 54, 222 = NJW 1970, 2015 (Siedlerverein). 186 Vgl BGH 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 (KBV). 187 Grundlegend BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689 (Trihotel). 188 Vgl BGH 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 230 = NJW 1957, 181, 182; BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 315 = NJW 1977, 1449, 1452 (Fertighaus). 189 BGH 10.12.2007 – II ZR 239/05, BGHZ 175, 12, 18 Rdn 16 = NZG 2008, 670, 672 (Kolpingwerk) (im konkreten Fall verneint). 190 BGH 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 227 f = NJW 1957, 181, 182; BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 320 = NJW 1977, 1449, 1450. 191 BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 322 = NJW 1977, 1449, 1451.
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(Organschaft),192 die materielle Unterkapitalisierung,193 das Überschreiten des Nebenzweckprivilegs (Idealverein)194 oder das Eingehen wirtschaftlich riskanter oder unvernünftiger Geschäfte.195 97
e) Einschlägige Fallgruppen. Wie aus der Skizze der Rechtsprechung deutlich wurde (vorstehend Rdn 96), orientiert sich diese an bestimmten Fallgruppen. Ebenso verfährt das Schrifttum. Weil das einschlägige Fallmaterial ganz überwiegend die GmbH und den Verein betrifft, genügt hier eine überschlägige Darstellung. Für Details muss auf die Kommentierungen des GmbH- und des Vereinsrechts verwiesen werden.
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aa) Anschein persönlicher Haftung. Schon in der älteren Rechtsprechung, aber auch in der Literatur wird eine Durchgriffshaftung zugelassen, wenn der Gesellschafter den Anschein persönlicher Haftung erweckt hat.196 Ob es sich dabei um eine rechtsgeschäftliche oder um eine gesetzliche Haftung (Rechtsscheinhaftung) handelt, bleibt dabei häufig offen.197 Gegen eine rechtsgeschäftliche Haftung spricht, dass eine Einstandspflicht oder ein Rechtsbindungswille selbst bei objektiver Betrachtung in den seltensten Fällen gegeben sind. Abgesehen davon ist das einseitige Versprechen nach deutschem Recht grundsätzlich unverbindlich (vgl § 311 Abs 1 BGB).198 Näher liegt eine Vertrauenshaftung, die aber grundsätzlich nur auf das negative Interesse gerichtet ist. An das Vorliegen eines Schuldverhältnisses gem § 311 Abs 3 BGB sind dabei hohe Anforderungen zu stellen. Ähnlich lautende Firmen genügen für sich genommen ebenso wenig wie der Hinweis auf die Gruppenzugehörigkeit („ein Unternehmen der XY-Gruppe“) oder die Verwendung konzerneigener Kennzeichen.199 Andernfalls wäre im Konzern die Haftungstrennung weitgehend durchbrochen. Abgesehen davon dürfte die Vertrauensbasis in den genannten Fällen regelmäßig zu dünn sein. Auch Motivationsschreiben der Muttergesellschaft, mit denen bei den Gläubigern und Arbeitnehmern einer krisengeschüttelten Konzerntochter für Sanierungsvertrauen oder Umstrukturierungen geworben wird, sind nicht ohne weiteres haftungsbegründend.200
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bb) Vermögensvermischung. Die einzige weithin anerkannte Fallgruppe einer Durchgriffshaftung ist diejenige der Vermögensvermischung (manchmal auch „Sphärenvermischung“).201 So groß ihre Anerkennung, so gering ist ihre praktische Bedeutung.202 Namentlich genügt es nicht, dass bei der Rechnungslegung Fehler in der Vermö-
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192 BGH 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 233 f = NJW 1957, 181, 182; BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 321 = NJW 1977, 1449, 1451. Beachte aber §§ 302 f, 322 AktG! 193 BGH 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258 = NJW 1960, 285 (Lufttaxi); BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 316 ff = NJW 1977, 1449 ff. (Fertighaus). 194 BGH 10.12.2007 – II ZR 239/05, BGHZ 175, 12, 19 Rdn 17 ff = NZG 2008, 670, 672. 195 BGH 10.12.2007 – II ZR 239/05, BGHZ 175, 12, 22 Rdn 28 = NZG 2008, 670, 673. 196 Vgl BGH 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 230 = NJW 1957, 181, 182; BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 315 = NJW 1977, 1449, 1452 (Fertighaus); s auch den schweizerischen Swissair-Fall, BGE 120 II, 331, 335 ff und dazu Fleischer ZHR 163 (1999), 461, 464, 475 und Lutter in: GS Knobbe-Keuk, 1996, S 229; aus der rechtsökonomischen Literatur Posner Economic Analysis of Law § 14.7 (S 556). 197 Eingehende Analyse bei Fleischer ZHR 163 (1999), 461 ff. 198 Näher dazu Bachmann Private Ordnung, S 287 ff. 199 Fleischer ZHR 163 (1999), 461, 475 ff. 200 Vgl BGH 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 229, 232 f; BAG 20.3.2014 – 8 AZR 45/13 = NJW 2014, 2669 (Karstadt). 201 Aus der Rechtsprechung: BGH 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 230 = NJW 1957, 181, 182; BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 315 = NJW 1977, 1449; aus der Lit KK/Dauner-Lieb3 § 1 Rdn 51; MünchKomm/Heider3 § 1 Rdn 70 ff; Spindler/Stilz/Fock3 § 1 Rdn 54 ff. 202 Für die AG ganz ablehnend Hüffer/Koch11 § 1 Rdn 20: „§§ 57, 62 AktG genügen für diese Fallgruppe“.
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genszuordnung auftauchen. Erforderlich ist vielmehr, dass sich das Vermögen der juristischen Person und dasjenige ihrer Gesellschafter überhaupt nicht auseinanderhalten lassen, was praktisch eine nicht vorhandene oder doch vollkommen chaotische Buchhaltung voraussetzt.203 Begründen lässt sich der Durchgriff in solch einem Fall schon im Wege der Auslegung: Wenn nur das „Gesellschaftsvermögen“ haftet (§ 1 Abs 1 Satz 2), ist erforderlich, dass ein solches nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich vorhanden, dh buchmäßig abgrenzbar ist. Als zusätzliche Anspruchsgrundlage kommt § 823 Abs 2 BGB in Verbindung mit einschlägigen Schutzgesetzen (zB § 283 StGB, § 331 HGB) in Betracht. cc) Beherrschung. Unstreitig kein Fall der Durchgriffshaftung ist die bloße Beherr- 100 schung (bzw – umgekehrt betrachtet – die Abhängigkeit).204 Dagegen spricht im Aktienrecht schon der Umstand, dass das herrschende Unternehmen gem §§ 311 ff AktG gerade nicht für sämtliche Verbindlichkeiten der abhängigen Gesellschaft haftet. Einfache Abhängigkeit im Sinne von § 17 AktG löst als solche also keine Aktionärshaftung aus. Wäre es anders, wäre der Anreiz genommen, sich mehrheitlich (§ 16 AktG) oder mit einer Kontrollposition (§ 29 WpÜG) an einer AG zu beteiligen.205 Ordnungspolitisch mag eine solche Anreizminderung diskutabel sein. So propagierte namentlich die ordoliberale Schule, die privater Macht im Allgemeinen und der Konzernierung und Kartellierung im Besonderen kritisch gegenübersteht, eine strenge Haftung des herrschenden Unternehmens („Wer herrscht, haftet“).206 Obwohl dieser Gedanke von Zeit zu Zeit in der literarischen Debatte wiederbelebt wird,207 konnte er sich im deutschen Recht doch nicht dauerhaft durchsetzen.208 dd) Konzern (Unternehmensgesellschafter). Im rechtsökonomischen Schrifttum 101 und bei angelsächsischen, vereinzelt auch bei deutschen Autoren wird diskutiert, ob die Durchgriffshaftung eher zuzulassen ist, wenn der kontrollierende Gesellschafter selbst eine juristische Person oder unternehmerisch tätig ist.209 Dafür mag sprechen, dass den Unternehmens-Aktionär die persönliche Haftung weniger scharf trifft als eine natürliche (Privat-)Person, ferner, dass die Gefahr missbräuchlicher Benutzung der juristischen Person in solchen Fällen größer ist, insbesondere wenn der Gesellschafter noch anderweitige Beteiligungen hält und es sich daher leisten kann, die Konzerntochter „pleite“ gehen zu lassen. Das deutsche Konzernrecht trägt diesem Gedanken ansatzweise Rechnung, wenn es für die Inpflichtnahme des beherrschenden Aktionärs dessen Unternehmenseigenschaft verlangt.210 Dessen ungeachtet genügt das Fehlen natürlicher Persönlichkeit als solches nicht, um einen Haftungsdurchgriff zu rechtfertigen.
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203 Vgl nur BGH 13.3.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 368 ff = NJW 1994, 1801, 1802 f; BGH 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85, 91 f = ZIP 2006, 467, 469. 204 Aus der Rechtsprechung: BGH 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 227 f = NJW 1957, 181 f; BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 320 = NJW 1977, 1449, 1450 f; aus der Lit: Hüffer/Koch § 1 Rdn 21; Spindler/Stilz/Fock3 § 1 Rdn 62. 205 Dass es andere Gründe gibt, das Erlangen der Kontrollposition zu vermeiden oder zu verschleiern (zB Pflichtangebot, § 35 Abs 2 WpÜG), ist hier nicht zu erörtern. 206 Vgl nur Eucken Grundzüge der Wirtschaftspolitik, S 281 ff. 207 Vgl zuletzt Temming Der vertragsbeherrschende Dritte, 2015. 208 Dagegen BGH 17.3.1966 – II ZR 282/63, BGHZ 45, 204 = NJW 1966, 1309 (Rektorfall): Kein zwingender wirtschaftsverfassungsrechtlicher Grundsatz. 209 Vgl Easterbrock/Fischel Economic Structure S 56 f; Posner Economic Analysis of Law § 14.7 (S 554 f); Hansmann/Squire Yale Law & Economics Research Paper No 535; s auch Wiedemann GesR I S 222; G. Wagner RabelsZ 80 (2016), 717, 762 ff. 210 Vgl nur Emmerich/Habersack/Habersack Aktien- und GmbH-Konzernrecht7 Anh § 317 AktG Rdn 8.
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ee) Aktiver Vermögensentzug („Existenzvernichtung“). Der aktive Vermögensentzug verstößt in der AG regelmäßig gegen § 57 AktG und ist nach § 62 AktG auszugleichen. Sonderregeln enthält das Konzernrecht (§§ 311 ff AktG). Das im GmbH-Recht intensiv diskutierte Problem der Existenzvernichtung durch Entzug betriebsnotwendigen Vermögens, das man zunächst mit einer konzernrechtlichen Analogie („qualifizierter faktischer Konzern“),211 später mit einer Durchgriffshaftung212 und zuletzt mit einer richterrechtlichen Erweiterung von §§ 30 f GmbHG bewältigen wollte bzw will,213 stellt sich daher bei der AG kaum. Sollte ein Fall des Vermögensentzugs vorliegen, der sich nicht mit den genannten Normen oder mit § 117 AktG bewältigen lässt, bleiben § 826 BGB und nach richtiger Ansicht auch die Grundsätze über den qualifizierten faktischen Konzern aber anwendbar.213a Im Extremfall kann es daher zu einem Haftungsdurchgriff analog § 322 AktG kommen.
ff) Passiver Vermögensentzug („Unterkapitalisierung“). Eine Haftung der Gesellschafter wegen mangelhafter Kapitalausstattung („Unterkapitalisierung“) wird weitgehend abgelehnt.214 Zur Begründung beruft man sich darauf, dass das AktG und das GmbHG – im Gegensatz zum Bankaufsichtsrecht – jenseits des Gebots zur Bereitstellung eines Mindeststartkapitals keine weiteren Kapitalisierungsanforderungen enthielten, und dass sich die „richtige“ Kapitalausstattung rechtssicher gar nicht bestimmen lasse. Praktisch gesehen ist der Anwendungsbereich für eine Haftung aus Unterkapitalisierung gering. Viele Fälle lassen sich bereits mit insolvenzrechtlichen Instrumenten lösen. Dies geschieht namentlich dadurch, dass das von den Gesellschaftern anstelle von Eigenkapital in Gestalt von Darlehen zur Verfügung gestellte Fremdkapital („formelle“ Unterkapitalisierung) in der Insolvenz nachrangig befriedigt und damit zu Eigenkapital umqualifiziert wird (vgl §§ 39 Abs 1 Nr 5, 135 InsO). Ist die Kapitalausstattung so dünn, dass die Verbindlichkeiten nicht mehr gedeckt werden, muss die Gesellschaft aus dem Verkehr gezogen werden (§ 15a InsO), so dass keine weitere Gläubigerschädigung eintreten kann. Geschieht dies nicht, haften die Organe persönlich (vgl auch § 92 Abs 2 AktG). Die Überschuldung löst somit zwar keine Pflicht zur Zuführung von Eigenkapital aus, wohl aber eine entsprechende Obliegenheit, wollen die Gesellschafter die Stellung des Insolvenzantrags, zu der der Vorstand andernfalls verpflichtet ist, vermeiden. Raum für eine Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung bleibt also nur da, wo die AG noch nicht insolvenzreif ist. Ausgangspunkt der Überlegungen, wann eine materielle Unterkapitalisierung (vor 104 Insolvenzreife) rechtsmissbräuchlich und damit entgegen der hM haftungsträchtig ist, ist die ökonomische Analyse, die den Telos der Haftungsbegrenzung zutreffend in der Überwindung volkswirtschaftlich schädlicher Risikoaversität der Gesellschafter sieht (Rdn 70 f., 92 f.). Liegt der Zweck der Haftungsbeschränkung in einem Wohlfahrtsgewinn, so ist sie dort zu durchbrechen, wo dieser Zweck entweder gar nicht mehr oder missbräuchlich einseitig zu Lasten der Gläubiger erreicht wird. Denn die uneingeschränkte Haftungsbegrenzung verleitet den Unternehmer zu riskanten Geschäften, welche die 103
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211 BGH 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330 = NJW 1986, 188 (Autokran); BGH 29.3.1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123 = NJW 1993, 1200 (TBB). 212 BGH 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 (KBV). 213 BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689 (Trihotel). 213a Zutr Schall FS Stilz 537, 548 ff mwN. 214 Vgl BGH 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258 = NJW 1960, 285 (Lufttaxi); BGH 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 316 ff = NJW 1977, 1449, 1450 (Fertighaus); BGH 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 Rdn 25 = NJW 2008, 2437, 2440 (GAMMA). Aus der Lit nur Grigoleit/Grigoleit1 § 1 Rdn 98; Hüffer/Koch11 § 1 Rdn 19 („allenfalls bei qualifizierter Unterkapitalisierung“); KK/Dauner-Lieb3 § 1 Rdn 54; Spindler/Stilz/ Fock3 § 1 Rdn 61; MünchKomm/Heider3 § 1 Rdn 76.
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eigene Gewinnerwartung durch nicht kompensierte Risikoverlagerung auf Kosten der Gläubiger steigert (= Kostenexternalisierung), selbst wenn dadurch der Gesamterwartungswert der Unternehmung (volkwirtschaftlich unerwünscht) sinkt.215 Zwar wird dieser Effekt durch die (zwingende) Eigenkapitalausstattung einer Ge- 105 sellschaft wegen deren vorrangiger Haftung abgemildert, sie kann ihn aber nicht gänzlich ausschalten.216 Zur Veranschaulichung folgendes Bsp: Eine nur mit Mindestkapital iHv EUR 50.000 ausgestattete AG leiht sich bei ihren Gläubigern EUR 1 Mio zu einem Zinssatz von 10 Prozent pa und geht damit eine (einjährige) Unternehmung mit einer jeweils 50-prozentigen Chance auf Totalverlust oder eine Steigerung um 50 Prozent auf EUR 1,5 Mio ein. Obwohl diese Unternehmung einen negativen Gesamterwartungswert (–33 Prozent) hat, ist sie für die Gesellschafter wirtschaftlich sinnvoll, weil sie die Kosten eines Gesamtverlusts durch den Fremdkapitalhebel iVm der Haftungsbegrenzung weitgehend auf die Gläubiger externalisiert hat.217 Wo die Gesellschaft, wie im Bsp, zu Lasten der Gläubiger ein so hohes Risiko eingeht, dass dies im Ergebnis zu einem zwar für sie (nur wegen der Haftungsbegrenzung) positiven, aber insgesamt negativen Gesamterwartungswert der Unternehmung führt, ist die Haftungsbegrenzung nach dem Gesagten schon wegen des fehlenden volkswirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinns durch eine teleologische Reduktion des § 1 Abs 1 S 2 AktG zu durchbrechen. Wo hingegen insgesamt noch ein positiver Erwartungswert verbleibt, dieser aber nur durch eine besonders hohe Gewinnerwartung der Gesellschafter zu Lasten eines höheren Risikos der Gläubiger begründet ist, muss zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Gläubigern differenziert werden: Freiwillige Gläubiger können sich, sofern sie hinreichend über die (Rechtsform-) 106 Identität der Gesellschaft informiert sind, selbst schützen, indem sie entweder von dem Vertragsschluss Abstand nehmen, sich Sicherheiten geben lassen oder ein erhöhtes Risiko durch einen höheren Zins einpreisen.218 Dies ist dort nicht möglich, wo der Gläubiger bei Kreditvergabe (im weiteren Sinn) nicht hinreichend über die für die Risikobewertung maßgeblichen Faktoren informiert war, wo diese Faktoren durch die Gesellschaft nachvertraglich zu Lasten des Gläubigers verändert wurden oder wo eine Sicherung wegen der Art des Vertrags aussichtslos ist.219 Daher müssen auch die freiwilligen Gläubiger von vornherein vor einem fehlgeleiteten Anreiz der Haftungsbegrenzung geschützt werden, wobei eine Versicherungslösung, anders als bei den unfreiwilligen Gläubigern, aufgrund der Gefahr der Kollusion zu Lasten des Versicherers impraktikabel ist.220 Somit verbleibt das Mittel des Haftungsdurchgriffs. Da Fremdkapitalgeber typischerweise nur gewillt sind, das Risiko einer geringen Insolvenzwahrscheinlichkeit (5–10%) gegen eine Risikoprämie zu übernehmen, sollte der Schleier der Haftungsbeschränkung daher dort gelüftet werden, wo das Ausfallrisiko ohne (fahrlässige Un-)Kenntnis des Gläubigers missbräuchlich zu dessen Lasten signifikant erhöht ist bzw nachträglich erhöht wird.221 Hierdurch lässt sich der Zielkonflikt Investitionsförderung versus Gefahr der Kostenexternalisierung im Interesse des volkswirtschaftlichen Nutzens und zum Schutz der Gläubiger auflösen.
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215 Zum Ganzen: Bitter Durchgriffshaftung, S 182 ff; ders Unterkapitalisierung, S 57 ff mwN. 216 Bitter Unterkapitalisierung, S 57, 74 ff; ders Durchgriffshaftung, S 193 ff mwN. 217 Anschaulich unter Berücksichtigung der Eigenkapitalbeteiligung mit graphischer Untermalung Bitter Unterkapitalisierung, S 57, 68 ff. 218 Bitter Durchgriffshaftung, S 188; ders Unterkapitalisierung, S 57, 65. 219 Vgl Easterbrock/Fischel The Economic Structure of Corporate Law S 59; Bitter Durchgriffshaftung, S 188 ff; ders Unterkapitalisierung, S 57, 66 f, 85 mwN. 220 Bitter Durchgriffshaftung, S 191 ff; ders Unterkapitalisierung, S 57, 73 ff. 221 Vgl Bitter Unterkapitalisierung, S 57, 82 ff.
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Im Ergebnis ist eine Durchgriffshaftung wegen Unterkapitalisierung also sowohl bei positivem und erst Recht bei negativem Erwartungswert entgegen der hM sehr wohl begründbar. Allerdings bleibt der praktische Anwendungsbereich gering, weil der Erwartungswert einer Unternehmung in der Praxis kaum feststellbar ist. Verlangt man zudem ein subjektives Element auf Gesellschafterseite, dürfte es sich wenigstens bei der Publikums-AG um eine theoretische Fallgruppe handeln. 108 Anders kann es bei unfreiwilligen Gläubigern liegen, die sich regelmäßig nicht vorher selbst absichern können. Praktisch geht es dabei um Deliktsopfer, zu deren Gunsten ein genereller Durchgriff in der Insolvenz der AG diskutiert wird. Diese Fallgruppe wird im folgenden Abschnitt behandelt. f) Durchgriffshaftung für Delikte? Während die Haftung für Unterkapitalisierung auch bei wirtschaftswissenschaftlicher Fundierung an besondere Voraussetzungen geknüpft bleibt (s.o.), wird im rechtsökonomischen US-amerikanischen Schrifttum seit längerem eine generelle Haftung der Anteilseigner für Delikte diskutiert.222 Vor Augen hat man dabei meist Fälle, in denen Aktiengesellschaften hochriskante Unternehmungen betreiben, die zu schweren Umweltschäden führen (Öltankerunglücke, Chemieunfälle etc).223 Prominente Stimmen machen sich hier für eine pro rata-Haftung der Aktionäre stark.224 Grundlage ist auch hier die ökonomische Analyse der Haftungsbeschränkung. Dabei kann zwischen Geschäften mit einem negativen Erwartungswert und solchen mit einem positiven Erwartungswert unterschieden werden (vgl dazu schon Rdn 105). Klar verfehlt wird der Zweck der Haftungsbeschränkung, wo diese dazu genutzt 110 wird, Geschäfte mit negativem Erwartungswert auf Kosten unfreiwilliger Gläubiger durchzuführen (vgl dazu bereits Rdn 105, 108). Zulasten unfreiwilliger Gläubiger wirken sich Geschäfte aus, wenn Kosten auf außenstehende Dritte externalisiert werden, indem hohe Risiken etwa zum Nachteil der Umwelt oder absolut geschützter Rechte Dritter eingegangen werden, während die möglichen Gewinne auf Anlegerseite realisiert werden. Dass die Haftungsbeschränkung an dieser Stelle ihren Zweck verfehlt, weil sie die Risikoaversion überschießend kompensiert, steht außer Frage. 111 Weniger deutlich angezeigt ist eine Durchbrechung der Haftungsbeschränkung bei Geschäften mit positivem Erwartungswert, weil diese – eben aufgrund des positiven Erwartungswerts – noch nicht von vornherein volkswirtschaftlich schädlich sind. Das Risiko der Kostenexternalisierung besteht hier allerdings gleichermaßen, weil die Anleger Gewinne auf Kosten der unfreiwilligen Gläubiger realisieren können. Die Gefahr des daraus entstehenden moral hazards können die unfreiwilligen Gläubiger – anders als die freiwilligen – nicht durch erhöhten Zins oder Sicherheiten kompensieren.225 Eine Durchbrechung der Haftungsbegrenzung ist hier nicht deshalb geboten, weil die natürliche Risikoaversion überkompensiert wird, sondern aus Gründen der Risikoallokation, weil die Anleger das Risiko besser vermeiden können (cheapest cost avoider), die Haftungsbeschränkung jedoch einen gegenteiligen Anreiz setzt. Dass daneben auch ein Aspekt der ausgleichenden Gerechtigkeit stehen könnte, wird in der ökonomischen Be-
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222 Manne 53 Virginia Law Review, 1967, S 259; Halpern/Trebilcock/Turnbull 30 University of Toronto Law Journal, 1980, S 117, 145 ff; Leebron 91 Columbia Law Review, 1991, S 1565. 223 Vgl dazu etwa den Amoco-Cadiz-Fall (1984 US Dist. LEXIS 17480), auszugsweise abgedruckt bei Cahn/Donald, Comparative Company Law, 2010, 737 ff (Haftung bejahend). 224 Hansmann/Kraakman 100 Yale Law Journal, 1991, S 1879 sowie dies 102 Yale Law Journal, 1992, S 427; dagegen jedoch Grundfest 102 Yale Law Journal, 1992, S 387; auf die Steuerungsmöglichkeit des Aktionärs abstellend Mendelson 102 Columbia Law Review, 2002, S 1203. 225 Leebron 91 Columbia Law Review, 1991, S 1565, 1601.
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trachtung meist hintangestellt.226 Nimmt man diesen hinzu, spricht insgesamt einiges dafür, bei deliktischen Schäden einen generellen Rückgriff auf die Aktionäre zuzulassen. Gegen die Aktionärshaftung für Delikte sind jedoch auch beachtliche Einwände er- 112 hoben worden.227 So würde eine unbeschränkte Haftung für Delikte die Informationskosten der Anleger erhöhen und damit auch die Kapitalkosten, wodurch zugleich die Diversifizierung erschwert würde. Zweifelhaft ist vor allem, inwiefern der Kapitalmarkt mit einer geänderten Haftung umgehen könnte, ist dieser doch auf homogene, fungible Anteile und auf Diversifizierung angewiesen. Ebenso ist in Zweifel zu ziehen, ob die Aktionäre im Hinblick auf die Verhaltenssteuerung die richtigen Adressaten der deliktischen Haftung sind, da sie nur mittelbaren Einfluss auf die Geschäftsführung haben. Zwar federt eine pro rata-Haftung – im Gegensatz zu einer gesamtschuldnerischen – einige der Nachteile ab. So würden die Kontrollkosten der Anleger bezüglich der Mitanleger nicht steigen. Auch würden die Haftungsrisiken der Anleger insgesamt geringer ausfallen. Gänzlich werden die Bedenken im Hinblick auf die Kapitalsammelfunktion jedoch nicht ausgeräumt. Effizienzbedenken kommen auch im Hinblick auf die Rechtsdurchsetzungskosten einer solchen Haftung auf, denn es müsste geklärt werden, wen die Haftung trifft und wie sie realisiert werden soll, wenn die Aktien nach der schädigenden (Dauer)Handlung und nach dem Schadenseintritt anonym am Kapitalmarkt weitergehandelt wurden. De lege lata scheidet eine pro-rata Haftung der Aktionäre aufgrund der eindeutigen 113 Regelung des § 1 Abs 2 AktG jedenfalls aus. Eine Alternative zur unbeschränkten Haftung der Anleger gegenüber unfreiwilligen Gläubigern böte eine Pflichtversicherungslösung.228 g) Rechtsfolgen des „Durchgriffs“. Nach dem zweispurigen Konzept der Recht- 114 sprechung, die in Ausnahmefällen den Durchgriff gewährt, im Übrigen den Gesellschafter wegen „Existenzvernichtung“ haften lässt (Rdn 74), ist die Haftung in den (echten) Durchgriffsfällen eine unmittelbare gegenüber den Gläubigern (Außenhaftung) und nur im Übrigen eine solche gegenüber der Gesellschaft (Innenhaftung). Lassen wir die zweite Fallgruppe beiseite, so stellt sich für die verbleibenden, „echten“ Durchgriffsfälle die Frage, ob die Haftung wirklich zwingend eine unmittelbare, unbeschränkte und primäre sein muss, wie es der Haftung der OHG-Gesellschafter entspricht (§ 128 HGB), oder ob nicht auch eine mittelbare und/oder subsidiäre Haftung konstruierbar ist.229 Diese Frage wird bislang kaum diskutiert. Die wohl überwiegende Ansicht geht – offen oder stillschweigend – davon aus, dass die Haftung nach dem Muster des § 128 HGB gestaltet sein muss, und begründet dies denn auch mit einer Analogie zu eben dieser Norm.230 Dahinter dürfte die vom BGH zur Haftung der BGB-Gesellschafter bekräftigte Auffassung stehen, dass die unbeschränkte und unmittelbare Haftung im deutschen Recht der Grundsatz, alles andere eine durch Gesetz oder Vertrag zu begründende Ausnahme sei.231 Fällt der gesetzliche Schutzschild der beschränkten Haftung wegen des Durchstoßens des Schleiers weg, dann kommt dieser allgemeine Grundsatz wieder zum Tragen. Folgt
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226 Leebron 91 Columbia Law Review, 1991, S 1565, 1601; Roth ZGR 1986, 371, 375 spricht von der These der kalkulierten Risikoübernahme, die hier nicht tragfähig sei. 227 Ablehnend namentlich Grundfest 102 Yale Law Journal, 1992, S 387; dagegen jedoch wiederum Hansmann/Kraakman 100 Yale Law Journal, 1991, S 1879 sowie dies 102 Yale Law Journal, 1992, S 427. 228 Bitter Unterkapitalisierung, S 57, 73 f, 83 f mwN. 229 Vgl Wiedemann GesR I § 4 III 1 (S 222 f). 230 Vgl KK/Dauner-Lieb3 § 1 Rdn 58; Wiedemann GesR I § 4 III 1 (S 223). 231 Vgl BGH 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 = NJW 1999, 3483.
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man dem, muss konsequenterweise auch § 129 HGB analog zum Zuge kommen, und ist im Insolvenzverfahren § 93 InsO entsprechend zur Anwendung zu bringen. Alternativ denkbar und mE überzeugender ist es, die Durchgriffshaftung vermittels 115 teleologischer Reduktion von § 1 Abs 1 Satz 2 zu begründen (vgl oben Rdn 105).232 Denn der Gesetzgeber hat das Problem der Haftungsbeschränkung durchaus gesehen und in § 1 geregelt, nur schießt diese Regelung in den Durchgriffsfällen über das Ziel hinaus. Das Ergebnis ist nur scheinbar dasselbe, denn die teleologische Reduktion führt nicht zwingend zur Anwendung von § 128 HGB (bzw einem gleichlautenden allg Rechtsgrundsatz), sondern lässt Raum für flexible Lösungen, etwa einer nur subsidiär oder pro rata greifenden Aktionärshaftung. So oder so bedeutet der „Durchgriff“ immer einen Schuldbeitritt.233 Denn die Haftung des Gesellschafters tritt nicht anstelle, sondern neben diejenige der Gesellschaft. h) „Umgekehrter Durchgriff“. In der Literatur wird bisweilen die Frage aufgeworfen, ob es auch einen „umgekehrten“ Durchgriff, also einen Durchgriff durch das Mitglied auf die juristische Person, geben kann. Soweit es um den sog Zurechnungsdurchgriff geht, ist das im Einzelfall durchaus zu bejahen, wenngleich man die Vokabel „Durchgriff“ hier besser meidet, da es um reine Auslegungs- und Normanwendungsfragen geht (oben, Rdn 82). So kann ein Wettbewerbsverbot, dem sich ein Mitglied unterworfen hat, auch die von diesem beherrschte Gesellschaft erfassen.234 Ein GesellschafterGeschäftsführer mag auch ausnahmsweise befugt sein, Schäden zu liquidieren, die nicht ihm, sondern „seiner“ GmbH entstanden sind.235 Abzulehnen ist dagegen der „umgekehrte“ Haftungsdurchgriff, dh die Haftung der 117 AG für Schulden eines Aktionärs.236 Die Aktiengesellschaft haftet nur dann für Verbindlichkeiten ihrer Mitglieder, wenn sie diese (wirksam) übernommen hat oder ein anderweitiger Verpflichtungsgrund besteht. Denn das Vermögen der AG ist allein für deren Gläubiger reserviert.237 Für einen umgekehrten Durchgriff besteht auch regelmäßig kein Bedürfnis, da der Gläubiger eines Aktionärs auf dessen Beteiligung im Wege der Zwangsvollstreckung zugreifen und so mittelbar einen Teil des AG-Vermögens zu Geld machen kann. Praktisch relevant wird der umgekehrte Durchgriff, wenn ein Gesellschafter Vermögen auf eine von ihm gegründete und beherrschte Gesellschaft überträgt, um dieses dadurch dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen. Hier helfen die Normen des Anfechtungsrechts (§§ 129 ff InsO, §§ 1 ff AnfG). Deren Grenzen durch einen voraussetzungslosen umgekehrten Durchgriff zu unterlaufen, kommt grundsätzlich nicht in Betracht.238 Sonstige Fallgruppen, in denen aus Billigkeitsgründen direkt auf das Vermögen der juristischen Person zugegriffen werden müsste, sind bislang nicht hervorgetreten.
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232 So – für § 13 Abs 2 GmbHG – BGH 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 (KBV); zust: Benecke BB 2003, 1190; ebenfalls durch teleologische Reduktion der § 48 öAktG bzw § 61 Abs 2 öGmbHG begründet der OGH die meisten Fallgruppen der Durchgriffshaftung, vgl MünchKomm/Doralt/Diregger3 Österreichisches Konzernrecht Rdn 87 mwN. 233 Wiedemann GesR I § 4 III 1 (S 222). 234 S nur Kort § 88 Rdn 43. 235 Vgl BGH 13.11.1973 – VI ZR 53/72, BGHZ 61, 380 = NJW 1974, 134; BGH 8.2.1977 – VI ZR 249/74, NJW 1977, 1283 mit krit Anm Hüffer; näher Windbichler GesR23 § 24 Rdn 34: Problem der Drittschadensliquidation. 236 Vgl BGH 12.1.1956 – II ZR 3/55, BGHZ 20, 4, 11, 15 = NJW 1956, 785: Keine Inanspruchnahme der Tochtergesellschaft für Verbindlichkeiten der Mutter (betr enteignungsrechtlichen Fall); Hüffer/Koch11 § 1 Rdn 20; Spindler/Stilz/Fock3 § 1 Rdn 75; MünchKomm/Heider3 § 1 Rdn 62. 237 Wiedemann GesR I § 4 III 1 d (S 228). 238 Offenlassend BGH 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318, 332 f = NJW 1981, 522, 525, da Vermögen auf liechtensteinische Gesellschaft verschoben worden war und Durchgriff sich allein nach liechtensteinischem Recht richte.
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Wesen der Aktiengesellschaft | § 1
V. Grundkapital und Aktien (Absatz 2) 1. Bedeutung der Normaussage. Absatz 2 schreibt fest, dass die AG ein „in Aktien 118 zerlegtes Grundkapital“ hat und markiert damit weitere Wesensmerkmale der deutschen AG (Rdn 121). Diese Aussage war schon in den frühen Aktienrechten des 19. Jahrhunderts enthalten und sind bis heute unverändert beibehalten worden (Rdn 5). Eine Beseitigung des Grundkapitals käme ohne Änderung der EU-Kapitalrichtlinie auch nicht in Betracht. Dessen ungeachtet ist die Bedeutung der Normaussage gering, denn was das „Grundkapital“ ist, wie und in welcher Höhe es aufgebracht, erhalten, erhöht oder herabgesetzt wird, ergibt sich nicht aus § 1, sondern aus anderen Normen (Rdn 119). Entsprechendes gilt für die „Aktien“, in welche das Grundkapital „zerlegt“ wird. Absatz 2 legt hier letztlich ein Vorverständnis zugrunde, welches dem unbefangenen Leser des Gesetzes nicht hilft und dem Kundigen entbehrlich ist. 2. Das „Grundkapital“. Das Grundkapital (bei der GmbH: „Stammkapital“) ist nicht 119 das (schwankende) Vermögen der Gesellschaft, sondern eine in der Satzung (§ 23 Abs 3 Nr 3) fixierte Summe, die auf Euro lauten muss (§ 6) und mindestens fünfzigtausend beträgt (§ 7). In der Bilanz ist sie auf der Passivseite unter „gezeichnetes Kapital“ anzugeben (§ 266 Abs 3 A I HGB). Man spricht auch vom festen Nennkapital. Das Grundkapital muss (nur) einmal, nämlich bei der Gründung (vgl § 36a), aufgebracht werden und darf anschließend nicht, auch nicht in verdeckter Form, an die Aktionäre zurückfließen (vgl § 57). Veränderungen des Grundkapitals sind nur in den dafür vorgesehenen Verfahren möglich (§§ 182 ff, 222 ff) und bedürfen in jedem Fall einer Satzungsänderung. Dies alles ist im Kern europarechtlich vorgegeben (Rdn 8). In anderen Staaten der Erde, die dem US-amerikanischen Vorbild folgen, ist das feste (Mindest-)Nennkapital abgeschafft worden. Dort sind die Gründer daher rechtlich (nicht jedoch wirtschaftlich) frei in der Wahl des Startkapitals. Ausschüttungssperren zugunsten der Gläubiger existieren aber auch in diesen Rechtsordnungen.239 Die Funktionen des (Mindest-)Grundkapitals sind vielgestaltig (näher Mock § 7 120 Rdn 2 ff).240 Zum einen soll es die Seriosität der Gründung verbürgen, indem „Habenichtse“ oder kreditunwürdige Personen von der Gründung einer AG ferngehalten werden. Ferner erfüllt es eine „Pufferfunktion“, indem Verluste nicht sofort auf das Fremdkapital durchschlagen, was zugleich die Insolvenzanfälligkeit der AG verringert. Schließlich fungiert es als Ausschüttungssperre, da Gesellschaftsvermögen, welches zur Deckung des Grundkapitals erforderlich ist, in keinem Fall an die Aktionäre ausgeschüttet werden darf. Ob das Grundkapital das optimale oder auch nur ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieser Ziele ist, und ob nicht eine Preisgabe des Nennkapitals zugunsten anderer gläubiger- oder vermögensschützender Instrumente (Solvenztest, Ausbau der Insolvenzanfechtung etc) rechtspolitisch vorzugswürdig wäre, ist eine viel diskutierte Frage241, die in erster Linie bei der GmbH ihre Berechtigung hat. Solange über die Abschaffung des Grundkapitals kein europaweiter Konsens erzielt wird, bleibt der Streit darüber theoretischer Natur. 3. Die Zerlegung des Grundkapitals in „Aktien“. Mit „Aktien“ meint Absatz 2 121 nicht die Aktienurkunden (in diesem Sinne zB § 13), sondern die Anteile am Grundkapi-
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239 Vgl Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht3, Rdn 481 ff. 240 Eingehend Pentz/Priester/Schwanna in: Lutter (Hrsg), Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S 42, 45 f. 241 Vgl nur MünchKomm/Heider3 § 1 Rdn 97 mwN.
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§ 2 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
tal, in die dieses „zerlegt“ ist. „Zerlegung“ ist dabei nur als Ausdruck des Regelfalls aufzufassen und steht der Ausgabe einer einzigen Aktie bei der Einmann-AG nicht im Wege.243 Bedeutung hat die Aufteilung des Grundkapitals in Aktien zunächst für die Gründung: Jeder Gründer muss Aktien übernehmen und auf diese den entsprechenden Betrag als Einlage an die Gesellschaft leisten (vgl § 2). Entsprechendes gilt für die Kapitalerhöhung (vgl § 185). Die Aktie ist aber nicht nur ein summenmäßiger Anteil am Grundkapital, sondern darüber hinaus und untrennbar damit verbunden die verdinglichte Mitgliedschaft. Mit der Inhaberschaft der Aktie gehen daher alle mitgliedschaftlichen Rechte, namentlich das Stimmrecht (§ 12 Abs 1) und das Gewinnbezugsrecht (§ 58 Abs 4), einher. Die Aktie und damit die Mitgliedschaft ist grundsätzlich frei übertragbar, wobei sich die Übertragungsart danach richtet, ob die Aktie als Inhaber- oder als Namensakte ausgestaltet ist (vgl § 10 Abs 1). Inhaber der Aktie, also Mitglieder bzw – terminologisch gleichfalls korrekt – Gesellschafter der AG, bezeichnet das Gesetz als „Aktionäre“. Die Einzelheiten der Ausgestaltung von Aktien sind in §§ 8–13 geregelt. Auf die dortigen Erläuterungen wird verwiesen. Weitere Regelungen enthalten §§ 67 f (Registrierung und Übertragung von Namensaktien), § 69 (Rechtsgemeinschaft an einer Aktie), § 70 (Aktienbesitzzeit) und §§ 71 ff (eigene Aktien der AG). § 2 Gründerzahl Bachmann
§2 Gründerzahl 243
An der Feststellung des Gesellschaftsvertrags (der Satzung) müssen sich eine oder mehrere Personen beteiligen, welche die Aktien gegen Einlagen übernehmen. Schrifttum Bachmann Die Einmann-AG, NZG 2001, 961; ders Private Ordnung, 2006; Bartl Bestellung eines Ausländers zum Geschäftsführer einer GmbH unter registerrechtlichen Aspekten, BB 1977, 571; DAV-Handelsrechtsausschuss Stellungnahme zum Fragenkatalog des Bundesministers der Justiz „Zugangserleichterungen zur Rechtsform der Aktiengesellschaft und zur Aktie“, AnwBl 1986, 448; Grunewald Die Rechtsfähigkeit der Erbengemeinschaft, AcP 197 (1997), 305; Haegele Vertragliche Güterrechte und GmbH, GmbHR 1968, 95; Hoffmann-Becking Gesetz zur „kleinen AG“ – unwesentliche Randkorrekturen oder grundlegende Reform? ZIP 1995, 1; Klüsener Der Minderjährige im Unternehmensrecht – Vertretungshindernisse und vormundschaftsgerichtliche Genehmigungen, RPfleger 1990, 321; Kurz Die Problematik des § 1822 BGB, NJW 1992, 1798; Miller Eintragung ausländischer GmbH-Geschäftsführer und Gründung einer GmbH durch Ausländer, DB 1983, 977; Planck Kleine AG als Rechtsform-Alternative zur GmbH, GmbHR 1994, 501; Weimar Einmann-Personengesellschaften – Ein neuer Typ des Gesellschaftsrechts? ZIP 1997, 1769.
I.
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Bedeutung der Norm | 1 2. Historische Entwicklung und rechtspolitische Bewertung | 5 a) Historie | 5 b) Bewertung | 9 3. Parallelnormen | 10 4. Europarecht und Rechtsvergleichung | 11
II.
III.
Gründerzahl | 12 1. Anwendungsbereich | 12 2. Gründung durch eine Person oder mehrere Personen | 13 3. Beteiligungspflicht aller Gründer | 15 4. „Strohmanngründung“ | 16 Gründerfähigkeit | 17 1. Allgemeines | 17
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243 Ebenso Hüffer/Koch11 § 1 Rdn 13; KK/Dauner-Lieb3 § 1 Rdn 29; Spindler/Stilz/Fock3 § 1 Rdn 102; aA MünchKomm/Heider3 § 1 Rdn 97.
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Gründerzahl | § 2
2. 3. 4. 5.
Natürliche Personen | 18 Juristische Personen | 23 Personengesellschaften und nicht rechtsfähiger Verein | 25 Gemeinschaften | 28 a) Bruchteilsgemeinschaft | 28 b) Erbengemeinschaft | 29 c) Gütergemeinschaft (Ehegatten, Lebenspartner) | 31 d) Wohnungseigentümergemeinschaft | 32 e) Ausländische Personengemeinschaften | 33
Stellvertreter und Treuhänder | 34 a) Stellvertreter | 34 b) Treuhänder (mittelbare Stellvertretung) | 36 c) Testamentsvollstreckung | 37 Feststellung der Satzung und Übernahme der Aktien | 39 1. Ablauf der Gründung (Überblick) | 39 2. Satzung und Gesellschaftsvertrag | 44 a) Terminologie | 44 b) Rechtsnatur der Satzung | 45 6.
IV.
I. Grundlagen 1. Bedeutung der Norm. Die zentrale Bedeutung der Norm liegt, wie die amtliche Überschrift bekräftigt, darin, die Mindestgründerzahl der AG festzulegen (zur Definition der „Gründer“ s § 28). Insofern hat sie einen grundlegenden Bedeutungswandel erfahren: Waren bis 1994 noch mindestens 5 Gründer erforderlich, genügt seither eine einzige Person. § 2 ist damit nicht mehr Ausdruck regulatorischer Strenge, sonder offenbart umgekehrt eine liberale Grundhaltung: Die Seriosität der AG will der Gesetzgeber nicht (mehr) durch die zwingende Beteiligung mehrerer Gründer gewährleisten. Rechtspolitisch ist diese Entscheidung umstritten geblieben (Rdn 9). Die Zulässigkeit der Einmanngründung entspricht der Rechtslage bei GmbH und SE, nicht jedoch derjenigen bei Genossenschaft und Verein (näher Rdn 10). Auch bei der Personengesellschaft ist nach ganz hM eine Einmanngründung ausgeschlossen.1 Sprachlich gibt die Norm ihren Bedeutungswandel nicht angemessen wieder. Abgesehen davon, dass der Singular von „Personen“ vergessen wurde (korrekt: „eine Person oder mehrere Personen“), könnte sie klarer und knapper wie folgt lauten: „Zur Feststellung der Satzung genügt die Beteiligung einer Person“. Die übrigen Aussagen sind sachlich bedeutungslos, da sie an anderen Stellen im Gesetz wiederholt werden und dort ihre Bedeutung entfalten (Rdn 4). Durch den in § 2 enthaltenen Klammerzusatz „(der Satzung)“ liefert die Norm eine Definition des Begriffs „Satzung“. Bei dieser handelt es sich demnach um nichts anderes als den Gesellschaftsvertrag der Aktiengesellschaft. Im Rest des Gesetzes verwendet der Gesetzgeber nur noch die Vokabel „Satzung“, so dass man es auch hier dabei hätte bewenden lassen können. Über die Rechtsnatur der Satzung und ihre Besonderheiten gegenüber einem „normalen“ Vertrag verhält sich § 2 nicht. Das ist nicht zu beanstanden, handelt es sich dabei doch um eine dogmatische Fragestellung, die der Gesetzgeber nicht beantworten muss (näher dazu Rdn 45). Klargestellt wird jedenfalls, dass sich aus dem vertraglichen (= rechtsgeschäftlichen) Charakter der Satzung nicht der im Personengesellschaftsrecht übliche Schluss ziehen lässt, dass es zur Gründung der Gesellschaft mindestens zweier Personen bedarf. Nur beschreibender Natur ist der letzte Halbsatz, wonach die Gründer „die Aktien gegen Einlagen übernehmen“. Er könnte ohne Schaden gestrichen werden. Dass die AG über ein in Aktien zerlegtes Grundkapital verfügt, ergibt sich bereits aus § 1 Abs 2, dass die Gründer alle Aktien übernehmen müssen (Verbot der Stufengründung), folgt mittel-
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Statt aller Baumbach/Hopt-HGB/Roth36 § 105 Rdn 18; aA Weimar ZIP 1997, 1769.
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bar aus §§ 23 Abs 2 Nr 2, 28 (s dort Rdn 66). Es bleibt die Aussage, dass aus der Übernahme der Aktien die Verpflichtung folgt, als Gegenleistung eine entsprechende „Einlage“ in das Vermögen der AG zu leisten. Diese Pflicht wird aber nicht durch § 2, sondern durch den Übernahmevertrag begründet und vom Gesetz als mehr oder weniger selbstverständlich begriffen. Zum Gründungsablauf unten, Rdn 39 ff. 2. Historische Entwicklung und rechtspolitische Bewertung a) Historie. Eine Bestimmung zur Gründerzahl war schon im alten ADHGB enthalten. Dort hieß es: „Der Inhalt des Gesellschaftsvertrags (Statut) muß durch mindestens fünf Personen, welche die Aktien übernehmen, in gerichtlicher oder notarieller Verhandlung festgestellt werden“ (Art 209 Satz 1 ADHGB 1884). Diese Formulierung wurde wortgleich in Art 182 HGB 1897 übernommen. Das AktG 1937 gab der Norm dann ihr heutiges Gesicht, ohne sie inhaltlich zu ändern. In § 2 AktG 1937, dem Vorläufer des heutigen § 2, hieß es: „An der Feststellung des Gesellschaftsvertrags (der Satzung) müssen sich mindestens fünf Personen beteiligen, die Aktien übernehmen“. Die in Art 209 ADHGB und Art 182 HGB aF zusätzlich noch enthaltenen Aussagen zu Form und Inhalt der Satzung wurden in einen neu geschaffenen § 16 AktG 1937 und später in § 23 AktG ausgegliedert. 6 Das AktG 1965 übernahm § 2 AktG 1937 praktisch unverändert und nahm lediglich zwei kosmetische Änderungen vor. Zunächst wurde ergänzt, dass die Aktien „gegen Einlagen“ übernommen werden müssen. Damit war keine sachliche Änderung verbunden, denn die Aussage, dass die Aktionäre Einlagen zu leisten haben, war schon im AktG 1937, dort in § 1 („Wesen der Aktiengesellschaft), enthalten (die Gesellschafter der AG sind „mit Einlagen“ auf das in Aktien zerlegte Grundkapital beteiligt). Nachdem das AktG 1965 auch Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln zuließ, bei denen die Aktionäre die neuen Aktien erhalten, ohne darauf Einlagen leisten zu müssen (§§ 207, 212), gehörte die Erbringung von Einlagen aber nicht mehr zum „Wesen“ der AG. Die betreffende Aussage wurde daher umplatziert und aus § 1 in § 2 verlagert. Die zweite Änderung geriet noch unscheinbarer und ist nur bei genauem Hinsehen 7 erkennbar. Nach § 2 AktG 1937 brauchten die Gründer der AG bei Feststellung der Satzung noch nicht sämtliche Aktien zu übernehmen. Der Rest konnte auch noch nach Feststellung der Satzung gezeichnet werden (§ 30 AktG 1937). Diese sog Stufengründung wurde durch das AktG 1965 beseitigt, weil dafür angesichts der Möglichkeit, in der Satzung ein genehmigtes Kapital vorzusehen (§ 202 Abs 1), kein praktisches Bedürfnis gesehen wurde.2 Um dem Rechnung zu tragen und klarzustellen, dass schon bei der Feststellung der Satzung sämtliche Aktien zu übernehmen sind, wurde der Wortlaut des § 2 entsprechend angepasst. Aus der Aussage, dass die Gründer „Aktien … übernehmen“ wurde die Aussage, dass die Gründer „die Aktien … übernehmen“. Eine echte sachliche und zugleich radikale Änderung brachte dann das „Gesetz für 8 kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts“ vom 2.8.1994.3 Mit ihm wurde das Erfordernis einer Mindestgründerzahl beseitigt und die EinpersonenGründung zugelassen. Technisch wurde dies durch Streichung der Worte „mindestens fünf“ und Einfügung der Worte „eine oder mehrere“ bewerkstelligt. Damit vollzog der Gesetzeber einen schon 1980 für die GmbH gegangenen Schritt für die AG nach und leistete zugleich einer aus der Praxis erhobenen Forderung Folge.4 Schon zuvor konnte eine 5
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2 Begr RegE § 37 bei Kropff S 57. 3 BGBl I S 1961. 4 Etwa DAV-Handelsrechtsausschuss AnwBl 1986, 448; 4.Aufl Brändel § 2 Rdn 12.: „Mindestgründerzahl nicht mehr zeitgemäß“.
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Gründerzahl | § 2
AG im Wege der Umwandlung durch eine einzige Person gegründet werden.5 Auch die Existenz der Einmann-AG, wie sie durch Austritt der übrigen Aktionäre entstehen konnte, stand seit langem außer Streit.6 Insofern war die Reform des § 2 konsequent. Flankiert wurde die Änderung durch das gleichzeitig eingeführte Gebot an den Alleingründer, in Höhe der noch nicht eingeforderten Einlage Sicherheit zu leisten (§ 36 Abs 2 Satz 2), welches durch das MoMiG 2008 wieder beseitigt wurde; ferner durch § 42, der die Publizität des Alleingesellschafters vorschreibt. Einzelheiten zur Einmann-AG werden bei § 42 kommentiert. b) Bewertung. Rechtspolitisch war die Zulassung der Einpersonen-Gründung 9 nicht unumstritten.7 In der Tat sind die Gründe, welche den Gesetzgeber über hundert Jahre dazu bewogen hatten, eine Mehrzahl von Gründern vorzusehen, weiterhin beachtlich.8 Zum einen erschwert es die Gründung, indem es den Gründungswilligen nötigt, Mitstreiter zu finden, die bereit sind, das mit der Gründung verbundene straf- und zivilrechtliche Haftungsrisiko einzugehen (vgl §§ 46, 399 Abs 1 Nr 1 u 2). Bei unseriösem oder nicht tragfähigem Geschäftsmodell wird ihm dies schwerfallen. Daher wird sich der Gründer wohl überlegen, ob er stattdessen nicht lieber in die GmbH ausweicht, die auch als hundertprozentige Konzerntochter das gegenüber der AG tauglichere und ausreichende Vehikel ist. Dessen ungeachtet kann und soll die Zulassung der Einmanngründung nicht wieder rückgängig gemacht werden, da namentlich die Sicherung der Kapitalaufbringung auf anderem Wege gewährleistet ist und der „Krampf“ der Strohmanngründung überflüssig wird.9 3. Parallelnormen. Eine parallele Regelung für die GmbH enthält § 1 GmbHG. Auch 10 nach dieser Norm ist die Einmanngründung zulässig. Aussagen zur Übernahme der Anteile und zur Leistung von Einlagen sind darin, anders als in § 2, nicht enthalten. Das ist sachlich überzeugender (vgl Rdn 2). Für die KGaA hielt der Gesetzgeber bis 2005 an der Mindestgründerzahl von fünf Personen fest (§ 280 Abs 1 Satz 1 aF). Dieses Gebot wurde mit dem UMAG in Anpassung an das Recht der AG gestrichen.10 Die Zulässigkeit der Einmanngründung bei der KGaA folgt jetzt unmittelbar aus § 2 iVm § 278 Abs 3.11 Sie kann dadurch vonstattengehen, dass der Komplementär sich zugleich als einziger Kommanditaktionär beteiligt.12 Für die Gründung eines Vereins (§§ 56 BGB: sieben), einer Genossenschaft (§ 4 GenG: drei) oder eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit im Sinne des § 171 VAG als Sonderform eines wirtschaftlichen Vereins13 sind dagegen weiterhin mehrere Personen erforderlich. Die SE kann im Wege der Umwandlung (Art 2 Abs 4 SE-VO) oder als Tochtergesellschaft (Art 3 SE-VO) durch eine Person gegründet werden.
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5 Näher 4. Aufl Brändel § 2 Rdn 11. 6 Vgl nur BGH 9.10.1956 –II ZB 11/56, BGHZ 21, 378, 381 = NJW 1957, 19; RG 19.5.1930 – VI 534/29, RGZ 129, 50, 53. 7 Zweifelnd etwa noch KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 4 (unter Hinweis auf Planck GmbHR 1994, 501, 502). Keine Bedenken mehr dagegen bei Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 4a. 8 Dazu noch 4. Aufl Brändel § 2 Rdn 14. 9 Hoffmann-Becking ZIP 1995, 1. 10 Durch Art 1 Ziff 34 des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) v 22.8.2005, BGBl I S 2802. 11 RegBegr UMAG BT-Drs 15/5092 S 31. 12 Spindler/Stilz/Bachmann3 § 280 Rdn 2. 13 Nach Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann VAG/Kaulbach5 § 15 Rdn 8 genügen zwei Gründer; aA Benkel VVaG, S 177, der mindestens sieben Gründer fordert.
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4. Europarecht und Rechtsvergleichung. Die europäischen Richtlinien schreiben die Zulässigkeit der Einmanngründung nicht vor, stehen ihr aber auch nicht im Wege. Gestattet ein Mitgliedstaat die Einmann-AG, muss er allerdings die Vorgaben der sog zwölften Richtlinie (Richtlinie 2009/102/EG v 12.9.2009 – Einpersonengesellschaftsrichtlinie) umsetzen, die zwar unmittelbar nur für die GmbH gilt, nach ihrem Art 6 aber auch auf die Einmann-AG anzuwenden ist. Der Gesetzgeber hat dem Folge geleistet, in dem er den Einmann-Aktionär in § 42 einer besonderen Publizitätspflicht unterwirft. Für die SE hat der europäische Gesetzgeber die Einmanngründung (freilich nicht ex nihilo) ausdrücklich zugelassen (Rdn 10). Die in § 2 ferner angesprochene Übernahme der Aktien durch Einlageleistung ist in der Zweiten Richtlinie (Kapitalrichtlinie) vorgeformt. Sie wurde in anderen Normen des AktG umgesetzt. Rechtsvergleichend ist die Zulässigkeit der Einpersonengründung keine Selbstverständlichkeit, hat sich aber verbreitet durchgesetzt. Länder, die mindestens zwei Personen für die Gründung einer der Aktiengesellschaft äquivalenten Gesellschaft verlangen, sind zB Belgien14, China15 oder Frankreich16. Länder, bei denen wie in Deutschland eine Person für die Gründung einer der Aktiengesellschaft äquivalenten Gesellschaft genügt, sind Dänemark17, Großbritannien18, Italien19, Japan20, Luxemburg21, Niederlande22, Österreich23, Schweiz24, Spanien25. II. Gründerzahl
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1. Anwendungsbereich. § 2 gilt für jede deutsche Aktiengesellschaft. Er gilt über den Verweis in § 278 Abs 3 auch für die KGaA (Rdn 10), nicht hingegen für die SE (Rdn 10). Das Schrifttum weist schüchtern darauf hin, dass „auch“ eine Vor-AG von nur einer Person gegründet werden kann.26 Richtigerweise betrifft § 2 allein die Vor-AG, denn er regelt die Feststellung des Gesellschaftsvertrags, durch welche eben die Vor-AG zur Entstehung gelangt (vgl §§ 28, 29). Die Unsicherheiten im Schrifttum rühren daher, dass man sich die Vor-AG immer noch als eine Art Vertragsgemeinschaft vorstellt und deshalb Schwierigkeiten mit dem Bild der Einmann-Vorgesellschaft hat, denn eine einzige Person kann keinen Vertrag mit sich selbst schließen. Mit der Anerkennung der Vorgesellschaft als bloßer Vorstufe der juristischen Person sind diese Zweifel überholt.27 Nach § 2 kann eine Person eine AG errichten, weshalb es auch eine Einmann-Vor-AG geben muss.28
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2. Gründung durch eine Person oder mehrere Personen. § 2 legt fest, dass die AG durch eine einzige Person errichtet werden kann. Dies kann auch im Wege der Umwand-
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14 MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 7. 15 MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 60. 16 MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 131, mit Ausnahme der vereinfachten Aktiengesellschaft SASU, für die ein Gründungsmitglied genügt MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 188. 17 MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 88. 18 MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 265. 19 MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 304. 20 MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 330. 21 MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 365. 22 MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 426. 23 MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 468. 24 MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 491. 25 MHdB GesR VI/Süß4 § 47 Rdn 567. 26 Vgl Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 1; MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 34. 27 Vgl Bachmann NZG 2001, 961. 28 So (unter Aufgabe früherer Bedenken) jetzt auch Hüffer/Koch11 § 41 Rdn 17c.
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lung geschehen.29 Es handelt sich, wie der Wortlaut zeigt, lediglich um eine Mindestzahl, dh die AG kann auch durch beliebig viele mehrere Personen gegründet werden. Es ist weder geboten noch sinnvoll, dogmatisch zwischen der Einmann- und der Mehrpersonengründung zu unterscheiden. Nach der gegenteiligen Auffassung kommt bei Beteiligung mehrerer Personen ein Gesellschaftsvertrag im Sinne von § 705 BGB zustanden, während bei der Einmanngründung ein einseitiger Errichtungsakt vorliegt.30 Zutreffend ist, dass in allen Fällen ein Rechtsgeschäft vorliegt, das einmal mehrseitig, im anderen Fall einseitig ist. Beide legitimieren die Satzung als korporative Grundlage der Gesellschaft und unterliegen den rechtsgeschäftlichen Regeln. Ein kategorialer Unterschied zwischen Einmanngründung und Mehrpersonengründung besteht dagegen nicht. Insbesondere stellt die von mehreren geschaffene Satzung keinen personengesellschaftsrechtlichen Vertrag dar, der anderen Grundsätzen unterläge als der einseitige Errichtungsakt. Unterschiede ergeben sich lediglich in gebührenrechtlicher Hinsicht, weil einmal Nr 21200 KV GNotKG (einfache Gebühr), ein andermal Nr 21100 KV GNotKG (doppelte Gebühr) zur Anwendung gelangt.31 Dagegen stellt die Verabredung zur Gründung einer AG eine vertragliche Abrede 14 dar, welche die sog Vorgründungsgesellschaft zur Entstehung gelangen lässt.32 Diese ist Personengesellschaft im Sinne von § 705 und fehlt naturgemäß im Falle der Einmanngründung. Der Alleingründer kann seine Gründungsabsicht also jederzeit wieder aufgeben. Weil auch die Mitglieder einer Mehrpersonen-Vorgründungsgesellschaft ohne notarielle Beurkundung nicht daran gehindert sind, ihre Gründungsbereitschaft aufzugeben,33 ergeben sich hieraus keine nennenswerten praktischen Unterschiede. 3. Beteiligungspflicht aller Gründer. Nach älterer Ansicht müssen sich nicht alle 15 Gründer an der Übernahme der Aktien beteiligen.34 Die heute ganz hM lehnt das zu Recht ab.35 Zwar lässt sich die Beteiligungspflicht jedes Gründers nicht zwingend dem Wortlaut des § 2 entnehmen, der nur besagt, dass alle Aktien übernommen werden müssen (Rdn 7), nicht jedoch, dass jeder Gründer mindestens eine zu übernehmen hat.36 Allerdings sprechen §§ 23, 28 klar gegen die Zulässigkeit einer Beteiligung ohne Aktienübernahme. Für eine Mit-Gründung ohne Aktienübernahme ist seit Zulassung der Einmanngründung auch kein praktisches Bedürfnis mehr erkennbar. Beteiligt sich doch eine Person an der Errichtung, ohne Aktien zu übernehmen, stellt dies einen Gründungsmangel dar, der zur Versagung der Eintragung führt. Im Schrifttum erwägt man, dies im Einzelfall durch Umdeutung (§ 140 BGB) in eine schuldrechtliche Förderpflicht zu vermeiden.37 Gegen eine solche Umdeutung ist, wenn die Voraussetzungen vorliegen, nichts
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29 Vgl § 36 Abs 2 UmwG (Verschmelzung), § 135 Abs 2 UmwG (Spaltung), § 152 UmwG (Ausgliederung aus dem Vermögen eines Einzelkaufmanns), § 197 UmwG (Formwechsel). 30 Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 4 ff; MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 28 ff; Hölters/Solveen2 § 2 Rdn 4 u 8. 31 Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 4a; Ulmer/Habersack/Löbbe-GmbHG/Ulmer/Löbbe2, § 2 Rdn 7. 32 Näher K. Schmidt § 41 Rdn 39 ff; Schmidt/Lutter/Drygala3 § 41 Rdn 2 ff. 33 Vgl Baumbach/Hueck-GmbHG/Fastric20h § 11 Rdn 32; Henssler/Strohn/Schäfer2 Gesellschaftsrecht, § 11 Rdn 39 ff. 34 Heute noch Schmidt/Lutter/Lutter3 § 2 Rdn 14; ebenso noch 4.Aufl Brändel § 2 Rdn 64 aE unter Hinweis auf KG 11.1.1919, KGJ 51, 128, nach dem es der Wirksamkeit des Gesellschaftsvertrags einer Aktiengesellschaft nicht entgegensteht, wenn Personen am Gründungsvorgang beteiligt sind, die weder eine Sacheinlage erbringen noch Aktien übernehmen, solange nur die Mindestanzahl von fünf Personen Aktien übernimmt. 35 Ganz hM s Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 13; MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 31; KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 21; Spindler/Stilz/Drescher3 § 2 Rdn 6. 36 Insofern zutreffend Schmidt/Lutter/Lutter3 § 2 Rdn 14. 37 So Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 13; zustimmend MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 32.
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einzuwenden. Worin die schuldrechtliche Förderpflicht genau bestehen soll, bleibt allerdings dunkel. Tatsächlich dürfte sich die Wirkung der „Umdeutung“ darauf beschränken, die Gründung zu „retten“.38 16
4. „Strohmanngründung“. Bei der sog Strohmanngründung wird die Gesellschaft unter Beteiligung einer Person (des „Strohmanns“) errichtet, die nur pro forma die Rolle des Gründers übernimmt. Früher diente die Strohmanngründung dazu, das Erfordernis der Mindestgründerzahl zu erreichen (dazu Rdn 9). Mit der Zulassung der Einmanngründung ist dieses Motiv entfallen. Gleichwohl besteht Einigkeit darüber, dass die Beteiligung eines Strohmanns weiterhin zulässig ist.39 Die Willenserklärung des Strohmanns ist nicht gem § 117 BGB nichtig, weil die Beteiligung zwar nur pro forma übernommen wird, ihre rechtsgeschäftliche Wirkung aber gewollt ist. Als Gründer unterliegt auch der Strohmann der vollen Gründerhaftung, s § 46 Abs 5. Da der Strohmann die Beteiligung regelmäßig für Rechnung eines Dritten hält, kommt insofern ein Treuhandverhältnis zustande, dazu näher unten Rdn 36. III. Gründerfähigkeit
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1. Allgemeines. Gründer der AG sind diejenigen „Personen“, welche die Satzung feststellen und die Aktien gegen Einlagen übernehmen (§§ 2, 28). Welche „Personen“ als Gründer einer AG auftreten können, sagt das Gesetz nicht. Unzweifelhaft ist, dass besondere persönliche Eigenschaften wie Bonität, guter Leumund, kaufmännische Qualifikation etc keine Gründungsvoraussetzung sind.40 Dies gilt selbst im Bereich regulierter Industrien, wo der Erwerb einer bedeutenden Beteiligung zT an positive Eigenschaften des Erwerbers geknüpft ist (vgl zB § 2c KWG), was jedoch nur für den derivativen Erwerb gilt.41 Zu den standesrechtlichen Besonderheiten siehe unten, Rdn 22. Soweit die Leistung der Einlagen nicht bereits Voraussetzung für die Anmeldung der Gesellschaft zum Handelsregister ist (§§ 36, 36a), wird dem Schutzbedürfnis der Öffentlichkeit dadurch genügt, dass aus der Anmeldung hervorgeht, ob und welche Einlagen gegebenenfalls in welcher Form bereits geleistet bzw nicht geleistet sind. Die Einsicht in die Anmeldungsunterlagen steht jedermann beim Handelsregister offen (§ 9 Abs 1 HGB). Im Übrigen genügt es, wenn der Gründer „Person“, dh rechtsfähig ist. Im Einzelnen bedeutet das folgendes:
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2. Natürliche Personen. Natürliche Personen können stets Gründer einer AG sein. Ihre Rechtsfähigkeit beginnt mit Vollendung der Geburt (§ 1 BGB). Bei wirksamer Vertretung durch einen Pfleger (§§ 1912 ff BGB) kommt uU sogar ein Nasciturus als Gründer in Betracht.42 Agiert der Gründer in seiner Eigenschaft als Einzelkaufmann, kann er unter seiner Firma auftreten. Allerdings muss sein bürgerlicher Name in der beim Handelsregister nach § 37 einzureichenden Anmeldung erscheinen und – bei der Ausgabe von Namensaktien – auch im Aktienbuch vermerkt sein (§ 67 Abs 1). Geschäftsunfähige oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Personen (insbe19 sondere Minderjährige) können sich an der Gründung einer AG beteiligen, sofern sie
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38 So auch Hölters/Solveen2 § 2 Rdn 6 aE. 39 Statt aller Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 4; MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 22 ff; eingehend noch 4. Aufl Brändel § 2 Rdn 1. 40 Unstr, vgl nur MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 15. 41 Vgl Beck/Samm/Kokemoor-KWG/Erm185 § 2c Rdn 6; Boos/Fischer/Schulte-Mattler-KWG/Schäfer4 § 2c Rdn 2. 42 So für den Fall der Erbschaft 4. Aufl Brändel § 2 Rdn 21 aE.
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durch ihre gesetzlichen Vertreter wirksam vertreten sind.43 Weil der minderjährige Gründer stets der Gründerhaftung nach § 46 sowie der mitgliedschaftlichen Treupflicht unterliegt, ist die Mitwirkung an der Gründung nicht lediglich rechtlich vorteilhaft im Sinne von § 107 BGB. Wegen § 3 (Fiktion des Handelsgeschäfts) bedarf der gesetzliche Vertreter nach zutreffender Ansicht auch dann der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§§ 1643 Abs 1, 1822 Ziff 3 BGB), wenn die AG keinen Erwerbszweck verfolgt.44 Dies folgt zudem aus dem Schutzbedürfnis des beschränkt Geschäftsfähigen, da die Beteiligung an der Gründung einer AG mit einem erheblichen Haftungsrisiko verbunden ist (§ 46). Das Genehmigungserfordernis lässt sich außerdem aus § 1822 Ziff 10 BGB ableiten, wenn die Einlagen nicht sogleich bei der Übernahme voll eingezahlt werden (vgl § 46 Abs 4). Beteiligen sich mehrere in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Personen an der Gesellschaftsgründung, können sie nicht durch ein und denselben gesetzlichen Vertreter oder Vormund vertreten werden (§§ 1629 Abs 2 Satz 1, 1795 Abs 2 BGB). Ebenso wenig kann jemand in einer Doppelrolle, nämlich sowohl im eigenen Namen als auch als gesetzlicher Vertreter oder Vormund einer in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Person, an der Gründung einer AG mitwirken. In diesen Fällen ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers (§ 1909 BGB) erforderlich. Selbstverständlich kann sich auch der Alleinerbe als solcher an der Gründung einer 20 AG beteiligen. Fraglich ist, ob er seine Einlagehaftung (§ 46) auf den Nachlass begrenzen darf. Dies wird man bejahen können für den Fall, dass ein Gründer zwischen der Errichtung und der Eintragung der AG stirbt. § 41 Abs 4 Satz 1 (Übertragungsverbot) steht nicht entgegen, weil er sich auf Fälle der Gesamtrechtsnachfolge nicht erstreckt.45 Denkbar ist auch der Fall, dass der Erblasser vor Feststellung der Satzung verstirbt, seinem Alleinerben aber durch letztwillige Verfügung zur Auflage gemacht hat, sich an der Gründung zu beteiligen (§ 1940 BGB). In diesem Fall sollte es dem Erben nicht versagt sein, die Auflage – unter Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlass – zu erfüllen. Denn auch wenn der Erblasser sich noch an der Gründung der AG beteiligt hätte, wäre die Haftungsmasse nicht größer als der Nachlass gewesen.46 Allerdings müssen derartige Besonderheiten der Gründereigenschaft aus der nach § 23 Abs 2 zu errichtenden notariellen Urkunde hervorgehen, damit daraus folgende Haftungsbeschränkungen für Dritte ersichtlich sind. Zur Testamentsvollstreckung s Rdn 37. Auch ausländische Staatsangehörige können eine deutsche AG gründen.47 Nach 21 § 4 Abs 1 AWG iVm §§ 59, 55 AWV kann das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die mittelbare oder unmittelbare Beteiligung Unionsfremder an einem inländischen Unternehmen untersagen, um die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten. Die Regelung wird aufgrund ihres generalklauselartigen Charakters kritisch betrachtet. Neben dem politischen Vorwurf, ein abschreckendes Signal an Investoren zu senden, werden vor allem europarechtliche Bedenken erhoben. So wird einerseits ein Konflikt mit dem Verbot der Beschränkung des Kapitalverkehrs im Hinblick auf Drittländer gem Art 63 Abs 1 AEUV gesehen und andererseits wird darauf hingewiesen, dass unionsfremde Investoren den Beteiligungserwerb auch über eine in
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43 Spindler/Stilz/Drescher3 § 2 Rdn 8. 44 Ebenso Spindler/Stilz/Drescher3 § 2 Rdn 8; MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 11; KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 7; Kurz NJW 1992, 1798, 1800; Klüsener RPfleger 1990, 321, 328 ff; aA die jüngere Literatur, s Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 6; Schmidt/Lutter/Lutter3 § 2 Rdn 3; Grigoleit/Vedder1 § 2 Rdn 3 (methodisch bedenkliche Extension); Hölters/Solveen2 § 2 Rdn 14 (findet keine Grundlage im Wortlaut des § 1822 Nr 3 BGB; Regelungslücke nicht erkennbar); Wachter/Franz2 § 2 Rdn 9 (mit Wortlaut und Sinn des § 1822 Nr 3 BGB unvereinbar). 45 K. Schmidt § 41 Rdn 64. 46 4. Aufl Brändel § 2 Rdn 21. 47 Unstr, vgl nur Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 7.
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Europa gegründete Gesellschaft konstruieren könnten.48 Es wird vorgeschlagen, §§ 59, 55 AWV eng unter Beachtung der golden-share-Rechtsprechung des EuGH auszulegen und nur dann gefahrenabwehrrechtlich einzuschreiten, wenn Drittstaaten sich durch den Beteiligungserwerb Einfluss auf eine Gesellschaft sichern möchten.49 Bei einem Beteiligungserwerb durch einen Unionsfremden besteht die Pflicht, im Falle einer Prüfung nach § 55 AWV Unterlagen über den Erwerb dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vorzulegen (§ 4 Abs 1 AWG iVm § 57 AWV). Ist die Aufenthaltserlaubnis eines Unionsfremden mit einer Beschränkung hinsichtlich einer gewerblichen Betätigung im Sinne des § 4 Abs 3 AufenthG verbunden, haben Verstöße gegebenenfalls strafrechtliche (§ 98 Abs 3 Nr 1 AufenthG) oder verwaltungsrechtliche (bspw Widerruf des Aufenthaltstitels im Sinne des § 52 Abs 3 Nr 1 AufenthG) Konsequenzen, ohne jedoch der Gründerfähigkeit entgegenzustehen.50 Besonderheiten gelten für die Gründerfähigkeit bei Wirtschaftsprüfungsgesell22 schaften. Sie dürfen nach Standesrecht nur dann in der Rechtsform der AG geführt werden, wenn die Mehrheit der Anteile und Stimmrechte in der Hand von Wirtschaftsprüfern oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften liegt (§ 28 Abs 4 Satz 1 Ziff 1 u 3 WPO). Da eine AG, deren Gegenstand auf die Durchführung von Wirtschaftsprüfungen gerichtet ist, in das Handelsregister nur eingetragen werden darf, wenn die Voraussetzungen für ihre Anerkennung als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erfüllt sind (anderenfalls ist die Satzungsbestimmung über den Unternehmensgegenstand nach § 134 BGB unwirksam), müssen faktisch bereits ihre Gründer die Voraussetzungen des § 28 Abs 4 Satz 1 Ziff 1 u 3 WPO erfüllen. Entsprechendes gilt für Steuerberatungsgesellschaften (§ 50 a Abs 1 Ziff 3 u 5 StBerG).51 Anders liegt es bei der Anwaltssozietät, da nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf ein Verstoß gegen § 59e BRAO nicht zwingend zu einer Unwirksamkeit der Satzung nach § 134 BGB führt.52 Dies wird damit begründet, dass § 59e BRAO nicht den Inhalt des Gesellschaftsvertrags missbilligt, sondern nur die anwaltliche Unabhängigkeit im Zulassungsverfahren.53 Mit § 59h BRAO existiert eine Norm, die spezielle Rechtsfolgen für einen Verstoß gegen § 59e BRAO vorsieht.54 Allerdings lässt sich hierzu anmerken, dass auch § 55 StBerG die Rücknahme oder den Widerruf der Anerkennung einer Steuerberatungsgesellschaft vorsieht. Aus diesem Grund überzeugt eine
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48 Krolop ZRP 2008, 40, 43; ders Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung für ein Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung – BT-Drs 16/10730 – S 7 abrufbar über das Internet: http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileto load=4432&id=1134; siehe auch Grabitz/Hilf/Nettesheim/Ress/Ukrow, Recht der Europäischen Union, 56. Ergänzungslieferung 2015 Art 63 Rdn 153, 280. 49 Krolop ZRP 2008, 40, 43; ders Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung für ein Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverordnung – BT-Drs 16/10730 – S 9 ff abrufbar über das Internet: http://webarchiv.bundestag.de/cgi/show.php?fileto load=4432&id=1134. 50 Wie hier KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 6; Baumbach/Hueck-GmbHG/Fastrich36 § 1 Rdn 29; Spindler/Stilz/Drescher3 § 2 Rdn 8; Bartl BB 1977, 571, 573; Miller DB 1983, 977, 978; aA überwiegend die Rspr, zB OLG Celle 1.10.1976 – 9 Wx 5/76, MDR 1997, 758; LG Ulm BB 1975, Beil Nr 12 zu Heft 29, S 23 Nr 19; LG Hannover 7.1.1976 – 24 T 5/75, GmbHR 1976, 111; LG Köln 16.3.1981 – 87 T 14/81, GmbHR 1983, 48; LG Krefeld 30.6.1982 – 7 T 1/82, GmbHR 1983, 48. Lutter/Hommelhoff-GmbHG/Bayer18 § 2 Rdn 4 wollen Umgehungsabsicht und damit einen Fall des § 138 BGB annehmen, wenn die Gründer in ihrer Mehrheit Ausländer sind, die mit der Gründung gegen ein inländisches Tätigkeitsverbot verstoßen; ähnlich Ulmer/Habersack/Löbbe- GmbHG/Ulmer/Löbbe2 § 1 Rdn 43 f; auch Scholz-GmbHG/Emmerich11 § 2 Rdn 41a. 51 Vgl Kuhls-StBerG/Willerscheid3 § 50a Rdn 10. 52 OLG Düsseldorf 22.12.2011 − 6 U 155/11, AnwBl 2013, 70; aA wohl Henssler/Prütting-BRAO/Henssler4 § 59e Rdn 12; Kleine-Cosack BRAO7 § 59e Rdn 5; Feuerich/Weyland-BRAO/Brüggemann8 § 59e Rdn 2. 53 OLG Düsseldorf 22.12.2011 − 6 U 155/11, NJOZ 2012, 1359, 1363. 54 OLG Düsseldorf 22.12.2011 − 6 U 155/11, NJOZ 2012, 1359, 1363.
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Ungleichbehandlung einer Steuerberatungsgesellschaft und einer Rechtsanwaltsgesellschaft nicht. 3. Juristische Personen. Problemlos ist die Gründerfähigkeit juristischer Personen 23 (zB AG, GmbH, KGaA, eG, VVaG). Ob diese ihrerseits gewerbliche oder sonstige Zwecke verfolgen, spielt keine Rolle. Auch ein eV, eine gGmbH oder eine Stiftung können Gründer einer AG sein.55 Selbiges gilt für juristische Personen des öffentlichen Rechts (Stiftung, Anstalt, Körperschaft).56 Diese müssen allerdings innerhalb ihres zugewiesenen Aufgabenbereichs handeln (ultra-vires-Doktrin).57 Zwar gilt im Privatrecht und im Gesellschaftsrecht die ultra-vires-Doktrin als überwunden, hingegen ist diese im öffentlichen Recht weiterhin anwendbar.58 Der Gründungsfähigkeit steht die Auflösung ebenso wenig im Wege wie die Auflösungsreife (zB durch Überschuldung), sofern nur die Fortsetzung beschlossen werden könnte (vgl § 3 Abs 3 UmwG).59 Denn auch die aufgelöste oder auflösungsreife AG behält ihre Rechtsfähigkeit in vollem Umfang.60 Die Gründung einer AG durch eine insolvente AG kann sich für Zwecke der Sanierung – etwa im Rahmen eines Planverfahrens (vgl § 225a Abs 3 InsO) – durchaus als sinnvoll erweisen, wenn etwa überlebensfähige Teile auf einen eigenen Rechtsträger ausgegliedert werden sollen. Gründungsfähig sind auch Vorgesellschaften, weil diese heute als rechtsfähig anerkannt sind.61 Dies gilt auch dann, wenn sie nur ein Mitglied haben.62 Gründungsfähigkeit ist schließlich ausländischen Rechtspersonen zu zuerkennen, sofern ihr Personalstatut ihnen die Gründerfähigkeit zuerkennt und ihre Rechtsfähigkeit im Inland anerkannt ist, was sich für das EU-Ausland aus dem AEUV, im Übrigen aus völkerrechtlichen Vereinbarungen ergibt.63 Von der Gründungsfähigkeit streng zu unterscheiden ist die Frage der Vertre- 24 tungsmacht. Ob eine gründungswillige juristische Person eine wirksame Willenserklärung zur Feststellung der Satzung abgegeben hat, richtet sich danach, ob sie wirksam vertreten wurde. Deutsche juristische Personen werden dabei grundsätzlich von ihren Organen (Vorstand, Geschäftsführer) vertreten, die dafür im Außenverhältnis keiner Zustimmung weiterer Organe bedürfen.64 Sie können auch andere Personen mit der Abgabe dieser Willenserklärung bevollmächtigen. Bei ausländischen juristischen Personen kommt es auf deren Vertretungsregeln an, die sich für die organschaftliche Vertretung nach dem Gesellschaftstatut, im Übrigen nach dem Vollmachtsstatut und damit regelmäßig nach dem Recht des Wirkungsorts bestimmen.65 4. Personengesellschaften und nicht rechtsfähiger Verein. Personengesellschaf- 25 ten können Gründer einer AG sein, soweit sie rechtsfähig sind. Gründungsfähigkeit
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55 Einschränkend noch 4. Aufl Brändel § 2 Rdn 23: Verein nur im Rahmen des sog Nebenzweckprivilegs (unter Hinweis auf BGH 29.9.1982 – I ZR 88/80, BGHZ 85, 84, 88 = NJW 1983, 569 (ADAC): Dort war aber nur über die Wettbewerbswidrigkeit wirtschaftlicher Beteiligungen entschieden worden). 56 Statt aller Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 8; MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 14. 57 MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 14; KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 8. 58 Zur Ultra-vires-Doktrin im Gesellschaftsrecht K. Schmidt GesR § 8 V 2; zur Ultra-Vires-Doktrin im öffentlichen Recht Ehlers/Ehlers Allgemeines Verwaltungsrecht14 § 1 Rdn 33; Ehlers/Gurlit Allgemeines Verwaltungsrecht14 § 31 Rdn 5. 59 Ähnlich MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 15. 60 Unstr, MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 15. 61 Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 10; MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 18; KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 9. 62 Zutr Hölters/Solveen2 § 2 Rdn 19. 63 Siehe auch Spindler/Stilz/Drescher3 § 2 Rdn 9. 64 Anders bei der Gründung durch Umwandlung, für die ein Beschluss der Anteilseigner erforderlich ist. 65 Vgl Schotten/Schmellenkamp2, IPR § 5 Rdn 76 ff; MünchKomm-BGB/Kindler6, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht Rdn 582 ff; MHdB GesR VI/Servatius4 § 13 Rdn 16 ff.
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kommt damit OHG (§ 124 HGB), KG (§§ 161 Abs 2, 124 HGB) und Partnerschaft (§ 7 Abs 2 PartGG iVm § 124 HGB) zu. Entsprechendes gilt für ihre ausländischen Pendants, soweit sie hierzulande als rechtsfähig anerkannt sind. Da die Außengesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) heute ebenfalls als rechtsfähig gilt,66 kann auch sie sich an der Gründung einer AG beteiligen.67 In der Urkunde müssen dann aber die Namen aller Gesellschafter angegeben werden. Prinzipiell gründungsfähig ist schließlich die EWIV (vgl Art 1 Abs 2 EWIV-VO), doch ist ihre Beteiligungsfähigkeit gesetzlich eingeschränkt (s Art 3 EWIVVO). Die Gesellschafter einer Personengesellschaft haften für die Erbringung der von dieser übernommenen Einlage gemäß den einschlägigen Regeln, Gesellschafter einer OHG und GbR also unbeschränkt persönlich gem § 128 HGB (analog). Diese Haftung ist nicht beschränkbar.68 Mangels Rechtsfähigkeit nicht gründungsfähig sind Innengesellschaften. Hierzu 26 rechnet vor allem die stille Gesellschaft (§ 230 HGB), auch in ihrer Form als GmbH & Still; ferner und ganz allgemein die als solche nicht nach außen tretende BGB-Gesellschaft, zB in Gestalt der sog Ehegatten-Innengesellschaft. 27 Der sog nicht rechtsfähige Verein (§ 54 BGB) wird heute überwiegend und zu Recht als rechtsfähig angesehen.69 Die fehlende Eintragung steht dem nicht im Wege, da die eintragungsfreie GbR ebenfalls als prinzipiell rechtsfähig anerkannt ist. Folgerichtig spricht man dem nicht rechtsfähigen Verein heute allgemein die Fähigkeit zur Gründung juristischer Personen einschließlich einer AG zu.70 Die grundsätzlich auf das Vereinsvermögen beschränkte Haftung stellt kein Hindernis dar, da auch bei natürlichen Personen keine besondere Bonität verlangt wird (Rdn 17). Allerdings wird auf den nicht rechtsfähigen Verein als Aktionär § 69 angewandt.71 5. Gemeinschaften 28
a) Bruchteilsgemeinschaft. Die schlichte Rechtsgemeinschaft (Bruchteilsgemeinschaft, §§ 742 ff BGB) ist kein rechtsfähiges Gebilde und kann daher kein Gründer einer AG sein. Allerdings können sich mehrere Personen in der Weise an der Gründung einer AG beteiligen, dass sie gemeinsam eine Aktie in Bruchteilsgemeinschaft übernehmen (vgl § 69). Jeder Mitinhaber ist dann Gründer im Sinne von § 28. Dass das Teilungsverbot des § 8 Abs 3 dem nicht entgegensteht, zeigt § 69 AktG, der die gemeinschaftliche Inhaberschaft einer Aktie regelt und damit implizit voraussetzt. Aus der Möglichkeit der Mitberechtigung im Sinne von § 69 ergibt sich freilich nicht, dass eine Rechtsgemeinschaft als solche Gründerin sein könnte.
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b) Erbengemeinschaft. Die Erbengemeinschaft ist wie die Außen-BGB-Gesellschaft eine Gesamthandsgemeinschaft, im Unterschied zu dieser jedoch nach hM nicht rechts-
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66 BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056. 67 AllgA, s nur Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 10; MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 17; KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 10, Zuvor schon BGH 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 99 = NJW 1992, 2222, 2226; BGH 13.6.1994 – II ZR 38/93, BGHZ 126, 226, 234 = NJW 1994, 2536; BGH 3.11.1980 – II ZB 1/79, BGHZ 78, 311, 313 ff = NJW 1981, 682 (zur GmbH); BGH,4.11.1991 – II ZB 10/91, BGHZ 116, 86, 87 ff = NJW 1992, 499 (zur Genossenschaft). 68 MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 18 aE. Zum alten GbR-Recht auch BGH 3.11.1980 – II ZB 1/79, BGHZ 78, 311, 316 = NJW 1981, 682, 683; BGH 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 89 ff = NJW 1992, 2222, 2226. 69 Vgl nur MünchKomm-BGB/Arnold7 § 54 Rdn 17 ff; Bamberger/Roth-BGB/Schöpflin39 § 54 Rdn 19; K. Schmidt GesR4 § 8 IV 5. 70 So zB Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 10; MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 18; KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 10; Wachter/Franz2 § 2 Rdn 28. 71 Vgl nur MünchKomm/Bayer3 § 69 Rdn 9.
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fähig, da auf Auseinandersetzung angelegt und damit eher der Bruchteilsgemeinschaft als der GbR nahestehend.72 Folglich kann sie auch nicht gründungsfähig sein.73 Die im Schrifttum für die gegenteilige Auffassung vorgetragenen Argumente überzeugen nicht. Zwar ist es richtig, dass der Erblasser, wäre er noch am Leben, ohne weiteres eine AG gründen könnte. Daraus folgt aber nicht, dass dies auch die Erbengemeinschaft kann.74 Ferner wird vorgebracht, dass die Miterben eine vom Erblasser begonnene Gründung fortsetzen können, weshalb sie diese auch beginnen dürfen.75 Hat der Erblasser schon die Errichtungserklärung abgegeben, ist er selber Gründer und Mitglied der Vor-AG und kann diese Position im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf seine Erben übertragen. Hieraus folgt nicht, dass die Erbengemeinschaft das tun kann, was der Erblasser hätte tun können, aber nicht getan hat. Die beschränkte Erbenhaftung mag kein Grund gegen die Gründungsfähigkeit sein;76 sie ist aber auch kein Argument dafür. Dass die Miterben eine (vorhandene) Aktie gemeinschaftlich halten können (vgl § 69) bedeutet nicht, dass sie eine solche durch Gründung einer AG auch schaffen können. Schließlich spricht die gegenüber der schlichten Rechtsgemeinschaft stärker verselbständigte Organisation der Erbengemeinschaft nicht für die Gründungsfähigkeit, weil diese eben nicht so weit geht, dass daraus die Rechtsfähigkeit der Erbengemeinschaft folgte. Wer die Gründungsfähigkeit der Erbengemeinschaft will, muss konsequent sein und auch ihre Rechtsfähigkeit bejahen.77 Wollen die Miterben ein zum Nachlass gehöriges Unternehmen in der Rechtsform 30 der AG fortführen, müssen und können sie diese selbst gründen und das Unternehmen dann im Wege der Auseinandersetzung als Sacheinlage oder durch Sachübernahme einbringen.78 Eine Umwandlung der Erbengemeinschaft in eine AG ist dagegen ausgeschlossen, weil die Erbengemeinschaft kein umwandlungsfähiger Rechtsträger ist, vgl §§ 3, 124, 191 UmwG. Die Möglichkeit der Ausgliederung einer Erbengemeinschaft nach § 152 UmwG ist umstritten.79 c) Gütergemeinschaft (Ehegatten, Lebenspartner). Das zur Erbengemeinschaft 31 Gesagte gilt auch und erst recht für die eheliche Gütergemeinschaft (§ 1415 BGB). Auch diese ist zwar Gesamthand (§ 1419 BGB), aber nicht rechtsfähig und kann daher keine Gründerin einer AG sein.80 Das konzedieren übrigens zT auch diejenigen, die der Erbengemeinschaft Gründerfähigkeit attestieren.81 Dem steht nicht entgegen, dass die Ehegatten schon vorhandene Aktien selbstverständlich zum Bestandteil ihres Gesamtguts (§ 1416 BGB) machen können und dann gemeinschaftlich Berechtigte im Sinne von § 69
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72 HM, vgl nur BGH 17.10.2006 – VIII ZB 94/05, NJW 2006, 3715; aA Grunewald AcP 197 (1997), 305, 315. 73 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 11, aA 4. Aufl Brändel § 2 Rdn 29 und die heute hM s Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 11; MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 19; Hölters/Solveen2 § 2 Rdn 20; Wachter/Franz2 § 2 Rdn 13; Spindler/ Stilz/Drescher3 § 2 Rdn 12. 74 AA Spindler/Stilz/Drescher3 § 2 Rdn 12; MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 19; Schmidt/Lutter/Lutter3 § 2 Rdn 7. 75 Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 11; MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 19. 76 So MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 19. 77 Folgerichtig Grunewald AcP 197 (1997), 305, 310 ff. 78 Vgl BGH 21.4.1975 – II ZR 156/72, WM 1975, 1110; Palandt/Weidlich75 § 2032 Rdn 1 aE. 79 Bejahend NK-UmwG/Böttcher1 § 152 Rdn 8; Maulbetsch/Klumpp/Rose-UmwG/Klumpp1 § 152 Rdn 4; Lutter-UmwG/Karollus5 § 152 Rdn 14; KK-UmwG/Simon1 § 152 Rdn 16; dagegen Schmitt/Hörtnagel/StratzUmwG/Hörtnagel6 § 152 Rdn 4; Widmann/Mayer-UmwG/Mayer15 § 152 Rdn 33. 80 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 12; Spindler/Stilz/Drescher3 § 2 Rdn 13; Haegele GmbHR 1968, 95, 98 aA 4. Aufl Brändel § 2 Rdn 33 und die heute hM, s Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 11; Spindler/Stilz/Drescher3 § 2 Rdn 13; Schmidt/Lutter/Lutter3 § 2 Rdn 8; Hölters/Solveen2 § 2 Rdn 21; Wachter/Franz2 § 2 Rdn 16. 81 So MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 21.
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sind. Dass die sog Zugewinngemeinschaft (= gesetzlicher Güterstand, § 1363 BGB) nicht Gründerin sein kann,82 versteht sich von selbst, da hier noch nicht einmal eine Gesamthand vorliegt. 32
d) Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist gem § 10 Abs 6 WEG teilrechtsfähig. Die Rechtsfähigkeit beschränkt sich nach dem Gesetz auf den „Rahmen der gesamten Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums gegenüber Dritten“. Ob dazu auch die Gründung einer Aktiengesellschaft gehört, ist zweifelhaft und wohl eher zu verneinen.83 Dabei ist zu bedenken, dass die zunächst durch die Rspr und sodann durch den Gesetzgeber vollzogene Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft auf Zweckmäßigkeitsgründen beruhte und die Vereinfachung der Verwaltung zum Ziel hatte.84 Nicht hingegen sollte die Gemeinschaft der Eigentümer zum eigenständigen Wirtschaftssubjekt erhoben werden.
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e) Ausländische Personengemeinschaften. Ausländische Personengemeinschaften und sonstige Gemeinschaften, die nach ihrem (ausländischen) Personalstatut rechtsfähig sind, können ohne weiteres eine deutsche AG gründen. Sind sie nicht rechtsfähig, können sie sich unter den gleichen Voraussetzungen, wie sie für inländische Personengemeinschaften gelten, an der Gründung einer deutschen AG beteiligen, sofern weder ihr Zweck oder Gegenstand noch ihre Organisationsform gegen den inländischen ordre public verstößt und damit ihre Anerkennung als Personengemeinschaft ausschließt. 6. Stellvertreter und Treuhänder
a) Stellvertreter. Die Gründung durch Stellvertreter ist zulässig. Dies ergibt sich mittelbar aus § 23 Abs 1 Satz 2, der für die Gründung durch einen Bevollmächtigten eine notariell beglaubigte Vollmacht vorschreibt. Zu Einzelheiten s Schall/Röhricht § 23 Rdn 58 ff. Gründer wird dann nicht der Stellvertreter, sondern der Vertretene (vgl § 164 Abs 1 BGB). Will jemand als Gründer für einen anderen handeln, ohne dass dies aus der notariellen Urkunde hervorgeht, ist ein Mangel seines Willens, als Gründer zu fungieren, unbeachtlich (§ 164 Abs 2 BGB). Das gilt auch dann, wenn sämtliche Mitgründer den fehlenden Willen, im eigenen Namen zu handeln, kennen. Zur gesetzlichen Vertretung von beschränkt geschäftsfähigen Gründern s Rdn 19. Bei Selbstkontrahieren können sich mehrere Gründer nur unter den Voraussetzun35 gen des § 181 BGB durch einen einzigen Bevollmächtigten vertreten lassen. Dasselbe gilt, wenn ein Bevollmächtigter sowohl im eigenen Namen als auch im fremden Namen als Gründer auftritt. Die ungeschriebene Ausnahme von § 181 BGB für sogenannte Sozialakte ist auf Gründungshandlungen nicht anwendbar.85 Kein Fall des § 181 BGB liegt vor, wenn der gemeinsame Vertreter einer als Gründer auftretenden Rechtsgemeinschaft in deren Namen Aktien übernimmt (§ 69). Allerdings sind schlichte Rechtsgemeinschaften nach hier vertretener Ansicht prinzipiell nicht gründungsfähig (Rdn 28).
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82 Unstr, s nur MünchKomm/Heider3 § 2 Rdn 20; KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 12. 83 Vgl zum Rahmen der gesamten Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums Bärmann/Pick-WEG/ Bärmann/Pick19 § 10 Rdn 38 NK-WEG/Heyn2 § 10 Rdn 10; Bär-WEG/Klein13 § 10 Rdn 207; Bamberger/RothBGB/Hügel39 § 10 WEG Rdn 10 ff. 84 Vgl BT-Drs 16/887 S 56; BGH 2.6.2005 – V ZB 32/05, BGHZ 163, 154 = NJW 2005, 2061. 85 Zur Ausnahme von § 181 BGB bei Sozialakten BGH 22.9.1969 – II ZR 144/68, BGHZ 52, 316, 318 = NJW 1970, 33; BGH 18.9.1975 – II ZB 6/74, BGHZ 65, 93, 97 ff = NJW 1976, 49, 50.
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Gründerzahl | § 2
b) Treuhänder (mittelbare Stellvertretung). Von der offenen Stellvertretung ist 36 der Fall zu unterscheiden, dass eine Person nach außen im eigenen Namen auftritt, wirtschaftlich aber für Rechnung eines anderen handelt (mittelbare Stellvertretung). Dies ist zulässig, wie sich indirekt aus §§ 32 Abs 3, 33 Abs 2 Ziff 2 und Abs 5 Satz 2 ergibt. Gründer im Sinne von § 28 AktG und Aktionär wird dann derjenige, in dessen Namen die Willenserklärung abgegeben wurde, also der Treuhänder.86 Das Innenverhältnis zwischen dem Gründer (Treuhänder) und demjenigen, für den er wirtschaftlich handelt (Treugeber), bestimmt sich nach den jeweiligen vertraglichen Abreden und trägt in der Regel geschäftsbesorgenden Charakter. Zu beachten ist die „Hintermann“-Haftung des Treugebers für fehlerhafte Angaben, Gründungsschäden und Einlagenausfall gem § 46 Abs 5. Eine Beteiligung am Gründungsvorgang in Gestalt eines Vertrages zugunsten Dritter ist dagegen nicht möglich, da der Gründungsvertrag nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten (insbesondere die Einlagepflicht) entstehen lässt. Diese würden den Vertragschließenden, nicht jedoch den Dritten treffen, was zu einer unzulässigen Aufspaltung der mit der Mitgliedschaft verbundenen Rechte und Pflichten führte. c) Testamentsvollstreckung. Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung (§ 2197 37 BGB) hat auf die Gründerfähigkeit des Alleinerben oder der Miterbengemeinschaft keinen Einfluss, wenn der Erbfall zwischen Errichtung und Eintragung der AG eintritt. Gründer und Aktionär ist dann der Erbe bzw die Erbengemeinschaft (Rdn 20 und Rdn 29). Die bereits begründete Einlageverpflichtung ist Nachlassverbindlichkeit. Der Testamentsvollstrecker ist verpflichtet, sie aus dem Nachlassvermögen zu erfüllen. Wird die Haftung des Erben (der Erbengemeinschaft) nicht auf den Nachlass beschränkt, haftet der Erbe auch persönlich. Die vom Erblasser übernommenen Aktien gehören zum Nachlass. Sie werden – sofern der Erblasser nicht etwas anderes angeordnet hat – vom Testamentsvollstrecker verwaltet (§ 2209 BGB). Dabei hat der Testamentsvollstrecker die letztwilligen Verfügungen des Erblassers bezüglich der übernommenen Anteile zur Ausführung zu bringen (§ 2203 BGB). Der Testamentsvollstrecker übt die aus den Aktien folgenden Mitgliedschaftsrechte, insbesondere das Stimmrecht, aus.87 Geht man entgegen der hier vertretenen Ansicht und mit der hL von der Gründungs- 38 fähigkeit der Erbengemeinschaft aus, kann der Testamentsvollstrecker für den Nachlass den Gründungsvertrag abschließen, insbesondere wenn er damit einer Auflage des Erblassers entspricht (§ 2203 BGB). In diesem Fall kann der Testamentsvollstrecker auch die Einlageverpflichtung zu Lasten des Nachlasses begründen (§§ 2206, 2207 BGB). Anderenfalls bedarf er dafür der Zustimmung der Erben. Dies gilt auch dann, wenn die Erben persönlich ohne Beschränkung auf den Nachlass verpflichtet werden sollen. Ist der Testamentsvollstrecker als Treuhänder des Nachlasses Mitgründer der AG, gelten die Grundsätze der Treuhand (Rdn 36) ohne erbrechtliche Besonderheiten. IV. Feststellung der Satzung und Übernahme der Aktien 1. Ablauf der Gründung (Überblick). § 2 regelt den Gründungsvorgang nicht, son- 39 dern fasst ihn lediglich beschreibend zusammen (Rdn 2). Dieser gestaltet sich im Überblick wie folgt: Nachdem die Gründungswilligen informell die wirtschaftlichen und rechtlichen De- 40 tails der Gründung geklärt und sich im Regelfall entsprechend haben beraten lassen,
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86 Vgl BGH 9.10.1956 – II ZB 11/56, BGHZ 21, 378, 382 = NJW 1957, 19, 20; BGH 3.11.1976 – I ZR 156/74, WM 1977, 73, 75; BGH 19.9.1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168, 189 = NJW 1988, 3143, 3145. 87 BGH 11.4.1957 – II ZR 182/55, BGHZ 24, 106 = NJW 1957, 1026.
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§ 2 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
suchen sie oder ihre Vertreter (§ 23 Abs 1 Satz 2) einen Notar auf. Dort geben sie rechtsgeschäftliche Erklärungen ab, mit denen die – in aller Regel vorher ausformulierte, die Mindestvorgaben gem § 23 Abs 3 enthaltende – Satzung „festgestellt“ wird. Die „Feststellung“ ist Rechtsgeschäft und als solche Geltungserklärung.88 Sie wird vom Notar beurkundet (§ 23 Abs 1). Durch die Feststellung der Satzung werden die Gründenden zu „Gründern“ im Rechtssinn (§ 28). 41 Gleichzeitig „übernehmen“ die Gründer alle Aktien, was ebenfalls der notariellen Beurkundung – nach hM in derselben Urkunde89 – bedarf (§ 23 Abs 2 Nr 2).90 Entgegen einer früher vertretenen Ansicht müssen sich alle Gründer an der Übernahme der Aktien beteiligen (Rdn 15). Mit der Übernahme der Aktien ist die Gesellschaft „errichtet“ (§ 29), erlangt also den Status einer Vorgesellschaft und damit (partielle) Rechtsfähigkeit (Schall/Röhricht § 29 Rdn 3; näher zum Recht der Vor-AG bei § 41). Die Übernahmeerklärung verpflichtet die Gründer, auf die übernommenen Einlagen den betreffenden Betrag zu leisten. Zur Rechtsnatur und den Einzelheiten der Übernahme Schall/Röhricht § 23 Rdn 93 ff. 42 Wann, wie und in welcher Höhe die Einlagen zu leisten sind, sagt § 2 nicht, sondern ist in anderen Normen geregelt. § 9 ordnet dazu an, dass die Aktien nicht unterhalb ihres Nennbetrags ausgegeben werden dürfen (Verbot der Unterpari-Emission). Nach §§ 36 Abs 2 darf die Gesellschaft erst angemeldet werden, wenn der vom Vorstand (§ 63 Abs 1) eingeforderte Einlagebetrag geleistet worden ist. Dieser muss mindestens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags umfassen (§ 36a Abs 1). §§ 27, 36a regeln den Fall, dass die versprochene Einlage nicht in Geld besteht (Sacheinlage). Einzelheiten der Einlagepflicht und die Folgen ihrer Versäumnis sind in § 54 ff, 63 ff normiert und werden dort kommentiert. 43 Ist die Gründung mangelhaft, etwa weil einem Gründer bei der Feststellung der Satzung oder der Übernahme der Aktien die Geschäftsfähigkeit fehlte, ist die Gesellschaft nicht ordnungsgemäß errichtet und wird, falls der Mangel erkannt wird, nicht eingetragen (§ 38 Abs 1). In diesem Fall kann eine fehlerhafte Vor-AG gegeben sein. Nach der Eintragung gelten §§ 275 ff. Mängel der rechtsgeschäftlichen Errichtung der AG bleiben danach unbeachtlich. Zu Einzelheiten der mangelhaften Gründungen Schall/Röhricht § 23 Rdn 263 ff. 2. Satzung und Gesellschaftsvertrag 44
a) Terminologie. § 2 behandelt die Begriffe „Gesellschaftsvertrag“ und „Satzung“ synonym. Das ist insofern etwas missverständlich, als eine AG auch von nur einer Person gegründet werden, diese aber keinen Vertrag im Sinne des BGB schließen kann (Rdn 24 f.).91 Während das Gesetz im Übrigen nur von der „Satzung“ spricht, ist im GmbHG, sieht man von einigen Paragrafenüberschriften ab, allein vom „Gesellschaftsvertrag“ die Rede. Darin kommt die personalistischere Struktur der GmbH zum Ausdruck, die – wiewohl juristische Person und Kapitalgesellschaft – im Inneren der OHG verwandt ist. Dagegen ist die AG reine Körperschaft und entspricht insofern dem Verein, dessen Grundlage ebenfalls die „Satzung“, verstanden als körperschaftliche „Verfassung“ (§ 25 BGB), bildet (dazu schon oben § 1 Rdn 24 f.).
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88 KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 15; Bachmann Private Ordnung S 229. 89 Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 12; aA Schmidt/Lutter/Lutter3 § 2 Rdn 13. 90 Gemeint ist die Übernahme der Anteile, nicht der Aktienurkunden, da solche vor der Eintragung nicht ausgegeben werden können, s § 41 Abs 4. 91 Vgl Hüffer/Koch11 § 2 Rdn 1; Wachter/Franz2 § 2 Rdn 2: „irreführend“.
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Formkaufmann; Börsennotierung | § 3
b) Rechtsnatur der Satzung. Die Rechtsnatur der Satzung ist seit jeher umstritten 45 (näher Schall/Röhricht § 23 Rdn 6 ff).92 Während manche sie lediglich als Sonderform des (Gesellschafts-)Vertrags ansehen („Vertragstheorie“), begreifen andere sie als Rechtsnorm („Normtheorie“).93 Die Rechtsprechung folgt einer vermittelnden Linie, wonach die Satzung „zwar zunächst ein von den Gründern geschlossener Vertrag“ sei, sich aber mit der Entstehung der Körperschaft von deren Person löse und ein „rechtliches Eigenleben“ entwickle, indem sie zur körperschaftlichen Verfassung werde, die fortan das rechtliche Wollen der Körperschaft als der Zusammenfassung ihrer Mitglieder objektiviere.94 Praktisch ist der Streit von geringer Bedeutung, weil sich im Ergebnis keine wirklichen Unterschiede ergeben.95 In der Sache geht es vor allem um die Bedeutung von Willensmängeln bei der Gründung und um die Auslegung der Satzung. Die Antwort auf diese Fragen sollte man nicht von der „Rechtsnatur“ der Satzung abhängig machen, sondern nach sachlichen Kriterien entscheiden. Das sehen auch die Vertreter der sog. Vertragstheorie, die in beiden Fragen zu vom BGB abweichenden Lösungen gelangen, also die unbeschränkte Geltendmachung von Willensmängeln oder die subjektive Auslegung nicht zulassen. § 3 Formkaufmann; Börsennotierung Bachmann
§3 Formkaufmann; Börsennotierung (1) Die Aktiengesellschaft gilt als Handelsgesellschaft, auch wenn der Gegenstand des Unternehmens nicht im Betrieb eines Handelsgewerbes besteht. (2) Börsennotiert im Sinne dieses Gesetzes sind Gesellschaften, deren Aktien zu einem Markt zugelassen sind, der von staatlich anerkannten Stellen geregelt und überwacht wird, regelmäßig stattfindet und für das Publikum mittelbar oder unmittelbar zugänglich ist. Schrifttum Albach/Corte/Friedewald/Lutter/Richter Deregulierung des Aktienrechts. Das Dreistufen-Modell – ein Entwurf zur Modifizierung des Aktienrechts, 1988; Bayer Empfehlen sich besondere Regelungen für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften? Gutachten E für den 67. Deutschen Juristentag Erfurt 2008; Claussen Aktienrechtsreform 1997, AG 1996, 481; Drygala/Staake Delisting als Strukturmaßnahm, ZIP 2013, 905; Francioni Empfehlen sich besondere Regelungen für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften? Referat für den 67. Deutschen Juristentag, N 13; Krieger Empfehlen sich besondere Regelungen für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften? Referat für den 67. Deutschen Juristentag, N 21; Mülbert Empfehlen sich besondere Regelungen für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften? Referat für den 67. Deutschen Juristentag, N 51; Nodoushani Weniger Satzungsstrenge für geschlossene Gesellschaften? NZG 2008, 452; Spindler Deregulierung des Aktienrechts? AG 1998, 53; ders Regeln für börsennotierte vs. Regeln für geschlossene Gesellschaften, AG 2008, 598; Wiesner Zur Deregulierung des Aktienrechts, WM 1988, 1841; Windbichler Empfehlen sich besondere Regeln für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften? JZ 2008, 840; Wymeersch Empfehlen sich besondere Regelungen für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften? Referat für den 67. Deutschen Juristentag, N 79.
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92 Näher Bachmann Private Ordnung, S 109 ff, ausführlich auch noch 4. Aufl Brändel § 2 Rdn 48 ff. 93 Vgl mwN MünchKomm-BGB/Reuter7 § 25 Rdn 17 ff. 94 BGH 4.10.1956 – II ZR 121/55, BGHZ 21, 370, 373 ff = NJW 1956, 1793; BGH 6.3.1967 – II ZR 231/64, BGHZ 47, 172, 179 ff = NJW 1967, 1268, 1271; dem folgend KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 16. 95 Bachmann Private Ordnung, S 110 ff.
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§ 3 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
I.
II.
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Die Aktiengesellschaft als Handelsgesellschaft (Absatz 1) | 1 a) Fiktion der Kaufmannseigenschaft | 1 b) Keine Geltung der Fiktion im öffentlichen Recht | 4 c) Zweck der Fiktion | 6 d) Freiheit bei der Wahl des Unternehmensgegenstandes | 7 2. Die börsennotierte Aktiengesellschaft (Absatz 2) | 9 a) Normaussage | 9 b) Sachliche Bedeutung und rechtspolitische Bewertung der Unterscheidung | 11 3. Historische Entwicklung | 15 4. Parallelnormen | 17 5. Europarecht und Rechtsvergleichung | 18 Auslegung und Anwendung von Absatz 1 | 19 1. Anwendungsbereich | 19 2. Fiktion der Kaufmannseigenschaft | 22 3. Gesetzliche Anknüpfung an die Kaufmannseigenschaft | 25 a) Im Handelsrecht | 25
b)
III.
Außerhalb des Handelsrechts | 28 Die börsennotierte AG (Absatz 2) | 29 1. Anwendungsbereich | 29 2. Definition | 30 a) Definition der „Börsennotierung“ | 30 b) Konkret erfasste Märkte | 34 c) Verwandte Definition im Bankaufsichtsrecht | 35 d) Verwandte Definition im Kapitalmarktrecht | 36 2. Rechtstatsachen | 41 3. Bedeutung der Börsennotierung | 42 a) Verschärfung des aktienrechtlichen Regimes | 42 b) Erleichterungen für nichtbörsennotierte Aktiengesellschaften | 46 c) Sonderregeln im Kapitalmarktrecht | 47 4. Börsengang und Börsenrückzug | 48 a) Börsengang | 48 b) Börsenrückzug („Delisting“) | 50
I. Grundlagen 1. Die Aktiengesellschaft als Handelsgesellschaft (Absatz 1) a) Fiktion der Kaufmannseigenschaft. Absatz 1 fingiert den Charakter der AG als Handelsgesellschaft und damit ihre Kaufmannseigenschaft (vgl § 6 Abs 1 HGB). Es handelt sich um eine gesetzliche Regelung im Sinne von § 6 Abs 2 HGB. Die AG ist danach sog Formkaufmann, also „ein Verein [lies: eine Körperschaft], dem das Gesetz ohne Rücksicht auf den Gegenstand des Unternehmens die Eigenschaft eines Kaufmanns beilegt“. Auf die AG finden damit ungeachtet ihres Gegenstandes alle Rechtsnormen Anwendung, die für Kaufleute und Handelsgesellschaften gegeben sind, soweit nicht das AktG selbst Spezialregelungen (etwa zur Firma oder zur Registerpflicht) enthält (näher Rdn 25 ff). Nicht fingiert wird die Unternehmereigenschaft im Sinne des Verbraucherrechts. 2 Nach der Legaldefinition des § 14 Abs 1 BGB ist diese gegeben, wenn die AG „bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt“. Die Frage, ob die AG immer auch Unternehmer im Sinne des § 14 Abs 1 BGB ist, wird von der herrschenden Meinung gleichwohl – meist ohne nähere Begründung – bejaht.1 Dies kann allerdings nicht aus § 3 Abs 1 gefolgert werden, weil dieser (ähnlich wie § 13 Abs 3 GmbHG für die GmbH) nicht das Vorliegen eines Gewerbes 1
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1 Spindler/Stilz/Drescher3 § 3 Rdn 4; für die GmbH: Roth/Altmeppen-GmbHG/Altmeppen8 § 13 Rdn 12; MünchKomm-GmbHG/Merkt2 § 13 Rdn 82; Baumbach/Hueck-GmbHG/Fastrich20 § 13 Rdn 73.
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Formkaufmann; Börsennotierung | § 3
im Rahmen des § 1 HGB fingiert, sondern den Charakter als Handelsgesellschaft, für den § 6 Abs 1 HGB die Anwendung Kaufmannsvorschriften anordnet. § 14 Abs 1 BGB knüpft hingegen an die Gewerblichkeit des Handelns an. Dass die AG dennoch regelmäßig als Unternehmer einzuordnen ist, hängt damit zusammen, dass die AG einerseits nicht privat handeln kann2 und andererseits in den meisten Fällen tatsächlich ein Gewerbe betreibt oder (in der Freiberufler-AG) wenigstens in Ausübung ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Übrig bleiben lediglich die (aus praktischer Sicht wohl eher unbedeutenden) Fälle, in denen die Gewerblichkeit ausscheidet, weil die AG ausschließlich eigenes Vermögen verwaltet – was insbesondere bei Vorratsgesellschaften der Fall sein kann. Von vornherein ausgeschlossen ist die Verbrauchereigenschaft der AG, weil Verbraucher im Sinne des § 13 BGB nur natürliche Personen sein können. Ebenso wenig fingiert § 3 die Unternehmenseigenschaft im Sinne von § 15 AktG oder 3 nach anderen wirtschaftsrechtlichen Vorschriften, zB des GWB. Schließlich enthält § 3 auch keine Aussage über die Kaufmannseigenschaft von Aktionären und Organmitgliedern. Diese kann sich nur aus §§ 1 ff HGB, nicht hingegen aus der Mitgliedschaft oder Organstellung als solcher ergeben.3 b) Keine Geltung der Fiktion im öffentlichen Recht. Die Fiktion gilt nur für den 4 Bereich des Privatrechts.4 Ob öffentlich-rechtliche Vorschriften – insbesondere solche der Gewerbeordnung – auch auf eine AG, die keinen Gewerbebetrieb unterhält, anwendbar sind, beurteilt sich nach dem Schutzzweck der jeweiligen Norm und lässt sich nicht allgemein beantworten. Der Begriff des „Handelsgewerbes“ bzw „Gewerbebetriebes“ muss jeweils normspezifisch definiert und ausgelegt werden. Denn die verschiedenen Gesetze gebrauchen diesen Begriff durchaus nicht immer mit gleichem Inhalt. Auch aus § 7 HGB ergibt sich, dass die Anwendung der Kaufleute betreffenden Vorschriften des HGB die Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften (insbesondere des Gewerberechts) unberührt lässt. Keine Bedeutung hat die Fiktion auch für das Steuerrecht. Das Gewerbesteuerge- 5 setz arbeitet mit einer eigenen Fiktion. Danach gilt jede Tätigkeit einer Aktiengesellschaft als Gewerbebetrieb (§ 2 Abs 2 Satz 1 GewStG). Für die Körperschaftsteuer einer inländischen AG ist es unerheblich, ob diese ein Gewerbe betreibt (vgl § 1 Abs 1 Nr 1 KStG). Von Gewerbesteuer und Körperschaftssteuer befreit sind jedoch Körperschaften, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§ 3 Nr 6 GewStG, § 5 Abs 1 Ziff 9 KStG, jeweils iVm §§ 51–68 AO). Soweit aber von ihnen ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb (ausgenommen Betriebe der Land- und/ oder Forstwirtschaft) unterhalten wird, ist die Steuerbefreiung ausgeschlossen (§ 3 Nr 6 Satz 2 u 3 GewStG, § 5 Abs 1 Nr 9 Satz 2 u 3 KStG). c) Zweck der Fiktion. Die Fiktion des Absatz 1 dient zunächst der rechtstechni- 6 schen Vereinfachung. Anstatt für jede handelsrechtliche Norm gesondert die Anwendbarkeit (oder Nicht-Anwendbarkeit) auf eine AG mit anderen als kaufmännischen Zwecken anzuordnen, wird umgekehrt jede AG pauschal zur Handelsgesellschaft erklärt. Durch diese Pauschalierung wird zugleich Rechtssicherheit geschaffen, die ihrerseits
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2 Hüffer/Koch11 § 3 Rdn 4; KK/Dauner-Lieb3 § 3 Rdn 8. 3 Unstr, s BGH 23.3.1988 – VIII ZR 175/87, BGHZ 104, 95, 98 = NJW 1988, 1908; BGH 5.6.1996 – VIII ZR 151/95, BGHZ 133, 71, 78 = NJW 1996, 2156, 2158; BGH 26.10.2005 – VIII ZR 48/05, BGHZ 165, 12, 22 = NJW 2006, 996; BGH 24.1.2006 – XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84, 107 = NJW 2006, 830. 4 Unstr, s nur Hüffer/Koch11 § 3 Rdn 4; MünchKomm/Heider3 § 3 Rdn 11.
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§ 3 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
Transaktionskosten spart: In einem etwaigen Rechtsstreit, aber auch bei rechtsgeschäftlichen Verhandlungen kommt es nicht darauf an (und ist folglich auch nicht Beweis darüber zu erheben), ob und ggfs in welchem Umfang eine AG gewerblich tätig ist. Indem die Norm – anders als zT das Steuerrecht (Rdn 5) – keine Ausnahmen für gemeinnützige und andere nicht-gewerbliche Gesellschaften macht, hält sie Beteiligte davon ab, leichtfertig die Rechtsform der AG zu wählen. Mittelbar wird die AG so reserviert für Organisationen, die kaufmännische Pflichten (insbes Buchführung nebst Prüfung und Publizität des Jahresabschlusses) schultern können. Dadurch wird zugleich der gute Ruf der AG gewahrt, mithin Institutionenschutz geleistet. d) Freiheit bei der Wahl des Unternehmensgegenstandes. Mittelbar bringt Absatz 1 zum Ausdruck, dass die AG – ebenso wie die GmbH (vgl § 1 GmbHG) – nicht nur einen kaufmännischen, sondern jeden zulässigen Zweck verfolgen darf.5 Darin besteht ein Unterschied zum Verein, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet sein darf (§ 21 BGB) oder der dafür der staatlichen Genehmigung bedarf (§ 22 BGB). In der Wahl des Unternehmensgegenstandes ist die AG also frei. Dieser kann in der Verfolgung anderer wirtschaftlicher (zB freiberuflicher) sowie nicht-erwerbswirtschaftlicher Ziele bestehen, zB karitativer, politischer, sozialer, sportlicher oder religiöser Art sein. Auch öffentliche Zielsetzungen (zB Daseinsvorsorge) können in den dafür vom öffentlichen Recht vorgezeichneten Grenzen verfolgt werden.6 Der Gegenstand muss lediglich in der Satzung fixiert werden (§ 23 Abs 3 Nr 2). Zur rechtlichen Bedeutung des Unternehmensgegenstands selbst verhält sich § 3 nicht. Siehe hierzu die Erläuterungen bei § 23. Der Gegenstand der AG muss gesetzlich zulässig sein.7 Die Verfolgung eines verbo8 tenen Zwecks (Kartell, Waffenhandel etc) führt zur Nichtigkeit der betreffenden Satzungsklausel (§ 134 BGB). Dies lässt die Existenz der (Vor-)AG unberührt, stellt jedoch einen Grund zur Versagung der Eintragung (§ 38 Abs 4 Nr 1) bzw zur Erhebung der Nichtigkeitsklage (§ 275 Abs 1) und zur Amtslöschung (§ 397 FamFG) dar.8 Standesrechtliche Schranken können die Rechtsformwahl begrenzen, doch ist die Rechtsform der AG heute auch für die meisten – wenn auch nicht für alle9 – freien Berufe standesrechtlich akzeptiert. Dies gilt zB für Steuerberater (§ 49 Abs 1 StBerG) und Wirtschaftsprüfer (§ 28 Abs 1 WPO), aber auch für Rechtsanwälte (vgl § 59c BRAO)10 und, mit gewissen Einschränkungen, für ärztliche Kooperationen (§ 23a Abs 1 MBO).11 Soweit Spezialgesetze die Verfolgung bestimmter Zwecke nur in besonderer Rechtsform zulassen (Rechtsformzwang), ist das für die AG in aller Regel kein Hindernis, weil sie zu den zugelassenen Rechtsformen gehört.12 Verfolgt die AG in Wahrheit einen anderen als den satzungsmäßigen Zweck, löst dies keine Nichtigkeit im Sinne von § 275 aus.13 Zum Sonderproblem der Mantel- oder Vorratsgesellschaft s Schall/Röhricht § 23 Rdn 344 ff. 7
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5 Unstr, s nur MünchKomm/Heider3 § 3 Rdn 4. 6 Unstr, s nur KK/Dauner-Lieb3 § 3 Rdn 18; ausführlicher noch 4. Aufl Brändel § 3 Rdn 22 f. 7 Ausführlicher dazu noch 4. Aufl Brändel § 3 Rdn 36 ff. 8 Näher Spindler/Stilz/Bachmann3 § 275 Rdn 6 ff u 24 ff; K. Schmidt § 275 Rdn 14 ff u 38 ff. 9 Rechtsform der juristischen Person ausschließend: §§ 7, 8 Apothekergesetz. 10 BGH 10.1.2005 – AnwZ (B) 27/03, AnwZ (B) 28/03, BGHZ 161, 376, 382 = NJW 2005, 1568. Näher und mwN KK/Dauner-Lieb3 § 3 Rdn 14. 11 KK/Dauner-Lieb3 § 3 Rdn 16 mwN. 12 Vgl zB § 2 Abs 1 BausparkassenG (nur als AG); § 2b KWG (nicht als Einzelkaufmann); § 7 Abs 1 VAG (nur als AG, SE, VVaG oder KdöR); § 2 Abs 1 UBGG (nur AG, GmbH, KG und KGaA) sowie die dazu spezielleren Regelungen des KAGB (zB §§ 18 Abs 1, 108 Abs 1, 140 Abs 1). 13 Spindler/Stilz/Bachmann3 § 275 Rdn 10 mwN.
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Formkaufmann; Börsennotierung | § 3
2. Die börsennotierte Aktiengesellschaft (Absatz 2) a) Normaussage. Der erst 1998 eingefügte zweite Absatz liefert eine Legaldefini- 9 tion der börsennotierten AG (zur Historie Rdn 16; zur Auslegung Rdn 19 ff). Er füllt damit all jene, über das AktG verstreuten Normen aus, die das Tatbestandsmerkmal „börsennotierte Aktiengesellschaft“ enthalten (Auflistung unten, Rdn 29). Insofern hat die Norm rechtstechnische Bedeutung. Sie grenzt zugleich von anderen, kapitalmarktrechtlichen Definitionen ab (dazu unten, Rdn 36). Hingegen bringt Absatz 2 nicht zum Ausdruck, dass die börsennotierte AG eine eigene Rechtsform sei.14 Dagegen spricht schon, dass sowohl die innere Struktur als auch das äußere Auftreten („Aktiengesellschaft“, vgl § 4) bei börsennotierter und nicht börsennotierter AG identisch sind. Das UmwG sieht denn auch keinen Formwechsel des einen in den anderen Modus vor (vgl § 190 UmwG). Die nicht börsennotierte AG hat im Gesetz keine eigene Definition erfahren, ob- 10 wohl einige Rechtsnormen an sie anknüpfen (unten Rdn 46). Rechtstechnisch ist eine solche auch nicht erforderlich, da die nicht börsennotierte AG schlicht dadurch gekennzeichnet ist, dass eines oder mehrere der Merkmale der börsennotierten AG bei ihr nicht gegeben sind. Auf der Suche nach einer griffigen Kurzbezeichnung verwendet das Schrifttum mitunter die Formulierungen „kleine“ AG, „private“ AG oder „geschlossene“ AG.15 Die letztgenannten Bezeichnungen sind dem angelsächsischen Sprachgebrauch entlehnt. So differenziert das britische Recht zwischen der öffentlichen und der privaten Korporation (PLC und Ltd), während das amerikanische Gesellschaftsrecht Sonderregeln für die close corporation hervorgebracht hat.16 In beiden Fällen sind nicht lediglich börsenferne Gesellschaften gemeint, sondern solche, für die es – wie bei der GmbH – gar keinen Markt für die Anteile gibt. Den Begriff „kleine“ Aktiengesellschaften hat der Gesetzgeber im „Gesetz für die kleine AG“ verwandt. Er hatte damit in der Tat die nicht börsennotierten AGs im Auge, für die durch das besagte Gesetz gewisse Erleichterungen geschaffen wurden. Insofern ist die Kurzformel treffend, bleibt aber missverständlich, weil auch die „kleine“ AG Träger eines großen Unternehmens mit verstreutem Anlegerkreis sein kann.17 b) Sachliche Bedeutung und rechtspolitische Bewertung der Unterscheidung. 11 Sachlich ist die durch § 3 Abs 2 herausgestrichene Unterscheidung von börsennotierten und nicht börsennotierten Gesellschaften dadurch gekennzeichnet, dass für börsennotierte AGs durchweg strengere Regeln gelten (zu den Details unten Rdn 42). Der Gesetzgeber hat die Differenzierung dabei zunächst als einen Akt der Deregulierung verstanden, indem er die Anwendung verschiedener, schon immer im AktG vorhandener Regeln auf börsennotierte Gesellschaften begrenzte und so eine Erleichterung für die „kleine“ AG schuf.18 Seither geht der Trend in die umgekehrte Richtung: Die börsennotierte AG wird immer neuen Anforderungen unterworfen und die Regelungsdichte des Aktienrechts so erhöht.
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14 Dafür aber Drygala/Staake ZIP 2013, 905, 908; monogr Staake Ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen in börsennotierten und nicht börsennotierten Gesellschaften, 2009, S 161 ff. 15 Vgl zB Bachmann/Eidenmüller/Engert/Fleischer/Schön Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft, 2012, S 4. 16 Näher Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht3, S 417. 17 Kritisch daher Claussen in FS Röhricht, 2005, S 63, 67 ff; Hüffer/Koch11 § 3 Rdn 5. 18 Vgl die Begr zum Entwurf eines Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BT-Drucks 12/6721 S 5.
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Rechtspolitisch stellt sich die Frage, ob die Differenzierung zwischen börsennotierter und nicht börsennotierter AG im Gesellschaftsrecht überzeugt.19 Sie präjudiziert die weitere Frage, ob die Differenzierung ausgebaut werden sollte. Dieser Fragenkreis ist in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eingehend diskutiert worden. Lutter und Albach machten sich seinerzeit in ihrem Modell einer dreigeteilten AG („Dreistufenmodell“), das zusätzlich noch eine kapitalmarktferne AG („Private AG“) vorsah, für eine Differenzierung innerhalb des Aktienrechts stark.20 Auf dem 67. Deutschen Juristentag (2008) ist die Frage erneut debattiert worden. 13 Der seinerzeitige Gutachter Bayer sprach sich deutlich für eine deregulierte „kleine“ AG aus. Die Rechtsform der AG könne so für den nicht kapitalmarktorientierten Mittelstand attraktiver gemacht werden.21 Dabei solle der Abstand zur strukturell verschiedenen GmbH allerdings gewahrt und keine konkurrierende „Privat-AG“ geschaffen werden.22 Diese Vorschläge fanden nur verhaltenen Beifall.23 Der Gesetzgeber hat sie nicht aufgegriffen, vielmehr die Regelungsdichte für die börsenferne AG beibehalten und die Anforderungen an börsennotierte Gesellschaften nach oben geschraubt. Gegen weitere Lockerungen für die „kleine“ AG spricht, dass Unternehmen, die nicht den regulierten Eigenkapitalmarkt anzapfen wollen, andere Rechtsformen (GmbH, KG, evtl KGaA) zur Verfügung stehen.24 Als solche können sie auch Schuldtitel emittieren. Die Verschärfungen für börsennotierte Gesellschaften in Richtung eines „Börsenge14 sellschaftsrechtes“ sind gleichfalls nicht frei von Bedenken. Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Kapitalmarktnotierung für zusätzliche Steuerungsimpulse sorgt. Fehlentwicklungen einer börsennotierten AG werden durch Kursverluste „bestraft“, was die Eigenkapitalaufnahme verteuert und aktienbezogene Vergütungen entwertet. Wegen dieser und anderer Steuerungseffekte, denen nicht börsennotierte AGs nicht oder doch weit weniger ausgesetzt sind, plädieren liberale Rechtsökonomen nicht für schärfere, sondern – umgekehrt! – für mildere aktienrechtliche Standards (inbes für mehr Satzungsautonomie) bei der börsennotierten AG.25 Diese Forderung hat mit dem Versagen der Marktkräfte in jüngeren Krisen an Gewicht verloren. Zum zweiten ist nicht zu übersehen, dass das Kapitalmarktrecht vielfache Vorgaben (namentlich zu Publizität und Transparenz) enthält, die ein aktienrechtliches Sonderregime entbehrlich, jedenfalls aber rechtfertigungsbedürftig machen.26 Schließlich und vor allem können immer schärfere Vorgaben (auch des Kapitalmarktrechts) vom Gang an die Börse abhalten. Das erschwert die Eigenkapitalaufnahme und verhindert die breite Streuung von Risikokapital. Volkswirtschaftlich ist eine strenge Regulierung der börsennotierten AG daher ein zweischneidiges Schwert. 15
3. Historische Entwicklung. Absatz 1 wurde unverändert aus § 3 AktG 1937 übernommen. Dieser fand sich mit gleichem Wortlaut bereits als Art 210 Abs 2 im HGB von 1897.
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19 Bejahend MünchKomm/Heider3 § 3 Rdn 42; ablehnend Claussen AG 1996, 481, 493 f; kritisch auch Windbichler JZ 2008, 840, 846: Differenzierung sollte eher im Kapitalmarktrecht erfolgen. 20 Albach/Lutter Deregulierung S 176 ff (Zusammenfassung); dazu Wiesner WM 1988, 1841 ff. 21 Bayer Gutachten E 81 ff; dazu Nodoushani NZG 2008, 452; Spindler AG 2008, 598; Windbichler JZ 2008, 840. 22 Bayer Gutachten E 90. Für ein „Dreistufen-Modell“ vorher schon Albach/Lutter Deregulierung, S 33 ff. 23 Vgl schon die Referate zum 67. Deutschen Juristentag Francioni Referat N 13; Krieger Referat N21; Mülbert Referat N 51; Wymeersch Referat N 79. 24 Claussen AG 1996, 481, 493: Kein Bedarf für eine „GmbH-de-luxe“. 25 Vgl Spindler AG 1998, 53 mit Zusammenfassung der US-amerikanischen Diskussion und wN. 26 Hüffer/Koch11 § 3 Rdn 5; Windbichler JZ 2008, 840, 842, 846: „Die Unterscheidung zwischen kleinen und großen Emittenten, anspruchsvollen und schlankeren Regulierungen erfolgt im Kapitalmarktrecht“. S auch Claussen DB 1998, 177, 178.
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Absatz 2 wurde angefügt durch Art 1 Nr 1 KonTraG vom 27.4.1998.27 Hintergrund 16 war die bereits 1994 mit dem „Gesetz für kleine Aktiengesellschaften“ begonnene und mit dem KonTraG 1998 fortgeführte Trennung zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten Aktiengesellschaften (zur Würdigung unten Rdn 42 ff). Zur „sprachlichen Vereinfachung“ wurde daher in die Allgemeinen Vorschriften des AktG eine Legaldefinition der „börsennotierten Gesellschaft“ aufgenommen.28 Weiterhin war diese Legaldefinition als Teil der Harmonisierung des Begriffs der Börsennotierung im Gesellschaftsund Kapitalmarktrecht gedacht.29 Die Norm wurde geändert durch Art 6a Nr 1 des Gesetzes zur Umsetzung der EG-Einlagensicherungsrichtlinie und der EG-Anlegerentschädigungsrichtlinie v 16.7.1998.30 Die Worte „an einem Markt gehandelt werden“ wurden durch die Worte „zu einem Markt zugelassen sind“ ersetzt. 4. Parallelnormen. Eine mit Absatz 1 inhaltsgleiche Regelung enthalten § 13 Abs 3 17 GmbHG und § 17 Abs 2 GenG. Auf deren Auslegung kann für Zwecke des § 3 Abs 1 zurückgegriffen werden. Nach der Regelung des § 16 VAG sind die Vorschriften über Kaufleute weitgehend entsprechend auf den VVaG anzuwenden, nicht aber die §§ 1–7 HGB (anwendbar: §§ 8–104, 238–335, 343–475h HGB). Nach dieser (etwas verwunderlichen) Regelungstechnik ist der VVaG jedenfalls kein (Form-)Kaufmann, was wohl daher rührt, dass der VVaG keine Gewinne anstrebt und damit nach klassischem Verständnis kein Gewerbe betreibt. Für die KGaA gilt § 3 über den Verweis in § 278 Abs 3 entsprechend. Auch auf die SE findet § 3 Anwendung, da diese mangels Regelung in der SE-VO gem Art 9 Abs 1 lit c ii SE-VO den Rechtsvorschriften der AG unterliegt (vgl auch § 1 SEAG). 5. Europarecht und Rechtsvergleichung. Europarechtliche Vorgaben zu § 3 sind 18 nicht ersichtlich. Rechtsvergleichend stellt sich bei Absatz 1 die Frage, ob andere Rechtsordnungen ebenfalls die Fiktion des Formkaufmanns kennen. In einigen Rechtsordnungen ist das der Fall, so bei der französischen Société Anonyme (SA), die als Handelsgesellschaft gilt (société commercial, Code de commerce Livre II); als solche besitzt sie gem Art 221–1 Code de commerce Kaufmannsqualität. Nach § 2 des österreichischen UGB ist die AG in Österreich Unternehmer kraft Rechtsform. Vielen Rechtsordnungen ist die Figur des Formkaufmanns dagegen unbekannt. II. Auslegung und Anwendung von Absatz 1 1. Anwendungsbereich. § 3 Abs 1 gilt für jede deutsche Aktiengesellschaft, ein- 19 schließlich der fehlerhaften, aber wirksam gegründeten. Sie ist auf gemeinnützige AGs ebenso anwendbar wie auf AGs, die öffentliche Aufgaben erfüllen oder Hoheitsrechte ausüben und deren Aktien sich sämtlich in der Hand einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft befinden.31 Dagegen findet die Norm keine Anwendung auf die Vor-AG.32 Diese ist nur dann Kaufmann, wenn sie ein kaufmännisches Unternehmen im Sinne von §§ 1 ff HGB betreibt, was sowohl durch Aufnahme eines eigenen Geschäftsbetriebs als auch
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27 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich, BGBl I S 786. 28 Begr RegE KonTraG BT-Drucks 13/9712 S 12 = ZIP 1997, 2059. 29 Begr RegE KonTraG BT-Drucks 13/9712 S 12. 30 BGBl I S 1842. 31 RG 12.10.1938 – II 222/37, RGZ 158, 257, 265; BGH 26.1.1965 – VI ZR 207/63, BGHZ 43, 337, 343 = NJW 1965, 754. 32 Ganz hM, vgl nur Hüffer/Koch11 § 3 Rdn 2; MünchKomm/Heider3 § 3 Rdn 7; abw noch zum alten Recht vor der Handelsrechtsreform 1998 und heute überholt Weimar DStR 1997, 1171.
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durch Führung eines als Sacheinlage eingebrachten Unternehmens geschehen kann.33 Die Vor-AG ist dann Handelsgesellschaft, allerdings keine OHG, sofern nicht ihre Geschäftstätigkeit nach Aufgabe der Eintragungsabsicht fortgesetzt wird,34 und daher auch als solche nicht eintragungspflichtig und im Übrigen, dh als Vor-AG, nicht eintragungsfähig.35 Über den Verweis in § 278 Abs 3 gilt Absatz 3 Satz 1 auch für die KGaA.36 Ob § 3 Abs 1 20 auch für die SE gilt, ist umstritten. Art 1 Abs 1 SE-VO spricht von vornherein nur davon, dass „Handelsgesellschaften“ im Gebiet der europäischen Union als SE gegründet werden können. Einigkeit besteht, dass dies nicht etwa bedeutet, dass nur solche Gesellschaften eine SE bilden können, die ein Handelsgewerbe im Sinne des § 1 Abs 2 HGB betreiben; die SE kann also ebenfalls einen nichtkaufmännischen Unternehmensgegenstand besitzen.37 In anderen sprachlichen Fassungen ist schlichtweg von einer Gesellschaft die Rede („company“ bzw „société“), genauso wie eine Unterscheidung zwischen kaufmännischen und nichtkaufmännischen Gesellschaften in einigen Rechtsordnungen gar nicht besteht.38 Richtigerweise ergibt sich die Anwendbarkeit des § 3 Abs 1 aus der Verweisung des Art 9 Abs 1 lit ii SE-VO bzw Art 10 SE-VO, nach dem die deutsche SE wie eine AG den Bestimmungen des Handelsrechts unterworfen ist.39 Andere verzichten auf die Verweisung auf § 3 Abs 1: Der in Art 1 Abs 1 SE-VO zutage tretende Zweck der SE gebiete eine unmittelbare Anwendung des § 6 Abs 2 HGB,40 bzw es sei § 6 Abs 2 HGB gem Art 9 Abs 1 lit ii auf die SE ohne den Umweg über § 3 Abs 1 anwendbar.41 Zweigniederlassungen ausländischer Aktiengesellschaften werden zwar im In21 land eingetragen (§ 13f HGB), mangels eigener Rechtspersönlichkeit jedoch nicht von § 3 Abs 1 erfasst.42 Kaufmannseigenschaft kann nur der ausländischen Gesellschaft selbst zukommen. Insoweit ist nicht automatisch das nach IPR anwendbare Gesellschaftsstatut maßgeblich, sondern es ist nach der Bedeutung der Kaufmannseigenschaft im jeweiligen Normzusammenhang zu differenzieren.43 Ob eine in Deutschland tätige britische plc Prokura erteilen darf (§ 48 HGB), Mängel rügen muss (§ 377 HGB bzw Art 38 CISG) oder Handelsbücher zu führen hat (§ 238 HGB), bestimmt sich also zunächst danach, ob die betreffenden Sachnormen überhaupt anwendbar sind. Dies wiederum beurteilt sich nach den Regeln des Internationalen Privatrechts.44 Für die Handlungsvollmacht ist danach das Recht des Ortes maßgeblich, in dem der Hauptvertrag geschlossen wird (sog Wirkungsstatut, s Art 1 Abs 1 lit g Rom I-VO), für die Erteilung einer Prokura dagegen der Ort des Gesellschaftssitzes.45 Der Handelskauf unterliegt mangels Rechtswahl dem Recht der gewerblichen Niederlassung des Verkäufers.46 Ist das einschlägige Sachrecht ermittelt,
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33 MünchKomm/Heider3 § 3 Rdn 8. 34 BGH 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 Rdn 15 = NJW 2007, 589; BGH 24.10.1968 – II ZR 216/66, BGHZ 51, 30, 32 (zur GmbH) = NJW 1969, 509; K Schmidt § 41 Rdn 45 u 51. 35 BayObLG NJW 1965, 2254, 2257; MünchKomm/Heider3 § 3 Rdn 8. 36 Spindler/Stilz/Bachmann3 § 278 Rdn 14. 37 Lutter/Hommelhoff/Teichmann-SE/Lutter2 Art 1 SE-VO Rdn 5; Manz/Mayer/Schröder-SE/Schröder2 Art 1 SE-VO Rdn 17 ff; MünchKomm/Oechsler3 Art 1 SE-VO Rdn 4; KK/Siems3 Art 1 SE-VO Rdn 10 ff; Spindler/Stilz/Casper3 Art 1 SE-VO Rdn 2; Habersack/Drinhausen-SE/Habersack1 Art 1 SE-VO Rdn 3. 38 Manz/Mayer/Schröder-SE/Schröder2 Art 1 SE-VO Rdn 17 ff u 38 ff. 39 Lutter/Hommelhoff/Teichmann-SE/Lutter2 Art 1 SE-VO Rdn 5; KK/Siems3 Art 1 SE-VO Rdn 10 ff; Manz/Mayer/Schröder-SE/Schröder2 Art 1 SE-VO Rdn 36; Habersack/Drinhausen-SE/Habersack1 Art 1 SEVO Rdn 3. 40 MünchKomm/Oechsler3 Art 1 SE-VO Rdn 4. 41 Spindler/Stilz/Casper3 Art 1 SE-VO Rdn 2. 42 MünchKomm/Heider3 § 3 Rdn 10; KK/Dauner-Lieb3 § 3 Rdn 5. 43 Hüffer/Koch11 § 3 Rdn 2; MünchKomm/Heider3 § 3 Rdn 9. 44 Eingehend van Veenroy S 27 ff. 45 Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 Vor § 48 Rdn 13 mwN. 46 Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 Vor § 373 Rdn 45 mwN.
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ist durch dessen Auslegung festzustellen, ob die davon erfassten Personen Kaufmann oder Handelsgesellschaft sein müssen und sodann gegebenenfalls im Wege der Substitution festzustellen, ob ausländische Rechtsformen dieses Tatbestandsmerkmal erfüllen. Einer analogen Anwendung von § 3 Abs 1 auf ausländische Gesellschaften bedarf es daher regelmäßig nicht.47 2. Fiktion der Kaufmannseigenschaft. Die Fiktion der Kaufmannseigenschaft be- 22 wirkt, dass es für die Anwendung handelsrechtlicher Normen nicht darauf ankommt, ob die AG ein Gewerbe im Sinne von § 1 Abs 1 HGB betreibt. § 3 Abs 1 geht damit über die Fiktion des § 5 HGB (Fiktivkaufmann) hinaus, der das Vorliegen eines Gewerbes voraussetzt. Fehlen Elemente des Gewerbebegriffs, weil der Gegenstand der AG kein dauerhafter (vgl § 262 Abs 1 Nr 1), nicht auf Gewinnerzielung ausgerichteter oder freiberuflicher Natur ist, bleibt die AG dennoch stets Handelsgesellschaft. Praktische Bedeutung hat das vor allem für die gemeinnützige AG und für die Freiberufler-AG. Für letztere ist es zudem irrelevant, ob das einschlägige Standesrecht die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft zulässt (Rdn 8). Selbst wenn das nicht der Fall ist oder wenn die AG einen verbotenen Zweck verfolgt, greift die Fiktion des § 3 Abs 1. Betreibt die AG ein Gewerbe, erübrigt § 3 Abs 1 die Prüfung, ob ihr Unternehmen 23 nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb erfordert (vgl § 1 Abs 2 HGB). Die Kleingewerbe-AG erlangt die Kaufmannseigenschaft durch Eintragung schon nach § 2 HGB („Kaufmann kraft Eintragung“). Dem sog KannKaufmann steht es aber frei, durch Verlassen des Registers die Kaufmannseigenschaft wieder abzustreifen (vgl § 3 Satz 3 HGB). Eine solche Option hat die AG nicht, da ein freiwilliger Rückzug aus dem Register nur unter Preisgabe ihrer Identität (Formwechsel, §§ 190 ff UmwG) oder ihrer Existenz (Liquidation, §§ 262 ff) möglich ist. Die einmal eingetragene AG bleibt also immer Kaufmann. Weil es sich bei § 3 Abs 1 um eine Fiktion („gilt als“), nicht um eine Vermutung han- 24 delt, ist die Kaufmannseigenschaft nicht widerleglich.48 Selbst wenn die AG zweifelsfrei kein Gewerbe bzw kein Handelsgewerbe betreibt, ist sie doch immer Handelsgesellschaft. Als allseitige Fiktion wirkt dies auch für und gegen Dritte. Diese können sich also selbst in dem Fall, in dem ihnen dies günstig erscheint, nicht auf das Fehlen der Kaufmannseigenschaft der AG berufen. Ob die AG „Unternehmer“ im Sinne von § 14 BGB ist, bestimmt sich dagegen nach eigenen Maßstäben (Rdn 2). Eine teleologische Reduktion von Absatz 1 kommt theoretisch in Betracht, doch sind bislang keine Fallgestaltungen bekannt geworden, in denen eine solche praktisch relevant und konkret anzuerkennen wäre. 3. Gesetzliche Anknüpfung an die Kaufmannseigenschaft a) Im Handelsrecht. Alle an die Kaufmannseigenschaft anknüpfenden Normen des 25 HGB sind auf die AG anwendbar. Dies betrifft zunächst die Vorschriften zur Firma (§§ 17 ff HGB), soweit das AktG nicht Sonderregeln (§ 4) bereit hält. Als Kaufmann unterliegt die AG ferner der Buchführungspflicht gem §§ 238 ff HGB und der Pflicht zur Aufstellung der Eröffnungsbilanz sowie des Jahresabschlusses (§§ 242 ff HGB) nebst den ergänzenden Vorschriften für Kapitalgesellschaften (§§ 264 ff HGB) und den Sondervorschriften für AGs (§§ 150 ff). Die AG kann Prokura und Handlungsvollmacht erteilen
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Für eine solche aber 4. Aufl Brändel § 3 Rdn 9. Ebenso MünchKomm/Heider3 § 3 Rdn 3.
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(§§ 48, 54 HGB). Arbeitnehmer, die einem kaufmännischen Angestellten vergleichbare Dienste leisten, sind „Handlungsgehilfen“ im Sinne der §§ 59 ff HGB.49 Die von der AG im eigenen Namen abgeschlossenen Geschäfte sind auf ihrer Seite 26 stets „Handelsgeschäfte“ im Sinne der §§ 343 ff HGB. Dies gilt auch dann, wenn sie im Einzelfall keine Beziehung zum Unternehmensgegenstand der AG haben. Verbürgt sich zB die AG für ein von der Ehefrau eines Prokuristen privat aufgenommenes Darlehen, bedarf es dafür nicht der Form des § 766 Satz 1 BGB (§ 350 HGB); kauft die AG bei einem Kfz-Händler für den Sohn des Hauptaktionärs einen Sportwagen, so trifft sie gegenüber dem Verkäufer die Untersuchungs- und Rügepflicht nach § 377 HGB. Die betreffenden Geschäfte sind auch keine Verbraucherverträge im Sinne von § 310 Abs 3 BGB (Rdn 2). Im Einzelnen bedeutet die Anwendung kaufmännischer Grundsätze für Rechtsge27 schäfte ua Folgendes: Maßstab der gebotenen Sorgfalt ist nicht die im allgemeinen Verkehr übliche, sondern diejenige eines ordentlichen Kaufmanns, § 347 HGB. Dies betrifft das Außenverhältnis der AG zu Dritten; Organmitglieder schulden der Gesellschaft gegenüber ohnehin die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93 Abs 1). Eine von der AG versprochene Vertragsstrafe kann – anders als nach BGB (§ 343 BGB) – nicht wegen Unverhältnismäßigkeit herabgesetzt werden, § 348 HGB. Eine Bürgschaft kann von der AG formfrei übernommen werden (§ 350 BGB). Auf die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) kann sie sich nicht berufen, § 349 HGB. Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis sind formlos möglich, § 350 HGB. Die Verzinsung von Forderungen richtet sich, soweit vertraglich nicht abweichend vereinbart, nach den strengeren Regeln der §§ 352, 353 HGB. In den Fällen des § 354 HGB gilt Entgeltlichkeit als vereinbart, in denjenigen des § 362 HGB wird Schweigen als Zustimmung fingiert.50 Ein Ausschluss der Sicherungszession ist gem § 354a HGB unwirksam, der gutgläubige Erwerb in erweitertem Umfang möglich (§§ 366, 367 HGB). Praktisch bedeutsam ist die Anwendbarkeit der Vorschriften über den Handelskauf (§§ 373 ff HGB), insbesondere die kaufmännische Untersuchungs- und Rügepflicht (§ 377 HGB). Für den internationalen Warenkauf nach CISG kommt es dagegen auf die Kaufmannseigenschaft der Vertragsparteien und damit auf § 3 Abs 1 nicht an (Art 1 Abs 3 CISG). 28
b) Außerhalb des Handelsrechts. Bis zur Schuldrechtsreform 2002 hatte die fingierte Kaufmannseigenschaft für die AG nachteilige Konsequenzen bei der Verjährung.51 Forderungen von Kaufleuten unterlagen danach in weiten Teilen nicht der 30-jährigen Regelverjährung, sondern verjährten schon in zwei bzw vier Jahren. Mit der generellen Absenkung der Regelverjährung auf drei Jahre (§ 195 BGB) ist diese Besonderheit hinfällig geworden. Da die AG als juristische Person niemals Verbraucher im Sinne von § 13 ist (Rdn 2), kommt sie nicht in den Genuss der für Verbraucher geltenden Privilegien (zB Widerrufsrecht). Regeln, die lediglich an die Unternehmereigenschaft anknüpfen (zB im Wettbewerbsrecht) greifen ohne Rücksicht auf die fingierte Kaufmannseigenschaft. Prozessual kann die Kaufmannseigenschaft der AG zur Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen führen (§ 95 GVG). Dagegen ist der Gerichtsstand der Niederlassung
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49 So auch KK/Dauner-Lieb3 § 3 Rdn 8; Hüffer/Koch11 § 3 Rdn 4; Spindler/Stilz/Drescher3 § 3 Rdn 4; aA Godin/Wilhelmi/Wilhelmi4 § 3 Rdn 2, die in diesen Fällen § 59 HGB auf die Personen anwenden wollen, deren Fähigkeiten den kaufmännischen Diensten entspricht. Das aber ist für den Rechtsverkehr nicht überschaubar und daher abzulehnen. 50 Hinzu kommen die gewohnheitsrechtlichen Regeln über das kaufmännische Bestätigungsschreiben, dazu näher Leenen BGB AT § 8 Rdn 204 ff. 51 Dazu 4. Aufl Brändel § 3 Rdn 59.
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(§ 21 ZPO) nicht an die Kaufmannseigenschaft gekoppelt. Auch das Steuerrecht ist nicht auf die Fiktion des § 3 angewiesen (oben Rdn 5). III. Die börsennotierte AG (Absatz 2) 1. Anwendungsbereich. Die in Absatz 2 aufgestellte Legaldefinition der „börsen- 29 notierten“ Gesellschaft gilt nur für das Aktienrecht. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm („im Sinne dieses Gesetzes“). Mit von § 3 Abs 2 umfasst ist das EGAktG, soweit dort von börsennotierten Gesellschaften die Rede ist (vgl §§ 5 Abs 7, 16 Abs 2 EGAktG).52 Das Kapitalmarktrecht arbeitet dagegen mit eigenen, allerdings verwandten Definitionen (Rdn 36). Entsprechendes gilt für das HGB mit seiner Definition der „kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaft“ (§ 264d HGB). Wo das HGB schlicht von der „börsennotierten“ Gesellschaft spricht, ist allerdings ebenfalls auf § 3 Abs 2 zurückzugreifen. Dies betrifft namentlich die Pflicht zur detaillierten Vergütungsaufschlüsselung (§ 285 Nr 9a) Satz 5 HGB) und die Pflicht zur Abgabe der Erklärung zur Unternehmensführung (§ 289a HGB). 2. Definition a) Definition der „Börsennotierung“. Nach Absatz 2 sind nur solche Gesellschaf- 30 ten „börsennotiert“ (das Schweizer Recht spricht von „börsenkotiert“), deren Aktien zu einem Markt zugelassen sind, der von staatlich anerkannten Stellen geregelt und überwacht wird, regelmäßig stattfindet und für das Publikum mittelbar oder unmittelbar zugänglich ist. Das darin zum Ausdruck kommende Verständnis von „Börse“ entspricht demjenigen des KWG (Rdn 35) und demjenigen des „organisierten Marktes“ im Sinne der kapitalmarktrechtlichen Definition (dazu Rdn 36). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist die allgemein gehaltene Definition in § 3 Abs 2 „Teil einer Harmonisierung des Begriffs der börsennotierten Gesellschaft im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht“.53 Weil der Gesetzgeber sich erkennbar an den Definitionen in § 1 Abs 3e KWG und § 2 Abs 5 WpHG orientierte, kann auf deren Auslegung für das Verständnis von § 3 Abs 2 zurückgegriffen werden. Mit „Markt“ ist jeder Handelsplatz gemeint, dh auch ein lediglich elektronisch statt- 31 findender Austausch. Es muss sich nicht um einen inländischen Marktplatz handeln.54 Die entscheidende Voraussetzung besteht darin, dass der Markt durch eine „staatlich anerkannte Stelle“ geregelt und überwacht wird. Staatlich anerkannt sind zunächst solche Marktplätze, die in mittelbarer Staatsverwaltung geführt werden, wie es für die als Anstalt des öffentlichen Rechts eingestuften deutschen Wertpapierbörsen (zB Frankfurter Wertpapierbörse – FWB) der Fall ist. Auch ein Marktplatz, der von einem Beliehenen unter staatlicher Aufsicht geführt wird, gehört hierher. Weil staatliche Anerkennung genügt, kann es sich aber auch um (sonstige) private Einrichtungen handeln, soweit sie den Handel unter Aufsicht einer staatlichen Behörde organisieren und soweit das zentrale Regelwerk staatlichen Ursprungs ist (Gesetz, Verordnung, öffentlich-rechtliche Satzung). „Regelmäßig“ findet der Markt statt, wenn er in genau bestimmten, nicht zu langen 32 Intervallen geöffnet ist und Handelsaktivitäten dort technisch durchführbar sind, mögen sie mangels konkreten Angebots oder konkreter Nachfrage auch nicht ausgeführt wer-
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So auch MünchKomm/Heider3 § 3 Rdn 37 Fn 52. Begr RegE KonTraG BT-Drucks 13/9712 = ZIP 1997, 2059. Unstr, s Begr RegE BT-Drucks 13/9712 S 12; Hüffer/Koch11 § 3 Rdn 6; Spindler/Stilz/Drescher3 § 3 Rdn 5.
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den. Eine bestimmte Liquidität oder Tiefe des Marktes ist jedenfalls nicht erforderlich. Mittelbare Zugänglichkeit für das Publikum – also für jedermann – genügt, wobei dieser Zugang auch mehrfach vermittelt sein kann. Zugelassen müssen Aktien der Gesellschaft sein, weshalb Gesellschaften, die lediglich Schuldtitel oder hybride Instrumente emittieren, nicht „börsennotiert“ im Sinne von § 3 Abs 2 sind. Die Aktien müssen zum Handel an der Börse „zugelassen“ sein. Der bloße Handel 33 an der Börse genügt ebenso wenig wie die bloße Einbeziehung, denn einbezogene Wertpapiere sind nicht „zugelassen“ im Sinne des BörsG.55 Die Einbeziehung löst daher für sich genommen auch keine Zulassungsfolgepflichten aus.56 Da die Einbeziehung gem § 33 BörsG aber die Zulassung der Wertpapiere an einem anderen in- oder ausländischen organisierten Markt voraussetzt, ist zumindest in diesem Fall die Zulassung im Sinne von § 3 Abs 2 gegeben. 34
b) Konkret erfasste Märkte. Erfasst von der Definition des Marktes im Sinne von Absatz 2 ist in Deutschland der regulierte Markt im Sinne von §§ 32 ff BörsG, ungeachtet der Frage, in welchem Segment die betreffende Aktie gehandelt wird.57 Ausländische Notierungen erfüllen den Tatbestand, wenn die Zulassung zu einem organisierten, dh staatlich überwachten und geregelten Markt erfolgt ist. Dagegen fallen der Freiverkehr (§ 48 BörsG) und ausländische Pendants nicht hierunter, weil hier keine Regelung und Überwachung durch staatliche anerkannte Stellen vorliegt.58 Der Freiverkehr ist auch kein „organisierter Markt“ im Sinne des Kapitalmarktrechts. Ob die Ausklammerung des Freiverkehrs rechtspolitisch sinnvoll ist, mag zumindest für solche AGs bezweifelt werden, die selbst den Handel ihrer Aktie an der Börse veranlasst haben.59 Ebenfalls nicht von § 3 Abs 2 erfasst sind andere privat organisierte Märkte, auch wenn sie staatlich geduldet und den Regeln des Kapitalmarktrechts (zB Marktmanipulationsverbot) unterworfen sind. Ebenfalls ausgeschlossen sind Handelsplätze, die nur bankintern geführt oder sonst nicht für jedermann zugänglich sind, zB auch sog Dark Pools.
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c) Verwandte Definition im Bankaufsichtsrecht. § 1 Abs 3e KWG, der am 17.11. 200660 zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie61 und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie62 eingefügt wurde, definiert für bankaufsichtsrechtliche Zwecke den Begriff der „Wertpapier- oder Terminbörsen“. Dies sind „Wertpapier- oder Terminmärkte, die von den zuständigen staatlichen Stellen geregelt und überwacht werden, regelmäßig stattfinden und für das Publikum unmittelbar oder mittelbar zugänglich sind“. Diese Definition entspricht der Börsendefinition in § 3 Abs 2.
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d) Verwandte Definition im Kapitalmarktrecht. Das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) verwendet statt des Begriffes der börsennotierten Gesellschaft denjenigen des „Emittenten“. Eine Gesellschaft ist Emittent, wenn ihre Wertpapiere zum Handel an einem „organisierten Markt“ zugelassen sind (vgl § 2 Abs 6 u 7 WpHG). Der organisierte Markt entspricht dem „Regulierten Markt“ („Regulated Market“) der Finanzdienstleis-
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55 KMRK/Heidelbach4 § 33 BörsG Rdn 3. 56 KMRK/Heidelbach4 § 33 BörsG Rdn 6 u 19. 57 Hüffer/Koch11 § 3 Rdn 6; MünchKomm/Heider3 § 3 Rdn 38. 58 IE unstr, s nur OLG München 21.5.2008 – 31 Wx 62/07, NZG 2008, 755, 758; Hüffer/Koch11 § 3 Rdn 6. 59 Windbichler JZ 2008, 840, 846. 60 Durch das Gesetz zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie, BGBl I S 2606. 61 RL 2006/48/EG vom 14.6.2006, ABl Nr L 177 S 1. 62 RL 2006/49/EG vom 14.6.2006, ABl Nr L 177 S 201.
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tungsrichtlinie (MiFiD), welche insoweit durch das WpHG umgesetzt wird.63 Definiert wird er als ein durch staatliche Stellen genehmigtes, geregeltes und überwachtes multilaterales System, das die Interessen einer Vielzahl von Personen am Kauf und Verkauf von dort zum Handel zugelassenen Finanzinstrumenten innerhalb des Systems und nach festgelegten Bestimmungen in einer Weise zusammenbringt oder das Zusammenbringen fördert, die zu einem Vertrag über den Kauf dieser Finanzinstrumente führt (§ 2 Abs 5 WpHG und § 2 Zif 16 WpPG). Diese Definition unterscheidet sich nur unwesentlich von derjenigen des § 3 Abs 2. Auch hier ist der Freiverkehr nicht mit umfasst.64 Relevant ist die Definition etwa für die Meldepflichten nach §§ 21 ff WpHG. Eine Liste der organisierten Märkte im Sinne von § 2 Abs 5 WpHG findet sich auf der Website der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA unter „Regulated Market“.65 Der Begriff des Multilateralen Handelssystems (§ 2 Abs 3 Satz 1 Nr 8 WpHG, § 31f WpHG) ist zT enger, zT weiter als der Markt im Sinne von § 3 Abs 2.66 Auch die Europäische Marktmissbrauchsverordnung (Market Abuse Regulation – MAR = VO Nr 596/2014), welche ua die Ad-hoc-Publizität regelt, hebt auf den „Emittenten“ ab. Definiert ist dieser als juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts, die Finanzinstrumente emittiert oder deren Emission vorschlägt (Art 3 Abs 1 Nr 21 MAR). Im Übrigen bezieht sich die MAR auf Finanzinstrumente, die auf einem geregelten Markt zugelassen sind oder in einem multilateralen bzw organisierten Handelssystem gehandelt werden (Art 2 Abs 1 MAR). Für die Definition der Begriffe „geregelter Markt“, „multilaterales System“ und „organisiertes Handelssystem“ wird auf die einschlägigen Definitionen der MiFiD II (Richtlinie 2014/65/EU) verwiesen, s Art 3 Abs 1 Nr 6, 7 und 8 MAR). Das Handelsgesetzbuch sieht besondere Pflichten für kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften vor (Rdn 29). Nach der Legaldefinition in § 264d HGB sind dies Kapitalgesellschaften, die einen organisierten Markt im Sinne des § 2 Abs 5 Satz 1 des WpHG durch von ihr ausgegebene Wertpapiere im Sinn des § 2 Abs 1 Satz 1 WpHG in Anspruch nimmt oder die Zulassung solcher Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt beantragt hat. Auch hier wird also an den „organisierten Markt“ im Sinne des WpHG bzw der MiFiD angeknüpft (oben Rdn 36). Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) ist nur anzuwenden auf Angebote zum Erwerb von Wertpapieren einer Zielgesellschaft, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind (§ 1 Abs 1 WpÜG). Als organisierter Markt wird der regulierte Markt an einer Börse im Inland oder der geregelte Markt im Sinne des Richtlinie 2004/39/EG (MiFiD I) in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums definiert (§ 2 Abs 7 WpÜG). Im Börsengesetz werden Börsen als Anstalten definiert, die multilaterale Systeme regeln und überwachen, welche die Interessen einer Vielzahl von Personen am Kauf und Verkauf von dort zum Handel zugelassenen Wirtschaftsgütern und Rechten innerhalb des Systems nach festgelegten Bestimmungen in einer Weise zusammenbringt oder das Zusammenbringen fördern, die zu einem Vertrag über den Kauf dieser Handelsobjekte führt (§ 2 Abs 1 BörsG). Die darin enthaltene Definition des multilateralen Systems entspricht derjenigen des organisierten Marktes in § 2 Abs 5 WpHG (s Rdn 36).
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63 Zu Auslegung des Begriffs „regulierter Markt“ im Sinne des MiFid I s EuGH 22.3.2012 – C-248/11 (Rareş Doralin Nilaş ua) = NZG 2012, 590. 64 Assmann/Schneider-WpHG/Assmann6 § 2 Rdn 161. 65 Siehe http://mifiddatabase.esma.europa.eu. 66 Vgl KK-WpHG/Baum2 § 2 Rdn 229 ff.
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2. Rechtstatsachen. Nur ein geringer Teil der deutschen Aktiengesellschaften ist börsennotiert im Sinne von § 3 Abs 2. Verlässliches Zahlenmaterial steht allerdings nur bedingt zur Verfügung, die vorhandenen Zahlen schwanken zT stark. Insgesamt gibt es in Deutschland (Stand 2015) ca 16.000 AGs.67 Von diesen sind knapp 1.000 an organisierten Märkten (inklusive Freiverkehr) gelistet, davon wiederum knapp 600 im regulierten Markt im Sinne von § 3 Abs 2 AktG.68 Unterschiedliche Statistiken weisen für den Zeitraum 2012–2014 ca 400–500 am regulierten Markt notierte AGs auf.69 Nach der (vorübergehenden) Erleichterung des Delisting durch den BGH (FROSTA-Urteil)70 ist die Zahl der börsennotierten Gesellschaften 2014/2015 zurückgegangen, doch ist davon auszugehen, dass diese in den kommenden Jahren wieder steigen wird. 3. Bedeutung der Börsennotierung
a) Verschärfung des aktienrechtlichen Regimes. Verschiedene Normen des AktG und des HGB verschärfen das aktienrechtliche Regime durch Anforderungen, die ausschließlich von börsennotierten Gesellschaften im Sinne von § 3 Abs 2 zu erfüllen sind. Das betrifft zunächst den Vorstand und seine Vergütung. Die Struktur der Vorstandsvergütung ist bei börsennotierten AGs auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten (§ 87 Abs 1 Satz 2). Die Hauptversammlung kann über das Vergütungssystem abstimmen (§ 120 Abs 4). Die Publizität der Vergütung hat detaillierter als sonst zu erfolgen (vgl § 285 Nr 9 Satz 5 HGB). Der Aufsichtsrat einer börsennotierten AG ist, wenn diese zusätzlich der Mitbestimmung unterliegt, geschlechtergerecht zusammenzusetzen (§ 96 Abs 2). Er muss mindestens ein Mitglied haben, welches über Sachverstand auf dem Gebiet der Rechnungslegung verfügt (§ 100 Abs 5).71 Der Aufsichtsrat hat der Hauptversammlung darüber zu berichten, welche Ausschüsse er gebildet hat und wie oft er bzw seine Ausschüsse getagt haben (§ 171 Abs 2 Satz 2). Auch die Organverantwortlichkeit ist bei börsennotierten AGs strenger geregelt. 43 So tritt die Verjährung von Organhaftungsansprüchen bei börsennotierten Gesellschaften nicht schon nach fünf, sondern erst nach zehn Jahren ein (§ 93 Abs 6). Entsprechend lang ist der Zeitraum, für den eine rückblickende Sonderprüfung angeordnet werden kann (§ 142 Abs 2 Satz 1). Gelingt es Aktionären, zur Erhebung einer Organhaftungsklage im eigenen Namen ermächtigt zu werden (§ 148 AktG), ist dies, ebenso wie die Beendigung des Verfahrens, von der börsennotierten Gesellschaft öffentlich bekannt zu machen (§ 149 Abs 1). Schließlich ist die Strafandrohung für Geheimnisverrat deutlich höher als bei nichtbörsennotierten Gesellschaften (vgl § 404 Abs 1 u 2). Zahlreiche Verschärfungen betreffen die Hauptversammlung (beachte hierzu auch 44 die Parallelregelungen in §§ 30a ff WpHG). Ihre Einberufung muss bei der börsennotierten AG zusätzliche Angaben enthalten (§ 121 Abs 3 Satz 3, § 124a) und ist – ebenso wie etwaige Aktionärsanträge – in besonderer Weise bekannt zu machen (§ 121 Abs 4a, § 124 Abs 1 Satz 2, § 125 Abs 1 Satz 2, § 126 Abs 1 Satz 3). Sonderregeln gelten für die Anmel42
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67 Nach einer Abfrage des Unternehmensregisters vom 13.2.2015 bestanden 15.640 AGs; Bayer/Hoffmann AG-Report 2011, R28 gelangen (gestützt auf eine Registerportalabfrage) zu einer Zahl von 16.932. 68 Vgl Bayer/Hoffmann AG-Report 2015, R4, R5 (inkl KGaA und SE): 937 inkl Freiverkehr, davon 537 am regulierten Markt. 69 Vgl DAI-Factbook, Stand 5.4.2013, S 02-1-1-2: 538 (2012); Monatsstatistik Kassamarkt der Deutschen Börse Group vom August 2014 (zit. nach Brellochs AG 2014, 633, 634): 524 (Ende 2012), 484 (Ende 2013), 464 (August 2014). 70 BGH 8.10.2013 – II ZB 26/12, NJW 2014, 146 (Frosta). 71 Die Vorgabe gilt nicht nur für börsennotierte AGs, sondern für alle kapitalmarktorientierten AGs im Sinne von § 264d HGB, sowie für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen.
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dung zur Hauptversammlung (vgl § 123 Abs 3). Will eine Minderheit die Einberufung erzwingen, ist das betreffende Verlangen früher als sonst (30 statt 24 Tage) zu stellen (§ 122 Abs 2 Satz 3). Der Nachweis der Stimmrechtsvollmacht ist erleichtert (vgl § 134 Abs 3 Satz 4 u § 135 Abs 5 Satz 4). Im Falle wechselseitiger Beteiligungen gilt ein besonderes Stimmverbot (§ 328 Abs 3). Die Abstimmungsergebnisse sind innerhalb von sieben Tagen nach der Versammlung auf der Internetseite der Gesellschaft zu veröffentlichen (§ 130 Abs 6). Wird ein Hauptversammlungsbeschluss angefochten, ist die Beendigung des Prozesses publik zu machen (§§ 248a, 249 Abs 1). Nur börsennotierte Gesellschaften sind gezwungen, sich zur Einhaltung oder Nicht- 45 einhaltung der Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex zu bekennen (§ 161). Ergänzt wird diese Vorgabe durch § 289a HGB, der börsennotierte AGs zur Abgabe eines sog Corporate Governance Statements zwingt. Künftig wird das auch zur Veröffentlichung von Angaben zu Fragen der Corporate Social Responsibilitynötigen.72 Darüber hinaus sind im Lagebericht Angaben zu Governance-Gestaltungen zu machen, die sich im Falle eines öffentlichen Angebots als Übernahmehindernis auswirken können (vgl § 289 Abs 4 HGB).73 Zu diesen Angaben hat der Vorstand der börsennotierten AG den Aktionären einen erläuternden Bericht zugänglich zu machen (§ 176 Abs 1). Auch über die wesentlichen Merkmale des internen Kontroll- und des Risikomanagementsystems ist zu berichten (§ 289 Abs 5).74 b) Erleichterungen für nichtbörsennotierte Aktiengesellschaften. In umgekehr- 46 ter Anknüpfung stellt das Gesetz nichtbörsennotierte AGs von einigen Anforderungen des ansonsten zwingenden Aktienrechts frei. So kann die Satzung bei Namensaktien Weiteres zur Auskunft aus dem Aktienregister bestimmen (§ 67 Abs 6 Satz 2). Der Aufsichtsrat darf beschließen, nur eine Sitzung statt der sonst vorgeschriebenen zwei Sitzungen im Kalenderhalbjahr abzuhalten (§ 110 Abs 3 Satz 2). Die Berechnung von Fristen, die von der Hauptversammlung zurückberechnet werden, kann von der Satzung abweichend von der gesetzlichen Regelung gestaltet werden (§ 121 Ab 7 Satz 4). Soweit keine mit qualifizierender Mehrheit zu treffende Beschlüsse gefasst wurden, bedarf das Hauptversammlungsprotokoll keiner notariellen Beurkundung (§ 130 Abs 1 Satz 2). Schließlich darf die Satzung Höchststimmrechte festlegen (§ 134 Abs 1 Satz 2). Mehrstimmrechte sind dagegen auch bei der börsennotierten AG unzulässig (§ 12). c) Sonderregeln im Kapitalmarktrecht. Börsennotierte Aktiengesellschaften un- 47 terliegen dem Sonderregime des Kapitalmarktrechts. Dieses knüpft zwar nicht an die Definition des § 3 Abs 2 an, sondern enthält eigene Definitionen (Rdn 36). Aktiengesellschaften, die börsennotiert im Sinne von Absatz 2 sind, sind damit aber immer auch an einem „organisierten Markt“ im Sinne der Kapitalmarktvorschriften notiert. Zu den wichtigsten an den Emittenten adressierten Regeln gehören die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität (Art 17 MAR) und die besonderen Publizitätspflichten gem §§ 30a ff WpHG. Die Organe des Emittenten werden insbesondere durch die Pflicht zur Meldung (bzw Meidung) von Director’s Dealings (Art 19 MAR) und die Verhaltensgebote des Übernahmerechts (§§ 27,
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72 Basierend auf der EU-Richtlinie 2014/95/EU (CSR-Richtlinie) vom 22.10.2014, ABl Nr L 330/1. Die Umsetzungsfrist läuft bis zum 6.12.2016, siehe dazu den Referentenentwurf eines CSRRichtlinieumsetzungsgesetzes 11.3.2016, abrufbar unter www.bmjv.de. Zu den Neuerungen Eufinger EuZW 2015, 424; Spießhofer NZG 2014, 1281; Voland DB 2014, 2815. 73 Diese Angaben sind nicht nur von börsennotierten AGs, sondern von allen AGs zu machen, die kapitalmarktorientiert im Sinne von § 264d HGB sind. 74 Auch diese Pflicht trifft alle kapitalmarktorientierten AGs.
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33 ff WpÜG) in die Pflicht genommen. (Potenzielle) Aktionäre des Emittenten unterliegen den Meldepflichten (§§ 21 ff WpHG) und den Spielregeln des Übernahmerechts (zB § 10 WpÜG). Besonders weit greifen die Verbote des Insiderhandels (Art 14 MAR) und der Marktmanipulation (Art 15 MAR), die sich an alle Marktteilnehmer richten und die auch dann Beachtung erheischen, wenn die betreffende Aktie lediglich im Freiverkehr gehandelt wird. 4. Börsengang und Börsenrückzug a) Börsengang. Auch wenn Absatz 2 die Gesellschaft als „börsennotiert“ bezeichnet, ist es doch nicht diese, die an der Börse zugelassen wird, sondern es sind ihre Anteile, die Aktien. Die Zulassung von Aktien zum regulierten Markt erfolgt auf Antrag des „Emittenten“ (= der AG), der diesen zusammen mit einer begleitenden Bank zu stellen hat (§ 32 Abs 2 BörsG, zu den Formalien § 48 BörsZulVO). Die weiteren Voraussetzungen der Zulassung sind im Einzelnen in der Börsenzulassungsverordnung (BörsZulVO) aufgeführt. Bedingung ist ua, dass die AG rechtskonform gegründet wurde (§ 1 BörsZulVO) und seit mindestens drei Jahren als Unternehmen besteht (§ 3 BörsZulVO). Der Kurswert der zuzulassenden Aktien (bzw, falls nicht ermittelbar, das Grundkapital der Gesellschaft) muss mindestens 1,25 Mio EUR betragen (§ 2 BörsZulVO). Die Aktien müssen frei handelbar sein, was in der Regel voraussetzt, dass sie voll eingezahlt und nicht vinkuliert sind (vgl § 5 BörsZulVO). Sie müssen genügend gestückelt sein (§ 6 BörsZulVO), dürfen also nicht zu hohe Nennbeträge (vgl § 8) aufweisen. Schließlich ist eine ausreichende Streuung im Publikum erforderlich, welche vermutet wird, wenn 25 Prozent des Gesamtnennbetrags der zuzulassenden Aktien vom Publikum erworben worden sind (§ 9 BörsZulVO). Weitere und zentrale Voraussetzung der Zulassung ist die Vorlage eines nach den Vorschriften des WpPG von der BaFin gebilligten Prospekts, § 32 Abs 3 Nr 2 BörsG, § 3 Abs 4 WpPG. 49 Über den Antrag entscheidet die Geschäftsführung der Börse durch Verwaltungsakt. Der Antrag ist vom Vorstand als vertretungsberechtigtes Organ der Gesellschaft (§ 78) zu stellen. Ein Hauptversammlungsbeschluss ist dafür nach herrschender und zutreffender Ansicht nicht erforderlich (näher 4. Aufl Mülbert § 293 Rdn 307 ff).75 Werden die zuzulassenden Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung erst geschaffen, kann dies indes nicht ohne Mitwirkung der Hauptversammlung geschehen. Zum Börsenhandel zugelassen werden können aber auch bereits vorhandene Aktien. Grundsätzlich ist der Zulassungsantrag für alle Aktien einer Gattung zu stellen, doch sind Beschränkungen zulässig, etwa um einen beherrschenden Einfluss eines Aktionärs aufrechtzuerhalten, § 7 BörsZulVO.
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b) Börsenrückzug („Delisting“). Die AG verliert ihre Eigenschaft als „börsennotiert“ im Sinne von § 3 Abs 2, sobald ihre Aktien nicht mehr zum Börsenhandel zugelassen sind. Dies ist der Fall, wenn die Zulassung von der Börse wirksam widerrufen wurde und eine etwaige Nachfrist (vgl § 39 Abs 5 Satz 2 BörsG) abgelaufen ist. Der Widerruf kann auf Antrag des Emittenten erfolgen, wenn er nicht dem Schutz der Anleger widerspricht, § 39 Abs 2 Satz 2 BörsG. Einzelheiten darf die jeweilige Börsenordnung festlegen (§ 39 Abs 5 Satz 3 BörsG). Heftig umstritten waren die Fragen, ob der Vorstand für die Stellung eines Widerrufs-Antrags der Zustimmung der Hauptversammlung bedarf, und ob den Aktionären eine Abfindung anzubieten ist.76 Im Gesetz war von beidem keine
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Zum Streitstand KMRK/Heidelbach4 § 32 BörsG Rdn 81 ff. Dazu ausführlich 4. Aufl Mülbert § 293 Rdn 319 ff.
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Firma | § 4
Rede, und der Bundesgerichtshof hat sich im Jahr 2013 zu Recht geweigert, die Fragen rechtsfortbildend zu bejahen.77 Inzwischen hat der Gesetzgeber die Antwort geliefert und im Jahr 2015 in § 39 BörsG nF die Abfindungspflicht, nicht jedoch eine Hauptversammlungszuständigkeit verankert. § 4 Firma Bachmann
§4 Firma Die Firma der Aktiengesellschaft muss, auch wenn sie nach § 22 des Handelsgesetzbuchs oder nach anderen gesetzlichen Vorschriften fortgeführt wird, die Bezeichnung „Aktiengesellschaft“ oder eine allgemein verständliche Abkürzung dieser Bezeichnung enthalten. Schrifttum Jüngeres Schrifttum (nach 1998): Altmeppen Irrungen und Wirrungen um den täuschenden Rechtsformzusatz und seine Folgen, NJW 2012, S 2833; ders Geschäftsleiterhaftung für Weglassen des Rechtsformzusatzes, ZIP 2007, S 889; Bachmann Firmenfortführung durch Einzelkaufmann (Anm. zu OLG Hamm v 8.7.1999), EWiR 2000, S 87; Beurskens What´s in a name – Rechtsformzusatz und Haftungsbeschränkung, NZG 2016, 681; Clausnitzer Das Firmenrecht in der Rechtsprechung (2000–2009), DNotZ 2010, S 345; Dirksen/Volkers Die Firma der Zweigniederlassung in der Satzung von AG und GmbH, BB 1998, S 598; J. W. Flume Die Firma als „tradeable Asset“, DB 2008, S 2011; N. Klein Ein Apfel unterm Birnbaum? – Rechtsfolgen des Handelns bei fehlendem oder fehlerhaftem Rechtsformzusatz, NJW 2015, S 3607; Kögel Neues Firmenrecht und alte Zöpfe, BB 1998, 1645; Lutter/Welp Das neue Firmenrecht der Kapitalgesellschaften, ZIP 1999, S 1073; Schulenberg Die Abkürzung im Firmenrecht der Kapitalgesellschaften; Wachter Änderungen im Firmenrecht der GmbH, GmbHR 2013, R 145. Älteres Schrifftum (bis 1998): Bokelmann Das Recht der Firmen- und Geschäftsbezeichnungen, 3. Aufl 1986; Ebert Firmenangaben über die Art des Unternehmens, BB 1958, S 611; Fezer Liberalisierung und Europäisierung des Firmenrechts, ZHR 161 (1997), S 52; Haas Die Vertreterhaftung bei Weglassen des Rechtsformzusatzes nach § 4 II GmbHG, NJW 1997, S 2854; Heinrich Firmenwahrheit und Firmenbeständigkeit, 1982; dies Bezeichnung „Aktiengesellschaft“ nun auch für die alten Firmen aus der Zeit vor 1900, BB 1979, S 1480; Hofmann Der Grundsatz der Firmenwahrheit, JuS 1972, S 233; Hönn Akademische Grade, Amts-, Dienst- und Berufsbezeichnungen sowie Titel (Namensattribute) in der Firma in firmen- und wettbewerbsrechtlicher Sicht, ZHR 153 (1989), S 386; Knopp Über den Grundsatz der Firmeneinheit, ZHR 125 (1963), S 161; Kraft Die Führung mehrerer Firmen, 1966; Nipperdey Die Zulässigkeit doppelter Firmenführung für ein einheitliches Handelsgeschäft, FS Hueck, 1959, S 195; Pabst Firmenrechtliche Fragen, DNotZ 1959, S 33; ders Wie weit kann eine abgeleitete Firma geändert werden? DNotZ 1960, S 33; Richert Die der Handelsgesellschaft gezogenen Grenzen der Vervielfältigung, NJW 1955, S 367; ders Wie hat die Firma der Zweigniederlassung zu lauten? MDR 1957, S 339; Sternberg Der Gesellschaftszusatz in der Handelsfirma. Ein Beitrag des Firmenrechts, 1975; Wellmann Firma und Handelsgesellschaft, GmbHR 1955, 201; Wessel Die Firmengründung, 5. Aufl 1987; ders Die fragwürdige Firmenwahrheit, BB 1960, S 1268; ders Die engen Grenzen der Fortführung einer abgeleiteten Firma, BB 1964, S 1365; ders Überlegungen zur Reform unseres Firmenrechts, BB 1981, S 822; Zunft Fortführung der Firma bei Veräußerung des Handelsgeschäfts des Gemeinschuldners, NJW 1960, S 1843. Im Übrigen wird auf die Nachweise im handelsrechtlichen Schrifttum zu den §§ 17 ff HGB verwiesen.
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77 BGH 8.10.2013 – II ZB 26/12 = NJW 2014, 146 f (Frosta); anders noch BGHZ 153, 47 = NJW 2003, 1032, 1035 (Macrotron).
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§ 4 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
I.
II.
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Bedeutung und Zweck der Norm | 1 2. Historische Entwicklung der Norm | 4 3. Parallelnormen | 9 4. EU-Recht und Rechtsvergleich | 10 Auslegung und Anwendung der Norm | 11 1. Anwendungsbereich | 11 2. Bezeichnung „Aktiengesellschaft“ | 15 3. Allgemein verständliche Abkürzung | 17 a) Abkürzung der Rechtsform | 17 b) Zusätzliche Abkürzungen | 18 4. Firmenfortführung | 20 a) Firmenfortführung nach § 22 HGB | 20 b) Firmenfortführung nach „anderen gesetzlichen Vorschriften“ | 23 aa) Firmenfortführung nach HGB | 23 bb) Firmenfortführung bei Umwandlung | 24
III.
IV. V.
Sonstige Grundsätze der Firmenbildung | 25 1. Allgemeines | 25 2. Grundsätze ordnungsgemäßer Firmierung | 26 a) Firmeneinheit | 26 b) Firmenklarheit (§ 18 Abs 1 HGB) | 27 c) Firmenwahrheit (§ 18 Abs 2 HGB) | 28 d) Firmenunterscheidbarkeit (§ 30 HGB) | 31 3. Die Firma der Zweigniederlassung | 33 Änderung der Firma | 35 Durchsetzung | 36 1. Durchsetzung durch das Registergericht | 36 2. Durchsetzung durch Private | 39 3. Schutz der eigenen Firma | 41 4. Rechtsscheinhaftung | 42
I. Grundlagen 1
1. Bedeutung und Zweck der Norm. Die Bedeutung der Norm ist gering. Sie regelt nur (noch) einen kleinen Teilausschnitt des Firmenrechts, das im Übrigen rechtsformübergreifend im HGB enthalten ist (§§ 17 ff HGB). Ihre Aussagekraft erschöpft sich darin, dass der Name (= die Firma, § 17 HGB) einer Aktiengesellschaft stets den Rechtsformzusatz „Aktiengesellschaft“ oder eine allgemein verständliche Abkürzung („AG“) enthalten muss. Das entspricht dem allgemeinen, für Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften geltenden Gebot des Rechtsformzusatzes in § 19 HGB. Zu diesem stellt § 4 eine lex specialis dar. Zweck der Norm ist die Transparenz der Rechtsverhältnisse. Dritte, die mit der Ge2 sellschaft in Kontakt treten, sollen über deren Rechtsstruktur, namentlich die Rechtsfähigkeit und die beschränkte Haftung (§ 1), aufgeklärt werden.1 Zu diesem Zwecke muss der Rechtsformzusatz in die Satzung aufgenommen werden (§ 23 Abs 3 Nr 1). Er ist auch auf jedem Geschäftsbrief anzugeben (§ 80, § 37a HGB).2 Zu den Rechtsfolgen der Versäumnis s Rdn 42 f. Praktische Relevanz erfährt die Norm dadurch, dass die (richtige) Firma zwingen3 der Satzungsbestandteil ist (§ 23 Abs 3 Nr 1). Ein fehlender oder ungenügender Rechtsformzusatz führt daher, falls bemerkt, zur Nichteintragung der Gesellschaft (vgl § 38 Abs 4 Nr 1) bzw zum Verfahren der Amtsauflösung (§ 399 FamFG). Jede Änderung der Firma ist Satzungsänderung und anmeldepflichtig (unten Rdn 35). 4
2. Historische Entwicklung der Norm. Die Norm, die auf § 4 des AktG 1937 zurückgeht, enthielt ursprünglich zwei Absätze. Der erste wurde seinerzeit aus § 20 HGB
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1 2
KK/Dauner-Lieb3 § 1 Rdn 3: „Aufklärungs- und Warnfunktion“. Das Verhältnis von § 80 AktG zu § 37a HGB ist unklar, praktisch aber ohne Relevanz.
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Firma | § 4
1897 übernommen und bestimmte, dass die Firma der Aktiengesellschaft in der Regel dem Gegenstand des Unternehmens zu entnehmen sei (Gebot der Sachfirma). Weiterhin wurde darin die Aufnahme des Rechtsformzusatzes „Aktiengesellschaft“ angeordnet (§ 4 Abs 1 Satz 2 AktG 1937). Der zweite Absatz ordnete an, dass der Rechtsformzusatz auch im Fall der Firmenfortführung nach § 22 HGB aufzunehmen sei (§ 4 Abs 2 AktG 1937). Er wurde aus § 22 HGB 1897 übernommen. Grund für die Herauslösung der Vorgaben aus dem Firmenrecht des HGB war die 1937 erfolgte eigenständige Regelung der AG in einem eigenen Gesetz. Dieses sollte auch die für die AG maßgeblichen Firmierungsregeln enthalten. Das AktG 1965 übernahm wörtlich die Regelung des § 4 AktG 1937 in seinen § 4 und ersetzte in Absatz 2 lediglich die Worte „eines von ihr erworbenen Handelsgeschäfts“ durch die Worte „eines auf sie übergegangenen Handelsgeschäfts“. Damit sollte klargestellt werden, dass eine Firmenfortführung im Sinne von § 22 HGB nicht nur bei einem Unternehmenserwerb, sondern auch bei Gebrauchsüberlassungen (zB Unternehmenspacht) in Betracht kommt. Altfirmen, die vor dem 1.1.1900 begründet worden waren, durften zunächst unverändert weitergeführt werden, auch wenn sie nicht die Bezeichnung „Aktiengesellschaft“ enthielten. Dies wurde 1978 durch die Anpassung an die Kapitalrichtlinie (2. Richtlinie) geändert (vgl § 26a EGAktG).3 Seit dem 16. Juni 1980 sind alle deutschen AGs zur Führung des Rechtsformzusatzes verpflichtet. Mit dem Handelsrechtsreformgesetz 1998 wurde das Firmenrecht grundlegend reformiert.4 Die inhaltlichen Vorgaben (Sach- bzw Personalfirma) wurden für alle Rechtsformen abgeschafft. Stattdessen wurde für sämtliche Unternehmensträger die Aufnahme eines Rechtsformzusatzes zwingend vorgeschrieben (vgl § 19 HGB). Im Zuge dieser Reform wurde § 4 Abs 1 Satz 1 (Gebot der Sachfirma) ersatzlos gestrichen. Der verbleibende Absatz 1 Satz 2 (Gebot des Rechtsformzusatzes) wurde mit Absatz 2 aF (Rechtsformzusatz bei Firmenfortführung) zu seiner heutigen Form zusammengeführt. Gleichzeitig wurde die Zulässigkeit einer allgemein verständlichen Abkürzung verbindlich festgelegt. Diese war im Schrifttum zuvor umstritten gewesen.5 Mit dem Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes von 2013 wurde der parallel lautende § 4 GmbHG um einen weiteren Satz ergänzt.6 Verfolgt eine GmbH ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke nach §§ 51 bis 68 der Abgabenordnung kann der Rechtsformzusatz „gGmbH“ lauten (wobei das kleine g für „gemeinnützige“ steht). Damit sollten Zweifel an der firmenrechtlichen Zulässigkeit einer solchen Abkürzung ausgeräumt werden.7 Eine entsprechende Regelung für die AG wurde – ohne Begründung – nicht getroffen. Die Abkürzung „gAG“ ist daher nicht zulässig (näher Rdn 19).
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3. Parallelnormen. Inhaltsgleiche Regelungen enthalten für die GmbH § 4 GmbHG, 9 für die Genossenschaft § 3 GenG, und für den VVaG § 18 VAG. Für die Investment-AG sehen § 118 und § 146 KAGB Sonderregelungen zu §§ 4 und 20 AktG vor. Die für die GmbH ausdrücklich zugelassene Abkürzung „gGmbH“ findet im Aktienrecht allerdings keine Entsprechung (Rdn 8, 19). Davon abgesehen kann auf die Auslegung der Parallelnormen
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3 Dazu Hüffer NJW 1979, 1065, 1070; Heinrich BB 1979, 1480. 4 „Gesetz zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung anderer handels- und gesellschaftsrechtlicher Vorschriften (Handelsrechtsreformgesetz – HRefG)“, BGBl I S 1474. 5 Ablehnend etwa noch 4. Aufl Brändel § 4 Rdn 28. 6 Art 7 des Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamtes vom 21.3.2013, BGBl I 2013 S 556. 7 Solche Zweifel äußernd OLG München 13.12.2006 – 31 WX 34/09, NJW 2007, 1601, m Anm Rohde GmbHR 2007, 267.
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§ 4 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
für Zwecke des § 4 zurückgegriffen werden. Für die KGaA hält § 279 eine eigene Regelung parat. Eine Sonderregelung trifft Art 11 SE-VO. Danach muss eine Societas Europaea (SE) ihrer Firma den Zusatz „SE“ – stets in abgekürzter Form!8 – voran- oder nachstellen (Absatz 1). Abgesehen von Altfällen (Absatz 3) darf im Übrigen nur eine SE diesen Zusatz führen (Absatz 2). Im Vereinsrecht ist der Rechtsformzusatz für den eingetragenen Verein (e.V.) vorgeschrieben (vgl § 65 BGB). 10
4. EU-Recht und Rechtsvergleich. Die gesellschaftsrechtlichen Richtlinien der EU enthalten keine Vorgaben zur Bestimmung der Firma einer Aktiengesellschaft. § 4 muss daher auch nicht richtlinienkonform ausgelegt werden. Eine Sonderregelung für die SE enthält Art 11 SE-VO (Rdn 9). Rechtsvergleichend ist darauf hinzuweisen, dass manche Rechtsordnungen das Firmenrecht wie in Deutschland separat (etwa im Handelsgesetzbuch) regeln, während andere entsprechende Normen in die gesellschaftsrechtliche Kodifizierung aufgenommen haben.9 Sachlich bestehen kaum Unterschiede, was nicht erstaunt, ergeben sich die zentralen Gebote (Identifikationsfähigkeit und Irreführungsverbot) doch mehr oder weniger aus der Natur der Sache. II. Auslegung und Anwendung der Norm
1. Anwendungsbereich. § 4 gilt für jede deutsche Aktiengesellschaft. Eigentlich ist die Norm erst mit Eintragung der AG anwendbar (s Rdn 12), doch muss schon die zur Anmeldung eingereichte Satzung die richtige Firmierung enthalten, um nicht zurückgewiesen zu werden (vgl § 38 Abs 4 Nr 1). Der Zusatz „in Gründung“ hat daher in der Satzung nichts zu suchen. Auch wenn die AG im Rahmen einer Typenverbindung als Gesellschafterin einer anderen Gesellschaft in deren Kennzeichnung erscheint (zB AG & Co KG), muss auf den korrekten Rechtsformzusatz geachtet werden (vgl im Übrigen § 19 Abs 2 HGB und § 279 Abs 2). 12 § 4 gilt nicht für die Vor-AG, weil diese noch keine Aktiengesellschaft, sondern Rechtsform eigener Art ist.10 Ihre Firmierung richtet sich ausschließlich nach §§ 17 ff HGB, die allerdings nur gelten, wenn schon die Vor-AG als solche nach außen auftritt und wenn sie ein Handelsgewerbe betreibt, was auch in Form eines als Sacheinlage einzubringenden Unternehmens möglich ist. § 3, der die Kaufmannseigenschaft fingiert, findet auf die Vor-AG keine Anwendung (Bachmann § 3 Rdn 19). Die Vor-AG darf bereits die Bezeichnung „Aktiengesellschaft“ tragen, muss diese aber im Rechts- und Geschäftsverkehr (nicht in der Satzung!) um den Zusatz „in Gründung“ bzw „iG“ ergänzen, um Irreführungen des Publikums zu vermeiden.11 Anwendbar bleibt § 4 im Liquidationsstadium (vgl § 264 Abs 3), doch ist dann auf 13 Geschäftsbriefen der Zusatz „in Abwicklung“ bzw „in Liquidation“ oder eine entsprechende Abkürzung anzufügen (§ 269 Abs 6). Im Insolvenzverfahren gilt das nicht, weil §§ 265 ff durch die Sonderregeln der InsO verdrängt werden (vgl § 264 Abs 1), welche keine entsprechende Vorgabe enthält. Auf Veranlassung des Insolvenzverwalters sollen solche Zusätze jedoch möglich sein.12 Empfehlenswert sind sie, wenn eine Sanierung 11
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8 Vgl MünchKomm/Schäfer3 Art 11 SE-Vo Rdn 1. 9 So etwa UK Companies Act 2006 (Art 53 ff). 10 Vgl dazu die Erläuterungen bei K. Schmidt § 41. 11 KK/Dauner-Lieb3 § 4 Rdn 4; Schmidt/Lutter/Langhein3 § 4 Rdn 4; Hölters/Solveen2 § 4 Rdn 2. 12 So Beck-OK-GmbHG/Jaeger27 § 4 Rdn 30 und Baumbach-GmbHG/Hueck/Fastrich20 § 4 Rdn 19, beide unter Hinweis auf OLG Karlsruhe 8.1.1993 – 4 W 28/92, NJW 1993, 1931, das aber nur über die Änderungsbefugnis des Verwalters Aussagen trifft.
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ausscheidet und die insolvente Gesellschaft abgewickelt wird. Im Fall der Nachtragsliquidation sollte auch dies durch entsprechenden Zusatz („in Nachtragsliquidation“) deutlich gemacht werden.13 Keine Anwendung findet § 4 auf die Societas Europaea (SE), weil die SE-VO insoweit 14 eine Sonderregelung trifft (Art 11 SE-VO), welche dem nationalen Recht vorgeht (vgl Art 9 Abs 1 SE-VO). Von Bedeutung ist das, weil die Abkürzung der Rechtsform bei der SE nicht nur möglich, sondern vorgeschrieben ist. Ferner gilt § 4 nicht für die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), da § 279 insofern lex specialis ist. Bei der Investment-AG wird der Grundtatbestand des § 4 AktG durch die Spezialvorschrift des § 118 KAGB modifiziert. 2. Bezeichnung „Aktiengesellschaft“. Der Rechtsformzusatz „Aktiengesellschaft“ 15 kann stets in ausgeschriebener Form verwandt werden (anders bei der SE, Rdn 9, 14). Er muss wörtlich, also in deutscher Sprache, übernommen werden. Anderweitige Wortverbindungen (zB „Aktienbrauerei“ oder „Elbe-Schifffahrtsgesellschaft auf Aktien“) genügen nicht. Eine Verwendung in Klammern ist nicht untersagt,14 aber unüblich. Weil der Zusatz lediglich „Bestandteil“ der Firma sein muss, ist es im Prinzip unerheblich, ob dieser vor oder nach dem Firmenkern platziert wird.15 Für die SE ist diese Wahlfreiheit in Art 11 Abs 1 SE-VO ausdrücklich zugelassen. Problematischer ist es, den Rechtsformzusatz in der Mitte der Gesamtbezeichnung 16 anzusiedeln, weil dieser dann in der Firma „unterzugehen“ droht.16 Wird der Rechtsformzusatz nicht am Ende platziert, was allgemein üblich und empfehlenswert ist, kann dies nur akzeptiert werden, wenn die Rechtsform dadurch nicht verschleiert wird. Zulässig wäre etwa eine Firmierung als „Aktiengesellschaft Paul Müller“, bedenklich dagegen die Firma „Aktiengesellschaft Paul Müller & Co“, weil sie den Eindruck erweckt, dass die AG Partner einer Personengesellschaft ist. Der Zusatz „mit beschränkter Haftung“ ist nur für die GmbH vorgeschrieben (vgl § 4 GmbHG). Er sollte bei der AG besser unterbleiben, weil zwar auch dort nur das Gesellschaftsvermögen haftet (§ 1 Abs 1 Satz), jedoch ansonsten Verwechslungen mit der GmbH drohen. 3. Allgemein verständliche Abkürzung a) Abkürzung der Rechtsform. Das Gesetz lässt heute ausdrücklich eine allgemein 17 verständliche Abkürzung des Wortes „Aktiengesellschaft“ zu. Eingebürgert hat sich das Kürzel „AG“, das allgemein akzeptiert wird. Als allgemein verständlich dürften auch die Abbreviaturen „Aktienges.“ und „AktGes.“ anzusehen sein.17 Andere Abkürzungen oder Kurzformen („AktG“, „auf Aktien“) sind denkbar, provozieren aber Missverständnisse und sind daher nicht zu akzeptieren.18 Nicht ausreichend ist auch das früher gebräuchliche Anhängen der Abkürzung „AG“ an den großgeschriebenen, ebenfalls abgekürzten Firmenkern (zB GEHAG, GEWOBAG).19
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13 Spindler/Stilz/Bachmann3 § 273 Rdn 27. 14 OGH 20.1.2000 – 6 Ob 98/99a, NZG 2000, 593; Schmidt/Lutter/Lutter3 § 4 Rdn 7; zweifelnd KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 9. 15 KK/Dauner-Lieb3 § 4 Rdn 9; Spindler/Stilz/Drescher3 § 4 Rdn 4. 16 AA Schmidt/Lutter/Langhein3 § 4 Rdn 6; MünchKomm/Heider 4§ 4 Rdn 18. 17 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 § 2 Rdn 8; enger Spindler/Stilz/Drescher3 § 4 Rdn 5. 18 Liberaler (für OHG und KG) Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 19 Rdn 12, 20 (auch Mischformen zulässig); ebenso für die AG Schmidt/Lutter/Langhein3 § 4 Rdn 5 unter Verweis auf Begr RegE zum HRefG, BT-Drucks 13/8444, S 74. 19 Vgl OLG Dresden, NZG 2010, 1237; OLG Köln, GRUR-RR 2007, 163; aA wohl Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 5.
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b) Zusätzliche Abkürzungen. Das Gesetz verhält sich nicht zu der Frage, ob neben der abgekürzten Rechtsform („AG“) weitere Kürzel in der Firma auftauchen dürfen. Sie ist nach allgemeinen firmenrechtlichen Grundsätzen zu beantworten. Soweit die zusätzliche Abkürzung den Firmenkern ausmacht („SAP“), kommt es allein darauf an, ob dies zur Kennzeichnung geeignet ist (Rdn 27). Unzulässig sind Abkürzungen, die – für sich genommen oder im Zusammenspiel mit dem Kürzel „AG“ – auf eine andere Rechtsform hindeuten (zB „KG“), weil dies für Verwirrung sorgt. Dies gilt auch dann, wenn die AG ein vormals in anderer Rechtsform betriebenes Unternehmen fortführt: der frühere Rechtsformzusatz (zB GmbH) muss dann entfallen.20 Die Abkürzung „SE“ ist ohnehin für die Societas Europaea reserviert (Art 11 Abs 2 SE-VO). Der Zusatz „& Co.“ deutet auf eine Personengesellschaft und ist daher ebenfalls zu meiden. Für gemeinnützige Gesellschaften lässt das GmbH-Recht (§ 4 Satz 2 GmbHG) aus19 drücklich die Abkürzung „gGmbH“ (für: „gemeinnützige GmbH“) zu (oben Rdn 8). Damit ist der Gesetzgeber der gegenteiligen Auffassung in der Rechtsprechung, welche dies für irreführend und damit gem § 18 Abs 2 HGB für unzulässig hielt,21 entgegen getreten. Für die AG wurde auf eine entsprechende Regelung verzichtet. Weil die Untätigkeit des Gesetzgebers wohl nur darauf zurückzuführen ist, dass eine solche Firmierung bei AGs bislang ungebräuchlich ist, kann daraus nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass die Firmierung als „gAG“ bei der AG per se nicht gestattet ist.22 Sie könnte aber schon aufgrund der Nähe zu dem Kürzel KAG (Kapitalanlagegesellschaft) als Hinweis auf eine besondere Rechts- oder Unternehmensform missverstanden werden und ist deshalb nach § 18 Abs 2 HGB als unzulässig anzusehen.23 4. Firmenfortführung a) Firmenfortführung nach § 22 HGB. § 4 gebietet den Rechtsformzusatz auch dann, wenn die Firma nach § 22 HGB oder nach „anderen gesetzlichen Vorschriften“ (dazu Rdn 23 f.) fortgeführt wird. Nach § 22 HGB darf derjenige, der ein bestehendes Unternehmen („Handelsgeschäft“) erwirbt, die bisherige Firma fortführen, wenn der vorherige Geschäftsinhaber bzw dessen Erben damit einverstanden sind. Ein Nachfolgezusatz („Nachf.“, „vormals …“) kann, muss aber nicht beigefügt werden. Die Norm gilt nach traditioneller Sicht nur für den Erwerb eines kaufmännischen Unternehmens.24 Sie betrifft allein den Asset Deal, weil beim Share Deal der Unternehmensträger erworben wird, dessen Firma durch den Wechsel der Anteilsinhaber ohnehin unberührt bleibt. Führt eine AG die Firma eines übernommenen Unternehmens nach § 22 HGB fort, muss sie ihre bisherige Firma wegen des Grundsatzes der Firmeneinheitlichkeit (Rdn 26) aufgeben.25 Ist das – wie im Regelfall – nicht gewünscht, sollte das erworbene Unternehmen einen eigenen Rechtsträger erhalten. Andernfalls muss die AG umfirmieren (Bsp „Daimler Chrysler AG“). 21 § 22 HGB ist Ausdruck des Grundsatzes der Firmenbeständigkeit, indem er die Fortführung einer etablierten Firma auch dann gestattet, wenn sie nach allgemeinen Regeln (§ 18 HGB) bedenklich wäre.26 Dieser Grundsatz erfährt durch § 4 eine Ein-
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20 Vgl Bachmann EWiR 2000, 87. 21 OLG München 13.12.2006 – 31 WX 34/09, NJW 2007, 1601, m Anm Rohde: GmbHR 2007, 267. 22 Insoweit zutreffend Wachter GmbHR 2013, R 145. 23 AA Wachter GmbHR 2013, R 145. 24 BayObLG 27.10.1988 – BReg 3 Z 117/88, NJW-RR 1989, 421; Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 22 Rdn 7; krit K. Schmidt Handelsrecht6, § 12 I 2, III 2 b). 25 KK/Dauner-Lieb3 § 4 Rdn 20. 26 Dazu Clausnitzer DNotZ 2010, 345, 360 ff.
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schränkung, indem die fortgeführte Firma in jedem Fall um den Zusatz „Aktiengesellschaft“ oder „AG“ ergänzt werden muss. Enthält die fortgeführte Firma ihrerseits einen Rechtsformzusatz, muss dieser gestrichen werden, weil ein doppelter Rechtsformzusatz irreführend ist.27 § 22 HGB kann bei der Aufspaltung von Unternehmensgruppen mit § 12 BGB kol- 22 lidieren, wenn zB die AG ein bislang zu einer Unternehmensgruppe gehörendes Handelsgeschäft unter Fortführung von dessen Namen (ua vom Insolvenzverwalter) erwirbt und anschließend von den übrigen Mitgliedern der Gruppe, die den gleichen Namen benutzen, auf Unterlassung in Anspruch genommen wird („Heinkel“-Fall).28 Hier stößt das Interesse an einer Realisierung des im Namen des veräußerten Unternehmens steckenden „Goodwill“ mit dem Interesse der übrigen Namensträger an der Erhaltung der herkunftskennzeichnenden Kraft ihrer eigenen Geschäftsbezeichnung aufeinander. Allein durch Anwendung des Prioritätsgrundsatzes lässt sich dieser Normenkonflikt nicht beseitigen. Vielmehr eröffnen die Grundsätze zum Recht der Gleichnamigen eine angemessene Lösungsmöglichkeit. Die Pflicht zur Beifügung unterscheidender Zusätze trifft hierbei grundsätzlich denjenigen, bei dem die von ihm angesprochenen Verkehrskreise seine weitere Zugehörigkeit zu der bislang einheitlichen Unternehmensgruppe voraussetzen und deshalb einen Hinweis auf das Ausscheiden aus dieser Unternehmensgruppe erwarten dürfen.29 b) Firmenfortführung nach „anderen gesetzlichen Vorschriften“ aa) Firmenfortführung nach HGB. Enthält die Firma den Namen eines Aktionärs 23 und ändert sich dieser (zB auf Grund von Namensänderung oder Heirat), darf die AG gleichwohl den alten Namen weiter führen. Dies ergibt sich aus § 21 HGB, der auch für juristische Personen gilt.30 Scheidet ein namengebender Aktionär aus, darf die Firma ebenfalls fortgeführt werden, und zwar auch ohne Einwilligung des Ausscheidenden. § 24 Abs 2 HGB steht dem nicht entgegen, da die Vorschrift auf Kapitalgesellschaften keine Anwendung findet.31 Entsprechendes gilt bei Ausscheiden eines namengebenden Organmitglieds oder Mitarbeiters. Ausnahmen kommen in Betracht, wenn Namenszusätze (zB Dipl.-Ing.) auf eine für das Unternehmen zentrale Qualifikation hindeuten, die nach dem Ausscheiden nicht mehr vorhanden ist.32 Sonstige Änderungen im Aktionärsoder Mitarbeiterkreis bleiben erst recht ohne Auswirkung auf die Firma. Für Personenhandelsgesellschaften ist dies in § 24 Abs 1 HGB ausdrücklich festgelegt. bb) Firmenfortführung bei Umwandlung. Sonderregeln für die Firmenfortführung 24 enthält das Umwandlungsgesetz. Nach § 15 Abs 1 UmwG darf bei der Verschmelzung der übernehmende Rechtsträger die Firma des übertragenden Rechtsträgers grundsätzlich fortführen. Selbiges gilt bei der Aufspaltung (§ 125 UmwG iVm § 15 UmwG), wenn das die Firma fortführende Unternehmen im Großen und Ganzen das Gleiche ist.33 Beim Formwechsel darf der Rechtsträger der neuen Rechtsform seine bisherige Firma beibehalten, § 200 UmwG. Ist der die Firma fortführende Rechtsträger eine AG, ordnet § 4 für alle diese
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27 Bachmann EWiR 2000, 87; Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 19 Rdn 34. 28 Vgl OLG Karlsruhe 26.10.1988 – 6 U 175/87, mit zustimmender Anm Klaka EWiR 1989, 303. 29 In diesem Sinne Canaris GRUR 1989, 711, 719. 30 Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 21 Rdn 2. 31 BGH 27.9.1982 – II ZR 51/82, BGHZ 85, 221, 224 = NJW 1983, 755, 756; BGH 20.4.1972 – II ZR 17/70,BGHZ 58, 322 = NJW 1972, 1419; BGH 29.9.1969 – II ZR 167/68, WM 1969, 1321. 32 Vgl Hönn ZHR 153 (1989), 386, 417; strenger, aber überholt KG DR 1941, 2677. 33 Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 19 Rdn 40.
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Fälle die Beifügung des Rechtsformzusatzes „Aktiengesellschaft“ (bzw einer allgemein verständlichen Abkürzung) an. Alte Rechtsformzusätze sind aus der fortgeführten Firma zu streichen, da es keinen doppelten Rechtsformzusatz geben darf (Rdn 18). III. Sonstige Grundsätze der Firmenbildung 25
1. Allgemeines. § 4 regelt nur den Rechtsformzusatz und bildet damit eine Spezialregelung zu § 19 HGB. Inhaltliche Maßstäbe für die Firmenbildung stellt § 4 nicht (mehr) auf. Die korrekte Firmierung der AG richtet sich damit nach den einschlägigen Vorschriften des Handelsrechts (§§ 17 ff HGB). Zu diesen können je nach Unternehmensgegenstand branchenbezogene Sonderregeln treten, namentlich diejenigen des Kreditwesengesetzes (§§ 39 ff KWG), des Versicherungsaufsichtsgesetzes (§§ 4, 18 VAG) und des Kapitalanlagerechts (§§ 4 f, 118, 146 KAGB), ferner diejenigen des Standesrechts für freie Berufe, etwa § 31 WPO (Wirtschaftsprüfer), § 53 StBerG (Steuerberater) und § 59k BRAO (Rechtsanwälte). Hier sind nur die allgemeinen Grundzüge richtiger Firmenbildung und ihre Beziehungen zur AG darzustellen. Im Übrigen ist auf die handelsrechtlichen Erläuterungswerke sowie auf einschlägige Spezialdarstellungen zu verweisen. 2. Grundsätze ordnungsgemäßer Firmierung
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a) Firmeneinheit. Nach dem (ungeschriebenen) Grundsatz der Firmeneinheit kann eine Kapitalgesellschaft immer nur eine Firma führen, auch wenn sie einen Doppelsitz hat oder neben dem eigenen Handelsgeschäft ein erworbenes weiteres Handelsgeschäft betreibt.34 Ein auf sie übergegangenes Handelsgeschäft kann die AG zwar unter ihrer Firma als Zweigniederlassung fortführen, muss dabei aber erkennen lassen, dass es sich um eine Zweigniederlassung und um wessen Zweigniederlassung es sich handelt.35
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b) Firmenklarheit (§ 18 Abs 1 HGB). Die Firma der AG muss zu ihrer Kennzeichnung geeignet sein und Unterscheidungskraft besitzen (§ 18 Abs 1 HGB). Nicht mehr erforderlich ist, dass der Name dem Unternehmensgegenstand entliehen ist (so bis 1998 noch § 4 Abs 1 Satz 1 aF). Die Firma kann daher eine Personenfirma sein („Heinrich Kofler AG“), eine Sachfirma („Metallwaren AG“), eine Kombination von beidem („Kofler Metallwaren AG“) oder – heute beliebt – eine Phantasiefirma („Evonik AG“). Ein Regionalzusatz kann beigefügt werden, sofern er nicht irreführend ist („Rheinische Zuckerrüben AG“, „Bayerische Motorenwerke AG“). Auch Buchstaben- und Zahlenkombinationen („SAP“, „1 & 1“) sind zulässig, soweit sie hinreichende Unterscheidungskraft besitzen.36
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c) Firmenwahrheit (§ 18 Abs 2 HGB). Die Firma darf keine Angaben enthalten, die geeignet sind, über geschäftliche Verhältnisse, die für die angesprochenen Verkehrskreise wesentlich sind, irrezuführen (§ 18 Abs 1 Satz 1 HGB). Zurückhaltung ist zB bei dem Attribut „Deutsche“ geboten, weil damit überregionale Bedeutung behauptet, eine Alleinstellung bzw Marktführerschaft suggeriert und – durch Anlehnung an amtliche Be-
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34 RG 30.10.1914 – II B 4/114, II B 5/14, RGZ 85, 397, 399; RG 15.6.1920 – II 4/20, RGZ 99, 158, 159; RG 30.3.1926 – II B 8/26 –, RGZ 113, 213, 216; RG 24.9.1926 – II 558/25, RGZ 114, 318, 320; KK/Dauner-Lieb3 § 4 Rdn 18; MünchKomm/Heider3 § 4 Rdn 32; Knopp ZHR 125 (1963) 161, 170 ff; aA für die OHG: OLG Graz 4.7.1961 – 4 R 91/61 und dazu Nies NJW 1962, 208. 35 RG 30.3.1926 – II B 8/26, RGZ 113, 213. 36 BGH 8.12.2008 – II ZB 46/07 = DStR 2009, 333; Weitere Bsp bei Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 18 Rdn 4 u § 19 Rdn 10.
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zeichnungen („Deutsche Bundesbank“) – eine offiziöse Seriosität ausgestrahlt wird.37 Anders liegt es, wenn der Zusatz nur der Kennzeichnung der nationalen Niederlassung eines ausländischen Unternehmens dient.38 Noch größere Vorsicht ist bei dem Zusatz „Europäische“ am Platz, da hier die Verwechslung mit der SE droht (vgl auch Art 11 Abs 2 SE-VO).39 Auch „Internationale“ sollte nur bei erkennbar grenzüberschreitendem Bezug zugelassen werden.40 Entsprechendes gilt für (ausländische) Lokalbezeichnungen. Namen realer Personen, die mit dem Unternehmen nichts zu tun haben, dürfen 29 auch mit deren Einwilligung nicht in die Firma aufgenommen werden, wenn das Publikum dadurch getäuscht wird.41 Dagegen verliert die AG durch das Ausscheiden namengebender Personen nicht das Recht, die Personalfirma fortzuführen (Rdn 23). Phantasienamen sind zulässig, soweit diese nicht wiederum täuschungsgeeignet sind (zB erfundene Adelsprädikate oder erdichtete akademische Würden). 42 Der Zusatz „und Partner“ oder „Partnerschaft“ ist seit 1994 für die Partnerschaftsgesellschaft reserviert (vgl § 11 Abs 1 PartGG). Ein Gegenstand, der überhaupt nicht betrieben wird, darf – auch wenn er in der 30 Satzung erscheint – ebenfalls nicht in der Firma verwandt werden.43 Ausnahmen kommen für Alt-Firmen (Bestandsschutz) oder bei Firmenfortführung in Betracht (Rdn 20 f), namentlich wenn die Firma inzwischen eine gewisse Verkehrsgeltung erlangt hat. Hat die AG ihr Unternehmen samt Firma (§ 23 HGB) veräußert, ist sie dagegen gezwungen, eine neue Firma zu bilden.44 Zu beachten ist, dass bestimmte Gegenstandsbezeichnungen (zB Bank) gesetzlich geschützt sind (vgl § 39 KWG). d) Firmenunterscheidbarkeit (§ 30 HGB). Schon aus dem Grundsatz der Fir- 31 menklarheit ergibt sich das Gebot der Unterscheidungskraft (vgl § 18 Abs 1 HGB). Verschärft wird es durch § 30 Abs 1 HGB, wonach sich jede neue Firma von allen an demselben Orte bereits bestehenden und in das Handels- oder Genossenschaftsregister eingetragenen Firmen deutlich unterscheiden muss. Wann diese Unterscheidungskraft gegeben ist, lässt sich pauschal nicht sagen, sondern muss von Fall zu Fall vor dem Hintergrund einer reichhaltigen Kasuistik ermittelt werden. 45 Ein unterschiedlicher Rechtsformzusatz („Düsseldorfer Finanzkontor AG“ versus „Düsseldorfer Finanzkontor GmbH“) wird vom Publikum sicher leicht übersehen, in der Registerpraxis aber oftmals akzeptiert.46 Schwierigkeiten können sich bei Konzernfamilien mit zahlreichen Tochter- und 32 (Zwischen-)Holding-Gesellschaften ergeben, insbesondere wenn diese am selben Ort registriert werden. Hier kann eine unterschiedliche Rechtsform helfen (Rdn 31). Im Übrigen ist Großzügigkeit am Platz, weil das berechtigte Interesse des Konzerns an einheitlicher Namensgebung nicht vernachlässigt werden darf. Vor der für den Gläubiger mitunter überraschenden Erkenntnis, nicht mit der liquiden Mutter, sondern mit einer
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37 Vgl BGH 29.10.1969 – I ZR 63/68, BGHZ 53, 339, 342 = NJW 1970, 1364; BGH 13.11.1981 – I ZR 2/80, BGH GRUR 1982, 239, 240; OLG Celle 7.7.1971 – 13 U 12/71, BB 1971, 1298. 38 BGH 13.11.1981 – I ZR 2/80, GRUR 1982, 239, 240. 39 Vgl auch BGH 29.10.1969 – I ZR 63/68, BGHZ 53, 339, 343 = NJW 1970, 1364. 40 OLG Hamburg 1.12.1983 – 3 U 65/82, WRP 1984, 93, 95. 41 KK/Dauner-Lieb3 § 4 Rdn 14; Baumbach/Hopt-HGB/Hopt3 § 19 Rdn 16. 42 Vgl Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 18 Rdn 35. 43 Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 19 Rdn 9. 44 RG 29.5.1923 – II B 1/23, RGZ 107, 31, 33; Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 22 Rdn 22. 45 Näher Schmidt/Lutter/Langhein3 § 4 Rdn 20 ff. 46 Strenger aber noch BGH 14.7.1966 – II ZB 4/66, BGHZ 46, 7 = NJW 1966, 1813 m Anm Jansen.
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fast namensgleichen (aber nunmehr insolventen) Tochter kontrahiert zu haben, vermag das Firmenrecht ohnehin nicht effektiv zu schützen. 33
3. Die Firma der Zweigniederlassung. Die Zweigniederlassung ist kein Rechtsträger und hat daher an sich keine eigene Firma.47 Eröffnet eine AG eine Zweigniederlassung, hat sie dies unter Angabe des Ortes und der Geschäftsadresse der Zweigniederlassung beim Register ihres Sitzes anzumelden (§ 13 Abs 1 HGB). Die Zweigniederlassung wird dann auf dem Registerblatt der AG vermerkt (§ 13 Abs 2 HGB). Zur besonderen Kennzeichnung der Zweigniederlassung kann gem § 13 Abs 1 HGB ein Zusatz vermerkt werden („Deutsche Bank AG, Niederlassung Berlin“). § 50 Abs 3 HGB geht demgegenüber davon aus, dass eine Zweigniederlassung unter einer von der Hauptniederlassung abweichenden Firma agieren darf. Dann muss aber wenigstens der Firmenkern von Zweig- und Hauptniederlassung einheitlich sein.48 Nach großzügigerer, aber zweifelhafter Lesart kann der Firmenkern differieren, wenn nur die Zugehörigkeit zur Hauptniederlassung durch einen entsprechenden Zusatz klargestellt wird.49 In jedem Fall ist der Eindruck zu vermeiden, dass die Zweigniederlassung ein eigener Rechtsträger ist. Wird ein von der AG übernommenes Unternehmen als Zweigniederlassung betrie34 ben, darf es nach § 22 HGB die bisherige Firma fortführen, muss aber deutlich machen, dass es sich (nur) um eine Zweigniederlassung und um wessen Zweigniederlassung es sich handelt.50 Dieser Zusatz muss die Bezeichnung „Aktiengesellschaft“ (oder eine allgemein verständliche Abkürzung) enthalten (zB „Schulze & Co. – Zweigniederlassung der Oberrheinischen Zementwerke AG“). IV. Änderung der Firma 35
Weil die Firma notwendiger Satzungsbestandteil ist (§ 23 Abs 3 Nr 1), kann sie nur im Wege der Satzungsänderung gem den §§ 179 ff geändert werden. Das gilt auch für Ergänzungen wie die Beifügung eines Nachfolgezusatzes. Die Aktionäre sind kraft ihrer Treuepflicht gehalten, an der Änderung mitzuwirken, wenn nur so rechtmäßige Zustände herbeigeführt werden können. Führt die AG eine unzulässige Firma, kann das Registergericht die AG unter Androhung der Auflösung (§ 399 FamFG) oder der Verhängung eines Ordnungsgelds (§ 37 Abs 1 FamFG) zur Änderung der Satzung zwingen. Dritte können selbiges uU durch Geltendmachung eines Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs erreichen (Rdn 39). V. Durchsetzung
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1. Durchsetzung durch das Registergericht. Eine (korrekte) Firma ist zwingender Satzungsbestandteil (§ 23 Abs 3 Nr 1). Ein fehlender oder ungenügender Rechtsformzusatz in der Satzung führt zwar nicht zur Nichtigkeit der Satzung.51 Wird der Mangel aber bei der Anmeldung bemerkt, resultiert dies in der Nichteintragung der Gesellschaft (vgl
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47 Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 13 Rdn 7. 48 RG 30.3.1926 – II B 8/26, RGZ 113, 213, 218; RG 24.9.1926 – II 558/25, RGZ 114, 318, 320. 49 BayOLG 19.3.1992 – 3Z BR 15/92, BB 1992, 944, welches dann (bei untersch Firmenkern) aber die Aufnahme der Firma der Zweigniederlassung in die Satzung verlangt; Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 13 Rdn 7; Spindler/Stilz/Drescher3 § 4 Rdn 21. 50 RG 30.3.1926 – II B 8/26, RGZ 113, 213; Schmidt/Lutter/Langhein3 § 4 Rdn 45. 51 So aber noch RG GruchB 56 (1912), 917.
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§ 38 Abs 4 Nr 1). Wird der Mangel erst nach Eintragung entdeckt, ist das Verfahren der Amtsauflösung (§ 399 FamFG) einzuleiten. Der Gesellschaft wird dabei zunächst Gelegenheit zur Beseitigung des Mangels gegeben.52 Größere Hürden ergeben sich daraus nicht, weil der Mangel leicht behoben werden kann. Dazu bedarf es einer Satzungsänderung, an der mitzuwirken die Gründer kraft Treuepflicht verpflichtet sind. Sonstige Mängel der Firmierung (zB fehlende Unterscheidungskraft, Irreführung) können bei der Eintragungsprüfung ebenfalls gerügt werden (§ 38 Abs 4 Nr 1), doch wird die Eignung zur Irreführung nur berücksichtigt, wenn sie ersichtlich ist (§ 18 Abs 2 Satz 2 HGB). Dessen ungeachtet können solche Mängel anschließend das Amtsauflösungsverfahren nach § 399 FamFG auslösen, weil jede Verletzung zwingender firmenrechtlicher Grundsätze zur Nichtigkeit der betreffenden Satzungsbestimmung führt. Die gleichen Grundsätze finden Anwendung, wenn die Firma durch eine spätere Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse unzulässig wird. Ein (versehentlich) eingetragener nichtiger Hauptversammlungsbeschluss zur Änderung der Firma kann gem § 398 FamFG gelöscht werden. § 37 Abs 1 HGB verleiht dem Registergericht zusätzlich die Befugnis, die Einhaltung 37 der §§ 17 ff HGB durch Androhung (§ 392 FamFG) und Verhängung von Ordnungsgeld zu erzwingen. Damit kann das Registergericht insbesondere gegen die unzulässige Firmierung außerhalb der Satzung (zB auf Geschäftsbriefen, Prospekten) vorgehen. Ein Rangverhältnis, wonach das Gericht erst das Missbrauchsverfahren nach § 37 Abs 1 HGB betreiben muss, bevor es zum Verfahren der Amtsauflösung (§ 399 FamFG) schreiten darf, besteht nicht.53 Dies wird auch nicht durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geboten,54 weil der AG in beiden Fällen Gelegenheit zu Einwänden gegeben wird. Das Verfahren nach § 399 FamFG ist daher nicht wirklich schärfer als dasjenige nach § 392 FamFG. Das Registergericht kann gem § 37 Abs 1 HGB nicht nur gegen die unzulässig firmie- 38 rende AG, sondern auch gegen Dritte vorgehen, wenn diese sich einer unzulässigen Firma bedienen. Unternehmen, die nicht als AG organisiert sind, dürfen keine Geschäftsbezeichnungen verwenden, die im Verkehr die Vorstellung erwecken könnten, man habe es mit einer Aktiengesellschaft zu tun.55 Das Einschreiten des Registergerichts kann von der AG angeregt werden (§ 24 FamFG). 2. Durchsetzung durch Private. Verletzt die AG durch ihre Firmenwahl die Na- 39 mensrechte Dritter, können diese nach § 12 BGB, gegebenenfalls auch nach den einschlägigen Normen des Lauterkeitsrechts und des gewerblichen Rechtsschutzes Unterlassung, Beseitigung sowie (iVm § 823 Abs 2 BGB) bei schuldhaftem Verstoß Schadensersatz verlangen.56 Daneben kann § 37 Abs 2 HGB der AG ein Klagerecht verleihen. Der dadurch erreichte materielle Schutz der Firma ist jedoch gering, da er sachlich (§§ 18 ff HGB) und räumlich (§ 30 HGB) beschränkt ist. Die Priorität des Firmenrechts der AG beurteilt sich nach dem Zeitpunkt der Inge- 40 brauchnahme des Firmennamens.57 Das Firmenrecht entsteht, sobald die Vor-AG errichtet ist (§ 29) und mit der Benutzung des zulässig gebildeten Firmennamens beginnt. Änderungen der Rechtsform bei Wahrung der Unternehmenskontinuität beseitigen die Priorität ebenso wenig wie ein vorübergehender Nichtgebrauch. Das Firmenrecht steht der AG
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52 Näher 4. Aufl Brändel § 4 Rdn 48 f; Schmidt/Lutter/Riesenhuber3 § 262 Rdn 20; Spindler/Stilz/Bachmann3 § 262 Rdn 50. 53 Vgl BayOLG 23.2.1989 – Breg 3 Z 136/88, BB 1989, 727, 729. 54 AA 4. Aufl Brändel § 4 Rdn 48; Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 37 Rdn 8; Jansen NJW 1966, 1813. 55 BGH 25.10.1956 – II ZB 18/56, BGHZ 22, 88, 90 = NJW 1956, 1873; OLG Köln 14.7.2006 – 6 U 226/05, DStR 2007, 267; Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 18 Rdn 22. 56 Spindler/Stilz/Drescher3 § 4 Rdn 20; vgl näher Staub-HGB/Burgard5 § 37 Rdn 35 ff. 57 Vgl nur BGH 11.11.1955 – I ZR 157/53, BGHZ 19, 23, 30 = GRUR 1956, 172 (Magirus).
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§ 5 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
grundsätzlich bis zur endgültigen Aufgabe der Benutzung, also auch noch während des Liquidationsverfahrens bis zum Erlöschen der Gesellschaft als Rechtspersönlichkeit zu. 41
3. Schutz der eigenen Firma. Nach den soeben (Rdn 39) genannten Normen kann die AG auch den Schutz ihrer eigenen Firma gegen Dritte durchsetzen. Ob und mit welchem Aufwand sie dies tut, ist eine unternehmerische Entscheidung, für die der Vorstand den Schutz der Business Judgement Rule (§ 93 Abs 1 Satz 2) genießt. Entsprechendes gilt für die Frage, ob die AG sich gegen den Vorwurf unzulässiger Firmierung zur Wehr setzt oder ob sie nachgibt und umfirmiert. Das bei alledem rechtliche Erwägungen mit im Spiel sind, schließt die Anwendung von § 93 Abs 1 Satz 2 AktG nicht aus.58
4. Rechtsscheinhaftung. Ergänzt wird § 4 durch das Gebot, die Firma einschließlich des vorgeschriebenen Rechtsformzusatzes auf allen Geschäftsbriefen zu verwenden (§ 80). Rechtsgeschäfte, die der Vorstand im Namen der AG unter Missachtung dieser Vorgabe abschließt, führen nach hM zu einer persönlichen Haftung des unmittelbar im Rechtsverkehr Auftretenden analog § 179 BGB.59 Das Haftungskonzept der hM kann dogmatisch und wertungsmäßig nicht überzeugen 43 und ist daher abzulehnen. Insbesondere ist die Rechtsfolge der hM, wonach die vertretene AG und der Handelnde kumulativ als Gesamtschuldner auf Erfüllung haften, wertungsmäßig nicht haltbar. Vielmehr ist für jeden Einzelfall durch Auslegung zu prüfen, ob das objektive Interesse des Vertragspartners an der Rechtsformidentität des Unternehmensträgers so stark ist, das eine wirksame Stellvertretung ausnahmsweise entgegen der Auslegungsregel des unternehmensbezogenen Rechtsgeschäfts scheitert.60 Nur in diesem Fall greift als Kompensation für den gescheiterten Vertrag mit der nichtexistenten natürlichen Person als Unternehmensträger eine Haftung des Handelnden analog § 179 BGB. Andernfalls haftet der Handelnde für den unterlassenen Rechtsformzusatz nach den Grundsätzen der c.i.c. sowie gem § 823 Abs 2 BGB iVm § 80 auf das negative Interesse.61 Vorrangig (§ 254 BGB) kann er den Vertrag gem § 119 Abs 2 BGB bzw § 123 BGB anfechten.62 § 5 Sitz Bachmann 42
§5 Sitz Sitz der Gesellschaft ist der Ort im Inland, den die Satzung bestimmt. Neueres Schrifttum (ab 2000) Bayer/Hoffmann Aktiengesellschaft mit Doppelsitz, AG Report 2010, R 259; Eidenmüller Wettbewerb der Gesellschaftsrechte in Europa, ZIP 2002, S 2233; Hirte Die „Große GmbH-Reform“ – Ein Überblick über das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), NZG
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58 Vgl Bachmann WM 2015, 105, 108; Hasselbach/Ebbinghaus AG 2014, 873. 59 BGH 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216, 222 ff = NJW 1974, 1191; BGH 8.7.1996 – II ZR 258/95, NJW 1996, 2645; BGH 12.6.2012 – II ZR 256/11, NJW 2012, 2871 (wenn für eine UG gehandelt aber als GmbH firmiert wird); Habersack § 80 Rdn 18; KK/Dauner-Lieb3 § 4 Rdn 9; MünchKomm/Heider3 § 4 Rdn 20; Spindler/Stilz/Drescher3 § 4 Rdn 6; ablehnend Haas NJW 1997, 2854, 2855 ff; Altmeppen ZIP 2007, 889, 894 ff; ders NJW 2012, 2833, 2836; Roth/Altmeppen-GmbHG/Altmeppen § 35 Rdn 36; N. Klein NJW 2015, 3607, 3609 f. Für Haftung analog § 11 Abs 2 GmbH Beurskens NZG 2016, 681. 60 Überzeugend dargestellt bei N. Klein NJW 2015, 3607, 3609 f. 61 Die hM lehnt eine Haftung gem § 823 Abs 2 BGB mangels Schutzgesetzcharakters der Firmierungspflichten ab, vgl Altmeppen ZIP 2007, 889, 894 mwN; aA wie hier N. Klein NJW 2015, 3607, 3610; Haas NJW 1997, 2854, 2857; wohl zust Canaris Handelsrecht24, § 6 Rdn 48. 62 Vgl Altmeppen NJW 2012, 2833, 2838 ff.
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Sitz | § 5
2008, S 761; Hoffmann Die stille Bestattung der Sitztheorie, ZIP 2007, 1581; Kindler Sitzverlegung, in Goette/ Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, S 233; König Doppelsitz einer Kapitalgesellschaft – Gesetzliches Verbot oder zulässiges Mittel der Gestaltung einer Fusion? AG 2000, S 18; Leible Niederlassungsfreiheit und Sitzverlegungsrichtlinie, ZGR 2004, S 531; Lieder/Kliebisch Nichts Neues im Internationalen Gesellschaftsrecht: Anwendbarkeit der Sitztheorie auf Gesellschaften aus Drittstaaten? BB 2009, S 338; Meckbach Wahl des Satzungssitzes der Kapitalgesellschaft: Forum Shopping bei inländischen Gesellschaften? NZG 2014, S 526; Otte Folgen der Trennung von Verwaltungs- und Satzungssitz für die gesellschaftsrechtliche Praxis, BB 2009, S 344; Paefgen „Cartesio“: Niederlassungsfreiheit minderer Güte, WM 2009, S 529; Pluskat Die Zulässigkeit des Mehrfachsitzes und die Lösung der damit verbundenen Probleme, WM 2004, S 601; Roth Grenzüberschreitender Rechtsformwechsel nach VALE, FS Hoffmann-Becking, 2013, S 965. Älteres Schrifttum (bis 1999) Balser Der Doppelsitz von Kapitalgesellschaften DB 1972, S 2049; Barz Rechtliche Folgen der Verschmelzung von Unternehmen, AG 1972, S 1; Bernau Können Aktiengesellschaften mehrere Sitze haben? NJW 1949, S 86; Bork Doppelsitz und Zuständigkeit im aktienrechtlichen Anfechtungsprozeß, ZIP 1995, S 609; Bronisch Der Doppelsitz von Aktiengesellschaften, BB 1949, S 726; Consbruch Zur Frage des mehrfachen Sitzes von Aktiengesellschaften, NJW 1949, S 375; Euringer Sitz der Handelsgesellschaft, Diss München 1952; Hausmann Doppelter Sitz von Kapitalgesellschaften nach deutschem Gesellschaftsrecht und internationalem Privatrecht, in: Hausmann/van Raad/Raupach/Veelken, Steuergestaltung durch doppelt ansässige Gesellschaften, 1988, S 13; Karl Zur Sitzverlegung deutscher juristischer Personen des privaten Rechts nach dem 8. Mai 1945, AcP (159) (1960), S 293; Katschinski Die Begründung eines Doppelsitzes bei Verschmelzung, AG 1997, 620; Kögel Der Sitz der GmbH und seine Bezugspunkte GmbHR 1998, S 1108; Notthoff Die Zulässigkeit der Eintragung eines Doppelsitzes bei Kapitalgesellschaften, WiB 1996, S 773; Springer Der Doppelsitz der Aktiengesellschaft, NJW 1949, 561; Vogel Der Doppelsitz der Aktiengesellschaften, DNotZ 1950, S 85; Werner Ausgewählte Fragen zum Aktienrecht, AG 1990, S 1; Wessel Der Sitz der GmbH BB 1984, S 1057.
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Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Bedeutung der Norm | 1 a) Normaussagen | 1 b) Funktion des Satzungssitzes | 3 2. Historische Entwicklung und Bewertung | 7 a) Historie | 7 b) Bewertung | 9 3. Parallelnormen | 11 4. Europarecht und Rechtsvergleichung | 13 5. Abgrenzung von anderen Lokalisierungen | 15 a) Wohnsitz | 15 b) Verwaltungssitz | 16 c) Geschäftsleitung | 19 d) Betriebsstätte, Betrieb, Unternehmen | 20 e) Niederlassung und Geschäftsanschrift | 21 Auslegung und Anwendung der Norm | 23 1. Anwendungsbereich | 23
Begriff des „Ortes“ | 24 „im Inland“ | 27 „Bestimmung“ des Ortes durch die Satzung | 28 5. Praktische Erwägungen für die Sitzwahl | 29 6. Sonderproblem: Doppelsitz | 30 a) Problem und Meinungsstand | 30 b) Stellungnahme | 32 c) Praktische Konsequenzen | 34 7. Missbräuchliche Sitzwahl? | 36 Gesetzliche Anknüpfung an den „Sitz“ der AG | 37 1. Im Aktienrecht | 37 2. Im Verfahrensrecht | 38 a) Registerverfahren | 38 b) Streitiges Verfahren | 39 c) Insolvenzverfahren | 42 d) Verwaltungsverfahren | 43 Folge von Normverstößen | 44 Sitzverlegung | 46 2. 3. 4.
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IV. V.
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§ 5 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
I. Grundlagen 1. Bedeutung der Norm a) Normaussagen. Anders als Personengesellschaften sind Kapitalgesellschaften verpflichtet, in ihrem Gesellschaftsvertrag einen Sitz zu bestimmen. Für die AG ergibt sich das nicht aus § 5, sondern aus § 23 Abs 3 Nr 1. Die Aufgabe von § 5 besteht darin, eine Definition des Begriffs „Sitz“ zu liefern: „Sitz der Gesellschaft“ ist danach nicht der Ort von Geschäftsleitung, Hauptniederlassung etc („Verwaltungssitz“), sondern einzig und allein der in der Satzung genannte Ort („Satzungssitz“). Diese Definition hat Gültigkeit für das AktG, soweit dieses auf den Sitz der Gesellschaft abhebt (dazu Rdn 37). Sie kommt darüber hinaus zum Tragen, soweit andere Gesetze auf den Gesellschaftssitz Bezug nehmen, ohne diesen selbst zu definieren. Dabei ist durch Auslegung der betreffenden Norm zu ermitteln, ob dieser nicht ein abweichendes Verständnis zugrunde liegt. Indem § 5 die Bestimmung des Sitzes der Satzung überlässt, ist die Norm zugleich 2 Ausdruck von Satzungsfreiheit. Die einzige inhaltliche Einschränkung besteht darin, dass der gewählte Ort im Inland belegen sein muss. Dagegen muss der Satzungssitz nicht mit dem Verwaltungssitz zusammenfallen (Rdn 17).1 Formal besteht Satzungszwang, dh der Sitz der Gesellschaft kann nicht in einem Regelwerk außerhalb der Geschäftsordnung festgelegt werden. Die Satzung kann zu einem solchen Vorgehen auch nicht ermächtigen. 1
b) Funktion des Satzungssitzes. Die Funktion des Satzungssitzes besteht zunächst darin, die Gesellschaft zu individualisieren (Individualisierungsfunktion).2 Zwar leistet dies auch schon die Firma, die sich von bereits bestehenden Firmen „deutlich unterscheiden“ muss (§ 30 Abs 1 HGB), doch gilt dies eben nur hinsichtlich der Firmen „an demselben Ort“. Hier trägt die Festlegung des Satzungssitzes zur Differenzierung bei. Ist die gewünschte Firma bei einem Register schon „besetzt“, kann die Wahl eines anderen Satzungssitzes daher einen praktischen Ausweg bieten. Eine zentrale Funktion des Sitzes besteht darin, dass andere Vorschriften zur Fest4 legung örtlicher Zuständigkeiten an den Sitz der Gesellschaft anknüpfen (Darstellung der wichtigsten Anknüpfungen unten Rdn 38 ff). Dies dient nicht nur der rechtstechnischen Vereinfachung, sondern fördert vor allem die Rechtsklarheit. Man kann insoweit von einer Ordnungsfunktion des Gesellschaftssitzes sprechen.3 Besonders bedeutsam ist das für die Zuständigkeit des Registergerichts, die sich gem § 377 Abs 1 FamFG nach dem „Sitz der Gesellschaft“, mithin nach dem frei wählbaren Satzungssitz richtet. 5 Folgt das einschlägige Kollisionsrecht der sog Gründungstheorie, definiert der Satzungssitz zugleich die „Staatsangehörigkeit“ der Gesellschaft. Für die in Deutschland registrierte AG ist das der Fall: Weil § 5 einen ausländischen Verwaltungssitz gestattet, ordnet es damit zugleich die Maßgeblichkeit des Satzungssitzes für das anwendbare Gesellschaftsrecht an. Nach einer früher vertretenen Auffassung soll der Sitz die Erreichbarkeit der Ge6 sellschaft gewährleisten. Der Sitz dürfe daher nur dort festgelegt werden, wo der Gesellschaft Schriftstücke förmlich zugestellt werden können.4 Ein „Briefkastensitz“ schiede 3
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1 Unstr, vgl nur KK/Dauner-Lieb3 § 5 Rdn 6; Bürgers/Körber/Westermann3 § 5 Rdn 4; Wachter/Franz3 § 5 Rdn 3; Ulmer/Habersack/Löbbe-GmbHG/Ulmer/Löbbe2 § 4a Rdn 15. 2 Vgl KK/Dauner-Lieb3 § 5 Rdn 13 („Identifikation“); MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 11. 3 4. Aufl Brändel § 5 Rdn 11. 4 So zB Wessel BB 1984, 1057, 1058 (zur GmbH).
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danach aus. Diese Ansicht ist heute überholt. Seit dem MoMiG (2008) können Satzungsund Verwaltungssitz auseinanderfallen (Rdn 17). Die Erreichbarkeit der Gesellschaft wird nicht mehr durch den Sitz, sondern durch die verbindliche Angabe einer Geschäftsanschrift im Handelsregister (§ 37 Abs 3 Nr 1) sichergestellt. An dieser kann ungeachtet der Frage zugestellt werden, ob sich dort wirklich Geschäftsräume der Gesellschaft befinden (Rdn 22). Allerdings muss der Sitz so hinreichend bestimmt sein, dass klagewillige Dritte sich unschwer über den Gerichtsstand der AG orientieren können. 2. Historische Entwicklung und Bewertung a) Historie. Sowohl das ADHGB (Art 209 Abs 2) als auch das HGB 1897 (§ 182 7 Abs 2) bestimmten lediglich, dass der Sitz der AG im Gesellschaftsvertrag fixiert werden müsse. Daraus wurde geschlossen, dass die AG ihren Sitz an jedem beliebigen inländischen Ort haben könne, ohne irgendwelche Beziehung zur Geschäftstätigkeit der Gesellschaft. Um Missbräuchen einer solchen freien Sitzwahl – insbesondere durch Begründung der Zuständigkeit kleiner, mit dem Aktienrecht wenig vertrauter Handelsregister – entgegenzuwirken, wurde im AktG 1937 ein neuer § 5 geschaffen (der Vorläufer des heutigen § 5), demzufolge als Sitz „in der Regel“ der Ort festzulegen war, wo die Gesellschaft einen Betrieb hat oder wo sich die Geschäftsleitung befindet oder wo ihre Verwaltung geführt wird. Diese Regel wurde praktisch unverändert als zweiter Absatz in § 5 des AktG 1965 übernommen. Der damals neu hinzugefügte Absatz 1, der dem heutigen § 5 entspricht, sollte die Maßgeblichkeit des in der Satzung bestimmten Sitzes in den Fällen, in denen er mit dem tatsächlichen Sitz nicht übereinstimmt, klarstellend zum Ausdruck bringen. Mit dem Handelsrechtsreformgesetz 1998 wurde die für die AG vorgeschriebene 8 Koppelung von Satzungs- und Verwaltungssitz zunächst in das GmbH-Recht übernommen (§ 4a GmbHG aF). Wie bei der AG sollte dadurch Missbräuchen vorgebeugt werden.5 Diese Änderung wurde mit der grundlegenden Reform des GmbH-Rechts durch das MoMiG 2008 wieder preisgegeben, indem – sowohl für die GmbH als auch für die AG – die in § 5 Abs 2 (bzw § 4a Abs 2 GmbHG) vorgeschriebene Koppelung von Satzungs- und Verwaltungssitz gestrichen wurde. § 5 besteht seither nur noch aus einem einzigen Absatz, nämlich dem ehemaligen Absatz 1. Dieser wurde um den Hinweis „im Inland“ ergänzt, um klarzustellen, dass der von der Satzung bestimmte Sitz in Deutschland liegen muss. Der Sache nach kehrt das Gesetz damit zum Rechtszustand vor 1937 zurück. Hintergrund für diese beachtliche Liberalisierung war der durch das Centros-Urteil (1999) des EuGH angestoßene Wettbewerb der Gesellschaftsrechte in Europa. Durch freie, von einer inländischen Niederlassung unabhängige Wahl des Satzungssitzes sollen sich deutsche Kapitalgesellschaften diesem Wettbewerb stellen können.6 b) Bewertung. Rechtspolitisch wird die Entkoppelung von Satzungs- und Verwal- 9 tungssitz zum Teil kritisiert. Zwar anerkennt man das Bestreben, für die deutsche AG international ein „level playing field“ zu schaffen. Mit der völligen Freigabe der Wahl des Satzungssitzes auch für rein inländische Sachverhalte ermögliche das Gesetz aber ein bedenkliches „forum shopping“.7 Durch die Streichung von Absatz 2 sei der Sitzbegriff
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5 Näher Kögel GmbHR 1998, 1108. 6 Begr RegE MoMiG BT-Drucks 16/6140 S 1. 7 In diesem Sinne Hüffer/Koch11 § 5 Rdn 3; KK/Dauner-Lieb3 § 5 Rdn 7 ff; Liberalisierungsbedarf verneinend auch noch 4. Aufl Brändel § 5 Rdn 9.
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„blutleer“ geraten und „denaturiert“ worden, was für eine restriktive Auslegung Anlass geben könne.8 Diese Bedenken überzeugen nicht. Der Vorwurf eines „denaturierten“ Satzungs10 sitzes fußt auf der Vorstellung, dass es so etwas wie einen „natürlichen“ Sitz der Gesellschaft gibt.9 Das ist nicht der Fall. Der Sitzbegriff des § 5 ist kein natürlicher, sondern ein funktionaler und daher solange tauglich, wie er die damit verbundene Funktionen erfüllt (Rdn 3 ff). Für eine vom Verwaltungssitz abweichende Wahl des Satzungssitzes kann es gute unternehmerische Gründe geben (näher Rdn 29). Die Erreichbarkeit der Gesellschaft auch für förmliche Zustellungen wird anderweitig, nämlich durch verbindliche Angabe einer Geschäftsanschrift, gewährleistet (Rdn 21). Missbräuchen im Einzelfall kann durch eine allgemeine Missbrauchskontrolle Rechnung getragen werden (Rdn 36). Ein darüber hinausgehendes Postulat irgendeiner Verbindung von tatsächlichem und statutarischem Sitz würde nur jene Abgrenzungsprobleme wieder heraufbeschwören, die mit der Reform 2008 gerade beseitigt wurden. 11
3. Parallelnormen. Eine inhaltsgleiche Regelung für die GmbH enthält § 4a GmbHG. Auf dessen Auslegung kann für § 5 zurückgegriffen werden. Für die KGaA gilt § 5 über den Verweis in § 278 Abs 3 entsprechend. Für die eG und den VVaG ist nur vorgeschrieben, dass die Satzung den Sitz zu bestimmen hat (§ 6 Nr 1 GenG bzw § 18 Abs 1 VAG). Das entspricht § 23 Abs 3 Nr 1. Eine Sonderregelung enthält Art 7 SE-VO. Danach muss der Sitz einer Societas Europaea (SE) innerhalb der Europäischen Gemeinschaft liegen, und zwar in dem Mitgliedstaat, in dem sich auch die Hauptverwaltung befindet. Eine SE mit Satzungssitz in Deutschland kann also – anders als eine AG! – keinen Verwaltungssitz im Ausland haben. Weitergehend können die Mitgliedstaaten vorschreiben, dass die SE ihren Sitz und ihre Hauptverwaltung am selben (inländischen) Ort haben muss (Art 7 Satz 2 SE-VO). Deutschland hatte von dieser Option zunächst in § 2 SEAG Gebrauch gemacht, der jedoch durch das MoMiG aufgehoben wurde. Das ist folgerichtig, weil die betreffende Vorgabe auch für die AG gestrichen wurde (Rdn 8). Eine eigene Definition des Sitzbegriffs enthält das Steuerrecht. Danach hat eine 12 Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse ihren Sitz „an dem Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dergleichen bestimmt ist“ (§ 11 AO). Das deckt sich für die AG mit der Definition in § 5. Ein Satzungs- oder Verwaltungssitz in Deutschland begründet die (unbeschränkte) Körperschaftsteuerpflicht im Inland (§ 1 KStG). Die Zuständigkeit der Finanzbehörde richtet sich dagegen nicht nach dem Satzungssitz, sondern primär nach dem Sitz der Geschäftsleitung (Rdn 19). 13
4. Europarecht und Rechtsvergleichung. Nach Art 2 der Kapitalrichtlinie10 gehört die Angabe des Gesellschaftssitzes nicht zum Mindestinhalt der Satzung; wohl aber muss sich der Sitz der Gesellschaft nach Art 3 lit a jener Richtlinie wenn nicht aus der Satzung, so doch aus dem Errichtungsakt oder einem gesonderten, offenzulegenden Schriftstück ergeben. Die Individualisierungsfunktion des Gesellschaftssitzes wird daher EU-einheitlich anerkannt. Der Wortlaut von Art 3 lit a der Richtlinie spricht dafür, dass jede AG grundsätzlich nur einen einzigen Sitz haben kann, doch ist diese Auslegung nicht zwingend (zum Problem des Doppelsitzes unten, Rdn 30 ff). Ob der Norm kollisi-
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8 KK/Dauner-Lieb3 § 5 Rdn 8 f. 9 So in der Tat KK/Dauner-Lieb3 § 5 Rdn 8, die von einem „ungeschriebenen, sich aus der Natur der Sache ergebenden“ Postulat spricht, tatsächlichen und rechtlichen Sitz zur Deckung zu bringen. 10 RL 2012/30/EU vom 25.10.2012, ABl Nr L 315 S 74.
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onsrechtlicher Gehalt zukommt, ist umstritten (näher Rdn 18). Eine Sonderregelung für die SE enthält Art 7 SE-VO (Rdn 11). Rechtsvergleichend betrachtet ist § 5 unauffällig. Alle modernen Aktiengesetze ver- 14 langen ausdrücklich oder unausgesprochen die Angabe eines inländischen Satzungssitzes, an dem die Gesellschaft registriert wird. Alternativ oder darüber hinaus wird die Angabe einer zustellungsfähigen Geschäftsanschrift verlangt (s dazu Rdn 22).11 Das ist nicht weiter verwunderlich, sind die Funktionen des Satzungssitzes doch weitgehend dieselben. 5. Abgrenzung von anderen Lokalisierungen a) Wohnsitz. Der Wohnsitz ist der Ort, an dem sich eine natürliche Person ständig 15 niederlässt (§ 7 Abs 1 BGB). Er kann gleichzeitig an mehreren Orten bestehen (§ 7 Abs 2 BGB). Weil juristische Personen keinen Wohnsitz haben, ist dieser für die AG ohne Bedeutung. Seine Funktion übernimmt der „Sitz“ der Gesellschaft. Zur (heute verneinten) Frage, ob Mitglieder von Vorstand oder Aufsichtsrat über einen Wohnsitz im Inland verfügen müssen s Kort § 76 Rdn 253 und MünchKomm-AktG/Habersack § 100 Rdn 47. b) Verwaltungssitz. Der – gesetzlich nicht definierte – Verwaltungssitz wird in § 5 16 nicht (mehr) explizit angesprochen.12 Mit ihm ist der Ort gemeint, an dem die Verwaltung der Gesellschaft, bei der AG also der Vorstand, lokalisiert ist. Seine Festlegung bedarf keines Beschlusses, auch nicht eines solchen des Vorstands.13 Er deckt sich weitgehend mit dem steuerrechtlichen Begriff der „Geschäftsleitung“ (Rdn 19). Für Personengesellschaften ist nach traditioneller, wenngleich umstrittener Ansicht der Verwaltungssitz als Sitz im Rechtssinne anzusehen.14 Aktienrechtlich ist er seit der Streichung des Absatz 2 von geringer Relevanz, weil hier regelmäßig an den in § 5 umschriebenen Satzungssitz angeknüpft wird (näher Rdn 8). Auf den Verwaltungssitz stellt (subsidiär) auch das Vereinsrecht ab (§ 24 BGB), doch ist die Norm wegen des spezielleren § 5 für die AG unanwendbar. Verwaltungssitz und Satzungssitz müssen nicht identisch sein.15 Dies ergibt die his- 17 torische Auslegung: Der zweite Absatz des § 5, der „in der Regel“ eine Koppelung von Satzungs- und Verwaltungssitz vorgab, wurde 2008 mit dem MoMiG ersatzlos gestrichen (Rdn 8). Eine AG mit Hauptverwaltung in Berlin kann ihren Satzungssitz also ohne weiteres in Düsseldorf nehmen, muss allerdings in jedem Fall eine ladungsfähige Geschäftsanschrift beim Register hinterlegen (Rdn 22). Zur Frage, ob das Auseinanderfallen von Verwaltungs- und Satzungssitz ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich sein kann s Rdn 36. Der Verwaltungssitz der AG muss auch kein inländischer sein, wie der Umkehrschluss zu § 5 zeigt. Danach hat allein der Satzungssitz „im Inland“ zu liegen. Besondere Bedeutung erlangt der Verwaltungssitz im Kollisionsrecht, soweit dieses 18 das anwendbare Gesellschaftsrecht nach dem Sitz der Gesellschaft bestimmt („Sitztheorie“). Denn „Sitz“ im Sinne der (insofern missverständlichen) Sitztheorie ist nicht der Satzungs-, sondern der Verwaltungssitz. Ob sich § 5 ein kollisionsrechtliches Bekenntnis
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11 Vgl zB Art 86 UK Companies Act 2006: „A company must at all times have a registered office to which all communications and notices may be addressed“. 12 Zur früheren Rechtslage 4. Aufl Brändel § 5 Rdn 20; siehe auch Wachter/Franz2 § 5 Rdn 12 f. 13 Spindler/Stilz/Drescher3 § 5 Rdn 6. 14 Vgl OLG Schleswig 14.11.2011 – 2 W 48/11, NZG 2011, 775 (offen lassend); abw Baumbach/Hopt-HGB/ Roth36 § 106 Rdn 8; Staub-HGB/Schäfer § 106 Rdn 19. 15 Unstr, vgl nur Hüffer/Koch11 § 5 Rdn 6.
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zur sog Gründungstheorie entnehmen lässt, die nicht auf den Verwaltungs-, sondern auf den Satzungssitz abstellt, ist strittig, näher dazu die Erl z Int Gesellschaftsrecht. 19
c) Geschäftsleitung. Der Begriff der „Geschäftsleitung“ bestimmt im Steuerrecht primär die örtliche Zuständigkeit des Finanzamts (§ 20 Abs 1 AO). Er ist dort legal definiert als „Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung“ (§ 10 AO), deckt sich also mit dem gesetzlich nicht definierten Begriff des „Verwaltungssitzes“ (Rdn 16). Hilfsweise wird auf den „Sitz der Gesellschaft“ abgestellt (§ 20 Abs 2 AO), der – wie in § 5 – als Satzungssitz verstanden wird (vgl § 11 AO). Für die (unbeschränkte) inländische Steuerpflicht genügt es, wenn entweder der Satzungs- oder der Verwaltungssitz in Deutschland liegt, vgl § 1 Abs 1 KStG. Aktienrechtlich ist der Begriff der Geschäftsleitung seit der Streichung des Absatz 2 bedeutungslos.16
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d) Betriebsstätte, Betrieb, Unternehmen. Aktienrechtlich unbeachtlich sind seit Streichung von Absatz 2 die Belegenheit von Betrieben oder Betriebsstätten der Gesellschaft.17 An diese knüpfen Normen des Arbeitsrechts (zB § 1 Abs 1 BetrVG), aber auch des Steuerrechts (zB § 2 Abs 1 S 2 GewStG: Betriebsstätte) und des Verwaltungsrechts (zB § 3 Abs 1 Nr 2 VwVfG) an. Das allgemeine Steuerrecht definiert den Begriff der Betriebsstätte als „feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient“ (§ 12 S 1 AO).
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e) Niederlassung und Geschäftsanschrift. Der Begriff der Niederlassung wird in §§ 13 ff HGB gebraucht, aber nicht definiert. Unter Niederlassung wird gemeinhin der tatsächliche Ort verstanden, an dem ein Kaufmann seine Geschäfte führt und an dem ihn Mitteilungen erreichen können.18 Dabei wird zwischen Haupt- und Zweigniederlassung unterschieden. Bei Kapitalgesellschaften gilt nach tradierter Auffassung der Geschäftsbetrieb am Ort des Gesellschaftssitzes ohne weiteres als Hauptniederlassung, während alle anderen Niederlassungen bloße Zweigniederlassungen sind.19 Nach anderer Ansicht ist der Begriff der Hauptniederlassung bei juristischen Personen ohne Bedeutung. An die Stelle der Hauptniederlassung trete hier der satzungsmäßige Sitz der Gesellschaft.20 Bei der Anmeldung der Gesellschaft ist eine inländische Geschäftsanschrift anzu22 geben, § 37 Abs 3 Nr 1. Diese ist für Kapitalgesellschaften ebenso wie der Sitz frei wählbar.21 Weil dort immer förmlich zugestellt werden kann (§ 78 Abs 2 S 3 AktG, § 185 ZPO), tut die Gesellschaft aber gut daran, eine real erreichbare Anschrift zu nennen. Änderungen der Geschäftsanschrift oder die Verlegung der Niederlassung sind ebenfalls anmeldepflichtig, § 31 HGB. Für Geschäftsbriefe ist dagegen nur die Angabe des Sitzes, nicht diejenige der Geschäftsanschrift vorgeschrieben, vgl § 80 (anders § 37a HGB). II. Auslegung und Anwendung der Norm 23
1. Anwendungsbereich. § 5 gilt für jede deutsche Aktiengesellschaft, einschließlich der Vor-AG.22 Er gilt über den Verweis in § 278 Abs 3 auch für die KGaA. Die Maßgeblich-
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Zur früheren Rechtslage 4. Aufl Brändel § 5 Rdn 18 f. Zur früheren Rechtslage 4. Aufl Brändel § 5 Rdn 15 ff. Vgl nur Baumbach/Hopt-HGB/Hopt36 § 13 Rdn 1. Vgl RG 2.6.1923 – V 755/22, RGZ 107, 44, 46; Hüffer/Koch11 § 5 Rdn 5. So MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 12 f. OLG Schleswig 14.11.2011 – 2 W 48/11, NZG 2011, 775, 776. MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 29 f.
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keit des Satzungssitzes bleibt bis zur Löschung der AG und sogar darüber hinaus erhalten, um die Zuständigkeit des Registergerichts etwa im Fall einer Nachtragsliquidation (§ 273 Abs 4) zu ermitteln. Für die SE trifft Art 7 SE-VO dagegen eine eigene Regelung. 2. Begriff des „Ortes“. Die Auslegung des Begriffs „Ort“ hat sich maßgeblich an den 24 Funktionen des Satzungssitzes zu orientieren (dazu Rdn 3 ff). „Ort“ ist danach eine politische Gemeinde (zB Hamburg), nicht hingegen eine beliebige Grundfläche, ein Landkreis oder Regierungsbezirk.23 Ein Ortsteil (zB Altona) soll genügen.24 Dafür mag die Gegenüberstellung der Begriffe „Ort“ und „Gemeinde“ in § 30 HGB streiten. Dagegen spricht aber, dass sich Ortsteile weniger leicht lokalisieren lassen. Eine mehrere politische Gemeinden erfassende Sammelbezeichnung reicht als Sitzangabe auch dann nicht, wenn sie gebräuchlich ist.25 Andererseits braucht die Sitzangabe keine vollständige Anschrift darzustellen, weil die Geschäftsanschrift ohnehin beim Register zu hinterlegen ist (Rdn 22). Ist eine Großgemeinde in mehrere Amtsgerichtsbezirke eingeteilt (zB Berlin), ist 25 nach hM eine nähere Bestimmung des Sitzes geboten.26 Dafür wird geltend gemacht, dass die Angabe des Registergerichts auf Geschäftsbriefen nicht ausreiche, weil nicht jeder potenzielle Kläger solche zur Hand habe.27 Die Bezirksangabe kann aber Missverständnisse produzieren, wenn das Handelsregister wie in Berlin bei einem Amtsgericht konzentriert ist. Gibt etwa eine AG „Berlin-Tiergarten“ als Sitz an, entsteht der Eindruck, die Gesellschaft sei beim Amtsgericht Tiergarten eingetragen, obwohl für Berlin zentral das Amtsgericht Charlottenburg zuständig ist. Jedenfalls in Fällen einer Registerkonzentration kann die Angabe eines Gerichtsbezirks daher unterbleiben.28 Wird die zum Sitz erklärte Gemeinde durch Gebietsreform zu einem unselbständi- 26 gen Gemeindeteil, kann die Gesellschaft ausnahmsweise ein schutzwürdiges Interesse haben, die bisherige Sitzangabe beizubehalten. Dies ist etwa der Fall, wenn sich mit ihm das Andenken an den Gesellschaftsgründer verbindet oder eine aus Firma und Sitz gebildete Geschäftsbezeichnung Verkehrsgeltung erlangt hat. Voraussetzung ist jedoch stets, dass die Sitzangabe ihrer Funktion weiter gerecht wird, insbesondere für eine zweifelsfreie Bestimmung gerichtlicher Zuständigkeiten taugt. Bei dauerhaftem physischem Wegfall des Ortes, etwa aufgrund von Bergbau, Kriegseinwirkung oder Naturkatastrophe, muss ein neuer Sitz bestimmt werden. 3. „im Inland“. Im Inland liegt jeder Ort, der dem deutschen Staatsterritorium 27 zugeordnet ist. Dazu gehören auch Exklaven sowie Inseln, soweit sie mit dem deutschen Festlandsockel verbunden (vgl § 1 Abs 3 KStG) oder sonst völkerrechtlich Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland sind. Weitere, im Regelfall automatisch erfüllte Voraussetzung ist, dass der betreffende Ort einem deutschen Gerichtssprengel zugeordnet ist oder zugeordnet werden kann. Virtuelle Orte (Internet) oder selbsternannte Gemeinden kommen als zulässiger Satzungssitz nicht in Betracht. Selbiges gilt für mobile Orte (Schiffe, Luftfahrzeuge) sowie für extraterritoriale Stützpunkte (zB Forschungsstation in der Antarktis). Hier fehlt es in der Regel schon am Charakter einer politischen Gemeinde.
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23 So zB BayObLG 23.7.1987 – Breg 3 Z 72/87, GmbHR 1988, 23, 24; KK/Dauner-Lieb3 § 5 Rdn 12; MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 26; Spindler/Stilz/Drescher3 § 5 Rdn 5; Bürgers/Körbers/Westermann3 § 5 Rdn 4; Wachter/Franz2 § 5 Rdn 4. 24 So BayObLG 13.2.1976 – Breg 2 Z 57/75, BB 1976, 622; Hachenburg-GmbHG/Ulmer2 § 3 Rdn 12. 25 RG 27.10.1904 – IV 242/04, RGZ 59, 106, 109; MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 26. 26 RG 9.12.1907 – VI 276/07, RGZ 67, 191; MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 26; KK/Dauner-Lieb3 § 5 Rdn 12; Hüffer/Koch11 § 5 Rdn 6. AA 4. Aufl Brändel § 5 Rdn 12; wohl auch Spindler/Stilz/Drescher3 § 5 Rdn 5. 27 MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 26. 28 Ebenso Spindler/Stilz/Drescher3 § 5 Rdn 5; Grigoleit/Wicke11 § 5 Rdn 3.
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4. „Bestimmung“ des Ortes durch die Satzung. Der in der Satzung genannte Ort muss hinreichend bestimmt sein. Auch hierfür sind die Funktionen des Sitzes maßgeblich (Rdn 3 ff). Namentlich muss die zweifelsfreie Zuordnung zu einem bestimmten Gerichtsbezirk möglich sein.29 Gibt es in Deutschland mehrere Orte gleichen Namens (zB Frankfurt), muss ein verständliches Differenzierungsmerkmal hinzugefügt werden („am Main“). Ausnahmen können für Altfälle anerkannt werden (Bestandsschutz), ferner wenn eine Verwechslungsgefahr ausgeschlossen ist, etwa weil der „Namensvetter“ unbedeutend oder im Rechtsverkehr unbekannt ist. Die Bestimmung muss in der Satzung erfolgen. Nicht ausreichend ist daher die Sitzangabe in einem anderen Regelwerk. Auch eine Sitzangabe, die erst durch Hinzunahme weiterer Regelwerke die gebotene Identifizierung ermöglicht, ist ungenügend.
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5. Praktische Erwägungen für die Sitzwahl. Auch wenn die Gesellschaft nicht gezwungen ist, ihren Satzungssitz am Ort der Hauptverwaltung oder Geschäftsleitung zu nehmen, sprechen doch regelmäßig praktische Erwägungen dafür. Da die Gesellschaft am Satzungssitz verklagt werden kann (§ 17 ZPO) und dort auch ihre Hauptversammlung abhalten soll (§ 121 Abs 5), können so unnötige Wege vermieden werden. Eine Trennung von Verwaltungs- und Satzungssitz kann sich dagegen in folgenden Situationen empfehlen:30 (1) Innerhalb einer Unternehmensgruppe soll für alle Konzerngesellschaften die Zuständigkeit auf ein Registergericht konzentriert werden. (2) Durch gezielte Wahl des Satzungssitzes soll die Zuständigkeit eines bestimmten Registergerichts erreicht werden (zB weil es schnell und zuverlässig arbeitet). (3) Die Gesellschaft, die ihren Verwaltungssitz verlagert, will sich die Kosten sparen, die mit einer Satzungsänderung einhergehen. (4) Als Satzungssitz wird (zB aus Marketing-Gründen) eine bekannte Großstadt gewählt. Der bloße Wunsch, die Hauptversammlung an einem bestimmten Ort abhalten zu können, nötigt dagegen nicht zu einer entsprechenden Sitzwahl, weil der Hauptversammlungsort separat in der Satzung festgelegt werden kann (vgl § 121 Abs 5). Keines der aufgezählten Motive rechtfertigt für sich genommen den Schluss auf Rechtsmissbrauch (s Rdn 36). 6. Sonderproblem: Doppelsitz
a) Problem und Meinungsstand. Umstritten ist, ob eine AG ihren Satzungssitz an mehreren Orten haben kann („Doppelsitz“). Die Frage spielte in den Jahren nach 1945 eine erhebliche Rolle. Ostenteignete Gesellschaften verlegten ihre Geschäftstätigkeit in die Bundesrepublik und wollten hier einen zweiten Registersitz begründen. Die Gerichte ließen das in den meisten Fällen aufgrund der besonderen Lage dieser Gesellschaften zu.31 Der Gesetzgeber des AktG 1965 billigte diese Gerichtspraxis, indem er bewusst auf ein Verbot des Doppelsitzes verzichtete, obwohl der Regierungsentwurf den Grundsatz betonte, dass die AG nur einen Sitz haben könne; die Zulassung eines Doppelsitzes in begründeten Ausnahmefällen wurde weiterhin der Rechtsprechung überlassen.32 Die heute hM folgt dieser Leitlinie, indem sie Doppelsitze (nur) in Ausnahmefäl31 len für zulässig erachtet.33 Dabei werden an das Vorliegen solcher Ausnahmen zT hohe
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29 KK/Dauner-Lieb3 § 5 Rdn 12; Scholz-GmbHG/Emmerich11 § 4a Rdn 12. 30 Zum Folgenden Meckbach NZG 2014, 526; Hoffmann ZIP 2007, 1581, 1582. 31 Vgl nur OLG Stuttgart 27.1.1953 – 1 W 191/52, NJW 1953, 748; OLG Düsseldorf WM 1949, 99, 100 f, weitere Nachweise bei MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 46 und König AG 2000, 18; siehe auch Bürgers/ Körber/Westermann3 § 5 Rdn 7. 32 Begr RegE AktG 1965 bei Kropff AktG S 20 f. 33 BayObLG 29.3.1985 – BReg 3 Z 22/85, BayObLGZ 1985, 111, 115 ff = AG 1986, 48, 49 f; OLG Brandenburg 8.9.2005 – 6 Wx 10/04, NotBZ 2006, 22; OLG Frankfurt 29.12.2000 – 20 W 460/00, FGPrax 2001, 86; OLG
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Anforderungen gestellt: Nur wenn schwerer wirtschaftlicher Schaden oder Existenzgefährdung droht, sei das unabweisbare Bedürfnis für einen Doppelsitz anzuerkennen.34 Andere legen die Latte weniger hoch und wollen ein Überwiegen der Nachteile für die Gesellschaft gegenüber dem Allgemeininteresse an einheitlicher Registerführung genügen lassen.35 Im praktisch relevanten Fall der Verschmelzung wird das Bedürfnis für einen Doppelsitz im Regelfall verneint,36 im Ausnahmefall („Merger of Equals“) aber auch anerkannt.37 Im praxisnahen Schrifttum finden sich dazu zT sehr großzügige Stimmen.38 b) Stellungnahme. Der hM ist grundsätzlich zu folgen. Sowohl die Grammatik („der 32 Ort“ = Singular) als auch die Zwecksetzung von § 5 sprechen dafür, dass das Gesetz vom Grundsatz eines einzigen Satzungssitzes ausgeht.39 Dies wird durch die Materialien unterstrichen, in denen der Doppelsitz nur als ausnahmsweise Durchbrechung dieses Prinzips anerkannt wird. Das UmwG lässt nicht erkennen, dass davon bei Verschmelzungen abgewichen werden soll. Auch aus Art 11 GG (Freizügigkeit) folgt nichts anderes.40 Die eigentliche Frage lautet, wie hoch die Anforderungen sind, die man an das Vorliegen einer Ausnahme stellen muss. Hier ist ein mittlerer Maßstab angezeigt.41 Zu streng erscheint es, existenzgefährdende Nöte zu verlangen. Dies ist zu einseitig am historischen Bild der Ostenteignungen orientiert, auf welche der Gesetzgeber des AktG 1965 den Kreis der Ausnahmen gerade nicht fixieren wollte.42 Umgekehrt kann es nicht genügen, dass sich die Vorstandsmitglieder oder Gründer bei der Errichtung oder Umstrukturierung der AG nicht auf einen Sitz einigen können. Nicht zu verkennen ist, dass die Frage, wer seinen Sitz aufgeben muss, bei einem 33 „Merger of Equals“ von einigem psychologischen Gewicht sein kann.43 Aus ähnlichem Grund gestatten das Firmenrecht ebenso wie das Familienrecht bei der Vermählung natürlicher Personen die Führung eines gemischten Namens („Mayer-Schulze“, „ThyssenKrupp“). Natürlichen Personen ist darüber hinaus ein doppelter Wohnsitz erlaubt (§ 7 Abs 2 BGB). Der Satzungssitz einer AG zwingt jedoch weder die Verwaltung noch die Hauptversammlung zur physischen Präsenz an dem gewählten Ort, sondern bestimmt
_____ Düsseldorf 29.5.1987 – 3 W 447/85, NJW-RR 1988, 354; KG 20.2.1973 – 1 W 522/72, OLGZ 1973, 272, 273 = NJW 1973, 1201; KK/Dauner-Lieb3 § 5 Rdn 21; MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 47; Spindler/Stilz/Drescher3 § 5 Rdn 7; Wachter/Franz2 § 5 Rdn 22; Scholz-GmbHG/Emmerich11, § 4a Rdn 16; Ulmer/Habersack/LöbbeGmbHG/Löbbe2 § 4a Rdn 30; für generelle Zulässigkeit dagegen noch v Godin/Wilhelmi/Wilhelmi4 § 3 Rdn 4; Barz AG 1972, 1, 4; ganz ausschließend Karl AcP 159 (1960), 293, 305. 34 MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 47; Spindler/Stilz/Drescher3 § 5 Rdn 7; Grigoleit/Wicke1 § 5 Rdn 4; Kögel GmbHR 1998, 1108, 1112. 35 So zB Hüffer/Koch11 § 5 Rdn 10; König AG 2000, 18. 36 So von BayObLG 29.3.1985 – 3 Z 22/85, AG 1986, 48, 50 mit krit Anm Priester EWiR 1985, 335; MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 47; Spindler/Stilz/Drescher3 § 5 Rdn 7; Hüffer/Koch1 § 5 Rdn 10; König AG 2000, 18; KK/Dauner-Lieb3 § 5 Rdn 21 (nur bei nachgewiesenem schutzwürdigen Interesse). 37 LG Hamburg 1.2.1973 – 4 T 5/72, DB 1973, 2237 (Hapag/Lloyd); LG Essen 23.3.2001 – 45 T 1/01, AG 2001, 429 (Thyssen/Krupp) – anders noch Vorinstanz AG Essen 5.1.2001 – 89b AR 1241/00, AG 2001, 434; Aufzählung weiterer Fälle und Analyse der einschlägigen Urteile bei König AG 2000, 18, 21 f. Aus der Lit im Übrigen Hüffer/Koch11 § 5 Rdn 10; Notthoff WiB 1996, 773, 776. 38 Für generelle Zulässigkeit namentlich Priester EWiR 1985, 335, 336; Katschinski ZIP 1997, 620, 622, 626 (bei räumlicher Beziehung zum zweiten Hauptsitz); ebenso Pluskat WM 2004, 601, deren Darstellung aber weitestgehend von Katschinski übernommen ist. 39 AA Katschinski ZIP 1997, 620, 621 f. 40 AA Katschinski ZIP 1997, 620, 621 f: grundrechtlicher Anspruch auf Doppelsitz. 41 Ebenso Schmidt/Lutter/Ringe3 § 5 Rdn 15; Hüffer/Koch11 § 5 Rdn 10. 42 Zutr Katschinski ZIP 1997, 620, 622; Schmidt/Lutter/Ringe3 § 5 Rdn 13. 43 Dies betonen Katschinski ZIP 1997, 620 und König AG 2000, 18.
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lediglich die Register- und Gerichtszuständigkeit. Investoren, Kunden und Arbeitnehmern der AG ist es in aller Regel gleichgültig, wo sich der statutarische Sitz befindet. Daher ist nicht recht einzusehen, warum die Amtsgerichte die Bürde doppelter Registerführung nur deshalb auf sich nehmen sollen, weil Industriekapitäne sich nicht über die Flagge ihres Schiffs einigen können. Vermögen die Beteiligten jedoch darüber hinausgehende, konkret nachvollziehbare Gründe von einigem Gewicht vorzubringen, warum ein (evtl nur temporärer) Doppelsitz der AG beachtliche Vorteile bringt, sollten sich die Register dem Anliegen eines Doppelsitzes nicht versagen. 34
c) Praktische Konsequenzen. Die Führung eines Doppelsitzes ist nicht nur für das Register, sondern auch für die Gesellschaft mit beträchtlichem Aufwand und auch mit Risiken verbunden. Ungeachtet der Zulässigkeit eines Doppelsitzes sollten Vorstand und Hauptversammlung sich daher wohl überlegen, ob ein solcher wirklich durchgesetzt werden soll. Für konstitutive Eintragungen gilt zunächst, dass diese erst mit dem Eintrag in beiden Registern wirksam werden, da beide Register als „Gesamtregister“ das Handelsregister im gesetzlichen Sinne bilden.44 Dabei sind beide Register voneinander unabhängig, haben also je für sich die formelle und materielle Zulässigkeit der Eintragung zu prüfen und sind nicht an die Entscheidung des jeweils anderen Gerichts gebunden. Praktischen Problemen ist durch analoge Anwendung von § 19 UmwG abzuhelfen.45 Bei deklaratorischen Eintragungen kann sich die AG erst dann gem § 15 Abs 2 HGB auf eine Eintragung berufen, wenn sie in beiden Registern erfolgt ist. Einem Dritten ist es freigestellt, auf welches der beiden Register er sich nach § 15 Abs 1 u 3 HGB beruft.46 In Anlehnung an die „Rosinentheorie“ kann er sich dabei auch gleichzeitig auf das eine und auf das andere Register berufen.47 35 Schwieriger sind Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit bei streitigen Verfahren zu lösen.48 Grundsätzlich sind die Gerichte an beiden Sitzen örtlich zuständig. Dem Kläger oder Antragsteller ist es daher freigestellt, bei welchem Gericht er seinen Antrag stellt. Werden (Anfechtungs-)Klagen an beiden Sitzen erhoben, kann das – wie der VIAG-Fall zeigte – zu doppelten Verfahren und auch zu divergierenden Entscheidungen führen.49 Bei gleichem Streitgegenstand kann mit dem Einwand der Rechtshängigkeit (§ 261 Abs 3 Nr 1 ZPO), der Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Nr 2 ZPO oder mit der Rechtskrafterstreckung (§ 248) geholfen werden. Eine Verbindung der Verfahren ist dagegen nicht möglich.
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7. Missbräuchliche Sitzwahl? Fraglich ist, ob der in der Satzung gewählte Sitz im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein kann. Das ist im Grundsatz zu bejahen.50 Allerdings genügt für diese Annahme der bloße Umstand, dass die Gesellschaft am Sat-
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44 KG 2.4.1973 – 2 HT 2/73, BB 1973, 1001, 1005; MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 51; Katschinski ZIP 1997, 620, 623. 45 Näher Katschinski ZIP 1997, 620, 623 ff; dem folgend Pluskat WM 2004, 601, 605. 46 LG Hamburg 1.2.1973 – 4 T 5/72, DB 1973, 2237; LG Essen 23.3.2011 – 45 T 1/01, AG 2001, 429, 430; Kögel GmbHR 1998, 1108, 112; MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 53; Spindler/Stilz/Drescher3 § 5 Rdn 8. 47 Katschinski ZIP 1997, 620, 624. 48 Zum Folgenden näher Katschinski ZIP 1997, 620, 624 ff; MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 55 ff. 49 Vgl KG 31.1.1996 – 23 U 3989/94, AG 1996, 421; LG Berlin, 26.5.1994 – 104 O 19/94, AG 1995, 41 (Vorinstanz); LG Bonn 14.9.1994 – 12 O 12/94, AG 1995, 44. Dazu Bork ZIP 1995, 609; Dreher EWiR 1996, 721; Bähr EWiR 1995, 733. 50 Ebenso KG 25.7.2011 – 25 W 33/11 (rechtskräftig), ZIP 2011, 1566; AG Memmingen 1.2.2005 – 04 AR 403/04, NZG 2006, 70 (betr GmbH); Hüffer/Koch11 § 5 Rdn 8; differenzierend Grigoleit/Wicke1 § 5 Rdn 5 f: nur bei Sitzverlegung, nicht bei Gründung.
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zungssitz weder Verwaltung noch Betriebe führt, ebenso wenig wie eine weite Entfernung zwischen Verwaltungs- und Satzungssitz. Anders als nach altem Recht muss die Gesellschaft sich auch nicht dafür rechtfertigen, dass sie einen vom realen Sitz abweichenden Satzungssitz wählt.51 Auch die Suche nach einem schnell und kooperativ agierenden Registergericht („forum shopping“) darf nicht per se als unlauter angesehen werden (Rdn 29). Liegen dem Gericht jedoch handfeste Anhaltspunkte dafür vor, dass die Ausnutzung der Wahlfreiheit zum Schaden Dritter erfolgt, was namentlich in Fällen sog Firmenbestattungen der Fall sein kann, darf es die Eintragung verweigern.52 Praktisch relevant wird das nicht bei der Gründung der Gesellschaft, sondern bei der Sitzverlegung (§ 45). Rechtsgrundlage für Einschränkungen der freien Sitzwahl ist das allgemeine Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens, das ungeschrieben im gesamten Privatrecht gilt. III. Gesetzliche Anknüpfung an den „Sitz“ der AG 1. Im Aktienrecht. Für die Binnenorganisation der AG ist der Sitz von geringer Be- 37 deutung. Relevant ist er im Grunde nur für die Bestimmung des Ortes der Hauptversammlung. Diese „soll“ am Sitz der Gesellschaft stattfinden, doch kann die Satzung Abweichendes bestimmen (§ 121 Abs 5 Satz 1). Bei börsennotierten Gesellschaften kann die Hauptversammlung auch am Sitz der Börse abgehalten werden (§ 121 Abs 5 Satz 2). Vorstand und Aufsichtsrat sind bei ihren Zusammenkünften nicht an den Gesellschaftssitz gebunden. Auch Beurkundungen und Beglaubigungen müssen nicht dort vorgenommen werden. Bedeutsam ist der Sitz zur Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit in aktienrechtlichen Streitigkeiten (zB Auskunftserzwingung, § 132), dazu Rdn 40. 2. Im Verfahrensrecht a) Registerverfahren. Der Satzungssitz ist Anknüpfungspunkt für die örtliche Zu- 38 ständigkeit des Gerichts, das zur Führung des Handelsregisters sowie in allen sonstigen die Gesellschaft betreffenden Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zur Entscheidung berufen ist (vgl § 377 Abs 1 FamFG). Einzelheiten s bei den Erläuterungen zu § 14. b) Streitiges Verfahren. Der Sitz der Gesellschaft ist zugleich ihr allgemeiner Ge- 39 richtsstand (§ 17 Abs 1 Satz 1 ZPO). Hier kann sie also immer verklagt werden. Als Sitz gilt, „wenn sich nichts anderes ergibt“, der Ort, wo die Verwaltung geführt wird, § 17 Abs 1 Satz 2 ZPO. Für die AG ergibt sich „anderes“ aus § 5, weshalb für ihren allgemeinen Gerichtsstand allein der in der Satzung bestimmte Sitz maßgeblich ist.53 Besondere Gerichtsstände (zB der Gerichtsstand der gewerblichen Niederlassung nach § 21 ZPO) bleiben unberührt. Auf den „Sitz“ stellen auch andere Verfahrensordnungen ab (zB § 52 Nr 5 VwGO, § 38 Abs 1 FGO). Die ausschließlichen Gerichtsstände für Anfechtungs-, Nichtigkeits- und Auflö- 40 sungsklagen (§§ 246 Abs 3 Satz 1, 249 Abs 1 Satz 1, 251 Abs 3, 254 Abs 2 Satz 1, 255 Abs 3, 257 Abs 2, 275 Abs 4, 396 Abs 1 Satz 2) und die örtliche Zuständigkeit des Gerichts im
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51 Zur alten Rechtslage, die ein „schutzwürdiges Interesse“ verlangte, s 4. Aufl Brändel § 5 Rdn 21 f. 52 Für einen entsprechenden Sachverhalt s KG 25.7.2011 – 25 W 33/11 (rechtskräftig), ZIP 2011, 1566; LG Leipzig 15.3.2004 – 3HK T 4403/03, AG 2004, 459 = NJW-RR 2004, 1112 (scheinbare Sitzverlegung). 53 Unstr, s OGH DRZ 1949, 469; OLG Stuttgart 1.12.1976 – 26 O 332/76, BB 1977, 413, 414; KK/Dauner-Lieb3 § 5 Rdn 15; MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 16.
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Spruchverfahren (§ 2 SpruchG) sowie in sonstigen aktienrechtlichen Verfahren (§§ 98 Abs 1, 132 Abs 1, § 148 Abs 2, 293c Abs 1 Satz 3) knüpfen ebenfalls an den Sitz der Gesellschaft an. Auch hier ist der Satzungssitz gemeint. § 14 stellt darüber hinaus klar, dass „Gericht“ im Sinne des Gesetzes mangels abweichender Bestimmung stets das Gericht am Sitz der Gesellschaft ist. Zu Einzelheiten s Erl zu § 14. Die internationale Zuständigkeit folgt grundsätzlich der örtlichen Zuständigkeit. 41 Besonders geregelt ist sie für Klagen, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben. In diesen Fällen sind ausschließlich die Gerichte zuständig, in deren Hoheitsgebiet die Gesellschaft ihren Sitz hat (Art 22 Nr 2 Satz 1 EuGVO). Bei der Entscheidung darüber, wo der Sitz sich befindet, wendet das Gericht die Vorschriften seines Internationalen Privatrechts an (§ 22 Nr 2 Satz 2 EuGVO). Ein deutsches Gericht hat seine internationale Zuständigkeit danach zu bejahen, wenn der Satzungssitz der betroffenen AG in Deutschland liegt. 42
c) Insolvenzverfahren. Für das Insolvenzverfahren ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (§ 3 Abs 1 Satz 1 InsO ). Für die AG ist dies der Ort ihres Satzungssitzes (Rdn 39). Liegt der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners allerdings an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt (§ 3 Abs 1 Satz 2 InsO).54 Die EuInsVO regelt die internationale Zuständigkeit genau anders herum: Zuständig sind danach die Gerichte des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seines hauptsächlichen Interesses hat (Art 3 Abs 1 Satz 1 EuInsVO). Allerdings wird bei Gesellschaften bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt am Ort des satzungsmäßigen Sitzes liegt (Art 3 Abs 1 Satz 3 EuInsVO). Die gesetzliche Vermutung ist gem Art 3 Abs 1 Satz 4 EuInsVO ausgeschlossen, wenn der Sitz der Gesellschaft drei Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlegt wurde.
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d) Verwaltungsverfahren. Die örtliche Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde richtet sich – vorbehaltlich einschlägiger Spezialnormen des besonderen Verwaltungsrechts – gem § 3 Abs 1 Nr 3b VwVfG nach dem Sitz der juristischen Person, womit auch hier der Satzungssitz gemeint ist.55 Geht es allerdings um Angelegenheiten, die sich auf den Betrieb des Unternehmens oder einer Betriebsstätte beziehen, ist die Behörde zuständig, in deren Bezirk das Unternehmen oder die Betriebsstätte betrieben werden (§ 3 Abs 1 Nr 2 VwVfG). Eine Sonderregelung trifft die Abgabenordnung für das Steuerverfahren. Hier ist der Ort der Geschäftsleitung maßgeblich (§ 20 AO, dazu oben Rdn 19). Zum Sozialrecht s § 130 SGB VII (Unfallversicherung). IV. Folge von Normverstößen
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§ 5 ist zwingend (§ 23 Abs 5). Bei fehlender oder unzulässiger Sitzangabe wird die Eintragung der Gesellschaft gem § 38 versagt. Wird die Gesellschaft trotz des Mangels eingetragen, begründet dies zwar weder Nichtigkeitsklage (§ 275) noch Amtslöschung gem §§ 395, 397 FamFG, wohl aber kommt ein Amtsauflösungsverfahren nach § 399 FamFG in Betracht. Die Gesellschaft wird dabei zunächst aufgefordert, den Mangel zu beheben. Wenn dies nicht rechtzeitig geschieht, wird die Gesellschaft durch amtliche
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Vgl BayObLG 25.7.2003 – 1Z AR 72/03, BayObLGZ 2003, 192, 194 f. Stelkens/Bonk/Sachs-VwVfG/Schmitz8 § 3 Rdn 26; BeckOK-VwVfG/Ronellenfitsch32 § 3 Rdn 10.
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Feststellung eines Satzungsmangels aufgelöst (§ 399 Abs 2 FamFG iVm § 262 Abs 1 Nr 5).56 Die Gründer sind im Zweifel gehalten, den Satzungsmangel zu beseitigen und dadurch die Eintragung zu erreichen bzw die Auflösung zu vermeiden.57 Zu den Folgen von Gründungsmängeln im Übrigen Röhricht/Schall § 23 Rdn 263 ff. Ein satzungsändernder Beschluss, der die Bestimmung über den Gesellschaftssitz 45 ersatzlos streicht, ist nach § 241 Nr 3 nichtig.58 Er kann mit der Nichtigkeitsklage (§§ 249, 248) beseitigt werden. Selbiges gilt für einen Beschluss, der einen unzulässigen (Doppelsitz) oder unbestimmten Sitz oder einen Sitz im Ausland festlegt.59 Das Registergericht hat die Eintragung der Satzungsänderung abzulehnen (§ 181), es bleibt dann bei dem alten Sitz. Eine trotzdem erfolgte Eintragung kann nach § 398 FamFG von Amts wegen gelöscht werden. Entsprechendes gilt bei (unzulässiger) Verlegung des Satzungssitzes ins Ausland. Die in der ursprünglichen Satzung getroffene Bestimmung des Gesellschaftssitzes gilt dann weiter. V. Sitzverlegung Die Verlegung des Sitzes im Sinne von § 5 ist Satzungsänderung und daher nur im 46 förmlichen Verfahren nach § 179 möglich.60 Für die Beschlussfassung (einschließlich ihrer gerichtlichen Kontrolle) und die Eintragung gelten die allgemeinen Regeln. Davon zu unterscheiden ist die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (Verlegung der Geschäftsleitung, Eröffnung weitere Niederlassungen uä). Diese lassen den Satzungssitz grundsätzlich unberührt. Für den seltenen Fall, dass der in der Satzung als Sitz genannte Ort verschwindet oder seine Zugehörigkeit zur Bundesrepublik Deutschland verliert (Grenzänderung), ist eine Satzungsänderung geboten.61 Die Aktionäre sind dann kraft Treuepflicht gehalten, an der Beschlussfassung mitzuwirken. Das registergerichtliche Verfahren der Sitzverlegung hat in § 45 eine Spezialregelung erfahren. Einzelheiten der Sitzverlegung – einschließlich der Sitzverlegung ins Ausland – werden dort kommentiert. § 6 Grundkapital Bachmann/Mock
§6 Grundkapital Das Grundkapital muss auf einen Nennbetrag in Euro lauten.
I.
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Inhalt der Regelung | 1 2. Zweck der Regelung | 2 3. Gesetzesgeschichte | 5 4. Wirtschaftliche Bedeutung | 10 5. Europäisches Recht | 11
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6. 7. 8. 9. 10.
Ausländisches Recht | 14 Ökonomische Analyse | 15 Rechtspolitische Würdigung | 16 Verhältnis zu anderen Vorschriften | 17 (Fehlende) Disponibilität | 18
56 Näher Schmidt/Lutter/Riesenhuber3 § 262 Rdn 20 ff; Spindler/Stilz/Drescher3 § 5 Rdn 11; Spindler/ Stilz/Bachmann3 § 262 Rdn 47 ff; Bürgers/Körber/Westermann3 § 5 Rdn 10; Wachter/Franz2 § 5 Rdn 9; Ulmer/Habersack/Löbbe-GmbHG/Ulmer/Löbbe2 § 4a Rdn 33. 57 OLG Karlsruhe 19.12.1997 – 1 U 170/97, ZIP 1998, 1961; MünchKomm/Heider3 § 5 Rdn 61. 58 Siehe auch Bürgers/Körber/Westermann3 § 5 Rdn 10; Wachter/Franz2 § 5 Rdn 10. 59 Hüffer/Koch11 § 5 Rdn 9; Spindler/Stilz/Drescher3 § 5 Rdn 12. 60 Hierzu auch Spindler/Stilz/Drescher3 § 5 Rdn 9; Wachter/Franz2 § 5 Rdn 8. 61 Zu den mit der früheren Spaltung Deutschlands verbundenen Problemen 4. Aufl Brändel § 5 Rdn 25.
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Bachmann/Mock
§ 6 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
Alt- und Übergangsfälle | 19 a) Alt- und Übergangsfälle bis zur Einführung des Euro | 19 b) Einführung des Euro | 20 Festsetzung des Nennbetrags des Grundkapitals | 23 1. Nennbetrag des Grundkapitals | 23
11.
II.
2.
III.
Erfordernis der Festsetzung in Euro | 25 Rechtsfolgen von Verstößen | 26 1. Vorliegen eines Eintragungshindernisses | 26 2. Eintragung trotz Verstoßes | 27 3. Verstoß durch Satzungsänderung | 31
Mock Schrifttum Siehe die Nachweise bei § 7.
I. Grundlagen 1
1. Inhalt der Regelung. Durch § 6 werden die (generellen) Grundlagen des Kapitalschutzsystems gelegt, indem angeordnet wird, dass die Aktiengesellschaft ein Grundkapital haben und dieses durch einen Nennbetrag in Euro ausgewiesen werden muss. Der konkrete Regelungsgehalt von § 6 ist dabei allerdings gering, da das AktG in einer Reihe weiterer Vorschriften auf das Kapitalschutzsystem Bezug nimmt und die Einzelheiten regelt. So werden insbesondere das Erfordernis eines Grundkapitals schon durch § 1 Abs 2 (siehe § 1 Rdn 118 ff) und der Ausweis des konkreten Nennbetrags durch § 7 angeordnet (siehe § 7 Rdn 49 ff). Somit erschöpft sich der originäre Regelungsbereich des § 6 darauf, dass das Grundkapital mit einem Nennbetrag in Euro ausgewiesen werden muss, wobei sich diese Anforderung auch schon aus § 7 ergibt, da dort ein bestimmter Mindestnennbetrag in Euro festgesetzt wird (siehe § 7 Rdn 49 ff).
2. Zweck der Regelung. Soweit man § 6 einen eigenen Regelungszweck zuerkennen möchte, besteht dieser darin, dass andere Arten von Umschreibungen des Grundkapitals – etwa in Form der Nennung bestimmter Gegenstände oder Rechte – ausscheiden.1 Mit der Nennung eines in Euro ausgewiesenen Nennbetrags wird der Ausweis des 3 Grundkapitals standardisiert und kann vom Rechtsverkehr ohne weiteres mit dem Grundkapital anderer Aktiengesellschaften verglichen werden. Insofern hat es eine auf den konkreten Währungsausweis bezogene Informationsfunktion.2 Deren praktische Bedeutung besteht aber im Wesentlichen nur für die Aktionäre, da diese – jedenfalls bei der Ausgabe von Nennbetragsaktien (siehe § 8 Rdn 69) – ihre relative Beteiligung an der Aktiengesellschaft ableiten können. Für die Gläubiger und Vertragspartner der Aktiengesellschaft ist die mit dem Ausweis verbundene Informationsfunktion hingegen äußert gering, da von der Höhe des Nennbetrags des Grundkapitals insbesondere nicht auf das vorhandene Vermögen der Aktiengesellschaft (siehe § 7 Rdn 22 ff) geschlossen werden kann.3 Schließlich ist der Nennbetrag zugleich Grundlage für den bilanziellen Ausweis 4 des gezeichneten Kapitals (§§ 266 Abs 3 A., 272 Abs 1 Satz 2 HGB). 2
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3. Gesetzesgeschichte. Das Erfordernis der Festsetzung eines (Mindest-)Nennbetrages (§ 7 Rdn 6 ff) in einer bestimmten Währung kann im deutschen Aktienrecht auf eine relativ kurze Geschichte zurückblicken. So enthielten weder das ADHGB, noch dessen
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Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 1; Hüffer/Koch11 Rdn 1. Ähnlich Heidel/Fischer4 Rdn 1; K. Schmidt/Lutter/Fleischer3 § Rdn 1; Hölters/Solveen2 Rdn 2. Hüffer/Koch11 Rdn 1.
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Vorgängerregleungen noch das HGB ursprünglich entsprechende (ausdrückliche) Regelungen zur Höhe des Mindestnennkapitals bzw -betrages, so dass eine entsprechende Währungsbestimmung auch nicht notwendig war. Ein (Mindest-)Nennbetrag wurde erst durch die Verordnung über Goldbilanzen (GoldbilanzVO) vom 28. Oktober 19234 vorgeschrieben und auf 50.000 Goldmark (§ 17 Abs 2 GoldbilanzVO) bzw 50.000 Reichsmark5 festgesetzt (siehe § 7 Rdn 7). Durch das Aktiengesetz 19376 wurde die Vorgabe eines bestimmten Nennkapitals in § 7 verschoben, so dass der neu geschaffene § 6 Abs 17 zunächst regelte, dass das Grundkapital in Aktien zerlegt wird. Zudem sah § 6 Abs 28 vor, dass das Grundkapital und die Aktien auf einen in Reichswährung bestimmten Betrag lauten müssen. Im Zuge der Währungsreform in den Westzonen ordnete § 35 Abs 1 des Gesetzes über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung (D-Markbilanzgesetz) vom 21. August 19499 an, dass das Grundkapital und die Aktien auf Nennbeträge in Deutscher Mark festzusetzen sind. Durch das Aktiengesetz 196510 wurde § 6 Abs 1 aufgehoben, da dessen Regelungsgehalt nunmehr in § 1 Abs 2 (siehe § 1 Rdn 118 ff) enthalten war.11 Durch die Aufhebung von § 6 Abs 1 war die Absatzzählung in § 6 obsolet und der bisherige § 6 Abs 2 wurde zum alleinigen Regelungsinhalt von § 6, ohne dass damit inhaltliche Änderungen verbunden waren. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde erörtert, ob eine nennbetragslose Aktie eingeführt werden soll, was auch eine Änderung von § 6 zur Folge gehabt hätte. Dieses Regelungskonzept wurde dann allerdings aufgegeben (dazu ausführlich § 8 Rdn 20). Durch das Gesetz über die Zulassung von Stückaktien (Stückaktiengesetz – StückAG) vom 25. März 199812 kam es aufgrund der Einführung der Stückaktie zur Streichung der Bezugnahme auf Aktien, da Stückaktien über keinen Nennbetrag verfügen und somit eine Währungsnennung nicht erfolgen kann (siehe § 8 Rdn 70 ff). Auf die für die Nennbetragsaktien erforderliche ausdrückliche Regelung der Währungsnennung wurde verzichtet, da § 8 Abs 2 Satz 1 mit der Statuierung eines Mindestnennbetrags für Nennbetragsaktien automatisch auch die Währungsproblematik mitregelt (siehe § 8 Rdn 91 ff). Schließlich erfolgte durch das Gesetz zur Einführung des Euro (Euro-Einführungsgesetz – EuroEG) vom 9. Juni 199813 die Umstellung des Währungsbetrages von Deutscher Mark in Euro. Die Umstellung führte bei den bis zu diesem Zeitpunkt gegründeten Aktiengesellschaften nicht zum Erfordernis einer entsprechenden Satzungsänderung, ermöglichte dies aber (siehe dazu ausführlich Rdn 20 ff). Die Norm ist seitdem unverändert.
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4. Wirtschaftliche Bedeutung. Dem Regelungsgehalt von § 6 kommt keine eigen- 10 ständige wirtschaftliche Bedeutung zu. Für wirtschaftliche Bedeutung des Kapitalschutzsystems insgesamt siehe § 7 Rdn 13 f.
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4 RGBl I, S 1253. 5 § 3 der Zweiten DurchführungsVO vom 12.12.1924 zum MünzG vom 30.8.1924 (RGBl I, S 775). 6 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) v 30.1.1937 (RGBl I, 107). 7 § 6 Abs 1 AktG 1937 lautete: „Das Grundkapital wird in Aktien zerlegt.“ 8 § 6 Abs 2 AktG 1937 lautete: „Das Grundkapital und die Aktien müssen auf einen in Reichswährung bestimmten Nennbetrag lauten.“ 9 WiGBl. I, S 279. 10 Aktiengesetz vom 6.9.1965, BGBl I, S 1089. 11 Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 97 (abgedruckt bei Kropff, AktG 1965, S 21). 12 BGBl I, S 590. 13 BGBl I, S 1242.
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5. Europäisches Recht. Das Kapitalschutzsystem ist auch im europäischen Gesellschaftsrecht fest verankert und findet seine Grundlage in der (Zweiten) gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (77/91/EWG)14 bzw in der neuen Kapitalschutzrichtlinie (2012/ 30/EU)15. Nach deren Art 6 Abs 1 muss eine Aktiengesellschaft über ein gezeichnetes Kapital von nicht unter 25.000 Euro verfügen. Der Ausweis in Euro muss allerdings nur bei den Aktiengesellschaften erfolgen, die in einem Mitgliedstaat gegründet wurden, der der Euro-Zone angehört. Der European Model Companies Act (EMCA) schreibt in Chapter 1 Part 2 Sec 5 12 subs 1 keine konkrete Währung für den Ausweis des Grundkapital vor, sondern verweist auf die für die Unternehmensbilanzen der Aktiengesellschaft maßgebliche Währung.16 Bei der Europäischen Aktiengesellschaft muss das gezeichnete Kapital auf einen 13 Betrag in Euro lauten (Art 4 Abs 1 SE-VO). Allerdings können diejenigen Mitgliedstaaten, die nicht der Euro-Zone angehören, für die Europäischen Aktiengesellschaften mit Sitz in ihrem Hoheitsgebiet die Anwendung der jeweiligen nationalen Aktienrechtsvorschriften anordnen, so dass bei diesen ein Ausweis des Grundkapitals in der jeweiligen Landeswährung möglich ist (Art 67 Abs 1 Satz 1 SE-VO). Soweit ein Mitgliedstaat von dieser Option Gebrauch gemacht hat, bleibt es den Gründern der Europäischen Aktiengesellschaft aber unbenommen, das Kapital auch – und damit zusätzlich und nicht alternativ17 – in Euro ausdrücken (Art 67 Abs 1 Satz 2 SE-VO). 14
6. Ausländisches Recht. Der zwingende Ausweis des Grundkapitals der Aktiengesellschaft in der jeweiligen Landeswährung findet sich ebenso in den meisten Rechtsordnungen. So muss das Grundkapital der französischen Société Anonyme ebenso in Euro ausgewiesen werden (Art L 225–1 ff Code de Commerce) wie bei der österreichischen Aktiengesellschaft (§ 6 Satz 2 öAktG) oder der italienischen Società per Azioni (Art 2327 Codice Civile). Bei der englischen Public Limited Company muss der Ausweis in englischen Pfund vorgenommen werden.18 Die einzelstaatlichen Regelungen in den Vereinigten Staaten sehen in der Regel keinen Ausweis in US-amerikanischen Dollar vor, da es meist schon an einem zwingenden Mindestkapital fehlt.19 In der Schweiz muss der Ausweis des Mindestkapitals schließlich in Schweizer Franken erfolgen (Art 621 OR).
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7. Ökonomische Analyse. Für eine ökonomische Analyse des Kapitalschutzsystems insgesamt siehe ausführlich § 7 Rdn 22 ff.
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14 Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13.12.1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. EG L 26 vom 31.1.1977, S 1 ff. 15 Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl EG Nr L 315 v 14.11.2012, S 74 ff. 16 Vgl dazu Perakis ECFR 2016, 200, 205 f. 17 Ebenso Spindler/Stilz/Casper3 Art 67 SE-VO Rdn 2; Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Langhein2 Art 67 Rdn 2; Manz/Mayer/Schröder/Mayer2 Art 67 SE-VO Rdn 4; Schwarz Art 67 SE-VO Rdn 5. 18 Companies (Authorised Minimum) Regulations 2009 (SI 2009/2425). 19 Vgl dazu Mock Finanzverfassung der Kapitalgesellschaften und internationale Rechnungslegung, 2007, S 301 ff mit weiteren Nachweisen.
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8. Rechtspolitische Würdigung. Die Beschränkung des Ausweises des Nennbe- 16 trags des Grundkapitals in Euro ist konsequent und rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass der Ausweis auf andere Weise den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs nicht entsprechen würde. Dies gilt vor allem für einen alternativen Ausweis in Form der Nennung bestimmter Gegenstände oder Rechte, da es dann meist an einer direkten Vergleichbarkeit der Nennbeträge verschiedener Aktiengesellschaften fehlen würde. Dies gilt dabei unabhängig von der Höhe des Grundkapitals bzw des Mindestnennbetrags, da es im Rahmen von § 6 lediglich um die Einheitlichkeit des Ausweises geht (siehe Rdn 2 ff). 9. Verhältnis zu anderen Vorschriften. Der Regelungsgehalt von § 6 steht in ei- 17 nem unmittelbaren Zusammenhang mit § 7, der die konkrete Höhe des Grundkapitals festlegt (siehe § 7 Rdn 49 ff). 10. (Fehlende) Disponibilität. Die Regelung des § 6 ist zwingendes Recht und 18 kann daher weder in der Satzung noch auf andere Weise abbedungen werden. 11. Alt- und Übergangsfälle a) Alt- und Übergangsfälle bis zur Einführung des Euro. Die Vorgaben von § 6 19 gelten nicht für Aktiengesellschaften, deren Grundkapital beim Inkrafttreten des AktG 1965 zum 1. Januar 1966 nicht auf einen Nennbetrag in Deutscher Mark lautete (§ 1 Abs 1 Satz 1 EGAktG). Das gleiche gilt für Aktiengesellschaften, die unter das D-Markbilanzergänzungsänderungsgesetz20 fallen (§ 1 Abs 1 Satz 2 EGAktG). b) Einführung des Euro. Bei der Einführung des Euro wurde der Anwendungsbe- 20 reich von § 6 in dreierlei Weise eingeschränkt, was auf die stufenweise Einführung des Euro für den elektronischen bzw den Bargeldverkehr zurückzuführen ist. Aktiengesellschaften, bei denen die Eintragung schon vor dem 1. Januar 1999 erfolgte, dürfen den Nennbetrag des Grundkapitals auch weiterhin in Deutscher Mark ausweisen (§ 1 Abs 2 Satz 1 EGAktG). Insofern mussten und müssen diese keine Satzungsänderung durchführen. Der fortwährende Ausweis des Grundkapitals in Deutscher Mark führt allerdings nicht dazu, dass dieses auch tatsächlich in Deutscher Mark besteht. Die Aktiengesellschaft verfügt vielmehr über ein Grundkapital, dessen Nennbetrag in Euro lautet und sich aus der Umrechnung des in der Satzung ausgewiesenen Betrages in Deutscher Mark ergibt.21 Ein Ausweis in Deutscher Mark ist allerdings dann nicht mehr möglich, wenn der Nennbetrag des Grundkapitals verändert wurde. Dann muss ein Ausweis in Euro erfolgen (§ 1 Abs 2 Satz 3 Hs 2 EGAktG).22 Darüber hinaus haben diese Aktiengesellschaften auch die Möglichkeit der Umstellung des Nennbetrags in Euro, wofür bis zum 31. Oktober 2001 ein Beschluss der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit notwendig war (§ 4 Abs 1 Satz 1 EGAktG) und ab dem 1. Januar 2002 ein Beschluss des Aufsichtsrats ausreichend ist (§ 4 Abs 1 Satz 2 EGAktG). Für Aktiengesellschaften, bei denen die Eintragung zwischen dem 1. Januar 1999 21 und dem 31. Oktober 2001 erfolgte, bestand ein Wahlrecht zwischen einem Ausweis in Deutscher Mark oder in Euro (§ 1 Abs 2 Satz 2 EGAktG). Soweit der Nennbetrag nach dem
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20 Gesetz zur Änderung und Ergänzung des D-Markbilanzgesetzes v 28.12.1950, BGBl I, S 811. 21 KK/Dauner-Lieb3 § 6 Rdn 10; Hüffer/Koch11 Rdn 4. 22 AA Hüffer/Koch11 Rdn 4, der insofern von einer faktischen Umstellung im Rahmen von § 3 Abs 5 EGAktG ausgeht.
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31. Oktober 2001 verändert wurde, musste auch bei diesen ein Ausweis in Euro erfolgen (§ 1 Abs 2 Satz 3 Hs. 2 EGAktG). Schließlich gilt § 6 uneingeschränkt für alle Aktiengesellschaften, bei denen die Ein22 tragung nach dem 31. Oktober 2001 erfolgte (§ 1 Abs 2 Satz 3 Hs. 1 EGAktG). II. Festsetzung des Nennbetrags des Grundkapitals 1. Nennbetrag des Grundkapitals. Der Nennbetrag des Grundkapitals wird in der Satzung festgelegt (§ 23 Abs 3 Nr 3) und muss dabei mit der Summe der Nennbeträge aller Nennbetragsaktien unter fehlender Berücksichtigung des Agio übereinstimmen.23 Bei der Ausgabe von Stückaktien (siehe § 8 Rdn 70 ff) ergibt sich das letztere Erfordernis nicht. Durch die Festlegung des Nennbetrags des Grundkapitals in der Satzung erfordert die Änderung des Nennbetrags immer auch eine Satzungsänderung.24 Der Nennbetrag des Grundkapitals ist vom Nennbetrag der (Nennbetrags-)Aktien 24 zu unterscheiden (dazu ausführlich § 8 Rdn 91). Ein Zusammenhang besteht nur dahingehend, dass die Summe der Nennbeträge der (Nennbetrags-)Aktien dem Nennbetrag des Grundkapitals entsprechen muss (siehe Rdn 23). 23
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2. Erfordernis der Festsetzung in Euro. Schließlich muss der Nennbetrag in Euro festgesetzt werden, so dass ein alternativer Ausweis in Form der Nennung bestimmter Gegenstände oder Rechte nicht möglich ist.25 Dies schließt allerdings nicht aus, dass das Grundkapital auch in anderen Währungen oder durch Sacheinlagen aufgebracht werden kann. Für Aktiengesellschaften, die vor der Einführung des Euro gegründet wurden, gelten Übergangsvorschriften (siehe Rdn 20 ff). III. Rechtsfolgen von Verstößen
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1. Vorliegen eines Eintragungshindernisses. Die fehlende oder fehlerhafte Festsetzung des Nennbetrags in der Satzung führt zu einer nicht ordnungsgemäßen Errichtung der Aktiengesellschaft, so dass das Registergericht die Eintragung ablehnen muss (§ 38 Abs 1 Satz 2).26 Dabei kommt dem Registerrichter kein Ermessen zu.27
2. Eintragung trotz Verstoßes. Wird die Aktiengesellschaft trotz der fehlenden oder fehlerhaften Festsetzung des Nennbetrags in der Satzung im Handelsregister eingetragen, ist diese wirksam entstanden.28 Der fehlende Ausweis des Grundkapitals als Nennbetrag stellt allerdings einen 28 Nichtigkeitsgrund im Sinne von § 275 Abs 1 Satz 1 alt. 1 dar, so dass jeder Aktionär und jedes Mitglied des Vorstands und des Aufsichtsrats Nichtigkeitsklage erheben können (§ 275 Abs 1 Satz 1), sofern der Mangel nicht nach § 276 geheilt wurde.29 Darüber hinaus 27
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23 Grigoleit/Vedder Rdn 6. 24 KK/Dauner-Lieb3 § 6 Rdn 5; Heidel/Fischer4 Rdn 6; Hölters/Solveen2 Rdn 2. 25 Heidel/Fischer4 Rdn 5; K. Schmidt/Lutter/Fleischer3 Rdn 5; Hölters/Solveen2 Rdn 2; Grigoleit/ Vedder Rdn 4. 26 MünchKomm/Heider4 Rdn 17; KK/Dauner-Lieb3 § 6 Rdn 8; Heidel/Fischer4 Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/ Fleischer3 Rdn 7; Hölters/Solveen2 Rdn 5; Grigoleit/Vedder Rdn 7. 27 KK/Dauner-Lieb3 § 6 Rdn 8; Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 4. 28 MünchKomm/Heider4 Rdn 18; KK/Dauner-Lieb3 § 6 Rdn 8; Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 4; Heidel/ Fischer4 Rdn 8; K. Schmidt/Lutter/Fleischer3 Rdn 7; Hüffer/Koch11 Rdn 3; Hölters/Solveen2 Rdn 5; Grigoleit/ Vedder Rdn 7. 29 MünchKomm/Heider4 Rdn 19; KK/Dauner-Lieb3 § 6 Rdn 8; K. Schmidt/Lutter/Fleischer3 Rdn 7.
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Mindestnennbetrag des Grundkapitals | § 7
kann die Aktiengesellschaft von Amts wegen gelöscht werden (§ 397 FamFG). Diese beiden Verfahren stehen in keinem Exklusivitätsverhältnis und können nebeneinander betrieben werden.30 Bei einem fehlerhaften Ausweis des Nennbetrags – also in einer anderen Wäh- 29 rung als dem Euro – kann eine Nichtigkeitsklage nicht erhoben werden, da dieser Fall in § 275 Abs 1 nicht genannt wird.31 Das Registergericht muss dann die Aktiengesellschaft unter Hinweis auf eine ansonsten erfolgende Feststellung eines Mangels der Satzung auffordern, den Mangel zu beheben (§ 399 FamFG).32 Kommt die Aktiengesellschaft dieser Aufforderung nicht nach, wird nach Ablauf der Frist ein Mangel der Satzung festgestellt (§ 399 Abs 2 FamFG) und die Aktiengesellschaft aufgelöst (§ 262 Abs 1 Nr 5, § 399 FamFG). Bei einer Abweichung des in der Satzung angegebenen Grundkapitals von der 30 Summe der Nennbeträge der (Nennbetrags-)Aktien ist zu unterscheiden, ob diese Summe größer oder kleiner ist. Übersteigt das Grundkapital die Summe der Nennbeträge der (Nennbetrags-)Aktien bleibt es bei der Maßgeblichkeit des in der Satzung festgelegten Grundkapitals.33 Der Differenzbetrag ist von den Gründern aufzubringen, die insofern als Gesamtschuldner haften.34 Ist hingegen die Summe der Nennbeträge der (Nennbetrags-) Aktien größer als das in der Satzung angegebene Grundkapital, muss die Satzung hingegen korrigiert werden.35 Siehe zum Ganzen die Kommentierung bei § 7 Rdn 57. 3. Verstoß durch Satzungsänderung. Ein Beschluss zur Änderung der Satzung un- 31 ter Verletzung der Vorgaben von § 6 ist nach § 241 Nr 3 nichtig.36 § 7 Mindestnennbetrag des Grundkapitals Mock
§7 Mindestnennbetrag des Grundkapitals Der Mindestnennbetrag des Grundkapitals ist fünfzigtausend Euro.
I.
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Inhalt der Regelung | 1 2. Zweck der Regelung | 2 a) Gläubigerschutz | 3 b) Ausschluss von Kleinstunternehmern | 4 3. Gesetzesgeschichte | 5 4. Wirtschaftliche Bedeutung | 13 5. Europäisches Recht | 15 6. Ausländisches Recht | 19 7. Ökonomische Analyse | 22
8.
Rechtspolitische Würdigung | 27 a) Fehlende Sicherstellung einer angemessenen Eigenkapitalausstattung | 28 b) Fehlende Sicherstellung eines Gläubigerschutzes | 30 c) Statuierung einer bloßen Seriositätsschwelle | 34 d) Bezug zum geltenden Handelsbilanzrecht | 35 e) Weitere Bedenken | 36
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30 Heidel/Fischer4 Rdn 8; MünchKomm/Heider4 Rdn 19 f; K. Schmidt/Lutter/Fleischer3 Rdn 7. 31 Ebenso K. Schmidt/Lutter/Fleischer3 § Rdn 8; Hölters/Solveen2 Rdn 5; Grigoleit/Vedder Rdn 7. 32 MünchKomm/Heider4 Rdn 20; KK/Dauner-Lieb3 § 6 Rdn 9; K. Schmidt/Lutter/Fleischer3 § Rdn 8; Grigoleit/Vedder Rdn 7. 33 Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 3; Hölters/Solveen2 Rdn 6; Grigoleit/Vedder Rdn 9. 34 Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 3; MünchKomm/Heider4 § 7 Rdn 34; Hölters/Solveen2 Rdn 6; Grigoleit/ Vedder Rdn 9. 35 Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 3; MünchKomm/Heider4 § 7 Rdn 33. 36 Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 4; Heidel/Fischer4 Rdn 9; K. Schmidt/Lutter/Fleischer3 Rdn 8; Hüffer/ Koch11 Rdn 3; Grigoleit/Vedder Rdn 8.
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§ 7 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
9.
II.
Verhältnis zu anderen Vorschriften | 37 a) Aufsichtsrechtliche Sondervorgaben | 38 b) Eigenkapital | 42 c) Rücklagen | 43 d) Nachgründung | 45 10. (Fehlende) Disponibilität | 46 11. Alt- und Übergangsfälle | 47 Festsetzung des Mindestnennbetrags | 49
III.
Rechtsfolgen von Verstößen | 51 1. Vorliegen eines Eintragungshindernisses | 52 2. Eintragung trotz Verstoßes | 53 3. Verstoß durch Satzungsänderung | 56 4. Abweichen des Mindestnennbetrags des Grundkapitals von der Summe der Nennbeträge aller (Nennbetrags-) Aktien | 57
Schrifttum Armour Share Capital and Creditor Protection: Efficient Rules for a Modern Company Law, 63 Modern Law Review 355 (2000); Baldamus Reform der Kapitalrichtlinie, 2002; Ballerstedt Gesellschaftsrechtliche Probleme der Reform des GmbH-Rechts, ZHR 135 (1971), 383–409; Bauer Gläubigerschutz durch eine formelle Nennkapitalziffer – Kapitalgesellschaftsrechtliche Notwendigkeit oder überholtes Konzept?, 1995; Drinkuth Die Kapitalrichtlinie, 1998; Drukarczyk Überschuldung – zur Konstruktion eines Insolvenztatbestands im Spannungsfeld von Kapitalerhaltungsrecht und Kreditmarkt, FS Moxter, 1994, S 1231–1258; Drygala Stammkapital heute – Zum veränderten Verständnis vom System des festen Kapitals und seinen Konsequenzen, ZGR 2006, 587–637; Eidenmüller Kapitalgesellschaftsrecht im Spiegel der ökonomischen Theorie, JZ 2001, 1041; ders/Engert Die angemessene Höhe des Grundkapitals der Aktiengesellschaft, AG 2005, 97–108; Eidenmüller/Grunewald/Noack Das Mindestkapital im System des festen Kapitals, in: Lutter, Arbeitskreis Kapital, ZGR Sonderheft 2006, S 17–41; Engert Die Wirksamkeit des Gläubigerschutzes durch Nennkapital, GmbHR 2007, 337–344; Enriques/Macey Creditors versus Capital Formation: The Case against the European Legal Capital Rules, 86 Cornell Law Review 1165–1204 (2000–2001); Fastrich Optimierung des Gläubigerschutzes bei der GmbH – Praktikabilität und Effizienz, DStR 2006, 656–663; Fleischer Grundfragen der ökonomischen Theorie im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, ZGR 2001, 1; Frey Vom gezeichneten zum garantierten Kapital, in: FS Wiedemann, 2002, S 851–873; Group of German Experts on Corporate Law Zur Entwicklung des Europäischen Gesellschaftsrechts – Stellungnahme der Group of German Experts on Corporate Law zum Konsultations-dokument der High Level Group of Experts on Corporate Law, ZIP 2002, 1310–1324; Hirte Referat zur Reform des gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutz zum 66. Deutschen Juristentag, 2007, S. P 11–42; Kleindiek Krisenvermeidung in der GmbH: Gesetzliches Mindestkapital, Kapitalschutz und Eigenkapitalersatz, ZGR 2006, 335–365; Kübler Aktien, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt, 1989; Kuhnert Zur Zukunft der Kapitalerhaltung durch bilanzielle Ausschüttungssperren im Gesellschaftsrecht der Staaten Europas, ZGR 2005, 753–787; Lutter Gesetzliches Garantiekapital als Problem europäischer und deutscher Rechtspolitik, AG 1998, 375–377; Lutter Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, 1964; Maul/Lanfermann/Richard Zur Leistungsfähigkeit der Ausschüttungsmodelle in Europa und Drittstaaten, AG 2010, 279; Merkt Der Kapitalschutz in Europa – ein rocher de bronze?, ZGR 2004, 305–323; Mock Finanzverfassung der Kapitalgesellschaften und internationale Rechnungslegung, 2007 (zit. Mock Finanzverfassung); Mülbert A Synthetic View of Different Concepts of Creditor Protection, or: A High-Level Framework for Corporate Creditor Protection, EBOR 2006, 357; ders Zukunft der Kapitalaufbringung/ Kapitalerhaltung, Konzern 2004, 151; ders/Birke Legal Capital – Is There a Case against the European Legal Capital Rules?, EBOR 2002, 695–732; Richard Kapitalschutz der Aktiengesellschaft, 2007; Rickford Reforming Capital – Report of the Interdisciplinary Group on Capital Maintenance, EBLR 2004, 919; ders Legal Approaches to Restricting Distributions to Shareholders: Balance Sheet Tests and Solvency Tests, EBOR 2006, 135; Schön Gesellschafter-, Gläubiger- und Anlegerschutz im Europäischen Bilanzrecht, ZGR 2000, 706–742; ders Zur „Existenzvernichtung“ der juristischen Person, ZHR 168 (2004), 268–298; ders Die Zukunft der Kapitalaufbringung/-erhaltung, Konzern 2004, 162; ders Balance Sheet Tests or Solvency Tests – or Both?, EBOR 2006, 181; Schuster Gesetzliches Garantiekapital als Problem europäischer und deutscher Rechtspolitik, AG 1998, 379–381; Das Mindestkapital als Mindestschutz, GmbHR 2006, 13–24.
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Mindestnennbetrag des Grundkapitals | § 7
I. Grundlagen 1. Inhalt der Regelung. Durch § 7 wird der Nennbetrag des Grundkapitals einer 1 Aktiengesellschaft auf den Betrag von 50.000 Euro festgesetzt. Das Grundkapital steht in keinerlei Verhältnis zu dem Vermögen der Aktiengesellschaft (Rdn 30 ff) und gibt über dieses daher auch keine Auskunft.1 Das gleiche gilt für die für die Gläubiger tatsächlich verfügbare Haftungsmasse (Rdn 34) oder das vorhandene Eigenkapital (Rdn 42). 2. Zweck der Regelung. Mit der Festsetzung des Nennbetrags des Grundkapitals ei- 2 ner Aktiengesellschaft auf den Betrag von 50.000 Euro soll zum einen ein Gläubigerschutz erreicht (Rdn 30 ff) und zum anderen Kleinstunternehmer von der Rechtsform der Aktiengesellschaft ausgeschlossen werden (Rdn 4). a) Gläubigerschutz. Zentraler Regelungszweck von § 7 ist zunächst der Gläubiger- 3 schutz.2 Dieses Regelungsziel hat zwar weder der historische noch der aktuelle Gesetzgeber im Zusammenhang mit § 7 ausdrücklich formuliert, ergibt sich aber aus dem Umstand, dass § 7 einen Teil des Gesamtregelungskonzept Kapitalschutz darstellt, das im Übrigen in den §§ 9 Abs 1, 27 Abs 3 und 4, 33 ff, 36 Abs 2, 36a, 46 ff, 57 f, 66 und §§ 71 ff geregelt ist. Zur tatsächlich fehlenden bzw beschränkten Gewährleistung eines Gläubigerschutzes ausführlich Rdn 30 ff. b) Ausschluss von Kleinstunternehmern. Darüber hinaus soll durch die Festset- 4 zung des Nennbetrags des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft auf den Betrag von 50.000 Euro erreicht werden, dass die Aktiengesellschaft nicht von Kleinstunternehmen genutzt wird.3 Dabei handelt es sich aber lediglich um eine Zielsetzung des historischen Gesetzgebers des AktG 1937 (Rdn 8), die zum einen durch die fortlaufende Inflation weitgehend an Bedeutung gewonnen hat und zum anderen auch schon durch den Gesetzgeber bei der Aktienrechtsreform von 1965 (Rdn 10) verworfen wurde. Insofern besteht dieser Zweck heute nicht mehr4, zumal dieser eher durch die Satzungsstrenge (§ 23 Abs 5 – § 23 Rdn 173 ff) und die komplexere und personalintensivere Organisationsstruktur der Aktiengesellschaft insbesondere gegenüber der GmbH erreicht wird. 3. Gesetzesgeschichte. In den Anfängen des deutschen Aktienrechts wurde auf die 5 Festsetzung eines konkreten (Mindest-)Nennkapitals verzichtet, das damit verbundene Grundkonzept allerdings bereits verfolgt. So sah schon das Preußische Gesetz über die Aktiengesellschaften von 18435 vor, dass der Gesellschaftsvertrag eine Regelung über das Grundkapital enthalten muss, ohne dass dabei allerdings ein konkretes Grundkapi-
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1 Spindler/Stilz/Drescher3 § 6 Rdn 2. 2 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 2 ff; Heidel/Fischer4 Rdn 1; K. Schmidt/Lutter/Fleischer3 Rdn 1; MünchKomm/ Heider4 Rdn 7; Hüffer/Koch11 Rdn 1; Hölters/Solveen2 Rdn 1; ähnlich Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 1; zum Gläubigerschutz als gesetzgeberisches Regelungsziel des Kapitalschutzsystems allgemein vgl jüngst etwa Begr RegE MoMiG BT-Drucks 16/6140, S 40; vgl auch K. Schmidt Gesellschaftsrecht, § 18 II 2; Raiser/Veil Kapitalgesellschaftsrecht, § 19 Rdn 1; Schön ZHR 168 (2004), 268; Wiedemann Gesellschaftsrecht – Band I, S 553. 3 So etwa Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 1; Eidenmüller/Engert AG 2005, 97, 99; Heidel/Fischer4 Rdn 1; Hölters/Solveen2 Rdn 1. 4 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 4; Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 1; K. Schmidt/Lutter/Fleischer3 Rdn 1; MünchKomm/Heider4 Rdn 10; Hüffer/Koch11 Rdn 1; Hölters/Solveen2 Rdn 1; wohl im Ergebnis auch Eidenmüller/Engert AG 2005, 97, 99. 5 Dazu ausführlich Baums Preußisches Gesetz über die Aktiengesellschaften von 1843, 1981, S 9 ff.
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tal der Höhe nach vorgeschrieben wurde (§ 2 Nr 4 Preußisches Gesetz über die Aktiengesellschaften von 1843). Diesem Ansatz folgte auch das ADHGB von 1861 und sah eine entsprechende Regelung vor (Art 209 Nr 4). Lediglich durch die 2. Aktienrechtsnovelle von 1884 ergab sich die Höhe eines solchen Mindestnennkapitals mittelbar, da insofern fünf Gründer vorgeschrieben waren, die jeweils mindestens eine Aktie zu einem Nennbetrag von 1.000 Mark übernehmen mussten (Art 207a Abs 1, 209 ADHGB). Davon konnte aber unter anderem bei gemeinnützigen Unternehmen abgewichen werden, bei denen mindestens eine Aktie mit einem Nennbetrag von 200 Mark übernommen werden musste (Art 207a Abs 2 ADHGB). Somit belief sich das Mindestnennkapital auf 1.000 Mark bzw 5.000 Mark. An diesem Regelungskonzept wurde bei der Schaffung des HGB 1897 festgehalten (§§ 180, 182 HGB). Zur ausdrücklichen Festsetzung eines Mindestkapitals kam es erst im Rahmen des Gesetzes über den Mindestbetrag des Grundkapitals von Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien vom 12. Mai 19236, wonach das Grundkapital der Aktiengesellschaft und der Kommanditgesellschaft auf Aktien mindestens fünf Millionen Mark betragen musste. Hintergrund dieser im Vergleich zur vorherigen Regelung enormen Erhöhung des Grundkapitals war die teilweise massive Inflation zu Beginn der frühen zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Mit der die Inflation beendenden Währungsreform wurde dieser hohe Grundkapitalbetrag wieder aufgegeben und durch die Verordnung über Goldbilanzen (GoldbilanzVO) vom 28. Oktober 19237 auf 50.000 Goldmark festgesetzt (§ 17 Abs 2 GoldbilanzVO). Aufgrund der Währungsreform 1924 wurde dieser Betrag dann in 50.000 Reichsmark8 umgewandelt. Im Rahmen des Aktiengesetzes 19379 wurde dieser Betrag auf 500.000 Reichsmark erhöht (§ 7 Abs 1 AktG 193710). Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass die für die Aktiengesellschaft charakteristische Anonymität nur da zugelassen werden sollte, wo sie unbedingt notwendig sei.11 Insofern sollte durch die erhebliche Anhebung des Mindestkapitals die Aktiengesellschaft in ihrer Bedeutung zurückgefahren werden.12 Allerdings sah § 7 Abs 2 AktG 193713 eine ministerielle Ausnahmegenehmigung vor, deren Voraussetzungen nicht näher definiert wurden. Für die bis dahin bereits gegründeten Aktiengesellschaften war zudem eine Anpassung an das neue Mindestkapital nur für den Fall vorgesehen, dass bei diesen eine wesentliche Veränderung ihrer Verhältnisse vorgenommen wird (§ 2 Abs 1 EGAktG 1937). Auch dieses Kriterium blieb hinsichtlich der genauen Voraussetzungen unklar. Im Zuge der Währungsreform in den Westzonen setzte § 80 Abs 1 des Gesetzes über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung (D-Markbilanzgesetz) vom 21. August 194914 das Grundkapital auf 100.000 DM fest. Die noch im Ak-
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6 RGBl I, S 289. 7 RGBl I, S 1253. 8 § 3 der Zweiten DurchführungsVO vom 12.12.1924 zum MünzG vom 30.8.1924 (RGBl I, S 775). 9 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) v 30.1.1937 (RGBl I, 107). 10 § 7 Abs 1 lautete: „Der Mindestnennbetrag des Grundkapitals ist fünfhunderttausend Reichsmark.“ 11 Amtliche Begründung zum Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaft auf Aktien, Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1937 Nr 28 vom 4.2.1937 (abgedruckt bei Klausing AktG 1937, S 8). 12 Dazu: Bayer/Habersack/Bayer/Engelke Aktienrecht im Wandel, 2007, Band I, S 619 Rdn 6. 13 § 7 Abs 2 lautete: „Der Reichsminister der Justiz kann im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsminister Ausnahmen zulassen.“ 14 WiGBl I, S 279.
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tiengesetz 1937 vorgesehene ministerielle Ausnahmegenehmigung zur Unterschreitung des Mindestkapitals wurde ersatzlos gestrichen. Für die bereits bestehenden Aktiengesellschaften musste die aufgrund der Währungsumstellung notwendige Neufestsetzung des Grundkapitals nur auf einen Betrag von 50.000 DM erfolgen. Auch wenn damit eine nominelle Herabsetzung der Anforderungen an das Grundkapital verbunden war, sollte an der schon im AktG 1937 postulierten Beschränkung der Aktiengesellschaft auf größere Unternehmen festgehalten werden. Das Aktiengesetz 196515 hielt an dem Grundkapital von 100.000 DM fest. Im Zuge 10 der Gesetzgebungsarbeiten wurde allerdings diskutiert, das Grundkapital auf 500.000 DM anzuheben, da die Schwelle von 100.000 DM inzwischen auch von klein- und mittelständigen Unternehmen erreicht werden konnte.16 Darin sah man die Gefahr, dass eine zu große Zahl von Aktiengesellschaften die Finanzierung über den Kapitalmarkt gefährden könnte. Dennoch sah man von einer Anhebung des Grundkapitals ab, da damit für einen großen Teil der deutschen Aktiengesellschaften eine Zwangsumwandlung in andere Rechtsformen verbunden gewesen wäre.17 Zudem wurde vor dem Hintergrund einer rechtsvergleichenden Betrachtung und der geringen Überzeugungskraft der Argumente des Gesetzgebers des AktG 1937 eine Erhöhung abgelehnt.18 Auch die Wiedereinführung der ministeriellen Ausnahmegenehmigung wurde im Gesetzgebungsverfahren abgelehnt, da die Höhe des Grundkapitals ohnehin niedrig und Ausnahmen nicht notwendig seien.19 Zudem wurde in § 2 Satz 1 EGAktG 1965 eine Übergangsregelung für Aktiengesellschaften vorgesehen, die bereits nach den Regelungen der GoldbilanzVO gegründet wurden (Rdn 7) und im Rahmen des AktG 1937 (Rdn 8) keine Anpassung vornehmen mussten. Für die Behandlung der Altgesellschaften der ehemaligen DDR im Rahmen der Wiedervereinigung siehe die Vorauflage Rdn 6. Durch das Gesetz zur Einführung des Euro (Euro-Einführungsgesetz – EuroEG) vom 11 9. Juni 199820 erfolgte die Umstellung des Währungsbetrages von Deutscher Mark in Euro. Dabei hat der Gesetzgeber auf eine Umrechnung des ursprünglich in § 7 genannten Betrages von 100.000 DM anhand des Referenzkurses der Europäischen Zentralbank verzichtet und vielmehr den Betrag neu auf 50.000 Euro festgesetzt. Die dabei entstehende Differenz von 1.129,19 Euro wurde aus Vereinfachungsgründen für entbehrlich gehalten. Die Umstellung führte bei Aktiengesellschaften zum Erfordernis einer entsprechenden Satzungsänderung, was in § 4 EGAktG näher geregelt wurde. Die Norm ist seitdem unverändert. Die zahlreichen Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Kapitalschutzsystems 12 (Rdn 27 ff) führten Anfang der 2000er sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene zu einer intensiven Debatte über eine Reform, bei der auch die Absenkung des Mindestkapitals in § 7 bzw der entsprechenden Vorgaben in der Kapitalschutzrichtlinie (Rdn 15) im Fokus standen. Im Rahmen dieser Debatte konnten sich die Stimmen für eine Abschaffung oder erhebliche Vereinfachung des Kapitalschutzsystems nicht durchsetzen, da es letztlich an einem tatsächlich geeigneten Gegenmodell fehlte, so dass es zu einem argumentativen Patt (Rdn 27) kam. Daher hat sich der deutsche Gesetzgeber – ebenso wie der europäische Gesetzgeber (Rdn 15 ff) – gegen die Abschaffung oder Ab-
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15 Aktiengesetz vom 6.9.1965, BGBl I, S 1089. 16 Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 97 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 22). 17 Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 97 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 22), wonach ca 75% der Aktiengesellschaften zu einer Kapitalerhöhung gezwungen worden wären. 18 Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 97 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 22). 19 Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 97 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 22). 20 BGBl I, S 1242.
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senkung des Mindestkapitals für Aktiengesellschaften entschieden. Die im Rahmen der Reform des GmbH-Rechts im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts geführte Diskussion über die Herabsenkung des Stammkapitals, die im Ergebnis vor allem zur Schaffung der Unternehmensgesellschaft haftungsbeschränkt (UG) durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 200821 führte, fand im Aktienrecht keinen gesetzgeberischen Niederschlag. Allerdings wurden im Rahmen des MoMiG22 und des ARUG23 zahlreiche Erleichterungen bei den Vorschriften zur Kapitalaufbringung und -erhaltung vor allem im Zusammenhang mit der verdeckten Sacheinlage (§ 27 Abs 3 – § 27 Rdn 267 ff) und dem Hin- und Herzahlen (§ 27 Abs 4 – § 27 Rdn 368 ff) geschaffen. 4. Wirtschaftliche Bedeutung. Die wirtschaftliche Bedeutung von § 7 ist nicht mit abschließender Sicherheit zu bestimmen, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass das Erfordernis eines bestimmten Mindestnennkapitals letztlich nur eine Seriositätsschwelle (dazu ausführlich Rdn 34) darstellt. Da deren tatsächlicher Erfolg nicht quantifizierbar ist, verbietet sich auch die Ableitung konkreter Auswirkungen der Festsetzung des Mindestnennkapitals in Höhe von 50.000 Euro durch § 7. Festzustellen ist aber, dass das Grundkapital in der Regel weit über den durch § 7 14 festgesetzten Betrag von 50.000 Euro liegt.24 Dies ergibt sich oft schon aus dem Umstand, dass sich bei der Aktiengesellschaft eine Kapitalzufuhr unter Gewährung von Mitgliedschaftsrechten meist nur durch eine Erhöhung des Grundkapitals erreichen lässt. Zudem besteht ein gewisser Anreiz zur Festlegung eines höheren Grundkapitals, um den Gefahren einer Haftung bei der Nachgründung zu entgehen (Rdn 45). 13
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5. Europäisches Recht. Das Erfordernis eines Mindestnennbetrags für eine Aktiengesellschaft findet seine Grundlage im europäischen Gesellschaftsrecht in Form der (Zweiten) gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (77/91/EWG)25 bzw der neuen Kapitalschutzrichtlinie (2012/30/EU)26, auch wenn diese bei der konkreten Gestaltung von § 7 keine Rolle gespielt haben. Nach Art 6 Abs 1 Kapitalschutzrichtlinie darf das gezeichnete Kapital den Betrag von 25.000 Euro nicht unterschreiten. Den Mitgliedstaaten steht es insofern frei, einen höheren Betrag festzusetzen.27 Entsprechende Bemühungen der Kommission, dahingehend teilweise einen Höchststandard festzuset-
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21 BGBl I, S 2026. 22 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008, BGBl I, S 2026. 23 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30.7.2009, BGBl I, S 2479. 24 Ebenso in der Einschätzung Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 1; Eidenmüller/Engert AG 2005, 97, 101 ff; Grigoleit/Vedder Rdn 3. 25 Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13.12.1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. EG L 26 vom 31.1.1977, S 1 ff. 26 Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl EG Nr L 315 v 14.11.2012, S 74 ff. 27 Habersack/Verse Europäisches Gesellschaftsrecht4 § 6 Rdn 16; Schall Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, 2009, S 13; Lutter/Bayer/J. Schmidt Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht5, S 477 f; einschränkend aber Drinkuth Die Kapitalrichtlinie, 1998, S 135 f.
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zen28, konnten sich nicht durchsetzen.29 Die Festsetzung auf den Betrag von 25.000 Euro durch den europäischen Gesetzgeber war im Ergebnis ebenso willkürlich wie in allen anderen Rechtsordnungen, die dem System des festen Nennkapitals folgen. Daher reflektiert dieser Betrag in keiner Weise eine besondere Gefährdungslage für die Gläubiger oder einen Kapitalbedarf für eine Aktiengesellschaft (dazu ausführlich Rdn 31). Die zu Beginn der 2000er beginnende Reformdebatte hinsichtlich des Kapital- 16 schutzregimes erreichte vor dem Hintergrund von dessen Liberalisierung in vielen Mitgliedstaaten auch den europäischen Gesetzgeber und eröffnete die Debatte über die Reform der Kapitalschutzrichtlinie. Da trotz der zahlreichen Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Kapitalschutzsystems (Rdn 27 ff) auch kein überzeugendes Gegenmodell entwickelt werden konnte, hat der europäische Gesetzgeber im Rahmen der Reform der Kapitalschutzrichtlinie im Jahr 2006 aufgrund einer von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie30 vorerst an dem Mindestbetrag von 25.000 Euro festgehalten.31 Der European Model Companies Act (EMCA) ordnet in Chapter 1 Part 2 Sec 5 17 subs 1 zwar auch an, dass die Aktiengesellschaft über ein Grundkapital verfügen muss, setzt dafür aber selbst keinen konkreten Betrag fest.32 Im Gegensatz dazu ist für die Europäische Aktiengesellschaft ein gezeichnetes 18 Kapital von mindestens 120.000 Euro vorgesehen (Art 4 Abs 2 SE-VO). Der Hintergrund dieses deutlich über den Vorgaben der Kapitalschutzrichtlinie (Rdn 15) liegenden Betrages ist in dem Bestreben des europäischen Gesetzgebers zu suchen, die Europäische Aktiengesellschaft nur für größere Unternehmen zugänglich zu machen33, was sich vor allem in Mitgliedstaaten mit einer Dominanz von klein- und mittelständischen Unternehmen als hinderlich erweist.34 Abgesehen von diesem Umstand ist die Festlegung dieses konkreten Betrags im Ergebnis willkürlich, auch wenn dieser im Vergleich zu früheren Entwürfen35 schon deutlich herabgesenkt wurde. Der Ausweis eines gezeichneten Kapitals von 120.000 Euro ist allerdings für die Europäischen Aktiengesellschaften nicht zwingend, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates haben, der nicht der Euro-Zone angehört, da diese Mitgliedstaaten die Anwendung der jeweiligen nationalen Aktienrechtsvorschriften anordnen können (Art 67 Abs 1 Satz 1 SE-VO). Soweit ein Mitgliedstaat von dieser Option Gebrauch gemacht hat, bleibt es den Gründern der Europäi-
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28 So etwa im Vorschlag einer zweiten Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, ABl EG Nr C 48 v 24.4.1980, S 8 ff. 29 Vgl dazu Ankele BB 1970, 988, 990; Niessen AG 1970, 281, 285. 30 KPMG, Durchführbarkeitsstudie über Alternativen zu dem von der Zweiten Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts eingeführten System der Kapitalerhaltung, 2008, abrufbar unter http://ec.europa. eu/internal_market/company/capital/index_en.htm; vgl dazu Habersack/Verse Europäisches Gesellschaftsrecht4 § 6 Rdn 20; Lutter/Bayer/J. Schmidt Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht5, S 567 f; Maul/Lanfermann/Richard AG 2010, 279 ff; dies FS Hellwig, 2010, S 221 ff. 31 Zur Kapitalschutzrichtlinie Rdn 15. 32 Vgl dazu Perakis, ECFR 2016, 200, 205 f. 33 Erwägungsgrund Nr 13; vgl auch Habersack/Drinhausen/Diekmann Art 4 Rdn 12; Lutter/ Hommelhoff/Teichmann/Fleischer2 Art 4 Rdn 6; Gutsche Die Eignung der Europäischen Aktiengesellschaft für kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland, 1994, S 62 f; Heckschen FS Westermann, 2008, S 999, 1003; Hirte, NZG 2002, 1, 9; Hommelhoff AG 2001, 279, 286; KK-AktG/Wenz3 Art 4 Rdn 6. 34 Mit diesem Ergebnis Kommission, Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), KOM(2010) 676 endg v 17.11.2010, S 5. 35 So sah der sogenannte Sanders-Entwurf von 1966 (Sanders, Europäische Aktiengesellschaft – Vorentwurf eines Statuts für eine europäische Aktiengesellschaft, 1966) noch ein Mindestkapital von einer Million Recheneinheiten vor.
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schen Aktiengesellschaft aber unbenommen, das Kapital auch – und damit zusätzlich und nicht alternativ36 – in Euro auszudrücken (Art 67 Abs 1 Satz 2 SE-VO). In diesem Fall muss die Höhe aber nicht 120.000 Euro betragen, sondern entspricht dem Betrag, der im nationalen Aktienrecht vorgesehen ist und der sich aus der Umrechnung zum Zeitpunkt des letztes Tages des Monats vor der Gründung der Europäische Aktiengesellschaft ergibt (Art 67 Abs 1 Satz 3 SE-VO).37 6. Ausländisches Recht. Bei der englischen Public Limited Company beträgt das Mindestkapital derzeit einem 57.100 Euro entsprechenden Betrag in englischen Pfund.38 Für die Gründung der italienischen Società per Azioni ist ein Grundkapital von 120.000 Euro (Art 2327 Codice Civile) und für die französische Société Anonyme ein Grundkapital von 37.000 Euro bzw 225.000 Euro (Art L 224-2 Code de Commerce) erforderlich. In der Schweiz muss das Aktienkapital nach der Revision des Aktienrechts von 1991 nicht mehr nur 50.000 Schweizer Franken, sondern mindestens 100.000 Schweizer Franken betragen (Art 621 OR). In Österreich ist ein Grundkapital von 70.000 Euro vorgesehen (§ 7 öAktG). Die einzelstaatlichen Regelungen in den Vereinigten Staaten sehen in der Regel 20 kein zwingendes Mindestkapital vor. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass dem Kapitalschutzkonzept im US-amerikanischen Recht insgesamt wenig Bedeutung aufgrund der eingeschränkten Funktionsfähigkeit eingeräumt wird.39 Lediglich einzelne USBundesstaaten sehen noch ein Mindeststammkapital vor.40 21 Obwohl die meisten Rechtsordnungen tatsächlich noch über ein mit § 7 vergleichbares Mindestkapital verfügen, ist dieses Konzept bzw das Kapitalschutzsystem insgesamt rechtsvergleichend auf dem Rückzug befindlich und spielt vor allem für die Aktiengesellschaften eine immer geringere Rolle.41 19
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7. Ökonomische Analyse. Eine ökonomische Betrachtung der Festsetzung des Grundkapitals auf 50.000 Euro durch § 7 muss zunächst in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der durch § 1 Abs 1 Satz 2 angeordneten Haftungsbeschränkung vorgenommen werden (§ 1 Rdn 68 ff), da allein schon durch diesen Aspekt ein enormes Risikoanreizproblem (Principal-agent-Problem) entsteht.42 Dieses zu minimieren ist zentrale Aufgabe der Festsetzung des Grundkapitals auf einen Betrag von mindestens 50.000 Euro (Rdn 49 f.). Ob dies tatsächlich erreicht wird bzw ob mit dieser Festsetzung ein tatsächlicher Nutzen erreicht wird, erscheint allerdings fragwürdig. Vielmehr ist damit eine Reihe von Effizienznachteilen verbunden.
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36 Ebenso Spindler/Stilz/Casper3 Art 67 SE-VO Rdn 2; Habersack/Drinhausen/Habersack Art 67 SE-VO Rdn 2; Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Langhein2 Art 67 Rdn 2; Manz/Mayer/Schröder/Mayer Art 67 SE-VO Rdn 4; Schwarz Art 67 SE-VO Rdn 5. 37 Ebenso Spindler/Stilz/Casper3 Art 67 SE-VO Rdn 2; MünchKomm/Oechsler Art 67 SE-VO Art 67 Rdn 1. 38 Sec 2 Companies (Authorised Minimum) Regulations 2009 (SI 2009/2425); dazu und den rechtspolitischen Bedenken aus englischer Sicht etwa Rickford EBOR 2006, 135 ff. 39 Vgl dazu Mock Finanzverfassung, S 301 ff mit weiteren Nachweisen. Vgl auch Manning/Hanks Legal Capital, 3. Aufl 1990, S 20 ff. 40 Für eine Übersicht vgl Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl 2013, Rdn 199. 41 Vgl dazu nur Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman/Armour/Davies/Enriques/Hansmann/Hertig/Hopt/ Kanda/Rock The Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl 2009, S 115 ff; Ventoruzzo/Conac/Goto/Mock/Notari/ Reisberg Comparative Corporate Law, 2015, S 189 ff. 42 Easterbrook/Fischel The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S 41 ff; Eidenmüller/Grunewald/ Noack, in: Lutter Arbeitskreis Kapital, ZGR Sonderheft 2006, S 17, 23 f; Richard Kapitalschutz der Aktiengesellschaft, S 167 ff.
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Ein Nutzen der festgelegten Höhe des Grundkapitals kann zunächst nicht im Rah- 23 men der sogenannten signaling theory43 in dem Sinne angenommen werden, dass die Aktiengesellschaft durch die Höhe des Grundkapitals dem Markt und potentiellen Vertragspartner ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit signalisiert. Letztlich ergibt sich aus der Höhe des Grundkapitals – auch in Verbindung mit anderen bilanziellen Posten – nicht immer eindeutig, über welche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit die Aktiengesellschaft verfügt. So kann einerseits angenommen werden, dass ein geringes Grundkapital kombiniert mit einer hohen Fremdkapitalfinanzierung signalisiert, dass die Aktiengesellschaft auf dem Markt über eine höhere Kapazität zur Bedienung von Verbindlichkeiten verfügt.44 Umgekehrt könnte daraus aber auch abgeleitet werden, dass die Gründer das Risiko des Unternehmens überdurchschnittlich hoch einschätzen und dieses vorrangig auf externe Geldgeber verlagern möchten. Diese Unsicherheit ergibt sich aus dem Umstand, dass das Verhältnis von Eigen- und Fremdfinanzierung allein kaum eine belastbare Aussage über die Fähigkeit der Bedienung von Verbindlichkeiten treffen kann. Zudem nimmt das Grundkapital und dessen Höhe bei dieser Betrachtung nur eine Nebenrolle ein, da Eigenkapital auch auf andere Weise – etwa durch ein Aufgeld (§ 9 Rdn 85 ff) – aufgebracht werden kann.45 Die Signalisierung einer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfolgt daher nicht durch die Höhe des Grundkapitals, sondern durch andere teilweise auch bilanzielle und nicht-bilanzielle Faktoren.46 Effizienznachteile ergeben sich vor allem aus dem Gesichtspunkt der Transak- 24 tionskosten.47 Durch die Festsetzung des Grundkapitals auf 50.000 Euro und das Erfordernis der Durchsetzung der tatsächlichen Aufbringung dieses Kapitals sind bei der Gründung einer Aktiengesellschaft eine Reihe von kostenintensiven Verfahrensschritten notwendig, die vor allem für rentable Unternehmen eine unnötige Barriere darstellen.48 Dies gilt etwa für die Gründungsprüfung bei Sacheinlagen (§§ 31 ff). Diese Kosten entstehen für alle Gründer unabhängig davon, ob dieser Aufwand tatsächlich notwendig oder gerechtfertigt ist. Im Zusammenhang mit den Transaktionskosten wird allerdings häufig eingewandt, dass diese durch die Festsetzung des Grundkapitals auf 50.000 Euro gesenkt werden, da ein abstrakter Gläubigerschutz gewährleistet wird, so dass vor allem bei kleineren Transaktionen keine Mechanismen zur individuellen Absicherung zur Anwendung kommen müssen.49 Die Überzeugungskraft dieses Arguments ist allerdings aufgrund der erheblichen Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Kapitalschutzsystems insgesamt (Rdn 27 ff) eher gering. Der Grund für die fehlende individuelle Absicherung der Gläubiger bei kleineren Transaktionen dürfte daher nicht in einem Vertrauen auf das Kapitalschutzsystem, sondern vielmehr in der Vermeidung der durch die individuelle Absicherung entstehenden Kosten zu suchen sein.
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43 Grundlegend Akerlof 84 The Quarterly Journal of Economics, 488 (1970); dem folgend Adams Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, 1991, S 40 f (Eigenkapital als Glaubwürdigkeitssignal); ebenso Bitter Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000, S 196 f; Drygala ZGR 2006, 587, 599 f; Kleindiek ZGR 2006, 335, 346 f. 44 So aber Drygala ZGR 2006, 587, 599 ff; Kleindiek ZGR 2006, 335, 346 f. 45 Kuhnert ZGR 2005, 753, 773 f; Mock Finanzverfassung, S 209; Mülbert/Birke EBOR 2002, 695, 728 f. 46 Ebenfalls die Signalfunktion des Grundkapitals ablehnend Eidenmüller FS Heldrich, S 581, 593; Eidenmüller/Engert AG 2005, 97, 105 f; Mülbert/Birke EBOR 2002, 695, 727. 47 Easterbrook/Fischel The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S 41 ff; dies, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 93 ff (1985); Eidenmüller JZ 2001, 1041, 1042; Eidenmüller/Grunewald/Noack, in: Lutter Arbeitskreis Kapital, ZGR Sonderheft 2006, S 17, 21 ff; Hansmann/Kraakman 110 Yale L.J. 387, 423 (2000); Mülbert Konzern 2004, 151, 156; Richard Kapitalschutz der Aktiengesellschaft, S 169 ff, 186 f. 48 Eidenmüller/Grunewald/Noack, in: Lutter Arbeitskreis Kapital, ZGR Sonderheft 2006, S 17, 27 ff. 49 So etwa Schön ZGR 2000, 706, 727 f.
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Zudem bietet das Kapitalschutzsystem selbst keine Anreizstruktur, das Grundkapital über den in § 7 vorgesehenen Betrag von 50.000 Euro anzuheben und den Gläubigerschutz sozusagen auszubauen. Sofern ein oder mehrere Gläubiger tatsächlich auf einer zusätzlichen Absicherung bestehen sollten, werden diese auf eine individuelle Absicherung drängen, da die Erhöhung des Grundkapitals letztlich allen und damit auch den passiven Gläubigern zugutekäme. Insofern besteht also ein Kollektivhandlungsproblem für die Gläubiger.50 Schließlich gilt es zu beachten, dass mit der Festsetzung des Grundkapitals auf einen 26 im Vergleich mit Kapitalgesellschaften insgesamt relativ hohen Betrag von 50.000 Euro ein Anreiz gesetzt wird, auf andere Rechtsformen vor allem aus anderen Mitgliedstaaten auszuweichen (sogenannter Wettbewerb der Gesellschaftsrechte51), womit in gewisser Weise ein ordnungspolitischer Kontrollverlust für den deutschen Gesetzgeber und letztlich auch aufgrund der erschwerten Durchsetzungsprobleme eine Einschränkung des Gläubigerschutzes verbunden ist.52 27
8. Rechtspolitische Würdigung. Die in § 7 vorgesehene Festsetzung des Grundkapitals auf den Betrag von 50.000 Euro ist – ebenso wie das Kapitalschutzsystem insgesamt – seit einigen Jahren einer massiven Kritik ausgesetzt53, bei der im Wesentlichen angeführt wird, dass dieser Betrag keine angemessene Eigenkapitalausstattung sicherstellt (Rdn 28 f), ein Gläubigerschutz dadurch nicht gewährleistet (Rdn 30 ff) und lediglich eine Seriositätsschwelle (Rdn 34) statuiert wird. Zudem werden eine Reihe weiterer Bedenken geäußert (Rdn 36 ff). Trotz dieser massiven Kritik hat sich in diesem Zusammenhang aber lediglich ein argumentatives Patt54 ergeben, was letztlich sowohl den deutschen (Rdn 12) als auch den europäischen Gesetzgeber (Rdn 15 ff) davon abgehalten hat, entsprechende Änderungen jedenfalls mit Hinblick auf die Höhe des Grundkapitals für eine Aktiengesellschaft vorzunehmen.
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a) Fehlende Sicherstellung einer angemessenen Eigenkapitalausstattung. Die Festsetzung des Grundkapitals auf 50.000 Euro ist im Ergebnis willkürlich und steht – entgegen der Annahme des historischen Gesetzgebers55 – in keinem Verhältnis zu dem Unternehmenszweck der Aktiengesellschaft. Dieser kann vielmehr ein deutlich höheres, aber eben auch ein deutlich niedrigeres Grundkapital erfordern, so dass durch die Festsetzung auf 50.000 Euro in den seltensten Fällen den tatsächlichen Eigenkapitalanforderungen entsprochen wird.56 Da der Betrag von 50.000 Euro aus heutiger Sicht in
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50 Vgl Armour 63 Modern L.Rev. 355, 361 (2000); Eidenmüller/Engert AG 2005, 97, 106; Mülbert/Birke EBOR 2002, 695, 724; Schön Konzern 2004, 162, 167. 51 Dazu nur Hirte, in: Hirte/Bücker Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl 2006, § 1 mit weiteren Nachweisen. 52 Zum Gläubigerschutz bei ausländischen Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland vgl Forsthoff, in: Hirte/Bücker Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl 2006, § 16. 53 Dazu vor allem Eidenmüller/Engert AG 2005, 97 ff; Eidenmüller/Grunewald/Noack, in: Lutter Arbeitskreis Kapital, ZGR Sonderheft 2006, S 17 ff; Fleischer ZGR 2001, 1, 12 f; Mock Finanzverfassung, S 200 ff; Mülbert EBOR 2006, 357, 370 f; ders Konzern 2004, 151, 154; ders/Birke EBOR 2002, 695, 718; Rickford EBLR 2004, 919, 931; ders EBOR 2006, 135 ff; Schön EBOR 2006, 181 ff; ders Konzern 2004, 162 ff. 54 Mit dieser Begrifflichkeit Fleischer ZGR 2001, 1, 13. 55 Insofern von einem „unauflöslichen Zusammenhang“ ausgehend § 2 der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend die KGaA und die AG von 1884, abgedruckt in Schubert/Hommelhoff Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S 404, 409. Ähnlich Eidenmüller/Engert AG 2005, 97, 101 ff. 56 Mit dieser Kritik etwa Eidenmüller/Engert AG 2005, 97, 105; Ferran Corporate Law and Corporate Finance, 1999, S 312; Fleischer ZGR 2001, 1, 12 f; Mock Finanzverfassung, S 200 f; Mülbert EBOR 2006, 357,
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der Regel zu niedrig ist, um ein Unternehmen langfristig zu betreiben, kommt es daher häufig zu einer Unterkapitalisierung57. Eine solche kann allerdings nicht nur durch ein höheres Grundkapital, sondern auch durch die Vereinbarung eines Aufgelds (§ 9 Rdn 85 ff) vermieden werden. Darüber hinaus fehlt es im geltenden Recht an einem Anreiz, dass Mindestgrundka- 29 pital nach § 7 bei einer Erhöhung des unternehmerischen Risikos oder der Änderung des Unternehmenszwecks anzupassen.58 Vielmehr kommt es nur im Fall eines erhöhten Finanzierungsbedarfs der Aktiengesellschaft oder bei der Aufnahme neuer Gesellschafter zu einer Erhöhung des Grundkapitals, ohne dass diese Maßnahmen in einem zwingenden Verhältnis zur erforderlichen Eigenkapitalausstattung stehen. b) Fehlender Sicherstellung eines Gläubigerschutzes. Darüber hinaus erscheint 30 die Sicherstellung eines tatsächlichen Gläubigerschutzes59 durch die Festsetzung des Grundkapitals auf 50.000 Euro in § 7 zweifelhaft. Ein solcher Gläubigerschutz wird zwar teilweise in einer Art Pufferfunktion des Grundkapitals gesehen, da durch dieses bei der Unternehmensgründung eine Überschuldung vermieden werden könne.60 Allerdings ist eine solche Pufferzone nicht bei jeder neu gegründeten Aktiengesellschaft erforderlich und zudem kann diese auch nicht vor gravierenden Fehlentscheidungen des Vorstands schützen.61 Weitestgehend überholt ist hingegen die traditionelle Vorstellung, dass ein Zu- 31 sammenhang zwischen der Höhe des Grundkapitals und des Gläubigerschutzes besteht.62 Denn letztlich wird durch die Höhe des Grundkapitals nur der Umfang der möglichen Ausschüttungen begrenzt, ohne dass dadurch zugleich eine Aussage darüber getroffen wird, ob die Aktiengesellschaft über ausreichende Vermögensgegenstände verfügt, um deren Verbindlichkeiten zu erfüllen. Soweit es dem Gläubiger bzw Vertragspartner der Aktiengesellschaft auf deren finanzielle Leistungsfähigkeit ankommt, spielt die bloße Höhe des Grundkapitals keine Rolle.63 Siehe zur fehlenden Signalwirkung der Höhe des Grundkapitals Rdn 23. Auch kann eine besondere Schutzbedürftigkeit der gesetzlichen Gläubiger einer 32 Aktiengesellschaft eine Gläubigerschutzfunktion des Grundkapitals kaum rechtfertigen.64 Selbst wenn sich diese nicht durch individual-vertragliche Sicherungsmittel absichern können, kann ein solcher Schutz auch durch das Grundkapital bzw das Kapitalschutzsystem nicht erreicht werden. Zum einen ist die in § 7 vorgesehene Mindestkapi-
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370 f; ders Konzern 2004, 151, 154; ders/Birke EBOR 2002, 695, 718; Rickford EBLR 2004, 919, 931; Walter AG 1998, 370, 371. 57 Zu den Folgen einer sogenannten materiellen Unterkapitalisierung § 1 Rdn 103 ff. 58 Mit dieser Kritik etwa Eidenmüller/Engert AG 2005, 97, 104; Kuhner ZGR 2005, 753, 773; Mock Finanzverfassung, S 202 f. 59 Zum Gläubigerschutz als Regelungsziel des Kapitalschutzsystems vgl die Nachweise in Fn 2. 60 So vor allem Kleindiek ZGR 2006, 335, 338 f; Lutter Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung, S 49 ff; ders AG 1998, 375; Wiedemann Gesellschaftsrecht – Band I, S 553. 61 Kritisch daher KK/Dauner-Lieb3 Rdn 3; Drygala ZGR 2006, 587, 594; Merkt ZGR 2004, 303, 310 f; ders EBLR 2004, 1045, 1048; Mock Finanzverfassung, S 204 f; Mülbert EBOR 2006, 357, 374. 62 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 3; von einem solchen Zusammenhang ausgehend etwa Wiedemann Gesellschaftsrecht – Band I, S 553; ähnlich Kleindiek ZGR 2006, 335, 346 f. 63 Ebenso Bauer Gläubigerschutz durch formelle Nennkapitalziffer, S 134 ff; 210 ff; 276 ff; Enriques/ Macey 86 Cornell Law Review 1165, 1186 (2001); Frey FS Wiedemann, 2002, S 851, 853; Mock Finanzverfassung, S 205 f; Schuster AG 1998, 379, 380. 64 Dazu ausführlich Mülbert EBOR 2006, 357, 369; Richard Kapitalschutz der Aktiengesellschaft, S 205 f; auf diesen Aspekt aber abstellend Drygala ZGR 2006, 587, 597; Kleindiek ZGR 2006, 335, 338 f; wohl auch Fleischer ZGR 2001, 1, 13.
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talhöhe für einen solchen Schutz in der Regel unzureichend und zum anderen können die gesetzlichen Gläubiger oftmals auch (deliktsrechtliche) Direktansprüche gegen die handelnden Personen bzw gegen Versicherer geltend machen.65 Ein gewisser Gläubigerschutz wird aber dadurch sichergestellt, dass die Aktienge33 sellschaft jedenfalls bei ihrer Entstehung über das erforderliche Grundkapital – oder jedenfalls ein Viertel davon (§ 36a) – verfügt. Damit geht der Gläubigerschutz in gewisser Weise weiter als bei den natürlichen Personen und den Personengesellschaften, da diese ihre unternehmerische Tätigkeit auch völlig mittellos beginnen können.66 Das zentrale Argument gegen die Sicherstellung eines Gläubigerschutzes durch das Grundkapital ist aber der Umstand, dass dieses letztlich nur im Augenblick der Gründung besteht und danach sofort aufgebraucht werden kann und somit den Gläubigern nicht mehr zur Verfügung steht.67 Insofern stellt § 7 in Kombination mit den übrigen Kapitalaufbringungsregelungen lediglich eine Eingangskontrolle dar. 34
c) Statuierung einer bloßen Seriositätsschwelle. Im Ergebnis wird durch das Erfordernis eines Mindestkapitals in Höhe von 50.000 Euro nur eine Seriositätsschwelle begründet, da dadurch jedenfalls weitgehend mittellose Personen von der Gründung einer Aktiengesellschaft ausgeschlossen werden. 68 Die tatsächliche Erfüllung dieser Funktion erscheint allerdings zweifelhaft, da das Aufbringen von 50.000 Euro letztlich kein Beweis einer unternehmerischen Seriosität ist und andere Aspekte wie etwa Humankapital völlig unberücksichtigt lässt.69
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d) Bezug zum geltenden Handelsbilanzrecht. Eine erhebliche Einschränkung des Gläubigerschutzes ergibt sich zudem aus dem Umstand, dass die Pflicht zur Aufbringung der nach § 7 erforderlichen 50.000 Euro lediglich an die Handelsbilanz gekoppelt ist und damit vom jeweils geltenden Handelsbilanzrecht abhängig ist. Damit ist zugleich eine unvollständige Erfassung des Vermögens der Aktiengesellschaft, eine fehlende Nutzung der stillen Reserven und die fehlende Berücksichtigung anderer, vom Bilanzrecht nicht erfasster wirtschaftlicher Faktoren verbunden.70
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e) Weitere Bedenken. Schließlich ergeben sich weitere Bedenken im Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Aufbringung eines Grundkapitals in Höhe von 50.000 Euro. So wird eingewendet, dass mit diesem System grundsätzlich kein Anreiz zur Eigenabsicherung der Gläubiger gesetzt wird, was grundsätzlich die Preisfindung aufgrund einer fehlenden Risikodiversifizierung erschwert (dazu ausführlich Rdn 31 f). Darüber hinaus werden durch das Grundkapital die Transaktionskosten für die Gesellschafter vor
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65 Ebenso Drukarczyk FS Moxter, 1994, S 1231, 1240; Mock Finanzverfassung, S 207 f; Mülbert/Birke EBOR 2002, 695, 718; Richard Kapitalschutz der Aktiengesellschaft, S 205 f; Schön Konzern 2004, 162, 166; vgl auch aus rechtsvergleichender Sicht Armour 63 Modern Law Review 355, 371 (2000). 66 Eidenmüller/Engert AG 2005, 97, 99; Grigoleit/Vedder Rdn 2. 67 Ebenso Enriques/Macey 86 Cornell Law Review 1165, 1186 f (2001); Frey FS Wiedemann, 2002, S 851, 852; Mock Finanzverfassung, S 208 f; Mülbert Konzern 2004, 151, 154 f; ähnlich Mülbert/Birke EBOR 2002, 695, 719. 68 Eidenmüller/Engert AG 2005, 97, 99; Eidenmüller/Grunewald/Noack, in: Lutter Arbeitskreis Kapital, ZGR Sonderheft 2006, S 17, 25; Fastrich DStR 2006, 656, 648; Grigoleit/Vedder Rdn 2; Mülbert Konzern 2004, 151, 157 f; Wilhelmi GmbHR 2006, 13, 14; ähnlich Ballerstedt ZHR 135 (1971), 383, 385; Frey FS Wiedemann, 2002, S 851, 853, die in diesem Zusammenhang von einer Eintrittskarte ausgehen. 69 Kritisch daher Baldamus Reform der Kapitalrichtlinie, S 85 ff; Group of German Experts on Corporate Law, ZIP 2002, 1310, 1316; Hirte Referat zum 66. DJT, S. P 27 f; Mock Finanzverfassung, S 210 f; Mülbert/ Birke EBOR 2002, 695, 717 f; K. Schmidt GmbHR 2007, 1, 3 f. 70 Dazu ausführlich Mock Finanzverfassung, S 214 ff.
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allem bei der Gründung erhöht (dazu ausführlich Rdn 24). Schließlich kann das Grundkapital bei Unternehmenssanierungen hinderlich sein, was vor allem dann der Fall ist, wenn der Wert des Unternehmens unter die Höhe des Grundkapitals fällt, da eine Gewinnung neuer Investoren dann nur nach einer vorherigen Herabsetzung des Grundkapitals möglich ist.71 9. Verhältnis zu anderen Vorschriften. Die Vorgabe des Mindestkapital in § 7 wird 37 teilweise durch aufsichtsrechtliche Vorgaben überlagert (Rdn 38 ff). Zudem steht der in § 7 vorgesehene Mindestnennbetrag des Grundkapitals in einem engen Verhältnis zur Rücklagenbildung (Rdn 43 f.) und zur Nachgründung (Rdn 45). a) Sondervorgaben für bestimmte Formen von Aktiengesellschaften. Die in § 7 vorgegebene Höhe des Mindestnennbetrags des Grundkapitals stellt nur die allgemeine gesellschaftsrechtliche Ausgangslage dar, von der teilweise in besonderen Zusammenhängen abgewichen wird. Dies gilt vor allem für die Real-Estate-Investment-TrustAG (REIT-AG), bei der der Mindestnennbetrag 15 Millionen Euro betragen muss (§ 4 REITG). Weitere Sonderregelungen ergeben sich aus dem KAGB, wonach eine Kapitalverwaltungsgesellschaft über ein Anfangskapital von 125.000 Euro (externe Kapitalverwaltungsgesellschaft [§ 25 Abs 1 Nr 1 lit a) KAGB]) bzw 300.000 Euro (interne Kapitalverwaltungsgesellschaft [§ 25 Abs 1 Nr 1 lit b) KAGB]) verfügen muss. Der Begriff des Anfangskapitals ist nicht mit dem des Mindestnennbetrags gleichzusetzen, da das Anfangskapital lediglich das eingezahlte Grundkapital ohne Berücksichtigung der Vorzugsaktien und der Rücklagen umfasst (§ 1 Abs 19 Nr 1 Satz 1 lit a) KAGB). Diese Vorgaben gelten auch für Investmentaktiengesellschaften, da es sich bei diesen um Kapitalverwaltungsgesellschaften handelt (§§ 17 ff KAGB). Zudem müssen Unternehmensbeteiligungsgesellschaften über ein Grundkapital von einer Million Euro verfügen (§ 2 Abs 4 UBGG). Die genannten Sondervorschriften haben allerdings nur aufsichtsrechtliche Bedeutung und somit keine aktienrechtlichen Auswirkungen.72 Teilweise wird nicht ein Mindestkapital, sondern vielmehr ein (Mindest-)Kernkapital vorgeschrieben. So müssen Pfandbriefbanken etwa über ein Kernkapital von 25 Millionen Euro verfügen (§ 2 Abs 1 Nr 1 PfandBG). Bei den übrigen Kreditinstituten ist das Kernkapital hingegen variabel und richtet sich nach dem Umfang der Geschäftstätigkeit (Art 50 ff CRR73). Schließlich bestehen teilweise für die Ausübung eines freien Berufes in Form einer Aktiengesellschaft Sondervorschriften. Diese sehen aber keine höheres Mindestnennkapital vor, sondern normieren teilweise besondere Anforderungen an dessen Aufbringung (§ 28 Abs 6 Satz 2 WPO, § 59c BRAO).74
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b) Eigenkapital. Der Begriff des Eigenkapitals unterscheidet sich grundlegend 42 von dem des Grundkapitals. Bei dem handelsbilanzrechtlichen Eigenkapital handelt es sich um eine aus mehrere Teilen zusammengesetzte Residualgröße. Diese besteht
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71 Kübler Aktien, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt, S 12; Mock Finanzverfassung, S 213; Mülbert/Birke EBOR 2002, 695, 721. 72 Hüffer/Koch11 Rdn 6. 73 Verordnung (EU) Nr 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr 646/2012, ABl EG Nr L 176 v 27.6.2013, S 1 ff. 74 Zur Rechtsanwalts-AG vgl Posegga, in: Peres/Senft Sozietätenrecht, § 23 Rdn 30.
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nach § 266 Abs 3 A. HGB aus dem Grundkapital bzw gezeichneten Kapital, den Rücklagen (Rdn 43 f.), dem Gewinn- oder Verlustvortrag und dem Jahresüberschuss oder -fehlbetrag. c) Rücklagen. Einen mittelbaren Zusammenhang gibt es zwischen dem Grundkapital und der gesetzlichen Rücklage nach § 150. Deren Bildung hängt im Umfang von der Höhe des Grundkapitals ab, da in diese der zwanzigste Teil des um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschusses einzustellen ist, bis die gesetzliche Rücklage und die Kapitalrücklagen nach § 272 Abs 2 Nr 1 bis 3 HGB zusammen den zehnten oder den in der Satzung bestimmten höheren Teil des Grundkapitals erreichen. Zwischen der Kapitalrücklage (§ 272 Abs 2 HGB) und dem Grundkapital gibt es hin44 gegen keinen Zusammenhang, da in dieser nur die Leistungen der Aktionäre und der Erwerber von Wandelschuldverschreibungen erfasst werden, die über die Leistung auf das Grundkapital hinausgehen. 43
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d) Nachgründung. Einen Zusammenhang gibt es mit der Nachgründung, da die dafür relevanten Verträge unter anderem dann vorliegen, wenn diese mit mehr als 10% des Grundkapitals an der Gesellschaft beteiligten Aktionären geschlossen werden und die Vergütung in der Höhe 10% des Grundkapitals übersteigt (§ 52 Abs 1 – § 52 Rdn 26 ff).
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10. (Fehlende) Disponibilität. Die Regelung des § 7 ist zwingendes Recht und kann daher weder in der Satzung noch auf andere Weise abbedungen werden.
11. Alt- und Übergangsfälle. Auch wenn das Grundkapital seit der Einführung des Euro mit einem Betrag von 50.000 Euro ausgewiesen werden muss (Rdn 11), sieht § 2 Satz 1 EGAktG eine Übergangsvorschrift vor, wonach für vor dem 1. Januar 1999 in das Handelsregister eingetragene oder zur Eintragung in das Handelsregister angemeldete Alt-Aktiengesellschaften der bis dahin gültige Mindestbetrag des Grundkapitals maßgeblich bleibt, soweit keine Anpassung der Aktiennennbeträge vorgenommen wird. Zur Umstellung auf den Euro ausführlich § 8 Rdn 62 ff. Für alle übrigen Aktiengesellschaften muss das Grundkapital in der Satzung 48 mit dem in § 7 festgesetzten Betrag von 50.000 Euro angegeben werden (§ 2 Satz 2 EGAktG). 47
II. Festsetzung des Mindestnennbetrags Der Mindestnennbetrag ist in der Satzung anzugeben (§ 23 Abs 3 Nr 3) und zwar auch dann, wenn er nur den Anforderungen von § 7 genügt. Da durch § 7 nur der Mindestnennbetrag festgesetzt wird, kann dieser auch überschritten, nicht aber unterschritten werden. Die einzige Ausnahme besteht insofern im Rahmen der Kapitalherabsetzung nach § 228, soweit der Mindestnennbetrag durch eine gleichzeitig beschlossene Kapitalerhöhung wieder erreicht wird. Zudem sind zahlreiche Sondervorschriften zu beachten (Rdn 38 ff). 50 Die häufig vorzufindende höhere Festsetzung des (Mindest-)Nennbetrags folgt keinen konkreten gesetzlichen oder anderweitigen Vorgaben, sondern ist vor allem davon abhängig, inwieweit das Grundkapital der Aktiengesellschaft zum Zeitpunkt von Kapitalerhöhungen mit dem Wert des gesamten Unternehmens übereinstimmt. Je mehr der Wert des Unternehmens das Grundkapital übersteigt, desto geringer fällt typischer-
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weise die Erhöhung des Grundkapitals im Rahmen der Kapitalerhöhung aus und desto höher ist meist das vereinbarte Aufgeld (§ 9 Rdn 85 ff). Allerdings steht es den Aktionären frei, von diesem Finanzierungsgrundsatz abzuweichen.75 III. Rechtsfolgen von Verstößen Hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Vorgaben von § 7 in Form eines Unterschrei- 51 tens des Mindestnennbetrags muss differenziert werden. 1. Vorliegen eines Eintragungshindernisses. Die Festsetzung eines zu niedrigen 52 Mindestnennbetrags in der Satzung führt zu einer nicht ordnungsgemäßen Errichtung der Aktiengesellschaft76, so dass das Registergericht die Eintragung ablehnen muss (§ 38 Abs 1 Satz 2). Dabei kommt dem Registerrichter kein Ermessen zu. 2. Eintragung trotz Verstoßes. Wird die Aktiengesellschaft trotz der Festsetzung 53 eines zu niedrigen Mindestnennbetrags in der Satzung im Handelsregister eingetragen, ist diese wirksam entstanden.77 Für die Folgen muss zwischen der vollständig fehlenden Festsetzung (Rdn 54) und der Festsetzung eines zu niedrigen Nennbetrags unterschieden werden (Rdn 55). Enthält die Satzung keinerlei Regelung zum Nennbetrag des Grundkapitals, 54 kann jeder Aktionär und jedes Mitglied des Vorstands und des Aufsichtsrats eine Klage auf Nichtigerklärung der Aktiengesellschaft erheben (§ 275 Abs 1). Eine Heilung dieses Mangels ist ausgeschlossen (§ 276), so dass es für die Klageerhebung auch keiner vorherigen Aufforderung der Aktiengesellschaft zur Beseitigung des Mangels bedarf (§ 275 Abs 2). Darüber hinaus kann das Registergericht die Aktiengesellschaft löschen lassen (§ 397 Satz 1 FamFG). Die Festsetzung eines zu niedrigen Mindestnennbetrags in der Satzung stellt keinen 55 Nichtigkeitsgrund im Sinne von § 275 Abs 1 Satz 1 Alt 1 dar.78 Allerdings muss das Registergericht die Aktiengesellschaft unter Hinweis auf eine ansonsten erfolgende Feststellung eines Mangels der Satzung auffordern, den Mangel zu beheben (§ 399 FamFG).79 Kommt die Aktiengesellschaft dieser Aufforderung nicht nach, wird nach Ablauf der Frist ein Mangel der Satzung festgestellt (§ 399 Abs 2 FamFG) und die Aktiengesellschaft aufgelöst (§ 262 Abs 1 Nr 5, § 399 FamFG). 3. Verstoß durch Satzungsänderung. Ein Beschluss zur Änderung der Satzung un- 56 ter Verletzung der Vorgaben von § 7 ist nach § 241 Nr 3 Alt 2 nichtig, da die Festsetzung des Mindestnennbetrags dem Gläubigerschutz dient.80 Eine Ausnahme besteht nur im Rahmen einer Kapitalherabsetzung nach § 228. Zudem kann die Nichtigkeit des Be-
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75 Im Ergebnis auch KK/Dauner-Lieb3 Rdn 5; Heidel/Fischer4 Rdn 3 f; MünchKomm/Heider4 Rdn 26, der von einem unternehmerischen Ermessen ausgeht. Ebenso K. Schmidt/Lutter/Fleischer3 Rdn 7; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 11 Rdn 5; Hölters/Solveen2 Rdn 3. 76 Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 3; Heidel/Fischer4 Rdn 8; MünchKomm/Heider4 Rdn 27; Hüffer/Koch11 Rdn 5; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 11 Rdn 13; Grigoleit/Vedder Rdn 5. 77 Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 3; K. Schmidt/Lutter/Fleischer3 Rdn 8; MünchKomm/Heider4 Rdn 28; Hüffer/Koch11 Rdn 5; Hölters/Solveen2 Rdn 5. 78 Heidel/Fischer4 Rdn 11; MünchKomm/Heider4 Rdn 31; Hüffer/Koch11 Rdn 5; MünchHdbGesR/ Sailer-Coceani4 § 11 Rdn 14. 79 Hüffer/Koch11 Rdn 5. 80 Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 3; Hölters/Solveen2 Rdn 6; MünchKomm/Heider4 Rdn 32; Hüffer/Koch11 Rdn 5; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 11 Rdn 13; Grigoleit/Vedder Rdn 6.
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schlusses nach § 242 Abs 2 geheilt werden, wenn dieser im Handelsregister eingetragen wurde und seitdem drei Jahre verstrichen sind. Allerdings kann auch im Fall der Heilung eine Amtslöschung erfolgen (§ 242 Abs 2 Satz 3), wofür es aber in der Regel an einem öffentlichen Interesse fehlen wird.81 4. Abweichen des Mindestnennbetrags des Grundkapitals von der Summe der Nennbeträge aller (Nennbetrags-)Aktien. Der in der Satzung angegebene Mindestnennbetrag des Grundkapitals (§ 23 Abs 3 Nr 3) muss mit der Summe der Nennbeträge aller (Nennbetrags-)Aktien (§ 8 Rdn 70 ff) übereinstimmen (arg. § 23 Abs 3 Nr 4). Bei der Ausgabe von Stückaktien kann sich eine dahingehende Abweichung schon der Sache nach nicht ergeben, da sich der Anteil der Stückaktien am Grundkapital nach deren bloßer Anzahl richtet (§ 8 Abs 4 – § 8 Rdn 184). 58 Besteht eine negative Abweichung also eine zu hohe Summe der Nennbeträge aller (Nennbetrags-)Aktien, ist im Zweifel der in der Satzung angegebene Mindestnennbetrag des Grundkapitals (§ 23 Abs 3 Nr 3) und nicht das Produkt der in der Satzung angegebenen Zahl der Nennbeträge und der Anzahl der (Nennbetrags-)Aktien nach § 23 Abs 3 Nr 3 maßgeblich.82 Bei einer Überschreitung des Nennbetrag des Grundkapitals gegenüber der 59 Summe der Nennbeträge aller (Nennbetrags-)Aktien haften die Gründer der Aktiengesellschaft gesamtschuldnerisch für die fehlenden oder unrichtigen Übernahmeerklärungen und müssen die fehlenden Einzahlungen nach § 46 Abs 1 vornehmen.83 Eine Nichtigkeit der Aktiengesellschaft oder eine Amtslöschung kommt hingegen nicht in Betracht.84 57
§ 8 Form und Mindestbeträge der Aktien Mock
§8 Form und Mindestbeträge der Aktien (1) Die Aktien können entweder als Nennbetragsaktien oder als Stückaktien begründet werden. (2) 1 Nennbetragsaktien müssen auf mindestens einen Euro lauten. 2 Aktien über einen geringeren Nennbetrag sind nichtig. 3 Für den Schaden aus der Ausgabe sind die Ausgeber den Inhabern als Gesamtschuldner verantwortlich. 4 Höhere Aktiennennbeträge müssen auf volle Euro lauten. (3) 1 Stückaktien lauten auf keinen Nennbetrag. 2 Die Stückaktien einer Gesellschaft sind am Grundkapital in gleichem Umfang beteiligt. 3 Der auf die einzelne Aktie entfallende anteilige Betrag des Grundkapitals darf einen Euro nicht unterschreiten. 4 Absatz 2 Satz 2 und 3 findet entsprechende Anwendung. (4) Der Anteil am Grundkapital bestimmt sich bei Nennbetragsaktien nach dem Verhältnis ihres Nennbetrags zum Grundkapital, bei Stückaktien nach der Zahl der Aktien. (5) Die Aktien sind unteilbar. (6) Diese Vorschriften gelten auch für Anteilscheine, die den Aktionären vor der Ausgabe der Aktien erteilt werden (Zwischenscheine).
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81 82 83 84
Dazu ausführlich Mock Die Heilung fehlerhafter Rechtsgeschäfte, S 539 ff. Ebenso MünchKomm/Heider4 Rdn 34. MünchKomm/Heider4 Rdn 35; Grigoleit/Vedder § 6 Rdn 9. MünchKomm/Heider4 Rdn 35.
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Form und Mindestbeträge der Aktien | § 8
I.
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Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Inhalt der Regelung | 1 2. Zweck der Regelung | 2 a) Beschränkung auf Nennbetrags- und Stückaktien (Abs 1) | 3 b) Vorgaben für Nennbetragsaktien (Abs 2) | 4 c) Vorgaben für Stückaktien (Abs 3) | 7 d) Verhältnis zum Grundkapital (Abs 4) | 9 e) Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien (Abs 5) | 10 f) Ausgabe von Zwischenscheinen (Abs 6) | 14 3. Gesetzesgeschichte | 15 a) Vorgaben für die Nennbetragsaktie | 15 b) Zulässigkeit der Stückaktie | 23 c) Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien | 27 d) Ausgabe von Zwischenscheinen | 28 4. Wirtschaftliche Bedeutung | 29 5. Europäisches Recht | 31 6. Ausländisches Recht | 35 7. Ökonomische Analyse | 41 a) Beschränkung auf Nenn betrags- und Stückaktien (Abs 1 und 4) | 41 b) Vorgaben für Nennbetrags- und Stückaktien (Abs 2 und 3) | 43 c) Unteilbarkeit der Aktien (Abs 5) | 44 8. Rechtspolitische Würdigung | 46 a) Vorgaben für Nennbetrags- und Stückaktien (Abs 1 bis 4) | 46 b) Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien (Abs 5) | 50 c) Ausgabe von Zwischenscheinen (Abs 6) | 51 9. (Fehlende) Disponibilität | 52 10. Verhältnis zu anderen Vorschriften | 53 11. Alt- und Übergangsfälle | 55 a) Alt- und Übergangsfälle bis zur Einführung des Euro | 55 b) Einführung des Euro | 57 i) (Beschränkte) Möglichkeit der Beibehaltung des Nennbetragsausweis in Deutscher Mark | 58
ii)
II. III.
IV. V.
Umstellung der Nennbeträge von Deutscher Mark in Euro | 62 Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Aktien | 66 Aktienformen und Bedeutung des Nennwerts | 68 1. Begriff der Aktie | 68 2. Aktienformen | 69 a) Nennbetragsaktien | 69 b) Stückaktien | 70 i) Nennwertlose Aktien | 71 (1) Unechte nennwertlose Aktien | 72 (2) Echte nennwertlose Aktien | 75 ii) Stückaktie als unechte nennwertlose Aktien | 77 c) Quotenaktien | 78 d) Spartenaktien (tracking stocks) | 79 e) Zwischenscheine | 80 f) Sonstige Aktienformen | 81 3. Verhältnis des Nennwerts zu anderen Größen | 82 a) Nennwert des Grundkapitals | 82 b) Unternehmenswert und Abfindung | 83 c) Börsenkurs der Aktie | 84 d) Kaufpreis der Aktie | 85 Wahlrecht zwischen Nennbetrags- und Stückaktien (Abs 1) | 86 Ausgabe von Nennbetragsaktien (Abs 2) | 91 1. Anforderungen an den Nennbetrag von Nennbetragsaktien | 91 a) Freie Festsetzung des Nennbetrags als Ausgangspunkt | 91 b) Motive für die Festsetzung eines konkreten Nennbetrags | 93 c) Mindestnennbetrag von einem Euro (Abs 2 Satz 1) | 95 d) Erfordernis der Festsetzung des Nennbetrags auf volle Euro (Abs 2 Satz 4) | 96 e) Treuwidrige Festsetzung zu hoher Nennbeträge | 99 f) Nachträgliche Änderung des Nennbetrags | 101 i) Teilung (Aktiensplitting) | 102 ii) Vereinigung (reverse split) | 105 Mock
§ 8 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
iii)
2.
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Kombination von Teilung und Verenigung | 109 iv) Kapitalmaßnahmen | 110 g) Verletzung der Vorgaben von Abs 2 Satz 1 (Abs 2 Satz 2 und 3) | 112 i) Auswirkungen auf den Bestand der Aktiengesellschaft | 113 ii) Auswirkungen auf satzungsändernde Beschlüsse der Hauptversammlung | 116 iii) Auswirkungen auf die Mitgliedschaft und die ausgegebenen Aktienurkunden | 117 (1) Gründung der Aktiengesellschaft | 119 (2) Kapitalerhöhungen | 123 iv) Schadenersatzpflicht der Ausgeber gegenüber den Inhabern (Abs 2 Satz 3) | 125 v) Ordnungswidrigkeitstatbestand | 131 h) Verletzung der Vorgaben von Abs 2 Satz 4 | 132 i) Auswirkungen auf den Bestand der Aktiengesellschaft | 133 ii) Auswirkungen auf satzungsändernde Beschlüsse der Hauptversammlung | 136 iii) Auswirkungen auf die Mitgliedschaft und die ausgegebenen Aktienurkunden | 137 iv) Kein Ordnungswidrigkeitstatbestand | 139 Einführung von und Umstellung auf Nennbetragsaktien | 140 a) Festsetzung in der (Gründungs-) Satzung | 140 b) Umwandlung von Stück- in Nennbetragsaktien durch Satzungsänderung | 141 i) Änderung der Satzung | 141 ii) Umstellung der Aktienurkunden | 144 iii) Notwendigkeit von Folgemaßnahmen | 145 c) Formwechsel | 151 d) Ausgabe der Nennbetragsaktien | 152
Ausgabe von Stückaktien (Abs 3) | 153 1. Anforderungen an Stückaktien | 153 a) Freie Wahl der Anzahl der Stückaktien | 153 b) Motive für die Festsetzung einer konkreten Anzahl von Stückaktien | 157 c) Fiktiver Mindestnennbetrag von einem Euro (Abs 3 Satz 3) | 158 d) Keine treuwidrige Festsetzung einer zu geringen Anzahl von Stückaktien | 159 e) Nachträgliche Änderung der Anzahl von Stückaktien | 160 i) Teilung (Aktiensplitting) | 161 ii) Vereinigung (reverse split) | 164 iii) Kapitalmaßnahmen | 168 f) Verletzung der Vorgaben von Abs 3 | 169 2. Einführung von bzw Umstellung auf Stückaktien | 170 a) Festsetzung in der (Gründungs-) Satzung | 170 b) Umstellung von Nennbetrags- in Stückaktien durch Satzungsänderung | 171 i) Änderung der Satzung | 172 ii) Umstellung der Aktienurkunden | 175 iii) Notwendigkeit von Folgemaßnahmen | 176 c) Formwechsel | 182 d) Ausgabe der Stückaktien | 183 VII. Bestimmung des Anteils der Aktien am Grundkapital (Abs 4) | 184 VIII. Unteilbarkeit von Aktien (Abs 5) | 185 1. Herleitung und Begründung des Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien | 186 2. Ausprägungen des Grundsatzes der Unteilbarkeit | 189 a) Verbot der Realteilung (Aufspaltungsverbot) | 190 b) Abspaltungsverbot | 192 c) Zulässige Maßnahmen und Gestaltungen | 196 i) Neustückelung | 197 ii) Umtausch von Globalaktien in Einzelurkunden | 198 iii) Gemeinschaftliche Berechtigung | 199
VI.
120
Form und Mindestbeträge der Aktien | § 8
Unterbeteiligung | 202 Treuhand | 203 Empty Voting (insbesondere Aktienleihe) | 204 vii) Hidden Ownership | 205 viii) American Depositary Receipts (ADR) | 206 Rechtsfolgen | 207 iv) v) vi)
3.
IX.
Ausgabe von Zwischenscheinen (Abs 6) | 209 1. Begriff | 209 2. Bedeutung | 210 3. Anforderungen an Zwischenscheine | 211 4. Ausgabe | 212 5. Verletzung der Vorgaben | 213
Schrifttum Bachmann Rechtsfragen der Wertpapierleie, ZHR 173 (2009), 596; Bauer Gläubigerschutz durch eine formelle Nennkapitalziffer – Kapitalgesellschaftsrechtliche Notwendigkeit oder überholtes Konzept?, 1995; Boesebeck Eine Lanze für die nennwertlose Aktie, DB 1959, 309; ders Die nennwertlose Aktie, BB 1960, 71; Butzke Zur Entstehung des Bezugsanspruchs bei der Kapitalerhöhung der Aktiengesellschaft als selbständiges Gläubigerrecht, in: liber amicorum Martin Winter, 2011, S 59; Claussen Die Aktie ohne Nennbetrag ist die richtigere, AG 1963, 237; Coing/Kronstein Die nennwertlose Aktie als Rechtsproblem, 2. Aufl 1962; Eichner Anschleichen bei Unternehmensübernahmen – Perfides taktisches Manöver oder achtbare strategische Entscheidung?, ZRP 2010, 5; Ekkenga Vorzüge und Nachteile der nennwertlosen Aktie, WM 1997, 1645; Fankhauser Gemeinschaftsrechtliche Publizitäts- und Kapitalrichtlinie, 2001; Fett/Spiering Typische Probleme bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, NZG 2002, 358; Grussendorf Die Problematik der nennwertlosen Aktie, AG 1960, 257; Heider Einführung der nennwertlosen Aktie in Deutschland anlässlich der Umstellung des Gesellschaftsrechts auf den Euro, AG 1998, 1; Heidinger Die Euroumstellung beim Formwechsel von Kapitalgesellschaften, NZG 2000, 532; Hirte Der Nennwert der Aktie – EG-Vorgaben und Situation in anderen Ländern, WM 1991, 753; Hu/Black The New Vote Buying: Empty Voting and Hidden (Morphable) Ownership, 79 S.Cal.L.Rev. 811 (2006); Ihrig/Streit Aktiengesellschaft und Euro, NZG 1998, 201; Jahr/Stützel Aktie ohne Nennbetrag, 1963; Kobayashi/Ribstein Outsider Trading as an Incentive Device, 40 U.C.Davis L.Rev. 21 (2006); Kopp Stückaktie und Euro-Umstellung, BB 1998, 701; Kübler Aktien, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt, 1989; ders Kapitalmarktgerechte Aktien?, WM 1990, 1893; Kumpan/Mittermeier Risikoentleerte Stimmrechte – Auswirkungen von Wertpapierdarlehen im Gesellschaftsrecht, ZIP 2009, 404; Mock Finanzverfassung der Kapitalgesellschaften und internationale Rechnungslegung, 2007 (zit. Mock, Finanzverfassung); Neuburger Die nennwertlose Aktie, BB 1961, 1356; Reichert/ Harbarth Stimmrechtsvollmacht, Legitimaionszession und Stimmrechtsausschlußvertrag in der AG, AG 2001, 447; Noack Aktien – Gattungen, Verbriefung, Übertragung, in: Bayer/Habersack Aktienrecht im Wandel – Band II, 2007, Kap. 11; Schröer Zur Einführung der unechten nennwertlosen Aktie aus Anlass der Europäischen Währungsunion, ZIP 1997, 221; ders Vorschläge für Hauptversammlungsbeschlüsse zur Umstellung auf Stückaktie und Euro, ZIP 1998, 306; ders Vorschläge für Hauptversammlungsbeschlüsse zur Euro-Umstellung von Nennbetragsaktien, ZIP 1998, 529; Schupp Von der Nennwertaktie zur Quotenaktie, AG 1958, 81; Schürmann Euro und Aktienrecht, NJW 1998, 3162; Seibert, Gesetzentwurf zur Herabsetzung des Mindestnennbetrags der Aktien, AG 1993, 315; ders Die Umstellung des Gesellschaftsrechts auf den Euro, ZG 1998, 1; Seibt Verbandssouveränität und Abspaltungsverbot im Aktien- und Kapitalmarktrecht – Revisited: Hidden Ownership, Empty Voting und andere Kleinigkeiten, ZGR 2010, 795; Siebel Für und wider die Quotenaktie, ZKW 1954, 92; Theusinger/Moritz Empty Voting als moderner Stimmenkauf?, NZG 2010, 607; Vetter Verpflichtung zur Schaffung von 1 Euro-Aktien?, AG 2000, 193; Wartenberg Deutsche Aktien werden schlanker, WM 1994, 1160; Zöllner Neustückelung des Grundkapitals und Neuverteilung von Einzahlungsquoten bei teileingezahlten Aktien der Versicherungsgesellschaften, AG 1985, 19.
I. Grundlagen 1. Inhalt der Regelung. Durch § 8 wird der Ausweis der Beteiligungshöhe durch 1 die Aktie geregelt und ein Wahlrecht zwischen Nennbetrags- und Stückaktien eingeräumt. Die auf jede Aktie entfallende Beteiligungshöhe ist dabei in einem unmittelbaren Zusammenhang mit §§ 6 f zu sehen, da diese Regelungen zum Grundkapital durch § 8 mit Hinblick auf dessen Verteilung auf die Aktien fortentwickelt werden. Während Abs 1 121
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insofern ein Wahlrecht zwischen Nennbetrags- und Stückaktien einräumt (Rdn 86 ff), werden diese in Abs 2 und Abs 3 definiert und teilweise Aspekte von deren Ausgabe geregelt (Rdn 91 ff und 153 ff). Durch Abs 4 wird vorgegeben, wie der Anteil am Grundkapital für Nennbetrags- und Stückaktien einzeln berechnet wird (Rdn 184). Zudem sieht Abs 5 die Unteilbarkeit von Aktien vor (Rdn 185 ff). Schließlich ordnet Abs 6 die Anwendbarkeit dieser Grundsätze auf Zwischenscheine an (Rdn 209 ff). 2
2. Zweck der Regelung. Der Regelungszweck von § 8 kann nicht pauschal bestimmt werden. Vielmehr muss zwischen der in Abs 1 zum Ausdruck kommenden Beschränkung auf Nennbetrags- und Stückaktien (Rdn 3), den Vorgaben für Nennbetragsund Stückaktien (Rdn 4 ff und Rdn 7), dem Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien (Rdn 10 ff) und schließlich der Ausgabe von Zwischenscheinen (Rdn 14) unterschieden werden.
3
a) Beschränkung auf Nennbetrags- und Stückaktien (Abs 1). Abs 1 ordnet an, dass Aktien jedenfalls hinsichtlich der Beteiligungshöhe nur als Nennbetrags- und Stückaktien begeben werden können, womit die freie Gestaltung eigener Aktienarten ausgeschlossen ist (numerus clausus). Als Grund für eine solche Limitierung der Aktienarten kann man zunächst – wie bei allen die Gestaltungsfreiheit einschränkenden Vorschriften – reflexhaft auf den Schutz der Preisbildung und die Herstellung von Transparenz auf den Kapitalmärkten zur Verhinderung eines Marktversagens verweisen. Tatsächlich scheinen diese Aspekte im Hinblick auf die Ausgestaltung der Aktien aber nur bedingt überzeugen zu können. Letztlich zeichnen sich die modernen Kapitalmärkte durch eine nahezu unüberschaubare Anzahl verschiedenster Finanzinstrumente aus, die häufig zwischen Eigen- und Fremdkapitalinstrumenten angesiedelt sind, so dass eine Beschränkung auf wenige Aktienformen nicht zwingend erforderlich erscheint. Allerdings muss bei einer Bewertung des mit Abs 1 verfolgten Zwecks berücksichtigt werden, dass an einer anderweitigen Ausgestaltung von Aktien kein wirkliches Interesse besteht, da neben Nennbetrags- (Rdn 69) und Stückaktien (Rdn 70 ff) nur noch Quotenaktien (Rdn 78) für einen Ausweis der quotalen Beteiligung der einzelnen Aktien denkbar sind und mit letzteren eine Reihe von Nachteilen verbunden ist (Rdn 78).
b) Vorgaben für Nennbetragsaktien (Abs 2). Der Zweck der Vorgaben für Nennbetragsaktien in Abs 2 wird vor allem historisch von dem Gedanken einer zunehmenden Liberalisierung überlagert (Rdn 15 ff). Tatsächlich stehen heute allgemeine und gerade nicht anlegerschutzorientierte (Rdn 5), sondern kapitalmarktrechtliche Überlegungen im Vordergrund (Rdn 6). Durch die geringen Anforderungen an die Nennbeträge von Nennbetragsaktien sol5 len Wettbewerbsnachteile für das deutsche Aktienrecht gegenüber anderen Rechtsordnungen vermieden1, eine Harmonisierung im internationalen Vergleich2 und eine breite Streuung von Aktien in private Hand3 erreicht werden. Diese Zielrichtungen von Abs 2 sind letztlich nur historisch nachzuvollziehen, da das deutsche Aktienrecht vergleichsweise strenge Anforderungen an Nennbeträge gestellt hat, die erst in den
4
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1 Begr RegE 2. FFG, BT-Drucks 12/6679, S 82 f; ebenso Bauer Gläubigerschutz durch eine formelle Nennkapitalziffer, S 332 ff; MünchKomm/Heider4 Rdn 10; Seibert, AG 1993, 315, 316; v Wartenberg WM 1994, 1160. 2 Begr RegE 2. FFG, BT-Drucks 12/6679, S 83; ebenso MünchKomm/Heider4 Rdn 11. 3 Begr RegE 2. FFG, BT-Drucks 12/6679, S 83; ebenso MünchKomm/Heider4 Rdn 12; Seibert AG 1993, 315, 316.
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1990er Jahren schrittweise aufgehoben wurden (Rdn 21 f). Durch die noch verbliebenen Anforderungen sollen vor allem Penny-Stocks vermieden und somit Anlegerschutzinteressen gewahrt werden.4 Zur rechtspolitischen Fragwürdigkeit dieser Regelungszwecke Rdn 46 ff. Der tatsächliche Regelungszweck von Abs 2 dürfte in der Standardisierung des 6 Kapitalmarktprodukts Aktie zu sehen sein, da mit den Vorgaben von Abs 2 – jedenfalls hinsichtlich des quotalen Ausweises der Beteiligungshöhe (Rdn 69) – eine weitreichende Einheitlichkeit hergestellt wird. Insofern kann jeder Marktteilnehmer ohne weiteres ermitteln, welche quotale Beteiligung eine einzelne Aktie an der Aktiengesellschaft hat. Dies ist insbesondere deshalb erforderlich, da es ansonsten für den Aktionär keine Möglichkeit der Ermittlung seiner Beteiligungsquote gäbe. c) Vorgaben für Stückaktien (Abs 3). Durch die Vorgaben für Stückaktien in Abs 3 7 werden die gleichen Zielsetzungen wie bei den Nennbetragsaktien (Rdn 4 ff) verfolgt. Insofern steht auch bei Abs 3 die Standardisierung im Vordergrund (Rdn 6). Hinzu kommt die Überlegung des Gesetzgebers, mit der Einführung der Stückaktie die Umstellung des deutschen Aktienrechts von der DM auf den Euro zu erleichtern5, da durch die Umstellung von DM auf Euro keine sogenannten krummen Nennbeträge entstehen können. Nicht überzeugend ist aber die vom Gesetzgeber auch bei den Stückaktien ange- 8 nommene Notwendigkeit eines Anlegerschutzes durch den Mindestnennbetrag von einem Euro (Abs 3 Satz 3 – Rdn 158).6 Denn diese Regelung kann – ebenso wenig wie bei den Nennbetragsaktien (Rdn 95) – das Problem der Penny-Stocks im Börsenhandel nicht vermeiden.7 Zur Reform von Abs 2 Rdn 43. d) Verhältnis zum Grundkapital (Abs 4). Keinen eigenständigen Zweck hat hinge- 9 gen Abs 4, da dieser nur klarstellende Bedeutung hat.8 Denn letztlich ergibt sich der dort geregelte Grundsatz bereits aus § 1 Abs 2 (§ 1 Rdn 118 ff). e) Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien (Abs 5). Der in Abs 5 geregelte Grundsatz 10 der Unteilbarkeit von Aktien dient ebenfalls (kapital-)marktrechtlichen Zwecken, indem er zur Standardisierung des Kapitalmarktprodukts Aktie beiträgt.9 Denn durch die Unteilbarkeit kann der Erwerber einer Aktie sicher sein, dass die mit der dadurch verbrieften Mitgliedschaft verbundenen Vermögens- und Verwaltungsrechte auch tatsächlich noch bestehen bzw nach dem Erwerb von dem Erwerber ausgeübt werden können. In einem unmittelbaren Zusammenhang damit steht die Sicherung der Satzungs- 11 autonomie, da durch den Grundsatz der Unteilbarkeit gewährleistet wird, dass nur die Hauptversammlung über die Ausgestaltung der Aktie entscheiden kann.10 Zur tatsächlichen Beschränktheit dieses Grundsatzes Rdn 186 ff. und zu den sich daraus ergebenden rechtspolitischen Folgerungen Rdn 50.
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4 So ausdrücklich Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 11. 5 Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 10 f; ebenso MünchKomm/Heider4 Rdn 13; Hölters/Solveen2 Rdn 2; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4. 6 So ausdrücklich Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 11. 7 Ebenso Hüffer/Koch11 Rdn 18; anders wohl Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 42, der insofern auf die Erkennbarkeit abstellt. 8 Ebenso Hüffer/Koch11 Rdn 1. 9 Ebenso diesen Standardisierungsgedanken betonend Seibt ZGR 2010, 795, 796 f, 817 f (Unterstützung der Kapitalmarktfähigkeit). 10 Seibt ZGR 2010, 795, 796 f; ähnlich Hölters/Solveen2 Rdn 1; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 1; grundlegend: Habersack Die Mitgliedschaft, S 78 ff; K. Schmidt Gesellschaftsrecht, § 19 III 4 mit weiteren Nachweisen.
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In gewisser Weise bezweckt der Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien auch eine Reduktion der Risiken aus der Verfolgung von Partikularinteressen11, da alle sich aus der Mitgliedschaft ergebenen Rechte und Pflichten grundsätzlich mit dieser verbunden sind und in der Regel auch miteinander korrespondieren. Diese Betrachtungsweise basiert allerdings auf der Vorstellung, dass die Mitgliedschaft für alle Aktionäre den gleichen Wert hat und dass alle Aktionäre rational agieren. Gerade im Zusammenhang mit Konzernierungs- und Übernahmemaßnahmen kann ersterer Punkt aber nur bedingt überzeugen. Kein Regelungszweck des Grundsatzes der Unteilbarkeit von Aktien kann die Her13 stellung einer ordnungsgemäßen Willensbildung in der Aktiengesellschaft darstellen.12 Denn auch wenn es durch den Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien zu einem Gleichlauf von wirtschaftlicher Betroffenheit bzw Interessenausrichtung und der Ausübung der mitgliedschaftlichen Rechte kommt, ist nicht erkennbar, wie dadurch die Richtigkeit der Willensbildung hergestellt werden soll, sofern eine solche überhaupt ermittelt werden kann. Zudem begründet die unterschiedliche Bedeutung des Aktieneigentums für die jeweiligen Aktionäre nicht immer eine einheitliche Interessenausrichtung. Zwar ist zuzugeben, dass bei einem erheblichen Abweichen der wirtschaftlichen Betroffenheit von der relativen Stimmrechtsmacht die Neigung zu risikoaversen bzw -freudigen Verhalten steigt.13 Allerdings lässt sich eine vollständige oder nahezu vollständige Entkopplung dieser beiden Aspekte kaum bewerkstelligen, so dass dieses Argument nicht überzeugen kann.
14
f) Ausgabe von Zwischenscheinen (Abs 6). Die Möglichkeit der Ausgabe von Zwischenscheinen dient schließlich vor allem den Interessen der Aktionäre, da deren Mitgliedschaft schon vor der vollständigen Leistung der Einlage verbrieft werden kann. Zur fehlenden praktischen Bedeutung von Zwischenscheinen Rdn 210. 3. Gesetzesgeschichte
a) Vorgaben für die Nennbetragsaktie. Bereits das Preußische Gesetz über die Aktiengesellschaften von 184314 enthielt in § 2 Nr 3 indirekt das Erfordernis des Ausweises eines Nennbetrages, da danach die „die Höhe … der einzelnen Aktien“ im Gesellschaftsvertrag angegeben werden musste. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte auch das ADHGB von 1861, nach dessen Art 210 Abs 2 Nr 4 „die Höhe … der einzelnen Aktien oder Aktienantheile“ im Register angegeben werden musste. Zudem bestand eine Verpflichtung der Aktionäre zur Zahlung des sogenannten Nominalbetrages (Art 222 Nr 1 ADHGB). Durch die Aktienrechtsnovelle 187015 wurde dann nicht nur ein Mindestnennbetrag von 100 Vereinsthaler bzw von 50 Vereinsthaler vorgeschrieben (Art 207a ADHGB), sondern im Prinzip die Grundstruktur des heutigen § 8 gelegt (Rdn 1). 16 Der Mindestnennbetrag für Aktien wurde im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 188416 auf 1.000 Mark festgelegt (Art 207a ADHGB). Mit Genehmigung des Bundesrates 15
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11 So vor allem Seibt ZGR 2010, 795, 817. 12 So aber (allgemein für den Verband) Habersack Die Mitgliedschaft, S 81; dem folgend Seibt ZGR 2010, 795, 816 f. 13 Mit diesem Argument etwa Seibt ZGR 2010, 795, 816 f. 14 Dazu ausführlich Baums Preußisches Gesetz über die Aktiengesellschaften von 1843, 1981, S 9 ff. 15 Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften v 11.6.1870, BGBl des Norddeutschen Bundes S 375. 16 Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften v 31.7.1884, RGBl 123.
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konnte davon allerdings für gemeinnützige oder öffentlich-kontrollierte Unternehmen eine Ausnahme gemacht und ein Mindestnennbetrag von 200 Mark verwendet werden. Dieser Mindestnennbetrag war dabei nahezu prohibitiv und beschränkte die Ausgabe neuer Aktien faktisch auf sehr wohlhabende Bevölkerungsschichten, da der Mindestnennbetrag von 1.000 Mark ungefähr einem Jahreseinkommen eines gewerblichen Arbeiters entsprach.17 An diesem sehr hohen Mindestnennbetrag hielt auch der Gesetzgeber des HGB 1897 fest (vgl § 180 HGB 1897). Durch die zu Beginn der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts einsetzende Hyperinflation waren diese Beschränkungen faktisch bedeutungslos. Nach der Währungsreform 1923 wurde der Nennbetrag durch die Verordnung über Goldbilanzen (GoldbilanzVO) vom 28. Oktober 192318 im Grundsatz auf 100 Goldmark (§ 10 Abs 2 Satz 1 GoldbilanzVO) bzw später 100 Reichsmark19 festgelegt. Allerdings waren dabei auch Ausnahmen für gemeinnützige Unternehmen und für Namensaktien vorgesehen, bei denen der Mindestnennbetrag lediglich 20 Goldmark (§ 10 Abs 2 GoldbilanzVO) bzw später 20 Reichsmark20 betrug. Im Rahmen der Aktienrechtsreform 193721 kam es wieder zu einer Anhebung auf 1.000 Reichsmark (§ 8 Abs 1 AktG 1937), was der generellen Tendenz der Aktienrechtsreform 1937 entsprach, die Nutzung der Aktiengesellschaft als Unternehmensform weitgehend einzuschränken bzw nur für sehr große Unternehmen vorzusehen.22 Dabei bestand aber die Möglichkeit, durch eine ministerielle Genehmigung kleinere Stückelungen zuzulassen (§ 8 Abs 2 AktG 1937). Nennbeträge von über 1.000 RM sollten auf volle 500 Reichsmark lauten (§ 8 Abs 1 Satz 2 AktG 1937), wobei es sich dabei um eine bloße Sollvorschrift handelte. Zudem wurde erstmals eine Nichtigkeit der Aktien angeordnet, die für einen geringeren Nennbetrag ausgegeben wurden (§ 8 Abs 3 Satz 1 AktG 1937). Zudem wurde die Haftung der Ausgeber der Aktien gegenüber deren Besitzern angeordnet (§ 8 Abs 3 Satz 2 AktG 1937). Im Zuge der Währungsreform in den Westzonen setzte § 60 Abs 2 des Gesetzes über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung (D-Markbilanzgesetz) vom 21. August 194923 das Nennkapital auf 100 DM fest. Höhere Nennbeträge sollten ebenfalls auf volle 100 DM lauten (§ 60 Abs 2 D-Markbilanzgesetz). Dies erfasste auch bereits ausgegebene Aktien (zum Übergangsrecht Rdn 57 ff). Das Aktiengesetz 196524 setzte den Mindestnennbetrag von Aktien auf 50 DM fest. Die Herabsetzung auf 50 DM war dabei erst im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auf Drängen des Wirtschaftsausschusses erfolgt.25 Von der ursprünglichen Fortführung eines Mindestnennbetrages von 100 DM war Abstand genommen worden, um auch verstärkt Kleinanlegern den Aktienerwerb zu ermöglichen.26 Eine damit verbundene Gefahr der
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17 Vgl Brändel Vorauflage Rdn 1. 18 RGBl I, S 1253. 19 § 3 der Zweiten DurchführungsVO vom 12.12.1924 zum MünzG vom 30.8.1924 (RGBl I, S 775). 20 Siehe Nachweis in Fn 19. 21 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) v 30.1.1937 (RGBl I, 107). 22 Amtliche Begründung zum Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaft auf Aktien, Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1937 Nr 28 vom 4.2.1937 (abgedruckt bei Klausing AktG 1937, S 9); zu den gleichen Tendenzen im Rahmen der Festlegung des Mindestnennkapitals bei § 7 Rdn 4. 23 WiGBl I, S 279. 24 Aktiengesetz vom 6.9.1965, BGBl I, S 1089. 25 Ausschussbericht Rechtsausschuss AktG 1965, BT-Drucks IV/3296, S 4 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 23). 26 Ausschussbericht Rechtsausschuss AktG 1965, BT-Drucks IV/3296, S 4 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 23).
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Verleitung sozial schwacher Kreise zu einem vorzeitigen Aktienkauf und zur Spekulation wurde zwar diskutiert, im Ergebnis aber als nicht relevant verworfen.27 Darüber hinaus sollte Aktiengesellschaften gestattet werden, zu hohen Kursen entgegenzuwirken.28 Zudem wurde § 8 Abs 2 AktG 1965 (= Abs 2 Satz 4) dahingehend verschärft, dass höhere Aktiennennbeträge auf volle 100 DM lauten mussten und nicht bloß sollten, womit es im Vergleich zur vorherigen Rechtslage zu einer Verschärfung bzw zu einer Klarstellung eines insoweit fehlenden Ermessens des Registergerichts kam.29 Schließlich wurde in § 8 Abs 1 Satz 3 AktG 1965 (= Abs 2 Satz 3) auf Drängen des Wirtschaftsausschusses der Begriff Besitzer in Überstimmung mit dem Wortlaut von § 793 BGB durch Inhaber ersetzt, womit allerdings keine inhaltlichen Veränderungen verbunden sein sollten30, zumal diese Interpretation der damaligen Meinung im Schrifttum31 entsprach. Die Schaffung des Wertpapierhandelsgesetzes durch das Zweite Finanzmarktför21 derungsgesetz vom 26. Juli 199432 führte zu einer radikalen Herabsetzung des Nennbetrags von 50 DM auf fünf DM. Zudem mussten darüber hinausgehende Nennbeträge nicht mehr auf volle 100 DM, sondern lediglich auf volle fünf DM lauten. Hintergrund dieser erneuten Herabsetzung war die Einschätzung der Bundesregierung, dass die Mindestnennbeträge der deutschen Aktien im internationalen Vergleich zu hoch und letztlich Börsenkurse von 500 bis 1000 DM keine Seltenheit seien.33 Darüber hinaus wurde durch den hohen Mindestnennbetrag das bei börsennotierten Aktiengesellschaften teilweise notwendige Aktiensplitting (zu dessen Bedeutung Rdn 102 ff) nahezu unmöglich gemacht. Damit hat der Gesetzgeber bereits zu diesem Zeitpunkt – aber wohl eher unbewusst – Aspekte der behavioral finance aufgegriffen und sie der Neuregelung zugrunde gelegt (Rdn 41 ff). Etwas zweifelhaft erscheint allerdings die vom Gesetzgeber ebenfalls angeführte Begründung, dass es durch die deutliche Herabsenkung des Mindestnennbetrages von Aktien bei den Anlegern weniger häufig zu einem irrelevanten Vergleich von Nennbetrag und Aktienkurs kommen würde.34 Untauglich ist insofern die auch angeführte Begründung, dass mit der kleineren Stückelung Anleger ihr Anlagevolumen besser ausschöpfen könnten.35 Berücksichtigt man nämlich die Transaktionskosten für den Kauf und Verkauf von Aktien, dürften kleinere Nennbeträge dabei kaum Potential freisetzen, was in der Gesetzesbegründung auch sogar selbst eingeräumt wird.36 22 Weiterhin erfolgte durch das Gesetz zur Einführung des Euro (Euro-Einführungsgesetz – EuroEG) vom 9. Juni 199837 die Umstellung des Währungsbetrages von Deutscher Mark in Euro. Dabei erfolgte aber keine bloße Umrechnung des bis dahin vorgeschriebenen Mindestnennbetrags von fünf DM in Euro. Vielmehr setzte der Gesetzgeber
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27 Vgl einerseits Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 98 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 23) und Ausschussbericht Rechtsausschuss AktG 1965, BT-Drucks IV/3296, S 4 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 23) andererseits. 28 Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 98 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 23). 29 Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 98 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 23). 30 Ausschussbericht Rechtsausschuss AktG 1965, BT-Drucks IV/3296, S 4 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 23). 31 Schlegelberger/Quassowski AktG 1937³ Rdn 12; GroßKomm/Gadow1 Rdn 10. 32 Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz) vom 26.7.1994, BGBl I, S 1749. 33 Begr RegE 2. FFG, BT-Drucks 12/6679, S 82 f; dazu bereits kritisch GroßKommAktG/Assmann4 Einleitung Rdn 480 ff; Bauer Gläubigerschutz durch eine formelle Nennkapitalziffer, S 332 ff; von Wartenberg WM 1994, 1160; Seibert AG 1993, 315, 316. 34 Begr RegE 2. FFG, BT-Drucks 12/6679, S 83. 35 So aber Begr RegE 2. FFG, BT-Drucks 12/6679, S 83. 36 Begr RegE 2. FFG, BT-Drucks 12/6679, S 83. 37 BGBl I, S 1242.
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den Mindestnennbetrag – allerdings aufgrund eines Versehens erst im Rahmen des anschließenden Gesetzes zur Umsetzung der EG-Einlagensicherungsrichtlinie und der EG-Anlegerentschädigungsrichtlinie vom 16. Juli 199838 – neu auf einen Euro fest. Auch darüber hinausgehende Nennbeträge mussten nicht mehr auf volle fünf DM, sondern nur noch auf volle Euro lauten. Damit hatte der Gesetzgeber die seit der Schaffung des Mindestnennbetrags durch die Aktienrechtsnovelle von 1884 (Rdn 16) – mit Ausnahme der Aktienrechtsreform 1937 (Rdn 18) – stetige Herabsetzung letztlich abgeschlossen und sich von der Regulierung des Zugangs zum Aktienmarkt durch die Festsetzung von Nennbeträgen somit verabschiedet (Rdn 4 ff). Die Umstellung führte bei Aktiengesellschaften zum Erfordernis einer entsprechenden Satzungsänderung, was in § 4 EGAktG näher geregelt wurde. Hinsichtlich der bereits ausgegebenen Nennbetragsaktien erfolgte keine Umstellung (zum Übergangsrecht Rdn 55 f). b) Zulässigkeit der Stückaktie. Im Gegensatz zur Nennbetragsaktie (Rdn 15 ff) han- 23 delt es sich bei der Stückaktie bzw der nennwertlosen Aktie um eine vergleichsweise junge Erscheinung. Diese wurde erstmals 1912 im Gesellschaftsrecht des US-Bundesstaates New York zugelassen und in der Folgezeit von vielen anderen US-Bundesstaaten übernommen.39 In Deutschland wurde über deren Einführung aufgrund der zunehmenden Verbreitung in den Vereinigten Staaten (Rdn 40) erstmals in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts etwa auf dem 33.40 und dem 34.41 Deutschen Juristentag intensiv diskutiert42, im Ergebnis aber aufgrund der dann zunehmenden Gefahr von UnterpariEmissionen (§ 9 Rdn 47 ff) und erforderlichen Folgeänderungen abgelehnt und auch im Rahmen der Aktienrechtsreform 193743 nicht berücksichtigt. In der Nachkriegszeit flammte die Diskussion allerdings wieder auf, zumal auch 24 andere Rechtsordnungen zu nennwertlosen Aktien übergegangen waren (Rdn 35 ff). Obwohl sich zahlreiche Stimmen für die Einführung der nennwertlosen Aktie ausgesprochen hatten44, lehnte der Gesetzgeber diese im Rahmen der Aktienrechtsreform 196545 im Wesentlichen mit dem Argument ab, dass bei Nennbetragsaktien eine bessere Vergleichbarkeit mit anderen Kapitalanlagen und anderen Aktien bestünde.46 Die Diskussion über die Einführung der Stückaktie entbrannte danach erst wieder in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, da die Beschränkung des deutschen Aktienrechts auf Nennbetragsaktien im internationalen Vergleich zunehmend als ein Nachtteil aufgefasst wurde.47 Hinzu
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38 BGBl I, S 1842. 39 Dazu ausführlich Berle 25 Columbia Law Review 43 (1924–1925). 40 Vgl das Gutachten von Flechtheim/Hachenburg Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages, Berlin und Leipzig, 1925, S 385 ff. 41 Vgl das Gutachten von Lehmann Verhandlungen des 34. Deutschen Juristentages, Berlin und Leipzig, 1926, Band I, S 258 ff, der die Einführung einer nennwertlosen Aktie für erwägenswert, aber im Ergebnis für nicht notwendig erachtete. 42 Vgl im Übrigen etwa Geiler Verhandlungen und Berichte des Unterausschusses für allgemeine Wirtschaftsstruktur, 3. Arbeitsgruppe: Wandlungen in den wirtschaftlichen Organisationsformen, 1. Teil, 1928, S 62 ff. 43 Siehe Fn 21. 44 So vor allem Siebel ZKW 1954, 92; dem folgend Coing/Kronstein Die nennwertlose Aktie als Rechtsproblem, 2. Aufl 1962; Neuburger BB 1961, 1356; Boesebeck DB 1959, 309; ders BB 1960, 71; Claussen AG 1963, 237 ff; vgl auch Jahr/Stützel Aktie ohne Nennbetrag, 1963 mit einem eigenen Entwurf für ein neues Aktienrecht. 45 Siehe Fn 24. 46 So ausdrücklich Ausschussbericht Rechtsausschuss AktG 1965, BT-Drucks IV/3296, S 4 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 21). 47 In diesem Sinne etwa Hirte WM 1991, 753, 756; Kübler Aktien, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt, S 55 ff; ders WM 1990, 1853.
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kam, dass Nennbetragsaktien nur mit vergleichsweise hohen Nennbetrag ausgegeben werden konnten (Rdn 19 f). Obwohl letzteres Problem bereits durch die im Rahmen des 2. Finanzmarktförde25 rungsgesetzes erfolgte Herabsetzung der Mindestnennbeträge für Aktien (Rdn 21) gelöst wurde, entschied sich der Gesetzgeber durch die Verabschiedung des Gesetzes über die Zulassung von Stückaktien (Stückaktiengesetz – StückAG) vom 25. März 199848 mit der Einführung der Stückaktie – und nicht der Quotenaktie (Rdn 78) – zum nächsten logischen Schritt zur Relativierung des Nennbetragssystems, was erhebliche Änderungen bei § 8 auslöste. So wurde in Abs 1 ein Wahlrecht zwischen Nennbetrags- und Stückaktien eingeführt (Rdn 86 ff), die Stückaktien in Abs 3 selbst umfassend geregelt (Rdn 153 ff) und Abs 4 entsprechend dem Dualismus von Nennbetrags- und Stückaktien angepasst (Rdn 184). Durch die Einfügung der Regelung zur Stückaktie kam es zudem zu einer Verschiebung des vorherigen Regelungsgehalts in die Abs 5 und 6. Hintergrund der Einführung der Stückaktie war neben der Herstellung einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Aktienrechts vor allem die Erleichterung der Umstellung auf den Euro.49 Das Gesetz zur Umsetzung der EG-Einlagensicherungsrichtlinie und der EG26 Anlegerentschädigungsrichtlinie vom 16. Juli 199850 führte schließlich zu einer Änderung von Abs 3 Satz 3, bei der es sich aber um eine im Rahmen des Euro-Einführungsgesetz (Rdn 22) vom Gesetzgeber übersehene Umstellung von Deutscher Mark auf Euro handelte. Dabei wurde der Mindestnennbetrag von fünf Deutschen Mark aber nicht einfach anhand des Referenzkurses der Europäischen Zentralbank umgerechnet, sondern neu auf einen Euro festgesetzt (zum Übergangsrecht Rdn 57 ff). 27
c) Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien. Der Grundsatz der Unteilbarkeit bei Aktien (Rdn 185 ff) war bereits im ADHGB 1861 enthalten und wurde durch dessen Art 207 Abs 351 angeordnet. Allerdings gestattete das ADHGB nach französischem Vorbild noch die Ausgabe von Aktienteilen (Art 207 Abs 3, 209 Nr 4), so dass dieser Grundsatz wieder eingeschränkt wurde. Dieser Widerspruch wurde erst durch die Schaffung des HGB 1897 ausgeräumt, indem der Grundsatz der Unteilbarkeit in § 179 Abs 152 in die heutige Form überführt wurde. Dieser Grundsatz wurde im Rahmen der Aktienrechtsreform 1937 ohne Änderungen in § 8 Abs 4 AktG 1937 übernommen. Abgesehen von einer Verschiebung in den heutigen Abs 5 wurde dieser in späteren Reformen nicht verändert.
28
d) Ausgabe von Zwischenscheinen. Die Ausgabe von – bis 1937 als Interimsschein bezeichneten53 – Zwischenscheinen (Rdn 209 ff) war bereits in Art 222 ADHGB 1861 geregelt, wonach diese für Teilzahlungen auf Aktien grundsätzlich nicht auf den Inhaber ausgestellt werden durften. Durch die Aktienrechtsnovelle 187054 wurde die Ausgabe von Zwischen- bzw Interimsscheinen weiter erschwert, indem die – auch heute noch in § 8 geregelten Einzelaspekte (Rdn 209 ff) – auf Zwischen- bzw Interimsscheinen für anwendbar erklärt wurden. An diesem Regelungskonzept wurde auch im Rahmen der Aktienrechtsreform 193755 festgehalten und die Regelung in § 8 Abs 5 AktG 1937 überführt.
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48 49 50 51 52 53 54 55
BGBl I, S 590. Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 10 ff. BGBl I, S 1842. Art 207 Abs 3 ADHGB 1861 lautete: „Die Aktien oder Aktienantheile sind untheilbar“. § 179 Abs 1 HGB 1897 lautete: „Die Aktien sind untheilbar“. Die heutige Begrifflichkeit wurde erst durch die Aktienrechtsreform 1937 (Fn 21) eingeführt. Siehe Fn 15. Siehe Fn 21.
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Bei späteren Reformen kam es zu keinen inhaltlichen Änderungen, sondern lediglich zu einer Verschiebung in den heutigen Abs 6. 4. Wirtschaftliche Bedeutung. Für die Wahl zwischen den in § 8 zugelassenen 29 Nennbetrags- und Stückaktien gibt es aufgrund der mit den Stückaktien verbundenen Vereinfachungen eine klare Tendenz zur Stückaktie. Vor allem bei der Gründung neuer Aktiengesellschaften wird nur noch selten von Nennbetragsaktien Gebrauch gemacht.56 Aufgrund des bis zur Einführung der Stückaktie bestehenden Zwangs zur Ausgabe von Nennbetragsaktien und des Aufwands einer Umstellung sind Nennbetragsaktien (Rdn 15 ff) allerdings noch immer weit verbreitet. Hinsichtlich der Höhe der Nennbeträge bzw des fiktiven Nennbetrags bei der Stückaktie (Rdn 70 ff) ist eine klare Tendenz zugunsten kleinerer (fiktiver) Nennbeträge zu verzeichnen.57 Dies ist weniger auf rationale Erwägungen als vielmehr auf systematische Fehlvorstellungen der Marktteilnehmer zurückzuführen (dazu ausführlich Rdn 43). Die nach Abs 6 zulässige Ausgabe von Zwischenscheinen (Rdn 209 ff) hat in der 30 Praxis kaum noch Bedeutung, was im Wesentlichen auf die Globalverbriefung von Aktien und die damit verbundene elektronische Übertragung (§ 10 Rdn 111 ff) zurückzuführen ist. 5. Europäisches Recht. Das europäische Gesellschaftsrecht stellt hinsichtlich der 31 möglichen Aktienformen keine zwingenden Vorgaben auf. Vielmehr gestattet die Kapitalschutzrichtlinie (2012/30/EU)58 ausdrücklich die Ausgabe von Nennbetragsaktien (Art 3 lit b) und nennwertlosen Aktien, überlasst die Einführung letzterer aber den Mitgliedstaaten (Art 3 lit c). Zudem sieht Art 8 Abs 1 vor, dass Aktien nicht unter einem Nennbetrag oder einem entsprechenden rechnerischen Wert ausgegeben werden dürfen. Damit gestattet die Kapitalschutzrichtlinie neben Nennbetrags- auch (unechte)59 nennwertlose Aktien (Rdn 69 und 72 ff). Die Einführung einer echter nennwertlosen Aktie (Rdn 75 f) ist – entgegen der Rechtslage in Finnland (Rdn 38) – hingegen nicht gestattet, da bei dieser der rechnerische Wert im Sinne von Art 8 Abs 1 Kapitalschutzrichtlinie nicht ermittelt werden kann.60 Im Rahmen der SLIM-Initiative61 wurde zwar erwogen, auch die echte nennwertlose Aktie zuzulassen. 62 Allerdings wurde dieser Impuls bei der späteren Reform der Kapitalrichtlinie nicht wieder aufgegriffen.
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56 Bayer/Hoffmann AG 2007, R3 f mit konkreten Angaben; ebenso in der Einschätzung Hüffer/Koch11 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4. 57 Bayer/Hoffmann AG 2007, R3 f. 58 Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl EG Nr L 315 v 14.11.2012, S 74 ff. 59 Zur Abgrenzung der echten von den unechten Stückaktien siehe Rdn 72 ff. 60 Ebenso Ekkenga WM 1997, 1645, 1647 f; Fankhauser Gemeinschaftsrechtliche Publizitäts- und Kapitalrichtlinie, S 135 ff; Habersack/Verse Europäisches Gesellschaftsrecht, § 6 Rdn 23; MünchKomm/Heider4 Rdn 22; Noack in: Bayer/Habersack Aktienrecht im Wandel – Band II, Kap. 11 Rdn 65; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 3. 61 Dazu ausführlich Stühmer SLIM – Eine Schlankheitskur für das EU-Gesellschaftsrecht, 2003, S 58 ff; Wiesner EuZW 1998, 619. 62 Kommission Bericht der Kommission – Ergebnisse der vierten Phase der SLIM-Initiative, KOM(2000) 56 endg., S 5.
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Keine Vorgaben enthält die Kapitalschutzrichtlinie hinsichtlich der Höhe des Mindestausgabebetrages (Rdn 95), so dass die Regelungen in Abs 2 Satz 1, Abs 3 Satz 3 nicht europarechtlich indiziert sind. Auch der weitere Regelungsgehalt in § 8 findet keine europarechtliche Entsprechung. Weder die Ausgabe von Zwischenscheinen (Abs 6 – Rdn 200 ff) noch der Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien (Abs 5 Rdn 185 ff) ist europarechtlich vorgegeben. 33 Der European Model Companies Act (EMCA) gestattet in Chapter 5 Sec 5 subs 1 sent. 1 sowohl die Ausgabe von Nennbetrags- als auch von nennwertlosen Aktien.63 Die Gesellschaft darf sich dabei nur zwischen diesen beiden Aktienformen entscheiden (Chapter 5 Sec 5 subs 1 sent 2 EMCA) und auch nur eine der beiden Aktienformen nutzen (Chapter 5 Sec 5 subs 1 sent 3 EMCA). Hinsichtlich der nennwertlosen Aktien gestattet Chapter 5 Sec 5 subs 3 EMCA ausdrücklich die Ausgabe echter nennwertloser Aktien und geht dabei maßgeblich auf das finnische Aktienrecht (Rdn 38) zurück, wobei nicht unerhebliche Bedenken gegen die europarechtliche Zulässigkeit dieser Vorgehensweise (Rdn 31) bestehen.64 34 Für die Europäische Aktiengesellschaft gibt es für die in § 8 normierten Grundsätze keine Entsprechung in der SE-VO. Für eine Europäische Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland findet § 8 daher uneingeschränkt Anwendung (Art 5 SE-VO).65 6. Ausländisches Recht. Ähnlich wie das deutsche Aktienrecht gehen die meisten ausländischen Rechtsordnungen in ihrem historischen Ausgangspunkt von Nennbetragsaktien (Rdn 15 ff) aus und haben sich in jüngeren Reformen mit der Einführung der nennwertlosen Aktie (Rdn 71) jedenfalls beschäftigt. Ein dem deutschen Aktienrecht vergleichbares Wahlrecht zwischen Nennbetrags- und Stückaktien (Abs 1 – Rdn 86 ff) ist allerdings eher selten anzutreffen. Bei der französischen Société Anonyme verkörpert die Aktie einen Anteil am Kapi36 tal (Art 228-7 Code de Commerce), so dass es keine nennwertlosen Aktien gibt. Allerdings wird inzwischen auf einen Mindestausgabebetrag verzichtet.66 Bei der italienischen Società per Azioni können nur Nennbetragsaktien mit gleichen Nennbeträgen ausgegeben werden, die allerdings frei in der Satzung festgelegt werden können (Art 2348 Abs 1, 2328 Nr 5 Codice Civile). Die Ausgabe nennwertloser Aktien ist im italienischen Aktienrecht hingegen nicht gestattet.67 Auch bei der englischen Public Limited Company dürfen grundsätzlich nur Nenn37 betragsaktien ausgegeben werden (Art 542 Companies Act), deren Nennbeträge in der Satzung anzugeben sind und frei gewählt werden dürfen (Art 10 subs 2 Companies Act).68 Zusätzlich gestattet das englische Recht auch die Ausgabe von unechten Stückaktien, was aber eine vollständige Einlagenleistung und deren Gleichrangigkeit voraussetzt (Sec 543 Companies Act).69 Ähnlich wie in Deutschland (Rdn 24) wurde auch im Vereinigten Königreich die Einführung (echter) nennwertloser Aktien intensiv diskutiert, im Ergebnis aber verworfen, da deren Einführung umfangreiche Folgeänderungen erfordert 35
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63 Vgl dazu Wulf, ECFR 2016, 215 ff. 64 Vgl dazu Wulf, ECFR 2016, 215, 244 ff. 65 Spindler/Stilz/Casper3 Art 5 SE-VO Rdn 2; Habersack/Drinhausen/Diekmann Art 5 Rdn 23; Lutter/ Hommelhoff/Teichmann/Ziemons2 Art 5 Anh I Rdn 15; KK-AktG/Wenz2 Art 5 Rdn 28. 66 Im Überblick dazu Sonnenberger/Dammann Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl, Rdn III 173. 67 Vgl dazu Kindler Italienisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl 2014, Rdn 130. 68 Schall/Siems Companies Act, Sec 542 Rdn 1. 69 Schall/Siems Companies Act, Sec 543 Rdn 2.
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hätte, die letztlich in keinem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen gestanden hätten.70 Eine Besonderheit bei den europäischen Rechtsordnungen stellt das finnische Ak- 38 tienrecht dar, da dieses 2006 die Möglichkeit der Einführung echter nennwertloser Aktien geschaffen hat (Part 1, Chapter 3, Section 5 of Finnischer Limited Liability Companies Act), wodurch sich eine ganze Reihe von Erleichterungen ergeben (Rdn 75 f). So kann die Unternehmensleitung bei der Ausgabe neuer Aktien frei darüber entscheiden, wie das frische Kapital verbucht und damit, ob es Ausschüttungsbeschränkungen unterworfen werden soll. Darüber hinaus können junge Aktien ohne eine Kapitalerhöhung ausgegeben oder eine Kapitalerhöhung ohne die Ausgabe neuer Aktien durchgeführt werden. In der Schweiz sind nur Nennwertaktien zugelassen, deren Nennwert mindestens 39 einen Rappen (ca 0,9 Cent) betragen muss (Art 622 Abs 4 OR). Eine nachträgliche Änderung des Nennwerts ist möglich, bedarf aber der Zustimmung des jeweiligen Aktionärs (Art 623 Abs 2 OR). Auf die Einführung von Stückaktien bzw nennwertlosen Aktien wurde im Rahmen der Revision des Aktienrechts ausdrücklich verzichtet71, so dass diese nicht zugelassen sind.72 Das österreichische Recht entspricht weitergehend den Vorgaben von § 8, verzichtet aber etwa die Ausgabe von Zwischenscheinen.73 Die einzelstaatlichen Gesellschaftsrechte in den Vereinigten Staaten sehen verein- 40 zelt noch Nennbetragsaktien (par stock) vor, haben diese aber zugunsten von echten nennwertlosen Aktien (no par stock)74 auch oft – wie etwa Kalifornien75 – abgeschafft. Einige Bundesstaaten – wie etwa Delaware76 oder New York77 – räumen den Gründern einer Aktiengesellschaft aber auch – wie in Abs 1 (Rdn 86 ff) – ein Wahlrecht zwischen beiden Aktienformen ein.78 7. Ökonomische Analyse a) Beschränkung auf Nennbetrags- und Stückaktien (Abs 1 und 4). Durch die Be- 41 schränkung des deutschen Aktienrechts auf lediglich zwei Arten von Aktien zur Abbildung der relativen Beteiligungshöhe werden die generell mit einer Standardisierung erreichten Effizienzvorteile von massenhaft auf (Kapital-)Märkten gehandelten Produkten auch für das Aktienrecht verfolgt. Insofern besteht für den Erwerber einer Aktie keine Notwendigkeit, den durch den Erwerb tatsächlich erlangten Beteiligungsumfang selbst zu ermitteln, da sich dieser ohne weiteres aus der Satzung im Zusammenspiel mit der erworbenen Aktie ergibt. Effizienznachteile, die etwa durch eine stärkere Liberalisierung und den damit verbundenen Wettbewerb zwischen (weiteren) Aktienformen vermieden werden könnten, sind nicht erkennbar, zumal die theoretisch möglichen Aktienformen zur Abbildung der relativen Beteiligungshöhe begrenzt sind (Rdn 69 ff). Ein Effizienznachteil kann insbesondere nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass das deut-
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70 So zuletzt Steering Group Modern Company Law for a Competetive Economy – Completing the Structure, 2000, Rdn 7.3; vgl insgesamt dazu Mayson/French/Ryan Company Law, S 173. 71 Botschaft über die Revision des Aktienrechts vom 23.2.1983, BBl. 1983 II, 745, 787. 72 Vgl Honsell/Vogt/Watter/Baudenbacher Obligationenrecht, 3. Aufl 2008, Art 622 Rdn 36. 73 Dazu MünchKomm/Doralt/Diregger4 Rdn 105 ff. 74 Grundlegend Berle 25 Columbia Law Review 43 (1924-1925). 75 Vgl §§ 400 ff Cal.Corp.Code. 76 § 151 subs. 1 DGCL. 77 § 501 (a) NYBCL. 78 Zum Ganzen vgl etwa Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rdn 486 ff.
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sche Aktienrecht teilweise noch am Nennwertsystem festhält, da es der den Aktiengesellschaften frei steht, auf Stückaktien auszuweichen. Schließlich erscheint es zweifelhaft, dass sich weitere Effizienzvorteile durch eine 42 Zulassung der echten nennwertlosen Aktie (Rdn 75 f.) ergeben würden. Die damit verbundenen Vorteile sind zum einen– wie etwa das finnische Aktienrecht zeigt (Rdn 38) – eher organisationsrechtlicher Natur und würden zum anderen erhebliche Umstrukturierungen im deutschen Aktienrecht erfordern, ohne dass damit – wie die Überlegungen in anderen Rechtsordnungen zeigen (Rdn 35 ff) – ein eindeutiger Vorteil verbunden wäre. 43
b) Vorgaben für Nennbetrags- und Stückaktien (Abs 2 und 3). Deutlich kritischer sind hingegen die Anforderungen zu betrachten, die nach Abs 2 und 3 noch immer für die (fiktiven) Nennbeträge von Nennbetrags- und Stückaktien aufgestellt werden. Denn insofern ist nicht erkennbar, welchen Effizienznachteil diese Anforderungen tatsächlich verhindern sollen. Vielmehr stellen sie selbst vor allem bei Struktur- und Sanierungsmaßnahmen nicht zu rechtfertigende Hindernisse dar und verursachen – wie etwa beim Erfordernis des Kapitalschnitts (Rdn 110 ff) – nicht unerhebliche zusätzliche Transaktionskosten.
c) Unteilbarkeit der Aktien (Abs 5). Mit der Anordnung der Unteilbarkeit von Aktien durch Abs 5 wird – ähnlich wie durch die Einschränkungen in Abs 1 (Rdn 69 ff) – eine Standardisierung des Produkts Aktie erreicht, so dass der Erwerb einer Aktie für den Erwerber keine umfangreiche Ermittlung erfordert, in welchem Umfang diese mitgliedschaftliche Rechte und Pflichten vermittelt. Ob der Grundsatz der Unteilbarkeit der Aktie darüber hinaus auch weitere Effizienzvorteile in Form der Erhöhung der Kontrollintensität auf den Hauptversammlungen begründet79, muss allerdings angezweifelt werden, da mit der fehlenden Aufspaltbarkeit der aktienrechtlichen Mitgliedschaft nicht zugleich das Problem des systematischen Desinteresses von Aktionären gelöst wird. Die mit dem Grundsatz der Unteilbarkeit der Aktie verbundenen Effizienzvorteile 45 dürfen zudem nicht dahingehend überschätzt werden, dass diese die Basis für ein weiterreichendes Verständnisses dieses Grundsatzes bilden können. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die (fehlende) Erfassung wirtschaftlich vergleichbarer Konstellationen (Rdn 169 ff).
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8. Rechtspolitische Würdigung 46
a) Vorgaben für Nennbetrags- und Stückaktien (Abs 1 bis 4). Die vom Gesetzgeber im Rahmen des Stückaktiengesetzes (Rdn 25) vorgenommene Einführung der Stückaktie als unechte nennwertlose Aktie (Rdn 72 ff) und die damit verbundenen Absagen an die echte nennwertlose Aktie (Rdn 75 f) und die Quotenaktie (Rdn 78) sind im Ergebnis konsequent, da damit eine hinreichende Flexibilität bei der Wahl der Aktienform hergestellt wurde.80 Zudem ist zu beachten, dass die Kapitalschutzrichtlinie (Rdn 31) eine weitere Flexibilisierung nicht zulässt und die Einführung einer
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79 So vor allem im Zusammenhang mit dem empty voting Eichner ZRP 2010, 5, 7; Hu/Black 79 S.Cal.L.Rev. 811, 820 f (2006); Kobayashi/Ribstein 40 U.C.Davis L.Rev. 21, 39 (2006); aA Seibt ZGR 2010, 795, 819. 80 AA wohl MünchKomm/Heider4 Rdn 29.
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echten nennwertlosen Aktie schon europarechtlich nicht zulässig ist81, auch wenn sich das finnische Aktienrecht über diese Bedenken anscheinend hinweggesetzt hat (Rdn 38). Im Rahmen von § 8 bedarf es aber einer weiteren Liberalisierung der Anforde- 47 rungen an Nennbetragsaktien. Dies gilt vor allem hinsichtlich des Erfordernisses, dass der Nennbetrag von Nennbetragsaktien nach Abs 2 Satz 4 immer auf volle Euro lauten muss (Rdn 96 ff). Letztlich gibt es dafür keine zwingenden Gründe. Diese könnte man zwar in einer einfacheren Berechnung der Beteiligungsverhältnisse sehen. Allerdings dürfte sich diese bei nicht auf volle Euro lautenden Nennbeträgen nicht erheblich erschweren, so dass auf dies Regelung in Abs 2 Satz 4 verzichtet werden kann, zumal diese bei Strukturmaßnahmen teilweise erhebliches innergesellschaftliches Konfliktpotential begründen kann (Rdn 110 ff). Ein Reformbedarf bei § 8 besteht zudem aufgrund der strukturellen Benachteili- 48 gung von Nennbetrags- gegenüber Stückaktien. Dies gilt vor allem hinsichtlich des Erfordernisses, dass der Nennbetrag von Nennbetragsaktien nach Abs 2 Satz 4 immer auf volle Euro lauten muss (Rdn 96 ff). Zum einen bestehen keine wirklich zwingenden Gründe für dieses Erfordernis (Rdn 96) und zum anderen ist nicht nachvollziehbar, warum dieses Erfordernis dann nicht auch für die Stückaktien gilt, da diese über einen fiktiven Nennbetrag (Rdn 153 ff) verfügen. Rechtspolitischer Gestaltungsspielraum und -bedarf ergibt sich zudem hinsichtlich 49 des Erfordernisses eines Mindestnennbetrags in Abs 2 Satz 1 (Rdn 95) bzw des rechnerischen Betrags von einem Euro in Abs 2 Satz 3 (Rdn 158), die aufgegeben werden sollten (Rdn 43). Insofern muss die tatsächliche Notwendigkeit des damit beabsichtigten Anlegerschutzes (Rdn 5) bezweifelt werden. Es ist letztlich nicht erkennbar, wie ein solcher durch einen Mindestnennbetrag von einem Euro erreicht werden soll. Zwar stellt ein solcher eine Marktzugangsschranke dar, bei der allerdings unklar bleibt, wie diese dem Anlegerschutz dienen soll. Die Gesetzesbegründung führt dahingehend die Vermeidung sogenannter Penny-Stocks an82, was allerdings nicht überzeugen kann, da es sich dabei um ein Problem des Börsenhandels handelt, was mit dem Nennwert einer Aktie in keinem Zusammenhang steht (zum Verhältnis von Nennwert und Börsenkurs Rdn 84). Soweit aus Anlegerschutzgesichtspunkten Penny-Stocks verhindert werden sollen, ist dafür das Kapitalmarktrecht und insbesondere das Börsenrecht der richtige Regelungsort. Insofern liegt hier seitens des Gesetzgebers eine nicht nachvollziehbare Vermengung gesellschafts- und kapitalmarktrechtlicher Regelungsaspekte vor. b) Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien (Abs 5). Der Grundsatz der Unteil- 50 barkeit von Aktien in Abs 5 (Rdn 185 ff) knüpft lediglich an die rechtliche Trennung von Mitgliedschaftsrechten von der Aktie an, lässt wirtschaftlich vergleichbare Gestaltungen wie etwa das empty voting (Rdn 204) oder das hidden ownership (Rdn 205) aber unberührt. Diese Diskrepanz kann eine Ausweitung oder Erweiterung des Grundsatzes der Unteilbarkeit von Aktien aber nicht begründen, da die mit diesem Grundsatz verbundenen Rechtsfolgen für die teilweise in diesen Zusammenhängen wenig präzisen Kriterien einer wirtschaftlichen Vergleichbarkeit kaum geeignet sind. Vielmehr sollte eine Adressierung in kapitalmarktrechtlichen Regelungszusammenhängen erfolgen.83
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MünchKomm/Heider4 Rdn 32; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 3. Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 11; dem folgend Hüffer/Koch11 Rdn 18. Dazu etwa Seibt ZGR 2010, 795, 824 ff mit zahlreichen Vorschlägen.
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c) Ausgabe von Zwischenscheinen (Abs 6). Aufgrund der kaum noch bestehenden wirtschaftlichen Bedeutung der Ausgabe von Zwischenscheinen (Rdn 210) ist die Regelung in Abs 6 verzichtbar und sollte – wie etwa im österreichischen Recht (Rdn 39) – aufgehoben werden.
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9. (Fehlende) Disponibilität. Die Regelungen in § 8 sind zwingendes Recht und können daher weder in der Satzung noch auf andere Weise abbedungen werden.
10. Verhältnis zu anderen Vorschriften. Der Regelungsgehalt von § 8 wird teilweise durch Sondervorschriften überlagert. Eine solche besteht für Investmentaktiengesellschaften mit veränderlichem Kapital, die in Abweichung von Abs 1 (Rdn 86 ff) nach § 109 Abs 1 Satz 2 und 3 KAGB nur Stückaktien verwenden dürfen. Zudem wird die Möglichkeit der freien Festsetzung der Höhe des Nennbetrags bei Nennbetragsaktien (Rdn 91 f) durch § 1 Abs 3 VW-Gesetz84 eingeschränkt, wonach abweichend von Abs 2 ein Höchstnennbetrag von 100 DM vorgesehen ist. 54 Der Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien in Abs 5 (Rdn 185 ff) wird durch den Ordnungswidrigkeitstatbestand des § 405 Abs 3 flankiert, wonach im Wesentlichen die fremdgesteuerte Stimmrechtsausübung verboten ist. Zudem steht dieser Grundsatz in einem Näheverhältnis zum sogenannten Proportionalitätsgrundsatz des § 12 Abs 1 (§ 12 Rdn 2 ff). 53
11. Alt- und Übergangsfälle a) Alt- und Übergangsfälle bis zur Einführung des Euro. Aufgrund der zahlreichen Währungsumstellungen seit der Einführung eines Mindestnennbetrags durch die Aktienrechtsnovelle 1884 (Rdn 16) können Aktien mit einer entsprechenden Vielfalt an Nennbeträgen zirkulieren. Dabei gilt im Grundsatz, dass einmal bereits ausgegebene Aktien ihre Gültigkeit behalten und eine Umstellung nur im Fall einer Kapitalmaßnahme erfolgen muss (§ 3 Abs 2 Satz 1 EGAktG). Soweit Vermögens- oder Verwaltungsrechte vor der Schaffung von Abs 5 56 (Rdn 185 ff) durch das Aktiengesetz 1937 von den Aktien verselbständigt wurden, bleiben diese wirksam und fallen nicht unter Abs 5. 55
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b) Einführung des Euro. Bei der Einführung des Euro wurde der Anwendungsbereich von § 8 – ähnlich wie bei § 6 (§ 6 Rdn 20 ff) – hinsichtlich des erstmaligen Ausweises der Nennbeträge in Euro auf vierfache Weise eingeschränkt, was auf die stufenweise Einführung des Euro für den elektronischen bzw den Bargeldverkehr zurückzuführen ist (Rdn 58 ff). Zudem sind besondere Verfahrenserleichterungen für die Umstellung der Nennbeträge in Euro vorgesehen (Rdn 62 ff).
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i) (Beschränkte) Möglichkeit der Beibehaltung des Nennbetragsausweis in Deutscher Mark. Aktiengesellschaften, bei denen die Eintragung schon vor dem 1. Januar 1999 erfolgte, dürfen den Nennbetrag der Nennbetragsaktien auch weiterhin in DM ausweisen (§ 3 Abs 2 Satz 1 EGAktG). Der fortwährende Ausweis des Nennbetrags in DM führt allerdings nicht dazu, dass dieser auch tatsächlich in DM besteht.85 Die Nennbetragsaktien verfügen vielmehr über einen Nennbetrag in Euro, der sich aus der Um-
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84 Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 21.7.1960 (BGBl I, 585). 85 Hüffer/Koch11 Rdn 13.
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rechnung des ausgewiesenen Betrages in DM ergibt. Dies gilt auch dann, wenn die Aktiengesellschaft eine Kapitalerhöhung durchgeführt hat, wenn diese bis zum 31. Oktober 2001 in das Handelsregister eingetragen wurde (§ 3 Abs 2 Satz 1 Hs 2 EGAktG). Bei allen anderen Kapitalerhöhungen müssen die neuen Aktien mit einem Nennbetrag in Euro ausgegeben werden, was dann auch eine Umstellung der Nennbeträge aller Aktien erfordert (§ 3 Abs 2 Satz 2 EGAktG). Zudem ist dann immer auch eine entsprechende Satzungsänderung erforderlich (§ 3 Abs 5 EGAktG). Schließlich können diese Aktiengesellschaften die Nennbeträge auch in Euro ausdrücken (§ 3 Abs 2 Satz 3 EGAktG), ohne dass dazu aber eine Pflicht besteht. Zur Umstellung Rdn 62 ff. Die in Rdn 58 dargestellten Grundsätze gelten auch für Aktiengesellschaften, die vor 59 dem 1. Januar 1999 zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet wurden und bei denen eine Eintragung bis zum 31. Oktober 2001 erfolgte (§ 3 Abs 2 Satz 1 EGAktG). Aktiengesellschaften, die erst nach dem 31. Oktober 1998 angemeldet wurden, deren 60 Eintragung bis zum 31. Oktober 2001 erfolgte und die vom Wahlrecht nach § 1 Abs 2 Satz 2 EGAktG (§ 6 Rdn 21) Gebrauch gemacht haben und ihr Grundkapital in Deutscher Mark ausweisen, müssen den Nennbetrag der Aktien in Euro ausweisen (§ 3 Abs 3 EGAktG). Für alle übrigen Aktiengesellschaften gilt § 8 uneingeschränkt (§ 3 Abs 1 EGAktG). 61 ii) Umstellung der Nennbeträge von Deutscher Mark in Euro. Darüber hinaus steht es allen für die Nennbetragsaktien noch einen Nennbetrag in Deutscher Mark verwendenden Aktiengesellschaften frei, eine Umstellung auf Euro durchzuführen. Bei der Umrechnung kann ein Betrag mit höchstens zwei Stellen hinter dem Komma verwendet werden, so dass der Rest gegebenenfalls zu runden ist (§ 3 Abs 4 Satz 2 EGAktG). Die Umrechnung führt dabei nicht zu einer Veränderung der Rechte der Aktionäre oder der Mehrheitsverhältnisse (§ 3 Abs 4 Satz 1 EGAktG). Für die Umstellung ist zudem eine Reihe von Verfahrenserleichterungen vorgesehen. So ist für die Umstellung der Nennbeträge in Euro lediglich ein Beschluss der Hauptversammlung mit einer einfachen Mehrheit erforderlich (§ 4 Abs 1 Satz 1 EGAktG). Ab dem 1. Januar 2002 kann zudem der Aufsichtsrat eine Fassungsänderung der Satzung durchführen (§ 4 Abs 1 Satz 2 EGAktG), für die dann das Verfahren nach § 181 gilt (§ 4 Abs 1 Satz 3 EGAktG). Zudem bedarf der Hauptversammlungsbeschluss auch nur der einfachen Mehrheit, wenn die durch die Umrechnung auf Euro entstandenen Beträge geglättet werden müssen, da diese nicht den Anforderungen von Abs 2 Satz 1 und 4 entsprechen (§ 4 Abs 1 Satz 1 Hs 1 EGAktG). Ist damit eine Herabsenkung verbunden, muss zudem die Hälfte des Grundkapitals vertreten sein (§ 4 Abs 2 Satz 1 Hs 2 EGAktG). Die Glättung kann dabei aber immer nur auf den nächsthöheren oder den nächstniedrigeren Eurobetrag erfolgen.86 Als Mittel zur Glättung kann dabei zwischen einer Veränderung des Aktiennennbetrages oder einer Neueinteilung gewählt werden (§ 4 Abs 3 Satz 1 EGAktG), wobei die Neueinteilung der Zustimmung der betroffenen Aktionäre bedarf (§ 4 Abs 3 Satz 2 EGAktG). Der praktisch häufig gewählte Weg ist die Umstellung im Rahmen einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln mit anschließendem Aktiensplitting, so dass der für einen Ausweis von vollen Eurobeträgen notwendige Erhöhungsbetrag aus Gesellschaftsmitteln verwendet wird, soweit entsprechende Rücklagen vorhanden sind.87 We-
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OLG Frankfurt v 5.11.2002 – 20 W 400/02 NZG 2003, 93 = AG 2003, 335; Hüffer/Koch11 Rdn 15. Dazu ausführlich Schröer ZIP 1998, 529, 531 mit Muster.
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niger kompliziert ist hingegen die Umstellung auf Stückaktien (Rdn 170 ff), da sich dann schon keine zu glättenden Beträge ergeben. II. Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Aktien Durch § 8 werden nur die Form und die Mindestbeträge für Aktien festgesetzt, ohne dass der Begriff der Aktie selbst definiert wird. Vielmehr findet sich der Begriff der Aktie in § 8 in unterschiedlicher Weise. Während er teilweise als Synonym für die Mitgliedschaft an der Aktiengesellschaft verwendet wird (Abs 5 – Rdn 185 ff), beziehen sich andere Regelungen auf die Verbriefung der Aktie (Abs 2 Satz 2 und 3 [Rdn 112 ff], Abs 3 Satz 4 [Rdn 112 ff], Abs 6 [Rdn 169]).88 Diese fehlende sprachliche Präzision hat allerdings keine unmittelbaren Auswirkungen. Durch die in § 8 eindeutig bestehende Bezugnahme auf Aktien bzw Zwischenscheine 67 (Abs 6) beschränkt sich auch dessen Anwendungsbereich auf diese, so dass sowohl alle übrigen Eigenkapitalinstrumente als auch alle anderen Fremdkapitalinstrumente von § 8 nicht erfasst werden. Daher gilt § 8 insbesondere nicht für Genussscheine und Schuldverschreibungen.
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III. Aktienformen und Bedeutung des Nennwerts 68
1. Begriff der Aktie. In Abs 1 wird der Begriff der Aktie verwendet, ohne dass dieser näher definiert wird. Auch in den übrigen aktienrechtlichen Regelungszusammenhängen fehlt es an einer Legaldefinition des Begriffs der Aktie. Auch wenn unter einer Aktie allgemein die verbriefte Mitgliedschaft an einer Aktiengesellschaft verstanden wird89, bezieht sich der Aktienbegriff in Abs 1 nur auf die Mitgliedschaft als solche und lässt wertpapierrechtliche Aspekte außen vor. Diese werden vielmehr durch § 10 und § 13 geregelt. 2. Aktienformen
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a) Nennbetragsaktien. Bei Nennbetragsaktien wird das Grundkapital der Aktiengesellschaft auf alle Aktien verteilt (§ 1 Abs 2 – § 1 Rdn 118 ff), so dass die Summe von deren Nennbeträgen der Höhe des Grundkapitals entspricht (Abs 4). Dieser Nennbetrag jeder einzelnen Nennbetragsaktie wird auch durch spätere Kapitalmaßnahmen nicht berührt. Eine Änderung des Nennbetrags ist nur durch Satzungsänderung möglich (Rdn 101 ff).
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b) Stückaktien. Auch bei Stückaktien erfolgt eine Zerlegung des Grundkapitals. Für die genaue Ausgestaltung muss die Stückaktie aber zunächst konzeptionell von der nennwertlosen Aktien (Rdn 71 ff) unterschieden werden, um die genaue Ausgestaltung der Stückaktie (Rdn 77) besser einordnen zu können.
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i) Nennwertlose Aktien. Nennwertlose Aktien sind im Verhältnis zu den Nennbetragsaktien (Rdn 69) ein verhältnismäßig junges Phänomen (Rdn 23 ff) und zeichnen sich generell dadurch aus, dass diese nicht auf einen ziffernmäßig festgelegten Eurobetrag lauten. Allerdings muss dabei zwischen echten nennwertlosen Aktien (Rdn 75 f) und unechten nennwertlosen Aktien (Rdn 72 ff) unterschieden werden.
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88 Ähnlich K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 2, die allerdings noch den Bruchteil am Grundkapital als eigenständige Kategorie annimmt. 89 So etwa Spindler/Stilz/Vatter3 § 10 Rdn 2.
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(1) Unechte nennwertlose Aktien. Bei den unechten90 nennwertlosen Aktien wird 72 dem Grundkapital lediglich eine bestimmte Gesamtzahl von Aktien zugewiesen, so dass auf jede nennwertlose Aktien ein bestimmter Anteil des Grundkapitals entfällt. Daher verzichten unechte nennwertlose Aktien auf eine bestimmte Betrags- oder Quotenangabe, auch wenn diesen dennoch ein bestimmter Teil des Grundkapitals zugewiesen wird („fiktiver Nennbetrag“).91 Daher werden diese unechten nennwertlosen Aktien auch teilweise als verdeckte Nennbetragsaktien92 bezeichnet. Im Verhältnis zur Nennbetragsaktie ist die unechte nennwertlose Aktien deutlich fle- 73 xibler und bietet vor allem bei Kapitalmaßnahmen eine Reihe von Verfahrenserleichterungen.93 Sie stellt daher inzwischen international die vorrangig verwendete Aktienform dar (Rdn 35 ff). Die höhere Flexibilität ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der fiktive Nennbetrag bei unechten nennwertlosen Aktien (Rdn 72) nicht auf volle Euro lauten muss (Rdn 153 ff) und damit keine sogenannten Spitzen (Rdn 93) entstehen können. Darüber hinaus ist bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln – im Gegensatz zur Rechtslage bei Nennbetragsaktien (Rdn 110) – keine Ausgabe neuer Aktien erforderlich, da sich die Erhöhung des Grundkapitals unmittelbar auf die begebenen unechten nennwertlosen Aktien auswirkt und sich deren fiktiver Nennbetrag (Rdn 72) automatisch erhöht. Weiterhin ist bei einer Kapitalherabsetzung eine Änderung der bestehenden unechten nennwertlosen Aktien nicht erforderlich, da sich bei unechten nennwertlosen Aktien der fiktive Nennbetrag (Rdn 72) durch die Kapitalherabsetzung und die gleichbleibende Anzahl von unechten nennwertlosen Aktien automatisch verringert. Schließlich ergeben sich auch beim Aktiensplitting (Rdn 101 ff) Erleichterungen, da die ausgegebenen Aktien durch einen solchen nicht unrichtig werden.94 Kein Unterschied und damit auch kein Vorteil bei der Ausgabe von unechten nennwertlosen Aktien besteht allerdings bei einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen, soweit neue Gesellschafter aufgenommen werden sollen, da sich dies in der Regel nur durch die Ausgabe junger Aktien erreichen lässt. Als Nachteile der unechten nennwertlosen Aktie gegenüber den Nennbetragsaktien 74 (Rdn 69) wurde vor allem während des Entstehens der nennwertlosen Aktien eine fehlende Transparenz der Beteiligungshöhe angegeben, aus der sich in Folge eine Täuschung des Anlagepublikums ergeben sollte.95 Diese Betrachtungsweise basiert allerdings auf einem sehr engen Verständnis kapitalmarktrechtlicher Zusammenhänge und vernachlässigt, dass der Nennwert einer Nennbetragsaktie keinerlei Auskunft über deren Wert geben kann (Rdn 84) und auch in keinem Verhältnis zu einer Dividendenerwartung steht, so dass eine mögliche Täuschung nicht nachvollziehbar ist. (2) Echte nennwertlose Aktien. Im Unterschied zu den unechten nennwertlosen 75 Aktien erfolgt bei den echten96 nennwertlosen Aktien keine Bezugnahme zum Grundka-
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90 Zur Unterscheidung zwischen echten und unechten nennwertlosen Aktien vgl grundlegend Coing/ Kronstein Die nennwertlose Aktie als Rechtsproblem, 2. Aufl 1962, S 113; dem folgend Ekkenga WM 1997, 1645, 1647; MünchKomm/Heider4 Rdn 21 f; Schröer ZIP 1997, 221, 223; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 3. 91 Diese Begrifflichkeit ebenfalls verwendend KK/Dauner-Lieb3 Rdn 6; MünchKomm/Heider4 Rdn 21; Hölters/Solveen2 Rdn 23; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5, 41; Heidel/Wagner4 Rdn 13; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 12; ebenso Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 10 f. 92 So etwa MünchHdbAG/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 18. 93 Claussen AG 1963, 237, 239; Kübler WM 1990, 1853, 1853 f; kritisch hingegen Ekkenga WM 1997, 1645, 1650, der von einer Ebenbürtigkeit mit der Nennbetragsaktie ausgeht. 94 So etwa Schupp AG 1958, 81, 85, der allerdings den Begriff Quotenaktie (Rdn 79) verwendet. 95 So vor allem Grussendorf AG 1960, 257 ff. 96 Zu dieser Begrifflichkeit siehe die Nachweise in Fn 92.
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pital, so dass es gerade nicht zu einem Ausweis eines fiktiven Nennbetrags (Rdn 72) kommt. Diese fehlende Bezugnahme lässt sich entweder durch den fehlenden Ausweis eines Grundkapital und damit durch einen (weitgehenden) Verzicht auf das Kapitalschutzsystem oder aber durch eine fehlende Zerlegung des Grundkapitals in Aktien (§ 1 Abs 2 – § 1 Rdn 118 ff) erreichen.97 Die bei den unechten nennwertlosen Aktien bestehenden Vorteile werden bei den 76 echten nennwertlosen Aktien noch erweitert. Dies gilt vor allem im Hinblick die Ausgabe neuer Aktien, da es bei echten nennwertlosen Aktien keine Unterpari-Emission (§ 9 Rdn 47 ff) gibt.98 Dadurch ist insbesondere im Rahmen einer Unternehmenssanierung kein Erfordernis für einen Kapitalschnitt gegeben, da die neuen Aktien zu einem Preis ausgegeben werden können, der dem späteren Wert dieser Aktien entspricht.99 Zudem besteht eine weitere Flexibilität hinsichtlich der bilanziellen Behandlung des bei der Aktienausgabe eingesammelten Kapitals, da dieses nicht mehr zwingend dem Grundkapital oder der Kapitalrücklage zugeschrieben werden muss. Vielmehr kann – wie etwa im finnischen Aktienrecht (Rdn 38) – die Unternehmensleitung darüber entscheiden, ob das frische Kapital so verbucht werden soll, dass es Ausschüttungsbeschränkungen unterliegen soll oder nicht. Schließlich gestattet ein System nennwertloser Aktien eine große Flexibilität bei Kapitalmaßnahmen, da junge Aktien – wie etwa im finnischen Aktienrecht (Rdn 38) – ohne eine Veränderung des Grundkapitals ausgegeben und umgekehrt Kapital ohne die Ausgabe junger Aktien eingeworben werden kann.100 Echte nennwertlose Aktien finden sich teilweise in den einzelstaatlichen Regelungen in den Vereinigten Staaten (Rdn 40) sowie in Finnland (Rdn 38). Zur umstrittenen Zulässigkeit echter nennwertloser Aktien im europäischen Gesellschaftsrecht Rdn 31. 77
ii) Stückaktie als unechte nennwertlose Aktien. Das Konzept der nennwertlosen Aktie wird in § 8 nur bedingt umgesetzt, so dass es sich bei den nach § 8 zugelassenen Stückaktien lediglich um unechte nennwertlose Aktien (Rdn 72 ff) handelt.101 Echte nennwertlose Aktien (Rdn 75 f) können nach deutschem Aktienrecht nicht ausgegeben werden, da sie unter Umständen den Vorgaben von Abs 3 Satz 3 (Rdn 158) widersprechen.102 Zur rechtspolitischen Diskussion Rdn 46 ff.
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c) Quotenaktien. Bei Quotenaktien handelt es sich um Aktien, bei denen die Mitgliedschaft des Aktionärs lediglich durch die Angabe eines Bruchteils an der Gesamtmitgliedschaft in der Aktie (z.Bsp. 1/100) ausgedrückt wird.103 Somit handelt es sich – ebenso wie bei der Stückaktie (Rdn 77) – um eine nennwertlose Aktie. Der Unterschied zur unechten nennwertlosen Aktie (Rdn 72) besteht dabei darin, dass sich diese auf das Grundkapital bezieht, während Quotenaktien ohne jeden Bezug zu einem Grundkapital auskommen. Von der echten nennwertlosen Aktie (Rdn 75 f.) unterscheidet sich die Quotenaktie durch die Bezugsgröße für die quotale Beteiligung des Aktionärs an der Gesellschaft. Während sich die Beteiligungsquote für die Stückaktie aus der in der Satzung
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97 Claussen AG 1963, 237, 239; Ekkenga WM 1997, 1645, 1647; MünchKomm/Heider4 Rdn 22; Schröer ZIP 1997, 221, 223; Schupp AG 1958, 81, 84 f; grundlegend Berle 25 Columbia Law Review 43 (1924-1925). 98 Boesebeck DB 1959, 309, 314; Claussen AG 1963, 237, 238 f. 99 Dazu Kübler WM 1990, 1853, 1853 f. 100 Dazu bereits Boesebeck DB 1959, 309, 313; Claussen AG 1963, 237, 238 f. 101 So ausdrücklich RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 2; MünchKomm/Heider4 Rdn 21; KK/DaunerLieb3 Rdn 6; MünchHdbAG/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 18; Heidel/Wagner4 Rdn 13. 102 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 6; Heidel/Wagner4 Rdn 14. 103 Vgl nur Ekkenga WM 1997, 1645, 1647; MünchKomm/Heider4 Rdn 24; Hüffer/Koch11 Rdn 2; Heidel/ Wagner4 Rdn 3.
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angegebenen Gesamtzahl der existierenden Stückaktien ergibt, weist die Quotenaktie diese Beteiligungsgröße selbst aus.104 Diese in der Aktie selbst angegebene Beteiligungsquote macht es erforderlich, die Quotenaktien bei einer nominellen Kapitalerhöhung oder -herabsetzung insgesamt einzuziehen und mit der neuen Beteiligungsquote auszugeben.105 Dieses Problem lässt sich allerdings durch eine Globalverbriefung und einen Ausschluss des Anspruchs auf Einzelverbriefung (§ 10 Abs 5 – § 10 Rdn 202 ff) lösen.106 Unabhängig von diesen (vermeidbaren) praktischen Schwierigkeiten im Umgang mit Quotenaktien ergibt sich für das deutsche Aktienrecht ohnehin ein Verbot der Ausgabe von Quotenaktien, da diese Form in Abs 1 nicht erwähnt wird und die dortige Aufzählung abschließend ist (Rdn 86).107 d) Spartenaktien (tracking stocks). Der quotale Ausweis der Beteiligung an einer Ak- 79 tiengesellschaft kann im Ergebnis wirtschaftlich auch durch sogenannte Spartenaktien (tracking stocks) erreicht werden. Diese im deutschen Aktienrecht nicht ausdrücklich geregelte Aktienform drückt ebenfalls eine quotale Beteiligung an der Aktiengesellschaft aus, bezieht sich allerdings nur auf einen bestimmten Geschäftsbereich der Aktiengesellschaft.108 Da die Spartenaktien besondere Rechte begründen, bilden diese eine eigene Gattung (§ 11 Rdn 59 ff). Bezugsgröße für die Spartenaktien (tracking stocks) ist daher nicht wie bei den Nennbetragsaktien (Rdn 69) oder wie bei den Stückaktien das Grundkapital bzw die absolute Anzahl der existierenden Aktien (Rdn 71), sondern ein in der Satzung definierter und abgrenzbarer Geschäftsbereich der Aktiengesellschaft. Der Umfang der Beteiligung an diesem Geschäftsbereich ergibt sich dann in der Regel – wie bei den Stückaktien (Rdn 77) – aus der Anzahl der existierenden Spartenaktien. Auch wenn Spartenaktien nicht ausdrücklich in Abs 1 genannt werden, ist diese Gestaltungsform grundsätzlich zulässig.109 Dabei können Spartenaktien sowohl als Nennbetrags- als auch als Stückaktien ausgestaltet werden, da sich die Bezugnahme auf einen bestimmten Geschäftsbereich der Aktiengesellschaft bei beiden Aktienformen erreichen lässt. Daher müssen bei Spartenaktien auch die Anforderungen von Abs 2 (Rdn 91 ff) und Abs 3 (Rdn 153 ff) beachtet werden. e) Zwischenscheine. Zudem können nach deutschem Aktienrecht auch Zwischen- 80 scheine ausgegeben werden, ohne dass die in Abs 1 bestehende Wahlmöglichkeit darauf einen Einfluss hat, da die Zwischenscheine selbständig in Abs 6 geregelt werden. Zu den Zwischenscheinen ausführlich Rdn 209 ff. f) Sonstige Aktienformen. Die durch § 8 vorgegebene Unterscheidung zwischen 81 verschiedenen Aktienformen bezieht sich nur auf die Bestimmung des quotalen Anteils der Aktie am Grundkapital der Aktiengesellschaft und lässt andere Unterscheidungs-
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104 Darauf hinweisend Claussen AG 1963, 237, 239; Ekkenga WM 1997, 1645, 1647; Kübler WM 1990, 1853; Jahr/Stützel, Aktie ohne Nennbetrag, S 14 f; hingegen Quoten- und Stückaktien weitgehend als Synonyme verwendend Neuburger BB 1961, 1356; Schupp AG 1958, 81, 84; Siebel ZKW 1954, 92; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 3. 105 Dazu Ekkenga WM 1997, 1645, 1649; Schröer ZIP 1997, 221, 224. 106 Darauf hinweisend Ekkenga WM 1997, 1645, 1649. 107 Heidel/Wagner4 Rdn 4, 15; MünchHdbAG/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 16; wohl auch MünchKomm/ Heider4 Rdn 24. 108 Zur allgemeinen Definition von Spartenaktien (tracking stocks) vgl Baums FS Boujong, 1996, S 19 ff; Brauer AG 1993, 324 ff; Friedl BB 2002, 1157 ff; Fuchs ZGR 2003, 167 ff; ders FS Immenga, 2004, S 589, 590 f; Sieger/Hasselbach BB 1999, 1277 ff; dies, AG 2001, 391 ff. 109 Baums FS Boujong, 1996, S 19, 27 ff; Brauer AG 1993, 324, 334; Friedl BB 2002, 1157 ff; Fuchs ZGR 2003, 167, 182 ff; Sieger/Hasselbach AG 2001, 391, 392 ff.
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merkmale unberührt. Daher können die nach Abs 1 zulässigen Nennbetrags- und Stückaktien sowie die Zwischenscheine auch mit anderen Merkmalen kombiniert werden. Dies gilt vor allem für die Frage des (fehlenden) Ausweises des Inhabers der Aktie (§ 10 Rdn 132 ff), der durch die Aktie vermittelten Stimmrechte (§ 12 Rdn 51 ff) und sonstiger Gattungsmerkmale (§ 11 Rdn 59 ff). 3. Verhältnis des Nennwerts zu anderen Größen 82
a) Nennwert des Grundkapitals. Der Nennwert der Nennbetragsaktien bzw der fiktive Nennwert der Stückaktien steht in einem unmittelbaren Verhältnis zum Nennwert des Grundkapitals. Die Summe der einzelnen Nennbeträge aller Aktien muss immer dem Nennwert des Grundkapitals entsprechen, um der in § 1 Abs 2 (§ 1 Rdn 118 ff) angeordneten Zerlegung des Grundkapitals in Aktien zu entsprechen. Dies gilt auch für Stückaktien, bei denen der fiktive Nennwert aber lediglich das Ergebnis einer Teilung des Grundkapitals der Aktiengesellschaft durch die bestehende Anzahl von Stückaktien ist. Diese Grundsätze für Nennbetrags- und Stückaktien sind letztlich auch in Abs 4 festgehalten, auch wenn sie dort umgekehrt formuliert sind (Rdn 184).
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b) Unternehmenswert und Abfindung. Kein Zusammenhang besteht zwischen dem Nennwert und dem Unternehmenswert bzw dem einzelnen Abfindungsanspruch eines Aktionärs. Dies ergibt sich schon aus dem Umstand, dass das Grundkapital der Aktiengesellschaft für die Ermittlung des Unternehmenswertes keine Rolle spielt. Dieser fehlende Zusammenhang setzt sich dann bei der auf dem Unternehmenswert aufbauenden Abfindungshöhe fort.
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c) Börsenkurs der Aktie. In keinem Verhältnis steht schließlich der Nennwert oder der fiktive Nennwert zum Börsenkurs der Aktie. Daher kann der Börsenkurs auch geringer oder höher als der Nennwert ausfallen, ohne dass damit unmittelbare rechtliche Folgen verknüpft sind.
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d) Kaufpreis der Aktie. Schließlich besteht auch zwischen einem Kaufpreis einer (nicht börslich gehandelten) Aktie und dem (fiktiven) Nennbetrag kein Zusammenhang. Der Kaufpreis orientiert sich in der Regel an dem tatsächlichen Wert der Aktie, auf den der (fiktive) Nennbetrag keinen Einfluss hat (Rdn 72). IV. Wahlrecht zwischen Nennbetrags- und Stückaktien (Abs 1)
Grundsätzlich existiert eine Reihe verschiedener Aktienformen (Rdn 68 ff), um eine quotale Beteiligung an der Aktiengesellschaft auszudrücken (für sonstige Unterscheidungsmerkmale § 11 Rdn 59 ff). Abs 1 lässt allerdings nur zwei Formen zu, zwischen denen die Gründer einer Aktiengesellschaft bzw die Aktionäre bei einer späteren Satzungsänderung wählen können (Rdn 140 ff). Das nach Abs 1 bestehende Wahlrecht muss zunächst von den Gründern der Gesell87 schaft ausgeübt werden, da die Aktienform zwingender Bestandteil der Satzung ist (§ 23 Abs 3 Nr 4). Dabei unterliegen die Gründer keinerlei inhaltlichen Vorgaben, so dass sie sich ohne Einschränkungen für die eine oder andere Aktienform entscheiden können.110 Eine
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110 Ebenso Hölters/Solveen2 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 8; Grigoleit/Vedder Rdn 4; K. Schmidt/ Lutter/Ziemons3 Rdn 5.
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Ausnahme vom Grundsatz der Wahlfreiheit gilt allerdings für Investmentaktiengesellschaften mit veränderlichem Kapital, da diese nach § 109 Abs 1 Satz 2 und 3 KAGB nur Stückaktien verwenden dürfen. Darüber hinaus bleibt es den Aktionären unbenommen, das Wahlrecht später ge- 88 genteilig auszuüben.111 Daher besteht weder ein Recht noch ein in sonstiger Weise schützenswertes Interesse der Aktionäre an der Beibehaltung einer bestimmten Aktienform.112 Eine später erfolgende gegenteilige Ausübung des Wahlrechts kann nur durch eine Änderung der Satzung erfolgen und bedarf immer einer entsprechenden Beschlussfassung der Hauptversammlung (§ 179), so dass der Vorstand und/oder der Aufsichtsrat allein diese Entscheidung nicht herbeiführen können. Bei dem Wechsel von Nennbetrags- zu Stückaktien oder umgekehrt handelt es sich insbesondere auch nicht um eine bloße Änderung der Fassung der Satzung nach § 179 Abs 1 Satz 2, so dass diese Entscheidung von der Hauptversammlung nicht auf den Aufsichtsrat übertragen werden kann. Zu den Einzelheiten für den Übergang von Nennbetrags- auf Stückaktien und umgekehrt Rdn 141 ff und 171 ff. Das Wahlrecht ist zudem so auszuüben, dass die Aktiengesellschaft nur noch über 89 Nennbetrags- oder Stückaktien verfügt. Ein Nebeneinander beider Aktienarten ist nach dem Willen des Gesetzgebers113 – ebenso wie in den meisten ausländischen Rechtsordnungen (Rdn 35 ff) – ausgeschlossen.114 Daher ist für eine Kapitalerhöhung immer die Aktienform maßgeblich, die in der Satzung angegeben ist, so dass es auch keiner ausdrücklichen Benennung der Aktienform im Kapitalerhöhungsbeschluss bedarf.115 Die fehlende Möglichkeit des Nebeneinander beider Aktienformen kommt auch im Wortlaut von Abs 1 zur Geltung („… entweder … oder …“). Hintergrund dieses Verbots des Nebeneinanders beider Aktienarten soll die Sicherung einer hinreichenden Klarheit und Praktikabilität sein.116 Diese Argumentation erscheint allerdings fragwürdig. Zum einen kann sie bei Aktiengesellschaften mit wenigen Aktionären kaum überzeugen und zum anderen kann eine hinreichende Transparenz und Klarheit ohne weiteres hergestellt werden. Zudem entsprechen die Anforderungen an Stückaktien nur bedingt dieser angeordneten Alternativität, da der Gesetzgeber bei den Stückaktien nicht auf einen fiktiven Mindestnennbetrag verzichtet hat (Abs 3 Satz 3 – Rdn 169). Das Verbot des Nebeneinanders beider Aktienarten stellt vor allem für Aktiengesellschaften ein Problem dar, die bereits vor der Schaffung des Stückaktiengesetzes (Rdn 25) gegründet wurden, da eine vollständige Umstellung von Nennbetrags- auf Stückaktien häufig Schwierigkeiten bereitet bzw mit hohen Kosten verbunden ist (Rdn 141 ff). Die fehlerhafte Ausübung des Wahlrechts bei der Gründung der Aktiengesell- 90 schaft (Rdn 113 ff) ist unbeachtlich, soweit die Aktiengesellschaft im Handelsregister eingetragen wird, da sie dann in Vollzug gesetzt wurde und die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft zur Anwendung kommen. Wurde das Wahlrecht erst nach der Gründung der Aktiengesellschaft durch einen Beschluss der Hauptversammlung (Rdn 116 ff) fehlerhaft ausgeübt, gelten die allgemeinen Grundsätze für fehlerhafte Satzungsänderungen. Für den Übergang von Nennbetrags- zu Stückaktien und umgekehrt Rdn 141 ff und 171 ff.
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111 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 4. 112 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 4; Ihrig/Streit NZG 1998, 201, 206. 113 Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 11, 14. 114 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 2; MünchKomm/Heider4 Rdn 43; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Hölters/Solveen2 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 8; Grigoleit/Vedder Rdn 4; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 4. 115 BGH v 18.5.2009 – II ZR 262/07, Z 181, 144 Tz 23 = NZG 2009, 986; MünchKomm/Heider4 Rdn 43; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 8, 47. 116 Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 11, 14; zweifelnd Hüffer/Koch11 Rdn 4.
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V. Ausgabe von Nennbetragsaktien (Abs 2) 1. Anforderungen an den Nennbetrag von Nennbetragsaktien a) Freie Festsetzung des Nennbetrags als Ausgangspunkt. Entscheiden sich die Gründer der Aktiengesellschaft zur Ausgabe von Nennbetragsaktien, muss die Summe der Nennbeträge aller Aktien mit dem Grundkapital übereinstimmen, da das Grundkapital der Aktiengesellschaft in Aktien zerlegt ist (§ 1 Abs 2). Daher ergibt sich aus der Höhe des Grundkapitals und des Nennbetrags der Nennbetragsaktien immer zugleich die Anzahl der auszugebenden Aktien.117 Solange dem entsprochen wird, kann die Höhe der Nennbeträge in der Satzung (§ 23 Abs 3 Nr 4) frei festgesetzt werden.118 Zu beachten ist allerdings, dass der Mindestnennbetrag nicht unterschritten werden darf (Rdn 95), dieser auf volle Euro lauten muss (Rdn 96 ff) und die Festsetzung auch nicht treuwidrig erfolgen darf (Rdn 99 f). Der Mindestnennbetrag kann auch später wieder geändert werden (Rdn 101 ff). Zu den Folgen eines Verstoßes gegen diese Vorgaben Rdn 112 ff. Zu den ökonomischen Hintergründen für die Festsetzung des konkreten Nennbetrags Rdn 93 f. Für spezialgesetzliche Ausnahmen von diesen Grundsätzen Rdn 53. Die Festsetzung höherer Nennbeträge muss nicht bei allen Aktien auf die gleiche 92 Weise erfolgen, so dass eine Aktiengesellschaft über Aktien mit verschiedenen Nennbeträgen verfügen kann (arg. § 23 Abs 3 Nr 4 „die Zahl der Aktien jeden Nennbetrags“ – § 23 Rdn 155 f).119 Dem steht vor allem auch nicht das Gleichbehandlungsgebot (§ 53a) entgegen. Allerdings kann sich die Festsetzung erheblich abweichender Nennbeträge bei einer Kapitalerhöhung als treuwidrig darstellen (Rdn 99). Verschiedene Nennbeträge begründen keine eigenständigen Gattungen im Sinn von § 11.120 91
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b) Motive für die Festsetzung eines konkreten Nennbetrags. Die Ausübung des Wahlrechts des Abs 1 und die Festsetzung des Nennbetrags bei Nennbetragsaktien bzw des fiktiven Nennbetrags bei Stückaktien (Rdn 72) ist aus ökonomischen Gründen nicht klar vorgegeben. Insofern lässt sich lediglich feststellen, dass die Festsetzung eines zu hohen Nennbetrags vor allem kleinere Anleger abschrecken kann, was aus rationaler Sicht allerdings nur dann der Fall sein kann, wenn die Nennbeträge das typischerweise bestehende Investitionsvolumen eines Kleinanlegers in eine Aktie übersteigen. Soweit die Gründer auf Kleinanleger fokussiert sind, ist daher die Festsetzung entsprechend geringer Nennbeträge angezeigt.121 Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass diese Überlegung aufgrund der stetig abnehmenden Zahl von Kleinaktionären in Deutschland und der zunehmenden Rolle von Finanzintermediären an Bedeutung verliert. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass mit einer Festsetzung entsprechend geringer Nennbeträge auch die absolute Anzahl von Aktionären ansteigen kann.122 Dies führt typischerweise zu einem Anstieg der Kosten für die Durchführung der Hauptversammlung123 und der
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117 Für die Folgen eines Abweichens siehe § 7 Rdn 51 ff. 118 MünchKomm/Heider4 Rdn 48; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 10; Bayer/Habersack/Noack Aktienrecht im Wandel – Band II, Kap. 11 Rdn 63; Hölters/Solveen2 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 15. 119 MünchKomm/Heider4 Rdn 48; Noack, in: Bayer/Habersack Aktienrecht im Wandel – Band II, Kap. 11 Rdn 63; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 16; Grigoleit/Vedder Rdn 8; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 6. 120 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 7; Bayer/Habersack/Noack Aktienrecht im Wandel – Band II, Kap. 11 Rdn 63 (Fn 85). 121 Ebenso MünchKomm/Heider4 Rdn 48. 122 Insofern ein Interesse der Aktiengesellschaft an der Vermeidung von Kleinstaktionären annehmend K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8; ähnlich MünchKomm/Heider4 Rdn 58. 123 Ähnlich Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 3.
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Bewältigung von Beschlussmängelklagen, auch wenn letzterer Aspekt durch die Einführung des Freigabeverfahrens und die dort vorgesehen Mindestquoren (§ 246a, § 16 Abs 3 UmwG) teilweise entschärft wurde. Insofern ergeben sich aus der Wahl kleinerer oder größerer Nennbeträge keine unbedingt zwingenden unmittelbaren Vor- oder Nachteile. Soweit die Aktiengesellschaft börsennotiert ist, besteht aber eine Gefahr der Festset- 94 zung zu großer Nennbeträge. Kursveränderungen werden bei kleineren Stückelungen von Aktien typischerweise stärker wahrgenommen als bei größeren Stückelungen, auch wenn die Wertentwicklung in beiden Fällen absolut gesehen gleichbleibt. Diese Erkenntnis der behavioral finance ist letztlich die Grundlage für die immer wieder zu beobachtenden Aktiensplittings (Rdn 102 ff), die typischerweise dann vorgenommen werden, wenn der Börsenkurs einen Wert erreicht hat, der bei den übrigen Marktteilnehmern nicht oder nur selten vorzufinden ist. Zwar steht der Nennbetrag bei Nennbetragsaktien bzw der fiktive Nennbetrag bei Stückaktien (Rdn 72) in keinem unmittelbaren Verhältnis zum Börsenkurs (Rdn 84). Allerdings erfordert die Festsetzung eines relativ hohen Nennwerts bzw die Ausgabe einer relativ geringen Anzahl von Stückaktien später häufig ein Aktiensplitting, das mit Zusatzkosten verbunden ist (Rdn 102 ff). Umgekehrt ist die Festsetzung zu kleiner Nennbeträge ebenfalls kritisch zu betrachten, da dann bei einem Aktiensplitting möglicherweise relativ schnell die Grenze des Mindestnennbetrags nach Abs 2 Satz 1 erreicht werden kann, so dass ein Aktiensplitting nicht möglich ist. c) Mindestnennbetrag von einem Euro (Abs 2 Satz 1). Der Mindestnennbetrag von 95 Nennbetragsaktien beträgt nach Abs 2 Satz 1 einen Euro, und zwar sowohl bei der erstmaligen Ausgabe von Aktien als auch bei der Ausgabe aufgrund einer Kapitalerhöhung. Aus der Festlegung des Mindestnennbetrags auf einen Euro ergibt sich zugleich die Untergrenze für die Einlagepflicht, da eine Aktie nach § 9 Abs 1 für einen geringeren Betrag nicht ausgegeben werden darf (Verbot der Unter-pari-Emission – § 9 Rdn 47 ff). Die Mindestnennbeträge müssen nicht für alle Aktien gleich festgesetzt werden (Rdn 92). Zu den Folgen einer Verletzung der Vorgaben von Abs 2 Satz 1 Rdn 112 ff. d) Erfordernis der Festsetzung des Nennbetrags auf volle Euro (Abs 2 Satz 4). 96 Bei einer Festsetzung eines höheren Nennbetrags der Nennbetragsaktien (zur wirtschaftlichen Bedeutung der Festsetzung höherer Nennbeträge Rdn 93) muss immer ein Betrag auf volle Euro genutzt werden (Abs 2 Satz 4), was vor allem nach Strukturmaßnahmen oftmals nicht erreicht werden kann. Die dann den vollen Eurobetrag übersteigenden Nennbeträge werden als Spitzen bezeichnet, die sich nur durch eine nachträgliche Änderung des Nennbetrags vermeiden lassen (Rdn 101 ff). Zu den Folgen einer Verletzung der Vorgaben von Abs 2 Satz 1 Rdn 112 ff. Allerdings gebietet die Treuepflicht eine weitgehende Vermeidung der Entstehung 97 von Spitzen durch die Herabsetzung oder generelle Anpassung der Stückelung bei Kapitalmaßmaßnahmen. Wird diesen Anforderungen – bis hin zur Ein-Euro-Grenze des Abs 2 Satz 1 (Rdn 95) – nicht entsprochen, kann der der jeweiligen Strukturmaßnahme zugrundeliegende Hauptversammlungsbeschluss nach § 243 anfechtbar sein. 124 Denn letztlich gibt es kein schützenswertes Interesse einer Aktiengesellschaft oder der von den
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124 BGH v 5.7.1999 – II ZR 126/98 (Hilgers), Z 142, 167, 170 f = NZG 1999, 1159; LG Berlin v 13.11.1995 – 99 O 126/95, AG 1996, 230, 231; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 2; Hirte, WuB II A. § 229 AktG 1.00; Hölters/Solveen2 Rdn 11; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 20 f; grundsätzlich auch MünchKomm/Heider4 Rdn 59 f; im Grundsatz auch OLG Dresden v 30.3.2006 – 2 U 179/06, AG 2006, 671; kritisch (hinsichtlich der Begründung) Krieger ZGR 2000, 885, 902 ff; aA Vetter AG 2000, 193, 206.
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Spitzen nicht betroffenen Aktionären an einer Beibehaltung eines bestimmten Nennbetrags. Hinzu kommt, dass der Regelungszweck des Abs 2 Satz 4 ohnehin äußerst fragwürdig erscheint (Rdn 96) und einen entsprechenden Eingriff in die Aktionärsrechte nicht rechtfertigen kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umwandlungsrecht, auch wenn dieses einen Ausgleich von Spitzen durch bare Zuzahlungen ausdrücklich regelt (§ 15 UmwG)125, da aus dem bloßen Bestehen einer solchen Regelung nicht darauf geschlossen werden kann, dass der Entstehung solcher Spitzen keine Grenzen gesetzt sind. Im Ergebnis sind die Nennbeträge daher so anzupassen, dass die Spitzen grundsätzlich vermieden werden. Eine Anfechtbarkeit wegen Verstößen gegen die Treuepflicht ist aber ausgeschlossen, wenn die betroffenen Aktionäre individuell zustimmen. Zur Problematik der treuwidrigen Festsetzung von Nennbeträgen Rdn 99 f. Zu den Folgen einer Verletzung der Treuepflicht Rdn 97. Die in Rdn 97 dargestellten Grundsätze gelten auch für die Kapitalerhöhung aus 98 Gesellschaftsmitteln, auch wenn bei dieser Teilrechte (§ 213), nicht aber Spitzen entstehen können.126 Denn auch in diesem Zusammenhang gilt, dass aus dem bloßen Bestehen einer gesetzlichen Regelung noch keine Aussage über die generelle Zulässigkeit der Bildung derartiger Teilrechte abgeleitet werden kann.127 99
e) Treuwidrige Festsetzung zu hoher Nennbeträge. Der Nennbetrag bei einer Kapitalerhöhung darf für die jungen Aktien zudem nicht zu hoch festgesetzt werden, da dies zu einem sogenannten kalten Bezugsrechtsausschluss führen kann. Ein zu hoher Nennbetrag macht es den Minderheitsaktionären häufig unmöglich, sich an einer Kapitalerhöhung zu beteiligen. Erfolgt dennoch eine solche Festsetzung, ist der Hauptversammlungsbeschluss wegen Verstoßes gegen die Treuepflicht anfechtbar (§ 243 Abs 1).128 Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, dass es für die Festsetzung hoher Nennbeträge keine wirklich zwingenden Gründe gibt (Rdn 93 f), so dass der Eingriff in die Rechtsposition der Minderheitsaktionäre nicht zu rechtfertigen ist.129 Die Schwelle für eine Treuwidrigkeit der Festsetzung ist aber erst dann erreicht, wenn die Nennbeträge der jungen Aktien erheblich von denjenigen der bereits existierenden Aktien abweichen, was typischerweise erst bei einem mehrfachen Überschreiten der Fall ist. Werden die Aktien zum Mindestnennbetrag von einem Euro ausgegeben scheidet eine Verletzung der Treuepflicht in jedem Fall aus, da die Aktiengesellschaft diesen aufgrund von Abs 2 Satz 1 (Rdn 95) nicht unterschreiten darf.130 Zudem ist in einem solchen Fall ein kalter Bezugsrechtsausschluss schon nicht denkbar. Zu den Folgen einer Verletzung der Treuepflicht Rdn 97. Diese Grundsätze lassen sich auch auf eine Kapitalerhöhung aus Gesellschafts100 mitteln übertragen, so dass es auch bei einer solchen treuwidrig sein kann, wenn durch die Festsetzung zu hoher Nennbeträge in großem Umfang Teilrechte (§ 213) entstehen.131
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125 In diese Richtung aber Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 21. 126 MünchKomm/Heider4 Rdn 61; Hölters/Solveen2 Rdn 11; aA Fett/Spiering NZG 2002, 358, 362 f; Hüffer/Koch11 § 213 Rdn 1; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 21; Vetter AG 2000, 193, 197 f. 127 Tendenziell anders aber Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 21. 128 BGH v 5.7.1999 – II ZR 126/98 Z 142, 167, 170 f = NZG 1999, 1159; ebenso für eine Anfechtbarkeit KK/ Dauner-Lieb3 Rdn 10; Grigoleit/Vedder Rdn 8; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7; wohl auch Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 20 f. 129 Abweichend K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8, die insofern ein Interesse der Aktiengesellschaft an der Vermeidung von Kleinstmitgliedschaften annimmt. 130 Ähnlich Vetter AG 2000, 193, 201 ff; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7 (Minimierung des Anfechtungsrisikos). 131 AA Vetter AG 2000, 193, 206; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8.
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Denn auch wenn durch § 213 Abs 1 ausdrücklich angeordnet wird, dass diese Teilrechte selbständig veräußerlich und vererblich sind, kann es durch die Entstehung dieser Teilrechte zu einer Verringerung der quotalen Beteiligung des einzelnen Aktionärs kommen. Eine Treuwidrigkeit ist aber auch in diesem Zusammenhang ausgeschlossen, wenn die bereits existierenden Nennbeträge verwendet werden, da es dann an einem schützenswertem Interesse der Aktionäre fehlt.132 Soweit der Mindestnennbetrag von einem Euro verwendet wird, ist eine Treuwidrigkeit aufgrund einer nicht denkbaren Beeinträchtigung der Aktionäre ausgeschlossen. f) Nachträgliche Änderung des Nennbetrags. Die Festsetzung der Nennbeträge 101 der Aktien in der Satzung ist einer späteren Änderung zugänglich. Dabei kommt neben einer Teilung (Rdn 102 ff) und der Vereinigung von Aktien (Rdn 105 ff) bzw einer Kombination beider Maßnahmen133 eine Veränderung durch Kapitalmaßnahmen (Rdn 110 f) in Betracht. Für einen Wechsel von Nennbetrags- zu Stückaktien ausführlich Rdn 171 ff. i) Teilung (Aktiensplitting). Nennbetragsaktien können zunächst geteilt werden 102 (sogenanntes Aktiensplitting), was meist einer Vorbereitung von Umwandlungsmaßnahmen dient oder aber kapitalmarktpsychologische Gründe (Rdn 94) haben kann. Dabei wird der Nennbetrag einer Nennbetragsaktie auf mehrere Aktien verteilt. Dafür erforderlich ist eine Satzungsänderung134 mit einer entsprechenden Mehrheit (§ 179 Abs 2), da die Nennbeträge der Nennbetragsaktien in der Satzung (neu) angegeben werden müssen (Rdn 91). Das Aktiensplitting ist allerdings nur zulässig, wenn die neuen Nennbeträge den allgemeinen Anforderungen von Abs 2 entsprechen (Rdn 95 ff). Keine Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das Teilungsverbot nach Abs 5 (Rdn 185 ff). Eine individuelle Zustimmung des Inhabers der Nennbetragsaktie ist hingegen 103 grundsätzlich nicht notwendig, da die mitgliedschaftliche Position des Aktionärs durch das Aktiensplitting nicht berührt wird.135 Denn sein relativer Anteil an der Aktiengesellschaft bleibt gleich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den im Aktienrecht inzwischen vielfach vorgesehenen Mindestquoren für die Ausübung bestimmter Aktionärsrechte (§§ 142 Abs 2 Satz 1, 147 Abs 2 Satz 2, 148 Abs 1 Satz 1, 246 Abs 2 Nr 2; § 16 Abs 3 Satz 3 Nr 2 UmwG), da diese an eine relative (Gesamt-)Beteiligung und nicht an einen bestimmten Mindestnennbetrag der einzelnen Aktien anknüpfen. Eine individuelle Zustimmung der Aktionäre ist nur dann notwendig, wenn mit der Änderung des Nennbetrags kein die quotale Beteiligung wahrender Umtausch der Nennbetragsaktien verbunden ist (zB Reduzierung des Nennbetrags von 5,00 Euro auf 2,00 Euro136). In diesem Fall müssen die Aktionäre, die durch die Nennbetragsänderung eine Beeinträchtigung ihrer Beteiligungsquote erfahren, dem Aktiensplitting einzeln zustimmen.137 Die übrigen Aktionäre, deren quotale Beteiligung durch diese Maßnahme nicht berührt wird, müssen hingegen nicht einzeln zustimmen. Fehlt es an der Zustimmung, ist der Hauptversammlungsbeschluss zur Satzungsänderung unwirksam, so dass eine Eintragung im Handels-
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132 Ebenso K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8. 133 Für die Zulässigkeit der Kombination vgl MünchKomm/Heider4 Rdn 49; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 16; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 29; Heidel/Wagner4 Rdn 9; Zöllner AG 1985, 19, 24 f. 134 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 12; MünchKomm/Heider4 Rdn 54; Seibert AG 1993, 315, 317; Zöllner AG 1985, 19, 20 f. 135 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 12; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 27; Heidel/Wagner4 Rdn 9; Zöllner AG 1985, 19, 20 f. 136 Mit diesem Beispiel K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 32. 137 Ebenso Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 27; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 32; aA und eine Zustimmung generell ablehnend KK/Dauner-Lieb3 Rdn 12; Hüffer/Koch11 Rdn 27.
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register nicht erfolgen darf (§ 38). Erfolgt die Eintragung gleichwohl, ist die Satzungsänderung zunächst wirksam. Die Fehlerhaftigkeit kann später nach den allgemeinen Grundsätzen geltend gemacht werden. 104 Durch die dem Aktiensplitting zugrundeliegende Satzungsänderung werden die bisherigen Aktienurkunden unrichtig, bleiben aber uneingeschränkt wirksam, so dass die Mitgliedschaftsrechte uneingeschränkt ausgeübt werden können. Die unrichtigen Urkunden können dann in neue Aktien (mit dem neuen Nennbetrag) umgetauscht werden. Die Aktiengesellschaft kann die alten Aktienkunden allerdings nicht für kraftlos erklären (arg. § 73 Abs 1 Satz 2), so dass die bisherigen Aktienurkunden weiter genutzt werden können, dann aber entsprechend als Mehrfach- oder Sammelurkunden mehrere Mitgliedschaften verbriefen.138 Da die Einzelverbriefung in der Regel aber ohnehin ausgeschlossen ist (§ 10 Rdn 34 ff), erfordert der Aktiensplitting nach der Satzungsänderung lediglich eine Umbuchung der Aktien. ii) Vereinigung (reverse split). Nennbetragsaktien können auch vereinigt werden, so dass aus mehreren – bis dahin rechtlich selbständigen – Nennbetragsaktien eine oder eine geringere Anzahl neuer Nennbetragsaktien mit einem entsprechend höheren Nennbetrag wird. Ebenso wie bei der Teilung von Nennbetragsaktien (Rdn 102 ff) bedarf auch diese Maßnahme lediglich einer Satzungsänderung mit entsprechender Mehrheit (§ 179 Abs 2).139 Der Vereinigung mehrerer Nennbetragsaktien sind keine Grenzen gesetzt, so dass 106 der neue Nennbetrag – unter Beachtung der Vorgaben von Abs 2 Satz 1 (Rdn 95) und Abs 2 Satz 4 (Rdn 96) – frei festgelegt werden kann. Soweit die Zusammenlegung aber der Benachteiligung von Kleinaktionären dient, ist der Beschluss aufgrund eines Verstoßes gegen die Treuepflicht anfechtbar.140 Dies ist vor allem dann der Fall, wenn zu diesem Zeitpunkt bereits eine Kapitalerhöhung geplant ist und der neu festgesetzte Nennbetrag erheblich von den bisherigen Nennbeträgen abweicht, da dies einem kalten Bezugsrechtsausschluss gleichkommt (Rdn 99). Eine individuelle Zustimmung der Aktionäre ist hingegen nicht erforderlich, da 107 sich die mitgliedschaftliche Stellung durch die Vereinigung nicht verändert und auch nicht deren Mobilität erschwert.141 Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Aktionär nicht über die für die Vereinigung vorgesehene Anzahl von Aktien verfügt. In diesem Fall bedarf die Satzungsänderung seiner individuellen Zustimmung. Bleibt diese aus, ist der satzungsändernde Beschluss unwirksam und darf nicht im Handelsregister eingetragen werden (§ 38). Erfolgt die Eintragung gleichwohl, ist die Satzungsänderung wirksam. Die Fehlerhaftigkeit kann später nach den allgemeinen Grundsätzen geltend gemacht werden. Die bisherigen Aktienurkunden werden durch die Satzungsänderung unrichtig, 108 können aber von der Aktiengesellschaft nicht für kraftlos erklärt werden (arg. § 73 Abs 1 Satz 2). Allerdings können die mitgliedschaftlichen Rechte nur noch dann ausgeübt werden, wenn die bei der Vereinigung der Nennbetragsaktien vorgesehene Anzahl der Aktien vorgelegt wird. Aufgrund des meist vorgesehenen Ausschlusses der Einzelverbriefung 105
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138 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 12; Heider AG 1998, 1, 6; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 27; Zöllner AG 1985, 19, 20 f. 139 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 13; MünchKomm/Heider4 Rdn 55; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 28; Zöllner AG 1985, 19, 20 f. 140 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 32. 141 Wie hier wohl K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 32; aA und stets von einem Zustimmungserfordernis aller Aktionäre ausgehend KK/Dauner-Lieb3 Rdn 13; MünchKomm/Heider4 Rdn 55; Seibert AG 1993, 315, 317; Hölters/Solveen2 Rdn 14; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 28; Heidel/Wagner4 Rdn 9; Zöllner AG 1985, 19, 21.
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(§ 10 Rdn 202 ff) erfordert die Aktienvereinigung nach der Satzungsänderung lediglich eine Umbuchung der Aktien. iii) Kombination von Teilung und Vereinigung. Die Teilung (Aktiensplitting – 109 Rdn 102 ff) kann auch mit einer Vereinigung (reverse splitt – Rdn 105 ff) kombiniert und in einer Satzungsänderung vorgenommen werden.142 Diese Kombination der beiden Maßnahmen ist vor allem dann erforderlich, wenn sich durch eine einzelne Maßnahme nicht der gewünschte Effekt erreichen lässt. Bei der Kombination beider Maßnahmen müssen allerdings sämtliche Voraussetzungen der jeweiligen Einzelmaßnahme erfüllt sein (Rdn 102 ff und Rdn 105 ff). iv) Kapitalmaßnahmen. Eine Veränderung der Nennbeträge der Nennbetragsaktien 110 ist hingegen nicht im Rahmen einer Kapitalerhöhung denkbar, da bei einer solchen eine Ausgabe neuer Aktien erfolgt (§ 182 Abs 1 Satz 4).143 Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, die Kapitalerhöhung mit einem Aktiensplitting (Rdn 102 ff) oder einer Aktienvereinigung (Rdn 105 ff) zu kombinieren und somit die neuen und die alten Aktien hinsichtlich des Nennbetrags etwa anzupassen.144 In diesem Fall sind zusätzlich die Anforderungen an das Aktiensplitting (Rdn 102 ff) bzw die Aktienvereinigung (Rdn 105 ff) zu beachten. Bei einer Kapitalherabsetzung erfolgt hingegen stets eine Herabsetzung des Nenn- 111 betrags der Nennbetragsaktien (§ 222 Abs 4 Satz 1). Soweit der Nennbetrag durch die Kapitalherabsetzung nicht mehr den Anforderungen von Abs 2 Satz 1 (Rdn 95) entsprechen würde, muss eine Zusammenlegung mehrerer Aktien erfolgen (§ 222 Abs 4 Satz 2). Auch in diesem Fall bedarf es keiner individuellen Zustimmung der Aktionäre145, da mit der bloßen Zusammenlegung keine Beeinträchtigung der Aktionärsrechte verbunden ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Aktionär nicht über die für die Zusammenlegung erforderliche Anzahl von Aktien verfügt, da seine quotale Beteiligung nach der Zusammenlegung nicht mehr abgebildet werden kann. g) Verletzung der Vorgaben von Abs 2 Satz 1 (Abs 2 Satz 2 und 3). Bei einer Ver- 112 letzung der Vorgaben von Abs 2 Satz 1 muss zwischen den Auswirkungen auf den Bestand der Aktiengesellschaft selbst (Rdn 113 ff), den Auswirkungen auf einen entsprechenden satzungsändernden Beschluss der Hauptversammlung (Rdn 116), den Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien (Rdn 117 ff) und schließlich der Haftung der Ausgeber der Aktien (Rdn 125 ff) unterschieden werden. Darüber hinaus ist das Ordnungswidrigkeitsrecht zu beachten (Rdn 131). i) Auswirkungen auf den Bestand der Aktiengesellschaft. Sieht die Gründungs- 113 satzung der Aktiengesellschaft einen nicht mit den Anforderungen von Abs 2 Satz 1 vereinbaren Nennbetrag für die Nennbetragsaktien vor, liegt eine Nichtigkeit der Satzung nach § 134 BGB vor.146 Daher kommt es nicht zur Entstehung einer Vor-AG. Wird die VorAG allerdings in Vollzug gesetzt, greifen die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft, so dass die Vor-AG trotz des Verstoßes der Satzung gegen Abs 2 entsteht.147 Die nach diesen
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142 MünchKomm/Heider4 Rdn 56; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 29; Zöllner AG 1985, 19, 24. 143 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 15; MünchKomm/Heider4 Rdn 51; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 24. 144 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 15. 145 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 32; Zöllner AG 1985, 19, 24 f; wohl auch MünchKomm/Heider4 Rdn 52; aA – ohne Begründung – KK/Dauner-Lieb3 Rdn 15. 146 Ebenso Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 32; Grigoleit/Vedder Rdn 9. 147 Ebenso MünchKomm/Heider4 Rdn 65; Hüffer/Koch11 Rdn 8; Hölters/Solveen2 Rdn 17; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 32.
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Grundsätzen entstandene Vor-AG wird in ihrem Bestand durch einen Verstoß gegen die Vorgaben von Abs 2 Satz 1 auch nicht berührt148, da Abs 2 Satz 1 schon nicht in § 275 Abs 1 Satz 1 Alt 1 erwähnt wird. Soweit die Gründer eine Vor-AG nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft zur Entstehung gebracht haben, besteht für sie Pflicht zur Änderung der Satzung.149 Die Aktiengesellschaft darf nicht in das Handelsregister eingetragen werden, da die 114 Aktiengesellschaft nicht ordnungsgemäß errichtet wurde (§ 38 Abs 1 Satz 2 – § 38 Rdn 18 ff).150 Mit Eintragung der Aktiengesellschaft im Handelsregister entsteht diese unab115 hängig von einer etwaigen Verletzung der Vorgaben von Abs 2 Satz 1. Die Aktiengesellschaft kann auch nicht für nichtig erklärt werden, da § 275 Abs 1 Satz 1 Alt 1 keinen Bezug auf den Mindestnennbetrag der Aktien nimmt.151 Allerdings muss das Registergericht die Aktiengesellschaft unter Hinweis auf eine ansonsten erfolgende Feststellung eines Mangels der Satzung auffordern, den Mangel zu beheben (§ 399 FamFG).152 Kommt die Aktiengesellschaft dieser Aufforderung nicht nach, wird nach Ablauf der Frist ein Mangel der Satzung festgestellt (§ 399 Abs 2 FamFG) und die Aktiengesellschaft aufgelöst (§ 262 Abs 1 Nr 5, § 399 FamFG). Voraussetzung dafür ist aber, dass die Satzung entgegen § 23 Abs 3 Nr 4 keinerlei Angaben zum Nennbetrag der Nennbetragsaktien macht, da § 399 Abs 1 Satz 1 FamFG ausdrücklich auf das Fehlen einer solchen Bestimmung abstellt. Wurde eine Regelung in die Satzung aufgenommen, die inhaltlich gegen die Vorgaben von Abs 2 Satz 1 verstößt, kommt eine Amtslöschung nach § 262 Abs 1 Nr 5, § 399 FamFG nicht in Betracht.153 Die Amtslöschung bei einer fehlenden Nennung des Nennbetrags der Nennbetragsaktien ist nur dann möglich, wenn die Satzung selbst diese Angaben nicht enthält (arg. § 399 Abs 1 Satz 1 FamFG), so dass eine Amtslöschung insbesondere nicht schon bei fehlenden Nennung des Nennbetrags in der Übernahmeerklärung erfolgen kann.154 116
ii) Auswirkungen auf satzungsändernde Beschlüsse der Hauptversammlung. Ein Beschluss der Hauptversammlung (zur Änderung der Satzung) unter Verletzung des Mindestnennbetrags (Abs 2 Satz 1 – Rdn 95) ist nach § 243 lediglich anfechtbar und gerade nicht nach § 241 Nr 3 Alt 1 nichtig.155 Denn die Beschränkungen von Abs 2 Satz 1 dienen aufgrund des inzwischen zweifelhaften Regelungszwecks tatsächlich nicht dem Schutz des Kapitalmarktes und der Anleger (Rdn 5 f) und verfolgen somit keine vorrangigen öffentlichen Interessen. Daher darf die Satzungsänderung im Handelsregister eingetragen werden. Mit deren Eintragung wird diese wirksam und die Mitgliedschaftsrechte
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148 Im Ergebnis auch Grigoleit/Vedder Rdn 9; aA Hüffer/Koch11 Rdn 7; MünchKomm/Heider Rdn 65; Heidel/Wagner4 Rdn 12; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 17. 149 OLG Karlsruhe v 19.12.1997 – 1 U 170/97 NZG 1999, 672, 673 = AG 1999, 131; zustimmend Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 32. 150 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 18; MünchKomm/Heider4 Rdn 65; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 32; Grigoleit/ Vedder Rdn 9, 11; Heidel/Wagner4 Rdn 12; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 17. 151 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 19; MünchKomm/Heider4 Rdn 66; Hüffer/Koch11 Rdn 7; Grigoleit/Vedder Rdn 9; Heidel/Wagner4 Rdn 12; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 18. 152 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 19; Hüffer/Koch11 Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 18. 153 Hüffer/Koch11 Rdn 7; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 32. 154 MünchKomm/Heider4 Rdn 66; Hüffer/Koch11 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 32. 155 Hüffer/Koch11 Rdn 12 am Ende; aA und für eine Nichtigkeit KK/Dauner-Lieb3 Rdn 21; MünchKomm/ Heider4 Rdn 67; Hölters/Solveen2 Rdn 18; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 33; Grigoleit/Vedder Rdn 10; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 19.
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an der Aktiengesellschaft entstehen (Rdn 117 f).156 Eine Amtslöschung des satzungsändernden Beschlusses der Hauptversammlung nach § 241 Nr 6, § 398 FamFG kann nicht erfolgen. Selbst wenn man Abs 2 Satz 1 als zwingende gesetzliche Vorschrift betrachtet, fehlt es bei einem Verstoß gegen Abs 2 Satz 1 aufgrund des beschränkten Regelungszwecks von Abs 2 Satz 1 (Rdn 95) an einem öffentlichen Interesse.157 iii) Auswirkungen auf die Mitgliedschaft und die ausgegebenen Aktienurkun- 117 den. Bei einer Verletzung der Vorgaben von Abs 2 Satz 1 sieht Abs 2 Satz 2 jedenfalls für das Unterschreiten des Mindestnennbetrags (Abs 2 Satz 1 – Rdn 95) eine konkrete Rechtsfolge für die ausgegebenen Aktien vor. Dies gilt allerdings nicht für eine Verletzung von Abs 2 Satz 4 (Rdn 132 ff). Aktien mit einem Nennbetrag von weniger als einem Euro sind nach Abs 2 Satz 2 118 nichtig. Diese Formulierung ist allerdings wenig präzise und trägt den denkbaren Fallkonstellationen nicht hinreichend Rechnung. Insofern kommt sowohl die Nichtigkeit der Mitgliedschaftsstellung als auch der Aktie als Urkunde bzw Wertpapier in Betracht. Zudem muss in diesem Zusammenhang danach differenziert werden, ob die Aktiengesellschaft bereits eingetragen wurde (Rdn 119 und 120). (1) Gründung der Aktiengesellschaft. Wurde die Aktiengesellschaft noch nicht 119 eingetragen und sieht die Satzung der Vor-AG einen Mindestnennbetrag für die Nennbetragsaktien von weniger als einen Euro vor, kommt es schon nicht zur Entstehung einer Mitgliedschaft an der Vor-AG, da diese schon nicht entsteht.158 Daher kann auch keine Verbriefung dieser nicht existierenden Mitgliedschaft erfolgen, so dass sich die Frage nach dem Schicksal der Vor-AG-Aktien schon nicht stellen kann. Die Mitgliedschaft der Aktionäre in der Vor-AG entsteht allerdings, wenn die Vor-AG trotz des Verstoßes gegen Abs 2 Satz 1 nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft wirksam entstanden ist (Rdn 63 ff).159 Der Nennbetrag der Vor-AG-Aktien beträgt dann mindestens einen Euro und ist im Verhältnis der Aktionäre so zu ermitteln, dass der ursprünglich vorgesehenen Anteilsverteilung entsprochen wird. Dies lässt sich in Regel durch eine gleichmäßige Verringerung der Zahl der auszugebenen Aktien erreichen. Zusätzlich sind aber noch die Beschränkungen von § 41 Abs 4 (§ 41 Rdn 69) zu beachten. Mit Eintragung der Aktiengesellschaft führt ein Verstoß gegen Abs 2 Satz 1 eben- 120 falls zur Nichtigkeit der ausgegebenen Aktienurkunden und lässt die Mitgliedschaftsrechte im Übrigen unberührt.160 Der Nennbetrag der Aktien ist dann nach den in Rdn 119 genannten Grundsätzen zu ermitteln. Die an eine Verbriefung anknüpfenden Vorschriften sind nicht anwendbar, da eine wirksame Verbriefung nicht vorliegt.161 Dies schließt allerdings nicht die Übertragung der Mitgliedschaft oder Verpfändung nach §§ 413, 398 ff 1274 BGB aus.162 Zudem haben die Aktionäre einen Anspruch gegen die Aktiengesellschaft auf Ausstellung ordnungsgemäßer Aktienurkunden mit Ausweise des nach den in
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156 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 33; wohl auch MünchKomm/Heider4 Rdn 67. 157 AA Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 33. 158 Ebenso MünchKomm/Heider4 Rdn 68; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 34; aA KK/Dauner-Lieb3 Rdn 22. 159 Hüffer/Koch11 Rdn 8; Hölters/Solveen2 Rdn 19; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 34; Grigoleit/Vedder Rdn 9; Heidel/Wagner4 Rdn 12. 160 MünchKomm/Heider4 Rdn 69; Hüffer/Koch11 Rdn 9; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 20; MünchKomm/Heider Rdn 68; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 16, 18. 161 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 20; Hüffer/Koch11 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 37; vgl auch BGH v 30.9.1991 – II ZR 47/91, NJW-RR 1992, 168, 168 f = AG 1992, 27. 162 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 37; im Ergebnis ebenso Hüffer/Koch11 Rdn 9 (Übertragung nach allgemeinen Grundsätzen).
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Rdn 119 genannten Grundsätzen ermittelten Nennbetrags. Allerdings können die Aktionäre ihre Mitgliedschaft nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft kündigen, da sie fehlerhaft der Aktiengesellschaft beigetreten sind.163 Wird die Aktiengesellschaft wegen der fehlerhaften Festsetzung der Nennbeträge 121 in der Satzung aufgelöst (Rdn 115), kommt es zur Abwicklung, bei der allerdings die unwirksamen Aktiennennbeträge der Maßstab für die Beteiligung am Liquidationserlös sind.164 Schließlich bleiben die Übernahmeerklärungen unberührt und sind vor allem 122 nicht nach § 134 BGB nichtig165, da das Verbot nach Abs 2 Satz 2 nur die Entstehung von den Anforderungen von Abs 2 Satz 1 nicht entsprechenden Aktien, nicht aber die generell Verpflichtung der Aktionäre zur Übernahme verhindern will. Zudem kann es keine Aktiengesellschaft ohne Aktionäre geben, was aber bei einer Nichtigkeit der Übernahmeerklärung gerade der Fall wäre. (2) Kapitalerhöhungen. Wird im Rahmen einer Kapitalerhöhung gegen den Mindestnennwert des Abs 2 Satz 1 (Rdn 95) verstoßen, gelten die in Rdn 119 f dargestellten Grundsätze. Kommt es zur Feststellung der Nichtigkeit des satzungsändernden Beschlusses 124 durch eine Anfechtungsklage (Rdn 116), fehlt es an einem wirksamen Kapitalerhöhungsbeschluss, so dass sowohl die bereits ausgegebenen Aktien als auch die verbriefte Mitgliedschaft nicht wirksam entstanden sind. Die Aktien sind dann nach § 237 analog einzuziehen und die bereits geleiteten Einlagen nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zurückzuerstatten.166 123
iv) Schadenersatzpflicht der Ausgeber gegenüber den Inhabern (Abs 2 Satz 3). Weitere Folge eines Verstoßes gegen die Vorgaben von Abs 2 Satz 1 ist eine Schadenersatzpflicht der Ausgeber der Aktien gegenüber deren Inhabern. Anspruchsinhaber sind die Aktionäre, deren Aktienurkunden aufgrund von Abs 2 126 Satz 2 nichtig (Rdn 117 f) sind. Abs 2 Satz 3 verwendet zwar insofern die Formulierung Inhaber. Diese ist allerdings missverständlich, da – jedenfalls bei einem Verstoß gegen Abs 2 Satz 1 – die Aktienurkunden nichtig sind (Rdn 117 f) und somit auch schon keine Inhaber haben können. Der Begriff Inhaber bezieht sich insofern auf die unabhängig davon entstehende Mitgliedschaftsstellung.167 Darüber hinaus werden auch diejenigen erfasst, die Rechte an der Mitgliedschaftsstellung wie etwa ein Nießbrauch oder ein Pfandrecht erworben haben.168 Ausgeschlossen sind aber diejenigen, die sich widerrechtlich Besitz an den nichtigen Aktienurkunden verschafft haben.169 Schließlich kommen auch mehrere Anspruchsinhaber nebeneinander in Betracht, was vor allem dann der Fall sein kann, wenn die mangelhafte Aktienurkunde mehrfach übertragen wurde.170 Die Anspruchsgegner sind diejenigen, die die Aktien ausgegeben, also erstmals in 127 Umlauf gebracht haben. Daher kommen als Anspruchsgegner nur die Mitglieder des Vor125
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163 Grigoleit/Vedder Rdn 11. 164 MünchKomm/Heider4 Rdn 69; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 35. 165 AA KK/Dauner-Lieb3 Rdn 18; Hüffer/Koch11 Rdn 7; Grigoleit/Vedder Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 32; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 17. 166 Zum Ganzen Grigoleit/Vedder Rdn 10 am Ende. Ähnlich MünchKomm/Heider4 Rdn 70. 167 MünchKomm/Heider4 Rdn 75; aA KK/Dauner-Lieb3 Rdn 26, die auch dinglich Berechtigte erfassen will. 168 MünchKomm/Heider4 Rdn 75. 169 MünchKomm/Heider4 Rdn 75. 170 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 26; MünchKomm/Heider4 Rdn 75.
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stands in Betracht, der die Aktienausgabe vorgenommen hat.171 Darüber hinaus kann die Haftung aber auch die Mitglieder des Aufsichtsrats treffen, wenn für die Aktienausgabe ein Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs 4 Satz 2 besteht.172 Weder die Aktiengesellschaft selbst173 noch die Unterzeichner der Aktien174 oder ein Unternehmen im Sinne von § 186 Abs 5175 sind mögliche Anspruchsgegner. Soweit mehrere Personen haften, sind diese Gesamtschuldner (§ 426 BGB).176 Voraussetzung des Anspruchs ist eine Nichtigkeit der Aktien nach Abs 2 Satz 2 128 (Rdn 117 f), so dass ein Verstoß gegen Abs 2 Satz 4 (Rdn 137 f) nicht ausreicht. Ein Verschulden ist nicht erforderlich.177 Allerdings ist ein Mitverschulden nach § 254 BGB zu berücksichtigen, was etwa dann der Fall ist, wenn die Gründer Anspruchsinhaber sind.178 Darüber hinaus muss den Anspruchsinhabern (Rdn 126) ein ersatzfähiger Schaden 129 entstanden sein, für den die Nichtigkeit der Aktien kausal gewesen ist.179 Im Rahmen der Haftung nach Abs 2 Satz 3 ist das negative Interesse zu ersetzen.180 Dies ergibt sich daraus, dass durch Abs 2 Satz 3 lediglich das Vertrauen der Zeichner in die Wirksamkeit der Ausgabe der Aktien geschützt werden soll. Eine Erstreckung auf das positive Interesse ist schon deshalb nicht notwendig, da durch Abs 2 Satz 2 lediglich die Verbriefung der Aktie nichtig ist, die Mitgliedschaft als solche aber wirksam entsteht (Rdn 120). Daher ist der Inhaber so zu stellen, als wenn die Ausgabe der Aktien entgegen den Vorgaben von Abs 2181 unterblieben wäre. Neben der Haftung nach Abs 2 Satz 3 kommt auch eine Haftung nach § 826 BGB in 130 Betracht, soweit die höheren subjektiven Voraussetzungen erfüllt werden. Eine Haftung aus § 823 Abs 2 BGB kann sich nicht ergeben, da es sich bei Abs 2 Satz 1 schon nicht um ein Schutzgesetz handelt. Abs 2 Satz 1 dient lediglich (abstrakten) kapitalmarktrechtlichen Überlegungen (Rdn 5 f) und gerade nicht Individualinteressen. Darüber hinaus können sich noch vertragliche Ansprüche ergeben, denen Abs 2 Satz 3 nicht entgegensteht.182 v) Ordnungswidrigkeitstatbestand. Ein Verstoß gegen Abs 2 Satz 1 stellt eine Ord- 131 nungswidrigkeit nach § 405 Abs 1 Nr 3 Alt 1 dar, die mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 Euro sanktioniert werden kann (§ 405 Abs 4).
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171 BGH v 12.5.1977 – II ZR 49/76 AG 1977, 295, 296 = WM 1977, 845 (zur Parallelnorm des § 191); zustimmend KK/Dauner-Lieb3 Rdn 25; Hüffer/Koch11 Rdn 10; Hölters/Solveen2 Rdn 20; Grigoleit/Vedder Rdn 9; Heidel/Wagner4 Rdn 12; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 21. 172 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 25; MünchKomm/Heider4 Rdn 74; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 38; Grigoleit/ Vedder Rdn 9. 173 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 25; MünchKomm/Heider4 Rdn 74; Hüffer/Koch11 Rdn 10; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 38; Grigoleit/Vedder Rdn 9. 174 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 25; MünchKomm/Heider4 Rdn 74; Hüffer/Koch11 Rdn 10; Grigoleit/Vedder Rdn 9. 175 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 25; MünchKomm/Heider4 Rdn 74; Hüffer/Koch11 Rdn 10; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 38; Grigoleit/Vedder Rdn 9. 176 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 38. 177 OLG Frankfurt/Main v 13.1.1976 – 5 U 60/75 AG 1976, 77, 78 (zur Parallelnorm des § 191); KK/DaunerLieb3 Rdn 24; MünchKomm/Heider4 Rdn 72; Hüffer/Koch11 Rdn 10; Hölters/Solveen2 Rdn 20; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 38; Grigoleit/Vedder Rdn 9; Heidel/Wagner4 Rdn 12; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 21. 178 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 26; MünchKomm/Heider4 Rdn 72. 179 Im Ergebnis auch KK/Dauner-Lieb3 Rdn 24, die von einer entsprechenden Anwendung der §§ 823 ff BGB ausgeht. Ähnlich MünchKomm/Heider4 Rdn 76. 180 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 38; ebenso zur Parallelnorm des § 191 BGH v 12.5.1977 – II ZR 49/76 AG 1977, 295, 296 = WM 1977, 845; aA wohl KK/Dauner-Lieb3 Rdn 26. 181 Abweichend Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 38, der auf die Ausgabe insgesamt abstellt. 182 MünchKomm/Heider4 Rdn 73.
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h) Verletzung der Vorgaben von Abs 2 Satz 4. Für eine Verletzung der Vorgaben von Abs 2 Satz 4 werden hingegen keine besonderen Rechtsfolgen angeordnet. Auch in diesem Zusammenhang muss zwischen den Auswirkungen auf den Bestand der Aktiengesellschaft selbst (Rdn 133 ff), den Auswirkungen auf einen entsprechenden satzungsändernden Beschluss der Hauptversammlung (Rdn 136) und den Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien (Rdn 137 f.) unterschieden werden. Darüber hinaus ist das Ordnungswidrigkeitsrecht zu beachten (Rdn 139).
i) Auswirkungen auf den Bestand der Aktiengesellschaft. Sieht die Gründungssatzung der Aktiengesellschaft einen nicht mit den Anforderungen von Abs 2 Satz 4 vereinbaren Nennbetrag für die Nennbetragsaktien vor, liegt aufgrund des bereits zweifelhaften Regelungszwecks (Rdn 5 f) keine Nichtigkeit der Satzung nach § 134 BGB vor. Allerdings muss das Registergericht auch bei einem Verstoß gegen Abs 2 Satz 4 eine 134 Eintragung im Handelsregister ablehnen, da die Aktiengesellschaft nicht ordnungsgemäß errichtet wurde.183 Mit Eintragung der Aktiengesellschaft im Handelsregister entsteht diese un135 abhängig von einer etwaigen Verletzung der Vorgaben von Abs 2. Die Aktiengesellschaft ist auch nicht nichtig, da § 275 Abs 1 Satz 1 Alt 1 keinen Bezug auf Abs 2 Satz 4 nimmt. Ein Amtslöschungsverfahren (§ 399 FamFG) ist nicht möglich, da es nur hinsichtlich Abs 2 Satz 4 schon nicht zu einer fehlenden Regelung kommen kann.184 Eine gegen Abs 2 Satz 4 erfolgte Festsetzung der Nennbeträge in der Satzung reicht für § 399 Abs 1 FamFG nicht aus. 133
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ii) Auswirkungen auf satzungsändernde Beschlüsse der Hauptversammlung. Ein Beschluss zur Satzungsänderung, der nur gegen Abs 2 Satz 4 (Rdn 96) oder die Treuepflicht (Rdn 99 f) verstößt, ist hingegen nach § 243 Abs 1 anfechtbar und nicht nichtig.185 Daher darf die Satzungsänderung grundsätzlich im Handelsregister eingetragen werden. Eine Amtslöschung des Kapitalerhöhungsbeschlusses nach § 241 Nr 6, § 398 FamFG kann nicht erfolgen. Selbst wenn man Abs 2 Satz 1 als zwingende gesetzliche Vorschrift betrachtet, fehlt es bei einem Verstoß gegen Abs 2 Satz 4 aufgrund des beschränkten Regelungszwecks von Abs 2 Satz 4 (Rdn 5 f) an einem öffentlichen Interesse.
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iii) Auswirkungen auf die Mitgliedschaft und die ausgegebenen Aktienurkunden. Bei einer Verletzung der Vorgaben von Abs 2 Satz 4 ist eine Regelung hinsichtlich der Auswirkungen auf die Mitgliedschaft und die ausgegebenen Aktienurkunden nicht vorgesehen. Daher lässt die unter Verletzung von Abs 2 Satz 4 erfolgende Ausgabe sowohl die Entstehung der Mitgliedschaft als auch die Wirksamkeit von deren Verbriefung unberührt.186 Insofern verbietet sich auch eine analoge Anwendung von Abs 2 Satz 2 (Rdn 112 ff), da die Gesetzesbegründung dies schon ausdrücklich ausschließt.187 Daher bleiben auch die Übernahmeerklärungen unberührt und sind vor allem nicht nach
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183 MünchKomm/Heider4 Rdn 78; Hüffer/Koch11 Rdn 12; Hölters/Solveen2 Rdn 22; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 40. 184 Im Ergebnis ebenso Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 40. 185 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 27; MünchKomm/Heider4 Rdn 79; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 40; wohl auch BGH v 30.9.1991 – II ZR 47/91, NJW-RR 1992, 168 = AG 1992, 27. 186 MünchKomm/Heider4 Rdn 78; Hüffer/Koch11 Rdn 12; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 40. 187 So ausdrücklich Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 98 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 23).
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§ 134 BGB nichtig. Schließlich ist auch eine Schadenersatzpflicht nach Abs 2 Satz 3 nicht vorgesehen.188 Kommt es allerdings zu einer erfolgreichen Anfechtung eines Kapitalerhöhungs- 138 beschlusses (Rdn 136), fehlt es an einem wirksamen Kapitalerhöhungsbeschluss. Daher ist die Mitgliedschaft nicht wirksam entstanden. Die dennoch ausgegebenen Aktienurkunden sind dann nach § 237 analog einzuziehen und die bereits geleiteten Einlagen nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zurückzuerstatten.189 iv) Kein Ordnungswidrigkeitstatbestand. Ein Verstoß gegen Abs 2 Satz 4 stellt 139 keine Ordnungswidrigkeit dar, da Abs 2 Satz 4 nicht in § 405 Abs 1 Nr 3 Alt 1 genannt wird. 2. Einführung von und Umstellung auf Nennbetragsaktien a) Festsetzung in der (Gründungs-)Satzung. Die Ausgabe von Nennbetragsaktien 140 kann bereits in der Gründungssatzung der Aktiengesellschaft festgesetzt werden (§ 23 Abs 3 Nr 4). In diesem Fall müssen in der Satzung die einzelnen Nennbeträge und die Zahl der Aktien jeden Nennbetrags angeben werden (§ 23 Abs 3 Nr 4), da dem einzelnen Aktionär nur auf diese Weise eine Berechnung seines relativen Anteils an der Aktiengesellschaft möglich ist. b) Umwandlung von Stück- in Nennbetragsaktien durch Satzungsänderung i) Änderung der Satzung. Die Umstellung bedarf eines Beschlusses der Hauptver- 141 sammlung mit einer ¾-Mehrheit, da insofern eine Änderung der Satzung erforderlich ist (§ 179). Bei dem Wechsel von Stück- zu Nennbetragsaktien handelt es sich insbesondere auch nicht um eine bloße Änderung der Fassung der Satzung nach § 179 Abs 1 Satz 2, so dass diese Entscheidung von der Hauptversammlung nicht auf den Aufsichtsrat übertragen werden kann. Die Änderung der Satzung beschränkt sich oft nicht nur auf eine bloße Umstellung von Stück- zu Nennbetragsaktien, sondern erfordert oftmals eine vorherige Kapitalerhöhung (Neustückelung), um den Anforderungen von Abs 2 Satz 4 (Rdn 96) zu entsprechen.190 Der Übergang von Stück- zu Nennbetragsaktien steht im Belieben der Hauptver- 142 sammlung und wird insbesondere nicht durch individuelle Rechte der Aktionäre eingeschränkt. Vor allem existiert kein subjektives Recht des Aktionärs auf Beibehaltung von Stückaktien.191 Auch ein Sonderbeschluss nach § 179 Abs 3 ist nicht erforderlich. Die Satzungsänderung löst eine halbe Notargebühr aus (Nr 21201 Nr 5 KV GNotKG), 143 womit auch die Bescheinigung des Notars nach § 181 Abs 1 Satz 2 Hs 2 abgegolten ist (Vorb 2.1. II Nr 4 KV GNotKG). Der Geschäftswert bestimmt sich nach § 105 Abs 4 Nr 1 GNotKG. ii) Umstellung der Aktienurkunden. Mit der Satzungsänderung werden die bisher 144 ausgegebenen Aktienurkunden unrichtig, da die (alten) Stückaktien über keinen Nenn-
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188 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 24; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 40; Grigoleit/Vedder Rdn 11. 189 Zum Ganzen Grigoleit/Vedder Rdn 10 am Ende. 190 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 37; Hölters/Solveen2 Rdn 5; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 11; Grigoleit/Vedder Rdn 6. 191 MünchKomm/Heider4 Rdn 44; ders AG 1998, 1, 8; Ihrig/Streit NZG 1998, 201, 206; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 9; Grigoleit/Vedder Rdn 6.
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betrag verfügen.192 Die unrichtigen Aktienurkunden können von der Aktiengesellschaft umgetauscht werden. Einen entsprechenden Anspruch hat die Aktiengesellschaft gegen die Inhaber der Aktien aber nicht. Allerdings kann die Aktiengesellschaft die Aktien nach einer Aufforderung zur Berichtigung mit Genehmigung des Gerichts für kraftlos erklären (§ 73 Abs 1 Satz 1). Die Einschränkung von § 73 Abs 1 Satz 2 findet keine Anwendung, da es sich bei der Umstellung von Stück- auf Nennbetragsaktien nicht um eine bloße Änderung des Nennbetrags handelt.193 Bis zur Kraftloserklärung können die Aktionäre ihre Aktionärsstellung durch die unrichtigen Aktienurkunden nachweisen, bei denen der Bestand an Nennbetragsaktien und die quotale Beteiligung des jeweiligen Aktionärs dann entsprechende berechnet werden müssen. 145
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iii) Notwendigkeit von Folgemaßnahmen. Bei einer Umstellung von Stück- auf Nennbetragsaktien durch Satzungsänderung ist es in der Regel nicht ausreichend, die Satzung nur hinsichtlich des Wahlrechts nach Abs 1 (Rdn 86 ff) zu ändern. Vielmehr bedarf es oftmals der Anpassung von weiteren Satzungsbestimmungen, die auf die bestehenden von Stückaktien und gerade nicht auf die Nennbeträge Bezug nehmen. Dies gilt zunächst für das genehmigte Kapital. Soweit bei diesem die Anzahl der neuen Aktien festgelegt wurde, muss die Ermächtigung an die nunmehr in der Satzung vorgesehenen Nennbetragsaktien durch eine Änderung der Satzung angepasst werden. Fehlt es hingegen an einer entsprechenden Satzungsänderung oder kommt diese dahingehend nicht zustande, kann der Vorstand die neuen Aktien mit Zustimmung des Aufsichtsrats als Nennbetragsaktien ausgeben und muss sich dabei am bisherigen fiktiven Nennbetrag der Stückaktien (Rdn 72) orientieren. Insofern führt die fehlende Satzungsänderung hinsichtlich des genehmigten Kapitals nicht zu einem Fortfall oder einer Einschränkung des genehmigten Kapitals. Eine Anpassung ist ebenfalls beim bedingten Kapital notwendig, da vor der Umstellung auf Nennbetragsaktien nur Stückaktien existent waren und die Angabe der Nennbeträge der Aktien zum notwendigen Inhalt eines Beschluss zum bedingten Kapital gehört (§ 193 Abs 2 Nr 3). Bei den Mehrheitserfordernissen ist hingegen zu unterscheiden. Wurde das bedingte Kapital in die Satzung aufgenommen, ist eine ¾-Mehrheit erforderlich. Hingegen reicht eine einfache Mehrheit, wenn die Satzungsregelungen (über Stückaktien) sich nicht auf junge Aktien beziehen. Voraussetzung für derartige Beschlussfassung ist allerdings, dass dadurch der Bezug der jungen Aktien nicht erschwert wird, da anderenfalls § 192 Abs 4 eingreift. Kein zwingender Anpassungsbedarf besteht bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, da bei dieser eine Ausgabe junger Aktien bei Bestehen von Nennbetragsaktien immer erforderlich ist (§§ 182 Abs 1 Satz 4, 207 Abs 2 Satz 2). Insofern muss bei einer zwischenzeitlich erfolgten Umstellung auf Nennbetragsaktien immer eine Ausgabe junger Nennbetragsaktien erfolgen. Bei der Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen reicht für die noch nicht ausgeübten Bezugsrechte in der Regel eine Auslegung des dahingehenden Hauptversammlungsbeschlusses, ohne dass es weiterer Maßnahmen bedarf. Allerdings kann auch ein klarstellender Beschluss mit einfacher Mehrheit gefasst werden. Schließlich müssen auch die Satzungsklauseln geändert werden, die in sonstiger Weise auf die Nennbeträge der Aktien wie etwa Stimmrechte oder Dividendenvorzüge Bezug nehmen. Dafür ist ein Hauptversammlungsbeschluss mit einer ¾-Mehrheit erfor-
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Heider AG 1998, 1, 6; Kopp BB 1998, 701, 703 f; Hölters/Solveen2 Rdn 6. Ebenso Hölters/Solveen2 Rdn 6; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 13.
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derlich. Eine bloße Fassungsänderung nach § 179 Abs 1 Satz 2 ist nicht ausreichend. Der Beschluss der Hauptversammlung zur Einführung von Nennbetragsaktien reicht insofern gerade nicht aus. c) Formwechsel. Bei einem Formwechsel in eine Aktiengesellschaft besteht Gestal- 151 tungsfreiheit, so dass die Nennbetragsaktien mit dem Mindestnennbetrag (Rdn 95) oder einem höheren Nennbetrag unter Beachtung der Vorgaben von Abs 2 Satz 4 (Rdn 96) ausgegeben werden können. Dies gilt auch bei einem Formwechsel von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft, so dass die vorherigen Nennbeträge der GmbH-Anteile für die Festsetzung der Nennbeträge der dann zu bildenden Nennbetragsaktien irrelevant sind (§ 243 Abs 3 Satz 1 UmwG). d) Ausgabe der Nennbetragsaktien. Für die Verbriefung und Ausgabe der Nenn- 152 betragsaktien § 13 Rdn 8 ff. VI. Ausgabe von Stückaktien (Abs 3) 1. Anforderungen an Stückaktien a) Freie Wahl der Anzahl der Stückaktien. Im Gegensatz zu Nennbetragsaktien 153 zeichnen sich Stückaktien nach Abs 3 Satz 1 nicht durch den Ausweis eines bestimmten Nennbetrags aus (Rdn 77). Ihr Anteil am Grundkapital ergibt sich vielmehr aus der Gesamtzahl der vorhandenen Stückaktien, so dass auf Stückaktien ein Teil des Grundkapitals entfällt, der bei diesen aber gerade nicht ausgewiesen wird, sondern nur als virtuelle Rechengröße (fiktiver Nennbetrag)194 besteht. Die Höhe dieses fiktiven Nennbetrags bemisst sich dann zum einen nach der Höhe des Grundkapitals und zum anderen nach der Anzahl der ausgegebenen Stückaktien. Diese in Abs 3 Satz 2 zum Ausdruck kommende Beteiligung der Stückaktie am Grundkapital begründet daher insbesondere kein subjektives Recht oder ähnliches.195 Die Stückaktie verkörpert lediglich die Mitgliedschaft des Inhabers an der Aktiengesellschaft, deren verhältnismäßiger Umfang sich aus der Gesamtzahl der Stückaktien ergibt. Bei der Festsetzung der Anzahl der auszugebenden Stückaktien sind die Grün- 154 der der Aktiengesellschaft bzw die Aktionär grundsätzlich frei.196 In der Satzung muss insofern nur die absolute Anzahl von Stückaktien festgesetzt werden, ohne dass auch der fiktive Nennbetrag (Rdn 72) genannt werden muss.197 Zu beachten ist allerdings, dass der fiktive Mindestnennbetrag von einem Euro nicht unterschritten werden darf (Rdn 158). Weitere Vorgaben werden durch Abs 3 nicht gemacht. Der Mindestnennbetrag kann auch später wieder geändert werden (Rdn 160 ff). Zu den Folgen eines Verstoßes gegen diese Vorgaben Rdn 169. Zu den ökonomischen Hintergründen für die Festsetzung der Anzahl der auszugebenden Stückaktien Rdn 157. Der Umfang der Beteiligung am Grundkapital ist für alle Stückaktien gleich 155 (Abs 3 Satz 2), so dass es dahingehend198 keine verschiedenen Arten von Stückaktien bei
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194 Mit dieser Begrifflichkeit Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 10 f; diese ebenfalls verwendend KK/Dauner-Lieb3 Rdn 6; MünchKomm/Heider4 Rdn 80; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5; Heidel/Wagner4 Rdn 13; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 12. 195 Hüffer/Koch11 Rdn 17. 196 LG Heidelberg v 17.7.2001 – 11 T 2/01 KfH AG 2002, 563 = DB 2001, 1875; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 30; MünchKomm/Heider4 Rdn 81; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 44. 197 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 14. 198 Zu anderen Merkmalen Rdn 70 ff.
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einer Aktiengesellschaft geben kann.199 Diese im Vergleich zur Nennbetragsaktie (Rdn 93 f) fehlende Flexibilität lässt sich allerdings ohne weiteres durch die Zuteilung einer größeren Anzahl von Stückaktien ausgleichen. 156 Da Abs 3 Satz 3 lediglich einen fiktiven Mindestanteil von einem Euro verlangt (Rdn 158), ist es den Gründern unbenommen, einen höheren Anteil durch die Ausgabe entsprechend weniger Stückaktien festzusetzen, ohne dass dabei bestimmte Betragsstufen einzuhalten sind. Insbesondere ist es – im Gegensatz zur Nennbetragsaktie (Rdn 96) – nicht erforderlich, dass der fiktive Nennbetrag der Stückaktie auf volle Euro lauten muss.200 Es kann auch insgesamt nur eine Stückaktie ausgegeben werden. 157
b) Motive für die Festsetzung einer konkreten Anzahl von Stückaktien. Da die Stückaktie auch nicht ohne einen fiktiven Nennwert auskommt (Rdn 72), gelten für die Festsetzung der konkreten Anzahl von Stückaktien die gleichen Überlegungen wie bei den Nennbetragsaktien (Rdn 93 f), da der einzige Unterschied insofern der fehlende Ausweis des (fiktiven) Nennbetrags auf der Stückaktie ist.
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c) Fiktiver Mindestnennbetrag von einem Euro (Abs 3 Satz 3). Obwohl Stückaktien ohne einen Nennbetrag auskommen, hat der Gesetzgeber nicht auf die Festsetzung eines Mindestanteils einer Stückaktie am Grundkapital verzichtet. Nach Abs 3 Satz 3 darf der auf eine einzelne Aktie entfallende anteilige Betrag des Grundkapitals einen Euro nicht unterschreiten. Dies bedeutet, dass die Anzahl der Stückaktien niemals den Betrag des Grundkapitals überschreiten darf, da dann nicht mehr sichergestellt ist, dass auf jede Stückaktie ein Euro des Grundkapitals entfällt. Dieses Erfordernis ist als ein Relikt des Systems der Nennbetragsaktien zu betrachten (zur Rechtslage bei Nennbetragsaktien Rdn 95) und als solches nicht überzeugend (Rdn 49).
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d) Keine treuwidrige Festsetzung einer zu geringen Anzahl von Stückaktien. Das bei Nennbetragsaktien bestehende Problem des kalten Bezugsrechtsausschlusses durch Festsetzung zu hoher Nennbeträge (Rdn 99) kann auch bei Stückaktien bestehen, da bei einer Ausgabe einer nur geringen Anzahl von Stückaktien mit einem entsprechend hohen Ausgabepreis auch ein faktischer Bezugsrechtsausschluss droht.201 Insofern ergibt sich eine Anfechtbarkeit des Kapitalerhöhungsbeschlusses wegen eines Verstoßes gegen die Treuepflicht (Rdn 99). Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn eine Erhöhung der Anzahl der Stückaktien dazu führen würde, dass der rechnerische Betrag nicht mehr den Anforderungen von Abs 3 Satz 3 (Rdn 158) entspricht.
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e) Nachträgliche Änderung der Anzahl von Stückaktien. Die Festsetzung der Anzahl der Stückaktien in der Satzung ist einer Satzungsänderung zugänglich. Dabei kommt neben einer Teilung (Rdn 161 ff) und der Vereinigung von Aktien (Rdn 164 ff) bzw einer Kombination beider Maßnahmen202 eine Veränderung durch Kapitalmaßnahmen (Rdn 168) in Betracht. Für einen Wechsel von Stück- zu Nennbetragsaktien ausführlich Rdn 141 ff.
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199 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 29. 200 Ebenso Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 11; MünchKomm/Heider4 Rdn 81; Hüffer/Koch11 Rdn 19; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 12. 201 Grigoleit/Vedder Rdn 16; Vetter, AG 2000, 193, 201 ff; wohl auch MünchKomm/Heider4 Rdn 81 (Fn 143); aA K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 5, 13. 202 Für die Zulässigkeit der Kombination vgl KK/Dauner-Lieb3 Rdn 16; Zöllner, AG 1985, 19, 24 f.
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i) Teilung (Aktiensplitting). Stückaktien können geteilt werden (sogenanntes Ak- 161 tiensplitting), was meist einer Vorbereitung von Umwandlungsmaßnahmen dient oder aber kapitalmarktpsychologische Gründe (Rdn 94) haben kann. Das Aktiensplitting erfolgt dabei durch die Vermehrung der bestehenden Stückaktien, so dass sich das Grundkapital danach auf eine größere Anzahl von Stückaktien verteilt. Dafür erforderlich ist eine Satzungsänderung mit einer entsprechenden Mehrheit (§ 179 Abs 2), da die Anzahl der ausgegebenen Stückaktien in der Satzung (neu) angegeben werden müssen (Rdn 140). Das Aktiensplitting ist allerdings nur zulässig, wenn auch der neue fiktive Nennbetrag den allgemeinen Anforderungen von Abs 3 Satz 3 entspricht (Rdn 158). Keine Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das Teilungsverbot nach Abs 5 (Rdn 185 ff), da sich dieses nur auf einzelne aus der Mitgliedschaft ergebene Rechte bezieht und die Neustückelung von Aktien gerade nicht erfasst. Eine individuelle Zustimmung des Inhabers der Nennbetragsaktie ist grund- 162 sätzlich nicht notwendig, da die mitgliedschaftliche Position des Aktionärs durch das Aktiensplitting nicht berührt wird.203 Denn sein relativer Anteil an der Aktiengesellschaft bleibt gleich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den im Aktienrecht inzwischen vielfach vorgesehenen Mindestquoren für die Ausübung bestimmter Aktionärsrechte (§§ 142 Abs 2 Satz 1, 147 Abs 2 Satz 2, 148 Abs 1 Satz 1, 246 Abs 2 Nr 2; § 16 Abs 3 Satz 3 Nr 2 UmwG), da diese an eine relative (Gesamt-)Beteiligung und nicht an einen bestimmten (fiktiven) Mindestnennbetrag der Aktien anknüpfen. Eine individuelle Zustimmung der Aktionäre ist nur dann notwendig, wenn mit der Änderung der Anzahl der Stückaktien kein die quotale Beteiligung wahrender Umtausch verbunden ist (zB Umtauschverhältnis von fünf Stückaktien auf zwei Stückaktien). In diesem Fall müssen die Aktionäre, die durch die Änderung der Anzahl der Stückaktien eine Beeinträchtigung ihrer Beteiligungsquote erfahren, dem Aktiensplitting einzeln zustimmen.204 Fehlt es an der Zustimmung, ist der Hauptversammlungsbeschluss zur Satzungsänderung unwirksam, so dass eine Eintragung im Handelsregister nicht erfolgen darf (§ 38). Erfolgt die Eintragung gleichwohl, ist die Satzungsänderung wirksam. Die Fehlerhaftigkeit kann später nach den allgemeinen Grundsätzen geltend gemacht werden. Durch die Satzungsänderung werden die bisherigen Aktienurkunden nicht 163 unrichtig, da sich aus diesen weder die Anzahl der ausgegebenen Stückaktien noch deren fiktiver Nennbetrag (Rdn 72) ergibt. Neben die bereits existierenden Stückaktien treten die neuen Stückaktien, so dass weitere Maßnahmen nicht erforderlich sind. ii) Vereinigung (reverse split). Stückaktien können auch vereinigt werden, so dass 164 aus mehreren – bis dahin rechtlich selbständigen – Stückaktien eine oder eine geringere Zahl neuer Stückaktien wird. Ebenso wie bei der Teilung von Nennbetragsaktien (Rdn 102 ff) bedarf auch diese Maßnahme lediglich einer Satzungsänderung mit einer entsprechenden Mehrheit (§ 179 Abs 2). Grundsätzlich sind der Vereinigung mehrerer Stückaktien keine Grenzen gesetzt, so 165 dass die neue Anzahl der Stückaktien – unter Beachtung der Vorgaben von Abs 3 Satz 3 (Rdn 158) – frei festgelegt werden kann. Soweit die Zusammenlegung aber der Benachteiligung von Kleinaktionären dient, ist der Beschluss wegen eines Verstoßes gegen die Treuepflicht anfechtbar.205 Dies ist vor allem dann der Fall, wenn zu diesem
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Grigoleit/Vedder Rdn 18; aA Hölters/Solveen2 Rdn 25. Siehe auch die Nachweise in Fn 139 zur Rechtslage bei Nennbetragsaktien. Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 48; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 32; aA Vetter AG 2000, 193, 207.
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Zeitpunkt bereits eine Kapitalerhöhung geplant ist und die neu festgesetzte Anzahl der Stückaktien erheblich von den bisherigen Anzahl abweicht, da dies einem kalten Bezugsrechtsausschluss gleichkommt (Rdn 99). 166 Eine individuelle Zustimmung der Aktionäre ist nicht erforderlich, da sich die mitgliedschaftliche Stellung durch die Vereinigung nicht verändert.206 Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Aktionär nicht über die für die Vereinigung vorgesehene Anzahl von Aktien verfügt. In diesem Fall bedarf die Satzungsänderung seiner individuellen Zustimmung. Bleibt diese aus, ist der satzungsändernde Beschluss unwirksam und darf nicht im Handelsregister eingetragen werden. Erfolgt die Eintragung gleichwohl, ist die Satzungsänderung wirksam. Die Fehlerhaftigkeit kann später nach den allgemeinen Grundsätzen geltend gemacht werden. Die bisherigen Aktienurkunden werden durch die Satzungsänderung nicht un167 richtig, da nach der Vereinigung der Stückaktien lediglich die Anzahl der ausgegebenen Stückaktien mit der in der Satzung angegebenen Anzahl nicht mehr übereinstimmt. Daher müssen so viele Stückaktien eingezogen werden, dass die Angabe in der Satzung mit der Anzahl der ausgegebenen Aktien wieder übereinstimmt. Die Aktiengesellschaft kann von den Aktionären die Einreichung der betroffenen Stückaktien verlangen oder mit Genehmigung des Gerichts für kraftlos erklären (§ 73 Abs 1). Die insofern bei Nennbetragsaktien bestehende Einschränkung des § 73 Abs 1 Satz 2 (Rdn 108) findet auf Stückaktien aufgrund des fehlenden Nennbetrags keine Anwendung. 168
iii) Kapitalmaßnahmen. Bei Kapitalmaßnahmen wird die Anzahl der Stückaktien nur im Rahmen einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen verändert, da nach § 182 Abs 1 Satz 4 immer eine Ausgabe junger Aktien erfolgen muss (Rdn 110). Bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln erfolgt lediglich eine Erhöhung des Grundkapitals (Rdn 73). Dies gilt in umgekehrter Weise für die Kapitalherabsetzung (Rdn 73).
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f) Verletzung der Vorgaben von Abs 3 (Abs 3 Satz 4). Für die Verletzung der Vorgaben von Abs 3 gelten nach Abs 3 Satz 4 die Vorgaben von Abs 2 Satz 2 und 3 entsprechend, so dass sich insofern keine Unterschiede zu den für die Nennbetragsaktien entwickelten Grundsätzen ergeben (Rdn 112 ff). 2. Einführung von bzw Umstellung auf Stückaktien
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a) Festsetzung in der (Gründungs-)Satzung. Die Ausgabe von Stückaktien kann bereits in der Gründungssatzung der Aktiengesellschaft festgesetzt werden (§ 23 Abs 3 Nr 4). In diesem Fall muss die Satzung die genaue Anzahl der Stückaktien angeben (§ 23 Abs 3 Nr 4), da dem einzelnen Aktionär nur auf diese Weise eine Berechnung seines relativen Anteils an der Aktiengesellschaft möglich ist.
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b) Umstellung von Nennbetrags- in Stückaktien durch Satzungsänderung. Darüber hinaus können Stückaktien auch erst nachträglich statt Nennbetragsaktien eingeführt werden. Die Umwandlung von Nennbetrags- in Stückaktien steht allen Aktiengesellschaften offen. Praktische Bedeutung hatte und hat diese vor allem bei der Umstellung des Grundkapitals auf Euro (§ 7 Rdn 11), da sich bei Stückaktien durch die Umrechnung kein Glättungsbedarf (Rdn 64) zur Erreichung der Vorgaben von Abs 2 Satz 4 ergibt.
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Siehe auch die Nachweise in Fn 139 zur Rechtslage bei Nennbetragsaktien.
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Form und Mindestbeträge der Aktien | § 8
i) Änderung der Satzung. Die Umstellung bedarf eines Beschlusses der Hauptver- 172 sammlung mit einer ¾-Mehrheit, da insofern eine Änderung der Satzung erforderlich ist (§ 179). Bei dem Wechsel von Nennbetrags- zu Stückaktien handelt es sich insbesondere auch nicht um eine bloße Änderung der Fassung der Satzung nach § 179 Abs 1 Satz 2, so dass diese Entscheidung von der Hauptversammlung nicht auf den Aufsichtsrat übertragen werden kann. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den teilweise vorgesehenen Erleichterungen im Rahmen der Umstellung auf den Euro (Rdn 62 ff).207 Die Änderung der Satzung beschränkt sich oft nicht nur auf ein bloße Umstellung von Nennbetrags- in Stückaktien, sondern erfordert oftmals eine Umstückelung der Nennbetragsaktien208, wenn die Aktiengesellschaft Nennbetragsaktien mit verschiedenen Nennbeträgen ausgegeben hat, da Stückaktien immer über den gleichen fiktiven Nennbetrag verfügen müssen (Rdn 72). Diese beiden Maßnahmen können auch in einem Hauptversammlungsbeschluss zusammengefasst209 und einheitlich zum Handelsregister210 angemeldet werden. Der Übergang von Nennbetrags- zu Stückaktien steht im Belieben der Hauptver- 173 sammlung und wird insbesondere nicht durch individuelle Rechte der Aktionäre eingeschränkt. Vor allem existiert kein subjektives Recht des Aktionärs auf Beibehaltung von Nennbetragsaktien.211 Auch ein Sonderbeschluss nach § 179 Abs 3 ist nicht erforderlich.212 Dies gilt selbst dann, wenn die Nennbetragsaktien bisher unterschiedliche Nennbeträge haben, da diesem Umstand im Rahmen der Umstellung auf Stückaktien durch eine Neustückelung und Zuweisung einer entsprechend höheren Anzahl von Stückaktien entsprochen werden kann (Rdn 73 f). Die Satzungsänderung löst eine halbe Notargebühr aus (Nr 21201 Nr 5 KV GNotKG), 174 womit auch die Bescheinigung des Notars nach § 181 Abs 1 Satz 2 Hs 2 abgegolten ist (Vorb 2.1. II Nr 4 KV GNotKG). Der Geschäftswert bestimmt sich nach § 105 Abs 4 Nr 1 GNotKG. ii) Umstellung der Aktienurkunden. Mit der Satzungsänderung werden die bisher 175 ausgegebenen Aktienurkunden unrichtig, da die nunmehr bestehenden Stückaktien über keinen (echten) Nennbetrag mehr verfügen. Die unrichtigen Aktienurkunden können von der Aktiengesellschaft umgetauscht werden. Einen entsprechenden Anspruch hat die Aktiengesellschaft gegen die Inhaber der Aktien aber nicht.213 Etwas anderes gilt nur dann, wenn durch die bisherige Verbriefung eine Irreführung zu befürchten ist.214 Zudem kann die Aktiengesellschaft die Aktien nach einer Aufforderung zur Berichtigung mit Genehmigung des Gerichts für kraftlos erklären (§ 73 Abs 1 Satz 1). Die Ein-
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207 Ebenso Hüffer/Koch11 Rdn 20. 208 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 34; Heider AG 1998, 1, 8 f; Hüffer/Koch11 Rdn 20; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 10; Grigoleit/Vedder Rdn 6. 209 Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 13; OLG Frankfurt/Main v 15.3.2001 – 20 W 147/00, NZG 2001, 612 = AG 2001, 359; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 34; Hüffer/Koch11 Rdn 20; Ihrig/Streit NZG 1998, 201, 205 f; Kopp BB 1998, 701, 703; Schinzler Die teileingezahlte Namensaktie als Finanzierungselement der Versicherungswirtschaft, 1998, S 193 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 10; Grigoleit/Vedder Rdn 6. 210 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 34; Hüffer/Koch11 Rdn 20; Kopp BB 1998, 701, 703; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 10; unklar: Heider AG 1998, 1, 8 f. 211 MünchKomm/Heider4 Rdn 45; Hüffer/Koch11 Rdn 20; Ihrig/Streit NZG 1998, 201, 206; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 9. 212 Ebenso Heider AG 1998, 1, 8; Hüffer/Koch11 Rdn 20; Ihrig/Streit NZG 1998, 201, 206. 213 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 35; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 13. 214 Marsch-Barner/Schäfer/Gätsch Handbuch börsennotierte AG3, § 5 Rdn 11; Hüffer/Koch11 Rdn 24; Kopp BB 1998, 701, 704; Schürmann NJW 1998, 3162, 3163; wohl auch Heider AG 1998, 1, 6; Grigoleit/Vedder Rdn 6.
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§ 8 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
schränkung von § 73 Abs 1 Satz 2 findet keine Anwendung, da es sich bei der Umstellung von Nennbetrags- auf Stückaktien nicht um eine bloße Änderung des Nennbetrags handelt.215 Bis zur Kraftloserklärung können die Aktionäre ihre Aktionärsstellung durch die unrichtigen Aktienurkunden nachweisen, bei denen der Bestand an Stückaktien und die quotale Beteiligung des jeweiligen Aktionärs dann entsprechende berechnet werden müssen. Für die Verbriefung und Ausgabe neuer (Stück-)Aktien vgl im Übrigen § 13 Rdn 8 ff. 176
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iii) Notwendigkeit von Folgemaßnahmen. Bei einer Umstellung von Nennbetragsauf Stückaktien durch Satzungsänderung ist es in der Regel nicht ausreichend, die Satzung nur hinsichtlich des Wahlrechts nach Abs 1 (Rdn 86 ff) zu ändern. Vielmehr bedarf es oftmals der Anpassung von weiteren Satzungsbestimmungen, die auf die Nennbeträge der umgewandelten Nennbetragsaktien Bezug nehmen.216 Dies gilt zunächst für das genehmigte Kapital. Soweit bei diesem der Nennbetrag der neuen Aktien festgelegt wurde, muss die Ermächtigung an die nunmehr in der Satzung vorgesehenen Stückaktien durch eine Änderung der Satzung angepasst werden.217 Fehlt es hingegen an einer entsprechenden Satzungsänderung oder kommt diese dahingehend nicht zustande, kann der Vorstand die neuen Aktien mit Zustimmung des Aufsichtsrats als Stückaktien ausgeben.218 Insofern führt die fehlende Satzungsänderung hinsichtlich des genehmigten Kapitals nicht zu einem Fortfall oder einer Einschränkung des genehmigten Kapitals. Eine Anpassung ist beim bedingten Kapital ebenfalls notwendig, da vor der Umstellung auf Stückaktien nur Nennbetragsaktien existent waren und die Angabe der Nennbeträge der Aktien zum notwendigen Inhalt eines Beschluss zum bedingten Kapital gehört.219 Bei den Mehrheitserfordernissen ist hingegen zu unterscheiden. Wurde das bedingte Kapital in die Satzung aufgenommen, ist eine ¾-Mehrheit erforderlich. Hingegen reicht eine einfache Mehrheit, wenn die Satzungsregelungen (über Nennbetragsaktien) sich nicht auf junge Aktien beziehen.220 Voraussetzung für eine derartige Beschlussfassung ist allerdings, dass dadurch der Bezug der jungen Aktien nicht erschwert wird, da anderenfalls § 192 Abs 4 eingreift.221 Anpassungsbedarf besteht auch bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, da bei dieser eine Ausgabe neuer Aktien nur bei Bestehen von Nennbetragsaktien zwingend erforderlich ist (§ 207 Abs 2 Satz 2). Wird der Hauptversammlungsbeschluss nicht geändert, kann die in § 207 Abs 2 Satz 2 bestehende Möglichkeit des Abweichens von § 182 Abs 1 Satz 4 nicht genutzt werden, so dass junge Stückaktien auszugeben sind.222 Bei der Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen reicht für die noch nicht ausgeübten Bezugsrechte in der Regel eine Auslegung des dahingehenden Hauptversamm-
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215 Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 14; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 35; Heider AG 1998, 1, 6 (Fn 55); Hüffer/Koch11 Rdn 24; Kopp BB 1998, 701, 704; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 13; Grigoleit/Vedder Rdn 6. 216 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 36 ohne allerdings auf den konkreten Änderungsbedarf einzugehen. 217 Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 13; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 39; Ihrig/Streit NZG 1998, 201, 207; Hüffer/Koch11 Rdn 21; Schürmann NJW 1998, 3162, 3163; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 12. 218 Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 13; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 39; Hüffer/Koch11 Rdn 21; Ihrig/ Streit NZG 1998, 201, 207. 219 Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 13; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 40; Hüffer/Koch11 Rdn 22; Ihrig/ Streit NZG 1998, 201, 207; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 12. 220 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 40. 221 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 42; Hüffer/Koch11 Rdn 22. 222 Ähnlich Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 12.
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lungsbeschlusses, ohne dass es weiterer Maßnahmen bedarf.223 Allerdings kann auch ein klarstellender Beschluss mit einfacher Mehrheit gefasst werden.224 Schließlich müssen auch die Satzungsklauseln geändert werden, die in sonstiger 181 Weise auf die Nennbeträge der Aktien wie etwa Stimmrechte oder Dividendenvorzüge Bezug nehmen.225 Dafür ist ein Hauptversammlungsbeschluss mit einer ¾-Mehrheit erforderlich. Eine bloße Fassungsänderung nach § 179 Abs 1 Satz 2 ist nicht ausreichend. Der Beschluss der Hauptversammlung zur Einführung von Stückaktien reicht insofern gerade nicht aus. c) Formwechsel. Bei einem Formwechsel in eine Aktiengesellschaft besteht Gestal- 182 tungsfreiheit, so dass die Stückaktien mit dem Mindestnennbetrag nach Abs 3 Satz 3 (Rdn 158) oder einem höheren fiktiven Nennbetrag (Rdn 72) ausgegeben werden können. Dies gilt auch bei einem Formwechsel von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft, so dass die vorherigen Nennbeträge der GmbH-Anteile für die Festsetzung der Anzahl der zu bildenden Stückaktien irrelevant sind (§ 243 Abs 3 Satz 1 UmwG). d) Ausgabe der Stückaktien. Die Ausgabe der Stückaktien ist zunächst unproble- 183 matisch, soweit die Einzelverbriefung nach § 10 Abs 5 (§ 10 Rdn 202 ff) ausgeschlossen ist. Ist dies nicht der Fall, haben die Aktionäre einen Anspruch auf Verbriefung (§ 10 Rdn 56 ff). Auf der Stückaktie ist nur anzugeben, dass diese ein Stück verbrieft, so dass es gerade keiner Angabe des fiktiven Nennbetrags (Rdn 72) bedarf.226 Die Gesamtzahl der existierenden Stückaktien kann – ebenso wenig wie der Gesamtnennbetrag bei Nennbetragsaktien (Rdn 82) – nicht auf der Aktie angegeben werden, ergibt sich aber aus der Satzung, da dort die Gesamtzahl ausgewiesen werden muss (§ 23 Abs 3 Nr 3 – § 23 Rdn 91).227 VII. Bestimmung des Anteils der Aktien am Grundkapital (Abs 4) Mit Abs 4 wird der Grundsatz aufgestellt, dass sich der Anteil einer jeden Nennbe- 184 tragsaktie am Verhältnis des Nennbetrags zum Grundkapital und bei jeder Stückaktie an der Gesamtzahl der Stückaktien orientiert. Insofern handelt es sich um die Festlegung der Methode zur Bestimmung des relativen Anteils einer einzelnen Aktie. Ein eigenständiger Regelungsgehalt kommt Abs 4 aber nicht zu, da sich dieser Grundsatz schon aus Abs 2 und 3 ableitet (Rdn 91 ff und 153 ff). VIII. Unteilbarkeit von Aktien (Abs 5) Durch Abs 5 wird der Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien angeordnet, der für 185 das gesamte Modell der Aktie als verkehrsfähiges Wertpapier bzw -recht (§ 10 Rdn 34 ff) von zentraler Bedeutung ist. 1. Herleitung und Begründung des Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien. 186 Letztlich wird durch Abs 5 ein numerus clausus für die Gestaltung von Aktien vorgegeben, da die durch § 8 vorgegebene Wahl zwischen Nennbetrags- und Stückaktien
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Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 14; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 12. Hüffer/Koch11 Rdn 22; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 12. Hüffer/Koch11 Rdn 23; Ihrig/Streit NZG 1998, 201, 207; Schröer, ZIP 1998, 306, 308. K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 14. Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 12; Hüffer/Koch11 Rdn 24.
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(Rdn 86 ff) ohne weiteres durch eine (vertragliche) Aufspaltung der Aktie umgangen werden könnte. In seiner Zielrichtung adressiert der Grundsatz sowohl die Aktiengesellschaft selbst als auch deren Aktionäre. Letztlich können beide ein Interesse daran haben, bereits ausgegebene Aktien weiter aufzuspalten, auch wenn einzelne Aktionäre daran in der Regel ein größeres Interesse haben.228 Auch wenn Abs 5 den Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien für das Aktienrecht 187 spezifisch anordnet, handelt es sich tatsächlich um ein allgemeines Rechtsprinzip des Gesellschaftsrechts, das etwa auch in § 717 Satz 1 BGB zum Ausdruck kommt.229 Durch die (nochmalige) Normierung in Abs 5 ergeben sich im Ergebnis daher keine über § 717 Satz 1 BGB hinausgehenden Rechtsfolgen, was allerdings an der vorrangigen Anwendung der Spezialregelung des Abs 5 nichts ändert.230 Allerdings zeigt der Umstand, dass sich der Grundsatz der Unteilbarkeit auch im allgemeinen Gesellschaftsrecht findet, dass dieser nicht allein auf der Verkehrsfähigkeit der Anteile beruhen kann, da diese vor allem bei den Personengesellschaften im Grundsatz gerade nicht besteht.231 Vielmehr muss dies als Anhaltspunkt für die Sicherung der Satzungsautonomie als Regelungszweck des Grundsatzes der Unteilbarkeit von Aktien (Rdn 185 ff) verstanden werden. Der Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien bezieht sich allerdings nur auf die recht188 liche Teilung von Aktien und erfasst nicht deren wirtschaftliche Teilung, die sich durch verschiedene Konstruktionen erreichen lässt (Rdn 196 ff).232 189
2. Ausprägungen des Grundsatzes der Unteilbarkeit. Der Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien erfährt zwei verschiedene Ausprägungen in Form des Verbots der Realteilung (Aufspaltungsverbot – Rdn 190 f) und des Abspaltungsverbots (Rdn 192 ff).
a) Verbot der Realteilung (Aufspaltungsverbot). Durch Abs 5 wird zunächst die sogenannte Realteilung einer Aktie in mehrere eigenständige Mitgliedschaftsrechte verboten.233 Dies gilt auch dann, wenn etwa eine Aktie vererbt wird, so dass diese nicht unter den Erben aufgeteilt werden kann.234 Vielmehr steht die Aktie dann der Erbengemeinschaft (Rdn 201) zu und wird von dieser gehalten. Eine Teilung in Natur (§ 752 BGB) ist dann ausgeschlossen, so dass diese nur durch Verkauf (§ 753 BGB) erfolgen kann.235 Keinen Fall der Realteilung stellt der Umtausch einer Globalurkunde in mehrere 191 Einzelurkunden dar, da die Globalurkunde nur mehrere einzelne Aktien verbrieft und
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228 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 43; Zöllner AG 1985, 19, 20; ähnlich K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 24; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 49. 229 Butzke GS Winter, S 59, 60; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 44; Hüffer/Koch11 Rdn 26; Reichert/Harbarth AG 2001, 447, 448; K. Schmidt Gesellschaftsrecht, § 19 III 4; Grigoleit/Vedder Rdn 22; Westermann Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, S 382 ff; Wiedemann Gesellschaftsrecht – Band I, 1980, § 7 I 1; ders Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten, S 276 ff; ähnlich Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 50, der dies allerdings nur auf das Abspaltungsverbot bezieht. 230 In diesem Sinne wohl auch Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 50. 231 AA K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 24, die den Regelungshintergrund in der Erhöhung der Verkehrsfähigkeit der Aktie sieht. 232 Bachmann ZHR 173 (2009), 596, 610; Kumpan/Mittermeier ZIP 2009, 404, 405; Seibt ZGR 2010, 795, 798. 233 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 43 f; MünchKomm/Heider4 Rdn 88; Hüffer/Koch11 Rdn 26; Seibt ZGR 2010, 795, 814 ff; Hölters/Solveen2 Rdn 28. 234 LG Dortmund v 13.8.2009 – 4 O 91/06 Tz 103. 235 LG Dortmund v 13.8.2009 – 4 O 91/06 Tz 103; MünchKommBGB/K. Schmidt6 § 752 Rdn 20.
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zusammenfasst.236 Mit dem Umtausch wird daher die bereits vorher bestehende rechtliche Selbständigkeit der Aktien auch im Rahmen der Verbriefung nachgezeichnet. b) Abspaltungsverbot. Darüber hinaus ist auch eine Abspaltung oder Abtrennung der Verwaltungsrechte von der Mitgliedschaft unzulässig, weil das subjektive Recht des Mitglieds notwendigerweise einheitlich bestehen muss und der Fremdbestimmung entzogen sein soll.237 Das Teilnahmerecht an der Hauptversammlung (§ 118 Abs 1)238, das Recht zu deren Einberufung239 und das Auskunftsrecht (§§ 131 f)240 können daher nicht allein übertragen werden. Dies gilt ebenso für das Stimmrecht (dazu ausführlich § 12 Rdn 61 ff). Auch das Recht, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage zu erheben, ist nicht selbständig übertragbar.241 Zudem ist auch eine Abtrennung des mitgliedschaftlichen Rechts auf Gewinnteilhabe durch Abs 5 ausgeschlossen.242 Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich dieses Recht in einen konkreten Anspruch verdichtet hat, was dann der Fall ist, wenn ein konkreter Gewinnverwendungsbeschluss gefasst wurde.243 Dieser Anspruch ist dann selbstständig abtretbar. Auch eine Abtretung künftiger Gewinnansprüche ist möglich, solange diese hinreichend bestimmt sind.244 Diese Grundsätze gelten auch für den Anspruch auf anteiligen Liquidationserlös (§ 271), den Anspruch auf Gründungsentschädigung (§ 26 Abs 2), den Anspruch auf Ausgleichszahlung beim Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag (§ 304), den Anspruch auf Abfindung (§ 305) sowie den Abfindungs- und Zuzahlungsansprüchen nach dem UmwG.245 Schließlich ist auch das Bezugsrecht als Vermögensrecht des Aktionär selbständig übertragbar, so dass Abs 5 dahingehend nicht zur Anwendung kommt.246 Dabei gilt aber ebenso wie bei dem Gewinnanspruch die Einschränkung, dass das mitgliedschaftliche Bezugsrechts insgesamt nicht übertragen werden kann. Gestattet ist lediglich die Übertragung des konkreten Bezugsrechts.247
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c) Zulässige Maßnahmen und Gestaltungen. In Abgrenzung zu den in Rdn 190 ff 196 genannten Fallgruppen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unteilbarkeit haben
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236 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 51. 237 RG v 31.3.1931 – II 222/30 Z 132, 149, 159; BGH v 17.11.1986 – II ZR 96/86 NJW 1987, 780 = AG 1987, 157; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 44; MünchKomm/Heider4 Rdn 89; Hüffer/Koch11 Rdn 26; Hölters/Solveen2 Rdn 28; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 27 f. 238 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 45; MünchKomm/Heider4 Rdn 89; Hüffer/Koch11 Rdn 26; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 50; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 29. 239 OLG Celle v 4.2.2015 – 9 W 14/15, AG 2015, 363 (kein Einberufungsrecht für den Pfandgläubiger). 240 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 45; MünchKomm/Heider4 Rdn 89; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 50; Grigoleit/ Vedder Rdn 22; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 29. 241 RG v 31.3.1931 – II 222/30 Z 132, 149, 158 f; Grigoleit/Vedder Rdn 22. 242 BGH v 24.1.1957 – II ZR 208/55 Z 23, 150, 154 = NJW 1957, 588 (Anspruch mitgliedschaftlicher Art); KK/Dauner-Lieb3 Rdn 45; MünchKomm/Heider4 Rdn 89; Hüffer/Koch11 Rdn 26; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 50; Grigoleit/Vedder Rdn 22; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 28. 243 BGH v 8.10.1952 – II ZR 313/51 Z 7, 263, 264; BGH v 24.1.1987 – II ZR 208/55 Z 23, 150, 154 = NJW 1957, 58; BGH v 3.11.1975 – II ZR 67/73 Z 65, 230, 235 = WM 1976, 12; BGH v 28.10.1993 – IX ZR 21/93 Z 124, 27, 31 = NJW 1994, 323; MünchKomm/Heider4 Rdn 90; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 60; Heidel/Wagner4 Rdn 20; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 28. 244 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 45. 245 Ebenso Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 60. 246 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 46; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 50; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 28. 247 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 46; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 28.
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sich in der aktienrechtlichen Praxis einige Konstellationen entwickelt, bei denen ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unteilbarkeit nicht vorliegt. 197
i) Neustückelung. Der Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien steht einer Neustückelung von Aktien nicht entgegen.248 Denn mit einer Neustückelung wird lediglich das Verhältnis der einzelnen Aktie zum Grundkapital neu definiert und an dem Umfang der Rechte aus der einzelnen Aktie keine Änderung vorgenommen. Dies gilt dabei sowohl für Nennbetrags- (Rdn 69) als auch für Stückaktien (Rdn 77). Dazu ausführlich Rdn 101 ff und Rdn 160 ff.
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ii) Umtausch von Globalaktien in Einzelurkunden. Auch der Umtausch von Globalaktien in Einzelurkunden stellt ebenfalls keinen Verstoß gegen Abs 5 dar, da die Globalaktie schon kein einheitliches Mitgliedschaftsrecht darstellt.249 Ein derartiger Umtausch ist möglich, wenn die Satzung den Anspruch des Aktionärs auf Einzelverbriefung nicht ausschließt (§ 10 Rdn 202 ff).
iii) Gemeinschaftliche Berechtigung. Kein Fall einer Teilung der Aktie ist die Begründung einer gemeinschaftlichen Berechtigung an dieser.250 Dies ergibt sich schon aus § 69 Abs 1, da dort eine gemeinschaftliche Beteiligung ausdrücklich vorausgesetzt wird. Dies gilt zunächst für die Bruchteilsgemeinschaft (§§ 741 ff BGB), so dass an der Ak200 tie auch Miteigentum begründet werden kann. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass eine Verbriefung der Aktie erfolgt ist, da sich die Miteigentümerstellung dann auf die Aktie als Wertpapier bezieht.251 In Abweichung von § 748 BGB haften die Miteigentümer gegenüber der Aktiengesellschaft aber als Gesamtschuldner (§ 69 Abs 2).252 Für die Ausübung der Rechte aus der Aktie bedarf es der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters (§ 69 Abs 1). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht bei den Kapitalverwaltungsgesellschaften (§ 92 Abs 1 Satz 1 Alt 2 KAGB). Zudem können Aktien auch von Gesamthandsgemeinschaften gehalten werden, 201 ohne dass Abs 5 dem entgegensteht. Soweit die Gesamthandsgemeinschaft wie die Personenhandelsgesellschaften (§§ 105, 124, 161 HGB) und die Außengesellschaft bürgerlichen Rechts253 rechtsfähig ist, werden die Rechte aus der Aktie von demjenigen ausgeübt, der zur Vertretung berechtigt ist. Bei einer fehlenden Rechtsfähigkeit wie bei der Erben- (§ 1922 BGB) oder Gütergemeinschaft (§§ 1415 ff BGB) sind die Mitglieder der Gesamthandsgemeinschaft Aktionäre als eine Mehrzahl von Berechtigten (§ 69). 199
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iv) Unterbeteiligung. Auch die Begründung einer Unterbeteiligung stellt keinen Verstoß gegen Abs 5 dar254, da sich die Unterbeteiligung auf eine schuldrechtliche Be-
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248 Begr RegE 2. FMFG BT-Drucks 12/6679, S 83; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 43, 52; MünchKomm/Heider4 Rdn 95; Hüffer/Koch11 Rdn 27; Seibert AG 1993, 315, 317; Hölters/Solveen2 Rdn 14; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 27, 49, 52; Grigoleit/Vedder Rdn 20; Heidel/Wagner4 Rdn 18; Zöllner AG 1985, 19 ff; Heidel/Wagner4 Rdn 8; wohl auch K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 25, 31 f. 249 MünchKomm/Heider4 Rdn 96; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 53. 250 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 47; MünchKomm/Heider4 Rdn 94; Hölters/Solveen2 Rdn 29; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 54; Grigoleit/Vedder Rdn 20; Heidel/Wagner4 Rdn 21; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 26. 251 MünchKommBGB/K. Schmidt6 § 741 Rdn 14; wohl auch Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 55. 252 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 55. 253 Zur Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts vgl BGH v 29.1.2001 – II ZR 331/00, Z 146, 341 = NJW 2001, 1056; BGH v 19.11.2008 – XII ZR 123/07, Z 179, 10 = NJW 2009, 1071; vgl auch MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer6 § 705 Rdn 303 ff mit weiteren Nachweisen. 254 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 49; MünchKomm/Heider4 Rdn 91; Hölters/Solveen2 Rdn 29; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 57; Grigoleit/Vedder Rdn 20; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 30.
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ziehung zwischen dem Inhaber der Aktie und dem Vertragspartner beschränkt.255 Aufgrund dieses rein schuldrechtlichen Charakters fehlt es an einer Abspaltung von Verwaltungsrechten. v) Treuhand. Ebenfalls keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Unteilbarkeit von 203 Aktien stellt die Begründung einer Treuhand an einer Aktie dar.256 Zwar findet bei der Treuhand eine Vollrechtsübertragung statt. Allerdings begründen die schuldrechtlichen Bindungen des Treuhänders gegenüber dem Treugeber keine Abspaltung von Verwaltungsrechten.257 Soweit die Aktien im Rahmen des Treuhandverhältnisses mehreren Treuhändern zugeordnet werden und sich dabei nicht an den Nennbeträgen der Nennbetragsaktien bzw den fiktiven Nennbeträgen der Stückaktien orientiert wird, ist die Begründung der Treuhand allerdings nur dann wirksam, wenn der Herausgeberanspruch so gestaltet wird, dass die effektiv nicht teilbaren Aktien nur in Rechtsgemeinschaft an die Treugeber übertragen werden.258 vi) Empty Voting (insbesondere Aktienleihe). In einem Spannungsverhältnis zum 204 Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien steht das sogenannte empty voting, bei dem Stimmrechte in einem Umfang ausgeübt werden, der keinem entsprechenden wirtschaftlichen Eigentum gegenübersteht.259 Dies lässt sich im Wesentlichen durch eine Aktienleihe oder eine Rückkaufvereinbarung (sale and repurchase agreement) erreichen, in dem die Aktienübertragung nur für den Zeitraum vorgenommen wird, in dem die Ausübung der Stimm- oder Verwaltungsrechte erfolgen soll.260 Für die Erstreckung des Grundsatzes der Unteilbarkeit von Aktien auf das empty voting spricht zunächst die mit diesem verbundene wirtschaftliche Herbeiführung des gleichen Ergebnisses wie die (verbotene) Abspaltung des Stimmrechts. Nichtsdestotrotz wird der Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien aufgrund der fehlenden rechtlichen Trennung der Stimm- oder Verwaltungsrechte von der Aktie tatsächlich nicht berührt.261 Eine Ausdehnung auf wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte muss schon daran scheitern, dass sich diese wirtschaftliche Vergleichbarkeit oftmals nur schwer begründen lässt und die dafür maßgeblichen Kriterien meist zu unscharf sind, um die für den Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien vorgesehenen (drastischen) Rechtsfolgen (Rdn 207 ff) zu rechtfertigen. Hinzu kommt, dass mit dem empty voting auch positive Effekte verbunden sind. Zur Vermeidung der negativen Effekte und zur rechtspolitischen Zweifelhaftigkeit des empty voting Rdn 10 ff. vii) Hidden Ownership. Ähnlich wie auch das empty voting (Rdn 204 ff) stellt sich 205 das sogenannte hidden ownership im Verhältnis zum Grundsatz der Unteilbarkeit von
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255 Zur Unterbeteiligung vgl ausführlich Röhricht/Graf von Westphalen/Haas/Mock4 § 230 Rdn 150 ff. 256 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 49; MünchKomm/Heider4 Rdn 92; Hüffer/Koch11 Rdn 26; Hölters/Solveen2 Rdn 29; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 58; Grigoleit/Vedder Rdn 22; Heidel/Wagner4 Rdn 22; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 30. 257 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 49. 258 BGH v 20.7.2005 – VIII ZR 397/03, NZG 2005, 927, 928 (zu § 5 Abs 3 Satz 1 GmbHG); zustimmend Heidel/Wagner4 Rdn 22. 259 Grundlegend zu diesem Phänomen Hu/Black 79 S.Cal.L.Rev. 811 (2006); dies, 156 U.Pa.L.Rev. 625 (2008); vgl dazu auch aus dem deutschen Schrifttum Kumpan/Mittermeier ZIP 2009, 404 ff; Seibt ZGR 2010, 795, 799 ff; Theusinger/Möritz NZG 2010, 607 ff. 260 Kumpan/Mittermeier ZIP 2009, 404 ff; Seibt ZGR 2010, 795, 799 ff; Theusinger/Möritz NZG 2010, 607, 607 f. 261 Ebenso Bachmann ZHR 173 (2009), 596, 612; Kumpan/Mittermeier ZIP 2009, 404, 405; Theusinger/ Möritz NZG 2010, 607, 609; aA wohl Seibt ZGR 2010, 795, 814 ff.
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Aktien als problematisch dar. Bei diesem werden im Wesentlichen Derivate erworben, die einerseits die Aktie wirtschaftlich spiegeln, ohne andererseits zugleich eine Mitgliedschaft und damit ein Stimmrecht oder andere Verwaltungsrechte zu begründen.262 Da es auch in diesen Fällen nicht zu einer rechtlichen Trennung der mitgliedschaftsrechtlichen Rechte von der Aktie kommt, steht der Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien dieser Konstellation ebenfalls nicht entgegen.263 Zur Vermeidung der negativen Effekte und zur rechtspolitischen Zweifelhaftigkeit des hidden ownership Rdn 10 ff. 206
viii) American Depositary Receipts (ADR). Keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien stellt schließlich die Ausgabe von American Depositary Receipts (ADR)264 dar, da es sich dabei weder um Aktien handelt noch diese mitgliedschaftliche Rechte vermitteln.
3. Rechtsfolgen. Der Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien bzw das sich daraus ergebene Verbot stellen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB dar, so dass die entsprechenden Rechtsgeschäfte nichtig sind.265 Daher können die entgegen Abs 5 abgeteilten oder abgespaltenen Rechte schon nicht selbständig bestehen und daher auch nicht verbrieft werden.266 Auch ein entsprechender gutgläubiger Erwerb ist nicht möglich, da der Erwerber eines (abgespaltenen) Rechts in seinem guten Glauben an dieses nicht geschützt wird. Verpflichtungsgeschäfte, mit denen sich eine Partei zur Übertragung einzelner 208 Vermögens- oder Verwaltungsrechte unter Verstoß gegen den Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien verpflichtet hat, sind hingegen wirksam.267 Denn durch die Übernahme der schuldrechtlichen Verpflichtung wird lediglich eine wegen Abs 5 unmögliche Leistung versprochen, die der Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts nicht entgegensteht (§ 311a Abs 1 BGB). Einen Schadenersatz- oder Aufwendungsersatzanspruch nach § 311a Abs 2 Satz 1 BGB ist aber in der Regel nach § 311a Abs 2 Satz 2 BGB ausgeschlossen, da der Erwerber das Leistungshindernis in Form von Abs 5 meist kennen wird. 207
IX. Ausgabe von Zwischenscheinen (Abs 6) 209
1. Begriff. Zwischenscheine sind Wertpapiere, die Mitgliedschaftsrechte wie Aktien verbriefen, dabei aber nur vorläufig gelten.268 Die vorläufige Geltung erstreckt sich dabei typischerweise bis zur Ausgabe der Aktienurkunden, da diese vor der Leistung des vollen Ausgabebetrags nicht ausgegeben werden dürfen (§ 10 Abs 2 Satz 1 – § 10 Rdn 181 ff). Der Zwischenschein ist ein Orderpapier, so dass dessen Übertragung durch Indossament erfolgt.269
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2. Bedeutung. Hintergrund der Ausgabe dieser Zwischenscheine ist, dass die Ausgabe von Aktien vor einer vollständigen Leistung des Ausgabebetrags nicht erfolgen darf
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262 Dazu Seibt ZGR 2010, 795, 806 ff. 263 aA wohl Seibt ZGR 2010, 795, 815 ff. 264 Vgl dazu etwa Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 50. 265 MünchKomm/Heider4 Rdn 98; ebenso – allerdings ohne Herleitung der Nichtigkeit – Hüffer/Koch11 Rdn 26; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 49, 62; Grigoleit/Vedder Rdn 20; Heidel/Wagner4 Rdn 18. 266 MünchKomm/Heider4 Rdn 98; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 62. 267 AA und von einer Nichtigkeit nach § 134 BGB ausgehend MünchKomm/Heider4 Rdn 98. 268 RG v 5.11.1895 – II 195/95, Z 36, 35, 40; MünchKomm/Heider4 Rdn 99; Hüffer/Koch11 Rdn 28; MünchHdbAG/Sailer-Coceani4 § 12 Rdn 24. 269 MünchHdbAG/Sailer-Coceani4 § 12 Rdn 25.
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Ausgabebetrag der Aktien | § 9
(§ 10 Abs 2 Satz 1 – § 10 Rdn 181 ff). Die Bedeutung von Zwischenscheinen ist stark abnehmend. Dies hängt zunächst mit dem meist erfolgenden Ausschluss der Einzelverbriefung der Aktien zusammen (§ 10 Abs 5 – § 10 Rdn 202 ff), so dass es aufgrund der fehlenden Ausgabe von verbrieften Aktien auch schon keiner Ausgabe von Zwischenscheinen bedarf. Aber selbst bei einer Einzelverbriefung besteht nicht zwingend ein Bedürfnis für Zwischenscheine, zumal in der heutigen Zeit der Zeitraum zwischen Zeichnung der Aktien und der Leistung des Ausgabebetrags meist recht kurz ist. Zudem erfolgt die Ausgabe von Aktien meist über die Einschaltung eines Kreditinstituts als underwriter270, so dass es ohnehin meist zu einer vollständigen Leistung des Ausgabebetrags kommt. 3. Anforderungen an Zwischenscheine. Für die Zwischenscheine gelten nach Abs 6 211 die Vorschriften der Abs 1 bis 5 entsprechend. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob sich die Zwischenscheine auf Nennbetrags- (Rdn 91 ff) oder Stückaktien (Rdn 153 ff) beziehen. Zwischenscheine können auch über mehrere Mitgliedschaften lauten.271 4. Ausgabe. Die Aktionäre haben einen Anspruch auf Ausgabe der Zwischen- 212 scheine nur dann, wenn die Satzung einen solchen Anspruch vorsieht. Fehlt es an einer solchen Satzungsregelung, entscheidet der Vorstand nach Ermessen.272 Zudem müssen Zwischenscheine immer auf Namen lauten (§ 10 Abs 3 – § 10 Rdn 196 ff). 5. Verletzung der Vorgaben. Werden bei der Ausgabe von Zwischenscheinen die 213 Vorgaben der Abs 1 bis 5 verletzt, bestimmen sich die Folgen nach den allgemeinen Vorschriften (Rdn 112 ff, 169, 207 f). Wurden Zwischenscheine auf den Inhaber ausgestellt, sind diese nach § 10 Abs 4 nichtig und können eine Schadenersatzpflicht gegen den Ausgeber begründen (§ 10 Rdn 196 ff). § 9 Ausgabebetrag der Aktien Mock
§9 Ausgabebetrag der Aktien (1) Für einen geringeren Betrag als den Nennbetrag oder den auf die einzelne Stückaktie entfallenden anteiligen Betrag des Grundkapitals dürfen Aktien nicht ausgegeben werden (geringster Ausgabebetrag). (2) Für einen höheren Betrag ist die Ausgabe zulässig.
I.
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Inhalt der Regelung | 1 2. Zweck der Regelung | 2 a) Verbot der Unter-pariEmission | 2 b) Zulässigkeit von Über-pariEmissionen | 3 c) Keine Normierung eines numerus clausus der Kapitalaufbringung | 6
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3.
4. 5. 6.
Gesetzesgeschichte | 7 a) Verbot der Unter-pariEmission | 7 b) Zulässigkeit des Aufgelds | 10 Wirtschaftliche Bedeutung | 13 Europäisches Recht | 15 Ausländisches Recht | 18 a) Verbot der Unter-pari-Emission | 18 b) Zulässigkeit der Über-pariEmission | 21
270 Schanz Börseneinführung, § 9 Rdn 24 ff. 271 MünchKomm/Heider Rdn 100; MünchHdbAG/Sailer-Coceani4 § 12 Rdn 25. 272 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 53; MünchKomm/Heider Rdn 100; Hüffer/Koch11 Rdn 28; MünchHdbAG/SailerCoceani4 § 12 Rdn 26; Grigoleit/Vedder Rdn 23; Heidel/Wagner4 Rdn 23; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 34.
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§ 9 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
Ökonomische Analyse | 24 Rechtspolitische Würdigung | 26 Verhältnis zu anderen Vorschriften | 28 10. (Fehlende) Disponibilität | 30 Ausgabebetrag der Aktien | 31 1. Zusammensetzung | 32 a) (Fiktiver) Nennbetrag der Aktien | 32 b) Aufgeld (Agio) | 34 i) Funktion des Aufgelds | 35 ii) Offenes Aufgeld | 37 iii) Verstecktes Aufgeld | 38 iv) Mehrbetrag bei Kapitalerhöhungen mit mittelbarem Bezugsrecht | 39 2. Kapitalaufbringung durch schuldrechtliche Zuzahlungen | 40 3. Verhältnis zu anderen Beträgen | 41 a) Abgeld (Disagio) | 41 b) Kaufpreis der Aktien | 42 c) Börsenkurs | 43 4. Festsetzung | 44 Verbot der Ausgabe unter pari (Abs 1) | 47 1. Beschränkung des Verbots auf die Ausgabe von Aktien | 48 2. Begriff und Zeitpunkt der Ausgabe der Aktien | 51 3. Erreichen des geringsten Ausgabebetrags | 52 4. Rechtsfolgen eines Verstoßes | 60 a) Gründung der Aktiengesellschaft | 61 i) Auswirkungen auf die Entstehung der Aktiengesellschaft | 61 ii) Auswirkungen auf die Einlageverpflichtung der Aktionäre | 64 iii) Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien | 68 iv) Haftungsfolgen für die Organmitglieder und die Gründer | 69 v) Buß- und strafrechtliche Sanktionen | 72 b) Kapitalerhöhung | 73 i) Auswirkungen auf die Verfassung der Aktiengesellschaft | 73 ii) Auswirkungen auf die Einlageverpflichtung der Aktionäre | 78
iii)
7. 8. 9.
II.
III.
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IV.
Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien | 82 iv) Haftungsfolgen für die Organmitglieder | 83 v) Buß- und strafrechtliche Sanktionen | 84 Kapitalaufbringung durch Aktienausgabe über pari (Abs 2) | 85 1. Offenes Aufgeld | 86 a) Zulässigkeit | 86 i) Beschränkung auf Aktien | 86 ii) Gründung der Aktiengesellschaft und Kapitalerhöhungen | 87 iii) Bar- und Sacheinlage | 88 b) Festsetzung | 89 i) Aufgeldfähigkeit | 89 ii) Gründung | 90 iii) Kapitalerhöhung | 91 (1) Formale Anforderungen an die Festsetzung | 91 (2) Materielle Anforderungen an die Festsetzung | 94 iv) Änderung der Ausgabebeträge | 100 c) Erbringung des Aufgelds | 103 i) Entstehung und Fälligkeit der Leistungspflicht | 103 ii) Prüfung durch Sachverständige und Registergericht | 105 iii) Publizität | 107 iv) Leistungsstörungsrecht (insbesondere Überbewertung) | 108 d) Übertragbarkeit der Leistungspflicht | 112 e) Bilanzierung | 113 f) Verwendungsmöglichkeiten und kapitalgesellschaftsrechtliche Bindungen | 115 2. Verstecktes Aufgeld | 117 3. Kapitalaufbringung im Rahmen schuldrechtlicher Zuzahlungen | 121 a) Zulässigkeit | 122 b) Abgrenzung zu anderen Finanzierungsformen | 127 c) Gestaltungsvarianten | 129 d) Festsetzung | 131 e) Erbringung der schuldrechtlichen Zuzahlung | 134 168
Ausgabebetrag der Aktien | § 9
i) ii)
iii) iv)
Entstehung und Fälligkeit | 134 Keine Prüfung durch Sachverständige oder Registergericht | 135 (Keine) Publizität | 136 Leistungsstörungsrecht (insbesondere Überbewertung) | 137
f)
4.
Übertragbarkeit der Leistungspflicht | 140 g) Bilanzierung | 141 h) Verwendungsmöglichkeiten und kapitalgesellschaftsrechtliche Bindung | 142 Mehrbetrag bei Kapitalerhöhungen mit mittelbarem Bezugsrecht | 143
Schrifttum Baums Agio und sonstige Zuzahlungen im Aktienrecht, FS Hommelhoff, 2012, S 61; Becker Aktienrechtliches und handelsrechtliches Agio, NZG 2003, 510; Götze Keine Angabe des Ausgabebetrags im Zeichnungsschein bei Sachkapitalerhöhungen in der AG?, AG 2002, 76; Haberstock Rückzahlungen an Gesellschafter aus freier Kapitalrücklage, NZG 2008, 220; Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, 2004; Hergeth/Eberl Schuldrechtliche Zuzahlungspflichten bei der Kapitalerhöhung einer Aktiengesellschaft, DStR 2002, 1818; Hermanns Gestaltungsmöglichkeiten bei der Kapitalerhöhung mit Agio, ZIP 2003, 788; Hoffmann-Becking Ausgabebetrag bei Sacheinlagen, FS Wiedemann, 2002, S 999; Kocher/Feigen Materielle Grenzen für Ausgabebetrag und Bezugspreis bei Bezugsrechtsemissionen, CFL 2013, 116; Loges/ Zimmermann Aktienrechtliche Ansprüche beim Erwerb von Unternehmen gegen Gewährung von Aktien, WM 2005, 349; Lüssow Das Agio im GmbH- und Aktienrecht, 2005; Maier-Reimer Wert der Sacheinlage und Ausgabebetrag, FS Bezzenberger, 2000, S 253; Mellert Venture Capital Beteiligungsverträge auf dem Prüfstand, NZG 2003, 1096; Mock Finanzverfassung der Kapitalgesellschaften und internationale Rechnungslegung, 2007 (zit. Mock Finanzverfassung); Noack Aktien – Gattungen, Verbriefung, Übertragung, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel – Band II, 2007, Kap. 11; Priester Kapitalaufbringungspflicht und Gestaltungsspielräume beim Agio, FS Lutter, 2000, S 617; ders Schuldrechtliche Zusatzleistungen bei Kapitalerhöhung im Aktienrecht – Zulässigkeit, Registerprüfung, Bilanzierung, FS Röhricht, 2005, S 467; Rottnauer Ausgabebetragsbemessung bei effektiver Kapitalerhöhung in einer personalistischen Kapitalgesellschaft, ZGR 2007, 401; Schäfer Vereinbarungen bei Aktienemissionen, ZGR 2008, 455; ders Schuldrechtliches Agio im Aktienrecht – Kapitalaufbringung ad libitum?, ZIP 2016, 953; ders Zur Einbeziehung des Agios in die aktienrechtliche Kapitalaufbringung – Konsequenzen aus der „Babcock“-Entscheidung des BGH, FS Stilz 2014, S 525; Schnorbus/Plassmann Bilanzierung eines schuldrechtlichen Agios als andere Zuzahlung gem § 272 Abs 2 Nr 4 HGB, ZIP 2016, 693; Schorling/Vogel Schuldrechtliche Finanzierungsvereinbarungen neben Kapitalerhöhungsbeschluss und Zeichnung, AG 2003, 86; Trölitzsch Differenzhaftung für Sacheinlagen bei Kapitalgesellschaften, 1998; Vaupel/Reers Kapitalerhöhungen bei börsennotierten Aktiengesellschaften in der Krise, AG 2010, 93; Verse (Gemischte) Sacheinlagen, Differenzhaftung und Vergleich über Einlageforderungen, ZGR 2012, 875; Wagner Gründung bzw Kapitalerhöhung von Kapitalgesellschaften – Aufgeld auf satzungsmäßiger bzw schuldrechtlicher Grundlage, DB 2004, 293; Wieneke Die Differenzhaftung des Inferenten und die Zulässigkeit eines Vergleichs über ihre Höhe, NZG 2012, 136.
I. Grundlagen 1. Inhalt der Regelung. Durch Abs 1 wird das Verbot der Unter-pari-Emission 1 (Rdn 47 ff) aufgestellt, so dass Aktien nicht für einen geringen Betrag als dem Nennbetrag bzw dem fiktiven Nennbetrag ausgegeben werden dürfen. Zudem gestattet Abs 2 eine Ausgabe zu einem höheren Betrag (Über-pari-Emission), so dass der Nennbetrag bzw der fiktive Nennbetrag (§ 8 Rdn 72) und der Ausgabebetrag nicht zwingend übereinstimmen müssen (Rdn 31 ff). 2. Zweck der Regelung a) Verbot der Unter-pari-Emission. Hintergrund des Verbots der Unter-pari-Emis- 2 sion ist der Gläubigerschutz in Form der Kapitalaufbringung, da nur mit der Emission 169
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§ 9 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
der Aktien zum geringsten Ausgabebetrag sichergestellt wird, dass das Grundkapital auch tatsächlich aufgebracht wird.1 Dieser Gläubigerschutzgedanke gilt sowohl für die Ausgabe von Nenn- als auch von Stückbetragsaktien2, da in beiden Fällen ein Grundkapital aufzubringen ist und nur die Berechnung des Anteils einer Aktie unterschiedlich erfolgt (§ 8 Rdn 69 ff). Würde das Verbot der Unter-pari-Emission nicht bestehen, könnten die Aktien von der Aktiengesellschaft ausgegeben werden, ohne dass dieser das Grundkapital tatsächlich zufließt. Damit stellt Abs 1 einen wichtigen Baustein des insgesamt auf den Gläubigerschutz ausgerichteten Kapitalschutzsystems dar.3 Zur generellen Kritik am Kapitalschutzsystem siehe § 7 Rdn 27 ff. b) Zulässigkeit von Über-pari-Emissionen. Die Möglichkeit einer Über-pariEmission basiert hingegen auf der Überlegung einer flexiblen Finanzierung der Aktiengesellschaft (Rdn 25) durch die Zuführung eines Agio, da dieses grundsätzlich geringeren Bindungen als das Grundkapital unterliegt.4 Damit trifft Abs 2 eine grundlegende Wertentscheidung hinsichtlich der Finanzierung der Aktiengesellschaft5, da der von den Aktionären geleistete Betrag bei der Zeichnung der Aktien höher als der Nennbetrag bzw der fiktive Nennbetrag bei Stückaktien ausfallen kann. Dieser Grundsatz ist aus historischer Sicht auch nicht selbstverständlich, da zumindest in den Anfängen des deutschen Aktienrechts die Begründung einer Leistungsverpflichtung der Aktionäre jenseits des Nennbetrags nicht selbstverständlich war (Rdn 10). Zu den Hintergründen und Funktionen der Festsetzung eines Aufgelds siehe ausführlich Rdn 89 ff. 4 Mit der durch Abs 2 angeordneten Zulässigkeit der Über-pari-Emission ist allerdings noch keine Entscheidung über den organisations- oder finanzverfassungsrechtlichen Umgang mit dem Aufgeld verbunden (siehe dazu ausführlich Rdn 89 ff). 5 Die Kapitalaufbringung jenseits des (fiktiven) Nennbetrags ist nicht auf eine Überpari-Emission in Form des Aufgelds beschränkt. Vielmehr kann anstatt eines Aufgelds auch eine schuldrechtliche Zuzahlung (Rdn 121 ff) erfolgen, ohne dass darin eine Umgehung des Aktienrechts gesehen werden kann (Rdn 122 ff). 3
6
c) Keine Normierung eines numerus clausus der Kapitalaufbringung. Durch § 9 wird der Aktiengesellschaft bei der Ausgabe von Aktien ein Wahlrecht zwischen einer Finanzierung durch den (fiktiven) Nennbetrag oder durch ein Aufgeld eingeräumt, ohne dass die Ausübung dieses Wahlrechts an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist. So können bei der Aktienausgabe entweder sehr geringe (fiktive) Nennbeträge mit einem hohen Aufgeld oder sehr hohe (fiktive) Nennbeträge mit einem sehr geringen Aufgeld festgesetzt werden. Daraus folgt allerdings nicht, dass die Aktiengesellschaft bei der Deckung ihres Finanzierungsbedarfs zwingend auf diese beiden Varianten angewie-
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1 Ausschussbericht Rechtsausschuss AktG 1965, BT-Drucks IV/3296, S 98 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 24); ebenso den Gläubigerschutzgedanken betonend BGH v 14.3.1977 – II ZR 156/75, Z 68, 191, 195 = NJW 1977, 1196; BGH v 22.6.1992 – II ZR 178/90, NJW 1992, 3167, 3172 = AG 1993, 28; LG München I v 29.3.2010 – 38 O 22024/09, ZIP 2010, 1995, 1997; zustimmend KK/Dauner-Lieb3 Rdn 2; MünchKomm/Heider4 Rdn 4; Hüffer/Koch11 Rdn 1; Hölters/Solveen2 Rdn 1; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 1; Grigoleit/Vedder Rdn 1; Heidel/Wagner4 Rdn 2; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 1. 2 Begr RegE StückAG BT-Drucks 13/9573, S 15; zustimmend Hüffer/Koch11 Rdn 2. 3 So ausdrücklich Ausschussbericht Rechtsausschuss AktG 1965, BT-Drucks IV/3296, S 98 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 24); dem folgend MünchKomm/Heider4 Rdn 4. 4 Baums FS Hommelhoff, S 61, 62 ff; Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S 4 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 8. 5 Anders KK/Dauner-Lieb3 Rdn 4; MünchKomm/Heider4 Rdn 31; Hölters/Solveen2 Rdn 10; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 2, 23; Grigoleit/Vedder Rdn 1; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 13, die darin eine Selbstverständlichkeit sehen.
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Ausgabebetrag der Aktien | § 9
sen ist. Vielmehr steht es der Aktiengesellschaft und den Aktionären frei, auch (einfache) schuldrechtliche Zuzahlungen (Rdn 121 ff) zu vereinbaren und der Aktiengesellschaft auf diese Weise das erforderliche Kapital zuzuführen. Darüber hinaus besteht zudem die Möglichkeit der Darlehensgewährung an die Aktiengesellschaft. Für welche Form der Finanzierung sich die Aktiengesellschaft und die Aktionäre entscheiden, bleibt ihnen überlassen, auch wenn die letzten beiden Finanzierungsformen keinen normativen Niederschlag im Aktienrecht gefunden haben. Aus § 9 kann jedenfalls ein Primat der Finanzierung über den Ausgabebetrag der Aktien oder eine Beschränkung auf diese Form der Finanzierung der Aktiengesellschaft (numerus clausus) nicht abgeleitet werden.6 3. Gesetzesgeschichte a) Verbot der Unter-pari-Emission. Das Verbot der Unter-pari-Emission hat seinen 7 Ursprung im deutschen Aktienrecht im Preußischen Gesetz über die Aktiengesellschaften von 18437, da dieses bereits die Ausgabe von Aktien vor Auszahlung des ganzen Nominalbetrags verbot (§ 11 Nr 1). An diesem Ansatz wurde auch im Rahmen des ADHGB von 1861 festgehalten, dessen Art 222 Nr 1 nahezu wortgleich war. Durch die 2. Aktienrechtsnovelle 18848 wurde dieses Konzept weiter ausgebaut und bereits eine entsprechende Festsetzung verboten (§ 209a Abs 2 ADHGB9). Hintergrund waren die zahlreichen missbräuchlichen Gründungen in der Zeit des Gründungsbooms in der frühen Zeit des (zweiten) deutschen Reichs, bei denen oftmals Aktiengesellschaften ohne eine tatsächliche Aufbringung des Kapitals gegründet wurden, um später deren Aktien an Investoren zu verkaufen.10 Die Regelung wurde bei der Schaffung des HGB übernommen und mit einigen terminologischen Änderungen in § 184 Abs 1 HGB 189711 überführt. Die Aktiengesetzreform 193712 überführte das Verbot der Aktienausgabe unter pari 8 in Abs 113 und stellte sich somit klar gegen die im Vorfeld der Reform diskutierte Aufgabe dieses Verbots14. Zur Begründung für die Beibehaltung dieses Verbots verweist die Gesetzesbegründung auf die Schaffung einer gesicherten Kapitalgrundlage im Interesse der Gläubiger und der Aktionäre.15 Durch die Aktienrechtsreform 196516 kam es zu keinen
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6 Ähnlich KK/Dauner-Lieb3 Rdn 35; Hergeth/Eberl DStR 2002, 1818, 1821; Priester, FS Röhricht, 2005, S 467, 473. 7 Dazu ausführlich Baums Preußisches Gesetz über die Aktiengesellschaften von 1843, 1981, S 9 ff. 8 Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften v 31.7.1884, RGBl 123. 9 Art 209a Abs 2 ADHGB lautete: „Für einen geringeren als den Nominalbetrag darf die Ausgabe der Aktien nicht festgesetzt werden.“ 10 Zu diesem Phänomen ausführlich Bayer/Habersack/Hofer Aktienrecht im Wandel, 2007, Band I, S 388, 389. 11 § 184 Abs 1 HGB 1897 lautete: „Für einen geringeren als den Nennbetrag dürfen Aktien nicht ausgegeben werden.“. 12 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) v 30.1.1937 (RGBl. I, 107). 13 § 9 AktG 1937 lautete: „(1) Für einen geringeren Betrag als den Nennbetrag dürfen Aktien nicht ausgegeben werden. (2) Für einen höheren Betrag ist die Ausgabe zulässig.“ 14 So etwa Heymann Vortrag zum 34. DJT 1926 – Band II, S 742, 747; die Aufgabe des Verbots aber ausdrücklich ablehnend Beschluss des 34. DJT 1926 – Band II, S 798; vgl dazu insgesamt: Bayer/ Habersack/Spindler Aktienrecht im Wandel, 2007, Band I, S. S 440, 470 f. 15 Amtliche Begründung zum Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaft auf Aktien, Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1937 Nr 28 vom 4.2.1937 (abgedruckt bei Klausing, AktG 1937, S 10). 16 Aktiengesetz vom 6.9.1965, BGBl I, S 1089.
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§ 9 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
Modifikationen bei Abs 1. Vielmehr wurde im Verlauf der Gesetzgebungsarbeiten die Bedeutung des Verbots der Unter-pari-Emission noch einmal betont.17 Schließlich kam es durch das Gesetz über die Zulassung von Stückaktien (Stückakti9 engesetz – StückAG) vom 25. März 199818 aufgrund der Einführung der Stückaktie zu einer Änderung von § 9, in dem der geringste Ausgabebetrag auch für die Stückaktie geregelt wurde. Dabei wurde Abs 1 neu gefasst und die bis heute bestehende Legaldefinition des geringsten Ausgabebetrages (Rdn 51) eingeführt. Die Norm ist seitdem unverändert. 10
b) Zulässigkeit des Aufgelds. Die Vereinbarung eines Aufgelds ist bereits seit der früheren Neuzeit eine verbreitete Vorgehensweise der Finanzierung der Aktiengesellschaft, war allerdings etwa im Preußischen Gesetz über die Aktiengesellschaften von 184319 noch verboten bzw wurde in dessen § 15 ausdrücklich festgehalten, dass kein Aktionär mehr als den Nominalbetrag der Aktie leisten muss. Im Rahmen der 2. Aktienrechtsnovelle 188420 wurde das Agio in Art 175a Abs 1 Nr 2, 209a Abs 1 Nr 2 ADHGB ausdrücklich geregelt. Obwohl sich das Agio inzwischen zu einer wichtigen Finanzierungsquelle der Aktiengesellschaften entwickelt hatte und ein ausdrückliches Verbot oder ein Ausschluss der Leistungspflicht der Aktionäre nicht vorgesehen war, gab es im Rahmen der Gesetzgebungsarbeiten Zweifel an einer rechtlichen Durchsetzbarkeit von über den Nennbetrag hinausgehenden Einlagepflichten der Aktionäre.21 Dabei erkannte der Gesetzgeber auch die Gefahren der sogenannten Agiotage (Rdn 115), die durch verschiedene Transparenz- und Kapitalbindungsvorschriften ausgeschlossen werden sollte.22 Bei der Schaffung des HGB von 1897 wurde die generelle Zulässigkeit des Auf11 gelds eingeschränkt, so dass dieses nach § 184 Abs 2 HGB 189723 nur noch bei Bestehen einer entsprechenden Satzungsregelung zulässig war. Der Hintergrund dieser vergleichsweise restriktiven Handhabung des Phänomens des Aufgelds ist aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht erkennbar, so dass die Absicht des Gesetzgebers unklar bleibt.24 Zudem ist zu bedenken, dass bei der Gründung ohnehin ein Konsens zwischen den Gründern sowohl hinsichtlich der Übernahmeerklärung als auch des Ausgabebetrags bestehen muss, so dass eine eigenständige und abweichende Meinungsbildung bei diesen Fragen nicht vorstellbar ist. Dies gilt ebenso für die Kapitalerhöhung, für die diese Regelung ohnehin keine Anwendung finden sollte.25 Im Laufe des Gesetzgebungsverfahren wurde zudem die Schaffung einer Regelung erörtert, wonach das Aufgeld für sämtliche Aktien einer Gattung gleich sein sollte (§ 151 Abs 2 Satz 2 E I). Dieser Ansatz wurde aber bereits im zweiten Entwurf schon nicht mehr verfolgt.
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17 Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 98 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 24), wonach es sich dabei um einen der wichtigsten Grundsätze des deutschen Aktienrechts handelt. 18 BGBl I, S 590. 19 Dazu ausführlich Baums Preußisches Gesetz über die Aktiengesellschaften von 1843, 1981, S 9 ff. 20 Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften v 31.7.1884, RGBl 123. 21 Allgemeine Begründung des Gesetzes betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S 454 f. 22 Allgemeine Begründung des Gesetzes betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, abgedruckt bei: Schubert/Hommelhoff Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S 455. 23 § 184 Abs 2 HGB 1897 lautete: „Die Ausgabe für einen höheren Betrag ist statthaft, wenn sie im Gesellschaftsvertrage zugelassen ist.“. 24 Ebenso mit dieser Einschätzung Düringer/Hachenburg/Bing HGB, 3. Aufl 1934, § 184 Rdn 12. 25 Vgl dazu nur: Düringer/Hachenburg/Bing HGB, 3. Aufl 1934, § 184 Rdn 12.
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Ausgabebetrag der Aktien | § 9
Das Erfordernis einer Satzungsregelung wurde im Rahmen der Aktienrechtsreform 12 193726 wieder fallengelassen und Abs 2 entsprechend umformuliert. Diese Erleichterung war auf den Umstand zurückzuführen, dass die Vereinbarung eines Aufgelds bei nahezu allen Gründungen und Kapitalerhöhungen erfolgte, so dass das Erfordernis einer entsprechenden Satzungsregelung als überflüssig erachtet wurde. Seitdem ist Abs 2 unverändert. 4. Wirtschaftliche Bedeutung. Das Verbot der Unter-pari-Emission in Abs 1 ist in 13 seiner wirtschaftlichen Bedeutung meist eher gering, da ein wirtschaftliches Interesse an einer solchen Unter-pari-Emission bzw an einer Emission möglichst nahe am Nennbetrag meist nicht besteht. Tatsächlicher Ansatzpunkt ist der Wert der Aktie (Rdn 35 f). Praktische Bedeutung erlangt die Unter-pari-Emission aber häufig bei Sacheinlagen27, da die bei diesen bestehenden Bewertungsunsicherheiten oftmals zu einer unbeabsichtigten Unter-pari-Emission führen können (Rdn 38). Größere Bedeutung hat hingegen die nach Abs 2 zugelassene Über-pari-Emission, 14 da diese einen maßgeblichen Anteil an der Finanzierung der Aktiengesellschaft hat. 5. Europäisches Recht. Das Verbot der Ausgabe von Aktien unter pari (Rdn 47 ff) ist 15 auf europäischer Ebene in Art 8 Abs 1 Kapitalschutzrichtlinie (2012/30/EU)28 niedergelegt, wonach Aktien nicht unter dem Nennbetrag oder einem entsprechenden rechnerischen Wert ausgegeben werden dürfen. Eine Ausnahme davon besteht für diejenigen, die sich berufsmäßig mit der Unterbringung von Aktien befassen. Von dieser Ausnahmevorschrift hat der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung der Kapitalschutzrichtlinie aber keinen Gebrauch gemacht. Eine Abs 2 entsprechende Regelung (Rdn 85 ff) ist in der Kapitalschutzrichtlinie (2012/30/EU) zwar nicht enthalten. Allerdings nimmt etwa Art 10 Abs 2 Kapitalschutzrichtlinie auf das Aufgeld Bezug, indem dort eine Erstreckung der Sachverständigenprüfung auf das Aufgeld (Rdn 105 f) bzw den dort verwendeten Begriff des Mehrbetrags angeordnet wird. Zudem ordnet Art 30 Satz 2 Kapitalschutzrichtlinie an, dass das Aufgeld bzw der Mehrbetrag bei der Aktienausgabe bereits vollständig eingezahlt worden sein muss. Schließlich sieht Art 10, Anhang III und IV Passiva A. II. (Neue) Bilanzrechtsrichtlinie (2013/34/EU)29 einen eigenständigen bilanziellen Ausweis des Agio vor, dem der deutsche Gesetzgeber nicht nachgekommen ist (Rdn 113 f.). Der European Model Companies Act (EMCA) sieht in Chapter 5 Sec 5 subs 1 sent 1 16 sowohl die Ausgabe von Nennbetrags- als auch von echten nennwertlosen Aktien vor (siehe § 8 Rdn 33). Da die echten nennwertlosen Aktien ohne ein Verbot der Ausgabe von Aktien unter pari auskommen, ist ein solches auch nur für die Nennbetragsaktien vorge-
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26 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) v 30.1.1937 (RGBl. I, 107). 27 Ebenso MünchKomm/Heider4 Rdn 15 f. 28 Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl. EG Nr L 315 v 14.11.2012, S 74 ff. 29 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl EG Nr L 182 v 29.6.2013, S 253 ff.
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§ 9 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
sehen (Chapter 5 Sec 5 subs 2).30 Eine Ausgabe gegen ein Aufgeld ist zulässig, wobei dessen Verbuchung dem anwendbaren Bilanzrecht überlassen bleibt (Chapter 5 Sec 5 sub 2 und 3). 17 Für die Europäische Aktiengesellschaft gibt es für die in § 9 normierten Grundsätze keine Entsprechung in der SE-VO. Für eine Europäische Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland findet § 9 daher uneingeschränkt Anwendung (Art 5 SE-VO).31 6. Ausländisches Recht 18
a) Verbot der Unter-pari-Emission. Da das europäische Gesellschaftsrecht mit der Kapitalschutzrichtlinie das Verbot der Ausgabe von Aktien unter pari ausdrücklich vorgibt (Rdn 15), besteht dieses in allen europäischen Rechtsordnungen. 19 Auch in der Schweiz ist das Verbot der Ausgabe von Aktien unter pari ausdrücklich in Art 624 OR geregelt. Ein Verstoß führt zu einer Haftung des Aktionärs auf den Differenzbetrag.32 Da in den einzelstaatlichen Gesellschaftsrechten in den Vereinigten Staaten oft 20 schon kein Mindestkapital vorgesehen ist (§ 7 Rdn 20), fehlt es oft an einem Verbot der Unter-pari-Emission.33 Soweit allerdings noch immer Nennwertaktien verwendet werden (§ 8 Rdn 20), darf die Ausgabe nicht zu einem geringeren Gegenwert als dem Nennwert erfolgen.34 Bei den Rechtsfolgen der Ausgabe solcher sogenannten watered stocks bleiben die einzelstaatlichen Regelungen allerdings deutlich hinter dem deutschen Recht zurück.35 b) Zulässigkeit der Über-pari-Emission. Die übrigen europäischen Rechtsordnungen gestatten in der Regel auch eine Ausgabe von Aktien zu einem höheren Betrag. Dies gilt insbesondere für die englische Public Limited Company (Sec 610 ff Companies Act). Die Bindung dieses Aufgelds erfolgt allerdings in unterschiedlicher Weise, da dieser Aspekt nicht durch die Kapitalschutzrichtlinie vorgegeben ist (Rdn 15). In der Schweiz wird auch eine Ausgabe von Aktien zu einem höheren Betrag aus22 drücklich zugelassen (Art 624 OR).36 Allerdings gilt bei Inhaberaktien die Einschränkung, dass diese erst nach Einzahlung des gesamten Ausgabebetrags – also inklusive eines Agios – ausgegeben werden dürfen (Art 683 OR). Das Agio steht der Aktiengesellschaft – ähnlich wie im deutschen Aktienrecht (Rdn 115 f) – nicht zur freien Verfügung, sondern unterliegt bilanziellen Beschränkungen.37 Auch in den einzelstaatlichen Gesellschaftsrechten in den Vereinigten Staaten ist 23 die Ausgabe von Aktien gegen Aufgeld grundsätzlich zulässig. Das Aufgeld, das auch nicht zum Kapital (capital) der Gesellschaft zählt, ergibt sich bei Nennwertaktien ebenso 21
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30 Vgl dazu Perakis, ECFR 2016, 200, 204 f. 31 Spindler/Stilz/Casper3 Art 5 SE-VO Rdn 2; Habersack/Drinhausen/Diekmann Art 5 SE-VO Rdn 23; KK-AktG/Wenz2 Art 5 Rdn 11. 32 Honsell/Vogt/Watter/Baudenbacher Obligationenrecht, 3. Aufl 2008, Art 624 Rdn 6. 33 So vor allem im Model Law der American Bar Association (RMBCA); vgl dazu nur Booth, in: Arbeitskreis Kapital, ZGR Sonderheft 2006, S 717, 729 ff. 34 So etwa § 153 subs. 1 DGCL (für Delaware); § 504 (c) NYBCL (für New York); § 410 Cal.Corp.Code (für Kalifornien) vgl dazu auch Booth, in: Arbeitskreis Kapital, ZGR Sonderheft 2006, S 717, 731 ff; Mock Finanzverfassung, S 301 ff. 35 Vgl etwa § 410 Cal.Corp.Code, wonach der Einwand gegen die Haftung erhoben werden kann, dass der Verstoß gegen Verbot der Unter-pari-Emission in den financial statements der Gesellschaft offengelegt wurde. Vgl dazu insgesamt Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rdn 490 ff. 36 Vgl dazu Honsell/Vogt/Watter/Baudenbacher Obligationenrecht, 3. Aufl 2008, Art 624 Rdn 7. 37 Dazu: Honsell/Vogt/Watter/Baudenbacher Obligationenrecht, 3. Aufl 2008, Art 624 Rdn 9.
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wie im deutschen Recht aus der Differenz zwischen dem Ausgabebetrag und dem Nennbetrag und bei Stückaktien anhand der vom board of directors vorgenommenen Festsetzung.38 7. Ökonomische Analyse. Das Verbot der Unter-pari-Emission in Abs 1 (Rdn 47 ff) 24 ist den gleichen ökonomischen Bedenken wie das Kapitalschutzsystem insgesamt ausgesetzt (dazu ausführlich § 7 Rdn 22 ff), da es hohe Transaktionskosten begründet, ohne tatsächlich den mit ihm bezweckten Gläubigerschutz sicherzustellen (Rdn 2). Dies gilt insbesondere für den Fall, dass das Vermögen der Aktiengesellschaft unter das Grundkapital fällt, da eine Kapitalerhöhung in der Regel nur dann möglich ist, wenn zuvor eine Kapitalherabsetzung durchgeführt wurde (Rdn 26). Die Gestattung einer Emission über pari durch Abs 2 (Rdn 85 ff) begründet hin- 25 gegen einen weitgehenden Effizienznutzen, da dies der Aktiengesellschaft gestattet, zusätzliches Kapital aufzunehmen, ohne dieses zugleich in vollem Umfang der Bindungswirkung des Kapitalschutzsystems zu unterwerfen (Rdn 115 ff). Damit werden auch keine negativen Effizienzeffekte begründet, da diese fehlende (vollständige) Bindungswirkung für die Sicherstellung eines hinreichenden Gläubigerschutzes im Rahmen des Kapitalschutzsystems nicht erforderlich ist, zumal ein derartiger bilanzieller Gläubigerschutz das mit ihm verfolgte Regelungsziel schon nicht erreicht (§ 7 Rdn 22 ff). 8. Rechtspolitische Würdigung. Der mit dem Verbot der Unter-pari-Emission ver- 26 folgte Gläubigerschutzes (Rdn 2) ist im Rahmen des gesamten Kapitalschutzsystems zu bewerten (siehe dazu § 7 Rdn 2), so dass eine eigenständige und auf Abs 1 bezogene Kritik wenig weiterführend ist. Letztlich stellt das Verbot der Unter-pari-Emission einen der maßgeblichen Pfeiler des Kapitalschutzsystems dar, da dieses ohne ein Verbot der Unter-pari-Emission ohne weiteres umgangen werden könnte, wie dies in der Zeit vor dessen Schaffung durch die 2. Aktienrechtsnovelle (Rdn 7) auch der Fall war. Eine eigenständige rechtspolitische Kritik ergibt sich für das Verbot der Unter-pari-Emission aber im Rahmen der Sanierung einer Aktiengesellschaft, wenn deren Unternehmenswert unter die Höhe des Grundkapitals gefallen ist, da es dann in der Regel nur im Rahmen eines Kapitalschnitts möglich ist, frisches Kapital durch eine Kapitalerhöhung zu beschaffen.39 Hinsichtlich der Über-pari-Emission ist zu bemängeln, dass diese – trotz der enor- 27 men Bedeutung für die Finanzierung der Aktiengesellschaft (Rdn 14) – kaum geregelt und damit einer ganzen Reihe von Unsicherheiten ausgesetzt ist. Zudem erscheint das von der Rechtsprechung entwickelte Haftungsregime bei der Erbringung des Aufgelds durch Sacheinlagen (Rdn 108 ff) als zu weitgehend, zumal das GmbH-Recht insofern liberaler ist40, ohne dass dieses Regelungsgefälle zwischen Aktiengesellschaft und GmbH zwingend erforderlich ist. 9. Verhältnis zu anderen Vorschriften. Das Verbot der Unter-pari-Emission ist ein 28 wichtiger Baustein des Gesamtkonzepts Kapitalschutz, so dass eine Reihe anderer Vorschriften teilweise die gleiche Zielrichtung haben. Dies gilt insbesondere für die Regelung zur verdeckten Sacheinlage (§ 27 Abs 3 – 29 § 27 Rdn 267 ff), die allerdings einen anderen Anwendungsbereich hat. Während es bei
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38 So etwa § 154 subs. 1 DGCL (für Delaware). 39 Ebenso kritisch KK/Dauner-Lieb3 Rdn 13; MünchKomm/Heider4 Rdn 20; Hüffer/Koch11 Rdn 4. 40 Zur fehlenden Erstreckung der Differenzhaftung des § 9 Abs 1 Satz 2 GmbHG auf das Aufgeld vgl nur Begr RegE MoMiG BT-Drucks 16/6140, S 36; ebenso Scholz/Veil11 § 9 Rdn 9.
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der Unter-pari-Emission schon an einer Leistung des geringsten Ausgabebetrags fehlt (Rdn 64 ff, 78 ff), erfolgt bei der verdeckten Sacheinlage zunächst eine vollständige Leistung, die erst später wieder relativiert wird.41 Dies gilt ebenso für das sogenannte Hinund Herzahlen (§ 27 Abs 4 – § 27 Rdn 368 ff). 30
10. (Fehlende) Disponibilität. Die Regelung des § 9 ist zwingendes Recht und kann daher weder in der Satzung noch auf andere Weise abbedungen werden. II. Ausgabebetrag der Aktien
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Der Ausgabebetrag wird im AktG selbst nicht definiert und ergibt sich aus der Gesamtsystematik. Auch § 9 erwähnt diesen Begriff lediglich, enthält dahingehend aber keine Definition. Unter dem Ausgabebetrag der Aktien wird allgemein der Betrag verstanden, den der Aktionär der Aktiengesellschaft im Gegenzug für die Gewährung von Mitgliedschaftsrechten zu leisten verspricht.42 Diese Definition ist allerdings unscharf, da sie letztlich auch schuldrechtliche Zuzahlungen erfasst, die aber gerade nicht zum Ausgabebetrag gehören (Rdn 121 ff). Daher bedarf diese Definition der Einschränkung, dass nur der Betrag erfasst wird, den der Aktionär im Rahmen der Kapitalaufbringung leisten muss.
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1. Zusammensetzung. Der Ausgabebetrag besteht zunächst immer aus dem (fiktiven) Nennbetrag der Aktien (Rdn 33). Darüber hinaus kann ein Aufgeld (Rdn 34 ff) vorgesehen werden. Kein Bestandteil des Ausgabebetrags ist eine sogenannte schuldrechtliche Zuzahlung (Rdn 121 ff) und das Abgeld (Rdn 41).
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a) (Fiktiver) Nennbetrag der Aktien. Bei dem (fiktiven) Nennbetrag handelt es sich entweder um den Nennbetrag der Nennbetragsaktie (§ 8 Rdn 69) oder um den fiktiven Nennbetrag, der vom Grundkapital auf jede Stückaktie (§ 8 Rdn 72) entfällt. Dieser (fiktive) Nennbetrag ist durch die Satzung vorgegeben (§ 8 Rdn 86, 91).
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b) Aufgeld (Agio). Werden die Aktien zu einem höheren Betrag als dem geringsten Ausgabebetrag ausgegeben, liegt ein Fall der Über-pari-Emission vor. Der den geringsten Ausgabebetrag übersteigende Betrag wird als Aufgeld (Agio) bezeichnet, ohne dass dieser Begriff im AktG selbst verwendet wird.43 Dieses Aufgeld kann dabei als offenes Aufgeld (Rdn 37) oder als verstecktes Aufgeld (Rdn 38) ausgestaltet sein und ist zudem von den sogenannten schuldrechtlichen Zuzahlungen (Rdn 40) abzugrenzen. Zudem kann das Aufgeld auch als sogenannter Mehrbetrag bei Kapitalerhöhungen mit mittelbarem Bezugsrecht auftreten (Rdn 39).
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i) Funktion des Aufgelds. Hintergrund des Aufgelds ist bei der Gründung der Aktiengesellschaft die Kapitalzufuhr und damit die Finanzierung der Aktiengesellschaft. Das Kapital kann der Aktiengesellschaft zwar auch durch die Festsetzung eines höheren (fiktiven) Nennbetrags der Aktien und damit eines höheren Grundkapitals zugeführt werden. Allerdings ist damit im Vergleich zur Vereinbarung eines Aufgelds eine geringe-
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41 Ähnlich Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 22 (Sonderregelung). 42 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 9; Hölters/Solveen2 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 4; offener Hüffer/Koch11 Rdn 2 (Zahlungen, die der Aktionär zu erbringen hat). 43 Für die ganz herrschende Meinung vgl KK/Dauner-Lieb3 Rdn 23; Hüffer/Koch11 Rdn 8; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 469.
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re Flexibilität verbunden, da das Aufgeld aufgrund seiner Einstellung in die Kapitalrücklage (Rdn 113 f) weniger strengen Bindungen als das Grundkapital selbst unterliegt (Rdn 115 f). Das Aufgeld ist dabei allerdings nicht die einzige Option neben der Erhöhung des (fiktiven) Nennbetrags. Die Aktionäre können das erforderliche Kapital auch im Rahmen von Darlehen der Aktiengesellschaft überlassen, was zur Vermeidung der Überschuldung (§ 19 InsO) aber in der Regel eine Nachrangabrede erfordert.44 Darüber hinaus kann das Aufgeld bei der Gründung der Aktiengesellschaft auch dazu dienen, die unterschiedlich hohen Beiträge der Gründer auszugleichen.45 So kann sich etwa ein Gründer zur Leistung eines Vermögensgegenstands verpflichten, bei dem allerdings zur Vermeidung einer übermäßigen Kapitalbindung nur ein Teil des Werts als Sacheinlage festgesetzt wird.46 In diesem Fall kann die durch das Grundkapital nicht reflektierte Leistung dieses Gründers durch ein entsprechendes Aufgeld bei den anderen Aktionären ausgeglichen werden. Deutlich größere Bedeutung hat das Aufgeld bei der Kapitalzufuhr im Rahmen ei- 36 ner Kapitalerhöhung durch neue Aktionäre. Bei dieser stellt sich typischerweise das Problem, dass der (fiktive) Nennwert der Aktien deutlich hinter dem tatsächlichen Wert zurückbleibt. Dadurch stehen die Altaktionäre vor dem Dilemma, dass die jungen Aktien entweder zum (fiktiven) Nennwert und damit unter ihrem tatsächlichen Wert oder mit einem neuen Nennwert bzw einer größeren Anzahl bei Stückaktien ausgegeben werden, womit die Altaktionäre in ihrem quotalen Beteiligungsumfang beeinträchtigt werden. Durch die Vereinbarung eines Aufgelds können diese Probleme vermieden und die jungen Aktien im Ergebnis zum tatsächlichen Wert emittiert werden47, auch wenn dies nicht zwingend erforderlich ist (Rdn 52 ff). Das Aufgeld dient insofern als eine Art Ausgleichsgröße zwischen Alt- und Neuaktionären. ii) Offenes Aufgeld. Das Aufgeld kann zunächst als offenes Aufgeld aufgebracht 37 werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Ausgabebetrag den (fiktiven) Nennwert der ausgegebenen Aktien übersteigt.48 Bei diesem Differenzbetrag handelt es sich immer um ein Aufgeld. Dieses kann sowohl bei der Vereinbarung einer Bar- als auch einer Sacheinlage vorliegen. Da in diesem Fall das Aufgeld aufgrund des den (fiktiven) Nennwert übersteigenden Ausgabebetrags erkennbar ist, wird diese Form des Aufgelds als offenes Aufgeld bezeichnet. Zum offenen Aufgeld siehe ausführlich Rdn 86 ff. iii) Verstecktes Aufgeld. Darüber hinaus kann das Aufgeld aber auch als versteck- 38 tes (oder auch verdecktes) Aufgeld aufgebracht werden. Diese Konstellation ist nur bei Sacheinlagen denkbar und liegt immer dann vor, wenn der Wert der vom Aktionär geleisteten Sacheinlage den Ausgabebetrag übersteigt.49 Denn in einem solchen Fall leistet der Aktionär tatsächlich mehr als er verpflichtet ist. Das versteckte Aufgeld kann dabei zunächst als solches von der Aktiengesellschaft und dem leistenden Aktionär ausdrücklich vereinbart werden, was vor allem in Fällen der fehlenden abschließenden Bestimmung des Wertes der Sacheinlage von Bedeutung sein kann. Darüber hinaus kommt ein verstecktes Aufgeld aber auch in Betracht, um die kapitalgesellschaftsrecht-
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44 Dazu ausführlich Uhlenbruck/Mock14 § 19 Rdn 226 ff. 45 Baums FS Hommelhoff 2012, S 61, 63. 46 Zur Zulässigkeit einer solchen verdeckten Sacheinlage siehe Rdn 108 ff. 47 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 63; T. Bezzenberger Das Kapital der Aktiengesellschaft, 2005, S 35 f mit einem konkreten Rechenbeispiel. 48 Ebenso Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 14. 49 Mit dieser Definition Ballerstedt, FS Geßler, 1971, S 69, 72 ff; Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S 171 ff; aA K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 16.
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lichen Bindungen (Rdn 115 f) des offenen Aufgelds zu vermeiden.50 Zum versteckten Aufgeld siehe ausführlich Rdn 117 ff. 39
iv) Mehrbetrag bei Kapitalerhöhungen mit mittelbarem Bezugsrecht. In einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Aufgeld steht der sogenannte Mehrbetrag bei Kapitalerhöhungen mit mittelbarem Bezugsrecht nach § 186 Abs 5. Dabei handelt es sich um die Differenz zwischen dem Bezugspreis und dem Ausgabebetrag, der abzüglich der Provision für das Emissionsinstitut an die Aktiengesellschaft abgeführt wird. Zum Mehrbetrag bei Kapitalerhöhungen mit mittelbarem Bezugsrecht siehe ausführlich Rdn 143.
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2. Kapitalaufbringung durch schuldrechtliche Zuzahlungen. Die schuldrechtlichen Zuzahlungen werden in Abs 2 nicht geregelt, sind aber gleichwohl uneingeschränkt zulässig (Rdn 121 ff). Diese werden auch teilweise als schuldrechtliches Aufgeld51 oder gar als verdecktes Aufgeld52 bezeichnet, was aufgrund der erforderlichen Abgrenzung zum Aufgeld insgesamt wenig weiterführend ist53. Bei den schuldrechtlichen Zuzahlungen handelt es sich – im Gegensatz zum Aufgeld (Rdn 34) – aber nur um schuldrechtliche Vereinbarungen. Hintergrund dieser schuldrechtlichen Zuzahlungen ist zunächst die Vermeidung der mit einem Aufgeld unmittelbar verbundenen Pflichten bei der Aufbringung des Kapitals (Rdn 103 ff).54 So können schuldrechtliche Zuzahlungen deutlich flexibler als das Aufgeld gestaltet werden (Rdn 129 f) und etwa mit einer Abhängigkeit der Zahlungspflicht von bestimmten Entwicklungen der Aktiengesellschaft versehen werden (sogenannte mile stones).55 Zudem gelten für die schuldrechtlichen Zusatzvereinbarungen nicht die etwa für Sacheinlagen bestehenden Beschränkungen (§ 27 Abs 2 – Rdn 95 ff), so dass etwa auch die Erbringung von Dienstleistungen vereinbart werden kann.56 Darüber hinaus unterliegen schuldrechtliche Zuzahlungen im Grundsatz keiner Registerkontrolle und -publizität (Rdn 135 f), so dass sich dadurch oftmals Verpflichtungen für Aktionäre begründen lassen, die der Öffentlichkeit nicht bekannt sein sollen.57 Schließlich zeichnen sich die schuldrechtlichen Zuzahlungen durch eine fehlende Bindung des einmal aufgebrachten Kapitals aus (Rdn 142), da dieses nicht in die Kapitalrücklagen eingestellt werden muss. Zu den schuldrechtlichen Zuzahlungsvereinbarungen siehe ausführlich Rdn 121 ff. 3. Verhältnis zu anderen Beträgen
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a) Abgeld (Disagio). Kein Phänomen der Eigenkapitalfinanzierung durch Aktien ist das sogenannte Abgeld (Disagio oder auch Damnum), das konzeptionell in einem Zusammenhang mit dem Aufgeld (Agio) steht. Bei einem Abgeld handelt es sich um den
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50 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 15. 51 So etwa Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 62, 77; Hermanns ZIP 2003, 788, 791; Mellert NZG 2003, 1096; Schäfer ZIP 2016, 953 ff; ders FS Stilz, 2014, S 525 ff; Wagner DB 2004, 293. 52 So vor allem K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 15. 53 Ähnlich Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 469 (Wecken von falschen Erwartungen); Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 34. 54 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 35; Schorling/Vogel AG 2003, 86, 87 f. 55 Vgl dazu Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 75; Becker NZG 2003, 510, 511; Mellert NZG 2003, 1096; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 467 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 34. 56 Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 468. 57 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 75; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 468; ders FS Lutter, 2000, 617, 625.
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Differenzbetrag zwischen dem Ausgabebetrag und dem Rückzahlungsbetrag bei Fremdkapitalinstrumenten. Da eine Rückzahlung der Einlage an die Aktionäre ausgeschlossen ist (§ 57 Abs 1 Satz 1), kann ein Abgeld bei der Ausgabe von Aktien nicht vereinbart werden. b) Kaufpreis der Aktien. Keinerlei Zusammenhang besteht zwischen dem Ausga- 42 bebetrag und dem Kaufpreis für die ausgegebenen Aktien.58 Denn wenn die Aktien erstmalig ausgegeben werden, handelt es sich schon nicht um einen Kaufvertrag, sondern um die Begründung einer mitgliedschaftlichen Rechtsposition für die im Gegenzug der Ausgabebetrag zu leisten ist. Bei einer Veräußerung bereits begebener Aktien durch die Aktiengesellschaft (Verkauf eigener Aktien) spielt der Ausgabebetrag – ebenso wie der (fiktive) Nennbetrag (§ 8 Rdn 72) – keine Rolle, da sich der Kaufpreis typischerweise am Wert der Aktie orientiert, auf den der Ausgabebetrag keinen Einfluss hat.59 c) Börsenkurs. Zudem besteht auch keinerlei Beziehung zwischen dem Ausgabebe- 43 trag und dem Börsenkurs, da sich letzterer unabhängig vom Ausgabebetrag entwickelt. Allerdings ist für den Zeitraum nach der Begebung junger Aktien eine faktische Abhängigkeit zwischen beiden Werten festzustellen. Während der Börsenkurs den Unternehmenswert aus der Perspektive der Kapitalmarktteilnehmer reflektiert, stellt der Ausgabebetrag letztlich eine Unternehmensbewertung durch den Vorstand (Rdn 44) dar. 4. Festsetzung. Die Festsetzung des Ausgabebetrags erfolgt durch die Gründer bzw 44 durch die Hauptversammlung bei Kapitalerhöhungen (§ 182 Abs 3). Der Ausgabebetrag ist dann zwingender Bestandteil der Übernahmeerklärung (§ 23 Abs 2 Nr 2 – § 23 Rdn 102) bzw des Zeichnungsscheins (§ 185 Abs 1 Satz 3 Nr 2) und einer etwaigen Bezugserklärung (§§ 198 Abs 1 Satz 3, 193 Abs 2 Satz 3). Somit ist der Ausgabebetrag kein Bestandteil der Satzung. Etwas anderes gilt nur, wenn die Übernahmeerklärung materieller Satzungsbestandteil ist. Der Ausgabebetrag muss nicht für alle Aktionäre gleich sein. So kann dieser für 45 verschiedene Aktien oder für verschiedene Aktionäre ungleich festgesetzt werden.60 Dies erfordert allerdings, dass alle Gründer diesen unterschiedlichen Ausgabebeträgen zugestimmt haben.61 Schließlich muss der Ausgabebetrag auch dann festgesetzt werden, wenn die Aus- 46 gabe der Aktien zum geringsten Ausgabebetrag erfolgt. Auch wenn sich dieser aus dem (fiktiven) Nennbetrag der Aktien ergibt, bedarf es im Sinne einer hinreichenden Bestimmung des Leistungsumfangs für die Aktionäre einer entsprechenden Transparenz.62 III. Verbot der Ausgabe unter pari (Abs 1) Durch Abs 1 wird die Ausgabe von Aktien zu einem geringeren Betrag als dem Nenn- 47 betrag oder dem auf die einzelne Stückaktie entfallenden anteiligen Betrag verboten. Ein Verstoß gegen dieses Verbot wird als Unter-pari-Emission bezeichnet.63
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58 59 60 61 62 63
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Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 11; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 6. Im Ergebnis ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 11; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 6; Heidel/Wagner4 Rdn 6. Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 10. KK/Dauner-Lieb3 Rdn 10; MünchKomm/Heider4 Rdn 8 f. Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 7. Hüffer/Koch11 Rdn 2.
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1. Beschränkung des Verbots auf die Ausgabe von Aktien. Das Verbot der Unterpari-Emission gilt nur für die Ausgabe von Aktien, die allerdings weder in § 9 noch an anderer Stelle im AktG definiert werden. Der Begriff der Aktie bezieht sich auf das Mitgliedschaftsrecht an der Aktiengesellschaft, nicht auf das Wertpapier.64 Bei Wandelanleihen findet das Verbot der Unter-pari-Emission in Form der Son49 dervorschrift des § 199 Satz 2 Anwendung. Bei Optionsanleihen gilt Abs 1 hingegen unmittelbar.65 Für alle sonstigen Finanzinstrumente kommt es nicht zur Anwendung, so dass 50 insbesondere Schuldverschreibungen und Genussrechte ausgenommen sind. Diese fehlende Erfassung durch § 9 bedeutet allerdings nur, dass diese nicht zu einem bestimmten Mindestausgabebetrag (Rdn 52 ff) ausgegeben werden müssen. Zudem ist auch bei diesen Finanzinstrumenten ein Aufgeld denkbar. 51
2. Begriff und Zeitpunkt der Ausgabe der Aktien. Das Verbot der Unter-pariEmission gilt nach dem Wortlaut nur für die Ausgabe von Aktien. Auch wenn man insofern auf den eigentlichen Begebungsvorgang der Aktien abstellen könnte66, greift diese Betrachtungsweise zu kurz, da sie dem Regelungszweck von Abs 1 (Rdn 47 ff) nicht entspricht.67 Denn letztlich wirkt das Verbot der Unter-pari-Emission auf mehreren Stufen der Entstehung der Aktiengesellschaft bzw einer Kapitalerhöhung, so dass die Bestimmung eines konkreten Zeitpunkts schon nicht überzeugen kann. In diesem Sinne ist auch die Formulierung in Abs 1 zu verstehen, bei der auf die Aktienausgabe als ein im AktG nicht näher definierter Zeitpunkt bzw Zeitraum abgestellt wird. Das Verbot der Unter-pari-Emission wirkt sich sowohl bei der Errichtung der Vor-Aktiengesellschaft durch Festsetzung der Satzung (Rdn 61 ff), bei dem der Kapitalerhöhung zugrundeliegenden Hauptversammlungsbeschluss (Rdn 73 ff) und auf die Begründung der Leistungsverpflichtung durch die Aktionäre durch Abschluss der Übernahmeerklärung bzw des Zeichnungsvertrags (Rdn 31 ff) aus.68 Zu den Folgen des Verstoßes gegen das Verbot der Unter-pariEmission siehe Rdn 60 ff.
3. Erreichen des geringsten Ausgabebetrags. Das Verbot der Unter-pari-Emission ist verletzt, wenn der Ausgabebetrag (Rdn 31 ff) in der Übernahmeerklärung den Nennbetrag oder den auf die einzelne Stückaktie entfallenden anteiligen Betrag nicht erreicht. Maßgebliche Bezugsgröße ist dabei der (fiktive) Nennwert der einzelnen Aktie, so dass es im Rahmen von Abs 1 schon nicht ausreicht, wenn der Gesamtausgabebetrag den Gesamtnennbetrag aller Aktien erreicht.69 Kein Erfordernis ist hingegen, dass der Ausgabebetrag am Ende tatsächlich geleistet wird, solange jedenfalls eine uneingeschränkte und nicht etwa durch die Gewährung von Provisionen, Skonti oder sonstigen Nachlässen geminderte Leistungspflicht bestanden hat (zum Problem der verdeckten Unter-pari-Emission Rdn 56). 53 Das Verbot der Unter-pari-Emission gilt für alle Arten von Aktien. Zudem findet es aufgrund der Regelung im allgemeinen Teil des AktG sowohl bei der Gründung als auch 52
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64 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 6; MünchKomm/Heider4 Rdn 6. 65 MünchKomm/Habersack3 § 221 Rdn 229. 66 Unklar Heidel/Wagner4 Rdn 6; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 5, die einerseits auf einen konkreten Zeitpunkt abstellt, Abs 1 dann aber auch darüber hinaus anwenden möchte. 67 Ebenfalls kritisch KK/Dauner-Lieb3 Rdn 7. 68 Ebenso Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4; wohl auch MünchKomm/Heider4 Rdn 7. 69 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 12; MünchKomm/Heider4 Rdn 9; Hüffer/Koch11 Rdn 2; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 10.
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bei Kapitalerhöhungen (arg. § 182 Abs 3) Anwendung.70 Einzige Ausnahme ist insofern die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, da bei dieser aufgrund der fehlenden Einlageleistung durch die Aktionäre von vornherein keine Unter-pari-Emission auftreten kann. Der Anwendungsbereich von Abs 1 findet auch dann keine Einschränkung, wenn der Börsenkurs der Aktien unter den Ausgabebetrag gefallen ist. Zwar können dann die jungen Aktien bei einer Kapitalerhöhung nur zum Ausgabebetrag ausgegeben werden, so dass die Zeichnung der jungen Aktien wegen deren fehlender Werthaltigkeit entsprechend wenig attraktiv ist. Allerdings kann dieser Aspekt keine Befreiung vom Verbot der Unter-pari-Emission begründen, zumal sich diese Problematik ohne weiteres durch einen Kapitalschnitt bereinigen lässt.71 Erfolgt die Kapitalaufbringung durch Sacheinlagen, gilt ebenfalls Abs 1, was § 36a Abs 2 Satz 3 noch einmal bekräftigt72, indem diese Vorschrift ein Verbot der Überbewertung von Sacheinlagen aufstellt. Die Überbewertung führt allerdings nur dann zu einer Unter-pari-Emission, wenn der tatsächliche Wert der Sacheinlage den Nennbetrag oder den auf die einzelne Stückaktie entfallenden anteiligen Betrag der ausgegebenen Aktien nicht erreicht. Ein Verstoß gegen das Verbot der Unter-pari-Emission liegt auch vor, wenn der geringste Ausgabebetrag zwar zunächst erreicht, später aber durch die Gewährung von Provisionen, Skonti oder sonstigen Nachlässen wieder relativiert wird (so genannte verdeckte Unter-pari-Emission).73 An dieser Erfassung der verdeckten Unter-pari-Emission durch Abs 1 muss auch nach der Kodifizierung des Hin- und Herzahlens in § 27 Abs 4 festgehalten werden.74 Denn durch die Gewährung von Provisionen, Skonti oder sonstigen Nachlässen kommt es gerade nicht zu einem Hin- und Herzahlen im Sinne von § 27 Abs 4, da es vorliegend an der Begründung eines Rückgewähranspruchs fehlt, den das Hin- und Herzahlen in § 27 Abs 4 aber gerade voraussetzt. Durch die Erfassung der verdeckten Unter-pari-Emission durch Abs 1 kommt es auch nicht zu einer Privilegierung der Gründer bzw Zeichner, die ihre Einlagepflicht in besonders krasser Weise nicht erfüllen.75 Denn auch wenn die Nichtigkeitsfolge bei einem Verstoß gegen das Verbot der Unter-pari-Emission zu einem Entfallen der Leistungspflicht führt (Rdn 64), muss beachtet werden, dass dies nur der Fall ist, wenn auch die Gründung bzw die Kapitalerhöhung nicht durchgeführt wird (Rdn 64). Kommt es trotz des Verstoßes gegen das Verbot der Unter-pari-Emission zu einer Eintragung der Aktiengesellschaft bzw der Kapitalerhöhung (Rdn 62, 73), besteht auch eine Einlagepflicht (Rdn 64 ff, 78 ff). Insofern besteht schon keine Notwendigkeit für eine Anwendung von § 27 Abs 4. Zu den Folgen einer verdeckten Unter-pari-Emission siehe Rdn 63. Zudem wird das Verbot der Unter-pari-Emission nach Abs 1 nicht durch die Regelung des § 26 Abs 2 berührt, so dass Entschädigungen und Belohnungen für die
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70 LG München I v 29.3.2010 – 38 O 22024/09, ZIP 2010, 1995, 1997; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 12; MünchKomm/Heider4 Rdn 10, 19 f; Hüffer/Koch11 Rdn 4. 71 So die inzwischen ganz herrschende Meinung KK/Dauner-Lieb3 Rdn 13; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 11; Grigoleit/Vedder Rdn 2; aA noch Geßler/Hefermehl/Eckardt Rdn 2. 72 MünchKomm/Heider4 Rdn 9, 13; Hüffer/Koch11 Rdn 3; Hölters/Solveen2 Rdn 6; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 10. 73 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 14, 16; MünchKomm/Heider4 Rdn 11; Hüffer/Koch11 Rdn 2 am Ende; Hölters/ Solveen2 Rdn 4; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 10; Grigoleit/Vedder Rdn 2; Heidel/Wagner4 Rdn 6a; aA K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7, 10 ff 74 AA K. Schmidt/Lutter/Bayer3 § 27 Rdn 24; Heidel/Wagner4 Rdn 6a, 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 10. 75 Mit diesem Argument aber K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 10.
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Gründung der Aktiengesellschaft auch dann zu einer Unter-pari-Emission führen können, wenn diese in der Satzung festgesetzt sind und der geringsten Ausgabebetrags (Rdn 52) nicht erreicht wird.76 Das Verbot der Unter-pari-Emission nach Abs 1 erstreckt sich hingegen nicht auf 58 Verwendungsbestimmungen. Daher ist es zulässig, wenn die geleisteten Einlagen zur Zahlung der bei der Gründung bzw Kapitalerhöhung anfallenden Steuern und Gebühren verwendet werden.77 Ebenso wenig verstößt es gegen das Verbot der Unter-pari-Emission nach Abs 1, 59 wenn die ausgegebenen Aktien an dem Gewinn früherer Jahre teilnehmen, da dadurch das Gläubigerschutzinteresse (Rdn 2) nicht berührt wird.78 Denn soweit ein Gewinn ausgewiesen wird, bleibt es bei einer umfassenden Kapitalaufbringung, so dass das Verbot der Unter-pari-Emission nach Abs 1 nicht eingreifen kann. 60
4. Rechtsfolgen eines Verstoßes. Hinsichtlich der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Verbot der Unter-pari-Emission trifft Abs 1 keine ausdrückliche Regelung. Es wird vielmehr nur angeordnet, dass die Aktien nicht ausgegeben werden dürfen. Nähert man sich dieser Frage systematisch, können sich die Rechtsfolgen überhaupt nur im Zusammenhang mit Vorgängen bei der Ausgabe von Aktien ergeben, bei denen die Höhe des Ausgabebetrags überhaupt eine Rolle spielt. Dabei muss allerdings immer der Regelungszweck von Abs 1 in Form des Gläubigerschutzes (Rdn 2) beachtet werden. a) Gründung der Aktiengesellschaft
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i) Auswirkungen auf die Entstehung der Aktiengesellschaft. Auch wenn die Höhe des Ausgabebetrags nicht in der Satzung der Aktiengesellschaft, sondern in der Übernahmeerklärung aufgenommen werden muss (§ 23 Abs 2 Nr 2), kann ein Verstoß gegen das Verbot der Unter-pari-Emission Auswirkungen auf die Verfassung der Aktiengesellschaft haben, da es sich bei der Übernahmeerklärung um einen materiellen Satzungsbestandteil handelt (§ 23 Rdn 93 ff). Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Verbots der Unter-pari-Emission für das deutsche Aktienrecht (Rdn 26) muss bei einer gegen das Verbot der Unter-pari-Emission verstoßenden Festsetzung des Ausgabebetrags eine Nichtigkeit angenommen werden. Diese beschränkt sich allerdings auf die Angabe nach § 23 Abs 2 Nr 2 in der Übernahmeerklärung und begründet bei dieser nur eine entsprechende Teilnichtigkeit. Daher bleibt die Satzung79 und die restliche Übernahmeerklärung80 von der fehlerhaften Festsetzung im Übrigen unberührt und wirksam. Die Annahme einer Nichtigkeit der (gesamten) Satzung81 (inklusive der Übernahmeerklärung) stellt eine unverhältnismäßig scharfe Sanktion dar, die in Anbetracht des Regelungszwecks von Abs 1 (Rdn 2) auch nicht erforderlich ist. Durch die bloße Nichtigkeit der konkreten Festsetzung des Ausgabebetrags entfällt gerade nicht die Leistungspflicht der
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76 AA MünchKomm/Heider4 Rdn 12. 77 BGH v 11.11.1985 – II ZR 109/84, Z 96, 231, 241 ff = NJW 1986, 837; OLG Koblenz v 28.5.1986 – 6 U 141/86, AG 1987, 88 = ZIP 1986, 1559; MünchKomm/Heider4 Rdn 12; Hommelhoff/Kleindiek ZIP 1987, 477, 485 ff; K. Schmidt AG 1986, 106, 111. 78 MünchKomm/Heider4 Rdn 12; Simon, AG 1960, 148, 151. 79 AA KK/Dauner-Lieb3 Rdn 18; MünchKomm/Heider4 Rdn 22; im Ergebnis auch Hüffer/Koch11 Rdn 5; Hölters/Solveen2 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 14; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8, die alle von einer Nichtigkeit der gesamten Satzung ausgehen. 80 AA KK/Dauner-Lieb3 Rdn 18; Grigoleit/Vedder Rdn 4; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8, die alle von einer Nichtigkeit der gesamten Übernahmeerklärung ausgehen. 81 So vor allem die Stimmen in Fn 79.
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Aktionäre (Rdn 64), so dass eine Beeinträchtigung des Gläubigerschutzes auch nicht eintritt, sondern im größeren Maße als bei einer Gesamtnichtigkeit gewährleistet wird. Diese Rechtsfolge entspricht schließlich auch den jüngeren Entwicklungen im Kapitalschutzrecht, da die Nichtigkeitssanktionen etwa für die Fallgruppen der verdeckten Sacheinlage (§ 27 Rdn 267 ff) und des Hin- und Herzahlens (§ 27 Rdn 368 ff) inzwischen aufgegeben und durch eine Differenzhaftung ersetzt wurden. Dieses Sanktionenregime wird durch die vorliegend vertretene bloße Teilnichtigkeit ebenfalls nachgezeichnet und somit ein ansonsten bestehender Wertungswiderspruch zwischen den Folgen einer Unter-pari-Emission und den genannten Fallgruppen vermieden. Schließlich entspricht dieses Sanktionenregime auch dem Meinungsbild im älteren Schrifttum, das bei einem Verstoß gegen das Verbot der Unter-pari-Emission von einer bloßen Unwirksamkeit anstatt einer Nichtigkeit ausgegangen ist.82 Die Annahme einer allgemeinen und weitreichenden Nichtigkeitsfolge ist eher dem neueren Schrifttum zu entnehmen.83 Die (Teil-)Nichtigkeit der Übernahmeerklärung aufgrund der fehlerhaften Festset- 62 zung des Ausgabebetrags führt allerdings dazu, dass die Aktiengesellschaft nicht ordnungsgemäß errichtet wurde (§ 38 Abs 1 Satz 2). Daher muss das Registergericht die Eintragung ablehnen.84 Dies wird zwar ausdrücklich nur für Sacheinlagen angeordnet (§ 38 Abs 2 Satz 2), ergibt sich aber im Umkehrschluss auch für die übrigen Fälle. Wird die Aktiengesellschaft trotz eines Verstoßes gegen das Verbot der Unter-pari-Emission in das Handelsregister eingetragen, ist diese wirksam entstanden.85 Die Aktiengesellschaft kann dann auch nicht nach § 275 für nichtig erklärt oder nach § 399 FamFG aufgelöst werden, da das Verbot keinen Nichtigkeits- bzw Auflösungsgrund darstellt.86 Für den Fall der verdeckten Unter-pari-Emission (Rdn 56) gelten die Grundsätze 63 der Rdn 61 f entsprechend.87 Allerdings wird es meist schon an einer Ablehnung der Eintragung der Aktiengesellschaft fehlen, da dem Registergericht die für die verdeckte Unter-pari-Emission typische Abrede zur Gewährung von Provisionen, Skonti oder sonstigen Nachlässen (Rdn 56) nicht bekannt ist.88 ii) Auswirkungen auf die Einlageverpflichtung der Aktionäre. Durch die Nich- 64 tigkeit der Festsetzung des Ausgabebetrags wird die Leistungspflicht der Aktionäre im Grundsatz nicht berührt. Zwar müssen diese nicht den in der Übernahmeerklärung angegebenen Ausgabebetrag wegen der Nichtigkeit dieser Festsetzung (Rdn 61) leisten. Allerdings bleibt es dann bei einer Pflicht zur Leistung des geringsten Ausgabebetrags, da dieser für die Ausgabe durch Abs 1 als Mindeststandard zwingend vorgegeben wird.89 Insofern müssen die Aktionäre den (fiktiven) Nennwert der Aktien leisten. Dies
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82 So etwa Schlegelberger/Quassowski AktG 1937³ § 158 Rdn 5; ähnlich GroßKomm/Meyer-Landruth3 Rdn 5. 83 So vor allem die in Fn 79 genannten Stimmen. 84 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 18; MünchKomm/Heider4 Rdn 22; Hüffer/Koch11 Rdn 5; Hölters/Solveen2 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 13; Grigoleit/Vedder Rdn 4; Heidel/Wagner4 Rdn 12; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 8. 85 MünchKomm/Heider4 Rdn 23; Hüffer/Koch11 Rdn 6; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 15; Grigoleit/Vedder Rdn 4; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8. 86 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 21; MünchKomm/Heider4 Rdn 23; Hölters/Solveen2 Rdn 8; Trölitzsch, Differenzhaftung für Sacheinlagen in Kapitalgesellschaften, 1998, S 166 (Fn 78); Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 15; Grigoleit/Vedder Rdn 4; Heidel/Wagner4 Rdn 13; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8. 87 AA und eine Analogie zu § 27 präferierend K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 12. 88 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 12. 89 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 21; MünchKomm/Heider4 Rdn 24; Hölters/Solveen2 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 15.
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gilt unabhängig davon, ob es zu einer Eintragung der Aktiengesellschaft kommt oder nicht, da die Leistungspflicht in beiden Fällen besteht. Zur Erfassung des Aufgelds siehe Rdn 109. 65 Diese Rechtsfolge in Form einer Differenzhaftung tritt auch bei einem Verbot der Unter-pari-Emission durch die Einbringung einer nicht werthaltigen Sacheinlage (Überbewertung) ein. Daher muss der Aktionär der Aktiengesellschaft die Sacheinlage überlassen90 und zudem den Differenzbetrag zwischen dem Wert der Sacheinlage zum Zeitpunkt der Anmeldung der Aktiengesellschaft zur Eintragung und dem geringsten Ausgabebetrag in bar leisten91. Dieser Anspruch ergibt sich letztlich aus dem Sacheinlageversprechen in Verbindung Abs 1, da sich der Aktionär verpflichtet hat, der Aktiengesellschaft einen Vermögenswert zukommen zu lassen, der wenigstens den geringsten Ausgabebetrag erreicht.92 Geschieht dies durch die (überbewertete) Sacheinlage nicht, muss diese Verpflichtung auf andere Weise und damit in bar erfüllt werden. Einer analogen Anwendung von § 9 Abs 1 GmbHG bedarf es daher nicht.93 Dabei kann auch ein negativer Wert zu berücksichtigen sein, wenn etwa ein überschuldetes Unternehmen eingebracht wird.94 Die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Anmeldung der Aktiengesellschaft zur Eintragung ergibt sich aus einer analogen Anwendung von § 27 Abs 4 Satz 3, die sich aus den in Rdn 61 genannten Gründen rechtfertigt. Zur Erstreckung der Differenzhaftung auf das Aufgeld siehe Rdn 109. Der Anspruch aus Differenzhaftung entsteht bereits mit Entstehung der Vor-AG 66 und daher nicht erst mit Eintragung, da das Leistungsversprechen des Inferenten in Form der Überlassung einer werthaltigen Sacheinlage schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erfüllt werden kann.95 Der Anspruch aus Differenzhaftung (Rdn 65) kann nicht ausgeschlossen oder in seinem Umfang beschränkt werden.96 Allerdings kann über den Anspruch ein Vergleich geschlossen werden, der aber keine Zustimmung der Hauptversammlung voraussetzt.97 Eine Verrechnung ist nur möglich, wenn diese mit einer vollwertigen, fälligen und liquiden Forderung erfolgt.98 Ein Verschulden ist für den Anspruch nicht erforderlich, da sich dieser direkt aus der Übernahmeerklärung ergibt.99 Der Anspruch aus Differenzhaftung verjährt nach zehn Jahren
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90 BGH v 14.3.1977 – II ZR 156/75, Z 68, 191, 195 = NJW 1977, 1196; BGH v 12.3.2007 – II ZR 302/05, Z 171, 293 Tz 5 = NZG 2007, 513; MünchKomm/Heider4 Rdn 27; Hüffer/Koch11 Rdn 6. 91 BGH v 6.12.2011 – II ZR 149/10, Z 191, 364 Tz 16 = NZG 2012, 69; BGH v 12.3.2007 – II ZR 302/05, Z 171, 293 Tz 5 = NZG 2007, 513; BGH v 14.3.1977 – II ZR 156/75, Z 68, 191, 195 = NJW 1977, 1196; BGH v 27.2.1975 – II ZR 111/72, Z 64, 52, 62 = NJW 1975, 974; BGH v 13.4.1992 – II ZR 277/90, Z 118, 83, 100 f = NJW 1992, 2222; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 22; Hölters/Solveen2 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 17. 92 Ähnlich Hüffer/Koch11 Rdn 6; dies offenlassend BGH v 6.12.2011 – II ZR 149/10 Z 191, 364 Tz 16 = NZG 2012, 69; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 22. 93 Für eine solche Analogie aber Begr RegE Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, BR-Drucks 436/04, S 49; BGH v 13.4.1992 – II ZR 277/ 90, Z 118, 83, 101 = NJW 1992, 2222; wohl auch MünchKomm/Heider4 Rdn 27; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 17. 94 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 19; aA Trölitzsch Differenzhaftung für Sacheinlagen in Kapitalgesellschaften, 1998, S 221 ff. 95 AA Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 17, der insofern eine Entscheidung im Einzelfall vornehmen will. 96 Loges/Zimmermann WM 2005, 349, 355 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 20. 97 BGH v 6.12.2011 – II ZR 149/10, Z 191, 364 Tz 20 ff = NZG 2012, 69; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 20; Verse ZGR 2012, 875, 887 ff; Wieneke NZG 2012, 136, 138 f; aA Loges/Zimmermann WM 2005, 349, 355 f; Priester AG 2012, 525 ff. 98 BGH v 6.12.2011 – II ZR 149/10, Z 191, 364 Tz 36 = NZG 2012, 69; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 20; Verse ZGR 2012, 875, 890 f. 99 BGH v 14.3.1977 – II ZR 156/75, Z 68, 191, 195 = NJW 1977, 1196; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 22; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 18.
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ab Eintragung (§ 9 Abs 2 GmbHG analog).100 Die Beweislast trägt die Aktiengesellschaft.101 Bei einer verdeckten Unter-pari-Emission (Rdn 56) muss danach differenziert wer- 67 den, ob die Provisionen, Skonti oder sonstigen Nachlässe in der Übernahmeerklärung aufgeführt sind. Soweit dies der Fall ist, bleibt es bei der Pflicht zur Leistung des in der Übernahmeerklärung angegebenen Ausgabebetrags ohne Berücksichtigung von Provisionen, Skonti oder sonstigen Nachlässen, da diese Zusatzregelung in der Übernahmeerklärung als Verstoß gegen das Verbot der Unter-pari-Emission nach § 134 BGB nichtig und folglich unbeachtlich ist.102 Aufgrund von § 139 BGB beschränkt sich die Nichtigkeit auf diese Bestimmung und führt gerade nicht zur Nichtigkeit der Satzung oder der gesamten Übernahmeerklärung (Rdn 62). Werden die Provisionen, Skonti oder sonstigen Nachlässe in einer eigenständigen Vereinbarung außerhalb der Übernahmeerklärung festgehalten, ist diese Vereinbarung ebenfalls nach § 134 BGB nichtig. Erhalten die Aktionäre schließlich nach der Übernahme eine (Rück-)Zahlung im Rahmen einer Provision, eines Skonti oder sonstiger Nachlässe, stellt dies eine verbotene Einlagenrückgewähr dar (§ 57), so dass diese nach § 62 Abs 1 zurückgewährt werden muss. Der Ausschluss des Rückgewähranspruchs nach § 62 Abs 1 Satz 2 ist dabei in der Regel nicht gegeben. iii) Auswirkungen auf die Mitgliedschaft und die ausgegebenen Aktienurkun- 68 den. Die Mitgliedschaft wird durch einen Verstoß gegen das Verbot der Unter-pariEmission in ihrer Wirksamkeit nicht berührt. Auch die Ausgabe der Aktienurkunden ist wirksam. Allerdings können die Aktien kaduziert werden (§ 64). iv) Haftungsfolgen für die Organmitglieder und die Gründer. Die Ausgabe von 69 Aktien unter Verstoß gegen das Verbot der Unter-pari-Emission stellt eine Pflichtverletzung der für die Ausgabe zuständigen Mitglieder des Vorstands dar, so dass diese gegenüber der Aktiengesellschaft nach § 93 Abs 2 auf Schadenersatz haften.103 Dies setzt allerdings zunächst voraus, dass der Aktiengesellschaft auch tatsächlich ein konkreter Schaden entstanden ist. Ein solcher ist in Form eines Ausfalls der zur Leistung des geringsten Ausgabebetrags verpflichteten Aktionäre denkbar. Bei Abs 1 handelt es sich nicht um ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs 2 BGB 70 zugunsten der Aktionäre oder Gläubiger der Aktiengesellschaft.104 Denn durch Abs 1 wird lediglich dem Grundsatz der Kapitalaufbringung Nachdruck verliehen, ohne dass damit eine bestimmte Person oder Personengruppe individuell geschützt werden soll. Etwas anderes kann sich aber aus § 399 (Rdn 72) ergeben.105 Schließlich können sich für die Gründer und für diejenigen, für die die Gründer Ak- 71 tien auf Rechnung übernommen haben, Haftungsfolgen aus §§ 46 f ergeben.
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100 BGH v 6.12.2011 – II ZR 149/10, Z 191, 364 Tz 41 = NZG 2012, 69; BGH v 13.4.1992 – II ZR 277/90, Z 118, 83, 101 = NJW 1992, 2222; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 22; Hölters/Solveen2 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 20. 101 Loges/Zimmermann WM 2005, 349, 353 f; Trölitzsch Differenzhaftung für Sacheinlagen in Kapitalgesellschaften, 1998, S 285 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 20. 102 MünchKomm/Heider4 Rdn 26; Ähnlich Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 16a; aA und die Grundsätze des Hin- und Herzahlens anwendend K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 10 ff. 103 MünchKomm/Heider4 Rdn 27 am Ende; Loges/Zimmermann WM 2005, 349, 354 ff; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 21; Grigoleit/Vedder Rdn 5. 104 BGH v 22.6.1992 – II ZR 178/90, NJW 1992, 3167, 3172 = AG 1993, 28; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 21; wohl auch Hüffer/Koch11 Rdn 6 am Ende; offen lassend Grigoleit/Vedder Rdn 4. 105 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 21.
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v) Buß- und strafrechtliche Sanktionen. Ein spezifischer Ordnungswidrigkeitstatbestand wird durch eine Unter-pari-Emission nicht erfüllt. Allerdings kann der Tatbestand der falschen Angaben (§ 399) durch die Gründer oder die Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats erfüllt werden, die zum Ausgabebetrag falsche Angaben machen oder erhebliche Umstände verschweigen (§ 399 Abs 1 Nr 1). b) Kapitalerhöhung
i) Auswirkungen auf die Verfassung der Aktiengesellschaft. Der Hauptversammlungsbeschluss zur Durchführung einer Kapitalerhöhung, in dem ein Ausgabebetrag unterhalb des geringsten Ausgabebetrags (Rdn 52) festgesetzt wird, verstößt nicht nur gegen die Vorgaben von Abs 1, sondern auch gegen § 182 Abs 3. Dieser Verstoß führt zu einer Nichtigkeit nach § 241 Nr 3 Alt 2106, die sich allerdings in der Regel aufgrund von § 139 BGB auf die Festsetzung des Ausgabebetrags beschränkt und den Beschluss im Übrigen unberührt lässt.107 Denn diese Festsetzung kann nach § 182 Abs 3 nur für den Fall vorgenommen werden, dass ein Betrag jenseits des geringsten Ausgabebetrags festgesetzt wird. Allerdings muss das Handelsregister die Eintragung der Kapitalerhöhung aufgrund der Teilnichtigkeit ablehnen. Kommt es dennoch zu einer Eintragung, sind die Aktien dann zum geringsten Ausgabebetrag auszugeben. Fehlt es insgesamt an einer solchen Festsetzung, ist der Hauptversammlungsbe74 schluss ebenfalls nur teilnichtig (Rdn 61). Die Aktien sind – nach der Gesetzeslage und unabhängig von dem Hauptversammlungsbeschluss – zum geringsten Ausgabebetrag auszugeben.108 Insofern ist die von der Hauptversammlung bezweckte Festsetzung kein notwendiger Bestandteil des Hauptversammlungsbeschlusses und von diesem ohne weiteres abtrennbar. Die bei einer fehlerhaften oder fehlenden Festsetzung des Ausgabebetrag bestehende Teilnichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses widerspricht auch nicht dem Regelungszweck von Abs 1 (Rdn 2) oder von § 241 Nr 3 Alt 2, da dem Gläubigerschutzgedanken durch die auch bei einer fehlenden Gesamtnichtigkeit zu erfolgende Ausgabe der Aktien zum geringsten Ausgabebetrag entsprochen wird. 75 Die Festsetzung eines Ausgabebetrags unter Verstoß gegen das Verbot der Unterpari-Emission führt allerdings nach § 185 Abs 2 zu einer Nichtigkeit des Zeichnungsscheins109. Insofern kann auch keine Teilnichtigkeit nach § 139 BGB angenommen werden, da diese zu einer Unvollständigkeit des Zeichnungsscheins und damit (erneut) zu einer Nichtigkeit nach § 185 Abs 2 führen würde. Die Nichtigkeit des Zeichnungsscheins führt dazu, dass die Satzungsänderung in der Form der Kapitalerhöhung nicht im Handelsregister eingetragen werden darf.110 73
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106 Ebenso – für eine Nichtigkeit des gesamten Beschlusses – MünchKomm/Heider4 Rdn 29; Hüffer/ Koch11 Rdn 7; Hölters/Solveen2 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 16; Grigoleit/Vedder Rdn 5; K. Schmidt/ Lutter/Ziemons3 Rdn 9. 107 AA MünchKomm/Heider4 Rdn 29; Hüffer/Koch11 Rdn 7; Hölters/Solveen2 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 16; Grigoleit/Vedder Rdn 5; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9. 108 BGH v 6.10.1960 – II ZR 150/58, Z 33, 175, 178 = NJW 1961, 26; aA für den Fall des Bezugsrechtsausschlusses Hüffer/Koch11 § 182 Rdn 25; Großkomm/Wiedemann4 Rdn 68 f; ebenfalls abweichend MünchKomm/Schürnbrand3 § 182 Rdn 60 f, der generell eine Pflicht zur Festsetzung des höchsten am Markt erreichbaren Kurses annimmt. 109 Hüffer/Koch11 Rdn 7; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 16; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9. 110 MünchKomm/Heider4 Rdn 29; aA K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9 mit Verweis auf das Freigabeverfahren.
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Kommt es gleichwohl zu einer Eintragung, ist die Kapitalerhöhung wirksam (§ 189). 76 Dies lässt allerdings die Nichtigkeit des Zeichnungsscheins unberührt, da dessen Nichtigkeit nur im Rahmen von § 185 Abs 3 beseitigt werden kann. Für den Fall der verdeckten Unter-pari-Emission (Rdn 52) gelten die Grundsätze 77 der Rdn 72 ff. entsprechend. Allerdings wird es meist schon an einer Ablehnung der Eintragung der Aktiengesellschaft fehlen, da dem Registergericht die für die verdeckte Unter-pari-Emission typische Abrede nicht bekannt ist und sich in der Regel auch nicht direkt aus dem Zeichnungsschein ergibt. ii) Auswirkungen auf die Einlageverpflichtung der Aktionäre. Vor Eintragung der Satzungsänderung besteht für die Zeichner bei einer Nichtigkeit des Zeichnungsscheins (Rdn 75) keine Leistungspflicht. Haben die Zeichner die Leistung schon erbracht, können sie diese nach § 812 Abs 1 Satz 1 Alt 1 BGB wieder zurückverlangen. Dem steht § 57 nicht entgegen, da die Zeichner durch die Nichtigkeit des Zeichnungsscheins schon keine Aktionäre geworden sind. Der Anspruch aus § 812 Abs 1 Satz 1 Alt 1 BGB ist allerdings vor allem bei einer Bareinlage in der Regel nach § 814 BGB ausgeschlossen, da der Aktionär den geringsten Ausgabebetrag ohne weiteres erkennen konnte. Bei einer Sacheinlage ist dies aufgrund der damit meist verbundenen Bewertungsschwierigkeiten allerdings oft nicht der Fall, solange der Wert der Sacheinlage nicht offensichtlich unter dem geringsten Ausgabebetrag liegt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass bei der Sacheinlage meist eine Heilung des Zeichnungsscheins eintritt (Rdn 76). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus (einer analogen Anwendung von) § 277 Abs 3, da dieser nur den Ausnahmefall der Nichtigkeit einer Aktiengesellschaft regelt und somit nicht auf die Kapitalerhöhung übertragbar ist.111 Insofern kann auch kein enttäuschtes Vertrauen der Gläubiger angenommen werden. Kommt es zu einer Eintragung der Satzungsänderung ist der Zeichner nicht zu einer Leistung verpflichtet, weil die Eintragung nicht zu einer Heilung des Zeichnungsscheins führt (arg. § 185 Abs 3).112 Die durch die Eintragung entstehenden Aktien stehen vielmehr der Aktiengesellschaft als eigene Aktien zu.113 Übt der Zeichner allerdings Rechte aus oder erfüllt die vermeintliche Einlageschuld, wird der Zeichnungsschein geheilt (§ 185 Abs 3). Im Fall einer überbewerteten Sacheinlage liegt eine Heilung des nichtigen Zeichnungsscheins nach § 185 Abs 3 vor, wenn der Aktionär die Sacheinlage der Aktiengesellschaft überlassen hat. Zudem unterliegt der Aktionär dann der Differenzhaftung (ausführlich dazu Rdn 64 ff), so dass der Aktionär die Differenz zwischen dem geringsten Ausgabebetrag und dem Wert der Sacheinlage in bar leisten muss.114 Zu den Voraussetzungen des Anspruchs siehe ausführlich Rdn 64 ff. Bei einer verdeckten Unter-pari-Emission (Rdn 64 ff) besteht zunächst die Pflicht zur Leistung des im Zeichnungsschein angegebenen Ausgabebetrags. Etwaige selbständige Nebenabreden zur Gewährung von Provisionen, Skonti oder sonstigen Nachlässe sind als Verstoß gegen das Verbot der Unter-pari-Emission nach § 134 BGB nichtig und folglich unbeachtlich. Soweit die Provisionen, Skonti oder sonstigen Nachlässen schon im Zeichnungsschein selbst enthalten sind, besteht aufgrund der dann eintretenden Nichtigkeit des Zeichnungsscheins keine Leistungspflicht (Rdn 75). Es gelten dann die in
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111 AA und für eine analoge Anwendung von § 277 Abs 3 bzw der Vorgängerregelung RG v 16.2.1934 – II 235/33, Z 143, 394, 399; RG v 13.3.1934 – II 225/33, Z 144, 138, 141; MünchKomm/Koch4 § 277 Rdn 10; ders/ Koch11 Rdn 7; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 16; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9. 112 Ebenso K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9. 113 Vgl nur KK/Lutter2 § 185 Rdn 17; MünchKomm/Schürnbrand4 § 185 Rdn 59. 114 Siehe die Nachweise in Fn 91.
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Rdn 78 ff dargestellten Grundsätze. Erhalten die Aktionäre schließlich nach der Übernahme eine (Rück-)Zahlung im Rahmen einer Provision, eines Skonti oder sonstiger Nachlässe, stellt dies eine verbotene Einlagenrückgewähr dar (§ 57), so dass diese nach § 62 Abs 1 zurückgewährt werden müssen. Der Ausschluss des Rückgewähranspruchs nach § 62 Abs 1 Satz 2 ist dabei in der Regel nicht gegeben. 82
iii) Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien. Die ausgegebenen Aktien werden durch einen Verstoß gegen das Verbot der Unter-pari-Emission in ihrer Wirksamkeit nicht berührt und sind vor allem nicht nichtig.115 Sie stehen entweder der Aktiengesellschaft als eigene Aktien (Rdn 79) oder aber im Fall der Heilung des Zeichnungsscheins den Zeichner (Rdn 79) zu.
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iv) Haftungsfolgen für die Organmitglieder. Die Ausgabe von Aktien unter Verstoß gegen das Verbot der Unter-pari-Emission stellt eine Pflichtverletzung der für die Ausgabe zuständigen Mitglieder des Vorstands dar, so dass diese gegenüber der Aktiengesellschaft nach § 93 Abs 2 auf Schadenersatz haften.116 Der dafür erforderliche Schaden besteht in den Kosten für die Durchführung einer erneuten Kapitalerhöhung und dem Ausfall der Kapitalzufuhr, soweit diese nicht durch eine erneute Kapitalerhöhung ausgeglichen werden kann.
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v) Buß- und strafrechtliche Sanktionen. Ein spezifischer Ordnungswidrigkeitstatbestand wird durch eine Unter-pari-Emission nicht erfüllt. Allerdings kann der Tatbestand der falschen Angaben (§ 399) durch die Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats erfüllt werden, die zum Ausgabebetrag falsche Angaben machen oder erhebliche Umstände verschweigen (§ 399 Abs 1 Nr 1). IV. Kapitalaufbringung durch Aktienausgabe über pari (Abs 2)
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Durch Abs 2 wird die Zulässigkeit der Aktienausgabe über pari angeordnet, die eine der wichtigsten Finanzierungsquellen für die Aktiengesellschaft (Rdn 3 ff) darstellt. Im Mittelpunkt steht dabei das offene Aufgeld (Rdn 86), neben das aber auch das versteckte Aufgeld (Rdn 117 ff) und schließlich schuldrechtliche Zuzahlungen (Rdn 121 ff) treten können. Zudem kann ein sogenannter Mehrbetrag bei Kapitalerhöhungen mit mittelbarem Bezugsrecht auftreten (Rdn 143). 1. Offenes Aufgeld a) Zulässigkeit
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i) Beschränkung auf Aktien. Die Zulässigkeit der Ausgabe von Aktien über pari gilt nach dem eindeutigen Wortlaut von Abs 2 nur für Aktien. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass bei anderen Finanzinstrumente keine Über-pari-Emission möglich ist. Letztlich kommt Abs 2 nur eine klarstellende Funktion zu (Rdn 10 f), so dass sich aus diesem keine Sperrwirkung ableiten lässt. Allerdings unterliegt das Aufgeld bei der Emission anderer Finanzinstrumente nicht den gleichen kapitalschutzrechtlichen Bindungen wie das Aufgeld (Rdn 115 f).
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So aber MünchKomm/Heider4 Rdn 30; Hölters/Solveen2 Rdn 9; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9. Grigoleit/Vedder Rdn 5.
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ii) Gründung der Aktiengesellschaft und Kapitalerhöhungen. Die Aktienausgabe 87 über pari kann zunächst im Rahmen der Gründung der Aktiengesellschaft erfolgen, auch wenn sie in diesem Zusammenhang seltener vorzufinden ist.117 Praktisch deutlich bedeutsamer ist die Aktienausgabe über pari bei einer Kapitalerhöhung (zum Zweck des Aufgelds siehe Rdn 3 ff). iii) Bar- und Sacheinlage. Ein offenes Aufgeld kann sowohl im Rahmen einer 88 Bar- als auch bei einer Sacheinlage festgesetzt werden. Bei der Sacheinlage ist dies nur denkbar, wenn der Wert der Sacheinlage den geringsten Ausgabebetrag übersteigt.118 b) Festsetzung i) Aufgeldfähigkeit. Im Gegensatz zur Sacheinlage (§ 27 Abs 2 – § 27 Rdn 95 ff) ist 89 eine Aufgeldfähigkeit gesetzlich nicht ausdrücklich vorgegeben. Allerdings lassen sich entsprechende Anforderungen durch eine analoge Anwendung von § 27 Abs 2 begründen. Die insofern notwendige vergleichbare Interessenlage ergibt sich daraus, dass das offene Aufgeld durch die Pflicht zur Einstellung in die Kapitalrücklage ähnlichen Bindungen wie das Grundkapital unterliegt (Rdn 113 f). Zudem würde bei einer fehlenden analogen Anwendung von § 27 Abs 2 eine Umgehung des Kapitalschutzsystems drohen. Daher kann – neben den stets zulässigen Bareinlagen – nur die Einbringung von Vermögensgegenständen als offenes Aufgeld vereinbart werden, wenn deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist. Verpflichtungen zu Dienstleistungen sind hingegen nicht möglich. Allerdings ist eine Einbringung anderer Vermögensgegenstände im Rahmen von schuldrechtliche Zuzahlungen möglich (siehe dazu ausführlich Rdn 129 f). Zu den Vorgaben von § 36 a Abs 2 siehe Rdn 104. ii) Gründung. Das Aufgeld bedarf einer förmlichen Festsetzung119, die sich aller- 90 dings meist indirekt durch die Festsetzung des Ausgabebetrags (Rdn 31 ff) ergibt, von dem dann der fiktive Nennbetrag zur Ermittlung des Aufgelds abzuziehen ist.120 Bei der Gründung der Aktiengesellschaft erfolgt die Festsetzung durch die Gründer im Rahmen der Übernahmeerklärung (§ 23 Abs 2 Nr 2). Bei der Festsetzung unterliegen die Gründer nicht bestimmten Vorgaben und sind in ihrer Entscheidung völlig frei.121 iii) Kapitalerhöhung (1) Formale Anforderungen an die Festsetzung. Bei einer Kapitalerhöhung ohne 91 Bezugsrechtausschluss kann eine Festsetzung in dem Beschluss der Hauptversammlung erfolgen. Dabei kann sich die Hauptversammlung aber auch darauf beschränken, einen Mindestbetrag festzusetzen (§ 182 Abs 3), so dass die endgültige Entscheidung über die Höhe des Aufgelds vom Vorstand getroffen wird.122 Wird die Höhe des Aufgelds vom Vorstand festgelegt, muss dieser eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung tref-
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117 Hüffer/Koch11 Rdn 8. 118 Hüffer/Koch11 Rdn 8. 119 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 25. 120 LG Frankfurt/Main v 3.5.1991 – 3/11 T 7/91, AG 1992, 240 = WM 1991, 1557; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 25; Hölters/Solveen2 Rdn 11; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 23. 121 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 67; Hölters/Solveen2 Rdn 12; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 26; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 19. 122 OLG Hamburg v 29.10.1999 – 11 U 71/99, NZG 2000, 549, 550 = AG 2000, 326; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 25; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 469; ders FS Lutter, 2000, S 617, 619.
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fen.123 Schließlich muss das Aufgeld auch in den Zeichnungsschein aufgenommen (§ 185 Abs 1 Satz 3 Nr 2) und dort gesondert ausgewiesen werden.124 Die fehlende Angabe des Mindestbetrags im Kapitalerhöhungsbeschluss führt aber nicht zu einer Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit.125 In diesem Fall kann der Vorstand den Ausgabebetrag nach pflichtgemäßem Ermessen festsetzen.126 Im Fall einer bedingten Kapitalerhöhung kann sich der Hauptversammlungsbe92 schluss sogar nur auf die Grundlagen der Berechnung des Aufgelds beschränken (§ 193 Abs 2 Nr 3). Für das genehmigte Kapital kommt es darauf an, ob die Ermächtigung sich zum Aufgeld verhält. Enthält die Ermächtigung keine Regelung zum Aufgeld, wird dieses vom Vorstand festgesetzt (§ 204 Abs 1 Satz 1), der dazu der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf (§ 204 Abs 1 Satz 2). Bei einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln kommt ein Aufgeld hingegen nicht in Betracht, da § 207 Abs 1 insofern nur eine Umwandlung in Grundkapital vorsieht.127 Erfolgt eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtausschluss ist die Festsetzung des 93 (geringsten) Ausgabebetrags unverzichtbar, da anderenfalls § 255 Abs 2 nicht entsprochen wird.128 Fehlt die Angabe im Kapitalerhöhungsbeschluss ist dieser anfechtbar (§ 243 Abs 1).129 Aufgrund des Bezugsrechtsausschlusses müssen insbesondere die Interessen der Aktionäre gewahrt werden, da das Aufgeld das zentrale Instrument zur Verhinderung einer Verwässerung der Beteiligung (Rdn 35) darstellt.130 (2) Materielle Anforderungen an die Festsetzung. Bei der Festsetzung unterliegen die Gründer und die Hauptversammlung in ihrer Entscheidung keinen bestimmten Vorgaben und sind daher bei der Festsetzung der Höhe des Aufgelds frei.131 Allerdings können sich die folgenden Einschränkungen ergeben. 95 Die Festsetzung eines unangemessenen niedrigen Aufgelds kann bei einer Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss zu einer Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses führen (§ 255 Abs 2). Eine Unangemessenheit im Sinne von § 255 Abs 2 muss schon über einem Abschlag von mehr als fünf Prozent vom Verkehrs- bzw Börsenwert angenommen werden, sofern der höhere Abschlag nicht gerechtfertigt ist.132 Erfolgt die Festsetzung durch den Vorstand, besteht zwar nicht die Möglichkeit einer Anfechtungsklage gegen den Vorstandsbeschluss. Allerdings kann gegen die zu niedrige Festsetzung des Aufgelds eine vorbeugende Unterlassungsklage erhoben werden.133 Diese Möglichkeiten stehen aber nur im Fall einer zu niedrigen Festsetzung des Aufgelds zur
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123 BGH v 27.9.1956 – II ZR 144/55, Z 21, 354, 357 = NJW 1956, 1753; Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 67; Bayer ZHR 163 (1999), 505, 518; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 26; MünchKomm/Heider4 Rdn 39; Hölters/ Solveen2 Rdn 12; Sommerschuh AG 1966, 354 ff; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 26; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 23. 124 LG Frankfurt/Main v 3.5.1991 – 3/11 T 7/91, AG 1992, 240 = WM 1991, 1557; Hüffer/Koch11 Rdn 8; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 469; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 18. 125 RG v 6.12.1933 – I 177/33, Z 143, 20, 23; RG v 13.3.1934 – II 225/33, Z 144, 138, 143; Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 67. 126 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 67 f. 127 Im Ergebnis ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 25 am Ende. 128 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 68. 129 Ebenso Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 68. 130 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 26 am Ende; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 26. 131 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 67; Hölters/Solveen2 Rdn 12; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 26; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 19. 132 MünchKomm/Heider4 Rdn 40; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 21. 133 BGH v 23.6.1997 – II ZR 132/93, Z 136, 133, 140 f = NJW 1997, 2815; BGH v 10.10.2005 – II ZR 90/03, Z 164, 249 Tz 10 = NJW 2006, 374; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 28; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 27.
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Verfügung. Darüber hinaus kann die Unangemessenheit der Festsetzung auch Gegenstand einer Sonderprüfung nach §§ 142 ff sein.134 Bei einer Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss kann eine Unangemessenheit im Sinne von § 255 Abs 2 ebenfalls zu einer Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses führen. Bei der Frage der Unangemessenheit spielt der tatsächliche Wert der Sacheinlage eine Rolle, was – in Fortführung von Kali-und-Salz-Rechtsprechung135 – vor allem dann der Fall ist, wenn dieser im Verhältnis zu den dafür ausgegebenen Aktien unangemessen niedrig ist.136 Darüber hinaus kann die Festsetzung eines zu niedrigen Aufgelds aber auch einen faktischen Bezugsrechtszwang auslösen, der dann zur Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses führt.137 Denn in diesem Fall können Minderheitsaktionäre ihr Bezugsrecht nicht zu dessen inneren Wert, sondern aufgrund des zu niedrigen Aufgelds nur mit Abschlag veräußern. Die einzige Möglichkeit dies zu verhindern ist die Ausübung des Bezugsrechts, soweit die Aktionäre dazu überhaupt in der Lage sind. Aus Gründen des Minderheitenschutzes kommt die Festsetzung eines zu niedrigen Aufgelds aber nur in Betracht, wenn dieses für eine vollständige Platzierung der jungen Aktien erforderlich ist und daneben ein funktionierender Bezugsrechtshandel stattfindet.138 Daher kann die Höhe des Abschlags nicht pauschal im vornherein bestimmt werden.139 Die Festsetzung des Aufgelds findet schließlich in der Höhe eine Beschränkung, wenn dadurch einzelnen Aktionären die Ausübung des Bezugsrechts faktisch unmöglich wird140, da diese Vorgehensweise gegen die Treuepflicht verstößt. Die Bestimmung eines genauen Maßstabs ist dabei aber Schwierigkeiten ausgesetzt. Generell muss von einer Treuwidrigkeit der Festsetzung und damit einer Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses ausgegangen werden, wenn der Ausgabebetrag nicht unerheblich vom Börsenkurs oder dem Unternehmenswert abweicht. Zudem muss das Aufgeld bei einer Kapitalerhöhung für alle Aktien einer Gattung wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 53a) in der gleichen Höhe festgesetzt werden.141 Erfolgt eine unterschiedliche Festsetzung, bedarf es der Zustimmung derjenigen Aktionäre, die ein höheres Aufgeld zu leisten haben.
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iv) Änderung der Ausgabebeträge. Der einmal festgesetzte Ausgabebetrag und 100 damit das Aufgeld kann bis zum Abschluss des Gründungsvorgangs bzw der Kapitalerhöhung durch Eintragung im Handelsregister noch abgeändert werden, da erst
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134 OLG München 16.7.2007 – 31 Wx 29/07, FGPrax 2007, 247, 249 f = AG 2008, 33; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 27; Spindler/Stilz/Mock3 § 142 Rdn 53. 135 BGH 13.3.1978 – II ZR 142/76, Z 71, 40, 50 f = NJW 1978, 1316. 136 Hoffmann-Becking FS Wiedemann, 2002, S 999, 1003 ff; aA und für eine bloße Werthaltigkeit Priester FS Lutter, 2000, S 617, 631 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 28. 137 OLG Stuttgart v 1.12.1999 – 20 U 38/99, NZG 2000, 156 = GmbHR 2000, 333 (zur GmbH); Kocher/ Feigen, CFL 2013, 116, 119, 123; Rottnauer ZGR 2007, 401, 434; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 30; K. Schmidt/ Lutter/Ziemons3 Rdn 20; aA Vaupel/Reers AG 2010, 93, 102. 138 Kocher/Feigen CFL 2013, 116, 119, 123; Rottnauer ZGR 2007, 401, 434; Hölters/Solveen2 Rdn 12; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 30; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 20; aA Vaupel/Reers AG 2010, 93, 102. 139 In diese Richtung aber Kocher/Feigen CFL 2013, 116, 124; Seibt/Voigt AG 2009, 133, 139; Pleister/Kindler ZIP 2010, 503, 508; Schlitt/Seiler WM 2003, 2175, 2177. 140 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 29; Hermanns ZIP 2003, 788, 789 f; Sommerschuh AG 1966, 354, 355; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 29; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 19. 141 BGH v 27.9.1956 – II ZR 144/55, Z 21, 354, 357 = NJW 1956, 1753; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 27; MünchKomm/Heider4 Rdn 41; Simon AG 1960, 148, 151 f; Hölters/Solveen2 Rdn 12; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 22.
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mit der Eintragung das Verbot der Einlagenrückgewähr eingreift (§§ 54 Abs 1, 57 Abs 1 Satz 1).142 So kann der Ausgabebetrag zunächst herabgesetzt werden, was allerdings eine Änderung der Übernahmeerklärung bzw des Zeichnungsscheins unter Beachtung der Formerfordernisse notwendig macht. Eine Herabsetzung ist auch dann möglich, wenn der ursprünglich vereinbarte Ausgabebetrag zur Erfüllung der Verbindlichkeiten der Vor-AG nicht notwendig ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei der Kapitalerhöhung aus § 277 Abs 3, da dieser nicht analog angewendet werden kann.143 Darüber hinaus kann der Ausgabebetrag bzw das Aufgeld auch nach dem Ab101 schluss des Gründungsvorgangs bzw der Kapitalerhöhung durch Eintragung im Handelsregister wieder erhöht werden, was allerdings einer Zustimmung aller Aktionäre bedarf.144 Ein bloßer Mehrheitsbeschluss ist daher nicht ausreichend.145 Bei einer solchen Erhöhung handelt es sich allerdings dann nicht um eine Änderung des Ausgabebetrags, sondern um die Vereinbarung einer sonstigen schuldrechtlichen Zuzahlung (Rdn 121 ff).146 Mit Abschluss des Gründungsvorgangs bzw der Kapitalerhöhung kann das Aufgeld 102 nicht mehr abgeändert werden und zwar unabhängig davon, ob sich die für die Festsetzung zugrundeliegenden Umstände inzwischen verändert haben. Daher kann insbesondere keine Zuordnung des Aufgelds bei einer Kapitalerhöhung zur früheren Gründung oder Kapitalerhöhung vorgenommen werden.147 c) Erbringung des Aufgelds i) Entstehung und Fälligkeit der Leistungspflicht. Für das Aufgeld gelten hinsichtlich der Fälligkeit der Leistungspflicht gegenüber dem geringsten Ausgabebetrag strengere Regeln. So muss das Aufgeld bei der Leistung in bar bereits vor der Anmeldung vollständig geleistet werden (§§ 36a Abs 1 Satz 1, 36 Abs 2).148 Bei einem Aufgeld in Form einer Sachleistung (§ 36a Abs 2) muss die Leistung aber 104 nur innerhalb von fünf Jahren bzw einer kürzeren satzungsmäßigen Frist nach Eintragung der Aktiengesellschaft in das Handelsregister bewirkt werden (§ 36a Abs 2 Satz 2).149 Eine Sachleistung kann nur dann als Aufgeld geleistet werden, wenn diese sacheinlagefähig ist, da es ansonsten an einer realen Kapitalzuführung an die Gesellschaft fehlt. Aufgrund der fehlenden Aktivierungsmöglichkeit von eigenen Aktien kann die Leistung des Aufgelds nicht durch diese erfolgen.150 103
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ii) Prüfung durch Sachverständige und Registergericht. Soweit das Aufgeld in bar aufgebracht wird, unterliegt die Volleinzahlung der Prüfung durch das Registerge-
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142 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 30; MünchKomm/Heider4 Rdn 43; Hölters/Solveen2 Rdn 11; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 25; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 24. 143 AA KK/Dauner-Lieb3 Rdn 30; MünchKomm/Heider4 Rdn 43; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 25; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 25. 144 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 31; MünchKomm/Heider4 Rdn 45; Hölters/Solveen2 Rdn 11; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 25. 145 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 31. 146 Ähnlich K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 24 (Fall der sonstigen Zuzahlung). 147 Ebenso BFH v 27.5.2009 – I R 53/08, E 226, 500, Tz 13 ff = GmbHR 2010, 156. 148 Ebenso Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 469; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 31. 149 Für eine Anwendbarkeit von § 36a Abs 2 Satz 2 auf das offene Aufgeld Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 469; siehe auch § 36a Rdn 3. 150 Ebenso BGH v 20.9.2011 − II ZR 234/09, NZG 2011, 1271, 1272 = AG 2011, 87 (für die Sacheinlage unter Geltung der alten Rechtslage vor dem BilMoG).
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richt (§§ 36a Abs 1, 37 Abs 1, 38). Dies gilt auch für den Fall einer Barkapitalerhöhung (§ 188 Abs 2 Satz 1).151 Soll das Aufgeld durch eine Sacheinlage erbracht werden, muss sich die Werthal- 106 tigkeitsprüfung des (Gründungs-)Prüfers nach § 34 Abs 1 Nr 2, 183 Abs 3 Satz 2 auch auf das Aufgeld beziehen.152 Dies ergibt sich schon aus Art 10 Abs 2 Kapitalschutzrichtlinie (Rdn 15). Daher muss geprüft werden, ob der Wert der Sacheinlage den geringsten Ausgabebetrag und die Höhe des Aufgelds erreicht. Zudem muss auch der Registerrichter ebenfalls prüfen, ob der Wert der Sacheinlage auch das Aufgeld mit umfasst.153 Für die Folgen einer Unter- oder Überbewertung siehe 108 ff. iii) Publizität. Die Höhe des Aufgelds ist aus der Übernahmeerklärung (§ 23 Abs 2 107 Nr 2) oder dem Zeichnungsschein (§ 185 Abs 1 Satz 2 Nr 2) und gegebenenfalls auch aus dem Hauptversammlungsbeschluss (§ 182 Abs 3) ersichtlich. iv) Leistungsstörungsrecht (insbesondere Überbewertung). Für das Leistungs- 108 störungsrecht gilt das allgemeine Aktienrecht. Die fehlende Leistung der Bareinlage in Höhe des Aufgelds kann daher die Kaduzierung der Aktien zur Folge haben (§ 64). Bei einer Sacheinlage führt deren Überbewertung zu einer Differenzhaftung der 109 Gründer bzw der Aktionäre in der vollen Höhe des Ausgabebetrags, so dass sich diese gerade nicht auf den geringsten Ausgabebetrag beschränkt.154 Um die Bewertungsunsicherheiten auszuschließen und eine Differenzhaftung des Inferenten zu vermeiden, sollte die Ausgabe zu pari erfolgen155, auch wenn damit oftmals ein verdecktes Aufgeld (Rdn 177 ff) verbunden sein wird. Zu den weiteren Voraussetzungen des Anspruchs aus Differenzhaftung siehe Rdn 64 ff. Der Anspruch aus Differenzhaftung entsteht bereits mit Entstehung der Vor-AG und 110 daher nicht erst mit Eintragung, da das Leistungsversprechen des Inferenten in Form der Überlassung einer werthaltigen Sacheinlage schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erfüllt werden kann.156 Der Anspruch aus Differenzhaftung (Rdn 64 ff und 78 ff) kann nicht ausgeschlossen oder in seinem Umfang beschränkt werden.157 Allerdings kann über den Anspruch ein Vergleich geschlossen werden, der aber keine Zustimmung der Hauptversammlung voraussetzt.158 Eine Verrechnung ist nur möglich, wenn diese mit einer voll-
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151 BayObLG v 27.2.2002 – 3Z BR 35/02, NZG 2002, 583, 584 = AG 2002, 510; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 33; Hermanns ZIP 2003, 788, 790 f; aA etwa Spindler/Stilz/Servatius3 § 188 Rdn 43. 152 BGH v 6.12.2011 – II ZR 149/10, Z 191, 364 Tz 19 = NZG 2012, 69; Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 65; Bayer FS Ulmer, 2003, S 21, 33 ff; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 33; Stein/Fischer ZIP 2014, 1362 ff; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 33; aA Priester FS Lutter, 2000, S 617, 623 f. 153 BGH v 6.12.2011 – II ZR 149/10, Z 191, 364 Tz 19 = NZG 2012, 69; Bayer FS Ulmer, 2003, S 21, 36 ff; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 33; wohl auch KK/Dauner-Lieb3 Rdn 33; aA Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 65 f; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 474. 154 BGH v 6.12.2011 – II ZR 149/10, Z 191, 364 Tz 17 = NZG 2012, 69; OLG Jena v 12.10.2006 – 6 W 452/06, NZG 2007, 147, 152 = AG 2007, 31; Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 66; Hüffer/Koch11 Rdn 6, 8; MünchKomm/Schürnbrand3 § 183 Rdn 72; Hölters/Solveen2 Rdn 8; Heidel/Wagner4 Rdn 15a; aA Habersack FS Konzern, 2006, S 179, 183; KK/Lutter2 § 183 Rdn 66. 155 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 66; Hoffmann-Becking FS Lutter, 2000, S 453, 465 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 8 am Ende; Verse ZGR 2012, 875, 882 ff; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 16; aA Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S 188 ff, 204 ff 156 AA Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 17, der insofern eine Entscheidung im Einzelfall vornehmen will. 157 Loges/Zimmermann WM 2005, 349, 355 f; Heidel/Wagner4 Rdn 15a. 158 BGH v 6.12.2011 – II ZR 149/10, Z 191, 364 Tz 20 ff = NZG 2012, 69; Verse ZGR 2012, 875, 887 ff; Wieneke NZG 2012, 136, 138 f; aA Loges/Zimmermann WM 2005, 349, 355 f; Priester AG 2012, 525 ff.
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wertigen, fälligen und liquiden Forderung erfolgt.159 Ein Verschulden ist für den Anspruch nicht erforderlich, da sich dieser direkt aus Übernahmeerklärung ergibt.160 Der Anspruch aus Differenzhaftung verjährt nach zehn Jahren ab Eintragung (§ 9 Abs 2 GmbHG analog).161 Die Beweislast trägt die Aktiengesellschaft.162 Das Aufgeld ist auch bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Ver111 mögen der Aktiengesellschaft zu leisten. 112
d) Übertragbarkeit der Leistungspflicht. Da das offene Aufgeld unmittelbar mit der Aktie verbunden ist, geht die Pflicht zu dessen Leistung auch auf einen Rechtsnachfolger über.163 Praktische Bedeutung hat dies allerdings nur bei der Erbringung des offenen Aufgelds in Form einer Sachleistung, da bei der Festsetzung eines Aufgelds in bar dieses schon vor der Entstehung der Aktien zu leisten ist (Rdn 103).
e) Bilanzierung. Der als offenes Aufgeld gegenüber dem (fiktiven) Nennbetrag aufgebrachte Mehrbetrag ist kein Bestandteil des Grundkapitals, wird aber ebenfalls im Eigenkapital im Rahmen der Kapitalrücklage berücksichtigt und ist in diese einzustellen. Dabei fällt das offene Aufgeld unter §§ 272 Abs 2 Nr 1, 266 Abs 3 A. II. HGB.164 An dieser Form des Ausweises bestehen aber keine unerheblichen europarechtlichen Bedenken, da Art 10, Anhang III und IV Passiva A. II. (Neue) Bilanzrechtsrichtlinie165 ausdrücklich einen gesonderten und von den Rücklagen getrennten Ausweis des Agio vorschreibt, was durch §§ 272 Abs 2 Nr 1, 266 Abs 3 A II HGB aber nicht hinreichend reflektiert wird. Insofern ist von einer fehlenden Europarechtskonformität des § 266 Abs 3 A. HGB auszugehen166, der allerdings aufgrund des ausdrücklichen Wortlauts von § 266 Abs 3 A. HGB nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung Rechnung getragen werden kann. 114 Das Problem der Bilanzierung des noch nicht geleisteten Aufgelds kann sich bei der Aktiengesellschaft nicht stellen, da bei dieser die für die Gründung und Kapitalerhöhung notwendige Handelsregistereintragung erst erfolgen darf, wenn das Aufgeld ordnungsgemäß eingezahlt worden ist (§§ 36 Abs 2, 36a Abs 1, 188 Abs 2 Satz 1, 203 Abs 1 AktG). 113
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f) Verwendungsmöglichkeiten und kapitalgesellschaftsrechtliche Bindungen. Das Aufgeld unterliegt nicht den strengen Bindungen des Kapitalschutzsystems, sondern nur den Bindungen für die Kapitalrücklage (§ 150). Hintergrund dieser Bindung
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159 BGH v 6.12.2011 – II ZR 149/10, Z 191, 364 Tz 20 ff = NZG 2012, 69; Verse, ZGR 2012, 875, 890 f; Heidel/ Wagner4 Rdn 15a. 160 BGH v 14.3.1977 – II ZR 156/75, Z 68, 191, 195 = NJW 1977, 1196. 161 BGH v 6.12.2011 – II ZR 149/10, Z 191, 364 Tz 41 = NZG 2012, 69; BGH v 13.4.1992 – II ZR 277/90, Z 118, 83, 101 = NJW 1992, 2222. 162 Loges/Zimmermann WM 2005, 349, 353 f; Trölitzsch Differenzhaftung für Sacheinlagen in Kapitalgesellschaften, 1998, S 285 f. 163 Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 469. 164 BGH v 6.12.2011 – II ZR 149/10, Z 191, 364 Tz 18 = NZG 2012, 69; Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 62 f; KK-Rechnungslegungsrecht/Mock § 272 Rdn 120; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 475; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 32. 165 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl EG Nr L 182 v 29.6.2013, S 253 ff. 166 Ebenso Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen/Mock Rechnungslegungskommentar, 2016, § 272 Rdn 27.
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außerhalb des Grundkapitals ist das in der Gründungszeit des (zweiten) deutschen Reiches auftretende Phänomen der Agiotage, bei der hohe Aufgelder genutzt wurden, um in der Folgezeit hohe Gewinne auszuschütten und so eine tatsächlich nicht bestehende Ertragskraft der Aktiengesellschaft vorzutäuschen.167 Eine Auflösung kommt zunächst nur in Betracht, wenn die Kapitalrücklage zusam- 116 men mit der gesetzlichen Rücklage den zehnten oder in der Satzung bestimmten höheren Teil des Grundkapitals nicht übersteigt (§ 150 Abs 3). Soweit dies der Fall ist, ist eine Auflösung nur möglich, wenn ein Jahresfehlbetrag ausgeglichen werden soll und dieser nicht durch einen Gewinnvortrag oder durch Auflösung von Gewinnrücklagen ausgeglichen werden kann (§ 150 Abs 3 Nr 1). Außerdem kann eine Auflösung auch dann vorgenommen werden, wenn damit ein Verlustvortrag ausgeglichen werden soll und dieser nicht durch einen Jahresüberschuss gedeckt ist bzw durch Auflösung anderer Gewinnrücklagen ausgeglichen werden kann (§ 150 Abs 3 Nr 2). Soweit die Kapitalrücklage zusammen mit der gesetzlichen Rücklage den zehnten oder in der Satzung bestimmten höheren Teil des Grundkapitals aber übersteigt, darf der übersteigende Betrag zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrages verwandt werden, soweit dieser nicht durch einen Gewinnvortrag aus dem Vorjahr gedeckt ist oder gleichzeitig Gewinnrücklagen zur Gewinnausschüttung aufgelöst werden (§ 150 Abs 4 Satz 1 Nr 1, Satz 2). Darüber hinaus kann der übersteigende Betrag zum Ausgleich eines Verlustvortrags aus dem Vorjahr verwandt werden, soweit er nicht durch einen Jahresüberschuss gedeckt ist oder gleichzeitig Gewinnrücklagen zur Gewinnausschüttung aufgelöst werden (§ 150 Abs 4 Satz 1 Nr 2, Satz 2). Schließlich können die übersteigenden Beträge auch zu einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln verwandt werden (§ 150 Abs 4 Nr 3). 2. Verstecktes Aufgeld. Im Gegensatz zum offenen Aufgeld handelt es sich beim 117 versteckten Aufgeld um ein Phänomen der Sacheinlage, wenn der Wert der vom Aktionär geleisteten Sacheinlage den Ausgabebetrag übersteigt.168 Denn in einem solchen Fall leistet der Aktionär tatsächlich mehr als er verpflichtet ist. Ein solches verstecktes Aufgeld ist ohne weiteres zulässig, da weder Gesichtspunkte des Gläubiger- noch des Minderheitenschutzes betroffen sind.169 Eine eigenständige Festsetzung des versteckten Aufgelds erfolgt nicht, da le- 118 diglich der Ausgabebetrag festgesetzt wird (Rdn 31 ff) und sich die Höhe des versteckten Aufgelds dann aus der Differenz gegenüber dem wahren Wert der Sacheinlage ergibt. Die Höhe des versteckten Aufgelds muss von der Aktiengesellschaft oder den Aktionären auch nicht ermittelt werden, da dieser Betrag auch bilanziell nicht verbucht wird. Da sich der Gründer bzw Aktionär nur zur Leistung des Ausgabebetrags und 119 nicht des darüber hinausgehenden versteckten Aufgelds verpflichtet hat, kann die Aktiengesellschaft hinsichtlich dieses den Ausgabebetrag übersteigenden Betrags auch keine Rechte geltend machen. Soweit der Wert der Sacheinlage am Ende den Ausgabebetrag erreicht, hat der Aktionär seine Einlageverpflichtung nach § 54 vollständig erbracht.
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167 Vgl dazu nur Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 63; Bezzenberger Das Kapital der Aktiengesellschaft, 2005, S 35 f. 168 Mit dieser Definition Ballerstedt FS Geßler, 1971, S 69, 72 ff; Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S 171 ff; aA K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 16. 169 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 33; Priester FS Lutter, 2000, S 617, 627 ff; Schnorbus/Plassmann ZIP 2016, 693, 695 ff; aA Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S 191 ff, 218; Schäfer, ZIP 2016, 953 ff; ders, FS Stilz, 2014, S 525 ff.
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Der den Ausgabebetrag übersteigende Betrag wird nicht in der Kapitalrücklage verbucht.170 Dies ist allerdings nicht unproblematisch, da für die Aktiengesellschaft in einem solchen Fall ein Ertrag entsteht.171 Denn der als Sacheinlage eingebrachte und unterbewertete Vermögensgegenstand kann mit seinem höheren Zeitwert aktiviert werden.172 Insofern könnte dieser Mehrbetrag zur Ausschüttung verwendet werden, was dem historischen Anliegen des Gesetzgebers der 2. Aktienrechtsnovelle hinsichtlich der Verhinderung der Agiotage widerspricht (Rdn 10). Die tatsächliche Überzeugungskraft dieses Arguments muss allerdings bezweifelt werden, da die Entstehung dieses nicht betrieblichen Ertrags ohne weiteres in der Gewinn- und Verlustrechnung erkennbar ist, so dass ein weitergehender Schutz des Rechtsverkehrs aufgrund dieser Publizität nicht notwendig erscheint.
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3. Kapitalaufbringung im Rahmen schuldrechtlicher Zuzahlungen. Schließlich kann das Kapital auch im Rahmen von schuldrechtlichen Zuzahlungen (Rdn 40) zugeführt werden. Zu den Motiven siehe ausführlich Rdn 40.
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a) Zulässigkeit. Schuldrechtlichen Zuzahlungen werden als allgemein zulässig und nicht als eine unzulässige Umgehung des Aktienrechts betrachtet.173 Insofern besteht gerade kein aktienrechtlicher numerus clausus der Kapitalaufbringung (Rdn 6). Durch die Vereinbarung derartiger Zusatzleistungen werden keine Belange des Gläubigerschutzes berührt, da durch die Verpflichtung zur Erbringung schuldrechtlicher Zusatzleistungen die bestehenden Einlageverpflichtungen im Rahmen des Kapitalschutzsystems nicht relativiert werden.174 Zudem unterliegen schuldrechtliche Zuzahlungen auch nicht der Publizität (Rdn 136), so dass weder der Rechtsverkehr allgemein noch speziell die Gläubiger eine entsprechende Erwartungshaltung aufbauen können. Daher bedarf es auch keiner Kontrolle der Werthaltigkeit der im Rahmen der schuldrechtlichen Zuzahlungen erbrachten Leistungen.175 Zwar könnte im Rahmen des Gläubigerschutzes argumentiert werden, dass dieser bei einer Erfassung schuldrechtlicher Zuzahlungen als Aufgeld erweitert würde.176 Allerdings muss zum einen bezweifelt werden, dass die Zuzahlungen als Aufgeld ohne weiteres geleistet werden würden177 und zum anderen gibt es – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Debatte über die Funktionalität des Kapitalschutzsystems (siehe dazu ausführlich § 7 Rdn 27 ff) – auch keinen Anlass, den Gläubigerschutz bei der Aktiengesellschaft massiv zu erweitern.
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170 AA Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 71 f; Schäfer ZIP 2016, 953 ff; ders FS Stilz, 2014, S 525 ff; Schnorbus/Plassmann ZIP 2016, 693 ff; ebenso K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 16 am Ende, die für eine Einbuchung in die Kapitalrücklage eintritt, ohne sich dabei aber auf § 272 Abs 2 Nr 1 oder Nr 4 HGB festzulegen. 171 LG Mainz v 18.9.1986 – 12 HO 53/85, AG 1987, 91, 95 = WM 1986, 1315; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 15; aA KK/Dauner-Lieb3 Rdn 33, die von der Entstehung stiller Reserven ausgeht. 172 BeckBilKomm/Förschle/K. Hoffmann9 § 247 Rdn 190. 173 OLG München v 27.9.2006 – 7 U 1857/06, AG 2007, 292, 294 = WM 2007, 123; LG Mainz 18.9.1986 – 12 HO 53/85, AG 1987, 91, 95; RG v 10.5.1912 – II 43/12, Z 79, 333, 335; RG v 24.10.1913 – II 429/13, Z 83, 216, 219; Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 76 f; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 34; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 470 f; ders FS Lutter, 2000, S 617, 624 ff; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 35; Grigoleit/Vedder Rdn 8; Heidel/ Wagner4 Rdn 16; aA BayObLG v 27.2.2002 – 3Z BR 35/02 NZG 2002, 583 f = AG 2002, 510. 174 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 82 f. 175 AA Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S 322 ff 176 In diese Richtung Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S 322 ff. 177 Ähnlich Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 471 f; ders FS Lutter, 2000, S 617 f, 617 f; Schorling/Vogel AG 2003, 86, 90.
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Aber auch Gesichtspunkte des Minderheitenschutzes werden durch die schuldrechtlichen Zuzahlungen nicht berührt. Zwar kommt der Hauptversammlung bei den schuldrechtlichen Zuzahlungen – anders als beim Aufgeld (Rdn 91 ff) – keinerlei Kompetenz zu dessen Festlegung zu (Rdn 91 ff).178 Jedoch ist dies unproblematisch, da durch die schuldrechtlichen Zuzahlungen keine mitgliedschaftlichen Rechte eingeräumt werden.179 Zudem besteht auch beim Aufgeld (Rdn 131) oder bei der Kapitalerhöhung bzw dem genehmigten Kapital (arg §§ 204 Abs 1, 255 Abs 2) keine zwingende Befugnis der Hauptversammlung.180 Außerdem können die Aktionäre in der Hauptversammlung ihre Zustimmung zum Ausgabebetrag davon abhängig machen, dass eine entsprechend hohe schuldrechtliche Zuzahlung erfolgt, so dass insofern durchaus eine Einflussnahme besteht.181 Weiterhin geht jedenfalls das Bilanzrecht von einer Existenz schuldrechtlicher Zuzahlungen aus, § 272 Abs 2 HGB zwischen dem Aufgeld (§ 272 Abs 2 Nr 1 HGB) und sonstigen Zuzahlungen (§ 272 Abs 2 Nr 4 HGB) unterscheidet.182 Schließlich würde ein Verbot der Kapitalaufbringung im Rahmen schuldrechtlicher Zuzahlungen bzw eine Beschränkung einer solchen Kapitalaufbringung auf das Aufgeld massive Abgrenzungsschwierigkeiten begründen, da man diesen numerus clausus der Kapitalaufbringung letztlich auf sämtliche Leistungsbeziehungen zwischen der Aktiengesellschaft und dem Aktionär ausdehnen müsste. Aus der somit anzunehmenden allgemeinen Zulässigkeit schuldrechtlicher Zuzahlungen folgt, dass diese weder den Vorschriften für die Aufbringung des geringsten Ausgabebetrags (Rdn 52 ff) noch denjenigen über das Aufgeld (Rdn 85 ff) unterliegen. Vielmehr findet auf diese das allgemeine Schuldrecht Anwendung.183
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b) Abgrenzung zu anderen Finanzierungsformen. Die schuldrechtlichen Zuzah- 127 lungen müssen vom Aufgeld abgegrenzt werden. Diese Abgrenzung kann zunächst durch eine eindeutige Benennung bei der Festlegung bzw Vereinbarung erfolgen. Soweit eine solche nicht erfolgt ist, muss die Rechtsnatur der Leistung im Wege der Auslegung ermittelt werden. Zentrales Kriterium ist dabei vor allem, ob die Beteiligten die für das Aufgeld vorgesehene kapitalschutzrechtliche Bindung (Rdn 115 f) tatsächlich eingehen wollten.184 Zudem spricht die Vereinbarung korporativer Sanktionen – wie etwa die Einziehung der Aktien im Fall der fehlenden Erfüllung der schuldrechtlichen Zuzahlung – für ein Aufgeld.185 Keine maßgebliche Rolle kann es hingegen spielen, ob der Aktiengesellschaft aus der Abrede zur Erbringung zusätzlicher Leistungen ein eigener Anspruch zusteht oder nicht.186 Ein solcher ist bei einem Aufgeld zwar stets gegeben, und bei einer schuldrechtlichen Zuzahlung hingegen nicht zwingend erforderlich. Allerdings
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178 Mit dieser Kritik vor allem Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S 315 ff. 179 Im Ergebnis auch Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 471. 180 Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 472. 181 Ebenso Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 472. 182 Ebenfalls von einer positivrechtlichen Bestätigung ausgehend Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 77 f. 183 OLG München v 27.9.2006 – 7 U 1857/06, AG 2007, 292, 294 = WM 2007, 123; Becker, NZG 2003, 510, 512; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 34; Hergeth/Eberl DStR 2002, 1818, 1819 ff; Hermanns ZIP 2003, 788, 791 f; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 473; aA Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S 315 ff. 184 Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 469. 185 Becker NZG 2003, 510, 512; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 469; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 39. 186 Ähnlich Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 469 f; Heidel/Wagner4 Rdn 19; aA und vor allem auf dieses Kriterium abstellend BayObLG v 27.2.2002 – 3Z BR 35/02, NZG 2002, 583 f = AG 2002, 510.
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zeichnen sich schuldrechtlichen Zuzahlungen oftmals gerade dadurch aus, dass auch der Aktiengesellschaft ein eigenes Forderungsrecht eingeräumt wird. Dies kann sogar selbst dann bestehen, wenn die schuldrechtliche Zuzahlung nicht zwischen dem Aktionär und der Aktiengesellschaft, sondern zwischen den Aktionären (Rdn 129) vereinbart wird, da sich ein Forderungsrecht dann ebenfalls im Rahmen eines Vertrags zugunsten Dritter (§ 328 BGB) ergeben kann. Ebenfalls wenig Ertrag liefert der Umstand, dass der Ausgabebetrag ohne die Zuzahlung angemessen ist und ob die Zuzahlung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Finanzierungsmaßnahme steht, da trotz dieser Umstände ohne weiteres eine sonstige Zuzahlung nach § 272 Abs 2 Nr 4 HGB gewollt sein kann. Bei den schuldrechtlichen Zuzahlungen handelt es sich auch nicht um stille Betei128 ligungen (§§ 230 ff HGB). Durch die schuldrechtlichen Zuzahlungen wird keine eigenständige Beteiligung an der Aktiengesellschaft begründet. Die Rechte des Schuldners der schuldrechtlichen Zuzahlung beschränken sich vielmehr auf die Rechte aus der Aktie, die auch bei der Vereinbarung einer schuldrechtlichen Zuzahlung nicht erweitert werden. c) Gestaltungsvarianten. Da die schuldrechtlichen Zuzahlungsvereinbarungen nicht geregelt sind, besteht bei deren Ausgestaltung Vertragsfreiheit. Die schuldrechtlichen Zuzahlungsvereinbarungen können einerseits zwischen der Aktiengesellschaft und den Aktionären und andererseits auch nur zwischen den Aktionären abgeschlossen werden.187 Soweit sie lediglich zwischen Aktionären geschlossen wird, ist ein selbständiges Forderungsrecht der Aktiengesellschaft im Grundsatz ausgeschlossen. Allerdings kann die Auslegung aber auch das Vorliegen eines Vertrags zugunsten Dritter (§ 328 BGB) ergeben. Auch hinsichtlich des Leistungsgegenstands sind die Aktionäre und die Aktien130 gesellschaft frei, so dass sowohl Bar- als auch Sachleistungen vereinbart werden können.188 129
d) Festsetzung. Die Festsetzung der schuldrechtlichen Zuzahlungen obliegt allein dem Vorstand, da sich die Kompetenz der Hauptversammlung nach § 182 Abs 3 auf die Festsetzung des geringsten Ausgabebetrags und der Höhe des Aufgelds beschränkt (Rdn 44, 91). Da die schuldrechtlichen Zuzahlungen nicht von § 182 Abs 3 erfasst werden, bleibt es bei der allgemeinen Kompetenz des Vorstands (§§ 76, 78).189 Grundsätzlich können schuldrechtliche Zuzahlungen auch in die Satzung aufge132 nommen werden, da ein dahingehendes Verbot nicht besteht.190 Allerdings können sich dann erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten zum Aufgeld (Rdn 85 ff) ergeben. Die Festsetzung der Höhe der schuldrechtlichen Zuzahlung kann von den Aktionä133 ren zwar nicht selbständig angegriffen werden. Allerdings kann sich ein Anfechtungsrecht nach § 255 Abs 2 für den Fall ergeben, dass der Ausgabebetrag unangemessen niedrig ist und dies auch nicht durch eine schuldrechtliche Zuzahlung kompensiert wird.191 131
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187 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 40; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 36. 188 Heidel/Wagner4 Rdn 16. 189 Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 471; aA Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S 315 ff; Hermanns ZIP 2003, 788, 791 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 37. 190 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 38. 191 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 81 f; Becker NZG 2003, 510, 514; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 473; aA Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S 332; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 37.
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e) Erbringung der schuldrechtlichen Zuzahlung i) Entstehung und Fälligkeit. Für die schuldrechtlichen Zuzahlungen kann der 134 Leistungszeitpunkt frei vereinbart und etwa an das Erreichen bestimmter Meilensteine gekoppelt werden.192 § 36a Abs 1 kommt gerade nicht zur Anwendung.193 ii) Keine Prüfung durch Sachverständige oder Registergericht. Die schuldrecht- 135 lichen Zuzahlungsvereinbarungen unterliegen keiner Kontrolle durch einen (Gründungs-)Prüfer nach §§ 33 ff, 183 Abs 3 Satz 2.194 Ebenso wenig findet eine eigenständige registerrechtliche Kontrolle statt.195 Diese beschränkt sich vielmehr auf die Erfüllung der Anforderungen von Abs 1 (Rdn 47 ff) und der Werthaltigkeit des Aufgelds (Rdn 105 f). Allerdings kann es im Rahmen der Prüfung dieser Anforderungen zu einer indirekten Prüfung der schuldrechtlichen Zuzahlungen kommen, was vor allem dann der Fall ist, wenn eine klare Abgrenzung der schuldrechtlichen Zuzahlung von einem Aufgeld nicht erfolgen kann.196 Soweit aber weder die Übernahmeerklärung noch der Hauptversammlungsbeschluss oder der Zeichnungsschein Angaben zu einem Aufgeld enthalten, hat das Registergericht auch keinen Anlass, sich außerhalb der Gründung oder der Kapitalerhöhung getroffene Abreden vorlegen zu lassen.197 Dies gilt selbst dann, wenn die Ausgabe der jungen Aktien bei einem Bezugsrechtsausschluss zum geringsten Ausgabebetrag erfolgt und sich die Angemessenheit im Sinne von § 255 Abs 2 erst aus einer schuldrechtlichen Zuzahlung ergeben kann. Solange eine solche Anfechtung nicht erfolgt ist, kann das Registergericht eine solche auch nicht prüfen.198 iii) (Keine) Publizität. Die Vereinbarungen über schuldrechtliche Zuzahlungen sind 136 nicht öffentlich bekanntzumachen oder auszulegen. Auch dem Registergericht müssen diese nicht vorlegt werden (Rdn 135). Insofern muss nicht einmal die Höhe der schuldrechtlichen Zuzahlung veröffentlicht werden. Allerdings können die Inhalte einer schuldrechtlichen Zuzahlung Gegenstand des Auskunftsrechts des Aktionärs nach § 131 sein, soweit ein Bezug zu einem Tagungsordnungspunkt vorliegt. iv) Leistungsstörungsrecht (insbesondere Überbewertung). Für das Leistungs- 137 störungsrecht gilt das allgemeine Schuldrecht, sofern nicht ausdrückliche Vereinbarungen für den Fall der fehlenden oder nicht ordnungsgemäßen Erfüllung der Verpflichtung getroffen wurden.199 Soweit korporative Sanktionen vereinbart werden, können aber Abgrenzungsschwierigkeiten zum Aufgeld entstehen (Rdn 127). Werden die schuldrechtlichen Zuzahlungen in Form von Sachleistungen erbracht, 138 unterliegt der Aktionär einer Differenzhaftung200, soweit sich die schuldrechtliche Zuzahlung nicht nur auf eine bestimmte Sachleistung als solche, sondern (auch) auf einen
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192 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 35. 193 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 80; Schäfer ZGR 2008, 455, 476 f; Schorling/Vogel AG 2003, 86, 87 ff; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 35. 194 Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 471, 472. 195 Lüssow Das Agio im GmbH- und Aktienrecht, S 185 f; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 474; Schorling/Vogel AG 2003, 86, 91; wohl auch KK/Dauner-Lieb3 Rdn 36; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 42; aA BayObLG v 27.2.2002 – 3Z BR 35/02, NZG 2002, 583 f = AG 2002, 510. 196 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 36; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 474. 197 Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 474; Schorling/Vogel AG 2003, 86, 91. 198 Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 475; aA Hermanns ZIP 2003, 788, 792. 199 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 39. 200 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 74 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 34 ff.
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bestimmten Betrag beläuft. Ist dies nicht der Fall, bleibt es bei der Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts mit der Folge, dass eine bloße Unterbewertung grundsätzlich folgenlos bleibt. 139 Die schuldrechtlichen Zuzahlungen sind auch bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Aktiengesellschaft zu erfüllen. Ein Beendigungsgrund wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Aktiengesellschaft gerade nicht begründet. 140
f) Übertragbarkeit der Leistungspflicht. Aufgrund des rein schuldrechtlichen Charakters der schuldrechtlichen Zuzahlungsvereinbarungen verpflichten diese immer nur den Aktionär, der diese auch eingegangen ist. Daher kann den Erwerber einer Aktie keine entsprechende Verpflichtung treffen.201 Eine solche Verpflichtung erfordert vielmehr eine Schuldübernahme (§§ 414 ff BGB).202
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g) Bilanzierung. Die schuldrechtlichen Zuzahlungen müssen – ebenso wie das Aufgeld (Rdn 113 f) – in die Kapitalrücklage eingestellt werden. Dabei fallen sie unter § 272 Abs 2 Nr 4 HGB und nicht unter § 272 Abs 2 Nr 1 HGB.203 Denn auch wenn § 272 Abs 2 Nr 1 HGB von dem Erzielen eines über den (fiktiven) Nennbetrag hinausgehenden Betrags spricht, bliebe die Frage nach dem tatsächlichen Anwendungsbereich des § 272 Abs 2 Nr 4 HGB. Darüber hinaus zielen die schuldrechtlichen Zuzahlungen gerade nicht auf die Stärkung eines Gläubigerschutzes (Rdn 2), so dass die Schaffung eines solchen durch eine Erfassung durch § 272 Abs 2 Nr 1 HGB auch nicht erforderlich ist.204
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h) Verwendungsmöglichkeiten und kapitalgesellschaftsrechtliche Bindung. Allerdings unterliegen die schuldrechtlichen Zuzahlungen nicht den strengen Bindungen der Kapitalrücklage, da sich § 150 gerade nicht auf diese erstreckt.205 Insofern können die schuldrechtlichen Zuzahlungen auch wieder ausgeschüttet werden.206 Dabei muss aber hinreichend deutlich werden, dass die Zahlungen aus der (freien) Kapitalrücklage erfolgen und es sich nicht um Einlagen handelt.207 Schließlich kann in den schuldrechtlichen Zuzahlungen auch vereinbart werden, dass die Ausschüttung der nach § 272 Abs 2 Nr 4 HGB gebildeten Rücklage auch nur an Altgesellschafter erfolgen soll.208
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4. Mehrbetrag bei Kapitalerhöhungen mit mittelbarem Bezugsrecht. Bei dem Mehrbetrag bei Kapitalerhöhungen mit mittelbarem Bezugsrecht handelt es sich um
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201 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 79 f; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 38; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 469; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 40. 202 Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 79 f; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 38; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 469; Schorling/Vogel AG 2003, 86, 87; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 40. 203 OLG München v 27.9.2006 – 7 U 1857/06, AG 2007, 292, 294 = WM 2007, 123; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 39; Mellert NZG 2003, 1096, 1097 f; KK-Rechnungslegungsrecht/Mock § 272 Rdn 163; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 475 ff; ders FS Lutter, 2000, S 617, 629; MünchKommHGB/Reiner3 § 272 Rdn 68; Schorling/Vogel AG 2003, 86, 89; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 41; Heidel/Wagner4 Rdn 16; ders DB 2004, 293, 296 f; Weitnauer NZG 2001, 1065, 1067 f; im Ergebnis auch LG Mainz 18.09.1986 – 12 HO 53/85, AG 1987, 91, 95; aA Baums FS Hommelhoff, 2012, S 61, 83 ff; Becker NZG 2003, 510, 515; Herchen Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S 286 ff. 204 Ähnlich Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 476. 205 So ausdrücklich Begr BiRiLiG BT-Drucks 10/4268, S 106 f. 206 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 39; Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 476 f; ders ZIP 2001, 725 ff; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 41; Wagner DB 2004, 293, 297. 207 BGH v 15.10.2007 – II ZR 249/06, NZG 2008, 76 = AG 2008, 122; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 41. 208 Priester FS Röhricht, 2005, S 467, 476; Seibt, NZG 2002, 256, 261.
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die Differenz zwischen dem Bezugspreis und dem Ausgabebetrag, der abzüglich der Provision für das Emissionsinstitut an die Aktiengesellschaft abgeführt wird. Dieser Mehrbetrag nimmt bei Kapitalerhöhungen mit mittelbarem Bezugsrecht die Rolle des Aufgelds ein und muss folglich auch wie ein solches vor allem in bilanzieller Hinsicht (Rdn 113 f.) behandelt werden.209 § 10 Aktien und Zwischenscheine Mock
§ 10 Aktien und Zwischenscheine (1) 1 Die Aktien lauten auf Namen. 2 Sie können auf den Inhaber lauten, wenn die Gesellschaft börsennotiert ist oder der Anspruch auf Einzelverbriefung gemäß Absatz 5 ausgeschlossen ist und die Sammelurkunde bei einer der folgenden Stellen hinterlegt wird: a) einer Wertpapiersammelbank im Sinne des § 1 Absatz 3 Satz 1 des Depotgesetzes, b) einem zugelassenen Zentralverwahrer oder einem anerkannten DrittlandZentralverwahrer gemäß der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/EU und der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 ABl. L 257 vom 28.8.2014, S 1) oder c) einem sonstigen ausländischen Verwahrer, der die Voraussetzungen des § 5 Absatz 4 Satz 1 des Depotgesetzes erfüllt. 3 Solange im Fall des Satzes 2 Nummer 2 die Sammelurkunde nicht hinterlegt ist, ist § 67 entsprechend anzuwenden. (2) 1 Die Aktien müssen auf Namen lauten, wenn sie vor der vollen Leistung des Ausgabebetrags ausgegeben werden. 2 Der Betrag der Teilleistungen ist in der Aktie anzugeben. (3) Zwischenscheine müssen auf Namen lauten. (4) 1 Zwischenscheine auf den Inhaber sind nichtig. 2 Für den Schaden aus der Ausgabe sind die Ausgeber den Inhabern als Gesamtschuldner verantwortlich. (5) In der Satzung kann der Anspruch des Aktionärs auf Verbriefung seines Anteils ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. 1. 2.
I.
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Inhalt der Regelung | 1 2. Zweck der Regelung | 2 a) Wertpapierrechtliche Einordnung der Aktie | 3 b) Herstellung einer Transparenz der Beteiligungsverhältnisse | 4 c) Sicherung der Kapitalaufbringung | 5 3. Gesetzesgeschichte | 6 4. Wirtschaftliche Bedeutung | 12 a) Dominanz der Namens- gegenüber der Inhaberaktie | 12
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b)
5. 6. 7.
Faktische Bedeutungslosigkeit von Zwischenscheinen | 13 c) Ausschluss der Einzelverbriefung als Regelfall | 14 Europäisches Recht | 15 Ausländisches Recht | 18 Rechtspolitische Würdigung | 23 a) Verbriefung, Verwahrung von und Verfügungen über Aktien | 23 b) Einschränkungen für die Verwendung von Inhaberaktien | 24
Klette DB 1968, 2203, 2261; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 17.
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§ 10 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
II.
Ausgabe von Zwischenscheinen | 27 d) Ausschluss des Anspruchs auf Einzelverbriefung | 28 8. Verhältnis zu anderen Vorschriften | 29 9. (Fehlende) Disponibilität | 30 10. Alt- und Übergangsfälle | 31 Verbriefung, Verwahrung und Übertragung der Mitgliedschaft | 34 1. Verbriefung der Mitgliedschaft | 34 a) Entstehung der Mitgliedschaft als Voraussetzung der Verbriefung | 34 b) Arten der Verbriefung | 35 i) Inhaberaktien | 36 ii) Namensaktien | 39 iii) Zwischenscheine | 41 iv) (Einzel-)Verbriefung | 43 (1) Ausstellung der Aktienurkunde | 44 (2) Ausgabe der Aktienurkunde | 45 v) Sammelverbriefung | 50 (1) Mehrfach- oder Sammelurkunde | 51 (2) Globalurkunde | 52 c) Kein Erfordernis einer Verbriefung | 54 d) Anspruch auf Verbriefung | 56 e) Legitimationswirkung der Verbriefung | 59 2. Verwahrung von Aktien | 61 a) Einzelverwahrung | 62 b) Sonderverwahrung | 63 c) Sammelverwahrung | 64 d) Verwahrung von Mehrfach-, Sammel- oder Globalurkunden | 66 3. Verfügungen über Aktien | 68 a) Vorgründungs- und Vorgesellschaft | 69 b) Verbriefte Einzelurkunden im unmittelbaren Besitz des Aktionärs | 70 i) Rechtsgeschäftliche Übertragung von Aktien | 70 (1) Inhaberaktien | 71 (2) Namensaktien | 73 (3) Zwischenscheine | 75 ii) Gutgläubiger Erwerb von Aktien | 76 iii) Beschränkte dingliche Rechte an Aktien | 79 (1) Verpfändung | 79
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Nießbrauch | 83 Pfändung | 85 Insolvenz | 86 Grenzüberschreitende Verfügungen über Aktien | 88 Sonderfall der Sonderverwahrung | 91 i) Übertragung | 92 ii) Gutgläubiger Erwerb | 94 iii) Beschränkte dingliche Rechte an Aktien | 96 (1) Verpfändung | 96 (2) Nießbrauch | 97 (3) Pfändung | 98 iv) Insolvenz | 99 v) Grenzüberschreitende Verfügungen über Aktien | 101 Verbriefung in Mehrfach- oder Sammelurkunden (in Sammelverwahrung) | 102 i) Rechtsgeschäftliche Übertragung | 102 ii) Gutgläubiger Erwerb | 103 iii) Beschränkte dingliche Rechte an Aktien | 104 (1) Verpfändung | 104 (2) Nießbrauch | 105 (3) Pfändung | 106 iv) Insolvenz | 107 v) Grenzüberschreitende Verfügungen | 110 Verbriefung in einer Dauerglobalurkunde (in Sammelverwahrung) | 111 i) Rechtsgeschäftliche Übertragung | 111 ii) Gutgläubiger Erwerb | 113 iii) Beschränkte dingliche Rechte an Aktien | 114 (1) Verpfändung | 114 (2) Nießbrauch | 115 (3) Pfändung | 116 iv) Insolvenz | 117 v) Grenzüberschreitende Verfügungen | 118 (Vollständig) Fehlende Verbriefung der Mitgliedschaft | 119 i) Übertragung | 120 ii) Gutgläubiger Erwerb | 122 iii) Beschränkte dingliche Rechte | 123 (1) Verpfändung | 123 (2) (3) iv) v)
c)
c)
d)
e)
f)
202
Aktien und Zwischenscheine | § 10
Nießbrauch | 124 Pfändung | 125 Insolvenz | 126 Grenzüberschreitende Verfügungen über unverbriefte Aktien | 127 Ausgabe von Inhaber- und/oder Namensaktien (Abs 1) | 128 1. Wahl zwischen Inhaber- und Namensaktien | 129 a) Ausgabe von Namensaktien als Regelfall (Abs 1 Satz 1) | 131 b) Erweiterte Anforderungen an die Ausgabe von Inhaberaktien (Abs 1 Satz 2) | 132 i) Börsennotierung (Abs 1 Satz 2 Nr 1) | 133 ii) Ausschluss des Anspruchs auf Einzelverbriefung und Hinterlegung der Sammelurkunde (Abs 1 Satz 2 Nr 2) | 134 (1) Ausschluss der Einzelverbriefung | 135 (2) Hinterlegung der Sammelurkunde | 136 (3) Entsprechende Anwendung von § 67 bei fehlender Hinterlegung (Abs 1 Satz 3) | 140 c) Allgemeine Einschränkungen des Wahlrechts | 142 d) Spezialgesetzliche Einschränkungen des Wahlrechts | 144 2. Ausübung des Wahlrechts bei der Gründung der Aktiengesellschaft | 148 a) Angabe der Aktienart in der Gründungsatzung | 148 b) Fehlende Festlegung auf eine Aktienart | 150 i) Auswirkungen auf den Bestand der Aktiengesellschaft | 151 ii) Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien | 154 c) Festlegung auf Inhaberaktien in der Gründungssatzung | 155 i) (Keine) Nichtigkeit der Feststellung der Satzung | 156 ii) (Keine) Ablehnung der Eintragung im Handelsregister | 157
iii)
(2) (3) iv) v)
III.
203
IV.
V.
Folgen einer (später) fehlenden Börsennotierung oder unterlassenen Hinterlegung | 158 (1) Keine Nichtigkeit oder Amtslöschung der eingetragenen Aktiengesellschaft | 159 (2) Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien | 161 (3) (Kein) Bestehen eines Anspruchs des Aktionärs auf Börsennotierung oder Hinterlegung | 162 (4) Haftung der Verwaltungsmitglieder | 163 3. Nachträgliche Aufhebung der Festlegung auf eine Aktienart | 165 4. Nachträgliche Umstellung der Aktienart | 167 a) Umstellung von Inhaber- auf Namensaktien | 168 b) Umstellung von Namens- auf Inhaberaktien | 172 i) Erfüllung der Vorgaben von Abs 1 Satz 2 | 173 ii) Fehlende Erfüllung der Vorgaben von Abs 1 Satz 2 | 174 (1) (Keine) Nichtigkeit des satzungsändernden Hauptversammlungsbeschlusses | 175 (2) (Ablehnung der) Eintragung und Löschung der Satzungsänderung | 176 (3) Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien | 178 (4) (Kein) Bestehen eines Anspruchs des Aktionärs auf Börsennotierung oder Hinterlegung | 179 (5) Haftung der Verwaltungsmitglieder | 180 (Teileingezahlte) Namensaktien (Abs 2) | 181 1. Verbot der Ausgabe von Inhaberaktien vor der vollständigen Leistung der Einlage (Abs 2 Satz 1) | 184 2. Angabe von Teilleistungen (Abs 2 Satz 2) | 188 3. Folgen von Verstößen | 191 Ausgabe von Zwischenscheinen (Abs 3 und 4) | 196 1. Inhaltliche Anforderungen an Zwischenscheine | 196 Mock
§ 10 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
2. 3.
Ausgabe an Zwischenscheine | 199 Rechte und Pflichten der Inhaber von Zwischenscheinen | 200
VI.
Ausschluss des Anspruchs auf Verbriefung der Mitgliedschaft (Abs 5) | 202 1. Ausschluss des Anspruchs | 203 2. Beschränkung des Anspruchs | 205 3. Nachträglicher Ausschluss | 206
Schrifttum Apfelbaum Die Verpfändung der Mitgliedschaft, Diss. Bayreuth 2004; Berger Die Verwertung gepfändeter Aktien in der Insolvenz des Sicherungsgebers, ZIP 2007, 1533; ders Verpfändung und Verwertung von Aktien, WM 2009, 577; Böning Der Besitz des Hinterlegers an Dauerglobalaktien, ZInsO 2008, 873; Brand Besitz an dauerglobalverbrieften Aktien – zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Besitz, ZBB 2015, 40; Eder Die rechtsgeschäftliche Übertragung von Aktien, NZG 2004, 107; Einsele Wertpapiere im elektronischen Bankgeschäft, WM 2001, 7; García Mateos Das neue Recht der Namensaktie, 2004; Gruson Die Doppelnotierung von Aktien deutscher Gesellschaften an der New Yorker und Frankfurter Börse. Die sogenannte Globale Aktie, AG 2004, 358; Habersack/Mayer Globalverbriefte Aktien als Gegenstand sachenrechtlicher Verfügungen?, WM 2000, 1678; Heißel/Kienle Rechtliche und praktische Aspekte zur Einbeziehung vinkulierter Namensaktien in die Sammelverwahrung, WM 1993, 1909; Hirte/Knof Das Pfandrecht an globalverbrieften Aktien in der Insolvenz, WM 2008, 7, 49; Hoffmann Die Verpfändung von Aktien in der Konsortialkreditpraxis, WM 2007, 1547; Horn Die Erfüllung von Wertpapiergeschäften unter Einbeziehung eines Zentralen Kontrahenten an der Börse, WM 2002, Sonderbeil. Nr 2, S 3; Huep Die Renaissance der Namensaktie – Möglichkeiten und Probleme im geänderten aktienrechtlichen Umfeld, WM 2000, 1623; Iversen Die außerbörsliche Übertragung von Aktien unter Beachtung des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes, AG 2008, 736; Koller Der gutgläubige Erwerb von Sammeldepotanteilen an Wertpapieren im Effektengiroverkehr, DB 1972, 1857, 1905; Kölling Namensaktien im Wandel der Zeit (NaStraG), NZG 2000, 631; Kreße Möglichkeiten der Girosammelverwaltung von Wertrechten durch Kreditinstitute, WM 2015, 463; Kümpel Die Emission von Wertpapierurkunden mit Unterschriften pensionierter oder verstorbener Vorstandsmitglieder, FS Werner, 1984, S 447; Lauppe Die kleine Aktiengesellschaft ohne Aktienausgabe: Der Weg ins Chaos, DB 2000, 807; Mahler Rechtsgeschäftliche Verfügungen über sonder- und sammelverwahrte Wertpapiere des Kapitalmarktes, Diss. Augsburg 2005; Maul Zur Ausgabe von Namensaktien, NZG 2001, 585; Merkt Die Geschichte der Namensaktie, in v Rosen/Seibert (Hrsg.) Die Namensaktie, 2000, S 63; Mentz/Fröhling Die Formen der rechtsgeschäftlichen Übertragung von Aktien, NZG 2002, 201; Mirow Die Übertragung von Aktien im Aktienkaufvertrag – Formulierungshilfen für die Praxis, NZG 2008, 52; Modlich Die außerbörsliche Übertragung von Aktien, DB 2002, 671; Mülbert Die Aktie zwischen mitgliedschaftsund wertpapierrechtlichen Vorstellungen, FS Nobbe, 2009, S 691; ders Vom Ende allen sachenrechtlichen Denkens im Depotrecht durch UNIDROIT und die EU, ZBB 2010, 445–458; Müller-von Pilchau Von der physischen Urkunde zur „virtuellen“ Aktie – Die Realisierung der Girosammelverwahrung für Namensaktien in Deutschland, in v. Rosen/Seibert Die Namensaktie, 2000, S 97; Noack Die Namensaktie – Dornröschen erwacht, DB 1999, 1306; ders Die Umstellung von Inhaber- auf Namensaktien, FS Bezzenberger, 2000, S 291; ders Globalurkunde und unverkörperte Mitgliedschaften bei der kleinen Aktiengesellschaft, FS Wiedemann, 2002, S 1141; ders Aktien – Gattungen, Verbriefung, Übertragung, in Bayer/Habersack Aktienrecht im Wandel, Band II, 2007, Kap 11; Noack/Zetzsche Die Legitimation der Aktionäre bei Globalaktien und Depotverbuchung, AG 2002, 651; Nodoushani Rechtsfragen bei der Aktienverpfändung, WM 2007, 289; Perwein Übergabe der Aktienurkunde als Wirksamkeitsvoraussetzung bei der Abtretung von Namensaktien kleiner Publikums-Aktiengesellschaften, AG 2012, 611; Schaub Die Familien-Aktiengesellschaft und der Schutz vor Fremdeinflüssen, ZEV 1995, 82; Schinzler Die teileingezahlte Namensaktie als Finanzierungsinstrument der Versicherungswirtschaft, Diss. Mannheim 1998; Schwarz Globaler Effektenhandel, 2016; Schwennicke Der Ausschluss der Verbriefung der Aktien bei der kleinen Aktiengesellschaft, AG 2001, 118; Seibert Der Ausschluss des Verbriefungsanspruchs des Aktionärs in Gesetzgebung und Praxis, DB 1999, 267; ders Der Entwurf eines Gesetzes zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz. NaStraG), in v. Rosen/Seibert Die Namensaktie, 2000, S 11; Stupp Aktuelle Rechtsprobleme bei der Verpfändung von Aktien zur Kreditbesicherung, DB 2006, 655; Than Wertpapierrecht ohne Wertpapiere?, FS Schimansky, 1999, S 821; Than/Hannöver Depotrechtliche Fragen bei Namensaktien, in v. Rosen/Seibert Die Namensaktie, 2000, 279; Wieneke Namensaktien bei Neugründung, in v. Rosen/Sei-
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Aktien und Zwischenscheine | § 10
bert Die Namensaktie, 2000, S 229; Wittig Die Verwertung verpfändeter Aktien, FS Kümpel, 2003, S 587; Zätzsch Die Voraussetzungen der Umstellung von Inhaber- und Namensaktien, in v. Rosen/Seibert Die Namensaktie, 2000, 257; Zöllner Neustückelung des Grundkapitals und Neuverteilung von Einzahlungsquoten bei teileingezahlten Aktien der Versicherungsgesellschaften, AG 1985, 19; ders Die Zurückdrängung des Verkörperungselements bei den Wertpapieren, FS Raiser, 1974, S 249.
Schrifttum zur Aktienrechtsnovelle: Bayer, Walter Aktienrechtsnovelle 2012 – Kritische Anmerkungen zum Regierungsentwurf, AG 2012, 141–153; Bungert/Wettich Aktienrechtsnovelle 2012 – der Regierungsentwurf aus Sicht der Praxis, ZIP 2012, 297–305; dies Kleine Aktienrechtsnovelle 2011 – Kritische Würdigung des Referentenentwurfs aus Sicht der Praxis, ZIP 2011, 160–167; Diekmann/Nolting Aktienrechtsnovelle 2011, NZG 2011, 6–10; Drinhausen/Keinath Referentenentwurf einer ‚kleinen Aktienrechtsnovelle‘, BB 2011, 11–17; dies Regierungsentwurf zur Aktienrechtsnovelle 2012, BB 2012, 395–401; Götze/Arnold/Carl Der Regierungsentwurf der Aktienrechtsnovelle 2012. Anmerkungen aus der Praxis, NZG 2012, 321–329; Götze/Nartowska Der Regierungsentwurf der Aktienrechtsnovelle 2014: Anmerkungen aus der Praxis, NZG 2015, 298–306; Ihrig/ Wandt Die Aktienrechtsnovelle 2016, BB 2016, 6–17; Königshausen, Andreas M. Die Aktienrechtsnovelle 2013. Endlich vollendet?, WM 2013, 909–915; Lochner/Schödel Aktienrechtsnovelle 2012/2013: Verkürzung des Spruchverfahrens auf eine Instanz? (AG Report), AG 2013, 59–61; Merkner/Schmidt-Bendun Aktienrechtsnovelle 2011 – eine weitere Episode der Aktienrechtsreform in Permanenz, CFL 2011, 4–12; dies Die Aktienrechtsnovelle 2012 – Überblick über den Regierungsentwurf, DB 2012, 98–106; Mock Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien nach neuem Recht – Gründung, Umstellung und Kapitalerhöhung, AG 2016, 216; Müller-Eising Aktienrechtsnovelle 2012 – Was bringt sie Neues?, GWR 2012, 77–80; ders Aktienrechtsnovelle 2014: Ein neuer Anlauf zur Novellierung des Aktienrechts, GWR 2014, 229–231; ders Aktienrechtsnovelle 2014: Was bringt der Regierungsentwurf Neues?, GWR 2015, 50–52; Noack Aktienrechtsnovelle 2011, DB 2010, 2657–2661; Paschos/Goslar Die Aktienrechtsnovelle 2016 – ein Überblick, NJW 2016, 359–364; Scherp/Gündel Die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung durch die Aktienrechtsnovelle 2014, CB 2015, 148–151; Schmidt-Bendun Aktienrechtsnovelle 2014: Überblick über die Reform des Aktienrechts, DB 2015, 419–426; Schüppen/Tretter Aktienrechtsnovelle 2012 – Aschenputtel oder graue Maus? Weiterentwicklung des Aktienrechts bringt Änderungen der Finanzverfassung und praktisch wichtiger Details, WPg 2012, 338–346; Seibert/Böttcher Der Regierungsentwurf der Aktienrechtsnovelle 2012, ZIP 2012, 12–17; Söhner Neuer Rechtsrahmen für Private Equity: AIFM-Umsetzungsgesetz, Aktienrechtsnovelle 2014 und weitere Vorschriften, WM 2014, 2110–2119; ders DIe Aktienrechtsnovelle 2016, ZIP 2016, 151–158; Stöber Die Aktienrechtsnovelle, DStR 2016, 611–617; Sünner Einzelfragen der Aktienrechtsnovelle 2012, CCZ 2012, 107–114; Ziemons Als Aktienrechtsnovelle 2012 gestartet und als VorstKoG gelandet: Neues ‘Say on Pay’ und andere punktuelle Weiterentwicklungen des Aktienrechts, GWR 2013, 283–286; dies Der Regierungsentwurf der Aktienrechtsnovelle 2012 und die Hauptversammlung – Reichen Klarstellungen und Randkorrekturen oder besteht weiterer Regelungsbedarf?, NZG 2012, 212–214; dies Die aktienbezogenen Regelungen des RegE ‚Aktienrechtsnovelle 2012’, BB 2012, 523–526.
I. Grundlagen 1. Inhalt der Regelung. Durch § 10 wird die Aktie in Fortführung der in § 8 bereits 1 bestehenden Optionen weiter ausgestaltet und die Einzelheiten der Verbriefung der Aktie näher geregelt. Nach Abs 1 kann die Aktiengesellschaft neben Inhaber- auch Namensaktien ausgeben (Rdn 128 ff). Dieses Wahlrecht wird durch Abs 1 Satz 2 und durch Abs 2 zugunsten der Namensaktien (Rdn 181 ff) eingeschränkt. In den Abs 3 und 4 wird die Ausgabe von Zwischenscheinen geregelt (Rdn 196 ff). Schließlich gestattet Abs 5 einen Ausschluss des Anspruchs auf Einzelverbriefung der Aktie (Rdn 202 ff). 2. Zweck der Regelung. Beim Regelungszweck von § 10 lassen sich drei Komplexe 2 unterscheiden. So wird durch die Abs 1 und 5 die Aktie als Wertpapier verortet und somit ihrer Kapitalmarktfähigkeit sichergestellt (Rdn 3), durch die Beschränkung der Wahl 205
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zwischen Namens- und Inhaberaktien eine umfassende Transparenz der Beteiligungsverhältnisse hergestellt (Rdn 4) und schließlich im Interesse der Gläubiger die sich aus dieser Kapitalmarktfähigkeit ergebenden Gefährdungen für die Kapitalaufbringung adressiert (Rdn 5). 3
a) Wertpapierrechtliche Einordnung der Aktie. Der Regelungszweck von § 10 besteht in einer typenrechtlichen Verortung der Aktie, um deren Übertragbarkeit zu gewährleisten und damit letztlich einen die Finanzierungsfunktion der Aktiengesellschaft sicherstellenden Handel mit Aktien zu ermöglichen. Ähnlich wie bei den übrigen Gestaltungsoptionen für die Aktie gestattet § 10 keine uneingeschränkte Gestaltung, sondern gibt lediglich zwei Möglichkeiten in Form von Inhaber- und Namensaktien (Rdn 128 ff) vor, um ein hinreichendes Vertrauen des (Kapital-)Marktes sicherzustellen.1 Dies wird auch durch Abs 5 und die darin vorgesehene Gestattung des Ausschlusses des Anspruchs auf Einzelverbriefung deutlich (Rdn 202 ff), womit der elektronische (standardisierte) Handel mit Aktien überhaupt erst tatsächlich möglich wird.
4
b) Herstellung einer Transparenz der Beteiligungsverhältnisse. Zentrales Anliegen von Abs 1 ist seit der Aktienrechtsnovelle 2016 (Rdn 11) die Herstellung bzw Erhöhung der Beteiligungstransparenz bei Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien. Dieser Zweck ist auf die nach altem Recht grundsätzlich bestehende Möglichkeit des Einsatzes von Inhaberaktien zur Geldwäsche und Terrorfinanzierung zurückzuführen. Inwiefern diese Gefährdungslage tatsächlich bestand, erscheint allerdings zweifelhaft (dazu ausführlich Rdn 24 ff).
5
c) Sicherung der Kapitalaufbringung. Darüber hinaus dient Abs 2 der realen Kapitalaufbringung2, indem eine Aktienausgabe vor der vollständigen Einlageleistung nur in Form von Namensaktien erfolgen darf (Rdn 181 ff). Durch die Ausgabe von Namensaktien ist es für die Aktiengesellschaft jederzeit möglich, den Einlageschuldner zu ermitteln.3 Dies gilt ebenso für die Regelung des Abs 3 (Rdn 196 ff), wonach Zwischenscheine stets auf den Namen lauten müssen.
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3. Gesetzesgeschichte. Eine Unterscheidung zwischen Inhaber- und Namensaktien findet sich bereits im Preußischen Gesetz über die Aktiengesellschaften von 18434 und im ADHGB von 1861. Seine heutige Gestalt erhielt § 10 durch die §§ 179 Abs 2 bis 4, 209 Abs 2 HGB 1897, die im Rahmen der Aktienrechtsreform 19375 ohne inhaltliche Änderungen in § 106 überführt wurden. Allerdings sah § 17 Abs 1 Aktiengesetz 1937 als Grundregel vor, dass Aktien bei Fehlen einer anderslautenden Satzungsregelung als
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1 Ähnlich KK/Dauner-Lieb3 Rdn 3, 23; MünchKomm/Heider4 Rdn 5, 10; Hölters/Solveen2 Rdn 3; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 3. 2 Ebenso Hölters/Solveen2 Rdn 16; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 74; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 15. 3 Ebenso Hüffer/Koch11 Rdn 6; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 74; Grigoleit/Vedder Rdn 10. 4 Dazu ausführlich Baums Preußische Gesetz über die Aktiengesellschaften von 1843, 1981, S 9 ff. 5 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) v 30.1.1937 (RGBl I, 107). 6 § 10 AktG 1937 lautete: „(1) Die Aktien können auf den Inhaber oder auf Namen lauten. (2) Sie müssen auf Namen lauten, wenn sie vor der vollen Leistung des Nennbetrags oder des höheren Ausgabebetrags ausgegeben werden; der Betrag der Teilleistungen ist in der Aktie anzugeben. (3) Zwischenscheine müssen auf Namen lauten. (4) Zwischenscheine auf den Inhaber sind nichtig. Für den Schaden aus der Ausgabe sind die Ausgeber den Besitzern als Gesamtschuldner verantwortlich.“
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Namensaktien auszugeben sind. Gleichzeitig räumte § 17 Abs 2 AktG 1937 aber auch die Möglichkeit ein, in der Satzung einen Anspruch des Aktionärs auf Umtausch der Namens- in Inhaberaktien vorzusehen. Durch das Aktiengesetz 19657 wurde die Überschrift von „Inhaber- und Namensaktien“ in die heutige Form überführt. Zudem wurde in Abs 4 Satz 2 – wie auch bei § 8 Abs 2 Satz 3 (siehe § 8 Rdn 125 ff) – der Begriff Inhaber anstelle des Begriffs Besitzer eingefügt und damit eine Angleichung an § 793 BGB vollzogen8, ohne dass damit allerdings inhaltliche Änderungen verbunden waren, da das Schrifttum9 zu diesem Ergebnis bereits im Wege der Auslegung gelangt war. Zudem wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahren betont, dass es kein Bedürfnis für die zwingende Einführung von Namensaktien gäbe.10 Dies schlug sich in der Schaffung von § 24 Abs 1 AktG 1965 nieder, wonach – in Umkehrung der Rechtslage des Aktiengesetzes 1937 (Rdn 6) – als Grundregel Aktien als Inhaberaktien auszugeben waren, wenn nicht die Satzung die Ausgabe von Namensaktien gestattete. Diese Grundregel zugunsten der Inhaberaktien wurde im Rahmen der Umsetzung11 der Kapitalschutzrichtlinie12 (Rdn 15) aber aufgegeben, da deren Art 3 lit f) vorsah, dass sich aus der Satzung zwingend ergeben muss, ob Inhaber- und/oder Namensaktien ausgegeben werden dürfen. Somit wurde das nach Abs 1 bestehende Wahlrecht nicht weiter eingeschränkt. Das Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts vom 2. August 199413 führte zur Schaffung der Abbedingbarkeit des Anspruchs des Aktionärs auf Verbriefung des Anteils (Abs 5), ohne dies allerdings auf die durch das Gesetz geschaffenen kleinen Aktiengesellschaften zu beschränken (Rdn 202 ff). Hintergrund dieser Neuregelung war, dass der satzungsmäßige Ausschluss des Anspruchs des Aktionärs auf Verbriefung des Anteils (Rdn 56 ff) zu diesem Zeitpunkt umstritten war14 und der Gesetzgeber auf diese Weise Klarheit schaffen wollte.15 Durch das Gesetz über die Zulassung von Stückaktien (Stückaktiengesetz – StückAG) vom 25. März 199816 kam es aufgrund der Einführung der Stückaktie (§ 8 Rdn 153 ff) zu einer Änderung von Abs 2 Satz 1 (Rdn 184 ff), in dem auf eine Bezugnahme auf den Nennbetrag verzichtet wurde. Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27. April 199817 führte zu einer Änderung von Abs 5, indem der Begriff Anspruch auf Einzelverbriefung der Aktien durch [Anspruch des Aktionärs auf] Verbriefung
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7 Aktiengesetz vom 6.9.1965, BGBl I, S 1089. 8 Ausschussbericht Rechtsausschuss AktG 1965, BT-Drucks IV/3296, S 5 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 23). 9 Schlegelberger/Quassowski AktG 1937³ Rdn 12; GroßKomm/Gadow1 Rdn 10. 10 Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 98 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 24). 11 Gesetz zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v 13.12.1978, BGBl I, S 1959. 12 Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13.12.1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl EG L 26 vom 31.1.1977, S 1 ff. 13 BGBl I, S 1961. 14 Für eine Unentziehbarkeit des Anspruchs RG v 22.9.1914 – VII 137/14, Z 85, 327, 330 f; Hüffer1 Rdn 3; von Godin/Wilhelmi Rdn 2; aA und für eine Entziehbarkeit Staub/Canaris3 Bankvertragsrecht Rdn 2135; Ritter Rdn 2b. 15 Begr RegE Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BT-Drucks 12/6721, S 6. 16 BGBl I, S 590. 17 BGBl I, S 786.
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seines Anteils ersetzt wurde. Damit sollte sichergestellt werden, dass auch der Anspruch des Aktionärs auf Globalverbriefung seiner Anteile (Rdn 56 ff) ausgeschlossen werden kann.18 Seit der Vorlage des Referentenentwurfs für ein Gesetz zur Änderung des Akti11 engesetzes im Jahr 2010 hat eine rechtspolitische Diskussion über die Beschränkung des freien Wahlrechts zwischen Inhaber- und Namensaktien eingesetzt. Diese Bemühungen sollen im Wesentlichen der Verbesserung der Transparenz von Beteiligungsstrukturen vor allem bei nicht-börsennotierten Aktiengesellschaften dienen und so den Einsatz von Aktiengesellschaften zur Geldwäsche und Terrorfinanzierung erschweren.19 Hintergrund dieser Entwicklung war eine dahingehende – auch gegenüber anderen westlichen Industriestaaten ausgesprochene (Rdn 19) – Rüge der Financial Action Task Force (FATF), die in ihrem dritten Bericht aus dem Jahr 201020 die Einschätzung geäußert hat, dass vor allem bei nicht-börsennotierten Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien keine hinreichende Transparenz hinsichtlich der Gesellschafterstruktur bestehe und die zuständigen Behörden nicht rechtzeitig aktuelle Informationen über die Aktionäre einer solchen Gesellschaft erhielten. Dieser Forderung der FATF haben sich später auch die G8-Staaten angeschlossen.21 Zudem wurde diese Einschätzung auch vom Bundeskriminalamt geteilt.22 Im Referentenentwurf war die Ausgabe von Inhaberaktien nur für die börsennotierte Aktiengesellschaft (§ 10 Abs 1 RefE23) und die Möglichkeit einer automatischen Umwandlung von Namens- in Inhaberaktien bei Eintritt der Börsennotierung vorgesehen (§ 24 Abs 2 Satz 2 RefE24). Der etwa ein Jahr später beschlossene Regierungsentwurf für eine Aktienrechtsnovelle 201225 hielt an diesem Grundanliegen fest, sah aber eine stärker differenzierende Regelung vor. So sollten Inhaberaktien nicht nur von börsennotierten Aktiengesellschaften, sondern auch im Fall des Ausschlusses des Anspruchs auf Einzelverbriefung ausgegeben werden dürfen, wenn die Sammelurkunde bei einer Wertpapiersammelbank hinterlegt wird.26 Der aufgrund des Endes der 17. Legislaturperiode nicht weiter verfolgte Entwurf wurde später in Form eines Referentenentwurfs einer Aktienrechtsnovelle 201427 wieder vorgelegt und kurz
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18 So ausdrücklich Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses KonTraG, BT-Drucks 13/ 10038, S 25. 19 Begr RefE Aktienrechtsnovelle 2011, abrufbar unter www.bmjv.de, S 10. 20 Financial Action Task Force (FATF), Mutual Evaluation Report – Anti-Money Laundering and Combating the Finance of Terrorism (Germany), S 244 ff, abrufbar unter http://www.fatf-gafi.org. 21 G8 – Trade, Tax & Transparency – the 2013 UK G8 PResidency Report, S 11, abrufbar unter https://www.gov.uk/government/topical-events/g8-2013. 22 Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2011, BT-Drucks 852/11, S.9. 23 § 10 Abs 1 RefE Aktienrechtsnovelle 2011 lautete: „Die Aktien lauten auf Namen; bei börsennotierten Gesellschaften können sie auch auf den Inhaber lauten“. 24 § 24 Abs 2 Satz 2 RefE Aktienrechtsnovelle 2011 lautete: „In einer Namensaktie kann bestimmt werden, dass sie dem Inhaber zusteht, sobald die Gesellschaft börsennotiert ist.“. 25 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2012), BR-Drucks 852/ 11. 26 § 10 Abs 1 RegE Aktienrechtsnovelle 2012 (BR-Drucks 852/11) lautete: „(1) Die Aktien lauten auf Namen. Sie können auf den Inhaber lauten, wenn 1. die Gesellschaft börsennotiert ist oder 2. der Anspruch auf Einzelverbriefung gemäß Absatz 5 ausgeschlossen ist. In diesem Fall muss die Sammelurkunde bei einer Wertpapiersammelbank im Sinne des § 1 Absatz 3 Satz 1 des Depotgesetzes oder bei einem ausländischen Verwahrer, der die Voraussetzungen des § 5 Absatz 4 Satz 1 des Depotgesetzes erfüllt, hinterlegt werden. Solange die Sammelurkunde nicht hinterlegt ist, ist § 67 entsprechend anzuwenden.“ 27 Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014), abrufbar unter http://www.dnoti.de.
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darauf als Regierungsentwurf28 unter Zugrundelegung der gleichen Erwägungen29 beschlossen. Dabei erfolgte eine weitere Differenzierung für den Fall des Ausschlusses des Anspruchs auf Einzelverbriefung und der Hinterlegung. Diese Konzeption wurde schließlich durch die Aktienrechtsnovelle 201630 umgesetzt und das Wahlrecht zwischen Inhaber- und Namensaktien dahingehend eingeschränkt (Rdn 129 ff). Die Norm ist seitdem unverändert. 4. Wirtschaftliche Bedeutung a) Dominanz der Namens- gegenüber der Inhaberaktie. In ihrer wirtschaftli- 12 chen Bedeutung dominiert heute die Namensaktie leicht gegenüber der Inhaberaktie.31 Dies überrascht, da die Vorteile der Namensaktie meist nur in besonderen Konstellationen erforderlich sind. So eignet sich die Namensaktie vor allem für Familiengesellschaften aufgrund der leichteren Kontrollierbarkeit des Aktionärskreises32, für Versicherungsunternehmen wegen der Möglichkeit der Teileinzahlung und der Verwendung der ausstehenden Einlage zur Risikovorsorge (Rdn 182) und schließlich für nicht börsennotierte Aktiengesellschaften, soweit diese ein Interesse an einer namentlichen Bekanntheit ihrer Aktionäre haben. Der in den vergangenen Jahrzehnten festzustellende Trend zur Namensaktie ist vor allem auf die Verbesserung der technischen Möglichkeiten für den Einsatz von Namensaktien zurückzuführen. Zudem kann über Namensaktien eine direkte Kommunikation zwischen der Aktiengesellschaft und ihren Aktionären erfolgen, die sich nicht nur auf die Investor Relations insgesamt auswirkt, sondern auch direkte Auswirkungen auf konzern- und übernahmerechtliche Aspekte hat.33 Weiterhin gestattet die Namensaktie auch eine Mehrfachnotierung an in- und ausländischen Börsen (sogenannte global shares).34 Schließlich dürfte die nunmehr seit der Aktienrechtsnovelle 2016 vorgesehene Einschränkung des Wahlrechts zugunsten der Namensaktie (Rdn 11) dazu führen, dass diese noch weiter an Bedeutung gewinnt.35 b) Faktische Bedeutungslosigkeit von Zwischenscheinen. Die Ausgabe von 13 Zwischenscheinen (Rdn 196 ff) hat in der Praxis kaum noch Bedeutung, was im Wesentlichen auf die Globalverbriefung von Aktien und die damit verbundene elektronische Übertragung (Rdn 68 ff) zurückzuführen ist. c) Ausschluss der Einzelverbriefung als Regelfall. Von der nach Abs 5 bestehen- 14 den Möglichkeit des Ausschlusses oder der Beschränkung des Anspruchs des Aktionärs auf Einzelverbriefung wird in der aktienrechtlichen Praxis zunehmend Gebrauch gemacht und dominiert wohl inzwischen die Satzungsgestaltungen bei Neugründungen.
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28 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014), BT-Drucks 18/ 4349. 29 Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BT-Drucks 18/4349, S 15 f. 30 Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) vom 22.12.2015, BGBl I, S 2565. 31 Vgl Bayer Sonderheft AG 2015, S 30 f, wonach Inhaberaktien bei nur noch weniger als 50% der untersuchten Aktiengesellschaften anzutreffen waren. Zustimmend MünchKomm/Heider4 Rdn 18. 32 Schaub ZEV 1995, 82, 83 f; Wälzholz DStR 2004, 779 ff, 819 ff. 33 MünchKomm/Heider4 Rdn 18; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 11. 34 Gruson AG 2004, 358 ff; MünchKomm/Heider4 Rdn 18; Noack FS Bezzenberger, 2000, S 291, 294 ders DB 1999, 1306; Kölling NZG 2000, 631, 635; von Rosen/Seibert/Zätzsch Die Namensaktie, S 257, 258. 35 Ebenso in der Einschätzung MünchKomm/Heider4 Rdn 18 am Ende.
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5. Europäisches Recht. Die Ausgabe von Inhaber- und/oder Namensaktien muss nach Art 3 lit f) Kapitalschutzrichtlinie36 in der Satzung der Aktiengesellschaft geregelt werden, ohne dass dabei bestimmte Vorgaben zugunsten einer der beiden Aktienarten zu beachten sind. Zwischenscheine (Rdn 196 ff) sieht das europäische Aktienrecht hingegen nicht vor. Auch zu dem Anspruch des Aktionärs auf Einzelverbriefung seiner Mitgliedschaft (Rdn 56) verhält sich das europäische Gesellschaftsrecht nicht. 16 Für die Europäische Aktiengesellschaft gibt es für die in § 10 normierten Grundsätze keine Entsprechung in der SE-VO. Daher findet für die Europäische Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland § 10 uneingeschränkte Anwendung (Art 5 SE-VO).37 Der European Model Companies Act (EMCA) sieht ebenfalls die Ausgabe von Na17 mens- und von Inhaberaktien vor (Chapter 5 Sec 2 sub 2), gestattet der Gesellschaft aber – entgegen dem deutschen Aktienrecht (Rdn 129 ff) – ein uneingeschränktes Wahlrecht und die Möglichkeit, beide Aktienformen auszugeben (Chapter 5 Sec 2 sub 2).38 Weiterhin trägt das Modellgesetz der zunehmenden Dematerialisierung von Aktien (Rdn 68 ff) Rechnung (Chapter 5 Sec 3), verhält sich allerdings nicht zu der Art und Weise der Übertragung der dematerialisierten Aktien.39 Allerdings ordnet Chapter 5 Sec 4 subs 2 an, dass die nachträgliche Umwandlung verbriefter Aktien in unverbriefte Aktien eine satzungsändernde Mehrheit erfordert. Eine Umwandlung nicht-verbriefter Aktien in verbriefte Aktien setzt zudem in Anlehnung an das schwedische Aktienrecht voraus, dass etwaige Inhaber von Sicherungsrechten an den Aktien dieser Umwandlung zustimmen (Chapter 5 Sec 4 subs 4).40 Für den Wechsel von Namens- in Inhaberaktien und gekehrt sieht das Modellgesetz vor, dass der Aktionär einen Anspruch gegen die Gesellschaft auf Umtausch von Inhaber- in Namensaktien (Chapter 5 Sec 4 subs 1) hat.41 Ein Umtausch von Namens- in Inhaberaktien soll hingegen nur beansprucht werden können, wenn eine entsprechende Satzungsregelung dies vorsieht (Chapter 5 Sec 4 subs 2). 18
6. Ausländisches Recht. Bei der französischen Société Anonyme können neben Inhaber- (action au porteur) auch Namensaktien (action nominative) ausgegeben werden (Art L-228-1 Code de Commerce). Die Problematik der Anonymität bei Inhaberaktien stellt sich grundsätzlich nicht, da alle Wertpapiere mit ihrem Eigentümer in einem Register verzeichnet werden müssen (Art L-228-1 Code de Commerce). Diese Informationen kann auch die Gesellschaft abrufen, wenn dies in der Satzung vorgesehen ist (Art L-228-2 Code de Commerce). Die Veräußerung der Aktien erfolgt durch eine cession, die sich nach dem Kaufrecht richtet. Für den Eigentumsübergang ist es allerdings erforderlich, dass eine Umbuchung auf das Konto des Erwerbers vorgenommen wird (Art L-228-1 Abs 9 Code de Commerce).42
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36 Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl EG Nr L 315 v 14.11.2012, S 74 ff. 37 Spindler/Stilz/Casper3 Art 5 SE-VO Rdn 2; Habersack/Drinhausen/Diekmann Art 5 SE-VO Rdn 23; KK-AktG/Wenz2 Art 5 Rdn 29; Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Ziemons2 Art 5 Anh I Rdn 16 f. 38 Vgl dazu Perakis, ECFR 2016, 200, 204 f. 39 Vgl dazu Perakis, ECFR 2016, 200, 204 f. 40 Vgl dazu Perakis, ECFR 2016, 200, 204 f. 41 Vgl dazu Perakis, ECFR 2016, 200, 204 f. 42 Vgl dazu insgesamt Sonnenberger/Dammann Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl 2008, Rdn III/181 ff.
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Die englische Public Limited Company kann ebenfalls Inhaberaktien (share warrants) und Namensaktien (registered shares) ausgeben, ohne dass die Ausgabe von Inhaberaktien – wie etwa inzwischen im deutschen Recht (Rdn 132 ff) – trotz einer entsprechenden Rüge der Financial Action Task Force (FATF) (Rdn 11) eingeschränkt ist (Sec 112, 122 Companies Act). Allerdings ist auch bei der Public Limited Company eine Dominanz der Namensaktien festzustellen.43 Die Übertragung der Anteile erfolgt ebenso wie nach deutschem Recht (Rdn 68 ff), so dass ein Indossament (registered shares) oder aber eine Übereignung der Urkunde (Sec 779 subs 2 Companies Act – share warrants) erforderlich ist. Für den Handel am Kapitalmarkt wurden inzwischen sogenannte dematerialised shares eingeführt, bei denen die Übertragung bei einem zentralen elektronischen Gesellschafterverzeichnis registriert wird (Sec 783 ff Companies Act).44 Das österreichische Recht hat das freie Wahlrecht zwischen Inhaber- und Namensaktien bereits durch zwei Reformen 2009 und 2011 abgeschafft und entspricht weitergehend den Vorgaben von § 10.45 Allerdings sieht das österreichische Recht – im Gegensatz zum deutschen Recht (Rdn 169) – eine ausdrückliche Regelung für den Fall des Delisting vor, wonach die Vorschriften über Namensaktien vor und ein Jahr nach dem Delisting entsprechend anzuwenden sind (§ 10 Abs 3 öAktG). Zudem verzichtet das österreichische Recht auf die Ausgabe von Zwischenscheinen. In der Schweiz ist die Dematerialisierung von Aktien weit fortgeschritten, da Art 973a ff OR inzwischen ausdrücklich die fehlende Verbriefung von Aktien zugunsten einer Sammelverwahrung (§ 973a OR), der Ausstellung einer Globalurkunde (Art 973b OR) oder sogar die Ausgabe von bloßen Wertrechten (Art 973c OR) gestattet. Die Begründung und Übertragung der Anteilsrechte bestimmt sich nach dem Bucheffektengesetz (BEG). Hinsichtlich der Ausgabe von Inhaber- und von Namensaktien besteht ein Wahlrecht (Art 622 Abs 1 OR), ohne dass sich die Aktiengesellschaft nur für eine der beiden Aktienarten entscheiden muss (Art 622 Abs 2 OR). Auch gibt es – im Gegensatz zum Abs 1 (Rdn 129 ff) – keine Einschränkungen bei der Auswahl der Aktienart.46 Eine Umwandlung von Inhaber- in Namensaktien oder umgekehrt ist zulässig, wenn darüber in den Statuten eine Regelung getroffen oder später eingeführt wurde (Art 622 Abs 3 OR).47 Zudem regelt das schweizerische Aktienrecht die Sammelverwahrung von Aktien ausdrücklich (Art 973a ff OR) und verwendet in diesem Zusammenhang den – auch teilweise im deutschen Aktienrecht diskutierten (Rdn 23) – Begriff der Wertrechte (Art 973c OR). In den einzelstaatlichen Gesellschaftsrechten in den Vereinigten Staaten ist eine umfassende Dematerialisierung von Aktien festzustellen.48 So steht es in der Regel im Ermessen des board of directors, Aktien überhaupt zu verbriefen (stock certificates).49 Bei der meist anzutreffenden fehlenden Verbriefung erfolgt lediglich ein Eintrag bei einem central security depository (CSD). Darüber hinaus ist die Ausgabe von Inhaberaktien
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43 Gower/Davies Principles of Modern Company Law, Rdn 27-3; Mayson/French/Ryan Company Law, S 226 f; vgl auch Schall/Schall Companies Act, Sec 779 Rdn 1. 44 Dazu etwa Gower/Davies Principles of Modern Company Law, Rdn 27-12 ff; Mayson/French/Ryan Company Law, S 230 ff; vgl auch Micheler Wertpapierrecht zwischen Schuld- und Sachenrecht, 2004, S 291 ff; Schall/Schall Companies Act, Sec 112 Rdn 46. 45 Dazu MünchKomm/Doralt/Diregger4 Rdn 63 ff. 46 Dazu: Honsell/Vogt/Watter/Baudenbacher Obligationenrecht, 3. Auf 2008, Art 622 Rdn 11. 47 Honsell/Vogt/Watter/Baudenbacher Obligationenrecht, 3. Auf 2008, Art 622 Rdn 16. 48 Zum Ganzen vgl etwa Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rdn 486 ff; Schwarz Globaler Effektenhandel, 2016, S 495 ff. 49 Vgl etwa § 158 DGCL (für Delaware); § 416 Cal.Corp.Code (für Kalifornien); § 6.25 f RMBCA.
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(bearer shares) häufig nicht gestattet, so dass die Gesellschaft auf die Ausgabe von Namensaktien (registered shares) beschränkt ist.50 7. Rechtspolitische Würdigung 23
a) Verbriefung, Verwahrung von und Verfügungen über Aktien. Obwohl das AktG im Grundsatz von einer Einzelverbriefung der Aktie ausgeht, wird die aktienrechtliche Praxis inzwischen hauptsächlich von einer Entmaterialisierung der Aktie geprägt.51 Trotz dieser Entwicklung hat der Gesetzgeber bisher den vollständigen Übergang zur Aktie als Wertrecht52 nicht vollzogen53, was vor allem für die Übertragung der Aktie (Rdn 68 ff) und die Begründung von Sicherungsrechten (Rdn 104 f, 114 f, 123 f) an Aktien teilweise zu erheblichen Problemen führt, deren Lösung teilweise sehr gekünstelt54 anmutet.55 Insofern wäre jedenfalls für börsennotierte Aktiengesellschaften eine vollständige Lösung vom Wertpapiercharakter der Aktie vorteilhaft, auch wenn sich damit eine Reihe von Folgeproblemen ergeben würde.56 Dieser Schritt ist nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund internationaler Entwicklungen notwendig, da etwa das Genfer Wertpapierübereinkommen (UNIDROIT Convention on Substantive Rules for Intermediated Securities) diesen Schritt bereits vollzogen hat.57
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b) Einschränkungen für die Verwendung von Inhaberaktien. Die durch die Aktienrechtsnovelle 2016 (Rdn 11) eingeführten Beschränkungen für die Verwendung von Inhaberaktien erscheinen rechtspolitisch äußert zweifelhaft. Zum einen dürfte es fraglich sein, ob Inhaberaktien im Bereich der Geldwäsche und Terrorfinanzierung (Rdn 11) tatsächlich eine so große Rolle spielen, dass dies die in Abs 1 (Rdn 129 ff) enthaltenen Beschränkungen rechtfertigt. Zudem erscheint es nicht überzeugend, dass das bisherige Recht aufgrund der Rüge der Financial Action Task Force (FATF) (Rdn 11) geändert wurde, da diese auch andere westliche Industriestaaten – wie etwa das Vereinigte Königreich58 – gerügt hat, ohne dass dort im Hinblick auf die Zulässigkeit von Inhaberaktien konkrete Schritte unternommen wurden (Rdn 19). Darüber hinaus lässt sich die Zielsetzung der Neuregelung in Form der Schaffung einer größeren Beteiligungstransparenz auch ohne weiteres jedenfalls für den Fall des Abs 1 Satz 2 Nr 2 durch die Einschaltung einer oder mehrerer (ausländischer) Zwischengesellschaften oder -stiftungen umgehen59, so dass die Ermittlungserleichterungen im Bereich der organisierten Kriminali-
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50 Vgl etwa § 158 DGCL (für Delaware). 51 Vgl nur MünchKomm/Heider4 Rdn 11; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 34. 52 Dazu ausführlich Habersack/Mayer WM 2000, 1678 ff; Mülbert ZBB 2010, 445, 447 f; Than FS Schimansky, 1999, S 821 ff; Zöllner FS Raiser, 1974, S 249 ff. 53 Dies im Zusammenhang mit der Schaffung von Abs 5 ausdrücklich ausschließend Beschlussempfehlung und Bericht RA KonTraG, BT-Drucks 13/10038, S 25; dem folgend BGH v 16.7.2004 – IX a ZB 24/04, Z 160, 121, 124 = NJW 2004, 3340; Habersack/Mayer WM 2000, 1678. 54 Mit einer solchen Kritik etwa Noack FS Bezzenberger, 2000, S 267, 307, ähnlich Zöllner FS Raiser, 1974, S 249, 258 (Paradoxon ersten Ranges). 55 Ebenfalls kritisch Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 34. 56 Ebenso Einsele WM 2001, 7, 10; Than FS Schimansky, 1999, S 821, 836; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 34. 57 Dazu ausführlich Mülbert ZBB 2010, 445, 448 ff; Schwarz Globaler Effektenhandel, 2016, S 19 ff. 58 Financial Action Task Force (FATF), Mutual Evaluation Report – Anti-Money Laundering and Combating the Finance of Terrorism (The United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland), 2007, S 236 f, abrufbar unter http://www.fatf-gafi.org. 59 Ebenso Bungert/Wettich ZIP 2012, 297, 298; DAV, NZG 2011, 217, 218; Diekmann/Nolting NZG 2011, 6; Götze/Arnold/Carl NZG 2012, 321, 322; Mock AG 2016, 261, 262; Nicoleyczik GWR 2010, 594, 596; Schüppen/ Tretter WPg 2012, 338, 340; Stöber DStR 2016, 611, 613.
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tät eher gering ausfallen dürften. Im Gegensatz zu anderen kapitalmarktrechtlichen Regelungsinstituten zur Herstellung einer Beteiligungstransparenz wie etwa die Mitteilungspflichten der §§ 21 ff WpHG begnügt sich Abs 1 Satz 2 mit einer bloßen Nennung des unmittelbaren Aktionärs, ohne eigene Meldepflichten oder Zurechnungstatbestände vorzusehen.60 Zudem ist die Ausgabe von Inhaberaktien mit vergleichsweise hohen Kosten ver- 25 bunden, da die Aktiengesellschaft bei einer fehlenden Börsennotierung (Abs 1 Satz 2 Nr 1 – Rdn 133) eine Hinterlegung der Sammelurkunde (Abs 1 Satz 2 Nr 2 – Rdn 134) vornehmen muss. Gerade bei Aktiengesellschaften mit einem kleinen Aktionärskreis wird sich dies als unverhältnismäßig darstellen, so dass die Ausgabe von Namensaktien und die Führung des Aktienregisters häufig günstiger ausfallen werden.61 Schließlich bestehen Bedenken hinsichtlich der tatsächlichen Wirksamkeit der 26 Durchsetzung der mit Abs 1 Satz 2 vom Gesetzgeber angestrebten Offenlegung der Beteiligungsverhältnisse. Letztlich bestehen kaum Sanktionen für den Fall, dass die Aktiengesellschaft Inhaberaktien ausgibt, ohne die Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 nachträglich herbeizuführen (Rdn 155 ff). c) Ausgabe von Zwischenscheinen. Aufgrund der kaum noch bestehenden wirt- 27 schaftlichen Bedeutung der Ausgabe von Zwischenscheinen (Rdn 202 ff) sind die Regelungen in Abs 3 und 4 verzichtbar und sollten – wie etwa im österreichischen Recht (Rdn 20) – aufgehoben werden. d) Ausschluss des Anspruchs auf Einzelverbriefung. Die Möglichkeit des Aus- 28 schlusses oder der Einschränkung des Anspruchs auf Einzelverbriefung nach Abs 5 (Rdn 202 ff) ist als Grundvoraussetzungen für die elektronische Abwicklung des Effektenverkehrs zu begrüßen, bleibt aber vor dem Hintergrund des Funktionsverlusts der Aktienurkunde nur Stückwerk und sollte daher Teil eines vollständigen Übergangs zu einer Regelung sein, die auf dem Verständnis der Aktie als Wertrecht (Rdn 23) aufbaut. 8. Verhältnis zu anderen Vorschriften. Das durch Abs 1 eingeräumte Wahlrecht 29 zwischen Inhaber- und Namensaktien steht unabhängig von den anderen Unterscheidungsmerkmalen, mit denen Aktien versehen werden können. Dies gilt insbesondere für die Entscheidung zwischen Nennbetrags- und Stückaktien (§ 8 Rdn 69 ff), so dass diese beiden Aktienarten sowohl als Inhaber- als auch als Namensaktien ausgegeben werden können.62 Inhaber- und Namensaktien bilden allerdings keine unterschiedlichen Gattungen (§ 11 Rdn 67), auch wenn sie bei einer Aktiengesellschaft gleichzeitig nebeneinander ausgegeben werden dürfen. 9. (Fehlende) Disponibilität. Die Regelung des § 10 ist zwingendes Recht und 30 kann daher weder in der Satzung noch auf andere Weise abbedungen werden. 10. Alt- und Übergangsfälle. Für die auf der Aktienrechtsnovelle 2016 basierenden 31 Änderungen der Abs 1 (Rdn 129 ff) und 2 (Rdn 181 ff) sieht § 26h EGAktG eine ausdrückliche Übergangsregelung vor, wonach von der Neuregelung die Aktiengesellschaften nicht erfasst werden, deren Satzungen vor dem 31. Oktober 2015 festgestellt wurden und deren Aktien auf den Inhaber lauten. Die tatsächliche Reichweite dieser Übergangsregelung ist
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Kritisch dazu Mock AG 2016, 261, 262. Ebenso Bungert/Wettich ZIP 2012, 297, 298; Götze/Arnold/Carl NZG 2012, 321, 322. KK/Dauner-Lieb3 Rdn 27.
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allerdings unklar. Gesichert ist zunächst, dass alle Aktiengesellschaften, die nach dem 31. Oktober 2015 gegründet wurden, von der Neuregelung in Abs 1 erfasst werden und Inhaberaktien nur noch unter den Voraussetzungen des Abs 1 Satz 2 (Rdn 132 ff) ausgeben dürfen. 63 Ebenso dürfen alle Aktiengesellschaften, deren Satzungen vor dem 31. Oktober 2015 festgestellt wurden und deren Aktien auf den Inhaber lauten, weiterhin Inhaberaktien verwenden, so dass keine Umstellungspflicht besteht. 32 Nicht eindeutig ist § 26h Abs 1 EGAktG aber in Bezug auf den Fall einer nach dem 31. Oktober 2015 durchgeführten Kapitalerhöhung bei einer vor dem 31. Oktober 2015 gegründeten Aktiengesellschaft mit Inhaberaktien. Da § 26h Abs 1 EGAktG diesen Fall nicht ausdrücklich erfasst und vor allem die Gesetzesbegründung und die teleologische Auslegung für eine Anwendung der Neuregelung des Abs 1 auf diese Aktiengesellschaften sprechen, müssen in einem solchen Fall die Anforderungen von Abs 1 Satz 2 erfüllt oder aber die Aktiengesellschaft auf Namensaktien umgestellt werden.64 Schließlich trifft § 26h Abs 1 EGAktG keine Regelung für den Fall, dass bei einer Aktiengesellschaft, deren Satzung vor dem 31. Oktober 2015 festgestellt wurde und deren Aktien auf den Inhaber lauten, die Voraussetzungen für die Ausgabe von Inhaberaktien erst nach dem 31. Oktober 2015 – durch ein Delisting (Rdn 169) oder eine Aufhebung der Verwahrung der Sammelurkunde und/oder der Aufhebung des Ausschlusses des Anspruchs auf Einzelverbriefung (Rdn 170) – entfallen. Vor dem kriminalpolitischen Hintergrund von Abs 1 (Rdn 24) muss auch in diesen Fällen von einer Anwendung des neuen Rechts ausgegangen werden.65 Schließlich muss aufgrund dieser Erwägungen auch von der Anwendung der Neure33 gelung bei einem genehmigten oder bedingten Kapital ausgegangen werden, wenn dieses bei einer vor dem 31. Oktober 2015 gegründeten Aktiengesellschaft mit Inhaberaktien erst nach dem 31. Oktober 2015 ausgeübt wird.66 II. Verbriefung, Verwahrung und Übertragung der Mitgliedschaft 1. Verbriefung der Mitgliedschaft 34
a) Entstehung der Mitgliedschaft als Voraussetzung der Verbriefung. Notwendige Voraussetzung für die Verbriefung der Mitgliedschaft ist deren Entstehung, die wiederrum die Übernahmeerklärung des Aktienzeichners und die Eintragung der Gründung oder durchgeführten Kapitalerhöhung im Handelsregister erfordert.67 Diesem Ausgabetatbestand schließt sich erst die Verbriefung an. Auch wenn die Mitgliedschaft des Aktionärs schon an der Vorgründungs- und der Vorgesellschaft begründet werden kann, ist eine Verbriefung dieser Mitgliedschaft durch Ausgabe von Aktien nicht möglich (§ 41 Abs 4 Satz 1 – § 41 Rdn 69).
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b) Arten der Verbriefung. Für die Verbriefung von Aktien sieht Abs 1 nur die Möglichkeit der Schaffung von Inhaberaktien (Rdn 36 ff), von Namensaktien (Rdn 39 f) und von Zwischenscheinen (Rdn 41 f) vor. Andere Arten der Verbriefung sind ausgeschlossen. Darüber hinaus kann die Verbriefung als Einzel- (Rdn 43 ff) oder als Sammelverbriefung (Rdn 50 ff) erfolgen.
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63 Mock AG 2016, 261, 266. 64 Dazu ausführlich Mock AG 2016, 261, 268 ff.; aA Ihrig/Wandt BB 2016, 6, 7; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 51; dies BB 2012, 523, 524; unklar Götze/Arnold/Carl NZG 2012, 321, 323. 65 Mock AG 2016, 261, 268; aA Könighausen WM 2013, 909, 911; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 51. 66 AA aber Paschos/Goslar NJW 2016, 359. 67 Dazu nur Vossius FS Geimer 2002, S 1393 ff.
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i) Inhaberaktien. Inhaberaktien sind Inhaberpapiere im Sinne des Wertpapier- 36 rechts.68 Mit ihnen wird die Mitgliedschaft an der Aktiengesellschaft verbrieft, ohne dass der Name des Berechtigten in der Urkunde selbst erwähnt wird. Vielmehr können die sich aus der Mitgliedschaft ergebenen Rechte vom Inhaber der Urkunde geltend gemacht werden. Daher sind Inhaberaktien ohne weiteres börsen- und zudem auch sammeldepotfähig.69 Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Inhaberaktien siehe Rdn 12. Auf die Inhaberaktien finden die Vorschriften über die Inhaberschuldverschrei- 37 bungen (§§ 793 ff BGB) Anwendung, soweit sich aus den aktienrechtlichen Vorschriften bzw aus dem Umstand der Verbriefung der Mitgliedschaft anstelle einer Forderung nichts anderes ergibt.70 Daher finden § 793 Abs 1 BGB (Legitimations- und Liberationswirkung)71 und § 794 Abs 2 BGB (fehlender Einfluss des späteren Todes oder Geschäftsunfähigkeit des Ausstellers)72 auch auf die Inhaberaktie Anwendung. Zur Anwendung kommen zudem die §§ 799 Abs 2, 800 BGB über § 72 Abs 1 Satz 2. Nicht anwendbar sind hingegen die § 794 Abs 1 BGB (Haftung des Ausstellers)73, § 796 BGB (Einwendung des Ausstellers), § 798 BGB (Ersatzurkunde)74, § 805 BGB (Ausgabe neuer Scheine)75 und § 806 Abs 2 BGB (Umschreibung auf den Namen). An die Ausgabe von Inhaberaktien knüpft Abs 1 Satz 2 weitere Voraussetzungen 38 (Rdn 132 ff). Zudem ergibt sich im Umkehrschluss aus Abs 2, dass die Inhaberaktien erst nach einer vollständigen Leistung der Einlage ausgegeben werden dürfen.76 ii) Namensaktien. Bei Namensaktien handelt es sich um Wertpapiere77 in Form ge- 39 borener Orderpapiere und gerade nicht um Namenspapiere.78 Die Berechtigung ergibt sich bei den Namensaktien nicht aus der Inhaberschaft hinsichtlich der Urkunde, sondern aus der namentlichen Nennung in der Aktie oder der Indossamentenkette. Die näheren Einzelheiten von Namensaktien werden durch §§ 65, 68 geregelt. Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Namensaktie siehe Rdn 12. Bei der Verwendung von Namensaktien ergibt sich eine Reihe von Besonderhei- 40 ten, die bei Inhaberaktien nicht bestehen. So kann den sogenannten Vormann eine Haftung treffen (§ 65), eine Vinkulierung vorgesehen (§ 68 Abs 2), eine Nebenleistungspflicht vereinbart (§ 55 Abs 1) oder ein Entsenderecht geschaffen werden (§ 101 Abs 2 Satz 2). Sofern von diesen Optionen Gebrauch gemacht werden soll, kommt nur eine Ausgabe von Namensaktien in Betracht. iii) Zwischenscheine. Bei Zwischenscheinen handelt es sich um Anteilsscheine, 41 die den Aktionären vor der Ausgabe von Aktien erteilt werden dürfen (§ 8 Abs 6 – § 8 Rdn 209 ff). Somit handelt es sich um Wertpapiere, die allerdings nicht für den ständigen Umlauf, sondern lediglich für einen vorübergehenden Zeitraum von der Gründung der
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68 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 29; MünchKomm/Heider4 Rdn 35; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Hölters/Solveen2 Rdn 5; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 6; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 6. 69 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 8. 70 OLG Oldenburg v 25.6.1998 – 1 U 34/98, AG 2000, 367; MünchKomm/Heider4 Rdn 35; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Hölters/Solveen2 Rdn 6; Griogleit/Vedder Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 6. 71 MünchKomm/Heider4 Rdn 37; Griogleit/Vedder Rdn 7. 72 Kümpel FS Werner, 1984, S 449, 468 ff; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 7. 73 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 7; Zöllner Wertpapierrecht, § 29 III. 74 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 6. 75 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 6. 76 Ebenso Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 8. 77 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 29; MünchKomm/Heider4 Rdn 27; Hölters/Solveen2 Rdn 5. 78 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 29; MünchKomm/Heider4 Rdn 27; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Hölters/Solveen2 Rdn 7; Griogleit/Vedder Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9.
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Aktiengesellschaft bis zur Ausgabe von Aktien gedacht sind.79 Daher dürfen Zwischenscheine nicht schon vor der Eintragung der Aktiengesellschaft oder der Kapitalerhöhung ausgegeben werden. Der Rechtsnatur nach sind die Zwischenscheine Orderpapiere.80 Die praktische Bedeutung von Zwischenscheinen besteht in der gesetzlichen Kon42 zeption im Zusammenhang mit der Ausgabe von Aktien, bei denen keine sofortige vollständige Einlageleistung erfolgen soll, da in diesem Fall die Ausgabe von Inhaberaktien nach Abs 2 (Rdn 181 ff) unzulässig ist. In diesem Fall können stattdessen Zwischenscheine ausgegeben werden, die allerdings auch auf den Namen lauten müssen (Rdn 196). In der aktienrechtlichen Praxis ist der Einsatz von Zwischenscheinen nur noch sehr selten anzutreffen (Rdn 13), weswegen diese etwa auch im österreichischen Recht (Rdn 20) abgeschafft wurden. 43
iv) (Einzel-)Verbriefung. Die Einzelverbriefung ist auch bei Fehlen eines Ausschlusses des Anspruchs in der Satzung (Rdn 202 ff) nicht zwingend erforderlich, so dass der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden muss, ob er eine Einzelverbriefung vornimmt oder nicht.81 Bei der Erstellung der Aktienurkunde muss zwischen der Ausstellung (Rdn 44) und der eigentlichen Ausgabe (Rdn 45 ff) unterschieden werden.82
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(1) Ausstellung der Aktienurkunde. Für die Ausstellung der Aktienurkunden macht § 10 selbst keine konkreten Vorgaben. Diese ergeben sich aber teilweise aus § 13 (§ 13 Rdn 8 ff).
(2) Ausgabe der Aktienurkunde. Sodann bedarf die Aktienurkunde einer Ausgabe, durch die der (künftige) Aktionär Eigentümer der Aktienurkunde wird.83 Die Ausgabe ist dabei kein bloßer Realakt, sondern erfordert einen Begebungsvertrag zwischen Aktionär und Aktiengesellschaft, in dessen Rahmen sich diese einigen, dass die Urkunde die Mitgliedschaft verkörpert und der Aktionär ihr Eigentümer ist.84 Die Übereignung der Aktienurkunde ist die Erfüllung des Anspruchs des Aktionärs aus dem Übernahme- bzw Zeichnungsvertrag und zugleich des sich aus der Mitgliedschaft ergebenen Anspruchs auf Verbriefung (Rdn 56 ff). Der Begebungsvertrag darf allerdings erst nach der Eintragung der Aktiengesell46 schaft bzw der Kapitalerhöhung im Handelsregister geschlossen werden (§§ 41 Abs 4 Satz 1, 191 Satz 1, 197 Satz 1, 203 Abs 1, 219), was die Aktiengesellschaft aber nicht hindert, die Aktienurkunden bereits herzustellen.85 Wird der Begebungsvertrag vor diesem Zeitpunkt geschlossen, ist dieser nichtig (§§ 41 Abs 4 Satz 2, 191 Satz 2, 197 Satz 2, 203 45
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79 RG v 5.11.1895 – II 195/95, Z 36, 35, 40; MünchKomm/Heider4 Rdn 44; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 85. 80 MünchKomm/Heider4 Rdn 45; Hüffer/Koch11 Rdn 8; Hölters/Solveen2 Rdn 18; Grigoleit/Vedder Rdn 12; Heidel/Wagner4 Rdn 17; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 18. 81 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 15. 82 BGH v 14.5.2013 – XI ZR 160/12, NZG 2013, 1264 Tz 9 = BKR 2013, 334 (zur Inhaberschuldverschreibung); BGH v 30.11.1972 – II ZR 70/71, NJW 1973, 282, 283 = JZ 1973, 466 (für einen Wechsel); MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 4. 83 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 31. 84 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 34; MünchKomm/Heider4 Rdn 9; Mülbert, FS Nobbe, 2009, S 691, 710 ff; MünchKommBGB/Habersack6 Vor § 793 Rdn 22 ff; Hueck/Canaris Wertpapierrecht, § 25 II 2; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 31; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 21; Zöllner Wertpapierrecht, § 29 III; aA anscheinend RG v 22.9.1914 – VII 137/14, Z 85, 327, 330 f; RG v 22.10.1918 – II 158/18, Z 94, 61, 64; von Godin/Wilhelmi § 68 Rdn 2 mit einer entsprechenden Anwendung von § 952 BGB. 85 BGH v 12.5.1977 – II ZR 49/76, AG 1977, 295, 296 = WM 1977, 845; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 36; Kümpel FS Werner, 1984, S 449, 450 ff; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 32.
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Abs 1), so dass der Übernehmer bzw Zeichner auch nicht zur Einlageleistung verpflichtet ist. Wurde die Einlage schon geleistet, kann diese nach § 812 Abs 1 Satz 1 Alt 1 BGB zurückgefordert werden, soweit der Übernehmer bzw Zeichner davon keine Kenntnis hatte (§ 814 Alt 1 BGB). Zudem stellt die Ausgabe vor Eintragung eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 405 Abs 1 Nr 2). Die Aktionärsstellung wird aber nur begründet, wenn die Mitgliedschaft wirk- 47 sam entstanden ist und in der Aktienurkunde ordnungsgemäß verbrieft wurde. Ein guter Glaube an das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird nicht geschützt.86 Insbesondere kommt § 794 Abs 1 BGB nicht zur Anwendung.87 Neben der Begründung der Mitgliedschaft an der Aktiengesellschaft ist die unmit- 48 telbare Rechtsfolge des Begebungsvertrags aufgrund von dessen Doppelnatur, dass der Aktionär auch Eigentümer der Aktienurkunde wird. Dies gilt auch für den Fall, dass der Inhalt der Aktienurkunde unrichtig wird. Für diesen Fall kann die Aktiengesellschaft die Aktienurkunde für kraftlos erklären lassen (§ 73 Abs 1). Im Anschluss an die Ausgabe der Aktienurkunde steht es dem Aktionär frei, diese im 49 Rahmen einer Sonderverwahrung einem Verwahrer zu übergeben, womit keine Eigentumsaufgabe verbunden ist (Rdn 63). v) Sammelverbriefung. Eine Sammelverbriefung ist in Form einer Mehrfach- oder 50 Sammelurkunde (Rdn 51) oder einer Globalurkunde (Rdn 52 f) denkbar. (1) Mehrfach- oder Sammelurkunde. Statt durch eine Einzelverbriefung kann die 51 Verbriefung auch in einer Mehrfach- oder Sammelurkunde (§ 9a DepotG) in der Form erfolgen, dass mehrere Aktien in einer Urkunde verbrieft werden.88 Für diese Mehrfach- oder Sammelurkunde gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Einzelverbriefung, so dass auch die Mehrfachurkunden eines Begebungsvertrags (Rdn 45) bedürfen. Bei Mehrfachurkunden wird häufig eine Sammelverwahrung vorgenommen, die aber nicht zwingend ist (Rdn 64). (2) Globalurkunde. Schließlich kann die Sammelverbriefung auch durch eine Glo- 52 balurkunde vorgenommen werden, die dann – im Gegensatz zur einfachen Sammelverbriefung (Rdn 51) – notwendigerweise alle bestehenden Aktien verbrieft. Dabei kann eine Globalurkunde aber immer nur für eine Aktiengattung (§ 11 Rdn 59 ff) ausgegeben werden, so dass gegebenenfalls mehrere Globalurkunden ausgegeben werden müssen.89 Bei der Globalurkunde handelt es sich um eine Sache. Somit begründet auch die Sammelverbriefung in einer Globalurkunde keine eigenständige sachenrechtliche Kategorie in Form des sogenannten Wertrechts.90 Die Globalurkunde wird meist Gegenstand einer Sammelverwahrung bei einer Wertpapiersammelbank (Rdn 64). Soweit die Aktiengesellschaft aufgrund des Ausschlusses des Anspruchs auf Ein- 53 zelverbriefung nach Abs 5 (Rdn 202 ff) nicht zur Einzelverbriefung verpflichtet ist, kann der Aktionär auch von der Wertpapiersammelbank – im Gegensatz zur Mehrfach- oder Sammelurkunde (Rdn 51) – keine Auslieferung von einzelnen Wertpapieren verlangen
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86 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 31. 87 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 31. 88 Hüffer/Koch11 Rdn 11. 89 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 11; MünchKomm/Heider4 Rdn 16. 90 Bericht Rechtsausschuss BT-Drucks 13/10038 S 25; BGH v 24.9.2015 – IX ZR 272/13, Tz 16, NZG 2016, 21; Berger WM 2009, 577, 578 f; Eder NZG 2004, 107, 112; Einsele ZHR 177 (2013), 50 ff; MünchKommBGB/ Habersack6 vor § 793 Rdn 30 f; ders/Mayer WM 2000, 1678, 1681 ff; Hoffmann WM 2007, 1547, 1549 f; Hüffer/Koch11 Rdn 11; Mülbert FS Nobbe, 2009, S 691, 693 f; Nodoushani WM 2007, 289, 295 f.
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(§ 9a Abs 3 Satz 2 DepotG). In diesem Fall handelt es sich um eine sogenannte Dauerglobalurkunde.91 c) Kein Erfordernis einer Verbriefung. Die Aktie als Mitgliedschaft bedarf für ihre Entstehung keiner Verbriefung (arg § 214 Abs 4). Sie entsteht vielmehr schon durch Eintragung der Aktiengesellschaft oder der Kapitalerhöhung im Handelsregister und durch die Übernahmeerklärung des Zeichners.92 Somit hat die Verbriefung nur deklaratorischen Charakter93 und bewirkt lediglich, dass die Übertragung durch Übereignung der Aktienurkunde (Rdn 71) erfolgen kann, ohne dass damit die Übertragung im Wege der Abtretung (§§ 398, 413 BGB – Rdn 72) ausgeschlossen ist. Die Aktiengesellschaft muss keine Aktienurkunden ausgeben94, was allerdings den entsprechenden Anspruch des Aktionärs (Rdn 56) nicht berührt. Lediglich im Fall der bedingten Kapitalerhöhung (§§ 199 f) bedarf es immer der Ausgabe von Aktienurkunden, da die bedingte Kapitalerhöhung erst durch die Ausgabe der Bezugsaktien wirksam wird und somit eines nach außen sichtbares Zeichens bedarf.95 55 Die praktische Bedeutung der Verbriefung liegt heute in der Verbriefung der Globalurkunde, um eine hinreichende Verkehrsfähigkeit zu schaffen und einen gutgläubigen Erwerb (Rdn 76 ff) zu ermöglichen.
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d) Anspruch auf Verbriefung. Der Aktionär hat einen mitgliedschaftlichen Anspruch auf Verbriefung.96 Dies ergibt sich schon aus Abs 5, da dieser Anspruch dort ausdrücklich erwähnt wird. Voraussetzung des Anspruchs ist allerdings, dass dieser nicht durch die Satzung ausgeschlossen wird (Rdn 202 ff). Dieser Anspruch entsteht mit der Begründung der Mitgliedschaft im Zeitpunkt der Eintragung der Aktiengesellschaft bzw einer Kapitalerhöhung im Handelsregister und der Unterzeichnung der Übernahmeerklärung.97 Eine vollständige Leistung der Einlage ist jedenfalls bei Inhaberaktien Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs, da in diesem Fall nur Namensaktien bzw auf den Namen lautende Zwischenscheine ausgegeben werden dürfen (Abs 2 Satz 1 – Rdn 184 ff).98 Bei Namensaktien kann die Aktiengesellschaft dem Anspruch des Aktionärs bei unvollständiger Einlagenleistung die Einrede aus § 271 BGB entgegenhalten. Der Anspruch auf Verbriefung ist bei der REIT-AG ausdrücklich ausgeschlossen (§ 5 Abs 2 REITG).
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91 BGH v 24.9.2015 – IX ZR 272/13, Tz 14, NZG 2016, 21; Berger WM 2009, 577, 577 f; Mentz/ Fröhling NZG 2002, 201, 208. 92 BGH v 5.4.1993 – II ZR 195/91, Z 122, 180, 194 = NJW 1993, 1983; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 20; Hüffer/ Koch11 Rdn 2; Mülbert FS Nobbe, 2009, S 691, 696; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 2; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 27; Griogleit/Vedder Rdn 4; Heidel/Wagner4 Rdn 3. 93 BGH v 5.4.1993 – II ZR 195/91, Z 122, 180, 194 = NJW 1993, 1983; OLG Celle v 24.11.2004 – 9 U 119/04, NZG 2005, 279, 280 = AG 2005, 438; LG Berlin v 27.8.1993 – 85 O 140/93, AG 1994, 378, 379 = NJW-RR 1994, 80; RG v 8.11.1902 – I 124/02, Z 52, 417, 423; RG v 21.2.1898 – VI 395/97, Z 41, 9, 13 f; RG v 29.12.1894 – I 311/ 94, Z 34, 110, 115 f; RG v 30.6.1892 – I 335/91, Z 31, 17, 22; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 2; MünchKomm/Heider4 Rdn 8; Hölters/Solveen2 Rdn 2; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 27; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 20. 94 MünchKomm/Heider4 Rdn 12; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 28. 95 Hölters/Solveen2 Rdn 2; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 28. 96 RG v 22.10.1918 – II 158/18, Z 94, 61, 64; RG v 22.9.1914 – VII 137/14, Z 85, 327, 330; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 10; MünchKomm/Heider4 Rdn 13; Hüffer/Koch11 Rdn 3; Mülbert FS Nobbe, 2009, S 691, 697; Hölters/ Solveen2 Rdn 4; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 29; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 37; aA Schwennicke AG 2001, 118 119 ff, 124. 97 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 4; MünchKomm/Heider4 Rdn 15; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 29; Griogleit/Vedder Rdn 4. 98 MünchKomm/Heider4 Rdn 15; Hölters/Solveen2 Rdn 16; im Ergebnis auch Hüffer/Koch11 Rdn 3; KK/ Dauner-Lieb3 Rdn 4; Griogleit/Vedder Rdn 4; abweichend aber Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 29; K. Schmidt/ Lutter/Ziemons3 Rdn 37; aA RG v 3.4.1912 – I 178/11, Z 79, 174, 175 f.
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Der Anspruch auf Verbriefung ist im Wege der allgemeinen Leistungsklage durch 57 den Aktionär gegen die Aktiengesellschaft durchzusetzen. Die örtliche Zuständigkeit besteht am Sitz der Aktiengesellschaft (§ 17 ZPO). Sachlich zuständig sind die Amtsgerichte (§ 23 GVG). Eine sachliche Zuständigkeit der Landgerichte ist kaum denkbar, da sich der Streitwert allein nach dem Wert der Verbriefung und nicht nach dem Wert der Aktien richtet. Das Urteil ist nach § 887 ZPO durchzusetzen. Zwar erfordert die Herstellung der Aktienurkunden die Unterschrift des Vorstands (Rdn 9 ff), allerdings reicht dafür die vervielfältige Unterschrift (§ 13 Satz 1 – § 13 Rdn 10). Schließlich kann der Anspruch auch beschränkt oder jedenfalls hinsichtlich einer 58 Einzelverbriefung ausgeschlossen werden (Abs 5 – Rdn 202 ff). Ein darüberhinausgehender vollständiger Ausschluss der Verbriefung durch eine Satzungsregelung ist hingegen nicht möglich (Rdn 204). e) Legitimationswirkung der Verbriefung. Bei Inhaberaktien gilt aufgrund von 59 § 793 Abs 1 BGB die widerlegbare Vermutung, dass der Inhaber der Aktienurkunde auch Inhaber der verbrieften Mitgliedschaft ist.99 Daher erfolgen zum einen die Leistungen der Aktiengesellschaft an den Inhaber mit befreiender Wirkung (§ 793 Abs 1 Satz 2 BGB) und zum anderen gelten die vom Inhaber ausgeübten Rechte als vom berechtigten Aktionär vorgenommen.100 Darüber hinaus gilt der Besitzer der Aktienurkunde nach § 1006 Abs 1 BGB als deren Eigentümer.101 Befindet sich die Aktie in einem Depot, findet die Vermutung des § 1006 Abs 3 BGB Anwendung, so dass der Inhaber als Eigentümer vermutet wird.102 Die Vermutungswirkung bleibt allerdings nur solange bestehen, wie die Aktienurkunde auch noch Wertpapier ist, so dass die Vermutung nach einer Kraftloserklärung entfällt.103 Bei Namensaktien wird der Inhaber der Aktienurkunde gegenüber Dritten nur dann 60 als Eigentümer (widerlegbar) vermutet, wenn er in der Urkunde namentlich oder als letzter Indossatar einer ununterbrochenen Indossamentenkette erwähnt wird (§ 68 Abs 1 Satz 2 iVm Art 16 Abs 1 WG).104 Gegenüber der Aktiengesellschaft begründet die Eintragung im Aktienregister hingegen die unwiderlegbare Vermutung der Aktionärseigenschaft (§ 67 Abs 2). 2. Verwahrung von Aktien. Von der Verbriefung der Aktien (Rdn 34 ff) ist deren 61 Verwahrung zu unterscheiden, bei der die Einzel- (Rdn 62), die Sonder- (Rdn 63), die Sammelverwahrung (Rdn 64 f) und die Verwahrung von Mehrfach-, Sammel- oder Globalurkunden (Rdn 66 f) in Betracht kommt. Auch wenn die Verwahrung selbst keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Mitgliedschaft hat, ergeben sich aus den verschiedenen Verwahrungsarten teilweise erhebliche Folgen für die Übertragbarkeit der Aktien (Rdn 68 ff) und für die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten. a) Einzelverwahrung. Soweit eine Einzelverbriefung erfolgt ist, können diese Ein- 62 zelurkunden vom Aktionär selbst verwahrt werden, was in der Praxis allerdings wegen des Risikos des Verlusts und der dann möglicherweise entstehenden Probleme des Nachweises der Mitgliedschaft eher selten anzutreffen ist.
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99 OLG Oldenburg v 25.6.1998 – 1 U 34/98, AG 2000, 367; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 46. 100 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7. 101 Zur Anwendbarkeit von § 1006 BGB auf Aktienurkunden BGH v 19.1.1994 – IV ZR 207/92, NJW 1994, 939, 940 = AG 1994, 227; BVerwG v 29.7.2005 – 7 B 21/05, BeckRS 2005, 28823; vgl Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 46; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7. 102 BGH v 25.2.1997 – XI ZR 321/95, NJW 1997, 1434, 1435; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 46. 103 KG v 27.11.1996 – 23 U 6159/95, KG-Report 1998, 30, 31; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 46. 104 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 46.
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b) Sonderverwahrung. Alternativ hinaus können die Aktien in eine sogenannte Sonderverwahrung gegeben werden, bei der die Aktien von dem Verwahrer gesondert von den eigenen und Drittbeständen aufzubewahren sind (§ 2 Abs 1 DepotG). Mit der Sonderverwahrung werden die Eigentumsverhältnisse an den Aktien nicht berührt. Der Aktionär wird allerdings nur mittelbarer Besitzer.105 Die Sonderverwahrung ist sowohl für Namens- als auch für Inhaberaktien möglich.106 Dadurch ergeben sich vor allem hinsichtlich der Übertragung der Aktien Besonderheiten (Rdn 91 ff).
c) Sammelverwahrung. Daneben ist auch eine Sammelverwahrung möglich, bei der mehrere Aktien derselben Art für alle Aktionäre ungetrennt in einem Sammelbestand verwahrt werden (§ 5 DepotG). Im Gegensatz zur Sonderverwahrung führt die Sammelverwahrung zu einer Änderung der Eigentumsverhältnisse, da die Aktionäre bei dieser quotale Miteigentümer der zum Sammelband gehörenden Aktien werden (§ 6 Abs 1 DepotG). Der Sammelband kann sowohl bei einem Verwahrer (Haussammelverwahrung – § 5 Abs 1 Satz 2 DepotG) als auch bei einer Wertpapiersammelbank (Girosammelverwahrung) hinterlegt bzw verwahrt werden. Bei der Girosammelverwahrung erfolgt die Hinterlegung bei der Wertpapiersammelbank durch die einzelnen Depotbanken, die bei dieser eigene Wertpapierkonten unterhalten (sogenannte Drittverwahrung – § 3 DepotG). Auch in diesem Fall bleibt der Aktionär Miteigentümer der zum Sammelbestand gehörenden Aktien. Die Depotbank ist als Zwischenverwahrer mittelbarer Besitzer erster und der Aktionär mittelbarer Besitzer zweiter Stufe.107 Der Aktionär hat dabei grundsätzlich einen Anspruch auf Auslieferung effektiver Stücke nach den §§ 7, 8 DepotG. Da die Sammelverwahrung nur für vertretbare Wertpapiere möglich ist (§ 5 Abs 1 Satz 1 DepotG), kommen dafür nur Inhaberaktien und mit einem Blankoindossament versehene Namensaktien in Betracht.108 Der Hinterleger kann bei der Sammelverwahrung jederzeit verlangen, dass ihm aus 65 dem Sammelbestand Wertpapiere in Höhe des Nennbetrags, bei Wertpapieren ohne Nennbetrag in Höhe der Stückzahl der für ihn in Verwahrung genommenen Wertpapiere ausgeliefert werden, ohne dass er allerdings die von ihm eingelieferten Stücke zurückfordern kann (§ 7 Abs 1 DepotG).
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d) Verwahrung von Mehrfach-, Sammel- oder Globalurkunden. Schließlich gibt es eine besondere Form der Verwahrung bei Mehrfach-, Sammel- oder Globalurkunden (Rdn 50 ff), da bei diesen die Urkunde einer Wertpapiersammelbank übergeben werden muss (§ 9a DepotG). Auch in diesem Fall kann der Aktionär die Auslieferung einzelner Wertpapiere verlangen, soweit dieser Anspruch gegenüber der Aktiengesellschaft auf Einzelverbriefung nach Abs 5 (Rdn 202 ff) nicht bereits ausgeschlossen ist (§ 9a Abs 3 Satz 2 DepotG). Auch im Fall der Verwahrung von Mehrfach-, Sammel- oder Globalurkunden bleiben 67 die Aktionäre quotale Miteigentümer an der Mehrfach-, Sammel- oder Globalurkunde. Während die verwahrende Wertpapiersammelbank unmittelbare Fremdbesitzerin ist, wird sowohl mit der Depotbank als auch mit dem Aktionär ein Besitzmittlungsverhältnis
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105 OLG Hamm v 21.2.1990 – 8 U 107/89, NJW-RR 1990, 708, 709 = DB 1991, 380; MünchHdbGesR/SailerCoceani4 § 14 Rdn 60. 106 MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 60. 107 BGH v 22.4.1997 – XI ZR 127/96, NJW 1997, 2110, 2111 = ZIP 1997, 1102 (für Inhaberschuldverschreibungen); OLG Karlsruhe v 3.12.1998 – 19 U 33/98, WM 1999, 2451, 2455; Habersack/ Mayer WM 2000, 1678, 1679; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 64; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 59; aA MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 93 f und 107. 108 MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 64.
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(§ 868 BGB) begründet, bei dem die Depotbank mittelbarer Fremdbesitzer erster Stufe und der Aktionär mittelbarer Eigenbesitzer zweiter Stufe (§ 871 BGB) ist.109 3. Verfügungen über Aktien. Bei der Verfügung über Aktien muss grundlegend 68 zwischen der Rechtslage bei der Vorgründungs- und Vorgesellschaft (Rdn 69), bei der Einzelverbriefung (Rdn 70 ff), bei der Sonderverwahrung (Rdn 91 ff), bei der Mehrfach- oder Sammelverwahrung (Rdn 102 ff), bei der Globalurkunde (Rdn 112 ff) und bei der fehlenden Verbriefung (Rdn 119 ff) unterschieden werden. a) Vorgründungs- und Vorgesellschaft. Da eine Ausgabe von Aktien bei der Vor- 69 gründungs- und Vorgesellschaft schon nicht möglich ist (Rdn 34), kommt auch eine Übertragung nicht in Betracht. Allerdings kann die Mitgliedschaft im Wege der Abtretung erfolgen (§ 398 BGB), wofür allerdings eine Zustimmung aller Gesellschafter notwendig ist, da es sich dann um eine Satzungsänderung handelt.110 Darüber hinaus kann die Übertragung der Mitgliedschaft auch durch einen gleichzeitigen Ein- und Austritt nachvollzogen werden, wofür dann ebenfalls eine Satzungsänderung notwendig ist. b) Verbriefte Einzelurkunden im unmittelbaren Besitz des Aktionärs i) Rechtsgeschäftliche Übertragung von Aktien. Die verbriefte Aktie kann als Ein- 70 zelurkunde frei übertragen werden. Diese freie Übertragbarkeit kann nur durch die Ausgabe als vinkulierte Namensaktie eingeschränkt werden (§ 68 Abs 2). Andere Formen der Beschränkung der Übertragbarkeit sind ausgeschlossen und können auch nicht durch entsprechende Satzungsregelungen geschaffen werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 399 BGB, da dieser auf die Aktienurkunde nicht anwendbar ist.111 Soweit in der Gründungssatzung eine solche Beschränkung vorgesehen ist, ist diese nach § 134 BGB nichtig und es besteht ein Eintragungshindernis (§ 38 Abs 4 Nr 2). Bei einer nachträglichen Einführung von Übertragungsbeschränkungen ist der entsprechende satzungsändernde Beschluss nichtig (§ 241 Nr 3).112 (1) Inhaberaktien. Bei einer Verbriefung der Mitgliedschaft in der Aktie erfolgt die 71 Übertragung der Mitgliedschaft durch die Übereignung der Urkunde (§§ 929 ff BGB).113 Daher ist neben der Einigung die Übergabe der Urkunde oder ein Übergabesurrogat erforderlich. Die Mitgliedschaft an der Aktiengesellschaft kann auch im Fall der Verbriefung 72 durch Abtretung (§§ 398, 413 BGB) übertragen werden.114 Die Übergabe der Aktienur-
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109 BGH v 24.9.2015 – IX ZR 272/13, Tz 15 f, NZG 2016, 21; dazu Mock LMK 2016, 377720. 110 MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 2; siehe auch § 41 Rdn 65. 111 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 49; aA Hueck/Canaris Recht der Wertpapiere, § 25 II 1. 112 BGH v 20.9.2004 – II ZR 288/02, Z 160, 253, 256 ff = NJW 2004, 3561; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 49. 113 OLG Frankfurt/Main v 21.1.1986 – 5 U 257/84, AG 1987, 43 = BB 1986, 1807; Eder NZG 2004, 107, 108; MünchKomm/Heider4 Rdn 39; Iversen AG 2008, 736 ff; Mentz/Fröhling NZG 2002, 201, 201 f; Mirow NZG 2008, 52, 53 ff; Modlich DB 2002, 671, 672; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 5; Hölters/Solveen2 Rdn 13; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 54; Heidel/Wagner4 Rdn 20; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 28; Zöllner Wertpapierrecht, § 29 II 1. 114 BGH v 14.5.2013 – XI ZR 160/12, NZG 2013, 1264 Tz 16 = BKR 2013, 334 (zur Inhaberschuldverschreibung); KK/Dauner-Lieb3 Rdn 32; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 5; Hölters/Solveen2 Rdn 11; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 53; Heidel/Wagner4 Rdn 20; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 33.
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kunde oder die Vereinbarung eines Übergabesurrogats ist dafür nicht erforderlich.115 In diesem Fall geht das Eigentum an der Urkunde bei Inhaberaktien auf den Erwerber über (§ 952 Abs 2 BGB).116 Somit kann es nicht zu einer Trennung von Mitgliedschaft und Eigentumsposition an der Aktienurkunde kommen. Zum gutgläubigen Erwerb siehe Rdn 77. Bei einer Abtretung ohne Übereignung der Urkunde kann sich bei einer Übereignung der Urkunde an einen Dritten die Frage des gutgläubigen Erwerbs stellen (dazu Rdn 77), so dass sich in der Regel beide Erwerbstatbestände vorgenommen werden sollten. In allen Fällen muss die Mitgliedschaft bzw die Urkunde hinreichend – etwa unter Angabe eines Serienzeichens (§ 13 Rdn 22) – bezeichnet werden, um dem Bestimmtheitsgrundsatz zu entsprechen.117 (2) Namensaktien. Die Übertragung der Namensaktie erfolgt durch Indossament (§ 68 Abs 1), so dass eine schriftliche Erklärung der Übertragung der Aktienurkunde erforderlich ist. Zudem muss zusätzlich die Aktienurkunde übereignet werden.118 Die Übertragung kann allerdings durch die Verwendung eines Blankoindossaments erheblich vereinfacht werden, da die Namensaktien dann durch bloße Übereignung der Aktienurkunden übertragen werden können (§ 68 Abs 1 Satz 2 iVm Art 14 Abs 2 Nr 3 WechselG).119 Die Mitgliedschaft an der Aktiengesellschaft kann auch im Fall der Verbriefung der 74 Namensaktie durch Abtretung (§§ 398, 413 BGB) übertragen werden.120 In diesem Fall geht das Eigentum an der Urkunde mit der Abtretung der Namensaktie auf den Erwerber über.121 Daher ist bei Namensaktien eine Übergabe und/oder Übereignung der Aktienurkunde nicht erforderlich.122 Allerdings kann der Erwerber die Herausgabe der Urkunde nach § 402 BGB und §§ 952 Abs 2, 985 BGB verlangen.123 Soweit eine Vinkulierung besteht, ist die Abtretung der Mitgliedschaft erst mit Zustimmung der Aktiengesellschaft wirksam.124 Dies gilt auch für den Fall des Bestehens eines Blankoindossaments.125 73
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115 MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 5; Eder NZG 2004, 107, 108; Mentz/Fröhling NZG 2002, 201, 202; Hölters/Solveen2 Rdn 13. 116 Eder, NZG 2004, 107, 108; Mentz/Fröhling NZG 2002, 201, 202; Mirow NZG 2008, 52, 52 f; Modlich DB 2002, 671, 672; Mülbert FS Nobbe, 2009, S 691, 699 f; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 5; Stupp DB 2006, 655, 656; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 53; Zöllner FS Raiser, 1974, S 249, 277 ff, 117 Iversen AG 2008, 736 ff; Modlich DB 2002, 671, 676; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 50. 118 RG v 6.6.1916 – II 62/15, Z 88, 290, 292; BGH v 12.12.1957 – II ZR 43/57, NJW 1958, 302, 303 = WM 1958, 70; KG v 20.12.2002 – 14 U 5141/00, NZG 2003, 226, 227 f = AG 2003, 568; Mentz/Fröhling NZG 2002, 201, 202; Mülbert FS Nobbe, 2009, S 691, 700; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 6; Hölters/Solveen2 Rdn 14; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 56; Heidel/Wagner4 Rdn 20. 119 So ausdrücklich Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2012, BR-Drucks 852/11, S 10; Eder NZG 2004, 107, 110; MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 44; Mentz/Fröhling NZG 2002, 201, 202; Mirow NZG 2008, 52, 54; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 57; aA Zöllner Wertpapierrecht, § 14 I 1 d). 120 Perwein AG 2012, 611, 611 f; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 5, 13; Hölters/Solveen2 Rdn 14; Heidel/Wagner4 Rdn 20. 121 KG v 20.12.2002 – 14 U 5141/00, NZG 2003, 226 = AG 2003, 568; OLG Celle v 24.11.2004 – 9 U 119/04 NZG 2005, 279, 280 = AG 2005, 438; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 53. 122 Hueck/Canaris Recht der Wertpapiere, § 25 I 2b; Mentz/Fröhling NZG 2002, 201, 202 f; Modlich DB 2002, 671, 672; Noack FS Bezzenberger, 2000, S 291, 297; Perwein AG 2012, 611; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 53; Zöllner FS Raiser, 1974, S 249, 277 ff; aA KG 20.12.2002 – 14 U 5141/00, NZG 2003, 226, 227 f; aber MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 123; Weppner/Größ-Bölting BB 2012, 2196, 2197 f. 123 Hölters/Solveen2 Rdn 14; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 53. 124 OLG Celle v 24.11.2004 – 9 U 119/04, NZG 2005, 279, 280 = AG 2005, 438; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 53; Heidel/Wagner4 Rdn 20. 125 MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 45 f; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 58; Heidel/Wagner4 Rdn 20.
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(3) Zwischenscheine. Für Zwischenscheine ordnet § 67 Abs 7 die entsprechende 75 Geltung von § 67 Abs 1–6 an, so dass die in den Rdn 73 f für die Namensaktie dargestellten Grundsätze entsprechend gelten. ii) Gutgläubiger Erwerb von Aktien. Bei Inhaberaktien ist ein gutgläubiger Er- 76 werb nach den §§ 932 ff BGB, § 366 HGB möglich. Voraussetzung dafür ist aber zunächst, dass die Mitgliedschaft wirksam entstanden ist, verbrieft und an den Erstnehmer begeben wurde.126 Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, ist ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen, da es schon an der wirksamen Entstehung des verbrieften Mitgliedschaftsrechts fehlt.127 Daher können auch keine zusätzlichen Mitgliedschaftsrechte im Rahmen des gutgläubigen Erwerbs begründet werden.128 Dies gilt auch für den mittelbar Bezugsberechtigten (§ 186 Abs 5).129 Ein gutgläubiger Erwerb ist auch möglich, wenn die Urkunde abhanden gekommen (§ 935 Abs 2 BGB) ist.130 Allerdings ist für Bank- oder Geldwechslergeschäfte betreibende Kaufleute der gutgläubige Erwerb gestohlener, verlorengegangener oder sonst abhanden gekommener Aktien ausgeschlossen, wenn zur Zeit der Veräußerung oder Verpfändung der Verlust des Papiers im Bundesanzeiger bekanntgemacht und seit dem Ablauf des Jahres, in dem die Veröffentlichung erfolgt ist, nicht mehr als ein Jahr verstrichen ist (§ 367 Abs 1 HGB).131 Werden nicht existierende Mitgliedschaftsrechte verbrieft und anschließend übertragen, begründet dies für den Erwerber lediglich schadenersatzrechtliche Rückgriffsansprüche gegen den Veräußerer. Bei Namensaktien richtet sich der gutgläubige Erwerb nach den Vorschriften des 77 Wechselgesetzes (§ 68 Abs 1 Satz 2 iVm Art 16 Abs 2 WechselG). Siehe dazu ausführlich die Kommentierung zu § 68. Voraussetzung für den gutgläubigen Erwerb von Zwischenscheinen ist zunächst, 78 dass die Mitgliedschaft überhaupt wirksam verbrieft wurde. Fehlt es daran, ist auch ein gutgläubiger Erwerb nicht möglich.132 Im Übrigen gelten die für Namensaktien bestehenden Grundsätze (§ 67 Abs 7). iii) Beschränkte dingliche Rechte an Aktien (1) Verpfändung. Gegen die Zulässigkeit der Verpfändung von Aktien bestehen 79 keine grundsätzlichen Bedenken. Einer Verpfändung steht vor allem nicht der Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien nach § 8 Abs 5 entgegen (§ 8 Rdn 185 ff). Bei Inhaberaktien erfolgt die Verpfändung als Sachpfändung (§ 1293 BGB iVm 80 §§ 1295 ff BGB).133 Die Verpfändung von Namensaktien erfolgt hingegen als Rechtsverpfändung (§§ 1273 ff BGB).134 Allerdings können diese auch durch Pfandindossament verpfändet werden (§ 1292 BGB). Sind die Namensaktien mit einem Blankoindossament ver-
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126 MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 5; Hölters/Solveen2 Rdn 13; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 63; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8, 26. 127 BGH v 5.4.1993 – II ZR 195/91, Z 122, 180, 197 f = NJW 1993, 1983; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 63. 128 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 63; Zöllner Wertpapierrecht, § 29 III; aA Hueck/Canaris Recht der Wertpapiere, § 25 III 2 b). 129 BGH v 5.4.1993 – II ZR 195/91, Z 122, 180, 197 = NJW 1993, 1983; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 63. 130 MünchKomm/Heider4 Rdn 39; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 64. 131 Zur Anwendbarkeit von § 367 HGB vgl MünchKomm/Heider4 Rdn 39; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 64. 132 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 86. 133 Stupp DB 2006, 655, 657; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 67. 134 Hoffmann WM 2007, 1547, 1548; Nodoushani WM 2007, 289, 292; Stupp DB 2006, 655, 657 f; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 67; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 36.
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sehen, erfolgt die Pfändung hingegen durch Sachpfändung (§ 1293 BGB iVm §§ 1205 ff BGB).135 Das Pfandrecht ermächtigt den Pfandgläubiger nur zu einer Verwertung der Aktien 81 und räumt ihm keine mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten ein.136 Dabei erstreckt sich das Pfandrecht auch auf Nebenrechte und damit auch auf die Dividende.137 Die Geltendmachung des Dividendenanspruchs ist aber nur möglich, wenn auch ein Nutzungspfandrecht besteht.138 Das Bezugsrecht bleibt unberührt, soweit dieses nicht ausdrücklich verpfändet wurde.139 Auch das Stimmrecht140 und andere Verwaltungsrechte141 wie etwa das Anfechtungsrecht142 werden durch die Verpfändung nicht berührt. Die Verwertung erfolgt bei Inhaberaktien durch Versteigerung (§§ 1235 ff BGB) oder 82 bei Bestehen einer Börsennotierung durch freihändigen Verkauf (§§ 1235 Abs 2, 1295, 1221 BGB).143 In der Insolvenz des Aktionärs begründet das Pfandrecht ein Absonderungsrecht (§ 50 InsO). Zur Verwertung in der Insolvenz Rdn 87. (2) Nießbrauch. Da sich die Begründung eines Nießbrauchs nach den für die Übertragung des Rechts geltenden Grundsätzen richtet (§ 1069 Abs 1 BGB), erfordert die Begründung eines Nießbrauchs bei Inhaberaktien und blankoindossierten Namensaktien eine Einigung und eine Besitzverschaffung (§ 1081 BGB).144 Bei Namensaktien ist hingegen die Abtretung (§§ 413, 398 BGB) erforderlich.145 Dem Nießbraucher kommen die Nutzungen und damit vor allem die Dividende 84 zu.146 Das Bezugsrecht und der Anspruch auf den Liquidationsüberschuss stehen dem Nießbraucher aber nicht zu.147 Auch die Verwaltungsrechte kann der Nießbraucher nicht ausüben.148 83
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(3) Pfändung. Verbriefte Inhaber- und Namensaktien unterliegen der Sachpfändung (§§ 808, 831 Abs 1 ZPO).149 Sie werden bei Bestehen einer Börsennotierung durch einen freihändigen Verkauf verwertet (§ 821 ZPO).150 Bei Fehlen einer Börsennotierung erfolgt hingegen die Zwangsversteigerung (§ 155 Nr 2 GVGA). Für das Indossament bei Namensaktien kann das Vollstreckungsgericht den Gerichtsvollzieher ermächtigen (§ 822 ZPO).
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iv) Insolvenz. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Aktiengesellschaft berührt die Übertragung von Aktien nicht. Die Inhaber der verbrieften Aktien können diese nach den allgemeinen Grundsätzen (Rdn 70 ff) übertragen.
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135 MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 124 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 67. 136 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 68. 137 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 68. 138 Hirte/Knof WM 2008, 7, 14; Hoffmann WM 2007, 1547, 1553; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 68. 139 Hoffmann WM 2007, 1547, 1554; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 68. 140 LG München I v 28.8.2008 – 5 HKO 2522/08, NZG 2009, 143, 145 = AG 2008, 904; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 68. 141 Für eine Übersicht siehe § 11 Rdn 53 ff. 142 LG Mannheim v 17.1.1990 – 21 O 9/89, AG 1991, 29 = DB 1990, 2011; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 68. 143 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 68; Wittig, FS Kümpel, 2003, S 587 ff. 144 Scharff Der Mießbrauch an Aktien im Zivil- und Steuerrecht, 1982, S 13 ff.; Schön ZHR 158 (1994), 229; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 69. 145 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 69. 146 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 69. 147 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 69. 148 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 69. 149 Schall WM 2011, 2249; Stöber Forderungspfändung, Rdn 1605; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 70. 150 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 70.
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Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Aktionärs 87 ist dieser nach § 80 Abs 1 InsO nicht mehr verfügungsbefugt. Eine dennoch vorgenommene Verfügung ist unwirksam (§ 81 Abs 1 Satz 1 InsO). Daher steht es dem Schuldner auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens frei, sich zur Übertragung von Aktien zu verpflichten. Eine Erfüllung dieser Verpflichtungen durch eine Übertragung der Aktien ist hingegen nur noch durch den Insolvenzverwalter möglich.151 Bei der Verwertung von vinkulierten Namensaktien (Rdn 74) bedarf der Insolvenzverwalter der Zustimmung der Aktiengesellschaft.152 Die Verwertung der einzelverbrieften Inhaberaktien erfolgt durch den Pfändungsgläubiger, da dieser regelmäßig im Besitz der Inhaberaktien sein wird. Ist hingegen der Schuldner im Besitz der Inhaberaktien erfolgt die Verwertung durch den Insolvenzverwalter (§ 166 Abs 1 InsO). v) Grenzüberschreitende Verfügungen über Aktien. Das bei grenzüberschreiten- 88 den Verfügungen von einzelverbrieften Inhaberaktien anwendbare Recht richtet sich grundsätzlich nach dem Wertpapiersachstatut, so dass sich die Übereignung nach dem Recht am Belegenheitsort der verbrieften Aktie und nicht nach deutschem (Aktien-)Recht richtet.153 Dies gilt auch für den gutgläubigen Erwerb, so dass dieser nur dann erfolgen kann, wenn das Recht am Belegenheitsort einen solchen für Wertpapiere vorsieht.154 Bei einzelverbrieften Namensaktien bestimmt sich das anwendbare Recht bei 89 grenzüberschreitenden Übertragungen nach dem Hauptstatut und damit immer nach deutschem Aktienrecht.155 Die Begründung dinglicher Rechte an verbrieften Aktien richtet sich bei einzelver- 90 brieften Inhaberaktien und einzelverbrieften Namensaktien nach den oben (Rdn 79 f) jeweils genannten Grundsätzen, da das internationale Sachenrecht auch die Rechte erfasst, die hinter dem (Voll-)Eigentumsrecht156 zurückbleiben. Dies gilt insbesondere für das Pfandrecht und den Nießbrauch. Daher richten sich diese bei einzelverbrieften Inhaberaktien grundsätzlich nach dem Recht des Belegenheitsortes (Rdn 88)157 und bei einzelverbrieften Namensaktien nach deutschem (Aktien-)Recht (Rdn 89). c) Sonderfall der Sonderverwahrung. Einzelverbriefte Aktien können auch bei 91 einem Kreditinstitut in eine sogenannte Sonderverwahrung gegeben werden. Der Unterschied zur Sammelverwahrung (Rdn 102 ff) ist, dass die Aktien dann von dem Verwahrer getrennt von dessen eigenen Beständen und den Beständen Dritter in geeigneter Form aufzubewahren sind (§ 2 Abs 1 DepotG). In dieser Konstellation ist der Verwahrer unmittelbarer Besitzer und der Aktionär mittelbarer Besitzer und Eigentümer der Aktie. i) Übertragung. Bei sonderverwahrten Inhaberaktien (Rdn 63) erfolgt die Über- 92 tragung ebenfalls nach den §§ 929 ff BGB. Neben der Einigung bedarf es statt der Übergabe der Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses auf den Erwerber durch das verwah-
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151 Dazu Uhlenbruck/Mock § 81 Rdn 1. 152 OLG Hamburg v 7.7.1959 – 2 W 57/59, NJW 1960, 870, 871 (für die GmbH); Bork FS Henckel, 1995, S. 23, 38 f; Gottwald/Haas/Mock5 § 93 Rdn 121. 153 Einsele Wertpapierrecht, 1995, S 399; MünchKomm/Wendehorst6 Art 43 EGBGB Rdn 196. 154 So ausdrücklich RG v 15.2.1884 – II 252/83, Z 11, 52, 55; RG v 14.11.1891 – V 171/91, Z 28, 109, 111; RG v 25.1.1896 – I 324/95, Z 37, 69; RG v 19.3.1898 – I 421/97, Z 41, 152, 153; BGH v 19.1.1994 – IV ZR 207/92, NJW 1994, 939, 940 f = AG 1994, 227; LG Stuttgart v 22.6.1955 – WBA C I 13/127, WM 1955, 1232; MünchKomm/ Wendehorst6 Art 43 EGBGB Rdn 196. 155 MünchKomm/Wendehorst6 Art 43 EGBGB Rdn 199 f. 156 BeckOGK/Prütting Art 43 EGBGB Rdn 83; MünchKomm/Wendehorst6 Art 43 EGBGB Rdn 57. 157 RG v 14.11.1891 – V 171/91, Z 28, 109, 111 (Ort der Verpfändung); aA Schall/Schall Companies Act, Sec 112 Rdn 82 mit einer Anwendung der lex societatis auf die Verpfändung.
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rende Kreditinstitut, wofür die tatsächliche Neubegründung des Besitzmittlungsverhältnisses erforderlich ist, so dass eine bloße Anzeige gegenüber dem Verwahrer nicht ausreichend ist. Damit liegt kein Fall von § 931 BGB vor. Es steht den Parteien aber auch frei, die sonderverwahrten Inhaberaktien nach §§ 930, 931 BGB zu übereignen. Dann muss entweder ein Besitzmittlungsverhältnis zwischen den Veräußerer und dem Erwerber (§ 930 BGB) vereinbart oder aber der Herausgabeanspruch gegen den Verwahrer (§ 931 BGB) abgetreten werden.158 Daneben kann die Übertragung auch durch eine bloße Abtretung erfolgen (§§ 398, 413 BGB).159 Bei sonderverwahrten Namensaktien (Rdn 63) bleibt es bei dem Erfordernis der 93 Übertragung durch Indossament (Rdn 73), so dass die Namensaktien für die Übertragung aus der Sonderverwahrung herausgenommen, indossiert und anschließend wieder in die Sonderverwahrung gegeben werden müssen.160 Bei Bestehen eines Blankoindossaments erfolgt die Übertragung wie bei den Inhaberaktien (Rdn 73). ii) Gutgläubiger Erwerb. Bei der Sonderverwahrung ist ein gutgläubiger Erwerb der sonderverwahrten Inhaberaktien theoretisch ebenfalls möglich. Dieser setzt allerdings nach § 934 BGB voraus, dass der Veräußerer entweder selbst mittelbarer Besitzer ist und dem Erwerber diesen Anspruch abtritt (§ 934 Alt 1 BGB) oder aber der Erwerber den Besitz an den Aktien erlangt (§ 934 Alt 2 BGB). Da beide Konstellationen bei einer Sonderverwahrung kaum denkbar sind, kommt ein gutgläubiger Erwerb sonderverwahrter Inhaberaktien praktisch nicht vor. Für sonderverwahrte Namensaktien ist ein gutgläubiger Erwerb wegen der Anfor95 derungen von Art 16 Abs 1 WG, § 68 Abs 1 Satz 2 bei einer Sonderverwahrung ebenfalls kaum denkbar.
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iii) Beschränkte dingliche Rechte an Aktien 96
(1) Verpfändung. Bei sonderverwahrten Inhaberaktien ist eine Verpfändung im Wege der Sachpfändung möglich, setzt aber aufgrund des bloßen mittelbaren Besitzes des Verpfänders (Rdn 63) voraus, dass dieser den mittelbaren Besitz überträgt und die Verpfändung dem Verwahrer anzeigt (§§ 1205 Abs 2, 1293 BGB).161 Bei den sonderverwahrten Namensaktien ist eine Rechtsverpfändung (§§ 1273 ff BGB) ohne weiteres möglich. Soweit die Verpfändung durch ein Pfandindossament erfolgen soll, ist auch eine Übertragung des mittelbaren Besitzes und die Anzeige der Verpfändung gegenüber dem Verwahrer erforderlich (§§ 1292, 1205 Abs 2 BGB).162 Aus dem Pfandrecht ergeben sich die in Rdn 81 genannten Rechte. Für die Verwertung siehe Rdn 82.
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(2) Nießbrauch. An sonderverwahrten Inhaberaktien kann ein Nießbrauch bestellt werden, wofür die Einräumung des Mitbesitzes gegenüber dem Nießbraucher erforderlich ist (§ 1081 Abs 2 BGB). Bei sonderverwahrten Namensaktien erfolgt die Bestellung des Nießbrauches durch Einigung (§ 1069 Abs 1 BGB iVm §§ 398, 413 BGB). Aus dem Nießbrauch ergeben sich die in Rdn 84 genannten Rechte.
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158 Eder NZG 2004, 107, 109; Mentz/Fröhlich NZG 2002, 201, 203 f; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 61. 159 Eder NZG 2004, 107, 110; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 61. 160 MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 62. 161 MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 123. 162 MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 123.
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(3) Pfändung. Für die Pfändung gelten die Rdn 85 dargestellten Grundsätze ent- 98 sprechend, so dass die sonderverwahrten Inhaber- und Namensaktien der Sachpfändung unterliegen (§§ 809, 831 Abs 1 ZPO).163 iv) Insolvenz. Bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen 99 der Aktiengesellschaft wird die Sonderverwahrung nicht berührt. Es bleibt bei der allgemeinen Übertragbarkeit der sonderverwahrten Aktien (Rdn 92 ff). Im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Aktio- 100 närs kann der Insolvenzverwalter das Verwahrverhältnis nach den allgemeinen Voraussetzungen beenden und die Aktien herausverlangen, da er mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verfügungsbefugt ist (§ 80 Abs 1 InsO). v) Grenzüberschreitende Verfügungen über Aktien. Für sonderverwahrte In- 101 haberaktien richtet sich das anwendbare Recht bei grenzüberschreitenden Verfügungen nach dem Belegenheitsort der verbrieften Aktie und somit nach dem Recht des Staates, in dem der Verwahrer die Aktien verwahrt. Bei den sonderverwahrten Namensaktien bleibt es hingegen bei der Anwendung des deutschen (Aktien-)Rechts164 und zwar unabhängig davon, wo die Namensaktien verwahrt werden. Diese Grundsätze gelten auch für die Begründung beschränkt dinglicher Rechte an den Aktien.165 d) Verbriefung in Mehrfach- oder Sammelurkunden (in Sammelverwahrung) i) Rechtsgeschäftliche Übertragung. Sofern sich die Inhaberaktien in einer 102 Sammelverwahrung (Rdn 64 f) befinden, erfolgt die Übertragung ebenfalls nach den §§ 929 ff BGB. Da die Wertpapiersammelbank unmittelbare Fremdbesitzerin, die Depotbank mittelbare Mitbesitzerin erster Stufe und der Aktionär mittelbarer Mitbesitzer zweiter Stufe ist, muss daher neben der Einigung für den Übereignungstatbestand die Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses (§ 930 BGB) vorgenommen werden, was durch bloße Umbuchung bei der Wertpapiersammelbank geschieht.166 Dies gilt auch für Namensaktien, bei denen eine Sammelverwahrung aber nur bei Bestehen eines Blankoindossaments (Rdn 73) denkbar ist.167 ii) Gutgläubiger Erwerb. Der gutgläubige Erwerb von Inhaber- oder blankoindos- 103 sierten Namensaktien bereitet Schwierigkeiten, da es an einem Anknüpfungspunkt für den guten Glauben fehlt.168 Allerdings wird die Buchung der Sammelbestandteile im Depotbuch als Rechtsscheinträger im Wege der Rechtsfortbildung anerkannt, so dass die Umbuchung als Publizitätsakt zum Übergabesurrogat wird.169
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163 MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 129. 164 Insofern gelten die in Rdn 89 dargestellten Grundsätze. 165 Insofern gelten die in Rdn 90 dargestellten Grundsätze. 166 BGH v 24.9.2015 – IX ZR 272/13, Tz 15, NZG 2016, 21; BGH v 30.11.2004 – XI ZR 200/03, Z 161, 189, 191 f = NJW 2005, 1275; BGH v 30.11.2004 – XI ZR 49/04, NJW-RR 2005, 1135, 1136; BGH v 16.7.2004 – IX a ZB 24/04, Z 160, 121, 124 = NJW 2004, 3340; BGH 4.2.1999 – III ZR 56/98, NJW 1999, 1393 = JZ 2000, 53; Eder NZG 2004, 107, 113; Habersack/Mayer WM 2000, 1678, 1680 f; Mentz/Fröhling NZG 2002, 201, 206; Mirow NZG 2008, 52, 55; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 59. 167 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 59. 168 MünchKommBGB/K. Schmidt6 § 747 Rdn 20; MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 106; dies, WM 2001, 7, 13. 169 BGH v 4.2.1999 – III ZR 56/98, NJW 1999, 1393 = JZ 2000, 53; BGH v 16.7.2004 – IX a ZB 24/04, Z 160, 121, 124 = NJW 2004, 3340; Eder NZG 2004, 107, 112; Horn WM 2002, Beilage 2 S 3, 11; Koller DB 1972, 1905 ff; Mahler Rechtsgeschäftliche Verfügungen über sonder- und sammelverwahrte Wertpapiere des
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iii) Beschränkte dingliche Rechte an Aktien 104
(1) Verpfändung. Bei der Verpfändung stellt sich das Problem des Besitzmittlungsverhältnisses (Rdn 102) ebenfalls. Soweit man ein solches annimmt, erfolgt die Verpfändung durch eine Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses (§ 1205 Abs 1 BGB) durch Abtretung des Herausgabe- bzw Umbuchungsanspruchs und Anzeige gegenüber der Depotbank.170 Sofern man das Bestehen eines Besitzmittlungsverhältnisses ablehnt, kommt nur eine Rechtsverpfändung in Betracht, bei der ein Schutz des redlichen Erwerbers ausgeschlossen ist.171 Soweit die Depotbank selbst Gläubiger ist, kann die Verpfändung auch nach § 1205 Abs 1 Satz 2 BGB erfolgen.172 Aus dem Pfandrecht ergeben sich die in Rdn 81 genannten Rechte. Für die Verwertung des Pfandrechts gelten die allgemeinen Vorschriften. Zur Verwertung des Pfandrechts in der Insolvenz siehe Rdn 109.
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(2) Nießbrauch. Die Bestellung eines Nießbrauchs an Inhaberaktien oder blankoindossierten Namensaktien bei Mehrfach- oder Sammelurkunden (in Sammelverwahrung) erfolgt durch Einigung und Umbuchung bei der Wertpapiersammelbank (§ 1069 Abs 1 BGB). Aus dem Nießbrauch ergeben sich die in Rdn 84 genannten Rechte.
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(3) Pfändung. Die Vollstreckung eines Titels auf Übertragung von Inhaberaktien oder blankoindossierten Namensaktien in Mehrfach- oder Sammelurkunden (in Sammelverwahrung) erfolgt durch Pfändung und Überweisung des Anspruchs gegen die Depotbank auf Umbuchung (§ 886 ZPO analog).173
iv) Insolvenz. Bei einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Aktiengesellschaft ergeben sich keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Übertragbarkeit der Inhaberaktien oder blankoindossierten Namensaktien. Wird allerdings aufgrund der Insolvenz der Vertrag zur Hinterlegung der Sammelurkunde beendet, kommt Abs 1 Satz 3 zur Anwendung, so dass die Inhaberaktien als Namensaktien behandelt werden müssen (Rdn 140 f). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Aktionärs führt 108 zu dessen Verlust der Verfügungsbefugnis (§ 80 InsO). Eine dennoch vorgenommene Verfügung ist unwirksam (§ 81 Abs 1 Satz 1 InsO). Daher steht es dem Schuldner auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens frei, sich zur Übertragung von Aktien zu verpflichten, die allerdings nur noch durch den Insolvenzverwalter vorgenommen werden kann.174 Ein an den Inhaberaktien oder blankoindossierten Namensaktien bei Mehrfach- oder Sammelurkunden (in Sammelverwahrung) begründetes Pfandrecht berechtigt den Gläubiger in der Insolvenz zur abgesonderten Befriedigung (§ 50 InsO). 107
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Kapitalmarkts, 2005, 63 ff; Mülbert FS Nobbe, 2009, S 691, 702; MünchKommBGB/K. Schmidt6 § 747 Rdn 21; aA MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 113 ff; dies WM 2001, 7, 13; kritisch auch Habersack/ Mayer WM 2000, 1678, 1682. 170 BGH v 24.9.2015 – IX ZR 272/13, Tz 13, NZG 2016, 21; BGH v 22.4.1997 – XI ZR 127/96, NJW 1997, 2110, 2111 = ZIP 1997, 1102 (für eine Inhaberschuldverschreibung); OLG Karlruhe v 3.12.1998 – 19 U 33/ 98, WM 1999, 2451; Berger WM 2009, 577, 578 ff; MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 124; Hirte/ Knof WM 2008, 7, 10; Nodoushani WM 2007, 289, 295; MünchKommBGB/K. Schmidt6 § 747 Rdn 21; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 67. 171 Habersack/Mayer WM 2000, 1678, 1684; Nodoushani WM 2007, 289, 296; Stupp, DB 2006, 655, 658. 172 BGH v 24.9.2015 – IX ZR 272/13, Tz 12, NZG 2016, 21; dazu Mock LMK 2016, 377720. 173 BGH v 16.7.2004 – IX a ZB 24/04, Z 160, 121, 125 = NJW 2004, 3340; MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 133; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 71. 174 Siehe die Nachweise in Fn 151.
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Bei der Verwertung in der Insolvenz ist § 166 Abs 1 InsO aufgrund des mittelbaren 109 Eigenbesitzes zweiter Stufe des Schuldners und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Insolvenzverwalters (§ 80 InsO) anwendbar. Das Verwertungsrecht wird aber dahingehend eingeschränkt, dass dieses nur dann besteht, wenn die Aktien der wirtschaftlichen Einheit des Schuldnervermögens zuzurechnen sind.175 Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Aktien allein der Vermögensanlage dienen und die durch diese vermittelten Mitgliedschaftsrechte gerade nicht im Vordergrund stehen.176 Dies ergibt sich daraus, dass bei einer reinen Vermögensanlage kein Bezug zu einer Unternehmenssanierung besteht und daher das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 166 InsO auch nicht erforderlich ist. Im Rahmen dieser Differenzierung ist auf die bilanzrechtliche Vermutungsregelung des § 271 Abs 1 Satz 3 HGB abzustellen, wonach ein Bezug zum eigenen Geschäftsbetrieb im Zweifel bei einem Beteiligungsumfang von mehr als 20% anzunehmen ist.177 Allerdings können auch andere Faktoren für die Begründung einer über den bloßen Aktienbesitz hinausgehenden Verbindung des Schuldners zur Aktiengesellschaft eine Rolle spielen.178 v) Grenzüberschreitende Verfügungen. Für grenzüberschreitende Verfügungen 110 von Inhaberaktien oder blankoindossierten Namensaktien in Mehrfach- oder Sammelurkunden (in Sammelverwahrung)179 existiert mit § 17a DepotG eine (Sonder-)Kollisionsnorm, nach der sich das auf die Verfügungen anwendbare Recht grundsätzlich nach dem Recht des Staates richtet, unter dessen Aufsicht das Register geführt wird. Alternativ kommt das Recht des Staates zur Anwendung, in dem unmittelbar zugunsten des Verfügungsempfängers die rechtsbegründende Eintragung vorgenommen wurde oder in dem sich die kontoführende Haupt- oder Zweigstelle des Verwahrers befindet, die dem Verfügungsempfänger die rechtsbegründende Gutschrift erteilt hat. Da die Sammelverwahrung für deutsche Aktiengesellschaften in der Regel in Deutschland vorgenommen wird, bleibt es insoweit bei einer Anwendung deutschen Rechts. Zu beachten ist allerdings, dass sich § 17a DepotG nur auf den Eigentumserwerb (§ 24 DepotG) bezieht und Verfügungen über schuldrechtliche Ansprüche nicht erfasst.180 e) Verbriefung in einer Dauerglobalurkunde (in Sammelverwahrung) i) Rechtsgeschäftliche Übertragung. Bei Bestehen einer Dauerglobalurkunde (mit 111 Ausschluss der Einzelverbriefung nach Abs 5 – Rdn 202 ff) stellt sich die Übertragung der Inhaber- bzw blankoindossierten Namensaktien als schwierig dar, da es in diesem Fall schon an einem Herausgabeanspruch des Aktionärs nach §§ 7 und 8 DepotG fehlt und somit ein Besitzmittlungsverhältnis nicht schon ohne weiteres angenommen werden kann. Sofern man ein solches Besitzmittlungsverhältnis aus diesem Grund ab-
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175 BGH v 24.9.2015 – IX ZR 272/13, Tz 20 ff, NZG 2016, 21; dazu Mock LMK 2016, 377720. 176 BGH v 24.9.2015 – IX ZR 272/13, Tz 30, NZG 2016, 21; dazu Mock LMK 2016, 377720. 177 BGH v 24.9.2015 – IX ZR 272/13, Tz 33, NZG 2016, 21; ebenso Häcker Abgesonderte Befriedigung aus Rechten, 2001, Rdn 439; kritisch zu diesem Ansatz Berger ZInsO 2016, 474, 476 f; aA Bitter/Alles KTS 2013, 113, 146 ff; Hirte/Knof WM 2008, 49, 54 f, die darauf abstellen, ob der Insolvenzverwalter das verpfändete Aktienpaket besser verwerten kann als die Pfandgläubiger. 178 BGH v 24.9.2015 – IX ZR 272/13, Tz 33, NZG 2016, 21; vgl dazu Berger ZInsO 2016, 474, 476 f, der unter anderem auf direkte Einflussnahmemöglichkeiten abstellt. 179 Dazu ausführlich Schwarz Globaler Effektenhandel, 2016, S 693 ff. 180 Baumbach/Hopt/Kumpan36 § 17a DepotG Rdn 1.
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lehnt181, kommt für eine rechtsgeschäftliche Übertragung nur eine einfache Einigung (§ 929 Satz 1 BGB) ohne Übergabe oder Übergabesurrogat182 oder aber eine einfache Abtretung183 in Betracht, was vor allem für den gutgläubigen Erwerb massive Auswirkungen hat (Rdn 113). Allerdings erscheint die fehlende Annahme eines Besitzmittlungsverhältnisses bei 112 einer Globalurkunde (in Sammelverwahrung) wenig überzeugend, da die Zulassung der Dauerglobalurkunde durch den Gesetzgeber gerade zu einer Erleichterung (Rdn 8) und nicht zu einer Erschwerung der Übertragung von Inhaber- bzw blankoindossierten Namensaktien führen sollte.184 Daher muss auch in diesem Fall ein Besitzmittlungsverhältnis angenommen werden185, so dass die Übertragung nach den gleichen Grundsätzen wie bei den Mehrfach- oder Sammelurkunden (in Sammelverwahrung) erfolgt (Rdn 102). Daher ist neben der Einigung für den Übereignungstatbestand die Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses (§ 930 BGB) erforderlich, die durch eine bloße Umbuchung bei der Wertpapiersammelbank vorgenommen wird.186 Zum gleichen Ergebnis wie in Rdn 111 kommt man, wenn man das Besitzmittlungsverhältnis aus dem Umstand ableitet, dass der Gesamtheit der Aktionäre ein mitgliedschaftlicher Herausgabeanspruch auf die Globalurkunde zusteht.187 113
ii) Gutgläubiger Erwerb. Für den gutgläubigen Erwerb bei einer Globalurkunde (in Sammelverwahrung) stellt sich – ebenfalls wie bei Mehrfach- oder Sammelurkunden (in Sammelverwahrung) – das Problem des fehlenden Besitzmittlungsverhältnisses, so dass ein gutgläubiger Erwerb mangels Rechtsscheinträger schon nicht angenommen werden kann. Allerdings wird auch in diesem Zusammenhang ebenso wie bei den Mehrfachoder Sammelurkunden (in Sammelverwahrung) die Umbuchung als Publizitätsakt zum Übergabesurrogat betrachtet.188 iii) Beschränkte dingliche Rechte an Aktien
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(1) Verpfändung. Auch bei einer Globalurkunde (in Sammelverwahrung) erfolgt die Verpfändung der Mitgliedschaft durch eine Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses (§ 1205 Abs 1 BGB) durch Abtretung des Herausgabe- bzw Umbuchungsanspruchs und Anzeige gegenüber der Depotbank (§ 1205 Abs 2 BGB).189 Aus dem Pfandrecht ergeben sich die in Rdn 81 genannten Rechte. Für die Verwertung siehe Rdn 82.
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181 So vor allem MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 94; Gruson AG 2004, 358, 369 (Fn 104); Habersack/Mayer WM 2000, 1678, 1680 f; Hirte/Knof WM 2008, 7, 11 f; Mentz/Fröhling NZG 2002, 201, 208 f, 210; Bayer/Habersack/Noack Aktienrecht im Wandel – Band II, Kap. 11 Rdn 73. 182 MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 94. 183 Habersack/Mayer WM 2000, 1678, 1682. 184 Ebenso Horn WM 2002, Beilage 2 S 3, 13; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 60. 185 BGH v 24.9.2015 – IX ZR 272/13, Tz 16, NZG 2016, 21; dazu Mock LMK 2016, 377720. 186 BGH v 24.9.2015 – IX ZR 272/13, Tz 16, NZG 2016, 21; BGH v 30.11.2004 – XI ZR 200/03, Z 161, 189, 191 f = NJW 2005, 1275; BGH v 30.11.2004 – XI ZR 49/04, NJW-RR 2005, 1135, 1136; BGH v 16.7.2004 – IX a ZB 24/04, Z 160, 121, 124 = NJW 2004, 3340; BGH v 4.2.1999 – III ZR 56/98, NJW 1999, 1393 = JZ 2000, 53; Berger WM 2009, 577, 578 ff; MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 108; Hoffmann WM 2007, 1547, 1549 f; Mentz/Fröhling NZG 2002, 201, 206; Noack/Zetzsche AG 2002, 651, 654; Nodoushani WM 2007, 289, 295 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 60; Zöllner FS Raiser, 1974, S 249, 259 f. 187 So vor allem Bönning ZInsO 2008, 873, 878; Koller DB 1972, 1857, 1861; Mülbert FS Nobbe, 2009, S 691, 702 (Fn 51); aA und diesen Ansatz ablehnend MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 83 f und 93 ff. 188 Siehe die Nachweise in Fn 170. 189 Siehe die Nachweise in Fn 171.
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(2) Nießbrauch. Der Nießbrauch an Inhaberaktien oder blankoindossierten Na- 115 mensaktien bei einer Globalurkunde (in Sammelverwahrung) erfordert neben der Einigung auch eine Umbuchung bei der Wertpapiersammelbank (§ 1069 Abs 1 BGB). Aus dem Nießbrauch ergeben sich die in Rdn 84 genannten Rechte. (3) Pfändung. Für die Vollstreckung eines Titels auf Übertragung von Inhaberaktien 116 oder blankoindossierten Namensaktien in einer Globalurkunde (in Sammelverwahrung) gelten die für Mehrfach- und Sammelurkunden dargestellten Grundsätze (Rdn 106), so dass die Vollstreckung durch Pfändung und Überweisung des Anspruchs gegen die Depotbank auf Umbuchung (§ 886 ZPO analog) erfolgt.190 iv) Insolvenz. Sowohl in der Insolvenz der Aktiengesellschaft als auch in der In- 117 solvenz des Aktionärs gelten die für Mehrfach- und Sammelurkunden dargestellten Grundsätze (Rdn 107 ff). v) Grenzüberschreitende Verfügungen. Bei grenzüberschreitenden Verfügungen 118 über Inhaberaktien oder blankoindossierte Namensaktien in einer Globalurkunde (in Sammelverwahrung) kommen die in Rdn 110 dargestellten allgemeinen Grundsätze zur Anwendung. f) (Vollständig) Fehlende Verbriefung der Mitgliedschaft. Schließlich kommt 119 auch eine (vollständig) fehlende Verbriefung der Mitgliedschaft in Betracht, was allerdings nur dann möglich ist, wenn die Aktionäre ihren Anspruch auf Einzelverbriefung (Rdn 56 ff) bzw bei dessen Ausschluss nach Abs 5 (Rdn 202 ff) ihren Anspruch auf Globalverbriefung (Rdn 204) nicht durchsetzen. Zudem ist eine (vollständig) fehlende Verbriefung der Mitgliedschaft nur für Inhaberaktien denkbar, da Namensaktien immer einer Verbriefung bedürfen (Rdn 39 f). i) Übertragung. Fehlt es an einer Verbriefung der Mitgliedschaft oder ist diese un- 120 wirksam (§ 13 Rdn 15 f), kommt für eine Übertragung allein die Abtretung in Betracht (§§ 398, 413 BGB).191 Eine besondere Form ist dabei nicht zu beachten, auch wenn sich aus Beweisgründen eine schriftliche Erklärung empfiehlt.192 Besondere Formerfordernisse können auch nicht durch eine Satzungsregelung geschaffen werden.193 Ebenso wenig kann die Übertragung insgesamt ausgeschlossen werden.194 Mit der Abtretung geht das gesamte Mitgliedschaftsrecht inklusive aller Vermögens- und Verwaltungsrechte über.195 Auch bei einer fehlenden Verbriefung der Mitgliedschaft kommt eine Vinkulierung 121 in Betracht, für die § 68 Abs 2 zur Anwendung kommt.196
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190 BGH v 16.07.2004 – IX a ZB 24/04, Z 160, 121, 125 = NJW 2004, 3340; Hüffer/Koch11 Rdn 11. 191 RG v 29.1.1915 – II 432/14, Z 86, 154, 157; BGH 5.4.1993 – II ZR 195/91, Z 122, 180, 195 = NJW 1993, 1983; BGH v 12.5.1977 – II ZR 49/76, AG 1977, 295, 296 = WM 1977, 845; OLG Celle 24.11.2004 – 9 U 119/04 NZG 2005, 279 = AG 2005, 438; LG Berlin v 27.8.1993 – 85 O 140/93, AG 1994, 378, 379 = NJW-RR 1994, 80; Eder, NZG 2004, 107, 108; Modlich DB 2002, 671; Mülbert FS Nobbe, 2009, S 691, 699; Hüffer/Koch11 Rdn 2; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 2; Hölters/Solveen2 Rdn 12; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 53; Heidel/ Wagner4 Rdn 20; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 27. 192 MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 52; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 27. 193 MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 2; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 52. 194 MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 2. 195 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 27. 196 OLG München v 4.5.2005 – 23 U 5121/04, NZG 2005, 756, 757 = AG 2005, 584; OLG Celle v 24.11.2004 – 9 U 119/04 NZG 2005, 279, 280 = AG 2005, 438; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 2.
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ii) Gutgläubiger Erwerb. Bei einer fehlenden Verbriefung der Mitgliedschaft kommt ein gutgläubiger Erwerb nicht in Betracht197, da die Übertragung nur im Wege der Abtretung möglich ist und es somit schon an einem Anknüpfungspunkt für den guten Glauben fehlt. iii) Beschränkte dingliche Rechte
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(1) Verpfändung. Die Verpfändung der nicht verbrieften Mitgliedschaft erfolgt durch Rechtsverpfändung (§§ 1273 ff BGB).198 Aus dem Pfandrecht ergeben sich die in Rdn 81 genannten Rechte. Für die Verwertung siehe Rdn 82.
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(2) Nießbrauch. Die Bestellung eines Nießbrauchs an einer unverbrieften Mitgliedschaft erfolgt durch Abtretung (§§ 413, 398 BGB).199
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(3) Pfändung. Die Vollstreckung eines Titels auf Übertragung der unverbrieften Mitgliedschaft erfolgt durch Rechtspfändung (§ 857 ZPO).200
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iv) Insolvenz. Für die Insolvenz der Aktiengesellschaft oder des Aktionärs ergeben sich bei der unverbrieften Mitgliedschaft keine Besonderheiten, so dass die in Rdn 86 f. dargestellten allgemeinen Grundsätze gelten.
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v) Grenzüberschreitende Verfügungen über unverbriefte Aktien. Aufgrund der fehlenden Verbriefung der Mitgliedschaft bestimmt sich das bei grenzüberschreitenden Verfügungen anwendbare Recht nicht nach dem Wertpapiersach-, sondern nach dem Gesellschaftsstatut, so dass stets deutsches Recht zur Anwendung kommt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art 14 Rom-I-VO, da dieser Mitgliedschaftsrechte nicht erfasst.201 Diese Grundsätze gelten allerdings nur für Verfügungen über die Mitgliedschaft und nicht für entsprechende Verpflichtungsgeschäfte, da diese unter Art 3 ff Rom-I-VO fallen. III. Ausgabe von Inhaber- und/oder Namensaktien (Abs 1)
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Für die Aktiengesellschaft besteht ein Wahlrecht zwischen der Ausgabe von Inhaberaktien (Rdn 132 ff) und von Namensaktien (Rdn 131), wobei die gesetzliche Konzeption im Grundsatz von der Ausgabe von Namensaktien ausgeht. Die Ausübung dieses Wahlrechts (Rdn 129 ff) ist dabei nicht endgültig, so dass die Aktien auch entsprechend umgestellt (Rdn 167 ff) werden können.
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1. Wahl zwischen Inhaber- und Namensaktien. Auch nach der neuen Rechtslage (Rdn 11) bleibt es im Grundsatz bei einem freien Wahlrecht für die Aktiengesellschaft zwischen den beiden Aktienarten.202 Zwar geht Abs 1 Satz 1 grundsätzlich von der
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197 BGH v 5.4.1993 – II ZR 195/91, Z 122, 180, 195 f = NJW 1993, 1983; Eder NZG 2004, 107, 108; Hüffer/ Koch11 Rdn 2; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 14 Rdn 3; Hölters/Solveen2 Rdn 12; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 27. 198 Nodoushani WM 2007, 289, 292; Stupp DB 2006, 655, 657; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 67; K. Schmidt/ Lutter/Ziemons3 Rdn 35. 199 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 69. 200 Stöber Forderungspfändung, Rdn 1605; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 70. 201 BeckOGK/Hübner Rom I-VO Art 14 Rdn 9. 202 Mock AG 2016, 261, 262 f.; ebenso schon zum bisherigen Recht KK/Dauner-Lieb3 Rdn 17; MünchKomm/Heider4 Rdn 17; Hölters/Solveen2 Rdn 10; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 17; Heidel/Wagner4 Rdn 13; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 12.
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Ausgabe von Namensaktien aus, doch bleibt die Ausgabe von Inhaberaktien bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des Abs 1 Satz 2 (Rdn 132 ff) möglich. Das auch nach neuem Recht bestehende Wahlrecht zeigt sich zudem daran, dass der Gesetzgeber der Aktienrechtsnovelle 2016 – entgegen dem ursprünglichen Entwurf für eine Aktienrechtsnovelle 2011 – die entsprechende Regelung in § 23 Abs 3 Nr 5 nicht aufgehoben hat.203 Zum Sonderproblem der Behandlung von Inhaberaktien zwischen Gründung und Börsennotierung bzw Hinterlegung siehe Rdn 158 ff. Das Wahlrecht muss dabei aber nicht nur zugunsten einer der beiden Aktienformen 130 ausgeübt werden, so dass auch beide Formen – wie auch in zahlreichen ausländischen Rechtsordnungen (Rdn 18 ff) – nebeneinander bestehen können.204 Dabei ist es auch nicht erforderlich, dass das zahlenmäßige Verhältnis der beiden Aktienarten festgesetzt wird (Rdn 148). Die nebeneinander bestehenden Inhaber- und Namensaktien bilden keine eigenen Gattungen (§ 11 Satz 2).205 a) Ausgabe von Namensaktien als Regelfall (Abs 1 Satz 1). Durch die Neufassung 131 von Abs 1 Satz 1 im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 2016 können im deutschen Aktienrecht grundsätzlich nur Namensaktien begeben werden, um damit einem Missbrauch der Rechtsform der Aktiengesellschaft zu Zwecken der Geldwäsche oder Terrorfinanzierung vorzubeugen (ausführlich dazu Rdn 24 ff). Inhaberaktien dürfen nur noch unter den Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 (Rdn 132 ff) ausgegeben werden. Damit besteht – im Gegensatz zum bisherigen Wahlrecht zwischen diesen beiden Aktienformen – nunmehr eine Regel-Ausnahme-Struktur zugunsten der Namensaktie. b) Erweiterte Anforderungen an die Ausgabe von Inhaberaktien (Abs 1 Satz 2). 132 Aufgrund der Neufassung von Abs 1 durch die Einfügung von Satz 2 dürfen Inhaberaktien nur noch dann ausgegeben werden, wenn die Aktiengesellschaft börsennotiert ist (Abs 1 Satz 2 Nr 1 – Rdn 133) oder der Anspruch auf Einzelverbriefung gemäß Abs 5 ausgeschlossen wurde und die Sammelurkunde bei einem der drei zugelassenen Verwahrstellen hinterlegt ist (Abs 1 Satz 2 Nr 2 – Rdn 134). Weitere Voraussetzungen werden an die Ausgabe von Inhaberaktien nicht geknüpft, so dass sich die mit Abs 1 Satz 2 verfolgte Zielsetzung des Gesetzgebers in Form der Herstellung einer hinreichenden Beteiligungstransparenz ohne weiteres durch die Einschaltung von (ausländischen) Zwischengesellschaften oder -stiftungen umgehen lässt.206 Zur Durchsetzung der Voraussetzungen des Abs 1 Satz 2 für die Ausgabe von Inhaberaktien siehe Rdn 158 ff. i) Börsennotierung (Abs 1 Satz 2 Nr 1). Die Aktiengesellschaft ist börsennotiert im 133 Sinne von Abs 1 Satz 2 Nr 1, wenn die Voraussetzungen von § 3 Abs 2 erfüllt sind (§ 3 Rdn 29 ff). Daher ist es nicht ausreichend, wenn die Aktiengesellschaft kapitalmarktorientiert im Sinne von § 264d HGB ist. Ein eigenständiger Anwendungsbereich von Abs 1 Satz 2 Nr 1 besteht nur in sehr geringem Umfang, da eine Börsennotierung in der Regel einen Ausschluss des Anspruchs auf Einzelverbriefung und eine Hinterlegung der Sammelurkunde voraussetzt, so dass dann den Anforderungen von Abs 1 Satz 2 Nr 2 entsprochen wird. Vor diesem Hintergrund beschränkt sich der Anwendungsbe-
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203 Dazu Mock AG 2016, 261, 262 f. 204 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 8; MünchKomm/Heider4 Rdn 17; Hölters/Solveen2 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 12. 205 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 27; Noack FS Bezzenberger, 2000, S 291, 301 f; Hölters/Solveen2 Rdn 5; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 10; Heidel/Wagner4 Rdn 13. 206 Siehe dazu die Nachweise in Fn 59.
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reich von Abs 1 Satz 2 Nr 1 letztlich auf den Fall eines Börsenhandels von einzelverbrieften Inhaberaktien, was in der internationalen Praxis kaum noch anzutreffen ist.207 Zum Problem der fehlenden Börsennotierung bei der Gründung der Aktiengesellschaft Rdn 155 ff. Zur Behandlung der Inhaberaktien bis zur Herbeiführung der Börsennotierung Rdn 158 ff. Zum Problem des Delisting Rdn 169. 134
ii) Ausschluss des Anspruchs auf Einzelverbriefung und Hinterlegung der Sammelurkunde (Abs 1 Satz 2 Nr 2). Weiterhin dürfen Inhaberaktien ausgegeben werden, wenn der Anspruch des Aktionärs auf Einzelverbriefung ausgeschlossen (Rdn 135) und zusätzlich die Sammelurkunde bei einer zugelassenen Verwahrstelle (Rdn 136 ff) hinterlegt wurde. Diese beiden Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Damit können auch nicht börsennotierte Aktiengesellschaften Inhaberaktien ausgeben. Aufgrund des eingeschränkten originären Anwendungsbereichs von Abs 1 Satz 2 Nr 1 (Rdn 133) handelt es sich dabei um den eigentlichen Grundtatbestand für die Ausgabe von Inhaberaktien.208
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(1) Ausschluss der Einzelverbriefung. Zunächst muss der Anspruch des Aktionärs auf Einzelverbriefung ausgeschlossen sein. Dafür ist ein vollständiger Ausschluss erforderlich209, so dass eine bloße Beschränkung dieses Anspruchs, wie es nach Abs 5 grundsätzlich möglich ist (Rdn 205), nicht ausreichend ist.
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(2) Hinterlegung der Sammelurkunde. Zudem muss die Sammelurkunde bei einer zugelassenen Verwahrstelle hinterlegt werden. Damit soll letztlich sichergestellt werden, dass die Ermittlungsbehörden einen tatsächlichen Zugang zu der Identität der Aktionäre haben (Rdn 24). Als zulässige Verwahrstellen kommen nur die in Abs 1 Satz 2 Nr 2 genannten Stellen in Betracht. Diese Aufzählung ist abschließend. Zum Problem der fehlenden Hinterlegung der Aktien bei der Gründung der Aktiengesellschaft Rdn 155 ff.
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(a) Hinterlegung bei einer Wertpapiersammelbank (lit a)). Die Sammelurkunde kann zunächst bei einer Wertpapiersammelbank im Sinne von § 1 Abs 3 Satz 1 DepotG hinterlegt werden. Dabei handelt es sich um Kreditinstitute, die von der nach Landesrecht zuständigen Stelle des Landes, in dessen Gebiet das Kreditinstitut seinen Sitz hat, als solche anerkannt sind.
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(b) Hinterlegung bei einem anerkannten Zentralverwahrer (lit b)). Darüber hinaus kommt auch eine Verwahrung bei einem zugelassenen Zentralverwahrer in Betracht. Ein Zentralverwahrer ist nach Art 2 Abs 1 Nr 1 ZentralverwahrerVO210 eine juristische Person, die ein Wertpapierliefer- und -abrechnungssystem betreibt und die wenigstens eine weitere Kerndienstleistung nach Abschnitt A des Anhangs der ZentralverwahrerVO erbringt. Die Hinterlegung kann dabei sowohl bei einem in- als auch einem ausländischen Zentralverwahrer erfolgen, wobei Zentralverwahrer aus einem Drittstaat einer Anerkennung bedürfen.
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207 Mock AG 2016, 261, 262. 208 Mock AG 2016, 261, 262. 209 Mock AG 2016, 261, 262. 210 Verordnung (EU) Nr 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.7.2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/EU und der Verordnung (EU) Nr 236/2012, ABl EG Nr L 257 v 28.8.2014, S 1 ff.
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(c) Hinterlegung bei einem sonstigen ausländischen Zentralverwahrer (lit c)). 139 Schließlich kann die Hinterlegung auch bei sonstigen Verwahrern erfolgen, soweit diese die Voraussetzungen von § 5 Abs 4 Satz 1 DepotG erfüllen. (3) Entsprechende Anwendung von § 67 bei fehlender Hinterlegung (Abs 1 Satz 3). 140 Nach Abs 1 Satz 3 ist § 67 entsprechend anzuwenden, solange die Sammelurkunde nicht hinterlegt wurde. Dies bedeutet, dass die Inhaberaktien bis zur Hinterlegung der Sammelurkunde als Namensaktien behandelt werden. Damit soll für den Vorstand ein Anreiz geschaffen werden, die Hinterlegung der Sammelurkunde tatsächlich vorzunehmen.211 Durch die entsprechende Anwendung von § 67 bei der fehlenden Hinterlegung ist der Vorstand verpflichtet, bis zur Herbeiführung der Hinterlegung, ein Aktienregister zu führen.212 Kommt der Vorstand dieser Pflicht nicht nach, gelten die Aktionäre im Verhältnis zur Aktiengesellschaft nicht als Aktionäre (§ 67 Abs 2 Satz 1) und sind daher in ihren Mitgliedschaftsrechten umfassend beschränkt. Allerdings kann jeder Aktionär die Führung des Aktienregisters auf dem Klageweg durchsetzen.213 Da die Festlegung auf Inhaber- oder Namensaktien in § 23 Abs 3 Nr 5 nicht von § 275 Abs 1 oder § 399 Abs 1 FamFG erfasst wird (Rdn 160), hat auch das Handelsregister keine Möglichkeit, eine Satzungsänderung zu erzwingen, so dass die Behandlung der Inhaber- als Namensaktien nach Abs 1 Satz 3 – jedenfalls bis zur nächsten Kapitalerhöhung (Rdn 32) – zum Dauerzustand werden kann. Aufgrund der ausdrücklichen Bezugnahme von Abs 1 Satz 3 auf Abs 1 Satz 2 Nr 2 141 kommt dessen Anwendung für den Fall der Herbeiführung einer Börsennotierung (Abs 1 Satz 2 Nr 1) nicht in Betracht. Daher müssen die ausgegebenen Inhaberaktien auch wie solche und nicht wie Namensaktien behandelt werden.214 Da eine Börsennotierung in der Regel aber die Erfüllung der Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 Nr 2 (Rdn 134 ff) erfordert, dürfte in diesem Zusammenhang nur ein sehr eingeschränkter Anwendungsbereich bestehen (Rdn 133). c) Allgemeine Einschränkungen des Wahlrechts. Bei der Ausgabe von Aktien 142 kommt der Aktiengesellschaft nur das Wahlrecht nach Abs 1 zu, so dass andere Verbriefungsformen wie etwa eine Verbriefung als Rektapapier nicht zulässig sind.215 Zudem besteht kein Wahlrecht (zugunsten von Inhaberaktien), wenn die Aktien bereits vor der vollständigen Leistung des Ausgabebetrags ausgegeben werden sollen (Abs 2 Satz 1 – Rdn 184 ff). Das gleiche gilt, wenn Nebenleistungsverpflichtungen (§ 55 Abs 1 Satz 1) in der Satzung festgelegt werden sollen.216 Auch eine Vinkulierung (§ 68 Abs 2)217 und die Gewährung von Entsenderechten (§ 101 Abs 2 Satz 2) ist nur bei Namensaktien möglich. Weiterhin darf die Ausübung des Wahlrechts nicht gegen das Gleichbehandlungs- 143 gebot (§ 53a) verstoßen, was etwa der Fall ist, wenn bei einer Kapitalerhöhung die jungen Aktien teilweise als Namens- und teilweise als Inhaberaktien ausgegeben werden und dafür keine sachliche Rechtfertigung erkennbar ist.218
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211 Allgemeine eine Nichtigkeit für diesen Fall annehmend Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2016, BRDrucks 22/15, S 15. 212 Mock AG 2016, 261, 264 f. 213 Zur Durchsetzbarkeit dieses Anspruchs OLG Hamm v 15.4.2008 – 27 W 54/07, AG 2008, 671; vgl dazu auch MünchKomm/Bayer4 § 67 Rdn 16. 214 Mock AG 2016, 261, 265. 215 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 31; MünchKomm/Heider4 Rdn 16; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 6; Zöllner Wertpapierrecht, § 29 II. 216 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 18; MünchKomm/Heider4 Rdn 22. 217 MünchKomm/Heider4 Rdn 22 am Ende; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 21. 218 MünchKomm/Heider4 Rdn 26.
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d) Spezialgesetzliche Einschränkungen des Wahlrechts. Darüber hinaus können Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Buchprüfer eine Rechtsform der Aktiengesellschaft nur dann beruflich anerkennen lassen, wenn sie vinkulierte Namensaktien ausgegeben haben (§§ 28 Abs 5, 130 Abs 2 Satz 1 WPO, § 50 Abs 5 StBerG). Für Rechtsanwälte fehlt es zwar an einer entsprechenden Regelung. Allerdings kann den Anforderungen von § 59m BRAO bei einer Rechtsanwalts-AG nur dann entsprochen werden, wenn vinkulierte Namensaktien ausgegeben werden.219 Schließlich sehen die Regelungen der Bundesländer dieses Erfordernis auch für die Architekten- und die Ingenieur-AG vor.220 Hintergrund dieser Beschränkungen ist, dass auf diese Weise eine Aufnahme ungeeigneter Anteilseigner verhindert werden soll. Ein Verstoß gegen diese Vorgaben ist aktienrechtlich unbeachtlich, führt in der Regel aber zum Entzug der erforderlichen Zulassung der Unternehmenstätigkeit.221 Auch Luftfahrtunternehmen dürfen nur vinkulierte Namensaktien ausgeben (§ 2 145 LuftNaSiG), um damit zu gewährleisten, dass der Mehrheits- oder Kontrollbesitz von einem Angehörigen eines Mitgliedstaates ausgeübt wird.222 Allerdings kann die Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit beschließen, den Anforderungen des LuftNaSiG nicht zu unterfallen (§ 1 Abs 2 LuftNaSiG). Ebenso müssen Aktiengesellschaften als private Rundfunkbetreiber über eine Satzungsregelung verfügen, wonach nur vinkulierte Namensaktien ausgeben werden dürfen (§ 20a Abs 2 Satz 2 Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien [RStV]), um den entsprechenden Auskunfts- und Mitteilungspflichten nachkommen zu können (§§ 21 Abs 2 Nr 1, Abs 6 und 7, 29 Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien [RStV]). Bei einer Investmentaktiengesellschaft mit veränderlichem Kapital müssen die 146 Unternehmensaktien als Namensaktien ausgegeben werden, ohne dass diese dabei zwingend vinkuliert sein müssen (§ 109 Abs 2 Satz 3 KAGB). Schließlich dürfen bei der Volkswagen-AG keine Namens-, sondern nur Inhaberak147 tien ausgegeben werden (§ 1 Abs 3 VW-Gesetz). 2. Ausübung des Wahlrechts bei der Gründung der Aktiengesellschaft
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a) Angabe der Aktienart in der Gründungsatzung. Die Satzung muss nach § 23 Abs 3 Nr 5 zwingend bestimmen, ob Inhaber- oder Namensaktien oder gegebenenfalls beide Arten (Rdn 129) ausgegeben werden. Diese Entscheidung kann auch nicht auf den Vorstand delegiert werden223, was sich im Ergebnis aber ohne weiteres durch eine Zulässigkeit beider Aktienarten erreichen lässt (Rdn 129). Nicht erforderlich ist es, die Anzahl oder die Quote jeder Aktienart festzulegen, da § 23 Abs 3 Nr 5 eindeutig nur auf die Art der Aktie Bezug nimmt, ohne – etwa im Gegensatz zu den Angaben zu den Nennbeträgen oder Aktiengattungen (§ 23 Abs 3 Nr 4) – auch eine Angabe zu der jeweiligen Anzahl oder Quote zu verlangen.224 Der Vorteil einer fehlenden Festsetzung der jeweiligen Anzahl oder Quote in der Satzung besteht vor allem im Fall einer Umwandlung der Aktienarten, da es dann nicht einer fortlaufenden Anpassung der Satzung bedarf. Mit der fehlenden Festsetzung einer konkreten Anzahl oder Quote wird auch der Regelungs-
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219 BGH v 10.1.2005 – AnwZ (B) 27 u 28/03, Z 161, 376, 387 f = NJW 2005, 1568; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 24. 220 So etwa Art 8 Abs 3 Nr 3 lit e) und Abs 4 Nr 3 lit e) BayBauKaG. 221 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 24. 222 So die Begr RegE LuftNaSiG BT-Drucks 13/7246 S 7 ff. 223 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 13. 224 MünchKomm/Heider4 Rdn 17; Hüffer NJW 1979, 1065, 1066; Hölters/Solveen2 Rdn 9; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 12; zweifelnd KK/Dauner-Lieb3 Rdn 8.
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zweck von § 23 Abs 3 Nr 5 nicht unterminiert, da die Aktionäre und der Rechtsverkehr hinreichend darüber informiert werden, dass beide Aktienformen und damit verschiedene Übertragungsmöglichkeiten bestehen.225 Dieser Informationswert würde auch nicht durch die Angabe der Anzahl oder der Quote erhöht werden. Zu den Folgeproblemen der Festlegung auf Inhaberaktien siehe Rdn 155 ff. Zum späteren Übergang von Inhaber- zu Namensaktien Rdn 168 ff. und umgekehrt Rdn 172 ff. Die Satzungsregelung nach § 23 Abs 3 Nr 5 ist schließlich auch für den Fall des Aus- 149 schlusses des Anspruchs auf Einzelverbriefung (Rdn 202 ff) erforderlich.226 Denn zum einen hindert dies den Vorstand nicht an einer Ausgabe von Aktienurkunden und zum anderen muss die Wahl zwischen Inhaber- und Namensaktie auch für die Globalurkunde (Rdn 52) entschieden werden. Zudem sind die Besonderheiten von Namensaktien gerade nicht an eine Verbriefung gebunden.227 Schließlich hat die jeweilige Aktienform unterschiedliche Folgen für die Teilnahme an der Hauptversammlung, so dass es insofern einer klaren Festlegung bedarf. Dies gilt unabhängig von der Tatsache, dass Abs 1 inzwischen der Namensaktie den Vorrang einräumt (Rdn 131). b) Fehlende Festlegung auf eine Aktienart. Bei einer fehlenden Festlegung auf 150 eine oder beide Aktienarten in der Gründungssatzung muss zwischen den Auswirkungen auf den Bestand der Aktiengesellschaft selbst (Rdn 151 ff) und den Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien (Rdn 54) unterschieden werden. i) Auswirkungen auf den Bestand der Aktiengesellschaft. Die fehlende Festle- 151 gung auf eine oder beide (Rdn 129) Aktienarten in der Satzung (§ 23 Abs 3 Nr 5) führt zunächst nicht zu einer Nichtigkeit der Satzung, da die Festlegung auf eine oder beide Aktienarten einen zu vernachlässigenden Mangel darstellt, der eine Nichtigkeit im Sinne des § 134 BGB nicht begründen kann. Zwar stuft § 399 Abs 1 FamFG die fehlende Festlegung auf eine oder beide (Rdn 129) Aktienarten in der Satzung als wesentliche Bestimmung ein. Allerdings kann aus dieser Charakterisierung keine Nichtigkeit abgeleitet werden, da das Fehlen der Festlegung mehr oder weniger identisch mit dem Zustand der Festlegung auf beide Aktienarten ist. Daher entsteht die Vor-AG bei Feststellung der Satzung, auch wenn diese keine entsprechende Festlegung enthält. Allerdings wurde die Aktiengesellschaft dann nicht ordnungsgemäß errichtet 152 (§ 38 Abs 3 Nr 1 – § 38 Rdn 37 ff), so dass das Handelsregister die Eintragung abzulehnen hat.228 Mit Eintragung der Aktiengesellschaft im Handelsregister entsteht diese unab- 153 hängig von einer etwaigen Verletzung der Vorgaben von § 23 Abs 3 Nr 5.229 Die Aktiengesellschaft ist auch nicht nichtig, da § 275 Abs 1 Satz 1 Alt 1 keinen Bezug auf die Festlegung auf eine oder beide (Rdn 129) Aktienarten in der Satzung nimmt. Allerdings muss das Registergericht die Aktiengesellschaft unter Hinweis auf eine ansonsten erfolgende Feststellung eines Mangels der Satzung auffordern, den Mangel zu beheben (§ 399 FamFG). Kommt die Aktiengesellschaft dieser Aufforderung nicht nach, wird nach Ablauf der Frist ein Mangel der Satzung festgestellt (§ 399 Abs 2 FamFG) und die Aktienge-
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225 AA Noack FS Wiedemann, 2002, S 1141, 1151 f unter Verweis auf Art 3 lit f) Kapitalschutzrichtlinie (zu diesem Aspekt siehe Rdn 7); ähnliche Bedenken äußernd Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 12 am Ende. 226 Hölters/Solveen2 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 13. 227 OLG Celle v 24.11.2004 – 9 U 119/04 NZG 2005, 279, 280 = AG 2005, 438; Noack FS Wiedemann, 2002, S 1141, 1152; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 13. 228 Hölters/Solveen2 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 14. 229 Hölters/Solveen2 Rdn 9.
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sellschaft aufgelöst (§ 262 Abs 1 Nr 5, § 399 FamFG).230 Voraussetzung dafür ist aber, dass die Satzung entgegen § 23 Abs 3 Nr 5 tatsächlich keinerlei Angaben zu der Aktienart macht, da § 399 Abs 1 Satz 1 FamFG ausdrücklich auf das Fehlen einer solchen Bestimmung abstellt. 154
ii) Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien. Soweit die Gründungssatzung keine Festlegung auf Inhaber- oder Namensaktien enthält, kann der Vorstand nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, welche Aktienart er ausgibt. Die dann ausgegebenen Aktien werden in ihrem Bestand durch die fehlende Satzungsregelung nach Abs 1, § 23 Abs 3 Nr 5 nicht berührt.
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c) Festlegung auf Inhaberaktien in der Gründungssatzung. Sofern in der Gründungssatzung das Wahlrecht zugunsten von Inhaberaktien ausgeübt wird, stellt sich das Problem, dass bei der Gründung der Aktiengesellschaft die dafür notwendigen Voraussetzungen nach Abs 1 Satz 2 noch nicht vorliegen können. Insbesondere bei der Antragstellung auf Eintragung der Aktiengesellschaft im Handelsregister kann diese bzw die dann bereits entstandene Vor-AG weder börsennotiert noch können die Aktien der noch nicht entstandenen Aktiengesellschaft bereits hinterlegt sein.231 Für die Folgen dieser fehlenden Erfüllbarkeit der Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 bei der Gründung der Aktiengesellschaft muss zwischen den Folgen für die Feststellung der Satzung (Rdn 156), den Folgen für die Eintragung im Handelsregister (Rdn 157) und den Folgen einer (späteren) fehlenden Börsennotierung oder unterlassenen Hinterlegung (Rdn 158 ff) unterschieden werden.
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i) (Keine) Nichtigkeit der Feststellung der Satzung. Die Satzung darf die Ausgabe von Inhaberaktien nur vorsehen, wenn die Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 (Rdn 132 ff) erfüllt sind. Da sich die Börsennotierung (Rdn 133) und die Hinterlegung bzw der Ausschluss des Anspruchs auf Einzelverbriefung (Rdn 134) vor der Eintragung der Aktiengesellschaft nicht bewerkstelligen lassen, müsste dies eigentlich zu einer Nichtigkeit der Satzung nach § 134 BGB mit der Folge führen, dass es an einer wirksamen Feststellung der Satzung fehlen würde. Allerdings kann dies nicht angenommen werden, da der Gesetzgeber durch die Regelung des Abs 1 Satz 2 lediglich die Verwendung von Inhaberaktien einschränken, nicht aber die Gründung von Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien verhindern wollte.232 Dies zeigt sich etwa auch an der Regelung des Abs 1 Satz 3 (Rdn 140 f), die bei einer Unmöglichkeit der Gründung einer Aktiengesellschaft mit Inhaberaktien keinen Sinn mehr machen würde.233 Die Nichtigkeit kann auch nicht für den Fall angenommen werden, dass der Anspruch auf Einzelverbriefung in der Gründungssatzung noch nicht ausgeschlossen ist, da sich die Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 auch in diesem Fall noch durch eine Börsennotierung erreichen ließen. Daher kann die Festlegung auf Inhaberaktien in der Gründungssatzung keine Nichtigkeit der Satzung nach § 134 BGB begründen. Eine Ausnahme könnte nur für den praktisch nicht relevanten Fall angenommen werden, dass die Gründer den Anspruch auf Einzelverbriefung nicht in der Gründungssatzung ausschließen und einen Börsengang für die Aktiengesellschaft grundsätzlich ablehnen.
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230 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 14. 231 Zu diesem Problem ausführlich Mock AG 2016, 261, 263. 232 Dies betonend Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2012, BR-Drucks 852/11, S 9 f; Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BT-Drucks 18/4349, S 17; ebenso Mock AG 2016, 261, 263; Seibert/Böttcher ZIP 2012, 12, 14. 233 Mock AG 2016, 261, 263.
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ii) (Keine) Ablehnung der Eintragung im Handelsregister. Ebenso wenig kann 157 das Handelsregister die Eintragung einer Aktiengesellschaft mit einer Satzungsregelung zugunsten von Inhaberaktien mit der Begründung ablehnen, dass die Voraussetzungen dafür im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht vorliegen. Ein solcher Ablehnungsgrund ergibt sich nicht aus § 38 Abs 4 Nr 1, da die Satzung schon nicht nichtig ist (Rdn 156). Aber auch aus § 38 Abs 4 Nr 2 kann sich ein solcher Ablehnungsgrund nicht ergeben. Auch wenn die Beschränkungen für die Ausgabe von Inhaberaktien im öffentlichen Interesse erfolgen (Rdn 11), muss dies abgelehnt werden, da ansonsten keine Gründung einer Aktiengesellschaft mit Inhaberaktien möglich wäre.234 Allerdings ist es erforderlich, dass die Gründer bei der Anmeldung zum Handelsregister hinreichend glaubhaft machen, dass sie eine Börsennotierung oder eine Hinterlegung der Sammelurkunde anstreben.235 Zudem muss die Gründungssatzung für den Fall der angestrebten Hinterlegung236 bereits den Anspruch auf Einzelverbriefung ausschließen, da die Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 sich ansonsten nur durch eine spätere Satzungsänderung erreichen ließen.237 iii) Folgen einer (später) fehlenden Börsennotierung oder unterlassenen Hin- 158 terlegung. Auch wenn somit eine Gründung einer Aktiengesellschaft mit Inhaberaktien möglich ist, ohne bereits die Anforderungen von Abs 1 Satz 2 zu erfüllen, regelt Abs 1 nicht, welche Folgen eine später fehlende Börsennotierung oder eine unterlassene Hinterlegung hat. Dies ist vor allem deswegen problematisch, weil Abs 1 selbst auch keinen Zeitrahmen vorgibt238, in dem die Anforderungen von Abs 1 Satz 2 erfüllt werden müssen. (1) Keine Nichtigkeit oder Amtslöschung der eingetragenen Aktiengesellschaft. 159 Eine Aktiengesellschaft mit einer Satzungsregelung zugunsten der Ausgabe von Inhaberaktien ist trotz der fehlenden Erfüllung der Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 nicht nach § 275 Abs 1 nichtig, da die Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 nicht in § 275 Abs 1 genannt werden.239 Ebenso wenig ist die Durchführung eines Amtslöschungsverfahrens möglich, da 160 § 399 Abs 1 Satz 1 Alt 1 FamFG (Fehlen einer wesentlichen Satzungsbestimmung) ausdrücklich nur auf das Fehlen und nicht auf die einfache Fehlerhaftigkeit einer entsprechenden Satzungsregelung abstellt.240 Das Amtslöschungsverfahren kann sich auch nicht auf § 399 Abs 1 Satz 1 Alt 2 FamFG (Nichtigkeit einer Satzungsbestimmung) stützen, da die Vorgaben von Abs 1 Satz 2 im Zeitpunkt der Eintragung der Aktiengesellschaft schon nicht vorliegen können (Rdn 156) und Abs 1 Satz 2 für die Umsetzung der Voraussetzungen keine zeitlichen Vorgaben gemacht werden, so dass es somit schon an einem klar bestimmbaren Nichtigkeitszeitpunkt fehlt, der Grundlage für eine Amtslöschung wäre.
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234 Dies betonend Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2012, BR-Drucks 852/11, S 9 f; ebenso Mock AG 2016, 261, 263 f.; Seibert/Böttcher ZIP 2012, 12, 14. 235 Mock AG 2016, 261, 263 f. 236 AA und stets einen Ausschluss fordernd Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2012, BR-Drucks 852/11, S 9 f; Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BT-Drucks 18/4349, S 17; ebenso Schmidt-Bendun DB 2015, 419, 420; Seibert/Böttcher ZIP 2012, 12, 14. 237 Davon ausgehend Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2012, BR-Drucks 852/11, S 9 f; ebenso Mock AG 2016, 261, 264. 238 Ebenso Götze/Arnold/Carl NZG 2012, 321, 323; Seibert/Böttcher ZIP 2012, 12, 13 f. 239 Mock AG 2016, 261, 264. 240 Mock AG 2016, 261, 264; aA anscheinend Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2012, BR-Drucks 852/11, S 11; Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BT-Drucks 18/4349, S 18.
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Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Aktiengesellschaft eindeutig die Absicht zur Herbeiführung einer Börsennotierung oder einer qualifizierten Hinterlegung aufgegeben hat bzw nach der Aufforderung durch das Registergericht nicht hinreichend glaubhaft machen kann, dass diese Voraussetzungen für die Ausgabe von Inhaberaktien demnächst herbeigeführt werden. 161
(2) Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien. Werden die Inhaberaktien trotz Fehlens der Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 ausgegeben, wird die Entstehung der Mitgliedschaftsrechte dadurch nicht berührt.241 Denn auch nach bisheriger Rechtslage war es anerkannt, dass die Mitgliedschaft auch dann wirksam entsteht, wenn der Vorstand bei der Ausgabe der Aktien gegen die in der Satzung getroffenen Vorgaben verstößt. 242 Etwas anders kann auch nicht aus dem öffentlichen Interesse an der Beschränkung des Wahlrechts in Abs 1 (Rdn 4) abgeleitet werden, da diesen Interessen durch die Registerkontrolle bei der Gründung (Rdn 157) schon hinreichend Rechnung getragen wird. Zudem stellt Abs 1 Satz 3 selbst klar, dass die ausgegebenen Inhaberaktien wirksam und lediglich bis zur Hinterlegung wie Namensaktien zu behandeln sind (Rdn 140). Für den Fall der Börsennotierung bleibt es allerdings bis zu deren Herbeiführung bei einer Behandlung als Inhaberaktien (Rdn 141). Somit sind die ausgegebenen Aktienurkunden auch nicht unrichtig, da jederzeit die Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 herbeigeführt werden können. Daher können sie nicht umgetauscht oder von der Aktiengesellschaft für kraftlos erklärt werden (§ 73).
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(3) (Kein) Bestehen eines Anspruchs des Aktionärs auf Börsennotierung oder Hinterlegung. Der Aktionär hat keinen durchsetzbaren Anspruch auf Herstellung der Börsennotierung oder auf Vornahme der Hinterlegung. Auch wenn die Satzung die Ausgabe von Inhaberaktien gestattet und diese auch bei einer fehlenden Erfüllung der Voraussetzungen des Abs 1 Satz 2 erfolgt, bleibt es bei der gesetzlichen Anordnung in Abs 1 Satz 3 (Rdn 140 f), dass die Inhaberaktien dann wie Namensaktien zu behandeln sind. Damit ist zwar auch eine unmittelbare Beeinträchtigung für die Aktionäre verbunden, zumal die Aktiengesellschaft die für die Führung des Aktienregisters erforderlichen Informationen auch gerichtlich durchsetzen kann (§ 67 Abs 1 Satz 2). Allerdings kann daraus kein Anspruch des Aktionärs gegen den Vorstand auf Herstellung der Börsennotierung oder auf Vornahme der Hinterlegung abgeleitet werden, da ein solcher gegen den Grundsatz der eigenverantwortlichen Leitung (§ 76) verstoßen würde.243 Zur Durchsetzbarkeit der Führung des Aktienregisters durch den Aktionär Rdn 140.
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(4) Haftung der Verwaltungsmitglieder. Allerdings kann sich die fehlende Herstellung der Börsennotierung oder die Nichtvornahme der Hinterlegung als pflichtwidriges Verhalten darstellen und eine Schadenersatzpflicht nach § 93 Abs 2 begründen. Mit der alleinigen Festlegung auf Inhaberaktien in der Satzung (Rdn 155) muss eine Pflicht des Vorstands angenommen werden, die Börsennotierung herbeizuführen oder die Hinterlegung vorzunehmen. Unklar ist in diesem Zusammenhang allerdings, innerhalb welchen Zeitraums dieser Pflicht nachgekommen werden muss, da Abs 1 Satz 2 keine Frist für die Herstellung der Börsennotierung oder der Vornahme der Hinterlegung vorsieht (Rdn 158). Dabei wird man für den Fall der Börsennotierung auf den durch-
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241 Mock AG 2016, 261, 264. 242 BGH v 5.4.1993 – II ZR 195/91, Z 122, 180, 195 = NJW 1993, 1983; BFH v 7.7.2011 – IX R 2/10, E 234, 199 Tz 20 = NZG 2012, 439; Hüffer/Koch11 Rdn 2. 243 Mock AG 2016, 261, 265.
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schnittlichen Zeitraum abstellen müssen, der für die Durchführung eines Börsengangs erforderlich ist, soweit sich aus den Gründungsunterlagen nicht ergibt, dass dies Festsetzung des Zeitpunkts für einen Börsengang eine Ermessensentscheidung des Vorstands darstellen soll. Hinsichtlich der Hinterlegung der Sammelurkunde muss hingegen von einem deutlich kürzeren Zeitraum ausgegangen werden, der sich an dem typischerweise erforderlichen Zeitaufwand für die Hinterlegung orientieren muss.244 Freilich wird sich der Schaden lediglich auf die Kosten für die Führung des Aktien- 164 registers belaufen, da ein solches nach Abs 1 Satz 3 bei einer fehlenden Entsprechung der Vorgaben von Abs 1 Satz 2 geführt werden muss (Rdn 140 f).245 Da bei einem pflichtgemäßen Verhalten des Vorstands aber auch die Kosten für die Börsennotierung oder die Sammelverwahrung entstanden wären, müssen diese in Abzug gebracht werden, so dass es in der Regel an einem nennenswerten Schaden fehlen wird.246 3. Nachträgliche Aufhebung der Festlegung auf eine Aktienart. Ein Beschluss 165 der Hauptversammlung zur Aufhebung der Festlegung auf Namensaktien ist nach § 241 Nr 3 Alt 2 nichtig, wenn die Voraussetzungen des Abs 1 Satz 2 tatsächlich nicht vorliegen. Die Vorgaben von Abs 1, § 23 Abs 3 Nr 5 dienen dem Schutz des Kapitalmarktes und der Anleger (Rdn 2) und verfolgen somit vorrangig öffentliche Interessen. Daher darf die Satzungsänderung auch nicht im Handelsregister eingetragen werden. Mit Eintragung der Satzungsänderung im Handelsregister wird diese unabhän- 166 gig von einer etwaigen Verletzung der Vorgaben von § 23 Abs 3 Nr 5 wirksam. Die Aktiengesellschaft ist auch nicht nichtig, da § 275 Abs 1 Satz 1 Alt 1 keinen Bezug auf die Festlegung auf eine oder beide (Rdn 129) Aktienarten in der Satzung nimmt. Allerdings muss das Registergericht die Aktiengesellschaft unter Hinweis auf eine ansonsten erfolgende Feststellung eines Mangels der Satzung auffordern, den Mangel zu beheben (§ 399 FamFG). Kommt die Aktiengesellschaft dieser Aufforderung nicht nach, wird nach Ablauf der Frist ein Mangel der Satzung festgestellt (§ 399 Abs 2 FamFG) und die Aktiengesellschaft ist aufgelöst (§ 262 Abs 1 Nr 5, § 399 FamFG). Voraussetzung dafür ist aber, dass die Satzung entgegen § 23 Abs 3 Nr 5 tatsächlich keinerlei Angaben zu der Aktienart macht, da § 399 Abs 1 Satz 1 FamFG ausdrücklich auf das Fehlen einer solchen Bestimmung abstellt. 4. Nachträgliche Umstellung der Aktienart. Das in der Gründungssatzung ausge- 167 übte Wahlrecht (Rdn 148) kann auch später gegenteilig ausgeübt werden. Somit kommt sowohl ein Wechsel von Inhaber- zu Namensaktien (Rdn 168 ff) als auch ein Wechsel von Namens- zu Inhaberaktien (Rdn 172 ff) in Betracht. a) Umstellung von Inhaber- auf Namensaktien. Ein Wechsel von Inhaber- zu Na- 168 mensaktien ist in drei Fällen, nämlich bei einem Fortfall der Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 bei einem Delisting (Rdn 169), der Aufhebung der Verwahrung der Sammelurkunde (Rdn 170) und bei einer freiwilligen Umstellung (Rdn 171) denkbar. Keine Regelung enthält Abs 1 Satz 2 Nr 1 – im Gegensatz zum österreichischen Recht 169 (Rdn 20) – für den Fall eines Rückzugs von der Börse (delisting). Da nach einem solchem Rückzug die Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 Nr 1 nicht mehr vorliegen, müssen die emittierten Inhaberaktien in Namensaktien umgewandelt werden, soweit nicht auch
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Mock AG 2016, 261, 265 f. AA und einen Schaden ablehnend Schüppen/Tretter WPg 2012, 338, 340; dies WPg 2015, 643, 646. Dazu Mock AG 2016, 261, 266.
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die Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 Nr 2 (Rdn 134) erfüllt werden.247 Dazu ist eine Satzungsänderung erforderlich, womit vor dem Hintergrund der durch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie248 ausdrücklich nicht mehr vorgesehenen Hauptversammlungszuständigkeit für das Delisting (§ 39 Abs 2 BörsG) ein nicht unerheblicher Mehraufwand verbunden ist. Eine Satzungsänderung ist auch dann erforderlich, wenn von der Möglichkeit der Sammelverwahrung im Sinne von Abs 1 Satz 2 Nr 2 (Rdn 134) Gebrauch gemacht wurde, da die Satzungsregelung zu den Inhaberaktien (§ 23 Abs 3 Nr 5) dann immer noch unrichtig ist, soweit die Satzung nicht beide Aktienarten zulässt. Aufgrund der Treuepflicht besteht für die Aktionäre dabei eine Zustimmungspflicht.249 Fehlt es bei einem Delisting an einer entsprechenden Satzungsänderung, kommt es hinsichtlich der weiteren Behandlung der Inhaberaktien zur Anwendung von Abs 1 Satz 3 (Rdn 140 f). Aufgrund der fehlenden Erfassung von § 23 Abs 3 Nr 5 durch § 275 Abs 1 und § 399 Abs 1 FamFG kann eine Satzungsänderung vom Handelsregister aber nicht erzwungen werden (Rdn 156, 160).250 Zudem sind die bereits emittierten Inhaberaktien unrichtig und müssen gegen Ausgabe neuer Namensaktien umgetauscht und gegebenenfalls für kraftlos erklärt werden (§ 73).251 Die praktische Bedeutung dieser Frage ist allerdings äußerst gering, da bei der (vorherigen) Börsennotierung in der Regel keine Einzelverbriefung erfolgt. 170 Kommt es zu einer Aufhebung der Hinterlegung der Sammelurkunde (Rdn 134) oder zur Aufhebung des Ausschlusses des Anspruchs auf Einzelverbriefung (Rdn 135), muss ebenfalls eine Umstellung auf Namensaktien durch eine Satzungsänderung vorgenommen werden. Die ausgegebenen Aktien sind dann wie Namensaktien zu behandeln (Abs 1 Satz 3 – Rdn 140 f). Ein satzungsändernder Hauptversammlungsbeschluss zur Aufhebung des Ausschlusses des Anspruchs auf Einzelverbriefung ohne gleichzeitige Umstellung auf Namensaktien ist nach § 241 Nr 3 Alt 2 nichtig.252 Schließlich kann eine freiwillige Umstellung auf Namensaktien erfolgen, wofür 171 dann lediglich ein satzungsändernder Beschluss und keine individuelle Zustimmung der Aktionäre erforderlich ist.253 Durch die bloße Satzungsänderung ändert sich aber nicht der jeweilige Wertpapiercharakter der Aktie.254 Allerdings tritt durch die Satzungsänderung bereits die Änderung ein, so dass die Aktienurkunde unrichtig wird. Diese muss dann umgetauscht oder kann für kraftlos (§ 73) erklärt werden.255 172
b) Umstellung von Namens- auf Inhaberaktien. Die Umstellung von Namens- auf Inhaberaktien ist weitaus schwieriger, da Inhaberaktien nur unter den Voraussetzungen
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247 Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2012, BR-Drucks 852/11, S 10; Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BT-Drucks 18/4349, S 17; Mock AG 2016, 261, 267; Müller-Eising GWR 2014, 229, 230; Griogleit/Vedder Rdn 15; Götze/Arnold/Carl NZG 2012, 321, 323. 248 Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie vom 20.11.2015, BGBl I, S 2029. 249 Mock AG 2016, 261, 267. 250 Mock AG 2016, 261, 267. 251 Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2012, BR-Drucks 852/11, S 10; Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BT-Drucks 18/4349, S 17; Götze/Arnold/Carl NZG 2012, 321, 322 f; Merkner/Schmidt-Bendun DB 2012, 98, 99; Mock AG 2016, 261, 267; Seibert/Böttcher ZIP 2012, 12, 14; Grigoleit/Vedder Rdn 15. 252 Mock AG 2016, 261, 267 f. 253 OLG Hamburg v 3.7.1970 – 11 U 29/70, AG 1970, 230; Huep WM 2000, 1623, 1624; Maul NZG 2001, 585, 588; Mock, AG 2016, 261, 268; Noack FS Bezzenberger, 2000, S 291, 302 ff; von Rosen/Seibert/Than/ Hannöver Die Namensaktie, S 279, 293; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 15; von Rosen/Seibert/Zätzsch Die Namensaktie, S 257, 259 ff; aA KK/Kraft2 § 24 Rdn 18. 254 OLG Hamburg v 3.7.1970 – 11 U 29/70, AG 1970, 230; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 15. 255 Noack FS Bezzenberger, 2000, S 291, 307; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 15.
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von Abs 1 Satz 2 (Rdn 132 ff) ausgegeben werden dürfen, was die Frage aufwirft, welche Rechtsfolgen eine fehlende Erfüllung der Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 (Rdn 132 ff) hat. i) Erfüllung der Vorgaben von Abs 1 Satz 2. Zunächst ist auch bei der Umstellung 173 von Namens- auf Inhaberaktien – neben der Erfüllung der Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 (Rdn 132 ff) – eine Satzungsänderung erforderlich, soweit die Satzung nicht beide Aktienarten zulässt. Einer individuellen Zustimmung der Aktionäre bedarf es für die Umstellung nicht.256 Die nach bisheriger Rechtslage bestehende Möglichkeit der Schaffung eines Anspruchs des Aktionärs in der Satzung auf Umtausch der Namens- in Inhaberaktien existiert nach der neuen Rechtslage nicht mehr, da § 24 durch die Aktienrechtsnovelle 2016 (Rdn 11) ersatzlos aufgehoben wurde. Soweit die Satzung eine solche Regelung vorsieht, ist diese aufgrund des Verstoßes gegen § 23 Abs 5 nichtig. ii) Fehlende Erfüllung der Vorgaben von Abs 1 Satz 2. Werden nach der Satzungs- 174 änderung die Vorgaben von Abs 1 Satz 2 nicht erfüllt, muss hinsichtlich der Auswirkungen zwischen der Nichtigkeit des satzungsändernden Hauptversammlungsbeschlusses (Rdn 175), der Ablehnung der Eintragung und Löschung der Satzungsänderung (Rdn 176 f), den Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien (Rdn 178), einem möglichen Anspruch der Aktionäre auf Börsennotierung oder Hinterlegung (Rdn 179) und einer Haftung der Organmitglieder (Rdn 180) unterschieden werden. (1) (Keine) Nichtigkeit des satzungsändernden Hauptversammlungsbeschlus- 175 ses. Ein satzungsändernder Beschluss zur Ausgabe von Inhaberaktien trotz Fehlens der Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 (Rdn 132 ff) soll – ausweislich der Gesetzesbegründung257 – nach § 241 Nr 3 Alt 2 nichtig sein, da die grundlegende Beschränkung auf Namensaktien in Abs 1 im öffentlichen Interesse erfolgt (Rdn 4). Allerdings kann dies nicht uneingeschränkt gelten, da im Zeitpunkt der Satzungsänderung die Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 – ebenso wie bei der Gründung der Aktiengesellschaft (Rdn 156) – nicht ohne weiteres erfüllt werden können. Daher kann eine Nichtigkeit nicht für den Fall angenommen werden, dass ein Antrag auf Börsenzulassung bereits gestellt wurde oder tatsächlich absehbar ist.258 Beabsichtigt die Aktiengesellschaft keine Börsenzulassung ist eine Nichtigkeit nach § 241 Nr 3 Alt 2 gegeben, wenn der Anspruch auf Einzelverbriefung nicht bereits ausgeschlossen (Rdn 135) oder mit dem entsprechenden satzungsändernden Hauptversammlungsbeschluss verbunden wurde, da sonst eine erneute Satzungsänderung erforderlich wäre. 259 Eine bereits erfolgte Hinterlegung ist hingegen keine Voraussetzung, da eine dann anzunehmende Nichtigkeit über die vom Gesetzgeber beabsichtigte Beschränkung der Ausgabe von Inhaberaktien hinausgehen würde.260 (2) (Ablehnung der) Eintragung und Löschung der Satzungsänderung. Die Sat- 176 zungsänderung darf nicht im Handelsregister eingetragen werden, wenn die Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 (Rdn 132 ff) nicht vorliegen. Daher ist ein entsprechender Antrag
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256 Mock AG 2016, 261, 266. 257 Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2012, BR-Drucks 852/11, S 11; Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BT-Drucks 18/4349, S 18; dem folgend Götze/Arnold/Carl NZG 2012, 321, 322; Merkner/Schmidt-Bendun DB 2012, 98, 99; Schmidt-Bendun DB 2015, 419, 420; Söhner ZIP 2016, 151, 152. 258 Mock AG 2016, 261, 266. 259 Mock AG 2016, 261, 266. 260 Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2012, BR-Drucks 852/11, S 11; Begr RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BT-Drucks 18/4349, S 18; Mock AG 2016, 261, 266.
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abzulehnen. Jedoch muss eine Eintragung erfolgen, wenn ein Antrag auf Börsenzulassung bereits gestellt wurde oder die demnächst erfolgende Beantragung glaubhaft gemacht wird und der Anspruch auf Einzelverbriefung (Rdn 135) ausgeschlossen ist.261 Kommt es trotz des Fehlens dieser Voraussetzungen zur Eintragung, ist die Satzungsänderung zunächst wirksam. Allerdings kann bis zum Eintritt der Heilung nach § 242 Abs 2 eine Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss erhoben werden. 177 Ebenso kann eine Amtslöschung des satzungsändernden Beschlusses der Hauptversammlung nach § 241 Nr 6, § 398 FamFG erfolgen, da auch in diesem Zusammenhang ein öffentliches Interesse (Rdn 4) besteht.262 178
(3) Auswirkungen auf die ausgegebenen Aktien. Kommt es trotz des Fehlens der Voraussetzungen von Abs 1 Satz 2 (Rdn 132 ff) zur Ausgabe von Inhaberaktien, sind diese wirksam und die Mitgliedschaftsrechte an der Aktiengesellschaft entstanden (Rdn 140 f.). Allerdings kommt dann für den Fall einer geplanten Hinterlegung der Sammelurkunde über Abs 1 Satz 3 (Rdn 140 f) § 67 zur Anwendung, so dass die Inhaberaktien wie Namensaktien zu behandeln sind. Für den Fall der angestrebten Börsennotierung bleibt es hingegen bei einer Behandlung der Inhaberaktien als Inhaberaktien (Rdn 141). Die Aktienurkunden werden allerdings durch die Satzungsänderung nicht unrichtig und müssen auch nicht umgetauscht oder für kraftlos (§ 73) erklärt werden.
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(4) (Kein) Bestehen eines Anspruchs des Aktionärs auf Börsennotierung oder Hinterlegung. Die Durchführung einer Satzungsänderung zur Umstellung von Namens- auf Inhaberaktien begründet für den einzelnen Aktionär keinen Anspruch auf Herstellung einer Börsennotierung oder Vornahme der Hinterlegung der Sammelurkunde (dazu ausführlich Rdn 162).
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(5) Haftung der Verwaltungsmitglieder. Nach der Durchführung der Satzungsänderung zur Umstellung von Namens- auf Inhaberaktien besteht für den Vorstand die Pflicht, die Börsennotierung herbeizuführen oder die Sammelurkunde zu hinterlegen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann eine Schadenersatzpflicht nach § 93 Abs 2 begründen (dazu ausführlich Rdn 163 f). IV. (Teileingezahlte) Namensaktien (Abs 2)
Bei Abs 2 handelt es sich um eine im Interesse der realen Kapitalaufbringung (Rdn 5) bestehende Beschränkung des nach Abs 1 bestehenden Wahlrechts zwischen Inhaber- und Namensaktien (Rdn 129 ff), indem nur Namensaktien ausgegeben werden dürfen, wenn bei der Ausgabe die Einlage noch nicht vollständig geleistet wurde. Der praktische Anwendungsbereich dieser Regelung ergibt sich aus §§ 36 Abs 2, 182 36a Abs 1, wonach die Aktiengesellschaft bereits beim Handelsregister angemeldet werden kann, wenn lediglich ein Viertel des Ausgabebetrags (§ 9 Rdn 31 ff) mit befreiender Wirkung im Sinne von § 54 eingezahlt wurde. Dies setzt allerdings voraus, dass die Satzung überhaupt die Ausgabe von Namensaktien gestattet. Soweit dies nicht der Fall ist, kann im Umkehrschluss aus Abs 2 keine Ausgabe von Inhaberaktien vor der vollständigen Einlageleistung erfolgen.263 Die Aktiengesellschaft ist dann auf die Ausgabe von auf den Namen lautenden Zwischenscheinen (Rdn 196 ff) beschränkt. Auch wenn die Teil181
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Mock AG 2016, 261, 267. Mock AG 2016, 261, 267. Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 73.
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einzahlung in der Konzeption von Abs 2 nur für eine Übergangsphase zwischen Eintragung der Aktiengesellschaft und Ausgabe der Aktien relevant zu sein scheint, kann diese auch über einen längeren Zeitraum fortgeführt werden.264 Vor allem bei Versicherungsgesellschaften dient die Resteinlageforderung häufig der Risikovorsorge, soweit diese nicht als Betriebskapital benötigt wird.265 Folge der unvollständigen Einzahlung ist die Beschränkung der Mitgliedschafts- 183 rechte. So reduzieren sich der Gewinnanspruch (§ 60 Abs 2), das Stimmrecht (§ 134 Abs 2) sowie der Liquidationserlös (§ 271 Abs 3). Die nicht vollständig eingezahlten Aktien stellen aber keine eigenständige Gattung dar.266 Teileingezahlte Namensaktien sind sammelverwahrfähig.267 Schließlich können teileingezahlte Aktien zum Börsenhandel zugelassen werden, wenn die Zulassungsstelle davon ausgeht, dass der Börsenhandel nicht beeinträchtigt und das Publikum auf die fehlende Volleinzahlung im Prospekt oder auf sonstige geeignete Weise hingewiesen wird (§ 5 Abs 2 Nr 1 BörsZulV). 1. Verbot der Ausgabe von Inhaberaktien vor der vollständigen Leistung der Einlage (Abs 2 Satz 1). Nach Abs 2 Satz 1 ist die Ausgabe von Inhaberaktien vor der vollständigen Leistung der Einlage unzulässig. Daher können vor der vollständigen Einlageleistung Namensaktien und auch Zwischenscheine (Rdn 196 f) ausgegeben werden. Dabei ist es – jedenfalls im Rahmen von Abs 2 Satz 1268 – nicht erforderlich, dass überhaupt ein Teil der Einlage geleistet wurde. Bei der Wahl zwischen Namensaktien (Rdn 39 f.) und Zwischenscheinen (Rdn 41 f) kommt dem Vorstand ein Ermessen zu.269 Sieht die Satzung nur die Ausgabe von Inhaberaktien (Rdn 132 ff) vor, dürfen bei einer unvollständigen Leistung der Einlage dennoch Namensaktien ausgegeben werden. Insofern kann nicht angenommen werden, dass durch die Beschränkung auf Inhaberaktien in der Satzung aus Abs 2 ein Verbot abgeleitet werden kann, Aktien vor der vollständigen Einlagenleistung auszugeben.270 Denn letztlich wird das Recht zur Ausgabe von Namensaktien bei unvollständiger Einlageleistung durch Abs 2 ausdrücklich gewährt und kann daher nicht durch eine Satzungsregelung aufgehoben werden. Dem kann auch nicht entgegnet werden, dass statt Namensaktien auch Zwischenscheine ausgegeben werden könnten.271 Maßgeblicher Zeitpunkt im Sinne von Abs 2 Satz 1 ist die Verbriefung der Aktien und nicht die Entstehung der Mitgliedschaft.272 Das Verbot von Abs 2 Satz 1 gilt auch bei Sacheinlagen273, was allerdings nur dann von praktischer Bedeutung ist, wenn man § 36a Abs 2 dahingehend auslegt, dass eine vollständige Leistung der Sacheinlage vor der Anmeldung beim Handelsregister nicht erforderlich ist (dazu ausführlich § 36a Rdn 3 ff). Da die Sacheinlagen in den meisten Fällen auch schon nicht teilbar sind, verbleibt als Anwendungsbereich von Abs 2 Satz 1 lediglich die vollständig fehlende Leistung der Sacheinlage.
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264 Für eine Zulässigkeit RG v 3.4.1912 – I 178/11, Z 79, 174, 176; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 74. 265 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 74; ausführlich dazu Zöllner AG 1985, 19 ff. 266 RG v 31.3.1931 – II 222/30, Z 132, 149, 160; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 74; siehe auch § 11 Rdn 70. 267 MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 47; Garciá Mateos Das neue Recht der Namensaktie, 2005, S 93 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 77. 268 Zu den Vorgaben von § 36 Abs 2, 36a Abs 1 siehe § 36 Rdn 42 ff. und § 36a Rdn 2. 269 RG v 3.4.1912 – I 178/11, Z 79, 174, 177 f; Hüffer/Koch11 Rdn 3. 270 So aber MünchKomm/Heider4 Rdn 53. 271 So aber MünchKomm/Heider4 Rdn 53. 272 Hüffer/Koch11 Rdn 6; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 72. 273 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 41; Hüffer/Koch11 Rdn 6; Hölters/Solveen2 Rdn 16; wohl auch Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 78; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 14; aA noch Baumbach/Hueck Rdn 4; offen lassend MünchKomm/Heider4 Rdn 52.
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2. Angabe von Teilleistungen (Abs 2 Satz 2). Weiterhin muss nach Abs 2 Satz 2 der Betrag der bereits erbrachten Teilleistungen und nicht der noch ausstehenden Teilleistungen in der Aktie angegeben werden.274 Durch diese Angabe soll verhindert werden, dass der Erwerber die Namensaktie im guten Glauben an die vollständige Einlageleistung erwirbt, da dieser in einem solchen Fall für die Resteinlage nicht haftet (Rdn 193). 189 Sofern noch keine Leistung erbracht wurde, muss dies ebenfalls in der Namensaktie angegeben werden. Zwar stellt Abs 2 Satz 2 nur auf erbrachte Teilleistungen ab. Allerdings würde der fehlende Hinweis auf die bisher vollständig nicht erfolgte Einlageleistung Abgrenzungsschwierigkeiten im Verhältnis zur vollständigen Einlageleistung aufwerfen, die gerade nicht in der Aktie angegeben werden muss. Bei Vereinbarung einer Sacheinlage (Rdn 187) muss ebenfalls die Angabe nach 190 Abs 2 Satz 2 gemacht werden. Daher muss auf der Namensaktie bei teilbaren Sacheinlagen der Umfang der bereits erfolgten Leistung angegeben werden.275 Bei unteilbaren Sacheinlagen bleibt insofern nur die Angabe der bisher vollständig nicht erfolgten Einlageleistung (Rdn 187). 3. Folgen von Verstößen. Bei einer fehlenden Beachtung der Vorgaben von Abs 2 bleibt es sowohl im Fall der unzulässigen Ausgabe von Inhaberaktien (Abs 2 Satz 1 – Rdn 184 ff) als auch im Fall des fehlenden Ausweises der bereits geleisteten Einlage (Abs 2 Satz 2 – Rdn 188 ff) bei einer Wirksamkeit der Verbriefung, so dass gerade keine Nichtigkeit eintritt.276 Daher ist auch eine Übertragung inklusive eines gutgläubigen Erwerbs der Aktie möglich.277 Der Gründer bzw Zeichner (Ersterwerber der Aktie) bleibt zur Leistung der (ver192 bleibenden) Einlage verpflichtet. Dieser kann sich insbesondere nicht auf den fehlenden Ausweis der Teilleistungen berufen. Diese Grundsätze gelten auch für einen mittelbar Bezugsberechtigten.278 Bei einer Sacheinlage (Rdn 187) bleibt es bei der subsidiären Bareinlagepflicht des Gründers bzw Zeichners. Bei einer Verbriefung der Aktien entgegen den Vorgaben von Abs 2 und einer an193 schließenden Veräußerung durch den Ersterwerber an einen Folgeerwerber besteht bei einer Gutgläubigkeit des Zweiterwerbers für diesen keine Leistungspflicht.279 Dies gilt auch für den Fall einer Sacheinlageleistung.280 Davon unberührt bleibt allerdings die Verpflichtung des Ersterwerbers, da diese durch die bloße Übertragung der Mitgliedschaft nicht tangiert wird.281 Eine Ausgabe von Aktien entgegen den Vorgaben von Abs 2 stellt eine Pflichtver194 letzung der Vorstandsmitglieder dar und kann daher zu deren Haftung führen (§§ 93 191
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274 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 75. 275 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 14. 276 RG v 29.3.1927 – 247/26, JR 1927, 791 Nr. 1306; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 38; MünchKomm/Heider4 Rdn 55; Hüffer/Koch11 Rdn 7; Hölters/Solveen2 Rdn 17; Grigoleit/Vedder Rdn 10; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 16; aA noch Ritter AktG Rdn 3, der von einer Unwirksamkeit ausgeht. 277 OLG Köln v 8.2.2001 – 14 U 9/99, NZG 2001, 615, 616 = AG 2002, 92; RG v 13.3.1934 – II 225/33, Z 144, 138, 145; MünchKomm/Heider4 Rdn 55. 278 BGH v 5.4.1993 – II ZR 195/91, Z 122, 180, 198 ff = NJW 1993, 1983; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 76. 279 RG v 13.3.1934 – II 225/33, Z 144, 138, 145; OLG Köln v 8.2.2001 – 14 U 9/99, NZG 2001, 615, 616 = AG 2002, 92; BGH v 5.4.1993 – II ZR 195/91, Z 122, 180, 196 ff = NJW 1993, 1983; MünchKomm/Heider4 Rdn 57; Hüffer/Koch11 Rdn 6; Hölters/Solveen2 Rdn 16; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 76; Grigoleit/Vedder Rdn 10; Heidel/Wagner4 Rdn 15; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 15. 280 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 78. 281 Hölters/Solveen2 Rdn 17; Grigoleit/Vedder Rdn 10.
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Abs 3 Nr 4, 116).282 Als Schadensposition kommt vor allem die fehlende Leistungspflicht des gutgläubigen Zweiterwerbers (Rdn 193) in Betracht, sofern der Einlageanspruch nicht gegen den Ersterwerber durchgesetzt werden kann. Eine Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern ist hingegen ausgeschlossen, da diese schon nicht an der Ausgabe von Aktien mitwirken und eine Überwachungspflicht hinsichtlich der Vorgaben von Abs 2 für diese nicht angenommen werden kann.283 Schließlich stellt die Aktienausgabe unter Verletzung der Vorgaben von Abs 2 eine 195 Ordnungswidrigkeit dar (§ 405 Abs 1 Nr 1). V. Ausgabe von Zwischenscheinen (Abs 3 und 4) 1. Inhaltliche Anforderungen an Zwischenscheine. Zwischenscheine dürfen nach 196 Abs 3 nur auf den Namen lauten. Damit soll – ebenso wie bei Abs 2 (Rdn 181 ff) – sichergestellt werden, dass die Aktiengesellschaft für die ausstehende Einlageforderung einen namentlich bekannten und hinreichend konkretisierten Schuldner hat. Damit dient die Beschränkung von Abs 3 letztlich auch der Kapitalaufbringung (Rdn 5). Zwischenscheine, die auf den Inhaber lauten, sind nach Abs 4 Satz 1 nichtig. Die 197 Nichtigkeitsfolge bezieht sich aber nur auf die Verbriefung, so dass die Mitgliedschaft davon unberührt bleibt, die nach §§ 413, 398 BGB übertragen werden kann.284 Nach Abs 4 Satz 2 haften die Ausgeber den Inhabern der Zwischenscheine für den Schaden als Gesamtschuldner. Dieser Schadenersatzanspruch bezieht sich allerdings nur auf den Schaden, der sich daraus ergibt, dass die Zwischenscheine auf den Inhaber ausgestellt wurden und damit nach Abs 4 Satz 1 nichtig sind. Eine darüber hinaus gehende straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Sanktion ist nicht vorgesehen. Zudem müssen bei der Ausgabe von Zwischenscheinen auch die Anforderungen 198 hinsichtlich der Form und der Mindestbeträge (§ 8 Abs 1 bis 5) beachtet werden ( § 8 Abs 6 – siehe dazu ausführlich § 8 Rdn 209 ff). Darüber hinaus muss aus den Zwischenscheinen hervorgehen, dass es sich um solche und nicht um Aktien handelt.285 Die Pflicht zur Angabe von bereits erbrachten Teilleistungen nach Abs 2 Satz 2 besteht für Zwischenscheine nicht.286 Schließlich müssen auch die Zwischenscheine unterzeichnet werden (§ 13 Rdn 9 ff). 2. Ausgabe an Zwischenscheine. Die Ausgabe von Zwischenscheinen steht im 199 pflichtgemäßen Ermessen des Vorstands.287 Ein Anspruch des Aktionärs auf Ausgabe von Zwischenscheinen besteht nicht, kann aber in der Satzung aufgenommen werden.288 Wenn der Aktionär die Einlage vollständig geleistet hat, hat er allerdings einen Anspruch auf Ausgabe der Aktien gegen Ablieferung der Zwischenscheine.289 Für die Übertragung von Zwischenscheinen siehe Rdn 75.
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282 MünchKomm/Heider4 Rdn 56; Hüffer/Koch11 Rdn 7; Hölters/Solveen2 Rdn 17; Grigoleit/Vedder Rdn 10; Heidel/Wagner4 Rdn 15; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 16. 283 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 16; aA Heidel/Wagner4 Rdn 17 unter Verweis auf BGH v 12.5.1977 – II ZR 49/76 WM 1977, 845 = AG 1977, 295 ohne dass sich dies allerdings daraus ableiten lässt. 284 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 42; MünchKomm/Heider4 Rdn 47; Hüffer/Koch11 Rdn 8; Hölters/Solveen2 Rdn 19; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 86. 285 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 88. 286 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 43; Hölters/Solveen2 Rdn 18; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 88. 287 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 87. 288 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 87. 289 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 87.
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§ 10 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
200
3. Rechte und Pflichten der Inhaber von Zwischenscheinen. Da Zwischenscheine die Mitgliedschaft an der Aktiengesellschaft verbriefen, kommen den Inhabern von Zwischenscheinen auch die mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten zu.290 Aufgrund der bei Zwischenscheinen typischerweise nicht vollständig erfolgenden Leistung der Einlage ergeben sich aber einige Beschränkungen hinsichtlich des Umfangs dieser Rechte. So reduzieren sich der Gewinnanspruch (§ 60 Abs 2), das Stimmrecht (§ 134 Abs 2) sowie der Liquidationserlös (§ 271 Abs 3) entsprechend dem Umfang der noch ausstehenden Einlageleistung. Darüber hinaus haftet der Inhaber des Zwischenscheins für die Erbringung der 201 restlichen Einlage. Diese Verpflichtung trifft auch den Zweiterwerber eines Zwischenscheins, da ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb nicht möglich ist.291 VI. Ausschluss des Anspruchs auf Verbriefung der Mitgliedschaft (Abs 5)
202
Schließlich kann nach Abs 5 der Anspruch auf Verbriefung der Mitgliedschaft in der Satzung ausgeschlossen (Rdn 203 f) oder beschränkt (Rdn 205) werden. Dies kann auch nach der Gründung der Aktiengesellschaft im Wege der Satzungsänderung erfolgen (Rdn 203 f).
1. Ausschluss des Anspruchs. Bei einem Ausschluss des Anspruchs auf Verbriefung in der Satzung kann der Aktionär diesen nicht mehr geltend machen. Es wird dann lediglich eine Globalurkunde erstellt und die Mitgliedschaft für alle Aktionäre in dieser verbrieft (Rdn 52). Zur Globalurkunde siehe ausführlich Rdn 52 f. Durch den Ausschluss des Anspruchs auf Verbriefung in der Satzung kann nur die 204 Einzel- und nicht auch die Globalverbriefung ausgeschlossen werden. Dieser Anspruch des Aktionärs besteht trotz einer entsprechenden Satzungsregelung fort.292 Dies ergibt sich schon daraus, dass nicht zu erkennen ist, dass der Gesetzgeber den in diesem Zusammenhang relevanten Übergang zum Wertrecht (Rdn 23) tatsächlich vornehmen wollte.293 Allerdings bezieht sich der dahingehende Anspruch des Aktionärs nicht auf ihn individuell, sondern nur auf alle Aktien, so dass der Aktionär keine Globalverbriefung aller seiner Aktien verlangen kann. 203
205
2. Beschränkung des Anspruchs. Neben dem vollständigen Ausschluss des Anspruchs auf Einzelverbriefung (Rdn 203 f) kann dieser auch beschränkt werden. In Betracht kommt dabei eine Verbriefung aller Aktien eines Aktionärs in einer Sammelurkunde294,
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290 MünchKomm/Heider4 Rdn 46; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 90. 291 MünchKomm/Heider4 Rdn 46; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 88. 292 Begr RegE Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BTDrucks 12/6721, S 6; OLG München v 4.5.2005 – 23 U 5121/04, NZG 2005, 756 = AG 2005, 584; Eder NZG 2004, 107, 112; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 12; MünchKommHGB/Einsele3 Depotgeschäft Rdn 57; Gruson AG 2004, 358, 361 (Fn 26); MünchKomm/Heider4 Rdn 60; Hüffer/Koch11 Rdn 3, 10; Maul, NZG 2001, 585, 856; Mentz/ Fröhling NZG 2002, 201, 208; Modlich DB 2002, 671; Mülbert FS Nobbe, 2009, S 691, 697; Seibert DB 1999, 267, 269; Hölters/Solveen2 Rdn 20; Rosen/Seibert/Than/Hannöver Die Namensaktie, S 279, 291; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 83; Griogleit/Vedder Rdn 5; Heidel/Wagner4 Rdn 18; von Rosen/Seibert/Wieneke Die Namensaktie, S 229, 236; aA Noack FS Wiedemann, 2002, S 1141, 1151; Schwennicke AG 2001, 118, 124 f; unklar K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 39. 293 Beschlussfassung und Bericht des RA zum RegE KonTraG KonTraG BT-Drucks 13/10038, S 25; dieser Einschätzung folgend Schwennicke AG 2001, 118, 120; Seibert DB 1999, 267, 269; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 83. 294 Begr RegE Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BTDrucks 12/6721, S 7; Hölters/Solveen2 Rdn 21; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 84; Griogleit/Vedder Rdn 5.
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Aktien besonderer Gattung | § 11
der Ausschluss einer Verbriefung von Aktien mit einem geringen Nennbetrag295 und die Statuierung einer Kostentragungspflicht des den Anspruch geltend machenden Aktionärs296. 3. Nachträglicher Ausschluss. Der Ausschluss oder die Beschränkung des An- 206 spruchs kann auch nach der Gründung durch einen satzungsändernden Beschluss der Hauptversammlung mit einer ¾-Mehrheit (§ 179 Abs 2) herbeigeführt werden. Es bedarf keiner individuellen Zustimmung der Aktionäre, da Abs 5 ausdrücklich auf die Schaffung einer entsprechenden Satzungsregelung abstellt.297 Allerdings muss der Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a) beachtet werden, so dass Differenzierungen bei dem Ausschluss des Anspruchs (Rdn 203 f) sachlich gerechtfertigt sein müssen.298 Eine solche sachliche Rechtfertigung ist etwa bei einem Ausschluss der Verbriefung von Aktien mit einem geringen Nennwert gegeben, da dadurch eine entsprechend umfangreiche Kostenlast für die Aktiengesellschaft begründet wird.299 Anderenfalls ist der satzungsändernde Hauptversammlungsbeschluss anfechtbar (§ 243 Abs 1). Ein nachträglicher Ausschluss des Anspruchs durch die Satzung lässt die Wirksam- 207 keit der bereits ausgegeben Aktienurkunden unberührt.300 Allerdings können diese für kraftlos erklärt werden, ohne dass die Aktionäre einen Anspruch auf Aushändigung oder Hinterlegung einer neuen Urkunde nach § 73 Abs 3 Satz 1 haben.301 § 11 Aktien besonderer Gattung Mock
§ 11 Aktien besonderer Gattung 1 Die Aktien können verschiedene Rechte gewähren, namentlich bei der Verteilung des Gewinns und des Gesellschaftsvermögens. 2 Aktien mit gleichen Rechten bilden eine Gattung.
I.
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Inhalt der Regelung | 1 2. Zweck der Regelung | 2 3. Gesetzesgeschichte | 5 4. Wirtschaftliche Bedeutung | 9 5. Europäisches Recht | 11
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6. 7.
Ausländisches Recht | 14 Verhältnis zu anderen Vorschriften | 17 a) Gleichbehandlungsgebot | 17 b) Gewährung von Sonderrechten (§ 35 BGB) | 18
295 Hölters/Solveen2 Rdn 21; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 84; Griogleit/Vedder Rdn 5; Heidel/Wagner4 Rdn 19. 296 Begr RegE Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts, BTDrucks 12/6721, S 7; BGH v 20.9.2004 – II ZR 288/02, Z 160, 253, 256 ff = NJW 2004, 3561; MünchKomm/ Heider4 Rdn 62; Hüffer/Koch11 Rdn 11; Lutter FS Vieregge, 1995, S 603, 611; Seibert DB 1999, 267, 269; Hölters/Solveen2 Rdn 21; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 84; Heidel/Wagner4 Rdn 19. 297 Harbarth AG 2004, 573, 583; MünchKomm/Heider4 Rdn 61; Huep WM 2000, 1623, 1624; Hüffer/Koch11 Rdn 12; Kölling NZG 2000, 631, 634; Maul NZG 2001, 585, 588; Noack FS Bezzenberger, 2000, S 291, 305 ff; Seibert DB 1999, 267, 268; Hölters/Solveen2 Rdn 22; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 80; Griogleit/Vedder Rdn 5; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 38, 41; zweifelnd KK/Dauner-Lieb3 Rdn 13; Heidel/Wagner4 Rdn 18. 298 Hüffer/Koch11 Rdn 12; Seibert DB 1999, 267, 268; Hölters/Solveen2 Rdn 22; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 80; Griogleit/Vedder Rdn 5; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 38; im Ergebnis auch Heidel/Wagner4 Rdn 19. 299 Griogleit/Vedder Rdn 5. 300 Seibert DB 1999, 267, 268 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 81; Griogleit/Vedder Rdn 6. 301 OLG Celle v 5.2.2003 – 16 VA 4/02, NdsRpfl 2003, 217; Seibert DB 1999, 267, 269; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 81; Griogleit/Vedder Rdn 6.
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§ 11 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
c)
II.
Verbot von Mehrstimmrechtsaktien (§ 12 Abs 2) | 20 d) Sonderregelungen für bestimmten Arten von Aktiengesellschaften | 21 8. (Fehlende) Disponibilität | 22 Gewährung verschiedener Rechte (Satz 1) | 23 1. Bestimmung des Regelungsgehalts von Satz 1 | 24 2. Materielle Schranken für die Gestaltungsfreiheit | 27 a) Umfang der gewährten Rechte | 28 b) Art der gewährten Rechte | 29 3. Schaffung verschiedener Rechte | 32 a) Gründung der Aktiengesellschaft | 33 b) Nachträgliche Änderung und Einführung verschiedener Rechte | 34 i) (Einfache) Satzungsänderungen | 35 ii) Kapitalerhöhung | 38 iii) Kapitalherabsetzung | 44 iv) Spezialgesetzliche Sonderfälle | 45
4.
III.
Zuzahlungen von Aktionären zur Gewährung besonderer Rechte | 46 5. Einzelne Rechte | 48 a) Vermögensrechte | 49 b) Verwaltungsrechte | 53 c) Gläubigerrechte | 57 6. Aufhebung und Änderung der einzelnen Rechte | 58 Bildung von Aktiengattungen (Satz 2) | 59 1. Gattungsspezifische Gefährdungslage als Ausgangspunkt | 60 2. Konkrete Voraussetzungen für das Bestehen einer Aktiengattung | 62 a) Gattungsbegründende Rechte | 63 b) Gattungsbegründende Pflichten | 65 c) Keine Gattung begründenden Rechte und Pflichten | 66 3. Entstehung und Begründung von Aktiengattungen | 73 4. Folgen des Bestehens verschiedener Gattungen | 75 5. Veränderung von Aktiengattungen | 80 6. Aufhebung von Aktiengattungen | 81
Schrifttum Baums Spartenorganisation, „Tracking Stock“ und deutsches Aktienrecht, FS Boujong, 1996, S 19; Brauer Die Zulässigkeit der Ausgabe von sog. „Tracking Stocks“ durch Aktiengesellschaften nach deutschem Aktienrecht, AG 1993, 324; Cichy/Heins Tracking Stocks: Ein Gestaltungsmittel für deutsche Unternehmen (nicht nur) bei Börsengängen, AG 2010, 181; Fischer Aktienklassen einer Investmentaktiengesellschaft, NZG 2007, 133; Fleischer Investor Relations und informationelle Gleichbehandlung im Aktien-, Konzern- und Kapitalmarktrecht, ZGR 2009, 505; Friedl Ein Plädoyer für Tracking Stocks, BB 2002, 1157; Fuchs Aktiengattungen, Sonderbeschlüsse und gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, FS Immenga, 2004, S 589; ders Tracking Stock – Spartenaktien als Finanzierungsinstrument für deutsche Aktiengesellschaften, ZGR 2003, 167; Grussendorf Über den Begriff der Aktiengattung, AG 1959, 152; Jung/Wachtler Die Kursdifferenz zwischen Stamm- und Vorzugsaktien, AG 2001, 513; Loges/Distler Gestaltungsmöglichkeiten durch Aktiengattungen, ZIP 2002, 567; Noack Aktien – Gattungen, Verbriefung, Übertragung, in: Bayer/Habersack Aktienrecht im Wandel – Band II, 2007, S 510; Pellens/Hillebrandt Vorzugsaktien vor dem Hintergrund der Corporate Governance Diskussion, AG 2001, 57; Polte Aktiengattungen, 2005; Senger/ Vogelmann Die Umwandlung von Vorzugsaktien in Stammaktien, AG 2002, 193; Sethe Aktien ohne Vermögensbeteiligung?, ZHR 162 (1998), 474; Sieger/Hasselbach Tracking Stock im deutschen Aktienrecht, BB 1999, 1277; dies „Tracking Stock“ im deutschen Aktien- und Kapitalmarktrecht, AG 2001, 391; Tonner Zulässigkeit und Gestaltungsmöglichkeiten von Tracking Stocks nach deutschem Aktienrecht, IStR 2002, 317; Wälzholz Besonderheiten der Satzungsgestaltung bei der Familien-AG, DStR 2004, 779 und 819.
I. Grundlagen 1
1. Inhalt der Regelung. Durch Satz 1 wird die Ausgabe von Aktien mit verschiedenen Rechten gestattet und damit im Grundsatz eine dahingehende Gestaltungsfreiheit Mock
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Aktien besonderer Gattung | § 11
eröffnet, was einerseits vor dem Hintergrund der Satzungsstrenge (§ 23 Abs 5 – Rdn 173 ff) und dem damit verbundenen Standardisierungsgedanken und andererseits wegen des Gleichbehandlungsgebots (§ 53 a) nicht selbstverständlich ist. Darüber hinaus wird durch Satz 2 der Begriff der Gattung definiert. 2. Zweck der Regelung. Durch die Gestattung der Gewährung verschiedener Rechte 2 in Satz 1 wird ein Gestaltungsspielraum gewährt, so dass die Aktien an die verschiedenen wirtschaftlichen Begebenheiten und Notwendigkeiten angepasst werden können.1 Mit der Bildung von Gattungen nach Satz 2 soll einer endlosen Zersplitterung aller 3 Aktien (mit gleichen Rechten und Pflichten (Rdn 59 ff) entgegengewirkt werden.2 Dabei beschränkt sich der eigentliche Regelungsgehalt von Satz 2 auf die Bildung von Gattungen und regelt daher nicht die Folgen. Diese ergeben sich vielmehr erst aus verschiedenen Regelungszusammenhängen (Rdn 75 ff). Allerdings müssen diese Regelungen auch schon bei der Bildung der Gattungen in den Blick genommen werden, da eine Gattung nur dann gebildet werden kann, wenn eine gattungsspezifische Gefährdungslage (Rdn 60 f) vorliegt. Die beiden Regelungsaspekte von Satz 1 (Rdn 23 ff) und Satz 2 (Rdn 59 ff) stehen in 4 einem unmittelbaren Zusammenhang, unterscheiden sich aber grundsätzlich. Nicht jedes durch die Aktie gewährte Recht begründet zwangsläufig eine eigene Aktiengattung. 3. Gesetzesgeschichte. Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Ak- 5 tiengattungen ist ein Phänomen, das bereits in den Anfängen des Aktienrechts aufgetreten ist.3 Eine normative Erfassung haben die Aktiengattungen erstmals in Art 209a Nr 4 ADHGB4 im Rahmen der 2. Aktienrechtsnovelle von 18845 erfahren, wonach ausdrücklich die Möglichkeit der Ausgabe von Aktien mit verschiedenen Rechten gestattet war, was eine ausdrückliche Festsetzung im Gesellschaftsvertrag erforderte. Als gattungsprägende Unterschiede wurden dabei die Beteiligung an den Zinsen und den Dividenden sowie am Gesellschaftsvermögen genannt. Hintergrund dieser Regelung war die Schaffung einer hinreichenden Transparenz über die verschiedenen Aktiengattungen, die durch die Festsetzung im Gesellschaftsvertrag erreicht werden sollte. Dadurch konnten zum einen die Anleger die existierenden verschiedenen Gattungen der Aktien ohne weiteres ermitteln und zum anderen eine Schaffung neuer Aktiengattungen ohne Beteiligung der Aktionäre verhindert werden.6 Insofern zielte die Regelung des Art 209a Nr 4 ADHGB auf den Anlegerschutz ab.
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1 MünchKomm/Heider4 Rdn 3; NK-AktG/Wagner4 Rdn 2. 2 Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 98 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 24). 3 Vgl dazu die Darstellung in der Allgemeinen Begründung des Gesetzes betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S 421. 4 Art 209a ADHGB lautete: „Der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag bedürfen Bestimmungen, nach welchen … 4. für einzelne Gattungen von Aktien verschiedene Rechte, insbesondere betreffs der Zinsen oder Dividenden oder des Antheils am Gesellschaftsvermögen, gewährt werden; …“. 5 Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften v 31.7.1884, RGBl 123. 6 So ausdrücklich Allgemeine Begründung des Gesetzes betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff Hundert Jahre modernes Aktienrecht, S 422.
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An diesem Konzept hielt auch der Gesetzgeber des HGB von 1897 fest und schuf mit § 185 HGB 18977 eine weitgehend übereinstimmende Regelung, wonach ausdrücklich die Möglichkeit der Ausgabe von Aktien mit verschiedenen Rechten gestattet war. Als gattungsprägende Unterschiede wurden dabei beispielhaft8 die Verteilung des Gewinns und des Gesellschaftsvermögens genannt. Auch im Rahmen der Aktienrechtsreform 19379 wurde an diesem Grundsatz durch 7 die Schaffung eines sprachlich leicht veränderten § 1110 festgehalten. Allerdings verzichtete der Gesetzgeber – im Gegensatz zu der Rechtslage bei den Vorgängerregelungen (Rdn 5 f) – darauf, die Festsetzung in der Satzung ausdrücklich zu benennen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass dieser Aspekt im Rahmen von § 16 Abs 3 Nr 4 AktG 1937 geregelt wurde und daher keine Notwendigkeit an einer nochmaligen Nennung in § 11 AktG 1937 bestand. Im Rahmen der Aktienrechtsreform 196511 wurde die Regelung des § 11 AktG 1937 8 als sprachlich unzureichend empfunden und an die heutige Formulierung angepasst, womit stärker zum Ausdruck kommen sollte, dass die Verschiedenheit der Rechte das Unterscheidungsmerkmal der Gattungen ist.12 Die Norm ist seitdem unverändert. 4. Wirtschaftliche Bedeutung. Von den durch § 11 eingeräumten Gestaltungsmöglichkeiten wird im deutschen Aktienrecht vor allem im Zusammenhang mit stimmrechtslosen Vorzugsaktien (§§ 139 ff) Gebrauch gemacht. Dabei ist allerdings zu beobachten, dass diese Option im Wesentlichen von nicht börsennotierten Aktiengesellschaften genutzt wird. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Trennung von Kapitalund Stimmrechtsbeteiligung eine Reihe von Corporate-Governance-Problemen aufwirft, die von einem theoretischen Blickpunkt zu negativen Kursentwicklungen auf Kapitalmärkten führen.13 Große Bedeutung haben die stimmrechtslosen Vorzugsaktien zudem bei Familienunternehmen.14 Andere Unterschiede sind hingegen eher selten und meist nur in Sonderkonstella10 tionen anzutreffen. So wird etwa bei gemeinnützigen Aktiengesellschaften die Ausgabe von Aktien ohne Vermögensbeteiligung erwogen.15 Darüber hinaus werden bei Start Ups häufig Aktien an externe Investoren ausgegeben, die neben Vorrechten bei der Vermögens- und Gewinnbeteiligung auch einen besonderen Einfluss auf die Geschäftsleitung ermöglichen (sogenannte Preferred Shares – Rdn 64).16 Keine tatsächliche Bedeutung konnten hingegen die sogenannten Tracking Stocks erlangen, bei denen sich die Vermögens- und Gewinnbeteiligung nur auf eine bestimmte Sparte der Aktiengesellschaft beschränkt (dazu ausführlich § 8 Rdn 79). 9
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7 § 185 HGB 1897 lautete: „Im Gesellschaftsvertrage können für einzelne Gattungen von Aktien verschiedene Rechte, insbesondere in Betreff der Vertheilung des Gewinns oder des Gesellschaftsvermögens, festgesetzt werden.“. 8 Für einen fehlenden abschließenden Charakter vgl nur Bing in: Düringer/Hachenburg, HGB, 3. Aufl 1934, § 185 Rdn 16. 9 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) v 30.1.1937 (RGBl I, 107). 10 § 11 AktG 1937 lautete: „Einzelne Gattungen von Aktien können verschiedene Rechte haben, namentlich bei der Verteilung des Gewinns und des Gesellschaftsvermögens.“ 11 Aktiengesetz vom 6.9.1965, BGBl I, S 1089. 12 Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 98 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 24). 13 Fuchs FS Immenga, 2004, S 589, 590 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 2. 14 Fuchs FS Immenga, 2004, S 589, 590 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 2. 15 Dazu Sethe ZHR 162 (1998), 474 ff (für den Fall der Fußball-AG). 16 Vgl dazu etwa Loges/Distler ZIP 2002, 467, 469 ff; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 2.
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5. Europäisches Recht. Die Einräumung unterschiedlicher Rechte und die Bildung 11 von Aktiengattungen ist auch im europäischen Gesellschaftsrecht ein zentraler Anknüpfungspunkt. So schreibt die Kapitalschutzrichtlinie17 vor, dass die Satzung der Aktiengesellschaft bei Bestehen mehrerer Aktiengattungen diese nennen und Angaben zu deren Anzahl und etwaigen Übertragungsbeschränkungen machen muss (Art 3 lit e) Kapitalschutzrichtlinie). Zudem bedürfen Kapitalmaßnahmen eines Sonderbeschlusses einer Aktiengattung, wenn deren Rechte durch die Kapitalerhöhung berührt werden (Art 29 Abs 3, 35, 42 Kapitalschutzrichtlinie). Weiterhin besteht ein Mitgliedstaatenwahlrecht, das Bezugsrecht nur einer einzelnen Gattung bzw einzelnen Gattungen vorrangig einzuräumen (Art 33 Abs 2 lit b) Kapitalschutzrichtlinie). Der tatsächliche Einfluss dieser Regelungen ist allerdings äußerst gering.18 Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass es sich bei den Vorgaben der Kapitalschutzrichtlinie lediglich um Mindest-, aber nicht um Höchststandards handelt19, so dass es dem deutschen Aktienrecht unbenommen ist, von den Vorgaben insbesondere durch einen umfangreicheren Schutz der Aktionäre abzuweichen (Rdn 75 ff). Zudem mangelt es den Vorschriften der Kapitalschutzrichtlinie an einer Definition des Gattungsbegriffs, so dass die tatsächliche Reichweite der Regelungen unklar bleibt20, zumal der Begriff aus dem Europarecht selbst heraus und ohne Rückgriff auf das nationale Aktienrecht auszulegen ist. Der European Model Companies Act (EMCA) sieht ebenfalls verschiedene Aktien- 12 gattungen (classes of shares) vor (Chapter 5 Sec 8), die dann entstehen, wenn die Aktien nicht identische Rechte gewähren.21 Individual-vertraglich gewährte Rechte sollen hingegen keine Gattung begründen. Hinsichtlich der Änderungen von Rechten, die nur einzelne Aktiengattungen betreffen, muss neben einer satzungsändernden Mehrheit auch jede einzelne Aktiengattung mehrheitlich zustimmen (Chapter 5 Sec 9 subs 1). Bei diesen Abstimmungen besteht eine umfassende Berichtspflicht für die Geschäftsleitung und ggf die Pflicht zur Einschaltung externer Prüfer (Chapter 5 Sec 9 subs 2). Diese Grundsätze gelten auch für den Fall der Einführung einer neuen Aktiengattung (Chapter 5 Sec 9 subs 3). Die Ausgabe einer unterschiedlichen Anzahl von Aktien jeder Aktiengattung ist grundsätzlich zulässig und bedarf nur dann der oben genannten Zustimmungs- und Kontrollerfordernisse, wenn die Abweichung unangemessen hoch ist.22 Für die Europäische Aktiengesellschaft gibt es für die in § 11 normierten Grundsät- 13 ze keine Entsprechung in der SE-VO. Daher findet für die Europäische Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland § 11 uneingeschränkte Anwendung (Art 5 SE-VO).23 6. Ausländisches Recht. Die europäischen Aktienrechte gestatten in der Regel 14 die Ausgabe von Aktien mit verschiedenen Rechten, die dann meist eigene Gattungen bilden. Ähnlich wie auch im deutschen Recht müssen (Rdn 32) die unterschiedlichen
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17 Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, ABl EG Nr L 315 v 14.11.2012, S 74 ff. 18 Ähnlich in der Einschätzung MünchKomm/Heider4 Rdn 2; Hölters/Solveen2 Rdn 1. 19 Zu dieser Problematik Habersack/Verse Europäisches Gesellschaftsrecht, § 6 Rdn 5. 20 Ebenso Lutter/Bayer/Schmidt Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, S 538. 21 Vgl dazu Perakis, ECFR 2016, 200, 204 f. 22 Vgl dazu Perakis, ECFR 2016, 200, 204 f. 23 Spindler/Stilz/Casper3 Art 5 SE-VO Rdn 2; Schwarz Art 5 Rdn 47 f; KK-AktG/Wenz2 Art 5 Rdn 27; Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Ziemons2 Art 5 Anh I Rdn 19.
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Rechte in der Satzung festgesetzt und näher beschrieben werden (Art L 228-7 ff Code de Commerce [Frankreich]24, Art 2328 Codice Civile [Italien], Sec 629 Companies Act 2006 [Vereinigtes Königreich]25). Die Rechtslage in Österreich entspricht weitestehend der deutschen, da § 11 öAktG 15 mit Satz 1 wörtlich übereinstimmt. Insofern fehlt es zwar an einer Satz 2 (Rdn 59 ff) entsprechenden Regelung. Allerdings bilden Aktien mit gleichen Rechten auch im österreichischen Aktienrecht eine Gattung.26 Auch das schweizerische Aktienrecht gestattet die Ausgabe von Aktien mit unterschiedlichen Rechten und bildet insofern Aktienkategorien, für die allerdings jeweils ein Vertreter einen Sitz im Verwaltungsrat haben muss (Art 709 OR).27 In den Vereinigten Staaten können nach den einzelstaatlichen Gesellschaftsrech16 ten ebenfalls Aktien mit verschiedenen Rechten ausgegeben werden (sogenannte classes of shares)28, wovon in der gesellschaftsrechtlichen Praxis auch umfangreich Gebrauch gemacht wird.29 Diese verschiedenen Aktiengattungen müssen in der Satzung (charter) bezeichnet und im Einzelnen beschrieben werden.30 Sofern die Satzung keine Regelung über die Einziehung oder Aufhebung der Rechte enthält, kann dies meist nur mit Zustimmung der Inhaber der Aktien erfolgen. Darüber hinaus werden die Aktiengattungen oftmals noch in einzelne series zerlegt31, die vom board of directors je nach Kapitalbedarf der Gesellschaft (nacheinander) ausgegeben werden können, womit es sich letztlich eher um einen Aspekt der Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft handelt. 7. Verhältnis zu anderen Vorschriften 17
a) Gleichbehandlungsgebot. Der in § 53a normierte Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen steht mit Satz 1 nicht in Widerspruch, sondern baut vielmehr tatbestandlich auf diesem auf. Denn mit unterschiedlichen Ausgestaltung der Aktien entfällt schon die Notwendigkeit einer Gleichbehandlung.32 Das Gebot der Gleichbehandlung kommt erst dann zur Anwendung, wenn die Gesellschaftsorgane die Aktionäre außerhalb der ihnen unterschiedlich gewährten Rechte und ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandeln.33 Die gilt vor allem für die Begründung oder Änderung neuer (verschiedener) Rechte (Rdn 33 ff).
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b) Gewährung von Sonderrechten (§ 35 BGB). In einem gewissen Spannungsverhältnis steht § 11 zu § 35 BGB, wonach Sonderrechte eines Mitglieds (eines Vereins) nicht ohne dessen Zustimmung durch einen Beschluss der Mitgliederversammlung beeinträchtigt werden können. Somit regelt § 35 BGB den Aspekt der individuellen Zu-
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24 Dazu etwa aus dem deutschen Schrifttum Sonnenberger/Dammann Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl 2008, Rdn III 173 ff. 25 Schall/Schall/Günther Companies Act, Sec 629–640 Rdn 3 ff. 26 Vgl dazu nur MünchKomm/Doralt/Diregger3 Rdn 62. 27 Honsell/Vogt/Watter/Wernli Obligationenrecht, 3. Auf 2008, Art 709 Rdn 4. 28 Vgl etwa § 151 Delaware General Corporate Law. 29 Dazu aus dem deutschen Schriftum Merkt US-amerikanisches Gesellschaftrechts, 3. Aufl 2013, Rdn 507 ff. 30 Vgl allgemein § 2.02 (b)(vi) RMBCA; vgl auch § 102 (a)(4) Delaware General Corporate Law. 31 § 6.02 RMBCA; vgl auch § 151 Delaware General Corporate Law; dazu Merkt US-amerikanisches Gesellschaftrechts, 3. Aufl 2013, Rdn 517. 32 Ähnlich KK/Dauner-Lieb3 Rdn 2; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 15; Hölters/Solveen2 Rdn 2; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 1, 6; Griogleit/Vedder Rdn 1; NK-AktG/Wagner4 Rdn 4; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 1. 33 OLG Hamm v 31.3.2008 – 8 U 222/07, NZG 2008, 914, 915 = AG 2008, 552; Hüffer/Koch11 Rdn 2.
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stimmung bei einer Beeinträchtigung von (Sonder-)Rechten eines Mitglieds, verhält sich aber nicht zu der Frage, ob auch ein Sonderbeschluss dafür ausreichend ist. Da letzterer Aspekt aber in den auf dem Tatbestandsmerkmal Gattung aufbauenden Vorschriften vorgesehen ist, bleibt § 35 BGB insofern jedenfalls aus aktienrechtlicher Sicht unvollständig. Insofern kann es bei einer Anwendung von § 35 BGB im Aktienrecht immer nur um die Frage gehen, ob neben dem aktienrechtlichen Schutz der Aktionäre durch das Erfordernis eines Sonderbeschlusses (Rdn 78) zusätzlich auch eine individuelle Zustimmung der Aktionäre erforderlich ist.34 Für die Begründung dieses Zustimmungserfordernisses ist eine Anwendung von § 35 BGB aber nicht zwingend erforderlich, da sich dieses auch aus dem allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz ableiten lässt, dass bestehende Rechte grundsätzlich nicht ohne die Zustimmung des Inhabers dieser Rechte verändert oder aufgehoben werden dürfen. Daher findet § 35 BGB im Aktienrecht keine Anwendung.35 Dies gilt auch für den Fall, dass in der Satzung individuelle und nicht auf der Mit- 19 gliedschaft basierende Rechte eingeräumt werden, da es sich dann auch schon nicht um Sonderrechte im Sinne von § 35 BGB handelt.36 c) Verbot von Mehrstimmrechtsaktien (§ 12 Abs 2). Die in Satz 1 vorgesehene Ge- 20 staltungsfreiheit erfährt vor allem durch § 12 Abs 2 eine Einschränkung in Form des Verbots von Mehrstimmrechtsaktien (§ 12 Rdn 67 ff). Insofern handelt es sich bei § 12 Abs 2 gegenüber Satz 1 um eine Spezialregelung. d) Sonderregelungen für bestimmten Arten von Aktiengesellschaften. Von dem 21 in § 11 normierten Grundsatz wird für bestimmte Arten von Aktiengesellschaften teilweise abgewichen. So besteht eine Ausnahme bei der REIT-AG, bei der nur eine Gattung stimmrechtsberechtigter Aktien gebildet werden darf (§ 5 Abs 1 REITG). Zudem müssen bei Investmentaktiengesellschaften die beiden Gattungen Unternehmens- und Anlageaktien gebildet werden (§ 109 KAGB). Zudem können Aktiengattungen mit Bezug zu einem Teilgesellschafts- und Teilsondervermögen ausgegeben werden (§§ 117, 108 Abs 4, 140 Abs 3, 96 KAGB), was letztlich auf die Begebung von Tracking Stocks (Rdn 51) hinausläuft.37 8. (Fehlende) Disponibilität. Die Regelung des § 11 ist zwingendes Recht und 22 kann daher weder in der Satzung noch auf andere Weise abbedungen werden. II. Gewährung verschiedener Rechte (Satz 1) Nach Satz 1 können Aktien verschiedene Rechte gewähren. Diese Regelung ist da- 23 bei sehr verkürzt und erfordert eine Differenzierung nach den in Betracht kommenden Aspekten. Daher muss danach unterschieden werden, welchen konkreten Regelungsgehalt Satz 1 zukommt, in welchem Umfang die Satz 1 eingeräumten Gestaltungsfreiheit genutzt werden kann (Rdn 24 ff), wie diese unterschiedlichen Gestaltungen konkret um-
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34 In diesem Sinne auch OLG Celle v 30.10.2002 – 9 U 83/02 AG 2003, 505, 506; Fuchs FS Immenga, 2004, S 589, 593; Hölters/Solveen2 Rdn 7; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4; NK-AktG/Wagner4 Rdn 8; Wiedemann Gesellschaftsrecht – Band I, § 7 I 1 a. 35 MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 14; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4; Griogleit/Vedder Rdn 6; ähnlich MünchKomm/Heider4 Rdn 14 ff; anders aber wohl KK/Dauner-Lieb3 Rdn 24. 36 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4; aA Marsch-Barner/Schäfer/Gätsch Handbuch börsennotierte AG, § 5 Rdn 44. 37 Ebenso Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5 am Ende.
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gesetzt werden können (Rdn 27 ff), welche verschiedenen Rechte gewährt (Rdn 32 ff) und wie diese aufgehoben oder verändert (Rdn 58) werden können. Die Begründung besonderer Pflichten für die Aktionäre wird durch Satz 1 hingegen nicht adressiert, steht dem aber auch nicht entgegen. 1. Bestimmung des Regelungsgehalts von Satz 1. Durch Satz 1 wird im Ausgangspunkt angeordnet, dass (überhaupt) verschiedene Rechte gewährt werden können. Damit wird letztlich zweierlei angeordnet. Zum einen wird damit der Gleichbehandlungsgrundsatz des § 53a durchbrochen, da nicht alle Aktien die gleichen Rechte gewähren müssen (Rdn 17). Zum anderen wird der Aktiengesellschaft und deren Aktionären ein Spielraum bei der konkreten Gestaltung der Aktien eingeräumt.38 Diese beiden Aspekte scheinen auf den ersten Blick identisch zu sein, unterscheiden sich aber bei einer genaueren Betrachtung. Während sich der erste Aspekt vor allem quantitativ und damit auf den durch die einzelnen Aktien vermittelten Umfang der bestehenden Rechte verstanden werden muss, bezieht sich letzterer auf qualitative Gesichtspunkte und adressiert somit verschiedene Rechte, die eine einzelne Aktie gewähren kann. Bei den in Satz 1 erwähnten Rechten handelt es sich nur um sogenannte Mitglied25 schaftsrechte der Aktionäre. Dies sind Rechte, die in ihrer Entstehung und in ihrem Bestand von der Mitgliedschaft abhängig sind, von dieser nicht abgespalten (§ 8 Abs 5 – Rdn 185 ff), von der Gesellschaft und ihren Organen in bestimmten Grenzen abgeändert und dem Aktionär auch teilweise entzogen werden können.39 Für die typischerweise eingeräumten Rechte siehe Rdn 29 ff. Kein Regelungsgegenstand von Satz 1 ist daher die Gewährung individueller 26 Rechte an Aktionäre, die unabhängig von der Mitgliedschaft an der Aktiengesellschaft stehen.40 Denn in diesem Fall wird das jeweilige Recht nicht durch die Aktie gewährt, sondern besteht in der Person des Aktionärs unabhängig von seiner Mitgliedschaft. Dies gilt sowohl für Gläubiger- (Rdn 57) als auch sonstige Rechte, die dem einzelnen Aktionär in seiner individuellen Position eingeräumt werden.
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2. Materielle Schranken für die Gestaltungsfreiheit. Die doppelte Regelungsgehalt von Satz 1 (Rdn 24 ff) ist vor allem hinsichtlich des Gestaltungsspielraums und dessen Begrenzung von großer Bedeutung.
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a) Umfang der gewährten Rechte. Für den Umfang der gewährten Rechte ergeben sich kaum Beschränkungen. Diese können sich vor allem nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben, da dieser durch Satz 1 gerade relativiert wird (Rdn 17). Daher können die typischerweise durch die Mitgliedschaft gewährten Rechte (Rdn 48 ff) ungleichmäßig verteilt werden. Eine Beschränkung ergibt sich aber hinsichtlich des Stimmrechts bei Mehrstimmrechtsaktien, die nach § 12 Abs 2 verboten sind (§ 12 Rdn 67 ff).
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b) Art der gewährten Rechte. Für die Art der gewährten Rechte ergeben sich hingegen deutlich größere Beschränkungen, die allerdings in Satz 1 selbst nicht angesprochen werden, sondern sich vielmehr aus der Systematik des Aktienrechts ergeben. So gilt zunächst, dass jede Aktie einen Mindestkernbestand mitgliedschaftlicher Rechte
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38 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5. 39 Mit dieser Definition MünchKomm/Heider4 Rdn 14 ff; dem folgend Hölters/Solveen2 Rdn 3; K. Schmidt/ Lutter/Ziemons3 Rdn 5. 40 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 7; Hölters/Solveen2 Rdn 3.
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einräumen muss.41 Dies ergibt sich aus dem möglicherweise zwingenden Charakter der einzelnen Regelungen und steht zudem in einem Zusammenhang mit dem Grundsatz der Satzungsstrenge nach § 23 Abs 5, da der Ausschluss einzelner mitgliedschaftlicher Rechte meist einer Satzungsregelung bedarf.42 Daher kann aus Satz 1 in diesem Zusammenhang kein Gestaltungsspielraum abgeleitet werden. Für die einzelnen Rechte siehe Rdn 48 ff. Weiterhin können gesetzlich nicht vorgesehene Rechte nicht eingeräumt werden, 30 wenn diese mit den zwingenden Vorschriften des Aktienrechts kollidieren.43 Dies gilt etwa für Direktionsrechte gegenüber dem Vorstand (arg. § 76 Abs 1). Keine Bedeutung hat die beispielhafte Aufzählung in Satz 1, da diese nicht abschließender Natur ist.44 Soweit ein Recht in der Gründungssatzung (Rdn 33) eingeräumt wird, das nach den 31 in den Rdn 28 ff. genannten Grundsätzen nicht zulässig ist, führt dies zur Nichtigkeit der Gründungssatzung nach § 134 BGB.45 Werden die in den Rdn 28 ff genannten Vorgaben bei einem satzungsändernden Hauptversammlungsbeschluss nicht beachtet, führt dies in der Regel zur Nichtigkeit des Beschlusses (§ 241 Nr 3).46 3. Schaffung verschiedener Rechte. Soweit sich die verschiedenen Rechte nicht 32 schon aus dem Gesetz ergeben, bedarf es für deren Einräumung der Schaffung einer entsprechenden Satzungsregelung, so dass die unterschiedlichen Rechte sowohl schon bei der Gründung der Aktiengesellschaft (Rdn 33) eingeräumt oder erst später durch eine Satzungsänderung (Rdn 34 ff) geschaffen werden können.47 Grundsätzlich können Aktionären auch außerhalb der Satzung spezifische Rechte eingeräumt werden. Allerdings handelt es sich dann nur um Rechte, die der Person des Aktionärs und somit nicht diesem als Mitglied der Aktiengesellschaft zustehen. a) Gründung der Aktiengesellschaft. Unterschiedliche Rechte können bereits in 33 der Gründungssatzung aufgenommen werden, soweit dies mit dem Grundsatz der Satzungsstrenge (§ 23 Abs 5) vereinbar ist.48 Dabei muss in der Errichtungserklärung angegeben werden, welcher Gründer welche Aktien mit welchen Rechten (Gattung – dazu Rdn 59 ff) übernimmt (§ 23 Abs 2 Nr 2). Darüber hinausgehende Sonderbeschlüsse sind nicht erforderlich.49 b) Nachträgliche Änderung und Einführung verschiedener Rechte. Zudem kön- 34 nen unterschiedlichen Rechte auch durch eine spätere Satzungsänderung geschaffen werden. Für die genauen Anforderungen muss dabei zwischen den folgenden verschiedenen Konstellationen unterschieden werden. i) (Einfache) Satzungsänderungen. Handelt es sich um eine (einfache) Satzungs- 35 änderung (ohne die Schaffung junger Aktien), die zu einer Veränderung der Rechte
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41 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 35. 42 Hölters/Solveen2 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 5. 43 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 6; Bayer/Habersack/Noack Aktienrecht im Wandel – Band II, Kap 11 Rdn 15; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 5. 44 MünchKomm/Heider4 Rdn 3; Hölters/Solveen2 Rdn 1. 45 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5; zu den sich daraus ergebenden Folgen siehe Rdn 35 ff. 46 Ebenso Hölters/Solveen2 Rdn 13; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5. 47 Bayer/Habersack/Noack Aktienrecht im Wandel – Band II, Kap. 11 Rdn 21. 48 Bayer/Habersack/Noack Aktienrecht im Wandel – Band II, Kap. 11 Rdn 15, 22; Hölters/Solveen2 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5. 49 MünchKomm/Heider4 Rdn 39.
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der Aktionäre führt, ist dafür zunächst ein satzungsändernder Hauptversammlungsbeschluss notwendig, der mit einer ¾-Mehrheit zu fassen ist (§ 179 Abs 1).50 Darüber hinaus muss aber auch jeder durch die Schaffung der Rechte betroffene Aktionär für diese Änderung eine individuelle Zustimmung erklären, so dass ein Sonderbeschluss (§ 179 Abs 3) allein insofern nicht ausreichend ist.51 Dies ergibt sich daraus, dass ein Eingriff in die einzelne konkretisierte Rechtsposition des Aktionärs ohne dessen Zustimmung nicht möglich ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Erfordernis eines (zusätzlichen) Sonderbeschlusses (§ 179 Abs 3), da diese Regelung hinsichtlich des Aktionärsschutzes nicht abschließend ist. Das gleiche gilt, wenn für die Aktionäre zusätzliche Pflichten geschaffen werden sollen.52 Für einen inhaltlichen Verstoß des satzungsändernden Hauptversammlungsbeschlusses siehe Rdn 31. Unterbleibt die Zustimmung der einzelnen Aktionäre, führt dies zu einer schwe36 benden Unwirksamkeit des satzungsändernden Hauptversammlungsbeschlusses und nicht zur bloßen Anfechtbarkeit wegen eines Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot (§ 53a).53 Wird die Zustimmung verweigert, führt dies zur (endgültigen) Unwirksamkeit des Beschlusses.54 Diese Grundsätze sollen teilweise55 nur dann zur Anwendung kommen, wenn in den Kernbereich bestehender Mitgliedschaftsrechte eingegriffen wird und unentziehbare Rechte betroffen sind56, was vor allem bei dem Eingriff in bestehende Stimmrechte etwa in Form der Umwandlung von Stammaktien in stimmrechtslose Vorzugsaktien57 und bei dem Anspruch auf Liquidationserlös58, nicht aber bei dem Gewinnbeteiligungsrecht59 der Fall sein soll. Eine derartige Einschränkung ist allerdings nicht nachvollziehbar, da es sich bei dem Zustimmungserfordernis um ein echtes Tatbestandsmerkmal und bei dessen Fehlen nicht um eine bloße Rechtsverletzung handelt. 37 Eine Änderung der ausgegebenen Aktien ist nicht erforderlich, da die Aktie lediglich die Mitgliedschaft verbrieft. Für den Fall der Veränderung von Rechten, die zu einer Verschiebung zwischen einzelnen Gattungen führen, siehe Rdn 58. 38
ii) Kapitalerhöhung. Bei einer Satzungsänderung in Form einer Kapitalerhöhung mit einer Ausgabe junger Aktien mit anderen Rechten oder Pflichten ist ebenfalls zunächst ein satzungsändernder Hauptversammlungsbeschluss notwendig, der mit einer ¾-Mehrheit zu fassen ist (§ 182 Abs 1). Sonderbeschlüsse oder individuelle Zustimmungen der Aktionäre sind dann nicht erforderlich, da durch das Bezugsrecht bzw die richterliche Kontrolle bei dessen Ausschluss ein hinreichender Kontrollmaßstab besteht.60 Davon ist
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50 Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 19; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 28; Bayer/Habersack/Noack Aktienrecht im Wandel – Band II, Kap 11 Rdn 30; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 12. 51 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 31; Fuchs ZGR 2003, 167, 184; MünchKomm/Heider4 Rdn 50 ff; Lutter/Schneider ZGR 1975, 182, 190, 193; Hölters/Solveen2 Rdn 12; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 26; Griogleit/Vedder Rdn 1; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 22; aA Polte Aktiengattungen, 2005, S 89 ff; MünchHdbGesR/SailerCoceani4 § 13 Rdn 12. 52 MünchKomm/Heider4 Rdn 57. 53 MünchKomm/Heider4 Rdn 60; Hölters/Solveen2 Rdn 13; aA Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 27. 54 RG v 21.6.1935 – II B 5/35, Z 148, 175, 186 f; MünchKomm/Heider4 Rdn 60. 55 Mit dieser Differenzierung etwa Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 27 ff. 56 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 27; ähnlich BGH v 19.12.1977 – II ZR 136/76, Z 70, 117, 126 = NJW 1978, 540 mit der Annahme des Bestehens unentziehbarer Rechte. 57 MünchKomm/Heider4 Rdn 55; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 29; Wälzholz DStR 2004, 819, 821. 58 MünchKomm/Heider4 Rdn 53; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 29. 59 Brauer AG 1993, 324, 331 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 29. 60 Ebenso Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 28; Griogleit/Vedder Rdn 1; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 23.
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der Fall zu unterscheiden, dass vor der Kapitalerhöhung bereits mehrere Gattungen bestehen, da es dann aufgrund von §§ 182 Abs 2, 193 Abs 1 Satz 3, 202 Abs 2, 221 Abs 1 Satz 4 einer Zustimmung einer jeden Gattungen durch Sonderbeschluss bedarf. Erfolgt hingegen eine Kapitalerhöhung mit einer Ausgabe junger Aktien mit weniger Rechten oder mit zusätzlichen Pflichten, ist neben dem satzungsändernden Hauptversammlungsbeschluss weder ein Sonderbeschluss der bisherigen Aktiengattungen noch eine individuelle Zustimmung der Altaktionäre erforderlich, da eine – über die bloße durch den Hauptversammlungsbeschluss bereits abgedeckte Verwässerung hinausgehende – Beeinträchtigung gerade nicht vorliegt.61 Im Fall der Kapitalerhöhung mit einer Ausgabe junger Aktien mit mehr Rechten bedarf es dann auch einer individuellen Zustimmung der Altaktionäre.62 Insofern ist ein Sonderbeschluss gerade nicht ausreichend. Zwar sieht Art 29 Abs 3 Kapitalschutzrichtlinie lediglich einen solchen vor (Rdn 11), allerdings handelt es sich dabei nicht um eine Höchstharmonisierung, so dass das deutsche Aktienrecht insofern nicht eingeschränkt wird. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die jungen Aktien lediglich ein gegenüber den alten Aktien weitergehendes Gewinnrecht gewähren, da dadurch auch eine unmittelbare Beeinträchtigung der Altaktionäre verbunden ist, die durch das Bezugsrecht bzw die gerichtliche Kontrolle von dessen Ausschluss nicht kompensiert wird.63 Gewähren die jungen Aktien gegenüber den bisherigen Aktien sowohl Vor- als auch Nachteile, bleibt es bei dem Erfordernis einer individuellen Zustimmung der Altaktionäre.64 Insofern spielt es keine Rolle, ob die Nachteile der jungen Aktien etwaige Vorteile faktisch aufheben oder wirtschaftlich ausgleichen. Soweit eine Zustimmung der betroffenen Aktionäre erforderlich ist, bleibt der Kapitalerhöhungsbeschluss bis zu deren Erteilung schwebend unwirksam.65 Bei einer Verweigerung der Zustimmung tritt die (endgültige) Unwirksamkeit ein.66 Für einen inhaltlichen Verstoß des satzungsändernden Hauptversammlungsbeschlusses siehe Rdn 31. Schließlich muss in allen Fällen in der Zeichnungs- oder Bezugserklärung angegeben werden, welche Aktien übernommen werden sollen (§§ 185 Abs 1 Satz 3 Nr 3, 198 Abs 1 Satz 3, 203 Abs 1 Satz 1).
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iii) Kapitalherabsetzung. Bei einer Kapitalherabsetzung ist grundsätzlich kein 44 Sonderbeschluss zu fassen, soweit alle ausgegebenen Aktien von der Kapitalherabsetzung betroffen sind. Kommt es hingegen zu einer unterschiedlichen Behandlung der einzelnen Aktiengattungen, bedarf es dann eines Sonderbeschlusses nach § 179 Abs 3, wenn durch die Kapitalherabsetzung die Rechte einer Aktiengattung in einem größeren Umfang als bei den anderen Aktiengattungen betroffen sind. iv) Spezialgesetzliche Sonderfälle. Weiterhin muss in den Fällen der Einführung 45 von Nebenleistungspflichten (§ 180 Abs 1) und der Vinkulierung (§ 180 Abs 2) eine individuelle Zustimmung der davon betroffenen Aktionäre erklärt werden. Zudem muss bei einer Ausgabe von gleich- oder besserrangigen Vorzugsaktien ohne Stimmrecht
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61 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 30; MünchKomm/Heider4 Rdn 42; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 12. 62 Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 17; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 31; MünchKomm/Heider4 Rdn 43; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 12; Hölters/Solveen2 Rdn 11; NKAktG/Wagner4 Rdn 10; aA Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 28; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 23. 63 AA Hölters/Solveen2 Rdn 11; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 26, 28. 64 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 32; MünchKomm/Heider4 Rdn 44. 65 Siehe Nachweise in Fn 49. 66 Siehe Nachweise in Fn 50.
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ein Beschluss mit einer ¾-Mehrheit der bisherigen Vorzugsaktionäre eingeholt werden (§ 141 Abs 2 und 3). Für die Folgen des Fehlens der Zustimmung siehe Rdn 36. 46
4. Zuzahlungen von Aktionären zur Gewährung besonderer Rechte. Für die Gewährung der besonderen Rechte kann der Aktionär zur Leistung einer Zuzahlung verpflichtet werden. Einen fest definierten Maßstab für die Ermittlung der Zuzahlungshöhe gibt es in diesem Zusammenhang nicht. Allerdings muss die Festsetzung durch den Vorstand im pflichtgemäßen Ermessen erfolgen. Diese Zuzahlung steht der Aktiengesellschaft aber nicht zur freien Verfügung, son47 dern muss in die Kapitalrücklage eingestellt werden (§ 272 Abs 2 Nr 3 HGB). Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei dem gewährten Recht um einen Vorzug oder um ein anderes Recht handelt, da § 272 Abs 2 Nr 3 HGB entsprechend weit auszulegen ist. Bei einer fehlenden Einstellung des Zuzahlungsbetrages in die Kapitalrücklage käme es zu einer ergebniswirksamen Berücksichtigung der Zuzahlung und damit zu einer Verzerrung des Jahresüberschusses bzw -fehlbetrags.
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5. Einzelne Rechte. Auch wenn Satz 1 für die Gewährung unterschiedlicher Rechte nur die Verteilung des Gewinns und des Gesellschaftsvermögens nennt, kommen neben den Vermögensrechten (Rdn 49 ff), grundsätzlich auch Verwaltungs- (Rdn 53 ff) und Gläubigerrechte (Rdn 57) in Betracht.67 Die aus § 35 BGB entlehnte Kategorie der Sonderrechte hat hingegen keine eigenständige Bedeutung (Rdn 18 f.). Ebenso wenig ist die Unterteilung in Haupt- und Hilfsrechte weiterführend.68
a) Vermögensrechte. Zu den Vermögensrechten der Aktionäre zählen das Dividendenrecht (§ 58 Abs 4), das Bezugsrecht (§ 186), das Recht auf den Abwicklungsüberschuss (§ 271) und die Ansprüche auf Ausgleich und Abfindung (§§ 304 f, 327a f). Diese Rechte können nicht durch die Satzung ausgeschlossen oder durch die Aktienurkunde selbst beschränkt werden, da sie Kernbestand der aktienrechtlichen Mitgliedschaft sind.69 Allerdings ist es möglich, die Teilhabe am Gewinn bereits in der Satzung dadurch vollständig auszuschließen, dass dieser durch Bildung entsprechender Rücklagen der Ausschüttung entzogen wird und ausschließlich in der Aktiengesellschaft verbleibt (§ 58 Abs 4).70 Das Bezugsrecht kann hingegen nicht durch eine Satzungsregelung, sondern immer nur durch den Kapitalerhöhungsbeschluss ausgeschlossen werden (§ 186 Abs 3). Der Umfang dieser Rechte ergibt sich generell aus ihrer relativen Beteiligung am 50 Grundkapital (§§ 60 Abs 1, 186 Abs 1 Satz 1, 271 Abs 2). Allerdings besteht dahingehend ein weitgehender Gestaltungsspielraum, der teilweise spezialgesetzlich auch noch einmal angeordnet wird (§ 60 [Gewinnbeteiligung]; §§ 139 ff [Vorzugsaktien ohne Stimmrecht], § 271 Abs 2 [Abwicklungsüberschuss]). 51 Dieser Gestaltungsspielraum kann etwa im Rahmen der Begebung von sogenannten Tracking Stocks ausgenutzt werden, bei denen sich die Gewinnbeteiligung nur auf einen bestimmten Unternehmensteil oder eine Tochtergesellschaft bezieht.71 Allerdings
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67 Ebenfalls mit einer solchen Unterteilung KK/Dauner-Lieb3 Rdn 9 ff; MünchKomm/Heider4 Rdn 10 ff; Hölters/Solveen2 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 8 ff; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 14. 68 Bayer/Habersack/Noack Aktienrecht im Wandel – Band II, Kap. 11 Rdn 22. 69 Ebenso Hüffer/Koch11 Rdn 4 (für das Bezugsrecht). 70 Sethe ZHR 162 (1998), 474, 479 f; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 9; Wälzholz DStR 2004, 778, 780. 71 Baums Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rdn 237 ff; ders FS Boujong, 1996, S 19, 27 ff; Brauer AG 1993, 324 ff; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 16; Fuchs ZGR 2003, 167, 171 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Bayer/Habersack/Noack Aktienrecht im Wandel – Band II, Kap. 11 Rdn 25; Sieger/
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ist für die Begebung von Tracking Stocks eine entsprechende Satzungsregelung notwendig, der der Grundsatz der Satzungsstrenge (§ 23 Abs 5) nicht entgegensteht. Andere als die in Rdn 49 ff genannten Vermögensrechte können in der Satzung 52 nicht vorgesehen werden, da ein solches Vermögensrecht gegen § 57 Abs 3 verstoßen würde. b) Verwaltungsrechte. Bei den Verwaltungsrechten handelt es sich um das Recht auf Einberufung und Teilnahme an der Hauptversammlung inklusive des Rederechts (§§ 118 Abs 1, 122), das Auskunftsrecht (§§ 131 f), das Stimmrecht (§§ 12 Abs 1, 133 ff) mit den entsprechenden Kompetenzen auf der Hauptversammlung, das Recht zur Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen (§§ 245 Nr 1–3, 249), das Recht zur (gerichtlichen) Bestellung von Sonderprüfern (§§ 142 ff, 258) und besonderen Vertretern (§ 147 Abs 2) und das Recht zur Einleitung eines Klagezulassungsverfahrens (§ 148). Auch wenn Satz 1 die Gewährung verschiedener Rechte gestattet, kann von diesen Rechten nicht abgewichen werden, da die in Rdn 53 genannten Vorschriften zwingenden Charakter haben und für die aktienrechtliche Mitgliedschaft somit unverzichtbar sind.72 Ausnahmen bestehen insofern nur für die beiden spezialgesetzlichen Fälle in Form der Vorzugsaktien, die mit oder ohne Stimmrecht ausgegeben werden können und des Entsenderechts (§ 101 Abs 2), das nur einzelnen Aktionären eingeräumt werden kann. Hinsichtlich des Umfangs dieser Rechte ist eine unterschiedliche Ausgestaltung nur für das Stimmrecht denkbar. So kann das Stimmrecht bei stimmrechtslosen Vorzugsaktien (§§ 139 ff) ausgeschlossen oder in seinem Umfang bei Höchststimmrechten beschränkt werden. Eine Gewährung mehrerer oder höherer Stimmrechte ist hingegen aufgrund des Verbots von Mehrstimmrechtsaktien (§ 12 Abs 2) nicht möglich (§ 12 Rdn 67 ff). Keinen unterschiedlichen Umfang können Auskunftsrechte haben, da es sich bei § 131 um eine abschließende Regelung handelt. Daher können keine Aktien mit einem besonderen, über § 131 hinausgehenden Informations- oder Auskunftsrecht gewährt werden.73 Schließlich können keine neuen, über die in den Rdn 53 ff genannten hinausgehenden Verwaltungsrechte geschaffen werden, da diese zwangsläufig mit den organisationsrechtlichen Vorgaben des AktG insbesondere in Form der eigenverantwortlichen Leitung der Aktiengesellschaft durch den Vorstand (§ 76) in Konflikt geraten würden.
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c) Gläubigerrechte. Zudem können Aktionäre auch Gläubiger der Aktiengesell- 57 schaft sein. Diese Gläubigerstellung wird durch Satz 1 in keiner Weise berührt, da sie generell außerhalb der mitgliedschaftlichen Stellung des Aktionärs steht.74 Dies gilt auch für den Fall, dass die Gläubigerstellung ihren Ursprung in einem mitgliedschaftlichen Vermögensrecht wie etwa dem Dividendenrecht hat. Zentrale Kennzeichen der
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Hasselbach AG 2001, 391, 392; Hölters/Solveen2 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 2, 9; Griogleit/Vedder Rdn 4. 72 BGH v 19.12.1977 – II ZR 136/76 Z 70, 117, 122 = NJW 1978, 540 (für das Teilnahme und das Auskunftsrecht); K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 12; im Ergebnis auch KK/Dauner-Lieb3 Rdn 12; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 12; Hüffer/Koch11 Rdn 3, die alle insofern allerdings auf § 23 Abs 5 abstellen. 73 Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 2; Fleischer ZGR 2009, 505, 525; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 12; aA KK/Dauner-Lieb3 Rdn 12; Loges/Distler ZIP 2002, 467, 469 f; Bayer/ Habersack/Noack Aktienrecht im Wandel – Band II, Kap. 11 Rdn 29; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 14. 74 MünchKomm/Heider4 Rdn 19; Hüffer/Koch11 Rdn 5; Hölters/Solveen2 Rdn 6; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 15 f.
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§ 11 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
Gläubigerrechte sind neben der Selbständigkeit75, die Abtretbarkeit76 die fehlende Entziehbarkeit77, was aber nur dann der Fall ist, wenn es sich um ein zu einem Gläubigerrecht erstarkten Mitgliedschaftsrecht handelt.78 Vollständig unabhängig von der Mitgliedschaft stehen schließlich Drittgläubigerrechte, die sich aus Schuldverhältnissen zwischen der Aktiengesellschaft und dem Aktionär ergeben. 58
6. Aufhebung und Änderung der einzelnen Rechte. Für die Aufhebung und Änderung der einzelnen Rechte muss danach unterschieden werden, ob diese eine eigenständige Gattung bilden. Soweit dies der Fall ist, findet ein hinreichender kollektiver Schutz der Aktionäre statt, da diese als Gattung zustimmen müssen (Rdn 78). Begründen die einzelnen Rechte hingegen keine Gattung, kommt eine Aufhebung oder Änderung dieser Rechte nur mit Zustimmung des jeweiligen Aktionärs als Inhaber des Rechts und gegebenenfalls bei einer entsprechenden Satzungsänderung in Betracht.79 III. Bildung von Aktiengattungen (Satz 2)
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Nach Satz 2 bilden Aktien mit gleichen Rechten eine Gattung. Dabei wird der Begriff der gleichen Rechte nicht näher definiert, so dass sich die Frage nach der gattungsbegründenden Verschiedenheit von Rechten stellt.
1. Gattungsspezifische Gefährdungslage als Ausgangspunkt. Diese Frage kann nur im Rahmen der Bestimmung einer gattungsspezifischen Gefährdungslage bestimmt werden.80 Maßgeblich dafür muss sein, ob das spezifische (gattungsbegründende) Recht oder die Pflicht eine zusätzliche Mehrheitsentscheidung in Form eines Sonderbeschlusses erfordern soll (Rdn 78)81 und ob es ein spezifisches Informationsbedürfnis des (Kapital-)Marktes (Rdn 75 ff) über das Bestehen der (gattungsbegründenden) Rechte oder der Pflichten gibt. Letzterer Aspekt ist dabei aber mehr Folge als Voraussetzung der gattungsspezifischen Gefährdungslage, so dass diesem nur ein geringes Gewicht zukommt. Aufgrund des eindeutigen Bezugs von Satz 2 auf Aktien können zudem nur mitgliedschaftliche Rechte berücksichtigt werden. 61 Bei der Bildung von Aktiengattungen steht es der Aktiengesellschaft frei, mehrere verschiedene Aktiengattungen zu bilden. Ist dies nicht der Fall, liegt nur eine Aktiengattung vor. Darüber hinaus ist es auch irrelevant, wie viele Aktien pro Gattung bestehen, so dass auch schon eine Aktie für die Begründung einer Gattung ausreicht.82
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2. Konkrete Voraussetzungen für das Bestehen einer Aktiengattung. Bei der Bestimmung der konkreten Voraussetzungen für das Bestehen einer Aktiengattung muss zwischen den gattungsbegründenden Rechten (Rdn 63 f) und den gattungsbegründen-
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75 RG v 17.11.1915 – II 361/15, Z 87, 383, 386; BGH v 8.10.1952 – II ZR 313/51, Z 7, 263, 264 = NJW 1952, 1370; BGH v 24.1.1957 – II ZR 208/55, Z 23, 150, 154 = NJW 1957, 588; BGH v 3.11.1975 – II ZR 67/73, Z 65, 230, 235 = NJW; BGH v 28.10.1993 – IX ZR 21/93, Z 124, 27, 31 = NJW 1994, 323 (Wandlung in einen Zahlungsanspruch); MünchKomm/Heider4 Rdn 20. 76 RGZ 98, 319, 320; MünchKomm/Heider4 Rdn 21. 77 MünchKomm/Heider4 Rdn 22. 78 Ebenso mit dieser Merkmalen MünchKomm/Heider4 Rdn 20 ff. 79 Ebenso Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 15 (für das Entsenderecht). 80 Die Frage nach dem gattungsbegründenden Merkmal aber ausblendend Griogleit/Vedder Rdn 7. 81 Ähnlich KK/Dauner-Lieb3 Rdn 4 (Erleichterung und nicht Erschwerung der Beschlussfassung in der Gattung). 82 Hölters/Solveen2 Rdn 14; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 3.
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den Pflichten (Rdn 65) unterschieden werden. Von diesen sind die nicht gattungsbegründenden Rechte und Pflichten abzugrenzen (Rdn 66 ff). a) Gattungsbegründende Rechte. Ein gattungsbegründendes Recht stellt zunächst 63 das Stimmrecht dar.83 Aufgrund des Verbots von Mehrstimmrechtsaktien kann ein Gattungsunterschied insofern aber nur zwischen Stammaktien und stimmrechtslosen Vorzugsaktien neu begründet werden.84 Bereits bestehende Mehrstimmrechtsaktien bilden aber eine eigene Gattung.85 Ebenso begründen unterschiedliche Gewinnbeteiligungen86 eine Gattung, so dass vor allem Tracking Stocks87 oder Spartenaktien88 eigene Gattungen bilden. Dabei ist der Zeitpunkt der Begründung der Gattung oder die Dauer der entsprechenden Rechte irrelevant.89 Schließlich können auch verschiedene Rechte hinsichtlich des Liquidationserlöses gattungsbegründend sein.90 Eine zunehmende Tendenz zur Bildung einer eigenständigen Gattung ist für die so- 64 genannten Preferred Shares festzustellen. Dabei handelt es sich um meist an Venture Capital Investoren ausgegebene Aktien mit besonderen Vermögens- und Verwaltungsrechten.91 Diese vor allem im anglo-amerikanischen Recht vorzufindende und dort aus aktienrechtlicher Sicht weitgehend unproblematische Gestaltungsvariante stößt im deutschen Aktienrecht allerdings auf Schwierigkeiten. Während die Einräumung besonderer Vermögensrechte durch die Ausgabe von Vorzugsaktien weitgehend unproblematisch ist, bestehen vor allem bei den Verwaltungsrechten Beschränkungen.92 So können durch die Ausgabe von Preferred Shares etwa keine über § 131 hinausgehenden Informationsrechte (Rdn 55) eingeräumt werden. Auch Mitspracherechte oder an ein Weisungsrecht einzelner Aktionäre oder Aktionärsgruppen heranreichende Gestaltungen sind mit dem Grundsatz der eigenverantwortlichen Leitung der Aktiengesellschaft durch den Vorstand (§ 76 Abs 1) nicht vereinbar und daher unzulässig (Rdn 56). b) Gattungsbegründende Pflichten. Obwohl Satz 2 lediglich auf Rechte Bezug 65 nimmt, können auch verschiedene Pflichten eine Gattung begründen.93 Dies ergibt sich aus der dann bestehenden gattungsspezifischen Gefährdungslage (Rdn 60 f), da auch das Bestehen verschiedener Pflichten es erforderlich macht, einen kollektiven Rechtsschutz in Form eines Sonderbeschlusserfordernisses für die Inhaber dieser Aktien zu begründen. Ein gattungsbegründendes Merkmal stellt dabei vor allem das Bestehen ei-
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83 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 13; Griogleit/Vedder Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7. 84 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 14; Hüffer/Koch11 Rdn 7; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 9. 85 MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 § 12 Rdn 16. 86 Hüffer/Koch11 Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7 f; aA Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 5a; Singhof FS Hoffmann-Becking, 2013, S 1163, 1180 f. 87 Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 4; Cichy/Heins AG 2010, 181, 181 f; Fuchs ZGR 2003, 167, 187; Hüffer/Koch11 Rdn 7; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 10; Sieger/Hasselbach AG 2001, 391, 392; Griogleit/Vedder Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9. 88 Hüffer/Koch11 Rdn 7; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 10; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9. 89 Hüffer/Koch11 Rdn 7; Griogleit/Vedder Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8. 90 Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 4; MünchHdbGesR/SailerCoceani4 § 13 Rdn 9. 91 Dazu ausführlich Loges/Distler ZIP 2002, 467 ff. 92 Kritisch auch KK/Dauner-Lieb3 Rdn 16 (Bedürfnis sorgfältiger Prüfung); K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 10. 93 RG v 25.9.1912 – I 6/12 Z 80, 95, 97; LG Hannover v 20.7.1994 – 23 O 156/93 DB 1994, 1968, 1968 f; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 5, 19; Hüffer/Koch11 Rdn 7; MünchKomm/Heider4 Rdn 28; Hölters/Solveen2 Rdn 1; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 3; Griogleit/Vedder Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 5.
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ner Nebenleistungspflicht dar.94 Eine unterschiedliche Höhe der Einlagenverpflichtung ist hingegen für die Begründung einer Gattung nicht ausreichend.95 c) Keine Gattung begründenden Rechte und Pflichten. Rein quantitative Unterschiede von Rechten können keine eigene Gattung begründen. Dies gilt etwa bei verschiedenen Nennbeträge von Aktien, da der Nennbetrag lediglich den Umfang der Beteiligung am Grundkapital ausdrückt.96 Dies gilt auch für verschiedene Ausgabebeträge.97 Ebenso können Höchststimmrechte keine Gattung begründen, da dies ebenso nur einen quantitativen Aspekt darstellt.98 67 Auch Nennbetrags- oder Stückaktien können nicht eigenständige Aktiengattungen bilden, da diese Aktienformen schon nicht nebeneinander bestehen können (§ 8 Abs 1 – siehe § 8 Rdn 86 ff).99 Auch Unterschiede in der Verbriefung von Aktien sind nicht gattungsbegründend, da dieser Aspekt die durch die Aktie gewährten Rechte unberührt lässt.100 Ebenso wenig kann das Bestehen einer Vinkulierung eine eigene Gattung begründen.101 Zudem führt das Bestehen oder Nichtbestehen einer Börsenzulassung für einen Teil der ausgegebenen Aktien nicht zu einer Entstehung von Aktiengattungen.102 Auch Inhaber- und Namensaktien bilden keine eigenständige Gattung.103 Zwar können sie bei einer Aktiengesellschaft parallel zum Einsatz kommen (§ 10 Rdn 129), gewähren allerdings keine unterschiedlichen Rechte und begründen auch keine unterschiedlichen Pflichten. Zudem bilden die eigenen Aktien einer Aktiengesellschaft keine Gattung.104 Einen Sonderfall stellt das Entsendungsrecht nach § 101 Abs 2 dar, da es sich dabei um 68 ein spezifisches und damit gattungsbegründendes Recht handelt.105 Allerdings wird die Bildung einer eigenen Gattung durch die Spezialregelung des § 101 Abs 2 Satz 3 ausdrücklich ausgeschlossen. Ebenfalls keine Gattung bilden die an bestimmte Quoren anknüpfenden Minderheitenrechte, da sich diese Rechte lediglich aus dem Halten einer bestimmten Mindestanzahl von Aktien ergeben und sich somit nicht aus der einzelnen Aktie ableiten.106 Kein gattungsbegründendes Merkmal ist die durch eine Satzungsregelung ange69 ordnete Zwangseinzugsmöglichkeit der Aktien.107 Denn in einem solchen Fall werden 66
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94 RG v 25.9.1912 – I 6/12 Z 80, 95, 97; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 19; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 16; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7. 95 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 19; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 16. 96 Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 3; MünchKomm/Heider4 Rdn 31; Hüffer/Koch11 Rdn 7; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 18; Griogleit/Vedder Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 11. 97 MünchKomm/Heider4 Rdn 31; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 18. 98 Hüffer/Koch11 Rdn 7; Hölters/Solveen2 Rdn 15; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 8; Spindler/ Stilz/Vatter3 Rdn 13, 18; Griogleit/Vedder Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 11. 99 Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 3; MünchKomm/Heider4 Rdn 31 aE; Hüffer/Koch11 Rdn 7; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 8, 31; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 11. 100 Hüffer/Koch11 Rdn 7; MünchKomm/Heider4 Rdn 30; Hölters/Solveen2 Rdn 15; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 18; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 11. 101 Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 3; MünchKomm/Bayer3 § 68 Rdn 44; Bermel/Müller NZG 1998, 331, 332; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 20; Hüffer/Koch11 Rdn 7; MünchHdbGesR/ Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 8; Hölters/Solveen2 Rdn 15; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 18; Griogleit/Vedder Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 11. 102 Hüffer/Koch11 Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 11. 103 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 20; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 8, 30; Hölters/Solveen2 Rdn 15; Griogleit/Vedder Rdn 7. 104 MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 8, 33. 105 Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 5; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 15. 106 MünchKomm/Heider4 Rdn 33. 107 Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 5; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 18; Hüffer/Koch11 Rdn 7; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 17; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 11.
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keine spezifischen Pflichten für den Aktionär begründet, sondern lediglich ein erhöhtes Risiko der Vernichtung der Mitgliedschaft begründet. Zudem kann eine solche erweiterte Zwangseinzugsmöglichkeit nur vor der Zeichnung oder der Übernahme der Aktien erfolgen (§ 237 Abs 1 Satz 2), so dass es an der für die Bildung von Aktiengattungen spezifischen Gefährdungslage (Rdn 60 f) bereits fehlt. Auch begründet der Umstand einer vollständigen oder nur teilweise erfolgten 70 Einzahlung der Einlage oder die Art und Weise der Einlageleistung (Bar- oder Sacheinlage) keine Gattung.108 Auch ein abweichender Beginn der Gewinnbezugsberechtigung stellt keine gattungsbegründende Eigenschaft dar.109 Ebenso wenig begründet die bloße Eigenschaft des außenstehenden Aktionärs 71 im Vertragskonzern keine Gattung.110 Schließlich können Gläubigerrechte von Aktionären keine Gattung begründen111, 72 da es schon an einem konkreten Bezug zur Mitgliedschaft fehlt. Dies gilt auch dann, wenn sich die Gläubigerrechte aus Aktionärsrechten wie etwa im Fall des Dividendenrechts oder dem Anspruch auf den Liquidationsüberschuss ableiten.112 Ebenso wenig können schuldrechtliche Verpflichtungen der Aktionäre eine Gattung begründen.113 3. Entstehung und Begründung von Aktiengattungen. Die Bildung von Aktien- 73 gattungen erfordert lediglich die Schaffung des spezifisch-mitgliedschaftlichen Rechts (Rdn 48 ff). Daher bedarf es keiner Schaffung der Gattung als solcher, da sich diese bereits aus dem Umstand ergibt, dass Aktien die gleichen Rechte gewähren. Allerdings müssen diese Gattungen in der Satzung bezeichnet und die jeweils auf sie entfallende Anzahl der Aktien angegeben werden (§ 23 Abs 3 Nr 4). Fehlt es an einer Nennung der Aktiengattungen in der Satzung oder sind die entsprechenden Angaben unrichtig, berührt dies nicht das Bestehen der Aktiengattung. Zu den Anforderungen an die Schaffung (neuer) Aktien mit unterschiedlichen Rechten siehe Rdn 80. Darüber hinaus muss aus der Aktienurkunde hervorgehen, welcher Gattung diese 74 angehört.114 Bei einem Ausschluss der Einzelverbriefung (§ 10 Abs 5 – § 10 Rdn 202 ff) muss für jede Gattung eine eigene Globalaktie erstellt werden.115 Darüber hinaus muss die Gattung im Zeichnungsschein (§ 185 Abs 1 Satz 1) angegeben werden. 4. Folgen des Bestehens verschiedener Gattungen. Die Bildung von Gattungen 75 ist in verschiedenen aktien- bzw kapitalmarktrechtlichen Zusammenhängen von Bedeu-
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108 RG v 31.3.1931 – II 222/30, Z 132, 149, 159 f (zu den sogenannten Schutzaktien); Marsch-Barner/ Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 5; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 21; Hüffer/Koch11 Rdn 7; Polte Aktiengattungen, 2005, S 45; MünchHdbGesR/Sailer-Coceani4 § 13 Rdn 8, 31; Hölters/Solveen2 Rdn 15; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 18; Griogleit/Vedder Rdn 7. 109 So ausdrücklich Begr RegE Prospektrichtlinie-Umsetzungsgesetz BT-Drucks 15/4999 S 30; MarschBarner/Schäfer/Busch Handbuch börsennotierte AG, § 44 Rdn 21 (Fn 3); Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 5a; Franck MittBayNot 2007, 173, 175; Hüffer/Koch11 Rdn 8; Singhof FS Hoffmann-Becking, 2013, S 1163, 1180 f; Trapp/Schlitt/Becker AG 2012, 57, 61 (Fn 30); K. Schmidt/ Lutter/Ziemons3 Rdn 8. 110 Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 18; im Ergebnis auch BGH v 8.5.2006 – II ZR 27/05, Z 167, 299 Tz 18 = NZG 2006, 623 (Abfindunganspruch kein wertpapiermäßig in der Aktie verkörpertes Mitgliedschaftsrecht). 111 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 7, 22; MünchKomm/Heider4 Rdn 32; Hölters/Solveen2 Rdn 15; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 19; Griogleit/Vedder Rdn 7. 112 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 22. 113 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 19. 114 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 37. 115 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 40; Hölters/Solveen2 Rdn 16; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 37.
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tung. So muss über die Bildung von Gattungen eine detaillierte Satzungsregelung getroffen werden (§ 23 Abs 3 Nr 4 – § 23 Rdn 155 f). Darüber hinaus müssen die verschiedenen Aktiengattungen in der Bilanz oder im Anhang nach Zahl bzw mit ihrem Nennbetrag angegeben werden (§§ 152 Abs 1 Satz 2, 160 Abs 1 Nr 3). Bei einer Ausgabe von stimmberechtigten Aktien auf einem organisierten Markt (§ 2 Abs 7 WpÜG) müssen die Rechte und Pflichten der verschiedenen Gattungen sowie der Kapitalanteil im Lagebericht bzw im Konzernlagebericht angegeben werden (§§ 289 Abs 4 Nr 1, 315 Abs 4 Nr 1 HGB). Bei börsennotierten Aktiengesellschaften muss nach der Einberufung der Hauptversammlung über die Internetseite der Aktiengesellschaft unter anderem die Gesamtzahl der Aktien und der Stimmrechte im Zeitpunkt der Einberufung, einschließlich getrennter Angaben zur Gesamtzahl für jede Aktiengattung zugänglich sein (§ 124a Satz 1 Nr 4). Damit geht das deutsche Aktienrecht über die vergleichbare Veröffentlichungspflicht nach § 30b Abs 1 Satz 1 Nr 1 WpHG hinaus. Weiterhin ist es bei Kapitalerhöhungen erforderlich, dass bei einer fehlenden anderweitigen Satzungsregelung für jede Gattung entsprechende Sonderbeschlüsse mit einer ¾-Mehrheit (§§ 182 Abs 2, 193 Abs 1 Satz 2, 202 Abs 2 Satz 4) und zusätzlich ein Beschluss mit der einfachen Mehrheit (§§ 138 Satz 2, 133 Abs 1) gefasst werden. Diese Grundsätze gelten auch für Kapitalherabsetzungen (§§ 222 Abs 2, 229 Abs 3, 237 Abs 2 Satz 1) und für Umwandlungsmaßnahmen (§§ 65 Abs 2, 73, 125 Satz 1, 233 Abs 2 Satz 1, 240 Abs 1 Satz 1 UmwG). Bei Fehlen des Sonderbeschlusses ist der Hauptversammlungsbeschluss schwebend unwirksam. 116 Wird anschließend ein ablehnender Sonderbeschluss gefasst, wird der Hauptversammlungsbeschluss endgültig unwirksam. Schließlich muss bei Übernahme- oder Pflichtangeboten die Gegenleistung für jede Gattung getrennt angeboten werden (§ 3 Satz 3 WpÜG-AngVO).
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5. Veränderung von Aktiengattungen. Für eine Veränderung von Aktiengattungen zum Nachteil einer (anderen) Gattung ist neben dem satzungsändernden Beschluss der Hauptversammlung ein Sonderbeschluss nach § 179 Abs 3 erforderlich, der mit einer ¾Kapitalmehrheit gefasst werden muss (§ 179 Abs 3 Satz 3), sofern die Satzung keine abweichende Regelung enthält (§ 179 Abs 2 Satz 2). Fehlt es an dem Sonderbeschluss ist der satzungsändernde Beschluss schwebend unwirksam.117 Kommt es zu einem ablehnenden Sonderbeschluss, tritt endgültige Unwirksamkeit ein. Die Veränderung von Aktiengattungen ist von der Schaffung einer oder mehrerer neuer Gattungen zu unterscheiden (Rdn 73).
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6. Aufhebung von Aktiengattungen. Die Aufhebung einer Aktiengattung kann nur durch Abschaffung der entsprechenden, die Gattung begründenden Rechte erfolgen, wozu eine individuelle Zustimmung der betroffenen Aktionäre (Rdn 58) notwendig ist. Mit Aufhebung dieser (unterschiedlichen) Rechte (Rdn 63 f) erlischt die Gattung. § 12 Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte Mock
§ 12 Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte (1) 1 Jede Aktie gewährt das Stimmrecht. 2 Vorzugsaktien können nach den Vorschriften dieses Gesetzes als Aktien ohne Stimmrecht ausgegeben werden. (2) Mehrstimmrechte sind unzulässig.
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116 Marsch-Barner/Schäfer/Butzke Handbuch börsennotierte AG3, § 6 Rdn 5a 12; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 39; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 36. 117 MünchKomm/Heider4 Rdn 59 f; Hölters/Solveen2 Rdn 13; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 36.
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Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte | § 12
I.
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Inhalt der Regelung | 1 2. Zweck der Regelung | 2 a) Statuierung eines Kapitalbzw Proportionalitätsprinzips | 2 b) Verbot von Mehrstimmrechtsaktien | 6 3. Gesetzesgeschichte | 7 a) Stimmrecht und Ausgabe von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (Abs 1) | 7 b) Verbot von Mehrstimmrechtsaktien (Abs 2) | 9 4. Wirtschaftliche Bedeutung | 13 5. Europäisches Recht | 16 a) Verknüpfung von Aktie und Stimmrecht | 17 b) Mehrstimmrechts aktien | 21 6. Ausländisches Recht | 26 a) Verknüpfung von Aktie und Stimmrecht (Abs 1) | 26 b) Mehrstimmrechtsaktien | 31 7. Ökonomische Analyse | 37
Rechtspolitische Würdigung | 39 a) Verknüpfung von Aktie und Stimmrecht (Abs 1 Satz 1) | 3 b) Zulässigkeit von (stimmrechtlosen) Vorzugsaktien (Abs 1 Satz 2) | 40 c) Verbot der Mehrstimmrechtsaktien (Abs 2) | 41 9. Verhältnis zu anderen Vorschriften | 46 10. (Fehlende) Disponibilität | 49 11. Alt- und Übergangsfälle | 50 Zwingende Verbindung von Aktie und Stimmrecht (Abs 1 Satz 1) | 51 1. Keine Begründung von isolierten Stimmrechten | 54 2. Keine (nachträgliche) Trennung des Stimmrechts von der Aktie | 61 Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (Abs 1 Satz 2) | 66 Mehrstimmrechte (Abs 2) | 67 1. Generelle Unzulässigkeit | 58 2. Rechtsfolge der Begründung von (neuen) Mehrstimmrechtsaktien | 72 Höchststimmrechte | 74 8.
II.
III. IV.
V.
§ 12 Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte Mock 1. Teil – Allgemeine Vorschriften Schrifttum Allgemeines Schrifttum: Brändel Mehrstimmrechtsaktien – ein in Vergessenheit geratenes Instrument der Beherrschung und des Minderheitenschutzes?, FS Quack, 1991, S 175; Cronheim Loyal Lawyers and Loyalty Shares, FS Wegen, 2015, S 197 ff; Milde-Büttcher Mehrstimmrechte bei Kapitalerhöhungen aus AG-Gesellschaftsmitteln – Opfer der heißen Nadel des Gesetzgebers?, BB 1999, 1073; Pajuste Determinants and consequences of the unification of dual-class shares, European Central Bank Working Paper Series No 465, 2005, S 10 ff (abrufbar unter www.ecb.europa.eu); Zöllner/ Noack One share – one vote? Stimmrecht und Kapitalbeteiligung bei der Aktiengesellschaft, AG 1991, 117. Rechtsvergleichendes Schrifttum: Bainbridge The Short Life and Resurrection of SEC Rule 19c-4, 69 Washington University Law Review 565, 567 ff (1991); Ferrarini One Share – One Vote: A European Rule?, ECFR 2006, 147; Storck/Schneider Doppeltes Stimmrecht für langfristig investierte Aktionäre im französischen Recht, AG 2008, 700; Ventoruzzo The Disappearing Taboo of Multiple Voting Shares: Regulatory Responses to the Migration of Chrysler-Fiat, ZVerglRWiss 114 (2015), 192. Schrifttum zur Umwandlung bzw Abschaffung von Mehrstimmrechtsaktien: Arnold Entschädigung von Mehrstimmrechten nach § 5 EGAktG, DStR 2003, 784; ders Das Unsicherheitsproblem bei der Entschädigung von Mehrstimmrechten – eine Replik, DStR 2003, 1671; Hering/Olbrich Der Wert der Mehrstimmrechte und der Fall „Siemens“, ZIP 2003, 104; dies Bewertung vonMehrstimmrechten: Zum Unsicherheitsproblem bei der Entschädigung nach § 5 EGAktG, DStR 2003, 1579; Kluth Abschaffung von Mehrstimmrechtsaktien verfassungswidrig?, ZIP 1997, 1217; Löwe/Thoß Der Ausgleich für den Entzug von Mehrstimmrechten, ZIP 2002, 2075; Saenger Mehrstimmrechte bei Aktiengesellschaften, ZIP 1997, 1813; Schulz Der Ausgleichsanspruch für erloschene und beseitigte Mehrstimmrechte gem § 5 III EGAktG, NZG 2002, 996; Wasmann Erlöschen und Beseitigung von Mehrstimmrechten nach § 5 EGAktG – Gerichtliche Prüfung des Ausgleichs im Spruchverfahren, BB 2003, 57; Zöllner/Hanau Die
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§ 12 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
verfassungsrechtlichen Grenzen der Beseitigung von Mehrstimmrechten bei Aktiengesellschaften, AG 1997, 206.
Materialien Shearman & Sterling LLP/Institutional Shareholder Services/European Corporate Governance Institute, Report on the Proportionality Principle in the European Union, abrufbar unter http://ec.europa.eu/ internal_market/company/docs/shareholders/study/final_report_en.pdf
I. Grundlagen 1
1. Inhalt der Regelung. Durch § 12 werden zwei Grundprinzipien des deutschen Aktienrechts aufgestellt, die für dieses prägend sind. Zunächst kann es nach Abs 1 Satz 1 grundsätzlich keine Aktie ohne Stimmrecht geben, ohne dass damit zwingend der umgekehrte Fall der Gewährung von Stimmrechten ohne Aktien automatisch ausgeschlossen ist (Rdn 54). Darüber hinaus sind nach Abs 2 Mehrstimmrechtsaktien uneingeschränkt unzulässig. Somit ordnet § 12 im Ergebnis an, dass sich der Einfluss des Aktionärs auf der Hauptversammlung nach dem Umfang seiner Beteiligung am Grundkapital richten soll.1 2. Zweck der Regelung
a) Statuierung eines Kapital- bzw Proportionalitätsprinzips. Das Stimmrecht ist eines der zentralen Rechte des Aktionärs und ergibt sich grundsätzlich aus seiner Kapitalbeteiligung. Nur weil der Aktionär sich durch die Investition eigenen Kapitals an der Unternehmung beteiligt, ist es ihm auch gestattet, durch die Ausübung seines Stimmrechts Einfluss auf diese zu nehmen. Durch Abs 1 Satz 1 wird dieser Grundsatz normiert und das One-share-one-vote-Prinzip angeordnet. Zweck dieser Regelung ist es, Risiko und Einfluss der Aktionäre in der Aktiengesellschaft miteinander zu verbinden, um damit Fehlsteuerungen vorzubeugen (so genanntes Kapital-2 bzw Proportionalitätsprinzip3).4 Die Überzeugungskraft dieses pauschalen Arguments ist allerdings fragwürdig. Zum 3 einen bestehen dahingehend große Unterschiede zwischen Klein-, Groß- und insbesondere Mehrheitsaktionären, da vor allem letztere größeres Interesse an dem Stimmrecht haben. Zum anderen wird die durch Abs 1 Satz 1 hergestellte Verknüpfung von Risiko und Einfluss (in Form des Stimmrechts) in anderen aktienrechtlichen Regelungszusammenhängen nicht beachtet. Dies ist vor allem bei den Verwaltungsrechten der Fall, die in ihrem Umfang meist gerade nicht von der Höhe der Beteiligung abhängen. Dem versucht der Gesetzgeber in jüngerer Zeit zwar durch die zunehmende Einführung von Mindestquoren (vgl etwa § 148 Abs 1 Satz 1, 246a Abs 2 Nr 2) zu begegnen. Allerdings bleibt unabhängig davon stets ein Kernbereich (§ 11 Rdn 53 f.) von Verwaltungsrechten erhalten, die auch von dem einzelnen Aktionär mit einer Kleinstbeteiligung ausgeübt werden können. 2
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1 Ausschussbericht Rechtsausschuss AktG 1965, BT-Drucks IV/3296 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 25). 2 Darauf (Kapitalprinzip) ausdrücklich hinweisend Ausschussbericht Rechtsausschuss AktG 1965, BTDrucks IV/3296 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 25); dem folgend KK/Dauner-Lieb3 Rdn 3; MünchKomm/Heider4 Rdn 5; Hölters/Solveen2 Rdn 1; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 1. 3 Mit dieser Begrifflichkeit Seibt ZGR 2010, 795, 814. 4 Dazu ausführlich Seibt ZGR 2010, 795, 814 ff.
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Die Erkenntnis der fehlenden Sinnhaftigkeit einer uneingeschränkten Verknüpfung 4 von Risiko und Einfluss der Aktionäre wohnt letztlich schon Abs 1 Satz 2 inne, wonach Vorzugsaktien mit oder ohne Stimmrecht ausgegeben werden können und dieser Grundsatz somit durchbrochen wird. Ein gewisser Zusammenhang besteht schließlich zwischen Abs 1 und der Gewäh- 5 rung von Stimmrechten an Nichtaktionäre.5 b) Verbot von Mehrstimmrechtsaktien. Das durch Abs 2 angeordnete Verbot der 6 Mehrstimmrechtsaktien dient ausweislich der Gesetzesbegründung der Stärkung der Eigentümerkontrolle und dem Schutz der Erwartungshaltung des Kapitalmarktes.6 An der Überzeugungskraft dieser Begründung bestehen allerdings erhebliche Zweifel (Rdn 41 ff). 3. Gesetzesgeschichte a) Stimmrecht und Ausgabe von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (Abs 1). Be- 7 reits das ADHGB 1861 folgte in Art 1907 dem One-share-one-vote-Prinzip, stellte dieses aber zur Disponibilität der Gesellschafter. Eine proportionale Bezugnahme des Stimmrechts auf den Nennbetrag existierte nicht, da ein Nennbetrag für Aktien schon nicht vorgesehen war (siehe § 8 Rdn 15). Im Rahmen der Aktienrechtsnovelle 18848 wurde diese Bezugnahme aber in Art 190 Abs 1 Satz 2 ADHGB9 eingeführt. Zudem konnte der Gesellschaftsvertrag ein Höchststimmrecht für den Fall vorsehen, dass ein Aktionär über mehrere Aktien verfügt (Art 190 Abs 1 Satz 3 ADHGB10). Das One-share-one-vote-Prinzip wurde auch bei der Schaffung des HGB 1897 über- 8 nommen und in § 252 Abs 1 HGB 189711 festgehalten, wonach jede Aktie ein Stimmrecht gewährte und auch ein Höchststimmrecht im Gesellschaftsvertrag festgelegt werden konnte. Im Rahmen der Aktiengesetzreform 193712 wurde Abs 1 Satz 1 in seiner heutigen Form geschaffen und dem One-share-one-vote-Prinzip eine herausragende Bedeutung im deutschen Aktienrecht zugewiesen.13 Von diesem Grundsatz sollte daher auch nur im Zusammenhang von Vorzugsaktien abgewichen werden können, was durch die
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5 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 4. 6 Begr RegE KonTraG, BT-Drucks 13/9712, S 12. 7 Art 190 ADHGB 1861 lautete: „Soweit nicht der Gesellschaftsvertrag ein Anderes bestimmt, werden die Beschlüsse der Generalversammlung der Kommanditisten mit einfacher Stimmenmehrheit gefaßt, und jede Aktie gewährt dem Inhaber Eine Stimme.“ 8 Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften v 31.7.1884, RGBl 123. 9 Art 190 Abs 1 Satz 2 ADHGB lautete: „Daselbe [das Stimmrecht] wird nach den Aktienbeträgen ausgeübt“ (Hervorhebung durch den Verfasser). 10 Art 190 Abs 1 Satz 3 ADHGB lautete: „Der Gesellschaftsvertrag kann für den Fall, daß ein Kommanditist mehrere Aktien besitzt, die Ausübung de Stimmrechts für dieselben durch einen Höchstbetrag oder in Abstufungen oder nach Gattungen beschränken“. 11 § 252 Abs 1 HGB 1897 lautete: „Jede Aktie gewährt das Stimmrecht. Das Stimmrecht wird nach den Aktienbeträgen ausgeübt. Der Gesellschaftsvertrag kann für den Fall, daß ein Aktionär mehrere Aktien besitzt, die Ausübung des Stimmrechts durch Festsetzung eines Höchstbetrags oder von Abstufungen beschränken. Werden mehrere Gattungen von Aktien ausgegeben, so kann der Gesellschaftsvertrag den Aktien der einen Gattung ein höheres Stimmrecht beilegen als den Aktien einer anderen Gattung.“ 12 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) v 30.1.1937 (RGBl I, 107). 13 Amtliche Begründung zum Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaft auf Aktien, Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1937 Nr 28 vom 4.2.1937 (abgedruckt bei Klausing AktG 1937, S 11).
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Schaffung von Abs 1 Satz 2 zum Ausdruck kam.14 Das Höchststimmrecht wurde aus diesem Regelungszusammenhang gelöst und in § 114 Abs 1 Satz 2 AktG 1937 ohne größere inhaltliche Änderungen überführt. Durch die Aktienrechtsreform 196515 wurde Abs 1 nicht geändert und an der Regelung des Höchststimmrechts im Zusammenhang mit der Ausübung des Stimmrechts (§ 134 Abs 1 Satz 2) festgehalten. Nachfolgende Reformen ließen Abs 1 unverändert. b) Verbot von Mehrstimmrechtsaktien (Abs 2). Mehrstimmrechte sind ein vergleichsweise junges Phänomen des Aktienrechts und fanden im ADHGB und HGB 1897 keinen normativen Niederschlag. Nachdem vor allem in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts der Einsatz von Mehrstimmrechtsaktien enorm zunahm und sich die Rechtsprechung insofern auf eine Verhinderung von Missbräuchen beschränkte16, entschied sich der Gesetzgeber im Rahmen des Aktiengesetzes von 193717 zu einem generellen Verbot.18 Als Grund für das Verbot führt die Gesetzesbegründung aus, dass die durch Mehrstimmrechtsaktien vermittelte Bevorzugung von deren Inhabern wirtschaftlich unberechtigt und zudem gefährlich sei.19 Insofern scheint die Gesetzesbegründung auf den Anlegerschutz abzustellen, auch wenn offen bleibt, ob sich dieser nicht auf andere Weise – etwa im Rahmen einer umfassenden Publizität (Rdn 43) – erreichen lässt. Allerdings konnte von diesem Verbot eine ministerielle Ausnahmegenehmigung erteilt werden.20 Die Erteilung der Genehmigung sollte nur dann erfolgen, wenn das Wohl der Gesellschaft oder gesamtwirtschaftliche Belange dies erforderten. Damit sollte eine gewisse Flexibilität hergestellt werden.21 Im Rahmen der Aktienrechtsreform 196522 kam die Diskussion über die Zulässig10 keit von Mehrstimmrechtsaktien erneut auf. Die für eine Zulassung von Mehrstimmrechtsaktien angeführten Argumente in Form der Verhinderung der Überfremdung oder des notwendigen Einsatzes bei Familiengesellschaften wurden vom Gesetzgeber berücksichtigt, letztlich aber als nicht überzeugend erachtet.23 Die dabei zunächst favorisierte Streichung 24 der Möglichkeit einer ministeriellen Ausnahmegenehmigung wurde im 9
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14 Amtliche Begründung zum Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaft auf Aktien, Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1937 Nr 28 vom 4.2.1937 (abgedruckt bei Klausing AktG 1937, S 11). 15 Aktiengesetz vom 6.9.1965, BGBl I, S 1089. 16 Einen entsprechenden Missbrauch noch ablehnend RG v 19.6.1923 – II 53/23 Z 107, 67, 71; RG v 24.6.1924 – II 915/23 Z 108, 322, 327; strikter hingegen RG v 13.12.1927 – II 401/27 Z 119, 248, 257 ff; RG v 24.9.1929 – II 26/29 Z 125, 356, 359; RG v 31.3.1931 – II 222/30 Z 132, 149, 161; RG v 22.10.1937 – II 58/37 Z 156, 129, 139; vgl auch Bing, in: Düringer/Hachenburg, HGB, 3. Aufl 1934, § 185 Rdn 35 ff. 17 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) v 30.1.1937 (RGBl I, 107). 18 § 12 Abs 2 Satz 1 AktG 1937 lautet: „Mehrstimmrechte sind unzulässig“. 19 Amtliche Begründung zum Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaft auf Aktien, Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1937 Nr 28 vom 4.2.1937 (abgedruckt bei Klausing AktG 1937, S 12). 20 § 12 Abs 2 Satz 2 AktG 1937 lautete: „Der Reichswirtschaftsminister kann im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Justiz und den sonst beteiligten Reichsministern Ausnahmen zulassen, wenn das Wohl der Gesellschaft oder gesamtwirtschaftliche Belange es erfordern“. 21 Amtliche Begründung zum Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaft auf Aktien, Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1937 Nr 28 vom 4.2.1937 (abgedruckt bei Klausing AktG 1937, S 12). 22 Aktiengesetz vom 6.9.1965, BGBl I, S 1089. 23 Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 98 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 25). 24 So noch Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 98 f (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 25).
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Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auf Drängen des Rechtsausschusses und des Wirtschaftsausschusses25 fallengelassen. Insofern sah man die Notwendigkeit, jedenfalls in den Fällen Mehrstimmrechtsaktien ausgeben zu können, in denen das öffentliche Interesse die Erhaltung der in der Gesellschaft bestehenden Mehrheitsverhältnisse dies erfordert.26 Allerdings schränkte man die Möglichkeit der Erteilung einer ministeriellen Ausnahmegenehmigung ein, indem nicht mehr wie bis dahin das Wohl der Gesellschaft, sondern überwiegende gesamtwirtschaftliche Belange erforderlich waren. Für die bis zu diesem Zeitpunkt ausgegebenen Mehrstimmrechtsaktien wurde eine Übergangsregelung eingeführt (§ 5 Abs 1 EGAktG) und deren Beseitigung erleichtert (§ 5 Abs 2 EGAktG – siehe dazu ausführlich Rdn 50). Auch im Rahmen der Gesetzgebungsarbeiten zum Gesetz zur Kontrolle und 11 Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27. April 199827 wurde die Zulässigkeit von Mehrstimmrechtsaktien diskutiert. Dabei hielt der Gesetzgeber an den schon im Rahmen der Aktienrechtsreform 1937 (Rdn 9) und der Aktienrechtsreform 1965 (Rdn 10) geäußerten Bedenken fest. So betonte der Gesetzgeber, dass die Einräumung eines Einflusses ohne korrespondierendes Anteilseigentum nicht den Erwartungen des Kapitalmarktes entsprechen und die Eigentümerkontrolle schwächen würde.28 Zudem wurde auf das entsprechende Verbot im Entwurf der (fünften) Strukturrichtlinie (Rdn 17) hingewiesen.29 Im Gegensatz zu den vorhergehenden Reformen entschied sich der Gesetzgeber des KonTraG zu einer Aufhebung der Möglichkeit der Erteilung einer ministeriellen Ausnahmegenehmigung für Mehrstimmrechte. Über das Fortbestehen der bereits bestehenden Mehrstimmrechte sollte die Hauptversammlung bis zum 1. Juni 2003 entscheiden (§ 5 Abs 1 EGAktG). Schließlich erfolgte durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und 12 zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 200830 die Aufhebung von § 216 Abs 1 Satz 2, der an den Fortbestand von Mehrstimmrechtsaktien anknüpfte, was in der Handhabung der auch noch heute teilweise existierenden Mehrstimmrechtsaktien Schwierigkeiten verursacht (Rdn 71). Die Norm ist seither unverändert. 4. Wirtschaftliche Bedeutung. Eine Quantifizierung der wirtschaftlichen Bedeu- 13 tung des Stimmrechts nach Abs 1 (Rdn 51 ff) ist nicht möglich. Festzustellen ist insofern lediglich, dass dieses als zentrale Einflussnahmemöglichkeit auf die Aktiengesellschaft enorme Bedeutung hat. Vorzugsaktien nach Abs 1 Satz 2 finden vor allem bei Familienunternehmen häufig 14 Verwendung, da sich auf diese Weise – ähnlich wie bei Mehrstimmrechtsaktien (Rdn 15) – die Vorteile der Eigenkapitalfinanzierung nutzen lassen, ohne zugleich einen Einfluss auf die Aktiengesellschaft zu verlieren. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften ist die Anzahl allerdings rückläufig.31 Da Abs 2 die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien generell verbietet, haben diese 15 keine große wirtschaftliche Bedeutung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass zwischen 1965 und 1989 lediglich 19 ministerielle Ausnahmegenehmigungen erteilt wurden, wobei
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25 Ausschussbericht Rechtsausschuss AktG 1965, BT-Drucks IV/3296 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 25 f). 26 Ausschussbericht Rechtsausschuss AktG 1965, BT-Drucks IV/3296 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 25 f). 27 BGBl I, S 786. 28 Begr RegE KonTraG, BT-Drucks 13/9712, S 12. 29 Begr RegE KonTraG, BT-Drucks 13/9712, S 12. 30 BGBl I, S 2026. 31 Vgl Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 7 mit weiteren Nachweisen.
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die genaue Zahl der zuvor erteilten Genehmigungen unklar ist.32 Zudem ist nicht hinreichend bekannt, wie viele Aktiengesellschaften vor dem Ablauf der Übergangsfrist des § 5 Abs 1 EGAktG von der Möglichkeit einer Fortgeltung der Mehrstimmrechtsaktien Gebrauch gemacht haben. Weitgehend gesichert ist heute lediglich, dass wohl keine börsennotierte Aktiengesellschaft über Mehrstimmrechtsaktien mehr verfügt. 33 Insofern dürften Mehrstimmrechtsaktien nur noch bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften existieren. 16
5. Europäisches Recht. Das europäische Gesellschaftsrecht verhält sich zu den beiden in § 12 geregelten Grundsätzen kaum bzw ist dahingehend deutlich weniger strikt.
a) Verknüpfung von Aktie und Stimmrecht. So findet der in Abs 1 niedergelegte Grundsatz der Verknüpfung von Aktie und Stimmrecht im europäischen Gesellschaftsrecht keine Entsprechung. Auch die gescheiterte Strukturrichtlinie34 sah dahingehend keine Regelung vor, sondern ordnete in Art 33 Abs 1 lediglich an, dass das Stimmrecht des Aktionärs dem durch die Aktie verkörperten Anteil am gezeichneten Kapital entsprechen soll. Allerdings sah Art 33 Abs 2 Strukturrichtlinie-E für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Schaffung einer Beschränkung oder eines Ausschlusses des Stimmrechts für die Gewährung besonderer Vorteile (Art 33 Abs 2 lit a) Strukturrichtlinie-E) und die Schaffung von Höchststimmrechten (Art 33 Abs 2 lit b) Strukturrichtlinie-E) vor. Ob daraus im Umkehrschluss das in Abs 1 geregelte One-share-one-Vote-Grundsatz abgeleitet werden sollte, blieb aber unklar. Darüber hinaus wurde in späteren Entwürfen der gescheiterte Strukturrichtlinie eine Beschränkung der Ausgabe von stimmrechtslosen Vorzugsaktien eingeführt, wonach derartige Aktien nur bis zur Höhe von 50% des gezeichneten Kapitals ausgegeben werden durften (Art 33 Abs 2 Zweite Änderung Strukturrichtlinie-E35). Zudem wurde der Umfang des Stimmrechts durch den europäischen Gesetzgeber 18 nicht – auch nicht durch die Aktionärsrechtsrichtlinie36 – thematisiert. Allerdings sah einer der Entwürfe der Aktionärsrechterichtlinie37 in Art 3ea (neu) vor, dass die Mitgliedstaaten für Aktionäre, die ihre Aktien für einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren halten, zusätzliche Stimmrechte, Steueranreize oder Treuedividenden einführen müssen. Ziel dieser Regelung war es, langfristige Aktionärsbeteiligungen und damit eine stärkere Einbeziehung der Aktionäre zu fördern. Dabei ließ es der Entwurf aber offen, 17
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32 Vgl insgesamt zu diesen Daten Brändel FS Quack, 1991, S 175 f. 33 Mit dieser Einschätzung Wilsing/Goslar Deutscher Corporate Governance Kodex, Ziff 2.1.2 Rdn 35; Ringleb/Kremer Deutscher Corporate Governance Kodex, Rdn 214. 34 Vorschlag einer fünften Richtlinie zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter hinsichtlich der Struktur der Aktiengesellschaft sowie der Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe vorgeschrieben sind, ABl EG Nr C v 13.12.1972, S 49 ff. 35 Geänderter Vorschlag einer fünften Richtlinie des Rates nach Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über die Struktur der Aktiengesellschaft sowie die Befugnisse und Verpflichtungen ihrer Organe, ABl Nr C 240 vom 9.9.1983, S 2. 36 Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABl EG Nr L 184 v 14.7. 2007, S 17 ff. 37 Europäisches Parlament, Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäisches Parlaments und des Rates zur Anderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Forderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionare sowie der Richtlinie 2013/34/EU in Bezug auf bestimmte Elemente der Erklarung zur Unternehmensfuhrung (COM(2014)0213 – C7-0147/2014 – 2014/0121(COD)).
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wie sich aus dem bloßen Umstand des längerfristigen Haltens einer Beteiligung eine stärkere Einbeziehung der Aktionäre ergeben soll. Insbesondere bei nicht-institutionellen Anleger stehen die Kosten für diese stärkere Einbeziehung meist in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis, was auch durch die längerfristige Bindung nicht verändert wird. Im weiteren Gesetzgebungsprozess der Aktionärsrechterichtlinie wurde dieser Regelungsansatz aber aufgegeben. Der European Model Companies Act (EMCA) sieht für jede nennwertlose Aktie (§ 8 19 Rdn 71) ein Stimmrecht und für jede Nennwertaktie (§ 8 Rdn 33) ein dem Nennwert entsprechendes Stimmrecht vor, wobei die Aktien mit dem geringsten Nennwert ein einfaches Stimmrecht haben sollen (Chapter 5 Sec 6 subs 1). Darüber hinaus gestattet das Modellgesetz die Ausgabe stimmrechtsloser Aktien, solange wenigstens auch eine Stimmrechtsaktie ausgegeben wird (Chapter 5 Sec 6 subs 2). Mehrstimmrechtsaktien sind ausdrücklich zugelassen (Chapter 5 Sec 6 subs 1).38 Für die Europäische Aktiengesellschaft gibt es für die in Abs 1 normierten Grund- 20 sätze keine Entsprechung in der SE-VO. Für eine Europäische Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland findet Abs 1 daher uneingeschränkt Anwendung (Art 5 SE-VO).39 b) Mehrstimmrechtsaktien. Das europäische Gesellschaftsrecht kennt kein Verbot von Mehrstimmrechtsaktien. Ein solches war allerdings in der gescheiterten Strukturrichtlinie40 enthalten. Nach deren Art 33 sollte das Stimmrecht des Aktionärs dem durch die Aktie verkörperten Anteil am gezeichneten Kapital entsprechen, ohne dass davon – jedenfalls für Mehrstimmrechte – Ausnahmen vorgesehen waren. Im Rahmen der Reform der Aktionärsrechterichtlinie sollten zwischenzeitlich sogenannte Loyalitätsaktien (Rdn 31) eingeführt werden, bei denen dem Aktionär zusätzliche Stimmrechte zukommen sollen, wenn er die Aktien für einen bestimmten Mindestzeitraum hält (Art 1 Nr 3ea Aktionärsrechterichtlinie-E41). Diese Loyalitätsaktien sollten allerdings nicht von jedem Mitgliedstaat eingeführt werden, da für die Mitgliedstaaten dahingehend ein Wahlrecht bestand. Dieser Regelungsansatz wurde inzwischen allerdings aufgegeben. Für Loyalitätsaktien in einzelnen Mitgliedstaaten siehe Rdn 31 ff. Das europäische Kapitalmarktrecht geht sogar von einer Zulässigkeit von Mehrstimmrechtsaktien aus, da diese in Art 11 Abs 3 Unterabs 3 Übernahmerichtlinie 42 ausdrücklich erwähnt werden. Danach berechtigten Mehrstimmrechtaktien bei einer Beschlussfassung der Hauptversammlung über Abwehrmaßnahmen nur zu einer (einfachen) Stimme. Diese Regelung ist für die Mitgliedstaaten allerdings nicht zwingend, sondern als opt out ausgestaltet (Art 12 Übernahmerichtlinie). Davon hat der deutsche Gesetzgeber bei der Richtlinienumsetzung mit § 33b Abs 2 Satz 1 Nr 2 WpÜG keinen Gebrauch gemacht (Rdn 47). Das in Abs 2 vorgesehene Verbot von Mehrstimmrechtsaktien wird teilweise auch vor dem Hintergrund der Kapitalverkehrsfreiheit (Art 63 AEUV) für notwendig erachtet bzw eine Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien als entsprechender Verstoß
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38 Vgl dazu Perakis, ECFR 2016, 200, 204 f. 39 Spindler/Stilz/Casper3 Art 5 SE-VO Rdn 2; Manz/Mayer/Schröder/Mayer2 Art 5 SE-VO Rdn 89; Schwarz Art 5 SE-VO Rdn 54; Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Ziemons2 Art 5 Anh. I Rdn 20. 40 Siehe Fn 35. 41 Siehe Fn 37. 42 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl EG Nr L 142 v 30.4.2004, S 12 ff.
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betrachtet.43 Daran bestehen allerdings nicht unerhebliche Zweifel. Letztlich dürften die durch Kapitalverkehrsfreiheit indizierten Beschränkungen nicht bei einer Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien an private Investoren gelten.44 Zudem dürfte die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien an die Mitgliedstaaten unproblematisch sein, wenn die Mehrstimmrechtsaktien nicht nur von diesen, sondern generell erworben werden können. Für die Europäische Aktiengesellschaft gibt es für die in Abs 2 normierten Grund25 sätze keine Entsprechung in der SE-VO. Für eine Europäische Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland findet das Verbot der Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien daher Abs 2 uneingeschränkt Anwendung (Art 5 SE-VO).45 6. Ausländisches Recht a) Verknüpfung von Aktie und Stimmrecht (Abs 1). Im französischen Aktienrecht gilt der Grundsatz, dass nur Aktien ein Stimmrecht gewähren. Das One-share-onevote-Prinzip ist hingegen nicht im französischen Aktienrecht verankert, da neben stimmrechtslosen Vorzugsaktien auch Höchst- und Mehrstimmrechtsaktien zulässig sind.46 Das italienische Aktienrecht war hingegen – ähnlich wie das deutsche Recht – deutlich strenger47, hat das One-share-one-vote-Prinzip allerdings in jüngerer Zeit aufgegeben (Rdn 32). Die Rechtslage in Österreich entspricht weitestgehend der deutschen Rechtslage, da § 12 öAktG mit § 12 nahezu identisch ist.48 Im Vereinigten Königreich ist das One-share-one-vote-Prinzip gesetzlich vorgese27 hen (Art 284 Abs 1 (a) Companies Act), von dem aber in der Charter abgewichen werden kann (Art 284 subs. 4 Companies Act). So können sowohl stimmrechtslosen Aktien als auch Aktien mit Höchst- oder Mehrfachstimmrechten (Rdn 33) ausgegeben werden.49 In der Schweiz ist das Stimmrecht in der Aktiengesellschaft ebenfalls an die Aktio28 närsstellung geknüpft, da nur Aktien ein Stimmrecht gewähren können (Art 692 f OR). Das One-share-one-vote-Prinzip besteht hingegen nicht.50 So sieht zwar Art 692 Abs 1 OR vor, dass die Aktionäre ihr Stimmrecht nach dem Verhältnis des gesamten Nennwerts der ihnen gehörenden Aktien ausüben. Dabei ist es aber nicht zwingend, dass der Umfang des Stimmrechts immer dem Umfang der Kapitalbeteiligung entspricht (Art 693 OR). Vielmehr können die Statuten davon abweichen (Art 693 Abs 1 OR). Allerdings muss jedem Aktionär mindestens ein Stimmrecht gewährt werden (Art 692 Abs 2 Satz 1 OR). Bei den übrigen europäischen Rechtsordnungen zeichnet sich ein uneinheitliches 29 Bild ab. So verfügt ungefähr die Hälfte der Rechtsordnungen über stimmrechtslose Aktien.51 Allerdings werden diese in verhältnismäßig geringem Umfang eingesetzt. 26
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43 Grundmann/Möslein ZGR 2003, 317, 351 ff; dies jedenfalls als problematisch bezeichnend Hüffer/ Koch11 Rdn 10; offen lassend Bayer BB 2002, 2289, 2290 f; aA Ferrarini ECFR 2006, 147, 153, 168 ff; Ventoruzzo ZVerglRWiss 114 (2015), 192, 199. 44 Ferrarini ECFR 2006, 147, 153, 168; Ventoruzzo ZVerglRWiss 114 (2015), 192, 199. 45 Spindler/Stilz/Casper3 Art 5 SE-VO Rdn 2; Manz/Mayer/Schröder/Mayer2 Art 57 SE-VO Rdn 22; Schwarz Art 5 SE-VO Rdn 54 f.; Lutter/Hommelhoff/Teichmann/Ziemons2 Art 5 Anh. I Rdn 20. 46 Dazu ausführlich Storck/Schneider AG 2008, 700 ff. 47 Ventoruzzo ZVerglRWiss 114 (2015), 192, 209 f. 48 Vgl zur Rechtslage in Österreich nur MünchKommAktG/Doralt/Diregger3 Rdn 48 f. 49 Schall/Siems Companies Act, Sec 284 Rdn 3. 50 Dazu: Honsell/Vogt/Watter/Länzlinger Obligationenrecht, 3. Aufl 2008, Art 692 Rdn 1 ff. 51 Für Einzelheiten vgl Shearman & Sterling LLP/Institutional Shareholder Services/European Corporate Governance Institute, Report on the Proportionality Principle in the European Union, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/shareholders/study/final_report_en.pdf.
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Das US-amerikanische Recht folgt dem One-share-one-vote-Prinzip nur bedingt. 30 Dies wird etwa im Model Business Corporation Act ausdrücklich festgehalten (§ 7.21(a) MBCA52), findet sich aber auch in den wichtigsten einzelstaatlichen Gesellschaftsrechten. Allerdings handelt es sich bei diesen Regelungen meist nicht um zwingendes Recht, so dass von diesem Grundsatz in der Satzung abgewichen werden kann. Für das Kapitalmarkt- bzw Börsenrecht wurde dieser Grundsatz ebenso übernommen und sogar teilweise ein Verbot der Zulassung stimmrechtsloser Aktien erwogen. So hat etwa die Securities and Exchange Commission (SEC) versucht, ein Verbot der Ausgabe stimmrechtloser Aktien durchzusetzen53, das allerdings an der fehlenden Kompetenz der SEC scheiterte.54 Ansätze für eine zwingende Umsetzung des One-share-one-vote-Prinzips finden sich im US-amerikanischen Recht meist nur noch im Rahmen der listing rules einzelner Börsen, bei denen allerdings eine Reihe von Ausnahmen zugelassen wird. Dies führt im Ergebnis dazu, dass kapitalmarktorientierte Aktiengesellschaften in den Vereinigten Staaten über zwei Gattungen (classes) von Aktien verfügen. Während die sogenannten A shares über ein einfaches Stimmrecht verfügen, werden teilweise auch noch sogenannte B shares ausgegeben, bei denen es sich meist um Mehrstimmrechtsaktien (Rdn 36) handelt. b) Mehrstimmrechtsaktien. Im französischen Aktienrecht war ursprünglich kein 31 Verbot von Mehrstimmrechtsaktien – ebenso wenig wie im deutschen Aktienrecht (Rdn 7) – enthalten. Die negativen Erfahrungen in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts führten allerdings zu einem vollständigen Verbot unter Anerkennung bereits bestehender Mehrstimmrechtsaktien im Jahr 1930, das allerdings schon wenige Jahre später aufgehoben wurde. Stattdessen wurden alle bestehenden Mehrstimmrechtsaktien aufgehoben und lediglich die Ausgabe von Aktien mit doppeltem Stimmrecht ermöglicht. Diese Regelung in Art L225–123 Code de Commerce gilt noch immer. Allerdings kann dieses doppelte Stimmrecht nur ausgeübt werden, wenn der Aktionär einen Aktienbesitz für einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren nachweisen kann. Somit handelt es sich bei dieser Form der Mehrstimmrechtsaktien letztlich um die Unterform der Loyalitätsaktien (Rdn 68). Bei börsennotierten Aktiengesellschaften kann das doppelte Stimmrecht maximal für einen Zeitraum von vier Jahren ausgeübt werden. Zudem besteht das doppelte Stimmrecht nur für einen bestimmten Aktionär und ist nicht übertragbar. Kommt es zur Übertragung der Aktien, verfällt das doppelte Stimmrecht und die Aktie verfügt nur noch über ein einfaches Stimmrecht. Ausnahmen davon bestehen für Erb- und Schenkungsfälle und für Umwandlungsmaßnahmen. Seit der Aktienrechtsreform von 2014 sind diese Loyalitätsaktien (Rdn 68) für börsennotierte Aktiengesellschaften gesetzlich vorgesehen, so dass auf diese bei der Gründung der Aktiengesellschaft in der Satzung verzichtet werden muss. Anderenfalls kommt jedem Aktionär unter den genannten Voraussetzungen ein doppeltes Stimmrecht zu. Hintergrund dieser Regelung ist die Förderung langfristiger Investments. Das italienische Aktienrecht verfolgte ursprünglich – ähnlich wie das deutsche 32 Aktienrecht (Rdn 7) – keinen restriktiven Ansatz und enthielt daher kein Verbot von
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52 § 7.21(a) MBCA lautet: „Except as provided in subsections (b) and (d) or unless the articles of incorporation provide otherwise, each outstanding share, regardless of class, is entitled to one vote on each matter voted on at a shareholders’ meeting. Only shares are entitled to vote.“ 53 Rule 19c-4 (53 FR 26394, July 12, 1988). 54 Business Roundtable v SEC, 905 F.2d 406 (D.C. Circ. 1990); vgl dazu ausführlich Bainbridge The Short Life and Resurrection of SEC Rule 19c-4, 69 Washington University Law Review 565, 567 ff (1991); Hayden/Bodie One Share, One Vote and the False Promise of Shareholder Homogeneity, 30 Cardozo Law Review 446, 471 ff (2008).
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Mehrstimmrechtsaktien. Ein solches wurde erst durch den Codice Civile 1942 eingeführt. Dieser Ansatz wurde jedoch im Rahmen einer Aktienrechtsreform 201555 aufgegeben. Nunmehr können Mehrstimmrechtsaktien und sogenannte Loyalitätsaktien (Rdn 68) ausgegeben werden. Bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften kann maximal ein dreifaches Stimmrecht eingeräumt werden (Art 2351 Abs 4 Codice Civile), wodurch in der Kombination mit stimmrechtslosen Aktien eine Kontrollmehrheit schon mit 12,5% des Kapitals erreicht werden kann. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften können hingegen nur Loyalitätsaktien ausgegeben werden, die ein doppeltes Stimmrecht gewähren, wenn die Aktien mindestens für einen Zeitraum von zwei Jahren gehalten werden (Art 127-quinquies Testo Unico della Finanza). Bei einer Übertragung der Aktien geht dieses doppelte Stimmrecht verloren. Das niederländische Aktienrecht kennt ebenfalls kein striktes Verbot von Mehrstimmrechtsaktien, sondern nutzt diese in Form von Loyalitätsaktien (Rdn 68), um eine langfristige Bindung von Aktionären an die Aktiengesellschaft zu fördern. Auch im Vereinigten Königreich besteht kein Verbot von Mehrstimmrechtsaktien.56 In der Schweiz besteht kein generelles Verbot des sogenannten Pluralstimmrechts. Vielmehr können Aktien mit unterschiedlichen Nennwert und dem gleichen Stimmgewicht ausgegeben werden (Art 692 f OR), wobei die (Mehrstimmrechts-)Aktien das Zehnfache des Nennwerts der Stimmrechtsaktien nicht überstiegen dürfen (Art 693 Abs 2 OR), um dem Auseinanderfallen von Kapitalbeteiligung und Stimmkraft Schranken zu setzen.57 In Österreich besteht hingegen weitgehend die gleiche Rechtslage wie im deutschen Aktienrecht, so dass Mehrstimmrechtsaktien auch dort unzulässig sind (§ 12 Abs 1 öAktG). Allerdings wurde auch in Österreich mehrfach die Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien diskutiert.58 Betrachtet man die übrigen europäischen Rechtsordnungen ist festzustellen, dass die inzwischen überwiegende Zahl Mehrstimmrechtsaktien zulässt und diese auch teilweise in erheblichem Umfang von den Aktiengesellschaften genutzt werden.59 Schließlich waren auch in den Vereinigten Staaten Mehrstimmrechtsaktien ursprünglich nicht verboten und wurden umfangreich eingesetzt. Ähnlich wie in vielen anderen Rechtsordnungen wurden diese jedoch in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zunehmend kritisiert60, ohne dass dies allerdings zu konkreten gesetzgeberischen Maßnahmen führte. Lediglich die Börsenordnungen einzelner Börsen sehen heute Einschränkungen für die Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien vor. Von Mehrstimmrechtsaktien machen nur verhältnismäßig wenige Aktiengesellschaften Gebrauch. So verfügten in den vergangenen Jahren bei Börsengängen nur ungefähr 1,1% der Aktiengesellschaften über Mehrstimmrechtsaktien.61 Soweit Mehrstimmrechtsaktien genutzt werden, verfügen die Aktiengesellschaften neben den (regulären) A shares mit einem einfachen Stimmrecht über sogenannte B shares, die in der Regel ein zehn-
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55 Legge 11 agosto 2014, n. 116; dazu ausführlich Ventoruzzo ZVerglRWiss 114 (2015), 192 ff 56 Bushell v Faith [1970] AC 1099 (House of Lords); vgl auch Schall/Siems Companies Act, Sec 284 Rdn 3. 57 Botschaft über die Revision des Aktienrechts vom 23.2.1983, BBl. 1983 II, 745, 787. 58 Vgl dazu Nowotny GesRZ 1987, 68; kritisch Reich-Rohrwig/Thiery ecolex 1990, 26; Kastner JBl. 1990, 548. 59 Für Einzelheiten vgl Shearman & Sterling LLP/Institutional Shareholder Services/European Corporate Governance Institute, Report on the Proportionality Principle in the European Union, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/shareholders/study/final_report_en.pdf. 60 So vor allem Ripley Main Street and Wall Street, 1927, S 77. 61 Vgl dazu die Auswertung von Gompers/Ishii/Metrick Review of Financial Studies 1056 (2010).
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faches Stimmrecht einräumen. Diese B shares werden als Dividende an die Aktionäre ausgegeben, stehen hinsichtlich des mehrfachen Stimmrechts aber unter der Bedingung, dass sie nicht veräußert werden. Kommt es zu einer Veräußerung, geht das Mehrfachstimmrecht verloren. Dies führt dazu, dass sich die Kontrolle über die Aktiengesellschaft bei den Aktionären konzentriert, die die Aktien langfristig halten.62 7. Ökonomische Analyse. Der Effekt der Ausgabe von Aktien mit unterschiedlich 37 umfangreichen Stimmrechten wird in der ökonomischen Literatur unterschiedlich bewertet. Dabei wird zum einen auf die mit dem Auseinanderfallen von Kapitalbeteiligung und Stimmrecht verbundene Schaffung eines (separaten) Marktes für Unternehmenskontrolle und zum anderen auf die negativen Effekte des sogenannten Short-Termism verwiesen.63 Eine empirische Untermauerung dieser Überlegungen kann allerdings nicht eindeu- 38 tig erfolgen. So zeigen Untersuchungen des US-amerikanischen Kapitalmarktes teilweise, dass sich Aktien von Emittenten mit Mehrstimmrechtsaktien überdurchschnittlich entwickeln.64 Allerdings zeigen andere Untersuchungen das genaue Gegenteil und legen daher nahe, dass ein Festhalten am One-share-one-vote-Grundsatz vorzugswürdig ist.65 Dieser Befund wird teilweise auch durch Untersuchungen europäischer Kapitalmärkte belegt.66 Schließlich zeigen jüngere Untersuchungen des US-amerikanischen Kapitalmarktes, dass die mit Mehrstimmrechtsaktien typischerweise in Verbindung gebrachte Förderung langfristiger Entwicklungen tatsächlich nicht oder jedenfalls nicht unbedingt eintritt.67 8. Rechtspolitische Würdigung a) Verknüpfung von Aktie und Stimmrecht (Abs 1 Satz 1). Die in Abs 1 vorgesehe- 39 ne Verknüpfung von Aktie und Stimmrecht ist aus einer allgemeinen verbandsrechtlichen Sicht nachvollziehbar, da die Einflussnahme auf den Verband nur dessen Mitgliedern gestattet ist. Berücksichtigt man allerdings die aktienrechtsspezifische Position der Aktionäre als bloße Anleger, ist dieser Zusammenhang weniger zwingend. Dies zeigt sich etwa auch im Kapitalmarktrecht bei den Mitteilungspflichten (§§ 21 ff WpHG), bei denen gerade nur an das Stimmrecht angeknüpft wird. b) Zulässigkeit von (stimmrechtlosen) Vorzugsaktien (Abs 1 Satz 2). Die Zuläs- 40 sigkeit von (stimmrechtlosen) Vorzugsaktien nach Abs 1 Satz 2 ist konsequent, da dadurch eine Eigenkapitalfinanzierung ohne Verlust der Einflussnahme möglich ist. Damit werden die Finanzierungsmöglichkeiten der Aktiengesellschaft erweitert. Wenig konsequent ist hingegen, dass der umgekehrte Fall der Ausgabe von Aktien mit mehrfachem Stimmrecht nach Abs 2 verboten ist (Rdn 67 ff).
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62 Ventoruzzo ZVerglRWiss 114 (2015), 192, 196 ff. 63 Dazu ausführlich Seibt ZGR 2010, 795, 815 ff. 64 So etwa Dimitrov/Jain Journal of Corporate Finance 343 (2006). 65 Villalonga/Amit ECGI Working Paper 2006, 27. 66 Pajuste, European Central Bank Working Paper Series No. 465, 2005, S 10 ff (abrufbar unter www.ecb.europa.eu). 67 IRRC Institute/ISS Controlled Companies in the Standard & Poor’s 1500: a Ten Year Performance and Risk Review 2012, S 15 (abrufbar unter http://irrcinstitute.org/pdf/FINAL-Controlled-Company-ISSReport.pdf).
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c) Verbot der Mehrstimmrechtsaktien (Abs 2). Das Verbot der Mehrstimmrechtsaktien in Abs 2 ist nicht überzeugend und sollte aufgegeben werden.68 Dies ergibt sich schon aus dem Umstand, dass es sich bei Mehrstimmrechtsaktien letztlich um das logische Gegenstück zu stimmrechtslosen Vorzugsaktien handelt, die nach Abs 1 Satz 2 (Rdn 40) ausdrücklich zulässig sind. In beiden Fällen geht es darum, den Umfang der Kapitalbeteiligung vom Umfang der Einflussnahme auf die Aktiengesellschaft abzukoppeln. Insofern bestehen bei den Mehrstimmrechtsaktien im Ergebnis sogar weniger Bedenken, da bei diesen an dem allgemeinen Grundsatz der Verbindung von Aktie und Stimmrecht generell festgehalten wird, während dieser bei stimmrechtslosen Vorzugsaktien – jedenfalls im Fall der Vornahme von Ausschüttungen – vollständig durchbrochen wird. Darüber hinaus kann das Verbot in seiner Absolutheit nicht überzeugen, da es ar42 gumentativ auf kapitalmarktrechtlichen Erwägungen basiert, die sich auf eine nichtbörsennotierten Aktiengesellschaft nicht übertragen lassen.69 Wollte man den kapitalmarktrechtlichen Erwägungen des Gesetzgebers (Rdn 9 f.) 43 tatsächlich Überzeugungskraft zukommen lassen, wäre Abs 2 zudem als Regelungsstandort ungeeignet, da dadurch Mehrstimmrechtsaktien auf dem deutschen Kapitalmarkt nicht verhindert werden. Wollte man Mehrstimmrechte tatsächlich aus Gründen des Anlegerschutzes und der Transparenz verbieten (Rdn 6), müsste eine solche Regelung im Börsenrecht erfolgen. Die fehlende Eignung des Regelungsstandorts zeigt sich zudem daran, dass Mehrstimmrechte bei anderen Gesellschaftsformen gerade nicht verboten sind, obwohl diese oftmals den – wenn auch nur grauen – Kapitalmarkt in großem Umfang in Anspruch nehmen. So sind Mehrstimmrechte etwa bei der Kommanditgesellschaft70 ohne weiteres zulässig. 44 Unabhängig von der fehlenden Differenzierung zwischen börsennotierten und nicht-börsennotierten Aktiengesellschaften (Rdn 42) und der fehlenden Erfassung ausländischer Emittenten (Rdn 43) kann das Verbot schon generell nicht überzeugen.71 Denn die insofern vom Gesetzgeber angeführten Aspekte des Schutzes der Erwartungshaltung des Kapitalmarkts und der Stärkung der Eigentümerkontrolle werden durch das generelle Verbot gerade nicht erreicht (Rdn 9 ff). Die Erwartungshaltung des Kapitalmarktes lässt sich ohne weiteres durch eine hinreichende Transparenz und Publizität von Mehrstimmrechtsaktien erreichen, wie sie etwa auch für die Stimmrechtsmitteilungen nach den §§ 21 ff WpHG bestehen. Aber auch die Stärkung der Eigentümerkontrolle kann ein Verbot der Mehrstimmrechtsaktien nicht rechtfertigen. Gerade die Motive für die umfangreiche Nutzung von Mehrstimmrechtsaktien in den Vereinigten Staaten (Rdn 36), in Frankreich (Rdn 31) oder Italien (Rdn 32) machen deutlich, dass diese in einer Kombination mit der Bedingung eines langfristigen Haltens der Aktien die Eigentümerkontrolle gerade erheblich stärken können.72 Dies wird zwar teilweise durch Untersuchungen zum Effekt von Mehrstimmrechtsaktien auf Kapitalmärkten widerlegt (Rdn 38), bleibt aber dennoch ein wichtiger Aspekt. Schließlich gilt zu beachten, dass der Trend international eindeutig in Richtung einer weitgehenden
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68 Im Grundsatz ebenso Baums AG 1997 (Sonderheft August), 26, 30 (für nicht börsennotierte Gesellschaften); ähnlich Hüffer/Koch11 Rdn 10; Zöllner/Noack, AG 1991, 117, 129; aA und mit einer positiven Gesamtwürdigung MünchKomm/Heider4 Rdn 44. 69 So auch Hüffer/Koch11 Rdn 10. 70 Zur Zulässigkeit vgl OLG Karlsruhe v 29.7.2014 – 4 U 24/14, NZG 2014, 1417, 1418. 71 Ebenso Hüffer/Koch11 Rdn 10; ausführlich dazu Bayer in: Verhandlungen des 67. Deutschen Juristentages in Erfurt 2008 – Band I, S E 109; Habersack, AG 2009, 1, 10 f.; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 19. 72 Ventoruzzo ZVerglRWiss 114 (2015), 192, 198 ff.
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Zulassung von Mehrstimmrechtsaktien geht, so dass das in Abs 2 enthaltene Verbot das deutsche Aktienrecht im internationalen Vergleich zurückfallen lässt.73 Für eine Beibehaltung des Verbots spricht aber, dass sich der durch Mehrstimm- 45 rechtsaktien verfolgte Zweck des Auseinanderfallens von Kapitalbeteiligung und Stimmrecht jedenfalls in gewissem Umfang auch durch die Festsetzung eines Aufgeldes (§ 9 Rdn 85 ff) erreichen lässt. Dadurch lässt sich dem Stimmrecht eine höhere Kapitalbeteiligung zuweisen, so dass sich das mit Mehrstimmrechtsaktien verfolgte Ergebnis auf umgekehrte Weise erreichen lässt. Allerdings muss bezweifelt werden, dass diese alternative Gestaltungsmöglichkeit tatsächlich als sachlicher Grund für ein Verbot der Mehrstimmrechtsaktien überzeugen kann, zumal damit auch nur ein einmaliger Effekt bei der Ausgabe der Aktien verbunden ist. 9. Verhältnis zu anderen Vorschriften. Die durch Abs 1 Satz 1 hergestellte Ver- 46 knüpfung von Aktie und Stimmrecht wird in verschiedenen Spezialregelungen durchbrochen. So können bei einer Investmentaktiengesellschaft Anlageaktien ausgegeben werden, die – bei Fehlen einer entsprechenden Satzungsregelung – kein Stimmrecht gewähren (§ 109 Abs 3 Satz 2 KAGB). Zudem werden Mehrstimmrechtsaktien auch in kapitalmarktrechtlicher Hinsicht 47 teilweise adressiert. So können diese nach der Veröffentlichung einer Angebotsunterlage nach § 14 Abs 3 Satz 1 WpÜG während der Annahmefrist in einer über Abwehrmaßnahmen beschließenden Hauptversammlung nur ein einfaches Stimmrecht gewähren (§ 33b Abs 2 Satz 1 Nr 2 WpÜG). Schließlich sieht Ziff 2.1.2 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex vor, dass 48 Mehr- oder Höchststimmrechtsaktien nicht bestehen, was aber lediglich die geltende Rechtslage wiedergibt. 10. (Fehlende) Disponibilität. Die Regelung des § 12 ist zwingendes Recht und 49 kann daher weder in der Satzung noch auf andere Weise abbedungen werden. 11. Alt- und Übergangsfälle. Während es für die in Abs 1 geregelte Verknüpfung 50 von Aktie und Stimmrecht an einer Übergangsregelung fehlt, besteht eine solche für Mehrstimmrechtsaktien in § 5 EGAktG. Danach bleiben die zum Zeitpunkt des Inkrafttreten des KonTraG (Rdn 11) bestehenden Mehrstimmrechtsaktien in ihrem Bestand unberührt. Allerdings sind diese zum 1. Juni 2003 erloschen, soweit die Hauptversammlung bis dahin keine Fortgeltung beschlossen hat. Darüber hinaus kann die Hauptversammlung jederzeit die Abschaffung der Mehrstimmrechtsaktien beschließen, wofür lediglich eine einfache Mehrheit des vertretenen Grundkapitals und gerade kein Sonderbeschluss der Mehrstimmrechtsaktionäre notwendig ist (§ 5 Abs 2 EGAktG). Für den Fall der Abschaffung der Mehrstimmrechtsaktien muss den Mehrstimmrechtsaktionären allerdings ein Ausgleich gewährt werden (§ 5 Abs 3 EGAktG).74 II. Zwingende Verbindung von Aktie und Stimmrecht (Abs 1 Satz 1) Durch Abs 1 Satz 1 kommt zunächst zum Ausdruck, dass die Möglichkeit der Einfluss- 51 nahme auf die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft von einer Beteiligung an
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73 Ventoruzzo ZVerglRWiss 114 (2015), 192, 198 ff. 74 Vgl zu dieser gesamten Problematik ausführlich Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 22 ff; zur Berechnung des Ausgleichs vgl Arnold DStR 2003, 784; Hering/Olbrich ZIP 2003, 104; dies, DStR 2003, 1579; Schulz NZG 2002, 996; Wasmann BB 2003, 57.
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dieser abhängt, da nur eine Aktie ein Stimmrecht gewähren kann. Der Begriff des Stimmrechts wird in Abs 1 und auch sonst im AktG nicht näher definiert. Dabei handelt es sich nach allgemeinem Verständnis um das Recht, an Beschlüssen der Hauptversammlung mitwirken zu dürfen.75 Dieser Grundsatz kennt allerdings im Wesentlichen zwei Ausnahmen in Form der stimmrechtslosen Vorzugsaktien (Rdn 66) und der Höchststimmrechte (Rdn 74). Keine Regelung enthält Abs 1 Satz 1 zu der Frage, in welchem Umfang das Stimm52 recht besteht und auf welche Art und Weise dessen Ausübung erfolgt. Diese Aspekte werden in den §§ 133 ff geregelt. Ebenso wenig verhält sich Abs 1 Satz 1 zu den Ausübungsverboten für das Stimmrecht, die sich aus § 20 Abs 7 Satz 1 (§ 20 Rdn 64 ff), aus § 21 Abs 4 (§ 21 Rdn 12), aus § 28 Abs 1 WpHG, aus § 71b, bei Bestehen von Interessenkonflikten aus § 136 oder aus § 5 Abs 1 Satz 2 EGAktG ergeben können. Hinsichtlich des Tatbestands von Abs 1 Satz 1 muss zwischen zwei verschiedenen 53 Aspekten unterschieden werden.76 Zum einen kann nach Abs 1 Satz 1 kein Stimmrecht ohne eine Aktie begründet (Rdn 54 ff) und zum anderen kann das Stimmrecht von der Aktie nicht getrennt werden (Rdn 61 ff). 1. Keine Begründung von isolierten Stimmrechten. Aufgrund von Abs 1 Satz 1 ist es zunächst nicht möglich, eine Aktie ohne Stimmrecht zu schaffen. Darüber hinaus kann aus Abs 1 Satz 1 im Ergebnis auch der Grundsatz abgeleitet werden, dass Stimmrechte immer nur mit Aktien gewährt werden können77, auch wenn dies dem Wortlaut von Abs 1 Satz 1 selbst nicht unbedingt zu entnehmen ist. In einem unmittelbaren Zusammenhang mit dieser fehlenden Möglichkeit der Schaffung isolierter Stimmrechte steht der Grundsatz der Unteilbarkeit von Aktien nach § 8 Abs 5, der insofern die nachträgliche Trennung des Stimmrechts von der Aktie verbietet (§ 8 Rdn 185 ff). 55 Somit ist für die Gestaltung des Stimmrechts von einem numerus clausus auszugehen, da von dem Grundsatz des Abs 1 Satz 1 nur dann abgewichen werden kann, wenn dies ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist. Anknüpfungspunkt für diesen beschränkten Gestaltungsspielraum ist die Satzungsstrenge (§ 23 Abs 5), da eine von Abs 1 Satz 1 abweichende Gestaltung stets in der Satzung geregelt werden muss.78 Somit kann von dem Grundsatz des Abs 1 Satz 1 nur für stimmrechtlose Aktien (siehe 66) und stimmrechtsbeschränkende Aktien (Höchststimmrechte – siehe 74), nicht aber für stimmrechtserhöhende Aktien (Abs 2 – Mehrstimmrechte – siehe 67 ff) abgewichen werden. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Hauptversammlung immer nur bei einer Beteiligung an der Aktiengesellschaft besteht (Rdn 2). Die zwingende Verbindung von Aktie und Stimmrecht kann auch nicht durch die 56 Gewährung von Fremdkapitalinstrumenten (Schuldverschreibungen, Genussrechten, verbriefte Nachrangdarlehen etc.) durchbrochen werden. Diese verfügen unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung nicht über ein Stimmrecht, da sie nur Gläubigerrechte vermitteln.79 Etwas anderes gilt auch nicht für Wandel-, Pflichtwandel- oder Op-
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75 Mit dieser Definition etwa KK/Dauner-Lieb3 Rdn 5; MünchKomm/Heider4 Rdn 6; Hölters/Solveen2 Rdn 2; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 3; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 3. 76 Ebenso mit dieser Unterscheidung Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4 f. 77 RG v 31.3.1931 – II 222/30 Z 132, 149, 158 f.; BGH v 5.10.1992 – II ZR 172/91, Z 119, 305, 316 = NJW 1993, 57 (kein Stimmrecht für Genussrechtsgläubiger); OLG Düsseldorf v 22.7.1993 – 6 U 84/92, AG 1994, 36, 38 = WM 1994, 842 (kein Stimmrecht bei bloßem Kaufvertrag über Aktien); KK/Dauner-Lieb3 Rdn 6; MünchKomm/ Heider4 Rdn 6; Hüffer/Koch11 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 4. 78 Im Ergebnis ebenso Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4, 9 ff; ebenso OGH v 30.8.2000 – 6 Ob 167/00b NZG 2001, 322. 79 BGH v 5.10.1992 – II ZR 172/91, Z 119, 305, 316 = NJW 1993, 57 (für Genussrechte); MünchKomm/ Heider4 Rdn 7; Hölters/Solveen2 Rdn 4; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4; Griogleit/Vedder Rdn 2.
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tionsanleihen, da diese mitgliedschaftliche Rechte erst dann vermitteln, wenn tatsächlich eine Umwandlung in Aktien erfolgt ist. Ebenso wenig begründen Pfandrechte an der Aktie ein Stimmrecht, so dass dieses bei dem Aktionär verbleibt.80 Etwas anderes gilt allerdings für den Nießbrauch, soweit dieser auch hinsichtlich des Stimmrechts vereinbart wurde.81 Ebenso kommt dem Treuhänder das Stimmrecht zu, da dieser im Außenverhältnis als Eigentümer der Aktie in die Aktionärsstellung mit allen Mitgliedschaftsrechten einrückt und etwaige Beschränkungen im Innenverhältnis zwischen Treuhänder und -geber bei der Stimmabgabe unbeachtlich sind.82 Auch bei der Sicherungsübereignung wird das Stimmrecht durch den Sicherungsnehmer ausgeübt, da dieser im Außenverhältnis in die Aktionärsstellung einrückt.83 Auch ist eine bedingte Einräumung des Stimmrechts nicht möglich. Keinen Fall der Begründung eines isolierten Stimmrechts stellt zudem das sogenannte empty voting dar, da es sich dabei um eine Gestaltung handelt, bei der disproportionale Stimmrechte bei bereits bestehenden Aktien geschaffen werden (dazu ausführlich § 8 Rdn 204).84 Das gleich gilt für das sogenannte hidden ownership (dazu ausführlich § 8 Rdn 205).85 Einen Sonderfall stellen schließlich Bruchteilstimmrechte bei sogenannten Restgesellschaften dar, die generell zulässig sind.86 Dies gilt ebenso für die im Rahmen einer Kapitalherabsetzung durch Zusammenlegung von Aktien entstehenden Spitzen, die bis zu ihrer Zusammenlegung ein Bruchteilstimmrecht gewähren.87 Ein Rechtsgeschäft wodurch ein Stimmrecht unabhängig von einer Aktie geschaffen (Rdn 54 ff) oder von letzterer abgetrennt (Rdn 61 ff) werden soll, ist nach § 134 BGB nichtig, so dass das Stimmrecht nicht isoliert entstehen kann.
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2. Keine (nachträgliche) Trennung des Stimmrechts von der Aktie. Eine weitere 61 Ausprägung erfährt Abs 1 Satz 1 in Form des normativ in § 8 Abs 5 verankerten Abspaltungsverbots (§ 8 Rdn 192 ff)88, wonach Aktien generell nicht teilbar sind und somit eine isolierte Übertragung des Stimmrechts nicht gestattet ist. Auch wenn das Abspaltungsverbot typischerweise auf § 8 Abs 5 (§ 8 Rdn 192 ff) zurückgeführt wird, ist es tatsächlich eher als allgemeiner Grundsatz des Gesellschaftsrechts abzuleiten, wie er etwa auch in § 717 Satz 1 BGB enthalten ist.89
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80 MünchKomm/Heider4 Rdn 7; Hölters/Solveen2 Rdn 4; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 6. 81 Hölters/Solveen2 Rdn 4; Sudhoff NJW 1974, 2205, 2207 f.; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 4; K. Schmidt/ Lutter/Ziemons3 Rdn 6; aA OLG Koblenz v 16.1.1992 – 6 U 963/91 NJW 1992, 2163, 2164 = DB 1992, 1468; Staudinger/Franke2009 Anh. zu §§ 1068, 1069 Rdn 69 ff; MünchKomm/Heider4 Rdn 7; MünchKommBGB/ Pohlmann6 § 1068 Rdn 69 ff; Teichmann ZGR 1972, 1, 10 f. 82 MünchKomm/Heider4 Rdn 7; Hölters/Solveen2 Rdn 4; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 6; ebenso zur GmbH BGH v 21.3.1988 – II ZR 308/87 Z 104, 66, 74 f = NJW 1988, 1844. 83 MünchKomm/Heider4 Rdn 7; ebenso für die GmbH BGH v 19.9.1988 – II ZR 255/87 Z 105, 168, 175 = NJW 1988, 3143. 84 AA wohl Seibt ZGR 2010, 795, 814 ff. 85 AA wohl Seibt ZGR 2010, 795, 814 ff. 86 BGH v 30.9.1991 – II ZR 47/91 NJW-RR 1992, 168 = AG 1992, 27; Hüffer/Koch11 Rdn 3 am Ende; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8. 87 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 7. 88 RG v 31.3.1931 – II 222/30 Z 132, 149, 159; BGH v 17.11.1986 – II ZR 96/86 NJW 1987, 780, 781 = AG 1987, 157; Habersack Die Mitgliedschaft, 1996, S 78 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 3; Hölters/Solveen2 Rdn 4, 6; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5; NK-AktG/Wagner4 Rdn 2; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 4. 89 Habersack Die Mitgliedschaft, 1996, S 78 ff; Griogleit/Vedder Rdn 2; Hüffer/Koch11 Rdn 3; ähnlich RG v 31.3.1931 – II 222/30 Z 132, 149, 159 (Ableitung aus allgemeinen aktienrechtlichen Grundsätzen); in diesem Sinne auch BGH v 17.11.1986 – II ZR 96/86, NJW 1987, 780, 781 = AG 1987, 157; siehe auch § 8 Rdn 187.
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Ein Verstoß gegen das Abspaltungsverbot ist allerdings nur dann anzunehmen, wenn das Stimmrecht dauerhaft und ohne die Möglichkeit einer Einflussnahme auf eine andere Person isoliert übertragen wird.90 Daher stellt die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht schon keinen Verstoß gegen das Abspaltungsverbot und zwar unabhängig davon dar, ob der Vertreter im fremden oder im eigenen Namen (Legitimationsaktionär) auftritt.91 Ebenso wenig steht Abs 1 Satz 1 einer Ausübung des Stimmrechts durch einen gesetzlichen Vertreter entgegen.92 Schließlich kann das Stimmrecht auch durch den Testamentsvollstrecker (§ 2205 Satz 1 BGB)93, den Nachlassverwalter (§§ 1984 Abs 1 Satz 1, 1985 BGB), einen Abwesenheitspfleger94 und bei Massezugehörigkeit durch den Insolvenzverwalter (§ 80 Abs 1 InsO)95 ausgeübt werden.96 Ebenfalls kein Verstoß gegen das Abspaltungsverbot ergibt sich bei einer Vereinba63 rung von Stimmrechts(ausübungs)beschränkungen durch die Aktionäre.97 Diese können sich vielmehr schuldrechtlich hinsichtlich der Ausübung des Stimmrechts im Rahmen von Stimmrechtsbindungsverträgen oder Konsortialverträgen verpflichten und sich gegenseitig binden.98 64 Kein Fall des Abspaltungsverbots stellt schließlich die uneinheitliche Abgabe von mehreren Stimmen durch einen Aktionär (gesplittete Stimmabgabe) dar99, da sich das Abspaltungsverbot immer nur auf das durch eine Aktie gewährte Stimmrecht beschränkt. Das Stimmrecht selbst ist allerdings unteilbar, so dass eine Stimme nicht gesplittet abgegeben werden kann. Eine Ausübung eines Stimmrechts entgegen Abs 1 Satz 1 ist unwirksam, da das 65 Stimmrecht dann schon nicht existiert. Daher ist der Beschluss der Hauptversammlung wegen einer Verletzung des Gesetzes (§ 243 Abs 1) anfechtbar. III. Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (Abs 1 Satz 2) 66
Durch Abs 1 Satz 2 wird der allgemeine Grundsatz der zwingenden Verbindung von Aktie und Stimmrecht aus Abs 1 Satz 1 durchbrochen, indem Vorzugsaktien mit oder ohne Stimmrecht ausgegeben werden dürfen (§§ 139–141 – siehe dazu die Kommentie-
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90 BGH v 10.11.1951 – II ZR 111/50, Z 3, 354, 358 f = NJW 1952, 178; BGH v 17.11.1986 – II ZR 96/86 NJW 1987, 780 = AG 1987, 157; KK/Dauner-Lieb3 § 8 Rdn 50; MünchKomm/Heider4 Rdn 13 ff; Hölters/Solveen2 Rdn 5; Spindler/Stilz/Vatter3 § 8 Rdn 60; Grigoleit/Vedder § 8 Rdn 22; NK-AktG/Wagner4 Rdn 2; ähnlich K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 § 8 Rdn 29. 91 MünchKomm/Heider4 Rdn 15 ff; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5. 92 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5. 93 BGH v 3.7.1989 – II ZB 1/89 Z 108, 187, 199 = NJW 1989, 3152 (für die KG); KK/Dauner-Lieb3 Rdn 6; MünchKomm/Heider4 Rdn 19; Hölters/Solveen2 Rdn 5; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5. 94 BGH v 30.9.1991 – II ZR 47/91 NJW-RR 1992, 168, 169 = AG 1992, 27; MünchKomm/Heider4 Rdn 19; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5 (Fn 11). 95 Dazu Gottwald/Haas/Mock5 § 93 Rdn 121. 96 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 6; MünchKomm/Heider4 Rdn 19; Hölters/Solveen2 Rdn 5; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 5. 97 BGH v 29.5.1967 – II ZR 105/66 Z 48, 163, 166 f. = AG 1967, 358 (für die GmbH); BGH v 27.10.1986 – II ZR 240/85 NJW 1987, 1890 (für die GmbH); KK/Dauner-Lieb3 Rdn 11; MünchKomm/Heider4 Rdn 22; Hölters/Solveen2 Rdn 6; Griogleit/Vedder Rdn 2; NK-AktG/Wagner4 Rdn 8; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 22 f. 98 BGH v 24.11.2008 – II ZR 116/08 Z 179, 13 Tz 12 = NJW 2009, 669, 670; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 8. 99 Heckelmann AcP 170 (1970), 306, 317 ff, 331; MünchKomm/Heider4 Rdn 20; Hölters/Solveen2 Rdn 5; NK-AktG/Wagner4 Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9; einschränkend aber KK/DaunerLieb3 Rdn 13; vgl auch allerdings zur GmbH RG v 11.10.1932 – II 482/31 Z 137, 305, 312 ff; RG v 2.2.1938 – II 174/37 Z 157, 52, 57 f.
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Stimmrecht. Keine Mehrstimmrechte | § 12
rung zu den §§ 139–141). Die stimmrechtslosen Vorzugsaktien stellen aber nicht den einzigen Fall der Beschränkung bzw des Ausschlusses der Stimmrechte dar. Ein solcher kann auch durch Höchststimmrechte erreicht und durch ein Ausübungsverbot begründet werden (Rdn 74). IV. Mehrstimmrechte (Abs 2) Mehrstimmrechte stellen im Ergebnis ein Instrument der Unternehmenskontrol- 67 le100 dar und sind daher in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Stimmbindungsverträgen (Rdn 70), stimmrechtslosen Vorzugsaktien (Rdn 41) und Lock-up-Agreements101 zu betrachten. Diese Form der Unternehmenskontrolle eignet sich vor allem für Privatisierungen staatlicher Unternehmen, da mit der Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien eine staatliche Kontrolle bei gleichzeitiger Erzielung eines Privatisierungserlöses möglich ist.102 Zur fehlenden Erfassung dieser Konstellationen durch die Golden-Shares-Rechtsprechung siehe Rdn 24. Zum Einsatz von Mehrstimmrechtsaktien in anderen Rechtsordnungen siehe Rdn 31 ff. Eine Sonderform der Mehrstimmrechtsaktien stellen die sogenannten Loyalitätsak- 68 tien (loyalty shares) dar, bei denen typischerweise das Mehrstimmrecht nur dann ausgeübt werden kann, wenn der Aktionär die Aktie für einen bestimmten Zeitraum nicht veräußert.103 Diese in zahlreichen europäischen Rechtsordnungen (Rdn 31 ff) in zunehmendem Maße auftretende Aktienform ist im deutschen Aktienrecht aufgrund des Verbots in Abs 2 (Rdn 67) nicht zulässig. 1. Generelle Unzulässigkeit. Durch Abs 2 sind Mehrstimmrechte generell unzuläs- 69 sig. Dieses Verbot gilt ausnahmslos für alle Arten von Aktiengesellschaften und zwar unabhängig davon, ob diese börsennotiert sind oder nicht.104 In seiner Verbotswirkung ist Abs 2 aber nur auf Aktien beschränkt. Daher können durch Abs 2 keine Stimmbindungsverträge erfasst werden, auch 70 wenn sich durch diese in vielen Fällen das gleiche wirtschaftliche Ergebnis erreichen lässt.105 Diese fehlende Erfassung von Stimmbindungsverträgen ergibt sich zum einen aus deren ausdrücklicher normativer Erfassung (§§ 136 Abs 3, 405 Abs 3 Nr 6)106 und dem bloßen schuldrechtlichen Charakter107 der Stimmbindungsverträge. Von dem Verbot der Mehrstimmrechtsaktien nach Abs 2 gibt es zwei Ausnahmen. 71 Die erste Ausnahme besteht für die bereits vor der Schaffung des Verbots (Rdn 9) ausgegebenen Mehrstimmrechtsaktien (§ 5 EGAktG). Die zweite Ausnahme ergibt sich aus § 216 Abs 1, da danach das Verhältnis der mit Aktien verbundenen Rechte zueinander durch eine Kapitalerhöhung nicht berührt wird. Während § 216 Abs 1 Satz 2 aF bis zu seiner Aufhebung durch das MoMiG (Rdn 12) für die Mehrstimmrechtsaktien anordnete, dass entsprechend neue Mehrstimmrechtsaktien ausgegeben werden können, fehlt es inzwischen an einer entsprechenden Regelung. Da § 216 Abs 1 aber (noch immer) anordnet, dass das Verhältnis der mit den Aktien verbundenen Rechte zueinander durch eine
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100 Ventoruzzo ZVerglRWiss 114 (2015), 192, 193 f. 101 Dazu ausführlich KK-WpHG/Mock2 § 20a Rdn 290, 425 f. 102 Ventoruzzo ZVerglRWiss 114 (2015), 192, 193 f. 103 Dazu ausführlich Cronheim FS Wegen, 2015, 197 ff 104 Ebenso Hüffer/Koch11 Rdn 10; zur rechtspolitischen Diskussion zur Gestaltung bei nichtbörsennotierten Aktiengesellschaften siehe Rdn 41 ff. 105 Hüffer/Koch11 Rdn 10. 106 Hüffer/Koch11 Rdn 10. 107 Hüffer/Koch11 Rdn 10.
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§ 13 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
Kapitalerhöhung nicht berührt wird, muss es auch nach der Aufhebung von § 216 Abs 1 Satz 2 aF dabei bleiben, dass eine entsprechende Anzahl neuer Mehrstimmrechtsaktien bei einer Kapitalerhöhung wirksam ausgegeben werden kann.108 2. Rechtsfolge der Begründung von (neuen) Mehrstimmrechtsaktien. Die Einräumung von Mehrstimmrechtsaktien durch die Gründungssatzung einer Aktiengesellschaft führt zu einer Nichtigkeit der jeweiligen Satzungsregelung nach § 134 BGB,109 ohne dass damit zugleich die Nichtigkeit der gesamten Satzung verbunden ist (§ 139 BGB). 73 Die nachträgliche Einführung von Mehrstimmrechtsaktien durch einen Beschluss der Hauptversammlung führt zu einer Nichtigkeit des satzungsändernden Beschlusses (§ 241 Nr 3 Alt 3).110
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V. Höchststimmrechte 74
Eine weitere Form der Beschränkung des Stimmrechts ist das sogenannte Höchststimmrecht, das nach § 134 Abs 1 Satz 2 bei nichtbörsennotierten Aktiengesellschaften vorgesehen werden kann. Siehe dazu ausführlich die Kommentierung bei § 134. § 13 Unterzeichnung der Aktien Mock
§ 13 Unterzeichnung der Aktien 1
Zur Unterzeichnung von Aktien und Zwischenscheinen genügt eine vervielfältigte Unterschrift. 2 Die Gültigkeit der Unterzeichnung kann von der Beachtung einer besonderen Form abhängig gemacht werden. 3 Die Formvorschrift muss in der Urkunde enthalten sein.
I.
II.
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Inhalt der Regelung | 1 2. Zweck der Regelung | 2 3. Gesetzesgeschichte | 3 4. Wirtschaftliche Bedeutung | 4 5. Europäisches Recht | 5 6. (Fehlende) Disponibilität | 7 Unterzeichnung und Herstellung der Urkunde | 8 1. Anwendungsbereich | 8
2.
III.
Unterzeichnung der Urkunde (Satz 1) | 9 3. Zusätzliche Formerfordernisse (Satz 2 und 3) | 12 4. Weitere Anforderungen | 13 5. Verstoß gegen die Anforderungen | 15 Inhalt der Aktienurkunde | 17
108 109 110
Schrifttum Degner Zum Neudruck von Wertpapieren, WM 1963, 861; Kümpel Die Emission von Wertpapieren mit Unterschriften pensionierter oder verstorbener Vorstandsmitglieder, FS Werner, 1984, S 449; Richtlinien der deutschen Börsen für den Druck von Wertpapieren, WM 1956, Sonderbeil. Nr 11, geändert in WM 1963, 21; Ulmer Der Einwendungsausschluß im einheitlichen Wechselgesetz, FS Raiser, 1974, S 225.
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108 Ebenso Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 20; aA wohl Hölters/Solveen2 Rdn 13, der sich für ein uneingeschränktes Verbot ausspricht. Vgl. auch Milde-Büttcher, BB 1999, 1073, 1074, mit einer generellen Zulässigkeit der Ausgabe von Mehrstimmrechtsaktien nach einer Kapitalerhöhung bei Altgesellschaften. 109 Im Ergebnis auch Hüffer/Koch11 Rdn 10; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 18. 110 Hüffer/Koch11 Rdn 10; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 18.
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Unterzeichnung der Aktien | § 13
Materialien Gemeinsame Grundsätze der deutschen Wertpapierbörse für den Druck von Wertpapieren vom 13. Oktober 1991.1
I. Grundlagen 1. Inhalt der Regelung. Durch § 13 wird ein Teilaspekt der Herstellung von Aktien- 1 urkunden und Zwischenscheinen in Form der Erleichterung der Unterzeichnung geregelt. 2. Zweck der Regelung. Da eine Aktie für ihre Entstehung wie alle Wertpapiere ei- 2 nen Skripturakt des Ausstellers erfordert2 und somit aufgrund der §§ 126 f BGB jede ausgegebene Aktie oder jeder Zwischenschein persönlich unterzeichnet werden müsste, sieht § 13 eine Sonderregelung dahingehend vor, dass eine vervielfältige Unterschrift ausreicht. Somit dient § 13 der Vereinfachung der Herstellung von Aktienurkunden, ohne dabei die Herstellung dieser Urkunden umfassend zu regeln.3 3. Gesetzesgeschichte. Die Problematik der Unterzeichnung von Aktien wurde erst- 3 mals durch den § 793 Abs 2 BGB 1900 nachgebildeten § 181 HGB 1897 geregelt, wonach bereits eine im Wege der mechanischen Vervielfältigung hergestellte Namensunterschrift genügte, sofern in der Aktienurkunde keine besondere Form vorgegeben war.4 Diese Vorgaben wurden im Rahmen der Aktienrechtsreform 19375 übernommen und nur geringfügig sprachlich abgeändert. Sowohl die Aktienrechtsreform 19656 als auch spätere Reformen haben § 13 unberührt gelassen. 4. Wirtschaftliche Bedeutung. Aufgrund der heute typischerweise vorgenomme- 4 nen Begebung von Global- oder Sammelurkunden (§ 10 Rdn 50 ff) ist die Bedeutung von § 13 sehr beschränkt. 5. Europäisches Recht. Die physische Ausgabe von Aktien wird durch das europäi- 5 sche Gesellschafts- bzw Kapitalmarktrecht nicht geregelt. Für die Europäische Aktiengesellschaft gibt es für die in § 13 normierten Grundsätze keine Entsprechung in der SE-VO. Daher findet auf eine Europäische Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland § 13 uneingeschränkt Anwendung (Art 5 SE-VO).7 Auch der European Model Companies Act (EMCA) sieht keine entsprechende Re- 6 gelung vor, erwähnt aber ausdrücklich die Ausgabe dematerialisierter Aktien.8
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1 Zuletzt geändert am 17.4.2000, abrufbar unter www.deutsche-boerse.de. 2 Dazu nur Hueck/Canaris Wertpapierrecht, § 3; Zöllner, Wertpapierrecht, § 6. 3 In diesem Sinne auch MünchKomm/Heider4 Rdn 2 f.; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 2. 4 § 181 HGB 1897 lautete: „Zur Unterzeichnung von Aktien und Interimsscheinen genügt eine im Wege der mechanischen Vervielfältigung hergestellte Namensunterschrift. Die Gültigkeit der Unterzeichnung kann durch eine in die Urkunde aufgenommene Bestimmung von der Beobachtung einer besonderen Form abhängig gemacht werden.“. 5 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) v 30.1.1937 (RGBl I, 107). 6 Aktiengesetz vom 6.9.1965, BGBl I, S 1089. 7 Spindler/Stilz/Casper3 Art 5 SE-VO Rdn 2; im Ergebnis wohl auch Lutter/Hommelhoff/Teichmann/ Ziemons2 Art 5 Anh. I Rdn 17 (für die Verbriefung allgemein). 8 Vgl dazu Perakis, ECFR 2016, 200, 204 f.
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§ 13 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
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6. (Fehlende) Disponibilität. Die Regelung des § 13 ist nur teilweise zwingendes Recht, da nach Satz 2 ausdrücklich weitere Formerfordernisse vorgesehen werden können (Rdn 12). II. Unterzeichnung und Herstellung der Urkunde
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1. Anwendungsbereich. Die Erleichterungen bei der Herstellung bzw Unterzeichnung der Aktie gelten aufgrund des Wortlauts von § 13 nur für Aktien und Zwischenscheine und zwar unabhängig davon, um welche Art oder Gattung von Aktien es sich handelt.9 Daher findet sie vor allem auf Fremdkapitalinstrumente keine Anwendung, wofür aufgrund des auf diese anwendbaren § 793 Abs 2 Satz 2 BGB auch kein Bedarf besteht.10 Keine Anwendung findet § 13 zudem auf Global- oder Sammelurkunden, da diese einer Verbriefung mehrerer Aktien in einer Urkunde dienen (§ 10 Rdn 50 f.) und somit schon nicht für den Umlauf gedacht sind.11 Diese fehlende Anwendbarkeit ist aufgrund der bei Global- oder Sammelurkunden ohnehin nicht notwendigen Vereinfachung des Herstellungsprozesses auch unproblematisch.12 Auch für Dividendenscheine gilt § 13 nicht.13
2. Unterzeichnung der Urkunde (Satz 1). Die Aktien und Zwischenscheine müssen unterzeichnet werden, da sie anderenfalls schon keine Wertpapiere darstellen und keine Wirkung entfalten können.14 Die Unterzeichnung muss durch die Vorstandsmitglieder in vertretungsberechtigter Zahl (§ 78) oder von anderen dazu bevollmächtigten Personen erfolgen. Eine Unterzeichnung durch den Prokuristen oder den Handlungsbevollmächtigten ist nicht ausreichend, da es sich bei der Herstellung und Begebung der Aktien und Zwischenscheine nicht um ein Handelsgeschäft (§§ 49, 54 HGB) handelt.15 Die Unterzeichnung kann für jede einzelne Urkunde einzeln erfolgen. Die Unter10 schrift erfordert die Zeichnung eines individuellen Namenszuges, der den Unterzeichner erkennen lässt.16 Die erforderliche Wiedergabe der Unterschrift (Faksimile), kann durch Druck, Stempel oder andere Vervielfältigungsarten erfolgen.17 Nicht ausreichend ist die Wiedergabe des Namens in Druckbuchstaben.18 Erforderlich ist zudem, dass der Unterzeichner der Vervielfältigung zugestimmt hat, da es sonst nicht zu einer 9
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9 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 5; MünchKomm/Heider4 Rdn 5; Hüffer/Koch11 Rdn 2; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 3. 10 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 8; MünchKomm/Heider4 Rdn 5; Hüffer/Koch11 Rdn 2; Hölters/Solveen2 Rdn 2; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 3; Grigoleit/Vedder Rdn 3; NK-AktG/Wagner4 Rdn 2; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 4. 11 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 6; Hölters/Solveen2 Rdn 2; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 6; Grigoleit/Vedder Rdn 2; aA MünchKomm/Heider4 Rdn 6; Heißel/Kienle WM 1993, 1909, 1913; Hüffer/Koch11 Rdn 2. 12 Ebenso Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 6. 13 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 8; MünchKomm/Heider4 Rdn 5; Hüffer/Koch11 Rdn 2; Hölters/Solveen2 Rdn 2; Grigoleit/Vedder Rdn 3; aA K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 3. 14 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 4, 9; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 8; aA Hüffer/Koch11 Rdn 6, die die Unterzeichnungspflicht direkt aus S 1 ableiten wollen. 15 Ebenso Hüffer/Koch11 Rdn 6; MünchKomm/Heider4 Rdn 25; Hölters/Solveen2 Rdn 5; Spindler/Stilz/ Vatter3 Rdn 8; NK-AktG/Wagner4 Rdn 11; aA K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 12. 16 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 9; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 12. 17 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 16; MünchKomm/Heider4 Rdn 26; Hüffer/Koch11 Rdn 6; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 9. 18 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 16; Hüffer/Koch11 Rdn 6; Hölters/Solveen2 Rdn 6; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 9; Grigoleit/Vedder Rdn 2; NK-AktG/Wagner4 Rdn 11; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 11.
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wirksamen Verbriefung kommt.19 Allerdings besteht die Möglichkeit einer Genehmigung der vollmachtlosen Vertretung.20 Schließlich muss die Unterschrift erkennen lassen, dass der Unterzeichner die ge- 11 samte Erklärung unterzeichnen wollte, was regelmäßig durch die abschließende Unterschrift zum Ausdruck kommt. 3. Zusätzliche Formerfordernisse (Satz 2 und 3). Durch Satz 2 wird die Möglich- 12 keit eröffnet, weitere Formerfordernisse vorzusehen. In Betracht kommt etwa die Unterschrift anderer Personen wie etwa des Aufsichtsratsvorsitzenden oder anderer Kontrollpersonen, die Beglaubigung durch einen Notar oder die Verwendung eines bestimmten Stempels der Aktiengesellschaft.21 Derartige erweiterte Formerfordernisse müssen allerdings in der Satzung geregelt und können nachträglich nicht allein durch Vorstand und Aufsichtsrat eingeführt werden.22 Darüber hinaus müssen die erweiterten Anforderungen in der Urkunde selbst angegeben werden (Satz 3), um den Rechtsverkehr hinreichend zu schützen.23 4. Weitere Anforderungen. Abgesehen von den Vorgaben von § 13 werden keine 13 weiteren aktienrechtlichen Anforderungen an die Herstellung von Aktienurkunden gestellt. Aus allgemeinem Wertpapierrecht ergibt sich aber, dass die Aktienurkunden als schriftliche Urkunden hergestellt werden müssen.24 Die konkrete Art und Weise der Herstellung ist dabei nicht vorgegeben, so dass die Urkunde handschriftlich, maschinenschriftlich, gedruckt, fotokopiert oder auf sonstige Weise vervielfältigt werden kann.25 Für eine Börsennotierung sind zusätzlich die Vorgaben von § 8 Abs 1 BörsZulV zu 14 beachten, wonach die einzelverbrieften Aktienurkunden ausgedruckt und mit einem Fälschungsschutz versehen sein müssen. Die weiteren Anforderungen ergeben sich aus den von den deutschen Wertpapierbörsen gemeinsam aufgestellten Druckrichtlinien („Gemeinsamen Grundsätze der deutschen Wertpapierbörse für den Druck von Wertpapieren vom 13. Oktober 1991“26). Bei einem Ausschluss der Einzelverbriefung (§ 10 Abs 5 – § 10 Rdn 202 ff) gelten diese Voraussetzungen aber nicht für eine Global- oder Sammelurkunde.27 5. Verstoß gegen die Anforderungen. Die fehlende Beachtung der Anforderungen 15 von § 13 führt zur Unwirksamkeit der Verbriefung.28 Damit ist der Anspruch des Aktionärs auf Verbriefung seiner Mitgliedschaft nicht erfüllt. Sein Anspruch besteht daher noch fort und er kann die Auslieferung ordnungsgemäßer Stücke Zug um Zug gegen Ab-
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19 RG v 24.6.1884 – Z 14, 94, 97; Kümpel FS Werner, 1984, S 449 ff; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 9; NK-AktG/ Wagner4 Rdn 11. 20 RG v 24.6.1884 – Z 14, 94, 97; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 16. 21 MünchKomm/Heider4 Rdn 27; Hölters/Solveen2 Rdn 7; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 10; Grigoleit/Vedder Rdn 2. 22 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 17; MünchKomm/Heider4 Rdn 27 f; Hüffer/Koch11 Rdn 7; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 10; aA Godin/Wilhelmi Rdn 1. 23 Hüffer/Koch11 Rdn 7. 24 MünchKomm/Heider4 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 12. 25 MünchKomm/Heider4 Rdn 23; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 12. 26 Zuletzt geändert am 17.4.2000, abrufbar unter www.deutsche-boerse.de. 27 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 13. 28 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 18, 21; MünchKomm/Heider4 Rdn 16; Hüffer/Koch11 Rdn 8; Hölters/Solveen2 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 11, 27; Grigoleit/Vedder Rdn 5 f; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9.
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§ 13 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
lieferung der mangelhaften Stücke verlangen.29 Bis zur Auslieferung ordnungsgemäßer Stücke kann der Aktionäre seine verbriefte Mitgliedschaft auch nicht übertragen, da das dafür erforderliche Wertpapier schon nicht wirksam entstanden ist.30 Davon unberührt bleibt allerdings die Übertragung der Mitgliedschaft im Wege der Abtretung.31 Die fehlerhafte Ausstellung der Aktienurkunden begründet keinen Schadenersatz16 anspruch des Aktionärs gegen den Vorstand oder den Aufsichtsrat. Ein solcher ergibt sich insbesondere auch nicht aus einer analogen Anwendung von § 8 Abs 2 Satz 3.32 Allerdings kann sich ein Schadenersatzanspruch gegen die Aktiengesellschaft als Ausgeber der Aktien aus § 280 Abs 1 BGB in Verbindung mit dem Übernahme- bzw Zeichnungsvertrag ergeben.33 Der für den Aktionär entstehende Schaden ergibt sich in der Regel aus dem Scheitern der Veräußerung der Aktien und somit aus einem entgangenen Gewinn (§ 252 BGB). III. Inhalt der Aktienurkunde 17
Der Inhalt der Aktienurkunde wird durch § 13 selbst nicht geregelt und ergibt sich auch im Übrigen nicht aus einer zentralen aktienrechtlichen Regelung. Aus der Eigenschaft als Wertpapier im Sinne des Wertpapierrechts und als Order- (Namensaktie) bzw Inhaberpapier (Inhaberaktie) ergibt sich aber eine Reihe von zwingenden Bestandteilen. Die Aktienurkunde muss zunächst die Aktiengesellschaft als Aussteller erkennen 18 lassen. Dafür ist die Angabe der Firma erforderlich.34 Darüber hinaus empfiehlt sich die Angabe des Sitzes, um Verwechslungen auszuschließen.35 Weiterhin muss deutlich werden, dass die Urkunde die Mitgliedschaft an einer Aktiengesellschaft verbrieft, was in der Regel – aber nicht zwingend – durch die Verwendung des Begriffs Aktie erfolgen kann.36 Es gibt keinen Zwang, den Text auf der Aktie in deutscher Sprache zu verfassen.37 19 Zudem muss die Urkunde den Umfang der Mitgliedschaft erkennen lassen.38 Dies erfolgt bei Nennbetragsaktien durch die Angabe des Nennbetrags und bei Stückaktien durch die Angabe der (Stück-)Zahl, die die Aktie verkörpert.39 Dabei müssen weder bei der Nennbetrags- noch bei der Stückaktie der Nennbetrag des Grundkapitals oder die Gesamtzahl der existierenden Aktien angegeben werden, zumal diese Angabe
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29 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 19; Hüffer/Koch11 Rdn 8; Hölters/Solveen2 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 11; Grigoleit/Vedder Rdn 6. 30 Hüffer/Koch11 Rdn 8 am Ende. 31 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 21; Hölters/Solveen2 Rdn 8; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 11; Grigoleit/Vedder Rdn 6; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 15. 32 MünchKomm/Heider4 Rdn 31; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 11; NK-AktG/Wagner4 Rdn 14; wohl auch KK/Dauner-Lieb3 Rdn 19. 33 NK-AktG/Wagner4 Rdn 14; ähnlich Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 27. 34 MünchKomm/Heider4 Rdn 10; Hölters/Solveen2 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 15; K. Schmidt/ Lutter/Ziemons3 Rdn 7. 35 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 15; aA K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7, die insofern von einem zwingenden Bestandteil ausgeht. 36 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 9; MünchKomm/Heider4 Rdn 11; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Hölters/Solveen2 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 16; NK-AktG/Wagner4 Rdn 4; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7. 37 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 14; MünchKomm/Heider4 Rdn 14; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Hölters/Solveen2 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 24; Grigoleit/Vedder Rdn 5; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 14. 38 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 10; Hölters/Solveen2 Rdn 3; Grigoleit/Vedder Rdn 5; NK-AktG/Wagner4 Rdn 6; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7. 39 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 10; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 18; NK-AktG/Wagner4 Rdn 6; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 7.
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Zuständigkeit | § 14
bei Kapitalmaßnahmen unrichtig werden würde.40 Sofern Nennbetragsaktien mit unterschiedlichen Nennbeträgen ausgegeben werden, müssen für die verschiedenen Nennbeträge jeweils eigenständige Urkunden ausgestellt werden.41 Bei einer Börsennotierung müssen die Nennbetragsaktien mit unterschiedlichen Nennbeträgen farblich voneinander abgehoben werden.42 Bei Zwischenscheinen und Global- oder Sammelurkunden muss zudem erkennbar sein, dass es sich nicht um Aktien im eigentlichen Sinne handelt.43 Weiterhin müssen die Urkunden erkennen lassen, ob es sich bei den Aktien um Namens- oder Inhaberaktien handelt.44 Das Bestehen einer Vinkulierung muss auf der Urkunde nicht angegeben werden. 45 Bestehen mehrere Gattungen von Aktien (§ 11 Rdn 59 ff) ist dies in der Urkunde anzugeben, wofür ein Verweis auf die jeweilige Satzungsbestimmung ausreicht.46 Werden die Namensaktien bereits vor der vollen Leistung des Ausgabebetrags ausgegeben, muss der bereits geleistete Teilbetrag in der Urkunde angegeben werden (§ 10 Abs 2 Satz 2 – § 10 Rdn 188 ff). Werden neue Aktien nach einer Kaduzierung ausgegeben, muss zudem der offene Restbetrag angegeben werden (§ 64 Abs 4 Satz 1). Zudem müssen auch Nebenleistungspflichten in Art und Umfang auf der Urkunde angegeben werden (§ 55 Abs 1 Satz 3). Schließlich müssen die einzelnen Urkunden durch Serienzeichen und Nummern unterscheidbar sein, da es sonst an der Individualisierbarkeit fehlt, was vor allem für das Verfahren der Kraftloserklärung (§§ 72 f) von Bedeutung ist.47 Der Ort oder der Tag der Ausstellung muss nicht vermerkt sein.48 Soweit gegen diese Anforderungen verstoßen wird, kommt es zu einer Unwirksamkeit der Verbriefung (siehe dazu ausführlich Rdn 15 f). § 14 Zuständigkeit Mock
§ 14 Zuständigkeit Gericht im Sinne dieses Gesetzes ist, wenn nichts anderes bestimmt ist, das Gericht des Sitzes der Gesellschaft.
I.
Systematische Übersicht Grundlagen | 1 1. Inhalt der Regelung | 1 2. Zweck der Regelung | 2
3. 4. 5.
Gesetzesgeschichte | 3 Europäisches Recht | 4 Rechtspolitische Würdigung | 6
_____
40 Ebenso KK/Dauner-Lieb3 Rdn 10; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 18; aA MünchKomm/Heider4 Rdn 12. 41 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 18. 42 Ziff 6.2 der Gemeinsamen Grundsätze der deutschen Wertpapierbörse für den Druck von Wertpapieren vom 13. Oktober 1991 (Fn 1). 43 Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 25 f. 44 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 11; MünchKomm/Heider4 Rdn 13; Hölters/Solveen2 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 19; Grigoleit/Vedder Rdn 5; NK-AktG/Wagner4 Rdn 7; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7. 45 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 11; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 19; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8. 46 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 13; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 21; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 7. 47 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 20; MünchKomm/Heider4 Rdn 14; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 23; Hölters/Solveen2 Rdn 3; Grigoleit/Vedder Rdn 5; NK-AktG/Wagner4 Rdn 8; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 7; vgl auch Ziff 2.1 und Ziff 9.4 der Gemeinsamen Grundsätze der deutschen Wertpapierbörse für den Druck von Wertpapieren vom 13. Oktober 1991 (Fn 1). 48 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 14; MünchKomm/Heider4 Rdn 14; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Hölters/Solveen2 Rdn 3; Spindler/Stilz/Vatter3 Rdn 24; Grigoleit/Vedder Rdn 5; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 8.
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§ 14 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
II.
6. (Fehlende) Disponibilität | 7 Maßgeblichkeit des Satzungssitzes für die örtliche und funktionelle Zuständigkeit | 8 1. Anwendungsbereich | 8
2.
III.
Beschränkung auf die örtliche Zuständigkeit | 11 3. Sitz der Aktiengesellschaft | 13 4. Doppelsitz | 14 Internationale Zuständigkeit | 15
Schrifttum von Falkenhausen Das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Aktienrecht, AG 1967, 309; Jänig/ Leißring FamFG: Neues Verfahrensrecht für Streitigkeiten in AG und GmbH, ZIP 2010, 110; Kropff Aufgaben des Registergerichts nach dem Aktiengesetz 1965, Rpfleger 1966, 33; Pluskat Die Zulässigkeit des Mehrfachsitzes und die Lösung der damit verbundenen Probleme, WM 2004, 601.
I. Grundlagen 1
1. Inhalt der Regelung. Durch § 14 wird der Begriff des Gerichts im Sinne des Aktiengesetzes als das Gericht am Sitz der Gesellschaft definiert.
2
2. Zweck der Regelung. Damit dient § 14 einer Vermeidung wiederholender Regelungen in den übrigen Normen1 und hat somit nur einen sehr beschränkten Regelungszweck, der durch die spezialgesetzliche Regelung in den §§ 377 Abs 1, 376 FamFG vollständig obsolet geworden ist.
3
3. Gesetzesgeschichte. Während weder das ADHGB noch das HGB 1897 eine Zuständigkeitsregelung enthielten, wurde eine solche in Form von § 142 erstmals durch das Aktiengesetz 19373 eingeführt. Durch die Aktienrechtsreform 19654 wurde § 14 sprachlich in die heutige Form überführt, ohne dass damit aber inhaltliche Modifikationen verbunden waren.5 Seitdem wurde die Norm nicht verändert.
4. Europäisches Recht. Die Regelung des § 14 findet im europäischen Gesellschaftsrecht keine Entsprechung. Allerdings ist das europäische Zivilprozessrecht im Rahmen der internationalen Zuständigkeit zu beachten, das vorrangig anzuwenden ist (dazu ausführlich Rdn 15). Auch der European Model Companies Act (EMCA) sieht keine entsprechende Regelung vor.6 5 Schließlich gibt es für die Europäische Aktiengesellschaft für die in § 14 normierten Grundsätze keine Entsprechung in der SE-VO. Daher findet für die Europäische Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland § 14 uneingeschränkte Anwendung (Art 9 Abs 1 lit c) ii) SE-VO).
4
6
5. Rechtspolitische Würdigung. Aufgrund des inzwischen nicht mehr bestehenden Anwendungsbereichs (Rdn 8 ff) sollte § 14 ersatzlos aufgehoben werden.
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1 Ebenso Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 2; Hüffer/Koch11 Rdn 1. 2 § 14 AktG 1937 lautete: „Unter Gericht im Sinne dieses Gesetzes ist, wenn nichts anderes bestimmt ist, das Gericht des Sitzes der Gesellschaft zu verstehen.“. 3 Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) v 30.1.1937 (RGBl I, 107). 4 Aktiengesetz vom 6.9.1965, BGBl I, S 1089. 5 So ausdrücklich Begr RegE AktG 1965, BT-Drucks IV/171, S 99 (abgedruckt bei Kropff AktG 1965, S 26). 6 Vgl dazu Perakis, ECFR 2016, 200 ff.
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Zuständigkeit | § 14
6. (Fehlende) Disponibilität. Die Regelung des § 14 ist zwingendes Recht und 7 kann daher weder in der Satzung noch auf andere Weise abbedungen werden.7 Ebenso wenig kann eine Schiedsvereinbarung getroffen werden.8 II. Maßgeblichkeit des Satzungssitzes für die örtliche und funktionelle Zuständigkeit 1. Anwendungsbereich. Der Anwendungsbereich von § 14 ist in doppelter Weise ein- 8 geschränkt. Zunächst gilt § 14 nur für Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach dem FamFG, soweit keine abweichenden Spezialregelungen (§§ 98 Abs 1, 132 Abs 1, 260 Abs 1, § 320 Abs 7 Satz 3, § 2 SpruchG) eingreifen.9 Diese Einschränkung ergibt sich daraus, dass § 14 lediglich die Zuständigkeit für die Verfahren regelt, die nach dem AktG bestehen können („Gericht im Sinne dieses Gesetzes …“). Allerdings ist für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei Registersachen und unternehmensrechtliche Verfahren inzwischen eine Spezialregelung in Form von §§ 377 Abs 1, 376 FamFG vorgesehen, so dass kein eigenständiger Anwendungsbereich für § 14 verbleibt.10 Etwas anderes gilt nur im Rahmen der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit außerhalb des Anwendungsbereichs des völkerrechtlichen oder europäischen Zivilprozessrechts (siehe Rdn 15). Ein Anwendungsbereich ergibt sich auch nicht für streitige Verfahren, da diese 9 durch § 14 nicht adressiert werden, sondern sich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 12 ff, 17 ZPO richten, soweit keine besonderen Vorschriften (§§ 148 Abs 2, 246 Abs 3, 246a Abs 1 Satz 3, 249 Abs 1, 251 Abs 3, 254 Abs 2, 255 Abs 3, 257 Abs 2, 275 Abs 4, 293c Abs 1, 319 Abs 6 Satz 6 und 396 Abs 1 Satz 2) eingreifen.11 Weiterhin gilt § 14 auch nicht für die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit im 10 Rahmen des Spruchverfahrens (§ 2 SpruchG), bei Streitigkeiten über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats (§ 98 Abs 1), bei Streitigkeiten über das Auskunftsrecht (§ 132 Abs 1), bei Streitigkeiten über die Bestellung von Sonderprüfern (§§ 142 Abs 5, 258 Abs 3 Satz 3, 260 Abs 1, 315 Satz 3) und bei handelsregisterrechtlichen Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Sitzverlegung (§ 45) und der Errichtung von Zweigniederlassungen (§ 13 HGB), da in diesen Fällen entsprechende Sonderregelungen bestehen. 2. Beschränkung auf die örtliche Zuständigkeit. Darüber hinaus erstreckt sich die 11 Zuständigkeitsregeln im Rahmen der in Rdn 8 ff genannten Grundsätze lediglich auf die örtliche Zuständigkeit.12 Allerdings ermöglicht § 376 Abs 2 FamFG als vorrangig anzuwendende Regelung es den Landesregierungen durch Rechtsverordnung einem Amtsgericht die Führung des Handelsregisters für mehrere Amtsgerichtsbezirke zu übertragen und somit vom Grundsatz des § 14 abzuweichen. Ausgenommen vom Regelungsbereich des § 14 sind die sachliche, die funktionelle 12 und die internationale Zuständigkeit (siehe Rdn 15). Die fehlende Erfassung der funktionellen Zuständigkeit ergibt sich schon aus dem Umstand, dass § 14 hierzu keinerlei Regelung trifft. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 23a Abs 2 Nr 3 und 4 GVG.
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7 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9. 8 K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 9. 9 Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 1; Hüffer/Koch11 Rdn 2; NK-AktG/Wagner4 Rdn 3. 10 Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 2; Jänig/Leißring ZIP 2010, 110, 113; Grigoleit/Vedder Rdn 1; NK-AktG/ Wagner4 Rdn 4; aA Hölters/Solveen2 Rdn 1. 11 MünchKomm/Heider4 Rdn 5; KK/Dauner-Lieb3 Rdn 1; Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 1. 12 MünchKomm/Heider4 Rdn 5; Hüffer/Koch11 Rdn 1.
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Vor §§ 15ff | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
13
3. Sitz der Aktiengesellschaft. Sitz der Aktiengesellschaft im Sinne von § 14 ist der Satzungs- und nicht der Verwaltungssitz.13 Auf diesen Sitz ist auch schon vor der Eintragung der Aktiengesellschaft abzustellen (§§ 33 Abs 3, 35–38).14
14
4. Doppelsitz. Bei Bestehen eines Doppelsitzes sind die Gerichte an beiden Sitzen zuständig.15 Diese entscheiden dabei unabhängig voneinander.16 Kommt nur ein einmaliges Tätigwerden in Betracht, ist das als erstes tätig gewordene Gericht zuständig (§ 2 Abs 1 FamFG analog).17 III. Internationale Zuständigkeit
15
Hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit ergibt sich die fehlende Anwendung von § 14 zum einen aus dem Vorrang des Europa- bzw Völkerrechts und zum anderen aus dem Wortlaut und dem auf rein nationale Verfahren beschränkten Regelungszweck des § 14 (siehe Rdn 2). Soweit es sich bei den von § 14 erfassten Streitigkeiten um eine Zivil- und Handelssache im Sinne von Art 1 Abs 1 EuGVVO handelt, bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO. Auch der Umstand, dass es sich um Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt, schließt eine Anwendbarkeit nicht aus, soweit eine echte Parteistreitigkeit bzw um ein Zweiparteienverfahren vorliegt. 18 Die Anwendbarkeit der EuGVVO führt im Ergebnis allerdings meist zu einer internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Diese ergibt sich aufgrund des Sitzes einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland aus der allgemeinen internationalen Zuständigkeit am Beklagten(wohn)sitz (Art 4 Abs 1, 63 Abs 1 EuGVVO). Eine internationale Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaates nach den Art 7 ff EuGVVO ist in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht gegeben. Vor §§ 15ff Verbundene Unternehmen Mock/Windbichler
Vor §§ 15 ff Verbundene Unternehmen I.
Systematische Übersicht Verbundene Unternehmen im Aktienrecht | 1 1. Regelung im AktG | 1 2. Gesetzesgeschichte | 3
3.
Entwicklungstendenzen | 6 a) Keine umfassenden Gesetzesänderungen | 6 b) Rechtsprechung und Lehre | 8
_____
13 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 2; Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 3; Hölters/Solveen2 Rdn 3; K. Schmidt/Lutter/ Ziemons3 Rdn 10. 14 Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 3; Hüffer/Koch11 Rdn 3. 15 KK/Dauner-Lieb3 Rdn 6; Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 5; MünchKomm/Heider4 Rdn 19; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Pluskat WM 2004, 601 ff; Hölters/Solveen2 Rdn 4; Grigoleit/Vedder Rdn 2; NK-AktG/Wagner4 Rdn 5; K. Schmidt/Lutter/Ziemons3 Rdn 12. 16 KG v 4.6.1991 – 1 W 5/91, NJW-RR 1991, 1507 = AG 1992, 29; Puskat WM 2004, 601, 604; Spindler/Stilz/ Drescher3 Rdn 5; Hölters/Solveen2 Rdn 4; NK-AktG/Wagner4 Rdn 5. 17 KG v 4.6.1991 – 1 W 5/91, NJW-RR 1991, 1507 = AG 1992, 29; LG Hamburg v. 1.2.1973 – 4T 5/72, DB 1973, 2237; Spindler/Stilz/Drescher3 Rdn 5; Grigoleit/Vedder Rdn 2; aA Werner AG 1990, 1, 4. 18 Zum Erfordernis eines Zweiparteienverfahrens für die Annahme einer Zivil- und Handelssachen im Sinne von Art 1 Abs 1 EuGVVO vgl Geimer/Schütze Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl 2010, Art 1 EuGVVO Rdn 33; Kropholler Europäisches Zivilprozessrecht, 10. Aufl 2014, Art 1 Rdn 12; Rauscher/ Mankowski Europäisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl 2011, Art 1 EuGVVO Rdn 1.
Mock/Windbichler
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Verbundene Unternehmen | Vor §§ 15ff
II.
III.
Die Unternehmensgruppe als Normalfall | 12 1. Rechtlicher Ausgangspunkt und tatsächliches Erscheinungsbild | 12 a) Die rechtlich und wirtschaftlich selbständige AG | 12 b) Praktische Bedeutung der verbundenen Kapitalgesellschaft | 13 c) Gründe und Mittel für die Bildung von Unternehmensgruppen | 17 2. Behandlung in anderen Disziplinen | 20 3. Rechtliche Erfassung | 22 a) Rechtsgebietsspezifischer Überblick | 22 b) Thematischer Ausblick | 36 aa) Einheit oder Vielheit | 38 bb) Zurechnung | 40 cc) Organisationsrecht der Unternehmensgruppe | 41 dd) Kriterienkatalog für Unternehmensverbindungen? | 47 Überblick über gesetzliche Definitionsnormen | 50 1. Im AktG | 50
IV.
V.
a) Funktion | 50 b) Verwendete Begriffe | 55 2. Außerhalb des AktG | 58 a) Aktienrechtliche Definitionsnormen als Verweisungsziel | 58 b) Definitionen und Verbundklauseln in anderen Vorschriften | 60 Auslandsbezug | 69 1. Sachverhalte | 69 2. Qualifikation der Rechtsverhältnisse | 70 3. Statut | 71 a) Für die Unternehmensgruppe | 71 b) Für die Definitionsnormen | 72 Rechtsvergleichung | 73 1. Allgemeines | 73 2. Rechtsordnungen mit ausgeprägten Vorschriften für Unternehmensgruppen | 76 3. Rechtsordnungen mit punktueller Berücksichtigung von Unternehmensgruppen | 80
Windbichler Schrifttum Aberle Sanktionsdurchgriff und wirtschaftliche Einheit im deutschen und europäischen Kartellrecht, 2013; Acher Vertragskonzern und Insolvenz, 1986; Albach (Hrsg) Konzernmanagement. Corporate Governance und Kapitalmarkt, 2001; Altmeppen Interessenkonflikte im Konzern, ZHR 171 (2007) 320; ders Die historischen Grundlagen des Konzernrechts, in: Bayer/Habersack (Hrsg), Aktienrecht im Wandel Bd II, 2007, S 1027; Assmann Der faktische GmbH-Konzern, Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz 1992, 657; Bälz Einheit und Vielheit im Konzern, FS L Raiser, 1974, 287; ders Verbundene Unternehmen – Konzernrecht als Speerspitze eines fortschrittlichen Gesellschaftsrechts?, in: 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland – 40 Jahre Rechtsentwicklung, 1990, 177; ders Verbundene Unternehmen, AG 1992, 277; Bayreuther Wirtschaftlich-existentiell abhängige Unternehmen im Konzern-, Kartell- und Arbeitsrecht, 2001; Bicker Compliance – organisatorische Umsetzung im Konzern, AG 2012, 542; Biedenkopf Konzernbetriebsrat und Konzernbegriff, FS Sanders, 1972, 1; Biehler Personen- und Kapitalverflechtung zwischen Unternehmen, 1982; Binder Beteiligungsstrategien in der Konzernpraxis: Eine empirische Untersuchung der Beteiligungshöhe in deutschen Konzernen, AG 1994, 391; ders Organisationspflichten und das FinanzdienstleistungsUnternehmensrecht: Bestandsaufnahme, Probleme, Konsequenzen, ZGR 2015, 667; Bitter Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000; Bork Zurechnung im Konzern, ZGR 1994, 237; Bosch Verantwortung der Konzernobergesellschaft im Kartellrecht, ZHR 177 (2013), 454; Brandi Die Europäische Aktiengesellschaft im deutschen und Internationalen Konzernrecht, NZG 2003, 889; Bresser/Kirchner Reformansätze für eine Verwaltungsmachtkontrolle von Großunternehmen, AG 1977, 145; Brünkmans Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, ZIP 2013, 234; Bundesministerium der Justiz (Hrsg) Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, 1980; von Büren Schweizerisches Privatrecht Bd VIII/6, Der Konzern2, 2005; Cahn Kapitalerhaltung im Konzern, 1998; Dettling Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts im Aktiengesetz von 1965, 1997; Decher Verbundeffekte im Aktienkonzernrecht und im Recht der Unternehmensbewertung, FS Hommelhoff, 2012, S 115; Doralt (Hrsg) Deutsches Konzernrecht. Rechtslage und Überlegungen zur Rezeption in
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Windbichler
Vor §§ 15ff | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
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Windbichler
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Verbundene Unternehmen | Vor §§ 15ff
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Obergesellschaft, ZGR 1983, 92; Reul Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen, 1991; Seydel Konzernbildungskontrolle bei der Aktiengesellschaft, 1995; Schenk Konzernbildung, Interessenkonflikte und ökonomische Effizienz, 1997; Wahlers Konzernbildungskontrolle durch die Hauptversammlung der Obergesellschaft, 1995; HP Westermann Organzuständigkeiten bei Bildung, Erweiterung und Umorganisation des Konzerns, ZGR 1984, 352; ders Voraussetzungen und Folgen der Aufhebung eines Ergebnisabführungsvertrages mit einer abhängigen GmbH, FS Hüffer, 2010, S 1071; M Wolf Konzerneingangsschutz bei Übernahmeangeboten. Neuere Entwicklungen zu Verteidigungsmaßnahmen im Spannungsfeld zum EU-Richtlinienvorschlag, AG 1998, 212; Zöllner Schutz der Aktionärsminderheit bei einfacher Konzernierung, FS Kropff, 1997, S 333. 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Eine Untersuchung auf der Grundlage eines Vergleichs des deutschen und englischen Rechts, 2014; Wackerbarth Grenzen der Leitungsmacht in der internationalen Unternehmensgruppe, 2001; WimmerLeonhardt Konzernhaftungsrecht, 2004; Windbichler „Corporate Group Law for Europe“: Comments on the Forum Europaeum’s Principles and Proposals for a European Corporate Group Law, EBOR 1 (2000) 265; Zimmer Internationales Gesellschaftsrecht, 1996. 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I. Verbundene Unternehmen im Aktienrecht 1. Regelung im AktG. Die §§ 15–19 enthalten Definitionsnormen, auf die verschie- 1 dene materielle Regelungen zurückgreifen. Der allgemeine Sprachgebrauch, der sich zu dem Phänomen der verbundenen Unternehmen, Unternehmensgruppen und Konzernen herausgebildet hat, ist uneinheitlich und entspricht meist nicht der Terminologie des Gesetzes. Rechtstechnisch ist der „Konzern“ in § 18 definiert; dagegen wird „Konzernrecht“ überwiegend sehr weit verstanden und umfassend für viele Arten der Unternehmensverbindung verwendet.1 Wegen des konkreten aktienrechtlichen Zusammenhangs wird der Konzernbegriff hier auf § 18 begrenzt, im Übrigen allgemeiner von Unternehmensgruppe oder Unternehmensverbund gesprochen. Einzelne Vorschriften des AktG enthalten Ergänzungen oder Abwandlungen der 2 jeweiligen Norm mit Rücksicht auf den Tatbestand der Verbindung der AG mit einem anderen Unternehmen (näher Rdn 50). Als materielles Konzernrecht werden allgemein die Vorschriften des Dritten Buches (§§ 291–328) bezeichnet. Das ist nicht begrifflich streng zu nehmen, da, wie § 311 deutlich zeigt, ein Konzern iSd § 18 nicht Anwendungsvoraussetzung ist; die §§ 327a ff verlangen überhaupt keine Unternehmensverbindung. Das Konzernbilanzrecht des AktG 1965 (§§ 329–338 aF), für andere Rechtsformen ergänzt durch das PublG 1969, setzte dagegen einen Konzern im technischen Sinne voraus. Es handelte sich um einen wesentlichen Teil des materiellen Konzernrechts. Die Rechnungslegung für Unternehmensgruppen – konsolidierter Jahresabschluss, Konzernbilanz – ist nunmehr einheitlich im HGB, mit Ergänzung durch das PublG, geregelt (vgl Rdn 5, 24). Die Anknüpfung an das AktG ist damit aufgegeben. Das Dritte Buch war eine wesentliche Neuschöpfung des AktG 1965 (Rdn 4). Es führte die Einteilung in Abhängigkeit ohne Beherrschungsvertrag (sog faktische Konzerne), Vertragskonzerne, Eingliederung sowie die Konzernrechnungslegung ein. Die Begriffsbestimmungen der §§ 15 ff sind darauf zugeschnitten; sie stehen nachfolgend im Vordergrund.2 2. Gesetzesgeschichte. Die tatsächliche Erscheinung verbundener Unterneh- 3 men lässt sich bis in die Anfänge der AG selbst zurückverfolgen, sie hat jedoch erst spät gesetzgeberische Aufmerksamkeit auf sich gezogen.3 Die Aktienrechtsverordnung
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1 Bürgers/Körber/Fett3 § 15 Rdn 1; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 1 Rdn 1 ff; Hüffer/Koch11 § 15 Rdn 2; MünchKomm-AktG/Bayer4 § 15 Rdn 6; Spindler/Stilz/Schall3 Vor § 15 Rdn 1. 2 Zum materiellen Konzernrecht umfassend die Kommentierung zum Dritten Buch, §§ 291 ff. 3 Zur Entwicklungsgeschichte des Konzernrechts ausführlich Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 2 ff; Spindler Recht und Konzern, 1993, S 75 ff; ferner Dettling Die Entstehungsgeschichte des
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(Notverordnung) vom 19.9.1931 führte den Begriff „Konzerngesellschaft“ ohne nähere Bestimmung in §§ 246, 260a, 261a und 261d HGB ein; in § 226 Abs 4 HGB wurde der Begriff „abhängige Gesellschaft“, in § 240a HGB „abhängiges Unternehmen“ verwendet.4 Das AktG 1937 definierte in § 15 den „Konzern“ und „Konzernunternehmen“.5 Daran knüpften einige Sonderregelungen an. 6 Die rechtlich erfassten Begriffe des herrschenden und des abhängigen Unternehmens sowie des Konzerns und der Konzernunternehmen entsprachen nicht der viel stärker ausdifferenzierten Rechtswirklichkeit; mit der Reform 1937 wurde die Verflechtung von Gesellschaften aber grundsätzlich akzeptiert.7 Zugleich wurde das Spannungsverhältnis zwischen Einheit und Vielheit immerhin als Ausgangspunkt genommen und damit die ältere Einheitstheorie, die den Konzern auch rechtlich als einheitliches Unternehmen konstruierte,8 abgelehnt. Die Weiterentwicklung dieser Regeln gehörte zum Reformprogramm des AktG 4 1965. Dort werden in den §§ 15 ff besondere Gruppen von Unternehmensverbindungen definiert und zur Anknüpfung rechtlicher Konsequenzen bereitgestellt.9 Das Dritte Buch führte erstmals materielle Regelungen von Unternehmensverbindungen ein. Dieser Ansatz fand sich bereits im RefE; der RegE erteilte dem in der Literatur teilweise geforderten Verbot von Unternehmensverbindungen10 eine Absage als lebensfremd.11 Mit einzelnen Änderungen gingen die Vorschriften als §§ 15–22 sowie §§ 291 ff in die endgültige Gesetzesfassung ein.12 In ihrem Wortlaut sind die §§ 15–22 seither fast unverändert geblieben. Die Zulassung der Stückaktie hat lediglich redaktionelle Änderungen mit sich gebracht; bei den Mitteilungspflichten in §§ 20 f sind im Interesse der Angleichung von Aktien- und Kapitalmarktrecht Anpassungen vorgenommen worden.13 Darüber hinaus sind jedoch wesentliche Änderungen bei den Vorschriften eingetreten, die auf die Definitionsnormen Bezug nehmen, was auf deren Auslegung zurückwirkt. Rechtstechnisch folgt das Recht der verbundenen Unternehmen im AktG 1965 dem Kodifikationsgedanken; 14 gleich-
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Konzernrechts im Aktiengesetz von 1965, 1997; Großfeld Unternehmenskonzentration S 149 ff; CE Fischer AcP 154 (1955), 85, 115 ff; KW Nörr ZHR 150 (1986), 155; Schilling JZ 1957, 529. 4 Zur Kritik an der damaligen Zurückhaltung des Gesetzgebers Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 20 f mwN; vgl auch H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand S 28 f. 5 „Abs 1: Sind rechtlich selbständige Unternehmen zu wirtschaftlichen Zwecken unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt, so bilden sie einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen. Abs 2: Steht ein rechtlich selbständiges Unternehmen auf Grund von Beteiligungen oder sonst unmittelbar oder mittelbar unter dem beherrschenden Einfluß eines anderen Unternehmens, so gelten das herrschende und das abhängige Unternehmen zusammen als Konzern und einzeln als Konzernunternehmen.“ 6 3. Aufl Würdinger Vor §§ 15–22 Anm I.2.b. 7 4. Aufl Assmann Einl Rdn 148 f; zur Legitimation durch Regelung vgl Lutter ZGR 1987, 324, 330 ff; weitergehend Großfeld Unternehmenskonzentration, 1968, S 37 ff: Konzentrationsförderung durch das AktG 1937. 8 Nachweise bei Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 10 f, 20 f, insbesondere Hinweis auf Isay; H. Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 12 ff mwN. 9 BegrRegE bei Kropff AktG S 27; Geßler/Geßler § 15 Rdn 2. 10 Aus der älteren Literatur etwa Landau, Die Aktiengesellschaft als Aktionär, Diss Leipzig 1906, S 75 f: ein Verbot wäre eine wirksame Lösung des Trust-Problems, erscheine aber unrealistisch; vgl 4. Aufl Assmann Einl Rdn 122; Lutter ZGR 1987, 324, 331 mwN zur Grundfrage der Beteiligung einer Gesellschaft an einer anderen. 11 BegrRegE bei Kropff AktG S 16, 374. 12 Zur Entwicklung Kropff in Bayer/Habersack (Hrsg) Aktienrecht im Wandel Bd I, 2007, S 670 ff, Rdn 554 ff. 13 Art 15 des Dritten FinanzmarktförderungsG vom 24.3.1998, BGBl I S 529, 567, der aber die Definitionsnormen nicht betrifft. 14 Vgl 4. Aufl Assmann Einl Rdn 237, 242.
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wohl hat sich das Gesetz als bruchstückhaft erwiesen15 (zur inhaltlichen Entwicklung Rdn 6 ff). Die Definitionsnormen des AktG wurden in ihrem Wortlaut seither nicht verändert. 5 Ihre Funktion hat sich aber vor allem durch das Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG)16 nachhaltig verändert. Zur Umsetzung der 7. EG-Richtlinie (Konzernbilanzrichtlinie)17 wurde die Konzernrechnungslegung in das HGB verlagert und auch inhaltlich geändert. Eine an den §§ 329–337 aF orientierte Auslegung der aktienrechtlichen Definitionsnormen kann daher nicht mehr unbesehen Geltung verlangen. Durch die Regelung im HGB ist ein wesentlicher Anwendungsbereich entfallen. In der 7. Richtlinie ist keine geschlossene Konzerndefinition enthalten wie im ursprünglichen Vorschlag vorgesehen; die Auffassungen in den Mitgliedstaaten waren zu unterschiedlich.18 Die Richtlinie zählt Kriterien auf, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen einen konsolidierten Abschluss und einen konsolidierten Lagebericht aufzustellen haben. Daneben konnten die Mitgliedstaaten auch auf einheitliche Leitung oder tatsächliche Beherrschung abstellen. Der deutsche Gesetzgeber hat davon zunächst in § 290 Abs 1 HGB idF des BiRiLiG Gebrauch gemacht, ist aber im BilMoG 2009 davon abgerückt. Die in § 290 HGB verwendeten Begriffsbestimmungen gelten für das HGB und für andere Gesetze, die darauf verweisen. Die Begriffe sind angesichts der gemeinschaftsrechtlichen Grundlage, die die Vergleichbarkeit der Abschlüsse in den Mitgliedstaaten herstellen soll, nicht identisch mit den Definitionsnormen des AktG. Es handelt sich vielmehr um sich schneidende Kreise. Unter der Perspektive eines Weltabschlusses19 ist die Entfernung von dem eigentümlichen Ansatz des AktG nicht verwunderlich. Kapitalmarktorientierte20 Muttergesellschaften, die nach § 290 HGB einen Konzernabschluss aufzustellen haben, haben dabei nach der VO (EG) 1606/200221 die internationalen Rechnungslegungsstandards anzuwenden, die von der Kommission übernommen worden sind (IAS, IFRS). Andere Muttergesellschaften dürfen den Konzernabschluss nach IAS/IFRS aufstellen, § 315a Abs 3 HGB. Die Definition der zu konsolidierenden Tochterunternehmen in IFRS 10 weicht nicht unerheblich vom HGB ab. In den USA notierte deutsche Muttergesellschaften stellen oft auch einen Abschluss nach US-GAAP bzw eine Überleitungsrechnung auf. Seit 2008 akzeptiert die SEC auch Abschlüsse nach IFRS/IAS; seit 2002 sind Konvergenzbemühungen zwischen FASB und IASB im Gange.22 Der 1992 in die Kapitalrichtlinie eingefügte Art 24a Abs 3 schlägt in Ermangelung einer Koordinierung der einzelstaatlichen Vorschriften über das Konzernrecht den Mitgliedstaaten Definitionsnormen vor.23
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15 So schon BegrRegE bei Kropff AktG S 374: „Grundzüge einer Konzernverfassung“; Kübler Gesellschaftsrecht6 § 29 I 6; Mülbert Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 1995, S 8; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 58 Rdn 12; K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 419, 445; Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 45 ff. 16 Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinien-Gesetz) vom 19.12.1985 BGBl I 2355. 17 Vom 13.6.1983 83/349/EWG ABlEG 18.7.1983 L 193 S 1, abgedruckt bei Lutter Europäisches Unternehmensrecht4 S 211. – Zum sachlichen Zusammenhang zwischen Bilanzrecht und Definitionsnormen Rdn 24, 60. 18 Biener DB Beil 19/83, 1, 2; Lutter Europäisches Unternehmensrecht4 S 207 f.; 19 BeckBilKomm/Kozikowski/Kreher9 § 290 Rdn 3, BeckBilKom/Förschle/Deubert9 § 294 Rdn 5 f; KK/Claussen/Korth2 Vorbem § 238 HGB Rdn 13. 20 Definiert in Art 1 Abs 13 der Richtlinie 93/22/EWG vom 10. 5 1993 über Wertpapierdienstleistungen, ABlEG 11.6.1993 L 141 S 27. 21 VO (EG) Nr 1606/2002 vom 19.7.2002, ABl EG 11.9.2002 L 243 S 1. 22 Beck’sches IFRS-Handbuch/Driesch5 A. § 1 Rdn 53. 23 Richtlinie 92/101/EWG ABl EG 28.11.1992 L 347 S 64 ff.
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3. Entwicklungstendenzen a) Keine umfassenden Gesetzesänderungen im Sinne einer kodifizierenden Neuregelung des Rechts der Unternehmensverbindungen auf nationaler oder auf europäischer Ebene sind nicht zu erwarten. Es ist eher mit einer weiteren Fragmentierung zu rechnen. Einzelne neue Vorschriften24 betrafen, neben dem Bilanzrecht (Rdn 5, 24), spezielle Problemkreise wie Kreditinstitutsgruppen, Unternehmensmitbestimmung, Kartellrecht einschließlich Zusammenschlusskontrolle, Informationsrechte (§§ 293a ff), das Übernahmeund das Kapitalmarktrecht (Rdn 23). Auch die durch das UmwG eingeführte Spaltung in ihren verschiedenen Formen gehört als Konzernbildungsmöglichkeit hierher. Solche Änderungen und Neuentwicklungen hängen inhaltlich eng mit den aktienrechtlichen Definitionsnormen zusammen, die aber jeweils nicht Regelungsgegenstand sind. Bereichsspezifische Gesetze arbeiten teils mit eigenen Definitionen, teils mit Verweisungen. Einzelne Änderungen der §§ 15 ff betrafen lediglich Angleichungen, etwa des § 16 an die Einführung der Stückaktie und die engere Abstimmung des § 20 mit den Meldepflichten nach dem WpHG, nicht aber konzeptionelle Neuorientierungen. Die Definitionsnormen des AktG hatten als Verweisungsziel (Rdn 58 f) zunächst Bedeutung gewonnen. Neuere Entwicklungen, die vor allem durch sekundäres Gemeinschaftsrecht geprägt sind, rücken jedoch das sog control-Konzept (Windbichler § 17 Rdn 8) in den Vordergrund, so zB § 290 HGB, § 22a WpHG, der Zusammenschlussbegriff in § 37 GWB und andere mehr. Das AktG selbst greift auch außerhalb des unmittelbar bilanzrechtlichen Zusammenhangs zur Verweisung auf § 290 HGB statt auf §§ 15 ff, zB in §§ 90 Abs 1 Satz 2, 131 Abs 1 Satz 4.25 Der Vorentwurf einer neunten gesellschaftsrechtlichen EG-Richtlinie 26 (Konzern7 rechtsrichtlinie) wurde nicht weiter verfolgt.27 Die Richtlinie 92/101/EWG zur Änderung der Kapitalrichtlinie geht ausdrücklich von der fehlenden Koordinierung des Konzernrechts aus.28 In den übrigen Mitgliedstaaten der EU findet sich nur vereinzelt ein gesetzlich besonders ausformuliertes Recht der Unternehmensverbindungen (Rdn 73). Der Vorentwurf für eine Konzernrechtsrichtlinie lehnte sich zwar an das deutsche Aktienkonzernrecht an, nahm aber das sog control-Konzept (Windbichler § 17 Rdn 8) zum Ausgangspunkt. Die Definition von Mutter- und Tochterunternehmen (Art 1 f) entsprach weitgehend derjenigen der siebenten Richtlinie über den konsolidierten Abschluss.29 Im Kapitalmarktrecht geht die Transparenzrichtlinie von der Zurechnung von Anteilen kontrollierter Unternehmen aus.30 Im selben Sinne erstreckte die Ergänzung zur Kapitalricht-
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24 Zu Änderungen des AktG allgemein 4. Aufl Assmann Einl Rdn 210 ff, zur Tendenz zu Partialänderungen ders aaO Rdn 237, 271; – vgl auch Beschlüsse des 59. DJT Abt F 1992; zur europäischen Entwicklung Lutter ZGR 1987, 324, 341; Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672; Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507; Hopt ZHR 171 (2007) 199; Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, 5.4.2011, S 59 ff [http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/modern/ reflectiongroup_report_en.pdf]. 25 Spindler/Stilz/Schall2 Rdn 2, 4 ff; Teichmann AG 2013, 184, 189; zur Abkehr von der gesellschaftsrechtlichen Definition und Hinwendung zum richtlinienkonformen Bilanzrecht im Österreichischen Recht Koppensteiner FS Kropff, 1997, S 155. 26 Abgedruckt bei Lutter Europäisches Unternehmensrecht4, S 244. 27 4. Aufl Assmann Einl 230 Fußn 97 mwN, krit zur europäischen Rechtsangleichung allgemein 271; Werlauff European Law Rev 17 (1992), 207, 221. 28 Art 24a Abs 3 der zweiten Richtlinie 77/91/EWG, eingefügt durch Art 1 der Änderungsrichtlinie 92/101/ EWG; dazu Kindl ZEuP 1994, 77, 88 ff; Neye ZGR 1995, 191, 193 ff. 29 Abgedruckt bei Lutter Europäisches Unternehmensrecht4, 1996, S 211, umgesetzt durch die §§ 290 ff HGB. 30 Art 7, 8 Richtlinie 88/627/EWG vom 12.12.1988 über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen, ABlEG 17.12.1988 L 348 S 62 (Transparenzrichtlinie); nunmehr Art 9, 10 RL 2004/109/EG vom 15.10.2004.
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linie das Verbot des Erwerbs eigener Aktien auf den Erwerb durch abhängige oder in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen. Neben der vergleichsweise unspezifischen Bestimmung des Anwendungsbereichs (Art 28 Abs 1) werden den Mitgliedstaaten Definitionsnormen mit Mindeststandards angeraten (Art 28 Abs 2),31 die wiederum Ähnlichkeit mit denjenigen der Richtlinie über den konsolidierten Abschluss aufweisen.32 Ein Änderungsvorschlag betr die Aktionärsrechterichtlinie enthält Eingriffe in die Kompetenzverteilung börsennotierter Gesellschaften zur Überwachung von Transaktionen mit „nahestehenden Unternehmen“ iSd IAS-VO (related party transactions).33 Darin liegen Hinweise auf im europäischen Bereich für rechtlich relevant erachtete Unternehmensverbindungen (vgl Rdn 47). Solche punktuellen Regelungen können aber in Widerspruch zu systematischen Konzepten der Unternehmensgruppe geraten. Das Statut für Europäische Aktiengesellschaften (Societas Europaea, SE)34 enthält zwar keine Konzernvorschriften, die SE ist aber selbst speziell zur Schaffung von Unternehmensverbindungen geeignet.35 Die Begründung des (umstrittenen) Vorschlags für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit nur einem Gesellschafter (societas unius personae, SUP) führt die Gründung von Tochtergesellschaften im Ausland ausdrücklich als Verwendungszweck für diese Form an.36 b) In Rechtsprechung und Lehre sind die Definitionsnormen und ihre einzelnen 8 Merkmale zunehmend, wenn auch nicht abschließend, präzisiert worden. Ferner wurde zeitweise zusätzlich insbesondere für GmbH der Begriff des qualifizierten faktischen Konzerns verwendet. Dessen Inhalt und Bedeutung für daran anknüpfende Rechtsfolgen sind jedoch unklar geblieben und wurden wieder aufgegeben (Rdn 49, 57; Windbichler § 17 Rdn 2). Das materielle Recht der verbundenen Unternehmen des AktG hat Entwicklungen 9 erfahren, die über die Auslegung und Ausdifferenzierung des kodifikatorisch gemeinten, gleichwohl bruchstückhaften Ansatzes (Rdn 4) hinausgehen.37 Das AktG 1965 nahm bei seiner Schaffung hauptsächlich die Perspektive des abhängigen Unternehmens ein,38 wo-
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31 Konsolidierte Fassung der zweiten Richtlinie 2012/30/EU vom 25.10.2012. 32 7. Richtlinie 83/349/EWG vom 13.6.1983, nunmehr erweitert in Art 22 der Rechnungslegungsrichtlinie 2013/34/EU vom 26.6.2013. 33 Art 9c des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre sowie der Richtlinie 2013/34/EU in Bezug auf bestimmte Elemente der Erklärung zur Unternehmensführung vom 9.4.2014 COM(2014) 213 final; dazu Mülbert ZHR 179 (2015), 645, 655 ff; J Vetter in: 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, S 231, 267 ff mwN; Selzner ZIP 2015, 753; Seibt DB 2014, 1910, 1913 ff; zu vorangegangenen Vorschlägen im Aktionsplan 2012 Drygala AG 2013, 198, 205 ff; – allgemein zu related party transactions Enriques/Hertig/ Kanda, in: Kraakman/Armour et al, The Anatomy of Corporate Law2, S 153 ff; zur Definition der „nahestehenden Person“ vgl auch § 138 Abs 1 Nr 4 InsO. 34 Mit Erläuterungen abgedruckt bei Lutter Europäisches Unternehmensrecht4, S 715 ff; s auch 4. Aufl Assmann Einl Rdn 233 u unten Rdn 69. 35 Vgl etwa Erwägungsgrund 2, 10 und 11 VO (EG) 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE): „… Möglichkeit …, das Wirtschaftspotential bereits bestehender Unternehmen durch Konzentrations…maßnahmen zusammenzufassen. … Ziel …, daß eine SE gegründet werden kann, um es Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten zu ermöglichen, … eine Holdinggesellschaft zu errichten, und [dass] Gesellschaften … gemeinsame Tochtergesellschaften gründen können“; 4. Aufl Mülbert Vor §§ 291 ff Rdn 16 ff; Habersack ZGR 2003, 724; Hommelhoff AG 2003, 179; Hopt ZHR 171 (2007) 199, 204 ff; KK/Paefgen3 Bd 8 Schlussanh II Rdn 2, 7 ff; Maul ZGR 2003, 743; Wenz AG 2003, 185. 36 Vorschlag für eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit nur einem Gesellschafter vom 9.4.2014 (COM(2014) 212 final); dazu Wicke ZIP 2014, 1414. 37 ZB BGHZ 83, 122 – Holzmüller; BGHZ 159, 30 (Gelatine I); BGH ZIP 2004, 1001 (Gelatine II). 38 BegrRegE bei Kropff AktG S 16 f, 373.
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durch Probleme des Verbunds und des herrschenden Unternehmens ausgeblendet blieben.39 Es stand der Schutz von Gläubigern und Minderheitsaktionären im Vordergrund. Darin lag eine bedeutende Weiterentwicklung gegenüber den älteren Untersuchungen zur Konzerngestaltung,40 zugleich aber gerieten die umfassenderen Erwägungen zur Unternehmensgruppe aus dem Blickfeld. 41 Die Unternehmensverbindungen wurden hauptsächlich statisch als Zustand gesehen, der bestimmte Schutzvorschriften eingreifen lässt.42 Der Präventivschutz iS einer Konzerneingangskontrolle (Rdn 44) war noch wenig ausgeprägt und beschränkte sich im Wesentlichen auf die Mitteilungspflicht von vergleichsweise hohen (Rdn 37) Beteiligungen und die Hauptversammlungszuständigkeit bei Unternehmensverträgen. Demgegenüber tritt heute eine dynamische Betrachtung hinzu, die sich sowohl mit dem Prozess der Konzernbildung befasst als auch Schutzinteressen aller Beteiligten bei bestehenden Unternehmensverbindungen zu integrieren sucht. In diesem Sinne können auch die Spaltungsvorschriften des UmwG verstanden werden. Für kapitalmarktorientierte Unternehmen bieten die erweiterten Mitteilungspflichten nach dem WpHG und das Übernahmerecht nach dem WpÜG einen Konzerneingangsschutz. Ein nach der Intensität des Eingriffs gestufter Maßnahmenkatalog liegt darin nicht,43 sondern ein erweiterter Blickwinkel und eine differenziertere rechtliche Erfassung. Allgemeine aktienrechtliche Regeln werden an die besondere Situation der Unternehmensverbindung angepasst.44 Die Sicht des abhängigen Unternehmens wird durch die Betrachtung von oben, dh die Sicht des herrschenden Unternehmens, dessen Gesellschafter und Gläubiger ergänzt.45 Hinzu kommt die Frage nach den Rechtswirkungen der horizontalen Gruppenbindung (Schwesterunternehmen).46 Die Literatur verfolgt dazu unterschiedliche Ansätze, die sich jeweils nicht auf akti10 enrechtliche Fragen begrenzen lassen, sondern die Sicht verbundener Unternehmen in beliebiger Rechtsform einschließen. Teilweise wird nach wie vor Gefahrenabwehr für Minderheitsaktionäre und Gläubiger der abhängigen Gesellschaft in den Vordergrund gestellt.47 Andere betonen die Besonderheit des Unternehmensverbunds und das Erfordernis, dafür ein Organisationsrecht zu entwickeln, teils in Richtung einer besonderen Einheit, teils mit Betonung des zusammengesetzten Charakters.48 Dabei sind wiederum
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39 Sehr pointiert Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 34. 40 K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 17 I 1 b mwN. 41 Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 340 m Fußn 171: Paradigmenwechsel auf die Neutralisierung einer Gefahrenlage; Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 34. 42 4. Aufl Assmann Einl Rdn 335: fehlender Konzerneingangsschutz; Kübler/Assmann Gesellschaftsrecht6 § 29 I 6 b, c; Lutter/Timm NJW 1982, 409, 411; – aA Mülbert ZHR 163 (1999) 1, 8 ff: prozessorientierte Komponenten. 43 So aber Theisen Der Konzern2 S 685 f. 44 Zur Typenvielfalt und Anpassung des Aktienrechts an unterschiedliche Lebenssachverhalte allg vgl 4. Aufl Assmann Einl Rdn 327; s auch Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 9: „im Konzern ist alles anders – … jede Rechtsregel ist auf ihre Anpassungsnotwendigkeit an den Tatbestand der Unternehmensgruppe zu prüfen.“ 45 Vgl etwa Emmerich/Habersack Konzernrecht10 §§ 7 ff; Hirte Bezugsrechtsausschluß, 1986, S 47 ff, 189 ff; Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 35; Lutter FS Stimpel, 1985, S 825; aus der Rechtsprechung grundlegend BGHZ 83, 122 – Holzmüller; BGHZ 159, 30 (Gelatine I); BGH ZIP 2004, 1001 (Gelatine II). 46 K Schmidt FS Wiedemann, 2002, S 1199; gesetzlich definiert sind Schwesterunternehmen für Finanzunternehmen in § 1 Abs 7 KWG. 47 Emmerich/Habersack Konzernrecht10 § 1 Rdn 25 ff; Hölters/Hirschmann2 Rdn 3; MünchKomm-AktG/ Bayer4 § 15 Rdn 7 f gegen organisationsrechtliche Betrachtung, die aber Schutzbedarf nicht in Abrede stellt; Hüffer/Koch11 § 15 Rdn 3, § 291 Rdn 3; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand S 73 ff. 48 Bälz FS L Raiser, 1974, S 287 ff; Druey in: Lutter (Hrsg), Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 344; Grigoleit § 15 Rdn 5: überlagert; Henssler/Strohn/Paschos2 § 291 Rdn 2: Doppelfunktion; Hommelhoff
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die Prämissen unterschiedlich. Teilweise wird der Unternehmensverbund als grundsätzlich gefährlich angesehen, weshalb er allgemein oder in bestimmten Ausprägungen zu bekämpfen, jedenfalls rechtlich stärker zu kanalisieren sei.49 Zunehmend und realitätsnäher wird die Unternehmensgruppe als Normalfall der Organisation wirtschaftlicher Aktivitäten angesehen (Rdn 12). Aufgabe der Rechtsordnung ist es, Regelungen für diese legitime Erscheinung bereitzustellen, wobei der Interessenschutz – wie bei jeder Rechtsregel – integraler Bestandteil ist. Ferner besteht, abgesehen von der eindeutig anderen Weichenstellung des AktG, die Möglichkeit, die Unternehmensgruppe überhaupt nicht gesondert zu thematisieren, sondern von den jeweiligen Fragestellungen auszugehen, etwa dem Mehrheits-Minderheitskonflikt etc. Dieser Ansatz ist in ausländischen Rechtsordnungen geläufig (Rdn 73 ff). Die hier nicht im Einzelnen vorzustellenden Lösungsansätze bedürfen jeweils definitorischer Aufgreifkriterien.50 Im Umgang mit den Definitionsnormen des AktG können sie daher nicht völlig ausgeblendet bleiben. Eigenständige, aber nicht vollständig vom Vorbild des Aktienrechts losgelöste Ent- 11 wicklungen finden sich in der Rechtsprechung und Lehre zu anderen Rechtsformen. Insbesondere der GmbH-Konzern wird vielfach mit Rücksicht auf die Besonderheiten der Gesellschaftsform gerade nicht in Anlehnung an das Aktienkonzernrecht erfasst.51 Die Einbindung von Personengesellschaften stößt auf wieder andere Grenzen der Gestaltungsfreiheit.52 Das Konzept der 1970er und 1980er Jahre des vorigen Jahrhunderts in einem eigenständigen „Unternehmensrecht“ die rechtspolitischen, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse mit Bezug auf das operative Geschäft rechtlich umzusetzen, wies über rechtsformspezifische Regelungen hinaus, führte aber auch in Bezug auf Unternehmensgruppen nicht wesentlich weiter.53 Der Begriff „Unternehmensrecht“ wird nunmehr im 5. Buch des FamFG für Registersachen aus dem Handels- und Gesellschaftsrecht verwendet und ist heute anders besetzt. Die Regeln des Aktienrechts über verbundene Unternehmen sind angesichts dieser Entwicklungen nicht mehr Ausgangspunkt, sondern Teilstück eines sehr viel umfassenderen Fragenkreises. II. Die Unternehmensgruppe als Normalfall 1. Rechtlicher Ausgangspunkt und tatsächliches Erscheinungsbild a) Die rechtlich und wirtschaftlich selbständige AG wird im Gesellschafts- 12 recht und auch in anderen Rechtsgebieten vornehmlich als isolierte Einheit gesehen,
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Konzernleitungspflicht, 1982, S 35 ff; Lutter ZGR 1987, 324, 349; Mülbert ZHR 163 (1999) 1, 8 ff, 28 ff: Prozess-, Organisationsorientierung; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 58 Rdn 15; K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 17 I 2, II 1; Schmidt/Lutter/J Vetter3 § 15 Rdn 9 ff; UH Schneider ZHR 143 (1979) 485, 490 f; Spindler/Stilz/ Schall3 Rdn 29: Konzernermöglichung; Teichmann ZGR 2014, 45, 63 ff. 49 Vgl etwa Hommelhoff in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 91 f; ders Gutachten G zum 59. DJT 1992, S 11 ff, 31, 39 ff; Hüffer/Koch11 § 15 Rdn 3, § 291 Rdn 3: Gefahrenabwehr; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 1 Rdn 25, 28; für die GmbH Ulmer ZHR 148 (1984) 391, 397 f. 50 Druey in: Lutter (Hrsg), Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 345: Anknüpfungsnormen, 346: normauslösende Momente. 51 BGHZ 65, 15 – ITT; Scholz/Emmerich GmbHG11 Anh § 13 Konzernrecht Rdn 12; Rowedder/ Koppensteiner/Schnorbus GmbHG5 § 52 Anh Rdn 5; Baumbach/Hueck/Zöllner/Beurskens GmbHG20 SchlAnhKonzernR Rdn 7 ff. 52 Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006. 53 Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 1 Rdn 10; dies FS 200 Jahre Juristische Fakultät der HumboldtUniversität zu Berlin, 2010, S 1079, 1081 ff; vgl auch Raiser FS Schwark, 2009, S 59.
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die mit anderen in vertragliche oder sonstige Außenbeziehungen tritt.54 Sie ist theoretischer Ausgangspunkt, kommt aber praktisch kaum vor. Typischerweise bestehen erheblich engere Verbindungen zu anderen rechtlich selbständigen Unternehmen, sei es durch Beteiligungen oder sonstige, satzungsmäßig verankerte Einflussmöglichkeiten, intensive Kooperation, auch über zu diesem Zweck gegründete Gesellschaften, oder wirtschaftlich existentielle Angewiesenheit. Dieser rechtstatsächliche Normalfall55 ist zumindest teilweise Gegenstand des Rechts der Unternehmensverbindungen, das seinerseits systematisch Ausnahme oder Sonderfall des Gesellschaftsrechts ist. Bereits die häufig als ein Vorläufer der AG genannte Niederländisch-Ostindische Kompagnie ist als Zusammenschluss mehrerer kaufmännischer Vereinigungen, dh Unternehmen, entstanden.56 Im Gegensatz dazu steht die Vorstellung von der Selbständigkeit der Aktiengesellschaft, wie sie in der Aktienrechtsnovelle von 1870 zum Ausdruck kam; der Wettbewerb zahlreicher unabhängiger Gesellschaften als Machtkontrolle sowie Gründungsvorschriften, Publizität und Organisationsnormen sollten die staatliche Kontrolle ersetzen.57 Rechtlich war dieses Prinzip der Selbständigkeit nicht verankert. Unternehmensverbindungen wurden praktiziert und akzeptiert. 58 Bankenbeteiligungen an (jungen) Aktiengesellschaften über die Gründungs- und Emissionshilfe hinaus waren schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreitet.59 13
b) Die praktische Bedeutung der verbundenen Kapitalgesellschaft zeigte sich zunächst an den wiederholten Konzentrationsbewegungen aus verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Gründen, die die Geschichte des Aktienrechts prägen.60 Ebenso wie die AG selbst61 wurden Unternehmensverbindungen teilweise generell als
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54 K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 17 I 1 a. 55 BegrRegE bei Kropff AktG S 374 f; Buxbaum/Hopt Legal Harmonization and the Business Enterprise, 1988, S 187 f; Druey in: Lutter (Hrsg), Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 345, 355 f; ders FS Hommelhoff, 2012, S 135, 142 ff, 156; CE Fischer AcP 154 (1955) 85, 117; Kalss/Klampfl Europäisches Gesellschaftsrecht, 2015, Rdn 453 ff; Kübler/Assmann Gesellschaftsrecht6 § 29 I 4; Lutter ZGR 1987, 324, 332; Report of the Reflection Group On the Future of EU Company Law, 2011, S 59 [http://ec.europa.eu/ internal_market/company/docs/modern/reflectiongroup_report_en.pdf]; Schenk Konzernbildung, Interessenkonflikte und ökonomische Effizienz, 1997, S 21; U H Schneider AG 1990, 317, 318; Spindler in: Bayer/Habersack (Hrsg), Aktienrecht im Wandel, Bd I 2007, S 515 ff; Teichmann AG 2013, 184 f; Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 6 f; Windbichler FS 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, 2010, S 1079, 1083; für AGen Ordelheide BFuP 38 (1986) 293, 294 ff; für die grenzüberschreitende Unternehmensorganisation Lutter FS Stimpel, 1985, S 825, 826 f; ders ZGR 1987, 324, 330 ff; Teichmann ZGR 2014, 45, 68; Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 7 ff; ähnlich K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 17 II 1, § 31 I 2. 56 4. Aufl Assmann Einl Rdn 15; vgl auch Wiethölter Interessen und Organisation, 1961, S 59 zu den Hauptpartizipanten; Gmür FS Westermann, 1974, S 167, 170. 57 Großfeld Die rechtspolitische Beurteilung der Aktiengesellschaft im 19. Jahrhundert, in: Coing/ Wilhelm (Hrsg), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert Bd IV, 1979, S 236, 246, 248; Horn in Horn/Kocka, 1979, S 123, 130; Spindler Recht und Konzern, 1993, S 52 ff. 58 Großfeld aaO S 250 f; Horn aaO S 123, 132 f. 59 Hopt Ideelle und wirtschaftliche Grundlagen der Aktien-, Bank- und Börsenrechtsentwicklung im 19. Jahrhundert, in: Coing/Wilhelm (Hrsg), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert Bd V, 1980, S 128, 153 f. 60 Dettling Die Entstehungsgeschichte des Konzernrechts im Aktiengesetz von 1965, 1997; Emmerich/ Habersack Konzernrecht10 § 1 Rdn 19; Horn in: Horn/Kocka, 1979, S 123, 166 ff; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 58 Rdn 11; Spindler Recht und Konzern, 1993; zum derzeitigen Stand der Unternehmenskonzentration Hauptgutachten der Monopolkommission 2012/2013, 2014, Rdn 394 ff; Konzerne werden dort als Untersuchungseinheiten betrachtet. 61 4. Aufl Assmann Einl Rdn 60, 87, 91.
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gefährlich angesehen und ihr Verbot gefordert.62 Andererseits wurden Kartellierung, Konzentration und Konzernierung in den 1920er und 1930er63 Jahren des vorigen Jahrhunderts durch staatliche Politik gefördert. Auch die Einschätzung der besonderen Gefährdungen durch Aktiengesellschaften und deren Aktionäre war Schwankungen unterworfen.64 Allgemeinsprachlich wird heute „Konzern“ häufig mit der Konnotation von Größe und iS eines eigenständigen Zurechnungssubjekts verwendet, was rechtlich nicht zutrifft (zum Größenmerkmal Rdn 16, zur fehlenden Rechtssubjektivität Rdn 26). Hinzu kommen Bezeichnungen wie „Großkonzern“ oder „Mutterkonzern“, die aber keine rechtliche Bedeutung haben. Erwartungen Außenstehender gegenüber Unternehmensgruppen sind gleichwohl rechtlich relevant, wenn es im konkreten Zusammenhang gerade darauf ankommt, etwa bei dem Schutz berechtigten Vertrauens.65 Ein schutzwürdiges „Konzernvertrauen“ ist jedoch ohne besondere Spezifikation im Einzelfall nicht anzuerkennen.66 Die Verbindung von Unternehmen durch Verflechtung ist zunächst als externes 14 Wachstum, damit als Konzentrationsprozess, neben der weiterreichenden Fusion und anstelle des (verbotenen) Kartells67 bekannt. Die Entstehung von Konzernen ist aber nicht notwendig eine Form der Konzentration, trotz der anschaulichen Alliteration von Konzern und Kartell. Unternehmensgruppen kommen ebenso durch divergente Prozesse zustande. Der Sachverhalt der Holzmüller-Entscheidung68 ist ein bekanntes Beispiel dafür. Die rechtliche Verselbständigung eines Unternehmensteiles kann Vorstufe zur Verflechtung mit einem anderen Unternehmen sein, aber auch der endgültigen Trennung oder anderen Zwecken, insbesondere einer für zweckmäßiger gehaltenen Organisation oder dem eigenständigen Börsengang dienen. Die Spaltung von Unternehmen steht als gesellschaftsrechtliches Instrument im deutschen Recht seit dem UmwG von 1994 allgemein zur Verfügung. Ferner werden Ausgliederungen und Ausgründungen ohne Spaltung im technischen Sinn praktiziert.69 Dadurch ergeben sich Unternehmensverbindungen mit anderen Interessenkonstellationen und Rechtsfragen, zB weil es in der so entstandenen abhängigen Gesellschaft typischerweise keine Minderheit gibt und die wirtschaftliche und funktionale Unselbständigkeit möglicherweise
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62 Etwa Landau, Die Aktiengesellschaft als Aktionär, Diss Leipzig 1906, S 75 f: ein Verbot wäre eine wirksame Lösung des Trust-Problems, erscheine aber unrealistisch; auch noch Böhm in FS E Günther 1976 S 149, 153 ff; vgl 4. Aufl Assmann Einl Rdn 122; Lutter ZGR 1987, 324, 331 mwN zur Grundfrage der Beteiligung einer Gesellschaft an einer anderen; Cornish in: Horn/Kocka, 1979, S 280, 288; Horn aaO S 123, 132 f, 171 auch zum trust als Ausweichstrategie. 63 4. Aufl Assmann Einl Rdn 135 mwN; 170 aE; Altmeppen in: Bayer/Habersack (Hrsg), Aktienrecht im Wandel Bd II, 2007, S 1027 Rdn 1 ff, auch zum 19. Jahrhundert. 64 Zum 18./19. Jhdt 4. Aufl Assmann Einl Rdn 28 f, 90; für wettbewerblich problematisch hielt Großfeld die AG im Allgemeinen und den Konzern im Besonderen unter Konzentrations- und Größenaspekten, Unternehmenskonzentration, 1968, S 85 ff. 65 Canaris Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S 428 ff; Rehbinder Konzernaußenrecht, 1969, S 350 ff; vergleichend Druey in: Lutter (Hrsg), Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 362, 365; s auch Schweiz. Bundesgericht AG 1996, 44 – IGR/Swissair; dazu Broichmann/Burmeister NZG 2006, 687; Rieckers NZG 2007, 125. 66 Lutter ZGR 1982, 244, 256; ders Gedächtnisschr Knobbe-Keuk, 1997, S 229; Rieckers NZG 2007, 125; Schanze in Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 473, 483 f; Wiedemann Gesellschaftsrecht § 4 IV 1 S 237 f; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 172 ff; zur ungenügenden Erfassung des Phänomens Druey in: Lutter (Hrsg), Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 365. 67 Zur historischen Entwicklung der „Alternative“ Konzern oder Kartell Druey FS Hommelhoff, 2012, S 135, 137 ff; Hannah in: Horn/Kocka, 1979, S 306, 311 ff; Spindler Recht und Konzern, 1993, S 41 ff, 52 ff. 68 BGHZ 83, 122. 69 Henssler/Strohn/Wardenbach2 § 123 UmwG Rdn 8 ff; Semler/Stengel UmwG3 § 123 Rdn 4.
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bereits in der Satzung verankert ist. Dies wird in der Konzernrechtsdiskussion gelegentlich vernachlässigt,70 ebenso die Umorganisation in Holding-Modelle und andere komplexe Gebilde.71 Unternehmensgruppen bestehen meist aus deutlich mehr als zwei Unternehmen72 15 mit unterschiedlich starken Bindungen. Eine rechtliche Würdigung, die sich auf das Verhältnis eines über- und eines untergeordneten Unternehmens beschränkt, wird daher den tatsächlichen Verhältnissen und ihren rechtlichen Implikationen zumeist nicht gerecht. Die Abgrenzung des in die Betrachtung einzubeziehenden Kreises von Unternehmen bedarf daher besonderer Aufmerksamkeit und ist auch außerhalb der Rechnungslegung (Rdn 24) erforderlich. Einen deutlichen Hinweis auf die Problematik enthält § 308 Abs 1, wo von den Belangen des herrschenden Unternehmens und den mit ihm und der Gesellschaft konzernverbundenen Unternehmen die Rede ist. 16 Die Zusammenfassung von Unternehmen in einer Gruppe ist keine aktienrechtsspezifische Erscheinung. Alle als Unternehmensträger geeigneten rechtlichen Einheiten sind hier vertreten. Ferner ist der Konzern, eine verhältnismäßig enge Gruppenbindung, nicht auf Großunternehmen beschränkt. 73 Rechtlich enthält der Begriff kein Größenmerkmal, tatsächlich finden sich Konzerngebilde ohne weiteres auch im mittelständischen Bereich. Die dort auftretenden Rechtsprobleme sind keinesfalls gering zu achten.74 Gerade die Rechtsprechung zum GmbH-Konzernrecht ist von mittelständischen Sachverhalten geprägt.75 17
c) Die Gründe für die Gruppenbildung sind so unterschiedlich wie die Erscheinungsformen.76 Das Streben nach wirtschaftlicher Macht, Ausbeutung von Tochter- und Enkelgesellschaften zugunsten einer gewinnmaximierenden Obergesellschaft bei Minimierung des Kapitaleinsatzes und des Haftungsrisikos etc werden immer wieder als Begründung oder Beschreibung besonderer Gefahrenlagen verwendet. Sie kommen vor, sind aber kein allgemeingültiges Paradigma für die Unternehmensgruppe oder den Kon-
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70 Vgl etwa Emmerich/Habersack KonzernR10 § 1 Rdn 19 ff, wo Ausgliederungen nur als Vorstufe zur Konzentration (durch spätere Beteiligung von Drittunternehmen) apostrophiert werden; wie hier Beinert Die Konzernhaftung für die satzungsgemäß abhängig gegründete GmbH, 1995, S 27 ff; Druey in: Lutter (Hrsg), Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 350; Kirchner in: Ott/Schäfer (Hrsg), Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, 1993, S 196, 202 ff; Krieger in: Der qualifizierte faktische GmbH-Konzern, 1992, S 41, 49 m Fn 24; Ulmer ZHR 148 (1984) 391, 419; HP Westermann in: Der qualifizierte faktische GmbHKonzern, 1992, S 21, 35 f, 40; Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 42; vgl auch BAG 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, NZA 2011, 1112 zu Folgeproblemen beim Sozialplan. 71 Beispiele zu unterschiedlichen Konzernbildungsprozessen außerhalb der schlichten Konzentration bei Lutter ZGR 1987, 324, 344 ff; Lutter/Bayer/Lutter Holding-Handbuch5 § 1 Rdn 1.4 ff; Lutter/Bayer/ Stephan Holding-Handbuch5 § 3 Rdn 3.105 ff; zum Konzernausgangsschutz Servatius ZGR 2015, 754. 72 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 § 18 Rdn 5 aE: multilaterale Beziehung (für den Konzern); Lutter ZGR 1987, 324, 333; Rehbinder ZGR 1977, 581, 583. Den Geschäftsberichten von Großunternehmen sind oft dreistellige Zahlen von verbundenen Unternehmen zu entnehmen, gelegentlich über 1000. 73 4. Aufl Assmann Einl Rdn 325 betr AG; zur gegenteiligen allgemeinsprachlichen Konnotation Druey FS Hommelhoff, 2012, S 135, 139 f m Fn 14. 74 Vgl Stimpel ZGR 1991, 144, 156 f; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 40 f mwN. 75 ZB BGHZ 95, 330 – Autokran; BGHZ 107, 7 – Tiefbau; BGHZ 122, 123 – TBB; BGH ZIP 1994, 1690 = NJW 1994, 3788 (Architekt als Unternehmen iSd GmbH-Konzernrechts). 76 Dazu etwa Ebenroth Konzernbildungs- und Konzernleitungskontrolle, 1987, S 64 f; Rehbinder ZGR 1977, 581, 583 f; Scheffler Konzernmanagement2 S 18 ff; empirisch: Wiesenack/Klein in: Eisele/Koch/Theile (Hrsg) Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S 73 ff; – zu einseitig auf Konzentrationseffekte konzentriert Saenger Gesellschaftsrecht3 Rdn 924; – zur Risikobegrenzung Lutter ZGR 1987, 324, 355; Wiedemann Gesellschaftsrecht I § 4 III; skeptisch hinsichtlich der Bedeutung dieses Motivs Kallfass in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 19, 35; anders Hommelhoff in Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 91, 117.
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zern. Das wird besonders deutlich an den oben (Rdn 14) erwähnten divergenten Prozessen, die zu Unternehmensgruppen führen. Es ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, ob eine Aktivität in Form der Zweigniederlassung oder als Tochtergesellschaft betrieben wird. Die Gründe für Ausgründungen sind ebenfalls vielfältig. Neben Risikobegrenzung treten organisatorische Aspekte, etwa die konsequente Umsetzung eines dezentralen profit-center Konzepts,77 steuerliche Motive wie bei der klassischen Betriebsaufspaltung oder die Vorbereitung der Trennung von einem Geschäftsfeld. Die mit der Bündelung unternehmerischer Aktivitäten in rechtlich selbständigen Einheiten erreichte höhere Fungibilität – „Sollbruchstelle“ (Rdn 21), Managementinteressen, Finanzierungsgesichtspunkte und die Erleichterung von Auslandsaktivitäten78 sind mögliche Gründe dafür, den Verbund dem Einheitsunternehmen vorzuziehen. Letztlich handelt es sich bei der Wahl zwischen Einheitsunternehmen, Unternehmensgruppe, relationalem Vertrag (Rdn 19) oder Austauschvertrag als Koordinationsform um eine Entscheidung, die grundsätzlich den betroffenen Marktteilnehmern obliegt, nicht der Rechtsordnung.79 Die Mittel der Gruppenbildung bezeichnen zugleich die Abgrenzung der ver- 18 schiedenen Arten der Bindung von Unternehmen untereinander. Ausgehend von den beiden Grundformen zur Gestaltung privatrechtlicher Beziehungen, nämlich dem Vertrag als dem marktmäßigen Austausch und der Organisation als Bündelung von Rechtsbeziehungen (Gesellschaft),80 ist die stärker integrierte Unternehmensgruppe bei fließenden Übergängen tendenziell der Organisation zuzuordnen.81 An die Stelle des durch Preisrelationen gesteuerten Tausches tritt die unternehmerische Koordination durch Direktion und die Teilhabe daran als Mitgliedschaft; statt einer Gegenleistung werden Gewinnrechte und Kompetenzen in Form von Mitverfügungs- und Mitverwaltungsrechten zugewiesen. Das liegt jedenfalls nahe, wenn der Verbund sich auf das
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77 Fritz Die Spaltung von Kapitalgesellschaften, 1991, S 11 mwN; insoweit zu eng Emmerich/Habersack KonzernR10 § 1 Rdn 20, wo die Ausgliederung nur unter dem Aspekt der späteren Beteiligung Dritter gesehen wird; grundlegend zur Divisionalisierung Williamson Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus, 1990, S 244 ff, 252 ff. 78 Druey Recht und Internationalisierung, 2000, S 229, 231, 236; Ebenroth Konzernbildungs- und Konzernleitungskontrolle, 1987, S 64 ff; ders Code of Conduct, 1987, Rdn 20 f, 25, 171 ff; Leitsätze der OECD für multinationale Unternehmen 2011 [http://www.oecd.org/daf/inv/mne/48808708.pdf]; historisch Hertner in: Horn/Kocka, 1979, S 388, 390 ff; s auch unten Rdn 69 ff. 79 Zu den Entscheidungskriterien vgl etwa Kirchner in: Ott/Schäfer (Hrsg) Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, 1993, S 196 ff mit Rücksicht auf die rechtlichen Rahmenbedingungen; Lübking Ein einheitliches Konzernrecht für Europa, 2000, S 54 ff: Vorteile der rechtlichen Selbständigkeit der Tochterunternehmen für die ökonomische Organisation; Picot JITE 149 (1993) 731, 736 ff; Spindler JITE 149 (1993) 756, 759 f (Markt für juristische Vertragsmodelle und Organisationstypen); vgl auch Doralt ZGR 1991, 252, 259. – Zur Organisationsautonomie Rdn 42. 80 Überblick bei Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 31 ff mwN; grundlegend Coase (1937) in: Williamson/Winter (Hrsg) The Nature of the Firm, 1993, S 18 ff, 25; Chandler/Daems in: Horn/ Kocka, 1979, S 28 ff; Hansmann/Kraakman 110 Yale L.J. 387 (2000); Kirchner JNPÖ 2 (1983) 137, 138 mwN; ders ZGR 1985, 214, 224 f; Masten in: Williamson/Winter aaO S 196 ff; Schanze JITE 149 (1993) 691; R Richter Institutionen ökonomisch analysiert, 1994, S 34 ff; Posner in: Ökonomische Analyse des Rechts (Hrsg Assmann/Kirchner/Schanze), 1993, S 221 und Procaccia ZGR 1990, 169; Ruffner Die ökonomischen Grundlagen des Rechts der Publikumsgesellschaft, 2000, S 155 ff; jeweils zur Vertragsbündeltheorie; aus soziologischer Sicht Vanberg Markt und Organisation, 1982, S 37 ff, 76 ff, 105 ff: Austauschmodell und Modell der Ressourcenzusammenlegung; vgl auch Easterbrook/Fischel The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S 7. 81 Vgl Kirchner AG 1985, 89, 102; auch Ebenroth Code of Conduct Rdn 21 mwN; Joskow in: Williamson/ Winter (Hrsg) The Nature of the Firm, 1993, S 117, 119: „The boundary between a firm and a market provides a very rough distinction between the two primary institutional mechanisms for allocating resources, but this is the beginning, not the end, of the inquiry“; Richter/Furubotn Neue Institutionenökonomik4 Kap VI zu Übergängen zwischen Unternehmen und Markt.
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ganze Unternehmen bezieht, nicht nur auf einzelne Aspekte oder Aktivitäten. Sehr deutlich wird das in den Bereichen hochentwickelten Konzernrechts, etwa der satzungsüberlagernden Unternehmensverträge (§ 291)82 oder der Arbeitnehmermitbestimmung im Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens,83 aber auch der Anforderung, dass beherrschender Einfluss iSd § 17 Abs 1 mindestens gesellschaftsrechtlich vermittelt sein muss (§ 17 Rdn 12 f). Der Unternehmensverbund kann zu einer wirtschaftlichen Einheit führen, vor allem in der Form des Konzerns. Die Erhaltung der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Konzernunternehmen erlaubt und erfordert aber nach wie vor den Gebrauch der Koordinationsform des Vertrages, sowohl mit Dritten als auch innerhalb der Gruppe.84 Die Differenzierung zwischen Vertrag und Organisation bzw Markt und Hierar19 chie findet sich zB auch im Kartellrecht umgesetzt in der Unterscheidung von Konzentration und Kooperation bzw Kartell und Zusammenschluss.85 Auch hier gibt es nicht immer leicht einzuordnende Übergänge, wie sich an der Kategorisierung von Gemeinschaftsunternehmen als konzentrative oder kooperative zeigt,86 deren Doppelkontrolle87 und die Berücksichtigung des sog Gruppeneffekts88 als Übergang. Kartellrechtliche Abhängigkeit iSd § 20 GWB ist als marktbedingte Abhängigkeit von der in § 17 gemeinten strukturellen zu unterscheiden. 89 Zunehmend eigenständig untersucht werden Zwischenformen (Hybride) zwischen Markt und Hierarchie. Sie werden als symbiotische oder relationale Verträge, Beziehungsverträge, in komplexerer Form auch als Netzwerke, Vertragsnetze uä bezeichnet90 und sind noch wenig in rechtlichen Kategorien erfasst. Als Beispiele werden Franchisesysteme, strategische Allianzen und just-in-time-Organisationen, auch das Unternehmen selbst91 genannt. Unternehmensgruppen, die weniger auf
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82 Bälz FS L Raiser, 1974, S 287, 326: Gründungsvertrag und Beherrschungsvertrag als systembildende Verträge; Geßler/Geßler § 291 Anm 20 ff; Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 294 ff zum Organisationsrecht als funktionaler Kategorie des Zivilrechts; Hüffer/Koch11 § 291 Rdn 2, 17; KK/ Koppensteiner3 Bd 6 Vor § 291 Rdn 156 ff. 83 Windbichler § 18 Rdn 64 ff; 4. Aufl Oetker Anh zu § 117 § 5 MitbestG Rdn 1; Lutter AcP 180 (1980) 84, 152 ff; KK/Mertens/Cahn3 Anh § 117 B § 5 MitbestG Rdn 2, 30; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 552 ff: Aufsichtsrat als Konzernorgan. 84 Druey FS Hommelhoff, 2012, S 135, 148 f; Kirchner ZGR 1985, 214, 225 f; ders in Ott/Schäfer (Hrsg) Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, 1993, S 196, 200 ff; KK/Koppensteiner3 Bd 6 Rdn 53 ff. 85 Zur Unterscheidung zwischen Unternehmens- und Handlungseinheit vgl etwa Steindorff Wettbewerbliche Einheit und kartellrechtliche Vermutungen, 1982, S 18 f; Immenga/Mestmäcker/Zimmer GWB5 § 146; ferner Windbichler Arbeitsrecht S 19 f mwN; zu den Abgrenzungsfragen im EU-Recht Immenga/Mestmäcker/Emmerich EU-Wettbewerbsrecht5 Art 101 Rdn 9 ff, 49 ff; Mestmäcker/Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht3 § 27 Rdn 42; K Schmidt FS Säcker, 2011, S 949, 951 ff. 86 Vgl auch Windbichler § 17 Rdn 62; Immenga/Mestmäcker/Zimmer GWB5 § 1 Rdn 296 ff, 303 ff; Grabitz/ Hilf/Nettesheim/Schroeder Das Recht der Europäischen Union54. Lfg Art 101 AEUV Rdn 469. 87 BGH 8.5.2001 – KVR 12/99 – Ost-Fleisch, BGHZ 147, 325; Immenga/Mestmäcker/Zimmer GWB5 § 1 Rdn 286 ff; Immenga/Mestmäcker/Körber EU-Wettbewerbsrecht5 FKVO Art 3 Rdn 164 ff; K Schmidt FS Säcker, 2011, S 949, 951 ff; Steindorff ZHR 152 (1988) 57. 88 Immenga/Mestmäcker/Zimmer GWB5 § 1 Rdn 285; Immenga/Mestmäcker/Thomas GWB5 § 36 Rdn 54. 89 Zu § 26 Abs 2 GWB aF Köhler NJW 1978, 2473, 2476 f; zur strukturellen Abhängigkeit Ulmer ZGR 1978, 457, 471; Martens Die existentielle Wirtschaftsabhängigkeit, 1979, S 58 ff, 106; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 52 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 § 17 Rdn 9. 90 Buxbaum JITE 149 (1993) 698; Hutter/Teubner JITE 149 (1993) 706; Jickeli Der langfristige Vertrag, 1996, S 69 zu den Alternativen unvollständiger Langzeitvertrag – Kurzzeitvertrag – Integration; R Richter Institutionen ökonomisch analysiert, 1994, S 18 ff; Rohe Netzverträge, 1998, S 384 ff; Ruiz Peris FS Hopt Bd 2, 2010, S 2901; Schanze JITE 149 (1993) 691 f; Schenk Konzernbildung, 1997, S 54 ff; Teubner ZGR 1991, 189; ders ZHR 165 (2001) 550; CC von Weizsäcker JITE 147 (1991) 99, 100 f, 108 f; ferner auch Lange Das Recht der Netzwerke, 1998. 91 Vgl oben Rdn 18 m Fußn 80. Der Diskussion zur Vertragsbündeltheorie braucht hier nicht nachgegangen zu werden, da sie nicht von einem juristischen Vertragsbegriff ausgeht und somit für die
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umfassender mitgliedschaftlicher bzw Satzungsbasis als auf komplexen Vertragssystemen beruhen, können auch hier einzuordnen sein.92 Teilweise werden solche Verbindungen bereits von den allgemeinen Regeln des Zivil- und Wirtschaftsrechts bewältigt.93 2. Behandlung in anderen Disziplinen. In der Betriebswirtschaftslehre wurde 20 der Unternehmensverbund lange als einheitliche Unternehmung behandelt,94 bei der die rechtlich selbständige Gliederung der Träger und ihre Rechtsfolgen eine, mit Ausnahme der Konzernrechnungslegung, nur wenig beachtete Besonderheit, gegebenenfalls Störgröße95 darstellte. In der neueren Literatur wird die rechtliche Verselbständigung von Unternehmensteilen als Organisationsmodell diskutiert.96 Ausgangspunkt ist dabei die Einheitsvorstellung der Unternehmung (Konzernunternehmung), dh der divergente Ansatz. Die konvergente Konzernbildung erscheint als Entscheidungsproblem beim Zusammenschluss von Unternehmen.97 Die Diskussion über die Auflösung der Unternehmungsgrenzen im Übergang zu neuen Formen der Produktion und Kooperation98 steht ebenfalls in engem Zusammenhang mit der Erfassung des Gruppenproblems. In der ökonomischen Theorie der Unternehmung, die sowohl die einzel- wie 21 auch die gesamtwirtschaftliche Perspektive umfasst,99 wird der Unternehmensverbund zunehmend thematisiert.100 Es werden die Wirkungen der Konzernbildung und -bindung auf die verschiedenen wirtschaftlichen Aktivitäten des Unternehmens untersucht im Gegensatz zur in der juristischen Betrachtung vorherrschenden Interessenschutzanalyse. Unter dem Aspekt der Ressourcenallokation zeigt sich der Konzern als Organisationsform dem Einheitsunternehmen wegen seiner größeren Flexibilität überlegen.101 Er hat
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rechtliche Erfassung von Unternehmen, Unternehmensgruppe und Konzern wenig beiträgt; Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 1 Rdn 30 mit Fußn 49. 92 Spindler JITE 149 (1993) 756 ff; Picot JITE 149 (1993) 731: Charakteristika der „symbiotic arrangements“: long-term orientation (open-ended or limited for a long duration), incomplete contracts, mutual dependency in the „symbiotic field“ while guarding the autonomy of both sides in terms of property rights, mutual adjustment of behavioral rules and culture; v Werder in: Hommelhoff/Hopt/ v Werder (Hrsg), Handbuch Corporate Governance2 S 3, 6 ff. 93 Vgl Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105, 23 aE. 94 Havermann FS Goerdeler, 1987, S 173, 176 f; Kallfass in Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 19; Pellens/Amshoff/A Schmidt ZGR 2009, 231, 233 ff, 242; Schenk Konzernbildung, 1997, S 22, 40 ff; Schubert/Küting Unternehmungszusammenschlüsse, 1981, S 239 f; Theisen Der Konzern2 S 21 ff: Konzernunternehmung als Organisationsform; vgl aber Rehbinder Konzernaußenrecht, 1969, S 37 ff. 95 Vgl Theisen Der Konzern2 S 205 ff. 96 So insbes v Werder ZfbF 38 (1986) 586; ders Organisationsstruktur und Rechtsnorm, 1986, S 11 f; ders in: Handwörterbuch der Organisation3 Schlagwort „Recht und Organisation“; auch Kallfass in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 19, 28 f, 31; Mellewigt/Matiaske in: Albach (Hrsg), Konzernmanagement, 2001, S 107; Pellens/Amshoff/A. Schmidt ZGR 2009, 231, 235; Schubert/Küting Unternehmungszusammenschlüsse, 1981, S 268 f. 97 v Werder ZfbF 38 (1986) 586, 587: Erwerb von Beteiligungsgesellschaften; Wöhe Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre19 1996, S 388 ff, 416 ff, 426 ff (nicht mehr ab der 20. Aufl); auch Schubert in Küting/Weber, Handbuch der Konzernrechnungslegung2 Bd 2 II: Konzern als Zusammenschlussform. 98 Picot/Reichwald ZfB 64 (1994) 547; Picot/Ripperger/Wolff JITE 152 (1996) 65 mwN. 99 Dazu Kallfass in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 19, 26 ff; Kirchner JNPÖ 2 (1983) 137 ff. 100 Albach (Hrsg) Konzernmanagement, 2001; Kirchner JNPÖ 3 (1984) 223 mwN; ders ZGR 1985, 214; Scheffler Konzernmanagement2. 101 Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 355; Kallfass in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 19, 23 ff; Kirchner ZGR 1985, 214, 230; vgl auch Lutter ZGR 1987, 324, 331 f; Schenk Konzernbildung, 1997, S 59 ff, 227; Theisen Der Konzern2 S 99 ff; von einem anderen Ausgangspunkt zu Funktionsaspekten des Konzerns als Netzwerk Teubner ZGR 1991, 189.
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sich im Wettbewerb der Unternehmensformen als Regelungsregime durchgesetzt. In einer Unternehmensgruppe organisierte unternehmerische Aktivitäten schaffen eine reichere Marktstruktur, indem die in den rechtlich selbständigen Teilen gebündelten Güter als Ganzes leichter übertragen werden können.102 Die durch die Identität der rechtlichen Unternehmensträger gezogenen Grenzen wirken als Sollbruchstelle103 für die Realisierung des Marktwerts von Güterbündeln. Rechtlich findet diese Betrachtung ihren Niederschlag in den Vorschriften zu Übernahmeangeboten104 und zur Unternehmensspaltung (vgl Rdn 14).105 Die Unternehmensgruppe ist eine Form der wirtschaftlichen Arbeitsteilung. 3. Rechtliche Erfassung 22
a) Rechtsgebietsspezifisch werden Rechtsfragen der verbundenen Unternehmen überwiegend dem Gesellschaftsrecht zugeordnet. Entsprechendes gilt für die darüber hinaus greifende Governance-Diskussion, sog soft law.106 Die pauschale Erklärung, bestimmte Regeln gälten für den oder im Konzern entsprechend (vgl zB § 319 Abs 5, 319a Abs 2 HGB; DCGK 2014 Präambel S 2) lassen die Detailfragen unbeantwortet. Damit hat es aber nicht sein Bewenden, da die Bildung von Unternehmensgruppen, ihre Organisation und ihre Außenbeziehungen in anderen Rechtsgebieten auf andere Weise relevant werden als auf diejenige, die durch die gesellschaftsrechtliche Sicht erfasst wird. Es finden sich zahlreiche teils eigenständige Regelungen, teils Verweisungen (Rdn 58 ff). Oftmals wird nur bruchstückhaft und punktuell eine nicht näher fundierte Zurechnung oder Haftungserstreckung angeordnet.107 Der nachfolgende Überblick mag das kurz illustrieren. Der kapitalmarktrechtliche Funktionszusammenhang des Aktienrechts besteht 23 in der klassischen Rolle der AG als Kapitalsammelbecken;108 diese bleibt tatsächlich und rechtlich nicht unberührt, wenn es sich um verbundene Unternehmen handelt. Beteiligungen an abhängigen Unternehmen werden nicht oder nur begrenzt gehandelt; Anteile an einem herrschenden Unternehmen sind mittelbar Investitionen in Tochter- und Enkelgesellschaften.109 Informationen über Verflechtungen sind daher von Bedeutung sowohl für den Institutionsschutz als auch den Anlegerschutz; diesbezügliche Meldepflichten wurden zunehmend ausgebaut.110 Neben die Kapitalmarktfunktion, Anlagemittel in
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102 Kallfass in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 19, 30; Ordelheide BFuP 38 (1986) 293, 296, 301; s auch den Zusammenhang von Ressourcenpoolung und korporativem Handeln bei Vanberg Markt und Organisation, 1982, S 10 ff, 105 ff. 103 Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 44; dies in: Albach (Hrsg.), Konzernmanagement, 2001, S 57. 104 Davies/Hopt in: Kraakman/Armour et al, The Anatomy of Corporate Law2, S 225 ff; Grundmann Europäisches Gesellschaftsrecht2 § 27; KK-WpÜG/Hirte Einl Rdn 79 ff; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 71. 105 Grundmann Europäisches Gesellschaftsrecht2 § 25; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 70. 106 Vgl v Werder in: Albach (Hrsg), Konzernmanagement, 2001, S 145. 107 Druey in: Lutter (Hrsg), Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 345: der Respekt vor dem Trennungsprinzip schwinde desto mehr, je weiter das Rechtsgebiet von dem als sedes materiae betrachteten Gesellschaftsrecht entfernt ist, S 357: die Scheu der nationalen Gesetzgeber vor einer allgemeinen Ordnung sei groß, nicht dagegen vor Konzernproblemen in Spezialgebieten; ders FS Hommelhoff, 2012, S 135, 159: Auseinanderstieben der Konzernfragen in unzählige Sondergebiete; zu bereichsspezifischen Definitionen im europäischen Gemeinschaftsrecht Neye ZGR 1995, 191; zu Verweisungen in verschiedenen Rechtsgebieten Koppensteiner FS Hopt, 2010, S 959. 108 4. Aufl Assmann Einl Rdn 292; Windbichler Gesellschaftsrecht 23 § 25 Rdn 14 ff. 109 4. Aufl Assmann Einl Rdn 307, 316 ff. 110 Zur Gesetzesgeschichte des WpHG zusammenfassend Baumbach/Hopt/Kumpan HGB36 WpHG Rdn 1 ff; Grundmann Europäisches Gesellschaftsrecht2 § 27 Rdn 952 ff.
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unternehmerisches Kapital zu überführen, tritt die Funktion eines Marktes für Unternehmenskontrolle.111 Verbandsrechtliche Reaktionen, zB gesellschaftsrechtlich sanktionierte Informationspflichten (§§ 20 ff, § 28 WpHG) oder besondere Schutzvorschriften (zB §§ 304 f), überschneiden sich mit den kapitalmarktrechtlichen Regelungen. Kapitalmarktrecht und Gesellschaftsrecht regeln teilweise denselben wirtschaftlichen Sachverhalt, aber nicht immer hinreichend verzahnt bzw abgegrenzt.112 Das zeigte sich außer bei den Mitteilungspflichten von Stimmrechtsbeteiligungen in der Diskussion über die 13. (Übernahme-) EG-Richtlinie, in der bemängelt wurde, dass die anlegerschützende und konzernbildende Funktion der Richtlinie mit dem (in den Mitgliedstaaten unterschiedlichen) materiellen Konzernrecht kumuliere bzw in Konflikt gerate.113 Soweit Kapitalmarktrecht sich als (mittelbare) Rechtsquelle für das Recht der verbundenen Unternehmen auswirkt, wird damit nur ein Ausschnitt der verschiedenartigen Unternehmensgruppen erfasst, nämlich solche, deren Mitglieder handelbare Wertpapiere ausgeben (§ 2 WpHG). Zahlreiche kleine Unternehmen, deren Beteiligungen nicht gehandelt werden, sind ebenfalls gruppenverbunden (Rdn 16). Auf sie passen unter kapitalmarktrechtlichen Gesichtspunkten entwickelte Regeln möglicherweise nicht. Das Recht der Rechnungslegung war zunächst Hauptanwendungsbereich für die ak- 24 tienrechtlichen Definitionen (Rdn 5). Die Verpflichtung, einen Konzernabschluss aufzustellen, gehörte zu den wesentlichen Reformen des AktG 1965. Betrachtet man die Publizität als Probe auf die Organisation,114 liegt auch darin ein organisationsrechtliches Element, das inzwischen aber anderen Kriterien folgt. Das heutige Recht der Rechnungslegung für den Einzelabschluss berücksichtigt wie auch früher schon Verflechtungen, ua zB in § 271 und § 285 HGB. Die Konzernrechnungslegung ist EU-weit harmonisiert, für kapitalmarktorientierte Muttergesellschaften teilweise vereinheitlicht.115 Sie dient ausschließlich der Information, nicht der Ausschüttungsbemessung (vgl § 174 Abs 1 Satz 2); daraus ergeben sich Spannungsverhältnisse und Wertungswidersprüche.116 Die §§ 290–335 HGB enthalten die Vorschriften über den Konzernabschluss und Konzernlagebericht für Kapitalgesellschaften; §§ 11 ff PublG ergänzen die Rechnungslegungspflicht für Mutterunternehmen in anderer Rechtsform. Die zum Ausgangspunkt der Verpflichtung genommenen Verbindungen folgen eigenständigen Definitionen, die sich mit solchen des Aktienrechts überschnei-
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111 4. Aufl Assmann Einl Rdn 399 mwN; Kalss/Klampfl Europäisches Gesellschaftsrecht, 2015, Rdn 502 ff; zweifelnd bezüglich der Existenz eines solchen Marktes noch Zöllner/Noack AG 1991, 117, 126 f; dagegen statt vieler Grundmann Europäisches Gesellschaftsrecht2 § 3 Rdn 87 m Fn 49, § 27 Rdn 948 f. 112 Neye ZIP 1996, 1853, 1855 ff; UH Schneider AG 1997, 81, 82 f; Singhof ZGR 2001, 146, 154 ff; näher Windbichler § 20 Rdn 10 ff. 113 Grunewald WM 1989, 1233, 1238; Hommelhoff/Kleindiek AG 1990, 106, 108 ff; Lutter Europäisches Unternehmensrecht4 S 286 f; Mertens AG 1990, 252, 256 ff; zur Interdependenz von Konzerneingangskontrolle und materiellem Konzernrecht Druey in: Lutter (Hrsg), Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 342, 345 f, 363; zu dem dahinterstehenden Problem der Aufteilung der Konzerneffekte Herkenroth Konzernierungsprozesse im Schnittfeld von Konzernrecht und Übernahmerecht, 1994, S 297 ff. 114 Vgl Windbichler FS Hopt, 2010, S 1505; Wiethölter Interessen und Organisation, 1961, S 47; wie sehr die Konzernrechnungslegung als Übergriff hinsichtlich der einzubeziehenden Unternehmen empfunden wurde, spiegelt sich in den Bedenken Flumes, Grundfragen der Aktienrechtsreform, 1960, S 38, der nur 100%-ige Töchter und durch Unternehmensvertrag verbundene Unternehmen der Publizität der herrschenden Gesellschaft ausgeliefert sehen wollte; zur Entwicklung Claussen ZGR 2000, 604, 606 ff. 115 Siebente Richtlinie vom 13.6.1983 83/349/EWG, abgelöst durch die Richtlinie 2013/34/EU vom 26.6.2013; Verordnung (EG) Nr 1606/2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, mit nachfolgenden Änderungen. 116 Baumbach/Hopt/Merkt HGB36 § 297 Rdn 2; Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 31 Rdn 1 ff, 37; zu betriebswirtschaftlichen Versuchen, die IFRS-Konzernbilanz zur Ausschüttungsbemessung heranzuziehen, Pellens/Amshoff/A Schmidt ZGR 2009, 231, 265 ff.
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den (näher dazu Rdn 60). Es gilt wiederum, das Zusammentreffen von rechtlicher Vielheit und wirtschaftlicher Einheit angemessen zu erfassen, wobei Sinn und Zweck des Rechnungslegungsrechts sowie die Vorgaben im europäischen Sekundärrecht Maßstab sind. 25 Auf der Bilanzierung aufbauend geht das Steuerrecht wiederum eigene Wege. Es gilt der Grundsatz der Besteuerung des einzelnen Rechtssubjekts mit Durchbrechungen, es gibt jedoch keine allgemeine Konzernbesteuerung wie in einigen anderen Ländern.117 Das Steuerrecht hat die Entstehung heute geläufiger Formen von Unternehmensverbindungen gefördert und geprägt.118 Steuerrechtsspezifische Zurechnungen sind aber für die zivil- und gesellschaftsrechtliche Erfassung von Unternehmensverbindungen nicht aussagekräftig. Die Ergebnisse entsprechen nicht notwendig den gesellschaftsrechtlichen Regelungsanliegen, schon gar nicht dem Ergebnis eines wettbewerblichen Auswahlprozesses unter verschiedenen Organisationsformen.119 Die ursprünglich von der Rechtsprechung entwickelte steuerliche Organschaft 120 war einerseits Muster für den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, andererseits wurde diese aktienrechtliche Ausprägung des Unternehmensvertrags ins KStG übernommen, dann aber wieder für entbehrlich erklärt. Die Voraussetzungen für grenzüberschreitenden steuerlichen Verlustausgleich im Konzern hat der EuGH mehrfach unter dem Gesichtspunkt der Niederlassungsfreiheit geprüft.121 Deutlich unterhalb der Kontrollschwelle setzen die steuerlichen Regelungen an, die Ausschüttungen von Kapitalgesellschaften untereinander entlasten.122 Die umsatzsteuerlichen Folgen vertikaler Integration haben nach Einführung der Mehrwertsteuer an Bedeutung verloren.123 Die gewerbesteuerliche Organschaft geht wieder andere Wege, § 2 Abs 2 Satz 2 GewStG. Im allgemeinen Zivilrecht, insbesondere dem Vertragsrecht, ist stets der einzelne 26 rechtlich selbständige Unternehmensträger Partei. Die Gruppe bzw der Konzern sind keine Rechtssubjekte und insoweit sowohl als Normadressat wie als Vertragspartner ungeeignet. Der Gruppenbezug kann privatautonom hergestellt werden. Die allgemeinen
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117 Zur optionalen konsolidierten Konzernbesteuerung in Frankreich Le Cannu/Dondero Droit des sociétés6 Rdn 1505: Schwellenwert 95% Beteiligung; Lenz/Seroin/Handwerker DB 2012, 365; – in den USA ist der Schwellenwert für „control“ 80% der Stimmrechte und Beteiligung, Sec 1504 (a) (2) Internal Revenue Code; vgl ferner Blumberg The Law of Corporate Groups. Statutory Law: Specific, 1992, § 14, § 15.16.; zum österreichischen Modell Danelsing DStR 2005, 1342; vgl auch Emmerich/Habersack KonzernR10 § 1 Rdn 29 ff; – Reformvorschlag der IFSt-Arbeitsgruppe, Einführung einer modernen Gruppenbesteuerung, IFSt-Schrift Nr 471, 2011; zu Anforderungen an die Konzernbesteuerung allgemein Schön ZHR 171 (2007) 409. 118 Zur Entwicklung Altmeppen in: Bayer/Habersack (Hrsg), Aktienrecht im Wandel Bd II, 2007, S 1027 Rdn 5 f; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 1 Rdn 29 ff; Spindler Recht und Konzern, 1993, S 15 ff; vgl auch 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 8 ff. 119 Kübler/Assmann Gesellschaftsrecht6 § 20 I mwN; Knobbe-Keuk Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht9 nach § 27; dies DB 1989, 1303; Walz Gutachten F zum 53. DJT 1980 S f 47 ff. 120 § 14 KStG; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 1 Rdn 34 ff; Hüttemann in: Schön/Osterloh-Konrad (Hrsg) Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 2010, S 127; Knobbe-Keuk Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht9 § 20 I; Schön ZHR 168 (2004) 629; Sonnenschein Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, 1976; Spindler Recht und Konzern, 1993, S 17 ff. 121 Vgl EuGH 13.12.2005 C-446/03 (Marks & Spencer); EuGH 1.4.2014 C-80/12 (Felixstowe Dock and Railway); EuGH 12.6.2014 C-39/13 (SCA Group Holding BV); EuGH 17.7.2014 C-48/13 (Nordea Bank); EuGH 3.2.2015 C-172/13 (Kommission/Vereinigtes Königreich); EuGH 2.9.2015 – C-386/14 (Groupe Steria); vgl dazu Blumenberg FS Herzig, 2010, S 211; Danelsing DStR 2005, 1342; Kessler/Arnold IStR 2016, 226; Lenz/Seroin/ Handwerker DB 2012, 365. 122 Richtlinie 90/435/EWG, neugefasst durch die RL 2011/96/EU über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (Mutter-/Tochter-Richtlinie): ab 10% Beteiligung keine Quellensteuer, keine Doppelbesteuerung; § 8b KStG iVm § 20 Abs 1 Nr 1, 2 EStG. 123 Zu den Voraussetzungen umsatzsteuerlicher Organschaft § 2 Abs 2 Nr 2 UStG; Feldgen BB 2010, 285; vgl BFH 7.7.2011 – V R 53/10, DB 2011, 2414; BFH 2.12.2015 – V R 15/14, ZIP 2016, 568.
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zivilrechtlichen Gestaltungsinstrumente wie Stellvertretung, Vertrag zugunsten Dritter, Gesamtschuld und Gesamtgläubigerschaft, Auslegung aus dem Empfängerhorizont etc sind einerseits „konzernfest“, andererseits vielseitig genug, um die erforderlichen Verbindungen herzustellen, selbst wenn es im Einzelfall Schwierigkeiten bereitet, die richtige Vertragspartei festzustellen.124 Aus dem Vorliegen einer der gesetzlich definierten Unternehmensverbindungen allein folgt vertragsrechtlich jedenfalls nichts, es bedarf der Umsetzung durch die jeweils betroffenen einzelnen Unternehmen.125 Praktische Anwendungsbereiche sind Wettbewerbsverbote,126 Verträge über Waren oder Dienstleistungen anderer Unternehmen, 127 Darlehens- und Anleihebedingungen, 128 Patronatserklärungen129 etc. Der Gesetzgeber geht auf solche Vertragspraktiken ein, zB in § 449 Abs 3 BGB. Des Weiteren stellt sich immer wieder die Frage der Zurechnung bestimmter Eigenschaften oder Tatbestandsmerkmale, die bei einem anderen, mit dem Normadressaten verbundenen Unternehmen erfüllt sind (Rdn 40).130 Die Insolvenz der Unternehmensgruppe als solcher ist nicht möglich, sie trifft die 27 einzelnen Rechtsträger (§ 11 InsO, Art 56 EuInsVO). Die Verbindung eines insolventen Unternehmens mit anderen ist gleichwohl eine besondere Herausforderung, insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Das wesentliche Problem ist, ob und unter welchen Voraussetzungen auf die Vermögensmasse eines anderen Rechtsträgers zugegriffen werden kann, wie überlebensfähige Teile reorganisiert und wie die unterschiedlichen Interessen der Gläubiger der einzelnen Unternehmen einer angemessenen Behandlung zugeführt werden können. Dafür wird man nicht auf die Definitionsnormen eines nationalen Gesellschaftsrechts zurückgreifen können, sondern für die spezifische Funktion taugliche Anknüpfungen finden müssen.131 Ein Konzern-Insolvenzrecht könnte von einer Einheitsbetrachtung der Gruppe ausgehen (Einheitstheorie, materielle Konsolidierung) oder von einer Verfahrensbündelung.132 Das gilt auch für die Sanierung von Un-
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124 Umfassend Rehbinder Konzernaußenrecht, 1969; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 67 ff, 581; ferner KK/Koppensteiner3 Bd 6 Vor § 15 Rdn 47 ff. 125 Vgl etwa BGH ZIP 1990, 859 = NJW-RR 1990, 1313 (Singer). 126 Geiger Wettbewerbsverbote im Konzernrecht, 1996; Rehbinder Konzernaußenrecht, 1969, S 167 ff. 127 Rehbinder Konzernaußenrecht, 1969, S 194 ff. 128 UH Schneider FS Stimpel, 1985, S 887. 129 Lutter Der Letter of Intent3 1998; Rehbinder Konzernaußenrecht, 1969, S 297 ff. 130 Beispiele: Gläubigereigenschaft iSd § 114a ZVG, BGHZ 117, 8; wirtschaftliche Tätigkeit des Idealvereins durch Tochtergesellschaft, BGHZ 85, 84 – ADAC, dazu K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 23 III 3 a); Leuschner ZIP 2015, 356; Herstellereigenschaft iSd Produkthaftungsrechts, BGH NJW 1981, 2250; EuGH 9.2.2006 – C-127/04 (Declan O’Byrne/Sanofi Pasteur); Hommelhoff ZIP 1990, 761; Koppensteiner FS K Schmidt, 2009, S 927; vgl auch unten Rdn 70. 131 Art 2 Nr 14 EuInsVO verweist als Aufgreiftatbestand auf die Definition des Mutterunternehmens iSd Rechnungslegung, RL 2013/34/EU, enthält im Weiteren aber zahlreiche Differenzierungsmöglichkeiten; Hirte ZIP 2008, 444, 446; K Schmidt FS Ganter, 2010, S 351, 352 f; zur Neufassung Eble NZI 2016, 115; Kindler/Sakka EuZW 2015, 460, 464 f; Parzinger NZI 2016, 63, 67 f. 132 Vgl dazu Acher Vertragskonzern und Insolvenz, 1986, S 9 ff; Eidenmüller ZHR 169 (2005) 528; Hirte ZIP 2008, 444; Kübler ZGR 1984, 560, 561; Mertens ZGR 1984, 542, 542 f, 550 ff; Uhlenbruck/Hirte InsO14 § 11 Rdn 394 ff; Paulus ZIP 2005, 1948; Sester ZIP 2005, 2099; Verhoeven Die Konzerninsolvenz, 2011, S 181 ff; – andere Rechtsordnungen, die zwar kein „Konzernrecht“ kennen (Rdn 73 ff), sehen gleichwohl eine Art Gruppeninsolvenz (joint administration) vor, Blumberg The Law of Corporate Groups, Problems in the Bankruptcy or Reorganization of Parent and Subsidiary Corporations, Including the Law of Corporate Guaranties, 1985; Scheel Konzerninsolvenzrecht, 1995, S 5 ff zum US-amerikanischen Recht; dazu Ehricke ZHR 160 (1996) 98; unter besonderer Berücksichtigung des französischen Rechts Ehricke Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz, 1998; Specovius/Kuske in: Gottwald (Hrsg) InsolvenzrechtsHandbuch5, 2015, § 95 mwN; – zum italienischen Recht Spada in Wymeersch (Hrsg) Groups of Companies in the EEC, 1993, S 165, 190 ff – Als Beispiel für Defizite im Detail BGH ZIP 1998, S 793, 802 (IX. Senat, betr Anfechtung nach GesO): pauschale Behauptung, Konzerngesellschaften hätten regelmäßig ein eigenes
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ternehmen, sei es als Teil der Insolvenzproblematik,133 sei es im Hinblick auf die Aufnahme eines Unternehmens in den Verbund zum Zweck der Sanierung.134 Die nationalen Reformbemühungen dazu sind nicht abgeschlossen und in Einzelheiten weiterhin streitig.135 Die Neufassung der EuInsVO136 ermöglicht in ihrem fünften Abschnitt die Verfahrenskoordination auf Antrag eines oder mehrerer Insolvenzverwalter. Die Bewältigung des Insolvenzfalls als Prüfstein für funktionsfähigen Gläubigerschutz und damit des gesetzlichen und von Rechtsprechung und Lehre weiterentwickelten Systems von Ausgleichs- und Haftungsmechanismen ist damit wohl auf gutem Wege, zumal das Antragserfordernis und die Möglichkeit, Einwände dagegen zu erheben, die notwendigen Differenzierungen entsprechend der Vielfalt der Unternehmensgruppen ermöglichen. Im Arbeitsrecht ist zwischen vertragsrechtlich geprägtem Individualarbeits28 recht137 und stärker organisatorisch geprägten Bereichen zu unterscheiden. Enge Bindungen des Arbeitgebers an andere Unternehmen haben keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse mit den einzelnen Arbeitnehmern. Die Identität des Arbeitsverhältnisses wird durch die Vertragspartner bestimmt, der „Konzern“ kann nicht Arbeitgeber sein. Unternehmensübergreifende Gestaltungen sind mit den Mitteln des Vertragsrechts zu bewältigen. Sozialleistungen durch Dritte, dh durch Unternehmen, die nicht Arbeitgeber sind wie etwa die Muttergesellschaft gegenüber Arbeitnehmern von Tochtergesellschaften, sind gleichwohl als arbeitsrechtlich zu qualifizieren.138 Eine Erweiterung des Kündigungsschutzes erfolgt nicht nach Maßgabe der Gruppenbindung des Arbeitgebers, sondern der Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses.139 Soweit die wirtschaftliche Lage des Arbeitgeberunternehmens von rechtlicher Bedeutung ist, stellen sich Zurechnungsprobleme; die Kriterien sind im Einzelnen umstritten. Ein wichtiger Anwendungsfall ist die betriebliche Altersversorgung und deren regelmäßige Anpassungsprüfung, die den Versorgungsschuldner trifft.140 Das BAG ist in
_____ wirtschaftliches Interesse an der Kreditgewährung an andere Konzerngesellschaften; – Sonderfall: Art 8 und 9 der VO (EU) 806/2014 zur einheitlichen Kreditinstitute-Abwicklung, die einen Gruppeninsolvenzplan vorsehen. 133 Brünkmans Konzern 2013, 234; zur Ausgliederung zu Sanierungszwecken Ebenroth Konzernbildungsund Konzernleitungskontrolle, 1987, S 60 ff; zur Zusammenfassung von Gruppenunternehmen unter einheitlicher Leitung zwecks Sanierung im außerordentlichen Verfahren nach italienischem Recht Mohn Die Gesellschaftsgruppe im italienischen Recht, 2012, S 68 ff; – branchenbezogen Art 7 ff RL 2014/59/EU: Gruppensanierungspläne für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen. 134 Zur Sanierungsfusion Immenga/Mestmäcker/Thomas Wettbewerbsrecht5 GWB § 36 Rdn 624 ff. 135 Vgl RegE eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, BT-Drucks 18/ 407; Empfehlungen der UNCITRAL zum nationalen und internationalen Konzerninsolvenzrecht; dazu Brünkmans ZIP 2013, 193; Eidenmüller/Frobenius Beil 3 zu ZIP 22/2013; Hirte ZIP 2008, 444; Holzer ZIP 2011, 1894; Paulus ZGR 2010, 270; Zipperer ZIP 2013, 1007. 136 VO (EU) 848/2015 vom 20. Mai 2015 ABl L 141/19 vom 5.6.2015; dazu Bayer/J Schmidt BB 2015, 1731, 1738; Eble NZI 2016, 115; Kindler/Sakka EuZW 2015, 460, 464 f; Parzinger NZI 2016, 63, 67 f; Vallender ZIP 2015, 1513, 1519 ff; zur Rechtslage davor vgl EuGH 15.12.2011 C-191/19 (Rastelli); MünchKomm-BGB/Kindler Art 4 EuInsVO Rdn 102; zur Reform Prager/Keller NZI 2013, 57; K Schmidt, FS Ganter, 2010, S 351; Wolf Der europäische Gerichtsstand bei Konzerninsolvenzen, 2012. 137 Dazu näher MünchKomm-GmbHG/Liebscher2 Anh GmbH_KonzernR Rdn 1240 ff; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 67 ff; zu internationalen Sachverhalten Junker Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992, S 206 ff; vgl auch EuGH 15.12.2011 – Rs C-384/10, NZA 2013, 1163. 138 Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 227 ff, 585 f. 139 BAG AP Nr 1 Nr 1 zu § 1 KSchG 1969 Konzern m Anm Wiedemann = SAE 1984, 139 m Anm Windbichler; BAG AP Nr 4 zu § 1 KSchG 1969 Konzern SAE 1987, 129 m Anm Windbichler; BAG 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, NZA 2007, 30; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 155 ff, 586. 140 Vgl etwa BAGE 129, 292; BAGE 135, 344; BAG 15.1.2013 – 3 AZR 638/10, NZA 2014, 87; BAG 28.5.2013 – 3 AzR 125/11; BAG 20.5.2014 – 3 AZR 1094/12; BAG 17.6.2014 – 3 AZR 298/13, BAGE 148, 244; BAG 15.9.2015 – 3 AZR 839/13, NZA 2016, 235.
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Zurechnungs- und Haftungsfragen um einen Gleichlauf mit der Rechtsprechungsentwicklung im Gesellschaftsrecht bemüht; dass das nicht immer gelingt, ist mindestens teilweise der Unübersichtlichkeit des Gesellschaftsrechts zuzuschreiben.141 Das Tarifrecht kennt in § 12a Abs 2 TVG eine besondere Zurechnungsvorschrift. Der 29 Regelungsbedarf für atypische Beschäftigungs- und Organisationsformen im Übrigen kann durchweg mit dem vorhandenen Tarif- und Koalitionsrecht gedeckt werden kann. Einen (allein mit der Obergesellschaft abgeschlossenen) „Konzerntarifvertrag“ gibt es nicht.142 Die Zulässigkeit von Arbeitskämpfen richtet sich ua nach der Erreichbarkeit einer tariflichen Regelung und der Verhältnismäßigkeit. Werden Unternehmen einbezogen, die nicht unter den erkämpften Tarifvertrag fallen würden, handelt es sich um Sympathie- oder Unterstützungsstreiks, deren Rechtmäßigkeit umstritten ist; Konzernverbindungen werden von der Rechtsprechung als Rechtfertigung angesehen.143 Das Betriebsverfassungsrecht enthält in den §§ 54–59a BetrVG einige der wenigen 30 Vorschriften, die den Konzern aus arbeitsrechtlicher Sicht ausdrücklich behandeln.144 Die Regelung geht von einer Verweisung auf § 18 Abs 1 (näher dazu Windbichler § 18 Rdn 76) aus und verfasst die Arbeitnehmer sämtlicher Konzernunternehmen zu einer Konzernbelegschaft, fakultativ repräsentiert durch den Konzernbetriebsrat. Für den geregelten Bereich besteht somit vergleichsweise ausgereiftes Organisationsrecht. §§ 21 ff SprAuG folgen dem weitgehend. Die Richtlinie über die Einsetzung eines europäischen Betriebsrats145 enthält eine eigenständige Definition für „Unternehmensgruppe“ sowie „herrschendes Unternehmen“, die ausweislich des 13. Erwägungsgrundes nur für diese Richtlinie gelten, ihrem Inhalt nach aber dem control-Konzept folgen,146 und sieht unternehmensübergreifende Verfahren vor. Das zur Umsetzung der Richtlinie erlassene Gesetz folgt dementsprechend den etwas weiteren Aufgreiftatbeständen der Richtlinie, § 6 EBRG; eine Verweisung
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141 Etwa BAGE 61, 94 = AR-Blattei Betriebliche Altersversorgung Entsch 219 m Anm Stimpel = SAE 1990, 57 m Anm Gitter; BAG ZIP 1992, 1566 m Bespr Blomeyer ZIP 1993, 652 = AP Nr 25 zu § 16 BetrAVG m Anm Wiedemann; BAG ZIP 1993, 1330 = EzA § 7 BetrAVG Nr 46 m Anm Windbichler = SAE 1994, 182 m Anm Reuter; explizit für einen Gleichlauf, auch mit dem allgemeinen Zivilrecht, BAG 29.9.2010 – 3 AzR 427/08, NZA 2011, 1416; BAG 15.9.2015 – 3 AZR 839/13, NZA 2016, 235; Windbichler FS Kissel, 1994, S 1287. 142 BAG 17.10.2007 – 4 AZR 1005/06, NZA 2008, 713 Rdn 26 ff; ErfKom/Franzen16 § 2 TVG Rdn 24; Kempen/Zachert/Stein TVG5 § 2 Rdn 74; Löwisch/Rieble TVG3 § 2 Rdn 359 ff; Windbichler Arbeitsrecht S 435 ff, 588 f; zu internationalen Sachverhalten A Junker Internationales Arbeitsrecht im Konzern S 445 ff. 143 BAG 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, BAGE 123, 134 = NZA 2007, 1055. 144 Dazu näher Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 300 ff, 587 f; zu internationalen Sachverhalten Junker Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992, S 390 ff; im französischen Recht ist, ausgehend von dem besonderen arbeitsrechtlichen Begriff der unité économique et sociale, die Bildung eines comité de groupe vorgesehen, Art L 439–1 Code du travail; dazu Couturier ZIAS 1995, 516; Teichmann Die Gesellschaftsgruppe im französischen Arbeitsrecht, 1999, S 243 ff; auch im österreichischen (Arbeitsgemeinschaft der Zentralbetriebsräte, §§ 44 Abs 4 a, 88 a ff ArbVG) und im niederländischen Recht (Grapperhaus/Verburg Employment Law and Works Councils of the Netherlands, 2002, S 42 ff; Sandmann Die Euro-Betriebsrats-Richtlinie 94/45/EG S 75 mwN; Timmermans/Timmermans in: Wymeersch (Hrsg) Groups of Companies in the EEC, 1993, S 231, 252 ff) sind Arbeitnehmervertretungen auf Konzernebene möglich; Aufgaben und Zusammensetzung sind sehr unterschiedlich. Bei den Voraussetzungen ist jeweils auf Gesellschaftsrecht oder auch Rechnungslegungsrecht verwiesen. 145 Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22.9.1994 ABlEG L 254/64 30.9.1994. 146 Als Muster soll die Baukoordinierungsrichtlinie vom 26.7.1971 71/305/EWG ABlEG L 185/5 gedient haben, Blanpain/Windey European Works Councils, 1994, S 68. Auch diese folgt dem control-Konzept, Windbichler ZfA 1996, 1, 9 ff; die Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten führte weitere Anknüpfungsmöglichkeiten ein. ZB ist nach L No 96–985 vom 12.11.1996 bei einem französischen herrschenden Unternehmen die Bildung eines europäischen Betriebsrates möglich, wenn die bilanzrechtlichen Voraussetzungen eines Kontrollverhältnisses gegeben sind oder wenn das Unternehmen mit mindestens 10% an einem anderen beteiligt ist und die Dauer und Bedeutung der Beziehung die Zugehörigkeit zu einer wirtschaftlichen Einheit begründet.
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auf § 18 Abs 1 AktG oder § 54 BetrVG war nicht möglich (Windbichler § 18 Rdn 80). Die Betriebsverfassung auf der Ebene des SE-Verbunds folgt der einschlägigen Mitbestimmungsvereinbarung bzw Auffangregel, §§ 21, 23 SEBG. Die jeweils auf betrieblicher Ebene durch das BetrVG etablierten Mitwirkungsrechte werden dadurch nicht inhaltlich verändert, sondern durch Verlagerung bzw verbesserte Informationsgrundlagen gesichert. Die Unternehmensmitbestimmung, die teils dem Arbeitsrecht, teils dem Gesell31 schaftsrecht zuzuordnen ist, bestimmt die Besetzung des Aufsichtsrates, soweit ein Arbeitsdirektor vorgesehen ist, auch die des Vorstands, und verfolgt somit arbeitsrechtliche Ziele mit gesellschaftsrechtlichen Mitteln. Die Vorschriften zur Mitbestimmung im Konzern verweisen auf aktienrechtliche Begriffe (näher Windbichler § 18 Rdn 14, 72 ff). Der Aufsichtsrat der Konzernspitze wird dadurch, dass in ihm die Belegschaften sämtlicher Konzernunternehmen repräsentiert sind, zum „Konzernorgan“.147 Insoweit findet eine Einheitsbetrachtung der betroffenen Unternehmensgruppe statt. Der Konzernbegriff dient der Zurechnung von Unternehmen zu diesem Verbund. Bereits § 76 Abs 4 BetrVG 1952 kannte die Konzernmitbestimmung schon vor dem AktG 1965. In der Montanmitbestimmung wurden Konzernsachverhalte durch das MitbestErgG 1956 und die Änderung des MontanMitbestG von 1981 einbezogen.148 Diese und spätere Änderungen dienten in erster Linie der Bewahrung von Anwendungsbereichen für die Montanmitbestimmung angesichts fortschreitender Diversifizierung der betroffenen Unternehmen; die begrifflichen Anknüpfungen sind daher nicht von systematisch-konstruktiver Schärfe geprägt, sondern haben die von Anfang an bekannten Anwendungsfälle im Auge. Die Gemengelage der Unternehmensmitbestimmung zwischen Arbeitsrecht und Gesellschaftsrecht spiegelt sich auch in den prozessrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen wieder. Streitigkeiten über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates fallen nach § 98 ausschließlich in die Zuständigkeit des Landgerichts (Zivilkammer), während nach § 2a Abs 1 Nr 3 ArbGG in Angelegenheiten aus dem MitbestG, dem MitbestErgG und dem DrittelbG, soweit über die Wahl von Vertretern der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat und ihre Abberufung mit Ausnahme der Abberufung nach § 103 Abs 3 zu entscheiden ist, die Arbeitsgerichte im Beschlussverfahren zuständig sind. Auf diese Weise gelangen auch Fragen der Konzernzugehörigkeit von Unternehmen, etwa im Zusammenhang mit dem aktiven und passiven Wahlrecht ihrer Arbeitnehmer, vor die Arbeitsgerichte. Welche Rechtsfragen von der Vorfragenkompetenz gedeckt sind und welche ins Statusverfahren nach § 98 gehören, ist umstritten.149 Im Sozialrecht wurden vorübergehend Fiktionen einheitlicher Arbeitgeberschaft im 32 Konzernverbund angenommen.150 Die Regelungen waren umstritten, auch unter verfas-
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147 Hoffmann-Becking ZHR 159 (1995), 325; Lutter FS Stimpel, 1985, S 825, 832 ff; ders ZGR 1987, 324, 353 f; ders AG 2006, 517; Wiedemann Unternehmensgruppe S 70 ff; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 552 ff mwN; diese Rolle des Aufsichtsrats im Konzern ist durch die Mitbestimmungsgesetze vorgegeben. – Zur Entwicklung von „Konzernorganen“, insbes der Hauptversammlung der Obergesellschaft als Basisorgan, Lutter FS Stimpel, 1985, S 825, 831 f; zum Vorstand der Obergesellschaft als Konzernvorstand Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 36, 104 ff; dagegen Grigoleit/KC Vedder § 76 Rdn 5; Schmidt/Lutter/Seibt3 § 76 Rdn 27; Schmidt/Lutter/Spindler3 § 119 Rdn 37. 148 Zu Einzelheiten zu den verschiedenen Mitbestimmungsmodellen vgl Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 495 ff; ferner Windbichler § 18 Rdn 64 ff sowie 4. Aufl Oetker Anh zu § 117 Vorbem Rdn 7, MitbestErgG Einl Rdn 5. 149 Germelmann/Matthes/Prütting/Matthes/Schlewing ArbGG8 § 2a Rdn 72 ff mwN. 150 § 128 Abs 4, später Abs 5 Satz 1 AFG idF des Gesetzes zur Änderung der Förderungsvoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz vom 18.12.1992 BGBl I 2044; der Konzernverbund wurde als einheitlicher Arbeitgeber für die Ermittlung von Beschäftigungszeiten behandelt, die Erstattungspflichten gegen den Arbeitgeber, bei dem der Arbeitnehmer zuletzt in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, begründeten. Zur verfassungsrechtlichen Problematik BVerfGE 81, 156; Buchner ZIP 1993, 717. Die Zurechnung setzte keinen Zusammenhang zwischen der Beschäftigung des Arbeitnehmers bei verschiedenen Unternehmen und
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sungsrechtlichen Gesichtspunkten. Sie wurden aufgehoben und nicht wieder aufgegriffen. Solche Fiktionen sind untauglich. Vorschriften der verschiedenen Bücher des SGB enthalten nunmehr vereinzelte, deutlich plausiblere Zurechnungen (Zusammenstellung bei Windbichler § 18 Rdn 10). Branchenspezifische Vorschriften gehen teilweise ausdrücklich und speziell auf 33 Unternehmensverbindungen ein. Insbesondere im Bereich der Finanzdienstleistungen hat das sekundäre Gemeinschaftsrecht eine beträchtliche Dichte erreicht. Das deutsche Recht (KWG, VAG, KAGB, WpHG) folgt dementsprechend immer weniger den aktienrechtlichen Definitionen. Stattdessen finden sich eigenständige Begriffsbestimmungen, die von dem andersartigen Anwendungsbezug geprägt sind und ganz überwiegend gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen und Implikationen außer Acht lassen;151 insoweit ist gelegentlich vom aufsichtsrechtlichen Konzern die Rede. Einzelne Tatbestandselemente entsprechen freilich auch den aktienrechtlichen Definitionen, was einen intradisziplinären Vergleich nahe legt; eine Harmonisierung der Elemente (s auch Rdn 47 ff) wäre im Interesse der betroffenen Unternehmen, die die jeweiligen Vorschriften des Regulierungs- und des Gesellschaftsrechts anzuwenden haben (näher Rdn 66); das gilt insbesondere auch für sog Finanzkonglomerate, dh Unternehmensgruppen aus verschiedenen Finanzbranchen.152 Sowohl das deutsche als auch das europäische Kartellrecht reagieren sehr differen- 34 ziert auf Unternehmensgruppen (zu den dort verwendeten Begriffen Rdn 61 ff). Externes Wachstum ist unter Wettbewerbsgesichtspunkten grundsätzlich nicht zu beanstanden, unterliegt aber unter bestimmten Voraussetzungen einer präventiven Zusammenschlusskontrolle (§§ 35 ff GWB, VO-EG 139/2004), wenn erhebliche Behinderungen des Wettbewerbs aus strukturellen Gründen zu besorgen sind. Die Aufgreiftatbestände sind eigenständig diesen Zwecken entsprechend definiert. Ferner finden Zurechnungen der Verhältnisse einzelner Unternehmen für einzelne Tatbestandsmerkmale, zB Marktbeherrschung, Umsatzgrößen etc statt. Insoweit werden bestehende Gruppen wettbewerblich als Einheit gesehen. Darüber hinaus werden für die Bußgeldbemessung als Sanktion wettbewerbswidrigen Verhaltens unter umstrittenen Voraussetzungen verbundene Unternehmen zusammengerechnet. EU-Kommission und EuGH gehen (zwangsläufig) zweistufig vor, indem sie für das materielle Recht „Unternehmen“ als wirtschaftliche Einheit ohne Rücksicht auf die rechtliche Gestaltung definieren, für das Verfahren aber einen rechtlich tauglichen Adressaten bestimmen.153 Voraussetzungen und vor allem die gesellschaftsrechtlichen Folgen sind ungeklärt.154 Nicht ausdrücklich geregelt, aber als Auslegungsproblem geläufig ist die Frage nach dem Schutz des Wettbewerbs zwischen
_____ deren Konzernbeziehung voraus; die Kleinbetriebsklausel in § 128 Abs 3 AFG ließ den Verbund außer Acht; der Innenausgleich zwischen den Unternehmen wurde dem Vertrags- und Gesellschaftsrecht überlassen. 151 Binder ZGR 2015, 667, 701 ff; Dreher/Ballmaier ZGR 2014, 753, 755 f; Fett/Gebauer FS Schwark, 2009, S 375, 377 ff; Hausmann/Bechtold ECFR 2015, 341, 364 ff; Mülbert ZHR 179 (2015), 645, 664 ff; T Schneider Möglichkeiten und Grenzen der gesellschaftsrechtlichen und bankenaufsichtsrechtlichen Anforderungen an Risikomanagement auf Gruppenebene, 2009; Tröger ZHR 177 (2013) 475, 487 ff, 501 ff; Wundenberg Compliance und die prinzipiengeleitete Aufsicht über Bankengruppen, 2012; vgl auch AT 4 MaComp. 152 Binder ZGR 2015, 667, 705; Dreher/Ballmaier ZGR 2014, 753, 757 ff. 153 Immenga/Mestmäcker/Emmerich EU-Wettbewerbsrecht5 AEUV Art 101 Abs 1 Rdn 9 ff mwN; Immenga/Mestmäcker/Dannecker/Biermann EU-Wettbewerbsrecht5 KartellverfVO 1/2003 Vor Art 23 Rdn 76 ff; konstruktiv dürfte es sich um Zurechnung handeln, Immenga/Mestmäcker/Zimmer GWB5 § 1 Rdn 46. 154 Aberle Sanktionsdurchgriff und wirtschaftliche Einheit im deutschen und europäischen Kartellrecht, 2013; Eisele/Koch/Theile (Hrsg) Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014; Hauger/Palzer ZGR 2015, 33; Lutter FS Goette, 2011, S 289; – Kersting Der Konzern 2011, 445, 448 ff mit unzutreffender Parallele zum Personengesellschaftsrecht; dagegen Aberle aaO S 43 f, 171, 201; Windbichler ZGR 2014, 110, 113 f; Thomas JZ 2011, 485.
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verbundenen Unternehmen, sog Konzernprivileg. Dabei geht es nicht um eine Privilegierung, sondern den Anwendungsbereich des Kartellrechts, das den Wettbewerb wirtschaftlich selbständiger Unternehmen und potenzieller Unternehmen schützt, nicht aber einen Wettbewerb, der lediglich Managemententscheidung im Rahmen einheitlicher Leitung einer wirtschaftlichen Einheit ist.155 Im Vordergrund steht die Frage, ob und wann die rechtliche Selbständigkeit hinter der Betrachtung der tatsächlichen wirtschaftlichen Einheit zurückzutreten hat. In den stark unternehmensbezogenen Gebieten des gewerblichen Rechtsschutzes 35 und im Lauterkeitsrecht sind besondere Vorschriften zum Unternehmensverbund nicht zu finden. Die Fragestellungen, ob und unter welchen Voraussetzungen es etwa eine Konzernmarke156 geben oder ob ein abhängiges Unternehmen „Beauftragter“ iSd § 14 Abs 7 MarkenG oder § 8 Abs 2 UWG sein kann, werden in Literatur und Rechtsprechung vereinzelt und unterschiedlich intensiv angegangen.157 Ist eine Marke für das herrschende Unternehmen eingetragen, kann die Benutzung iSd § 26 Abs 2 MarkenG durch ein Tochterunternehmen erfolgen.158 Der Konzernmutter wird ein schutzwürdiges eigenes Interesse an der Durchsetzung kennzeichenrechtlicher Ansprüche einer 100%igen Tochter im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft zugebilligt.159 36
b) Thematisch lassen sich in Anlehnung an die oben geschilderten Entwicklungstendenzen im Aktienrecht (Rdn 8 ff), die rechtstatsächlich vorgefundenen Erscheinungen (Rdn 12 ff) und den Umgang der verschiedenen Rechtsgebiete mit verbundenen Unternehmen (Rdn 22 ff) eine Reihe von Problemkreisen formulieren.160 Ausgangspunkt ist die normale, legale Erscheinung161 in allen ihren komplexen Aspekten.162 Die krassen Fälle der Ausnutzung von Abhängigkeitslagen und opportunistischem Verhalten sind zumeist auch ohne Konzernrecht mit Haftungsfolgen erfassbar.163 Die Instrumentalisierung von komplexen Konstruktionen zur Vermeidung von Regulierung oder Verantwortlichkeit ist aus der Perspektive des jeweiligen Bereichs zu zügeln, sei es durch explizite Vor-
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155 Im Einzelnen str, vgl Immenga/Mestmäcker/Zimmer GWB5 § 1 Rdn 47 ff mwN; Immenga/ Mestmäcker/Emmerich/Zimmer EU-Wettbewerbsrecht5 Art 101 Abs 1 AEUV Rdn 49 ff mwN; KK/ Koppensteiner3 Bd 6 Rdn 89; ders FS Mailänder, 2006, S 125; Klotz Wirtschaftliche Einheit und Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S 36 ff. 156 Für Markenrechtsfähigkeit des Konzerns etwa Fezer Markenrecht4 MarkenG § 7 Rdn 66 für den Gleichordnungskonzern in Form einer GbR, im Übrigen unter Verweis auf die „Rechtswirkungen der einheitlichen Leitung“; welche das sein sollen, bleibt dort aber offen. – AA Busche GS Sonnenschein, 2003, S 743, 756 f; KK/Koppensteiner3 Bd 6 Rdn 98. 157 BGH NJW-RR 2005, 1489 (Meißner Dekor II). 158 Fezer Markenrecht4 MarkenG § 26 Rdn 159 ausgehend von der Markenfähigkeit des Konzerns; die Voraussetzungen des § 26 Abs 2 MarkenG dürften aber auch im Konzern nicht verzichtbar sein, zB der Fremdbenutzungswille, BGH 18.10.2007 – I ZR 162/04, GRUR 2008, 616. 159 BGH NJW-RR 1995, 385 (Nicoline). 160 Zu früheren Problemformulierungen ausführlich Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 13 ff; speziell unter Haftungsgesichtspunkten Schanze in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg) Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 473, 501 f; mit Rücksicht auf verschiedene Rechtsgebiete Koppensteiner FS Hopt Bd 1, 2010, S 959, 969 f. 161 Lutter ZGR 1987, 324, 329, 368 f; vgl auch Doralt ZGR 1991, 252, 258; Schanze in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg) Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 473, 477 ff. 162 Zur Gefahr, dass konzernrelevante, aber nicht konzernspezifische Normenkomplexe durch statusorientiertes Denken aus dem Bewusstsein verdrängt werden, Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 338. 163 Lutter ZGR 1987, 324, 361 f; vgl auch Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 346: der Konzern als solcher werde nirgends in die Kategorien des Missbrauchs der juristischen Person gebracht; Schanze in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 473, 480 f.
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schriften, sei es durch Zurechnung. Die Prämisse der allgemeinen Gefährlichkeit von Unternehmensverbindungen kann auf solche Fälle nicht gestützt werden (vgl Rdn 17, Verbund als im Wettbewerb herausgearbeitete überlegene Organisationsform). Kontrollverhältnisse können auch stabilisierend wirken (Ankeraktionär). Es ist nicht sinnvoll, auf einer lebensfremden Selbständigkeit der Gesellschaften zu insistieren, deren praktische Umsetzung zunehmend zweifelhaft wird (vgl auch Rdn 42).164 Die zu den einzelnen Rechtsgebieten entwickelten Lösungen sind faktisch interde- 37 pendent, da die Rechtsträger den verschiedenen Regelungsregimes gleichzeitig unterworfen sind (vgl Rdn 47). Das wird nicht immer ausreichend berücksichtigt. Ausdrückliche gruppenbezogene Pflichten von Tochterunternehmen wie in § 294 Abs 3 HGB und Eingrenzungsklauseln wie in §§ 276 Abs 1, 246 Abs 2 VAG, § 10a Abs 8 KWG165 oder § 59 Abs 1 Satz 1 Nr 2 GWB166 sind selten, ebenso ausdrückliche, meist aber bruchstückhafte Folgenregelungen zB über Kostentragung oder Auskunftspflichten.167 Ein anderer Ansatz sind pauschale Sicherstellungsaufträge hinsichtlich der Umsetzung von Pflichten innerhalb einer Gruppe, zB §§ 12a Abs 1, 25a Abs 3 Satz 1, 25c Abs 3 Nr 4 KWG, § 64a Abs 2 VAG. Zunehmend verbreitet sind Befreiungsvorschriften, die vermeiden, dass in mehrstu-
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164 Lutter ZGR 1987, 324, 330, 368 unter Hinweis auf die Diskrepanz zwischen Recht und Realität und daraus drohendem Schaden für die Rechtsordnung; zum stabilisierenden Effekt des Ankeraktionärs Enriques/Zetsche ECFR 2013, 271, 296 f; Schießl AG 2009, 385; Weber-Rey/Reps ZGR 2013, 597, 605; Windbichler NJW 2012, 2625, 2628. 165 Sog Verbandsrechtsvorbehalt, § 10a Abs 8 KWG: „Das übergeordnete Unternehmen ist für eine angemessene Eigenmittelausstattung der Gruppe verantwortlich. Es darf jedoch zur Erfüllung seiner Verpflichtungen nach Satz 1 auf die gruppenangehörigen Unternehmen nur einwirken, soweit dem das allgemein geltende Gesellschaftsrecht nicht entgegensteht.“ Enger Art 14 Abs 3 der VO (EU) 575/2913 (EUBankenaufsichts-VO): „Aus Teil 5 erwachsende Pflichten in Bezug auf Tochterunternehmen, die selbst nicht dieser Verordnung unterliegen, finden keine Anwendung, wenn das EU-Mutterinstitut oder Institute, die von einer EU-Mutterfinanzholdinggesellschaft oder einer gemischten EUMutterfinanzholdinggesellschaft kontrolliert werden, den zuständigen Behörden gegenüber nachweisen können, dass die Anwendung von Teil 5 nach den gesetzlichen Bestimmungen des Drittlandes, in dem das Tochterunternehmen seinen Sitz hat, rechtswidrig ist“; § 25a Abs 3 Satz 3 KWG: „Die sich aus der Einbeziehung in das Risikomanagement auf Gruppenebene ergebenden Pflichten müssen von Tochterunternehmen … mit Sitz in einem Drittstaat nur insoweit beachtet werden, als diese Pflichten nicht dem geltenden Recht im Herkunftsstaat des Tochterunternehmens entgegenstehen“. 166 „Soweit es zur Erfüllung der … Aufgaben erforderlich ist, kann die Kartellbehörde … von Unternehmen … Auskunft über die wirtschaftlichen Verhältnisse von mit ihnen nach § 36 Absatz 2 verbundenen Unternehmen sowie die Herausgabe von Unterlagen dieser Unternehmen verlangen, soweit sie die Informationen zur Verfügung haben oder soweit sie auf Grund bestehender rechtlicher Verbindungen zur Beschaffung der verlangten Informationen über die verbundenen Unternehmen in der Lage sind…“; ebenso § 69 Abs 1 Nr 2 EnWG: „Soweit es zur Erfüllung der in diesem Gesetz der Regulierungsbehörde übertragenen Aufgaben erforderlich ist, kann die Regulierungsbehörde … von Unternehmen … Auskunft über die wirtschaftlichen Verhältnisse von mit ihnen nach Artikel 3 Abs 2 der Verordnung (EG) Nr 139/2004 verbundenen Unternehmen sowie die Herausgabe von Unterlagen dieser Unternehmen verlangen, soweit sie die Informationen zur Verfügung haben oder soweit sie auf Grund bestehender rechtlicher Verbindungen zur Beschaffung der verlangten Informationen über die verbundenen Unternehmen in der Lage sind.“ 167 Vgl etwa § 10i Abs 3 Satz 1 MontanMitbestErgG: „Die Kosten der Wahlen trägt das herrschende Unternehmen.“ Differenzierter § 16 EBRG Abs 1 Satz 1: „Die durch die Bildung und Tätigkeit des besonderen Verhandlungsgremiums entstehenden Kosten trägt die zentrale Leitung.“ Abs 2: „Der Arbeitgeber eines aus dem Inland entsandten Mitglieds des besonderen Verhandlungsgremiums haftet neben der zentralen Leitung für dessen Anspruch auf Kostenerstattung als Gesamtschuldner.“ Vgl auch EuGH 13.1.2004 C-440/00, NZA 2004, 160; BAG 29.6.2004 – 1 ABR 32/99, BAGE 111, 191 (Kühne & Nagel); zu den nicht geregelten gesellschaftsrechtlichen Implikationen Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 602; zu negativen Verbundeffekten, die nicht auf Eingriffen des herrschenden Unternehmens beruhen, Decher FS Hommelhoff, 2012, S 115, 117 f; zu Auskunftspflichten Fleischer ZGR 2009, 505, 529 ff; zur Verschwiegenheitspflicht im Konzern vgl BGH 26.4.2016 – XI ZR 108/15 Rn 29 ff (juris).
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figen Unternehmensverbindungen Pflichten mehrfach erfüllt werden müssen, zB §§ 264 Abs 3, 264a HGB, § 10a Abs 9 KWG, § 24 WpHG, auch § 36 Abs 3 WpÜG. Die Behandlung von Unternehmensgruppen außerhalb des Gesellschaftsrechts durch ausdrückliche Regelung, Rechtsprechung oder Lehre, zT in gänzlich anderem Zusammenhang, wirkt auf das Konzerngesellschaftsrecht zurück. Das AktG selbst nimmt auf Definitionsnormen in anderen Gesetzen Bezug und greift nicht notwendig auf die §§ 15 ff zurück (zB § 131 Abs 1 Satz 2, Abs 4 Satz 3). Aktienkonzernrecht kann Rückwirkungen in Bereichen haben, die nicht Gegenstand des Gesellschaftsrechts sind. Das gilt insbesondere für die „wettbewerbliche Neutralität“ des AktG,168 also die Frage, ob das Konzernrecht des AktG konzentrationsfördernd oder -hemmend sei. Das Gesetz verfolgt keine Ziele in dieser Hinsicht, was aber diesbezügliche Folgen nicht ausschließt.169 Entsprechendes gilt für die Verfolgung spezieller Ziele, zB die Angebotspflicht nach § 35 WpÜG zu kapitalmarktrechtlichen Zwecken, die aber auch gesellschaftsrechtlich und wettbewerblich relevante Folgen hat; generell bergen Einheitsbetrachtungen eine konzentrationsfördernde Tendenz (vgl unten Rdn 61, 65). Zur konsistenten, widerspruchsfreien rechtlichen Behandlung des Phänomens der Unternehmensgruppe, die nicht notwendig identisch ist mit einem „Allgemeinen Teil“ eines Konzernrechts,170 verdient die Aufdeckung solcher Interdependenzen besondere Aufmerksamkeit.171 Neben einer problemorientierten Betrachtung wäre dazu die Entwicklung von Anknüpfungstatbeständen iS eines typisierten Katalogs von rechtlich relevanten Unternehmensbeziehungen hilfreich. 172 Eine in allen Gebieten gleichmäßig verbindliche begriffliche Einheit ist damit nicht erzielbar oder auch nur angestrebt.173 Die aktienrechtlichen Definitionsnormen sind aber ein wesentlicher Aus-
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168 4. Aufl Assmann Einl Rdn 251; Kocka/Siegrist in: Horn/Kocka, 1979, S 55, 95 f; BegrRegE bei Kropff AktG S 374; 3. Aufl Würdinger Vor § 291, II; – aA noch Staudinger/Großfeld BGB13 IntGesR 509: Das Konzernrecht regele auch, inwieweit man der Unternehmenskonzentration entgegenkommen wolle; ders zur Diskussion um die Jahrhundertwende, als Unternehmensverbindungen als wettbewerbliches Problem gesehen wurden, das mit gesellschaftsrechtlichen Mitteln zu lösen sei, in: Coing/Wilhelm (Hrsg) Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd IV, 1979, S 236, 252 ff mwN; ders kritisch zur wettbewerbspolitischen Enthaltsamkeit des AktG 1965 in Unternehmenskonzentration, 1968, S 44 ff. 169 Horn in: Horn/Kocka, 1979, S 123, 167: Aktienrecht als Organisationsmittel der Konzentration; Koppensteiner ZGR 1973, 1, 6 f; Kropff in: Bayer/Habersack (Hrsg) Aktienrecht im Wandel Bd I, 2007, S 670 ff Rdn 560 f; Mestmäcker Verwaltung, 1958, S 30 f; Wiethölter Interessen und Organisation, 1961, S 34; – zum Zusammenspiel von Rechtsgebieten vgl Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 47, 52 ff; die Annahme gilt auch für die Gründung von SE, die einerseits die Konzentration (Bildung wettbewerbsfähiger Einheiten) und Kooperation im Binnenmarkt fördern sollen, andererseits ohne Einschränkungen der Zusammenschlusskontrolle unterliegt; vgl Veelken FS Immenga, 2004, S 433. 170 Wiedemann Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 1988, S 5; Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 344 f; Koppensteiner FS Hopt Bd 1, 2010, S 959; vgl ferner den übergreifenden, wenn auch gesellschaftsrechtlich angelegten Ansatz für ein System bei Lutter ZGR 1987, 324, 344 ff und den Themenkatalog bei Druey aaO S 358 ff. 171 Eindrücklich Dreher/Ballmaier ZGR 2014, 753, 757 ff für das Aufsichtsrecht im Finanzdienstleistungsbereich; Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 357: die richterliche Einzelfallentscheidung müsse das Gesamtbild (scil des Organisationsrechts) vor Augen haben; Lutter FS Goette, 2011, S 289 f: „zentralistische Tendenz“ des Europäischen Kartellrechts; Schanze in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg) Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 473, 488. 172 Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 345: Anknüpfungsnormen, S 346: normauslösende Momente; ders FS Hommelhoff, 2012, S 135, 155; Kindl ZEuP 1997, 77, 91: Definitionsnormen zur wesentlichen Erleichterung der Richtlinienanwendung; s auch Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672, 690 f: Standardisierung von Einzelaspekten. 173 Vgl Hopt in: Hommelhoff/Hopt/Lutter (Hrsg) Konzernrecht und Kapitalmarktrecht, 2001, S 36 ff; Schanze in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg) Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 473, 481; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 608 f.
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schnitt vor allem struktureller (vgl Rdn 18) Unternehmensverbindungen. Sie erfüllen damit solche Katalogzwecke, was nicht zuletzt an ihrer Verwendung als Verweisungsziel abzulesen ist. Die in anderen Gesetzen zunehmend im Vergleich zu § 16 niedriger angesetzten Beteiligungsschwellen, etwa für Mitteilungspflichten nach § 21 WpHG oder das Pflichtangebot nach § 35 WpÜG, zeigen die Relevanz des Vorfelds solcher Unternehmensverbindungen in Form der Definition qualifizierter Mitgliedschaften. Ob mit den Typisierungen die Realität zutreffend erfasst ist, ist eine andere Frage. Als Regelungstechniken stehen etwa Ausnahmetatbestände oder widerlegliche Vermutungen zur Verfügung. Verweisungen können der Vereinheitlichung dienen, müssen dann aber zweckgerichtet und nicht nur zufällig erfolgen. 174 Je nach Regelungsbereich isolierte Anknüpfung ohne intradisziplinären Rechtsvergleich birgt die Gefahr von Widersprüchen und Umsetzungshindernissen.175 aa) Wann eine Gruppe von Unternehmen als Einheit oder als Vielheit zu behan- 38 deln ist, ist vom materiellen Regelungsanliegen her zu erschließen, nicht von einer begrifflichen Einordnung.176 Letztere folgt vielmehr dem Gesetzeszweck, verwendet aber typisiert als relevant angesehene Verbindungen und die darin gespeicherten Erfahrungen und Erkenntnisse177 oder bietet wenigstens diese Möglichkeit. Teilweise genügt die Feststellung der Einheitsbetrachtung für die weitere Rechtsanwendung, etwa bei der Frage, ob konzerninterner Wettbewerb unter den Schutz des § 1 GWB bzw Art 101 Abs 1 AEUV fällt (Rdn 34). Wird die Frage verneint, sind die Vorgänge zwischen den einzelnen Konzernunternehmen nur noch Interna. Gesellschaftsrechtlich sind sie es gleichwohl nicht. In der Mehrzahl der Fälle ist aber auch bei Einheitsbetrachtung ein Normadressat 39 zu bestimmen, da die Unternehmensgruppe oder der Konzern dafür nicht geeignet sind. Das ist etwa der Fall bei der Konzernrechnungslegung (Rdn 24). Es muss ein konkretes Unternehmen bestimmt werden, das den Konzernabschluss zu erstellen und darin die einbezogenen Unternehmen wie ein einziges Unternehmen, § 297 Abs 3 Satz 1 HGB, darzustellen hat. In der Betriebsverfassung (Rdn 30) würde die bloße Einheitsbetrachtung zwar auf der Belegschaftsseite genügen, die in die Lage versetzt wird, einen Konzernbetriebsrat zu konstituieren, der die gesamte Konzernbelegschaft repräsentiert. Der Konzernbetriebsrat muss aber einen Ansprech- und Vereinbarungspartner haben, wofür der „Konzern“ nicht taugt. Das kann, muss aber nicht stets die Konzernobergesellschaft sein,178 wie auch in kartellrechtlichem Zusammenhang die einzelne Tochtergesellschaft bei Verbundbetrachtung allein Verfahrensbeteiligte bleiben kann.179 Mangels ausdrück-
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174 Als Muster für die Definitionen in der Richtlinie zur Einführung Europäischer Betriebsräte soll die Baukoordinierungsrichtlinie vom 26.7.1971 71/305/EWG gedient haben, Blanpain/Windey European Works Councils, 1994, S 68; zu Auslegungsfragen Koppensteiner FS Hopt Bd 1, 2010, S 959, 960 f. 175 Binder ZGR 2013, 760, 771 ff; ders ZGR 2015, 667, 705 ff; ders in: Hopt/Wohlmannstetter (Hrsg), Corporate Governance von Banken, 2011, S 686 ff; Dreher/Ballmaier ZGR 2014, 753, 795 ff. 176 Vgl Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 5: Gemeinsam ist allen Rechtsgebieten … die Zurechnungsproblematik, die zwar methodisch stets dieselbe Frage aufwirft, sich sachlich indes nur dezentral anhand der anzuwenden Rechtsnormen beantworten lässt; Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 359: Sachfragenabhängigkeit; ders Gesellschafts- und Handelsrecht, 2010, § 1 Rdn 98 f: keine „Konzernmystik“. 177 Im Fall skandal- oder krisengetriebener Gesetzgebung führt das zu Qualitätsmängeln; bekanntes Beispiel: § 290 Abs 2 Nr 4 HGB; dazu Vesper-Gräske Verbriefungszweckgesellschaften in der Konzernbilanz, 2013, S 168 ff, 228 ff. 178 Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 302 f, 348 ff. 179 Immenga/Mestmäcker/Zimmer Wettbewerbsrecht5 GWB § 1 Rdn 46 ff; Immenga/Mestmäcker/ Thomas Wettbewerbsrecht5 GWB § 35 Rdn 14, 51; vgl auch unten Rdn 70.
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licher Regelung ist die Bestimmung des Normadressaten oft180 ein Zurechnungsproblem, das durch die Einheitsbetrachtung aufgeworfen, jedoch nicht gelöst wird.181 40
bb) Zurechnung erfolgt nicht nur zur Bestimmung des Normadressaten bei Einheitsbetrachtung, sondern auch bei der Feststellung einzelner Tatbestandsmerkmale,182 ohne dass dadurch notwendig eine Aussage zur Qualifizierung des Unternehmensverbundes insgesamt gemacht würde. Der Begriff „Durchgriff“ führt hier wenig weiter, weil er über eine Deskription des Ergebnisses nicht hinausgeht.183 Er wird häufig eng verbunden mit Haftungsproblemen verwendet, was aber nur einen Ausschnitt der Fragestellung trifft. Unter welchen Voraussetzungen die Verhältnisse eines Unternehmens im Hinblick auf ein Tatbestandsmerkmal oder eine Rechtsfolge einem anderen zugerechnet werden, ergibt sich aus dem Begriff „Durchgriff“ nicht. Ferner kann auf der Grundlage eines Haftungstatbestands nicht auf die Zurechnung anderer Merkmale geschlossen oder gar die Verbindlichkeit, für die gehaftet werden soll, erst begründet werden. Ein Beispiel für diese Problematik ist die Rechtsprechung zur Anpassung von Betriebsrenten nach § 16 BetrAVG, wenn statt der wirtschaftlichen Lage des anpassungsverpflichteten Versorgungsschuldners diejenige der leistungsfähigeren Muttergesellschaft herangezogen werden soll.184 Vor allem außerhalb des Gesellschaftsrechts bestehen nicht immer klare Vorstellungen darüber, dass es keine allgemein konsentierten Durchgriffsregeln gibt.185 Einzelne Gesetze enthalten eigene Definitionsnormen und ausdrückliche Zurechnungsvorschriften oder bedienen sich der Verweisung (s Kommentierung der einzelnen Definitionsnormen); im Übrigen sind jeweils nach Sinn und Zweck der Norm adäquate Lösungen zu entwickeln. Auch hierbei ist die Typisierung von relevanten Kriterien hilfreich (Rdn 37).
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cc) Die Frage nach dem Organisationsrecht der Unternehmensgruppe steht nicht im Gegensatz zu der Auffassung vom Recht der verbundenen Unternehmen als Schutz-
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180 Nicht notwendig in der Betriebsverfassung, wo schlicht danach zu fragen ist, in welchem Unternehmen ein Mitbestimmungstatbestand erfüllt ist; Richardi/Annuß BetrVG15 Vor § 54 Rdn 1 aE; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 337 ff. 181 K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 17 I 2 b; Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 5: Dass es sich durchweg um Zurechnungsfragen handele und nicht um eine mystische Unternehmens- oder Wirtschaftseinheit, werde heute allgemein angenommen; ebenso Schanze in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 473, 498 f. 182 Beispiele: Zurechnung der unternehmerischen Tätigkeit einer Tochtergesellschaft zum einzigen Gesellschafter in der Rechtsform eines Idealvereins, K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 23 III 3 gegen BGHZ 85, 84 – ADAC; ders ZIP 2007, 605; § 340i Abs 3 HGB für die Definition „Kreditinstitut“ bei Holdinggesellschaften; vgl auch Bachmann § 1 Rdn 63 ff; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 37 Rdn 3 ff; Koppensteiner FS K Schmidt, 2009, S 927; oben Rdn 33. 183 Näher dazu 4. Aufl Brändel § 1 Rdn 58 ff, 92 ff; K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 9 I; Wiedemann Gesellschaftsrecht I § 4 III. 184 Zur Rechtsprechungsentwicklung Blomeyer/Rolfs/Otto/Rolfs BetrAVG5 § 16 Rdn 209 ff; ferner Wackerbarth in: Lutter/Bayer (Hrsg) Holding-Handbuch5 Rdn 12.40 ff; das Problem, dass eine erhöhte Verpflichtung des Versorgungsschuldners wegen Zurechnung der wirtschaftlichen Lage eines anderen Unternehmens noch nicht zu entsprechenden finanziellen Zuflüssen führt, wurde nur langsam erkannt; ausführlich Wutte Betriebsrentenanpassung im Konzern: Berechnungsdurchgriff und Rentnergesellschaft, 2016. 185 Bachmann § 1 Rdn 77; K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 9 II; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 170 f; dies Gesellschaftsrecht23 § 24 Rdn 28; vgl auch Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland,1994, S 310, 345: der Respekt vor dem Trennungsprinzip schwinde desto mehr, je weiter das Rechtsgebiet von dem als sedes materiae betrachteten Gesellschaftsrecht entfernt ist. Beispiel: zur Markenrechtsfähigkeit des „Konzerns“ Fezer Markenrecht4 MarkenG § 7 Rdn 161, 164 unter Verweis auf die „Rechtswirkungen der einheitlichen Leitung“ (oben Fußn 157).
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recht für Gläubiger und Minderheitsaktionäre (Rdn 9). Das einfache Gesellschaftsrecht ist Organisationsrecht186 und schützt dadurch zugleich Gesellschafter und Gläubiger, indem es Mindestanforderungen an die Struktur der Gesellschaft aufstellt. Wenn in der Unternehmensgruppe Kompetenzen verteilt werden, werden damit selbstverständlich auch Schutzzwecke verfolgt.187 Darüber hinaus sind etwa die satzungsüberlagernden und kompetenzverschiebenden Unternehmensverbindungen durch Eingliederung oder Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, die im Rahmen des Schutzrechtsansatzes des AktG 1965 eingeführt wurden, als reines Minderheits- und Gläubigerschutzrecht nicht vollständig zu erfassen. Auch die Konzernrechnungslegung weist weit darüber hinaus (vgl Rdn 24). Außergesellschaftsrechtliche Regelungen, die Zurechnungen und Einheitsbetrachtungen vornehmen, von dem herrschenden Unternehmen oder der Gruppe als ganzer ausgehen, müssen innergesellschaftsrechtlich verarbeitet werden (vgl oben Rdn 33 f). Das Konzerngesellschaftsrecht kann sich dem nicht verschließen, was mit einem reinen Schutzrechtsansatz aber impliziert wäre. Der Konzern wurde als „polykorporatives Unternehmen“ und als Unternehmen ohne 42 Rechtsform bezeichnet, Konzernierung als Verbandsbildungsform zweiten Grades.188 Zunächst ausgehend von den einzelnen Gesellschaften, ihrer rechtlichen Organisation und praktischen Governance ist die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Einbindung in eine Gruppe geboten. Darüber hinaus kann die Organisation der Gruppe selbst rechtlich verstärkt strukturiert werden. Versteht sich Aktienrecht als Organisationsrecht, ist Konzernrecht das Organisationsrecht einer bestimmten Art der Unternehmensgruppe. In diesem Zusammenhang ist der Begriff der Konzernverfassung zu verstehen. Gesellschaftsorgane unterliegen beispielsweise einem Wandel und können zu Konzernorganen werden; insbesondere bei mitbestimmten Unternehmen spricht man vom Konzernaufsichtsrat, wenn nach § 2 DrittelbG bzw § 5 Abs 1 MitbestG Arbeitnehmer abhängiger Unternehmen an den Aufsichtsratswahlen teilnehmen (Rdn 31). Die Wahl der Gesellschaftsform, damit auch der Art und Ausgestaltung von Unternehmensverbindungen, ist grundsätzlich frei.189 Die Ausübung dieser Organisationsautonomie be-
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186 4. Aufl Assmann Einl Rdn 244; Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 294 ff; Horn in: Horn/Kocka, 1979, S 123, 138 f; Kübler/Assmann Gesellschaftsrecht6 § 29 I 1; Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 1 Rdn 1. 187 Überblick über die gruppenrelevanten gesellschaftsrechtlichen Instrumente bei KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 2 ff; Lutter ZGR 1987, 324, 349; K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 31 I 1: Einbettung des Konzernrechts in das allgemeine Verbandsrecht; vgl auch die Interpretation von „Schutzbestimmungen“ iSd Art 50 Abs 2 g AEUV, Grabitz/Hilf/Nettesheim/Forsthoff Art 50 AEUV Rdn 13; v d Groeben/Schwarze/ Hatje/Tiedje, Europäisches Unionsrecht7 Art 50 AEUV Rdn 23 ff; J Vetter in: 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, S 231, 241; unzutr Theisen Der Konzern2 S 686, der von einer Regelungshierarchie ausgeht; unzutr auch Oechsler ZGR 1997, 464, 484, der Erkennbarkeit von außen verlangt, was die Funktion von Unternehmensschutz als mittelbarem Gläubigerschutz verkennt. 188 4. Aufl Assmann Einl Rdn 124; Bälz FS L Raiser, 1974, S 287, 320; Lutter FS Stimpel, 1985, S 825, 827 f unter Hinweis auf Ballerstedt; vgl ders ZGR 1987, 324, 329; ähnlich Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 344 f; – vgl auch schon Wiethölter Interessen und Organisation S 1: Der Konzern … (ist) die Fortsetzung der AG mit anderen Mitteln, aber nicht mehr die AG in der überlieferten Vorstellung; Rehbinder Konzernaußenrecht S 74: der Konzern als gegliederte Unternehmung ist eine ökonomische und soziologische Realität; ders ZGR 1977, 581, 586 mit Bezug auf mehrstufige Unternehmensverbindungen. Über solche Differenzierungen gehen schlichte Einheitsbetrachtungen holzschnittartig hinweg, zB Blumberg Law of Corporate Groups. Tort, contract, and Other Common Law Problems in the Substantive Law of Parent and Subsidiary Corporations, 1997 Supplement S XII ff, der „entity law“ (einzelne Rechtsträger) und „enterprise law“ (Gruppe als Unternehmung) gegenüberstellt; als generelle Sichtweise hat sich das nicht durchgesetzt. 189 Mülbert ZHR 179 (2015), 645, 644 f; Rittner/Dreher Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht3 § 9 Rdn 54 f; Schanze in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 473, 477 m Fußn 18; Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 10 f; für den EU-Raum
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darf rechtlicher Instrumente, darf aber nicht unverhältnismäßig reglementiert werden.190 Eine Vorstellung über die interne Organisation der Unternehmensgruppe191 ist ferner ua erforderlich, um die Rechtsfolgen von Einheitsbetrachtungen (Rdn 38 f) auf der Ebene der Unternehmen untereinander zu verarbeiten. Das gilt auch für Fragen der guten Unternehmens- und Konzernführung (Governance); die Formel des DCGK wird dem nicht gerecht.192 43 Diese Auffassung bildet keinen Gegensatz zwischen der Frage, ob es ein spezielles Recht der Unternehmensgruppe gibt bzw geben soll, oder ob lediglich die Anpassung von Vorschriften des einfachen Gesellschaftsrechts an die besondere Situation der Unternehmensverbindung stattfindet. Beide Ansätze kommen nicht ohne einander aus. Man muss sich in jedem Falle einen Begriff von der zu erfassenden Situation machen, die Gruppe als Phänomen wahrnehmen und ihre Besonderheiten und Gefahren, dh den Regelungsbedarf analysieren. Auch wer ausschließlich bei den einzelnen Unternehmen ansetzt, wird nicht umhinkommen festzustellen, dass die Gruppe etwas anderes ist als die Summe ihrer Teile.193 Im Unternehmensverbund ist die übliche gesellschaftsrechtliche Unterscheidung zwischen Innen- und Außenverhältnis durch das Innenrecht der Gruppe zu ergänzen.194 Der Blick auf das Ganze mindestens als Kontrollüberlegung hilft jedenfalls, die weitreichenden Interdependenzen, einschließlich derjenigen über das Gesellschaftsrecht hinaus, zu erfassen. Das gilt auch für die dynamische Entwicklung von Unternehmensgruppen in der Zeit, ihre Entstehung, Veränderung und Auflösung, sowie für die Frage nach der Publizität, dh welche Verbindun-
_____ aus der Perspektive der Niederlassungsfreiheit EuGH 12.9.2006 – C-196/04, EuZW 2006, 633 Rdn 46 (Cadbury Schweppes); EuGH 1.4.2014 – C-80/12, EuZW 2014, 428 (Felixstowe). 190 Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 50 ff, 60 f; s auch Kirchner in Ott/Schäfer (Hrsg) Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, 1993, S 196, 204 ff. 191 Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 70 ff: Recht der Konzernführung; umfassend der Vorschlag für ein Konzernrecht für Europa, Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672. 192 J Vetter in: 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, S 231, 264 f; DKGC Präambel drittletzter Abs: „In Regelungen des Kodex, die nicht nur die Gesellschaft selbst, sondern auch ihre Konzernunternehmen betreffen, wird der Begriff „Unternehmen“ statt „Gesellschaft“ verwendet.“ Erfrischend offen gelassen in der Beschlussempfehlung des 13. Ausschusses zum Entwurf eines Gesetzes zur für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (BT-Drucks 18/3784 und 18/4053): „Der Ausschuss hat von einer konzernweiten Fassung der „Führungsebenen“ unter Einbeziehung von Führungskräften im In- und Ausland abgesehen, da dadurch die Zielgrößen zu intransparent und vage geworden wären. Hat eine Konzernobergesellschaft keinerlei Führungsebenen unterhalb des Vorstands, so können auch keine Führungsebenen definiert werden; dies ist im Bericht anzugeben“, BT-Drucks 18/4227 S 22; von der Einheitsvorstellung ausgehend dagegen zB Art 29a Richtlinie 2013/34/EU idF der Richtlinie 2014/95/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen. 193 Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 43; Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 346 ff: Interessenkonvergenz erzeugt ein Normbedürfnis eigener Art, S 357: die richterliche Einzelfallentscheidung müsse das Gesamtbild (scil des Organisationsrechts) vor Augen haben; die Perspektive vom einzelnen Unternehmen aus betonend K Schmidt FS Lutter, 2000, S 1167, 1169, 1171 ff; ders FS Rokas, 2012, S 893, 898 f. 194 Ein gesetzlich ausgeformtes, wenn auch weniger unter diesem Blickwinkel wahrgenommenes Beispiel dafür ist die Betriebsverfassung. Sie ist Unternehmensinnenrecht insoweit, als sie die arbeitstechnische Seite der Veranstaltung Unternehmen betrifft. Dem Unternehmensträger gegenüber gehört die Betriebsverfassung zum Außenverhältnis, die Interaktionsform ist der Vertrag. Im Konzern überschreitet die Betriebsverfassung die Grenzen des Unternehmensträgers organisatorisch durch den Konzernbetriebsrat und in anderen Formen der Zusammenarbeit. Die mitwirkungsbedürftigen Sachverhalte liegen innerhalb der einzelnen Unternehmen, sind aber inhaltlich ggf im Verbund zu behandeln. Insoweit liegt Konzerninnenrecht vor, die Formen verbindlicher Regelungen sind aber diejenigen der Außenbeziehungen (Vertrag). Vgl Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 596; dies ZfA 1996, 1; dies RdA 1999, 146; dies 6 EBOR (2005) 507.
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gen in welchem Verfahren welchen Adressaten zur Kenntnis gebracht werden müssen.195 Konzerneingangskontrolle, Konzernverfassung und Konsequenzen der Abhängig- 44 keit sind interdependent, denn Schutzinteressen, denen bereits bei der Konzernbildung umfassend Rechnung getragen wird, bedürfen weniger Berücksichtigung bei der Konzernorganisation. Umgekehrt sind die Anforderungen an zB den Minderheitsschutz innerhalb bestehender Unternehmensgruppen je höher anzusetzen, je weniger Einfluss oder sonstiger Interessenschutz der Minderheit bei der Gruppenbildung zukommt.196 Dieser Zusammenhang wurde besonders deutlich im Übernahmerecht, das die konzernrechtlichen Implikationen eines kapitalmarktrechtlichen Zwangs zur Abgabe von Übernahmeangeboten kaum berücksichtigt (Rdn 23). Branchenspezifisch wird die Begründung und Veränderung von Gruppenstrukturen bei Finanzunternehmen durch die Aufsichtsbehörde überwacht.197 Bei der Konzernbildung ist auch danach zu differenzieren, ob die Unternehmensverbindung konvergent-konzentrativ erfolgt oder divergent durch Ausgründung von Tochtergesellschaften (Rdn 14). Die Konzerneingangskontrolle gehört zu den wesentlichen Weiterentwicklungen des materiellen Konzernrechts; zum umfänglichen Schrifttum siehe die eingangs vorangestellten Nachweise. Das Ausscheiden von Unternehmen aus einer Gruppe ist bislang vor allem im 45 Zusammenhang mit Insolvenzen konzernverbundener Unternehmen erschlossen. Die gesetzliche Regelung zur Beendigung von Unternehmensverträgen (§§ 296 ff, 303) oder Vorschriften des Umwandlungsrechts können als Muster für Weiterentwicklungen dienen, obwohl auch hier noch viele Fragen offen sind.198 Der Wechsel eines Unternehmens von einer Gruppe in eine andere ist ebenfalls noch nicht umfassend behandelt.199 Besondere Fragen ergeben sich durch Änderung oder Beendigung der Unternehmensverbindung in den Bereichen, in denen der Tatbestand der Konzernierung oder sonstigen Gruppenzugehörigkeit über das Gesellschaftsrecht hinausweisende Folgen auslöst, zB Konzernmitbestimmung, unternehmensübergreifende Altersversorgung, aufsichtsrechtliche Regulierung etc.200 Eigenständig entwickelt ist die Erfassung in der Rechnungslegung, zB hinsichtlich der Voraussetzungen der Entkonsolidierung und der bilanziellen Abbildung, vgl etwa IFRS 3. Die Umorganisation bestehender Konzerne dürfte in vielen Fällen mit den 46 Grundsätzen zur Bildung, Organisation und Beendigung von Gruppen rechtlich erfass-
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195 Zur Publizität als Korrelat für die Gestaltungsfreiheit von Unternehmensgruppen Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 356, 365 f; als Korrelat zur Marktteilnahme Merkt Unternehmenspublizität, 2001, passim; vgl auch former Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304, 325 f; Hopt ZHR 171 (2007) 199, 213 ff; Kalss/Klampfl Europäisches Gesellschaftsrecht, 2015, Rdn 527. 196 Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 342, 363; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 9a; Hommelhoff Gutachten G zum 59. DJT 1992, S 43 f; Lutter ZGR 1987, 324, 348 f, 353; M Weber Vormitgliedschaftliche Treubindungen, 1999, S 393 ff: das zustandsbezogene Konzernrecht hindert nicht die Ergänzung durch einen dynamisch orientierten Konzerneingangsschutz; vgl BGHZ 83, 122 (Holzmüller): erweiterte Hauptversammlungszuständigkeit bei Bildung der Gruppe und/oder innerhalb der bestehenden Gruppe; BGHZ 159, 30 (Gelatine I); vgl auch BVerfG 7.9.2011 – 1 BvR 1460/10 (Strabag). 197 Vgl § 12a KWG. 198 Vgl etwa H Wilhelm Die Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags, 1976; insbesondere zu Unstimmigkeiten bei § 303 Hattstein Gläubigersicherung durch das ehemals herrschende Unternehmen, 1994; KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 103 ff; Timm/Messing FS Hommelhoff, 2012, S 1237;Wilken/Ziems FS FW Metzeler, 2003, 153. 199 Vgl etwa BGHZ 119, 1, 5 ff – Asea/BBC; Priester ZIP 1992, 293; Bayer ZGR 1993, 599. 200 Vgl etwa Art 4 Nr 127 g und h der VO (EU) 575/2013 (Bankenaufsichts-VO) betr Ausscheiden von Tochtergesellschaften aus einem Haftungsverbund; § 12a KWG; mit Bezug auf Versicherungsgesellschaften Timm/Messing FS Hommelhoff, 2012, S 1237.
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bar sein.201 Eine eigenständige Thematisierung findet sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht.202 In einzelnen Bereichen ist die Umorganisation als Sonderfall adressiert, zB im Umwandlungsrecht, § 62 UmwG, § 36 Nr 3 WpÜG oder § 14 Abs 2a Satz 2 TzBfG. Umorganisationen und gruppeninterne Transaktionen dienen oftmals der Steuer- oder Bilanzgestaltung.203 47
dd) Ein über das Aktienrecht hinaus erweiterter typisierter Kriterienkatalog für Unternehmensverbindungen wäre auch unter dem Blickwinkel der Entwicklung des europäischen Rechts wünschenswert.204 Er könnte sich auf Erfahrungen und Normen aller europäischen Rechtsordnungen stützen. Im Gemeinschaftsrecht enthielt die Siebente Richtlinie (Konzernabschluss) den Schlüsselbegriff der Kontrolle, die nachfolgende Richtlinie definiert ebenfalls Mutter- und Tochterunternehmen, Gruppe, verbundene und assoziierte Unternehmen (Rdn 60). Andere Harmonisierungs- oder Rechtsangleichungsmaßnahmen definieren verbundene Unternehmen in ihren Regelungsbereich eigenständig oder durch Verweisung (vgl Rdn 61 ff).205 Eine unmittelbare organisationsrechtliche Regelung von Unternehmensverbindungen liegt darin nicht, die verwendeten Verbundklauseln sind ihrerseits nur teilweise harmonisiert; es finden sich unübersichtliche Definitionskataloge (vgl Rdn 68), aber auch schlanke Verweisungen wie in der EuInsVO (Rdn 27). Das Gesellschaftsrecht der verbundenen Unternehmen ist überwiegend Gegen48 stand nationaler Gesetzgebung. Nach dem Scheitern des Entwurfs einer neunten Richtlinie hat die EU-Kommission teils mittelbar, teils unmittelbar einzelne Themen die Unternehmensgruppe betreffend aufgegriffen. Im Aktionsplan 2012 sind die Behandlung von Geschäften mit nahestehenden Personen (oben Rdn 7) und die verbesserte Information über Unternehmensgruppen sowie die Definition eines „Gruppeninteresses“ angesprochen.206 Eine Harmonisierung der Aufgreiftatbestände ist dabei nicht in Sicht. Die Perspektive, man könne im Wege der Entwicklung gemeinschaftsfreundlicher, dh möglichst ähnlicher, materiell gleichwertiger Lösungen der Mitgliedstaaten dem Ziel eines Ius Commune Europae näher kommen,207 erscheint angesichts der fortbestehenden und
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201 KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 83 ff; zu Einzelfragen etwa Inhester/Tönies FS P + P Pöllath + Partners, 2008, S 69; Brandes in: Liber Amicorum M Winter, 2011, S 43; Habersack AG 2005, 137, 143; Lutter ZGR 1987, 324, 349; Reichert in: Liber Amicorum M Winter, 2011, S 541; Wollburg/Gehling FS Lieberknecht 1997, 133. 202 Theisen Der Konzern2 S 647 ff. 203 Vgl EuGH 3.10.2013 C-322/12 (GIMLE); BGH 21.10.2014 – XI ZB 12/12 (Telekom – Dritter Börsengang) betr. Prospektangaben zu Wirkungen des „Umhängens“ einer Beteiligung. 204 Drobnig FS Steindorff, 1990, S 1141; Hommelhoff in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 55, 73 ff; Koppensteiner FS Hopt Bd 1, 2010, S 959, 960 f; Lutter ZGR 1987, 324, 343; Müller-Graff Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen Gemeinschaft, 1993; ders Gemeinschaftsprivatrecht² 1991; dazu Rittner AöR 115 (1990) 332; ders JZ 1990, 838, 843; Ulmer FS Goerdeler, 1987, S 623, 645 f; ders JZ 1992, 1, 7; ferner UH Schneider NJW 1991, 1985. 205 Rdn 60 ff; 4. Aufl Assmann Einl Rdn 234 mwN; kritisch zu unnötig unterschiedlichen Verbundklauseln Neye ZGR 1995, 191, 206 f. 206 Aktionsplan der EU-Kommission: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance – ein moderner Rechtsrahmen für engagiertere Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen, 12.12.2012, COM(2012) 740 final S 15; dazu (former) Reflection Group on the Future of EU Company Law, ECFR 2013, 304, 325 f; – vgl zum Problemkreis Gruppeninteresse Conac ECFR 2013, 194; Hommelhoff FS Stilz, 2014, S 287, 294 f; Hopt ZHR 171 (2007) 199, 222 ff; Windbichler FS Ulmer, 2003, S 683; auch schon Zöllner Schranken, 1963, S 79 ff. 207 Lutter ZGR 1987, 324, 344; – aA Behrens FS Mestmäcker, 1996, S 831, 842; skeptisch auch Grundmann Europäisches Gesellschaftsrecht2 Rdn 18; zum Subsidiaritätsprinzip in diesem Zusammenhang Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672, 685 ff; vgl auch EuGH 20.6.2013 – C-186/12 (Impacto Azul),
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teilweise verstärkten Fragmentierung eher theoretisch. Angesichts des tatsächlichen Phänomens der verbundenen Unternehmen und der internationalen Verflechtungen ist es gleichwohl unerlässlich, die Anregungen aus dem Rechtsvergleich nicht zu verschenken.208 Der deutsche Alleingang mit dem kodifikatorisch angelegten Konzernrecht des AktG 1965 hat sich als wichtiger Anstoß erwiesen, birgt aber auch die Gefahr der Isolierung, die angesichts der genannten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse nachteilig sein kann. Weiterführend sind demgegenüber problemspezifische, länderübergreifende Untersuchungen.209 Die Ausdifferenzierung von Begriffsbestimmungen hat dann die Grenze ihrer Funk- 49 tionalität erreicht, wenn praktisch nicht mehr verifizierbare oder unterscheidbare Kriterien eingeführt werden.210 Begriffsunterschiede sind dann, jeweils mit nachvollziehbarer Begründung, notwendig, wenn differenzierte Rechtsfolgen daran geknüpft werden; umgekehrt dürfen unterschiedliche Rechtsfolgen, die vom Regelungsziel her nicht erforderlich sind, nicht durch begriffliche Distinktionen provoziert werden. Auch für diese Entwicklung ist der rechtsgebiets- und rechtsordnungsübergreifende Vergleich hilfreich. Als Negativbeispiel kann hier der „qualifiziert(e) faktische Konzern“ dienen; aus dem Begriff ist nichts herzuleiten, in außergesellschaftsrechtlichem Zusammenhang wird er überdies in einem nachgerade irreführenden Sinn verwendet.211 Besonders misslich ist es, wenn solche Missverständnisse in die Gesetzgebung einfließen.212
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EuZW 2013, 664; dazu Lehmann LMK 2013, 352735; Teichmann ZGR 2014, 45; Verse/Wiersch EuZW 2014, 375. 208 Vgl etwa Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 340 zur Übernahme begrifflicher Differenzierungen aus dem deutschen Recht: der Gleichordnungskonzern sei eine herzlich unwichtige Variante, während der Begriff des „control“, „contrôle“, „controllo“ überall wichtig und vermutlich aus dem deutschen Beherrschungsbegriff entwickelt sei; Falcke Konzernrecht in Frankreich S 30 zum Begriff „contrôle“ und seinen unterschiedlichen Anwendungen; Behrens FS Mestmäcker, 1996, S 831, 842; allgemeiner zur angewandten Rechtsvergleichung Zweigert/Kötz Einführung in die Rechtsvergleichung3 § 2 III; zur Herausarbeitung gemeineuropäischer Strukturen Kötz Europäisches Vertragsrecht Bd I Vorwort IV; zum Mangel an Rechtsvergleich in der bisherigen nationalen Rechtsprechung Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672, 683. 209 Vgl Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672, 690 f: Standardisierung von Einzelaspekten; Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock The Anatomy of Corporate Law, 2004; dazu Windbichler FS Röhricht, 2005, S 693; die zweite Auflage, Kraakman/Armour/Davies/Enriques/Hansmann/ Hertig/Hopt/Kanda/Rock The Anatomy of Corporate Law, 2009, verwendet den gleichen problemorientierten Ansatz, verfolgt aber den Forschungsauftrag der ersten Auflage (S 224 f: „A sixth avenue of research relates to controlling shareholders and groups of companies. … [I]t is … conventional wisdom to castigate controllers for extracting private rents and otherwise behaving opportunistically. There are, however, strong indications that the private benefits of control are often non-financial in nature (and therefore not necessarily costly for other owners) and that synergy and monitoring advantages are under-estimated.“) nicht explizit weiter. 210 Kritisch zur abstrakten Begriffsentwicklung ohne ausreichende Betrachtung der tatsächlichen Phänomene Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 350 f, zum Erfordernis weiterer Ausdifferenzierung S 354; kritisch zu unnötig unterschiedlichen Verbundklauseln Neye ZGR 1995, 191, 206 f; vgl auch Windbichler § 15 Rdn 12, § 17 Rdn 2, § 18 Rdn 6. 211 Zur Rückführung der Figur des „qualifiziert faktischen“ Konzerns auf Beweislastprobleme bei allgemeinen Regeln Altmeppen Abschied vom „qualifiziert faktischen“ Konzern, 1991, S 47, 120 f; Roth/ Altmeppen GmbHG8 Anh § 13 Rdn 162: nichts Konzernspezifisches. Im Betriebsverfassungsrecht, in dem eine Unterscheidung von verschiedenen Arten des Unterordnungskonzerns für § 54 BetrVG nicht erforderlich ist, wurde mit „qualifiziert faktischem Konzern“ der Sachverhalt bezeichnet, dass eine als Unternehmen zu qualifizierende natürliche Person Konzernspitze ist, BAG AP Nr 7 zu § 54 BetrVG 1972 m Anm Junker, der auf den verwirrenden Sprachgebrauch ausdrücklich hinweist; ebenso Oetker AuR 1996, 326, 327. 212 Vgl § 4 Abs 3 BBodSchG; dazu Kobes NVwZ 1998, 786, 790 (ordnungsrechtliches Neuland); Schwartmann DStR 1999, 324, 327 ff; M Tiedemann NVwZ 2008, 257 (möglicherweise verfassungswidrig); Vierhaus NJW 1998, 1662, 1665.
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III. Überblick über gesetzliche Definitionsnormen 1. Im AktG a) Die §§ 15–19 Abs 1 haben die Funktion von Legaldefinitionen rechtlich relevanter Verbindungen zwischen Unternehmen für das AktG. Die Definitionen sind nicht nur auf das materielle Konzernrecht des Dritten Buches bezogen, sondern eigenständige Anknüpfungsbegriffe für verschiedene Fragen, die mit verbundenen Unternehmen zusammenhängen.213 Nur beispielhaft seien hierfür die Umgehungsvorschriften zum Erwerb eigener Aktien genannt, die in §§ 71a Abs 2, 71d Satz 2 den Erwerb durch ein abhängiges oder ein in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen gleichstellen, ferner das Auskunftsrecht der Aktionäre und das korrespondierende Auskunftsverweigerungsrecht durch den Vorstand bei drohenden Nachteilen, § 131 Abs 1 Satz 2, Abs 3 Nr 1, das sich auf geschäftliche Beziehungen zu verbundenen Unternehmen bezieht, während bei Ausübung beherrschungsvertraglicher Leitungsmacht die Belange konzernverbundener Unternehmen Berücksichtigung finden dürfen. Im AktG wird teilweise ausdrücklich auf die §§ 15 ff verwiesen, teilweise werden die dort definierten Begriffe verwendet. Inhalt und Bedeutung der Begriffe im Einzelnen erschließen sich daher nicht ohne den Blick auf die Anwendungsfälle. In der Festlegung einer Definitionsnorm liegt eine Typisierung in dem Sinn, dass diese Verbindungen jedenfalls potenziell relevant sind (Rdn 37, 47 ff). Auch in anderem Zusammenhang als der ausdrücklichen Anwendung der gesetzlichen Definitionen können daher die gesetzlich bezeichneten Unternehmensverbindungen argumentativ eingesetzt werden, etwa für die Frage, ob Zahlungen durch bzw an nahestehende (juristische) Personen verdeckte Gewinnausschüttungen bewirken oder Darlehen innerhalb einer Unternehmensgruppe einem Rangrücktritt (§ 39 Abs 1 Nr 5 InsO) unterliegen uä mehr. Eine gewichtende Typisierung findet sich ferner in Verbundklauseln und Definitio51 nen anderer Vorschriften (Rdn 60 ff), die als zusätzliche Argumente bei Zweifelsfragen im Aktienrecht herangezogen werden können (vgl Rdn 37).214 Solche Vorschriften enthalten oftmals dieselben Elemente, zB die Mehrheitsbeteiligung, aber auch andere Kriterien, zB die Berechtigung, die Geschäfte des Unternehmens zu führen. Ferner finden sich Mischungen, indem neben oder innerhalb einer eigenständigen Begriffsbestimmung auf Definitionsnormen des AktG verwiesen wird, wie etwa bei der Zusammenschlusskontrolle nach §§ 36 Abs 2, 37 GWB. Soweit solche anderen Definitionsnormen oder Verbundklauseln aus dem EU-Recht stammen, ist bei enger Verknüpfung mit deren Anwendungsbereich richtlinienkonform auszulegen. Darüber hinaus liegt angesichts der sonst noch zunehmenden Fragmentierung (Rdn 47 ff) eine vergleichende Auslegung nahe, wenn zwar ausschließlich Normen des deutschen Aktienrechts in Rede stehen, bei deren Verständnis aber sowohl Annäherung wie auch Distanzierung zur europäischen Rechtsentwicklung möglich sind.215 Nach der Systematik des Gesetzes gelten die „vor die Klammer gezogenen“ Defini52 tionsnormen für die nachfolgenden Vorschriften des AktG. Das Vorliegen der jeweils
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213 BegrRegE zu § 15 bei Kropff AktG S 27. 214 Krit zum Einfluss abweichender Interpretationen auf das Aktienrecht KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 § 17 Rdn 9; Ulmer ZHR 141 (1977), 466, 468. 215 Dem entspricht die Argumentation des KG in ZIP 1993, 1618, 1619 = NJW-RR 1994, 162, 163 – Siemens und ZIP 1995, 1590 – Allianz, das zur Auslegung von § 131 die Transparenz-Richtlinie heranzieht; unzutr daher die Kritik bei Ebenroth/Wilken BB 1993, 1818, 1821; zust dagegen BayObLG ZIP 1996, 1743, 1745 zum Generalisierungsaspekt; die Kritik von Hüffer ZIP 1996, 401, 406 f bezieht sich auf das Merkmal der Tagesordnungsrelevanz, die Vorfrage ist.
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einzelnen Merkmale der Definitionen ist zu prüfen; eine typologische Betrachtung oder Kompensation des Fehlens eines Merkmals durch „Übererfüllung“ eines anderen oder die Begründung eines Merkmals mit dem Vorliegen eines anderen ist angesichts der Gesetzessystematik nicht möglich.216 An einigen Stellen im AktG ist auf die Definitionen im HGB ohne unmittelbaren Zusammenhang mit Rechnungslegungsvorschriften Bezug genommen (§§ 90 Abs 1 Satz 2, 131 Abs 1 Satz 4). Dort ist jeweils zu prüfen, ob die Begriffe der §§ 15 ff mit zu berücksichtigen sind. Die Definitionsnormen in §§ 15 ff sind insoweit rechtsformunabhängig, als das Ge- 53 setz von „Unternehmen“ spricht.217 Ist eine AG oder KGaA gemeint, wird diese als (Aktien-)Gesellschaft bezeichnet (vgl zB §§ 20, 21, 291). Bei der Anwendung auf andere Gesellschafts- und sonstige Unternehmensträgerformen muss allerdings geprüft werden, ob die Tatbestandsmerkmale des AktG in jeder Hinsicht für die betreffende Rechtsform passen. Das zeigt sich zB bei §§ 16 und 17 Abs 2, da die „Mehrheitsbeteiligung“ bei Personengesellschaften wegen des grundsätzlichen Einstimmigkeitsprinzips ohne Rücksicht auf die jeweilige Vertragsgestaltung nicht dieselbe Wirkung hat wie bei Kapitalgesellschaften, so dass die Abhängigkeitsvermutung nicht begründet ist (Windbichler § 17 Rdn 69). Die Normengruppe der §§ 15–19 ist wegen ihrer Rechtsformneutralität als Verweisungsziel für Vorschriften außerhalb des AktG (Rdn 58) geeignet. Die gesetzlich umschriebenen Unternehmensverbindungen sind grundsätzlich 54 rechtlich möglich. Die Definitionsnormen enthalten jedoch keine Aussage darüber, ob die konkret vorliegende Unternehmensverbindung zulässig oder in allen ihren Elementen rechtswirksam ist. Die Frage stellt sich zB bei der Konzernbildung (Konzerneingangskontrolle, Rdn 9, 44). Das Beurkundungs- und Eintragungserfordernis von Unternehmensverträgen (§ 294 Abs 2), das nach der Rechtsprechung auch für GmbH besteht, 218 wird gelegentlich verfehlt. In solchen Fällen kann aber die Definition gleichwohl greifen, wenn die Unternehmensverbindung oder das Tatbestandsmerkmal tatsächlich praktiziert werden.219 Das gilt jedenfalls dann, wenn bei unwirksamen, aber vollzogenen Unternehmensverträgen die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft entsprechend zur Anwendung kommen.220 Ähnlich wird man bei Fehlerhaftigkeit einzelner Merkmale von Unternehmensverbindungen verfahren können, denn die Bildung rechtlich relevanter Unternehmensgruppen hat tendenziell verbandsrechtlichen Charakter (Rdn 19, 41 ff). Ob dann die an die Definitionsnorm anknüpfenden Vorschriften zur Anwendung kommen, muss von Fall zu Fall nach dem Normzweck entschieden
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216 Vgl etwa K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 39 I 2 a: der Begriff der Abhängigkeit kann den des Unternehmens nicht ersetzen. 217 Allg M; Hüffer/Koch11 § 15 Rdn 6, 11; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 § 15 Rdn 6; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 59 Rdn 3 ff; Rowedder/Koppensteiner/Schnorbus GmbHG5 § 52 Anh Rdn 6; Schmidt/Lutter/J Vetter3 § 15 Rdn 2; Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 21 ff; vgl auch BAG vom 5.5.1988 AP Nr 8 zu § 1 AÜG. Für Rechtsformunabhängigkeit im Übrigen spricht auch der Gegenschluss aus § 19 Abs 1, der seinen Anwendungsbereich auf Unternehmen in bestimmter Rechtsform beschränkt. 218 BGHZ 105, 324, 338 ff – Supermarkt. 219 Vgl Geßler/Geßler § 17 Rdn 112; Köhler NJW 1978, 2473, 2475; Schürnbrand ZHR 169 (2005) 35, 54 ff; für die betriebliche und Unternehmensmitbestimmung Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 314 f, 529 ff; gegen eine Überfrachtung der Definitionsnormen mit Regelungsgehalt auch Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 76. 220 Einzelheiten, insbesondere die Voraussetzungen betr, str; BGHZ 103, 1, 4 f (Familienheim); BGHZ 116, 37 (Stromlieferung); BGHZ 105, 168 (HSW); BGH 29.11.2004 – II ZR 6/03; 4. Aufl Mülbert § 293 Rdn 123 ff; Ederle Verdeckte Beherrschungsverträge, 2010, S 135 ff; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktienund GmbH-KonzernR7 AktG § 291 Rdn 28 ff; Henssler/Strohn/Paschos2 § 291 Rdn 16 ff; Hüffer/Koch11 § 291 Rdn 20 f; Kort NZG 2009, 364; Schmidt/Lutter/J Vetter3 § 293 Rdn 40 ff; die Einführung des § 246a dürfte das Problem entschärft haben; – aA KK/Koppensteiner3 § 297 Rdn 54.
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werden.221 Diese Differenzierungsmöglichkeit darf nicht auf der Ebene der Definitionsnormen abgeschnitten werden. Die Rechtsfolgen insgesamt sind vielgestaltig, teilweise auch geregelt. So verbietet etwa § 210 Abs 2 KAGB einer Kapitalverwaltungsgesellschaft, Beteiligungen zu erwerben, die mehr als 10% der Stimmrechte an einer AG vermitteln; aus § 211 Abs 2 KAGB ergibt sich aber, dass ein Verstoß gegen diese Vorschrift den Beteiligungserwerb nicht unwirksam macht, so dass einschlägige Definitionsnormen ggf erfüllt sind. Entsprechendes gilt für die Erwerbs- und Beteiligungsregeln nach §§ 3–5 UBGG; ein Verstoß dagegen macht das betreffende Rechtsgeschäft nicht unwirksam, § 6 UBGG. Ein unter Verstoß gegen Vorschriften der VO (EG) 139/2004 (FusionskontrollVO) vollzogener Zusammenschluss ist nicht unwirksam, arg Art 8 Abs 4, anders dagegen § 41 Abs 1 GWB, der aber Unternehmensverträge iSd §§ 291, 292 von der Unwirksamkeitsfolge ausnimmt. Auch hier sind die Rechtsfolgen auf der materiellen Seite zu entwickeln, nicht über Definitionsnormen. b) Das AktG fasst in § 15 die in den §§ 16–19 Abs 1 definierten Beziehungen sowie die Vertragsteile von Unternehmensverträgen iSv §§ 291, 292 unter dem Oberbegriff verbundene Unternehmen zusammen. Die dort genannten Verbindungen bauen stufenförmig zu immer größerer Dichte auf.222 Es handelt sich um vergleichsweise enge Beziehungen, gewissermaßen größere Steine im Mosaik der Verbundkriterien (Rdn 37). Die einzelnen Begriffselemente verlangen teilweise tatsächlich bestehende Umstände (zB Beteiligung, einheitliche Leitung), teilweise genügt eine durch bestimmte Umstände begründete potenzielle Lage (Gefahr des Interessenkonflikts, Beherrschungsmöglichkeit). § 16 definiert in Mehrheitsbesitz stehende und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen und enthält Be- und Zurechnungsvorschriften für diese Beteiligungen. § 17 definiert herrschende und abhängige Unternehmen; die Mehrheitsbeteiligung führt zur Abhängigkeitsvermutung. § 18 definiert den Konzern, in Abs 1 den Unterordnungskonzern, der bei Abhängigkeit vermutet wird, in Abs 2 den Gleichordnungskonzern. § 19 definiert wechselseitig beteiligte Unternehmen und leitet über zu Rechtsfolgenanordnungen. §§ 20–22 betreffen Mitteilungspflichten bei Beteiligungen; sie gehören nicht zu den Definitionsnormen, sondern enthalten materielle Rechtsfolgen, die dem Regelungsbereich des Dritten Buches näher stehen. An anderer Stelle im AktG ist die Hauptgesellschaft als terminus technicus für die 56 AG, in die eine andere gemäß § 319 eingegliedert ist, bestimmt. Die Eingliederung ist in §§ 319 ff näher geregelt; auf sie ist in § 18 Abs 1 Satz 2 verwiesen. Unternehmensverträge sind in den §§ 291, 292 definiert. Auf den Beherrschungsvertrag iSd § 291 ist in § 18 Abs 1 Satz 2 verwiesen. Der Zusammenschluss als aktienrechtlicher223 Begriff wird in § 192 Abs 2 Nr 2 verwendet. Zahlreiche Begriffe, die im Zusammenhang mit Unternehmensgruppen geläufig 57 sind, sind nicht im AktG (zu Definitionen und Verbundklauseln in anderen Vorschriften s Rdn 60 ff) oder überhaupt nicht gesetzlich definiert. Dazu gehört das Unternehmen 55
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221 Vgl K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 6 III 3 c; ders ZHR 155 (1991) 417, 425 f, 430 f, 445; gegenteilige Schlüsse können nicht aus Art 22 Abs 1 c) Satz 1 der Richtlinie 2013/34/EG (Rechnungslegung) gezogen werden, wo von Beherrschung aufgrund von Verträgen oder Satzungsbestimmungen die Rede ist, sofern das Recht, dem dieses Tochterunternehmen unterliegt, solche Verträge oder Satzungsbestimmungen zulässt. Das Bilanzrecht regelt die gesellschaftsrechtlichen Grundlagen der Beherrschung gerade nicht; dem wird durch diese Formulierungen Rechnung getragen. 222 K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 31 II 2 b; an der rechtlichen Erfassbarkeit des Grads der Integrationsdichte zweifelt Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 353 f; ders FS Hommelhoff, 2012, S 135, 150 f. 223 Anders etwa § 37 GWB und Art 3 VO (EG) 139/2004 (FusionskontrollVO); vgl auch § 192 Abs 2 Nr 2.
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(Windbichler § 15 Rdn 10 ff). Auch die Bezeichnungen „Ober“- und „Untergesellschaft“ sind streng genommen untechnisch, ebenso „Mutter“- und „Tochtergesellschaft“. Der „faktische Konzern“ (Windbichler § 18 Rdn 34) sowie der „qualifizierte faktische Konzern“ (Windbichler § 15 Rdn 3), auch die „qualifizierte Abhängigkeit“ (Windbichler § 17 Rdn 2, § 18 Rdn 21), gar der „Mutterkonzern“ (Rdn 13) existieren als gesetzliche Begriffsbestimmungen nicht. Ebensowenig gibt es eine gesellschaftsrechtlich verbindliche Definition für das „Gemeinschaftsunternehmen“. Letzteres, Mutter- und Tochterunternehmen sowie assoziierte Unternehmen sind Begriffe des HGB (§§ 290 Abs 1, 2, 310 f HGB). 2. Außerhalb des AktG a) Die aktienrechtlichen Definitionsnormen haben in ihrer Funktion als Verwei- 58 sungsziel Bedeutung für andere Vorschriften erlangt. Das gilt in besonderem Maße für den Konzernbegriff. Dabei wird sowohl die Legaldefinition unmittelbar in Bezug genommen als auch in der Form der Entsprechung, dh „im Sinne von“ oder auch „entsprechend“. Im Einzelnen ist streitig, ob die Verweisung auch die zum AktG gefundene Auslegung erfasst oder je nach Anwendungsbereich Modifikationen möglich oder notwendig sind.224 Besonders intensiv wird dieser Streit im Recht der betrieblichen und der Unternehmensmitbestimmung geführt, wo gelegentlich verlangt wird, dass die Merkmale „Abhängigkeit“ und „einheitliche Leitung“ mit einem speziellen arbeitsrechtlichen Gehalt interpretiert werden müssten.225 Entsprechendes gilt für Verweisungen im GWB, denen zT die Funktion der Feststellung einer speziellen „wettbewerblichen Einheit“ zugeschrieben wird.226 Immerhin liegt in der Wahl der Verweisung als Gesetzestechnik eine Vorentscheidung für den aktienrechtlichen Begriff. Ferner kann die Reichweite der Verweisung selbst auslegungsbedürftig sein, insbesondere wenn nicht nach Paragraph und Absatz bezeichnete Vorschriften, sondern die dort definierten Begriffe verwendet werden,227 zumal nicht immer klar ist, ob der Normgeber die Differenzierungsmöglichkeiten des AktG bei der Wahl des Verweisungszieles wirklich ausgeschöpft hat.228 Ebenfalls Auslegungsfrage ist, ob sich eine Verweisung nur auf die Merkmale einer Unternehmensverbindung, gewissermaßen deskriptiv, bezieht oder ob Rechtswirksamkeit der Verbindung in allen ihren Teilen vorausgesetzt wird.229 Wird in Gesetzen, die im AktG verwendete Begriffe selbst anders definieren, auf aktien-
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224 Vgl zum Auslegungsproblem Säcker Die Wahlordnungen zum Mitbestimmungsgesetz, 1978, Rdn 141 ff; Martens ZHR 148 (1984) 183, 190 f; Kraft FS Mühl, 1981, S 389, 406; Canaris DB 1981, Beil 14, 1; Lutter/Schneider BB 1977, 553, 555; Ulmer FS Goerdeler, 1987, S 623, 642; im Interesse der Vereinfachung der Rechtsanwendung für eine unmodifizierte Verwendung der aktienrechtlichen Vermutungen R Liebs in: GS Rödig, 1978, S 286, 294; offen gelassen in BAG 9.2.2011 − 7 ABR 11/10, NZA 2011, 866. 225 Offen gelassen in BAG 9.2.2011 − 7 ABR 11/10, NZA 2011, 866; für abweichende Auslegung Däubler CR 1988, 834, 838 f; Däubler/Kittner/Klebe/Wedde/Trittin BetrVG15 Vor § 54 Rdn 26; Fitting/Engels/Schmidt/ Trebinger/Linsenmaier BetrVG28 § 54 Rdn 26; Selzner Betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung in Franchise-Systemen, 1994, S 109 ff, der aber den aktienrechtlichen Abhängigkeitsbericht zu einseitig sieht, vgl Windbichler § 17 Rdn 9 mwN; dies Arbeitsrecht, 1989, S 309 ff, 515 ff, für Gleichlauf mit dem Gesellschaftsrecht; Richardi/Annuß BetrVG15 § 54 Rdn 16; vgl auch Henssler FS K Schmidt, 2010, S 601, 605 ff. 226 Immenga/Mestmäcker/Thomas GWB5 § 36 Rdn 781 ff; kritisch Steindorff Wettbewerbliche Einheit und kartellrechtliche Vermutungen, 1982, S 12 f mwN; – vgl auch Windbichler § 17 Rdn 7 mwN. 227 ZB „beherrschender Einfluß“ in § 10a Abs 2 Satz 1 KWG aF, dazu Dietz AG 1990, 269, 272 ff; die Frage stellt sich ebenso bei § 1 Abs 6 KWG nF. 228 Ein Beispiel für wenig plausible Verweisungen war der Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31.8.1991 GVBl Berlin S 309, 310 ff, insbes § 21 Abs 5: „… ein abhängiges oder herrschendes Unternehmen oder ein Konzernunternehmen im Sinne des § 15 Aktiengesetz …“; nunmehr §§ 21 Abs 2 Nr 1, 28 Abs 1 Satz 2 Rundfunkstaatsvertrag: iSd AktG verbundene Unternehmen. 229 Vgl dazu Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 314 f, 529 ff.
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rechtliche Definitionen verwiesen, muss die Reichweite wiederum im Einzelfall festgestellt werden, zB ob § 271 HGB nur bilanzierungspflichtige Unternehmen meint oder jedenfalls für Zurechnungen vom einem weiteren Unternehmensbegriff ausgeht.230 Die zT durch EU-Recht induzierte Gemengelage von Definitionen für Unternehmens59 gruppen findet sich im prominent im Recht der Rechnungslegung (Rdn 24), im Recht der Finanzdienstleister und im Recht der Zusammenschlusskontrolle. Das GWB bediente sich zunächst in beiden Bereichen ua der aktienrechtlichen Definitionen. Im EU-Recht ist naturgemäß der Rückgriff auf nationale Rechtsordnungen nur beschränkt möglich, insbesondere im so heterogenen Bereich der Unternehmensverbindungen. Die eigenständigen Entwicklungen dominieren in den jeweiligen Gebieten nunmehr auch im nationalen Recht, zB in § 290 HGB, und haben die §§ 15–19 teilweise verdrängt. Eine Vereinheitlichung oder Harmonisierung ist damit gleichwohl nicht verbunden (Rdn 47 ff). Einige dieser eigenständigen Definitionen und Verbundklauseln in anderen Vorschriften werden nachfolgend exemplarisch vorgestellt. 60
b) In Umsetzung der Bilanzrichtlinien 1985 wurden die Rechnungslegungsvorschriften aus dem AktG heraus genommen und im HGB angesiedelt. Dadurch erfolgte bereits eine teilweise Abkoppelung vom AktG (Rdn 5, 24). § 271 Abs 1 HGB bestimmt den für die Rechnungslegung maßgebenden Begriff der Beteiligung,231 nämlich Anteile an anderen Unternehmen, die einer dauernden Verbindung zum eigenen Geschäftsbetrieb dienen sollen; dieser Zweck wird bei Beteiligungen über 20% des Nennkapitals vermutet. Zur Berechnung ist auf § 16 Abs 2 und 4 verwiesen. Wird ein tatsächlicher Einfluss auf ein solches Beteiligungsunternehmen ausgeübt, ist es ein assoziiertes Unternehmen iSd § 311 Abs 1 HGB. § 271 Abs 2 HGB definiert verbundene Unternehmen durch Verweis auf § 290 HGB; trotz Wortgleichheit weicht dieser Begriff erheblich von § 15 ab. § 290 Abs 1 und 2 HGB bestimmt, welche Kapitalgesellschaften einen Konzernabschluss zu erstellen haben (Aufstellungspflicht) und definiert Mutter- und Tochterunternehmen konform mit der Rechnungslegungs-RL.232 Damit sind nur Unterordnungsverhältnisse angesprochen, nicht der Gleichordnungskonzern. Für den konsolidierten Abschluss, der ausschließlich Informations-, nicht Ausschüttungsbemessungsfunktion hat,233 gilt von Gesetzes wegen grundsätzlich die Einheitstheorie, § 297 Abs 3 HGB, die den Konzern als fiktive wirtschaftliche Einheit sieht; das control-Konzept (vgl Windbichler § 17 Rdn 8) des § 290 Abs 1 HGB erfordert keine einheitliche Leitung, keine Beteiligung iSd § 271 Abs 1 HGB und keine gesellschaftsrechtliche Verankerung der Beherrschungsmöglichkeit.234 Die Vermutungen der Beherrschungsmöglichkeit in § 290 Abs 2 decken sich teilweise mit aktienrechtlichen Begriffen: Absatz 2 Nr 1 Stimmenmehrheit (vgl § 16), Nr 3 Beherrschungsvertrag (vgl § 18 Abs 1 Satz 2); ganz anders die wirtschaftliche Betrachtung von Zweckgesellschaften in § 290 Abs 2 Nr 4 HGB.235 Die Zurechnungsvorschrift in § 290 Abs 3 HGB verweist, anders als § 271 Abs 1 Satz 4 HGB, nicht auf das AktG, sondern die HGB-
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230 MünchKomm-BilR/Kropff HGB § 271 Rdn 12 ff; die Änderung des § 271 Abs 1 Satz 3 HGB durch das BilRUG 2015 bezieht auch Unternehmen ohne Nennkapital ein, was für einen weiteren Begriff spricht; – vgl auch Windbichler § 15 Rdn 6. 231 Zu den Verwendungen des Begriffs BeckBilKomm/Grottel/Kreher9 HGB § 271 Rdn 4. 232 Art 2 Nr 9 – 13 RL 2013/34/EU vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte; damit wurden die vierte, siebente und achte RL aufgehoben bzw geändert. 233 Windbichler, Gesellschaftsrecht23 § 31 Rdn 1 ff. 234 BeckBilKomm/Grottel/Kreher9 HGB § 290 Rdn 20 ff; Baumbach/Hopt/Merkt HGB36 § 290 Rdn 6. 235 Dazu Kraft/Link ZGR 2013, 514, 523 ff; Vesper-Gräske Verbriefungszweckgesellschaften in der Konzernbilanz, 2013, S 290 ff.
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Definitionen von Mutter- und Tochterunternehmen. Nach den mit der Konzernrechnungslegung verfolgten Zwecken enthält § 296 HGB Konsolidierungswahlrechte, die teilweise pragmatisch begründet (Abs 1),236 teilweise relevanzorientiert sind. Eine Differenzierung nach weniger engen Unternehmensverbindungen findet sich in der Möglichkeit der anteilsmäßigen Konsolidierung nach § 310 HGB und der Behandlung assoziierter Unternehmen, §§ 311 f HGB. Beim Begriff des assoziierten Unternehmens ergibt sich eine Überschneidung mit den Vorschriften des AktG dadurch, dass die Beteiligung iSv § 271 Abs 1 HGB zur Berechnung auf § 16 Abs 2 und 4 verweist. Ist die Muttergesellschaft Wertpapieremittent, ist der konsolidierte Abschluss nach internationalen Standards aufzustellen, § 315a HGB. Dann bestimmen IFRS 10–12 Konsolidierungskreis und sonstige Abbildung.237 Dort wird Beherrschung danach bestimmt, ob ein Investor Entscheidungsmacht ausüben kann, schwankenden Renditen ausgesetzt ist und auf die Ertragslage Einfluss nehmen kann.238 Vollends gelöst von den rechtlichen Einheiten ist die Segmentberichterstattung nach § 297 Abs 1 Satz 2 HGB, die operative Geschäftsbereiche betrifft, oder die zahlungsmittelgenerierende Einheit (cash generating unit, CGU) iSv IAS 36.6, 36.130 für die Gesamtbewertung von Gruppen von Vermögenswerten. Das GWB (vgl auch Rdn 34) verwendet den Begriff der Unternehmensvereinigungen 61 (§ 1 GWB); damit sind Verbände gemeint, deren Mitglieder nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich und wettbewerblich selbständig bleiben. Mit Unternehmensgruppen hat dieser Begriff nichts zu tun hat. Für Zwecke der deutschen Zusammenschlusskontrolle definiert § 36 Abs 2 Satz 1 GWB eine Gruppe von nach §§ 17, 18 verbundenen Unternehmen als einheitliches Unternehmen; damit sind auch Gleichordnungsbeziehungen erfasst, § 18 Abs 2. § 36 Abs 2 Satz 2 fügt die sog Mehrmütterklausel hinzu, die bei gemeinsam beherrschten Gemeinschaftsunternehmen jedes der herrschenden Unternehmen als herrschendes fingiert („gilt“). Die Definition des Zusammenschlusses in § 37 GWB lehnt sich an die Merkmale der EU-Fusionskontroll-VO an und ist insgesamt weiter (Kontrollerwerb). Verweise auf das AktG finden sich hier nicht mehr, § 37 Abs 1 Nr 3 Satz 2 GWB ist aber fast wortgleich mit § 16 Abs 4. Definitionsnormen des AktG bedürfen keiner eigenständigen kartellrechtlichen Auslegung; die normzweckentsprechende Feinsteuerung erfolgt auf der Rechtsfolgenseite. Die Verbundklauseln dienen zunächst Verfahrenszwecken für die Anmeldung von Zusammenschlüssen nach § 39 GWB (Aufgreifkriterien). Die Bedeutung des Unternehmensverbunds für die materielle Beurteilung nach § 36 Abs 1 GWB (Eingreifkriterien) ist in der Einzelfallprüfung der Prognose struktureller wettbewerbshindernder Effekte festzustellen.239 Für die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung, die die Missbrauchskontrolle eröffnet (§ 19 GWB), sind die Verflechtungen mit anderen Unternehmen zu berücksichtigen, § 18 Abs 3 Nr 4 GWB. Eine genauere Definition erfolgt nicht; jedoch wird nach wohl hM die Verbundklausel des § 36 Abs 2 GWB auch hier angewandt, auch schwächere Beziehungen (ohne Beherrschung) können darunter fallen.240 Besonders kontrovers ist § 81 Abs 4 Satz 3 GWB, wonach zur Bußgeldbemessung „[b]ei der Ermittlung des Gesamtumsatzes … der weltweite Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen zugrunde zu legen, die als wirtschaftliche Einheit operieren“, zugrun-
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236 Ähnlich § 312 Abs 5 Satz 3 HGB: Verfügbarkeit der Informationen. 237 Verbindlich gemäß VO (EU) 1254/2012; zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden beim Konsolidierungskreis nach HGB und IFRS Kraft/Link ZGR 2013, 514; Zülch/Popp Konzern 2012, 245, 328. 238 BeckIFRSHdb/Brune4 § 30 Rdn 27 ff. 239 Immenga/Mestmäcker/Thomas GWB5 § 36 Rdn 50 ff; BGH 19.12.1995 KVR 6/95 NJW 1996, 1820 (Raiffeisen) zur Berücksichtigung von Verflechtungen, die kein Beherrschungs- oder Konzernverhältnis sind, für die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung. 240 Vgl BGH 19.12.1995 KVR 6/95 NJW 1996, 1820 (Raiffeisen); Immenga/Mestmäcker/Fuchs/Möschel GWB5 § 18 Rdn 115.
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de zu legen ist. Die bloße Anknüpfung an Definitionsnormen kann hier nicht genügen, die Einheit muss vielmehr, wie in der Rechtsprechung des EuGH angedeutet, im Einzelfall bestimmt werden, ggf mit Hilfe von Vermutungen und deren Widerlegung.241 Die Wettbewerbsregeln des AEUV (Art 101 ff) selbst enthalten keine Verbunddefini62 tionen. Die VO (EG) 139/2004 (FusionskontrollVO) definiert in Art 3 Abs 1 einen Zusammenschluss als den Erwerb einer dauerhaften Kontrolle eines Unternehmens über ein anderes, nach Satz 2 auch durch eine Person, die bereits ein oder mehrere Unternehmen kontrolliert. Darin klingt eine Ähnlichkeit zum aktienrechtlichen Unternehmensbegriff (Windbichler § 15 Rdn 10 ff) an. Der Zusammenschluss kann durch Fusion im technischen Sinn (Verschmelzung), aber auch auf sonstige Weise geschehen; der Begriff Fusionskontrolle ist insoweit ungenau, aber eine geläufige Breviloquenz. Kontrolle ist in Art 3 Abs 2 VO (EG) 139/2004 definiert als die Möglichkeit, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben. Das Mittel dazu ist nahezu beliebig; es muss aber zu einer dauerhaften Strukturänderung führen.242 Art 3 Abs 3 VO (EG) 139/2004 bezeichnet als Inhaber der Kontrolle neben den unmittelbar Berechtigten Personen oder Unternehmen solche die, obwohl aus den Rechten oder Verträgen nicht selbst berechtigt, die Befugnis haben, die sich daraus ergebenden Rechte auszuüben. Diese Umschreibung der mittelbaren Kontrolle geht über die Anteilszurechnung in § 16 Abs 4 hinaus. Die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, Art 3 Abs 4 VO (EG) 139/2004, gilt als Zusammenschluss der Gründer, kann aber auch ein (nach Art 101 AEUV verbotenes) Kartell sein (vgl Rdn 19, Doppelkontrolle). Art 3 Abs 5 VO (EG) 139/ 2004 enthält Ausnahmen für Durchgangserwerbe und den Insolvenzverwalter. Ferner enthalten die Gruppenfreistellungsverordnungen243 zu Art 101 Abs 3 AEUV 63 für bestimmte Arten von Vereinbarungen (nicht: Unternehmensgruppen) Verbundklauseln.244 Die Begriffe Unternehmen, Anbieter oder Abnehmer schließen dort die jeweils „verbundenen Unternehmen“ ein. Als solche werden bezeichnet a) Unternehmen, in denen ein an der Vereinbarung beteiligtes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar i) die Befugnis hat, mehr als die Hälfte der Stimmrechte auszuüben, oder ii) die Befugnis hat, mehr als die Hälfte der Mitglieder des Leitungs- oder Aufsichtsorgans oder der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe zu bestellen, oder iii) das Recht hat, die Geschäfte des Unternehmens zu führen; b) Unternehmen, die in einem an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen unmittelbar oder mittelbar die unter Buchstabe a aufgeführten Rechte oder Befugnisse haben; c) Unternehmen, in denen ein unter Buchstabe b genanntes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar die unter Buchstabe a aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat; d) Unternehmen, in denen ein an der Vereinbarung beteiligtes Unternehmen gemeinsam mit einem oder mehreren der unter den Buchstaben a, b und c genannten Unternehmen oder in denen zwei oder mehr der zuletzt genannten Unternehmen gemeinsam die unter Buchstabe a aufgeführten Rechte oder Befugnisse haben;
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241 Offen gelassen in BGH 26.2.2013 – KRB 20/12, BGHSt 58, 158 Rdn 71 (Grauzementkartell); für die Anwendung von § 426 BGB und Berücksichtigung der individuellen Beiträge BGH 18.11.2014 – KZR 15/12 – Calciumcarbid-Kartell II. 242 Immenga/Mestmäcker/Körber EU-Wettbewerbsrecht5 FKVO Art 3 Rdn 20 ff. 243 Art 1 Abs 2 VO (EU) 330/2010 (Vertikalvereinbarungen); Art 1 Abs 2 (VO (EU) 772/2004 (Technologietransfer); Art 1 Nr 3 VO (EU) 267/2010 (Versicherungssektor); Art 1 Abs 2 VO (EU) 461/2010 (Vertikalvereinbarungen im KFZ-Sektor); Art 1 Abs 2 VO (EU) 1217/2010 (FuE); Art 1 Abs 2 VO (EU) 1218/ 2010 (Spezialisierung). 244 Dazu näher Immenga/Mestmäcker/Ellger EU-Wettbewerbsrecht5 AEUV Art 101 Abs 3 Rdn 361 ff.
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Unternehmen, in denen die folgenden Unternehmen gemeinsam die unter Buchstabe a aufgeführten Rechte oder Befugnisse haben: i) an der Vereinbarung beteiligte Unternehmen oder mit ihnen jeweils verbundene Unternehmen im Sinne der Buchstaben a bis d oder ii) eines oder mehrere der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen oder eines oder mehrere der mit ihnen verbundenen Unternehmen im Sinne der Buchstaben a bis d und ein oder mehrere dritte Unternehmen.“
Damit ist eine Angleichung der Begriffsbestimmungen innerhalb der Gruppenfreistellungsverordnungen erreicht;245 sie haben Ähnlichkeit mit denjenigen für die Pflicht von Mutterunternehmen, einen konsolidierten Abschluss aufzustellen, freilich ohne Umsetzungswahlrechte für die Mitgliedstaaten.246 Der Verwendung der funktionalen, wettbewerbspolitisch orientierten Verbund- 64 klauseln voran ging die Rechtsprechung des EuGH zur wirtschaftlichen Einheit, etwa bei der Beurteilung konzerninterner Wettbewerbsbeschränkungen (vgl auch oben Rdn 34).247 Bei der Verhängung unionsrechtlicher Geldbußen gehen Kommission und EuGH materiell von einer wirtschaftlichen Einheit aus, wenn Tochtergesellschaften ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmen; bei (hohen) Kapitalbeteiligungen wird das widerleglich vermutet.248 Einzelheiten sind unklar und umstritten, insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung von Minderheitsgesellschaftern und Fragen der Beweislast im Verhältnis zu einer (verdeckten) Konzernstrukturhaftung (Grundsätze nulla poena sine lege, in dubio pro reo und der individuellen Verantwortung im Bußgeldverfahren). Jedenfalls genügen in diesem Zusammenhang Einflussmöglichkeiten nicht. Für Zwecke des Verfahrens ist die so bestimmte „wirtschaftliche Einheit“ jedoch ungeeignet; Adressat von Maßnahmen kann nur eine natürliche oder juristische Person sein; das ist meist die Muttergesellschaft, es kommen aber auch Tochtergesellschaften oder gesamtschuldnerische Haftung in Betracht. Die gesellschafts- und zivilrechtliche Lastenverteilung und die Haftungsverhältnisse innerhalb der Gruppe sind damit nicht geklärt.249 Die Entwicklung kohärenter Kriterien im Unionsrecht zeichnet sich nicht ab.250 Das 65 gilt auch außerhalb der Wettbewerbsregeln, zB bei der Definition der „Unternehmensgruppe“ in der Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates (Rdn 68)
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245 Zu unsystematischen Divergenzen vgl 4. Aufl Windbichler Vor § 15 Rdn 63 mit Fußn 252 f. 246 Art 22 der Richtlinie 2013/34/EU; Vorgänger: Siebente Richtlinie über den konsolidierten Abschluß 83/349/EWG. 247 ZB EuGH 12.7.1984 170/83 Slg 2999, 3016 (Hydrotherm/Compact); EuGH 22.10.1986 75/84 Slg 3021, 3092 f (Metro); EuGH 24.10.1996 C-73/95 P Slg 5482, 5488 ff (Viho); Immenga/Mestmäcker/Emmerich EU-Wettbewerbsrecht5 AEUV Art 101 Abs 1 Rdn 49 ff mwN; Fleischer AG 1997, 491. 248 EuGH 10.9.2009 Rs C-97/08 P (Akzo Nobel) Slg 2009 I-08237 Rdn 42 ff mwN; EuGH 10.4.2014 C-231/11 (Siemens Österreich); EuGH 17.9.2015 – C-597/13 P (Total) betr akzessorische Haftung der Muttergesellschaft für Kartellverstoß der Tochter; Hackel Konzerndimensionales Kartellrecht, 2012, S 109 ff; Immenga/Mestmäcker/Emmerich EU-Wettbewerbsrecht5 AEUV Art 101 Abs 1 Rdn 9 ff mwN; Immenga/Mestmäcker/Dannecker/Biermann EU-Wettbewerbsrecht5 KartellverfVO 1/2003 Vor Art 23 Rdn 89 ff mwN; Kersting Der Konzern 2011, 445 mit unzutreffender Parallele zum Personengesellschaftsrecht; dagegen Klotz Wirtschaftliche Einheit und Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S 175 ff; Windbichler ZGR 2014, 110, 113 f; vgl auch Thomas JZ 2011, 485, 492 ff; – ähnlich wie im Kartellrecht Art 83 VO (EU) 2016/679 DatenschutzgrundVO; weitergehend Art 32 Abs 2 VO (EU) 569//2014 MarktmissbrauchsVO: maßgebend konsolidierter Abschluss der Muttergesellschaft. 249 Vgl etwa Bosch ZHR 177 (2013), 454; Hauger/Palzer ZGR 2015, 33; Kellerbauer/O. Weber EuZW 2014, 688; Klotz Wirtschaftliche Einheit und Konzernhaftung im Kartellzivilrecht, 2016, S 186: Bruch mit gesellschaftsrechtlichen Prinzipien; Lutter FS Goette, 2011, S 289, 292 ff; Thomas JZ 2011, 485, 492; entsprechende Probleme dürfte § 39 Abs 5 Satz 2 WpHG aufwerfen. 250 Anders noch hoffnungsvoll 4. Aufl Windbichler Vor § 15 Rdn 37, 47, 62: typisierter Kriterienkatalog.
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und in vielen anderen Bereichen. Im Recht der Finanzdienstleistungen (vgl Rdn 33) finden sich Zurechnungsdefinitionen in Bezug auf Kapitalausstattung, Risikovorsorge, gruppeninterne Transaktionen sowie Organisationsvorschriften. Der Gruppenbezug ist dabei unvermeidlich, vor allem soweit Finanzkonglomerate betroffen sind und die Finanzmarktstabilität allgemein durch Erfassung von Systemrisiken gesichert werden soll. Nach signifikanten Änderungen früherer Richtlinien zur angemessenen Ausstattung mit Eigenmitteln enthalten nunmehr die VO (EU) 575/2013 (Bankenaufsichts-VO) und die Richtlinie 2013/36/EU (CRD IV) Begriffsbestimmungen, die branchenspezifisch Risikoeinheiten umschreiben, Leitungsstrukturen vorschreiben und die Zuständigkeiten der Aufsichten über die einzelnen gruppenangehörigen Unternehmen koordinieren. Die Regelungstechnik ist definitionsfreudig (128 Begriffsbestimmungen in Art 4 Abs 1 der VO (EU) 575/2013, dazu weitere in den folgenden Artt) und bedient sich der Verweisung auf andere Rechtsakte, zT mit Ergänzungen oder Modifikationen. Zu Mutter- und Tochterunternehmen verweist Art 4 Abs 1 Nr 15 und 16 der VO (EU) 575/2013 auf die 7. (Konzernbilanz-)Richtlinie 83/349/EWG,251 erweitert mit „sowie jedes Unternehmen, das tatsächlich einen beherrschenden Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausübt“; die Rechnungslegungsvorschriften verlangen keine tatsächliche Ausübung der Kontrolle. Zur „Beteiligung“ bezieht sich Art 4 Abs 1 Nr 35 der VO (EU) 575/2013 auf die 4. (Bilanz-) Richtlinie 78/660/EWG,252 ergänzt mit der Maßgabe, dass das direkte oder indirekte Halten von 20% der Stimmrechte oder Kapitalanteile eines anderen Unternehmens genügt; damit wird die Widerlegbarkeit der Vermutung im Rechnungslegungsrecht beseitigt. Eine „qualifizierte Beteiligung“ iSd Nr 36 verlangt nur 10% der Stimmrechte oder des Kapitals. Des Weiteren verweist die VO auf die Richtlinie 2013/36/EU (CRD IV) hinsichtlich ua „Leitungsorgan“, „Geschäftsleitung“, „Systemrisiko“ und „Modellrisiko“; die „Gruppe verbundener Kunden“ ist in Art 4 Abs 1 Nr 39 der VO eigenständig definiert. Eine „konsolidierte Lage“ ergibt sich, wenn die Anforderungen der VO so angewandt werden, als bildete eine Gruppe ein einziges Institut, aufsichtsrechtliche Konsolidierung, Art 4 Abs 1 Nr 11 ff VO (EU) 575/2013. Ein Haftungsverbund iSd Nr 127 besteht bei sowohl aufsichtsrechtlicher als auch bilanzrechtlicher Vollkonsolidierung und ziviloder gesellschaftsrechtlicher Haftungsvereinbarung. Die Richtlinie 2013/36/EU (CRD IV) bietet in ihrem Art 3 Abs 1 59 Begriffsbestimmungen, die aber zum größten Teil auf die Bankenaufsichts-VO verweisen, insbesondere betreffend Mutter- und Tochterunternehmen sowie Beteiligungen. Am europäischen Aufsichtsrecht wird kritisiert, dass es sich offenbar am zentral geführten Konzern orientiere, was der rechtstatsächlichen Vielfalt nicht entspricht.253 Ferner widerspricht die weitgehende Einheitsbetrachtung der im Versicherungswesen geforderten Spartentrennung,254 ebenso der getrennten Restrukturierung im Trennbankenmodell.255 Jedenfalls bestehen Konsolidierungsmöglichkeiten hinsichtlich der verwendeten Begriffe (vgl Rdn 47 ff). Die Umsetzung und sonstige Behandlung von Unternehmensverbindungen im KWG 66 erfolgt teils durch Verweis auf europäische Rechtsakte, teils auf andere Gesetze und teils eigenständig. § 1 Abs 35 KWG verweist auf eine Vielzahl von Definitionen des Art 4 Abs 1 der VO (EU) 575/2013. § 1 Abs 9 KWG (bedeutende Beteiligung) verbindet die Regelungstechniken und verweist sowohl auf Art 4 Abs 1 Nr 36 der VO (EU) 575/2013 (also
_____ 251 252 253 254 762 f. 255
Nunmehr Art 21 und 22 der Richtlinie 2013/34/EU (EU-Bilanzrichtlinie). Nunmehr Art 2 Nr 2 der Richtlinie 2013/34/EU (EU-Bilanzrichtlinie). Dreher/Ballmeier ZGR 2014, 753, 761 ff. Art 73 Abs 1 Richtlinie 2009/138/EG (Solvency II), § 8 Abs 1a VAG; Dreher/Ballmeier ZGR 2014, 753, Binder ZGR 2015, 667, 699 ff.
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ab 10%), §§ 21 Abs 1, 23 WpHG sowie Rechtsverordnungen dazu und definiert eigenständig in Satz 3 eine Ausnahme für das Emissionsgeschäft. Die in früheren Fassungen enthaltene Verweisung Zurechnungen betreffend auf § 16 AktG ist entfallen. Die Zweckgesellschaft wird in § 1 Abs 26 anders umschrieben als in § 290 Abs 2 Nr 4 HGB und entspricht auch nicht der Zweckgesellschaft iSd Art 2 Nr 4 der VO (EG) 809/2004 (Prospekt-VO) oder der Verbriefungszweckgesellschaft iSd Art 4 Abs 1 Nr 66 der VO (EU) 575/ 2013. § 10a Abs 1 Satz 1 KWG (Ermittlung der Eigenmittelausstattung) spricht von übergeordneten und nachgeordneten Unternehmen, die unter dem Begriff Gruppe zusammengefasst werden; im Einzelnen wird auf die VO (EU) 575/2013 Bezug genommen. Die Zusammenfassung von mehreren Kreditnehmern zu einer Einheit in § 19 Abs 2 KWG erfolgt ua unter Bezugnahme auf § 290 Abs 2 HGB sowie zusätzlich § 18 AktG; damit sind auch Gleichordnungsbeziehungen, § 18 Abs 2, erfasst. Im Kapitalmarktrecht enthalten die weitreichenden Informationspflichten durchweg 67 eigenständige Definitionen, geprägt durch sekundäres Unionsrecht. Der Zugang zum geregelten Kapitalmarkt setzt Prospektpublizität voraus. Die VO (EG) 809/2004 (Prospekt-VO) verwendet die Begriffe verbundene Unternehmen, Tochtergesellschaft, Beteiligung und Gruppe ohne besondere Definition. § 4 Abs 1 Nr 5 WpPG verweist zur Umsetzung des Art 4 Abs 1 e) der Prospekt-VO (verbundene Unternehmen) auf § 15 AktG. Für den Handel mit zugelassenen Wertpapieren enthält das WpHG256 zahlreiche Bestimmungen zur Mitteilung und Zurechnung von Beteiligungen, die sich auch auf das Vorfeld von Kontrollverhältnissen beziehen, insbesondere §§ 25, 25a WpHG (vgl auch Windbichler § 20 Rdn 28 f). Zu Ausnahmen vom Anwendungsbereich verweist § 2a Abs 1 Nr 1 WpHG zu Mutter- und Tochterunternehmen auf die VO (EU) 575/2013 (Bankenaufsichts-VO). Die Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff WpHG sind vor allem stimmrechtsorientiert; die Zurechnung, § 22 WpHG, erfolgt bei Tochterunternehmen nach der Definition des § 290 HGB, ergänzt durch allgemein die Möglichkeit, einen beherrschenden Einfluss auszuüben und eingeschränkt für bestimmte Wertpapierdienstleistungen, § 22a WpHG. Mitteilungspflichten von Tochterunternehmen iSd § 290 HGB können auch vom Mutterunternehmen erfüllt werden, § 24 WpHG. Die Sanktionen bei Verletzung von Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten gegen juristische Personen bemessen sich nach dem konsolidierten Abschluss.257 Insoweit wird der Konzern als Einheit behandelt; im Kapitalmarkt wird die Investition in ein Mutterunternehmen als Investition in die Gruppe aufgefasst (vgl Rdn 24, 60). Besonders umstritten sind die Voraussetzungen der wechselseitigen Zurechnung von Stimmrechten verschiedener Aktionäre und deren Tochterunternehmen bei abgestimmtem Verhalten (acting in concert), § 22 Abs 2 WpHG. Ebenso bestimmen §§ 2 Abs 5, 30 Abs 2 WpÜG für den Bieter die Zusammenrechnung mit Stimmrechten Dritter, mit denen sich der Bieter über sein Stimmverhalten mit Ausnahme von Einzelfällen verständigt oder sonst zur dauerhaften und erheblichen Änderung der Ausrichtung des Unternehmens zusammenwirkt.258 Art 5 der Richtlinie 2004/25/EG (Übernahmerichtlinie) enthält dazu den Begriff der gemeinsam handelnden Personen, der gem Art 2 Abs 1 d, Abs 3 auch die Zurechnung von kontrollierten Unternehmen iSd Art 87 der Richtlinie 2001/34/EG259 enthält. Bei Erlangung der Kontrolle über eine Gesellschaft verpflichtet § 35 Abs 2 WpÜG entsprechend Art 5 Abs 1 der Übernahme-RL zur Abgabe
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256 Zur Gesetzesentwicklung des WpHG einschließlich Richtlinienumsetzung Baumbach/Hopt/Kumpan HGB36 WpHG Rdn 1 ff; ferner Söhner ZIP 2015, 2451. 257 Art 28b Abs 1 lit c) I RL 2013/50/EU; § 39 Abs 5 Satz 2 WpHG; Art 30 Abs 2 VO (EU) 596/2014. 258 Vgl BGH 18.9.2006 – II ZR 137/05, BGHZ 169, 98 (WMF, zu früherer Textfassung). 259 Nunmehr Art 2 Abs 1 f Richtlinie 2004/109/EG (Transparenz-RL) mit kleinen Änderungen; Kontrollschwelle ist hier jeweils Stimmrechtsmehrheit.
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eines Pflichtangebots für den Erwerb der übrigen Aktien. Den Schwellenwert für Kontrolle in diesem Sinne überlässt Art 5 Abs 3 der Übernahme-RL den Mitgliedstaaten; nach § 29 Abs 2 WpÜG liegt die Kontrollschwelle bei 30% der Stimmrechte. § 30 Abs 1 WpÜG enthält Zurechnungsvorschriften für mittelbare Stimmrechte; Tochterunternehmen sind wie im WpHG durch ergänzten Verweis auf § 290 HGB definiert. In den zunehmend verbreiteten Verhaltenskodizes, Corporate Governance Emp68 fehlungen und sonstigem soft law wird die Unternehmensgruppe oft als Einheit adressiert mit mehr oder minder detaillierter Berücksichtigung der rechtlichen Struktur und Integrationsdichte (vgl Rdn 22). Begriffsbestimmungen finden sich dort kaum. Soweit Angaben zu Governance-Praktiken und nichtfinanziellen Konzepten (corporate social responsibility, CSR) im Zusammenhang mit der Rechnungslegung zu machen sind (§ 315 Abs 1 HGB; Art 29a der EU-Bilanz-RL)260, gilt der dort abgesteckte Konsolidierungskreis. Von den zahlreichen internationalen Bestrebungen, weltweite Unternehmensverflechtungen zu erfassen, seien die Leitsätze der OECD für multinationale Unternehmen261 erwähnt. Sie gehen vom Normalfall eines komplexen Aufbaus aus rechtlich selbständigen Unternehmen aus. Sie enthalten keine abschließende Definition des multinationalen Unternehmens, sprechen aber von Muttergesellschaften und Unternehmensteilen mit unterschiedlichem Autonomiegrad.262 In den Erläuterungen zu den Allgemeinen Grundsätzen steht die Verpflichtung des boards der Muttergesellschaft im Vordergrund; Tochtergesellschaften sollen in Kontrollsysteme einbezogen werden.263 Entsprechend der politischen Zielsetzung fordern die Leitsätze auch verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln bei der Auswahl von und gegenüber Geschäftspartnern in der Zulieferkette ein. IV. Auslandsbezug264 69
1. Sachverhalte. Unternehmensverbindungen enden nicht an nationalen Grenzen. Sog multinationale oder transnationale Unternehmen sind verbreitet. Dabei handelt es sich regelmäßig nicht um in mehreren Ländern aktive Einheitsunternehmen, sondern um Gruppen rechtlich selbständiger Unternehmen. Die Gründung von Tochtergesellschaften wird aus steuerrechtlichen, fremdenrechtlichen, arbeitsrechtlichen und anderen Gründen oft der unselbständigen Zweigniederlassung vorgezogen (vgl Rdn 17). Eine besondere Rechtsform für grenzüberschreitende Unternehmensverbindungen (Rdn 7) ist die Europäische Aktiengesellschaft (SE). Eine SE mit Sitz in Deutschland ist Aktiengesellschaft iSd AktG.265
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2. Qualifikation der Rechtsverhältnisse. Die im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen auftretenden Fragen können verschiedenen
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260 Artt 19a Abs 1 Satz 2, 29a Abs 1 Satz 2 Richtlinie 2013/34/EU idF der Richtlinie 2014/95/EU folgen dem Konzept des „comply or explain“; verlangt ist eine Beschreibung der von dem Unternehmen bzw der Gruppe in Bezug auf Umwelt-, Sozial-, und Arbeitnehmerbelange, auf die Achtung der Menschenrechte und auf die Bekämpfung von Korruption und Bestechung verfolgten Konzepte oder eine Begründung, warum solche Konzepte nicht verfolgt werden. Im Fall der Gruppe könnte man das auch so lesen, dass eine Erklärung, warum es kein gruppenweites Konzept gebe, verlangt oder ausreichend wäre. 261 OECD (2011), OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen (Neufassung), OECD Publishing, http://dx.doi.org/ 10.1787/9789264122352-de [23.3.2015]; zur vorangehenden Fassung Blanpain in: Blanpain (Hrsg), Comparative Labour Law and Industrial Relations in Industrialized Market Economies9 S 189. 262 OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen (Fn 261) I. Nr 4. 263 OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen (Fn 261) II. Erläuterungen Nr 8 und 9. 264 Zum IPR und Internationalen Gesellschaftsrecht 4. Aufl Assmann Einl Rdn 517 ff. 265 Art 3 Abs 1 VO-EG 2157/2001.
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Rechtsbereichen angehören, etwa dem Vertragsrecht (vgl zB § 449 Abs 3 BGB), dem Kapitalmarktrecht, dem Gesellschaftsrecht, dem Insolvenzrecht oder dem Arbeitsrecht. Es kann die Regelung der Unternehmensverbindung selbst betroffen sein, aber auch im Zusammenhang mit anderen Rechtsproblemen die Zurechnung (Rdn 40) in Rede stehen. Ein sehr augenfälliges Beispiel ist die Inanspruchnahme von inländischen Tochtergesellschaften wegen Kartellverstößen der ausländischen Muttergesellschaft.266 Eine eigenständige Qualifikation als „konzernrechtliches Problem“ im kollisionsrechtlichen Sinn gibt es nicht;267 sie wäre angesichts des Entwicklungsstandes des Rechts der verbundenen Unternehmen (Rdn 4, 6 ff) und der andersartigen, meist bereichsspezifischen Problemauffassung im Ausland (Rdn 73) auch wenig hilfreich. Das Recht der Unternehmensverbindungen ist nach ganz hM grundsätzlich dem Gesellschaftsrecht zuzuordnen; bei Sachverhalten mit Auslandsberührungen finden daher die Regeln des Internationalen Gesellschaftsrechts Anwendung, soweit es sich um eine gesellschaftsrechtliche Frage handelt.268 Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit verbundenen Unternehmen können im konkreten Fall auch anders zu qualifizieren sein, zB vertragsrechtlich, deliktsrechtlich oder insolvenzrechtlich.269 3. Statut a) Für die Unternehmensgruppe oder den Konzern als solche gibt es kein eigen- 71 ständiges Statut, da es sich nicht um ein Rechtssubjekt handelt. Die Einheitslehre des Internationalen Gesellschaftsrechts270 findet daher keinen Anwendungsgegenstand. Einer selbständigen Anknüpfung des Beziehungsgeflechts zwischen Unternehmen (Konzernstatut) steht auch entgegen, dass es trotz des kodifikatorischen Ansatzes im AktG 1965 ein geschlossenes Konzernrecht selbst in Deutschland nicht gibt.271 Der Sitz einer Konzernleitung ist nicht Sitz des Konzerns iSd internationalprivatrechtlichen Sitztheorie. Der Ort, von dem aus Leitungsmacht über ein rechtlich selbständiges Unternehmen (nicht: Zweigniederlassung, Windbichler § 15 Rdn 14) ausgeübt wird, ist nicht dessen Sitz; dieser ist vielmehr nach dem Ort der Umsetzung der Leitungsentscheidungen in Geschäftsführungs- und Vertretungsakte272 für jedes einzelne Unter-
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266 Mestmäcker/Schweitzer Europäisches Wettbewerbsrecht2 § 3 Rdn 78; Immenga/Mestmäcker/Bach GWB5 § 54 Rdn 26 aE. 267 Grigoleit § 15 Rdn 7; Hüffer/Koch11 § 15 Rdn 7; MünchHdbIntGesR/Drinhausen4 § 44 Rdn 7; MünchKomm-BGB/Kindler6 IntGesR Rdn 20 f; Spindler/Stilz/Schall3 Vor § 15 Rdn 32; Spindler/Stilz/Veil3 Vor § 291 Rdn 44; vgl auch 4. Aufl Mülbert Vor §§ 291 ff Rdn 23; v Büren Schweizerisches Privatrecht Bd VIII/6, Der Konzern2, 2005, S 551 ff; – nicht weiterführend Renner ZGR 2014, 452, der unzutreffend von einem Normenkomplex namens „Konzernrecht“ ausgeht; zur Qualifikation allgemein MünchKomm/ v Hein6 Einl IPR Rdn 108 ff. 268 4. Aufl Assmann Einl Rdn 634; Ulmer/Habersack/Löbbe/Behrens/Hoffmann GmbHG2 Einl Rdn B 120; Staudinger/Großfeld13 IntGesR Rdn 501; A. Junker Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992, S 33; Zimmer Internationales Gesellschaftsrecht, 1996, S 366 ff. 269 Vgl EuGH 10.12.2015 – C-594/14 (Kornhaas). 270 Nach der Einheitstheorie werden die gesellschaftsrechtlichen Beziehungen einer Gesellschaft einheitlich nach dem Gesellschaftsstatut angeknüpft; 4. Aufl Assmann Einl Rdn 533 mwN in Fn 24, vgl auch aaO Rdn 623; 4. Aufl Mülbert Vor §§ 291 ff Rdn 23 ff; v Bar Internationales Privatrecht Bd II, 1991, Rdn 647; Henssler/Strohn/Servatius2 IntGesR Rdn 4; MünchKomm-BGB/Kindler6 IntGesR Rdn 6; Weller ZGR 2010, 679, 697 f; – zu unternehmensrechtlichen Einheitsansätzen (ablehnend) MünchKomm-BGB/Kindler6 IntGesR Rdn 18 f. 271 Vgl EuGH 20.6.2013 C-186/12 Rdn 25 (Impacto Azul). 272 MünchKomm-BGB/Kindler6 IntGesR Rdn 456, 460; – zur Ausführungsebene, die selbst bei sehr engen Konzernverbindungen nicht entfällt, Druey FS Hommelhoff, 2012, S 135, 148 f; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 69, 291, 359 f.
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nehmen gesondert zu bestimmen.273 Normen mit Schutzcharakter setzen bei den einzelnen Unternehmen der Gruppe an; ihre Anwendbarkeit folgt dem Gesellschaftsstatut der hauptbetroffenen Gesellschaft. Die Aussage, das „Konzernstatut“ folge grundsätzlich dem Gesellschaftsstatut der abhängigen Gesellschaft,274 ist daher im Ergebnis meist zutreffend, jedoch zu allgemein, da mit dem reinen Schutzrechtsansatz (oben Rdn 41 ff) das Recht der verbundenen Unternehmen nicht vollständig erfasst ist. Auch ein herrschendes Unternehmen kann hauptbetroffenes sein.275 Die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit ist insoweit konzernneutral; sie bestätigt eher das Recht, in anderen Mitgliedstaaten Tochtergesellschaften mit eigenständigem Statut zu errichten.276 72
b) Für die Definitionsnormen gibt es kein isoliertes Statut.277 Ob und welche Auslandsbeziehungen zu berücksichtigen sind, richtet sich nach der anzuwendenden materiellen Regel, die auf die Definitionsnorm Bezug nimmt. So richtet sich zB die Entscheidung der Frage, ob für § 100 Abs 2 auch Positionen in ausländischen Gesellschaften zählen, nach der Auslegung der jeweiligen Regelung,278 nicht danach, ob „begrifflich“ ein ausländisches Unternehmen abhängiges oder Konzernunternehmen iSd AktG sein kann. Die jeweilige Unternehmensverbindung ist damit Tatbestandsmerkmal und nicht ggf gesondert anzuknüpfende Vorfrage. Auf diese Weise kommen die Definitionsnormen als Sachrecht auf Auslandssachverhalte zur Anwendung. Die ausländischem Recht unterliegenden Rechtsverhältnisse der betroffenen Unternehmen sind dann entsprechend den Merkmalen der Begriffe zu gewichten (Substitution),279 zB die Einordnung von Unternehmensverträgen, die Bestimmung von Abhängigkeitsmerkmalen etc. Für dieses Vorgehen spricht auch der Gegenschluss aus § 19 Abs 1, wonach ausdrücklich nur inländische Kapitalgesellschaften als durch wechselseitige Beteiligung im technischen Sinn verbundene Unternehmen in Betracht kommen.
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273 4. Aufl Assmann Einl Rdn 551 mwN; von Bar Internationales Privatrecht Bd II, 1991, Rdn 621 f; Erman/Hohloch BGB14 Einl Art 3 – 47 EGBGB Rdn 58; KK/Koppensteiner3 Vor § 15 Rdn 114. – Zur (überholten) sog Kontrolltheorie vgl MünchKomm-BGB/Kindler6 IntGesR Rdn 352 ff – Zur Bestimmung des centre of main interest (COMI) iSd EuInsVO EuGH 2.5.2006 C-341/04 (Eurofood). 274 So Ulmer/Habersack/Löbbe/Behrens/Hoffmann GmbHG2 Einl Rdn B 120; MünchKomm-BGB/Kindler6 IntGesR Rdn 681 ff; Erman/Hohloch BGB14 Anh II Art 12 EGBGB Rdn 17; Wiedemann Gesellschaftsrecht I § 14 III 1 mwN; Zimmer Internationales Gesellschaftsrecht, 1996, S 370 ff. 275 v Bar Internationales Privatrecht Bd II 1991 Rdn 649; Scholz/Emmerich GmbHG11 Anh § 13 Rdn 78 f; Junker Internationales Arbeitsrecht im Konzern, 1992, S 33 mit Hinweis auf die Holzmüller-Entscheidung als Beispiel für eine Regel, die die Gesellschafter der Obergesellschaft schützt und deshalb deren Gesellschaftsstatut unterliegt; Kindl ZEuP 1994, 77, 96 f; KK/Lutter/Drygala3 § 71d 136; Spindler/Stilz/Cahn3 § 71d Rdn 31, jeweils betr Erwerb von Aktien der Muttergesellschaft durch eine Tochtergesellschaft; Zimmer Internationales Gesellschaftsrecht, 1996, S 410 zum Erfordernis der Hauptversammlungszustimmung nach § 293 Abs 2. 276 EuGH 20.6.2013 C-186/12 Rdn 32 (Impacto Azul); MünchKomm-BGB/Kindler6 IntGesR Rdn 687. 277 Anders Art 3 Abs 6 der EG-Richtlinie über die Einsetzung eines europäischen Betriebsrats ABlEG 30.9.1994 L 254 S 64: „Maßgebend für die Feststellung, ob ein Unternehmen ein „herrschendes Unternehmen“ ist, ist das Recht des Mitgliedstaats, dem das Unternehmen unterliegt.“ 278 Für Einbezug 4. Aufl Hopt/Roth § 100 Rdn 39; MünchKomm/Habersack4 § 100 Rdn 19; Schmidt/Lutter/Drygala3 § 100 Rdn 6; Weller ZGR 2010, 679, 706 f; dagegen Hüffer/Koch11 § 100 Rdn 10; KK/Mertens/Cahn3 § 100 Rdn 29. 279 MünchKomm-BGB/v Hein6 Einl IPR Rdn 227 ff; Erman/Hohloch BGB14 Einl Art 3–47 EGBGB Rdn 58; KK/Koppensteiner3 Rdn 114; als Anwendungsbeispiel OLG Stuttgart JZ 1995, 795 zu § 5 Abs 3 MitbestG; dazu Zimmer Internationales Gesellschaftsrecht, 1996, S 158 ff; – vgl zB § 65 Abs 2 Satz 3 Nr 4 AWV mit der Verweisung auf § 15 betr Vermögen von Ausländern im Inland.
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V. Rechtsvergleichung 1. Allgemeines. Die Regelungsansätze, mit denen die verschiedenen Rechtsord- 73 nungen der Gruppierung von Unternehmen begegnen, sind sehr unterschiedlich. Bei der Umsetzung der 7. Richtlinie über den konsolidierten Abschluss wurde teilweise eine deutliche Distanzierung der Bilanzvorschriften vom materiellen Gesellschafts- und Steuerrecht angebracht;280 jedenfalls ist das weltweite Erfordernis der konsolidierten Rechnungslegung zur Kapitalmarktinformation kein Gradmesser für die gesellschaftsrechtliche Erfassung von Unternehmensgruppen. Ein ausformuliertes Konzernrecht wie im AktG ist eher selten. Häufiger sind einzelproblemorientierte Lösungen, die etwa bei Haftungserstreckung, Mehrheits-/Minderheitskonflikten, Geschäftsführungskompetenzen, Pflichtendefinitionen, Publizität etc ansetzen und entweder mit für die konkrete Fragestellung geschaffenen Definitionen oder mit Fallgruppen arbeiten. Übergreifende, abstrakte Vorwegdefinitionen gibt es dann naturgemäß nicht, jedoch lässt sich auch in den Rechtsordnungen, die ein „Konzernrecht“ nicht kennen, herausarbeiten, an welche Arten von Gruppierungen besondere Rechtsfolgen geknüpft werden. Die unterschiedlichen Ansätze erschweren den Rechtsvergleich, da schon der Vergleichsgegenstand nicht einheitlich bestimmt werden kann.281 Besonderes Verdienst kommt daher den Arbeiten des Forum Europaeum (Fn 24) zu. Am wenigsten geläufig sind vertragliche Unternehmensverbindungen; der Vertragskonzern kann als deutsche Erfindung bezeichnet werden.282 Auch der Begriff der einheitlichen Leitung hat außerhalb Deutschlands nicht Fuß fassen können.283 In den europäischen nationalen Rechtsordnungen verlangt die Anknüpfung je nach Anwendungsbereich qualifizierte Tatbestände, dh vergleichsweise enge Verbindungen, während im Gemeinschaftsrecht die Beherrschungsmöglichkeit, ausgedrückt durch Stimmrechtsmehrheit, als relevantes Tatbestandsmerkmal dominiert (Rdn 24, 63 ff). In Regelungsbereichen außerhalb des Gesellschaftsrechts, zB Bankrecht oder Kapitalmarktrecht, setzt sich die Beachtung bedeutender Beteiligungen unterhalb der Mehrheit zunehmend durch. Die für das deutsche Recht typische Anknüpfung an einen eigentümlich definierten 74 Unternehmensbegriff (Windbichler § 15 Rdn 10 ff) findet sich in anderen Rechtsordnungen kaum. In ökonomisch orientierten Ansätzen wird aber zwischen natürlichen Personen und corporate shareholders unterschieden und bei letzteren eine erleichterte Haftungserstreckung gefordert.284 Auch spezialgesetzliche Regelungen schließen teilweise
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280 ZB Ministère des Affaires Economiques, Moniteur Belge 27.3.1990 S 5675, 5676. 281 Zu den Schwierigkeiten der Konzernrechtsvergleichung insbesondere Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 311; ders FS Hommelhoff, 2012, S 135, 154; Schanze in: Mestmäcker/ Behrens (Hrsg) Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 473; Cozian/ Viandier/Deboissy Droit des sociétés27 Rdn 1581 vergleichen den an Einzelproblemen orientierten Ansatz mit „l’image chaotique d’un jardin à l’anglaise“; Le Cannu/Dondero Droit des sociétés6 Rdn 1503: „impressionisme“; – weitere Nachweise zur Konzernrechtsvergleichung im eingangs aufgeführten Schrifttum. 282 Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 343; Falcke Konzernrecht in Frankreich, 1996, S 20 f; Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672, 682: Vorarbeiten zur Harmonisierung, die sich an der deutschen Unterscheidung zwischen Vertrags- und faktischem Konzern orientierten, sind gescheitert; Kalss/Nowotny/Schauer Österreichisches Gesellschaftsrecht, 2008, Rdn 3/ 930. 283 Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 353 mwN; Neye ZGR 1995, 191, 195; s auch Buxbaum/Hopt Legal Harmonization and the Business Enterprise, 1988, S 188, die davon abraten, die deutsche Regelung zum Modell zu nehmen; das Merkmal der einheitlichen Leitung enthalten aber § 15 öAktG und § 244 Abs 1 öUGB. 284 Easterbrook/Fischel The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S 56 f mwN.
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natürliche Personen vom Anwendungsbereich aus,285 während im Kapitalmarktrecht keine Differenzierung unter den Anteilsinhabern vorgenommen wird. Ein umfassender Rechtsvergleich würde den Rahmen der Kommentierung sprengen; 75 dazu muss auf Spezialliteratur verwiesen werden.286 Eine vergleichende Betrachtung der rechtlichen Erfassung von Unternehmensgruppen orientiert sich an Problemkreisen bzw einzelnen Fragestellungen, da es in anderen Rechtsordnungen ein statusbezogenes Konzernrecht wie im AktG 1965 selten gibt bzw einer anderen Systematik folgt.287 Das Phänomen der Unternehmensverbindungen ist praktisch nicht weniger verbreitet; auftretende Probleme werden aber meist mit dem Instrumentarium des allgemeinen (Gesellschafts-)Rechts angegangen.288 Das Gewicht der jeweiligen Regelung als wegweisend hängt weniger vom rechtlich ausgefeilten Stand ab als vom prägenden Einfluss kraft Marktbedeutung. 2. Rechtsordnungen mit ausgeprägten Vorschriften für Unternehmensgruppen. Österreich hat im Wesentlichen die Vorschriften des AktG 1937 beibehalten, das in seinem § 15 eine erste Konzerndefinition enthielt. Unternehmensverträge, deren Abschluss die Zustimmung der Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit erfordert, entsprechen weitgehend dem deutschen Muster; spezielle Vorschriften für faktische Konzerne fehlen.289 Die Konzernrechnungslegung ist außerhalb des öAktG im UGB angesiedelt, dessen § 244 die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses regelt. Dort wird sowohl an die einheitliche Leitung als auch, richtlinienkonform, an das controlKonzept angeknüpft. § 228 UGB definiert „verbundene Unternehmen“ durch Verweis auf die Pflicht zur Vollkonsolidierung.290 Portugal hat nach rechtsvergleichenden Vorarbeiten und im Zusammenhang mit dem 77 EG-Beitritt 1986 ein Gesetzbuch über Handelsgesellschaften (código das sociedades comerciais) verabschiedet, das in seinem sechsten Abschnitt das Recht der verbundenen Unternehmen regelt.291 Der Anwendungsbereich ist auf Kapitalgesellschaften beschränkt. Art 482 zählt die relevanten Unternehmensverbindungen auf und folgt dem control-Konzept. Auch Unternehmensverträge sind im Sinne einer Art Konzernverfassung geregelt; deren praktische Bedeutung erscheint jedoch begrenzt.292 Ebenfalls im Zuge des politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesses haben Slowenien, Polen,293 Ungarn294 und
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285 Zum Bankrecht etwa Blumberg Law of Corporate Groups. Problems of Parent and Subsidiary Corporations Under Statutory Law Specifically Applying Enterprise Principles, 1992, S 3: The idea is to exclude individuals … 286 Nachweise bei Emmerich/Habersack Konzernrecht10 § 1 Vor Rdn 42. 287 Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 338, 342 f; Falcke Konzernrecht in Frankreich, 1996, S 24 ff; Schanze in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg) Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 473, 486 ff; Wymeersch AG 1995, 299, 310. 288 Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 349: größeres „Grundvertrauen“ in das allgemeine Recht; Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672, 680. 289 Kalss/Nowotny/Schauer Österreichisches Gesellschaftsrecht, 2008, Rdn 3/926 ff; KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 127. 290 Kalss/Nowotny/Schauer Österreichisches Gesellschaftsrecht, 2008, Rdn 3/928 ff. 291 Antunes ECFR 2005, 323, 372 ff; umfassend Gause Europäisches Konzernrecht im Vergleich, 2002; es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass dort zu den Vorbildern auch der später aufgegebene Vorentwurf für eine Konzernrechtsrichtlinie (Rdn 7) gehörte, Antunes aaO S 324 f; Gause aaO S 160. 292 Gause Europäisches Konzernrecht im Vergleich, 2002, S 88 ff, 161; sehr kritisch Antunes ECFR 2005, 323, 376 f: „No wonder that this regulatory strategy has failed“. 293 Bewusst weniger detailliert als das deutsche Recht, Cierpial-Magnor WiRO 2014, 97 f; das Konzept des Vertragskonzerns wurde aber eingeführt, Schubel Gestaltungsfreiheit und Gestaltungsgrenzen im polnischen Vertragskonzernrecht, 2010. 294 Baumann Das Konzernrecht Ungarns, 2011.
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Tschechien295 Konzernvorschriften als mehr oder minder eklektisches legal transplant übernommen.296 Italien hat in einem Reformgesetz zum Gesellschaftsrecht des codice civile 2001 und 78 Ausführungsverordnungen dazu, in Kraft getreten zum 1.4.2004, Vorschriften über die Leitung und Koordinierung von Gesellschaftsgruppen erlassen.297 Gleichwohl gibt es keine gesetzliche Definition der Unternehmensgruppe (gruppo); der Begriff der Kontrolle (controllo) kommt in verschiedenen Rechtgebieten mit unterschiedlicher Bedeutung vor. Nach Art 2359 codice civile wird die Kontrolle durch die Stimmenmehrheit oder tatsächlich beherrschenden Einfluss in der ordentlichen Hauptversammlung definiert; es kommen auch besondere vertragliche Bindungen in Betracht. Der bilanz- und kapitalmarktrechtliche Kontrollbegriff ist demgegenüber erheblich weiter.298 Die materiellen Vorschriften betr Leitung und Koordinierung der Gruppe stellen auf tatsächlich ausgeübten Einfluss ab, der bei Kontrolltatbeständen (widerleglich) vermutet wird. Rechtsfolgen betreffen Publizität und Haftung. Als Vorbild dienten zT die branchenspezifischen Vorschriften aus dem Bankensektor. Die Türkei hat im Zuge ihrer Handelsrechtsreform 2011 einen speziellen Abschnitt 79 über Unternehmensgruppen eingefügt, der dem control-Konzept folgt; Vertragskonzerne sind nicht vorgesehen.299 Damit soll der Realität, dass die Unternehmensgruppe Normalfall und für internationale Investitionen unerlässlich ist, Rechnung getragen und Schutzbedarf gedeckt, transparente Organisationsstrukturen und ein safe harbor für Geschäftsleiter abhängiger Unternehmen geschaffen werden.300 3. Rechtsordnungen mit punktueller Berücksichtigung von Unternehmens- 80 gruppen. Der UK Companies Act enthält im Abschnitt Auslegungsbestimmungen in sec 1159 ff Definitionen für subsidiary, holding company, parent undertaking und verwandte Begriffe, auf die sich einzelne Regelungen beziehen, zB das Verbot des Erwerbs von Aktien der Muttergesellschaft durch die Tochter oder die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses.301 Der Begriff company wird dabei sehr weit verstanden.302 Der Anhang 6 zum Companies Act enthält weitere Begriffserklärungen. Entscheidend sind neben der Mitgliedschaft die Mehrheit der Stimmrechte, das Recht, die Mehrheit des Verwaltungsrates zu bestimmen, oder die Kontrolle der Stimmrechtsmehrheit auf vertraglicher Grundlage. Materiellrechtlich können sich Gruppensachverhalte als Anwendungsfälle des Mehrheits-/Minderheitskonflikts, Durchgriffs, des shadow directors und des wrongful trading zeigen.303
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295 Reformiert 2013 im Sinne des Rozenblum-Konzepts, aber mit strenger Haftung für nachteilige Einflussnahme im Übrigen, Havel ECFR 2015, 19, 32 ff. 296 Dazu KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 117 ff; – zu legal transplants allgemein Fleischer NZG 2004, 1129. 297 Kapitel IX (Art 2497 – 2497-sexies) codice civile sowie einzelne Regelungen im Aktienrecht des codice civile; umfassend, auch zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingung und zur Vorgeschichte, Mohn Die Gesellschaftsgruppe im italienischen Recht, 2012; ferner Cariello ECFR 2006, 330; Witt ZGR 2009, 872, 918 ff. 298 Dazu näher Mohn Die Gesellschaftsgruppe im italienischen Recht, 2012, S 35 ff. 299 Tekinalp FS Canaris II, 2007, 849; ders FS Hopt, 2010, S 143. 300 Tekinalp FS Canaris II, 2007, 849, 850 f. 301 Alle Texte erhältlich unter www.legislation.gov.uk; vgl auch Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 39. 302 Schall/Korom Companies Act, 2014, sec 1159 Rdn 4, meint darin die Deckung mit dem Unternehmensbegriff des § 15 erkennen zu können; zweifelhaft ist aber, ob auch natürliche Personen unter den weiten Begriff der company fallen können. Auch undertaking iSd sec 1161 CA schließt wohl natürliche Personen aus. 303 KK/Koppensteiner3 Rdn 122; Lübking Ein einheitliches Konzernrecht für Europa, 2000, S 160 ff; anders zum shadow director Schall/W Doralt Companies Act, 2014, sec 251 Rdn 3: „kein Konzernrecht“.
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Vor §§ 15ff | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
Der französische Code de commerce304 definiert in Art L 233–1 Tochtergesellschaft (filiale) als eine Gesellschaft, an der eine andere Gesellschaft mehr als die Hälfte der Anteile hält. Ein Kontrollverhältnis (une société contrôlant une autre) wird angenommen bei direkter oder indirekter Kapitalbeteiligung, die die Stimmrechtsmehrheit vermittelt, einer Stimmrechtsmehrheit auf der Grundlage von Verträgen mit anderen Gesellschaftern, die dem Gesellschaftsinteresse nicht widersprechen, Stimmrechten, die faktisch die Entscheidungen der Hauptversammlung bestimmen, oder dem Recht, die Mehrheit des Verwaltungsrates, des Aufsichtsrates oder der Geschäftsführung zu bestimmen, Art L 233–3 (Fassung 2005). Der unmittelbare Anwendungsbereich ist begrenzt. Die Definition für das Bilanzrecht, Art L 233–16 C com, ist breiter. Andere Rechtsgebiete verwenden ihre eigenen Definitionen.305 Im Arbeitsrecht spielt die tatsächliche Beherrschung eine besondere Rolle, im kollektiven Arbeitsrecht unter dem Begriff der unité économique et sociale.306 Tendenziell steht das französische Recht den Unternehmensgruppen als flexibel und international konkurrenzfähige Organisation wirtschaftlicher Aktivitäten positiv gegenüber;307 das Groupement d’interêt économique (GIE), Modell für die EWIV, kann als schwacher Vorläufer gesehen werden. Großes internationales Echo hat eine strafrechtliche Entscheidung gefunden, die (theoretisch) dem Geschäftsleiter einer abhängigen Gesellschaft zugesteht, eine für die Gesellschaft nachteilige Maßnahme zu treffen, wenn diese innerhalb einer strukturell verfestigten Gruppe mit einer kohärenten Politik und gruppenintern ausgewogener Verteilung von Lasten und Vorteilen erfolgt, sog Rozenblum-Doktrin.308 Im konkret entschiedenen Fall waren diese Voraussetzungen gerade nicht gegeben; als Verteidigung bei Insolvenzdelikten wurde das Gruppeninteresse nicht zugelassen.309 Als Quelle für eine allgemeine Anerkennung eines vorrangigen „Konzerninteresses“ erscheint das Urteil daher wenig geeignet, das Konzept wird überschätzt.310 82 In der Schweiz gibt es ebenfalls kein kohärentes Konzernrecht, wohl aber Definitionen im Obligationenrecht und für andere Rechtsgebiete; die gesetzlichen Begriffe werden als völlig unsystematisch in der ganzen Rechtsordnung verstreut bezeichnet.311 OR 663e bezeichnet als „Konzern“ die Zusammenfassung einer oder mehrerer Gesellschaften durch eine andere Gesellschaft unter einheitlicher Leitung mittels Stimmenmehrheit oder auf andere Weise.312 Das steht dem deutschen § 18 näher als dem sonst dominierenden controlKonzept. Die Rechtsprechung hat sich insbesondere mit Fragen der Vertrauenshaftung auf der Grundlage von Konzernverbindungen und Durchgriffslösungen beschäftigt.313 81
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304 Alle Texte erhältlich unter www. legifrance.gouv.fr. 305 Zur mangelnden Kohärenz Cozian/Viandier/Deboissy Droit des Sociétés27, 2012, Rdn 1580 f („l’image chaotique d’un jardin à l’anglaise“); LeCannu/Dondero Droit des sociétés6, 2015, Rdn 1503 („une réglementation impressioniste“). 306 Cozian/Viandier/Deboissy Droit des Sociétés27, 2012, Rdn 1589 ff; LeCannu/Dondero Droit des sociétés6, 2015, Rdn 1545; Teichmann Die Gesellschaftsgruppe im französischen Arbeitsrecht, 1999, S 57 ff, 69 ff (Arbeitgeberpflichten), S 243 ff, 260 ff (Betriebsverfassung, unité économique et sociale); vgl auch Antonmattei/Derue/Jourdan/Fabre/Morand/Vachet/Verkindt L’unité économique et sociale, 2011. 307 LeCannu/Dondero Droit des sociétés6, 2015, Rdn 1503. 308 Cozian/Viandier/Deboissy Droit des Sociétés27, 2012, Rdn 1586; LeCannu/Dondero Droit des sociétés6, 2015, Rdn 1582; Lutter FS Kellermann, 1991, S 257, 260 ff; Falcke Konzernrecht in Frankreich, 1996, S 36 ff; Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672, 705 ff. 309 Cozian/Viandier/Deboissy Droit des Sociétés27, 2012, Rdn 1586 S 784 aE; LeCannu/Dondero Droit des sociétés6, 2015, Rdn 1582 aE. 310 Habersack NZG 2004, 1, 8 f; Lübking Ein einheitliches Konzernrecht für Europa, 2000, S 144 ff, 155, 294; Windbichler FS Ulmer, 2003, S 683, 696 ff; differenzierend Mülbert ZHR 179 (2015), 645, 657 ff. 311 von Büren Schweizerisches Privatrecht Bd VIII/6, Der Konzern2, 2005, S 5 ff, zur heterogenen Terminologie in der Rechtsprechung des Bundesgerichts S 11 f. 312 Druey Gesellschafts- und Handelsrecht, 2010, § 1 Rdn 87 ff. 313 Druey Gesellschafts- und Handelsrecht, 2010, § 1 Rdn 90 ff; KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 129.
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Verbundene Unternehmen | § 15
In den USA haben sich Literaturvorschläge zur Betrachtung der Unternehmens- 83 gruppe als (auch rechtlich relevante) Einheit – enterprise theory314 – nicht durchgesetzt. Materiell werden Konzernfragen in den Gesellschaftsrechten der Einzelstaaten unter den Gesichtspunkten der Gesetzesumgehung und des Durchgriffs, der Geschäftschancenlehre, des Umwandlungsrechts und allgemein des Mehrheits-/Minderheitskonflikts behandelt.315 Für kapitalmarktorientierte Unternehmen greift das Bundes-Kapitalmarktrecht, gruppenrelevant vor allem im Bereich von freezeout und squeezeout sowie Übernahmen.316 § 15 Verbundene Unternehmen Windbichler
§ 15 Verbundene Unternehmen Verbundene Unternehmen sind rechtlich selbständige Unternehmen, die im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (§ 16), abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17), Konzernunternehmen (§ 18), wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 19) oder Vertragsteile eines Unternehmensvertrags (§§ 291, 292) sind.
I.
II.
Systematische Übersicht Allgemeines | 1 1. Unternehmen als Ausgangspunkt | 1 2. Gesetzestechnik | 2 3. Bedeutung | 4 a) Im AktG | 4 b) Außerhalb des AktG | 6 Unternehmensbegriff | 10 1. Auslegungsmaßstäbe | 11 2. Rechtliche Selbständigkeit | 14 3. Rechtsform | 15 a) Rechtsformneutralität als Grundsatz | 15 b) Bedeutung der Rechtsform | 17 4. Einzelfragen | 22 a) Einzelkaufleute | 22 b) Freiberufler | 23 c) Andere natürliche Personen | 24 d) Juristische Personen, die nicht Handelsgesellschaften sind | 25 e) Juristische Personen und Sondervermögen des öffentlichen Rechts | 27 5. Unternehmenseigenschaft kraft Beteiligung | 31 a) Einfache Beteiligung | 31
b)
III.
Beteiligung an mehreren Gesellschaften | 32 c) Umfang einer maßgeblichen Beteiligung: Mehrheit, Sperrminorität | 36 d) Andere maßgebliche Beteiligungen | 38 6. Zurechnungsfragen | 44 a) Treuhandverhältnisse | 45 b) Personenmehrheiten | 47 7. Unternehmensbegriff in anderen Vorschriften | 49 a) HGB | 50 b) GWB | 51 c) EU-Recht | 53 d) Andere Vorschriften | 54 Die einzelnen Unternehmensverbindungen | 56 1. Mehrheitsbesitz und Mehrheitsbeteiligung (§ 16) | 58 2. Abhängigkeit und Beherrschung (§ 17) | 59 3. Konzern (§ 18) | 60 4. Wechselseitige Beteiligung (§ 19) | 61 5. Unternehmensverträge (§§ 291, 292) | 62
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314 Insbesondere Blumberg Law of Corporate Groups, Boston 1985 ff (7 Bde); vgl Merkt/Göthel USamerikanisches Gesellschaftsrecht2, 2006, Rdn 397 mit Fn 62. 315 Merkt/Göthel US-amerikanisches Gesellschaftsrecht2, 2006, Rdn 394 ff mwN, 929 f. 316 Merkt/Göthel US-amerikanisches Gesellschaftsrecht2, 2006, Rdn 1150 ff, 1270 ff, 1313 ff.
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§ 15 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
Schrifttum Siehe auch die Angaben zur Vorbemerkung vor §§ 15 ff; Albath Unternehmensbeteiligungen unter 25% Kapitalanteil, 1988; Bayer Der an der Tochter beteiligte Mehrheitsgesellschafter der Mutter: herrschendes Unternehmen?, ZGR 2002, 933; G Bezzenberger/Schuster Die öffentliche Anstalt als abhängiges Konzernunternehmen, ZGR 1996, 481; Boëtius Großaktionäre als außenstehende Aktionäre, DB 1972, 1220; Bolsenkötter Zum aktienrechtlichen Begriff des Unternehmens, DB 1967, 1098; Borggräfe Die Qualifizierung von Gebietskörperschaften als „Unternehmen“ im Sinne der konzernrechtlichen Bestimmungen des Aktiengesetzes, DB 1978, 1433; Burgard Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht, 2006; Cahn Die Holding als abhängiges Unternehmen?, AG 2002, 30; Cannivé Der Staat als Aktionär, NZG 2009, 445; Clausen Verbundene Unternehmen im Bilanz- und Gesellschaftsrecht, 1992; v Detten Die eingetragene Genossenschaft im Recht der verbundenen Unternehmen, 1995; Dielmann Die Beteiligung der öffentlichen Hand an Kapitalgesellschaften und die Anwendbarkeit des Rechts der verbundenen Unternehmen, 1977; Ederle Verdeckte Beherrschungsverträge, 2010; Ehlers Die Anstalt öffentlichen Rechts als neue Unternehmensform der kommunalen Wirtschaft, ZHR 167 (2003), 546; Ehinger Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts als herrschendes Unternehmen, 2000; ders Die Unternehmensqualität der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, DZWiR 2000, 322; Ellerich Zur Bedeutung und den Auswirkungen der aktienrechtlichen Unternehmenseigenschaft der öffentlichen Hand unter Berücksichtigung ökonomischer Gesichtspunkte, 1980; Emmerich Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, 1969; ders Die öffentliche Unternehmung im deutschen Konzern- und Wettbewerbsrecht, AG 1976, 225; Engelhardt Die Einflußnahme der Kommunen auf ihre Kapitalgesellschaften, 1995; W Everling Konzernführung durch eine Holdinggesellschaft, DB 1981, 2549; Fett Öffentlich-rechtliche Anstalten als abhängige Konzernunternehmen, 2000; Geßler Das „Unternehmen“ im Aktiengesetz, FS Knur, 1972, S 145; ders Überlegungen zum faktischen Konzern, FS Flume, 1978, Bd II S 55; Olaf Gierke Die Wirtschaftstätigkeit nichtwirtschaftlicher Organisationen, 2004; Großfeld Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit im System der Unternehmensformen, 1985; ders/Berndt Die eingetragene Genossenschaft im Konzern, AG 1998, 116; Grunewald Die Haftung der Mitglieder bei Einflussnahmen auf abhängige eingetragene Vereine, FS T Raiser, 2005, S 99; Hefermehl Der Aktionär als „Unternehmen“ im Sinne des Konzernrechts, FS Geßler, 1971, S 203; Heinzelmann Die Stiftung im Konzern, 2003; Hohrmann Der Staat als Konzernunternehmer, 1983; Ihrig/Wandt Die Stiftung im Konzernverbund, FS Hüffer, 2012, S 387; Immenga Wettbewerbsbeschränkung durch Minderheitsbeteiligungen, FS Benisch, 1989, S 327; Joussen Gesellschafterabsprachen neben Satzung und Gesellschaftsvertrag, 1995; ders Die konzernrechtlichen Folgen von Gesellschaftervereinbarungen in einer Familien-GmbH, GmbHR 1996, 574; ders Gesellschafter-Konsortien im Konzernrecht, AG 1998, 329; Klosterkemper Abhängigkeit von einer Innengesellschaft, 2004; Koch Kommunale Unternehmen im Konzern, DVBl 1994, 667; Kohl Brauchen wir ein Stiftungskonzernrecht?, NJW 1992, 1922; Koppensteiner Zur Anwendung konzerngesellschaftsrechtlicher Normen auf die Bundesrepublik, ZGR 1979, 91; ders Definitionsprobleme im Konzern-Gesellschaftsrecht, SchweizAG 1985, 74; ders Bankenaufsicht und Bankengruppen, 1991; ders Zur konzernrechtlichen Behandlung von BGB-Gesellschaften und Gesellschaftern, FS Ulmer, 2003, S 349; ders Über Zurechnungskriterien im Gesellschaftsrecht, FS K Schmidt, 2009, S 927; Kort Der „private“ Großaktionär als Unternehmer? DB 1986, 1909; Kronke Stiftungstypus und Unternehmensträgerstiftung, 1988; Kropff „Verbundene Unternehmen“ im Aktiengesetz und im Bilanzrichtlinien-Gesetz, DB 1986, 364; ders Zur Anwendung des Rechts der verbundenen Unternehmen auf den Bund, ZHR 144 (1980) 74; ders Verbundene Unternehmen im Bilanzrecht, FS Ulmer, 2003, S 842; Kühl/Wagner Das Insolvenzrisiko der Gläubiger kommunaler Eigengesellschaften, ZIP 1995, 433; Künnemann Die Stiftung im System des Unterordnungs-Konzerns, 1995; Kulka Der Freiberufler-Konzern, ZIP 1994, 45; Langen Der Anlehnungsvertrag, NJW 1974, 929; Leuschner Das Konzernrecht des Vereins, 2011; Luchterhandt Der Begriff „Unternehmen“ im Aktienrecht 1965, ZHR 133, (1969) 149; Lutter/Timm Zum VEBA/Gelsenberg-Urteil des Bundesgerichtshofs, BB 1978, 836; Mertens Verpflichtung der Volkswagen AG einen Bericht gemäß § 312 AktG über ihre Beziehungen zum Land Niedersachsen zu erstellen?, AG 1996, 241; Miegel Der Unternehmensbegriff im Recht der verbundenen Unternehmen, AG 1973, 122; Milde Der Gleichordnungskonzern im Gesellschaftsrecht, 1996; Mülbert Unternehmensbegriff und Konzernorganisationsrecht, ZHR 163 (1999), 1; Nesselmüller Rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten der Gemeinden auf ihre Eigengesellschaften, 1977; Neumann/Rux Einbindung öffentlich-rechtlicher Einrichtungen in einen privatrechtlichen Konzern? DB 1996, 1659; Nordmeyer Der Unternehmensbegriff im Konzernrecht, 1970; Paschke Die kommunalen Unternehmen im Lichte des GmbH-Konzernrechts, ZHR 152 (1988), 263; ders Der Zusammenschlußbegriff des Fusionskontrollrechts,
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Verbundene Unternehmen | § 15
1989; Pentz Die verbundene AG als außenstehender Aktionär, AG 1996, 97; Petersen/Zwirner Unternehmensbegriff, Unternehmenseigenschaft und Unternehmensformen, DB 2008, 481; Preußner/Fett Hypothekenbanken als abhängige Konzernunternehmen, AG 2001, 337; Raiser Konzernverflechtungen unter Einschluß öffentlicher Unternehmen, ZGR 1996, 458; Reul Das Konzernrecht der Genossenschaften, 1997; Rittner Der Staat – ein Unternehmen im Sinne des Aktiengesetzes?, FS Flume, 1978, Bd II S 241; Rombach Öffentliche Unternehmen und passive Konzernierung, in: Wege zum Steuerrecht, 1991, S 85; Rubner Der Privataktionär als Partei eines Beherrschungsvertrags, Der Konzern 2003, 735; Ruwe Die BGB-Gesellschaft als Unternehmen iS des Aktienkonzernrechts, DB 1988, 2037; Schachtschneider Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986; Scharfer Wann ist der Großaktionär ein Unternehmen?, NJW 1967, 1741; K Schmidt „Unternehmen“ und „Abhängigkeit“: Begriffseinheit und Begriffsvielfalt im Kartell- und Konzernrecht, ZGR 1980, 277; ders Konzernhaftung von freiberuflichen Mehrfachgesellschaftern?, ZIP 1994, 1741; ders Die wundersame Karriere des Unternehmensbegriffes im Reich der Konzernhaftung, AG 1994, 189; ders Unternehmensbegriff und Vertragskonzern, FS Koppensteiner, 2001, S 191; M Schneider Die Gebietskörperschaften als Konzernspitze, 1985; UH Schneider Die Personengesellschaft als herrschendes Unternehmen im Konzern, ZHR 143 (1979) 485; ders Auf dem Weg in den Pensionskassenkorporatismus? AG 1990, 317; Schön Der Einfluß öffentlich-rechtlicher Zielsetzungen auf das Statut privatrechtlicher Eigengesellschaften der öffentlichen Hand – gesellschaftsrechtliche Analyse, ZGR 1996, 429; D Schuster Konzern- und verfassungsrechtliche Probleme der Privatisierung öffentlicher Unternehmen – dargestellt am Beispiel der Berliner Wasserbetriebe, FS W Müller, 2001, S 135; Schwintowski Die Stiftung als Konzernspitze?, NJW 1991, 2736; Siegels Die Privatperson als Konzernspitze, 1997; Timm Übersehene Risiken bei der Privatisierung und Betriebsveräußerung durch die Treuhandanstalt, FS Semler 1993, S 611; Ulmer Begriffsvielfalt im Recht der verbundenen Unternehmen als Folge des Bilanzrichtlinien-Gesetzes, FS Goerdeler, 1987, S 623; Veil Unternehmensverträge, 2003; Wandt Die Begrenzung der Aktionärsrechte der öffentlichen Hand, 2005; H S Werner Die Grundbegriffe der Unternehmensverbindungen der Konzerngesellschaften, JuS 1977, 141; Wiedemann/ Martens Die Unternehmensqualifikation von Gebietskörperschaften im Recht der verbundenen Unternehmen, AG 1976, 197, 232; Wilhelm Öffentlichkeit und Haftung bei Aufsichtsräten in einer kommunalen GmbH, DB 2009, 944; Würdinger Der Begriff Unternehmen im Aktiengesetz, FS Kunze, 1969, S 177; ders Öffentliche Hand und Unternehmen, DB 1976, 613; Zilias Zum Unternehmensbegriff im neuen Bilanzrecht (Drittes Buch des HGB), DB 1986, 1110; Zöllner Zum Unternehmensbegriff der §§ 15 ff AktG, ZGR 1976, 1; ders Zur aktienrechtlichen Unternehmenseigenschaft der Bundesrepublik Deutschland, AG 1978, 40.
I. Allgemeines 1. Unternehmen als Ausgangspunkt. Das AktG geht davon aus, dass die Einfluss- 1 nahme durch ein Unternehmen eine grundsätzlich andere Qualität besitzt als die Beeinflussung durch einen privaten Mehrheitsaktionär und deshalb einer gesonderten Regelung bedarf.1 Damit unterscheidet es sich von der Behandlung entsprechender Probleme in anderen Ländern und im EU-Recht, die nicht vom Tatbestandsmerkmal „Unternehmen“ ausgehen, auch wenn darin die Hauptanwendungsfälle bestehen.2 Ob der Ausgangspunkt des Gesetzgebers noch aktuell ist, mag bezweifelt werden.3 Er hindert
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1 BegrRegE bei Kropff AktG S 39 ff, 42; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 10; K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 31 II 1; Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 3 mwN. 2 Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 73 ff; das WpHG verzichtet zB richtlinienkonform, anders als § 20, auf die Beschränkung der Meldepflichten auf Unternehmen. 3 BegrRegE bei Kropff AktG S 27; vgl schon Flume Grundfragen der Aktienrechtsreform, 1960, S 45 f; zu Reformvorschlägen vgl Geßler/Kropff Vor §§ 311–318 Rdn 24 f; – für die Beibehaltung des Unternehmensbegriffs mit weniger extensiver Definition K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 420, 432; kritisch ders AG 1994, 189, 191 zur Vermischung der Begriffsbestimmung mit der Begründung von Haftungsfolgen; für gänzliche Aufgabe J Vetter in: 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, S 231, 239. Im Insolvenzrecht ist die Unterscheidung zwischen unternehmerischer und sonstiger Beteiligung bei Gesellschafterdarlehen obsolet, vgl § 135 InsO. – In anderen Rechtsordnungen und branchenspezifisch werden natürliche Personen von an „control“ anknüpfenden Vorschriften teilweise ausgenommen, vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 73 ff.
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jedenfalls nicht eine Auslegung, die nicht ausschließlich der Gefährdungsvorstellung verpflichtet ist (Rdn 11; vgl auch Vor § 15 Rdn 36, 41). Die Subsumtion unter den Unternehmensbegriff eröffnet den Zugang zu den speziellen Regelungen und Grundsätzen des Rechts der verbundenen Unternehmen, deren Tatbestandsmerkmale aber im Einzelnen erfüllt sein müssen. Die Kritik an der materiellrechtlichen Entwicklung und der tendenziell weiten Auslegung des Unternehmensbegriffes sind interdependent (Rdn 3, 12). Die Gesetzesfassung lässt jedoch einen gänzlichen Verzicht auf eine abgrenzende Auslegung des Unternehmensbegriffs nicht zu. Problemlösungen, die allgemeiner ansetzen und zB Treupflichten und sonstige mitgliedschaftliche Rechtsbeziehungen als Ausgangspunkt nehmen, werden dadurch aber nicht verhindert. 2. Gesetzestechnik. § 15 bietet einen zusammenfassenden Begriff für die in den nachfolgenden Vorschriften definierten Arten der Unternehmensverbindungen als gesetzessystematisch klar umschriebenes Verweisungsziel für das AktG.4 Die Aufzählung ist daher abschließend, andere Unternehmensverbindungen werden von Vorschriften, die auf § 15 verweisen, nicht erfasst.5 Verbindungen, die in den Definitionsnormen nicht enthalten sind, aber Ähnlichkeiten aufweisen wie etwa bestimmte Verträge (Rdn 62) oder das Verhältnis von Unternehmen zueinander, die im Mehrheitsbesitz desselben Unternehmens ohne Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung stehen, können zur analogen Anwendung von Vorschriften über verbundene Unternehmen führen. Die Frage ist nur anhand der jeweiligen konkreten Regelung, zB Auskunftsverlangen nach § 90 Abs 3, zu entscheiden, nicht formal anhand der Definitionsnorm.6 Das gilt auch für Partner eines Unternehmensvertrages, die nicht Unternehmen sein müssen, zB bei § 292 Abs 1 Nr 2. Verbundene Unternehmen sind nicht nur jeweils zwei in einer bestimmten Beziehung zueinander stehende Unternehmen. Das Gesetz erfasst auch größere, komplexere sowie mittelbare Verbindungen. Das entspricht den Erscheinungsformen in der Praxis, die mehr oder minder dicht verflochtene Gruppen zahlreicher Unternehmen kennt (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 15). Die im Zusammenhang mit der zunehmenden Ausdifferenzierung des materiellen 3 Konzernrechts und des Konzernrechts für andere Unternehmensträgerformen als die AG entwickelten Begriffe, auch der des sog qualifizierten faktischen Konzerns (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 11, 49, 57), sind nur von den Rechtsfolgen und deren dogmatischer Begründung her zu erschließen. Sie sind daher nicht zusammen mit den gesetzlichen Definitionen, sondern im jeweiligen materiellrechtlichen Zusammenhang zu thematisieren. Die Feststellung, ob eine bestimmte Art der Unternehmensverbindung vorliegt, erfolgt ohnehin stets im Kontext der Anwendung anderer Normen; ein isoliertes Feststellungs- oder Statusverfahren gibt es nicht.7 2
3. Bedeutung 4
a) Im AktG ist auf „verbundene(s) Unternehmen“ verwiesen, wenn die in § 15 genannten Unternehmensverbindungen insgesamt erfasst werden sollen bzw das Vorliegen einer der dort genannten Verbindungen zur Auslösung der Rechtsfolge führt. Eine
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4 Hüffer/Koch11 Rdn 1; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 7; MüchKomm/Bayer4 Rdn 4. 5 Geßler/Geßler Rdn 5; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 2; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 4; 3. Aufl Würdinger Anm 3. 6 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 7: Normzweck. 7 Anders zB die Registerpublizität im italienischen Recht, Mohn Die Gesellschaftsgruppe im italienischen Recht, 2012, S 107 ff.
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Verbundene Unternehmen | § 15
Einzelaufzählung wird so vermieden. Die Überschrift zum Dritten Buch bezeichnet den Schwerpunkt der materiellen Regelungen, doch sind auch an anderen Stellen Vorschriften mit Bezug auf verbundene Unternehmen zu finden. Verweisungen bestehen in den folgenden Vorschriften des AktG (Einzelheiten in den jeweiligen Kommentierungen dazu): – § 71 Abs 1 Nr 2 (zulässiger Erwerb von eigenen Aktien, um diese Arbeitnehmern eines verbundenen Unternehmens zum Erwerb anzubieten); – § 71a Abs 1 Satz 2 (zulässige Finanzierung des Erwerbs von Aktien durch Arbeitnehmer der Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens); – § 89 Abs 4 Satz 2 (Kreditgewährung an ein verbundenes Unternehmen, wenn sich in dessen Vertretungsorgan oder Aufsichtsrat ein Vorstandsmitglied, Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter der AG befindet); – § 90 Abs 1 Satz 3 2. Halbs (Berichtspflicht des Vorstands an den Aufsichtsrat bei bedeutenden geschäftlichen Vorgängen in verbundenen Unternehmen); – § 90 Abs 3 Satz 1 (Auskunftsverlangen des Aufsichtsrats über geschäftliche Beziehungen zu verbundenen Unternehmen); – § 115 Abs 3 Satz 2 (Kreditgewährung an ein verbundenes Unternehmen, wenn sich in dessen Vertretungsorgan oder Aufsichtsrat ein Aufsichtsratsmitglied der AG befindet); – § 131 Abs 1 Satz 2 (Auskunftsrecht des Aktionärs über Beziehungen zu verbundenen Unternehmen);8 – § 131 Abs 3 Nr 1 (Auskunftsverweigerungsrecht bei Nachteil für ein verbundenes Unternehmen); – § 145 Abs 6 Satz 2 (Bericht der Sonderprüfer über Tatsachen, deren Bekanntwerden einem verbundenen Unternehmen Nachteile zufügen könnte); – § 192 Abs 2 Nr 3 (bedingte Kapitalerhöhung zur Gewährung von Bezugsrechten an Arbeitnehmer und Geschäftsführungsmitglieder verbundener Unternehmen); – § 293a Abs 2 Satz 1 (Begrenzung der Berichtspflicht betr Tatsachen, deren Bekanntwerden einem verbundenen Unternehmen Nachteile zufügen könnte); – § 312 Abs 1 Satz 1, 2 (Abhängigkeitsbericht); – § 313 (Prüfung des Abhängigkeitsberichts durch den Abschlussprüfer); – § 314 (Prüfung des Abhängigkeitsberichts durch den Aufsichtsrat); – § 315 Satz 1 (Sonderprüfung der geschäftlichen Beziehungen zu einem mit dem herrschenden Unternehmen verbundenen Unternehmen); – Überschrift zu § 316 (kein Abhängigkeitsbericht bei Gewinnabführungsvertrag); – § 318 (Haftung bei fehlerhaftem Abhängigkeitsbericht oder fehlendem Nachteilsausgleich); – § 400 Abs 1 (strafbare unrichtige Darstellung der Beziehungen zu verbundenen Unternehmen, falsche Angaben gegenüber einem Prüfer eines verbundenen Unternehmens).9 Auch ohne ausdrückliche Bezugnahme spielen die gesetzlichen Definitionen als 5 Auslegungsgesichtspunkte eine Rolle. Für die Kapitalschutzvorschriften wird etwa das
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8 Die anschließende Bezugnahme auf das Rechnungslegungsrecht in Satz 3 und 4 sowie der Zweck der Vorschrift legen nahe, dass „Beziehungen zu verbundenen Unternehmen“ nicht als Einschränkung auf den Begriff iSd § 15 zu verstehen ist; str, vgl Kommentierung zu § 131. 9 Die Vorschrift steht im Zusammenhang mit dem Auskunftsrecht nach § 131, ist als Strafvorschrift aber möglicherweise enger auszulegen, vgl Kommentierung zu § 400.
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§ 15 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
Merkmal „verbundene Unternehmen“, auch über den Umweg der „nahestehenden Person“, dafür herangezogen, Leistungen an Dritte oder durch Dritte als verbotene Einlagenrückgewähr oder, bei der GmbH, als stammkapitalangreifende Zahlung zu qualifizieren.10 Die gesetzlichen Begriffsbestimmungen können hier ihre Wirkung als typisierter Kriterienkatalog für Aufgreiftatbestände entfalten (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 38, 47). Andererseits verweist das AktG selbst zur Bezeichnung relevanter Unternehmensverbindungen auch ohne unmittelbare Bedeutung für die Rechnungslegung auf die Vorschriften des HGB, zB in §§ 90 Abs 1 Satz 2, 131 Abs 1 S 4, Abs 4 Satz 3. 6
b) Außerhalb des AktG wird teils auf § 15 verwiesen, teils wird die Wendung „verbundene(s) Unternehmen“ gebraucht. Im letzteren Fall bedarf es stets der genauen Prüfung, ob der aktienrechtliche Begriff gemeint ist, derjenige des HGB oder ein anderer. Daher liegt keine Verweisung vor in den Bilanzvorschriften des HGB, das für das Dritte Buch in §§ 271 Abs 2 und 290 eigenständige Definitionen enthält (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 24, 60). Zu prüfen ist auch, ob dafür die abstrakte oder die im Einzelfall gegebene konkrete Verpflichtung zur Aufstellung eines Konzernabschlusses maßgebend ist.11 Der handelsrechtliche Begriff der verbundenen Unternehmen ist tendenziell enger als der des § 15, hinsichtlich der Zweckgesellschaften, § 290 Abs 2 Nr 4 HGB, aber weiter. Das HGB bedient sich in §§ 271 Abs 1 Satz 4 und 285 Nr 11 der aktienrechtlichen Zurechnungsnorm des § 16 Abs 4. § 319 Abs 3 Nr 1 und 2 HGB (Ausschlussgründe für Wirtschaftsprüfungsgesellschaf7 ten als Abschlussprüfer) verweist nach der Gesetzessystematik auf § 271 Abs 2 HGB, nicht auf § 15.12 Bei § 17 Nr 4 PublG (unrichtige Angaben gegenüber dem Abschlussprüfer eines verbundenen Unternehmens) ist weniger deutlich, ob § 15 oder § 271 Abs 2 HGB gemeint ist.13 Für § 271 Abs 2 HGB spricht die Verweisung in § 5 Abs 1 Satz 2 PublG, der Anwendungsbereich kann aber Unternehmen erfassen, die im Übrigen nicht unter das Dritte Buch des HGB fallen. Der Unternehmensbegriff in §§ 1, 3, 11 PublG ist unabhängig von der Verwendung in den §§ 15 ff. Zum Auskunftsrecht nach § 51a Abs 2 GmbHG geht die hM davon aus, dass hier § 15 AktG gemeint ist,14 teilweise wird eine darüber hinaus gehende weitere Auslegung befürwortet.15 8 § 15 ist ausdrücklich bezeichnet in – § 139b Abs 2 Satz 2 Nr 4 AO (Identifikationsnummer); – § 65 Abs 2 Satz 3 Nr 4 AWV (Vermögen von Ausländern im Inland); – § 3 Abs 1 Satz 1 Nr 7 BeurkG (Vorbefassung des Notars);
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10 Baumbach/Hueck-GmbHG/Fastrich20 § 30 Rdn 26a; KK/Drygala3 § 57 Rdn 120 f; MünchKomm/Bayer4 § 57 Rdn 49; MünchKomm-GmbHG/Ekkenga2 § 30 Rdn 178 ff; Ulmer/Habersack/Löbbe/Habersack GmbHG2 § 30 Rdn 77 ff. 11 Beck-BilKomm/Grottel/Kreher9 § 271 HGB Rdn 35; Kropff DB 1986, 364, 366; MünchKomm-BilR/ Kropff § 271 HGB Rdn 39 ff; MünchKomm-HGB/Reiner3 § 271 Rdn 15 ff; Ulmer FS Goerdeler, 1987, S 623, 632 f. 12 BGH 3.6.2004 – X ZR 104/03, BGHZ 159, 234 zu § 319 Abs 2 Nr 3 HGB aF; BegrRegE zum Gesetz zur Durchführung der 7. und 8. Richtlinie, BT-Drucks 10/3440 S 35; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 6; MünchKomm-HGB/Reiner3 § 271 Rdn 15 ff; Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 5; – aA 4. Aufl Röhricht § 33 Rdn 31 (§ 15); kritisch (führt zu Regelungslücke) MünchKomm-HGB/Ebke3 § 319 Rdn 51; ders/Paal ZGR 2005, 894, 899 ff; W Müller NZG 2004, 1037, 1039 (Verstoß gegen EU-Recht); Schulze-Osterloh FS Fleck, 1988, S 313, 326 ff. 13 Dazu Ulmer FS Goerdeler, 1987, S 623, 639 f: gespaltener Begriff. 14 Michalski-GmbHG/Römermann GmbHG2 § 51a Rdn 208; MünchKomm-GmbHG/Hillmann2 § 51a Rdn 66. 15 Baumbach/Hueck-GmbHG/Zöllner20 § 51a Rdn 36; Henssler/Strohn Gesellschaftsrecht2 GmbHG § 51a Rdn 25; Ulmer/Habersack/Löbbe/Hüffer/Schürnbrand GmbHG2 § 51a Rdn 51.
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§ 13b Abs 2 Satz 2 Nr 4a Satz 2 ErbStG (begünstigtes Vermögen); § 9 Abs 4 Satz 1 EStG (Werbungskosten, Tätigkeitsstätte); § 38 Abs 1 Satz 3 EStG (durch Dritten erbrachter Arbeitslohn); § 44a Abs 1 Satz 2 EStG (Arbeitnehmeraktien); § 10 Abs 2 Satz 2 Nr 1 FamFG (Vertretung durch Bevollmächtigte); § 107 Abs 1 Satz 1 GNotKG (Beurkundung von Verträgen zwischen verbundenen Unternehmen); § 8b Abs 8 Satz 3 KStG (Einkommensermittlung bei bestimmten Versicherungsunternehmen); § 44b Abs 1 Nr 4 KWG (Auskunftspflichten gegenüber der BaFin); § 1 Abs 1 Satz 2 Nr 2 MontanMitbestG;16 § 2 Abs 3 Nr 6 RDG (Rechtsdienstleistungen innerhalb verbundener Unternehmen); §§ 20a Abs 3, 28 Abs 1 Satz 2 Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien; § 55 Abs 8 Satz 1 Nr 2 TKG (Übertragung von Frequenzen); § 8 Abs 1 Satz 3 und Abs 2 Satz 1 UmwG, darauf ist wiederum verwiesen in § 192 Abs 1 Satz 2 UmwG (Angaben im Verschmelzungsbericht); § 47 Nr 12 VAG (Anzeigepflicht bei Anlagen in verbundenen Unternehmen); §§ 305 Abs 2 Nr 6, 306 Abs 2 Nr 6 VAG (Befugnisse der Aufsichtsbehörde); § 4 Abs 1 Nr 5, Abs 2 Nr 6 WpPG (Befreiung von Prospektpflicht); § 79 Abs 2 Satz 2 Nr 1 ZPO (Vertretungsbefugnis durch Bevollmächtigte).
Die Wendung „verbundene Unternehmen“ wird in zahlreichen Vorschriften ge- 9 nannt; die nachfolgenden Beispiele zeigen jedoch, dass damit nicht immer eine Verweisung auf § 15 gemeint ist, sondern ihre Bedeutung für den jeweiligen Anwendungsbereich gesondert zu ermitteln und durch systematische und normzweckorientierte Auslegung zur Geltung zu bringen ist. – § 449 Abs 3 BGB (Verbot des Konzern-Eigentumsvorbehalts);17 – § 3 Nr 20 und 24b EnWG (Definitionen Gasversorgungsnutzer, betriebliche Eigenversorgung); – § 3 Nr 38 EnWG und nachfolgende Anwendungsfälle (explizit „verbundene Unternehmen“ iSd EU-Zusammenschlusskontroll-VO18); – §§ 17 Abs 1, 21 Abs 1, 22 Abs 1, 23, 27 EnWG (jeweils in der Verbindung mit „oder assoziierte Unternehmen“, was auf eine bilanzrechtliche Definition, § 271 Abs 2 HGB, hindeutet); – §§ 38 Abs 1, 39 Abs 3 Satz 2 GWB (Berechnung von Umsatzerlösen; Angaben bei Anmeldung von Zusammenschlüssen; nach der Verweisung in § 36 Abs 2 GWB sind hier aber die §§ 17 und 18 gemeint);19
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16 Dazu näher 4. Aufl Oetker Anh zu § 117 MontanMitbestG § 1 Rdn 17. 17 „Verbundene Unternehmen“ werden bei der gesetzlichen Begrenzung erweiterter Eigentumsvorbehalte genannt, dort aber nur als Unterfall der ohnehin weiteren Erstreckung auf Forderungen Dritter; ob die Vorschrift auf § 15 Bezug nimmt, ist daher von untergeordneter Bedeutung. Der sog Konzernvorbehalt war allerdings Auslöser des gesetzlichen Erweiterungsverbots; BegrRegE EGInsO BT-Drucks 12/3803, 77 f. Eine Differenzierung nach der im Einzelnen möglicherweise unterschiedlichen Interessenlage ist nicht erfolgt; vgl für die analoge Anwendung der Vorschrift auf den sog umgekehrten Konzernvorbehalt Habersack/Schürnbrand JuS 2002, 833, 838 f; – aA Bülow DB 1999, 2196; Jauernig/ Berger16 § 449 Rdn 8; MünchKomm-BGB/Westermann7 § 449 Rdn 80; Palandt/Weidenkaff 75 § 449 Rdn 22; Prütting/Wegen/Weinreich-BGB/D Schmidt10 § 449 Rdn 30; Staudinger/Beckmann2014 BGB § 449 Rdn 155 f. 18 Dazu Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 62. 19 Immenga/Mestmäcker-GWB/Thomas5 § 38 Rdn 4, § 39 Rdn 64.
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§ 1 Satz 1 Nr 14 SozialversEntgeltV;20 § 313 Abs 1 UmwG (strafbare unrichtige Darstellung);21 § 7 Nr 30 VAG (eigenständige Definition des verbundenen Unternehmens); § 2a Abs 1 Nr 2 WpHG (Abgrenzung Wertpapierdienstleister); § 34c Satz 3 WpHG (Anzeige von Interessenkonflikten); § 26 Abs 2 Nr 1 WpPG (Befugnisse der BaFin). II. Unternehmensbegriff
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In den §§ 15–19, in den auf diese Begriffsbestimmungen Bezug nehmenden Vorschriften, in §§ 20–22 und im Dritten Buch spricht das Gesetz von „Unternehmen“ bzw „rechtlich selbständigen Unternehmen“, ohne diesen Begriff zu definieren. Der Gesetzgeber hat von einer genaueren Umschreibung bewusst abgesehen.22 Auch andere Gesetze knüpfen ohne nähere Begriffsbestimmung an das „Unternehmen“ an, so etwa das GWB und das HGB (vgl Rdn 6). Je nach Anwendungsbereich wird der Begriff unterschiedlich bestimmt;23 selbst innerhalb des AktG (außer den oben genannten Vorschriften etwa §§ 3 Abs 1, 23 Abs 3 Nr 2, 31 Abs 1, 67 Abs 6 Satz 4, 134 Abs 1 Satz 4,24 192 Abs 2 Nr 2 und 292 Abs 1 Nr 3) kommt ihm unterschiedliche Bedeutung zu, je nachdem ob ein Rechtsträger oder das tatsächliche Substrat unternehmerischer Tätigkeit gemeint ist.25 Die Unternehmenseigenschaft im Recht der verbundenen Unternehmen ist kein umfassender Status, sondern immer mit Rücksicht auf die Beziehungen zu bestimmten anderen Unternehmen zu bestimmen, sog relativer Unternehmensbegriff.26 Dies muss jeweils für den konkreten Zeitpunkt erfolgen, für den es auf die Unternehmenseigenschaft ankommt, da sich durch Beteiligungserwerb und -veräußerungen die Einschätzung auch kurzfristig ändern kann.27
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1. Auslegungsmaßstäbe. Das AktG geht davon aus, dass die Einflussnahme durch ein anderes Unternehmen eine grundsätzlich andere Qualität besitze als etwa die Beeinflussung durch einen privaten Aktionär und deshalb einer gesonderten Regelung bedürfe (Rdn 1). Im Regelfall betrachte und verfolge ein Großaktionär, der nicht anderweitig unternehmerisch engagiert ist, das Interesse der Gesellschaft auch als das seine. Prägender Faktor für den Unternehmensbegriff ist daher der mögliche Interessenwiderstreit.28 Es muss eine Interessenbindung außerhalb der Gesellschaft bestehen, die stark genug ist, um die ernste Besorgnis zu begründen, der Aktionär könne um ihretwillen
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20 Dazu ausführlich LSG Baden-Württemberg 17.7.2015 – L 4 R 3257/13, BeckRS 2015, 72233. 21 Vgl dazu oben Rdn 4 zu § 400. 22 BegrRegE bei Kropff AktG S 27. 23 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 15; K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 17 II 1 c; ders Handelsrecht6 § 3 I 1 a; ders ZGR 1980, 277, 279 f mwN; historisch Dilcher/Lauda in Horn/Kocka (Hrsg), Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, S 535, 542 ff. 24 Diese Vorschrift fügt sich schlecht in die Systematik der §§ 15 ff ein, was zu wenig weiterführenden Auslegungsansätzen geführt hat; vgl KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 40; Milde Gleichordnungskonzern, S 22 f; 4. Aufl Windbichler Rdn 43; Zöllner ZGR 1976, 1, 15; ders AG 1978, 40, 41 m Fn 4. 25 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 16; MünchKomm/Bayer4 Rdn 9. 26 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 40. 27 BGH 25.11.1996 – II ZR 352/95, ZIP 1997, 416 = NJW 1997, 943; Löffler Die abhängige Personengesellschaft, 1988, S 62. 28 HM; Geßler/Geßler Rdn 18 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 10; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 10, 20; MünchHdBAG/Krieger4 § 69 Rdn 6; Lutter/Timm BB 1978, 836, 837; Ulmer NJW 1986, 1579, 1580; Zöllner ZGR 1976, 1, 11, jew mwN.
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seinen Einfluss zum Nachteil der Gesellschaft geltend machen.29 Dieser schutzzweckorientierte, teleologische Unternehmensbegriff steht heute außer Streit.30 Die Einordnung als Unternehmen bedeutet nach dem Gesetzeswortlaut aber auch Zugang zu den typisierten Verbindungen, etwa die Möglichkeit, einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag iSd § 291 oder bestimmte andere Unternehmensverträge iSd § 292 abzuschließen sowie die Privilegierung des § 311 in Anspruch zu nehmen.31 Der dominierende schutzrechtsorientierte32 Blickwinkel ist zu ergänzen durch das kompetenzrechtliche Element (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 10, 41 ff), nämlich welchen Anforderungen ein Gebilde entsprechen muss, damit es sich als Konzernspitze, insbesondere als Vertragspartner („anderes Unternehmen“) eines Beherrschungsvertrages nach § 291 rechtlich und praktisch eignet. 33 Dieser organisationsrechtliche Gesichtspunkt tritt nicht immer spannungsfrei zum Schutzaspekt hinzu; eine Priorität für die Auslegung des Unternehmensbegriffs iSd §§ 15 ff besteht aber nicht,34 zumal der Unternehmensbegriff (allein) die Probleme nicht wird lösen können. Schutz- und Organisationsrecht sind keine Gegensätze; ein weit gefasster Unternehmensbegriff ermöglicht den Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen, sichert aber auch die Barabfindung nach § 305 Abs 2 Nr 2 und 3 bei zwischengeschalteten Gesellschaften. Ob ein Unternehmen iSd Gesetzes vorliegt, kann nicht aus dem Vorliegen der darauf aufbauenden Begriffe, etwa der Beherrschung oder der einheitlichen Leitung, abgeleitet werden,35 sondern ist Vorfrage dafür. Differenzierungen sind Fragen der einzelnen Anwendungsbereiche.36 Solche Differenzierungen sollten nicht vorab über den Unternehmensbegriff abgeschnitten werden, der daher tendenziell weit auszulegen ist.37
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29 BGHZ 69, 334, 337 (VEBA/Gelsenberg); BGHZ 95, 330, 334 f (Autokran); BGHZ 122, 123, 126 f (TBB); BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 113 (VW); Bayer ZGR 2002, 933, 934; Cahn AG 2002, 30; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 21; MünchKomm/Bayer4 Rdn 13; MünchHdBAG/Krieger4 § 69 Rdn 6; Schmidt/ Lutter/J Vetter3 Rdn 38. 30 Hüffer/Koch11 Rdn 9; MünchKomm/Bayer4 Rdn 10; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 59 Rdn 2; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 38; K Schmidt FS Lutter, 2000, S 1167, 1192; kritisch ders ZIP 1994, 1741, 1742 f, wenn Haftungsbegründung Auslegungsziel ist; ders AG 1994, 189 ff; ders FS Lutter, 2000, S 1167, 1182 f. 31 Geßler/Geßler Rdn 11; Mülbert ZHR 163 (1999) 1, 5; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 268 f. 32 Kritisch Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 49. 33 Nach herrschender, aber bestrittener Meinung ist dafür ein Unternehmen iSd § 15 erforderlich; dabei wird gelegentlich ungenau vom Erfordernis eines „wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes“ ausgegangen, obwohl das kein Unternehmensmerkmal iSd § 15 ist; Grigoleit/Servatius § 291 Rdn 19; Hüffer/Koch 11 § 291 Rdn 8; KK/Koppensteiner3 § 291 Rdn 9 ff; 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 46 ff; MünchKomm/Altmeppen4 § 291 Rdn 12; Schmidt/Lutter/Langenbucher3 § 291 Rdn 22; Spindler/Stilz/Veil3 § 291 Rdn 6 f; – aA Rubner Der Konzern 2003, 735; K Schmidt FS Lutter, 2000, S 1167, 1182; ders FS Koppensteiner, 2001, S 191 ff; Schmidt/ Lutter/J Vetter3 Rdn 35 ff, abschwächend aber Rdn 38; für durchbrechende Einzelanalogien Spindler/ Stilz/Schall3 Rdn 46 ff Vgl auch Hommelhoff in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 91, 93 ff; Schlinkert Unternehmensstiftung und Konzernleitung, 1995, S 97 ff; Schwintowski NJW 1991, 2736; gleichgeordnete Unternehmen betreffend Milde Gleichordnungskonzern, 1996, S 43. 34 Zur Debatte über die „Priorität“ des Schutz- über den Organisationsgesichtspunkts KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 12 ff; K Schmidt FS Lutter, 2000, S 1167, 1181 f; für Priorität des Organisationsrechts Mülbert ZHR 163 (1999) 1, 5 f, 28 ff. 35 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 18; vgl auch Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 52. 36 Anders wohl KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 17, 65, 92 f, der schon beim Unternehmensbegriff weiter differenziert. 37 MünchKomm/Bayer4 Rdn 18; ähnlich Emmerich/Habersack KonzernR10 § 2 Rdn 7.
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Die in der Literatur früher geführte Diskussion über den Unternehmensbegriff, etwa den „funktionalen“, den „institutionellen“ und die entsprechenden vermittelnden Ansätze,38 ist nach der Grundsatzentscheidung des BGH VEBA/Gelsenberg39 im Wesentlichen zur Ruhe gekommen. Einzelfragen sind nach wie vor streitig: die Abgrenzung des (Privat-)Aktionärs vom Unternehmensaktionär (Rdn 22 ff, 31 ff), die Unternehmenseigenschaft einer reinen Holding ohne eigenen Geschäftsbetrieb (Rdn 19 ff), die der öffentlichen Hand (Rdn 27 ff) sowie von bestimmten Personengruppen (Rdn 47 f). Ferner war auch für herrschende Unternehmen nicht ganz unstreitig, ob der Begriff für alle Rechtsformen derselbe sein kann.40 Diese Frage wurde durch die unübersichtlichen Rechtsfolgen aufgeworfen, die die Rechtsprechung zeitweise für den sog qualifizierten faktischen GmbH-Konzern vorsah.41 Die Rechtsfolgen schädigender Eingriffe und ihre Begründung sind hier aber sedes materiae, nicht der Einstiegsbegriff „Unternehmen“ oder gar „Konzern“.42 Die – ihrerseits nicht unumstrittene – Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff hat solche begrifflichen Ansätze denn auch aufgegeben und knüpft an § 826 BGB an.43 13 Zudem ist anwendungsbezogen danach zu unterscheiden, ob ein abhängiges oder ein herrschendes Unternehmen in Rede steht. Der potenzielle Interessenkonflikt als Kriterium ist auf die Rolle des Unternehmens als herrschendes zugeschnitten und für abhängige Unternehmen nicht aussagekräftig.44 Eine begriffliche Unterscheidung ist in § 15 hingegen nicht angelegt. Die Zweifelsfragen hinsichtlich der Einordnung als beherrschtes Unternehmen betreffen eher die Tauglichkeit zur Abhängigkeit und weitere Rechtsfolgen. Dabei handelt es sich aber weniger um eine Frage des Unternehmensbegriffs, als darum, dass bestimmte Vorschriften auf bestimmte Formen des Unternehmensträgers nicht passen sowie dass bestimmte Beherrschungsmittel rechtsformspezifisch nicht in Betracht kommen (Windbichler § 17 Rdn 30). Eine juristische Person des öffentlichen Rechts kann Konzernspitze sein, die Abhängigkeit wirft dagegen vielfache Probleme auf, die aber nicht von der Einordnung als Unternehmen ausgehen.45
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38 Nachweise bei Geßler/Geßler Rdn 12 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 10; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 24 ff; Milde Gleichordnungskonzern, 1996, S 15 ff; MünchKomm/Bayer4 Rdn 10; Zöllner ZGR 1976, 1, 7 ff. 39 BGHZ 69, 334. 40 So Für die GmbH Ehlke DB 1986, 523, 525; Priester ZIP 1986, 137, 141 f; dagegen K Schmidt ZIP 1986, 146, 147 f; Stimpel ZGR 1991, 144, 156 f. 41 Nachweise dazu und zur umfangreichen Literatur bei Hirte (Hrsg) Der qualifizierte faktische Konzern 1992, 1993; Roth/Altmeppen GmbHG8 Anh § 13 Rdn 157 ff. 42 Die pauschale Redeweise von „Konzernhaftung“ ist verfehlt; einen solchen Tatbestand gibt es nicht. Es handelt sich um ein Relikt der Rspr und Lehre zum sog qualifizierten faktischen Konzern und zum Kapitalersatzrecht; so etwa statt vieler Ehricke Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz, 1998, S 383 ff; – wie hier schon K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 17 II 1 c: Bestimmung des richtigen Verhältnisses zwischen konzernrechtlichen Sonderregeln und allgemeinem Verbandsrecht; ders ZIP 1986, 146, 148; ders ZIP 1994, 1741, 1742 f; Sonnenschein/Holdorf JZ 1992, 715, 716; Ulmer NJW 1986, 1579, 1581: Die Rechtsfolgendiskussion sollte offen geführt, nicht aber durch terminologische Auseinandersetzungen überlagert werden; – s auch Emmerich/Habersack KonzernR10 § 28 Rdn 1ff, § 30 Rdn 20, § 31; Windbichler Vor §§ 15 Rdn 49. 43 BGHZ 149, 10 (Bremer Vulkan); BGH 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 68, jeweils Außenhaftung; Innenhaftung ab BGH 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 (Trihotel). 44 Anwendungsbezogen unterscheidend Hüffer/Koch11 Rdn 9; MünchHdbAktG/Krieger4 § 69 Rdn 13; weitergehend KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 17, 86; MünchKomm/Bayer4 Rdn 47; Mülbert ZHR 163 (1999) 1, 3, 7: übergeordnetes und untergeordnetes Unternehmen als (jeweils) Einheitsbegriffe. 45 Zur Landesbank Berlin – Girozentrale (rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts) LAG Berlin 27.10.1995 – 6 TaBV 1/95, AG 1996, 140; Baums/Steck WM 1998, 2261; G Bezzenberger/Schuster ZGR 1996, 481, 494 ff; Fett Öffentlich-rechtliche Anstalten als abhängige Konzernunternehmen, 2000; Raiser ZGR 1996, 458, 465 ff; vgl auch Schuster FS W Müller, 2001, S 135; Wolfers NVWZ 2000, 765, jeweils betr Berliner Wasserbetriebe.
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2. Rechtliche Selbständigkeit. Das Tatbestandsmerkmal der rechtlichen Selb- 14 ständigkeit stellt zunächst klar, dass es auf die wirtschaftliche Selbständigkeit nicht ankommt. Da in den §§ 15 ff und den daran anknüpfenden Vorschriften Unternehmen als Adressaten von Rechten und Pflichten angesprochen sind, ist der Unternehmensträger46 gemeint, nicht das aggregierte sachliche und immaterielle Substrat unternehmerischer Tätigkeit wie etwa in §§ 3, 23 Abs 3 Nr 2 oder 31 Abs 1.47 Als Unternehmen kommen alle Gebilde in Betracht, die geeignet sind, Unternehmensträger zu sein; diese müssen „rechtlich selbständig“ sein. Unglücklich ist daher die Formulierung in § 16 Abs 4 letzter Teilsatz, da dort zwischen dem Einzelkaufmann als Inhaber und dem Unternehmen unterschieden wird. Damit wird aber nicht der Gewerbebetrieb zum Rechtssubjekt gemacht, sondern dem Einzelkaufmann der Einwand abgeschnitten, er sei nur in Bezug auf sein Gewerbe Unternehmen(sträger), im Übrigen Privatperson mit Privatvermögen (näher § 16 Rdn 32). Rechtlich unselbständig sind etwa Zweigniederlassungen, §§ 13, 13e HGB,48 dh Einheiten, die einen gemeinsamen Rechtsträger haben. BGB-Gesellschaften, sofern sie Außengesellschaften sind, sind als Unternehmensträger geeignet, unabhängig davon, welches dogmatische Deutungsmuster man zugrunde legt (rechtsfähige Personenvereinigung oder die Gesellschafter in ihrer Verbundenheit als Rechtsträger). Man könnte noch weiter gehend jegliche Art der Fähigkeit, Rechtsträger zu sein, als Ausgangspunkt genügen lassen.49 Die Rechtsentwicklung zeigt aber eine Neigung zu Teilrechtsfähigkeiten, zB der Wohnungseigentümergemeinschaft (§ 10 Abs 6 WEG) oder des Betriebsrates,50 auch im Sprachgebrauch zur GbR,51 die zusätzliche Abgrenzungsprobleme aufwerfen. Innengesellschaften, damit auch die stille Gesellschaft iSd §§ 230 ff HGB, sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nach außen auftreten, und kommen deshalb als Unternehmensträger und Unternehmen iSd § 15 nicht in Betracht. Der „Konzern“ ist mangels Rechtsträgerschaft kein Unternehmen (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 26). 3. Rechtsform a) Der Unternehmensbegriff ist grundsätzlich rechtsformneutral.52 Bezieht sich 15 das Gesetz auf eine AG oder KGaA, verwendet es die Bezeichnung „Gesellschaft“. Eine Rechtsanwendung im AktG, die sich auf §§ 15 ff stützt, erfordert, dass an der Verbindung wenigstens eine AG oder KGaA in der jeweils spezifizierten Rolle beteiligt ist.53 Die SE unterliegt kraft der Generalverweisung in Art 9 Abs 1 c) ii) SE-VO den §§ 15 ff, sofern nicht die darauf Bezug nehmende Vorschrift von einer spezielleren aus dem
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46 Zu diesem Begriff insbes Rittner/Dreher Europäisches und deutsches Wirtschaftsrecht3 § 8 Rdn 8 ff; K Schmidt Handelsrecht6 § 3 IV 2, § 4; Wiedemann Gesellschaftsrecht I § 6. 47 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 16, 56. 48 Baumbach/Hopt HGB36 § 13 Rdn 4; K Schmidt Handelsrecht6 § 3 III 3; Staub/Koch HGB5 § 13 Rdn 19, 23, 79; vgl auch die Kommentierung zu § 42. 49 So KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 56; MünchHdBAG/Krieger4 § 69 Rdn 15. 50 BAG 25.10.2012 – III ZR 266/11, NZA 2012, 1382; ErfK/Koch15 BetrVG § 1 Rdn 18. 51 Vgl die zirkulär anmutende Formulierung im 1. Leitsatz bei BGH 19.1.2001 – II ZR 331/10, BGHZ 146, 341 (ARGE Weißes Ross): Die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts besitzt Rechtsfähigkeit, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet; dazu Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 2 Rdn 6, § 5 Rdn 6. 52 AllgM, MünchKomm/Bayer4 Rdn 16; K Schmidt Handelsrecht6 § 4 II 2 a; Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 53 mwN. 53 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 6; Küting/Weber Konzernabschluss13 S 26 f verkennen diesen Anwendungsbezug.
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Recht der SE verdrängt wird, was bei der jeweiligen Vorschrift zu erörtern ist.54 An welcher Stelle innerhalb der Unternehmensverbindung die Gesellschaft stehen muss, ist der jeweiligen Norm zu entnehmen; zB bezieht sich § 311 auf AG und KGaA in der Rolle des abhängigen Unternehmens, § 71d Satz 2 geht von einer AG als herrschendem Unternehmen aus. Für die Begriffsbestimmungen selbst ist die Beteiligung einer AG oder KGaA hingegen nicht erforderlich. Welche Gebilde Unternehmen sein können, richtet sich danach, ob sie als Unternehmensträger geeignet sind (Rdn 14), ohne dass sie im Einzelfall Unternehmensträger sein müssten, aber auch danach, ob ihre Rechtsform es ge- oder verbietet, sie als Unternehmen zu qualifizieren. 16 Unternehmen können demnach neben den Handelsgesellschaften einschließlich der Vorgesellschaften sein: Einzelkaufleute, natürliche Personen, der bürgerlich-rechtliche Idealverein,55 der wirtschaftliche Verein (einschließlich VVaG)56, die Stiftung,57 die Gesellschaft bürgerlichen Rechts58 soweit sie nicht nur Innengesellschaft ist,59 die Erbengemeinschaft,60 die Partnerschaftsgesellschaft,61 ferner öffentlich-rechtlich organisierte Rechtsträger wie zB Anstalten oder Gebietskörperschaften (Rdn 28). Als Unternehmensträger ungeeignet sind hingegen rechtlich nicht strukturierte Personengruppen wie etwa Familienstämme.62 Absprachen zur einheitlichen Ausübung von Gesellschafterrechten
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54 Vgl Habersack/Verse Europäisches Gesellschaftsrecht4 § 13 Rdn 49. 55 BGHZ 85, 84 (ADAC); BGH 10.12.2007 – II ZR 239/05, NZG 2008, 670 (Kolpingwerk); Emmerich/ Habersack KonzernR10 § 37 Rdn 4, 10; K Schmidt Handelsrecht6 § 4 II 2 a; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 34, 58; Leuschner Das Konzernrecht des Vereins, 2011; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 65. 56 Emmerich/Habersack KonzernR10 § 37 Rdn 2; Großfeld Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit im System der Unternehmensformen, 1985, S 4 mwN; Hübner FS Wiedemann, 2002, S 1033, 1037 ff. 57 Vgl § 3 Abs 1Nr 4 PublG; BGH7 69, 334, 338 (VEBA/Gelsenberg); Emmerich/Habersack KonzernR10 § 38 Rdn 2, 8; Ihrig/Wandt FS Hüffer, 2010, S 387; Kohl NJW 1992, 1922, 1923; Kronke Stiftungstypus und Unternehmensträgerstiftung, 1988, S 206 ff; MünchKomm/Bayer4 Rdn 16; Schlinkert Unternehmensstiftung und Konzernleitung, 1995, S 97 ff; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 65; vgl auch OLG Düsseldorf 15.1.2004 – I-19 W 5/03 AktE, ZIP 2004, 1503, 1505: Alfried von Bohlen und Halbach Stiftung kein Unternehmen (nur) mangels anderweitiger unternehmerischer Tätigkeit. 58 BGHZ 114, 203, 210; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 57; ders FS Ulmer, 2003, S 349, 356 ff; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 10; K Schmidt Handelsrecht6 § 4 II 2 c. 59 Rdn 14; allgM, Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 20 ff; Grigoleit Rdn 19, 23; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 59; ders FS Ulmer, 2003, S 349, 355 f; MünchKomm-BGB/Ulmer/ Schäfer6 § 705 Rdn 283; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 268; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 66; ggf kommt es auf die Unternehmenseigenschaft der beteiligten Personen und Zurechnungsmöglichkeit an, Rdn 44 ff; vgl auch BGHZ 74, 359, 365 f (WAZ) und BGHZ 121, 137, 145 (Zurechnungsklausel) zur Zusammenschlusskontrolle; dort hatten die Familienstämme jeweils einen gemeinsamen Vertreter zur Stimmabgabe benannt. Zum Unternehmen mit mehreren Trägern im Betriebsverfassungsrecht vgl Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 292 ff; dies SAE 1989, 52 f; zum gemeinschaftlichen Betrieb mehrerer Unternehmen BAG 11.2.2004 – 7 ABR 27/02, NZA 2004, 618; BAG 13.3.2013 – 7 ABR 47/11, NZA 2013, 853 Rdn 25. 60 Vgl Baumbach/Hopt/Hopt HGB36 § 1 Rdn 37 f; Jauernig/Stürner BGB16 § 2032 Rdn 4; K Schmidt Handelsrecht6 § 4 II 3 b; Wolframm Mitteilungspflichten familiär verbundener Aktionäre nach § 20 AktG, 1998, S 94 ff; umfassend zur unternehmenstragenden Erbengemeinschaft Dauner-Lieb Unternehmen in Sondervermögen, 1998, S 320 ff. 61 Michalski/Römermann PartGG4 Einf Rdn 47; MünchHdbGesR-I/Salger4 § 37 Rdn 2 ff; K Schmidt ZIP 1994, 1741, 1742; vgl auch unten Rdn 17. 62 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-Konzernrecht7 § 15 AktG Rdn 20a; Henssler/ Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 8; Wolframm Mitteilungspflichten familiär verbundener Aktionäre nach § 20 AktG, 1998, S 102 ff. – Anders im Kartellrecht BGHZ 62, 193 (Seitz), wo Abhängigkeit von den im Besitz von zwei Familienstämmen befindlichen Gesellschaften festgestellt wurde, nicht etwa von den Familienstämmen; BGHZ 80, 69, 73 (Süssen), wo die Zurechnung der in der Hand von Familienangehörigen befindlichen Beteiligungen zu einem Minderheitsgesellschafter erwogen wurde; BGHZ 121, 137, 144 f (Zurechnungsklausel).
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für alle Mitglieder eines Familienstammes63 oder Konsortien können aber zu einer GbR führen, die als Außengesellschaft zum Unternehmensträger geeignet ist und deshalb als Unternehmen in Betracht kommt. Das gilt auch für gemeinsam Handelnde iSd § 30 Abs 2 WpÜG, § 22 Abs 2 WpHG (acting in concert). Die Verselbständigung als Außengesellschaft ist im Einzelfall zu prüfen und darf nicht unterstellt werden (zu reinen Koordinierungsorganen Rdn 48). Gemeinsam verwaltende Ehegatten in Gütergemeinschaft können Unternehmensträger sein.64 Die Eignung zum Unternehmensträger ist notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Unternehmenseigenschaft iS der §§ 15 ff. Die Einordnung richtet sich nach dem potenziellen Interessenkonflikt, der für die jeweilige Konstellation in typisierender Betrachtungsweise festzustellen ist (Rdn 11). b) Streitig ist, welche Bedeutung der Rechtsform zukommt, insbesondere ob sie al- 17 lein entscheidendes Merkmal für die Unternehmenseigenschaft sein kann, dh sie hindert oder begründet. Ob eine Genossenschaft als abhängiges Unternehmen in Betracht kommt, ist angesichts des Förderzwecks gem § 1 Abs 1 GenG zweifelhaft; doch handelt es sich dabei nicht um eine Frage des Unternehmensbegriffs, sondern um ein Problem der Abhängigkeit (dazu § 17 Rdn 29, 31, 36). Die Genossenschaft kann jedenfalls Unternehmensträger, nach Maßgabe des § 1 Abs 2 GenG auch herrschendes Unternehmen sein.65 Entsprechendes gilt für die Stiftung (Rdn 25 f). Der besondere Anwendungsbereich der gemeinsamen Ausübung eines freien Berufes hindert die Unternehmenseigenschaft der Partnerschaftsgesellschaft nicht. Sie ist selbst Unternehmensträger und kann Beteiligungen erwerben.66 Die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) ist Handelsgesell- 18 schaft und Formkaufmann,67 steht jedoch nur für bestimmte Zwecke zur Verfügung und unterliegt erheblichen Einschränkungen in ihren Aktivitäten. Nach Art 3 Abs 1 EWIVVO dient sie ohne eigene Gewinnerzielungsabsicht der wirtschaftlichen Tätigkeit ihrer Mitglieder (Kooperation); sie darf keine Leitungs- oder Kontrollmacht über ein Mitglied oder ein anderes Unternehmen ausüben (Art 3 Abs 2a EWIVVO, sog Konzernleitungsverbot) und keine Beteiligung an einem Mitgliedsunternehmen halten (Art 3 Abs 2b EWIVVO, sog Holdingverbot).68 Damit erscheint sie zumindest als herrschendes Unternehmen ungeeignet. Sie kann jedoch Anteile oder Aktien an einem oder mehreren anderen Unternehmen halten, soweit das für Rechnung ihrer Mitglieder geschieht und notwendig ist,
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63 So könnte der Sachverhalt in BGHZ 74, 359, 362 ff (WAZ) betr § 23 Abs 1 Satz 2 GWB aF auch gedeutet werden: gemeinsamer Vertreter des Familienstammes zur einheitlichen Stimmabgabe spricht für BGBAußengesellschaft; dagegen aber BGHZ 121, 137, 145 (Zurechnungsklausel); vgl ferner Milde Gleichordnungskonzern, 1996, S 55 f. 64 Vgl BayObLG 25.07.1991 – BReg. 3 Z 16/91, NJW-RR 1992, 33 (betr Firma); die Gütergemeinschaft ist aber lediglich ein Sondervermögen, nicht Unternehmensträger, Baumbach/Hopt/Hopt HGB36 § 1 Rdn 48; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Kindler HGB3 § 1 Rdn 76; K Schmidt Handelsrecht6 § 4 II 3 c; ders Gesellschaftsrecht4 § 8 III 3 a. 65 HM; Beuthien in Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991 S 133, 136 f; ders AG 1996, 349, 350 f; v Detten Die eingetragene Genossenschaft, 1995, S 4 ff; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 36; Henssler/Strohn/Geibel2 GenG § 1 Rdn 30 ff; Merle AG 1979, 265 f; Reul Das Konzernrecht der Genossenschaften S 48 f. 66 Michalski/Römermann PartGG4 Einf Rdn 81; MünchHdbGesR-I/Salger4 § 37 Rdn 6; Schmidt/Lutter/ J Vetter3 Rdn 61; Seibert Die Partnerschaft, 1994, S 40 f: „Unternehmensträger für den freien Beruf“. 67 Baumbach/Hopt HGB36 § 6 Rdn 1; Habersack/Verse Europäisches Gesellschaftsrecht 4 § 12 Rdn 5; MünchKomm-HGB/K Schmidt3 § 6 Rdn 15. 68 Burkhalter Die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) und ihre konzernrechtlichen Beziehungen, 1998; Habersack/Verse Europäisches Gesellschaftsrecht 4 § 12 Rdn 15; zum rechtspolitischen Hintergrund Lentner Das Gesellschaftsrecht der Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV), 1994, S 68.
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um das Ziel der Vereinigung zu erreichen.69 Sie kann eigenständig am Geschäftsverkehr teilnehmen (Art 1 Abs 2 EWIVVO) und bis zu 500 Arbeitnehmer beschäftigen (Art 3 Abs 2c EWIVVO). Sie ist daher als Unternehmensträger geeignet, Interessenkonflikte der im Recht der verbundenen Unternehmen angesprochenen Art sind nicht a limine auszuschließen. Im Hinblick auf ihre eigene Geschäftstätigkeit könnte sie ein von den Mitgliedsunternehmen abhängiges Unternehmen sein. Ähnlich wie bei der Genossenschaft, mit der die EWIV deutliche Gemeinsamkeiten hat, liegen die wesentlichen Fragen bei der Bestimmung der Abhängigkeit. Dafür, bereits die Unternehmenseigenschaft abzulehnen und dadurch zB die Mitteilungspflicht nach § 20 auszuschließen, besteht kein Anlass.70 19 Die Unternehmenseigenschaft allein aufgrund der Rechtsform wird teilweise bei Formkaufleuten und Handelsgesellschaften in typisierender Betrachtungsweise angenommen.71 Dass bei Kapitalgesellschaften in der Satzung zwingend ein „Gegenstand des Unternehmens“ anzugeben ist und eine AG den Betrieb „ihres Unternehmens“ einem anderen überlassen kann, § 292 Abs 1 Nr 3,72 sagt dazu allerdings nichts, da es sich dort jeweils um das „Unternehmen“ als Objekt, nicht um eine Eigenschaft des Trägers handelt.73 Der Typisierungsgedanke folgt aber dem kodifikatorischen Ansatz des Gesetzes, der freilich nur bruchstückhaft umgesetzt ist und selbst mit unterschiedlichen Unternehmensbegriffen arbeitet. Wenn der Unternehmensbegriff daher nicht vollends fragmentiert werden soll, liegt es am Nächsten, bei Formkaufleuten und Handelsgesellschaften die Unternehmenseigenschaft jedenfalls zu vermuten. Die Feinsteuerung erfolgt dann im Einzelfall und auf der Ebene der Anwendung der jeweils an den Begriff anknüpfenden Norm.74 Der potenzielle Interessenkonflikt, der den Unternehmensbegriff prägt (Rdn 11), 20 liegt eher fern, wenn eine Holdinggesellschaft keinen eigenen Geschäftsbetrieb unterhält, an keinem weiteren Unternehmen beteiligt ist und sich auf die Verwaltung einer einzigen Beteiligung beschränkt. Deshalb wird in diesem Fall die Unternehmenseigenschaft teilweise verneint.75 Hat die Holding jedoch die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, bestehen unabhängig davon, ob die Beteiligung nur verwaltet oder unternehmensleitend eingesetzt wird, die Risiken der kapitalmäßigen und organisatorischen Verflechtung.76 Die Anwendbarkeit der §§ 19 ff, auch der §§ 56 Abs 2 und 3, 71a Abs 2, 71d
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69 Der zulässige Umfang ist im Einzelnen str, Lentner Das Gesellschaftsrecht der Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) 1994 S 68 f. 70 Baumbach/Hopt/Roth36 HGB Anh § 160 Rdn 5; von Rechenberg ZGR 1992, 299, 303 f; Schmidt/Lutter/ J Vetter3 Rdn 61; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 52; enger K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 66 I 2; – aA ohne Begründung Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 12; MünchKomm /Bayer4 Rdn 16. 71 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-Konzernrecht7 Rdn 9 f, 16; Schmidt/Lutter/ J Vetter3 Rdn 33, 53 ff; – aA MünchKomm/Bayer4 Rdn 16; Hüffer/Koch11 Rdn 14; MüHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 10. 72 Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 54. 73 Vgl den teilweise entsprechenden französischen Begriff des „objet social“, Le Cannu/Dondero Droit des sociétés6 Rdn 242 ff; vgl auch oben Rdn 10; „Unternehmensgegenstand“ kann die bloße Verwaltung eigenen Vermögens sein. 74 Oben Rdn 11; Ederle Verdeckte Beherrschungsverträge, 2010, S 22 f, 27. 75 OLG Hamm 2.11.2000 – 27 U 1/00, ZIP 2000, 2302, 2306 (Bowa); OLG Saarbrücken AG 1980, 26, 28; BGH AG 1980, 342 (Nichtannahme der Revision); Hüffer/Koch11 Rdn 12; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 62; Lutter/Hommelhoff GmbHG18 Anh § 13 Rdn 8; MünchKomm/Bayer4 Rdn 26; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 264; Wiedemann/Martens AG 1976, 197, 201; – aA Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-Konzernrecht7 Rdn 9 f, 16; Emmerich/ Habersack Konzernrecht10 § 2 Rdn 7, 16; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 62. 76 Vgl dazu Art 28 RL 2012/30/EU (konsolidierte 2./Kapital-RL), der ein Zeichnungs- und Erwerbsverbot durch im Mehrheitsbesitz stehende oder abhängige Kapitalgesellschaften (Art 1 RL 2009/101/EG = konsolidierte 1. RL) vorschreibt. Das gilt auch für (Zwischen-)Holdings.
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Satz 2, kann nicht davon abhängen, welche Beteiligungspolitik im Einzelfall verfolgt wird (Rdn 34). Das entspräche dem nicht mehr vertretenen77 funktionalen Unternehmensbegriff. Der potenzielle Interessenkonflikt (Rdn 11) ist insoweit in der verwendeten Rechtsform angelegt, 78 als die Funktionsweise der Kapitalaufbringungs- und Erhaltungsvorschriften berührt ist. Dafür spricht auch § 19 Abs 1, der die Definition der wechselseitigen Beteiligung auf Kapitalgesellschaften beschränkt. Der dortige Normzweck würde verfehlt, wenn Kapitalgesellschaften wegen mangelnder Unternehmenseigenschaft ausgenommen wären. Es spricht auch nichts dafür, dass § 19 von einem anderen Unternehmensbegriff ausgeht als § 15 (§ 19 Rdn 12). Für § 5 MitbestG und § 2 DrittelbG, die auf den Konzernbegriff des § 18 Abs 1 verweisen, wird eine (Zwischen-)Holding in mitbestimmungstauglicher Rechtsform ohne eigenen Geschäftsbetrieb und ohne mehrfache Beteiligung (Rdn 32) als Unternehmen angesehen. 79 Den unterschiedlichen Sachverhaltsgestaltungen ist auch hier im Rahmen des Abhängigkeits- und Konzernbegriffs sowie der daran anknüpfenden Vorschriften Rechnung zu tragen. Institutionelle Anleger wie Investmentfonds, Versicherungsunternehmen, auch 21 Pensions- und Sterbekassen etc in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft, die sich auf das Anlageinteresse beschränken und mit ihren mitgliedschaftlichen Rechten möglicherweise kaum in Erscheinung treten,80 sind gleichwohl Unternehmen iSd §§ 15 ff. Das Konfliktpotential durch kapitalmäßige oder organisatorische Verflechtung ist je nach Rechtsform ebenso wie bei der Holding gegeben, und zwar unabhängig von der jeweils verfolgten Anlagepolitik, die sich als Abgrenzungskriterium nicht eignet. Die Rechtsfolge, dass zB eine abhängige Pensionskasse nach § 71d Satz 2 keine Aktien der Arbeitgebergesellschaft erwerben darf, kann nicht auf der begrifflichen Ebene durch Bestreiten der Unternehmensqualität vermieden werden (Rdn 26). 4. Einzelfragen a) Einzelkaufleute werden, da sie ein Handelsgewerbe betreiben, stets für Unter- 22 nehmen gehalten.81 Eine Differenzierung danach, ob das Handelsgewerbe mit dem Beteiligungsunternehmen Berührungspunkte hat, ob die Beteiligung zu Anlagezwecken erfolgte oder auf Zufall (zB Erbfall) beruht, ist abzulehnen.82 Auch in diesen Sonderfällen ist das Konfliktpotential gegeben. Ebensowenig ist es von Belang, ob der Kaufmann die Beteiligung im Privatvermögen oder Betriebsvermögen hält, wie sich mittelbar aus § 16 Abs 4 ergibt (Rdn 14). Die auch im Handelsrecht überwiegende Ansicht, dass es für den
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77 Hüffer/Koch11 Rdn 10; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 27; MünchKomm/Bayer4 Rdn 10; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 265 f. 78 Lutter ZHR 151 (1987) 444, 452; – aA KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 63, der das Kapitalerhaltungsproblem nicht als „Konzerngefahr“ ansieht. 79 OLG Stuttgart BB 1989, 1005, 1006; als Abweichung vom aktienrechtlichen Unternehmensbegriff bezeichnet bei Ulmer/Habersack/Henssler Mitbestimmungsrecht3 § 5 MitbestG Rdn 11, 16; s auch 4. Aufl Oetker MitbestG § 5 Rdn 7. 80 UH Schneider AG 1990, 317, 324; Buxbaum in: Baums/Buxbaum/Hopt (Hrsg) Institutional Investors and Corporate Governance, 1994, S 3 ff; Kübler in: Baums/Buxbaum/Hopt aaO S 565 ff. 81 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 30 f, § 16 Rdn 31, der auch Kleingewerbetreibende einbezieht; diese sind aber nicht Kaufleute. Der Betrieb eines Kleingewerbes dürfte keinen ernsthaften potenziellen Interessenkonflikt bezüglich der Beteiligung an einer Aktiengesellschaft herbeiführen; Wolframm Mitteilungspflichten familiär verbundener Aktionäre nach § 20 AktG, 1998, S 88; offengelassen in OLG Köln DB 1990, 1399. 82 BGHZ 115, 187, 191 (Video); KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 § 16 Rdn 31; Zöllner ZGR 1976, 1, 27; – aA 3. Aufl Würdinger § 16 Anm 6.
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dortigen Gewerbebegriff nicht auf Gewinnerzielungsabsicht ankommt,83 ist in jedem Falle für § 15 einschlägig, da gerade auch die Verfolgung anderer Ziele zu Interessenkonflikten führen kann (zur wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand Rdn 29). Differenzierungsmöglichkeiten ergeben sich bei den weiteren Definitionsnormen, die den Unternehmensbegriff verwenden (Abhängigkeit, Konzern), sowie den daran anknüpfenden materiellrechtlichen Regelungen. 23
b) Die Möglichkeit der Unternehmenseigenschaft von Freiberuflern ist nicht mehr streitig. Die historisch begründete Auffassung, dass freie Berufe kein Gewerbe sind,84 ist hier jedenfalls nicht maßgebend. Als organisierte Einheiten, die im eigenen Namen am Markt und im Rechtsverkehr teilnehmen, können Freiberufler Unternehmen auch iSd §§ 15 ff sein.85 Fraglich ist jedoch, ob die Ausübung jeden freien Berufs, unabhängig von ihrem Umfang und ihrer fachlichen Ausrichtung, zur Qualifizierung als Unternehmen führt. Anders als beim Einzelkaufmann, dessen Tätigkeit nicht auf den Gegenstand seines Gewerbes beschränkt und tendenziell umfassend ist (vgl § 344 HGB), besteht beim Freiberufler die Möglichkeit, nach seinem Tätigkeitsgebiet, auch unter Berücksichtigung einschlägigen Berufsrechts, zu differenzieren. Der vorliegend angesprochene Interessenkonflikt droht nur, wenn die berufliche Tätigkeit Berührungspunkte mit dem Beteiligungsunternehmen aufweisen kann. Das dürfte bei Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Rechtsanwälten in stärkerem Maße der Fall sein als bei anderen freien Berufen. Anwendungsfälle können sich etwa bei Ärzten ergeben, die berufsnahe Aktivitäten (Klinik, Sanatorium etc) in rechtlich selbständiger Form betreiben. Ein klares Beispiel ist die Beteiligung von Architekten an Bau- und Bauträgergesellschaften.86
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c) Andere natürliche Personen, die nicht selbst als Unternehmensträger aktiv sind, können kraft Mehrfachbeteiligung (Rdn 32 ff) oder Zurechnung (Rdn 44 ff) als Unternehmen qualifiziert werden. Der, teils kritisch, beschriebene Anlegeraktivismus (shareholder activism) assoziiert einzelne Aktionäre, die sich intensiv in die Geschäftspolitik einmischen. Bei näherem Hinsehen werden die fraglichen (Minderheits-)Beteiligungen namentlich bekannter Personen aber meist durch zwischengeschaltete Gesellschaften oder mithilfe anderer Personen gehalten,87 oder der Aktivist hält jedenfalls mehrere Beteiligungen. Die Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführer in einer Handelsgesellschaft
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83 Baumbach/Hopt HGB36 § 1 Rdn 16; ders ZGR 1987, 145, 172; K Schmidt Handelsrecht6 § 10 IV 2 a; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 31. 84 Dazu Baumbach/Hopt HGB36 § 1 Rdn 19; Hopt ZGR 1987, 145, 176 f; K Schmidt Handelsrecht6 § 10 IV 2 a; Undritz Anwaltsgebühren, Tradition und Wettbewerb 1994 S 48 ff. – Auch die Land- und Forstwirtschaft wird nur aus historischen Gründen nach § 3 HGB privilegiert, K Schmidt aaO § 10 VI 1 b, so dass hier die gleichen Erwägungen wie zu den Freiberuflern gelten. 85 BGH ZIP 1994, 1690; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 33; K Schmidt Handelsrecht4 § 4 I 3 b; ders ZIP 1994, 1741, 1742; generell für Unternehmenseigenschaft von Freiberuflern Brandner in Hommelhoff/ Stimpel/Ulmer (Hrsg), Heidelberger Konzernrechtstage, 1992, S 207, 209; Wolframm Mitteilungspflichten familiär verbundener Aktionäre nach § 20 AktG 1998 S 89 f; – zur ähnlich gelagerten Frage im GWB Immenga/Mestmäcker GWB2 § 1, 84 ff; – aA noch Milde Gleichordnungskonzern, 1996, S 46 f mit der (zirkulären) Begründung, Freiberufler könnten keine Beherrschungsverträge nach § 291 schließen. 86 BGH ZIP 1994, 1690, 1692 zum branchenspezifischen Interessenkonflikt. 87 Vgl BGH 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 (Girmes); 2005 U.S. Dist. Lexis5830, April 7, 2005 – Tracinda Corp. v Daimler Chrysler (Kirk Kerkorian = Tracinda); M Hartmann, Shareholder Activism. Benefits and Drawbacks, 2012, S 11 f und nachfolgende Beispiele S 76, 144 (Carl Icahn = Icahn Associates Corp. im Fall Mylan/King), 331 f (Icahn = Gruppe von hedge funds im Fall KMG); Heuser, Shareholder Acivism. Aktienrechtliche Schranken für Anteilseigneraktivismus, 2012, S 7 ff; vgl auch Schmolke ZGR 2007, 701.
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führt nach Geßler88 zur Unternehmenseigenschaft, wenn der betreffende zugleich an einem anderen Unternehmen beteiligt ist. Damit liegt ohnehin ein Fall der Mehrfachbeteiligung vor,89 auf die Geschäftsführertätigkeit kommt es nicht an; sie bestätigt allenfalls den Einfluss als Gesellschafter. Fremdgeschäftsführer üben keine eigene unternehmerische Tätigkeit aus und sind deshalb in dieser Eigenschaft nicht als Unternehmen anzusehen. d) Ähnliche Fragen werfen juristische Personen oder Körperschaften, die nicht 25 Handelsgesellschaften sind, auf. Ein Verein oder eine Stiftung kann ebenso wie der sog Privataktionär eine einfache Beteiligung halten. Maßgebend ist, ob die satzungsmäßigen Zwecke erwarten lassen, dass es sich um eine bloße Anlagebeteiligung handelt, oder ob die Zwecke der Satzung als gesellschaftsfremde, über die mitgliedschaftlichen hinausgehende Interessen mit der Beteiligung verfolgt werden können,90 so dass der potenzielle Interessenkonflikt besteht, der für den Unternehmensbegriff prägend ist. Im Übrigen kommt die Begründung der Unternehmenseigenschaft durch Mehrfachbeteiligung (Rdn 32 ff) in Betracht. Entsprechendes gilt für nicht rechtsfähige Vereine, was zB für noch traditionell in dieser Form organisierte Gewerkschaften relevant ist. Die Sonderstellung als Koalition räumt den potenziellen Interessenkonflikt nicht aus, sondern legt ihn vielmehr nahe (vgl auch Rdn 29 zu den Sonderinteressen der öffentlichen Hand). Grundsätzlich können – aus der Sicht des Unternehmensbegriffs – Vereine und Stif- 26 tungen auch abhängige Unternehmen sein. Praktische Relevanz hat die Frage für Unterstützungskassen und ähnliche rechtlich selbständige Sozialeinrichtungen der AG, was etwa für die Berichtspflichten des Vorstands (§ 90 Abs 1 Satz 2, Abs 3 Satz 1) oder den Erwerb von Aktien des herrschenden Unternehmens (§ 71d Satz 2) von Interesse ist. Die Abhängigkeit ist dann nach der satzungsgemäßen Aufgabe, der Organisationstruktur, dem Mitglieder- und Begünstigtenkreis festzustellen (§ 17 Rdn 31) und kann nicht im Vorfeld durch Ablehnung der Unternehmenseigenschaft umgangen werden. Betätigt sich ein Verein oder eine Stiftung satzungswidrig oder unter Überschreitung des Nebenzweckprivilegs durch aktive unternehmerische Einflussnahme bei Beteiligungen, kommen die begrifflichen Einordnungen als verbundene Unternehmen gleichwohl zur Anwendung. Ob die darauf Bezug nehmenden Vorschriften die Satzungs- bzw Zweckwidrigkeit berücksichtigen oder nicht, ist nach der jeweils einschlägigen Norm zu beurteilen (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 54). e) Juristische Personen und Sondervermögen des öffentlichen Rechts sind von 27 Fall zu Fall einzuordnen; die Rechtsform allein ist nicht aussagekräftig. Die öffentliche Hand kommt generell als Unternehmen iSd §§ 15 ff in Betracht, wobei die Anwendbarkeit einzelner gesellschaftsrechtlicher Normen im Einzelfall fraglich sein kann.91 Der ganz
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88 Geßler/Geßler Rdn 36 f; ähnlich BFH 23.2.2011 – X R 45/09, NZG 2011, 916, 920; dort kam aber noch die Stellung als Vermieter wesentlicher Gebäude hinzu. 89 So auch BGHZ 80, 69, 72 (Süssen); BGH ZIP 1997, 416, 417. 90 BGHZ 69, 334, 337 (VEBA/Gelsenberg); vielfach kritisiert BGHZ 85, 84 (ADAC); dazu statt vieler MünchKomm-BGB/Reuter6 § 22 Rdn 15 f; Hüffer/Koch11 Rdn 17; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 34, 58; zu rechtsformspezifischen Konflikten des Stiftungsrechts mit dem Konzerngesellschaftsrecht Schwintowski NJW 1991, 2736; einschränkend Kohl NJW 1992, 1922, 1923; vgl auch Kronke Stiftungstypus und Unternehmensträgerstiftung 1988 S 228 ff; Schlinkert Unternehmensstiftung und Konzernleitung 1995 S 99 f. 91 BGHZ 69, 334, 338 (VEBA/Gelsenberg) zur Anwendung von § 320 Abs 5; weitergehend BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 113 (VW).
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überwiegende Teil der Literatur stimmt dieser Auffassung des BGH zu,92 während Stimmen aus dem älteren Schrifttum die Unternehmenseigenschaft von Gebietskörperschaften grundsätzlich verneinen, jedoch erforderlichenfalls aktienrechtliche Vorschriften analog anwenden wollen93 und damit, abgesehen von der anderen Verteilung der Begründungslast, zu letztlich kaum anderen Ergebnissen gelangen. Betreibt eine Gebietskörperschaft 94 ein rechtlich nicht verselbständigtes Unternehmen (zB Regiebetrieb), kann sie auch dadurch gegenüber einer Gesellschaft, an der sie sich beteiligt, zum Unternehmen werden. Hält sie mehrere maßgebliche Beteiligungen, ist sie aus diesem Grund als Unternehmen anzusehen (Rdn 32 ff). Der potenzielle Interessenkonflikt besteht hier ebenso wie bei Personen des Privatrechts als Anteilseigner. Nicht rechtsfähige Sondervermögen sind selbst Unternehmen, wenn sie in ausreichendem Maße rechtlich verselbständigt sind (vgl Rdn 14).95 Die Bezeichnung in einem Spezialgesetz als „öffentliches Unternehmen“ ist zwar für die aktienrechtliche Begriffsbestimmung nicht bindend, gibt aber einen nicht zu vernachlässigenden Hinweis. Dass die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand öffentlichrechtlichen Bin28 dungen unterliegt,96 spricht nicht gegen eine Einordnung als Unternehmen iSd §§ 15 ff, sondern bestätigt, dass mit der Verfolgung anderer Interessen als derjenigen eines Privataktionärs gerechnet werden muss.97 Ob diese Interessen zum Allgemeinwohl, zur Daseinsvorsorge etc verfolgt werden, spielt für die Qualifikation als Konfliktpotenzial keine Rolle;98 es geht nicht um eine Bewertung, sondern – dem Schutzweck folgend – um die Interessen von Minderheitsaktionären und Gläubigern. Die gesellschaftsrechtlichen Schutz- und Organisationsvorschriften für verbundene Unternehmen gehören zum allgemein anwendbaren Privatrecht, dem sich auch der Staat unterwerfen muss, wenn er
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92 Dielmann Die Beteiligung der öffentlichen Hand S 144; Emmerich Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen S 212 ff; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 2 Rdn 23 ff; Geßler/Geßler Rdn 53 ff (mit Einschränkung in Rdn 57); Grigoleit/Rachlitz §§ 394, 395 Rdn 11; 4. Aufl P M Huber/Fröhlich Vor §§ 394, 395 Rdn 15 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 16; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 71 ff; Lutter ZHR 151 (1987) 444, 451; Lutter/Timm BB 1978, 836, 837. 93 3. Aufl Würdinger Vor §§ 15–19 Anm 4; Zöllner ZGR 1976, 1, 23 ff; ders AG 1978, 40, 43 ff; – strenger noch Rittner FS Flume Bd II, 1978, S 241, 254 ff mit Kritik an den Defiziten des – primär zuständigen – öffentlichen Rechts; – für eine rechtsfortbildende Sonderregelung Wiedemann/Martens AG 1976, 232, 235 f; insbesondere zum Abhängigkeitsbericht Mertens AG 1996, 241, 246 f; – auch heute noch kritisch zum Verzicht auf das Erfordernis mehrfacher erwerbswirtschaftlicher Beteiligung Grigoleit Rdn 25 ff. 94 Zu Gemeinden vgl Hüffer/Koch11 Rdn 18, inbesondere kritisch zu schlecht abgestimmten Vorschriften des Landesrechts. 95 Das war bei der Deutschen Bundesbahn gem § 1 BBahnG vor der Überführung in die Rechtsform der AG der Fall, nach der ersten Poststrukturreform (zum Rechtszustand vor der Reform etwa Mestmäcker RabelsZ 52 (1988), 526, 539) auch bei den drei Teilbereichen der Deutschen Bundespost, die nach § 1 Abs 2 PostVerfG 1989 als „öffentliche Unternehmen“ geführt wurden. 96 §§ 44, 53 f HGrG, §§ 65 ff BHO, ferner landesrechtliche Vorschriften in den Landeshaushalts- und Gemeindeordnungen; sehr viel weiter gehend BVerfG 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 (Fraport); s auch §§ 394 f und die Kommentierung dazu. 97 Zur Verfolgung wirtschaftspolitischer Ziele durch Unternehmensbeteiligung Püttner DÖV 1983, 697, 698; ders Die öffentlichen Unternehmen2 S 51 ff; dazu, dass Beteiligungen an AGen nicht der geeignete Ort sind, Wirtschaftspolitik zu betreiben, vgl OLG Hamburg ZIP 1990, 311 (HEW/Jansen); sehr deutlich BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 113 (VW); Emmerich/Habersack KonzernR10 § 2 Rdn 20 ff; Harbarth ZGR 1998, 810; auch schon Flume Grundfragen der Aktienrechtsreform, 1960, S 45; zur Notwendigkeit, ggf den öffentlichen Zweck in der Satzung zu verankern, Püttner Die öffentlichen Unternehmen2 S 235 f; Schön ZGR 1996, 429, 435 f; Schuppert ZGR 1992, 454, 464 ff; Spannowsky ZGR 1996, 400, 424 ff. 98 Flume Grundfragen der Aktienrechtsreform 1960 S 45; Püttner Die öffentlichen Unternehmen² S 282; Raiser ZGR 1996, 458, 464 f; Schön ZGR 1996, 429, 452 f; – aA Rittner FS Flume Bd II, 1978, S 241, 249 f: die Verfolgung wirtschaftspolitischer Ziele sei praktisch niemals bedrohlich für das Unternehmen in seiner Selbständigkeit; wieder anders Mertens AG 1996, 241, 244 f, der die Begründung der Unternehmenseigenschaft auf Aktivitäten und Beteiligungen an industriellen Unternehmen beschränkt.
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sich, hier durch Beteiligung, in privatrechtlicher Form betätigt.99 Deshalb lässt der BGH bereits die Beherrschung eines einzigen in privater Rechtsform organisierten Unternehmens genügen, um die Unternehmenseigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu begründen,100 zumal das öffentliche Recht keine dem Gesellschaftsrecht funktionsäquivalenten Normen zur Wahrung ihrer Interessen bereithält.101 Dem folgt zutr die hL.102 Die Organisationsform der verbundenen Unternehmen103 ist inzwischen wohl unstreitig auch öffentlichrechtlich organisierten Rechtsträgern eröffnet, wie sich an den zahlreichen Beherrschungsverträgen im Sparkassenbereich zeigt.104 Es ist Sache des öffentlichen Rechts, Zulassung und Handlungsspielraum für die Betätigung in solchen Formen zu regeln.105 Einfachgesetzliches Beispiel ist etwa § 98 GWB, der juristische Personen auch des privaten Rechts, die zur Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen, unter bestimmten Voraussetzungen zu Auftraggebern iSd Vergaberechts erklärt. Zeitweise wurde das Privatrecht als „Hemmschuh für Wirtschaftslenkung durch 29 öffentliche Unternehmen“ angesehen, 106 dann folgten Privatisierungswellen in der Hoffnung auf positive Effekte durch transparentere Rechnungslegung zur Bekämpfung von Quersubventionierung, Zurückdrängung politischer Einflüsse, effizienzfördernde Anreize der Gewinnerzielungsabsicht und Zugang zu privatem Risikokapital.107 Dagegen wiederum wurden die „Flucht ins Privatrecht“ aus der öffentlichrechtlichen Verantwortung befürchtet, 108 die Bindungswirkung des privat- und wettbewerbsrecht-
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99 BGHZ 69, 334, 340 (VEBA/Gelsenberg); vgl auch BGHZ 105, 168, 176 (HSW): keine gesellschaftsrechtliche Privilegierung einer Gebietskörperschaft wegen Verfolgung ansiedlungspolitischer Interessen; BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 113 (VW); BGH 3.3.2008 – II ZR 124/06, BGHZ 175, 365 Rdn 10 (Telekom/UMTS); Ehlers JZ 1990, 1089, 1093 f; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 2 Rdn 23; Fischer AG 1982, 85, 90 f; Grigoleit/Rachlitz §§ 394, 395 Rdn 5; Püttner Die öffentlichen Unternehmen² S 82, 275, 282; R Schmidt ZGR 1996, 345, 350 f. 100 BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 113 (VW). 101 Ein sog Verwaltungsgesellschaftsrecht wird überwiegend abgelehnt; Gurlit NZG 2012, 249, 255; überzeugend KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 77; Lutter/Grunewald WM 1984, 385, 398; Kater Grundrechtsbindung und Grundrechtsfähigkeit gemischtwirtschaftlicher Aktiengesellschaften. Folgenanalyse unter besonderer Betrachtung der Position der Privataktionäre (demnächst), Einl IV.3.a; Schön ZGR 1996, 429, 452 ff; ferner Diskussionsbeitrag in ZGR 1996, 396, 398. 102 4. Aufl P M Huber/Fröhlich Vor §§ 394, 395 Rdn 32. 103 Früher teilweise als ungerechtfertigte Privilegierung der öffentlichen Hand gesehen, Würdinger DB 1976, 613, 616 betr die Anwendung des § 311 statt des § 117; dagegen KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 81; Lutter/Timm BB 1978, 836, 838 f. 104 Streitig sind hier Einzelprobleme wie Erfordernis der Zustimmung des Gewährträgers, OLG München 3.7.2014 – 31 Wx 263/14, NZG 2014, 1147 einerseits, OLG Celle 16.05.2014 – 9 W 69/14, ZIP 2014, 1787 andererseits, oder die Anwendbarkeit der Kick-back-Rechtsprechung auf 100%ige Tochtergesellschaften, OLG München 27.11.2012 – 5 U 1345/12, ZIP 2013, 354. 105 So schon Emmerich Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, 1969, S 190 ff, 246 ff; Lutter/ Grunewald WM 1984, 385; Rittner Wirtschaftsrecht2 § 10, 17 ff; ders FS Flume Bd II 1978, S 241, 254 f; Wiedemann/Martens AG 1976, 197, 232; Zeichner AG 1985, 61. – Allgemeiner zur Ingerenzpflicht und ihrer Erfüllung durch Sonderregelungen und gesellschaftsrechtliche Gestaltung Spannowsky ZGR 1996, 400, 417 ff mwN. 106 Rinck/Schwark Wirtschaftsrecht6 Rdn 920. 107 Ehlers JZ 1990, 1089, 1092, 1099; Kater Grundrechtsbindung und Grundrechtsfähigkeit gemischtwirtschaftlicher Aktiengesellschaften. Folgenanalyse unter besonderer Betrachtung der Position der Privataktionäre (demnächst), Einl IV. 108 Vgl BVerfG 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 (Fraport) Rdn 52, mit der Folge, die Gesellschaft selbst sei unmittelbar grundrechtsgebunden und selbst nicht grundrechtfähig; zust 4. Aufl PM Huber/Fröhlich Vor §§ 394, 395 Rdn 24 f; Kater Grundrechtsbindung und Grundrechtsfähigkeit gemischtwirtschaftlicher Aktiengesellschaften. Folgenanalyse unter besonderer Betrachtung der Position der Privataktionäre (demnächst), Kap 3 V.; – aA Ehlers JZ 1990, 1089, 1096; Maunz/Dürig/Herdegen GGEL73
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lichen109 Rechtsrahmens unterschätzt und wirtschaftliche Erwartungen enttäuscht. Bei der Neuordnung der Landesbanken und der Sparkassenlandschaft ist der Einsatz konzernrechtlicher Gestaltungen andererseits etabliert, im Bereich der öffentlich-privaten Partnerschaft in gesellschaftsrechtlichen Formen unvermeidbar. Aus der Sicht des Beteiligungsunternehmens, seiner Gesellschafter und Gläubiger spricht all das jedoch nicht gegen die Einordnung der öffentlichen Hand als Unternehmen. 30 Bei Eigengesellschaften, dh Unternehmen, deren sämtliche Anteile eine Gebietskörperschaft hält, wird der Konflikt weniger deutlich, ist aber gleichwohl nicht ausgeschlossen.110 Soweit angesichts von Besonderheiten der öffentlichen Beteiligung einzelne Regelungen oder Maßstäbe sich als ungeeignet erweisen, ist nach sorgfältiger Analyse des Einzelfalls und der Interessenlage im Wege der teleologischen Auslegung Abhilfe zu schaffen.111 Der Unternehmensbegriff als Einstieg in das Recht der verbundenen Unternehmen überhaupt ist dafür nicht der richtige Ansatzpunkt. Aus diesem Grund sind auch die in dem heftig geführten Streit um die Unternehmenseigenschaft der Treuhandanstalt112 vorgebrachten Argumente für eine Weiterentwicklung der Begriffe nicht geeignet. 5. Unternehmenseigenschaft kraft Beteiligung 31
a) Hält eine natürliche Person eine einfache Beteiligung und ist diese nicht schon dadurch, dass sie ein eigenständiges Gewerbe betreibt oder eine sonstige aktuelle unternehmerische Tätigkeit ausübt, Unternehmen, kann die Unternehmenseigenschaft nicht durch diese eine Beteiligung selbst vermittelt werden.113 Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Verwaltung der Beteiligung eine institutionelle Ausformung erhalten hat; ebensowenig kann danach unterschieden werden, ob sich der Aktionär marktstrategisch planend um die Angelegenheiten der Gesellschaft kümmert oder sich auf sein Dividendeninteresse beschränkt (Rdn 12). Die mitgliedschaftlichen Einflussmöglichkeiten sind in beiden Fällen dieselben, die Art der Ausübung besagt nichts über einen potenziellen Interessenkonflikt. Zwar ist der Unternehmensbegriff mit Blick auf seine Verwendung in den nachfolgenden Vorschriften auszulegen, doch kann aus den Merkmalen des Konzerns – hier einheitliche Leitung – nicht auf den vorausgesetzten Unternehmensbegriff zurückgeschlossen werden (Rdn 11).114 Bei einfacher Beteiligung muss daher der potenzielle Interessenkonflikt in einer Position außerhalb dieser Beteiligung begründet sein.115
_____ Art 1 Abs 3 Rdn 96: nur Verpflichtung der öffentlichen Anteilseigner zur Grundrechtswahrung. Folgenanalyse unter besonderer Betrachtung der Position der Privataktionäre (demnächst). 109 Vgl etwa die „Flucht“ vor kartellrechtlicher Missbrauchskontrolle von privatisierten Versorgungsbetrieben ins Gebührenrecht durch Rekommunalisierung; BGH 2.2.2010 – KVR 66/08, BGHZ 184, 168; BGH 14.7.2015 – KVR 77/13; OLG Frankfurt/M 20.09.2011 – 11 W 24/11, NZG 2012, 433; Bürger NVwZ 2012, 1217; Kling Staatliches Handeln, Daseinsvorsorge und Kartellrecht, 2014, S 67 f. 110 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 77 mwN. 111 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 84; vgl auch Mertens AG 1996, 241, 246 f zur Problematik eines Abhängigkeitsberichtes der Volkswagen AG. 112 Abgebrochen durch die Einführung des Art 28a EGAktG; dazu Hüffer/Koch11 Rdn 17 mwN; Timm FS Semler, 1993, S 611, 612 f. 113 HM; oben Rdn 11; BGHZ 69, 334, 337 (VEBA/Gelsenberg); Geßler/Geßler Rdn 27; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 10, 22 f; MünchKomm/Bayer4 Rdn 14: „privilegierter“ Privataktionär, eine Privilegierung liegt in der Begriffsabgrenzung allerdings nicht; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 41; Zöllner ZGR 1976, 1, 5. 114 HM, Geßler/Geßler Rdn 16 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 27; 3. Aufl Würdinger Vor § 15, 3 b; Zöllner ZGR 1976, 1, 7 f, 20 f; vgl auch Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 52. 115 BGHZ 69, 334, 337 (VEBA/Gelsenberg): Interessenbindung außerhalb der Gesellschaft; BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 113 (VW); KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 20 f.
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Beim Einzelkaufmann ist das durch den Gewerbebetrieb der Fall (Rdn 22). Die Unternehmenseigenschaft von Freiberuflern richtet sich danach, ob die berufliche Tätigkeit Berührungspunkte mit dem Beteiligungsunternehmen aufweisen kann (Rdn 23). Entsprechendes gilt für juristische Personen, die nicht Handelsgesellschaften sind (Rdn 25 f). Bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen führen die vom staatlichen Anteilseigner zu verfolgenden öffentlichen Interessen zum potenziellen Konflikt (Rdn 27 ff). Wird die Beteiligung als einzige von einer Kapitalgesellschaft gehalten, zB durch eine Zwischenholding, lässt deren Rechtsform es nicht zu, die Unternehmenseigenschaft zu verneinen (Rdn 20). Diejenigen, die die Unternehmenseigenschaft der Holding ablehnen, nehmen diese aber teilweise dann an, wenn die Holding sich wirtschaftlich planend und gestaltend betätigt.116 Ob die Unterscheidung von bloßer Anteilsverwaltung sauber getroffen werden kann, erscheint jedoch zweifelhaft.117 Die Unternehmenseigenschaft kann nicht von einem schwer zu qualifizierenden Verhalten abhängig gemacht werden.118 Dem entspricht die Definition der Abhängigkeit in § 17 Abs 1, für die die tatsächliche Ausübung eines beherrschenden Einflusses nicht erforderlich ist § 17 Rdn 19 mwN). Auf das Verhalten kommt es daher nicht an (s auch Rdn 34 f). Wenn der oder die Gesellschafter der Holding nicht ohnehin Unternehmen sind, ist die Zurechnung der Unternehmenseigenschaft in Betracht zu ziehen (Rdn 44 ff). b) Unter welchen Voraussetzungen die Beteiligung an mehreren Gesellschaften 32 den Inhaber zum Unternehmen macht, ist weiterhin streitig. Für den Aktionär oder Gesellschafter, dem schon aus anderen Gründen als der Beteiligung Unternehmenseigenschaft zukommt, spielt die Frage keine Rolle. Die Beteiligung einer sonstigen Person an mehreren Gesellschaften macht diese jedoch zum Unternehmen iSd §§ 15 ff, wenn dadurch die Gefahr der Interessenkollision bei der Ausübung des mitgliedschaftlichen Einflusses besteht (Rdn 11). Die mehrfache Beteiligung ist eine hinreichende, aber keine notwendige Voraussetzung für die Unternehmenseigenschaft. Die überwiegende Literatur sowie die Rechtsprechung verlangen dafür jeweils 33 Mehrheitsbeteiligung oder jedenfalls maßgebliche Beteiligung.119 Ferner wird danach differenziert, ob der Aktionär aktiv unternehmerischen Einfluss ausübt,120 zB ob mehrere Beteiligungen bei einer Holding lediglich „geparkt“ oder von dieser tatsächlich verwaltet werden; im letzteren Fall sei die Holding Unternehmen, die Unternehmenseigenschaft
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116 Emmerich/Habersack KonzernR10 § 2 Rdn 14; Geßler/Geßler Rdn 31 ff, 37; ähnlich 3. Aufl Würdinger Vor § 15 Anm 5; ders FS Kunze, 1969, S 177, 182 f. 117 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 68; vgl aber Art 3 Abs 5a VO EG 139/2004 (FusionskontrollVO), nach dem kein Zusammenschluss angenommen wird, wenn Kreditinstitute vorübergehend Anteile zum Zweck der Veräußerung erwerben, „sofern sie die mit den Anteilen verbundenen Stimmrechte nicht ausüben, um das Wettbewerbsverhalten des Unternehmens zu bestimmen“; auch § 37 Abs 3 GWB; § 23 Abs 1 Nr 2, 3, Abs 3 WpHG; § 20 WpÜG; dort kommt es jeweils auf Zwecke der Beteiligung und Verhalten an. 118 Cahn AG 2002, 30, 32 f; Wiedemann/Martens AG 1976, 197, 200, anders aber S 199 Fn 13a. 119 BGHZ 69, 334, 337 f (VEBA/Gelsenberg); BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 113 (VW); BGH 18.6.2001 – II ZR 212/99, BGHZ 148, 123, 125 (MLP): 15% und 9% nicht „maßgeblich“; Grigoleit Rdn 20; Hüffer/Koch11 Rdn 11; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 48 betr Kapitalgesellschaften mwN; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 59 Rdn 7; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 46 f: Gleichlauf mit Beherrschungskriterien des § 17; – aA Milde Gleichordnungskonzern, 1996, S 34 ff, der einen kaufmännisch eingerichteten Gewerbebetrieb verlangt und damit zum institutionellen Unternehmensbegriff zurückkehren will; – vgl ferner Art 2 der RL 2009/102/EG (zwölfte, Einpersonen-GmbH-Richtlinie): bis zur Koordinierung des Konzernrechts können die Mitgliedstaaten besondere Bestimmungen erlassen, sofern eine natürliche Person einziger Gesellschafter von mehreren Gesellschaften oder eine Einpersonengesellschaft oder eine andere juristische Person einziger Gesellschafter einer Gesellschaft ist. 120 Geßler/Geßler Rdn 20, 26, 28 „wirtschaftliche Betätigung“; Hefermehl FS Geßler, 1971, S 203, 211 f; Hüffer/Koch11 Rdn 12; Zöllner ZGR 1976, 1, 13 ff.
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des ursprünglichen Anteilsinhabers ende;121 entsprechendes gelte bei Einschaltung eines Treuhänders. Sind Holding oder Treuhänder schon wegen maßgeblicher (Rdn 36 ff) Mehrfachbeteiligung Träger potenzieller Interessenkonflikte, besteht kein Grund, sie von den Vorschriften über verbundene Unternehmen auszunehmen. Bei der Frage nach der Qualifikation des Treugebers bzw Inhabers der Anteile der Holding handelt es sich um ein Zurechnungsproblem (Rdn 44 ff). 34 Das Kriterium der aktiven Verwaltung enthält ein Verhaltensmoment und ist deshalb als Begriffsmerkmal ungeeignet. Insgesamt ist es schwierig, nach der Art und Weise der Ausübung von Mitgliedschaftsrechten abzugrenzen (Rdn 31). Zwar kann ein Anleger mehrere Beteiligungen mit demselben unternehmenspolitisch neutralen Renditeinteresse halten wie nur eine einzige, die ihn nicht zum Unternehmen macht. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber dann, wenn der Umfang der Beteiligungen unternehmerische Einflussnahme ermöglicht und damit auch nahelegt. Wenn die gegebene Einflussmöglichkeit bei mehr als einem Unternehmen besteht, ergibt sich der potenzielle (nicht notwendig aktuelle) Interessenkonflikt, der mit dem Unternehmensbegriff erfasst werden soll.122 Dagegen wurde eingewandt, es fehle an einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit des 35 Aktionärs, die seine Einflussnahme als eigenunternehmerisch qualifiziere.123 Damit würde aber letztlich wohl doch ein Unternehmen iS eines sachlichen Substrats (Rdn 12 m Fn 37) verlangt, das dem Anteilsinhaber zugerechnet werden könnte, da die wirtschaftliche Betätigung nach außen hervortreten und erkennbar sein müsse.124 Das Gesetz setzt das nicht voraus. Nach der hier vertretenen Auffassung erübrigt sich auch eine weitergehende Differenzierung danach, ob der unternehmerische Einfluss zu einheitlicher Leitung verdichtet ausgeübt wird.125 Letzteres ist eine Frage des § 18, nicht des Unternehmensbegriffs (Rdn 12). Ebenso ist die Qualifizierung anderer als mitgliedschaftlich vermittelter Einflüsse eine Frage des Abhängigkeitsbegriffs (Windbichler § 17 Rdn 12 ff); sie gehört zum Vertrags-, ggf Kartellrecht. Wesentlich ist vielmehr die Frage nach der Definition der maßgeblichen Beteiligung. 36
c) Der Umfang einer maßgeblichen Beteiligung, sonstige Anforderungen sowie deren Kombination, die zur Unternehmenseigenschaft führen, sind nicht abschließend geklärt.126 Im Lichte des § 16 sind jedenfalls sowohl Kapital- als auch Stimmrechtsbeteiligungen anzusetzen. Angesichts der Fülle der denkbaren Fallgestaltungen einschließlich der verschiedenen Rechtsformen und Zusatzabreden ist eine umfassende Formel nicht möglich, statt dessen sind taugliche Kriterien für die Argumentation zusammenzutragen. Es bedarf einer typisierenden Gesamtbetrachtung, für die wiederum auf die Gefahr eines Interessenkonflikts abzustellen ist. Dabei sind in anderen Zusammenhängen als relevant normierte Schwellenwerte zu verarbeiten, damit der Kriterienkatalog nicht durch unnötige und widersprüchliche Differenzierungen vergrößert und verunklart wird (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 37, 47 ff).
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121 Emmerich/Habersack KonzernR10 § 2 Rdn 14 f (mit Einschränkungen); Grigoleit Rdn 22; Hüffer/Koch11 Rdn 9a; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 8; MünchKomm/Bayer4 Rdn 26 f; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 39. 122 HM; Hüffer/Koch11 Rdn 15; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 37, 44 f; unter inzwischen überholter Haftungsperspektive BGHZ 95, 330, 337 (Autokran). 123 Geßler/Geßler Rdn 26; Hefermehl FS Geßler, 1971, S 203, 212 f; Zöllner ZGR 1976, 1, 14 f. 124 Geßler/Geßler Rdn 20 aE; ähnlich Milde Gleichordnungskonzern, 1996, S 35 ff mit Bezugnahme auf den handelsrechtlichen Gewerbebegriff. 125 So etwa Hefermehl FS Geßler, 1971, S 203, 213; dagegen KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 37 ff mit Nachw der Diskussion; für die einheitliche Leitung als Analogiegrundlage Zöllner ZGR 1976, 1, 20 f. 126 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 47.
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Ein Interessenkonflikt droht unzweifelhaft dann, wenn es sich um mehrere Mehr- 37 heitsbeteiligungen handelt. Besteht nur eine Mehrheitsbeteiligung, ist fraglich, ob schon jede andere, noch so geringe Beteiligung dem Aktionär die Eigenschaft des Privataktionärs nimmt. Voraussetzung für die Gefahr der Einflussnahme, die anderen als reinen Anlageinteressen folgt, ist, dass die Beteiligung eine solche Einflussmöglichkeit vermittelt. Diese ist zu unterscheiden vom beherrschenden Einfluss iSd § 17 Abs 1. Bei börsennotierten Gesellschaften wird eine Kontrollposition ab 30% der Stimmrechte vermutet, § 29 Abs 2 WpÜG. Unternehmerisch relevanter Einfluss auf Grundlagenentscheidungen ist jedenfalls gegeben bei Sperrminorität.127 Demnach ist auch ein Aktionär, der mehrere Sperrminoritäten hält, als Unternehmen anzusehen. Die Definition der wechselseitigen Beteiligung in § 19 Abs 1 und die Mitteilungspflicht nach § 20 sprechen deutlich für diese Wertung, schließen aber die Berücksichtigung geringerer Beteiligungen als maßgeblich nicht aus.128 Minderheitsbeteiligungen sind vielmehr nach den Umständen des Einzelfalles zu gewichten. Dafür bieten sich nachfolgende Kriterien an. d) Andere maßgebliche Beteiligungen können bereits unterhalb der Sperrmino- 38 rität gegeben sein.129 Im Rechnungslegungsrecht wird richtlinienkonform130 für die Definition einer „Beteiligung“ bei einem Anteilsbesitz von mehr als 20% vermutet, dass dieser dazu bestimmt ist, dem eigenen Geschäftsbetrieb des Inhabers durch Herstellung einer dauernden Verbindung mit dem Beteiligungsunternehmen zu dienen, § 271 Abs 1 Satz 3 HGB. Die Vorschrift dient ebenfalls der Offenlegung potenzieller Interessenkonflikte.131 Dort steht zwar die Unternehmenseigenschaft des Anteilsinhabers außer Frage, die Indizwirkung für die Eignung einer Minderheitsbeteiligung zur Verfolgung unternehmerischer Interessen ist jedoch deutlich.132 Die Voraussetzung der Daueranlage ist bilanzrechtlich durch die Zuordnung zum Anlagevermögen bedingt und ändert an dieser Feststellung nichts, ebenso der Streit über die Anforderungen an das Merkmal „zu dienen bestimmt“.133 Für die bei einer Beteiligung von 20% naheliegende Interessenbindung sprechen auch die §§ 311 Abs 1 Satz 2, 319 Abs 2 Nr 3, 4, 8, Abs 3 Nr 1 HGB. Gesellschaftsrechtlich können die Schwellen für Minderheitsrechte herangezo- 39 gen werden.134 Die niedrigste ist 1% des Grundkapitals oder 100.000 € anteilig, §§ 142 Abs 2 Satz 1, Abs 4 Satz 1, 148 Abs 1, 258 Abs 2 Satz 2 und § 315 Satz 2. 5% verlangen § 122 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 1 (oder 500.000 € anteilig) und § 260 Abs 1 Satz 1; 10% verlangen §§ 50 Satz 1, 93 Abs 4 Satz 3, 103 Abs 3 Satz 3, 120 Abs 1 Satz 2, 137, 147 Abs 2 Satz 2 und § 309 Abs 3 Satz 1; § 100 Abs 2 Nr 4 verlangt 25%. Die Sperrminorität, die die aktienrechtliche Mitteilungspflicht nach § 20 Abs 1 auslöst, gilt tendenziell als zu hoch (Windbichler § 20 Rdn 25, 94). Größere Beteiligungen können in ihrem Gewicht durch satzungsmäßige Stimmkraftbeschränkungen relativiert werden. § 134 Abs 1 lässt diese für nichtbörsenno-
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127 In diesem Sinne auch das Beispiel bei KK/Koppensteiner3 Bd 1 Rdn 37; vgl ferner BGHZ 90, 381, 391 (BuM). 128 Vgl KK/Koppensteiner3 Bd 1 Rdn 47; aA Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 59 Rdn 18. 129 Emmerich/Habersack KonzernR10 § 2 Rdn 12. 130 Art 17 der Vierten Richtlinie (Jahresabschlußrichtlinie) 78/660/EWG, jetzt Art 2 Nr 2 der Richtlinie 2013/34/EU; die Vermutung darf höchstens bei 20% angesetzt werden. 131 MünchKomm-BilanzR/Kropff § 271 HGB Rdn 8 f; MünchKomm-HGB/Reiner3 § 271 Rdn 3. 132 MünchKomm-BilanzR/Kropff § 271 HGB Rdn 16. 133 Dazu MünchKomm-BilanzR/Kropff § 271 HGB Rdn 22 ff; MünchKomm-HGB/Reiner3 § 271 Rdn 10 f; Baumbach/Hopt/Merkt HGB36 § 271 Rdn 3. 134 Unbeachtlich sind insoweit die Rechte, die jedem einzelnen Aktionär zustehen, vgl §§ 126 f, 131 Abs 1, 245, und auch die Seriositätsschwelle in § 246a Abs 2 Nr 2.
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tierte Gesellschaften zu; sie betreffen in der Praxis Schwellen von etwa 3%, 5% oder 10%.135 Im Kapitalmarktrecht liegt die niedrigste Schwelle für eine Meldepflicht nach § 21 40 WpHG bei 3% der Stimmrechte. Dort werden zwar andere Normzwecke verfolgt als im Aktienrecht,136 gleichwohl sollen aber auch hier „bedeutende“ Beteiligungen erfasst werden. Je nach Beteiligungsstruktur im Übrigen (Streubesitz) kann der Inhaber einer Minderheitsbeteiligung Groß-, Hauptaktionär oder jedenfalls in der Unternehmenspolitik zur Kenntnis zu nehmender Eigner sein. Im Recht der präventiven Fusionskontrolle erfasst der Zusammenschlussbegriff be41 reits die Möglichkeit eines durch Minderheitsbeteiligung vermittelten Einflusses auf das Marktverhalten von Unternehmen; § 37 Abs 1 Nr 3 GWB lässt den Erwerb von 25% des Kapitals oder der Stimmrechte genügen. Der wettbewerbsrechtliche Regelungszusammenhang gibt auch Anhaltspunkte dafür, von welchen Beteiligungen angenommen wird, dass sie einen solchen Einfluss gewähren können. Ein Kontrollerwerb ist insoweit nicht erforderlich.137 Auch bei Anteilserwerb unterhalb der 25%-Schwelle liegt ein Zusammenschluss vor, sofern dadurch ein wettbewerblich erheblicher Einfluss ermöglicht wird, § 37 Abs 1 Nr 4 GWB. Je nach den Umständen des Einzelfalles kann ein solcher Einfluss ab Beteiligungen von ca 10% gegeben sein.138 Der fusionskontrollrechtliche Aufgreiftatbestand knüpft an Veränderungen der (Wettbewerbs-)Struktur an; ob ein Eingreiftatbestand gegeben ist, § 36 GWB, ist eine andere Frage. Da die aktienrechtliche Unterscheidung zwischen Privataktionär und Unternehmen einen spezifischen Gefährdungstatbestand und den Zugang zu einer Strukturveränderung erfassen soll (Rdn 11), weitere Folgen aber von den daran anschließenden materiellen Regelungen abhängen, liegt der Vergleich nahe. Daher sind Erwägungen zu wettbewerbsrelevanten Minderheitsbeteiligungen als Indiz für die Möglichkeit unternehmerischen Einflusses verwendbar. Das gilt unabhängig davon, ob im Recht der Zusammenschlusskontrolle derselbe Unternehmensbegriff wie im Aktienrecht verwendet wird (Rdn 51). 42 Unabhängig von fest formulierten Grenzen ist ein weiteres Indiz für die Tauglichkeit von Minderheitsbeteiligungen unterhalb der Sperrminorität zur unternehmerischen Einflussnahme die verbreitete Gepflogenheit, maßgeblichen Aktionären einen Aufsichtsratssitz zu überlassen, obwohl das durch die gesellschaftsrechtlich gegebenen Mehrheitsverhältnisse, §§ 101, 133, nicht vorgegeben ist. Solche Beteiligungen sind daher geeignet, die Unternehmenseigenschaft zu begründen. Die Monopolkommission erfasst dementsprechend in ihren statistischen Angaben nicht nur Minderheitsbeteiligungen, sondern auch personelle Verflechtungen bei den „100 Größten“.139 Die Praxis des Paketzuschlags140 zeigt eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Einfluss, den der Paketzuschlag honoriert, entweder als wirtschaftlicher Wert durch Veräußerung realisiert oder aktiv ausgeübt wird. Im letzteren Fall ergibt sich die Gefahr des Interessenkonflikts bei Mehrfachbeteiligung.
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135 Hüffer/Koch11 § 134 Rdn 6; Spindler/Stilz/Rieckers3 § 134 Rdn 15. 136 Assmann/Schütze/Süßmann Hdb des Kapitalanlagerechts4 § 14 Rdn 1; Schwark/Zimmer/Schwark4 Vor § 21 WpHG Rdn 4. 137 Immenga/Mestmäcker/Thomas Wettbewerbsrecht5 § 37 GWB Rdn 247. 138 Im konkreten Fall mit Rücksicht auf die Gestaltung des Gesellschaftsvertrages ablehnend OLG Düsseldorf, 6.7.2005 – VI Kart 26/04 (V), WuW 2005, 1271 (Bonner Zeitungsdruckerei); Immenga/ Mestmäcker/Thomas Wettbewerbsrecht5 § 37 GWB Rdn 304, 309 ff. 139 ZB Monopolkommission, Hauptgutachten 2012/2013, 2014 Rdn 451 ff. 140 Cahn AG 1997, 502 f; Lutter ZHR 153 (1989) 446, 462; Reul Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen, 1991; M Weber Vormitgliedschaftliche Treubindungen, 1999, S 328 ff mwN; vgl auch § 31 Abs 3 – 6 WpÜG, § 4 WpÜGAngebotsVO.
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Bei Beteiligung an Unternehmensträgern in anderer Rechtsform als der Kapitalge- 43 sellschaft ist die Einflussmöglichkeit und damit einhergehende Interessenbindung zu gewichten. Bei Personenhandelsgesellschaften genügt die bloße Kommanditistenstellung nach dem gesetzlichen Grundmuster nicht, wohl aber die als persönlich haftender Gesellschafter.141 Eine atypische stille Beteiligung kann, je nach Ausgestaltung, eine solche Bindung bewirken.142 Anschauungsmaterial für Gestaltungen findet sich ua in der Rechtsprechung zur Zusammenschlusskontrolle (Rdn 41). Ähnliche Fragestellungen ergeben sich für die Feststellung der Abhängigkeit iSd § 17 Abs 1 (§ 17 Rdn 27 ff); dort wird die Unternehmenseigenschaft aber bereits vorausgesetzt. 6. Zurechnungsfragen. Die Zurechnung der Unternehmenseigenschaft143 ist in Er- 44 wägung zu ziehen, wenn eine Einzelperson nicht alle Merkmale erfüllt, diese aber anderweitig gegeben sind, ferner bei Personenmehrheiten, wenn deren Mitglieder die Unternehmensmerkmale erfüllen. Davon zu unterscheiden ist die Zurechnung von Beteiligungen, die ihrerseits für die Feststellung der Unternehmenseigenschaft kraft Mehrfachbeteiligung relevant ist (Rdn 32 ff). a) Ein Anwendungsfall sind Treuhandverhältnisse; die Unternehmenseigenschaft 45 des Treuhänders kann dem Treugeber zurechenbar sein und umgekehrt.144 ZB verliert ein Einzelkaufmann, der eine maßgebliche Gesellschaftsbeteiligung hält, nicht dadurch die Unternehmenseigenschaft, dass er sein Handelsgewerbe einem Treuhänder überträgt. Das wirtschaftliche Interesse als Treugeber ist dann zu berücksichtigen, wenn er als solcher, je nach Ausgestaltung des Treuhandverhältnisses, unternehmerischen Einfluss behält.145 Entsprechendes gilt für den Fall, dass der Treugeber mehrere Beteiligungen auf verschiedene Treuhänder verteilt.146 Bündelt der Inhaber mehrerer Beteiligungen diese in einer Zwischenholding, be- 46 steht nur noch eine Beteiligung an der Holdinggesellschaft. Zur Begründung der Unternehmenseigenschaft des Gesellschafters der Holding reicht das grundsätzlich nicht aus (Rdn 31), während die Holding selbst zweifellos Unternehmen ist, sei es kraft Rechtsform (Rdn 20), sei es kraft Mehrfachbeteiligung.147 Die Zurechnung der Unternehmenseigenschaft zum Alleingesellschafter auf der Grundlage der gewählten Konstruktion ist allerdings gerechtfertigt; anderenfalls würden Umgehungen stark erleichtert.148 Verhaltensbezogene Kriterien spielen keine Rolle (Rdn 31). Ob diese Zurechnung auch bei anderen als Alleingesellschaftern angezeigt ist, kann wohl nur im Einzelfall entschieden werden; anderenfalls würde jede maßgebliche Beteiligung an einer Gesellschaft, die als Spitze eines Konzerns im Holding-Modell fungiert, den Aktionär zum Unternehmen machen. Diese Kriterien sind insgesamt unscharf, was aber wohl weniger der mangelnden
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141 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 49; MünchKomm/Bayer4 Rdn 23; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 43. 142 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 86; vgl auch Windbichler § 16 Rdn 18. 143 Nicht: des Sachsubstrats „Unternehmen“ oder einer Geschäftstätigkeit; so aber Zöllner ZGR 1976, 1, 19, 21 f, der an eine im eigenen Namen ausgeübte Tätigkeit anknüpft und den Weg der Analogie beschreitet; wie hier Emmerich/Habersack KonzernR10 § 2 Rdn 16; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 66. 144 Vgl Bachmann § 1 Rdn 63; Wolframm Mitteilungspflichten, 1998, S 115 f. 145 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 67; vgl auch BGH 19.9.1994 – II ZR 237/93, ZIP 1994, 1690: aus berufsrechtlichen Gründen als Gesellschafter eingesetzte Ehepartner hindern nicht die Qualifizierung der wirtschaftlichen Eigentümer als Unternehmen. 146 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 67 f. 147 Hüffer/Koch11 Rdn 12; MünchKomm/Bayer4 Rdn 27; jeweils ohne die hier vertretene Anknüpfung an die Form als Kapitalgesellschaft. 148 Hüffer/Koch11 Rdn 12; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 68; MünchKomm/Bayer4 Rdn 33.
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Präzision des Unternehmensbegriffs anzulasten ist als dessen Verwendung als Einstiegsbegriff, die Zweifeln ausgesetzt ist (Rdn 1). Im Einzelfall können Umgehungs- und Missbrauchsgesichtspunkte zu abweichenden Ergebnissen hinsichtlich der materiellen Rechtsfolgen führen, das Terrain der Begriffsbestimmung ist damit aber verlassen.149 b) Bei Personenmehrheiten kann die Unternehmenseigenschaft der Gruppe als solcher zukommen, wenn diese verselbständigt ist, etwa in einer BGB-Außengesellschaft (Rdn 16), die mehrere maßgebliche Beteiligungen in ihrem Vermögen hält.150 Handelt es sich um eine unternehmenstragende BGB-Gesellschaft,151 ist sie schon kraft dieser Tätigkeit Unternehmen. Hält eine nicht unternehmenstragende BGB-Gesellschaft nur eine Beteiligung, sind jedoch ihre Gesellschafter entweder selbst Unternehmen oder in einer Handelsgesellschaft zusammengeschlossen, besteht die typische Gefahr, dass sie ihre Mitgliedschaftsrechte im Interesse der beteiligten Unternehmen oder der Handelsgesellschaft der Gesellschafter ausübt. Die Unternehmenseigenschaft ihrer Gesellschafter ist ihr daher zuzurechnen.152 Das schließt nicht aus, dass Vorschriften über verbundene Unternehmen auch gegenüber den einzelnen Gesellschaftern zur Anwendung kommen, wenn diesen wiederum die Beteiligung der BGB-Gesellschaft zuzurechnen ist oder sie als deren Gesellschafter persönlich in die Pflicht genommen werden. Ggf ist nach dem Einflusspotenzial zu differenzieren. Hält die Gesellschaft selbst keine Beteiligung und ist bloße Innengesellschaft, etwa 48 als Koordinierungsorgan (Konsortium) für die Beteiligungen ihrer Gesellschafter, fehlt ihr schon die rechtliche Selbständigkeit (Rdn 14).153 Hier können aber einzelne Gesellschafter Unternehmensqualität haben, wenn zu ihrer eigenen Beteiligung eine weitere maßgebliche hinzu kommt. Das Koordinierungsorgan kann aber auch nach außen verselbständigt sein; insbesondere für Gemeinschaftsunternehmen und das Steuerungsorgan eines Gleichordnungskonzerns ist dann die Einordnung weiterhin streitig.154 Die Frage ist zB entscheidend für die Mitteilungspflichten nach § 20 oder die Zulässigkeit des Abschlusses eines Beherrschungsvertrages (§ 291) mit der BGB-Gesellschaft, der nach der Abschaffung der steuerlichen Mehrmütterorganschaft155 allerdings an Bedeutung verlo47
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149 Für Differenzierungen nach dem Verhalten MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 8; Ulmer NJW 1986, 1579, 1586: Einschaltung der Holding nur pro forma. – Ähnlich Priester ZIP 1986, 137, 142 für den mehrfach beteiligten GmbH-Gesellschafter unter methodischem Rückgriff auf Zöllner ZGR 1976, 1, 19, der den mehrfach beteiligten Großaktionär einem Unternehmen gleichstellt; K Schmidt AG 1994, 189, 191. 150 Emmerich/Habersack KonzernR10 § 2 Rdn 16; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 59, 69; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 266, distanzierend zu OLG Saarbrücken AG 1980, 26, 28; BGH AG 1980, 342 (Nichtannahmebeschluss). 151 Geßler/Geßler Rdn 40; K Schmidt Gesellschaftsrecht3 § 58 II 4 a. 152 BGHZ 114, 203, 210; Geßler/Geßler Rdn 41; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften 1994 S 266; Lutter FS Steindorff 1990 S 125, 130 f; ders ZHR 151 (1987) 444, 452; aA KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 62; 3. Aufl Würdinger § 17 Anm 11. 153 HM; OLG Hamburg 3.8.2000 – 11 W 36/95, NZG 2001, 471, 473; OLG Hamm 2.11.2000 – 27 U 1/00, NZG 2001, 563, 564 f; Hüffer/Koch11 Rdn 13. 154 Für Unternehmenseigenschaft der BGB-Gesellschaft etwa Barz FS Heinz Kaufmann, 1972, S 59, 61; Geßler/Geßler Rdn 45, 51 (Koordinationsorgan für Gemeinschaftsunternehmen), § 17 Rdn 78 (betr Konsortialvertrag von Unternehmen); Hüffer/Koch11 § 17 Rdn 14 (Außengesellschaft); Marchand Abhängigkeit und Konzernzugehörigkeit von Gemeinschaftsunternehmen 1985, S 68, 74, 125; – dagegen Gansweid Gemeinsame Tochtergesellschaften im deutschen Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1976, S 89 f, 194 f; Geßler/Geßler Rdn 43 (betr Leitungsorgan eines Gleichordnungskonzerns), 44 (Konsortium von Privataktionären); Hüffer/Koch11 § 18 Rdn 20 (Koordinierungsorgan des Gleichordnungskonzerns); KK/ Koppensteiner3 Bd 1 Rdn 61; Luchterhandt ZHR 132 (1969) 149, 164; MünchKomm-BGB/Ulmer/Schäfer6 § 705 Rdn 277 (Innengesellschaft); 3. Aufl Würdinger § 17 Anm 11. 155 Gosch/Neumann KStG3 § 14 Rdn 385; 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 16 ff.
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ren hat. Die zur Abgrenzung des Privataktionärs vom Unternehmensaktionär entwickelten Kriterien greifen hier nicht, da das Konsortium selbst nicht Aktionär ist. Es kommt aber wiederum die Zurechnung der Unternehmenseigenschaft der Gesellschafter in Betracht. Die Tatsache, dass sie ihren Einfluss abstimmen, nimmt dem Einfluss nicht die unternehmerische Qualität und beseitigt nicht den potenziellen Interessenkonflikt.156 Daher entspricht es dem Konzept des Gesetzes, auch dem Koordinierungsorgan kraft Zurechnung Unternehmensqualität zuzusprechen, sobald es nach außen in Erscheinung tritt und damit als Normadressat in Betracht kommt.157 Diese Deutung ist unabhängig davon, ob die Gesellschaft als „Gesamthand“ verselbständigt ist, da sie mangels Gesellschaftsvermögens typischerweise keine Gesamthandsgesellschaft ist.158 Dadurch, dass die Gesellschafter ein Konsortium mit Unternehmenseigenschaft zwischenschalten, ist noch nicht präjudiziert, ob und in welchem Umfang sie selbst Adressaten von Vorschriften über verbundene Unternehmen bleiben (vgl Rdn 47 aE, Windbichler § 17 Rdn 54, 67), zumal in Haftungsfragen ein Rückzug hinter eine BGB-Gesellschaft ohne Gesellschaftsvermögen ausscheidet.159 Ist an dem Konsortium neben einem oder mehreren Unternehmen ein Privataktionär beteiligt, muss nach der hier vorgeschlagenen Zurechnung der Unternehmenseigenschaft diese die gesamte Gruppe erfassen.160 Für eine reine Innengesellschaft stellt sich die Frage hingegen nicht, da ihr die Fähigkeit fehlt, Unternehmensträger zu sein (Rdn 14, 16). Als Unternehmen kommen nur ihre Gesellschafter in Frage (vgl Windbichler § 17 Rdn 61, 64 ff). Entsprechendes gilt für das Koordinationsorgan eines Gleichordnungskonzerns,161 falls es nicht eine Rechtsform hat, die das die Unternehmenseigenschaft begründende Konfliktpotential in sich trägt (Rdn 17 ff). 7. Unternehmensbegriff in anderen Vorschriften. In anderen Vorschriften und 49 Rechtsgebieten wird der Unternehmensbegriff (zur Verwendung des Begriffs „verbun-
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156 Ähnlich Geßler/Geßler Rdn 42, 45; vgl auch Sonnenschein Organschaft, 1976, S 264; aA wohl KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 62, der in dieser Konstellation den potenziellen Interessenkonflikt verneint. – Die Rspr ist beim Zurechnungsdurchgriff betr Eigenschaften der Gesellschafter für die verselbständigte GbR tendenziell großzügig, vgl BGH 23.10.2001 – XI ZR 63/01, BGHZ 149, 80 (Verbrauchereigenschaft); BGH 27.6.2007 – VIII ZR 271/06, NZG 2007, 702; BGH 23.11.2011 – VIII ZR 74/11, NZG 2012, 67 (Eigenbedarf bei Wohnungsvermietung). 157 Geßler/Geßler Rdn 44, 47; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 265; zur konzernleitenden Personengesellschaft UH Schneider ZHR 143 (1979) 485, 495 ff; s auch LG Heidelberg ZIP 1997, 1787, 1788 (SAP); maßgebend für die Einordnung als Innen- oder Außengesellschaft ist der Gesellschaftsvertrag, MünchKomm-BGB/Ulmer/Schäfer BGB6 § 705 Rdn 275; – zum arbeitsrechtlichen Abwicklungserfordernis einer einen Gemeinschaftsbetrieb koordinierenden BGBGesellschaft ohne Gesamthandsvermögen Windbichler in Anm zu BAG SAE 1989, 46, 52 f; ähnlich BAG AP Nr 42 zu § 111 BetrVG 1972. 158 Dazu K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 8 III, § 58 II 2 mwN; Wiedemann FS Kellermann 1991 S 529; ders ZGR 1996, 286: Vertrags- oder Organisationsgesellschaft; zur Möglichkeit, dass Gesellschaften mit Gesamthandsvermögen gleichwohl Innengesellschaften (iwS) bleiben können MünchKomm-BGB/Ulmer/ Schäfer6 § 705 Rdn 266; Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 2 Rdn 4, 6, § 5 Rdn 6, 10; ähnlich zu § 20 BGHZ 114, 203, 210 f: Gesellschaft nur als Treuhänder zum Erwerb der Beteiligung ohne weiterreichende Befugnisse. 159 Die Gesellschafter einer GbR haften grundsätzlich unbeschränkt, allgM, BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 (ARGE Weißes Ross); MünchKomm-BGB/Schäfer6 § 714 Rdn 34 mwN; Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 8 Rdn 11 f. 160 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 § 17 Rdn 89; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 265. 161 IE ebenso mit anderer Begründung Geßler/Geßler Rdn 38 aE, 43; Hüffer/Koch11 Rdn 9a; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 61; – aA Gromann Die Gleichordnungskonzerne im Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1979, S 45 f; – s auch § 18, 52.
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dene Unternehmen“ oben Rdn 6 ff) ebenfalls ohne Legaldefinition verwendet. Auch dort kann die Ausfüllung nur nach der Funktion im jeweiligen Normenkomplex erfolgen und somit zu anderen als den oben entwickelten Ergebnissen führen. Unterschiede und Parallelen bei der Begriffsbestimmung können in Zweifelsfällen zur Klärung herangezogen werden. Nachfolgend werden daher einige Bereiche beispielhaft genannt. 50
a) Im HGB wird der Unternehmensbegriff nicht einheitlich verwendet.162 Er bezeichnet das betriebene Geschäft in §§ 1 ff HGB, oftmals aber auch den Unternehmensträger als Normadressaten, zB in §§ 8b Abs 2 Nr 7, 9a Abs 3 Satz 3, 15 Abs 4 HGB. In den Rechnungslegungsvorschriften ist überwiegend das Sachsubstrat angesprochen, zB in § 238 Abs 1 HGB. Dagegen setzt der Beteiligungsbegriff des § 271 Abs 1 HGB einen Unternehmensträger voraus, an dem die Beteiligung besteht (vgl dazu auch Rdn 6). Hier wird funktional und rechtsformunabhängig abgegrenzt; damit sind auch Einheiten erfasst, die nicht rechnungslegungspflichtig sind.163 Ob Gebietskörperschaften, ggf mit ihren Eigenbetrieben, Unternehmen sein können, ist von untergeordneter Bedeutung, da Beteiligungen daran kaum in Betracht kommen.
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b) Das GWB geht entsprechend den verfolgten Normzwecken von einem weiten, funktionalen Unternehmensbegriff aus; auch Unternehmensgruppen als ganze können darunter fallen, nicht aber rechtlich nicht näher strukturierte Personengruppen wie Familienstämme. Als Normadressat ist jeweils der einzelne Unternehmensträger zu bestimmen (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 34, 38 f mwN). Nicht Unternehmen sind Verbraucher sowie Träger hoheitlichen Handelns für jeweils diesen Bereich.164 Damit kennt das GWB relative Unternehmen, jedoch mit anderer Abgrenzung als das AktG. Ferner werden als potenzielle Unternehmen solche bezeichnet, die zwar nicht aktuell, aber möglicherweise in Zukunft am Markt teilnehmen.165 Hierzu gibt es im Aktienrecht keine unmittelbare Entsprechung, vielmehr wird zwischen Potentialität (möglicher Interessenkonflikt beim Unternehmensbegriff, Beherrschungsmöglichkeit bei § 17) und Aktualität (einheitliche Leitung bei § 18) für die begriffliche Anknüpfung unterschieden. Auch die Abgrenzung zum Privatgesellschafter wirft Probleme auf; die sog Flick52 Klausel, § 36 Abs 3 GWB, fingiert für Privatpersonen die Unternehmenseigenschaft.166 Diese Fiktion greift nicht, wenn die betr Person oder Personenvereinigung keine Mehrheitsbeteiligung hält. Nach bestrittener Ansicht wird sie gleichwohl als Unternehmen iSd GWB angesehen, wenn sie eine über die bloße Gesellschafterstellung hinausgehende wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.167 Im Aktienrecht kommt es jedenfalls darauf, ob und wie Gesellschafterrechte ausgeübt werden, nicht an (Rdn 31).
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162 K Schmidt Handelsrecht4 § 4 I 2, 3. 163 Im Einzelnen str, Baumbach/Hopt/Merkt HGB36 § 271 Rdn 2; BeckBilKom/Grottel/Kreher9 § 271 HGB Rdn 9; MünchKomm-HGB/Reiner3 § 271 Rdn 5. Die Änderung des § 271 Abs 1 Satz 3 HGB durch das BilRUG 2015 bezieht auch Unternehmen ohne Nennkapital ein. 164 BGH 25.9.2007 – KZR 48/05, WuW 2008, 68 (Rettungsleitstelle); Immenga/Mestmäcker/Zimmer Wettbewerbsrecht5 § 1 GWB Rdn 33. 165 Immenga/Mestmäcker/Zimmer Wettbewerbsrecht5 § 1 GWB Rdn 42 ff. 166 Immenga/Mestmäcker/Thomas Wettbewerbsrecht5 § 36 GWB Rdn 946 für Geltung im GWB auch außerhalb der Zusammenschlusskontrolle. 167 KG AG 1992, 159, 160 = WuW/E OLG 4835, 4848; – aA Immenga/Mestmäcker/Thomas Wettbewerbsrecht5 § 36 GWB Rdn 946 aE.
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c) Im EU-Recht gehen die Wettbewerbsregeln des AEUV, Art 101 ff, ebenfalls von 53 einem funktionalen Unternehmensbegriff aus.168 Rechtsform oder Gewinnerzielungsabsicht sind nicht entscheidend; konstituierend wirkt jede selbständige, auf die Herstellung oder den Austausch von Waren oder Dienstleistungen gerichtete Tätigkeit, die nicht rein privat, dh auf die Deckung des persönlichen Bedarfs beschränkt ist oder außerhalb des Erwerbslebens liegend erfolgt. Der Unternehmensbegriff bestimmt den Adressatenkreis der Wettbewerbsregeln. Demnach können urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften, Künstler, Wissenschaftler, Erfinder oder Sportverbände Unternehmen sein,169 während das bloße Halten von (Mehrheits-)Beteiligungen an mehreren Unternehmen nicht genügt.170 d) Andere Vorschriften verwenden den Unternehmensbegriff entsprechend ihrem 54 jeweiligen Normzweck. Das BetrVG unterscheidet vor allem zwischen Betrieb und Unternehmen.171 Wesentliches Merkmal des Unternehmens ist der einheitliche Unternehmensträger, womit zumindest teilweise an das Handels- und Gesellschaftsrecht angeknüpft wird.172 Für die Betriebsverfassung erscheint es nicht ausgeschlossen, dass ein Unternehmensträger mehrere Unternehmen betreibt, da das Merkmal „rechtlich selbständig“ nicht festgeschrieben ist. Eine arbeitnehmerlose Holding (vgl Rdn 19) kann herrschendes Konzernunternehmen sein; die Folge, dass ein Konzernbetriebsrat gebildet werden kann, tritt aber nur ein, wenn mehrere Unternehmen, die Arbeitnehmer beschäftigen und (Gesamt-) Betriebsräte haben, zum Konzern gehören.173 Nach § 1 BetrVG kann ein Betrieb zu mehreren Unternehmen gehören (Gemeinschaftsbetrieb). Typischerweise besteht eine rechtlich strukturierte Koordination durch die Trägerunternehmen in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts; obwohl regelmäßig kein Gesellschaftsvermögen gebildet wird, ist diese nicht nur reine Innengesellschaft (vgl Rdn 16), da die Leitungsgemeinschaft für den Betrieb den Arbeitnehmern und dem Betriebsrat gegenüber Außenbeziehungen schafft.174 Sie ist aber nur dann als Unternehmen iSd § 47 BetrVG anzusehen, wenn sie auch Arbeitgeber ist, was beim Gemeinschaftsbetrieb regelmäßig nicht der Fall ist.175 § 5 MitbestG wird nur dann relevant, wenn das herrschende Unternehmen eine in § 1 MitbestG aufgelistete Rechtsform hat; nach der hier vertretenen Auffassung (Rdn 19 f) wird daher im Rahmen der Verweisung auf § 18 Abs 1 (näher dazu Windbichler § 18 Rdn 64 ff) regelmäßig kein Problem die Unternehmenseigenschaft betreffend auftreten. Auch § 17 Abs 1 Satz 2 BetrAVG verlangt die Unterscheidung zwischen Privatperso- 55 nen und Unternehmen.176 Der gänzlich andere Normzweck bietet aber keine vergleichba-
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168 Immenga/Mestmäcker/Emmerich/Zimmer EU-Wettbewerbsrecht5 Art 101 Abs 1 Rdn 6 ff: in Anlehnung an Art 1 des Protokolls 22 zum EWR-Abkommen: „jedes Rechtssubjekt, das eine kommerzielle oder wirtschaftliche Tätigkeit ausübt“. 169 Immenga/Mestmäcker/Emmerich/Zimmer EU-Wettbewerbsrecht5 Art 101 Abs 1 Rdn 20 ff. 170 Immenga/Mestmäcker/Emmerich/Zimmer EU-Wettbewerbsrecht5 Art 101 Abs 1 Rdn 16: private Vermögensverwaltung. 171 GK-BetrVG/Franzen10 § 1 Rdn 30 ff; GK-BetrVG/Kreutz10 § 47 Rdn 11 ff; Staudinger/Richardi/Fischinger BGB2011 Vor §§ 611 ff Rdn 512, 515 ff, 1002 ff. 172 BAG AP Nr 1 zu § 47 BetrVG 1972 m Anm Wiedemann/Strohn = SAE 1977, 137 m Anm Leipold; krit Joost Betrieb und Unternehmen als Grundbegriffe im Arbeitsrecht, 1988, S 77 ff; großzügig BAG 9.8.2000 – 7 ABR 56/98, BAGE 95, 269: Landesorganisationen einer politischen Partei in Form nicht eigetragener Zweigvereine als rechtliche selbständige Unternehmen. 173 Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 311; – besteht die Gruppe nur aus einer arbeitnehmerlosen Holding und einem weiteren Unternehmen, kann aber die Aufsichtsratsmitbestimmung eingreifen, vgl BayObLG 24.3.1998 – 3Z BR 236/96, NZA 1998, 956; näher dazu Windbichler § 18 Rdn 64 ff. 174 Windbichler SAE 1989, 52 f. 175 BAG 17.3.2010 – 7 AZR 706/08, AP BetrVG 1972 § 47 Nr 18. 176 Blomeyer/Otto/Rolfs BetrAVG6 § 17 Rdn 55.
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ren Ansatzpunkte. Im KSchG spielt der Unternehmensbegriff eine Rolle für die Bestimmung der Beschäftigungsdauer sowie die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit an einem anderen Arbeitsplatz. Dort ist er untrennbar verbunden mit dem aggregierten sachlichen und immateriellen Substrat der unternehmerischen Tätigkeit (vgl Rdn 14),177 deshalb für die §§ 15 ff nicht aufschlussreich. III. Die einzelnen Unternehmensverbindungen Verbundene Unternehmen sind solche, zwischen denen eine oder mehrere der im Gesetz bezeichneten Beziehungen bestehen. Die Aufzählung ist abschließend (Rdn 2). Ein Sachverhalt kann zugleich mehrere Verbindungsformen verwirklichen; auch mittelbare Verbindungen sind möglich.178 Es sind jeweils alle an die festgestellte Art der Unternehmensverbindung anknüpfenden Vorschriften anzuwenden. Für die materiellen Folgen ergibt sich aus dem stufenförmigen Aufbau der Begriffe in §§ 15 ff, der von der sehr formalen Mehrheitsbeteiligung zur deutlich engen Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung im Konzern fortschreitet (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 55), noch nichts.179 Da die Definitionsnormen des AktG in erster Linie auf AGen zugeschnitten sind, folgen gelegentlich Abgrenzungs- und Auslegungsschwierigkeiten bei der Beteiligung von Unternehmen in anderer Rechtsform. Diese sind im Zusammenhang mit der jeweiligen Vorschrift zu erörtern. In der abschließenden Aufzählung könnte man die Eingliederung, eine spezifisch 57 aktienrechtliche Form der Unternehmensverbindung nach §§ 319 ff, vermissen. Sie führt aber schon wegen der zwingend erforderlichen 100%-igen (§ 319 Abs 1) bzw 95%-igen (§ 320 Abs 1) Beteiligung der Hauptgesellschaft stets über § 16 dazu, dass es sich um verbundene Unternehmen iSd § 15 handelt; ferner führt das Weisungsrecht (§ 323) zur Abhängigkeit iSd § 17.180 Ferner wird nach § 18 Abs 1 Satz 2 unwiderleglich eine Konzernverbindung vermutet. Daraus, dass die Eingliederung in § 15 nicht gesondert genannt ist, lässt sich nichts Abweichendes herleiten.181
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1. Mehrheitsbesitz und Mehrheitsbeteiligung (§ 16). Unternehmen, die im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehen oder mit Mehrheit beteiligt sind, sind verbundene Unternehmen. Darauf, ob mit Hilfe dieser Beteiligung Einfluss ausgeübt wird oder auch nur ausgeübt werden kann, kommt es nicht an (Windbichler § 16 Rdn 2). Insoweit handelt es sich um einen an aktuelle Verhältnisse angeknüpften Typ der Unternehmensverbindung (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 55). Da Anteils- und Stimmenmehrheit auseinanderfallen können (§ 16 Rdn 3), kann ein Unternehmen im Mehrheitsbesitz von zwei verschiedenen Unternehmen stehen. Diese letzteren werden dadurch jedoch nicht zu untereinander verbundenen Unternehmen,182 wenn nicht ohnehin eine der in § 15 genannten Verbindungen zwischen ihnen besteht. § 16 Abs 4 sieht für die Ermittlung der
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177 Die allgemein herrschende Unternehmensdefinition im Arbeitsrecht ist eine „organisatorische Einheit, innerhalb derer der Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sachlichen und immateriellen Mitteln bestimmte, hinter dem arbeitstechnischen Zweck des Betriebes liegende wirtschaftliche oder ideelle Zwecke verfolgt“. 178 Unstr, Hüffer/Koch11 Rdn 21; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 3; 3. Aufl Würdinger Anm 3. 179 Geßler/Geßler Rdn 65, 68. 180 Grigoleit Rdn 32 aE; Hüffer/Koch11 Rdn 21; – aA für den Fall, dass eine AG nur die Beteiligung an der eingegliederten Gesellschaft hält, KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 92, der dafür aber einen eigenen Unternehemsbegriff als Korrektur entwickeln will. Der Intention des Gesetzgebers entspricht das nicht. 181 Geßler/Geßler Rdn 5; Hüffer/Koch11 Rdn 21; 3. Aufl Würdinger Anm 3 aE. 182 Geßler/Geßler Rdn 66; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 § 16 Rdn 4; vgl auch BegrRegE bei Kropff AktG S 27.
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Verbundene Unternehmen | § 15
Anteilsmehrheit die Zurechnung von Anteilen, die ein anderer für Rechnung des Unternehmens hält, vor (zur Stimmrechtsmehrheit vgl Windbichler § 16 Rdn 34 ff). Diese Zurechnung allein, ohne dass eine der in § 15 genannten Beziehungen verwirklicht wäre, führt nicht dazu, dass diese anderen Unternehmen mit dem Beteiligungsunternehmen verbunden sind. Eine Mehrheitsbeteiligung kann aber durch Abhängigkeit und die daraus folgende Zurechnung vermittelt sein.183 2. Abhängigkeit und Beherrschung (§ 17). Für Abhängigkeit genügt, dass das ab- 59 hängige Unternehmen aus seiner Perspektive dem gesellschaftsrechtlich vermittelten Einfluss des herrschenden Unternehmen ausgesetzt ist (Windbichler § 17 Rdn 18 f); das Beherrschungspotenzial ist entscheidend. Abhängige und herrschende Unternehmen sind auch dann verbundene Unternehmen, wenn es sich nur um mittelbare Abhängigkeit handelt (Windbichler § 17 Rdn 57). Beherrscht ein Unternehmen mehrere andere nebeneinander, ohne dass die Abhängigkeit gestuft vermittelt wird und ohne Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung, sind die abhängigen Unternehmen nicht untereinander verbunden. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 15, der die angegebenen Verhältnisse der Unternehmen zueinander verlangt,184 sowie als Gegenschluss aus § 18 Abs 1 Satz 1. Steht die Beherrschungsmöglichkeit mehreren Unternehmen gemeinsam zu (Windbichler § 17 Rdn 59 ff), sind diese dadurch nicht untereinander verbunden iSd § 15. Das schließt nicht aus, dass eine an das Merkmal „verbundene Unternehmen“ anknüpfende Norm analog zur Anwendung kommt. Ob das geboten ist, kann nur anhand der konkreten Regelung, etwa der Berichts- und Auskunftspflicht nach § 90 Abs 1 Satz 3, Abs 3, entschieden werden, nicht durch die Definitionsnorm.185 3. Konzern (§ 18). Der Konzern ist durch die Zusammenfassung von Unternehmen 60 unter einheitlicher Leitung gekennzeichnet. Damit handelt es sich um eine tatsächlich durchgeführte Unternehmensverbindung. Nach § 18 Abs 1 Satz 1 2. Halbs und Abs 2 2. Halbs sind sämtliche zu einem Konzern gehörenden Unternehmen Konzernunternehmen, damit untereinander verbunden iSd § 15.186 § 308 Abs 1 verwendet dafür die Bezeichnung „konzernverbundene Unternehmen“. Die Differenzierung nach verschiedenen Arten von Konzernen (faktischer oder Vertragskonzern, Unterordnungs- oder Gleichordnungskonzern) spielt für die Einordnung als Konzern- und damit verbundenes Unternehmen keine Rolle. Abgrenzungsprobleme ergeben sich, wenn man, etwa bei Gemeinschaftsunternehmen, die Zugehörigkeit eines Unternehmens zu zwei verschiedenen Unterordnungskonzernen für möglich hält (Windbichler § 18 Rdn 84 f). Im Ergebnis werden die abhängigen Unternehmen des einen Konzerns nicht über die Brücke des Gemeinschaftsunternehmens mit denen des anderen Unterordnungskonzerns verbunden (näher Windbichler § 18 Rdn 85). 4. Wechselseitige Beteiligung (§ 19). ISd § 19 Abs 1 wechselseitig beteiligte Unter- 61 nehmen sind untereinander verbundene Unternehmen. Die weiteren Qualifizierungen in § 19 Abs 2 und 3 bewegen sich innerhalb des Oberbegriffs der wechselseitigen Beteiligung, erfüllen aber zugleich andere Tatbestände verbundener Unternehmen (Mehrheitsbeteiligung, Abhängigkeit). Ein wechselseitig beteiligtes Unternehmen kann gleichzeitig in einer anderen Art der Verbindung zu dritten Unternehmen stehen. Auch hier ist dar-
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Geßler/Geßler Rdn 67. Geßler/Geßler Rdn 66, § 17 Rdn 81; vgl auch BegrRegE bei Kropff AktG S 27. Ebenso KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 2 aE. Geßler/Geßler § 18 Rdn 35 f.
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auf zu achten, dass die gesetzlich definierten Verbindungen in jeder einzelnen Beziehung festgestellt werden müssen; so ist zB ein abhängiges Unternehmen mit dem herrschenden Unternehmen verbunden, aber nicht mit einem an dem herrschenden wechselseitig beteiligten Unternehmen.187 62
5. Unternehmensverträge (§§ 291, 292). Es sind nur die im Dritten Buch ausdrücklich geregelten Unternehmensverträge gemeint. Abgrenzung und Einordnung der dort aufgeführten Typen sind im Einzelnen nicht außer Streit.188 § 291 enthält die Gruppe der satzungsüberlagernden Organisationsverträge, während die anderen Unternehmensverträge iSd § 292 als schuldrechtliche bezeichnet werden.189 Auch diesen werden jedoch strukturrelevante Wirkungen zugeschrieben; jedenfalls rückt sie das Gesetz durch die Hauptversammlungszuständigkeit bei ihrer Begründung (§ 293 Abs 1) in große Nähe zum Organisationsrecht und hebt sie damit von anderen Verträgen deutlich ab.190 Nicht bei all diesen Verträgen müssen beide Partner Unternehmen sein (§ 292 Abs 1 Nr 2, 3).191 § 15 setzt zunächst Unternehmenseigenschaft voraus; nur Vertragsteile, die Unternehmen sind, können auch verbundene Unternehmen sein. IV. Auslandsbezug
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ISd § 15 verbundene Unternehmen können auch ausländische sein. Da es für die Definitionsnormen kein isoliertes Statut gibt (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 72), kommt es auf die anzuwendende Norm an, die auf die Definition Bezug nimmt. Ob etwa die Kreditgewährung an ein verbundenes Unternehmen, dessen Vertretungsorgan ein Vorstandsmitglied oder Prokurist der kreditgewährenden AG angehört, nach § 89 Abs 4 Satz 2 vom Zustimmungserfordernis des Aufsichtsrates auch dann befreit ist, wenn es sich um ein ausländisches Unternehmen handelt, ist Frage des Normzwecks und der entsprechenden Auslegung. Das Tatbestandsmerkmal „verbundenes Unternehmen“ muss dann ggf unter Substitution der einzelnen Merkmale durch entsprechend zu gewichtende des ausländischen Rechts festgestellt werden. § 16 Windbichler In Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen
§ 16 In Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (1) Gehört die Mehrheit der Anteile eines rechtlich selbständigen Unternehmens einem anderen Unternehmen oder steht einem anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte zu (Mehrheitsbeteiligung), so ist das Unternehmen ein in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen, das andere Unternehmen ein an ihm mit Mehrheit beteiligtes Unternehmen. (2) Welcher Teil der Anteile einem Unternehmen gehört, bestimmt sich bei Kapitalgesellschaften nach dem Verhältnis des Gesamtnennbetrags der ihm gehö-
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187 BegrRegE bei Kropff AktG S 27; Hüffer/Koch11 Rdn 21; 3. Aufl Würdinger Anm 2 d; – Einzelheiten bei § 19. 188 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 20 ff mit weiteren Differenzierungen; KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 156; Veil Unternehmensverträge, 2003, S 64 ff, 109 ff, 184 ff jew mwN. 189 4. Aufl Mülbert § 292 Rdn 7 ff; KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 161; Veil Unternehmensverträge, 2003, S 126 ff. 190 Vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 18 ff; KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 8, 156 ff; K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 31 III 1 a. 191 Geßler/Geßler Vor § 291 Rdn 2; KK/Koppensteiner3 § 292 Rdn 8; Hüffer/Koch11 § 292 Rdn 3.
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In Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen | § 16
renden Anteile zum Nennkapital, bei Gesellschaften mit Stückaktien nach der Zahl der Aktien. Eigene Anteile sind bei Kapitalgesellschaften vom Nennkapital, bei Gesellschaften mit Stückaktien von der Zahl der Aktien abzusetzen. Eigenen Anteilen des Unternehmens stehen Anteile gleich, die einem anderen für Rechnung des Unternehmens gehören. (3) Welcher Teil der Stimmrechte einem Unternehmen zusteht, bestimmt sich nach dem Verhältnis der Zahl der Stimmrechte, die es aus den ihm gehörenden Anteilen ausüben kann, zur Gesamtzahl aller Stimmrechte. Von der Gesamtzahl aller Stimmrechte sind die Stimmrechte aus eigenen Anteilen sowie aus Anteilen, die nach Absatz 2 Satz 3 eigenen Anteilen gleichstehen, abzusetzen. (4) Als Anteile, die einem Unternehmen gehören, gelten auch die Anteile, die einem von ihm abhängigen Unternehmen oder einem anderen für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens gehören und, wenn der Inhaber des Unternehmens ein Einzelkaufmann ist, auch die Anteile, die sonstiges Vermögen des Inhabers sind.
I.
II.
Systematische Übersicht Allgemeines | 1 1. Bedeutung | 1 a) „Besitz“ und „Beteiligung“ | 1 b) Systematische Stellung | 4 c) Mehrheitsbeteiligungen in anderen Rechtsbereichen | 6 2. Verweisungen | 9 a) Im AktG | 9 b) Außerhalb des AktG | 10 Anteilsmehrheit | 11 1. Kapitalgesellschaften | 11 a) Begriff der Anteilsmehrheit allgemein | 11 b) Berechnung (Abs 2) | 12 2. Andere Rechtsformen | 16 a) Anteilsbesitz | 16 b) Berechnung | 20 3. Merkmal „gehören“ | 21 a) Dingliche Rechtsstellung | 21 b) Erwerbsrecht | 22 c) Treuhänder | 23 4. Zurechnungsfälle | 24 a) Anteile, die einem anderen für Rechnung des Unternehmens gehören (Abs 2 Satz 3, Abs 4 2. Fall) | 25
b)
III.
IV.
Anteile abhängiger Unternehmen, Abs 4 1. Fall | 30 c) Von Einzelpersonen gehaltene Anteile, Abs 4 3. Fall | 32 Stimmrechtsmehrheit | 34 1. Zustehen von Stimmrechten bei Kapitalgesellschaften | 34 a) Grundsatz | 34 b) Ausübungsverbot | 35 c) Stimmrechtsvollmacht, Legitimationszession | 36 d) Stimmbindungs- und andere Schuldverträge | 37 e) Stimmrechte aus zugerechneten Anteilen | 41 f) Pfandrecht, Nießbrauch | 42 2. Berechnung | 43 a) Bezugsgröße | 43 b) Stimmgewicht | 44 3. Andere Rechtsformen | 45 a) Stimmrechte | 45 b) Berechnung | 47 Auslandsbezug | 49
Schrifttum Siehe auch die Angaben zur Vorbemerkung vor §§ 15 ff und zu § 15; Baudenbacher/Oettinghaus Anmerkungen zum Mehrstimmrecht im deutschen Genossenschaftsrecht, AG 1985, 269; Busch Eigene Aktien bei der Stimmrechtsmitteilung – Zähler, Nenner, Missstand, AG 2009, 425; Eden Treuhandschaft an Unternehmen und Unternehmensanteilen², 1989; Fleischer/Bedkowski Stimmrechtszurechnung zum Treuhänder gemäß § 22 I Nr 2 WpHG: Ein zivilrechtlicher Fehlgriff und seine kapitalmarktrechtlichen Folgen, DStR 2010, 933; Happ Stimmbindungsverträge und Beschlußanfechtung, ZGR 1984, 168; Hoffmann-Becking Der Einfluß schuldrechtlicher Gesellschaftervereinbarungen auf die Rechtsbeziehungen in der Kapitalgesell-
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schaft, ZGR 1994, 442; E Joussen Die konzernrechtlichen Folgen von Gesellschaftervereinbarungen in einer Familien-GmbH, GmbHR 1996, 574; Knobbe-Keuk Gesellschaftsanteile in Handels- und Steuerbilanz, AG 1979, 293; Kort Das rechtliche und wirtschaftliche Aktieneigentum beim Wertpapierdarlehen, WM 2006, 2149; Mertens Zur Berücksichtigung von Treuhandverhältnissen und Stimmbindungsverträgen bei der Feststellung von Mehrheitsbeteiligung und Abhängigkeit, FS Beusch 1993, S 583; H P Müller Die Zurechnung von Anteilen gemäß § 16 Abs 4 AktG, insbesondere bei der Feststellung der Mehrheitsbeteiligung, AG 1968, 277; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994; Nodoushani Die Transparenz von Beteiligungsverhältnissen WM 2008, 1671; E Rehbinder Gesellschaftsrechtliche Probleme mehrstufiger Unternehmensverbindungen, ZGR 1977, 581; Reichert/Harbarth Stimmrechtsvollmacht, Legitimationszession und Stimmrechtsausschlussvertrag in der AG, AG 2001, 447; Ripka Poolverträge und die neueren Entwicklungen des Gesellschaftsrechts, 2000; Scharff Der Nießbrauch an Aktien im Zivil- und Steuerrecht, 1982; Sieger/Hasselbach Wertpapierdarlehen – Zurechnungsfragen im Aktien-, Wertpapierhandels- und Übernahmerecht, WM 2004, 1370; Simon/Zetsche Das Vollmachtstimmrecht von Banken und geschäftsmäßigen Vertretern (§ 135 AktG nF) im Spannungsfeld von Corporate Governance, Präsenzsicherung und prozeduraler Effizienz, ZGR 2010, 918; Ulmer Verletzung schuldrechtlicher Nebenabreden als Anfechtungsgrund im GmbH-Recht?, NJW 1987, 1849; ders Zur Treuhand an GmbH-Anteilen, ZHR 156 (1992), 377; C Vedder Zum Begriff „für Rechnung“ im AktG und WpHG, 1999; H Westermann Die unternehmerische Leitungsmacht des Vorstandes der Genossenschaft nach geltendem und zukünftigem Genossenschaftsrecht im Vergleich zur Leitungsmacht des Vorstandes der AG, FS Reinhardt 1972, S 359; Windbichler Schrödingers Katze in der Bilanz: Einfluss- und Beherrschungsmöglichkeiten und ihre Spiegelbilder, FS Kirchner, 2014, S 441; M Winter Organisationsrechtliche Sanktionen bei Verletzung schuldrechtlicher Gesellschaftervereinbarungen?, ZHR 154 (1990), 259; Zilias Treuhandverhältnisse und Unternehmensverbindungen, WPg 1967, 465.
I. Allgemeines 1. Bedeutung a) Die Vorschrift definiert in Mehrheitsbesitz stehende und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen einschließlich der Be- und Zurechnungsmodalitäten. „Besitz“ und „Beteiligung“ im Sinn der Legaldefinition der Mehrheitsbeteiligung bezeichnen Rechtsbeziehungen auf mitgliedschaftlicher Ebene. Sie sind typischerweise quantifizierbar nach Kapitalanteilen (vgl § 8 Abs 4) bei Kapitalgesellschaften sowie nach dem Stimmrecht, das daraus folgt, aber nicht notwendig mit dem Umfang der Kapitalbeteiligung zusammenfällt. Divergenzen kommen in Betracht bei Höchststimmrechten (§ 134 Abs 1 Satz 2), gesetzlichen Stimmrechtsbeschränkungen (§§ 20 Abs 7, 21 Abs 4, 134 Abs 2 Satz 1), Mehrstimmrechten, falls solche noch bestehen,1 oder Vorzugsbeteiligungen ohne Stimmrecht (§ 139 Abs 1). Da die Vorschrift nicht nur Kapitalgesellschaften betrifft (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 53), sind je nach Rechtsform die dem Anteilsbesitz oder dem Stimmrecht entsprechenden mitgliedschaftlichen Beziehungen erfasst (Rdn 16 ff). § 16 bezieht sich nicht auf schuldrechtliche Einflussmöglichkeiten, doch können schuldrechtliche Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Zurechnung von Mitgliedschaftsrechten (mittelbare Beteiligung) eine Rolle spielen (Rdn 25 ff), ebenso bei der Feststellung von Abhängigkeit nach § 17 Abs 1. Welcher Zweck mit der Beteiligung verfolgt wird, ist irrelevant.2 Deshalb braucht 2 die Anteils- oder Stimmrechtsmehrheit auch keinen homogenen Block darzustellen; es 1
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1 § 12 Abs 2 iVm § 5 Abs 1 EGAktG; nach früherem Recht zulässige Mehrstimmrechte sind am 1.6.2003 erloschen, wenn nicht zuvor die Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit ihre Fortgeltung beschlossen hat. 2 Im Gegensatz zu § 271 Abs 1 HGB; zum subjektiven Element dort MünchKommBilR/Kropff § 271 HGB Rdn 22 ff; Ulmer FS Goerdeler, 1987, S 623, 627 f; zum Beteiligungsbegriff nach § 152 AktG aF BGHZ 101, 1, 11 ff.
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können sich Zurechnungen (Rdn 24 ff), eine kleinere Anlagebeteiligung und ein Handelsbestand (vgl § 15 Rdn 31) zur Mehrheit ergänzen. Es kommt auch nicht darauf an, welche konkreten Einflussmöglichkeiten durch die Mehrheitsbeteiligung im Einzelfall vermittelt werden; § 16 ist formal typisierend, während die notwendigen Differenzierungen des Einflusspotentials beim Abhängigkeitstatbestand (§ 17) und gegebenenfalls den Rechtsfolgen anzusiedeln sind. Die Vorschrift enthält kein Zeitelement. Die Dauer der Beteiligung spielt daher keine Rolle; auch vorübergehender, kurzfristiger Mehrheitsbesitz fällt unter die Definition.3 Auf bestimmte Stichtage kommt es nicht an (zur Ausnahme bei Personengesellschaften mit variablen Kapitalkonten Rdn 20), sondern auf den nach der materiellen Bestimmung relevanten Zeitpunkt, in dem das Merkmal erfüllt sein muss. Vorschriften, die Sonderregelungen für vorübergehend oder treuhänderisch gehaltene Beteiligungen enthalten, zB § 23 WpHG oder § § 37 Abs 3 GWB, haben für § 16 grundsätzlich keine Bedeutung (vgl auch Rdn 23). § 16 betrifft sowohl die Kapital- als auch die Stimmenmehrheit. Damit sind verschie- 3 dene Formen qualifizierter mitgliedschaftlicher Beziehungen angesprochen. Andere Vorschriften stellen spezifischer entweder auf Kapitalbeteiligung (zB §§ 19 Abs 1, 20 Abs 1) oder auf Stimmrechte (zB § 21 Abs 1 WpHG) ab, je nachdem, ob eher die Machtverhältnisse oder Kapitalverflechtungen im Vordergrund stehen. § 16 fasst beide Möglichkeiten zusammen. Da Stimmrechts- und Anteilsmehrheit auseinanderfallen können (Rdn 1) und gegebenenfalls Zurechnungen vorzunehmen sind (Rdn 24 ff), kann ein Unternehmen im Mehrheitsbesitz von zwei oder mehr Unternehmen stehen,4 die untereinander nicht verbunden sein müssen (§ 15 Rdn 59). b) Nach seiner systematischen Stellung bezeichnet § 16 eine eigenständige 4 Art der Unternehmensverbindung. In Mehrheitsbesitz stehende und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen sind verbundene Unternehmen iSd § 15, alle darauf Bezug nehmenden Vorschriften (§ 15 Rdn 4, 6 ff) finden Anwendung. § 16 dient seinerseits als Verweisungsziel, das innerhalb und außerhalb des AktG in Anspruch genommen wird, teils durch Verwendung des Begriffs „Mehrheitsbeteiligung“, teils durch Nennung des Paragraphen. § 17 Abs 2 knüpft an diese Unternehmensverbindung die widerlegliche Vermutung der Abhängigkeit; von einem abhängigen Unternehmen wird wiederum vermutet, dass es mit dem herrschenden einen Konzern bildet, § 18 Abs 1 Satz 2. Die Mehrheitsbeteiligung ist daher der typische Grundbaustein für den Unterordnungskonzern. Sie wird als potenzielle Abhängigkeit und Konzernierung in Bezug genommen, zB in § 305 Abs 2 Nr 2. Die Auslegung darf sich aber nicht nur an dieser Funktion orientieren.5 § 16 kommt eigenständige Bedeutung zu, wenn darauf ausdrücklich neben § 17, also bei widerlegter Abhängigkeitsvermutung, verwiesen ist. Das ist insbesondere im Zusammenhang mit Kapitalaufbringungs- und Erhaltungsvorschriften der Fall, §§ 56 Abs 2 Satz 1, 71a Abs 2, 71d Satz 2,6 zumal wenn keine Stimmrechtsmehrheit besteht. Für den Sonderfall der qualifizierten wechselseitigen Beteiligung ist die aus der Mehrheitsbeteiligung folgende Abhängigkeitsvermutung unwiderleglich, § 19 Abs 2 (s dort Rdn 25 f, 31). Die Mehrheitsbeteiligung an einer inländischen AG löst Mitteilungspflichten nach
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3 BGH ZIP 1997, 416 = NJW 1997, 943; § 290 Abs 2 Nr 1 HGB verlangt dagegen eine dauerhafte Stimmrechtsmehrheit, MünchKommBilR/Senger/Hoehne § 290 HGB Rdn 33; MünchKomm-HGB/Busse v Colbe3 § 290 Rdn 14 ff. 4 Allg M, Geßler/Geßler Rdn 6 f; Hüffer/Koch11 Rdn 2; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 4; MünchKomm/ Bayer4 Rdn 5; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 2. 5 Dahin tendierend KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 10; ähnlich wie hier Hüffer/Koch11 Rdn 1; auch Ausschussbericht bei Kropff AktG S 29. 6 Vgl Spindler/Stilz/Cahn3 § 71d Rdn 5: „wertlose mittelbare Selbstbeteiligung“.
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§ 20 Abs 4 bzw § 21 Abs 1 WpHG aus. Ist eine AG oder KGaA an einem anderen Unternehmen mehrheitlich beteiligt, besteht eine Mitteilungspflicht nach § 21 Abs 2. Ferner enthalten die Abs 2 bis 4 Berechnungs- und Zurechnungsregeln, auf die 5 zT gesondert verwiesen wird (Rdn 9). Insbesondere die Einbeziehung von Anteilen, die einem abhängigen Unternehmen gehören oder von einem anderen für Rechnung des Unternehmens gehalten werden (Abs 4), hat Modellcharakter und dient über Mehrheitsbeteiligungen hinaus als Vorbild. Vor allem bei Anteilen, die einem anderen für Rechnung des Unternehmens gehören und als solche des Unternehmens behandelt werden (Rdn 25 ff), ist der Grenzbereich der mitgliedschaftlichen Rechtsbeziehung markiert. Die Zurechnungsregeln machen ferner deutlich, dass das Phänomen mehrstufiger und komplexer Unternehmensverbindungen (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 15) mindestens in Ansätzen erfasst ist. c) Mehrheitsbeteiligungen haben in anderen Rechtsbereichen vielfach Bedeutung und sind teilweise eigenständig definiert. Für die Rechnungslegung werden Mutterund Tochterunternehmen durch Stimmrechtsmehrheit eines Unternehmens in dem anderen definiert, § 290 Abs 2 Nr 1 HGB; Abs 3 und 4 enthalten dazu ergänzende Be- und Zurechnungsvorschriften, die sich nicht ganz mit § 16 Abs 2–4 decken. § 290 HGB verfolgt einen anderen Normzweck als § 16, nämlich Kontrollsituationen zu definieren, die die Pflicht zur Aufstellung von konsolidierten Abschlüssen begründen. Divergenzen in der Auslegung sind daher sowohl durch das Konzept der zugrundeliegenden EURechtsakte7 bedingt als auch durch die abweichende Formulierung im Einzelnen möglich. Grundsätzlich verfolgt die Rechnungslegung andere Zwecke als das Gesellschaftsrecht (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 24, 60); sie ist in vielem retrospektiv und deskriptiv, vgl § 264 Abs 2 HGB. Der Abschluss nach HGB dient der Dokumentation, Rechenschaft und Information sowie der Gewinnermittlung für abgeschlossene Zeiträume. Er enthält zunehmend auch zukunftsweisende, gestaltende Elemente. Der Konzernabschluss nach HGB oder IFRS kann nicht Grundlage für Dividendenansprüche sein, § 58 Abs 4; er hat ausschließlich Informationsfunktion. Mehrheitsbesitz oder –beteiligung stehen dort daher im Zusammenhang mit Risiken und Chancen sowie möglicher Einflussnahme. Soweit dagegen das Vorliegen einer Mehrheits-, bei Verweisung auf die Zurechnungsfälle einer anderen Beteiligung, konstruktiv die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit bestimmten Verhaltens oder bestimmter Rechtsgeschäfte steuert sowie Verhaltenspflichten auferlegt, ist die bilanzrechtliche Betrachtung unangemessen. Eine harmonisierende Auslegung kommt daher nur in Betracht, soweit die unterschiedlichen Normzwecke das zulassen. § 16 ist zunächst rein formal angelegt; das aus Mehrheitsbesitz oder –beteiligung folgende Einflusspotenzial gehört hingegen zu § 17. Andere Vorschriften setzen Schwellen unterhalb der Mehrheitsbeteiligung für 7 die Annahme eines beherrschenden oder maßgeblichen Einflusses an, zB § 29 Abs 2 WpÜG mit eigenständigen Zurechnungsregeln in § 30 WpÜG. Im KWG setzt eine „bedeutende Beteiligung“ bereits bei 10% ein (§ 1 Abs 9 KWG). Bereits durch die KWG-Novelle 1997 wurden zahlreiche Verweisungen auf § 16 ersetzt durch eigenständige Definitionen, die von Einflussmöglichkeiten bei niedrigeren Beteiligungsschwellen ausgehen. Das entspricht der allgemein schwindenden Bedeutung der Definitionsnormen des Aktienrechts als Verweisungsziel.8 Für die Auslegung des § 16 haben solche anderweitigen Anknüpfungen keine Bedeutung.
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7 Siebente EG-Richtlinie 83/349/EWG; nunmehr RL 2013/34/EU. 8 Der Emittentenleitfaden der BaFin in seiner 4. Aufl 2013 verweist gleichwohl noch vielfach auf die aktienrechtlichen Definitionsnormen, zB in VIII.2.5.1.1 auf § 16, mehrfach auch auf § 17 [http://www.bafin.de/
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In Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen | § 16
In EU-rechtlichen Verbundklauseln (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 59 ff) ist die 8 Mehrheitsbeteiligung ebenfalls ein wesentlicher Grundfall. Kapital- und Stimmenmehrheit sind häufig, aber nicht stets gleich behandelt; der Kapitalbeteiligung wird teilweise noch der Besitz von mehr als der Hälfte des Betriebsvermögens gleichgestellt. Die häufig anzutreffende Formulierung „unmittelbar oder mittelbar“ hat Zurechnungsfunktion entsprechend § 16 Abs 4. Je nach Regelungszusammenhang lassen sich zunehmend auch qualifizierte Minderheitsbeteiligungen als rechtlich relevante Gruppenbildungskriterien finden; tendenziell steht der Kontrollerwerb im Vordergrund. Die Mehrheitsbeteiligung ist durchgängig eine Verbindung, an die strukturelle Folgen geknüpft werden können. Beispielhaft seien die Verpflichtung zur Aufstellung eines Konzernabschlusses und die Errichtung eines Europäischen Betriebsrats angeführt (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 30, 60). 2. Verweisungen – – – – – – – – – – – –
9 a) Im AktG ist auf „Mehrheitsbeteiligung“, „-besitz“ oder § 16 Abs 1 verwiesen in: § 17 Abs 2 (Abhängigkeitsvermutung); § 19 Abs 2, 3 (wechselseitig beteiligte Unternehmen); § 20 Abs 4 (Mitteilungspflicht); § 21 Abs 2 (Mitteilungspflicht); § 56 Abs 2 Satz 1 (Verbot der Zeichnung von Aktien der beteiligten Gesellschaft), neben „abhängig“; § 56 Abs 3 Satz 1 (Verbot der Übernahme oder Zeichnung von Aktien für Rechnung eines in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens), neben „abhängig“; § 71a Abs 2 (Verbot des Erwerbs von Aktien durch Dritte für Rechnung eines in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens), neben „abhängig“; § 71d Satz 2 (Erwerb eigener Aktien durch Dritte), neben „abhängig“; § 135 Abs 1 Satz 3 (Stimmrechtsvollmacht an ein mittelbar beteiligtes Kreditinstitut); § 160 Abs 1 Nr 1, 2 (Angaben im Anhang), neben „abhängig“; § 160 Abs 1 Nr 8 (Angaben im Anhang zu nach § 20 Abs 1 oder 4 mitgeteilten Beteiligungen), vgl dazu aber auch §§ 271 Abs 1, 285 Nr 11 HGB; § 305 Abs 2, 5 Satz 3 (Abfindung außenstehender Aktionäre).
Auf die Be- und Zurechnungsvorschriften in Abs 2 Satz 1 und Abs 4 verweist das AktG in: – § 19 Abs 1 Satz 2 (wechselseitige Beteiligung); – § 20 Abs 1 Satz 2 (Mitteilungspflicht über Beteiligung); – § 21 Abs 1 Satz 2 (Mitteilungspflicht über Beteiligung); – § 327a Abs 2 (Hauptaktionär bei Ausschluss von Minderheitsaktionären). Nur auf § 16 Abs 4 verweist § 328 Abs 1 Satz 3 (Beschränkung der Rechte bei wechselseitigen Beteiligungen). b) Außerhalb des AktG spielen sowohl die Mehrheitsbeteiligung im aktienrechtli- 10 chen Sinn als auch die Be- und Zurechnungsregeln eine Rolle. Für die Rechnungslegung ist, wie stets, nach den Begriffen des HGB und denen des AktG zu differenzieren (Wind-
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bichler Vor §§ 15 ff Rdn 4, 60). Ähnlichkeiten sind festzustellen in den Zurechnungsvorschriften des § 290 Abs 3 HGB mit § 16 Abs 4 und des § 290 Abs 4 HGB mit § 16 Abs 3. Im Regulierungsrecht für Finanzdienstleister und im Kapitalmarktrecht folgen die Begriffe zunehmend den EU-rechtlichen Vorgaben und nicht mehr den aktienrechtlichen Definitionen (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 33, 65). Der Begriff „Mehrheitsbeteiligung“ ist je nach Kontext auszulegen, wofür § 16 als Hilfe dienen kann, zB in: – § 48 Abs 3 HGrG; – § 36 Abs 3 GWB (sog Flick-Klausel); – § 106a Abs 1 Nr 3 GWB (Vergaberecht, beherrschender Einfluss des Bundes); – § 272 Abs 4 Satz 4 HGB (Rücklagen für Anteile eines mit Mehrheit beteiligten Unternehmens); – § 290 Abs 2 Nr 1 HGB (Definition „Tochterunternehmen“, Stimmrechtsmehrheit), worauf wiederum vielfach verwiesen wird; – § 48 Abs 3 HGrG (Mehrheitsbeteiligung an juristischen Personen des privates Rechts); – § 4 Abs 4 Satz 3 UBGG (Rückführung von Mehrheitsbeteiligungen); – § 53 Abs 3 Satz 3, 5 Satz 1 VAG (interne Sicherungsmaßnahmen gegen Geldwäsche). In unterschiedlichem Umfang werden die Be- und Zurechnungsregeln des § 16 Abs 2 bis 4 in Bezug genommen: – § 271 Abs 1 Satz 4 HGB (Beteiligungen) verweist auf Abs 2 und 4; auf § 271 Abs 1 HGB ist wiederum verwiesen in § 311 Abs 1 HGB; – ebenso § 285 Nr 11 HGB (Pflichtangaben im Anhang); – § 39a Abs 2 WpÜG (Beteiligungsberechnung bei Ausschluss von Aktionären nach Übernahme). Daneben steht auch § 22 WpHG als Zurechnungsvorschrift zur Verfügung, wovon zB in § 7 Abs 1 Satz 4 UBGG Gebrauch gemacht wird. II. Anteilsmehrheit 1. Kapitalgesellschaften 11
a) Der Begriff der Anteilsmehrheit allgemein korrespondiert in erster Linie mit der Struktur der Kapitalgesellschaften (AG, KGaA, SE, GmbH), in denen die Anteilsrechte sowohl zueinander als auch zum gezeichneten Kapital in zahlenmäßig quantifizierbare Beziehung gesetzt werden (§§ 1 Abs 2, 8 Abs 4; § 5 GmbHG); die Beteiligung umfasst zugleich Kapitalbeteiligung und Mitgliedschaft. 9 Da das Stimmrecht typischerweise (§ 134 Abs 1 Satz 1; § 47 Abs 2 GmbHG), aber nicht stets der Kapitalbeteiligung folgt (Rdn 1, 34 ff), die Kapitalmehrheit neben der Stimmenmehrheit eigenständige Bedeutung innerhalb der körperschaftlichen Organisation hat (zB § 179 Abs 2) und weil diese Art der Unternehmensverbindung Gefährdungen durch Kapitalverflechtung ermöglicht (vgl §§ 71a Abs 2, 71d Satz 2), bestimmt § 16 die Anteilsmehrheit als eigenständigen Fall der Mehrheitsbeteiligung.10 Die Vorschriften zur Berechnung im Einzelnen enthält Abs 2. Da es sich um Kapitalanteile handeln muss, gehören Gewinnbeteiligungen,
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9 Vgl Bachmann § 2 Rdn 121, 81 ff; Hüffer ZIP 1996, 401, 403 f; K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 26 IV 1. 10 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 8.
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etwa Genussrechte und Gewinnschuldverschreibungen, nicht dazu.11 Auch Bezugsrechte und Wandelschuldverschreibungen als solche sind noch keine Anteile; erst nach Ausübung des Bezugs- bzw Wandlungsrechts ist die Beteiligung am Nennkapital gegeben. Entsprechendes gilt für Kapitalerhöhungen, auch bedingte oder genehmigte, die erst nach Durchführung und Eintragung für das Nennkapital maßgeblich sind (§§ 189, 224).12 b) Für die Berechnung der Anteilsmehrheit bei Aktiengesellschaften ist das sat- 12 zungsmäßige Grundkapital (§§ 6, 8 Abs 4, 23 Abs 3 Nr 3, 152 Abs 1 Satz 1) die maßgebliche Bezugsgröße, Abs 2 Satz 1. § 16 ist die einzige Vorschrift im AktG, die den Begriff „Nennkapital“ verwendet; Konsequenzen ergeben sich daraus nicht.13 Vorzugsaktien ohne Stimmrecht sind konstituierender Bestandteil des Nennkapitals und zählen deshalb mit. § 140 Abs 2 Satz 2 lässt für die Definition der Mehrheitsbeteiligung keinen Gegenschluss zu, da es nicht darauf ankommt, ob die Kapitalbeteiligung auch durch Stimmrechte vertreten ist.14 Entsprechendes gilt für Anteile, aus denen wegen unterlassener Mitteilung nach §§ 20 Abs 7, 21 Abs 4, § 28 WpHG oder § 59 WpÜG keine Rechte hergeleitet werden können. Kapitalveränderungen sind erst maßgebend, wenn sie durch Eintragung ins Handelsregister wirksam geworden sind (Rdn 11 aE). Darauf, ob noch Einzahlungen ausstehen, kommt es nicht an,15 ebensowenig auf den Ausgabepreis, der ggf ein Agio enthält. Satzungsmäßige Vermögenseinlagen (Sondereinlagen) persönlich haftender Gesellschafter einer KGaA (§§ 281 Abs 2, 286 Abs 2) sind nicht Bestandteil des Grundkapitals und bleiben deshalb außer Betracht. Für die Berechnung der dem beteiligten Unternehmen gehörenden Anteile ist bei Anteilen, die einen Nennbetrag haben, die Summe der Nennbeträge zu ermitteln; die Anzahl ist bei Stückaktien maßgebend, §§ 8 Abs 4, 16 Abs 2 letzter Teilsatz. Eigene Aktien sind vom Grundkapitalbetrag abzuziehen, Abs 2 Satz 2, ebenso Ak- 13 tien, die einem Dritten für Rechnung der Gesellschaft gehören, Abs 2 Satz 3; zu den Zurechnungsvoraussetzungen im Einzelnen s Rdn 24 ff. Kaduzierte Aktien vor ihrer Verwertung sind in jedem Falle abzuziehen. Betrachtet man die Gesellschaft als deren Rechtsträger, sind sie insofern eigenen Aktien gleich zu behandeln; betrachtet man die Aktien als „subjektlose Rechte“, besteht keine Veranlassung für eine andere Handhabung des Grundkapitals als Berechnungsgrundlage.16 Bei der Ermittlung der Beteiligungshöhe sind Aktien, die einem von dem Unternehmen abhängigen Unternehmen gehören oder für dessen Rechnung gehalten werden, nach Abs 4 zuzurechnen (dazu Rdn 30 f). Für die Berechnung des maßgeblichen Grundkapitals gilt das nach dem Gesetzeswortlaut nicht.17 Die unterschiedliche Behandlung der von abhängigen Unternehmen gehaltenen
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11 BGHZ 119, 305 (Klöckner); 3. Aufl Würdinger Anm 3; MünchKomm/Bayer4 Rdn 4; s auch 4. Aufl Wiedemann Vor § 182 Rdn 108 ff. 12 Geßler/Geßler Rdn 26; Hüffer/Koch11 Rdn 8; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 22; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 22; MünchKomm/Bayer4 Rdn 30 mwN; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 8; teilw abw Bürgers/Körber/ Fett3 Rdn 9. 13 Der übergreifende Begriff ist das gezeichnete Kapital, vgl Art 2 c) RL 2012/30/EU (konsolidierte 2. Richtlinie); unscharf „Unternehmenskapital“ bei KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 21 ff. 14 3. Aufl Würdinger Anm 4; vgl auch T Bezzenberger Vorzugsaktien ohne Stimmrecht, 1991, S 108 ff; oben Rdn 1, 3. 15 Hüffer/Koch11 Rdn 8; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 22; vgl auch § 152 Abs 1; der nach § 272 Abs 1 HGB vorgeschriebene Nettoausweis spielt hierfür keine Rolle. 16 Zum Streit, ob es sich dabei um eigene oder „trägerlose“ Aktien handelt, Hüffer/Koch11 § 64 Rdn 8; MünchKomm/Bayer4 § 64 Rdn 68 ff. 17 Wohl hM, Geßler/Geßler Rdn 30; jeweils mit Kritik am Ergebnis Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 11; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 25; MünchKomm/Bayer4 Rdn 33 f;
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Anteile mag nach der Einführung der §§ 71d Satz 3, 4, 71b wenig stimmig erscheinen; der Gesetzeswortlaut ist jedoch eindeutig und gibt entsprechend dem insgesamt formalen Charakter des § 16 keinen Raum für eine abweichende Auslegung, zumal in zahlreichen Aktienrechtsreformen Gelegenheit zur Anpassung bestand. Die praktische Bedeutung dürfte gering sein, da in solchen Fällen die Feststellung von Abhängigkeit nach § 17 Abs 1 auch ohne die Vermutung des Abs 2 möglich ist. 14 Bei GmbH ist vom satzungsmäßigen Stammkapital (§ 3 Abs 1 Nr 3 GmbHG) auszugehen, auch wenn sich die Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile damit wegen Einziehung von Geschäftsanteilen (§ 34 GmbHG) nicht mehr deckt.18 Für die Berechnung des Beteiligungsumfangs sind in solchen Fällen aber nicht die Nennwerte der Geschäftsanteile zugrunde zu legen, sondern die sich im Verhältnis zu den übrigen Gesellschaftern ergebende Beteiligungsquote.19 Satzungsgemäß eingezogene Nachschüsse (§§ 27 ff GmbHG) sind nicht Bestandteil des Stammkapitals, vgl § 42 Abs 1 und 2 GmbHG, § 272 Abs 2 HGB. Kaduzierte Geschäftsanteile (§ 21 GmbHG) sind bis zu ihrer Verwertung (§§ 22, 23 GmbHG) wie eigene Geschäftsanteile vom Stammkapitalbetrag entsprechend Abs 2 Satz 2 abzusetzen (Rdn 13). Für die Berechnung des Beteiligungsumfangs an einer ausländischen Kapitalgesell15 schaft gelten dieselben Grundsätze. In Rechtsordnungen, die kein festes Grundkapital kennen, kommt es auf das Verhältnis der ausgegebenen20 Aktien zueinander an. Auf eine evtl unterschiedliche Klassifizierung (common, preferred, special stock) kommt es nicht an, sondern auf die Unterscheidung von schuldrechtlicher oder hybrider Finanzierung (debt securities). Es handelt sich um einen Fall der Substitution (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 72). 2. Andere Rechtsformen a) Anteilsbesitz ist grundsätzlich auch bei anderen Rechtsformen als Kapitalgesellschaften möglich.21 Abgrenzung und Berechnung bereiten gelegentlich Schwierigkeiten. Ein Vergleich mit § 271 HGB liegt zwar nahe, muss aber die unterschiedlichen Gesetzeszwecke berücksichtigen (Rdn 6). Anteile, die eine Anteilsmehrheit verschaffen können, sind grundsätzlich Mitgliedschaftsrechte, die Vermögens- und Verwaltungsrechte gewähren und einer Quantifizierung in Bezug auf das Kapital des Unternehmensträgers und die übrigen Anteilsinhaber zugänglich sind. Obwohl dem Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft formalrechtlich als 17 Gesamthänder keine Anteile zustehen, bestehen doch Kapitaleinlagen bzw Kapitalkonten des persönlich haftenden Gesellschafters oder Kommanditisten in unterschiedlicher Höhe (§§ 120 Abs 2, 121, 167 Abs 2 HGB). Der Kapitalanteil spiegelt die verhältnismäßige Beteiligung der Gesellschafter untereinander wider;22 damit ist auch eine Anteilsmehrheit denkbar.23 Anteile können sogar vorliegen, wenn es an einer Kapitaleinlage fehlt;
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wohl auch Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 10; – aA Grigoleit Rdn 12; Hüffer/Koch11 Rdn 9; Schmidt/Lutter/ J Vetter3 Rdn 10; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 15. 18 BGH 2.12.2014 – II ZR 322/13, NZG 2015, 429. 19 Vgl BGH 2.12.2014 – II ZR 322/13 Rdn 27, NZG 2015, 429, 431; Henssler/Strohn/Fleischer Gesellschaftsrecht2 § 34 GmbHG Rdn 23. 20 US-amerikanische Gesellschaftsrechte unterscheiden zwischen „authorized“ und „issued“ stock, vgl §§ 102 Abs 4, 151 ff General Delaware Corporation Law. 21 AllgM, 3. Aufl Würdinger Anm 3; Geßler/Geßler Rdn 10; Grigoleit Rdn 4 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 3; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 12, 20 ff; MünchKomm/Bayer4 Rdn 8 f; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 19. 22 MünchKomm-HGB/Priester3 § 120 Rdn 84 ff; Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 13 Rdn 16. 23 HM; Hüffer/Koch11 Rdn 3, 10; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 14; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 9; – nach Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 32 ist die Kategorie der Mehrheitsbeteiligung für das
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maßgebend sind die Abreden im Innenverhältnis. Die Einlageverpflichtung genügt ebenso wie eine Beteiligung als Komplementär ohne Einlageverpflichtung. Wenn einer BGB-Gesellschaft Unternehmenseigenschaft zukommt und ein Gesamthandsvermögen besteht, gibt es auch daran Anteile.24 Entsprechendes gilt für die EWIV und die PartG, bei denen die Möglichkeiten der vertraglichen Ausgestaltung der Mitgliedschaft weitgehend der OHG folgen (zur Unternehmenseigenschaft Windbichler § 15 Rdn 17 f). Ob der stille Gesellschafter eine Beteiligung am Unternehmenskapital des Einzel- 18 kaufmanns (dort der einzige denkbare Fall von Beteiligung) oder sonstigen Unternehmensträgers halten kann, ist streitig.25 Die typische stille Gesellschaft nach den Vorgaben der §§ 230 ff HGB kommt sicher nicht in Betracht; atypische Ausgestaltungen, die die Position des Stillen über §§ 233, 234 HGB hinaus verstärkt ausgestalten (atypische stille Gesellschaft) werden dagegen überwiegend für geeignet gehalten, eine „Beteiligung“ iSd § 16 zu begründen.26 Praktische Anwendungsfälle dürften weniger Einzelkaufleute als Gesellschaften als Prinzipal betreffen. Wesentlich sei die im Innenverhältnis vereinbarte Charakteristik der Einlage als Eigenkapital durch Verlustbeteiligung, ggf ergänzt durch Mitspracherechte. Die Diskussion zu § 271 Abs 1 HGB verläuft ähnlich,27 ist aber wegen der dortigen subjektiven Komponente der Beteiligung für § 16 weniger ergiebig, da es hier auf den Zweck der Beteiligung nicht ankommt (Rdn 2). Die Unterscheidung zwischen typischer und atypischer stiller Gesellschaft macht aber deutlich, dass es sich um die Abgrenzung schuldrechtlich geprägter Finanzierung von verbandsrechtlich geprägter Beteiligung handelt, die bei vielen Formen von Hybridkapital schwierig und von der Einordnung als „stille Gesellschaft“ unabhängig ist.28 Für die Behandlung als Anteil iSd § 16 dürfte eher maßgebend sein, ob wenigstens im Innenverhältnis eine gesellschaftsrechtliche Beziehung besteht, wofür Mitwirkungsrechte sprechen, und die Einlage ohne weiteres29 eigenkapitalmäßig an Risiken und Chancen teilnimmt und entsprechend bilanziert wird. Gegen die Anerkennung als Beteiligung spricht aber gleichwohl, dass es sich um eine Beziehung zu dem Unternehmensträger, nicht um Mitgliedschaft im Unternehmensträger handelt. Gestaltungen, in denen die Rechte des Stillen verbandsrechtlich innerhalb des Unternehmensträgers zu qualifizieren sind, dürften sehr selten sein, bei Aktiengesellschaften sind sie schon wegen § 23 Abs 5 ausgeschlossen. Der Erfassung von atypischen stillen Beteiligung und anderen hybriden Finanzierungsformen
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Personengesellschaftsrecht ohne Interesse; für eine ggf mit Mehrheit beteiligte AG gilt das nicht. § 271 Abs 1 Satz 3 HGB stellt bei Unternehmen, die kein Nennkapital haben (scil Personengesellschaften), auf den verhältnismäßigen Teil der Kapitalanteile ab. 24 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 14 aE; MünchKomm/Bayer4 Rdn 13. 25 Dafür Geßler/Geßler Rdn 10; Grigoleit Rdn 6; Hüffer/Koch11 Rdn 4; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 16; MünchHdbAG/Krieger4 § 69, 20; MünchKomm/Bayer3 Rdn 18 (ohne Begründung); – aA 3. Aufl Würdinger Anm 3. 26 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 6; Geßler/Geßler Rdn 10; Hüffer/ Koch11 Rdn 4; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 16; wohl auch G Bezzenberger/Schuster ZGR 1996, 481, 483, 498 f, die von Mehrheitsbesitz der Berliner Bankgesellschaft AG an der Landesbank Berlin durch stille Beteiligung ausgehen; vgl auch Eichhorn/Reichard/Schuppert Kommunale Wirtschaft im Wandel – Chancen und Risiken, 2000, S 87, 102 ff; – aA Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 7; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 6. 27 Baumbach/Hopt/Merkt HGB36 § 271 Rdn 2; BeckBilKom/Grottel/Kreher9 § 271 HGB Rdn 15; MünchKommBilR/Kropff § 271 HGB Rdn 18; MünchKomm-HGB/Reiner3 § 271 Rdn 8; 28 Krolop Die Gewährung von Risikokapital auf schuldrechtlicher Grundlage im Dreieck von Vertrag, Verband und Markt, 2016, § 4 (demnächst). 29 Im Unterschied etwa zu Anleihen mit Umtauschrecht der Gesellschaft (umgekehrte Wandelanleihen), insbesondere contingent convertible bonds (Co-Co-bonds), die als Eigenmittel iSd Artt 25 ff VO (EU) 575/2013 (CRR-VO) in Betracht kommen; im deutschen Aktienrecht eingeführt in § 192 durch die Aktienrechtsnovelle 2016.
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als mögliche Abhängigkeitsverhältnisse, § 17 Abs 1, ist daher der Vorzug zu geben (§ 17 Rdn 42).30 Angesichts des personalistischen Charakters der Genossenschaft ist eine „Kapital19 mehrheit“ aufgrund Beteiligung mit mehr als einem Geschäftsanteil, § 7a GenG, und gegebenenfalls durch Zuschreibungen erhöhtem Geschäftsguthaben, § 19 GenG, äußerst unwahrscheinlich.31 Für die Anteile sog investierender Mitglieder, § 8 Abs 2 Satz 1 GenG, gilt das Gleiche (zu deren Stimmrecht Rdn 48).32 Die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft gilt nach § 271 Abs 1 Satz 5 HGB nicht als Beteiligung im Sinn der Rechnungslegung. Lässt man allerdings atypische stille Beteiligungen als Anteil (Rdn 18) und solche bei Genossenschaften als zulässig33 gelten, kann auf diese Weise eine Mehrheitsbeteiligung konstruiert werden. Bei einem wirtschaftlichen Verein, § 22 BGB, wird eine Struktur für möglich gehalten, nach der die Mitglieder mit Anteilen am Vereinsvermögen beteiligt sind.34 Beim Idealverein,35 dem VVaG36 und der Stiftung scheiden solche Gestaltungsmöglichkeiten aus37 (zur Unternehmenseigenschaft jeweils Windbichler § 15 Rdn 15, 25 f). 20
b) Hinsichtlich der Berechnung sind die in Abs 2 für Kapitalgesellschaften genannten Kriterien entsprechend anzuwenden. Ist eine Quantifizierung der Beteiligung in Relation zum gezeichneten Kapital oder Äquivalent nicht möglich, kann die Mehrheitsbeteiligung durch das Stimmgewicht begründet werden (Rdn 45, 48). Bei Personengesellschaften, deren Gesellschaftsvertrag feste Kapitalkonten vorsieht, dienen diese als Berechnungsgrundlage.38 Bei variablen Konten bedarf es der Feststellung der Beteiligungshöhe zum Bilanzstichtag.39 Die Absetzung eigener Anteile bei der Berechnung des Bezugskapitals scheidet aus, da es solche nur bei Kapitalgesellschaften gibt. 3. Merkmal „gehören“
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a) Zur Definition der Beteiligung ist erforderlich und ausreichend, dass einem Unternehmen Anteile an einem anderen gehören. Damit ist die dingliche Rechtsstellung gemeint,40 dh Anteilsinhaberschaft bzw Eigentum an den Aktien. Letzteres muss
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30 Vgl MünchKomm-HGB/K Schmidt3 § 230 Rdn 82 zur sog Innen-KG. 31 Beuthien in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 133, 155 f; Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 5; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Merle AG 1979, 265, 269; MünchKomm/Bayer4 Rdn 16; Reul Das Konzernrecht der Genossenschaften, 1997, S 116 ff; vgl auch OLG Frankfurt/M 21.11.1995 – 27 U 60/94, AG 1998, 139. 32 Henssler/Strohn/Geibel2 § 8 GenG Rdn 8; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs/Fandrich GenG4 § 8 Rdn 11. 33 Dafür Beuthien NZG 2003, 849. 34 Emmerich/Habersack/Emmerich7 Rdn 8; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 15; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 20; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 41; 3. Aufl Würdinger Anm 3. 35 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 32; MünchKomm/Bayer4 Rdn 17; – aA Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 41. 36 Vgl Großfeld Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit im System der Unternehmensformen, 1985, S 24 ff; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 15; MünchKomm/Bayer4 Rdn 17. 37 Ihrig/Wandt FS Hüffer, 2010, S 387, 396; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 20; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 15; 3. Aufl Würdinger Anm 3; aA für die Stiftung Geßler/Geßler Rdn 10. 38 HM; Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 245 ff (für die kapitalistisch strukturierte Personengesellschaft); KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 14, 26 mwN; vgl auch, in kartellrechtlichem Zusammenhang, BGHZ 119, 346, 350 ff (Pinneberger Tageblatt); aA Haar aaO S 242 f betr personalistische Personengesellschaft: mangels Sekundärmarktes keine „Anteilsmehrheit“ bei Personengesellschaften. 39 Hüffer/Koch11 Rdn 2, 10; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 6; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 26; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 9; aA Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 241 f: das variable Kapitalkonto habe keinen Anteilscharakter. 40 Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 12; Hüffer/Koch11 Rdn 6; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 27; Krieger FS Semler, 1993, S 503, 505; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 5; Schmidt/Lutter/T Bezzenberger3 § 67 Rdn 1, 16.
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sowohl im Lichte von als auch mit der nötigen Distanz zu den Verbriefungs- und Übertragungstechniken des Wertpapierhandels sowie banküblichen Geschäften gesehen werden.41 Beim Wertpapierdarlehen, sog Wertpapierleihe, wird der „Entleiher“ Eigentümer, ihm gehören die Aktien (zum Stimmrecht Rdn 35 ff).42 Bei Sammelverwahrung (§§ 5 ff DepotG) genügt der Miteigentumsanteil.43 Im Vordergrund steht die Mitgliedschaft, vgl § 128 Abs 1. Ist ein Kreditinstitut als Treuhänder eingeschaltet, greift gegebenenfalls die Zurechnung zum Treugeber (Rdn 23 ff). Nicht maßgebend für die Anteilsinhaberschaft sind die Legitimation gegenüber der Gesellschaft bei Namensaktien gem § 67 Abs 2 (bzw § 16 Abs 1 GmbHG bei Geschäftsanteilen) und die Handhabung der Teilnahmebedingungen für die Hauptversammlung (record date).44 Letztere sind für die Ausübung des Stimmrechts von Bedeutung und bei der Bestimmung der Stimmrechtsmehrheit zu berücksichtigen (Rdn 35). Da der Tatbestand der Anteilsmehrheit vor allem im Zusammenhang mit Kapitalschutzmaßnahmen relevant ist (Rdn 4, 9) und auch gegenüber Dritten von Bedeutung sein kann, kommt es auf die Ausübbarkeit von mitgliedschaftlichen Rechten nicht notwendig an. Der Erwerb vinkulierter Namensaktien ist bis zur Erteilung der Zustimmung der Gesellschaft (§ 68 Abs 2) schwebend unwirksam, die Anteile gehören nicht dem Erwerber iSd § 16. Entsprechendes gilt für Geschäftsanteile, die gem § 15 Abs 5 GmbHG vinkuliert sind. Das Innenverhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber wird aber häufig zur Zurechnung nach Abs 4 führen (Rdn 24 ff). Die zusätzliche Voraussetzung für den Beteiligungsbegriff des § 271 Abs 1 HGB braucht nicht erfüllt zu sein, nämlich dass die Anteile dazu bestimmt sind, dem eigenen Geschäftsbetrieb durch Herstellung einer dauernden Verbindung zu jenem Unternehmen zu dienen. Vorübergehende oder nur zu Anlagezwecken dienende Beteiligungen können daher die Merkmale des § 16 erfüllen (Rdn 2). Dingliche Belastungen lassen die Inhaberschaft unberührt,45 können sich aber auf die Stimmrechtsverhältnisse auswirken (Rdn 42). b) Dem Merkmal gehören nicht gleichzusetzen ist, wenn ein Erwerbsrecht einge- 22 räumt ist, eine Erwerbspflicht besteht46 oder jedenfalls der dingliche Vollzug eines schuldrechtlichen Geschäfts noch aussteht. Ferner setzt „gehören“ voraus, dass die Anteile existieren; der Anspruch auf originären Erwerb aus Bezugsrechten genügt daher nicht. § 20 Abs 2 bestimmt für die Mitteilungspflicht einer Beteiligung, dass Aktien, für die ein Erwerbsrecht bzw eine Erwerbspflicht besteht, wie solche behandelt werden, die dem Unternehmen bereits gehören. Im Gegenschluss dazu sind für § 16 solche Positionen
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41 Besonderheiten gelten für Investmentgesellschaften, vgl §§ 92 ff, 108 ff KAGB. 42 BGH 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154; Bachmann ZHR 173 (2009) 596, 608 ff mwN; Tautges Empty Voting und Hidden (Morphable) Ownership, 2015, S 79, 84 ff. 43 Böttcher DepotG § 6 Rdn 1; Hüffer/Koch11 § 70 Rdn 3; MünchKomm/Bayer4 § 70 Rdn 9; vgl auch BGH 16.7.2004 – IXa ZB 24/04, BGHZ 160, 121 = NJW 2004, 3340, 3341; – zur Rechtsstellung des Hinterlegers bzw Eigentümers bei Depotverwahrung MünchKomm-HGB/Einsele3 Bd 6 Bankvertragsrecht Depotgeschäft Rdn 82 ff. 44 Vgl BGH 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 Rdn 9; die Übertragung der Aktien ist auch ohne Legitimation gegenüber der Gesellschaft wirksam, § 67 Abs 3; MünchKomm/Bayer4 § 67 Rdn 36; Schmidt/ Lutter/J Vetter3 Rdn 5. 45 Henssler/Strohn/Maier-Reimer Gesellschaftsrecht2 Rdn 2; Hüffer/Koch11 Rdn 7; MünchKomm/Bayer4 Rdn 28; zum Verbleib des Bezugsrechts beim Inhaber im Fall des Nießbrauchs 4. Aufl Wiedemann § 186 Rdn 60, 72; Wolframm Mitteilungspflichten, 1998, S 146 mwN. 46 Daraus folgt, etwa bei der sog Wertpapierleihe, dass der Verpflichtete das wirtschaftliche Risiko aus der Aktie trägt, nicht der aktuell Berechtigte, Bachmann ZHR 173 (2009), 596; Mock § 8 Rdn 204 f; Seibt ZGR 2010, 795, 799 ff; Tautges Empty Voting und Hidden (Morphable) Ownership, 2015, S 78 ff; für § 16 Abs 1 ist das aber nicht relevant.
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nicht einzubeziehen.47 Das gilt auch für Optionen, die gegenüber der Erwerbspflicht ein Minus darstellen. Soweit mit dem in Aussicht genommenen Erwerb bereits Einflussmöglichkeiten verbunden sind, die nicht unter die gesetzlich vorgesehen Zurechnungstatbestände (Rdn 24 ff) fallen, ist das bei der Prüfung der Abhängigkeit iSd § 17 Abs 1 (s dort Rdn 51 ff) zu berücksichtigen. 23
c) Die Frage, ob einem Unternehmen Anteile iSd Gesetzes „gehören“, wenn es selbst (nur) Treuhänder ist, also Zurechnung zum Treugeber erfolgt (Rdn 25 ff), ist in § 16 nicht ausdrücklich geregelt.48 Aus der Zurechnung folgt nicht, dass die Anteile nicht mehr als solche des nominellen Inhabers gelten.49 In § 71 Abs 1 Nr 4 wird der Erwerb von eigenen Aktien eines Kreditinstituts, das damit eine Einkaufskommission durchführt, zwar privilegiert, gleichwohl aber als Erwerb eigener Aktien behandelt. Nach § 56 Abs 3 kann sich ein Dritter nicht darauf berufen, er habe Aktien nicht für eigene Rechnung, sondern für Rechnung der Gesellschaft übernommen. Ein nach § 186 Abs 5 eingeschaltetes Kreditinstitut ist nach Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung vor Weitergabe der jungen Aktien an die Bezugsberechtigten vollwertiger Aktionär.50 Die schuldrechtliche Bindung kann Rechte und Pflichten, die über die Definitionsnorm vermittelt aus der Beteiligung folgen, nicht beseitigen; sie betreffen nur das Innenverhältnis und „absorbieren“ nicht die dingliche Zuordnung. Die Anteile gehören daher nach wie vor dem Treuhänder. Die Bindungen im Innenverhältnis können bei der Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung (Windbichler § 17 Rdn 72) eingebracht werden. § 290 Abs 3 Satz 3 HGB ordnet an, dass Rechte aus bestimmten für Rechnung Dritter gehaltenen Anteilen dem nominellen Inhaber nicht zugerechnet werden. Das erklärt sich aus dem andersartigen Gesetzeszweck (Rdn 4, 9; Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 24) und hat keine Auswirkung auf die Auslegung von § 16 Abs 2 und 4, zumal § 290 Abs 2 Nr 1 HGB nur die Stimmrechts-, nicht die Anteilsmehrheit betrifft. Entsprechendes gilt für als Sicherheit übertragene Aktien iSd § 22 Abs 1 Nr 3 WpHG und für Aktien im Handelsbestand bei Befreiung von der Meldepflicht nach § 23 Abs 1 WpHG. Eine Ausnahme ist allenfalls für die Fälle zu erwägen, in denen eine Treuhandkonstruktion lediglich aus dem im Wertpapierhandel zunehmenden Funktionsverlust des Sachenrechts resultiert, etwa bei Auslandsbezug.51 Ist die Wahrnehmung mitgliedschaftlicher Rechte durch den Treuhänder (Kreditinstitut, Broker) durch Regulierung ausgeschlossen und dem Treugeber zwingend zugewiesen,52 könnte damit eine absorbierende Zurechnung begründet werden.
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47 Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 88; ohnehin nicht anwendbar ist § 21 Abs 1b WpHG. 48 Vgl etwa § 1 Abs 9 Satz 3 KWG, nach dem im Emissionsgeschäft erworbene Anteile nicht für Beteiligungen berücksichtigt werden. 49 Ganz hM, BGHZ 114, 203, 213; 4. Aufl Brändel § 8 Rdn 54, § 12 Rdn 12; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 16a; Geßler/Geßler Rdn 18, 45; Hüffer/Koch11 Rdn 13; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 36 mwN; MünchKomm/Bayer4 Rdn 45; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 208 f; Windbichler FS Kirchner, 2014, S 441, 445; 3. Aufl Würdinger Anm 7; vgl auch BGHZ 104, 66, 74 f (Hamburger Stahlwerke). 50 4. Aufl Wiedemann § 186 Rdn 206 (Aktionärsstellung), 208 (Treuhand); dass für die Kapitalaufbringung die technische Zwischenschaltung der Bank den mittelbar Bezugsberechtigten nicht zum Zweiterwerber macht, steht nicht entgegen, BGHZ 122, 180 (co op). 51 4. Aufl Grundmann § 134 Rdn 84; Spindler/Stilz/Rieckers3 § 134 Rdn 39; Staub/Canaris HGB3 Bankvertragsrecht 2. Bearb Rdn 2040 ff, 2051; Einsele Wertpapierrecht als Schuldrecht, 1995, S 409 ff; Grundmann Der Treuhandvertrag, 1997, S 347 ff mwN; vgl auch § 2 Nr 1 WpÜG. 52 Absichtserklärungen wie nach § 22 Abs 1 Nr 3, 8 WpHG sind im Rahmen des § 16 nicht relevant, vgl Rdn 2; auch die Interessenwahrnehmungspflicht nach § 26 Abs 1 KAGB genügt nicht.
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4. Zurechnungsfälle. Die Bestimmung des Nennkapitals unter Abzug eigener An- 24 teile wird dadurch ergänzt, dass Anteile, die einem Dritten für Rechnung des Unternehmens gehören, als eigene behandelt werden (Abs 2 Satz 3). Ferner werden zur Bestimmung des Umfangs einer Beteiligung Anteile eines abhängigen Unternehmens oder eines Dritten, der sie für Rechnung des Unternehmens hält, hinzugerechnet (Abs 4 1. und 2. Fall). Für die Beteiligung von Einzelkaufleuten wird zwischen Privat- und Betriebsvermögen nicht unterschieden (Abs 4 3. Fall). Zurechnungen dienen hauptsächlich der Vermeidung von Umgehungen und sind auch in anderen Bereichen geläufig. Auf § 16 Abs 2 und 4 ist vielfach verwiesen (Rdn 10). Gleichwohl sind die Kriterien nicht einheitlich, was teilweise durch den Regelungszweck bedingt ist, teilweise durch mangelnde Konsolidierung der Begriffe (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 22, 37). Zurechnungsfälle werfen oft beträchtliche Nachweisprobleme auf. Dem tragen die Mitteilungspflicht nach § 20 und das Auskunftsrecht nach § 22 wenigstens teilweise Rechnung. Eine generelle Beweislastregel lässt sich nicht aufstellen, es kommt vielmehr darauf an, wer in welchem Zusammenhang Rechtsfolgen aus der Mehrheitsbeteiligung herleiten will. a) § 16 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 2. Fall betreffen die Zurechnung der Anteile, die 25 einem anderen für Rechnung des Unternehmens gehören, für die Ermittlung des Nennkapitals als Bezugsgröße (Abzug eigener Anteile) sowie für die Berechnung der Beteiligungshöhe. Sie erfassen mittelbare Beteiligungen. Die Vorschrift entspricht den Zurechnungen beim Erwerb eigener Aktien, §§ 71a Abs 2, 71d Satz 3. Das Selbstzeichnungsverbot wird in § 56 Abs 3 gegen Umgehung durch Zeichnung für Rechnung der Gesellschaft geschützt. Auch die §§ 19 und 20 erfassen mittelbare Beteiligungen dieser Art durch Verweisung auf § 16 Abs 2 Satz 1, Abs 4. Ähnlichkeit besteht ferner mit den stimmrechtsbezogenen Zurechnungen in § 290 Abs 3 Satz 1, 3, Abs 4 Satz 2 HGB und § 22 Abs 1 Nr 1 und 2 WpHG. Die Zurechnung nach Abs 4 soll die Umgehung der Rechtsfolgen einer Mehrheitsbeteiligung durch Verteilung auf mehrere Rechtsträger verhindern.53 Darauf, ob eine Umgehungsgefahr oder -möglichkeit im Einzelnen besteht, kommt es nicht an. Die gesetzlich angeordnete Zurechnung ist nicht „widerleglich“.54 Sie macht den Inhaber der Anteile, die zugerechnet werden, nicht zum verbundenen Unternehmen iSd § 15 (Windbichler § 15 Rdn 58). Dem Wortlaut nach könnte mit „einem anderen“ ein anderes Unternehmen gemeint 26 sein. In den genannten anderen Zurechnungsvorschriften wird aber deutlich, dass dort jeder beliebige andere, nicht notwendig ein Unternehmen gemeint ist (§ 71a Abs 2: … nach dem dieser (nicht: dieses) berechtigt ist …, § 71d: Ein … Dritter …). Das galt auch für § 71 Abs 5 aF.55 In § 290 Abs 3 und 4 HGB ist ausdrücklich von anderen „Personen“ die Rede. Bei § 16 Abs 2 Satz 3 und Abs 4 spricht nichts dafür, Unternehmensqualität des Dritten für die Zurechnung zu verlangen.56 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob einem Privataktionär die Unternehmenseigenschaft eines Treuhänders zuzurechnen ist (§ 15 Rdn 44 ff). Für Rechnung eines anderen werden Anteile gehalten, wenn dem Dritten die we- 27 sentlichen wirtschaftlichen Risiken und Chancen aus der Beteiligung zukommen.57 Hier
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53 BegrRegE bei Kropff AktG S 30; Hüffer/Koch11 Rdn 12; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 29. 54 Geßler/Geßler Rdn 43; MünchKomm/Bayer4 Rdn 43. 55 4. Aufl Barz § 71 Rdn 36; KK/Lutter2 § 71a Rdn 17 mwN zum früheren Recht. 56 Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 15; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 18. 57 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 18a; Hüffer/Koch11 Rdn 12; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 24, 30; KK/Lutter/Drygala3 § 56 Rdn 43, § 71a Rdn 73; MünchKomm/Bayer4 Rdn 47.
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wirkt sich eine Kombination von mitgliedschaftlicher Beteiligung und schuldrechtlicher Regelung aus. 58 Der Normzweck, Umgehungsversuchen entgegenzuwirken (Rdn 24), wird dadurch erreicht, dass die gewissermaßen vermiedene Mitgliedschaft der tatsächlichen unter bestimmten Umständen gleichgestellt wird. Die zugrundeliegenden Absprachen können vielgestaltig sein und sich auf Stimm- und Verwaltungsrechte beziehen oder diese ausdrücklich ausnehmen; vor allem die verschiedenen Varianten der Treuhand sind hier relevant.59 Da § 16 zwischen Anteilsbesitz und Stimmrechten unterscheidet, ist für die Anteilszurechnung die wirtschaftliche Risikoverteilung ausreichend.60 Die Stimmrechtsmacht ist getrennt zu beurteilen (Rdn 29, 36 ff). Offenlegung gegenüber der Gesellschaft ist für § 16 nicht erforderlich, kann aber aus den Mitteilungspflichten nach § 20 folgen (Windbichler § 20 Rdn 45 ff, § 22 Rdn 5). Teilweise wurde neben der Übernahme des Vermögensrisikos ein Anspruch des Unternehmens auf Übereignung der Anteile durch den Dritten verlangt.61 Für zahlreiche Treuhandgeschäfte ist das typisch, jedoch nicht begriffsnotwendig. Dafür spricht auch der besondere Zurechnungstatbestand des Übereignungsanspruchs in § 20 Abs 2 Nr 1, der sonst neben der Verweisung in § 20 Abs 1 Satz 2 auf § 16 Abs 4 funktionslos wäre.62 Auf die Wirksamkeit bzw Zulässigkeit des Erwerbs für Rechnung des Unternehmens kommt es nicht an.63 Dass das Unternehmen, dem der Anteilsbesitz Dritter zugerechnet wird, selbst auch 28 unmittelbar beteiligt ist, ist nicht erforderlich. Dem Wortlaut des Gesetzes nach wäre diese Auslegung möglich („auch“), sie entspricht aber nicht dem mit der Vorschrift verfolgten Zweck.64 Eine „Absorption“ durch die Zurechnung in dem Sinne, dass der Inhaber der zugerechneten Anteile nicht mehr als beteiligt gilt, findet grundsätzlich nicht statt (hM, Rdn 23). Die mittelbare Beteiligung geht auf eine schuldrechtliche Abrede zurück. Stimm29 rechtsvereinbarungen, die mit solcher mittelbaren Stellvertretung beim Anteilsbesitz verbunden sind, werden also über die Anteilszurechnung erfasst (Rdn 41), während schuldrechtlich vermittelte bzw verhinderte Stimmrechtsmacht für § 16 nicht erheblich ist (Rdn 37 ff). Die Rechtsfolgen, die im AktG unwiderleglich an die Mehrheitsbeteiligung geknüpft sind, beziehen sich zum großen Teil auf den Kapitalschutz (Rdn 4, 9). Das legt nahe, die schuldrechtlich begründete Zurechnung in § 16 Abs 2 und 4 auf diese Fälle zu
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58 Zur gegenseitigen Beeinflussung der schuldrechtlichen und der gesellschaftsrechtlichen Beziehungen mwN Ulmer ZHR 156 (1992) 377, 387 ff betr GmbH. 59 Geßler/Geßler Rdn 18; Hüffer/Koch11 Rdn 7; vgl K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 61 III; – zum Treuhandgiro Grundmann Der Treuhandvertrag, 1997, S 347 ff; Einsele Wertpapierrecht als Schuldrecht, 1995, S 419 ff; zu flankierenden Abreden beim Nießbrauch Wolframm Mitteilungspflichten familiär verbundener Aktionäre nach § 20 AktG, 1998, S 146 ff. 60 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 24; MünchKomm/Bayer4 Rdn 47; Beispiel bei LG Hannover ZIP 1992, 1236, 1239 f (Continental/Pirelli), wonach der Verbleib der Chance eines Kursgewinns beim Treuhänder die Zurechnung nicht hindert; besonderes Gewicht ist der Abrede beizumessen, die dem Treugeber die (künftigen) Bezugsrechte zuweist. – Für Zweckgesellschaften stellt § 290 Abs 2 Nr 4 HGB es der Stimmrechtsmehrheit gleich, wenn die Muttergesellschaft die Mehrheit der Risiken und Chancen trägt; dazu Vesper-Gräske Verbriefungszweckgesellschaften in der Konzernbilanz, 2013, S 202 ff; IFRS 10.6 verlangt in Anwendung des control-Konzepts außer Risiken und Chancen die Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen; BeckBilKom/Grottel/Kreher9 § 290 HGB Rdn 67 ff. 61 Geßler/Geßler Rdn 29. 62 3. Aufl Würdinger § 20 Anm 3. 63 Geßler/Geßler Rdn 28 unter Hinweis auf § 71 Abs 5 aF, dem jetzt § 71a Abs 2 entspricht; vgl auch Windbichler § 17 Rdn 53; Koppensteiner FS Rowedder, 1994, S 213, 224; zur formunwirksamen Treuhand an GmbH-Anteilen Ulmer ZHR 156 (1992) 377, 392 f. 64 HM, Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 17; Geßler/Geßler Rdn 44; Hüffer/Koch11 Rdn 13; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 34; MünchKomm/Bayer4 Rdn 44; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 59 Rdn 14; Rehbinder ZGR 1977, 581, 588; – aA 3. Aufl Würdinger Anm 5.
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beschränken, zumal „für Rechnung“, dh im wirtschaftlichen Ergebnis zugunsten und zulasten, leichter und genauer bestimmbar ist als die vielfältigen Stimmrechtsvereinbarungen. b) Nach Abs 4 1. Fall sind Anteile, die einem abhängigen Unternehmen gehören, 30 für die Berechnung des Beteiligungsumfangs (nicht für die Berechnung der Basisgröße, Rdn 13) zuzurechnen. Abhängigkeit bestimmt sich nach § 17; sie wird bei Mehrheitsbesitz widerleglich vermutet, § 17 Abs 2. Die Zurechnung erfolgt auch, wenn die Anteile nicht dem abhängigen Unternehmen selbst, sondern einem von diesem abhängigen Unternehmen oder einem Dritten für dessen Rechnung (Rdn 27) gehören. Auf Verwaltungssitz und Statut der beteiligten Unternehmen kommt es nicht an (Rdn 49). Gehören die Anteile einem Unternehmen, das nicht vom Zurechnungsempfänger allein, sondern von diesem zusammen mit anderen Unternehmen abhängig ist (Windbichler § 17 Rdn 60 ff), rechtfertigt das die Anwendung des Abs 4 nicht.65 Die Anteilsmehrheit als gesetzliches Merkmal ohne Rücksicht darauf, ob Abhängigkeit besteht (Rdn 4), mit Folgen hauptsächlich im Bereich der Kapitalaufbringung und -erhaltung und ohne Möglichkeit abstufender Gewichtung (Rdn 31), muss unabhängig von eventuellem Koordinierungsbedarf festgestellt werden (anders betr Stimmrechtszurechnung § 22 Abs 2 WpHG: acting in concert). Scheitert in einem solchen Fall die Mehrheitsbeteiligung, kann gleichwohl Abhängigkeit nach § 17 Abs 1 vorliegen.66 Beherrschen beispielsweise A und B gemeinsam paritätisch ein Unternehmen C, und sind A und C an einem weiteren Unternehmen D jeweils beteiligt, sind die von C gehaltenen Anteile nicht nach Abs 4 dem Unternehmen A zuzurechnen. Ergeben sie zusammen mit den von A gehaltenen Anteilen eine Mehrheit, kann der eigene sowie der mit B koordinierte Einfluss über C aber zur Abhängigkeit des Unternehmens D von A führen. Die Zurechnung bewirkt nicht, dass das Merkmal „gehören“ bei dem unmittelbar 31 beteiligten Unternehmen nicht mehr erfüllt, gewissermaßen absorbiert wäre (Rdn 23, 28). Sie erfolgt stets vollständig, dh es werden sämtliche Anteile, die das abhängige Unternehmen hält, dem herrschenden zugerechnet. Eine sog durchgerechnete Quotierung entsprechend der Beteiligung des herrschenden Unternehmens an dem abhängigen findet nicht statt.67 Sie wird in anderen Rechtsordnungen diskutiert.68 Im Rahmen des § 16 Abs 4 besteht kein Anlass für eine solche Auslegung. Auch in der Konzernrechnungslegung ist die Vollkonsolidierung die Regel (fiktive Einheit, Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 39, 60), Quotenkonsolidierung die Ausnahme und nur bei Gemeinschaftsunternehmen zulässig, § 310 HGB, IFRS 11.IN9. c) Von Einzelpersonen gehaltene Anteile können unterschiedlichen Vermögensbe- 32 reichen zuzuordnen sein. Bei Beteiligungen eines Einzelkaufmanns kommt es gem Abs 4 letzter Teilsatz nicht darauf an, ob diese im Betriebs- oder im Privatvermögen gehalten werden. Die Vorschrift ist insoweit missverständlich formuliert, als zwischen dem Inhaber und dem Unternehmen unterschieden wird, als sei der Gewerbebetrieb, der
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65 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 29; – aA Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 21; die dort zur Illustration von (im konkreten Fall gut bewältigten) Beweisschwierigkeiten herangezogene Entscheidung OLG Karlsruhe 11.12. 2003 – 12 W 11/02, NZG 2004, 334, betrifft ausschließlich § 17 Abs 1, nicht § 16 Abs 4. 66 Das würde dann die in BGHZ 62, 193, 198 (Seitz) obiter erwähnte Anwendung des Verbots des Erwerbs eigener Aktien rechtfertigen. 67 HM, OLG Hamburg 8.8.2003 – 11 U 45/03, NZG 2003, 978, 979 f; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 16a; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 22; vgl auch MünchKomm-HGB/ Busse v Colbe3 § 290 Rdn 62. 68 Vgl etwa Eisenberg The Structure of the Corporation 1976, S 290.
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nicht Rechtssubjekt ist, beteiligtes Unternehmen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Einzelkaufmann seine Eigenschaft als Unternehmen(sträger) nicht auf den Gewerbebetrieb beschränken und sich im Übrigen als Privataktionär gerieren kann.69 Auf die Branche, in der der Einzelkaufmann tätig ist, und den Grund des Beteiligungserwerbs kommt es nicht an.70 Ebensowenig muss der Kaufmann wenigstens einen Teil der Beteiligung im Betriebsvermögen halten.71 Soweit andere natürliche Personen, zB Freiberufler, Unternehmen iSd §§ 15 ff sind (Windbichler § 15 Rdn 23 f), ist auch bei ihnen unerheblich, ob die gehaltene Beteiligung einem Betriebsvermögen zugeordnet wird.72 Entsprechendes gilt für die öffentliche Hand, insbesondere Gebietskörperschaften, denen ua wegen Mehrfachbeteiligung Unternehmenseigenschaft zukommt (Windbichler § 15 Rdn 27 ff).73 Anteile, die eine Person hält, die Mitglied einer Personengesellschaft ist, werden 33 nicht auf der Grundlage der Mitgliedschaft der Gesellschaft zugerechnet.74 Anteile der Gesellschaft werden den Gesellschaftern nicht zugerechnet. Etwas anderes gilt, wenn die Person Unternehmen ist und einer der in § 16 Abs 4 1. und 2. Fall genannten Zurechnungsgründe (Abhängigkeit, mittelbare Inhaberschaft) vorliegt. III. Stimmrechtsmehrheit 1. Zustehen von Stimmrechten in Kapitalgesellschaften 34
a) Grundsätzlich steht das Stimmrecht in Kapitalgesellschaften den Anteilsinhabern entsprechend ihrer Beteiligung zu, so dass Anteils- und Stimmrechtsmehrheit nicht auseinanderfallen. Etwas anderes gilt, wenn Anteile vorhanden sind, die gar nicht, vermindert oder verstärkt mit Stimmrechten verbunden sind (Rdn 1). Stimmrechte aus Anteilen, die nach Abs 4 zugerechnet werden, stehen nach Abs 3 Satz 1 regelmäßig dem Zurechnungsempfänger zu (Rdn 41). Anders als § 22 WpHG enthält § 16 keine besondere Vorschrift zur Stimmrechtszurechnung (Rdn 37); aber auch die kapitalmarktrechtlichen Regeln greifen auf die Anteilszurechnung (mit der Stimmrechtszurechnung als weiterer Folge) zurück.75 Wenn die Möglichkeit zur Ausübung von Stimmrechten auf andere Weise als durch Mitgliedschaft bzw Zurechnung der Mitgliedschaft vermittelt wird oder wenn Ausübungshindernisse bestehen, treten Streitfragen auf, wann einem Unternehmen Stimmrechte iSd Gesetzes „zustehen“.
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b) Stimmrechte, die einem gesetzlichen oder satzungsmäßigen Ausübungsverbot unterliegen, zählen nicht, der Anteilsinhaber kann sie nicht ausüben iSd § 16 Abs 3 Satz 1. Hierher gehören auf jeden Fall dauernde Hindernisse wie § 134 Abs 1 Satz 2–4
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69 Geßler/Geßler Rdn 47; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 31; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 27. 70 AA 3. Aufl Würdinger Anm 6; vgl dagegen Windbichler § 15 Rdn 22 mwN. 71 Geßler/Geßler 48; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 31; – aA 3. Aufl Würdinger Anm 6; vgl dagegen Windbichler § 15 Rdn 22. 72 IE ebenso (Analogie) KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 31, die Erwähnung von Handwerkern betrifft wohl die Rechtslage vor der Handelsrechtsreform 1998; MünchKomm/Bayer4 Rdn 49. 73 Geßler/Geßler Rdn 49; Hüffer/Koch11 Rdn 13; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 33; MünchKomm/Bayer4 Rdn 50. 74 HM, Geßler/Geßler Rdn 51; Hüffer/Koch11 Rdn 13; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 32; MünchKomm/Bayer4 Rdn 51. 75 Auch die sehr viel weiter gehenden Meldepflichten betr Erwerbsrechte und Erwerbsmöglichkeiten in §§ 25, 25a WpHG stellen auf Finanzinstrumente ab, die mit Stimmrechten verbundene Aktien betreffen, nicht auf die Stimmrechte allein. Zur Abkoppelung von Stimmrechten von der wirtschaftlichen Beteiligung vgl zB Mittermeier Empty Voting, 2014; Tautges Empty Voting and Hidden (Morphable) Ownership, 2015; darauf, ob mit dem Stimmrecht ein wirtschaftliches Risiko verbunden ist, kommt es hier aber nicht an.
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und § 140 Abs 1. Umstritten sind vorübergehende Ausübungshindernisse. Nicht zu berücksichtigen ist § 136 Abs 1,76 da dieses Stimmverbot nur einzelne Beschlüsse je nach ihrem Gegenstand erfasst, ebensowenig andere, gesetzlich nicht geregelte bewegliche Schranken des Stimmrechts.77 Lebt das Stimmrecht bei Vorzugsaktien nach den Voraussetzungen des § 140 Abs 2 auf, kann das Stimmrecht ausgeübt werden. Dass es sich um einen möglicherweise nur vorübergehenden Zustand handelt, steht nicht entgegen (Rdn 2). Ein Stimmverbot nach §§ 20 Abs 7, 21 Abs 4 ist zu berücksichtigen, auch eines nach § 28 WpHG, das insoweit eine vergleichbare Situation herbeiführt. Auch die fehlende Legitimation gegenüber der Gesellschaft nach § 67 Abs 2 bzw § 16 Abs 1 GmbHG führt dazu, dass das Stimmrecht nicht ausgeübt werden kann. Diese Stimmrechte zählen daher nicht als solche des Inhabers.78 Die verbreitete Gegenmeinung79 stellt darauf ab, dass in diesen Fällen der Aktionär es in der Hand habe, durch Erfüllung der Mitteilungspflicht bzw Registrierung nach § 67 Abs 3 die Stimmberechtigung herbeizuführen80 und nicht befugt sei, über das Eingreifen der Rechtsfolgen der Stimmrechtsmehrheit durch Unterlassung zu disponieren. Der Gedanke des potenziellen Einflusses gehört aber zu § 17, nicht zum formalen Ist-Zustand, den § 16 erfasst. In den meisten Fällen wird die fortbestehende Anteilsmehrheit (Rdn 21) zur Abhängigkeitsvermutung nach § 17 Abs 2 führen, im Übrigen ist die Abhängigkeit nach § 17 Abs 1 zu untersuchen. Das gilt auch für § 134 Abs 2, der die volle Leistung der Einlage für das Stimmrecht voraussetzt, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt, unabhängig von der Unterscheidung zwischen Entstehung des Stimmrechts und Ausübungsverbot (vgl aber Rdn 13 und 43 betr Berechnung der Bezugsgrößen).81 Falls ein Nichtaktionär im Aktienregister eingetragen ist, ist zu unterscheiden: Der registrierte Legitimationsaktionär, § 129 Abs 3 Satz 2, ist der Gesellschaft gegenüber legitimiert, daher stimmbefugt, aber nicht Anteilsinhaber; er übt nicht Stimmrechte „aus den ihm gehörenden Anteilen“ aus, sondern nimmt fremde Rechte wahr, da die materielle Rechtslage unberührt bleibt. Gleichwohl geht seine Rechtsstellung über bloße Legitimation hinaus; die Mitgliedschaft wird der Gesellschaft gegenüber fingiert bzw unwiderleglich vermutet;82 die Gesellschaft ist verpflichtet, das Stimmrecht zu gewähren. Das rechtfertigt, Stimmrechte des registrierten Namensaktionärs bzw Ge-
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76 Hüffer/Koch11 Rdn 11; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 46; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 36; 3. Aufl Würdinger Anm 10. 77 Dazu Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1963, S 287 ff; zu Bindungen bei der sog Aktienleihe Bachmann ZHR 173 (2009), 596, 615 ff. 78 Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 21; Geßler/Geßler Rdn 38; Hölters/Hirschmann2 Rdn 10; Spindler/Stilz/ Schall3 Rdn 35; 3. Aufl Würdinger Anm 10. 79 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 24; Henssler/Strohn/MaierReimer2 Rdn 5; Hüffer/Koch11 Rdn 11; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 46; MünchHdB/Krieger4 § 69 Rdn 34; MünchKomm/Bayer4 Rdn 40; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 20 f (nur bei Stimmverbot nach §§ 20 Abs 7, 21 Abs 4 oder § 28 WpHG, § 59 WpÜG, nicht bei fehlender Legitimation gegenüber der Gesellschaft). 80 Nicht möglich ist das während einer zulässigen Umschreibungssperre zur Vorbereitung der Hauptversammlung, BGH 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 Rdn 9; gerade dieser Zeitraum ist aber für die Stimmrechtsausübung interessant. – Für § 16 Abs 1 GmbHG kann die Erwägung ohnehin nicht gelten, da der Gesellschafter für die Gesellschafterliste, § 40 GmbHG, nicht zuständig ist. – Ein subjektives Element ist gleichwohl im Tatbestand der Stimmrechtsverbote in §§ 20 Abs 7, 21 Abs 4 oder § 28 WpHG, § 59 WpÜG enthalten, die an schuldhaftes Unterlassen anknüpfen; dazu Windbichler § 20 Rdn 49 f, 70. 81 Geßler/Geßler Rdn 38; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 46. 82 BGHZ 112, 103, 113 (Fiktion); unwiderlegliche Vermutung: Hüffer/Koch11 § 67 Rdn 12; MünchKomm/ Bayer4 § 67 Rdn 44 ff; Spindler/Stilz/Cahn3 § 67 Rdn 30; Baumbach/Hueck/Fastrich GmbHG20 § 16 Rdn 11; KK/Lutter/Drygala3 § 67 Rdn 46; Wiedemann Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaften bei Handelsgesellschaften, 1965, S 131 ff; Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 30 Rdn 3; differenzierend Grunewald ZGR 2015, 347; Wiersch ZGR 2015, 591; vgl auch OLG Köln 6.6.2012 – 18 U 240/11, NZG 2012, 946, 948 f betr § 21 WpHG.
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sellschafters zu berücksichtigen. Anders ist der Platzhalter, §§ 67 Abs 4 Satz 5, 135 Abs 6, zu behandeln, der nicht als fiktiver Aktionär, sondern im Interesse der Vollständigkeit des Aktienregisters eingetragen ist. Dessen Stimmrecht folgt ggf aus einer der Vollmacht entsprechenden Ermächtigung, die für § 16 Abs 2 Satz 1 nicht genügt. 36
c) Eine Stimmrechtsvollmacht (§§ 134 Abs 3, 135 Abs 1) lässt die Rechtsträgerschaft unberührt unabhängig davon, ob der Bevollmächtigte Weisungen unterworfen ist oder nicht (anders § 22 Abs 1 Satz 1 Nr 6 WpHG); das Stimmrecht selbst steht nach wie vor dem Vollmachtgeber zu. Der Bevollmächtigte ist daher mit diesen Stimmen nicht iSd § 16 Abs 2 Satz 1 beteiligt.83 Die Stimmrechtsmehrheit einer Bank kann daher nicht mit Hilfe von Vollmachtstimmrechten begründet werden. Eine andere Frage ist, ob eine Minderheitsbeteiligung durch Vollmachtstimmrechte zur Beherrschung ausgebaut werden kann; die rechtspolitische Diskussion hat durch die Änderungen des § 135 und die abnehmenden Aktivitäten der Depotbanken in diesem Bereich84 wohl ihren Abschluss gefunden (dazu Windbichler § 17 Rdn 56). Bei Legitimationszession (Rdn 35) stehen dem Zedenten keine Stimmrechte iSd § 16 zu, da er der Gesellschaft gegenüber nicht zur Ausübung legitimiert ist (Rdn 35); eine bestehende Anteilsmehrheit bleibt unberührt.
d) Streitig ist, wie die Wahrnehmung von Stimmrechten auf der Grundlage von Stimmbindungs-, Pool-, Konsortial- und anderen Schuldverträgen einzuordnen ist. Für Stimmrechte enthält § 16 keine dem Abs 4 entsprechende eigenständige Zurechnungsvorschrift. Die Vielfalt von Vereinbarungen, die auf Überlassung von Rechten abzielen, hat durch die Entwicklung phantasievoller Finanzinstrumente erheblich zugenommen.85 Dadurch und durch die zunehmende Stimmrechtsorientierung in der Rechnungslegung und im Kapitalmarktrecht erfährt § 16 aber keine Neuorientierung; Zweck der Vorschrift ist die mitgliedschaftsorientierte Sicherung von Kapitalaufbringung und erhaltung sowie die Rechtfertigung der Abhängigkeitsvermutung (Rdn 4). Einflussmöglichkeiten werden durch § 17 differenziert erfasst. Die Zurechnung nur vertraglich vermittelter Stimmrechtsmacht ist mit der hM abzu38 lehnen.86 Für diese Auffassung sprechen der Gesetzeszweck und die Gesetzessystematik (Rdn 4, 37), auch der Vergleich mit der ausdrücklich geregelten Anteilszurechnung (Rdn 34). Ferner geriete die Zurechnung in Konflikt mit dem Grundsatz des Abspaltungsverbots,87 nach dem Mitgliedschaft und Stimmrecht nicht voneinander zu trennen und lediglich Ausübungsvereinbarungen möglich sind. Eine vereinbarungswidrig abgegebe37
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83 HM, Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 21; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 25; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 43; MünchKomm/Bayer4 Rdn 39; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 34. 84 Simon/Zetsche ZGR 2010, 918, 924 ff. 85 Vgl Mittermeier Empty Voting, 2014, S 6 ff; Seibt ZGR 2010, 795; Spindler/Stilz/Cahn3 § 71 Rdn 185 f, 213 ff; Tautges Empty Voting und Hidden (Morphable) Ownership, 2015, S 56 ff, 78 ff. 86 Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 15; Geßler/Geßler Rdn 37; Hüffer FS K Schmidt, 2009, S 747, 750 ff; Hüffer/ Koch11 Rdn 13; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 44 aE; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 34; 3. Aufl Würdinger Anm 10; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 34; aA Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 25; Grigoleit Rdn 19; Mertens FS Beusch, 1993, S 583, 589 f; MünchKomm/Bayer3 Rdn 48; – wieder anders Wolframm Mitteilungspflichten familiär verbundener Aktionäre nach § 20 AktG, 1998, S 130 ff: Weisungsrecht bezüglich des Stimmrechts führt zur Vermutung des Haltens für Rechnung des Weisungsberechtigten iSd § 16 Abs 4. 87 BGH 17.11.1986 – II ZR 96/86, NJW 1987, 780; Mock § 8 Rdn 192 ff; Hüffer/Koch11 § 12 Rdn 3; KK/DaunerLieb3 § 8 Rdn 44; MünchKomm/Heider3 § 8 Rdn 89; Wiedemann Gesellschaftsrecht I S 372 f mwN; zur ökonomischen Deutung des Abspaltungsverbots Tautges Empty Voting und Hidden (Morphable) Ownership, 2015, S 141 ff.
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ne Stimme ist nicht unwirksam,88 der Vertrag hat also keine unmittelbare Wirkung der Gesellschaft gegenüber. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn man in Fällen der Verletzung schuldrechtlicher Abreden sämtlicher Gesellschafter gesellschaftsrechtliche Sanktionen (Beschlussanfechtung,89 Ausschluss, positive Beschlussfeststellungsklage) zulässt. Eine derartige organisationsrechtliche Verstärkung obligatorischer Positionen könnte, je nach Inhalt der Abrede, als „zustehendes Stimmrecht“ gewichtet werden. Die genannte Konstruktion ist jedoch umstritten;90 die Anwendung wäre jedenfalls für § 16 mit Rücksicht auf die engen Voraussetzungen äußerst unwahrscheinlich.91 § 290 Abs 3 Satz 2 HGB (Art 22 Abs 1 d) ii RL 2013/43/EU) könnte es allerdings nahele- 39 gen, auch Vereinbarungen mit anderen Gesellschaftern einzubeziehen;92 weitergehend verlangt IFRS 10.11, B38 f lediglich eine Vereinbarung, die nicht notwendig unter Gesellschaftern bestehen muss. Dort ist aber stets auch die die Beteiligung an Chancen und Risiken erforderlich; bei § 290 Abs 3 Satz 2 HGB ergibt sich das aus der Gesellschafterstellung. Beide Vorschriften dienen der Feststellung eines Kontrollverhältnisses. Ähnlich verhält es sich mit verschiedenen anderen Zurechnungsnormen im Unionsrecht, die auf vertragliche Rechte oder Ausübungsbefugnisse abstellen.93 Die gesonderte Definition der Mehrheitsbeteiligung in § 16 stellt jedoch einen speziellen formalen Baustein im aktienrechtlichen Definitionssystem dar (Rdn 4), auf den § 17 als weiteres Element folgt. Dort wird der Relevanz bestimmter Stimmrechtsvereinbarungen ausreichend Rechnung getragen (Windbichler § 17 Rdn 51 ff). Einer Extension des § 16 gegen Wortlaut und Systematik bedarf es daher nicht. Die Nichtberücksichtigung schuldrechtlicher Abreden entspricht dem formalen Ansatz des § 16 besser; die Anknüpfung der Abhängigkeitsvermutung an schwer festzustellende Merkmale (Inhalt, Rechtsqualität der Vereinbarung) würde ihrer Typisierungsund Entlastungsfunktion nicht gerecht. Die Zulässigkeit einer Bindung gegenüber der Gesellschaft selbst, etwa des In- 40 halts, dass bestimmte Stimmrechte nicht ausgeübt werden, ist sehr umstritten (Windbichler § 17 Rdn 80 ff betr sog Entherrschungsverträge) und jedenfalls für die Feststellung der Stimmrechtsmehrheit nach § 16 Abs 1 unbeachtlich.94 e) Stimmrechte aus zugerechneten Anteilen verbleiben typischerweise beim tat- 41 sächlichen Anteilsinhaber. Die Anteile gelten nach Abs 4 als dem Zurechnungsempfänger gehörend; dieser kann aber selbst das Stimmrecht in aller Regel nicht ausüben, so dass Abs 3 Satz 1 nicht wörtlich erfüllt ist. Darin wird teils ein Redaktionsversehen, teils
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88 HM; Baumbach/Hueck/Zöllner GmbHG20 § 47 Rdn 113, 117; Hüffer/Koch11 § 133 Rdn 29; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 44; MünchKomm/Schröer3 § 136 Rdn 87; Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 29 Rdn 37; ebenso zum österreichischen Recht öOGH AG 1996, 329. 89 So BGH NJW 1983, 1910 = ZIP 1983, 297 = WM 1983, 334; BGH NJW 1987, 1889 = ZIP 1987, 293 jeweils betr GmbH. 90 Hoffmann-Becking ZGR 1994, 442, 450; Hüffer/Koch11 § 23 Rdn 47, § 243 Rdn 10; Lutter/Hommelhoff/ Bayer GmbHG18 Anh § 47 Rdn 43 f; Ulmer NJW 1987, 1849; ders FS Röhricht, 2005, S 633 ff, 650 ff; M Winter ZHR 154 (1990) 259, 268 ff; Rowedder/Koppensteiner GmbHG5 § 47 Rdn 118; – jedenfalls gegen eine Generalisierung Baumbach/Hueck/Zöllner GmbHG20 § 47 Rdn 118. 91 Vgl 4. Aufl K Schmidt § 243 Rdn 19 f; Happ ZGR 1984, 168, 177; Hoffmann-Becking ZGR 1994, 442, 457 ff; nur für in der Satzung verankerte Stimmbindungen Hüffer/Koch11 § 243 Rdn 10; Martens AG 1993, 495, 501 f; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 163 ff: Dauerregelungen der Satzung haben Vorrang vor einer „Schattenordnung“ durch Gesellschaftervereinbarungen, im Übrigen sind Beschlussmängel wegen Abspracheverletzung möglich; Zutt ZHR 155 (1991) 190, 196. 92 Ulmer FS Goerdeler, 1987, S 623, 645; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 91. 93 ZB Art 3 Abs 3b) VO EG 139/2004 (Fusionskontroll-VO); Art 28 Abs 2a) 2. Fall RL 2012/30/EU (konsolidierte Kapital-RL); Art 1 Abs 2 Satz 2 a) i) VO EU 330/2010 (Gruppenfreistellungs-VO). 94 Geßler/Geßler Rdn 40.
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§ 16 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
eine Gesetzeslücke gesehen.95 Dass aus der Anteilszurechnung keine Stimmrechtszurechnung folgen soll, ist zwar denkbar, aber keine zwingende Auslegung. Die Wendung „ausüben kann“ in Abs 3 Satz 1 kann man auch als „ausübbar“ mit Rücksicht auf evtl bestehende Hindernisse (Rdn 21, 35) lesen. Damit sind Stimmrechte aus zugerechneten Anteilen zuzurechnen, soweit sie durch den Inhaber wahrgenommen werden können.96 Praktische Relevanz hat das, wenn Beteiligungshöhe und Stimmgewicht auseinanderfallen (Rdn 1). 42
f) Bei Anteilen, an denen ein Pfandrecht besteht, hat die (vertragliche) Bindung des Stimmrechts ebenfalls keine Auswirkung der Gesellschaft gegenüber,97 ungeachtet der Verpflichtung des Inhabers, im Innenverhältnis die Interessen des Pfandgläubigers zu berücksichtigen. Ob ein Nießbrauch das Stimmrecht erfasst, so dass der Anteilsinhaber es nicht ausüben kann, ist streitig. Nach überwiegender Meinung ist das Stimmrecht nicht abspaltbar und nicht von den durch Nießbrauch zugewiesenen Rechten erfasst;98 der Inhaber ist lediglich dem Nießbraucher gegenüber verpflichtet, dessen Interessen zu beachten. Hält man einen (dinglich) „spaltenden Nießbrauch“ für möglich, übt der Nießbraucher insoweit eigene Stimmrechte aus; geht man von einem je nach Beschlussgegenstand gespaltenen Stimmrecht aus, muss man wohl sowohl den Besteller als auch den Nießbraucher als stimmberechtigt iSd § 16 ansehen.99 Die andersartige Regelung in § 22 Abs 1 Nr 4 WpHG hat keine Rückwirkung auf § 16 AktG (Rdn 39). 2. Berechnung
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a) Die Berechnung richtet sich nach Abs 3. Bezugsgröße ist nach Satz 1 die Gesamtzahl aller Stimmrechte. Ob diese ausübbar sind, ist nicht maßgebend.100 Es sind jedoch die Stimmrechte aus eigenen Anteilen sowie Anteilen, die einem Dritten für Rechnung des Unternehmens gehören und damit eigenen Anteilen gleichstehen, abzu-
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95 Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 18 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 47 (Redaktionsversehen); ebenso MünchKomm/Bayer4 Rdn 46; Mertens FS Beusch, 1993, S 583, 590 (lückenhaft); ebenso Emmerich/ Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 25 (Abs 4 analog auf Stimmrechte anzuwenden); Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 22. 96 Im Ergebnis ebenso Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 25; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 47; MünchKomm/Bayer3 Rdn 46; MünchHdbAktG/Krieger4 § 69 Rdn 34; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 33; vgl auch § 290 Abs 3 HGB idF des BilRUG 2015: zugerechnet werden Stimmrechte, die das Mutterunternehmen selbst oder eines seiner Tochterunternehmen ausüben kann. 97 HM, Baumbach/Hueck/Fastrich GmbHG20 § 15 Rdn 50; Hüffer/Koch11 Rdn 7; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 44; MünchHdbAktG/Krieger4 § 69 Rdn 34; Spindler/Stilz/Vatter3 § 12 Rdn 4. 98 Baumbach/Hueck/Fastrich GmbHG20 § 15 Rdn 53; Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 23; Emmerich/ Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 14; Grigoleit Rdn 10; Henssler/Strohn/Lange Gesellschaftsrecht2 § 12 AktG Rdn 2; MünchKomm-GmbHG/Reichert/Weller2 § 15 Rdn 337; Scharff Der Nießbrauch an Aktien im Zivil- und Steuerrecht, 1982, S 104, 115 ff; K Schmidt ZGR 1999, 601, 604 ff; Schmidt/Lutter/J Vetter3 § 134 Rdn 8; vgl ferner BGH 9.11.1998 – II ZR 213/97, NZG 1999, 150 (betr GbR); OLG Koblenz ZIP 1992, 844 = NJW 1992, 2163; – aA Wedemann NZG 2013, 1281, 1282, 1284 ff: kein Verstoß gegen das Abspaltungsverbot und alleinige Zuordnung des Stimmrechts zum Nießbraucher. 99 Im Einzelnen sehr str; zum „spaltenden Nießbrauch“ Fleck FS Fischer, 1979, S 107, 125 f; Flume Personengesellschaft § 17 VI, S 360, 362 f; ders Juristische Person § 7 II, S 203; Henssler/Strohn/Verse Gesellschaftsrecht2 § 15 GmbHG Rdn 114; Hüffer/Koch11 Rdn 7; Grigoleit Rdn 10; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 44; MünchKomm/Bayer3 Rdn 28; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 31; Spindler/Stilz/Vatter3 § 12 Rdn 5; Ulmer/Habersack/Löbbe GmbHG2 § 15 Rdn 187 ff; zur Vergemeinschaftung der Rechte des Gesellschafters und des Nießbrauchers Schön ZHR 158 (1994), 229, 261 f. 100 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 22; Geßler/Geßler Rdn 33; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 6; Hüffer/Koch11 Rdn 11; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 38; MünchKomm/Bayer4 Rdn 37; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 19; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 29.
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setzen, Abs 3 Satz 2. Nicht abzuziehen sind Stimmrechte, die nach § 134 Abs 2 vor Volleinzahlung noch nicht begonnen haben, denn das Stimmrecht besteht im Grundsatz als Ausfluss der Mitgliedschaft.101 Da § 16 Abs 3 Satz 2 nur die Stimmrechte aus eigenen und diesen gleichgestellten Anteilen von der Bezugsgröße abgesetzt wissen will, ist es konsequent, auch § 134 Abs 2 als insoweit unbeachtliches Ausübungshindernis zu betrachten. Nach dem Gesetzeswortlaut sind Anteile, die verbundenen Unternehmen gehören, vgl Abs 4 1. Fall, ebenso wie bei der Bezugsgröße für die Anteilsmehrheit nicht abzusetzen. Das wird im Ergebnis kritisiert, ist aber hinzunehmen (vgl Rdn 13). b) Das Stimmgewicht, das mit der Bezugsgröße zu korrelieren ist, richtet sich grund- 44 sätzlich nach dem Beteiligungsumfang. Abweichungen ergeben sich bei Ausübungsverboten. Mehrstimmrechte (Rdn 1) und Höchststimmrechte (§ 134 Abs 1 Satz 2–4) sind entsprechend den Vorgaben der Satzung zu gewichten. Stimmrechte, die einem dauernden Ausübungsverbot unterliegen, zählen nicht (Rdn 35). Die faktische Wahrscheinlichkeit, ob Stimmrechte ausgeübt werden, ist unbeachtlich. Eine bloße Hauptversammlungsmehrheit genügt für eine Mehrheitsbeteiligung daher nicht (dazu Windbichler § 17 Rdn 24). Maßgeblich sind rechtlich gesicherte Stimmrechte, nicht vertretene oder abgegebene Stimmen. 3. Andere Rechtsformen a) Bei anderen Rechtsformen als Kapitalgesellschaften folgen die Stimmrechte re- 45 gelmäßig aus der Mitgliedschaft allgemein, nicht „aus Anteilen“. Vor allem bei Personengesellschaften ist eine Stimmrechtsmehrheit bei gesetzlichem Abstimmungsmodus, § 709 BGB, § 119 HGB, nicht möglich. Unterwirft jedoch der Gesellschaftsvertrag die Beschlussfassung dem Mehrheitsprinzip, kommt es auf das vertragliche Stimmgewicht an. Es folgt dann allerdings nicht „aus Anteilen“, sondern aus der besonderen vertraglichen Gestaltung,102 ist aber immerhin mitgliedschaftlich verankert. § 16 Abs 3 ist auf alle Gesellschaftsformen entsprechend deren Eigenheiten anzuwenden.103 Streitig ist, ob nach dem Einfluss, den das zu ermittelnde Stimmgewicht verschafft, zu differenzieren ist, da die Binnenstruktur anderer Gesellschaftsformen erheblich von den Verhältnissen bei Aktiengesellschaften abweichen kann.104 Das Problem der Abstufung und Gewichtung gehört aber ggf zur Feststellung der Abhängigkeit bzw Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung, § 17.105 An der Stiftung gibt es mangels einer Verbandsorganisation weder Anteile (Rdn 19) 46 noch Stimmrechte. Soweit das Stiftungsgeschäft Organisationsgremien vorsieht, in denen das Mehrheitsprinzip zur Anwendung kommt, sind dort vorhandene Stimmrechte keine mitgliedschaftlichen106 und schon gar nicht solche aus Anteilen. Auch beim VVaG
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101 4. Aufl Brändel § 12 Rdn 11; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 41; – aA wohl 3. Aufl Würdinger Anm 10 aE. 102 Deshalb hielt Würdinger 3. Aufl, Anm 11, Stimmrechtsmehrheit iSd § 16 Abs 3 für ausgeschlossen und verwies auf die Feststellung von Abhängigkeit iS von § 17. 103 Ganz hM, Geßler/Geßler Rdn 11, 15, 22; Hüffer/Koch11 Rdn 5; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 17, 42; MünchKomm/Bayer4 Rdn 13; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 39; vgl auch, in kartellrechtlichem Zusammenhang, BGHZ 119, 346, 360 f (Pinneberger Tageblatt). 104 So Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 5, 7; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 18; MünchHdbAktG/Krieger4 § 69 Rdn 32. 105 Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 4; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 38. 106 Emmerich/Habersack/Emmerich7 Aktien- und GmbH-KonzernR Rdn 23; Hüffer/Koch11 Rdn 5; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 17; MünchKomm/Bayer4 Rdn 19; K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 7 II 2d.
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ist Stimmenmehrheit eines Unternehmens ausgeschlossen.107 Soweit beim Verein eine Satzungsgestaltung möglich ist, die zu „Anteilen“ führt (Rdn 16, 19), ist eine entsprechende Stimmrechtsverteilung möglich, aber auch als satzungsmäßiges Sonderrecht.108 Die stille Gesellschaft, auch die atypische mit weitreichenden Mitspracherechten des Stillen, kann sich eine Gesamtorganisation schaffen, in der es auch Mehrheitsbeschlüsse gibt. 109 Es bleibt aber bei einer reinen Innengesellschaft; das Stimmrecht ist kein mitgliedschaftliches in dem Unternehmensträger, an dem die stille Beteiligung besteht (vgl Rdn 16, 34) und zählt nicht iSd § 16 Abs 3. In solchen Fällen ist aber zu prüfen, ob Abhängigkeit aus anderen Gründen gegeben ist (§ 17 Rdn 42). Allenfalls in Gesellschaftsformen, die verbandsrechtliche Mitwirkung im Unternehmensträger für Nichtgesellschafter zulassen, kommt ein „Stimmrecht“ eines atypisch beteiligten stillen Gesellschafters oder sonstigen Finanzierers in Betracht.110 b) Für die Berechnung ist wiederum zunächst die Bezugsgröße festzustellen, zu der dann das Stimmgewicht in Relation zu setzen ist. Dabei ergibt sich schon rechtsformspezifisch, dass in manchen Unternehmensträgern trotz körperschaftlicher Verfassung mit Mehrheitsprinzip eine Stimmenmehrheit ausscheidet. In der personalistisch strukturierten Genossenschaft ist eine Stimmenmehrheit 48 kaum möglich;111 die durch § 43 Abs 3 Nr 1 und 2 GenG zugelassenen Mehrstimmrechte haben enge Grenzen, die eine Mehrheit nicht entstehen lassen. Satzungsfreiheit besteht nur für sog Zentralgenossenschaften, § 43 Abs 3 Nr 3 GenG, die theoretisch auch eine Stimmrechtsmehrheit ermöglicht.112 Für sog investierende Mitglieder muss die Satzung nicht nur eine Stimmrechtsmehrheit, sondern auch eine Sperrminorität ausschließen, § 8 Abs 2 GenG. In Personengesellschaften ist die vertragliche Gestaltung maßgebend. Folgt das Stimmrecht den gesellschaftsvertraglich gestalteten Kapitalanteilen (Rdn 17), ergibt Anteilsmehrheit zugleich Stimmenmehrheit; im Übrigen ist das Stimmgewicht nach den gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen festzustellen. Einem Gesellschafter kann, dem Mehrstimmrecht vergleichbar, im Gesellschaftsvertrag ein ungleichgewichtig größerer Einfluss zugebilligt werden. Die fehlende Anbindung an einen „Anteil“ steht nicht entgegen, es handelt sich um ein mitgliedschaftlich vermitteltes Recht (Rdn 45). Für die EWIV ist die ungleiche Stimmenverteilung durch den Gründungsvertrag zwar zugelassen, eine Stimmenmehrheit eines Mitglieds jedoch ausdrücklich ausgeschlossen, Art 17 Abs 1 EWIVVO.113 47
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107 MünchKomm/Bayer4 Rdn 17 mwN gegen KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 17; MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 30; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 12: Satzung maßgebend, diese muss aber Gleichbehandlung gewährleisten. 108 MünchKomm/Bayer4 Rdn 17; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 17; Schmidt/Lutter/J. Vetter3 Rdn 12; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 41. 109 K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 62 II 2c cc; Staub/Harbarth HGB5 § 230 Rdn 69. 110 Krolop Die Gewährung von Risikokapital auf schuldrechtlicher Grundlage im Dreieck von Vertrag, Verband und Markt, 2016, § 4 (demnächst); generell ablehnend beim Einzelkaufmann als Unternehmensträger Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 40. 111 Beuthien in Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 133, 155 f; Merle AG 1979, 265, 268 f; MünchKomm/Bayer4 Rdn 15 f; Reul Das Konzernrecht der Genossenschaften, 1997, S 117 f: bei Primärgenossenschaften ausgeschlossen; weitergehend H Westermann FS Reinhardt, 1972, S 359, 372: Einfluss über Stimmrechtsmacht schlechthin ausgeschlossen; ähnlich Baudenbacher/Oettinghaus AG 1985, 269, 273 f. 112 Pöhlmann/Fandrich/Bloehs/Fandrich GenG4 § 43 Rdn 44. 113 AllgM, zT aber unscharf damit begründet, § 16 sei nicht anwendbar; genauer: die Tatbestandsmerkmale sind nicht erfüllbar; MünchKomm/Bayer4 Rdn 14; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 39.
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Abhängige und herrschende Unternehmen | § 17
IV. Auslandsbezug § 17 QQQ Ist eines der beteiligten Unternehmen ein ausländisches, hängt seine Berücksich- 49 tigung von der anzuwendenden materiellen Regel ab (Vor § 15 Rdn 72). Für die Definitionsnorm als solche spielen Gründungs-, Verwaltungssitz und Statut der Unternehmen keine Rolle.1 1 4 Die Feststellung der einzelnen Merkmale des Mehrheitsbesitzes oder der Mehrheitsbeteiligung dürfte vergleichsweise wenig Schwierigkeiten bereiten, da auch andere Rechtsordnungen – selbst wenn sie keinem besonders ausgeprägten Konzernrecht zuneigen – diese Erscheinungen kennen und zur tatbestandlichen Anknüpfung von Rechtsfolgen verwenden. Die Beteiligungs- und die Stimmrechtsmehrheit sind als typisierte Kriterien für verbundene Unternehmen auch außerhalb des deutschen Rechts geläufig (Rdn 8; Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 48 ff). Die einzelnen Merkmale sind mit Hilfe von Substitution zu ermitteln (vgl Rdn 15). Wenn zB das Stimmrecht bei einer börsennotierten französischen Aktiengesellschaft sich nach längerer Haltedauer der Aktien satzungsgemäß verdoppelt,115 so ist das erhöhte Stimmrecht maßgebend. § 17 Abhängige und herrschende Unternehmen Windbichler QQQ
§ 17 Abhängige und herrschende Unternehmen 1. Teil – Allgemeine Vorschriften (1) Abhängige Unternehmen sind rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen (herrschendes Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann. (2) Von einem in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen wird vermutet, daß es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist.
I.
II.
Systematische Übersicht Allgemeines | 1 1. Entwicklung | 1 2. Bedeutung der Vorschrift | 3 a) Innerhalb der Definitionsnormen | 3 b) Im Aktienrecht allgemein | 4 c) Im materiellen Konzernrecht | 5 d) Bedeutung außerhalb des AktG | 6 3. Auslegungsgesichtspunkte | 9 a) Mehrheitsbeteiligung iSv § 16 | 11 b) Konzernvermutung nach § 18 Abs 1 Satz 3 | 14 c) Anwendungsfälle im AktG | 15 d) Rechtsfolgen außerhalb des AktG | 16 Beherrschender Einfluss | 17 1. Unternehmensbezug | 17
III.
2. Blickwinkel | 18 3. Beherrschungsmöglichkeit | 19 4. Dauer | 21 Beherrschungsmittel und Ausübungsmöglichkeit | 22 1. Beteiligung | 22 a) Minderheitsbeteiligung | 23 b) Optionen und Erwerbsrechte | 26 c) Gesellschaften in anderer Rechtsform | 27 2. Satzung, Gesellschaftsvertrag und satzungsüberlagernde Organisationsverträge | 31 a) Satzung bzw Gesellschaftsvertrag | 31 b) Organisationsverträge mit satzungsüberlagernder Wirkung | 35
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Geßler/Geßler Rdn 42; Hüffer/Koch11 Rdn 12. Art L225-123 Code de commerce; Mock § 12 Rdn 31.
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§ 17 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
3.
IV.
Andere Verträge mit dem Unternehmen selbst | 37 a) Schuldrechtliche Unternehmensverträge | 37 b) Austausch-, Liefer- und Kreditbeziehungen | 40 c) Franchising, Vertragssysteme mit Organisationselementen | 41 d) Stille Beteiligung | 42 4. Sonstige Beherrschungsmittel | 43 a) Personelle Verflechtungen | 43 aa) Aufsichtsrat | 46 bb) Vorstand | 48 cc) Andere Organe | 49 b) Optionen, nicht vollzogener Erwerb | 50 c) Stimmbindungs-, Pool- und Konsortialverträge | 51 aa) Inhalt | 52 bb) Verstärkung bestehenden Minderheitseinflusses | 53 cc) Mehrere Unternehmen | 54 dd) Nicht beteiligtes Unternehmen | 55 d) Stimmrechtsvollmacht | 56 5. Mittelbare Beherrschung | 57 Beherrschung durch mehrere Unternehmen | 59 1. Anwendungsfälle | 59 a) Mehrfache Abhängigkeitsvermutung | 59
b)
Gemeinschaftsunternehmen und Familiengesellschaften | 60 c) Mehrfachbeherrschung in anderen Rechtsgebieten | 61 2. Koordinierung des Einflusses | 64 3. Einheitliche Abhängigkeit oder mehrere Abhängigkeitsverhältnisse? | 66 V. Abhängigkeitsvermutung (Abs 2) | 68 VI. Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung | 71 1. Allgemeines | 71 2. Widerlegung im Einzelnen | 72 a) Vorübergehende Mehrheitsbeteiligung | 72 b) Anteils- oder Stimmenmehrheit ohne den typischen Einfluß | 74 c) Verträge | 76 aa) Stimmbindungsverträge | 77 bb) Verträge mit der Gesellschaft selbst | 80 cc) Wettbewerbs- und Beteiligungsverbote | 84 d) Unternehmensmitbestimmung | 85 e) Mehrstufige Abhängigkeit | 86 f) Konkurs bzw Insolvenz | 87 3. Verfahren | 88 4. Bedeutung in anderen Rechtsgebieten | 89 VII. Auslandsbezug | 90
Schrifttum Siehe auch die Angaben zur Vorbemerkung vor §§ 15 ff und zu §§ 15, 16; Ahrens, Die Problematik des Mehrmütterkonzerns in aktien- und mitbestimmungsrechtlicher Sicht, AG 1975, 151; Albath Unternehmensbeteiligung unter 25% Kapitalanteil, 1988; Altmeppen Zum Vorstandsdoppelmandat in einer beherrschten AG & Co. KG, ZIP 2008, 437; Bachelin Der konzernrechtliche Minderheitenschutz – Die Stellung des außenstehenden Aktionärs in Unternehmensverbindungen, 1969; Barz Der Abhängigkeitsausschlußvertrag bei der Aktiengesellschaft, FS Bärmann, 1975, S 185; Bauer Zur Abhängigkeit einer AG von einem Konsortium, NZG 2001, 742; Baumann/Reiss Satzungsergänzende Vereinbarungen – Nebenverträge im Gesellschaftsrecht, ZGR 1989, 157; Baumgartl Die konzernbeherrschte Personengesellschaft, 1986; Bayreuther Wirtschaftlich-existenziell abhängige Unternehmen im Konzern-, Kartell- und Arbeitsrecht: zugleich ein Beitrag zur rechtlichen Erfassung moderner Unternehmensverträge, 2001; Becker Der Entherrschungsvertrag im Spiegel verschiedener Rechtsgebiete, FS Möschel, 2011, S 1119; Bernhardt Doppel- und Verbundmandate im Konzern, ZfB 1996, 899; Boëtius Konzernbildung durch Aktienpoolung?, DB 1970, 1964; Böhlk Zur Rolle der 50:50 Gemeinschaftsunternehmen in der Fusionskontrolle, DB 1982, 1256; Born Die abhängige Kommanditgesellschaft auf Aktien, 2004; Brellochs Konzernrechtliche Beherrschung und übernahmerechtliche Kontrolle, NZG 2012, 1010; Burbach Das Recht der konzernabhängigen Personengesellschaft, 1989; ders Die Personenhandelsgesellschaft als Tochterunternehmen im Sinne des § 290 Abs 2 HGB, WPg 1990, 253; Decher Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, 1990; Dierdorf
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Abhängige und herrschende Unternehmen | § 17
Herrschaft und Abhängigkeit einer Aktiengesellschaft auf schuldvertraglicher und tatsächlicher Grundlage, 1978; Dreher Personelle Verflechtungen zwischen den Leitungsorganen von (Versicherungs-)Unternehmen nach Gesellschafts-, Konzern- und Versicherungsaufsichtsrecht, FS E Lorenz, 1994, 175; Emmerich Das Konzernrecht der Personenhandelsgesellschaften, FS Stimpel 1985, S 743; Feldgen Die umsatzsteuerliche Organschaft im Konzern, BB 2010, 285; Fett Öffentlich-rechtliche Anstalten als abhängige Konzernunternehmen, 2000; Gansweid Gemeinsame Tochtergesellschaften im deutschen Konzernund Wettbewerbsrecht, 1976; Geiger Wettbewerbsverbote im Konzernrecht, 1996; Gekeler Der personengesellschaftliche Konzern im Licht des aktienrechtlichen Konzernmodells, 1993; Geßler, Probleme des neuen Konzernrechts, DB 1965, 1691, 1729; ders Der Schutz der abhängigen Gesellschaft, FS W Schmidt, 1959, S 249; ders Besprechung der Entscheidung BGHZ 62, 193, ZGR 1974, 476; J Götz Der Entherrschungsvertrag im Aktienrecht, 1991; Großfeld Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit im System der Unternehmensformen, 1985; Grundmann Das neue Depotstimmrecht nach der Fassung im Regierungsentwurf zum ARUG, BKR 2009, 31; Happ/Bednarz Stimmverbot und Doppelmandat, FS HoffmannBecking, 2013, S 433; Hentzen Der Entherrschungsvertrag im Aktienrecht, ZHR 157 (1993), 65; Hirte Grenzen der Vertragsfreiheit bei aktienrechtlichen Unternehmensverträgen, ZGR 1994, 644; ders Der „Handelsbeistand“ – ein Bindeglied zwischen Kapitalmarkt- und Konzernrecht, FS Wiedemann, 2002, S 951; Hoffmann-Becking Vorstands-Doppelmandate im Konzern, ZHR 150 (1986), 570; Hoffmann-Becking/ Rillemeyer Gemeinschaftsunternehmen im neuen Recht der Konzernrechnungslegung, FS Goerdeler, 1987, S 199; Holtkamp Die Genossenschaft als herrschendes Unternehmen im Konzern, 1994; Holtmann Personelle Verflechtungen auf Konzernführungsebene, 1989; Hommelhoff Der Verlust im MehrmütterVertragskonzern, FS Goerdeler, 1987, S 221; Hübner der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit als Konzernspitze bei internen Strukturmaßnahmen, FS Wiedemann, 2002, S 1033; Hüffer Stiftungen mit Holdingsfunktion – Anerkennung und rechtliche Behandlung, GS Tettinger, 2007, S 449; Hüttemann Der Entherrschungsvertrag im Aktienrecht, ZHR 156 (1992), 314; Immenga Schutz abhängiger Gesellschaften durch Bindung oder Unterbindung herrschenden Einflusses?, ZGR 1978, 276; Jäger Der Entherrschungsvertrag, DStR 1995, 113; Joussen Gesellschafterkonsortien im Konzernrecht, AG 1998, 329; Keßler Die Konzernhaftung kommunaler Gebietskörperschaften, GmbHR 2001, 320; Kleindiek Strukturvielfalt im Personengesellschafts-Konzern, 1991; Köhler Der Schutz des abhängigen Unternehmens im Schnittpunkt von Kartell- und Konzernrecht, NJW 1978, 2473; König Zur Willensbildung im Stimmenpool, ZGR 2005, 417; Koppensteiner Über wirtschaftliche Abhängigkeit, FS Stimpel, 1985, S 811; ders Abhängige Aktiengesellschaften aus rechtspolitischer Sicht, FS Steindorff, 1990, S 79; Krieger Vorwirkende Abhängigkeit?, FS Semler, 1993, S 503; ders Mehrheitsbeschlüsse im Aktionärspool, FS Hommelhoff, 2012, S 593; Kropff Der GmbH-Beherrschungsvertrag: Voraussetzung für den Vorrang von Konzerninteressen?, FS Semler, 1993, S 517; Larisch/Bunz Der Entherrschungsvertrag als Mittel der Konzernvermeidung bei faktischen Hauptversammlungsmehrheiten, NZG 2013, 1247; Laule Der herrschende Kommanditist als unbeschränkt haftendes Unternehmen, FS Semler, 1993, S 541; Letixerant Die aktienrechtliche Abhängigkeit vor dem dinglichen Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung, 2001; R Liebs Die Verweisung auf die aktienrechtliche Abhängigkeitsund Konzernvermutung, GS Rödig, 1978, S 286; Lindermann Doppelmandat gleich Haftungsdurchgriff?, AG 1987, 225; Löffler Die abhängige Personengesellschaft, 1988; Lutter Zur Herrschaft mehrerer Unternehmen über eine Aktiengesellschaft, NJW 1973, 113; ders Vermögensveräußerungen einer abhängigen Aktiengesellschaft – Haftungsrisiken beim „asset-stripping“, FS Steindorff, 1990, S 125; Lutter/Timm Konzernrechtlicher Präventivschutz im GmbH-Recht, NJW 1982, 409; Marchand Abhängigkeit und Konzernzugehörigkeit, 1985; Martens Die existentielle Wirtschaftsabhängigkeit, 1979; Martinek Franchising, 1987; Maul Aktienrechtliches Konzernrecht und Gemeinschaftsunternehmen, NZG 2000, 470; Merle Die eingetragene Genossenschaft als abhängiges Unternehmen, AG 1979, 265; Mestmäcker Medienkonzentration und Meinungsvielfalt, 1978; Möhring Vertraglicher Ausschluß von Abhängigkeit und Konzernvermutung, FS H Westermann, 1974, S 427; K Müller/Pfeiffer Verflechtungsstrukturen in Konzernen, ZfB 1985, 49; Müller-Eising/Stoll Beherrschung von Unternehmen aufgrund faktischer Hauptversammlungsmehrheiten, GWR 2012, 315; Nagel/Riess/Theis Der faktische Just-in-time-Konzern – Unternehmensübergreifende Rationalisierungskonzepte und Konzernrecht am Beispiel der Automobilindustrie, DB 1989, 1505; Nordmeyer Möglichkeit mehrfacher Abhängigkeit bzw Konzernzugehörigkeit im Sinne der §§ 17, 18 AktG, BB 1971, 70; Odersky Stimmbindungen im Pool und „Unterpool“, FS Lutter, 2000, S 557; Oechsler Die Anwendung des Konzernrechts auf Austauschverträge mit organisationsrechtlichem Bezug, ZGR 1997, 464; Oesterreich Die Betriebsüberlassung zwischen Vertragskonzern und faktischem Konzern, 1979; Pentz Die Rechtsstellung der Enkel-AG in der mehrstufigen Unternehmensverbindung, 1994; Peters/
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H Werner Zwei Probleme konzernrechtlicher Abhängigkeit, BB 1976, 393; dies Banken als herrschende Unternehmen?, AG 1978, 297; Prühs Die tatsächliche Abhängigkeit aus aktienrechtlicher Sicht, DB 1972, 2001; Raiser Wettbewerbsverbote als Mittel des konzernrechtlichen Präventivschutzes, FS Stimpel, 1985, S 855; ders 100 Bände BGHZ – GmbH-Recht, ZHR 151 (1987), 422; Rasch Depotstimmrecht und Beteiligungsmacht, NJW 1976, 501; ders Sperrminoritäten in Bankbesitz als Grundlage einer „Abhängigkeit“ nach § 17 AktG?, AG 1979, 49; Raupach Schuldvertragliche Verpflichtungen anstelle beteiligungsgestützter Beherrschung, FS Bezzenberger, 2000, S 327; E Rehbinder Gesellschaftsrechtliche Probleme mehrstufiger Unternehmensverbindungen, ZGR 1977, 581; Reichert/Harbarth Stimmrechtsvollmacht, Legitimationszession und Stimmrechtsausschlussvertrag in der AG, AG 2001, 447; Reul Das Konzernrecht der Genossenschaft, 1997; D Reuter Die Personengesellschaft als abhängiges Unternehmen, ZHR 146 (1982), 1; ders Ansätze eines Konzernrechts der Personengesellschaft in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, AG 1986, 130; Richter Umgehung der Konzernvorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976 durch Widerlegung der Abhängigkeits- und/oder Konzernvermutung, AG 1982, 261; Rittner Die Beteiligung als Grund der Abhängigkeit einer Aktiengesellschaft, DB 1976, 1465; Rolfes Gemeinschaftsunternehmen, Ziele ihrer Einrichtung sowie ihre betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Probleme, 1979; Säcker Mehrmütterklausel und Gemeinschaftsunternehmen, NJW 1980, 801; ders Zur Problematik von Mehrfachfunktionen im Konzern, ZHR 151 (1987), 59; C Schäfer Mehrheitserfordernisse bei Stimmrechtskonsortien, ZGR 2009, 768; Schanze/Kern Sanierungsversuch und Konzernhaftung, AG 1991, 421; Schießl Die beherrschte Personengesellschaft, 1985; Schlieper Leitungsintensität und Mehrfachfunktion im faktischen Aktienkonzern, 1996; Schlinkert Unternehmensstiftung und Konzernleitung, 1995; K Schmidt Abhängigkeit und faktischer Konzern als Aufgabe der Rechtspolitik, JZ 1992, 856; ders Sternförmige GmbH & Co. KG und horizontaler Haftungsdurchgriff, FS Wiedemann, 2002, S 1199; ders Entherrschungsvertrag und faktische Entherrschung im Aktienkonzern, FS Hommelhoff, 2012, S 985; UH Schneider Die Personengesellschaft als verbundenes Unternehmen, ZGR 1975, 253; ders Gesellschaftsanteile als Kreditsicherheit im Konzern – Eine Untersuchung zum Verhältnis von Kreditrecht und Konzernrecht, in: Schneider (Hrsg) Gesellschaftsanteile als Kreditsicherheit, 1979, S 287; ders Auf dem Weg in den Pensionskassenkorporatismus?, AG 1990, 317; Schönwitz/Weber Unternehmenskonzentration, personelle Verflechtung und Wettbewerb, 1982; Schubert/Ravenstein Beschränkung der Stimmrechtsausübung und Abhängigkeit, DB 2006, 2219; Schulze-Osterloh Das Recht der Unternehmensverträge und die stille Beteiligung an einer Aktiengesellschaft, ZGR 1974, 427; Schürnbrand „Verdeckte“ und „atypische“ Beherrschungsverträge im Aktien- und GmbH-Recht, ZHR 169 (2005), 35; Schweda Abhängigkeit im Sinne des § 17 Abs 1 AktG von mehreren Unternehmen, DB 1974, 1993; Semler Doppelmandats-Verbund im Konzern – sachgerechte Organisationsform oder rechtlich unzulässige Verflechtung?, FS Stiefel, 1987, S 719; Soudry/Löb Der Begriff des abhängigen Unternehmens im Sinne des § 17 AktG – Zur Einbeziehung rein wirtschaftlich vermittelter Abhängigkeiten in den Anwendungsbereich des Konzernrechts, GWR 2011, 127; Steindorff Gemeinschaftsunternehmen mit zwei paritätisch beteiligten Gesellschaftern, NJW 1980, 1921; ders Wettbewerbliche Einheit und kartellrechtliche Vermutungen, 1982; Streyl Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstandsdoppelmandaten, 1992; Strohn Zur Verfassung der Aktiengesellschaft im faktischen Konzern, 1977; Sura Fremdeinfluß und Abhängigkeit, 1980; Timm Zur Sachkontrolle von Mehrheitsentscheidungen im Kapitalgesellschaftsrecht – dargestellt am Beispiel „strukturverändernder Entscheidungen“, ZGR 1987, 40; Timmann Die Durchsetzung von Konzerninteressen in der Satzung der abhängigen Aktiengesellschaft. Möglichkeiten der statutarischen Indienstnahme von Konzerntöchtern, 2001; Ulmer Aktienrechtliche Beherrschung durch Leistungsaustauschbeziehungen, ZGR 1978, 457; Veelken Der Betriebsführungsvertrag im deutschen und amerikanischen Aktien- und Konzernrecht, 1975; Martin Weber Vormitgliedschaftliche Abhängigkeitsbegründung, ZIP 1994, 678; Weimar Die typische Betriebsaufspaltung – ein Unterordnungskonzern?, ZIP 1988, 1525; Wellenhofer-Klein Zulieferverträge im Privat- und Wirtschaftsrecht, 1999; v Werder Konzernstruktur und Matrixorganisation, ZfbF 38 (1986), 586; HS Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979; ders Konzernrechtliche Abhängigkeit und einheitliche Leitung in mitbestimmten Konzernen, ZGR 1976, 447; H Werner/Peters Zwei Probleme konzernrechtlicher Abhängigkeit am Beispiel der Deutschen Bank und Daimler Benz, BB 1976, 393; H Westermann Zum Rechtsbegriff des Verbundes bei Genossenschaften, FS Draheim, 1968, S 196; HP Westermann Banken als Kreditgeber und Gesellschafter, ZIP 1982, 379; G Wiedemann Personengesellschaften in der Fusionskontrolle, ZHR 146 (1982), 296; ders Gemeinschaftsunternehmen im deutschen Kartellrecht, 1981; H Wiedemann Organverantwortung in der Aktiengesellschaft – Doppel- und Mehrfachorgane, ZIP 1997, 1565.
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I. Allgemeines 1. Entwicklung. Die Begriffe „abhängige Gesellschaft“ und „abhängiges Unterneh- 1 men“ wurden erstmals1 durch die Aktienrechtsverordnung vom 19.9.1931 in den §§ 226 Abs 4 und 240a HGB eingeführt. § 15 Abs 2 AktG 1937 bestimmte dann, dass ein herrschendes und ein abhängiges Unternehmen als Konzern gelten, wenn das rechtlich selbständige Unternehmen auf Grund von Beteiligungen oder sonst unmittelbar oder mittelbar unter dem beherrschenden Einfluss des anderen Unternehmens steht. Darin war eine Definition der Abhängigkeit gegeben; die daran geknüpfte Konzernvermutung war unwiderleglich. Zu den umstrittenen Auslegungsfragen gehörte vor allem diejenige, ob die Möglichkeit der Beherrschung genügte oder die Herrschaftsmacht tatsächlich ausgeübt werden musste. Das AktG 1965 hat in § 17 den Begriff der Abhängigkeit von dem des Konzerns getrennt und die Beherrschungsmöglichkeit genügen lassen.2 Die Konzernvermutung ist nunmehr widerleglich und in § 18 Abs 1 Satz 3 enthalten. Damit und durch die Mehrheitsbeteiligung als eigenständige Form der Unternehmensverbindung in § 163 werden stärker differenzierte Anknüpfungen für materielle Regelungen geboten. Das im Unionsrecht, insbesondere der Rechnungslegung und im Kapitalmarktrecht, und in anderen Rechtsordnungen vorherrschende, überwiegend stimmrechtsorientierte „controlKonzept“ zeigt große Ähnlichkeit mit dem Abhängigkeitsbegriff des AktG (Rdn 8). Die gesetzliche Betrachtung ist hierarchisch iS von Über- und Unterordnungsver- 2 hältnissen. Das hindert nicht, die vielfältigen tatsächlichen Interdependenzen zu berücksichtigen. Bei Funktionsteilungen innerhalb einer Unternehmensgruppe (divergente Entwicklung, Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 14) und Formen der Unternehmensorganisation, die mit dem rechtlichen Grundmuster von Organkompetenzen nicht kongruent sind, ist auch das herrschende Unternehmen auf die abhängigen Unternehmen angewiesen und muss die mit der rechtlichen Selbständigkeit einhergehenden Besonderheiten beachten.4 Einflusszuweisungen zwischen Schwester-, Nichten- und Enkelgesellschaften entsprechend den Funktionen in der Gesamtgruppe sind verbreitet.5 Entscheidend für die Beherrschungsmöglichkeit bleibt die Frage nach dem Einfluss auf die Ausübung von gesellschaftsrechtlichen Kompetenzen. Die Abgrenzung der Abhängigkeit iSd § 17 von anderen Erscheinungsformen spiegelt die Gestaltungsmöglichkeiten wirtschaftlicher Beziehungen durch Vertrag, Organisation oder Zwischenformen (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 18 f). Das Gesetz unterscheidet nicht nach verschiedenen Arten oder Intensitäten der Abhängigkeit. In gegenüber dem AktG stärker abgestuften Beschreibungen von Unternehmensverbindungen, insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklung des sog „qualifizierten faktischen Konzerns“, war auch von „qualifizierter Abhängigkeit“ die Rede.6 Diese Ausdifferenzierung hat sich nicht bewährt (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 49), zumal die Unterscheidung zwischen einfachem Konzern und qualifiziertem Konzern ersteren bereits in die Nähe der bloßen Abhängigkeit rückt. Andererseits sind große Unterschiede in der Intensität der Abhängigkeit offenkundig gegeben, wobei auch sehr ausgeprägt ausgeübte Beherrschung nicht notwendig zur Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung und damit zum Konzern führt (Windbichler § 18 Rdn 41, 85). Jeden-
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1 Zur Gesetzesgeschichte Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 3. 2 BegrRegE bei Kropff AktG S 31. 3 Ausschussbericht bei Kropff AktG S 29; Windbichler § 16 Rdn 4. 4 Die Matrixorganisation koppelt mehrere Leitungssysteme, vgl etwa Bauer/Herzberg NZA 2011, 713; Theisen Der Konzern2 S 46 ff; v Werder ZfbF 38 (1986) 586; G Wisskirchen/Dannhorn/Bissels DB 2008, 1139. 5 Vgl den Sachverhalt in BGHZ 106, 54 (Opel); K Schmidt ZHR 155 (1991) 417: Entwicklung eines Rechts der Konzernschwestern erforderlich. 6 Lutter/Timm NJW 1982, 409, 412; K Schmidt aaO S 436.
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falls außerhalb des Aktienkonzernrechts werden Rechtsfolgen ohnehin differenzierend nach Art und Intensität des Einflusses entwickelt, zB durch unterschiedlich intensive Treuepflichten. Einer rechtstechnischen Anknüpfung an § 17 bedarf es dazu nicht (Rdn 8). 2. Bedeutung der Vorschrift 3
a) Innerhalb der Definitionsnormen nimmt § 17 eine zentrale Position ein. Herrschende und abhängige Unternehmen sind verbundene Unternehmen iSd § 15 und fallen unter alle daran anknüpfenden Vorschriften. Daraus und aus dem Wortlaut des § 17 selbst ergibt sich, dass es sich ausschließlich um die Beziehung zwischen Unternehmen handelt, nicht etwa die Bindung an einen bedeutenden oder auch den einzigen Privataktionär (Windbichler § 15 Rdn 1, 10 ff). Eine Abhängigkeitslage kann daher auch dadurch entstehen, dass ein Privataktionär zusätzliche Aktivitäten aufnimmt oder Beteiligungen erwirbt, die ihm Unternehmenseigenschaft verschaffen.7 § 17 baut systematisch auf § 16 auf, indem in Abs 2 bei Mehrheitsbeteiligung Abhängigkeit widerleglich vermutet wird. In § 16 Abs 4 wird insoweit auf § 17 verwiesen, als Anteile, die einem abhängigen Unternehmen gehören, dem herrschenden zugerechnet werden. Die Abhängigkeit iSd § 17 ist Grundlage für die widerlegliche Vermutung eines Unterordnungskonzerns (§ 18 Abs 1 Satz 3). Beherrschungsmöglichkeit und Abhängigkeit sind daher eine mittlere Stufe der nach Intensität der Unternehmensverbindung aufgebauten Begriffe (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 55). Angesichts der zunehmend auch gesetzlich erfassten qualifizierten Beteiligungen weit unterhalb der Mehrheit (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 37; § 16 Rdn 7) handelt es sich gleichwohl um eine hohe Schwelle, damit um eine bereits sehr enge Unternehmensverbindung. Das entspricht den bedeutenden Rechtsfolgen der Abhängigkeit (Rdn 4 f). Zugleich ist Abhängigkeit ein eigenständiger Typ der Unternehmensverbindung. Letzteres zeigt sich zunächst daran, dass Vorschriften des AktG Mehrheitsbeteiligung neben Abhängigkeit als Tatbestandsmerkmal aufführen, zB in § 56 Abs 2 Satz 1 oder § 71d Satz 2 (näher Rdn 4). Entscheidende Vorschriften des Dritten Buches gehen von der Abhängigkeit, nicht vom Konzern aus (Rdn 5).
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b) Im Aktienrecht allgemein, dh außerhalb des Dritten Buches, erweitern zahlreiche Vorschriften ihre Anwendung, indem sie abhängige Unternehmen dem herrschenden als Normadressaten gleichstellen oder durch Zurechnung eine Einheitsbetrachtung anordnen. Im Einzelnen sind das: – § 16 Abs 4 (Mehrheitsbesitz, Zurechnung von Anteilen); § 18 Abs 1 Satz 3 (Konzernvermutung); – § 20 Abs 2, 7 (Mitteilungspflicht von Beteiligungen); – § 56 Abs 2, 3 (keine Aktienzeichnung durch abhängige Unternehmen); – §§ 71a Abs 2, 71d Satz 2 (Umgehung des Erwerbsverbots eigener Aktien); – § 89 Abs 2 Satz 2 (Kreditgewährung an Organmitglieder uä abhängiger Unternehmen); – § 100 Abs 2 Nr 2 (Mitgliedschaft im Aufsichtsrat); – § 115 Abs 1 Satz 2 (Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder); – § 134 Abs 1 Satz 4 (Zurechnung für Höchststimmrecht);
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7 Vgl Emmerich FS Stimpel, 1985, S 743, 749; Lutter/Timm NJW 1982, 409, 413; – dagegen K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 433.
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§ 136 Abs 2 Satz 1 (Unzulässigkeit, Stimmrecht nach Weisung eines abhängigen Unternehmens auszuüben); § 145 Abs 3 (Auskunftsrecht der Sonderprüfer).
Bei qualifizierter wechselseitiger Beteiligung bezeichnet § 19 Abs 2 und 3 bestimmte Unternehmen als herrschend und abhängig und bringt damit die darauf aufbauenden Vorschriften zur Geltung. Als herrschendes Unternehmen ist eine AG oder KGaA Adressat für die besonderen Angaben im Anhang (§ 160 Abs 1 Nr 1, 2, Angaben iVm den Vorschriften über den Erwerb eigener Aktien). Im Konzern sind auf die Höchstzahl zulässiger Aufsichtsratsmandate bis zu fünf nicht anzurechnen, die ein gesetzlicher Vertreter des herrschenden Unternehmens bei Konzerngesellschaften innehat (§ 100 Abs 2 Satz 2). Das Merkmal der Beherrschung dient hier der Kennzeichnung der Rollenverteilung im Unterordnungskonzern. Wer gesetzlicher Vertreter eines von einer AG oder KGaA abhängigen Unternehmens ist, kann nicht Aufsichtsratsmitglied in der herrschenden Gesellschaft sein (§ 100 Abs 2 Satz 1 Nr 2). c) Das materielle Konzernrecht, das im 3. Buch des AktG enthalten ist, geht – an- 5 ders als der Sprachgebrauch vermuten lässt (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 1) – nur teilweise vom Konzern aus. Wesentliche Vorschriften haben nur den in § 17 definierten Abhängigkeitstatbestand zur Voraussetzung.8 Das sind vor allem die §§ 311 ff über die Verantwortlichkeit bei Fehlen eines Beherrschungsvertrags: – § 311 (Ausgleichserfordernis bei Einflussnahme auf eine abhängige Gesellschaft); – § 312 (Abhängigkeitsbericht der abhängigen Gesellschaft); – § 313 Abs 1 Satz 4 (Auskunftsrecht des Abschlussprüfers gegenüber abhängigen und herrschendem Unternehmen); – § 315 (Sonderprüfung zur Prüfung der Beziehungen zum herrschenden Unternehmen); – § 316 (kein Abhängigkeitsbericht bei Bestehen eines Gewinnabführungsvertrages); – § 317 (Haftung für nachteilige Einflussnahme). Im Vertragskonzernrecht wird der Begriff der Abhängigkeit in § 291 Abs 2 dazu verwendet, Beherrschungsverträge von Verträgen, die zur gleichgeordneten einheitlichen Leitung führen, abzugrenzen. Das Auskunftsrecht der Vertragsprüfer wird in § 293d Abs 1 Satz 2 auch gegenüber einem abhängigen und einem herrschenden Unternehmen eingeräumt. Ferner bestimmt § 302 Abs 2 den Verlustausgleich bei bestimmten Unternehmensverträgen mit abhängigen Unternehmen sowie § 305 Abs 2 Nr 2 die Gewährung von Aktien des herrschenden Unternehmens oder Barabfindung von Minderheitsaktionären, wenn der herrschende Partner eines Beherrschungsvertrages seinerseits ein abhängiges Unternehmen ist. Eine entsprechende Regelung enthält § 320b Abs 1 Satz 3 für die wegen Eingliederung ausscheidenden Minderheitsaktionäre. Zur Bedeutung im außerhalb des AktG entwickelten materiellen Konzernrecht s Rdn 6. Die Rollenverteilung im Konzern ist angesprochen in §§ 293b Abs 1, 293c Abs 1, 309 Abs 1. d) Die Bedeutung außerhalb des AktG zeigt sich in Vorschriften, die auf § 17 ver- 6 weisen oder die Begriffe „abhängiges“ oder „herrschendes“ Unternehmen verwenden. Es
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8 Zentralbegriff, -norm, Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 2; Henssler/ Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 1; Hüffer/Koch11 Rdn 1, § 18 Rdn 1: Praktische Bedeutung der Konzernierung tritt hinter die der Abhängigkeit zurück; MünchKomm/Bayer4 Rdn 2; K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 420; Schmidt/ Lutter/J Vetter3 Rdn 3; Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 14; vgl auch Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 2.
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handelt sich dabei teilweise um Anknüpfung bestimmter Rechtsfolgen, teilweise um Zurechnungsnormen im Rahmen anderer Rechtsnormen, teilweise auch um die Bezeichnung der Rollenverteilung innerhalb eines in Bezug genommenen Konzerntatbestands, der nicht notwendig im aktienrechtlichen, sondern auch in einem eigenständig definierten Sinn gemeint sein kann. Ebenso ist bei den Begriffen „herrschend“ und „abhängig“ jeweils im Einzelnen zu prüfen, ob diese iS des § 17 oder einer anderen Vorschrift verwendet sind. Insbesondere für die Rechnungslegung definiert § 290 HGB Mutter- und Tochterunternehmen mit eigenständiger Bestimmung des beherrschenden Einflusses (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 60). Ausdrückliche Klarstellungen wie etwa der 17. Erwägungsgrund zur EG-Richtlinie über die Einsetzung eines europäischen Betriebsrates,9 der dort definierte Begriff des „herrschenden Unternehmens“ beziehe sich ausschließlich auf diese Richtlinie und präjudiziere künftige Texte nicht, sind selten. Aber auch eigenständige Definitionen lehnen sich meist eng an anderenorts vorgefundene an;10 die einzelnen Merkmale sind ggf kontextspezifisch auszulegen (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 58). Insgesamt hat § 17 als Verweisungsziel an Bedeutung, insbesondere im Recht der Finanzdienstleistungen und im Kapitalmarktrecht (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 65 ff), eingebüßt. Verweisungen auf § 17 oder beherrschende bzw abhängige Unternehmen finden sich 7 beispielweise in – § 2 Abs 2 DrittelbG (Zurechnung von Arbeitnehmern); – § 36 Abs 2 Satz 1 GWB (Einheitsfiktion); – § 39 Abs 3 Satz 4 GWB; – § 98 Nr 4 GWB (Vergaberecht); – § 272 Abs 4 HGB (Rücklage für Anteile eines herrschenden Unternehmens);11 – §§ 4 Abs 3 Nr 2, 5 Abs 2 Nr 1 LuftNaSiG (Kapitalmaßnahmen bei Luftverkehrsgesellschaften); – §§ 3, 4, 10g, 16 MontanMitbestErgG (Konzernunternehmen und abhängige Unternehmen);12 – §§ 9, 27 Abs 1 Nr 2, 49 SEAG; – § 24 Abs 2 Satz 1 SprAuG; – § 11 Abs 1 Satz 4 UmwG (Erstreckung des Auskunftsrechts der Verschmelzungsprüfer). Die Abhängigkeit spielt in dem außerhalb des AktG entwickelten materiellen Konzernrecht eine bedeutende Rolle für die Bestimmung von Gesellschafterpflichten, sei es der Treuepflicht allgemein,13 Definition von Stimmrechtsmissbräuchen14 oder Begründung bzw Aufhebung eines Wettbewerbsverbotes entsprechend § 112 HGB.15 Eine streng
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9 RL 2009/38/EG (Neufassung der RL 94/45/EG); vgl dazu Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 30, 68. 10 Nach Blanpain/Windey European Works Councils, 1994, S 68 geht die Definition der Unternehmensgruppe in der Richtlinie über die Einsetzung europäischer Betriebsräte auf die Baukoordinierungsrichtlinie vom 26.7.1971 71/305/EWG ABlEG L 185/5 zurück; damit dürfte aber nur der zum Abschreiben verwendete Text bezeichnet sein, der Inhalt entspricht dem vielerorts verwendeten control-Konzept (Rdn 8). 11 Mit „herrschend“ ist auf § 17 verwiesen, BeckBilKom/Förschle/K Hoffmann9 § 272 HGB Rdn 300, MünchKomBilR/Kropff § 272 HGB Rdn 211; MünchKomm-HGB/Reiner3 § 272 Rdn 119. 12 Die Anknüpfung teils an Beherrschung, teils an den Konzerntatbestand in diesem Gesetz ist unsystematisch und wohl nur durch die besondere Gesetzgebungsgeschichte zu erklären; vgl OLG Düsseldorf NJW 1991, 1136 = AG 1991, 153, 155; 4. Aufl Oetker Anh zu § 117 MitbestErgG Einl Rdn 5 ff. 13 BGHZ 65, 15 (ITT); Baumbach/Hueck/Zöllner/Beurskens GmbHG20 SchlussAnh GmbH-KonzernR Rdn 77; umfassender Tröger Treupflicht im Konzernrecht, 2000. 14 OLG München 9.8.2012 – 23 U 4173/11, ZIP 2012, 1756. 15 BGHZ 80, 69, 72 ff (Süssen); BGHZ 89, 162, 165 (Heumann/Ogilvy); Geiger Wettbewerbsverbote im Konzernrecht 1996 S 79 ff, 189 ff; Wiedemann/Hirte ZGR 1986, 163, 172 ff; Winter Mitgliedschaftliche
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begriffliche Anknüpfung an § 17 AktG ist dafür freilich nicht erforderlich. Unklar ist, was mit dem „Erwerb der Kontrolle“ iSd § 106 Abs 3 Nr 9a BetrVG gemeint ist; die Anlehnung an § 29 Abs 2 WpÜG dürfte zu eng sein,16 so dass möglicherweise auch auf § 17 zurückgegriffen werden kann. Der Begriff der Abhängigkeit bzw Beherrschungsmöglichkeit weist große Ver- 8 wandtschaft mit dem in anderen Rechtsgebieten und Rechtsordnungen vorherrschenden „control-Konzept“ auf.17 Dort ist allerdings die Unterscheidung zwischen Potenzialität (Beherrschungsmöglichkeit) und Aktualität nicht immer so scharf getroffen wie in § 17 einerseits und § 18 andererseits.18 Insgesamt hat sich aber der auf Mehrheitsbeteiligung (vgl Windbichler § 16 Rdn 6) beruhende Einfluss als wichtigster Typ der strukturellen (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 18, 37) Unternehmensverbindung entwickelt. Der Stimmrechtsmehrheit wird oft der entsprechende Effekt, nämlich das Recht, die Mehrheit des Verwaltungsorgans zu bestellen, gleichgestellt, ebenso die tatsächliche Bestellung der Mehrheit des Verwaltungsorgans.19 Die Auslegung des Abhängigkeitsbegriffes geht schon aus systematischen Gründen in dieselbe Richtung (Rdn 11 ff). Wichtige Ausprägungen des control-Konzepts, das von der typischerweise durch Stimmrechtsmehrheit vermittelten Einflussmöglichkeit ausgeht, sind zB § 290 Abs 2 HGB (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 24, 60), § 22 Abs 3 WpHG, § 37 Abs 1 Nr 2 GWB, Art 3 Abs 3 VO (EU) 139/2004 (Fusionskontroll-VO, Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 61 f), Art 4 Abs 1 Nr 1 37 VO (EU) 575/ 2013 (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 65), § 29 Abs 2 WpÜG, jeweils mit mehr oder minder großen Differenzen im Detail.20 3. Auslegungsgesichtspunkte. Zur Auslegung des § 17 im Einzelnen sind die sys- 9 tematische Einordnung bei den §§ 15 ff21 sowie die im AktG an die Vorschrift geknüpften Rechtsfolgen maßgebend. Dabei wird teilweise den Folgenormen des sog materiellen Konzernrechts der Vorrang eingeräumt.22 Dafür spricht zwar die Entstehungsgeschichte, die die Definitionsnormen als Teil der intendierten Kodifizierung des Konzernrechts ausweist. Doch treten die übrigen Regelungen des AktG, die auf Beherrschung und Abhängigkeit Bezug nehmen, darüber nicht zurück. Die Standortbestimmung des Dritten
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Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S 248 ff. – Zur Bedeutung von Wettbewerbsverboten zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung Rdn 83. 16 ErfKomArbR/Kania16 § 106 BetrVG Rdn 16a; Fleischer ZfA 2009, 787; Richardi/Annuß BetrVG15 § 106 Rdn 55a; Thüsing ZIP 2008, 106, 108. 17 Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 24, 63 ff; – vgl etwa Druey in: Lutter (Hrsg), Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 340 zur Übernahme begrifflicher Differenzierungen aus dem deutschen Recht: der Begriff „control“, „contrôle“, „controllo“ sei überall wichtig und vermutlich aus dem deutschen Beherrschungsbegriff entwickelt; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 3; Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672, 694 ff; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 4; Spindler/Stilz/ Schall3 Rdn 2. 18 Druey in: Lutter (Hrsg), Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 351. 19 ZB in § 290 Abs 2 Nr 2 HGB; § 37 Abs 1 Nr 2 b) GWB; vgl zum französischen Recht die faktische Hauptversammlungsmehrheit, Code de commerce Art L233-3 Abs 1 Nr 3, und die Vermutung von „contrôle“ bei einem Inhaber von 40% der Stimmrechte, wenn es keinen Inhaber einer größeren Beteiligung gibt, Code de commerce L233-3 Abs 2; Le Cannu/Dondero Droit des sociétés6 Rdn 1512 ff; im belgischen Recht führen die entsprechenden Rechtspositionen zur unwiderleglichen Kontrollvermutung (contrôle de droit), der tatsächliche entscheidende Einfluss auf die Bestellung der Mehrheit der Verwaltung zum „contrôle de fait“, Arrêté royal relatif aux comptes consolidés des entreprises vom 6.3.1990, Moniteur Belge 1990, 5675, 5677. 20 Die RL 2009/38/EG über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats lässt in Art 3 Abs 2 a) die Mehrheit des gezeichneten Kapitals für die Beherrschungsvermutung genügen; dazu auch unten Rdn 63, 88. 21 So insbesondere Geßler/Geßler 25. 22 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 12; ähnlich Hüffer/Koch11 Rdn 3: §§ 311 ff als Schwerpunkt; Ulmer ZGR 1978, 457, 460; dagegen etwa Martinek Franchising, 1987, S 641 Fn 164.
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Buchs des AktG als Ausschnitt des Rechts der Unternehmensgruppen (Windbichler Vor §§ 15 Rdn 9 ff) legt eher nahe, die Definitionsnormen nicht nur an dieser Teilkodifikation zu orientieren. Die Begriffseinheit muss zumindest im Grundsatz gewahrt bleiben, selbst wenn innerhalb des AktG unterschiedliche Normzwecke Auslegungsdifferenzen nahelegen. Diesen ist im Einzelfall auf der Ebene der Normanwendung Rechnung zu tragen. Die Gesetzestechnik, Definitionsnormen den materiellen Regeln voranzustellen, strebt begriffliche Einheit an.23 Aus ähnlichen Gründen unergiebig ist ferner § 19 Abs 2 und 3, der für einige außergewöhnliche Fälle der wechselseitigen Beteiligung Unternehmen für abhängig bzw herrschend erklärt. Die Vorschrift setzt die Definition des § 17 voraus und verweist auf die darauf aufbauenden Rechtsfolgen, zur Auslegung der Begriffe trägt sie nichts bei.24 Die Verweisungen außerhalb des AktG auf § 17 bzw die darin verwendeten Begrif10 fe können Streitfragen des Aktienrechts zwar nicht entscheiden,25 jedoch die Problemsicht vertiefen und den Argumentationshaushalt erweitern und verfeinern; gegebenenfalls wirken gerade die herauszuarbeitenden Unterschiede erhellend. Das gilt auch für eigenständige Begriffsbestimmungen in anderen Gesetzen mit ähnlichem Regelungsgehalt (Windbichler Vor § 15, 47 ff, 60 ff), die Fragen aufgreifen, die § 17 nicht explizit anspricht, zB § 36 Abs 2 Satz 3 GWB für die gemeinsame Beherrschung durch mehrere Unternehmen. Ähnlich wie in § 17 Abs 2 wird zB in der Rechnungslegung die Stimmrechtsmehrheit zum Ausgangspunkt genommen und durch Fallkonstellationen mit entsprechendem Effekt ergänzt. Eine andersartige und schwächere Beziehung als Abhängigkeit bezeichnen § 271 Abs 1 HGB und andere Vorschriften, die auf einen erheblichen Einfluss abstellen; Beherrschungsmöglichkeit ist dann gerade nicht erforderlich. Im Sinne von § 310 HGB gemeinsam geführte Unternehmen brauchen nicht abhängig zu sein (Rdn 61). Auch der „maßgebliche Einfluss“ auf ein assoziiertes Unternehmen iSd § 311 HGB ist weniger als Beherrschungsmöglichkeit; er wird bereits bei einer Beteiligung von einem Fünftel der Stimmrechte vermutet. 11
a) Nach § 17 Abs 2 wird Abhängigkeit bei Mehrheitsbeteiligung iSv § 16 widerleglich vermutet. Daraus sind Rückschlüsse für die Auslegung des § 17 Abs 1 zu ziehen.26 In der Fassung des RegE 1962 war die Vermutung noch unwiderleglich.27 Auch die widerlegliche Vermutung geht aber von einem typischen Fall aus, der deshalb der Konkretisierungsmaßstab ist. Daraus folgt nicht zwingend, dass die mit Mehrheitsbeteiligung regelmäßig verbundene Einflussmöglichkeit als Höchstanforderung für Abhängigkeit zu sehen ist,28 da die Beherrschungsmittel vielgestaltig sein können und sich einer rein quantitativen Betrachtung entziehen.29 Das gilt etwa für andere Gesell-
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23 HM, Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 2; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 4; Geßler/Kropff § 311 Rdn 86; Hüffer/Koch11 Rdn 2 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 11, für Differenzierungen aber Rdn 33 ff; ders FS Stimpel, 1985, S 811, 822 ff; MünchKomm/Bayer4 Rdn 4; MünchHdbGesR/Krieger4 § 69 Rdn 37; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 3; Ulmer ZGR 1978, 457, 459 ff; aA noch 3. Aufl Würdinger Anm 2. 24 Dierdorf Herrschaft und Abhängigkeit, 1978, S 65 f; s auch Windbichler § 19 Rdn 6. 25 Gegen den Rekurs auf Anwendungen außerhalb des AktG KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 9. 26 Dierdorf Herrschaft und Abhängigkeit, 1978, S 43, 53; Geßler/Geßler 20; Hüffer/Koch11 Rdn 5; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 22 f; Rittner DB 1976, 1465, 1468; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 6; Sura Fremdeinfluß und Abhängigkeit, 1980, S 52; Ulmer ZGR 1978, 457, 461. 27 BegrRegE § 16 BT-Drucks IV/171 S 100; die Änderung zur widerleglichen Vermutung erfolgte entsprechend der Empfehlung des Rechtsausschusses, Bericht zu BT-Drucks IV/3296 S 3 f; Kropff AktG S 31 f. 28 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 23. 29 Vgl auch Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 10 f; 3. Aufl Würdinger Anm 2; Geßler/Geßler Rdn 24; entgegen KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 23 geht es hier nicht um die größere oder geringere Intensität des Einflusses, sondern um eine andere Art.
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schaftsformen als die AG, in denen einem Gesellschafter unmittelbarer Einfluss auf die Geschäftsführung eingeräumt werden kann oder die atypische Beteiligungsformen zulassen (vgl Rdn 27 ff). Jedenfalls genügt ein Einfluss, der nach Inhalt und Umfang dem einer Mehrheitsbeteiligung an einer AG entspricht, für Abhängigkeit. Die Formulierung, das herrschende Unternehmen müsse in der Lage sein, dem abhängigen seinen Willen „aufzuzwingen“, ist jedenfalls im Lichte des § 17 Abs 2 nicht mehr haltbar (Rdn 20). Das Leitbild der Mehrheitsbeteiligung ergibt, dass die Abhängigkeit gesell- 12 schaftsrechtlich geprägt sein muss. Mit der überwiegenden Literaturmeinung verlangt daher der BGH, dass der beherrschende Einfluss, der zur Abhängigkeit iSd § 17 führt, gesellschaftsrechtlich bedingt oder zumindest vermittelt sein muss; Geschäftsbeziehungen, auch wenn sie für das Unternehmen existenzwichtig sind, genügen hingegen nicht.30 Die Gegenmeinung, die auch tatsächliche Umstände sonstiger Art zur Abhängigkeit führen lässt, nennt insbesondere wirtschaftliche Abhängigkeit von Lieferanten, Kunden, Franchise- oder Kreditgebern, auch personelle Verflechtungen (dazu Rdn 40 ff, 43 ff). Nach der Begründung zum Regierungsentwurf31 sollten die Beherrschungsmittel nicht abschließend normiert werden, neben (unternehmens-)vertraglichen und organisatorischen Bindungen sollen auch rechtliche und tatsächliche Umstände sonstiger Art in Frage kommen. Die bei historischer Auslegung bestehende Offenheit gegenüber verschiedenen Abhängigkeitsgründen ist aber nicht allein entscheidend, sondern im Sinn der herrschenden Meinung inzwischen konkretisiert. Für eine Begrenzung auf gesellschaftsrechtlich bedingte oder zumindest vermittelte 13 Einwirkungsmöglichkeiten spricht nicht nur die Leitbildfunktion des § 17 Abs 2, sondern auch die Bedeutung der Vorschrift insgesamt als Definitionsnorm für in besonderer Weise rechtlich relevante Unternehmensgruppen. Hier sind solche Verbindungen erfasst, die über (marktgesteuerte) Austauschbeziehungen hinausgehen und als gebündelte Beziehung den Übergang zum Organisationsrecht darstellen. Ausgehend von den Grundformen zur Steuerung privatrechtlicher Beziehungen, Vertrag und Organisation bzw Hierarchie (Gesellschaft), sind verbundene Unternehmen, bei fließenden Übergängen, tendenziell der Organisation zuzuordnen. An die Stelle des durch Preisrelationen gesteuerten Tausches tritt die unternehmerische Koordination durch Direktion und die Teilhabe daran als Mitgliedschaft; statt einer Gegenleistung werden Gewinnrechte und Kompetenzen in Form von Mitverfügungs- und Mitverwaltungsrechten zugewiesen (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 18 f). Maßgebend ist die mitgliedschaftliche Beziehung wie sie im Gesellschaftsrecht ihre rechtliche Ausformung erfahren hat, nicht eine eher soziologische Betrachtung, die mitgliedsähnliche Beziehungen der verschiedensten Personen und Gruppen zum Unternehmen als tatsächlicher Wirkungseinheit beschreibt.32 Die Mehrheitsbeteiligung ist der typische Fall der „eigentumsinduzierten Kontrolle“. Deren Funktionsfähigkeit ist zwar
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30 BGHZ 90, 381, 395 f (BuM); BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 114 (VW); 3. Aufl Würdinger Anm 8; Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 9; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 14 f; Geßler/Geßler Rdn 14; Hüffer/Koch11 Rdn 4, 8; Köhler NJW 1978, 2473, 2474 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 56, 59, 70; Michalski/Servatius GmbHG2 SystemDarst Teil 4 Rdn 16; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 41; MünchKomm/Bayer4 Rdn 22, 29 (für Ausnahmen); Martens Die existentielle Wirtschaftsabhängigkeit, 1979, S 54 ff; Ulmer ZGR 1978, 457, 465 ff, insbes 471 f; Henssler/Strohn/MaierReimer2 Rdn 5; Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 23; HP Westermann ZIP 1982, 379, 382 ff. 31 BegrRegE bei Kropff AktG S 31 f. 32 Zu gesellschaftsrechtlichen und nicht-gesellschaftsrechtlichen Unternehmensordnungen Wiedemann Gesellschaftsrecht I § 6 I; vgl auch 4. Aufl Assmann Einl Rdn 332 mwN; Lutter AcP 180 (1980) 84, 85 f; 4. Aufl Oetker Anh zu § 117 Vorbem 28 f. – Wie hier rechtsvergleichend Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 351 f.
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bei Großunternehmen in Streubesitz Zweifeln ausgesetzt,33 die jedoch bei der hier zu betrachtenden Beteiligungsstruktur nicht einschlägig sind. Regelungstechnisch gesehen rechnet der Gesetzgeber in § 17 Abs 2 mit typischen Verhaltensweisen außerhalb direkter Einräumung von Kompetenzen (zB §§ 308, 323).34 Der Ansatz entspricht der Corporate Governance-Betrachtungsweise, die auch Anreize, moral hazard und andere „weiche“ Elemente verarbeitet,35 baut aber auf der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzverteilung auf. Damit ist ein Einflusskanal maßgeblich bezeichnet; die Erwartung kann nicht auf Einflüsse aller Art bezogen werden. Die Vorschrift würde sonst ihre Kontur verlieren und ihre Aufgabe, den Übergang zur Organisation zu markieren,36 verfehlen (vgl Rdn 2, 11). 14
b) Wesentlicher Konkretisierungsmaßstab für Abhängigkeit und Beherrschung ist die daran geknüpfte Konzernvermutung, § 18 Abs 1 Satz 3. Auch hier wird der typische Fall zugrunde gelegt; man spricht deshalb von Abhängigkeit als potenzieller Konzernierung.37 Der Konzerntatbestand verlangt, dass die Möglichkeit des beherrschenden Einflusses tatsächlich in Form der Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung umgesetzt wird. Unabhängig davon, ob man eine gesellschaftsrechtliche Pflicht annimmt, gegebene Leitungsmöglichkeiten auch zu nutzen,38 entspricht die Ausübung der Leitungsmacht jedenfalls der Erfahrung. Daraus folgt jedoch nicht, dass sich notwendig jede Art der Abhängigkeit im Einzelfall auch zur Konzernbildung eignen muss.39 Es gibt immer auch atypische Fälle und die Konzernvermutung ist widerleglich. Daher ist es wenig fruchtbar, den Spezialfall der (paritätischen) Gemeinschaftsunternehmen (Rdn 60 ff) zum Maßstab für die allgemeine Begriffsbestimmung zu machen.40 Für die Inhaltsbestimmung der Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung ist wiederum Leitbild, dass diese bei Abhängigkeit vermutet wird (Windbichler § 18 Rdn 34 f). Die Vorschriften sind insoweit interdependent.
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c) Die unter I. 2. b) und c) (Rdn 4 f) aufgeführten Anwendungsfälle im AktG sind maßgeblich für die Bestimmung des Abhängigkeitsbegriffs heranzuziehen. Eine Gruppe
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33 4. Aufl Assmann Einl Rdn 346; zum Verhältnis von Eigentum und Kontrolle als Principal-AgentProblem Richter/Furubotn Neue Institutionenökonomik3 S 420 ff; zur rationalen Apathie statt vieler Bachmann AG 2001, 635, 638. 34 Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 3: „Vermeidung persönlicher Nachteile“; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 21: „Wahrscheinlichkeit einflusskonformen Verhaltens“. 35 Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 25 Rdn 35, 41; dies in: T M J Möllers (Hrsg) Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S 19, 25 ff; vgl auch Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 73 ff zu Holdingstrukturen. 36 Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 31 ff, 226 f; Windbichler in: Albach (Hrsg), Konzernmanagement, 2001, S 57. 37 So Bender Die Bankenbeteiligung aus der Sicht des Konzernrechts, 1979, S 32; Buchner RdA 1975, 10; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 5; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Klinkhammer Mitbestimmung im Gemeinschaftsunternehmen, 1977, S 43 ff; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 18; Krieger FS Semler, 1993, S 503, 510; Marchand Abhängigkeit und Konzernzugehörigkeit, 1985, S 104 f; Oesterreich Die Betriebsüberlassung zwischen Vertragskonzern und faktischem Konzern, 1979, S 76; v Falkenhausen NJW 1973, 487, 488. 38 Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 43 ff; – aA hM, Hüffer/Koch11 § 76 Rdn 47 ff; MünchKomm/Spindler4 § 76 Rdn 42; Spindler/Stilz/Fleischer3 § 76 Rdn 86. 39 BGHZ 62, 193, 196 (Seitz); Dierdorf Herrschaft und Abhängigkeit, 1978, S 66 ff, 88 ff, 92 f; Geßler FS Knur, 1972, S 145, 161 f; Hüffer/Koch11 Rdn 4; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 18 aE; vgl auch H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 32 ff, 183 f.– aA Krieger FS Semler, 1993, S 503, 510; Marchand Abhängigkeit und Konzernzugehörigkeit, 1985, S 104 f. 40 Dierdorf Herrschaft und Abhängigkeit, 1978, S 93; Hüffer/Koch11 Rdn 13; vgl auch KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 18.
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von Vorschriften beruht auf dem Gedanken, dass ein abhängiges Unternehmen typischerweise Stimmrechte im Sinne des herrschenden Unternehmens ausübt. Dem tragen die §§ 56 Abs 2, 3, 71a Abs 2, 71d Satz 2, 134 Abs 1 Satz 4, 136 Abs 2 Satz 1 Rechnung, die dazu dienen, Stimmrechtsverwässerungen und mittelbare Verwaltungs- und Vorratsaktien zu verhindern. Die Beschränkung der Kreditgewährung an Organmitglieder (§§ 89 Abs 2 Satz 2, 115 Abs 2) wird auf Organmitglieder abhängiger und herrschender Unternehmen erstreckt; damit sollen Missbräuche und Umgehungen verhindert sowie Transparenz gewährleistet werden. Gesichtspunkte der Kapitalerhaltung sind bedeutsam für die Erstreckung des Zeichnungs- und Erwerbsverbots in §§ 56, 71a und 71d (vgl Windbichler § 15 Rdn 20), aber auch im Zusammenhang mit dem Schutz der Gesellschaft gemäß §§ 302 Abs 2, 31141 und dem Schutz von Minderheitsaktionären, denen als Abfindung nicht Aktien einer abhängigen Gesellschaft aufgedrängt werden dürfen (§§ 305 Abs 2 Nr 2, 320b). Der Schutz der Gesellschaft selbst kommt mittelbar den Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern zugute. d) Rechtsfolgen außerhalb des AktG sind grundsätzlich nicht geeignet, die Ausle- 16 gung des § 17, der auch als Verweisungsziel verwendet wird (Rdn 6 ff, 10), zu bestimmen. Doch sind diese Anwendungsfälle zur Klärung von Anwendungsszenarien und als Argumentationshilfe verwendbar (vgl Rdn 6). Ebenso können die als Unternehmenskontrolle definierten Tatbestände außerhalb des AktG (Rdn 8) vergleichend herangezogen werden. II. Beherrschender Einfluss 1. Unternehmensbezug. Der beherrschende Einfluss muss sich auf das Unterneh- 17 men, dh den Rechtsträger beziehen,42 nicht nur auf einzelne Geschäftsbereiche oder Maßnahmen, was auch mit der Formel „beständig“ (dazu Rdn 21) und „umfassend“ umschrieben wird (Rdn 12 mwN). Dafür spricht schon der Wortlaut der Vorschrift, aber auch die Stellung der Norm im Recht der Unternehmensgruppen, das das organisationsrechtliche Element und nicht bloße Austauschbeziehungen erfassen will (Rdn 13) sowie die Mehrheitsbeteiligung als Auslegungsgesichtspunkt. Der beherrschende Einfluss muss einem Unternehmen zustehen (zum Unternehmensbegriff Windbichler § 15 Rdn 10 ff). Abhängigkeit von einem rechtlich nicht verfassten Familienstamm oä kommt daher nicht in Betracht; die einzelnen Mitglieder können jedoch, gegebenenfalls aufgrund Zurechnung (Windbichler § 15 Rdn 16, 44 ff), Unternehmen und damit tauglich für die Beherrschungsmöglichkeit iSd § 17 sein. 2. Blickwinkel. Ob die Möglichkeit des beherrschenden Einflusses besteht, ist aus 18 der Sicht des abhängigen Unternehmens zu beurteilen,43 dh es kommt darauf an, ob
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41 Die Kapitalerhaltung nach § 57 wird für abhängige Unternehmen im Anwendungsbereich des § 311 durchbrochen, BGH 1.12.2008 – II ZR 102/07, BGHZ 179, 71 Rdn 11 (MPS); BGH 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 Rdn 48 (Dritter Börsengang). 42 Vgl Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 9: Binnenstruktur der Gesellschaft; Windbichler § 15 Rdn 14; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 3; vgl auch BGH 15.12.2011 – I ZR 129/10, NZG 2012, 1033 Rdn 13; Brellochs NZG 2012, 1010. 43 AllgM, BGHZ 62, 193, 196 f (Seitz); BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 114 (VW); Bürgers/ Körber/Fett3 Rdn 3; Dierdorf Herrschaft und Abhängigkeit, 1978, S 32 f; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 11; Geßler ZGR 1974, 476, 482; Hüffer/Koch11 Rdn 4; Schmidt/Lutter/ J Vetter3 Rdn 13; Werner ZGR 1976, 447, 458. – Anders im Rechnungslegungsrecht, wo die Perspektive des Unternehmens maßgeblich ist, das ggf einen konsolidierten Abschluss zu erstellen hat, vgl § 290 HGB;
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das Unternehmen sich dem Einfluss, rechtlich gesehen, von sich aus entziehen kann.44 Eine AG kann sich ihre Aktionäre typischerweise nicht aussuchen. Das wird etwa relevant, wenn die Beherrschung durch mehrere Unternehmen nur gemeinsam erfolgen kann (Rdn 59 ff). Auf einen Beherrschungswillen oder eine Beherrschungsabsicht – das wäre der Blickwinkel des herrschenden Unternehmens – kommt es dagegen nicht an;45 auch die die Abhängigkeitsvermutung auslösende Mehrheitsbeteiligung ist unabhängig von den damit verfolgten Zwecken (Windbichler § 16 Rdn 2). 3. Beherrschungsmöglichkeit. Es genügt die Möglichkeit, beherrschend Einfluss zu nehmen, die aber nicht genutzt zu werden braucht.46 Das ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut „… ausüben kann“ und gehörte zu den Fortentwicklungen gegenüber dem AktG 1937 (Rdn 1). Erklärungen des herrschenden Unternehmens, keinen Einfluss nehmen zu wollen, sind daher unbeachtlich. Da es auf die Rechtmäßigkeit der Beherrschungsmittel für die Begriffsbestimmung nicht ankommt (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 54), ist bei rechtswidriger, aber gleichwohl praktizierter Beherrschung von Abhängigkeit auszugehen.47 Soweit dagegen Einflussmöglichkeiten zu gewichten sind, darf rechtswidriges Verhalten nicht unterstellt werden. Hier ist also auch innerhalb des Abhängigkeitstatbestands zwischen Aktualität und Potenzialität zu unterscheiden. 20 Für die Beherrschungsmöglichkeit reicht es nicht aus, dass ein Unternehmen wesentliche Entscheidungen verhindern kann,48 etwa durch eine Sperrminorität (zur Minderheitsbeteiligung als Beherrschungsmittel Rdn 23 ff). Das ergibt sich schon aus dem typischen Fall der Mehrheitsbeteiligung (Rdn 11). Auch der faktische Einigungszwang zweier nicht koordinierter paritätisch beteiligter Unternehmen ohne weitere Indizien für einen Interessengleichlauf genügt nicht.49 Nicht erforderlich ist, dass das herrschende Unternehmen in der Lage ist, dem anderen „seinen Willen aufzuzwingen“,50 wie im Anschluss an das Reichsgericht oft formuliert wurde.51 Das ergibt sich schon aus der gesetzlichen Abhängigkeitsvermutung bei Mehrheitsbeteiligung, die zwar bedeutenden Einfluss, aber keine „Unterwerfung“ ermöglicht. Mit Hilfe der Stimmenmacht kann die Besetzung der Organe des abhängigen Unternehmens entscheidend bestimmt werden; 19
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IFRS 10.5: „An investor, regardless of the nature of its involvement with an entity (the investee), shall determine whether it is a parent by assessing whether it controls the investee.“ 44 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 20; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 19. 45 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 17. 46 AllgM, BGHZ 62, 193, 201, 203 (Seitz); BGHZ 69, 334, 345 f (Veba/Gelsenberg); Geßler/Geßler Rdn 61; Hüffer/Koch11 Rdn 10; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 6; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 19; MünchKomm/Bayer4 Rdn 11; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 8; Windbichler FS Kirchner, 2014, S 441, 442 f; 3. Aufl Würdinger Anm 4; vgl auch H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 4, 37 f, der Abhängigkeit als Zustand, den Konzern hingegen als Prozess beschreibt. 47 OLG Düsseldorf 8.12.2005 – 5 U 57/04, NZG 2005, 951, 955; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktienund GmbH-KonzernR7 Rdn 22; MünchKomm/Bayer4 Rdn 63, 71; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 24. 48 HM; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 6; Hüffer/Koch11 Rdn 10; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 24; MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 39; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 9; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 27; – aA H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 111 f, 132 ff; zum österreichischen Recht öOGH v 22.11.1989 DRdA 1990, 470. 49 HM; Hüffer/Koch11 Rdn 16; Gansweid S 127 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 20, 93; Marchand Abhängigkeit und Konzernzugehörigkeit, 1985, S 111 ff mwN; MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 51 f; ähnlich Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 47 aE: Beweis des ersten Anscheins der Koordinierung; – in kartellrechtlichem Zusammenhang BGHZ 74, 359, 366 (WAZ); s auch Rdn 60; – aA 4. Aufl Oetker Anh zu § 117 MitbestG § 5 Rdn 30; der Fall dürfte selten sein. 50 Geßler/Geßler Rdn 19 f; Hüffer/Koch11 Rdn 5; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 21. 51 RGZ 167, 40, 49 (Thega); Baumbach/Hueck AktG13 Rdn 2; Godin/Wilhelmi AktG4 Rdn 2; 3. Aufl Würdinger Anm 3 und 4.
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die Personalauswahl und die Kompetenz zur Wiederbestellung lassen Offenheit gegenüber Einflüssen des Hauptgesellschafters erwarten (Rdn 13). 4. Dauer. Die Beherrschungsmöglichkeit muss zwar gesichert,52 dh nicht nur punk- 21 tuell und zufällig sein. Eine bestimmte Mindestdauer ist jedoch, ebenso wie bei der Mehrheitsbeteiligung (Windbichler § 16 Rdn 2), nicht erforderlich. 53 Ebenso wenig kommt es darauf an, ob in den Zeitraum der Beteiligung ein Hauptversammlungstermin mit Aufsichtsratswahl fällt.54 Für die Feststellung der Abhängigkeit für einen gegenwärtigen Zeitpunkt kommt es auf die zukünftige Entwicklung, gar bloße Erwartungen, nicht an.55 Für zurückliegende Zeiträume darf nicht aus einer tatsächlichen Entscheidung in einem konkreten Einzelfall, die die Interessen eines anderen Unternehmens deutlich wahrt, auf Abhängigkeit geschlossen werden; das wäre zirkulär. Abhängigkeit muss in jedem beliebigen Zeitpunkt feststellbar sein, es gibt keine abstrakt formulierbaren Stichtage (Rdn 87). Daher scheidet eine ex-post-Betrachtung aus (vgl Rdn 72 f). Das gilt auch bei vereinbarter Rückwirkung des Beteiligungserwerbs, wenn nicht im Hinblick auf den Erwerb schon zuvor gesicherte Einflussmöglichkeiten eingeräumt werden (Rdn 50 ff).56 Davon zu unterscheiden ist das Zeitelement, das für die Feststellung bestimmter Beherrschungsmittel erforderlich ist, etwa einer beständigen Hauptversammlungsmehrheit (Rdn 24). III. Beherrschungsmittel und Ausübungsmöglichkeit 1. Beteiligung. Die Mehrheitsbeteiligung ist das gesetzliche Musterbeispiel für die 22 Beherrschungsmöglichkeit; sie dient daher als Maßstab für andere Beherrschungsmittel, die zur Abhängigkeit iSd Abs 1 führen (Rdn 11 ff). Ob eine Mehrheitsbeteiligung gegeben ist, bestimmt sich nach § 16. Das gilt sowohl für die Anteils- als auch die Stimmrechtsmehrheit (s aber auch Rdn 74 f). Fallen Anteils- und Stimmenmehrheit auseinander (Windbichler § 16 Rdn 1), gilt die Vermutung zunächst für beide, kann aber durch Widerlegung (Rdn 71 ff) auf eine konzentriert werden. a) Eine Minderheitsbeteiligung kann der Mehrheitsbeteiligung vergleichbaren Ein- 23 fluss vermitteln, wenn durch Satzung (Rdn 31) oder auf sonstige Weise, zB Stimmrechtsvereinbarungen (Rdn 53) die Position des Aktionärs entsprechend ausgestaltet ist. Beherrschungsmittel ist dann nicht die Minderheitsbeteiligung allein; es ist eine Gesamtbetrachtung im Einzelfall erforderlich. Eine nach § 16 Abs 2, 3 berechnete Beteiligung, die nur deshalb nicht zur Mehrheit führt, weil Aktien, die einem von dem Beteiligungsunternehmen abhängigen Unternehmen gehören oder für dessen Rechnung gehalten
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52 BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 114 (VW): „beständig“. 53 HM; Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 5 f; Hüffer/Koch11 Rdn 7; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 25, 38; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 40; MünchKomm/Bayer4 Rdn 13, 45, 62; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 19; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 119 ff; zurückhaltender Bayreuther Wirtschaftlich-existenziell abhängige Unternehmen, 2001, S 131 ff: „gewisse Dauer“; Emmerich/ Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzerR7 Rdn 13; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 11. 54 AA Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 6 für bestimmte Sonderfälle; ebenso Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 11. 55 Krieger FS Semler, 1993, S 503, 509 f. 56 BGH NJW 1997, 943 = ZIP 1997, 416, 417: Erwerber der Mehrheitsbeteiligung als Minderheitsgesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer einer GmbH, nachdem sich der Mehrheitsgesellschafter bereits aus der Geschäftsführung zurückgezogen hat; zu Unrecht wird dort aber zusätzlich auf den rückwirkenden Erwerb als „rechtliche Absicherung“ abgestellt. Vgl dagegen OLG Hamburg NJW 1990, 3024 = ZIP 1990, 1071; Hüffer/Koch11 § 291 Rdn 11, 20; K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 31 III 1 a gegen Rückwirkung von Beherrschungsverträgen; offen gelassen in BGHZ 122, 211, 223 (SSI).
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werden, nach § 16 Abs 2 Satz 3, Abs 3 Satz 2 nicht vom maßgeblichen Nennkapital bzw von der maßgeblichen Stimmenzahl abzusetzen sind (Windbichler § 16 Rdn 13, 30), führt jedoch tatsächlich zur Stimmrechts- bzw Kapitalmehrheit, da nach §§ 71d Satz 4, 71b die damit verbundenen Rechte nicht ausgeübt werden können. Der rechtliche Effekt entspricht dem der Mehrheitsbeteiligung und begründet grundsätzlich Abhängigkeit. Je nach der Beteiligungsstruktur im Übrigen kann aber auch eine Minderheitsbe24 teiligung ohne rechtlich besonders gesicherten zusätzlichen Einfluss zur Beherrschung führen. Das ist bei einer stabilen Hauptversammlungsmehrheit in einer AG anzunehmen, die sich daraus ergibt, dass beträchtliche Teile des stimmberechtigten Kapitals regelmäßig nicht vertreten sind.57 Diese Situation ergibt sich bei Streubesitz, wenn Kleinaktionäre die Möglichkeit der Bevollmächtigung von Kreditinstituten, Aktionärsvereinigungen, anderen Stimmrechtsvertretern oder sonstige Möglichkeiten der Abstimmung nicht in Anspruch nehmen, auch bei ausländischen oder institutionellen Anlegern, die aus verschiedenen Gründen am Hauptversammlungsgeschehen nicht interessiert sind. Eine Hauptversammlungsmehrheit kann Zufallsmehrheit sein, aber auch Ausdruck einer Struktur mit einer gewissen Beständigkeit. Nur letztere ist geeignet, Abhängigkeit zu begründen. Die Tatsache des Streubesitzes im Übrigen oder eine Stimmrechtsbeteiligung von 30% bei börsennotierten Gesellschaften (vgl § 29 Abs 2 WpÜG) genügen nicht.58 Zutr wird das Vollmachtstimmrecht von Kreditinstituten ganz überwiegend nicht als geeignete tatsächliche Verstärkung des durch eine Minderheitsbeteiligung vermittelten Einflusses angesehen.59 Wegen der rechtlichen Bindungen, denen die Ausübung des Vollmachtstimmrechts unterliegt (§ 135), kann ein Gleichlauf der Abstimmung nicht unterstellt werden; hält die Bank unmittelbar oder mittelbar selbst mehr als 20% der Aktien, darf sie die Vollmacht nur aufgrund Einzelweisung zu den Tagesordnungspunkten ausüben (§ 135 Abs 3 Satz 4; vgl auch Rdn 56). Als Kriterium für die notwendige Beständigkeit einer schwachen Hauptversammlungspräsenz wird teilweise zusätzlich verlangt, dass sich diese auf die Besetzung der Organe auswirkt.60 Maßgeblich ist aber, ob die Beteiligungsstruktur die Hauptversammlungsmehrheit des Minderheitsaktionärs erfahrungsgemäß erwarten lässt. Das kann auch der Fall sein, wenn der Aktionär zum ersten Mal auftritt, durch seinen Beteiligungserwerb (von einem entsprechenden Hauptaktionär) sich in diesem Punkt aber nichts geändert hat. Bei einer erstmalig erwarteten Hauptversammlungsmehrheit liegt jedoch kein Erfahrungswert mit Bezug auf die konkrete Gesellschaft vor. Die Beherrschung über eine Minderheitsbeteiligung ist kaum vor-
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57 AllgM, BGHZ 69, 334, 347 (Veba/Gelsenberg); BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 114 (VW); BGH 15.12.2011 – I ZR 129/10, NZG 2012, 1033 Rdn 16; Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 11; Emmerich/Habersack/ Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 19; Geßler/Geßler Rdn 46; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 6; Hüffer/Koch11 Rdn 9; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 41; MünchKomm/Bayer4 Rdn 35; Schmidt/ Lutter/J Vetter3 Rdn 20; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 30; Statistiken bei Küting DB 2009, 73. 58 BGH 15.12.2011 – I ZR 129/10, NZG 2012, 1033 Rdn 22; OLG Düsseldorf 8.7.2003 – 19 W 6/00 Rdn 30 (juris); Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 11; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 20; – aA Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 29. 59 OLG Düsseldorf 8.7.2003 – 19 W 6/00 Rdn 30 (juris); Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 10, 18; Emmerich/ Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 24; Geßler/Geßler Rdn 49 f; Hüffer/Koch11 Rdn 10; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 49 (mit Ausnahmemöglichkeit); MünchHd/Krieger4 § 69 Rdn 44; MünchKomm/Bayer4 Rdn 48 (mit Ausnahmemöglichkeit in Rdn 49); – die angesprochenen Ausnahmen dürften nur unter den engen Voraussetzungen des § 94 Abs 2 Satz 2 KAGB zu verwirklichen sein; – insgesamt aA Baums/Fraune AG 1995, 97, 101 ff, die das Vollmachtstimmrecht als Stimmrecht der Banken behandeln; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 30 (veraltet dort „Depotstimmrecht“). 60 BGHZ 69, 334, 347 (Veba/Gelsenberg); Geßler/Geßler Rdn 46; – BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 114 (VW) nennt dagegen unter IV. 4. die Besetzung eines oder mehrerer Aufsichtsratsmandate durch den Großaktionär „insbesondere“ als Fall der Abhängigkeit; vgl auch Art 22 Abs 1 Satz 1d) i) RL 2013/ 34/EU (Pflicht zur Aufstellung eines konsolidierten Abschlusses): tatsächliche Bestellung der Mehrheit des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans.
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stellbar, wenn andere Gesellschafter ebenfalls größere Aktienpakete halten,61 es sei denn es liegt ein Fall der Unterstützung vor. Eine Minderheitsbeteiligung kann zur Beherrschungsmöglichkeit erstarken, wenn 25 andere Gesellschafter verlässlich Unterstützung gewähren; mutmaßlicher Interessengleichlauf genügt hingegen nicht.62 Sind zB neben einem als Unternehmen zu qualifizierenden Gesellschafter Mitglieder derselben Familie beteiligt, rechtfertigt die familiäre Bindung allein nicht die Zurechnung dieser Einflussmöglichkeiten.63 Durch Vereinbarungen gestützte gemeinsame Ziele oder konsistent gleichmäßige Stimmrechtsausübung können dagegen als ausreichend beständige Unterstützung gewertet werden.64 Sind andere Familienmitglieder oder sonst Beteiligte an Absprachen ebenfalls Unternehmen, ist Abhängigkeit von mehreren Unternehmen zu prüfen (Rdn 60 ff). b) Soweit einem Unternehmen eine Beteiligung zwar noch nicht im Rechtssinne 26 gehört (Windbichler § 16 Rdn 21 ff), es durch eine Option, ein sonstiges Erwerbsrecht oder als Erfüllung einer schuldrechtlichen Verpflichtung aber den Erwerb sichergestellt hat, wird die Einflussmöglichkeit durch Vereinbarung mit dem Übertragungsverpflichteten oftmals schon vorweg eröffnet. Soweit die Abreden zwischen Veräußerer und Erwerber dazu führen, dass der Veräußerer die Beteiligung bereits für Rechnung des Erwerbers iSd § 16 Abs 4 (s dort Rdn 27) hält,65 gilt auch der Erwerber bereits als beteiligt, so dass die genannten Kriterien für die Beherrschungsmöglichkeit durch Beteiligung Anwendung finden. Anders begründete Einflussmöglichkeiten folgen jedoch nicht aus der „Beteiligung“, sondern aus der sonstigen Abrede mit dem Inhaber bzw der Erwartung einer zukünftigen Beteiligung, etwa durch die Verwaltung der Gesellschaft, und kommt daher nur sonstiges Beherrschungsmittel in Betracht (Rdn 50). Das gilt auch für mit dem Erwerbsrecht verbundene Vollmachtstimmrechte (dazu Rdn 24, 56). c) Beteiligungen an Gesellschaften in anderer Rechtsform als AG, KGaA, SE oder 27 GmbH, die entweder keine Mehrheit iSd § 16 ergeben oder sich einer quantitativen Berechnung entziehen (Windbichler § 16 Rdn 16 ff, 45 ff), sind nach dem vermittelten Einfluss zu gewichten. Das sei an einigen Beispielen erläutert.
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61 BGHZ 90, 381, 397 (BuM). 62 Weitergehend zur Feststellung unmittelbarer Grundrechtsbindung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen BVerfGE 128, 226 Rdn 53 (Fraport): grundsätzlich Anknüpfung an §§ 16 f, Art 2 Abs 1 f RL 2004/109/EG (TransparenzRL), Koordinierung mehrerer öffentlicher Stellen als Anteilsinhaber sei zur Annahme von „Beherrschung“ durch den Staat jedoch nicht erforderlich; dagegen abw Votum Rdn 112 ff; dazu Kater Grundrechtsbindung und Grundrechtsfähigkeit gemischtwirtschaftlicher Aktiengesellschaften, 3. Kapitel (demnächst); vgl auch § 53 HGrG. 63 BGHZ 77, 94, 105 f; BGHZ 80, 69, 73 (Süssen); BGHZ 121, 137, 144 f (WAZ/IKZ); Emmerich/Habersack/ Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 19; Hüffer/Koch11 Rdn 6, 9; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 66; MünchKomm/Bayer4 Rdn 39. 64 BGHZ 80, 69, 73 (Süssen); OLG Karlsruhe 11.12.2003 – 12 W 11/02, NZG 2004, 334, 335; OLG Düsseldorf 8.11.2004 – I-19 W 9/03 AktE, NZG 2005, 2012, 2013; OLG Schleswig 8.12.2005 – 5 U 57/04, NZG 2006, 951, 954 (Mobilcom); vgl aber auch VG Frankfurt 4.11.2015 – 7 K 4703/15.F, ZIP 2015, 165. 65 Eine kaufvertragliche Berechtigung genügt dafür nicht, OLG Düsseldorf 22.07.1993 – 6 U 84/92 (juris) (wegen des kartellrechtlichen Vollzugsverbots lag dort der hypothetische „vorauseilende Gehorsam“ eher fern); Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 8; Hüffer/Koch11 Rdn 9; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 37; M Weber ZIP 1994, 678; – aA Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 8: „vorwirkende Beteiligung“; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 47 bei bereits erbrachter Gegenleistung unter Hinweis auf die notwendige Interpretation des Kaufvertrages, bloße Verhaltenserwartung genüge aber nicht, aaO Rdn 65; MünchKomm/Bayer4 Rdn 53 f: „vorwirkende Abhängigkeit“; zu Investorenvereinbarungen Decher FS Hüffer, 2010, S 145; Reichert/Ott FS Goette, 2011, S 397.
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Anteils- oder Stimmenmehrheit sind bei Personengesellschaften nach dem gesetzlichen Grundmodell (§§ 709 Abs 1, 718 f BGB, §§ 119 Abs 1, 163 HGB) nicht möglich, jedoch kann kraft Gesellschaftsvertrages einem Gesellschafter ein Übergewicht eingeräumt werden, das in der Wirkung der Mehrheitsbeteiligung an einer Kapitalgesellschaft entspricht.66 Es kommt daher maßgeblich auf den Gesellschaftsvertrag (Rdn 31 ff), nicht die „Beteiligung“ an.67 Der Kompetenzverteilung in der jeweiligen Gesellschaftsform, auch in der Einmann-Gesellschaft, ist jeweils Raum zu gegeben. Ist der alleinige Komplementär einer GmbH & Co. KG ein abhängiges Unternehmen, ist in aller Regel auch die KG als abhängig anzusehen.68 Unter genauer Erörterung des Innenverhältnisses hat der BGH eine Holding, die 80% der Geschäftsanteile der Komplementär-GmbH sowie 80% der Kommanditanteile hielt, als die KG beherrschend angesehen.69 Die Beherrschung der Komplementär-GmbH kann ohne weiteres mit der entsprechenden Beteiligung begründet werden. Auch bei der KGaA kommt Beherrschung durch Beherrschung des Komplementärs in Betracht, daneben aber auch durch entsprechend beteiligte Kommanditaktionäre; auch hier bedarf das Innenverhältnis wegen der größeren Satzungsautonomie (§ 278 Abs 2) besonderer Beachtung.70 Bei Genossenschaften scheidet die Vermutung der Abhängigkeit aus, da eine 29 Mehrheitsbeteiligung allenfalls bei Zentralgenossenschaften mit entsprechender Satzung in Betracht kommt (Windbichler § 16 Rdn 19, 48). Eine qualifizierte Minderheitsbeteiligung könnte aber durch satzungsmäßige Sonderrechte geschaffen werden.71 Die Mitgliedschaft eines Unternehmens in einer Genossenschaft kann zwar zu einer weitgehenden Koordination des Geschäftsbetriebs mit dem der übrigen Genossen führen, beinhaltet deshalb aber nicht Abhängigkeit von diesen oder der Genossenschaft.72 Da auch atypische stille Beteiligungen mit großem Einflusspotenzial nicht zu ei30 ner „Beteiligung“ führen (Windbichler § 16 Rdn 18), ist Abhängigkeit gegebenenfalls nicht beteiligungsinduziert, sondern vertraglich begründet (Rdn 35 ff, 42). Der VVaG bietet keine Ansatzpunkte für durch Beteiligung vermittelte Abhängigkeit (Windbichler § 16 Rdn 19), da seine Mitglieder stets auch Versicherungsnehmer sind.73 Die Sonderstellung des Garanten des Gründungsstocks ist keine Beteiligung.74 Allenfalls verbunden mit satzungsmäßigen Rechten und der (einflussoffenen) Ausgestaltung der Repräsentation der Mitglieder könnte sie einen beherrschenden Einfluss ermöglichen; das ist dann je-
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66 HM; Hüffer/Koch11 Rdn 3, 5; Kleindiek Strukturvielfalt im Personengesellschafts-Konzern, 1991, S 5 f, 10; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 14; MünchKomm/Bayer4 Rdn 116; MünchKomm-HGB/Mülbert3 KonzernR Rdn 58; Schießl Die beherrschte Personengesellschaft S 7 f; Windbichler § 16 Rdn 17; vgl auch LG München I 23.4.2009 – 5 HKO 542/09, NZG 2009, 1277. 67 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 48; Kleindiek Strukturvielfalt im Personengesellschafts-Konzern S 5 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 81; MünchKomm/Bayer4 Rdn 116; MünchKomm-HGB/Mülbert3 Bd 3 KonzernR Rdn 58; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 67; Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 26. 68 BAG NJW 1991, 2923, 2926; BAG 15.12.2011 − 7 ABR 56/10, NZG 2012, 754; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 81. 69 BGHZ 89, 162, 166 f (Heumann/Ogilvy); ähnlich BAG NJW 1996, 2884. 70 Vgl Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 47. 71 v Detten Die eingetragene Genossenschaft, 1995, S 11 ff; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 80; Merle AG 1979, 265, 270; Reul Das Konzernrecht der Genossenschaft, 1997, S 117 ff, auch zum Problem der Zurechnung von Mitgliedschaften nach § 16 Abs 4. 72 Steindorff Wettbewerbliche Einheit und kartellrechtliche Vermutungen, 1982, S 37 gegen den Vergleich der EDEKA-Gruppe mit einem Filialunternehmen durch die Monopolkommission. 73 Estelmann Rechtlich selbständige Sozialeinrichtungen, 1994, S 159; Großfeld Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit im System der Unternehmensformen, 1985, S 24 ff. 74 MünchKomm-VVG/Langheid Bd I EinfAufsichtsR Rdn 341; Semler/Stengel/Koerfer UmwG3 Anh § 119 Rdn 115 ff.
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doch keine beteiligungsinduzierte Abhängigkeit (Rdn 33). Die Stiftung ist als „eigentümerlose“ juristische Person der Abhängigkeit durch Beteiligung nicht zugänglich (Windbichler § 16 Rdn 19). 2. Satzung, Gesellschaftsvertrag und satzungsüberlagernde Unternehmensverträge a) Die Satzung bzw der Gesellschaftsvertrag können so ausgestaltet sein, dass sie 31 zur Beherrschungsmöglichkeit führen, insbesondere wenn das Einflusspotenzial einer Minderheitsbeteiligung (Rdn 23 f) verstärkt wird. Solche Regelungen liegen auf der Ebene des Verbandsrechts, führen daher zwar nicht zu beteiligungs-, aber zu gesellschaftsrechtlich vermitteltem Einfluss (Rdn 12). Für die AG liegt das wegen der Satzungsstrenge (§ 23 Abs 5) fern, ist aber im Rahmen der Bestimmung des Unternehmensgegenstandes denkbar (Rdn 33). Entsendungsrechte in den Aufsichtsrat (§ 101 Abs 2) reichen in aller Regel nicht.75 Bei anderen Gesellschaftsformen, insbesondere der GmbH, bestehen dagegen erhebliche Spielräume.76 Beispiele sind satzungsmäßige Sonderrechte auf Geschäftsführung, Bestellung der Geschäftsführer oder vertraglich besonders gestaltete Mehrheitserfordernisse. Auch bei der Genossenschaft kommen Besetzungsrechte für das Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan als mitgliedschaftliches Sonderrecht in Betracht.77 Bei Vereinen und Stiftungen ist an einen satzungsmäßigen Zweck zu denken, der diese in den Dienst eines anderen Unternehmens stellt.78 Die Abgrenzung im Einzelnen ist nach der Aufgabe, der Organisationsstruktur, dem Mitglieder- und Begünstigtenkreis vorzunehmen. Anwendungsfälle sind etwa Unterstützungskassen und ähnliche rechtlich selbständige Sozialeinrichtungen, auch Zweckgesellschaften mit satzungsmäßigem „Autopilot“-Mechanismus.79 Das ist zB für die Berichtspflichten des Vorstands (§ 90 Abs 1 Satz 2, Abs 3 Satz 1) oder den Erwerb von Aktien des herrschenden Unternehmens (§ 71d Satz 2) von Interesse, ggf auch für die Rechtfertigung von Weisungen iSd § 308 Abs 2 Satz 2.
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75 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 50; MünchKomm/Bayer4 Rdn 41; Steinfort Entsendungsrechte in den Aufsichtsrat im europäischen Kontext, 2015, S 27 f. 76 ZB Baumbach/Hueck/Zöllner GmbHG20 § 47 Rdn 12: statutarische Stimmpflicht zugunsten eines anderen Gesellschafters; Geßler/Geßler Rdn 52; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 79; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 66; – aA für die GmbH mit nicht überzeugender Begründung Kropff FS Semler, 1993, S 517, 533. 77 § 24 Abs 2 Satz 2 GenG; der Gesetzgeber hatte bei dieser Vorschrift die Bestellung des Vorstands durch den Aufsichtsrat im Auge, ein Bestellungsrecht für Dritte ist dagegen str, Beuthien in Mestmäcker/Behrens (Hrsg) Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 133, 160 ff; Henssler/Strohn/Geibel2 § 24 GenG Rdn 7; Merle AG 1979, 265, 270 f; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs/Fandrich GenG4 § 24 Rdn 17; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 36 Rdn 12; zum VVaG vgl Rdn 30; zum Verein Beuthien/Gätsch ZHR 156 (1992) 459. 78 Vgl § 87 Abs 1 Nr 8 BetrVG; zu Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege vgl BAG AP Nr 4 zu § 47 BetrVG 1972; Burgard Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht, 2006, S 138 ff, 150 f (dienende Funktion), 227 f (satzungsmäßige Weisungsrechte Dritter); Estelmann Rechtlich selbständige Sozialeinrichtungen, 1994, S 39 ff, 158 ff; Ihrig/Wandt FS Hüffer, 2010, S 387, 397 ff. 79 Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Böcking/Gros/Schurbohm-Ebneth HGB3 § 290 Rdn 38: Zweckgesellschaft zur Auslagerung von Altersversorgungsverpflichtungen; BeckBilKom/Grottel/Kreher9 § 290 HGB Rdn 68, 71; ausführlich zu § 290 Abs 2 Nr 4 HGB Vesper-Gräske Verbriefungszweckgesellschaften in der Konzernbilanz, 2013, S 61 ff, 71 ff; – unzutr Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 22: Zweckgesellschaften als (rein) vertragsrechtliche Konstruktion, vgl aber auch Rdn 48. Die Form der Stiftung als Träger der SPE erfreut sich einiger Beliebtheit, um das in der Rechnungslegung relevante Merkmal der Beteiligung zu vermeiden. Die in § 290 Abs 2 Nr 4 HGB geforderte „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ kann dagegen nicht ins AktG übernommen werden; die statutarische Verankerung ist als Äquivalent zur gesellschaftsrechtlichen Vermittlung erforderlich und möglich; vgl G Roth GS Walz, 2008, S 593, 604 ff zu § 22 WpHG; – zu eng Henssler/Strohn/Schlüter2 § 80 BGB Vorbem Stiftung und Unternehmen Rdn 29; MünchKomm-BGB/Weitemeyer7 § 80 Rdn 162, wonach Stiftungen als abhängige Unternehmen überhaupt nicht in Betracht kommen; wohl auch Reuter AcP 2007 (2007) 1, 12, 23 ff.
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Die Bedeutung der Befreiung von vertraglichen oder gesetzlichen Wettbewerbsverboten für die Entstehung von Abhängigkeit (zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung Rdn 83), insbesondere bei der GmbH, ist im Anschluss an die Entscheidungen Süssen und Heumann/Ogilvy80 intensiv diskutiert worden. Dabei klang immer wieder an, Wettbewerbsverbote könnten vor Abhängigkeit schützen bzw die Befreiung davon Abhängigkeit begründen.81 Die Möglichkeit beherrschenden Einflusses birgt im konkreten Fall ein besonderes Gefährdungspotenzial, wenn die Abhängigkeit von einem Konkurrenten besteht. 82 Die Befreiung vom Wettbewerbsverbot als Verstärkung der (schlichten) Abhängigkeit in diejenige von einem Wettbewerber kann im konkreten Fall Stimmrechtsmissbrauch zulasten der außenstehenden Gesellschafter sein. Es handelte sich damit nicht um die Frage der Abhängigkeit, die durch die Konkurrenztätigkeit begründet würde, sondern um die Veränderung der Realstruktur, die der Treupflicht unterliegt. Bereits als Tochtergesellschaften gegründete Unternehmen können ihre Zuarbei33 terfunktion innerhalb eines Unternehmensverbundes zB schon in der Bestimmung des Unternehmensgegenstandes enthalten.83 Die Abhängigkeit ergibt sich dann unmittelbar aus der Satzung bzw dem Gesellschaftsvertrag; sie ist daher gesellschaftsrechtlich verankert (Rdn 12 f). Umstritten ist, ob und in welchem Umfang einem Nichtgesellschafter durch Satzung oder Gesellschaftsvertrag Rechte eingeräumt werden können, die sich dann auch als Beherrschungsmittel eignen; die hM lehnt das ab.84 Als Anwendungsfälle kommen jedoch mittelbare Beteiligungen in Betracht, wenn nicht dem Gesellschafter, sondern einem mit diesem verbundenen Unternehmen die Beherrschungsmöglichkeit
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80 BGHZ 80, 69 (Süssen); BGHZ 89, 162 (Heumann/Ogilvy). 81 Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 231; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner/ Schnorbus GmbHG5 Anh § 52 Rdn 30; Emmerich FS Stimpel, 1985, S 743, 748; Raiser FS Stimpel, 1985, S 855 ff; ders ZHR 151 (1987) 422, 429; Timm ZGR 1987, 403, 424 f; zunächst auch Lutter/Timm NJW 1982, 409, dann aber genau differenzierend: Vermeidung oder Milderung der Abhängigkeitsfolgen (S 414); Tiedchen GmbHR 1993, 616, 620; Wiedemann/Hirte ZGR 1986, 163; Geiger Wettbewerbsverbote im Konzernrecht, 1996, S 21. 82 Im Fall Süssen wurde zurückverwiesen zur Feststellung, ob Abhängigkeit bestand, da der Wettbewerb betreibende Gesellschafter nur eine Minderheitsbeteiligung hielt und die Möglichkeit der Zusammenrechnung der Familienbeteiligung noch zu prüfen war; BGHZ 80, 69, 73 f; vgl Immenga JZ 1984, 578, 579: Schutzfunktion des Wettbewerbsverbots für den Fall der Abhängigkeit; auch Geiger Wettbewerbsverbote im Konzernrecht, 1996, S 178 ff. Ähnlich BGHZ 89, 162, 168 = JZ 1984, 576 m Anm Immenga S 579: erhöhte Treuepflicht bei Abhängigkeit, die unter bestimmten Voraussetzungen zum Wettbewerbsverbot führt; Binnewies Die Konzerneingangskontrolle in der abhängigen Gesellschaft, 1996, S 191 f, 201 ff; Oetker/Weitemeyer HGB4 § 105 Rdn 116; Wiedemann/Hirte ZGR 1986, 163: Konkretisierung der Treuepflicht. 83 Röhricht/Schall § 23 Rdn 120 ff; Beinert Die Konzernhaftung für die satzungsgemäß abhängig gegründete GmbH, 1995, S 34 ff; Doralt ZGR 1991, 252, 264; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 8 Rdn 22; Kleindiek Strukturvielfalt im Personengesellschafts-Konzern, 1991, S 73 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 50; K Klosterkemper Einflussmöglichkeiten Außenstehender auf den innerkorporativen Bereich der GmbH, 2009, S 28 ff, 50 ff; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 47; MünchKomm-HGB/Mülbert3 KonzernR Rdn 131 ff zum dienenden Verbandszweck bei Personengesellschaften; Timmann Die Durchsetzung von Konzerninteressen in der Satzung der abhängigen Aktiengesellschaft, 2001;Ulmer NJW 1976, 192, 193; Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 14: divergente Prozesse; dies FS Kissel, 1994, S 1287, 1290 f; Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 67; Fleck ZGR 1988, 104, 134 f; ders ZHR 149 (1985), 387, 394 ff; Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 258; Semler FS Goerdeler, 1987, S 551, 572; – vgl auch Forum Europaeum on Company Groups ZGR 2015, 507, 512, das die Kategorie der „Servicegesellschaft“ vorschlägt. 84 Baumbach/Hueck/Zöllner GmbHG20 § 45 Rdn 17; Henssler/Strohn/Mollenkopf2 § 45 GmbHG Rdn 5: Selbstbestimmungsrecht der Gesellschafter muss gewahrt bleiben; MünchKomm-GmbHG/Liebscher § 45 Rdn 46 ff mwN; Ulmer FS W Werner, 1984, S 911, 916 f; allgemeiner Herfs Einwirkung Dritter auf den Willensbildungsprozess der GmbH, 1994; K Klosterkemper Einflussmöglichkeiten Außenstehender auf den innerkorporativen Bereich der GmbH, 2009.
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eingeräumt wird. Die Frage kann nur im Einzelfall und rechtsformspezifisch gelöst werden. Der durch Satzung oder Gesellschaftsvertrag vermittelte Einfluss ist zu gewichten; 34 als Vergleichsmaßstab dient die Mehrheitsbeteiligung bei der AG, jedoch nicht ausschließlich (Rdn 11 ff). Zur Beherrschung reicht es nicht aus, wenn der statutarisch privilegierte Gesellschafter eine bestimmte Unternehmenspolitik zwar nicht aktiv erzwingen kann, aber ohne seine Zustimmung keine wichtige Entscheidung mehr getroffen werden kann und die Geschäftstätigkeit des Unternehmens praktisch lahmgelegt wäre.85 Die Möglichkeit, Entscheidungen zu verhindern, reicht allgemein zur Beherrschung nicht aus (Rdn 20). In der Einzelfallbetrachtung ergänzend heranzuziehen ist noch der Kreis der übrigen Gesellschafter und dessen Struktur, der Anhaltspunkte für eine deutliche Dominanz bzw deren Fehlen geben kann. b) Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge iSd § 291 sind Organisations- 35 verträge mit satzungsüberlagernder Wirkung86 und deshalb von rein schuldrechtlichen Verträgen (dazu Rdn 37 ff) zu trennen. Ein Beherrschungsvertrag auf Satzungsebene führt stets zur Abhängigkeit,87 vgl § 291 Abs 2, ebenso die Eingliederung nach §§ 319 ff. Darüber hinaus ist angesichts des nach § 293 erforderlichen Hauptversammlungsbeschlusses mit qualifizierter Mehrheit im Regelfall das herrschende Unternehmen mit Mehrheit unmittelbar oder mittelbar beteiligt, so dass sich die Abhängigkeit schon daraus ergibt und nicht gesondert durch Vertrag begründet werden muss. Entsprechendes gilt für den Gewinnabführungsvertrag, der ohne Mehrheitsbeteiligung nicht zustande kommen dürfte.88 Ausnahmen sind theoretisch nicht auszuschließen;89 sollte es an der Mehrheitsbeteiligung und der üblichen Kombination mit einem Beherrschungsvertrag fehlen, ist durch die Gewinnabführung die Disposition über dessen Verwendung, damit eine der wesentlichen Finanzierungsentscheidungen (Thesaurierung oder Ausschüttung) aus der Hand gegeben. Die Gesellschaft betreibt ihr Unternehmen in fremdem Interesse. In diesen (eher theoretischen) Fällen ist Abhängigkeit indiziert.90 Wie in allen atypischen Fällen bedarf es einer Gesamtbetrachtung einschließlich der jeweils rechtsformspezifischen Besonderheiten. Bei atypischen Gestaltungen oder Bezeichnungen kommt es auf die Qualifizierung als Unternehmensvertrag an, zB bei sog business combination agreements im Vorfeld des Beteiligungserwerbs (vgl Rdn 26), der dann aber oftmals die formalen Voraussetzungen verfehlen
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85 Vgl die Gewichtung in KG AG 1992, 159, 161 f (IKZ): Rechtsstellung, die über die Stellung eines Aktionärs mit Sperrminorität deutlich hinausgeht. 86 BGHZ 105, 324, 331 (Supermarkt); 3. Aufl Würdinger § 291 Anm 11, 39; 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 20 ff; Ballerstedt DB 1956, 813, 815; Flume DB 1955, 485, 488 f; ders DB 1956, 455; Geßler/Geßler § 291 Rdn 24; Hüffer/Koch11 § 291 Rdn 17; KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 156 ff. 87 Geßler/Geßler Rdn 53, § 291 Rdn 59; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 51; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 42. 88 § 14 Abs 1 Nr 1 KStG verlangt für die körperschaftsteuerliche Organschaft neben dem Gewinnabführungsvertrag die Beteiligung mit Stimmenmehrheit; § 2 Abs 2 Nr 2 UStG verlangt für die umsatzsteuerliche Organschaft neben der finanziellen die organisatorische Eingliederung; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 52; MünchKomm/Bayer4 Rdn 65. 89 Geßler/Geßler § 291 Rdn 11; Timm ZIP 1986, 1387, 1388 mwN; van Venrooy BB 1986, 612; Windbichler ZIP 1987, 825, 828; vgl ferner den Sachverhalt in BGHZ 119, 1 (Asea/BBC); unzutr der Hinweis bei Spindler/ Stilz/Schall3 Rdn 38 auf BAG NZG 2007, 999 und OLG Düsseldorf NZG 2007, 77; dort waren der vertraglich herrschenden Gesellschaft die Anteile der unmittelbar beteiligten Zwischenholding zuzurechnen; vgl auch Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 § 291 Rdn 24 ff zu „verdeckten Beherrschungsverträgen“ ohne Beteiligung. 90 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 50; – aA MünchKomm/Bayer4 Rdn 65.
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dürfte.91 Auf die Wirksamkeit des Vertrages kommt es nur insoweit an, als die Rechtsfolgen, die sich im Einzelnen aus der Abhängigkeit ergeben, jeweils ihrem Normzweck nach eine rechtswirksame Grundlage erfordern.92 Die satzungsüberlagernde Strukturänderung durch Organisationsvertrag fehlt rechtlich, wenn der Vertrag nichtig oder unwirksam ist. Solange ein Beherrschungsvertrag aber als solcher praktiziert wird, kann die Abhängigkeit nicht unter Hinweis auf die fehlerhafte Rechtsgrundlage verneint werden (Rdn 19). Entsprechend den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft kann bei ausgeübter Leitungsmacht nicht auf Rückabwicklung verwiesen werden.93 Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge mit Unternehmen in anderer 36 Rechtsform als der AG führen dann stets zur Abhängigkeit, wenn sie ebenfalls als satzungsüberlagernde Organisationsverträge einzuordnen sind. Für die GmbH ist diese Möglichkeit anerkannt,94 im Übrigen ist sie streitig. Wegen der rechtsformimmanenten Förderaufgabe der Genossenschaft ist Fremdbestimmung durch satzungsüberlagernden Beherrschungsvertrag zweifelhaft.95 Bei Personengesellschaften werden zwecküberlagernde Unternehmensverträge bei Verankerung auf der Ebene der Gesellschafter selbst für zulässig erachtet,96 teilweise werden nur schuldrechtliche Verträge zugestanden97 (vgl Rdn 37 ff). Besondere Probleme ergeben sich bei Beteiligung von Unternehmensträgern in öffentlich-rechtlicher Form.98 3. Andere Verträge mit dem Unternehmen selbst 37
a) Schuldrechtliche Unternehmensverträge kommen für Aktiengesellschaften im Rahmen des § 292 in Betracht, bei anderen Gesellschaftsformen auch als Beherrschungs-
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91 OLG München 24.6.2008 – 31 Wx 83/07, NZG 2008, 753; OLG Schleswig 27.8.2008 – 2 W 160/05, NZG 2008, 868; zur Abgrenzung 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 116 ff; Decher FS Hüffer, 2010, S 145; Reichert/Ott FS Goette, 2011, S 397; Spindler/Stilz/Veil3 § 291 Rdn 69 ff. 92 OLG München 24.6.2008 – 31 Wx 83/07, NZG 2008, 753; OLG Schleswig 27.8.2008 – 2 W 160/05, NZG 2008, 868; jeweils betr Abfindung und Ausgleich; – aA KK/Koppensteiner3 Rdn 46, 54. 93 BGHZ 103, 1, 4 f (Familienheim); BGHZ 116, 37, 39 = ZIP 1992, 29, 30; Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 15 aE, 17; Kleindiek ZIP 1988, 613, 624; MünchHdb/Krieger4 § 71 Rdn 19, 55; Rehbinder FS Fleck, 1988 S 253, 261 ff; K Schmidt Gesellschaftsrecht3 § 6 IV 1, 4; Ulmer BB 1989, 10, 15 f; Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 54; dies Unternehmensverträge und Zusammenschlußkontrolle, 1977, S 50; – aA noch KK/Koppensteiner2 § 297 Rdn 35 ff; nunmehr (pragmatisch) wie die hM KK/Koppensteiner3 § 297 Rdn 54; vgl auch KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 46 aE, 54, 65. 94 BGHZ 103, 1 (Familienheim); BGHZ 105, 324, 331 (Supermarkt); Baumbach/Hueck/Zöllner/Beurskens GmbHG20 SchlussAnh Rdn 49 f. 95 Ablehnend Merle AG 1979, 265, 266 f; K Müller GenG, 1980 § 93s Anh II, 103; H Westermann FS Draheim, 1968, S 196, 205; – aA Beuthien in Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991 S 133, 137 ff; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 36 Rdn 2, 17 ff, solange wenigstens mittelbar der Förderzweck erfüllt werde; ebenso Hirte DStR 2007, 2166, 2174. 96 BGH NJW 1980, 231 (Gervais); Baumgartl Die konzernbeherrschte Personengesellschaft, 1986, S 15 ff, 59 f, 78 ff; Emmerich FS Stimpel, 1985, S 743, 744 f; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 34 Rdn 17 ff (mit Einschränkungen); Hüffer/Koch11 § 291 Rdn 7; Kleindiek Strukturvielfalt im Personengesellschafts-Konzern, 1991, S 5 ff, 70 ff, 85, 127 f, 250 f; Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 11 ff; MünchKomm-HGB/Mülbert3 KonzernR Rdn 149 (nur bei dienendem Verbandszweck); aA Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 283 f, 300 ff: Verstoß gegen den Grundsatz der Selbstorganschaft. 97 Löffler Die abhängige Personengesellschaft, 1988, S 36, 42; MünchKomm-HGB/Mülbert3 KonzernR Rdn 169 f; Reuter ZHR 146 (1982) 1, 15 ff; ders AG 1986, 130, 136; vgl auch BGH 5.10.1981 – II ZR 203/80 Rdn 65 ff (Holiday Inn) (juris); dazu Windbichler ZIP 1987, 825. 98 Ein wohl singulärer Fall war der Vertrag zwischen der Berliner Bankgesellschaft AG und der Landesbank Berlin (Anstalt des öffentlichen Rechts), der ein Weisungsrecht der Bankgesellschaft einräumte und sicherstellte, dass der Vorstand der Landesbank mehrheitlich nach den Wünschen der Bankgesellschaft besetzt wird; zur Konstruktion G Bezzenberger/Schuster ZGR 1996, 481, 487 ff; sie hat sich nicht bewährt.
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vertrag.99 Die Abgrenzung zu den satzungsüberlagernden Organisationsverträgen iSd § 291 ist umstritten und im Einzelnen schwierig (Rdn 35 f).100 Schon wegen der nach § 293 Abs 1 erforderlichen qualifizierten Hauptversammlungsmehrheit werden solche Verträge meist zwischen Parteien geschlossen, deren eine mittelbar oder unmittelbar an der anderen beteiligt ist und daher Abhängigkeit schon nach der Vermutung des Abs 2 besteht; einer gesonderten Abhängigkeit durch Vertrag braucht nicht nachgegangen zu werden.101 Ein schuldrechtlicher Unternehmensvertrag iSd § 292 kann eine Minderheitsbeteiligung zur Beherrschungsmöglichkeit verstärken,102 was aber kaum praktisch werden dürfte.103 Dass Gewinngemeinschaften und Teilgewinnabführungsverträge Innengesellschaften, stille oder BGB-Gesellschaften sind, besagt noch nichts zur Abhängigkeit; im Einzelfall muss die verbandsrechtliche Verankerung auf der Ebene des Unternehmensträgers festgestellt werden (Windbichler § 16 Rdn 18 zur „Beteiligung“ durch hybride Finanzierungsformen, ferner unten Rdn 42). In allen Fällen der Minderheitsbeteiligung ist eine Gesamtbetrachtung mit verstärkenden Elementen erforderlich, zB wie es zu der erforderlichen Hauptversammlungsmehrheit (§ 293 Abs 1 Satz 2) gekommen ist (Rdn 23 ff). In einigen Fällen des § 292 sind auch Gleichordnungsbeziehungen möglich;104 die- 38 se führen ohnehin nicht zur Abhängigkeit. Auf dieser Ebene etwa bewegt sich der Gewinngemeinschaftsvertrag (§ 292 Abs 1 Nr 1).105 Für die Betriebsüberlassung, Betriebspacht und Teilgewinnabführung (s auch Rdn 42) wird teilweise nach dem Vertragsinhalt differenziert.106 Das ist nur dann relevant, wenn eine Minderheitsbeteiligung durch schuldrechtlichen Unternehmensvertrag zur Beherrschungsmöglichkeit verstärkt werden soll.107 Anderenfalls ist der Einfluss nicht wenigstens teilweise gesellschaftsrechtlich vermittelt (Rdn 12 f). Der Gesetzgeber ging von der Möglichkeit von Betriebspacht- oder -überlassungsverträgen zwischen voneinander unabhängigen Unternehmen aus; das ergibt sich aus ua § 302 Abs 2. Schuldrechtliche Unternehmensverträge allein begründen Abhängigkeit jedenfalls nicht, selbst wenn weitreichende Mitsprache- und Kontrollrechte vereinbart sind.108 Die Grenzen zu sonstigen Verträgen, die zu enger wirtschaftlicher Verflechtung führen, sind nicht immer leicht zu ziehen, aus dem genannten Grund aber
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99 Vgl BGH NJW 1980, 231 – (Gervais); Löffler Die abhängige Personengesellschaft, 1988, S 42; Schießl Die beherrschte Personengesellschaft, 1985, S 43 ff; auch Martinek Franchising, 1987, S 642. 100 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 116 ff; Bachmann/Veil ZIP 1999, 348, 351 ff; Eberle Verdeckte Beherrschungsverträge, 2010, S 118 ff; KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 161; Krolop Die Gewährung von Risikokapital auf schuldrechtlicher Grundlage im Dreieck von Vertrag, Verband und Markt, 2016 (demnächst); Priester FS Hommelhoff, 2012, S 875, 883 ff; Spindler/Stilz/Veil3 § 291 Rdn 69 ff; Veil Unternehmensverträge, 2003, S 64 ff. 101 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 § 292 Rdn 5; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 53. 102 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 23: Indiz für Abhängigkeit; Hüffer/Koch11 Rdn 12 aE; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 43. 103 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 55, auch gegen praktische Bedeutung im Übrigen; relevant kann aber sein, ob ein Minderheitsaktionär Aktien einer derart gebundenen Gesellschaft als Abfindung akzeptieren muss, oben Rdn 5. 104 Geßler/Geßler Rdn 53, § 292 Rdn 26; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 53; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 139 f; Hüffer/Koch11 § 292 Rdn 4 f. 105 Geßler/Geßler 53, § 292, 26; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 139 f. 106 Geßler/Geßler Rdn 54, § 292, 48; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 138 f; dagegen KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 54. 107 Hüffer/Koch11 Rdn 12; – aA KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 53; so auch im französischen Recht für den Begriff „contrôle contractuel“, Code de commerce L233-16 Abs 2; Le Cannu/Dondero Droit des sociétés6 Rdn 1577 aE; s auch unten Fn 116. 108 Henssler/Strohn/Paschos2 § 292 Rdn 4; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 53 f; MünchKomm/Bayer4 Rdn 66; – aA Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 23.
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irrelevant (Rdn 40 f). Weiter sind Fälle denkbar, in denen anders bezeichnete (schuldrechtliche) Unternehmensverträge ihrem Inhalt nach Beherrschungselemente enthalten, aber die Wirksamkeitsvoraussetzungen des Beherrschungsvertrags nicht erfüllen. Unter welchen Voraussetzungen sie als fehlerhafte Organisationsverträge und daher abhängigkeitsbegründend (Rdn 36) zu behandeln sind, ist im Einzelnen streitig. Jedenfalls unterliegen sie den allgemeinen vertragsrechtlichen Grenzen, insbesondere §§ 134, 138 BGB.109 Bei anderen Rechtsformen als der AG ist Vorfrage, ob Unternehmensverträge der in 39 § 292 genannten Art überhaupt in Betracht kommen (vgl Rdn 36). Wegen der rechtsformimmanenten Förderaufgabe der Genossenschaft ist Fremdbestimmung durch satzungsüberlagernden Beherrschungsvertrag zweifelhaft. Schuldrechtliche Verträge, die den Förderzweck unberührt lassen, sind nicht ausgeschlossen;110 sie können jedoch nur in Verbindung mit einer dadurch zur Beherrschungsmöglichkeit verdichteten Mitgliedschaft zur gesellschaftsrechtlich vermittelten Abhängigkeit führen. Ähnliche Vorbehalte sind gegenüber Unternehmensverträgen mit VVaG anzubringen, die zwar beträchtlichen Einfluss gewähren können, jedoch den Gegenseitigkeitsgedanken nicht aushöhlen dürfen.111 40
b) Austausch-, Liefer- und Kreditbeziehungen können beträchtlichen Einfluss eines Unternehmens auf ein anderes vermitteln. Das wird von einem Teil der Literatur als ausreichend für Abhängigkeit iSd § 17 angesehen,112 zT werden solche Geschäftsverbindungen auch für Abhängigkeit aus tatsächlichen oder wirtschaftlichen Umständen angeführt. Dabei fehlt es an der gesellschaftsrechtlichen Vermittlung des Einflusses (Rdn 12 f). Es handelt sich um, wenn auch besonders intensive, externe Bindungen, dh Marktbeziehungen, auf die die Definitionen der verbundenen Unternehmen nicht zugeschnitten sind (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 12, 18 f).113 Wirtschaftliche Abhängigkeiten sind Gegenstand des allgemeinen Vertragsrechts und des Wettbewerbsrechts.114 Die in Finanzierungsvereinbarungen verbreiteten Vorbehalte und Zustimmungsrechte – covenants – dienen der Abwehr von vertragsspezifischen Risiken und enthalten typischerweise keine Folgepflichten, sondern Konsequenzen anderer Art (Neuverhandlung, Kündigung);115 sie
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109 Vgl BGH 5.10.1981 – II ZR 203/80 Rdn 83 ff (Holiday Inn) (juris); dazu Windbichler ZIP 1987, 825. 110 Für entsprechende Zweckbindung bei organisationsrechtlichen Verträgen Beuthien in Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 133, 147 ff; gegen sog Teilbeherrschungsverträge Merle AG 1979, 265, 267. 111 Gegen Abhängigkeit auf unternehmensvertraglicher Grundlage Großfeld Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit im System der Unternehmensformen, 1985, S 28 f, jedoch nur am Beherrschungsvertrag exemplifiziert; gegen schuldrechtliche Verträge zur entspr Einflussbegründung Estelmann Rechtlich selbständige Sozialeinrichtungen, 1994, S 162 mwN. 112 Dierdorf Herrschaft und Abhängigkeit, 1978, S 154 ff; Geßler/Geßler Rdn 40 f, 56; ähnlich Marchand Abhängigkeit und Konzernzugehörigkeit, 1985, S 103 f: zur existenziellen Wirtschaftsabhängigkeit müsse ein erkennbarer Beherrschungswille des herrschenden Unternehmens hinzu kommen; Oechsler ZGR 1997, 464, 468 ff; – aA Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 20; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 59 mwN; Spindler/Stilz/ Schall3 Rdn 21 (im Grundsatz); Windbichler AcP 198 (1998) 261, 264 f m Fn 12; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 143, der externen Einfluss von einer bestimmten Intensität in „organschaftlichen“ umqualifiziert; für Ausnahmfälle MünchKomm/Bayer4 Rdn 29; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 22 f. 113 Hüffer/Koch11 Rdn 8; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 59 aE; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 15; iE auch Geßler/Geßler Rdn 56; Martens Die existentielle Wirtschaftsabhängigkeit, 1979, S 58 ff. 114 BGH 5.10.1981 – II ZR 203/80 Rdn 83 ff (Holiday Inn) (juris); KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 59 aE; Immenga/Mestmäcker/Thomas GWB5 § 37 Rdn 161 ff; Martens Die existentielle Wirtschaftsabhängigkeit, 1979, S 68 ff; Ulmer ZGR 1978, 457, 465 ff, 472. 115 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR 7 § 291 Rdn 24a ff; S Heinrich Covenants als Alternative zum institutionellen Gläubigerschutz, 2009, S 191 ff; Kästle Rechtsfragen der
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sind zur Begründung von Abhängigkeit iSd § 17 auch daher nicht geeignet. Im Einzelfall können gleichwohl solche externen Mittel einen bestehenden verbandsinternen (Minderheits-)Einfluss zur Beherrschung verstärken.116 c) Franchising und andere ähnlich dicht konstruierte (relationale, symbiotische) 41 Vertragssysteme mit Organisationselementen werden zur Begründung von Abhängigkeit iSd § 17 herangezogen,117 taugen dafür aber nicht. Das sog Subordinationsfranchising ist durch Absatzförderungs- und Betriebseingliederungspflichten gekennzeichnet.118 Die Kontrolle des Franchisegebers bezieht sich im Wesentlichen auf die Einhaltung des Marketingkonzepts und den Schutz des Systems,119 damit nicht auf das Unternehmen als Ganzes (Rdn 17). Selbst wenn der Franchisenehmer grundlegende Fragen der Finanzpolitik dem Franchisegeber überantwortet, bleibt eine zivil- und wettbewerbsrechtlich abgesicherte Restautonomie.120 Marktbedingte Abhängigkeit führt jedenfalls nicht in den Bereich des § 17;121 es fehlt an der gesellschaftsrechtlichen Vermittlung (Rdn 12) des Einflusses. Hochentwickelte Vertragssysteme können in den Übergangsbereich zur Organisation führen (Rdn 13), die dann aber in eine gesellschaftsrechtliche Beziehung zwischen dem Unternehmensträger und dem Vertragspartner (Franchisegeber) überleitet, nicht in eine verbandsrechtliche Einbindung innerhalb des Unternehmensträgers. Es handelt
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Verwendung von covenants in Kreditverträgen, 2003, S 73; Krolop Die Gewährung von Risikokapital auf schuldrechtlicher Grundlage im Dreieck von Vertrag, Verband und Markt, 2016 (demnächst). 116 BGHZ 90, 381, 397; Bayreuther Wirtschaftlich-existenziell abhängige Unternehmen, 2001, S 135: „additiver Grund“; Ulmer ZGR 1978, 457, 473 f; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 16; instruktiv die Beschreibung des Toyota-Konzerns bei Takahashi Konzern und Unternehmensgruppe in Japan, 1994, S 9 ff mit Angabe der Beteiligungsquoten an den Zulieferunternehmen. 117 Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 22 f, auch für Zweckgesellschaften (dazu oben Rdn 31); nur für Ausnahmefälle Bayreuther Wirtschaftlich-existenziell abhängige Unternehmen, 2001, S 401 ff; BuschbeckBülow BB 1989, 352, 353 f; Wlotzke/Wissmann/Koberski/Kleinsorge/Koberski MitbestR4 § 5 MitbestG Rdn 22, 27 für die Betriebsverfassung; dagegen GK-BetrVG/Franzen10 § 54 Rdn 20; Selzner Betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung in Franchise-Systemen, 1994, S 108; Skaupy BB 1990, 134, 135 f. 118 So die Definition bei Martinek Franchising, 1987, S 293 ff, 295. 119 Vgl Veil Unternehmensverträge, 2003, S 300 f: kein Beherrschungsvertrag, da das Vertragssystem auch den Interessen des Franchisenehmers dient. – Nach IFRS 10.14 und Appendix B26-28 führen sog protective rights nicht zur Kontrolle; inbes B31 verlangt „to distinguish between having the current ability to make decisions that significantly affect the franchisee’s returns and having the ability to make decisions that protect the franchise brand.“ Dort gilt allerdings die Perspektive des potenziell herrschenden Unternehmens, oben Rdn 18. 120 MünchKomm/Bayer4 Rdn 30: mutmaßlich Defizite des Zivil- und Wettbewerbsrechts können nicht durch Überstrapazierung des Konzernrechts kompensiert werden; Teubner ZHR 154 (1990) 295, 318 f; Windbichler JITE 152 (1996) 250, 259 f; Veil Unternehmensverträge, 2003, S 301 f, ordnet Subordinationsfranchising als sonstigen Unternehmensvertrag analog § 292 Abs 1 Nr 3 ein, was aber nur unter zusätzlichen Voraussetzungen zur Abhängigkeit führt; vgl oben Rdn 37 ff. 121 Oben Rdn 12 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 61: normales unternehmerisches Risiko; Teubner ZHR 154 (1990) 295, 318 f; – aA Martinek Franchising, 1987, S 644 f; ders Zulieferverträge und Qualitätssicherung, 1991, S 175 ff, wo unzutreffend BGHZ 90, 381 zum nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfall herabgestuft wird; s dagegen Schanze in: Joerges (Hrsg), Franchising and the Law, 1991, S 67, 98 f; – ein Missverständnis ist dagegen, Verträge, die sich auf die betriebliche Organisation beziehen oder Kooperationsbeziehungen begründen, als Organisationsverträge iSd Rdn 35 aufzufassen, so etwa Ensthaler NJW 1994, 817, 819; Soudry/Löb GWR 2011, 127, 129 f; es fehlt die Ansiedlung auf der Ebene des Unternehmensträgers, s Rdn 40, ferner werden Abhängigkeit und einheitliche Leitung vermischt; ähnlich Nagel DB 1988, 2291, 2292 f; den Sprachgebrauch „Organisationsvertrag“ ausdrücklich auf die betriebliche Organisation beziehend dagegen Merz Qualitätssicherungsvereinbarungen, 1992, S 220 ff; unternehmensinterne iSv betrieblicher Organisation und Organisationsrecht des Unternehmensträgers vermischt auch Oechsler ZGR 1997, 464, 468; anders differenzierend Veil Unternehmensverträge, 2003, S 300 ff.
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sich um organisationsrechtliche Verbindungen einer weiteren Stufe, die das Organisationsrecht des jeweiligen Unternehmensträgers unberührt lässt. Dagegen kommt Abhängigkeit in Betracht, wenn eine Minderheitsbeteiligung des Franchisegebers besteht, zu der die vertraglichen Bindungen als weiteres Merkmal hinzukommen, so dass die Beherrschungsmöglichkeit im Innenverhältnis des Unternehmensträgers jedenfalls mitverankert ist (Rdn 20). 42
d) Die stille Beteiligung begründet keine Mitgliedschaft in der Gesellschaft (Windbichler § 16 Rdn 18). Nach dem Grundmodell der §§ 230 ff HGB vermittelt sie keinen Einfluss, der mit dem eines Gesellschafters des Inhabers vergleichbar wäre. Eine typische stille Beteiligung ist daher nicht geeignet, Abhängigkeit zu begründen. Anders werden teilweise atypische, mitunternehmerische stille Beteiligungen (vgl § 15 Abs 1 Nr 2 EStG) eingeschätzt; dann beruht der dem Stillen eingeräumte Einfluss aber auf Vertrag (Rdn 35 ff) und nicht auf der Beteiligung.122 Der Vertrag kann zur Abhängigkeit führen, wenn er zB zu einer Minderheitsbeteiligung, ggf mit Sonderrechten, hinzukommt. Hier ist wiederum nach der Gesellschaftsform zu differenzieren. Die satzungsstrenge AG lässt weniger Gestaltungsmöglichkeiten zu als etwa die GmbH. Bei der AG ist die stille Beteiligung regelmäßig Teilgewinnabführungsvertrag iSv § 292 Abs 1 Nr 2, der nicht zur Abhängigkeit führt (Rdn 37 f). Für eine atypische stille Beteiligung setzen die §§ 76, 291 Abs 1 Grenzen; gegebenenfalls handelt es sich um einen (fehlerhaften) Beherrschungsvertrag (Rdn 36). Soweit sich die Mitwirkungsrechte bei hybriden Finanzierungsformen im Bereich der covenants bewegen, gilt das dazu Gesagte (Rdn 40). 4. Sonstige Beherrschungsmittel
a) Personelle Verflechtungen zwischen Unternehmen sind praktisch häufig, vor allem innerhalb unzweifelhaft bestehenden Unternehmensgruppen.123 Ob sie zur Abhängigkeit führen, ist danach zu unterscheiden, ob es sich um das einzige Merkmal handelt, das Abhängigkeit konstituieren soll, oder ob noch andere Kriterien hinzu kommen,124 ferner in welchem Umfang und in welchem Organ Verflechtung besteht, letzteres auch mit Rücksicht auf die Rechtsform des Unternehmens (vgl Rdn 27). Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob sich durch Personalunion einheitliche Leitung iSd § 18, vor allem auch gleichgeordnete, herstellen lässt. Beruht die (überwiegende) Besetzung von Organen der abhängigen Gesellschaft mit Organmitgliedern oder Angestellten des herrschenden Unternehmens auf Stimmrechtsmacht oder satzungsmäßigen Rechten, begründen schon diese Positionen die Beherrschungsmöglichkeit. Auf die personelle Verflechtung braucht darüber hinaus nicht abgestellt zu werden. Zweifelhaft ist dagegen die Eignung personeller Verflechtungen zur Begründung 44 von Abhängigkeit, wenn keine der genannten Positionen zugrunde liegt; sie wird von einem Teil der Literatur bejaht.125 Das Problem ist insofern nicht ganz theoretisch,126 da 43
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122 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 82; anders wohl G Bezzenberger/Schuster ZGR 1996, 481, 483, 498 f und diejenigen, die von einer „Beteiligung“ ausgehen; dazu Rdn 30. 123 BGH 9.3.2009 – II ZR 170/07, BGHZ 180, 105 Rdn 14 ff; OLG Stuttgart 2.12.2014 – 20 AktG 1/14, ZIP 2015, 1120 Rdn 93 ff; vgl auch § 89 Abs 4 Satz 2; BFH 7.7.2011 – V R 53/10 (juris). 124 Zu Aufsichtsratssitzen als Verstärkung des durch Hauptversammlungsmehrheit begründeten Einflusses BGH 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107 (VW); vgl auch den Sachverhalt in OLG Schleswig 8.12.2005 – 5 U 57/04, NZG 2006, 951, 954 (Mobilcom); zu Doppelmandaten als Selbstverständlichkeit im faktischen Konzern Altmeppen ZIP 2008, 437, 441 ff; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 40 f. 125 OLG Brandenburg 28.11.2007 – 3 U 67/07 (juris) unter unzutr. Berufung auf BGHZ 62, 193 und OLG München WM 1995, 898; Decher Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, 1990, S 217; Spindler/
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die Besetzung der Organe offenkundig ist, während andere Einflussgründe, zB Anteilsinhaberschaft kraft Zurechnung, unübersichtlich sein können. Ferner könnte mit Personengleichheit in Organen bei Schwestergesellschaften ohne gegenseitige Beteiligung (Rollenverteilung, Rdn 4 aE) argumentiert werden. Letztlich wird personelle Verflechtung allein nicht zur Begründung von Abhängigkeit iSd § 17 ausreichen; es ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Vermittlung erforderlich (Rdn 23).127 Personelle Verflechtung kann nur für die Dauer ihres Bestandes Rechtsfolgen ha- 45 ben; somit besteht eine gewisse Instabilität, es sei denn die Organmitglieder sind nicht beliebig abberufbar.128 Auch Abhängigkeit auf der Grundlage einer Beteiligung setzt keinen besonderen zeitlichen Rahmen voraus (Rdn 21). Die tatsächliche Verflechtung auf Organebene eröffnet zwar beachtliche Einflussmöglichkeiten. Andere Vorschriften, die auf die personelle Zusammensetzung von Organen abstellen, differenzieren nach Bestellungsrechten und den Gründen für den Einfluss, zB § 37 Abs 1 Nr 2b GWB, § 290 Abs 2 Nr 2 HGB.129 Auch hier bleibt die Grundlage der personengleichen Besetzung relevant. aa) Ist der Aufsichtsrat der Gesellschaft betroffen, kommt maßgeblicher unter- 46 nehmerischer Einfluss nur in Betracht, wenn die Mehrheit, bei paritätisch mitbestimmten Unternehmen die Hälfte, der Mitglieder des Aufsichtsrats aus dem anderen Unternehmen stammt, die dann die Zusammensetzung von Vorstand bzw Geschäftsführung bestimmen kann.130 Handelt es sich bei den Aufsichtsratsmitgliedern um Personen, die dem Aufsichtsrat des anderen Unternehmens angehören, ist zwar eine Interessenverknüpfung naheliegend, nicht aber ein Über-Unterordnungsverhältnis; dafür müssten weitere Kriterien herangezogen werden, welches Unternehmen das herrschende und welches das abhängige ist.131 Aufsichtsratsmitglieder können Personen sein, die in der Geschäftsleitung eines anderen Unternehmens tätig sind (unter Beachtung von § 100 Abs 2 Nr 3) oder dort als leitende Angestellte unmittelbar mit unternehmensleitenden Aufgaben befasst oder sogar weisungsunterworfen sind. Dann besteht die Möglichkeit, dass diese Personen einseitig Interessen des anderen Unternehmens wahrnehmen. Da die Möglichkeit der beherrschenden Einflussnahme aus-
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Stilz/Schall3 Rdn 44 (nicht einschlägig die dort zitierte Entscheidung LG Freiburg 25.4.2006 – 1 O 122/05, AG 2006, 674); Strohn Verfassung, 1977, S 27 f; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 208; 3. Aufl Würdinger Anm 7; wohl auch Geßler/Geßler Rdn 57 f; – aA Bachelin Der konzernrechtliche Minderheitenschutz, 1969, S 17 f; Dierdorf Herrschaft und Abhängigkeit, 1978, S 204 f; Harms Konzerne im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1968, S 257; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 62; MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 43, 48; Säcker ZHR 151 (1987) 59, 66; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 40 f. 126 Decher Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, 1990, S 217. 127 Kort § 76 Rdn 219 ff; – nicht ausreichend ist der gesellschaftsrechtliche Charakter der Organstellung selbst, so aber Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 44, da es nicht um die Beherrschung durch diese Person geht; deren weitere Organstellung ist unabhängig von der Binnenstruktur der so „beherrschten“ Gesellschaft; aufsichtsrechtlich orientiert ermöglicht § 302 Abs 2 VAG das Verbot mehrfacher Organstellung von Vorstands- oder Aufsichtsratsmitgliedern von Versicherungsunternehmen als „Beteiligung“. 128 Für die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern bedarf es einer Dreiviertelmehrheit, § 103 Abs 1 Satz 2, für die von Vorstandsmitgliedern eines wichtigen Grundes bzw Vertrauensentzugs durch die Hauptversammlung sowie Tätigwerden des Aufsichtsrats, § 84 Abs 3; anders § 38 Abs 1 GmbHG. 129 Anders wohl § 98 Nr 2 Satz 2 GWB: faktische Bestimmung der Mehrheit des Organs. 130 Zum Vergleich mit der Position eines Mehrheitsgesellschafters, § 17 Abs 2, Dierdorf Herrschaft und Abhängigkeit, 1978, S 199 f; vgl ferner den Sachverhalt in OLG Hamm AG 1987, 38 (Banning) m abl Anm Mertens. 131 Dierdorf Herrschaft und Abhängigkeit, 1978, S 204 aE; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 62.
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reicht, kommt es nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Ausübung an.132 Ob gesellschaftsrechtliche Einwände gegen die gegebene Ämterverbindung bestehen,133 spielt hier keine Rolle, da es auf die konkrete Organstellung ankommt, solange sie besteht.134 Ein wesentlicher Unterschied zum Einfluss kraft Beteiligung besteht auch darin, 47 dass die Abberufung, damit die Beendigung des Merkmals, das zur Abhängigkeit führen soll, gesellschaftsintern möglich bleibt, während die Mitgliedschaft, also die Frage, wer Anteilseigner ist, nicht in die Kompetenz der Gesellschaftsorgane fällt.135 Handelt es sich um ein Unternehmen mit lediglich fakultativem Aufsichtsrat, ist zusätzlich dessen Besetzungsverfahren und satzungsmäßige Funktion zu berücksichtigen. Eine Typisierung dahingehend, dass personelle Verflechtung für sich allein zur Begründung der Abhängigkeit ausreicht, ist daher nicht möglich. Es bleibt in aller Regel erforderlich, die Hintergründe zu erhellen, wie es zu der vorgefundenen personellen Konstellation gekommen ist.136 48
bb) Ist der Vorstand eines Unternehmens mehrheitlich mit Mitgliedern des Vorstandes eines anderen Unternehmens besetzt, ist die gegenseitige Einflussmöglichkeit offenkundig gegeben, jedoch nicht ersichtlich, welches Unternehmen herrschend, welches abhängig ist. Wenn nicht noch andere Gesichtspunkte hinzu kommen, liegt Gleichordnung näher (Windbichler § 18 Rdn 53). Die Personengleichheit kann aber das Tatbestandsmerkmal der Koordinierung mehrerer Unternehmen zeigen, die so gemeinsam ein anderes beherrschen (Rdn 54).137 Etwas anderes gilt bei Besetzung des Vorstandes mit leitenden Personen eines anderen Unternehmens, die keine organschaftliche Stellung haben.138 Sie sind als (leitende) Angestellte weisungsabhängig, so dass sich ein Machtgefälle, dh eine Beherrschungsmöglichkeit ausmachen lässt. Unerheblich ist dabei, ob der Pflichtenrahmen der Organstellung die Befolgung von Weisungen in jedem Fall zulässt. Maßgebend ist die Gefährdungslage (Rdn 46). Diese ergibt sich daraus, dass Vorstandsmitglieder nicht beliebig abberufbar sind, der potenzielle Interessenkonflikt zwischen den Unternehmen sich bis zur Abwehrmaßnahme also durchaus schon realisiert haben kann. Der Unterschied zu einer bloß schlechten Personalentscheidung liegt darin, dass die Rolle des Organmitglieds in dem anderen Unternehmen für die Bestellung von Bedeutung sein muss. Daher ergibt sich auch hier die Notwendigkeit, auf die Hintergründe der personellen Verflechtung zurückzugreifen
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132 So aber Dierdorf Herrschaft und Abhängigkeit, 1978, S 201 ff unter Hinweis auf die anzunehmende Motivationslage. 133 Vgl dazu Dreher JZ 1990, 896 mwN; zur Transparenz § 124 Abs 3 Satz 4 verlangt bei Wahlvorschlägen für Aufsichtsratsmitglieder die Angabe des „ausgeübten Berufs“; praktisch werden hier Vorstands- und Geschäftsführungsmandate angegeben; 125 Abs 1 Satz 5 verlangt bei börsennotierten Gesellschaften ferner die Angabe von Mitgliedschaften in Aufsichtsräten von Gesellschaften, die gesetzlich einen Aufsichtsrat zu bilden haben; § 285 Nr 10 HGB verlangt entsprechende Angaben im Anhang; vgl auch Nr 5.4.1 DCGK. 134 Vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 54; auch unten Rdn 48 aE, 77. 135 Begrenzte Ausnahme: Vinkulierung, § 68 Abs 2 Satz 2; § 15 Abs 5 GmbHG. 136 Vgl BGHZ 62, 193, 202 – Seitz. 137 BAGE 80, 322 = NJW 1996, 1691, 1692 betr Gemeinschaftunternehmen; vgl auch Lindermann AG 1987, 225; Säcker ZHR 151 (1987) 59, jew mwN. 138 OLG Stuttgart 2.12.2014 – 20 AktG 1/14, ZIP 2015, 1120 Rdn 93 ff; zur Drittanstellung von Vorstandsund Geschäftsführungsmitgliedern Habersack/Foerster § 84 Rdn 319 f, abl betr AG; Löwisch/Wertheimer FS Blaurock, 2013, S 303 (betr organisatorische Eingliederung für umsatzsteuerliche Organschaft); Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 22 Rdn 6, § 26 Rdn 13; vgl auch BGH 28.4.2015 – II ZR 63/14, NZG 2015, 792.
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(vgl Rdn 47). Ferner muss die Bedeutung der personellen Verflechtung rechtsformspezifisch gewichtet werden.139 cc) Personelle Verflechtungen in anderen Organen sind zu erwägen bei Unterneh- 49 mensträgern anderer Rechtsform. Auf die Aufgabenbeschreibung für nichtobligatorische Aufsichtsräte wurde bereits hingewiesen (Rdn 47). Bei Stiftungen kommt rechtsformspezifisch eine Beteiligung als Grundlage für die Organbestellung nicht in Betracht; die Satzung kann jedoch Besetzungsrechte enthalten (Rdn 31).140 Dann begründet aber die Satzung die Abhängigkeit, nicht die konkrete Organbesetzung. Bei Feststellung von Abhängigkeit ist ferner der zwingende Zweckverfolgungsauftrag zu berücksichtigen. Ist dort Rücksichtnahme auf oder Förderung der Interessen eines anderen Unternehmens, auch in der Form einer anderen Stiftung (Doppelstiftung) vorgesehen, kommt Abhängigkeit durch Steuerung der Art und Weise der Zweckverfolgung in Betracht. Im Übrigen ergeben sich Konflikte zwischen Stiftungs- und Gesellschaftsrecht,141 die aber nicht auf der Ebene der begrifflichen Einordnung auszutragen sind (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 54). b) Optionen auf einen Anteilserwerb oder ein noch nicht vollzogener Erwerb sind 50 noch keine Beteiligung (Rdn 26, Windbichler § 16 Rdn 22), sie können jedoch bereits mit Einflussmöglichkeiten im Vorgriff auf die zukünftige Mitgliedschaft verbunden sein.142 Diese Einflussmöglichkeit kann die Kriterien für eine Zurechnung nach § 16 Abs 4 erfüllen („für Rechnung“ des Erwerbers gehalten) und auf diese Weise zur Beteiligung führen (Rdn 22, Windbichler § 16 Rdn 25 ff). Anderenfalls kann sie sonstiges Beherrschungsmittel sein. Eine rein tatsächliche Vorwirkung des Erwerbs durch Rücksichtnahme auf die zukünftige Mitgliedschaft wird unter dem Gesichtspunkt der Wahrscheinlichkeit, dass sich die Geschäftsleitung nach dem zukünftigen Anteilsinhaber richtet, für beherrschungsgeeignet gehalten,143 genügt aber nicht.144 Der Gesichtspunkt, Abhängigkeit sei als Wahrscheinlichkeit einflusskonformen Verhaltens zu begreifen, würde sich hier von den normativen Vorgaben loslösen. Eine rein tatsächliche Vorwirkung des Erwerbs ist rechtlich kaum fassbar, schon gar nicht gesellschaftsrechtlich vermittelt. Es handelt sich nicht um Beherrschungsmöglichkeit, sondern um eine Möglichkeit, diese herzustellen. Schuldrechtliche Abreden über die Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte dagegen fallen nach den Kriterien über Stimmbindungsverträge und ähnliche Absprachen (nachfolgend Rdn 51 ff) ins Gewicht.
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139 Vgl BAGE 80, 322 = NJW 1996, 1691, 1692 f betr VVaG. 140 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 80; MünchKomm/Bayer4 Rdn 131. 141 Burgard Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht, 2006, S 145 f; Kronke Stiftungstypus und Unternehmensträgerstiftung, 1988, S 203 f; Schlinkert Unternehmensstiftung und Konzernleitung, 1995, S 172 ff; Schwintowski NJW 1991, 2736, 2739 f. 142 Albath Unternehmensbeteiligungen unter 25% Kapitalanteil S 10; Lutter FS Steindorff, 1990, S 125, 131; MünchHdB/Krieger4 § 69 Rdn 44; ders FS Semler, 1993, S 503, 506 f; Noack Gesellschaftervereinbarungen, 1994, S 89 f. 143 Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 8: „vorwirkende Beteiligung“; MünchKomm/Bayer4 Rdn 53 f: „vorwirkende Abhängigkeit“, die in der 2. Aufl zitierte Entscheidung BGH 22.11.2005 – 1 StR 571/04, NJW 2006, 453, 456 (Kinowelt) zeigt große begriffliche Unschärfe und eignet sich nicht als Beleg; Noack Gesellschaftervereinbarungen, 1994, S 90, wenngleich relativierend auf die Umstände des Einzelfalles verweisend; ähnlich M Weber Vormitgliedschaftliche Treubindungen,1999, S 233 ff, 259 f, der aber den Einfluss des Nochnichtgesellschafters für gesellschaftsrechtlich vermittelt hält; weitergehend Baumann/ Reiß ZGR 1989, 157, 203: die „Drohung“, die Option auszuüben, verschaffe Beherrschungsmöglichkeit. 144 Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 8; Krieger FS Semler, 1993, S 503, 507 ff; vgl auch KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 65.
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c) Vereinbarungen von Gesellschaftern, insbesondere Stimmbindungs-, Pool-, Konsortialverträge sind teilweise als Beherrschungsmittel geeignet.145 Zu differenzieren ist nach ihrem Inhalt, der Sicherung ihrer Durchsetzung und ihrer Funktion, ob sie einem beteiligten Unternehmen zusätzlichen Einfluss verschaffen, den Einfluss mehrerer beteiligter Unternehmen koordinieren oder den Einfluss eines nicht beteiligten Unternehmens begründen sollen. Entsprechendes gilt für schuldrechtliche Nebenabreden von Gesellschaftern einer GmbH zum Gesellschaftsvertrag.146 Auch dingliche Belastungen von Beteiligungen, die den Gesellschafter zur Rücksichtnahme auf den berechtigten Pfandgläubiger oder Nießbraucher verpflichten (Windbichler § 16 Rdn 42), sind nach den nachstehenden Gesichtspunkten zu prüfen.
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aa) Nach dem Inhalt der Stimmbindung, die meist Teil eines umfassenderen Vertragskomplexes zu den verschiedensten Zwecken ist, können nur Verträge über eine Stimmrechtsausübung, die den Unternehmensträger betrifft, zur Abhängigkeit führen; der beherrschende Einfluss muss sich auf das Unternehmen insgesamt beziehen, nicht nur auf einzelne Geschäftsbereiche oder Maßnahmen (Rdn 17). So kann das gesamte Stimmverhalten vertraglich geregelt werden, wesentliche Weichenstellungen wie die Organbesetzung147 oder die Position bezüglich einzelner Maßnahmen; gewisse Anhaltspunkte können sich aus den acting in concert-Kriterien des § 22 Abs 2 WpHG und des § 30 Abs 2 WpÜG ergeben.148 Zusätzlich ist rechtsformspezifisch zu berücksichtigen, welche Kompetenzen dem jeweiligen Abstimmungsgremium zukommen. Bei der GmbH wird ein Stimmbindungsvertrag hinsichtlich einer einzelnen Geschäftsführungsmaßnahme keine Abhängigkeit begründen. Vergleichsmaßstab ist der Einfluss, den eine Mehrheitsbeteiligung bei der AG vermittelt, arg § 17 Abs 2. Auch Art 28 Abs 2a der Kapitalrichtlinie149 definiert beherrschenden Einfluss ua durch Stimmrechtsmehrheit aufgrund einer mit anderen Aktionären oder Gesellschaftern dieser Gesellschaft getroffenen Vereinbarung. Punktuelle Absprachen genügen dafür nicht.
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bb) Stimmbindungsverträge können die Verstärkung eines bereits bestehenden Minderheitseinflusses zur Beherrschungsmöglichkeit bewirken (vgl Rdn 40 aE), wenn das daraus berechtigte Unternehmen zusammen mit seinen eigenen Stimmen ein Stimmgewicht erhält, das der Mehrheit (Windbichler § 16 Rdn 43 f) oder Hauptversammlungsmehrheit (Rdn 24) entspricht.150 Darauf, ob man solchen Verträgen korporationsrechtliche Wirkungen gegenüber der Gesellschaft zubilligt (vgl Windbichler § 16 Rdn 38 mwN), kommt es nicht an. Die Wirksamkeit von Stimmbindungs-, Pool- oder Konsortialverträgen kann zwar zweifelhaft sein, etwa wenn dadurch ein satzungsmäßiges Höchststimmrecht (§ 134 Abs 1 Satz 2) oder eine Vinkulierung (§ 68 Abs 2) umgangen werden
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145 Grundlegend zu solchen Verträgen Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994. 146 Baumbach/Hueck/Fastrich GmbHG20 § 3 Rdn 56 ff; Hoffmann-Becking ZGR 1994, 442 ff; Ulmer/ Habersack/Löbbe/Ulmer/Löbbe2 GmbHG § 3 Rdn 119 ff; unechte Satzungsbestandteile sind zwar auch bei der AG möglich, dürften aber praktisch geringere Bedeutung haben; Röhricht/Schall § 23 Rdn 15, 21 ff; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 25. 147 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 46: maßgebend Aufsichtsratswahl; v Bülow/Bücker ZGR 2004, 669, 678 ff. 148 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 19; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 26 ff, 36 ff; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 32. 149 RL 2012/30/EU (2. RL konsolidiert). 150 Geßler/Geßler Rdn 47; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 46; MünchKomm/Bayer4 Rdn 37; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 206; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 23; vgl auch § 290 Abs 3 Satz 2 HGB; vgl auch BGH 18.9.2006 – II ZR 137/05, BGHZ 169, 98 (WMF).
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sollen, Organmitgliedern entgegen § 136 Abs 2 Einfluss eingeräumt wird, unzulässiger Stimmenkauf, § 405 Abs 3 Nr 6, 7, vorliegt oder die Rechtsform des Unternehmensträgers Stimmbindungsverträge erschwert.151 Soweit die Stimmbindung praktiziert und nicht angegriffen wird, ist die Unterstützung des dominierenden Gesellschafters nicht zufällig und zur Begründung von Abhängigkeit geeignet (vgl Rdn 19 aE).152 cc) Sind mehrere Unternehmen beteiligt und bezieht sich die Absprache auf die 54 gemeinsame Interessenwahrnehmung, braucht dadurch kein Unternehmen zum dominierenden zu werden. Dann stellt sich die Frage der Abhängigkeit von mehreren Unternehmen (Rdn 59 ff). Erfolgt die Interessenabstimmung in einem Koordinierungsorgan, dem selbst Unternehmenseigenschaft zukommt (Windbichler § 15 Rdn 16, 48), ist dieses herrschendes Unternehmen. Ob Abhängigkeitsfolgen auch gegenüber den einzelnen Mitgliedern eintreten, ist dann ein Zurechnungsproblem; aus der Einordnung des Koordinierungsorgans als herrschendes Unternehmen folgt nicht notwendig der Ausschluss der Gesellschafter als Normadressaten. Bei den hier behandelten Stimmbindungs-, Poolund Konsortialverträgen dürfte allerdings nur selten ein solches Ausmaß der Verselbständigung nach außen gegeben sein. Die Vereinbarung führt zwar regelmäßig zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die aber lediglich zu Koordinationszwecken dient und bloße Innengesellschaft bleibt. Abhängigkeit von einer reinen Innengesellschaft kommt nicht in Betracht. Die Frage nach der Abhängigkeit eines Gemeinschaftsunternehmens und dem Herrschaftssubjekt kann daher nicht abstrakt-generell, sondern nur mit Rücksicht auf die jeweilige Fallgestaltung beantwortet werden (Rdn 66 f). dd) Dient der Stimmbindungsvertrag als Beherrschungsmittel für ein nicht beteilig- 55 tes Unternehmen, wird nicht ein bestehender gesellschaftsinterner Einfluss verstärkt, sondern die Einflussmöglichkeit erst begründet. Wieweit vertraglich vermittelter Dritteinfluss auf innergesellschaftliche Entscheidungen verbandsrechtlich zulässig ist, ist streitig.153 Wird der Dritteinfluss unbeanstandet praktiziert, kommt es auf die Zulässigkeit nicht an (Rdn 19 aE). Fraglich bleibt aber, ob noch von einem gesellschaftsrechtlich vermittelten Einfluss die Rede sein kann. Die Bindung bezieht sich auf das wesentliche mitgliedschaftliche Verwaltungsrecht (vgl Rdn 46 für die Organbesetzung). Nimmt man hinzu, dass nur inhaltlich umfassende und nicht nur punktuelle Abstimmungsvereinbarungen relevant sind (Rdn 52) und dass die Bindung regelmäßig Bestandteil eines größeren Vertragskomplexes ist, bleiben als praktische Anwendungsfälle Treuhand, Nießbrauch, Unterbeteiligung und Anteilsverpfändung. Bei Treuhand werden bereits nach § 16 Abs 4 die Anteile auch dem Treugeber zugerechnet (§ 16 Rdn 23). Bei umfassend vertraglich gesicherter Ausübung der Mitverwaltungsrechte im Interesse des Berechtigten aus Nießbrauch,154 Verpfändung und Unterbeteiligung kann dieser eine beherrschende Stellung erlangen.
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151 Zur Genossenschaft Beuthien in Mestmäcker/Behrens (Hrsg), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne, 1991, S 133, 156 ff, der auch dort Stimmbindungsverträge zuläßt, mwN. 152 Vgl Geßler/Geßler Rdn 46; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 46; zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn auf das Konsortium die Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft zur Anwendung kommen, Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 201 f; zum Innenverhältnis von Stimmrechtskonsortien BGH 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 (Schutzgemeinschaft II); Krieger FS Hommelhoff, 2012, S 593; Schäfer ZGR 2009, 768. 153 K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 21 II 4 a cc mwN. 154 Wer mit der hM den Nießbraucher nicht als Inhaber des Stimmrechts ansieht, kommt nicht über die Beteiligung und § 17 Abs 2, sondern ggf über § 17 Abs 1 zur Feststellung der Abhängigkeit; vgl dazu auch Windbichler § 16 Rdn 42.
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d) Stimmrechtsvollmacht als solche ist kein Beherrschungsmittel, sondern stets im Zusammenhang mit dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis zu sehen. Es kommt darauf an, ob der Bevollmächtige über die Art der Stimmrechtsausübung disponieren kann, zB als Nießbraucher (vgl Windbichler § 16 Rdn 42). Dann vermitteln sie dem Bevollmächtigten den Stimmrechteinfluss; anderenfalls bleibt es beim Einfluss des Gesellschafters. Vollmachtstimmrechte von Kreditinstituten wurden in ihrer Bedeutung für die Begründung der Beherrschungsmöglichkeit durch die Bank gelegentlich pauschal für relevant gehalten und damit überschätzt (vgl Rdn 24).155 Es handelt sich nach wie vor um das Stimmrecht der Aktionäre, nicht der Bank, die verpflichtet ist, nach Weisung oder jedenfalls im Interesse des Vollmachtgebers zu stimmen (§ 135); es fehlt an einem einflusssichernden Grundverhältnis.156
5. Mittelbare Beherrschung. § 17 Abs 1 stellt unmittelbare und mittelbare Beherrschung gleich. Es genügt, wenn die Einflussmöglichkeit einem Dritten zusteht, aber von dem herrschenden Unternehmen in Anspruch genommen werden kann. Hauptfall der mittelbaren Beherrschung ist die Zurechnung von Beteiligungen, die einem abhängigen Unternehmen gehören (§ 16 Abs 4). Es bestehen dann mehrfach gestufte Abhängigkeitsverhältnisse etwa zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft, Tochter- und Enkelgesellschaft sowie Mutter- und Enkelgesellschaft; mittelbare Beherrschung schließt die unmittelbare nicht aus und verdrängt diese nicht.157 Derart gestufte Abhängigkeit ist von der Abhängigkeit von mehreren Unternehmen nebeneinander (mehrfache Abhängigkeit) zu unterscheiden (Rdn 59 ff). Der beherrschende Einfluss kann durch einen Dritten vermittelt werden, der selbst 58 nicht abhängig, nicht einmal Unternehmen ist,158 etwa bei Stimmbindungs-, Pool- oder Konsortialverträgen, die einen bestehenden Minderheitseinfluss zur Beherrschung verdichten (Rdn 53). Dann sind unmittelbare (eigenes Stimmrecht) und mittelbare (vertraglich gesteuertes Stimmrecht anderer) Beherrschungsmittel kombiniert. Mittelbare Beherrschung liegt auch vor bei Mehrheitsbeteiligung kraft Zurechnung von Anteilen, die einem Dritten für Rechnung des Unternehmens gehören (Windbichler § 16 Rdn 24 ff). Die vermittelnde Beziehung muss ihrerseits nicht gesellschaftsrechtlich geprägt (Rdn 12) sein, da es aus der – hier maßgeblichen – Sicht des abhängigen Unternehmens nur auf die Art der Einflussmöglichkeit ankommt, der es sich ausgesetzt sieht. Diese muss strukturell sein, dh das ganze Unternehmen erfassen (Rdn 17). Demgegenüber nachrangig ist, wie sich das mittelbar herrschende Unternehmen diesen Einfluss verschafft. Das entspricht der Wertung des § 16 Abs 4, der unter bestimmten Voraussetzungen schuldrechtlich vermittelte Beteiligungen erfasst (Windbichler § 16 Rdn 27 f). Die Beherrschung durch 57
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155 Etwa Adams AG 1994, 148, 152 ff; Baums/Fraune AG 1995, 97, 101 ff; Burgard BB 1995, 2069, 2077; Meilicke/Meilicke BB 1978, 406, 407; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 202 ff; auch noch KK/Koppensteiner2 Rdn 42; – differenzierend Baums ZBB 1994, 69, 86, 91 f, 94; Mülbert DJT 1996, E 43 f (Abstimmung der Depotbanken untereinander), 64 ff. 156 HM, OLG Düsseldorf 8.7.2003 – 19 W 6/00 Rdn 30 (juris); Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 10, 18; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 24; Hüffer/Koch11 Rdn 10; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 48 f; MünchKomm/Bayer4 Rdn 48 f (mit nunmehr nach § 94 KAGB unwahrscheinlicher Ausnahmemöglichkeit); Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 44; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 30 (mit Ausnahmemöglichkeit wie Bayer aaO); vgl auch Windbichler § 16 Rdn 36. 157 HM, 3. Aufl Würdinger Anm 10; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 27; Geßler/Geßler Rdn 65, 68 f; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 9; Hüffer/Koch11 Rdn 6; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 29; MünchKomm/Bayer4 Rdn 75; Rehbinder ZGR 1977, 581, 589. 158 HM, Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 26; Geßler/Geßler Rdn 66 f; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 9 (enger: vermittelt durch Unternehmen); KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 30; MünchKomm/Bayer4 Rdn 74.
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ein nicht beteiligtes Unternehmen mittels Stimmbindungsvertrags (Rdn 55) ist daher mittelbar. IV. Beherrschung durch mehrere Unternehmen 1. Anwendungsfälle a) Da ein Unternehmen im Mehrheitsbesitz von mehreren anderen Unternehmen 59 stehen kann (Windbichler § 16 Rdn 3), ist zunächst auch eine mehrfache Abhängigkeitsvermutung (Rdn 68 ff) gegeben.159 Je nach Art der Beteiligung und dem dadurch vermittelten Einfluss wird in diesen Fällen die Vermutung zu widerlegen sein und nur gegenüber einem Unternehmen Bestand haben (Rdn 74 f). Anderenfalls stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Beherrschung durch mehrere Unternehmen nebeneinander (anders mittelbare Beherrschung, Rdn 57 f) möglich ist. Die Lösung hängt nicht davon ab, ob auch mehrfache Konzernzugehörigkeit denkbar ist (Rdn 14).160 In dem kaum wahrscheinlichen Fall der beiderseits qualifizierten wechselseitigen Beteiligung folgt die mehrfache Abhängigkeit eines von einem der wechselseitig beteiligten Unternehmen abhängigen Unternehmens aus der Rechtsfolgenanordnung des § 19 Abs 3 (Windbichler § 19 Rdn 29 ff).161 b) Die Beherrschung durch mehrere Unternehmen wird vor allem für Gemein- 60 schaftsunternehmen erörtert, an denen die Trägerunternehmen paritätisch beteiligt sind, ohne dass einem das Übergewicht zukommt. In Anlehnung an das Steuerrecht (Mehrmütterorganschaft, inzwischen überholt, vgl Windbichler § 15 Rdn 48) hat sich der Begriff „Mehrmütterherrschaft“ eingebürgert. Auch bei Familiengesellschaften und ähnlichen Gruppen ist Abhängigkeit möglich, wenn die Unternehmen der Gruppe gemeinsam an einem anderen beteiligt sind und ihren Einfluss koordinieren.162 Im Einzelnen streitig sind die Anforderungen an die Koordination des beherrschenden Einflusses und die Einordnung der Koordinationsmittel in die aktienrechtlichen Definitionsnormen
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159 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 33; Geßler/Geßler Rdn 89, 97; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 12; MünchKomm/Bayer4 Rdn 87; – aA KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 102 aE: liegen Anteils- und Stimmenmehrheit bei verschiedenen Unternehmen, gelte Abs 2 nur gegenüber dem mit Stimmenmehrheit beteiligten. 160 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 18 aE; Hüffer/Koch11 Rdn 4, 13; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 183 f. 161 Daher greift der Einwand von KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 102 Fn 294 nicht; Definitionsnormen sind rechtsfolgenorientierte Konstrukte bzw Beweislastregeln, vgl Rdn 70; Windbichler FS Kirchner, 2014, S 441, 445. 162 HM, BGHZ 62, 193, 196 (Seitz); Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-Konzernrecht7 Rdn 30 f; Gansweid Gemeinsame Tochtergesellschaften im deutschen Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1976, S 127 f; Geßler/Geßler Rdn 70 ff; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 10; Hüffer/Koch11 Rdn 13, 15; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 84; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 53; MünchKomm/Bayer4 Rdn 78 ff; – in kartellrechtlichem Zusammenhang BGHZ 74, 359, 366 (WAZ); s auch Rdn 25, 54; – aA 4. Aufl Oetker Anh zu § 117 MitbestG § 5 Rdn 30; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 33; K Schmidt ZGR 1980, 277, 286; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 184 ff; 3. Aufl Würdinger Anm 11, der hier die Abhängigkeit aus der Sicht des herrschenden Unternehmens bestimmte. – Weitergehend zur Feststellung unmittelbarer Grundrechtsbindung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen BVerfGE 128, 226 Rdn 53 (Fraport): grundsätzlich Anknüpfung an §§ 16 f, Art 2 Abs 1 f RL 2004/109/EG (TransparenzRL), Koordinierung mehrerer öffentlicher Stellen als Anteilsinhaber sei zur Annahme von „Beherrschung“ durch den Staat jedoch nicht erforderlich; dagegen abw Votum Rdn 112 ff; dazu Kater Grundrechtsbindung und Grundrechtsfähigkeit gemischtwirtschaftlicher Aktiengesellschaften, 1. Kap IV. 4. B, 3. Kap. II. – IV. (demnächst); vgl auch § 53 HGrG.
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sowie die Frage, ob zu jedem der herrschenden Unternehmen jeweils ein Abhängigkeitsverhältnis besteht oder nur ein einziges Abhängigkeitsverhältnis zu den herrschenden Unternehmen in ihrer Verbundenheit (Rdn 66 f). c) In anderen Rechtsgebieten spielt die Beherrschung durch mehrere Unternehmen ebenfalls eine Rolle und hat teilweise zu Spezialregelungen geführt. Für die Verpflichtung zur Erstellung eines Konzernabschlusses führt § 290 Abs 2 HGB unwiderlegliche Beherrschungstatbestände auf, so dass ein Tochterverhältnis zu mehreren Muttergesellschaften nicht auszuschließen ist. Die doppelte Konsolidierungspflicht kann aber in solchen Fällen unter den Voraussetzungen des § 296 Abs 1 Nr 1, 3 HGB durchbrochen werden.163 Bei Gemeinschaftsunternehmen greift dann die Quotenkonsolidierung nach § 310 HGB. Aus IFRS 10.13 ergibt sich, dass nur ein Unternehmen beherrschend und damit konsolidierungspflichtig sein soll.164 Für gemeinsam beherrschte Unternehmen (joint control) enthält IFRS 11, ergänzt durch IFRS 12 zur Offenlegung, besondere Vorschriften, die nicht Konsolidierung, sondern at-equity-Bewertung vorschreiben, IFRS 11.28. Für die gemeinsame Beherrschung ist eine vertragliche Vereinbarung der herrschenden Unternehmen mit Einstimmigkeit Voraussetzung, IFRS 11.7. Im Unterschied zu § 17 verlangt die Rechnungslegung die Beurteilung aus der Perspektive des potenziell herrschenden Unternehmens (IFRS 11.8; oben Rdn 18). Ferner sind die Regelungen nach Intensitätsstufen und Rechtsfolgen geschichtet (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 60). Die Einordnung von Gemeinschaftsunternehmen als abhängig ist im Kartellrecht 62 intensiv diskutiert worden. Die gemeinsame Beherrschung als Zurechnungsgrundlage ist für Umsatzerlöse und Marktanteile sowie für den Zusammenschlussbegriff von Bedeutung. § 36 Abs 2 Satz 2 GWB (sog Mehrmütterklausel) fingiert die Beherrschung durch jedes der zusammenwirkenden Unternehmen. Die Anforderungen an die gemeinsame Beherrschung sind hier vom kartellrechtlichen Beherrschungsbegriff bestimmt, der nicht notwendig mit dem aktienrechtlichen übereinstimmt.165 Eine (gesellschafts-)rechtliche Absicherung des Einflusses ist nicht erforderlich. Eine paritätische Beteiligung allein genügt zwar nicht, kann aber Indizwirkung haben, wenn zB übereinstimmende Tätigkeitsgebiete einen Interessengleichlauf nahelegen.166 63 Die Unternehmensmitbestimmung stellt zwar auf den Konzerntatbestand ab, jedoch beschränkt auf den Unterordnungskonzern (§ 18 Abs 1). Insoweit sind Abhängigkeitsverhältnisse neben der einheitlichen Leitung von entscheidender Bedeutung (vgl Rdn 4 aE). Die Maßgeblichkeit gesellschaftsrechtlicher Kriterien ist hier jedoch umstritten (dazu näher Windbichler § 18 Rdn 72 ff). Auch im Arbeitsrecht, insbesondere der Betriebsverfassung, ist auf § 18 Abs 1 verwiesen. Damit stellen sich entsprechende Fragen. Für den Europäischen Betriebsrat gilt allerdings das control-Konzept (Rn 8). Die ein61
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163 Baumbach/Hopt/Merkt HGB36 § 296 Rdn 2; Küting/Mojadadr GmbHR 2011, 897, 902 f; Küting/Weber Der Konzernabschluss13 S 127, 130; MünchKomm-HGB/Pfaff3 § 296 Rdn 2; ausführlich zur mehrfachen Konzernzugehörigkeit Vesper-Gräske Verbriefungszweckgesellschaften in der Konzernbilanz, 2013, S 254 ff, 259 ff. 164 Vgl IASB Basis for Conclusions on IFRS 10 Consolidated Financial Statements and Amendments to Guidance, 2011, BC 68 aE, 85 ff; Heuser/Theile/Theile/Pawelzik, IFRS-Handbuch5 Rdn 5023; zur früheren Rechtslage nach IAS 27, IAS 28 und SIC-12 und den (Missbrauchs-)Vorschlägen aus der Praxis Windbichler FS Kirchner, 2014, S 441, 446 f. 165 Immenga/Mestmäcker/Thomas GWB5 § 36 Rdn 905; vgl auch Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 62. 166 BGHZ 74, 359, 366 (WAZ); BGHZ 99, 1 (Mischwerke); KG AG 1988, 306, 307 (W+i Verlag/Weiss Druck); Immenga/Mestmäcker/Thomas GWB5 § 36 Rdn 916 ff, kritisch zum weiten kartellrechtlich Begriff der gemeinsamen Beherrschung im Verhältnis zu § 17; K Schmidt ZGR 1980, 277, 287 f; Steindorff Wettbewerbliche Einheit und kartellrechtliche Vermutungen, 1982, S 42 ff.
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schlägige Richtlinie167 enthält in Art 3 Abs 7 eine Entscheidungsregel für den Fall, dass die in Abs 2 aufgeführten Vermutungen der Beherrschungsmöglichkeit zu mehreren Unternehmen erfüllt sind. Danach gilt vorrangig das Unternehmen als beherrschend, das mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des anderen Unternehmens bestellen kann. Im Übrigen ist auf die Widerlegung der Vermutungen verwiesen. Die Umsetzung in § 6 Abs 2 Satz 2 EBRG geht von einer festen Rangfolge zur Bestimmung des herrschenden Unternehmens aus. Damit lässt sich die Frage nach der Abhängigkeit und Zuordnung eines paritätischen Gemeinschaftsunternehmens aber nicht lösen.168 2. Koordinierung des Einflusses. Mehrere voneinander unabhängige Unterneh- 64 men können in Form einer BGB-Gesellschaft, über eine gemeinsame Einrichtung oder aufgrund von Absprachen hinsichtlich des Einflusses auf ein anderes zusammenwirken.169 Ein Koordinierungsorgan kann als Außengesellschaft (Holding) rechtlich verselbständigt sein (Rdn 54). Die Koordination kann sich auch auf das Innenverhältnis beschränken, indem sich mehrere Unternehmen durch Konsortialvertrag oder sonstige Abreden zu einem einheitlichen Handeln gegenüber einem anderen Unternehmen verpflichten und der so gebündelte Einfluss die Beherrschung ermöglicht, zB einer Mehrheitsbeteiligung entspricht.170 Die Anforderungen an den Vertrag sind dieselben, wie sie allgemein an Konsortial- uä Verträge als Beherrschungsmittel zu stellen sind (Rdn 51 ff). Noch weiter geht die Koordination, wenn die herrschenden Unternehmen in einem Gleichordnungskonzern (§ 18 Abs 2) unter einheitlicher Leitung zusammengefasst sind (vgl Windbichler § 18 Rdn 56). Darüber hinaus lässt es die Rechtsprechung genügen, wenn durch rechtliche und 65 tatsächliche Umstände sonstiger Art die Ausübung gemeinsamer Herrschaft auf eine „sichere Grundlage“ gestellt wird. Beispiel dafür ist der Fall, dass eine Gruppe von Gesellschaften mit überwiegend gleicher personeller Zusammensetzung mehr als die Hälfte der Anteile des anderen Unternehmens hält, da dann die Einflussnahme nicht von Fall zu Fall abgestimmt werden muss, sondern von vornherein durch Personenidentität (vgl Rdn 48) beständig gesichert ist.171 Ein Interessengleichlauf bei übereinstimmenden Tätigkeitsgebieten oder Beteiligung einer in Geschäftsverbindung stehenden Bank oder Versicherung reichen dagegen regelmäßig nicht aus.172 Die gemeinschaftliche Berufsausübung von Architekten in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts hingegen wurde als entscheidendes Indiz für die Koordinierung des Einflusses auf branchennahe Gesellschaften gewertet.173 Ein weiterer Anhaltspunkt für eine gemeinsame Beherrschung ist die Wahrscheinlichkeit, dass Konflikte nicht in der Gesellschafterversammlung, sondern zwischen den beteiligten Unternehmen, ggf in einem besonderen Verfahren, ausgetra-
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167 RL 2009/38/EG über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats. 168 Vgl den Sachverhalt in EuGH 29.3.2001 – Rs C-62/01, NZA 2001, 506 und BAG 30.3.2004 – 1 ABR 61/ 01, NZA 2004, 863 (bofrost). 169 Leitentscheidung: BGHZ 62, 193, 195 (Seitz); ferner BGH ZIP 1994, 1690 = NJW 1994, 3288; zum Koordinierungserfordernis Grigoleit Rdn 16 ff; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 46 ff. 170 Ganz hM, BGHZ 62, 193, 195 (Seitz); Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 23 f; Hoffmann-Becking ZGR 1994, 442, 444, 452; Hüffer/Koch11 Rdn 15; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 90 ff; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 93; Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 24; Gansweid S 63 ff, 64; Wiedemann Gemeinschaftsunternehmen S 86, 87; aA 3. Aufl Würdinger Anm 11, jedoch aus der Sicht der herrschenden Unternehmen; vgl auch oben Rdn 60. 171 BGHZ 62, 193, 199 ff (Seitz). 172 So aber möglicherweise im Kartellrecht, Rdn 62; vgl dagegen BGHZ 62, 193, 202 f (Seitz). 173 BGH ZIP 1994, 1690, 1692 = NJW 1994, 3288, 3290; zur Unternehmenseigenschaft Windbichler § 15 Rdn 48.
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gen werden.174 Aus dem hier maßgeblichen Blickwinkel des abhängigen Unternehmens (Rdn 18) kommt es darauf an, dass es dem im Ergebnis koordinierten Einfluss unterworfen ist und sich dem nicht entziehen kann.175 Das bloße Aufeinander-AngewiesenSein bei paritätischer Beteiligung genügt nicht (vgl Rdn 62).176 66
3. Einheitliche Abhängigkeit oder mehrere Abhängigkeitsverhältnisse? Aus dem hier maßgeblichen Blickwinkel des abhängigen Unternehmens (Rdn 18) handelt es sich um eine Abhängigkeit, nicht um mehrere. Nach verbreiteter Meinung begründet die gemeinsame Beherrschung ein Abhängigkeitsverhältnis zu jedem der gemeinsam herrschenden Unternehmen.177 Die eigentliche Frage ist aber, ob die an die Beherrschung geknüpften Rechtsfolgen jedes der herrschenden Unternehmen für sich, so zB § 36 Abs 2 Satz 2 GWB, oder nur alle gemeinsam treffen. Ist das Koordinierungsorgan als Außengesellschaft rechtlich verselbständigt (Rdn 54, 63), ist dieses herrschendes Unternehmen. Gegen die Unternehmenseigenschaft kann nicht eingewandt werden, das verselbständigte Koordinierungsorgan sei nur an einem Unternehmen beteiligt, denn die Mehrfachbeteiligung ist zwar eine hinreichende, aber keine notwendige Voraussetzung für die Unternehmenseigenschaft (Windbichler § 15 Rdn 32, 47 f). Das beantwortet die Frage aber nicht, sondern stellt sie erneut für das Koordinierungsorgan, das seinerseits von den Trägerunternehmen abhängig ist; das Gemeinschaftsunternehmen ist dann von den Trägern mittelbar abhängig.178 Ob jedes der Trägerunternehmen als herrschend zu behandeln ist oder nur alle gemeinsam, ist eine Frage der Fallgestaltung im Einzelnen und der Rechtsfolge, die mit der begrifflichen Einordnung allein nicht zu bewältigen ist. Soweit eine ausdrückliche Regelung wie in § 36 Abs 2 Satz 2 GWB fehlt, kommt es auf Sinn und Zweck der anzuwenden Norm an (vgl etwa Windbichler § 16 Rdn 30). Danach kann die Zurechnung des (teilweisen) Beherrschungspotenzials zum jeweils anderen Unternehmen veranlasst sein.179 Eine generelle Aussage darüber, dass bei Gemeinschaftsunternehmen Abhängigkeit vom Koordinationsorgan bestehe oder nicht bestehe, ist jedenfalls nicht veranlasst, sondern jeweils nach der Gestaltung des Einzelfalles zu prüfen (Rdn 54).
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174 Vgl BGH 7.11.2006 – KVR 39/05, ZIP 2007, 350 (Radio TON): Stichentscheid eines unabhängigen Dritten bei Meinungsverschiedenheiten; Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 24 aE; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 31; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 10; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 93 f, 206 ff; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 47. 175 Koppensteiner FS Ulmer, 2003, S 349, 358 f; Noack Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S 93 f. 176 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 31; Henssler/Strohn/MaierReimer2 Rdn 10; Hüffer/Koch11 Rdn 16; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 93; MünchKomm/Bayer4 Rdn 81 – aA ErfKom/Oetker15 § 5 MitbestG Rdn 11. 177 Baumann/Reiß ZGR 1989, 157, 202 f; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 32; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 11; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 87; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 17 (unter Berufung auf § 36 Abs 2 Satz 2 GWB); vgl auch BAG 13.10.2004 – 7 ABR 56/03, BAGE 112, 166; – die gelegentlich bestätigend herangezogene Entscheidung BGHZ 74, 359, 363 (WAZ) ist wegen der wettbewerbsrechtlichen Fragestellung (vgl Rdn 62) nicht ohne weiteres übertragbar; die Entscheidung BGHZ 99, 1 ist ebenfalls in kartellrechtlichem Zusammenhang ergangen; auch der Fall BGHZ 80, 69, 73 (Süssen) lag anders, da es dort um die Zurechnung der Beteiligung der Ehefrau ging, der keine Unternehmenseigenschaft zukam. 178 Grigoleit Rdn 16; MünchKomm/Bayer4 Rdn 83; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 49. 179 AA (pauschal sämtliche Rechtsfolgen für jedes der beherrschenden Unternehmen) Emmerich/ Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 32; zutr zur Rechtstechnik – Zurechnung – Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 11; – Anwendungsbeispiel: § 100 Abs 2 Nr 2, Wahrung des „Hierarchiegefälles“.
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Die Seitz-Entscheidung des BGH180 wird für beide Ansätze – einheitliche Abhängigkeit 67 von den mehreren herrschenden Unternehmen oder Abhängigkeitsverhältnis zu jedem einzelnen181 – in Anspruch genommen. Die Rolle einer GbR zur Koordinierung ist seither auch unter dem Gesichtspunkt der geänderten Rechtsprechung zu deren möglicher Verselbständigung untersucht worden, was aber zu keinen einschneidenden Unterschieden führt.182 Auch bei Koordinierung durch ein Organ anderer Rechtsform, zB einer GmbH, die sonst nichts anderes betreibt, sind Zurechnungen möglich.183 Wird die Koordinierungsgesellschaft von einem Gesellschafter mit Unternehmenseigenschaft kraft Stimmgewichts oder Gesellschaftsvertrags dominiert, ist dieser jedenfalls beherrschend, sei es mittelbar über das verselbständigte Koordinierungsorgan, sei es unmittelbar. Für eine mehrfache Abhängigkeit auch von den übrigen Gesellschaftern ist dann kein Raum.184 Auch auf die Unternehmenseigenschaft der übrigen Gesellschafter kommt es nicht an. Sind wechselnde Mehrheiten möglich oder verhindern andere Entscheidungsmechanismen die Dominanz eines Gesellschafters, können die Gesellschafter nur gemeinsam zu einem herrschenden Einfluss gelangen. Aus dem Abhängigkeitstatbestand sich ergebende Rechtsfolgen treffen daher nicht automatisch jedes der an einem herrschenden Koordinierungsorgan beteiligten Unternehmen, sondern zunächst das Koordinierungsorgan und die einzelnen Unternehmen nur, soweit das nach Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift erforderlich ist. Das Gleiche gilt bei lediglich interner Abstimmung; die Rechtsfolge muss bei Anwendung auf einzelne Mitglieder isoliert sinnhaft sein. Für die Konzernvermutung (§ 18 Abs 2) ist das zweifelhaft (näher dazu Windbichler § 18 Rdn 41 f). Anteile, die von dem gemeinsam beherrschten Unternehmen gehalten werden, können nicht zur Begründung einer Mehrheitsbeteiligung eines der einzelnen herrschenden Unternehmen an einem Dritten führen, da Zurechnung nach § 16 Abs 4 nicht stattfindet, vgl dort Rdn 30. Eine Haftung nach § 317 sollte alle Beteiligten als Gesamtschuldner treffen, die sich dann im Innenverhältnis auseinandersetzen mögen. Im Abhängigkeitsbericht sind jedenfalls die Beziehungen zu allen beteiligten Unternehmen aufzuführen. In der nach „Seitz“ ergangenen Architektenentscheidung185 ist von „Beherrschung durch jeden der beiden Beklagten“ die Rede, was insofern stimmig ist, als die Entscheidung aus der Zeit vor der Verselbständigung der GbR in „ARGE Weißes Roß“186 ergangen ist. Das Abstimmungserfordernis in Bezug auf die betroffene GmbH wurde benannt und als erfüllt belegt. Die Beherrschungsmöglichkeit bestand nicht für jeden der beiden separat, sondern nur für beide in ihrer Verbundenheit. Für das noch vom Ausgangspunkt des sog qualifizierten faktischen GmbH-Konzerns geprägte Ergebnis war die Unterscheidung irrelevant. Die gemeinsame Beherrschung eines anderen Unternehmens macht die Beherrschenden nicht notwendig untereinander zu verbundenen Unternehmen, es sei denn ein Tatbestand des § 15 ist erfüllt, zB der des Gleichordnungskonzerns, § 18 Abs 2.187
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180 BGHZ 62, 193, 196 f. 181 So etwa Baumann/Reiß ZGR 1989, 157, 202 f; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 11; K Schmidt FS Lutter, 2000, S 1167, 1184 f; – dagegen spricht das obiter als Beispiel angeführte Verbot des Erwerbs eigener Aktien, das möglicherweise bei der Beherrschung durch mehrere Unternehmen auf die Aktien aller dieser Unternehmen zu erstrecken sei, BGHZ 62, 193, 198 (Seitz); wäre das Gericht von Abhängigkeitsverhältnissen gegenüber jedem der beteiligten Unternehmen ausgegangen, hätte es dieser Erwägung nicht bedurft. 182 Koppensteiner FS Ulmer, 2003, S 349, 356 ff, 361 ff. 183 Windbichler Gesellschaftsrecht23 § 24 Rdn 32. 184 AA Koppensteiner FS Ulmer, 2003, S 349, 359 betr Koordinierung durch Innengesellschaft, 361 ff betr Außengesellschaft; wohl auch KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 87. 185 BGH NJW 1994, 3288; dazu K Schmidt ZIP 1994, 1741. 186 BGH 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 (ARGE Weißes Roß). 187 Zum konkreten Fall K Schmidt ZIP 1994, 1741, 1743 f.
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§ 17 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
V. Abhängigkeitsvermutung, Abs 2 Nach § 17 Abs 2 wird Abhängigkeit bei Mehrheitsbeteiligung, die nach § 16 festzustellen ist, widerleglich vermutet. Die Vermutung hat Leitbildfunktion für die Auslegung des Abs 1 (Rdn 11 ff). Sie greift sowohl bei Anteilsmehrheit als auch bei Stimmrechtsmehrheit ein. In der Fassung des RegE 1962 war die Vermutung noch unwiderleglich. Zur Begründung wurde angeführt, Abhängigkeit bestehe in diesen Fällen regelmäßig, es handele sich um einen besonders wichtigen Fall. Andererseits gebe es aber auch Gestaltungen, nach denen kraft Vereinbarung trotz Mehrheitsbeteiligung die Verwaltungsrechte nicht in vollem Umfang ausgeübt werden. Dem sollte durch die Widerleglichkeit der Vermutung Rechnung getragen werden.188 Im Falle des § 19 Abs 2 und 3 (wechselseitige Beteiligung) ist die Abhängigkeitsvermutung unwiderleglich (Windbichler § 19 Rdn 25 f, 31). Für die Auslegung des Abs 2, insbesondere die Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung, sind diese Sonderregelungen jedoch nicht von Bedeutung. Fallen Anteilsmehrheit und Stimmrechtsmehrheit auseinander (Windbichler § 16 Rdn 11, 34), wird nach der Gesetzeslage mehrfache Abhängigkeit vermutet (Rdn 59). Dass Abhängigkeit von mehreren, nicht koordinierten Unternehmen nicht möglich ist (Rdn 60), steht nicht entgegen,189 da Abs 2 eine Beweislastregel ist (Rdn 70, 87). Die Abhängigkeit ist regelmäßig auf eines der beteiligten Unternehmen konkretisierbar (Rdn 75), es bedarf jedoch des entsprechenden Vortrags zur Widerlegung der Vermutung. Die Anwendbarkeit der Vermutung auf Unternehmen in anderer Rechtsform als der 69 AG richtet sich danach, ob eine Mehrheitsbeteiligung dort möglich ist (Windbichler § 16 Rdn 11 ff, 45 ff). Das trifft für die GmbH zu.190 Bei Personengesellschaften muss ohnehin die gesellschaftsvertragliche Regelung im Einzelfall geprüft werden, so dass für eine Vermutung der Abhängigkeit kein Raum ist. Ob eine Beherrschungsmöglichkeit besteht, ist gemäß Abs 1 nach dem zu gewichtenden Einfluss festzustellen.191 Die Vermutung hat in erster Linie prozessuale Bedeutung. Wer sich darauf berufen 70 will, dass aus einer bestehenden Mehrheitsbeteiligung keine Abhängigkeit folgt, muss das darlegen und beweisen (Rdn 87). Je nach Fallgestaltung wird das oft, aber nicht notwendig, das (vermutlich) herrschende Unternehmen sein. In diesem Zusammenhang ist besonders darauf zu achten, dass der für die Abhängigkeit maßgebliche Blickwinkel derjenige des abhängigen Unternehmens ist (Rdn 18). Wird die Abhängigkeitsvermutung nicht widerlegt, greift die ihrerseits widerlegliche Vermutung des § 18 Abs 1 Satz 3, dass ein Konzern vorliegt.
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VI. Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung 71
1. Allgemeines. Die Anforderungen an die Widerlegung sind im Einzelnen umstritten. Entscheidend ist, dass der Nachweis erbracht wird, dass die mit der Mehrheitsbeteiligung typischerweise verbundene Einflussmöglichkeit nicht besteht. Dies ist die Möglichkeit, über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder die Besetzung des Vorstandes
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188 BegrRegE § 16 BT-Drucks IV/171 S 100; die Änderung zur widerleglichen Vermutung erfolgte entsprechend der Empfehlung des Rechtsausschusses, Bericht zu BT-Drucks IV/3296 S 3 f; Kropff S 28 ff. 189 AA KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 102 Fn 294; Definitionsnormen sind rechtsfolgenorientierte Konstrukte, Windbichler FS Kirchner, 2014, S 441, 445. 190 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 97. 191 IE ebenso Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 48; Haar Die Personengesellschft im Konzern, 2006, S 264 ff; Kleindiek Strukturvielfalt im Personengesellschafts-Konzern, 1991, S 5 ff mwN; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 97; MünchKomm-HGB/Mülbert3 KonzernR Rdn 60; Staub/ Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 26, auch 37 f; Ulmer Probleme des Konzernrechts, 1989, S 26, 34 f.
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Abhängige und herrschende Unternehmen | § 17
entscheidend zu beeinflussen. Es genügt daher nicht, wenn das herrschende Unternehmen auf Einflussnahme verzichtet, da die tatsächliche Ausübung der Herrschaftsmöglichkeit begrifflich nicht erforderlich ist (Rdn 19 f).192 Andererseits ist aber auch nicht erforderlich, dass fehlende Abhängigkeit nachgewiesen wird.193 Die Vermutung der Beherrschungsmöglichkeit kraft Mehrheitsbeteiligung ist dann widerlegt, Abhängigkeit kann gleichwohl aber aus anderen Gründen nach Abs 1 bestehen, die dann nach allgemeinen Regeln vorzutragen und ggf unter Beweis zu stellen sind. 2. Widerlegung im Einzelnen a) Mehrheitsbeteiligungen, die nur vorübergehend mit Veräußerungsabsicht ge- 72 halten werden, haben üblicherweise nicht den Zweck, unternehmerische Einflussnahme zu ermöglichen. Auf die bloße Absicht, einseitige Erklärungen oder auch das tatsächliche Verhalten kommt es für die Abhängigkeit aber nicht an (Rdn 11, 18). Die Möglichkeit der Beherrschung wird dadurch nicht beseitigt.194 Dass eine Konsolidierung im Konzernabschluss unterbleibt, weil die Anteile an der Tochtergesellschaft ausschließlich zum Zweck der Weiterveräußerung gehalten werden (§ 296 Abs 1 Nr 3 HGB), ist daher ohne Bedeutung für die Abhängigkeitsvermutung. Auch die bankbilanzrechtliche Behandlung als Handelsbestand (§§ 340e, 340j HGB) ist nicht entscheidend. Sie beruht zunächst auf Selbsteinschätzung der beteiligten Bank.195 Für die Wahrnehmung von Konsolidierungswahlrechten (§ 296 HGB) gilt das ohnehin, ebenso für die Zuordnung zum Anlage- bzw Umlaufvermögen bei Nichtbanken. Ist die Beteiligung tatsächlich nur kurzfristig gehalten und alsbald, zB ohne zwischenzeitliche Hauptversammlung, wieder abgestoßen worden, könnte für diesen zurückliegenden Zeitraum die Abhängigkeitsvermutung als widerlegt anzusehen sein. Da Abhängigkeit aber zu jedem Zeitpunkt feststellbar sein muss, scheidet eine ex-postBetrachtung aus (vgl Rdn 21). Das betrifft nicht Bankbeteiligungen, die aus der Funktion als Emissionsbank herrühren,196 bei noch offener Bezugsfrist, maximal ein Jahr, und solange Weisungen der Gesellschaft zur Begebung bestehen.197 Auch wertpapierhandelstechnisch bedingtes Durchgangseigentum (vgl § 23 Abs 2 WpHG; Windbichler § 16 Rdn 23) ist jederzeit konkret feststellbar. Bei börsennotierten Gesellschaften, deren Aktien sich im Handelsbestand von Finanzdienstleistern befinden, befreit § 23 Abs 1 WpHG unter bestimmten Voraussetzungen von der Einbeziehung in die kapitalmarktrechtlichen Meldepflicht; damit einher geht ein Ausübungsverbot für Stimmrechte aus solchen Aktien (§ 23 Abs 5 WpHG). Praktisch relevant wird ein solches Stimmverbot wegen der Obergrenze von 5% (§ 23 Abs 1 Nr 2 WpHG) für § 17 Abs 2 allerdings nur, wenn der Finanzdienstleister oder dessen Tochtergesellschaften einen hohen Aktienbestand im Anlagevermögen halten und der Handelsbe-
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192 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 40; Grigoleit Rdn 22; Hüffer/ Koch11 Rdn 19; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 101; MünchKomm/Bayer4 Rdn 93 f. 193 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 100; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 50; iE wohl auch Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 29; – aA 3. Aufl Würdinger Anm 16; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 39; Geßler/Geßler Rdn 99; Grigoleit Rdn 23 (mit schwachen Anforderungen an den „ergänzenden Negativbeweis“); Hüffer/Koch11 Rdn 19; MünchKomm/Bayer4 Rdn 95 f; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 53. 194 Geßler/Geßler Rdn 101; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 119; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 196 ff; – aA Rittner DB 1976, 1465, 1469. 195 Baumbach/Hopt/Merkt HGB36 § 340e Rdn 9; MünchKommBilR/Löw § 340e HGB Rdn 6 ff; Reifner JZ 1993, 273, 279 f; – der Neigung, Bewertungsunterschiede durch Umgliederung zu nutzen, schob der durch das BilMoG 2009 neugefasste § 340e Abs 3 HGB einen Riegel vor. 196 Vgl Art 27 Abs 2 Richtlinie 2013/36/EU (CRD IV): solche Aktien oder Anteile werden für den Höchstbetrag zulässiger qualifizierter Beteiligungen nicht mitgerechnet; § 1 Abs 9 Satz 3 KWG. 197 4. Aufl Wiedemann § 186, 94 ff, 209 aE; zur Beendigung der fremdnützigen Treuhand der Emissionsbank vgl BGHZ 118, 83 – BuM III.
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stand diesen zur Mehrheit aufstockt. 198 Wird die Befreiung von der Meldepflicht in Anspruch genommen, ist das daraus resultierende Stimmverbot zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung geeignet.199 Wollte der Inhaber das Stimmrecht aus solchen Aktien gleichwohl ausüben, müsste er sich für die Hauptversammlungspräsenz in Widerspruch zur Mitteilungslage nach WpHG setzen, damit Meldepflichten und ggf Sanktionen auslösen.200 § 20 Abs 2 WpÜG hat für die Nichtberücksichtigung von Stimmrechten aus Aktien im Handelsbestand die früher auch in § 23 WpHG verwendeten Anforderungen beibehalten, nämlich das Antragserfordernis und behördliche Kontrolle durch die BaFin. Auch hier dürfte das damit einhergehende Stimmverbot (§ 20 Abs 3 WpÜG) zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung taugen. Anwendungsfälle sind allerding nicht zu erwarten, da § 29 Abs 2 WpÜG die übernahmerechtliche Kontrolle bereits bei 30% der Anteile ansetzt. Einen Unterfall der vorübergehenden Beteiligung erfassen die Bankenklauseln in 73 der Zusammenschlusskontrolle (§ 37 Abs 3 GWB, Art 3 Abs 5a) EG-FusionskontrollVO).201 Maßgebliches Kriterium ist eine für die Außenwirkung am Markt möglicherweise relevante Einflussnahme. Es kommt neben der Zweckbestimmung durch das beteiligte Kreditinstitut auf die tatsächliche Stimmrechtsausübung und die Jahresfrist für die Veräußerung an. Bei beiden Klauseln reicht deren Inanspruchnahme zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung nicht aus.202 Sie hindert das beteiligte Unternehmen nicht, die Stimmrechte aus den Anteilen auszuüben. Die Einflussnahme bleibt rechtlich möglich und auch zulässig, ist aber mit Folgen im Zusammenschlusskontrollverfahren verbunden. Diese enthalten kein Stimmverbot. Die Bankenklauseln können bei der Gewichtung der Gesamtumstände zur Feststellung der Abhängigkeit nach Abs 1 oder der Widerlegung der Konzernvermutung nach § 18 Abs 1 Satz 3 Bedeutung erlangen. 74
b) Falls eine Anteils- oder Stimmrechtsmehrheit ohne den typischen Einfluss besteht, ermöglicht sie die Beherrschung nicht. Das ist der Fall, wenn die Kapitalmehrheit nicht das entsprechende Stimmgewicht vermittelt,203 zB überwiegend aus stimmrechtslosen Vorzugsaktien besteht, ohne dass das Aufleben des Stimmrechts wahrscheinlich ist, satzungsmäßigen Stimmrechtsbeschränkungen (Höchststimmrecht) unterliegt, erhöhten Mehrheitserfordernissen nicht genügt204 oder die Inhaberschaft bei der Gesell-
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198 Zum Streit um die Reichweite eines Stimmverbots nach § 23 Abs 5 WpHG und § 20 Abs 3 WpÜG Assmann/Pötzsch/Schneider/Seiler WpÜG2§ 20 Rdn 47 ff; FrankfKomm-WpÜG/Vogel3 § 20 Rdn 36 ff; Geibel/Süßmann WpÜG2 § 20 Rdn 11; Hirte FS Wiedemann, 2002, S 955, 263 ff; KK-WpÜG/Hirte2 § 20 Rdn 42 ff; Schwark/Zimmer/Noack/Holzborn KMRK4 § 20 WpÜG Rdn 14; Schwark/Zimmer/Schwark KMRK4 § 23 WpHG Rdn 24 f. 199 AA Hirte FS Wiedemann, 2002, S 955, 968 ff mit Rücksicht auf Unklarheiten im Wertpapierhandelsrecht, Einzelfallbetrachtung bleibe aber möglich; ihm folgend KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 119; § 23 WpHG ist seither geändert worden; ein Antrag an die BaFin und Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer sind nicht mehr erforderlich, dafür jedoch interne Sicherstellung, dass kein Einfluss ausgeübt wird. Angesichts der gestiegenen Anforderungen an die Binnenorganisation und compliance dürfte das belastbar sein. 200 Assmann/Schneider WpHG6 § 28 Rdn 29; KK-WpHG/Hirte2 § 23 Rdn 69. 201 Art 3 Abs 5 a) VO (EG) 139/2004: Ein Zusammenschluss wird nicht bewirkt, wenn Kreditinstitute, sonstige Finanzinstitute oder Versicherungsgesellschaften, deren normale Tätigkeit Geschäfte und den Handel mit Wertpapieren für eigene oder für fremde Rechnung einschließt, vorübergehend Anteile an einem Unternehmen zum Zwecke der Veräußerung erwerben, sofern sie die mit den Anteilen verbundenen Stimmrechte nicht ausüben, um das Wettbewerbsverhalten des Unternehmens zu bestimmen … 202 Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 44. 203 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 102; – zu den Auffassungen, die dazu noch den Negativbeweis des Fehlens anderer Beherrschungsmittel verlangen oben Rdn 71 m Fn. 204 Vgl etwa KG AG 1992, 159, 161 f – IKZ: Zustimmung der Gesellschafterversammlung ua zu allen außergewöhnlichen Geschäften mit einer Mehrheit von 76% bei Beteiligung eines Gesellschafters mit 24,8%; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 104.
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schaft nicht angemeldet ist. Dadurch wird Stimmrechtsmehrheit iSd § 16 verhindert (vgl Windbichler § 16 Rdn 21, 35). Bei Satzungsregelungen muss sich das Stimmverbot oder erhöhte Mehrheitserfordernis auf die Aufsichtsratswahl beziehen.205 Da die gesetzliche Vermutung von der Durchsetzungsmöglichkeit bei der Aufsichtsratsbesetzung ausgeht, genügt es zur Widerlegung der Vermutung, wenn diese verhindert wird. Besteht gleichwohl beherrschender Einfluss auf das Unternehmen im Ganzen (Rdn 17, vgl auch Rdn 52), ist der Nachweis der Abhängigkeit nach Abs 1 offen (Rdn 71 aE). Der Stimmverlust nach § 20 Abs 7 und § 21 Abs 4 sowie § 28 WpHG ist zur Widerlegung der Beherrschungsvermutung aufgrund Anteilsmehrheit nicht geeignet.206 Nach der Neuformulierung der §§ 20 und 21 (dazu Windbichler § 20 Rdn 71) bestehen die Stimmrechte nicht; der Anteilseigner kann sie aber jederzeit durch Erfüllung der Mitteilungspflicht herstellen, so dass damit die Möglichkeit des beherrschenden Einflusses aus Anteilsmehrheit gegeben ist. Ein behördliches Verbot, Stimmrechte auszuüben,207 ist dagegen zu berücksichtigen. In anderen Gesellschaftsformen, insbesondere der GmbH, ist auf die satzungsmäßige Kompetenzverteilung besonders zu achten und diese mit der aktienrechtlichen Ausgangssituation zu vergleichen.208 Fallen Anteilsmehrheit und Stimmenmehrheit auseinander, besteht zunächst die 75 Vermutung mehrfacher Abhängigkeit (Rdn 59). Die Vermutungen heben sich nicht etwa gegenseitig auf, die Widerlegung muss vielmehr im Einzelfall geltend gemacht werden. Das ist unproblematisch, wenn die Beteiligungsform der Anteilsmehrheit ohne entsprechende Stimmrechte eine Beherrschung nicht ermöglicht.209 Wegen der im Einzelfall unterschiedlichen Beweissituation (Rdn 68, 87) ist damit die gesetzliche Vermutung nicht unterlaufen.210 c) Verträge in Form von Stimmbindungsverträgen oder sogenannten Entherr- 76 schungsverträgen mit der Gesellschaft selbst werden überwiegend, jedoch mit unterschiedlichen Anforderungen, zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung akzeptiert. Hier ist im Einzelnen zu differenzieren, vor allem zwischen Verträgen mit der Gesellschaft selbst und solchen mit anderen Gesellschaftern oder Dritten. Letztere sind etwa bei mehrstufigen Verflechtungen denkbar.211 Ferner ist zwischen der Wirksamkeit der Vereinbarung und der Eignung zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung zu unterscheiden. Bei Stimmbindungen aufgrund Pfandrechts oder Nießbrauchs sind Einordnung und Ausgestaltung dieser Rechte zu gewichten (vgl Rdn 55, Windbichler § 16 Rdn 42). aa) Die Anerkennung von „Entherrschungsverträgen“ entspricht der Entste- 77 hungsgeschichte des Gesetzes,212 soweit es sich um Stimmbindungsverträge, also Ab-
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205 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 36; Geßler/Geßler Rdn 104; Hüffer/Koch11 Rdn 21; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 104; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 54 f. 206 Anders noch Voraufl; wie hier KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 106; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 57; – ausgeschlossen ist allerdings die Stimmrechtsmehrheit als Vermutungsbasis, Windbichler § 16 Rdn 35. 207 § 2 c Abs 2 KWG; § 41 Abs 4 Nr 2 GWB; vgl auch Art 8 Abs 4 ff VO (EG) 139/2004 (EGFusionskontrollkontroll-VO). 208 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 124 f. 209 IE ebenso KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 102, der aber bei Auseinanderfallen von Anteils- und Stimmrechtsmehrheit, der Anteilsmehrheit keine Vermutungswirkung zubilligt; dagegen oben Rdn 59. 210 So aber 3. Aufl Würdinger Anm 16. 211 Zu denkbaren Vertragsparteien und mehrgliedrigen Entherrschungsverträgen K Schmidt FS Hommelhoff, 2012, S 985, 993. 212 Ausschussbericht bei Kropff AktG S 29; dazu Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 83; Hüttemann ZHR 156 (1992) 314, 317 f mwN.
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sprachen über die Stimmrechtsausübung mit anderen Gesellschaftern oder Dritten handelt. Solche Verträge müssen die typische Funktion der Mehrheitsmacht, nämlich sich bei Aufsichtsratswahlen durchsetzen zu können, verhindern. An der Eignung, die Abhängigkeitsvermutung zu widerlegen, könnte man zweifeln, da ein Verstoß gegen die Abrede die Wahl nicht anfechtbar macht.213 Die außergesellschaftsrechtliche Durchsetzbarkeit von Stimmbindungsverträgen über § 894 ZPO ist jedoch allgemein anerkannt und reicht aus.214 Die inhaltlichen Anforderungen sind im Einzelnen streitig. Der Mehrheitsgesellschafter muss sich mindestens verpflichten, sein Stimmrecht insoweit nicht auszuüben, als es die Mehrheit darstellt.215 Der Vertrag muss, mit Rücksicht auf die Amtszeiten von Aufsichtsrat und Vorstand und anstehende Neubestellungen, längerfristig unter Ausschluss der ordentlichen Kündigung geschlossen sein.216 Darüber hinausgehende Anforderungen, etwa der Ausschluss der Wahrnehmung einer Hauptversammlungsmehrheit,217 bestimmte Relationen zum nächstgrößten Aktionär218 oder Erfassung anderer Beschlussgegenstände als der Aufsichtsratswahl,219 sind zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung nicht erforderlich, aber bedeutsam für die positive Feststellung der Abhängigkeit nach § 17 Abs 1, die nach Widerlegung der Vermutung immer noch möglich bleibt. Soweit vor Abschluss der Abstimmungsvereinbarung beherrschender Einfluss durch entsprechende Besetzung des Aufsichtsrates bzw der Geschäftsführung ausgeübt worden ist, bleibt die Abhängigkeit bestehen, solange mindestens eine Mehrheit dieser Personen noch aufgrund dieser Bestellung im Amt ist220 und die ursprüngliche Einflussmöglichkeit des Mehrheitsaktionärs nicht durch eine andere ersetzt worden ist.221 78 Eine andere, weiterreichende Art der Stimmrechtsvereinbarung sind Treuhandverhältnisse, in denen der Treuhänder sich an die Vorgaben des Treugebers halten muss (vgl Windbichler § 16 Rdn 23, 27). Nach Koppensteiner222 sind solche Verträge nicht zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung geeignet, die eine Zurechnung der Anteile nach § 16 Abs 4 begründen, da die Zurechnung die Abhängigkeitsvermutung gerade auslösen solle, auch ggf eine mehrfache Abhängigkeit. Die Abhängigkeit vom Treugeber wird in der Tat auf diese Weise vermutet. Treuhandverhältnisse und Stimmbindungsverträge im hier behandelten Sinn können erhebliche Schnittmengen aufweisen, sind aber
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213 3. Aufl Barz § 134 Anm 41; vgl Rdn 51 ff, auch Windbichler § 16 Rdn 38 mwN. 214 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 38; Geßler/Geßler Anm 107; Grigoleit Rdn 25; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 14; Hüffer/Koch11 Rdn 22; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 107; MünchKomm/Bayer4 Rdn 99, 105; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 56; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 52. – Nicht erforderlich ist, dass, wie der BGH in zwei sehr umstrittenen Entscheidungen für den Sonderfall der Vereinbarung sämtlicher Gesellschafter angenommen hat, eine Verletzung des Vertrags die Beschlussanfechtung ermöglicht, BGH NJW 1983, 1910; BGH NJW 1987, 1890. – Vgl aber Ausschussbericht bei Kropff AktG S 29: Vorhandensein solcher Verträge allein genüge nicht, es komme auf das Gesamtbild an. 215 Barz FS Bärmann, 1975, S 185, 192 f; Geßler/Geßler Rdn 98, 106; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 107; nach Beschlussgegenständen differenzierend Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 81 mwN. 216 LG Köln AG 1992, 238 (Winterthur/Nordstern): fünf Jahre; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktienund GmbH-KonzernR7 Rdn 43; Geßler/Geßler Rdn 105, 108; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 111 (fünf Jahre); MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 62. – Die außerordentliche Kündbarkeit als allgemeiner Rechtsgrundsatz kann bei Dauerrechtsverhältnissen nicht ausgeschlossen werden. 217 Dafür LG Köln AG 1992, 238 (Winterthur/Nordstern); LG Mainz AG 1991, 30 (Massa AG); Hüttemann ZHR 156 (1992) 314, 315 mit Fn 2; dagegen KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 111. 218 Götz Der Entherrschungsvertrag im Aktienrecht, 1991, S 54; Meilicke/Meilicke BB 1978, 406, 407. 219 Barz FS Bärmann, 1975, S 185, 189; Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 81. 220 Vgl Rdn 46 ff; Geßler/Geßler Rdn 100; vgl auch KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 111 betr Beendigung der Widerlegungswirkung. 221 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 118. 222 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 108.
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nicht notwendig identisch. Ist der Treuhänder nur allgemein zur Interessenwahrung verpflichtet, genügt das zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung nicht; die Abhängigkeit ist aber dann auf den Treugeber konzentriert, wenn dieser mit den nach den Grundsätzen für Stimmbindungsverträge durchsetzbare Weisungen erteilt.223 Dem Treuhänder und formalen Inhaber der Beteiligung können insofern nicht strengere Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung auferlegt werden als sonst bei Stimmrechtsvereinbarungen. Die Rechtsfolgen des eigenständigen Tatbestands der Unternehmensverbindung nach § 16 bleiben davon unberührt (Windbichler § 16 Rdn 4). Wird die Abhängigkeitsvermutung nicht widerlegt, verbleibt in aller Regel mittelbare oder koordinierte Abhängigkeit (Rdn 57 ff, 85). Die Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung unter Berufung auf Stimmrechtsver- 79 einbarungen kann im konkreten Fall zum Nachweis einer anders gearteten als der vermuteten Abhängigkeit führen, zB von mehreren Unternehmen gemeinsam (Rdn 61 ff), von einem Minderheitsgesellschafter (Rdn 23 ff) oder von einem Dritten (Rdn 55). Soll die Abhängigkeitsvermutung durch Nachweis anderweitiger Abhängigkeit widerlegt werden,224 handelt es sich um denselben Vorgang aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Nicht zur Widerlegung geeignet sind mittelbare Abhängigkeitsverhältnisse als solche (Rdn 57 f, 85).225 bb) Auch Entherrschungsverträge mit der Gesellschaft selbst sind nach über- 80 wiegender Ansicht möglich.226 Praktischer Grund für solche Verträge mag sein, dass sich im Kreis der übrigen Gesellschafter kein geeigneter Partner für einen Stimmverzichtsvertrag findet oder eine (zB bilanzrechtlich relevante) Veräußerungsabsicht untermauert werden soll. Ein vertraglicher Verzicht auf das Stimmrecht gegenüber der Gesellschaft selbst ist aber ein zweifelhaftes Konstrukt.227 Im Aktienrecht könnten der Rechtsgedanke des § 136 Abs 2 entgegenstehen228 oder stimmrechtslose Aktien bzw Höchststimmrechte entgegen § 134 Abs 1 Satz 5 geschaffen229 werden. Enthält der Vertrag lediglich die Verpflichtung, bei Aufsichtsratswahlen nicht mitzustimmen, ist § 136 Abs 2 nicht berührt, da die Nichtausübung des Stimmrechts mit einer positiven Abstimmung im Sinne der Verwaltung nicht vergleichbar ist.230 Ein Verstoß gegen § 134 Abs 1 Satz 5 liegt nicht vor, da
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223 Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 51; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 209 f. 224 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 118; M Weber Vormitgliedschaftliche Treupflichten, 1999, S 259 ff für den Fall der Abhängigkeit von einem Anteilserwerber vor Vollzug des Erwerbs; Krieger FS Semler, 1993, S 503, 511 ff; Lutter FS Steindorff, 1990, S 125, 134. 225 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 111, 118, der hierunter auch die Treuhandverhältnisse iSd § 16 Abs 4 fasst. 226 Hentzen ZHR 157 (1993) 65, 73; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 109; MünchKomm/Bayer4 Rdn 99; MünchHdbAktG/Krieger4 § 69, 62; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 59 Rdn 28; K Schmidt FS Hommelhoff, 2012, S 985, 994 ff; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 60; – die für die Zulässigkeit zitierte Rspr setzt sich mit den nachfolgend erörterten Einwänden nicht auseinander: LG Mainz AG 1991, 30, 32 (Massa AG); OLG Köln AG 1993, 86, 87 (Winterthur/Nordstern); BayObLG 24.3.1998 – 3Z BR 236/96, NZG 1998, 509 (betr nur Widerlegung der Konzernvermutung); OLG Düsseldorf 30.10.2006 – I-26 W 14/06 AktE, NZG 2007, 707, 708; OLG Düsseldorf 4.7.3013 – I-26 W 13/08 – AktE, ZIP 2014, 517 (dort nur Feststellung, dass kein Entherrschungsvertrag vorlag). 227 Ablehnend Geßler/Geßler Rdn 106; mit anderer Begründung einschränkend Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 83 ff; Hüttemann ZHR 156 (1992) 314, 324 ff; Otto AG 1991, 369, 376; Timm ZIP 1993, 114, 115 zu OLG Köln ZIP 1993, 110 (Winterthur/Nordstern). 228 Vgl Mestmäcker Medienkonzentration und Meinungsvielfalt, 1978, S 64; Otto AG 1991, 369, 376 f. 229 Vgl – iE abl – Hüttemann ZHR 156 (1992) 314, 319 ff; ebenso Jäger DStR 1995, 1113, 1114: nur schuldrechtliche Verpflichtung. 230 IE ebenso Geßler/Geßler Rdn 106 aE; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 109; Barz FS Bärmann,1975, S 185, 195 f.
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es sich nicht um eine Satzungsbestimmung handelt.231 Abgesehen von diesen speziellen Vorschriften bestehen aber Bedenken aus der körperschaftlichen Verfassung und gesetzlichen Kompetenzverteilung der Organe der abhängigen Gesellschaft.232 Grundsätzlich ist die aktienrechtliche „Gewaltenteilung“ nicht verhandelbar, auf Satzungsebene nur im Rahmen des § 23 Abs 5. Die AG kann sich ihre Aktionäre nicht aussuchen (Rdn 18); sie hat sie unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln (§ 53a). Im Übernahmerecht entspricht dem die Neutralitätspflicht des Vorstands, die allerdings vielfach durchbrochen ist. Unter corporate governance-Aspekten sind (Groß-)Aktionäre ein wichtiger Kontrollfaktor; die mitgliedschaftlichen Kontrollrechte dürften durch den Verzicht auf die Entscheidung der Aufsichtsratswahl jedoch nicht betroffen sein. Bedenklich ist aber die Kräfteverschiebung, indem der Vorstand mittelbar auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrates, also sein Bestellungsorgan, Einfluss nimmt. Dass die AG von dem Partner des Entherrschungsvertrages abhängig ist, steht insofern nicht entgegen, als es sich um Verträge zwischen rechtlich selbständigen Unternehmen handelt (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 26). Die Diskussion über mögliche Motive oder mangelnde Ernsthaftigkeit233 gehört auf die Ebene der Darlegungs- und Beweislast, falls der Einwand des Scheingeschäfts (§ 117 BGB) erhoben wird.234 Dass der Vertrag für die beherrschte Gesellschaft „nur vorteilhaft“ sei,235 ist weder sicher noch geeignet, die kompetenzrechtlichen Probleme auszuräumen. Ein Teil der Literatur begegnet den körperschaftsrechtlichen Bedenken durch die 81 Einordnung als Unternehmensvertrag (satzungsüberlagernder Organisationsvertrag) quasi spiegelbildlich zum Beherrschungsvertrag; dabei dominiert die Perspektive der Obergesellschaft.236 Es werde statt der Geschäftsleitungsbefugnis durch den Vorstand unter eigener Verantwortung der mitgliedschaftlich vermittelte Einfluss als Gesellschafter verändert.237 Dagegen spricht, dass nur eine bestimmte Stimmrechtsausübung (Aufsichtsratswahl) betroffen sein soll, nicht das Stimmrecht an sich, und die Satzungsebene solche Besonderheiten gerade nicht vorsieht (vgl §§ 134 Abs 1 Satz 2 und 5, 139, 23 Abs 5). Ferner unterliegen strukturändernde Unternehmensverträge nach herrschender Ansicht einem numerus clausus.238 Als Gegenstück zum Beherrschungsvertrag (§ 293 analog) bedürfte der Entherrschungsvertrag der Zustimmung der Hauptversammlung der beherrschten Gesellschaft mit satzungsändernder Mehrheit, Außenwirkung des Beschlusses sowie Handelsregistereintragung; auf Seiten des herrschenden Unternehmens in Form einer AG oder KGaA müsste ebenfalls die Hauptversammlung mit satzungsändern-
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231 Hüttemann ZHR 156 (1992) 314, 321; iE auch KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 109. 232 Hüttemann ZHR 156 (1992) 314, 324 ff; auch Otto AG 1991, 369, 376: § 23 Abs 5 stehe einer vertraglichen Verschiebung der Kompetenzordnung entgegen; für die Obergesellschaft Hommelhoff Die Konzernleitungspflicht, 1982, S 94 ff, aus dem Blickwinkel, ob diese sich ihrer Beherrschungsmöglichkeit begeben darf; dazu K Schmidt FS Hommelhoff, 2012, S 985, 988 ff. 233 Barz FS Bärmann, 1975, S 185, 196; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 43: „erkennbares und nachvollziehbares wirtschaftliches Motiv“; Möhring FS H Westermann, 1974, S 427, 434; MünchKomm/Bayer4 Rdn 112: „strenge Anforderungen an die Ernsthaftigkeit“; auch Geßler/ Geßler Rdn 106 betr Stimmbindungsverträge. 234 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 112; MünchHdbAktG/Krieger4 § 69 Rdn 62; K Schmidt FS Hommelhoff, 2012, S 985, 997 f; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 52. 235 So KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 114. 236 Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 94; dazu K Schmidt FS Hommelhoff, 2012, S 985, 988 f; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 59 Rdn 29. 237 Parallele zu Unternehmensverträgen: Möhring FS H Westermann, 1974, S 427, 432 ff; zustimmend H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 175 ff; s auch Rdn 82. 238 3. Aufl Würdinger § 291 Anm 1; 4. Aufl Mülbert Vor §§ 291 ff Rdn 7 f; Geßler/Geßler § 291 Rdn 72; KK/ Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 162 f; Diskussionsschwerpunkt ist dabei jedoch die Analogiemöglichkeit für die §§ 291 ff, nicht die Zulässigkeit von Eingriffen in das aktienrechtliche Strukturmodell.
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der Mehrheit zustimmen. Eine solche weitgehende Analogie wird aber nicht ernsthaft vertreten.239 Eine organisationsrechtliche Bedeutung bei der Obergesellschaft setzt ein Vorverständnis von Konzernleitungspflicht voraus, das es in dieser Allgemeinheit nicht gibt;240 ohne quantitatives Element und Rücksicht auf die jeweilige Rechtsform wird man die Bedeutung für das herrschende Unternehmen nicht ermessen können. Als Unternehmensvertrag ist der Entherrschungsvertrag ein weder in der Begründung noch in den Rechtsfolgen überzeugendes Mischprodukt der Kautelarjurisprudenz, das die Bezeichnung als Rechtsfortbildung wohl nicht verdient.241 Nimmt man schuldrechtliche Wirkung (vgl Rdn 37 f) an, sind bei vertragswidrig aus- 82 geübtem Stimmrecht die abgegebenen Stimmen wirksam, der Beschluss ist nicht anfechtbar.242 Auch bei anderen Gesellschaftsformen als der AG kann die Wirkung nicht das rechtsformspezifische bzw satzungsmäßige Mitverwaltungsrecht selbst erfassen, vgl § 137 Satz 1 BGB. Die Stimmrechte stehen daher dem Beteiligten weiter zu.243 Teilweise wird angenommen, weil die Gesellschaft selbst Vertragspartner sei, sei eine abredewidrige Stimmabgabe unbeachtlich.244 Dann müsste der Versammlungsleiter (in Vertretung der Gesellschaft?) ein entsprechendes Beschlussergebnis feststellen. Das Szenario erscheint wenig lebensnah; ferner griffe eine solche „Selbsthilfe“ doch in das körperschaftliche Gefüge ein und löste die in Rdn 81 ausgeführten Einwände aus. Eine ggf schwierige Durchsetzung ändert nichts an der Wirksamkeit eines Vertrages. Die Eignung zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung setzt jedenfalls Vertragstreue voraus, die bei Zuwiderhandeln entfällt. Geht man nach allem von schuldrechtlichen „Entherrschungsverträgen“ mit der Ge- 83 sellschaft selbst aus, ist nach Abschlussanforderungen zu fragen. Im Allgemeinen wird Schriftform verlangt.245 Schon aus Beweisgründen wird sich die Frage eines mündlichen, gar konkludenten Entherrschungsvertrages nicht stellen.246 Da der sogenannte Entherrschungsvertrag als bequemer Weg zum Ausschluss der Abhängigkeitsfolgen erscheint, mögen Zweifel an der Ernsthaftigkeit und tatsächlichen Einhaltung bestehen. Scheinverträge sind nach § 117 Abs 1 BGB nichtig; wer sich auf die Nichtigkeit beruft, muss bewei-
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239 Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 96 ff (weitgehende Analogie nur für herrschende Gesellschaft); KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 114 f: Satzungsklausel in der herrschenden Gesellschaft erforderlich, aber keine Außenwirkung und keine Analogie zu §§ 293 f; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 59 Rdn 29: Klausel in der Satzung der herrschenden Gesellschaft oder Satzungsänderung mit Außenwirkung; K Schmidt FS Hommelhoff, 2012, S 985, 995 f; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 64: Geschäftsführungsmaßnahme, aber Satzungsklausel erforderlich. 240 Kort § 76 Rdn 177 f mwN. 241 Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 59 Rdn 29: „problematische Rechtsfortbildung“. 242 Happ ZGR 1984, 168 (mit Einschränkung S 175 ff); Götz Der Entherrschungsvertrag im Aktienrecht, 1991, S 66 ff; Hüttemann ZHR 156 (1992) 314, 320 f, 326: der Vorstand müsste notfalls mit dem Instrument der Erfüllungsklage den Großaktionär zu Stimmrechtsverzicht bewegen; Jäger DStR 1995, 1113, 1115 hält den Vorstand dazu nach § 93 Abs 1 für verpflichtet; Timm ZIP 1993, 114, 115; vgl auch Windbichler § 16 Rdn 38 mwN; – aA Barz FS Bärmann, 1975, S 185, 197 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 113; wohl auch Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 63. 243 Vgl Geßler/Geßler Rdn 106, § 16 Rdn 40; wohl auch Jäger DStR 1995, 1113, 1114; MünchKommBilR/ Senger/Hoehne § 296 HGB Rdn 24. 244 Barz FS Bärmann, 1975, S 185, 197 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 113: Unbeachtlichkeit vertragswidriger Erklärungen inter partes, jedenfalls Rechtsmissbrauch; wohl auch Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 63: spricht viel dafür; – dagegen Hüttemann ZHR 156 (1992) 314, 326; MünchKomm/Bayer4 Rdn 105: höchst fraglich. 245 Barz FS Bärmann, 1975, 200 f; Hüffer/Koch11 Rdn 22; Möhring FS H Westermann, 1974, S 436; MünchKomm/Bayer4 Rdn 106; Rittner AcP 183 (1983) 303; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 62; Schmidt/ Lutter/J Vetter3 Rdn 64; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 29. 246 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 116.
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sen, dass die Erklärungen nur zum Schein abgegeben sind. Dagegen brauchen die Vertragspartner keine besondere Motivation, Sinnhaftigkeit oder Plausibilität ihrer Vereinbarung vorzubringen (Rdn 80).247 In solchen Fällen dürfte es aber der einfachere Weg sein, nicht die Widerlegung der Vermutung durch Vertrag zu bestreiten, sondern aufgrund anderer Indizien Abhängigkeit nach Abs 1 darzulegen.248 84
cc) Wettbewerbs- und Beteiligungsverbote, insbesondere bei GmbH, taugen zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung ebensowenig wie ihr Fehlen zur Begründung von Abhängigkeit (Rdn 32) und sind allenfalls in Verbindung mit anderen Aspekten von Belang. Da Abhängigkeit nur von einem Unternehmen möglich ist (Rdn 3), könnte ein gesellschaftsvertragliches Verbot anderweitiger unternehmerischer Tätigkeit oder Beteiligung bereits die Entstehung der Unternehmenseigenschaft des Mehrheitsgesellschafters verhindern, so dass sich die Frage der Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung gar nicht erst stellt.249 Derart weitgehende Klauseln dürften jedoch selten sein und die Grenzen der Freistellung vom Kartellverbot iSd sog Immanenztheorie überschreiten.250 Da für die Unternehmenseigenschaft iSd §§ 15 ff grundsätzlich weder Branchennähe noch eine besondere unternehmerische Aktivität als Gesellschafter erforderlich ist (Windbichler § 15 Rdn 22 ff, 31 ff), hindert ein gesellschaftsvertragliches Verbot anderweitiger „unternehmerischer“ Betätigung die Unternehmenseigenschaft nicht. Auch die Beherrschungsmöglichkeit bleibt erhalten, selbst wenn sie im Einzelfall so gut wie kein Gefährdungspotenzial enthält, weil der Mehrheitsgesellschafter nur reine Anlagebeteiligungen hält und kein aktueller Interessenkonflikt droht. Abhängigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie im Einzelfall ungefährlich ist. Wettbewerbsverboten kann eher eine Schutzfunktion bei bestehender Abhängigkeit zukommen.251
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d) Der Einfluss der Unternehmensmitbestimmung nach dem MitbestG 1976 ist nach ganz überwiegender Meinung nicht geeignet, die Abhängigkeitsvermutung zu widerlegen.252 Eine möglicherweise andere Sicht wird im Rahmen von weiteren Beschränkungen der Wahlfreiheit der Anteilseigner diskutiert. Das BilMoG 2009 verlangte für kapitalmarktorientierte Gesellschaften in § 100 Abs 5 mindestens ein „unabhängiges“ und bilanzkundiges Aufsichtsratsmitglied.253 Der Begriff der Unabhängigkeit wurde teilweise in Anlehnung an die Empfehlung der EU-Kommission betreffend nicht geschäftsführende Direktoren/Aufsichtsratsmitglieder börsennotierter Gesellschaften auch als Unabhängigkeit von einem Großaktionär verstanden;254 damit wäre die Beherrschungsmög-
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247 So zutreffend KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 112 ua gegen Barz FS Bärmann, 1975, S 185, 196; Möhring FS H Westermann, 1974, S 427, 434; Geßler/Geßler Rdn 106 betr Stimmbindungsverträge. 248 Vgl die Beispiele bei Richter AG 1982, 261, 265 f. 249 Zur Präventivfunktion des Wettbewerbsverbots nach § 112 HGB Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 40. 250 Baumbach/Hopt/Roth HGB36 § 112 Rdn 15 f mwN. 251 Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 228 ff; Immenga JZ 1984, 578, 579. 252 Ulmer/Habersack/Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 5 MitbestG Rdn 19; Hüffer/Koch11 Rdn 11; MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 64; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 121; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 3 Rdn 45; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 7; Wlotzke/Wissmann/Koberski/Kleinsorge/Koberski MitbestR4 § 5 MitbestG Rdn 28; – aA H Werner ZGR 1976, 447, 455, 465 ff. 253 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts vom 25.5.2009; damit wurden die Anforderungen der neugefassten AbschlussprüferRL 2006/43/EG umgesetzt, die mindestens einen unabhängigen Finanzexperten im Aufsichtsrat bzw Prüfungsausschuss verlangt. 254 Nr 13.1 der Empfehlung der Kommission vom 15.2.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern/börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats 2005/162/EG; überholt insoweit durch Art 39 Abs 1
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lichkeit durch Mehrheitsbeteiligung in Frage gestellt.255 Das Merkmal „unabhängig“ ist im Rahmen der Reform der Abschlussprüfung von Unternehmen in öffentlichem Interesse entfallen, statt dessen wird Vertrautheit der Aufsichtsratsmitglieder in ihrer Gesamtheit mit der Branche, in der die Gesellschaft tätig ist, verlangt.256 Die Frage kann daher dahingestellt bleiben. Die Anforderung an die persönliche Eignung schränkt Auswahlmöglichkeiten des mehrheitlich beteiligten Unternehmens per se nicht wesentlich ein. Etwas anderes kann gelten, wenn nach § 96 Abs 2 Satz 6 die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds der Anteilseignerseite wegen Nichterfüllung der Geschlechterquote nichtig ist; eine gerichtliche Ersatzbestellung wie in § 18a Abs 2 Satz 2 MitbestG ist nicht vorgesehen („leerer Stuhl“). Die Vorschrift ist umstritten;257 ihre Haltbarkeit und Auswirkungen sind abzuwarten. Für die Montanmitbestimmung ist streitig, ob mit der Aufsichtsratsbesetzung unterhalb der Parität die Abhängigkeitsvermutung widerlegt werden kann. Ein Übergewicht der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat besteht nur, wenn das Wahlverfahren für das weitere Mitglied („neutraler Mann“) nach Ausschöpfung aller Vermittlungsmöglichkeiten der Hauptversammlung die Entscheidung überlässt (§ 8 Abs 3 Satz 7 MontanMitbestG). Im Normalfall ist daher die Personalkompetenz des Mehrheitsaktionärs eingeschränkt. In den seltenen Fällen der Hauptversammlungskompetenz in Geschäftsführungsfragen (§ 119 Abs 2) kann sich der Mehrheitsaktionär durchsetzen, bei § 111 Abs 4 Satz 3, 4 ist allerdings Dreiviertelmehrheit erforderlich. Im Ergebnis wird man daher die Vermutung als widerlegt ansehen – parallel zu den Anforderungen an Entherrschungsverträge (Rdn 77) – und die Abhängigkeit gegebenenfalls über Abs 1 begründen müssen.258 e) Die Vermutung greift auch bei Mehrheitsbeteiligung kraft Zurechnung von Antei- 86 len, die einem abhängigen Unternehmen gehören (Windbichler § 16 Abs 4), die zu mehrstufiger Abhängigkeit führt (Rdn 57). Da die unmittelbare Beherrschung nicht durch die mittelbare absorbiert wird,259 ist der Hinweis auf die Abhängigkeit jeweils anderer Stufe zur Widerlegung der Vermutung nicht geeignet. Wird nach den oben ausgeführten Merkmalen die Vermutung der Abhängigkeit von dem unmittelbar beteiligten Unternehmen widerlegt (und auch nicht gesondert nach Abs 1 Abhängigkeit festgestellt), entfällt auch die mittelbare Abhängigkeit. Wird die Abhängigkeitsvermutung hinsichtlich der Beziehung des unmittelbar beteiligten Unternehmens zu dem dieses beherrschenden
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Unterabs 4 Satz 1 RL 2006/43/EG idF RL 2014/56/EU: Die Mehrheit der Mitglieder des Prüfungsausschusses ist von dem geprüften Unternehmen unabhängig (Hervorhebung vom Verf). 255 Str, dazu Hüffer/Koch11 § 100 Rdn 24; Langenbucher ZGR 2012, 314, 323, 332; MünchKomm/ Habersack4 § 100 Rdn 68; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 55; Spindler/Stilz/Spindler3 § 100 Rdn 54 ff; Windbichler NJW 2012, 2627, 2628. 256 § 100 Abs 5 idF vom 10.5.2016; Art 39 Abs 1 Unterabs 3, 4 Satz 1 RL 2006/43/EG idF RL 2014/56/EU. 257 Bachmann ZIP 2011, 1131, 1134; Drygala NZG 2015, 1129; Habersack Gutachten E zum 59. Deutschen Juristentag, 2012, S 36 ff; Habersack/Kersten BB 2014, 2816 (zum Referentenentwurf); Papier/Heidebach ZGR 2011, 305 (zu verfassungsrechtlichen Fragen); Teichmann/Rüb BB 2015, 259 (zum Regierungsentwurf); zum Verfahren nach § 96 und § 18a MitbestG Spindler/Stilz/Spindler3 § 96 Rdn 31 ff. 258 Klinkhammer Mitbestimmung im Gemeinschaftsunternehmen, 1977, S 72; Raiser/Veil Kapiatalgesellschaften6 § 59 Rdn 27; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 120; – aA, von anderen Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung ausgehend, Geßler/Geßler Rdn 51 (Gesamtbild); Hüffer/Koch11 Rdn 11; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 55 aE; Ulmer/Habersack/Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 5 MitbestG Rdn 19; – BAGE 22, 390, 393 f steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen, dort wird lediglich unter Berufung auf § 3 Abs 1 MitbestErgG der Ansicht entgegengetreten, ein montanmitbestimmtes Unternehmen könne überhaupt nicht abhängig sein. 259 HM, Emmerich/Habersack KonzernR10 § 3 Rdn 28; Geßler/Geßler Rdn 65, 68 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 § 16 Rdn 35 f, § 17 Rdn 108, 126; Rehbinder ZGR 1977, 581, 589; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 59; 3. Aufl Würdinger Anm 10.
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Unternehmens widerlegt, bleibt es bei der unmittelbaren Abhängigkeit, die Zurechnungsvoraussetzungen nach § 16 Abs 4 entfallen.260 Ein Beherrschungsvertrag zwischen der Gesellschaft und dem mittelbar herrschenden Unternehmen widerlegt die Vermutung der Abhängigkeit vom unmittelbar beteiligten Unternehmen, da durch die Weisungsbefugnis (§ 308) dessen Einfluss entscheidend reduziert wird.261 Vermutete mehrfache Abhängigkeit ist auf die Beherrschung durch nur ein Unternehmen reduzierbar (Rdn 74 f, 78 f). 87
f) Befindet sich das Beteiligungsunternehmen im Insolvenzverfahren, ist der Einfluss durch Besetzung des Aufsichtsrats und mittelbar des Vorstands bzw den vergleichbaren Kompetenzen bei anderen Rechtsformen infolge der Zuständigkeit des Insolvenzverwalters, auch des vorläufigen, zurückgedrängt.262 Die InsO und deren nachfolgende Änderungen haben insoweit keine Änderung gegenüber der früheren Rechtslage gebracht, insbesondere keine „Gruppeninsolvenz“ eingeführt (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 27). Soweit den Gesellschaftsorganen Einfluss verbleibt, insbesondere die Mitwirkung bei einem Insolvenzplan oder einem Sanierungsverfahren, kommt aber die beteiligungsbedingte Einflussverteilung wiederum zum Tragen, so dass der Hinweis auf die Insolvenz allein die Abhängigkeitsvermutung nicht widerlegt. Greift ein Insolvenzplan gem §§ 217 Satz 2, 225a InsO in die Beteiligung ein, kann dadurch die Abhängigkeit entfallen. Die Insolvenz des herrschenden Unternehmens ändert an der Abhängigkeit nichts. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens stellt sich die Frage nach der Verwertung von Beteiligungen; für die Abhängigkeit bzw die Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung sind aber erst die konkret ergriffenen Maßnahmen entscheidend. Entsprechendes gilt für die Auflösung sowohl eines herrschenden wie eines abhängigen Unternehmens. Einzelmaßnahmen oder die besondere Ausgestaltung der Abwicklung (§§ 264 ff) können die Abhängigkeit beenden.
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3. Verfahren. Wer im Einzelfall vorzutragen und zu beweisen hat, ob ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, richtet sich nach den allgemeinen Regeln des Beweisrechts.263 Die Gesetzestechnik der widerleglichen Vermutung in Abs 2 stellt eine Beweislastregel auf (Rdn 68, 70). Ist die Vermutung widerlegt, kann Abhängigkeit aber aus anderen Gründen als der (schlichten) Mehrheitsbeteiligung bestehen.264 Im Übrigen kann die Darlegungs- und Beweislast nur im Zusammenhang mit der anzuwendenden Norm festgestellt werden.265 Nur daraus ist auch ersichtlich, zu welchem Zeitpunkt es auf das Vorliegen von Abhängigkeit ankommt; abstrakt formulierte Stichtage kann es insofern nicht geben (s auch Rdn 21). Als Beispiel sei der Abhängigkeitsbericht nach § 312 genannt, der für den Zeitraum der Abhängigkeit zu erstellen ist.
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260 Geßler/Geßler Rdn 110; Hüffer/Koch11 Rdn 23; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 126. 261 Hüffer/Koch11 Rdn 23; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 126; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 58. 262 Baumbach/Hopt/Merkt HGB36 § 296 Rdn 2 zu Abs 1 Nr 1 dieser Vorschrift; MünchKommBilR/ Senger/Hoehne § 296 HGB Rdn 22; vgl auch Samer Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge gem § 291 Abs 1 AktG in Konkurs und Vergleich, 1989, S 66 ff; BFH ZIP 1997, 1656 betr Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft durch Sequestration. 263 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 34; Hüffer/Koch11 Rdn 18; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 99; MünchKomm/Bayer4 Rdn 90; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 52; Richter AG 1982, 261, 263. 264 AA diejenigen, die zur Widerlegung der Vermutung verlangen, dass auch keine Abhängigkeit aus anderen Gründen bestehe (Negativbeweis); oben Rdn 71 mwN. 265 Vgl etwa LG Traunstein ZIP 1993, 1551 = EWiR 1993, 1049 mit Anm Staab; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 99; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 51.
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4. Bedeutung in anderen Rechtsgebieten. In Fällen der Bezugnahme auf § 17 in 89 anderen Gesetzen (Rdn 7) ist jeweils zu prüfen, ob und gegebenenfalls mit welchen Argumenten die Abhängigkeitsvermutung widerlegbar sein soll. Im Kartellrecht ist insbesondere die Anerkennung der sogenannten Entherrschungsverträge zur Widerlegung der Abhängigkeit und damit Unanwendbarkeit der Verbundklausel streitig.266 Soweit EU-rechtliche Verbundklauseln von der Kapitalmehrheit als Merkmal für eine rechtlich relevante Unternehmensverbindung ausgehen, wird eine teleologische Reduktion für die Fälle vorgeschlagen, in denen die Kontrollmöglichkeit dennoch fehlt.267 Da § 290 Abs 2 HGB nicht mehr auf § 17 verweist, stellt sich die Frage dort nicht; die Vorschrift geht unwiderleglich von der Stimmrechtsmehrheit als Kontrolltatbestand aus. Damit erübrigen sich zwar die Fälle der Kapitalmehrheit, die ausnahmsweise nicht mit dem entsprechenden Stimmgewicht verbunden ist (Rdn 74 f), es verbleiben aber die Fälle atypischer Satzungsgestaltung mit erhöhten Mehrheitserfordernissen, Entsendungsrechten etc für § 290 Abs 1 Satz 1 HGB. Die Korrekturen zur unwiderleglichen Annahme der Kontrollmöglichkeit finden sich in den Ausnahmeregeln für die Konsolidierungspflicht (§ 296 HGB, Rdn 61, 72), insbesondere bei Einschränkung des Einflusses iSd § 296 Abs 1 Nr 1 HGB. Die Formulierung, die den Verzicht auf Konsolidierung zulässt, deckt sich nicht mit den zu § 17 Abs 2 entwickelten Möglichkeiten, die Abhängigkeitsvermutung zu widerlegen, und muss jeweils gesondert geprüft werden. Die Widerlegungsproblematik spiegelt sich auch in dem Streit, ob im Fall der Stimmrechtszurechnung nach § 290 Abs 3 Satz 2 HGB die zugerechneten Stimmrechte beim formalen Inhaber abzuziehen sind.268 Die Beteiligungsvermutung nach § 271 Abs 1 HGB (Windbichler § 16 Rdn 2 mit Fn 2) ist widerleglich, auch die Vermutung des „maßgeblichen Einflusses“ in § 311 Abs 1 HGB. Art 3 Abs 2 der Richtlinie über die Einsetzung eines europäischen Betriebsrats enthält ausdrücklich widerlegliche Vermutungen für die Beherrschung eines Unternehmens; die Definition ist zwar auf die Richtlinie beschränkt (Rdn 6), ihre Nähe zu § 17 lässt aber jedenfalls die argumentative Verwertung der hier gegebenen Widerlegungsmöglichkeiten zu. Bei Bezugnahmen auf § 17 ist davon auszugehen, dass sowohl die Abhängigkeitsvermutung eingreift als auch deren Widerlegung möglich ist. Bei unspezifischen Verweisungen, insbesondere auch auf die Merkmale des Kontrolltatbestandes (Rdn 8), müssen Widerlegbarkeit allgemein und geeignete Argumente im Einzelnen begründet werden. VII. Auslandsbezug Der Beherrschungs- und der Abhängigkeitstatbestand können auch von ausländi- 90 schen Unternehmen erfüllt sein. Welche Bedeutung das für die Anwendung der materiellen Regelung hat, die darauf abstellt, ist nach deren Sinn und Zweck zu entscheiden (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 72). Durch die Nähe zum europäischen control-Konzept (Rdn 8) wird mindestens im räumlichen Geltungsbereich des sekundären Gemeinschaftsrechts die gegebenenfalls erforderliche Substitution erleichtert. Die Übertragung darf Detailunterschiede aber nicht einebnen. So genügt für § 17 die bloße Beherr-
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266 Ablehnend Emmerich AG 1980, 205, 211; Immenga/Mestmäcker/Mestmäcker/Veelken GWB4 § 36 Rdn 62 mwN; Steindorff Wettbewerbliche Einheit und kartellrechtliche Vermutungen, 1982, S 29; – aA Immenga/Mestmäcker/Thomas Wettbewerbsrecht5 § 36 GWB Rdn 853 f; Loewenheim/Meessen/ Riesenkampf/Bauer KartellR2 § 36 GWB Rdn 187. 267 G Wiedemann Komm zu den Gruppenfreistellungsverordnungen des EWG-Kartellrechts I AT 132. 268 Dazu MünchKommBilR/Senger/Hoehne § 290 HGB Rdn 156, 168 ff; Windbichler FS Kirchner, 2014, S 441, 449.
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schungsmöglichkeit, während in anderen Zusammenhängen tatsächlich ausgeübte Kontrolle erforderlich ist. Unter dem Gesichtspunkt der Typisierung (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 47 ff) wird deutlich, dass § 17 bereits eine Verbindung mit potenziellem Einfluss erfasst, während die aktuelle Einflussnahme eine weitere Stufe darstellt, die gleichwohl nicht zur einheitlichen Leitung (Konzern, § 18) verdichtet zu sein braucht. Als Maßstab für die Substitution dient der Einfluss, den nach deutschem Recht die Mehrheitsbeteiligung an einer AG vermittelt (Rdn 11). Da die Mehrheitsbeteiligung ein wohlbekanntes und gängiges Merkmal ist (Windbichler § 16 Rdn 49), ist die Abhängigkeitsvermutung nach Abs 2 auch bei einer ausländischen Beteiligung einschlägig. Handelt es sich jedoch um andere Rechtsformen als Kapitalgesellschaften, ist eine rechtsformspezifische Gewichtung der Beteiligung im Einzelnen erforderlich (Rdn 27 ff). Die verbreitete Auffassung, für die kollisionsrechtliche Anknüpfung sei stets das 91 Statut des abhängigen Unternehmens maßgeblich, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 71 mwN). Es gibt kein eigenständiges Statut für die Unternehmensgruppe. Ausgangspunkt ist vielmehr das konkrete Rechtsproblem und die anzuwendende Norm, die dem Statut des hauptbetroffenen Unternehmens folgt. Das kann im Einzelfall auch das herrschende Unternehmen sein. So darf zB ein ausländisches abhängiges (Rdn 89) Unternehmen nach § 71d Satz 2 keine Aktien der inländischen herrschenden Gesellschaft erwerben.269 § 18 Konzern und Konzernunternehmen Windbichler
§ 18 Konzern und Konzernunternehmen (1) Sind ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefaßt, so bilden sie einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen. Unternehmen, zwischen denen ein Beherrschungsvertrag (§ 291) besteht oder von denen das eine in das andere eingegliedert ist (§ 319), sind als unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt anzusehen. Von einem abhängigen Unternehmen wird vermutet, daß es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet. (2) Sind rechtlich selbständige Unternehmen, ohne daß das eine Unternehmen von dem anderen abhängig ist, unter einheitlicher Leitung zusammengefaßt, so bilden sie auch einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen.
I.
Systematische Übersicht Allgemeines | 1 1. Entwicklung | 1 2. Bedeutung der Vorschrift | 3 a) Verhältnis zu anderen Unternehmensverbindungen | 3 b) Arten des Konzerns | 6 c) Anwendungsfälle | 7 aa) Konzern insgesamt | 8 bb) Unterordnungskonzern | 11
cc)
II.
Gleichordnungskonzern | 15 dd) Angelehnte Definitionen | 16 3. Wesentliche Merkmale | 17 Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung | 19 1. Auslegungsgesichtspunkte | 19 a) Verhältnis zur Abhängigkeit | 20
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4. Aufl Merkt § 70 Rdn 411; KK/Lutter/Drygala3 § 71d Rdn 130, 136 ff.
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Blickwinkel | 21 Rechnungslegung und andere Anwendungsbereiche | 22 2. Umfang und Gegenstand | 24 3. Leitungsmittel | 27 Unterordnungskonzern | 28 1. Vertrags- und Eingliederungskonzern | 29 a) Beherrschungsvertrag und Eingliederung | 29 b) Andere Unternehmensverträge | 32 c) Andere Rechtsformen | 33 2. Faktischer Konzern | 34 3. Widerlegung der Vermutung | 36 a) Allgemeines | 36 b) Fallgruppen | 37 aa) Vorübergehende Beteiligung | 38 bb) Unterlassen der Konsolidierung | 39 cc) Verträge | 40 dd) Abhängigkeit von mehreren Unternehmen | 41 ee) Konkurs bzw Insolvenz | 43 c) Verfahren | 44 Gleichordnungskonzern | 45 1. Bedeutung | 46 2. Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung | 49 a) Vertrag | 50 b) Besonderes Leitungsorgan | 52 c) Überkreuzverflechtung durch Organbesetzung | 53 d) Finanzielle Überkreuzverflechtung | 54 e) Überkreuzverflechtung von Beteiligungen an anderen Unternehmen | 56 b) c)
III.
IV.
3.
Verhältnis zu anderen Unternehmensverbindungen | 59 a) Allgemeines | 59 b) Gleichgeordnet konzernierte Unternehmen als herrschende Unternehmen | 60 c) Verhältnis der abhängigen Unternehmen innerhalb des Unterordnungskonzerns | 62 V. Mitbestimmung | 64 1. Unternehmensmitbestimmung | 64 a) Bedeutung | 64 b) Einschlägige Vorschriften | 68 aa) § 2 Abs 1 DrittelbG | 69 bb) § 5 Abs 1 MitbestG | 70 cc) Montanmitbestimmung | 71 c) Besonderheiten bei Verwendung des Konzernbegriffs kraft Verweisung | 72 2. Betriebliche Mitbestimmung | 75 a) BetrVG | 76 b) SprAuG | 78 c) Personalvertretung | 79 d) Europäischer Betriebsrat | 80 VI. Sonderfälle | 1. Teilkonzern | 82 2. Konzern im Konzern | 83 3. Mehrfache Konzernzugehörigkeit | 84 a) Gemeinschaftsunternehmen | 85 b) Zusammentreffen von Gleichordnungs- und Unterordnungskonzern | 86 4. Unzulässige Konzerne? | 87 VII. Auslandsbezug | 88
Schrifttum Siehe auch die Angaben zur Vorbemerkung vor §§ 15 ff sowie zu den §§ 15–17; Ahrens Die Problematik des Mehrmütterkonzerns in aktien- und mitbestimmungsrechtlicher Sicht, AG 1975, 151; v Bar Gleichordnungskonzern und Kartellverbot, BB 1980, 1185; Barz Das 50:50 Gemeinschaftsunternehmen und das Konzernrecht, FS Heinz Kaufmann 1972, S 59; Bausch Die Beteiligung von Banken an Nichtbanken und das Konzernrecht, 1982; Bayer Mitbestimmung und Konzern, DB 1975, 1167; Becker Die Behandlung des Konzerns nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen im deutschen Recht, Mestmäcker/Behrens (Hrsg) Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich 1991, 419; Bender Die Bankenbeteiligung aus der Sicht des Konzernrechts, 1979; Beusch Rücklagenbildung im Konzern, FS Goerdeler 1987, S 25; Beuthien Die eingetragene Genossenschaft als verbundenes Unternehmen, in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg) Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 133; ders Konzernbildung und Konzernleitung kraft Satzung, ZIP 1993, 1589; Binder Beteiligungsstrategien in der Konzernpraxis, AG 1994, 391; Boëtius Konzernbildung durch Aktienpoolung?, DB 1970, 1964; Drygala Der Gläubigerschutz bei der typischen
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Betriebsaufspaltung, 1991; Ebenroth Die qualifiziert faktische Konzernierung und ihre körperschaftsteuerliche Auswirkung, AG 1990, 188; Eichholz Das Recht konzerninterner Darlehen, 1993; Ellerich/Küting Zur Widerlegung der aktienrechtlichen Konzernvermutung (§ 18 Abs 1 S 3) durch den Bund, DB 1980, 1973; Emmerich Über atypische und verdeckte Beherrschungsverträge, FS Hüffer, 2010, S 179; Everling Konzernführung durch eine Holdinggesellschaft, DB 1981, 2549; Exner Beherrschungsvertrag und Vertragsfreiheit, 1985; Frisinger/Lehmann Konzern im Konzern, DB 1972, 2337; Geßler Atypische Beherrschungsverträge, FS Beitzke, 1979, S 932; Giese Die Widerlegung der aktienrechtlichen Konzernvermutung Wpg 1974, 464; Görling Die Verbreitung zwei- und mehrstufiger Unternehmensverbindungen, AG 1993, 538; Gromann Die Gleichordnungskonzerne im Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1979; Gutjahr Der Begriff der Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung im Konzerngesellschaftsrecht, 1972; Helle Konzernbedingte Kündigungsschranken bei Abhängigkeit und Beherrschung durch Kapitalgesellschaften, 1989; Henssler Die Betriebsaufspaltung – Konzernrechtliche Durchgriffshaftung im Gleichordnungskonzern?, ZGR 2000, 479; v Hoyningen-Huene Der Konzern im Konzern, ZGR 1978, 514; Hommelhoff Konzernmodelle und ihre Realisierung im Recht, in: Druey (Hrsg) Das St. Galler Konzernrechtsgespräch, 1988, S 107; ders Produkthaftung im Konzern, ZIP 1990, 761; ders Gesellschaftsformen als Organisationselemente im Konzernaufbau, in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg) Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 91; Huber Zur kartellrechtlichen Problematik der Zusammenfassung von Konzernunternehmen unter einer einheitlichen Leitung im Sinn des § 18, ZHR 132 (1968), 193; ders Betriebsführungsverträge zwischen konzernverbundenen Unternehmen, ZHR 152 (1988) 123; N Huber Die Reichweite konzernbezogener Compliance-Pflichten des Mutter-Vorstands des AG-Konzerns, 2013; Huber/Boerner Gemeinschaftsunternehmen im deutschen und europäischen Wettbewerbsrecht, 1978; Immenga Konzernverfassung ipso facto oder durch Vertrag, EuR 1978, 242; Jacob Die Behandlung von Gleichordnungskonzernen im deutschen und europäischen Wettbewerbsrecht im Vergleich, 1996; M Junker Der Gleichordnungskonzern, in: Manssen (Hrsg) Rechtswissenschaft im Aufbruch. Greifswalder Antrittsvorlesungen, 1996, S 189; Klippert Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Konzernen, 1984; Kort Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft auf einen „verdeckten“ Beherrschungsvertrag?, NZG 2009, 364; Kropff Zur Konzernleitungspflicht, ZGR 1984, 112; Lohse Gemeinschaftsunternehmen nach Inkrafttreten der neuen Fusionskontrollverordnung, ZHR 159 (1995) 164; Lutter Die Rechte der Gesellschafter bei Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen, DB 1973, Beil Nr 21; ders Zur Herrschaft mehrerer Unternehmen über eine Aktiengesellschaft, NJW 1973, 113; ders Der Aufsichtsrat im Konzern, AG 2006, 517; ders/Drygala Grenzen der Personenverflechtung und Haftung im Gleichordnungskonzern, ZGR 1995, 537; Marchand Abhängigkeit und Konzernzugehörigkeit von Gemeinschaftsunternehmen, 1985; Martens Mitbestimmung, Konzernbildung und Gesellschaftereinfluß, ZHR 138 (1974) 179; ders Die Organisation des Konzernvorstandes, FS Heinsius, 1991, S 523; Mellewigt Konzernorganisation und Konzernführung. Eine empirische Untersuchung börsennotierter Konzerne, 1995; Meyer-Landrut/Miller Faktischer Zwang zur Konsolidierung von Unternehmen im Mehrheitsbesitz ohne einheitliche Leitung?, BB 1969, 935; Milde Der Gleichordnungskonzern im Gesellschaftsrecht, 1996; Paschke/Ch Reuter Der Gleichordnungskonzern als Zurechnungsgrund im Kartellrecht, ZHR 158 (1994), 390; Peiner Konzernstrukturen von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit, VersW 1992, 920; Raiser Beherrschungsvertrag im Recht der Personengesellschaften, ZGR 1980, 558; ders Die Haftung der Schwestergesellschaft für die Schulden einer anderen Schwester nach dem Urteil „Bremer Vulkan“ des BGH, FS Ulmer, 2003, S 493; E Rehbinder Gesellschaftsrechtliche Probleme mehrstufiger Unternehmensverbindungen, ZGR 1977, 581; Scheffler Konzernleitung aus betriebswirtschaftlicher Sicht, DB 1985, 2005; ders Zur Problematik der Konzernleitung, FS Goerdeler, 1987, S 469; Schießl Gesellschafts- und mitbestimmungsrechtliche Probleme der Spartenorganisation, ZGR 1992, 64; Schmidbauer Der Konzernbegriff im Aktien- und Betriebsverfassungsrecht, 1976; K Schmidt Konzentrationsprivileg und Gleichordnungskonzern – Kartellrechtsprobleme des Gleichordnungskonzerns, FS Rittner, 1991, S 561; ders Gleichordnung im Konzern: terra incognita?, ZHR 155 (1991), 417; ders Sternförmige GmbH und Co KG und horizontaler Haftungsdurchgriff, FS Wiedemann, 2002, S 1199; U H Schneider Konzernbildung, Konzernleitung und Verlustausgleich im Konzernrecht der Personengesellschaften, ZGR 1980, 511; ders Der Konzern als Rechtsform für Unternehmen, in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg) Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich 1991, S 563; Schürnbrand „Verdeckte“ und „atypische“ Beherrschungsverträge im Aktien- und GmbH-Recht, ZHR 169 (2005) 35; Schwark Spartenorganisation in Großunternehmen und Unternehmensrecht, ZHR 142 (1978), 203; Semler Konzern im Konzern, DB 1977, 805; ders Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 1996; Sigle Konzerngestaltungspolitik, BFuP 1986, 313; Slongo Der Begriff der einheitlichen Leitung als Bestandteil des Konzernbegriffs, 1980; Sonnenschein Der aktien-
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rechtliche Vertragskonzern im Unternehmensrecht, ZGR 1981, 429; Timm Mitwirkungsrechte der Aktionäre beim Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen, BB 1980, 1655; Timm/Messing Die Kündigung von Gleichordnungsverbindungen im Konzernrecht und ihre Rechtsfolgen, FS Hommelhoff, 2012, S 1237; Ulmer Gemeinsame Tochtergesellschaften im deutschen Konzern- und Wettbewerbsrecht ZHR 141 (1977), 466; Veil Haftung in der Betriebsaufspaltung – Thesen zum Haftungsverbund von Konzernschwestern im Unterordnungs- und Gleichordnungskonzern, in: Theobald (Hrsg), Entwicklungen zur Durchgriffsund Konzernhaftung, 2002, S 81; Vollmer Die Entwicklung partnerschaftlicher Unternehmensverfassungen, 1976; Wagner Divisionalisierung in der unverbundenen AG und im Aktienkonzern, 1992; Weidemann Konzernleitung multinationaler Unternehmungen – Betriebswirtschaftliche Funktionen und Strukturen – 1975; Wellkamp Der Gleichordnungskonzern – ein Konzern ohne Abhängigkeit, DB 1993, 2517; v Werder Delegation im Konzern – Rechtlicher Gestaltungsspielraum und organisatorische Konsequenzen im Vergleich zum Einzelunternehmen, BFuP 1989, 410; Wiedemann Spätlese zu Autokran, ZGR 1986, 656; Windbichler Die Rechte der Hauptversammlung bei Unternehmenszusammenschlüssen durch Vermögensübertragung, AG 1981, 169; dies Gromann, Hans-Georg: Die Gleichordnungskonzerne im Konzern- und Wettbewerbsrecht, BB 1982, 1931; Zöllner Schutz der Aktionärsminderheit bei einfacher Konzernierung, FS Kropff, 1997, S 333; Zünd Einheitliche Leitung – Bedeutung und Tauglichkeit des Begriffs, in: Druey (Hrsg), Das St. Galler Konzernrechtsgespräch, 1988, S 78. Zum Arbeits- und Mitbestimmungsrecht: Bitsch Die konzerndimensionale Durchsetzbarkeit betriebsverfassungsrechtlicher Auskunftsansprüche, 2011; Böttcher/Liekefett Mitbestimmung bei Gemeinschaftsunternehmen mit mehr als zwei Muttergesellschaften – Eine kautelarjuristische Betrachtung, NZG 2003, 701; Brügel/Tillkorn Die konzernrechtliche Abhängigkeit der Kapitalgesellschaft & Co. KG im Mitbestimmungsrecht, GmbHR 2013, 459; Buchner Gemeinschaftsunternehmen und Konzernbetriebsrat – ein Aspekt der konzernrechtlichen Problematik des Gemeinschaftsunternehmens, RdA 1975, 9; ders Konzernbetriebsratsbildung trotz Auslandssitz der Obergesellschaft, FS Birk, 2008, S 11; Burg/Böing Mitbestimmung in Konzern-Holdinggesellschaften – Auswirkungen der Entscheidung des OLG Frankfurt v 21.4.2008, Konzern 2008, 605; Duden Zur Mitbestimmung im Konzernverhältnis nach dem Mitbestimmungsgesetz, ZHR 141 (1981), 145; Geßler Mitbestimmung im mehrstufigen Konzern, BB 1977, 1313; Hanau Fragen der Mitbestimmung und Betriebsverfassung im Konzern, ZGR 1984, 468; ders/Wackerbarth Mitbestimmung im Teilkonzern mit abhängiger KG oder KGaA, FS Lutter, 2000, S 425; Hellwig/Behme Zur grenzüberschreitenden Dimension der deutschen Konzernmitbestimmung und ihren rechtspraktischen Konsequenzen, AG 2015, 333; Henssler Mitbestimmungsrechtliche Folgen grenzüberschreitender Beherrschungsverträge, ZfA 2005, 289; ders Konzernrechtliche Abhängigkeit im Mitbestimmungsrecht der Europäischen Aktiengesellschaft – Der Abhängigkeitsbegriff im Europäischen Mitbestimmungsrecht, EBRG, SEBG und nationalem AktG, FS K Schmidt, 2009, S 601; Hommelhoff Mitbestimmungsvereinbarungen zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung, ZGR 2010, 48; G Hueck Zwei Probleme der Konzernmitbestimmung, FS H Westermann, 1974, S 241; ders Das neue Aktiengesetz und das Arbeitsrecht, RdA 1965, 321; Klinkhammer Mitbestimmung in Gemeinschaftsunternehmen, 1977; ders Der „Konzern im Konzern“ als mitbestimmungsrechtliches Problem DB 1977, 1601; Konzen Arbeitnehmerschutz im Konzern, RdA 1984, 65; Kort Der Konzernbegriff iS von § 5 MitbestG, NZG 2009, 81; ders Bildung und Stellung des Konzernbetriebsrats bei nationalen und internationalen Unternehmensverbindungen, NZA 2009, 464; Kreutz Die Errichtung eines Konzernbetriebsrats durch den einzigen Gesamtbetriebsrat (oder Betriebsrat) im Konzern, NZA 2008, 259; Latzel Gleichheit in der Unternehmensmitbestimmung, 2010; Löwisch Mitbestimmung im Mehrmütterkonzern, FS Schlechtriem, 2003, S 833; Lutter Mitbestimmung im Konzern, 1975; M Maier Die Übertragbarkeit der Mitbestimmungsvereinbarkeit gem § 21 SEBG auf Konzernsachverhalte, 2016; Merkt Unternehmensmitbestimmung für ausländische Gesellschaften?, ZIP 2011, 1237; Pflüger Der Teilkonzern in Betriebs- und Unternehmensverfassung, NZA 2009, 130; Raiser Geklärte und ungeklärte Fragen der Konzernmitbestimmung, FS Kropff, 1997, S 243; ders Gestaltungsfreiheit im Mitbestimmungsrecht, FS HP Westermann, 2008, 1295; ders Mitbestimmungsvereinbarungen im Konzern, FS Hopt, 2010, 1167; D Reuter Der Einfluß der Mitbestimmung auf das Gesellschafts- und Arbeitsrecht, AcP 179 (1979), 509; Richardi Konzern, Gemeinschaftsunternehmen und Konzernbetriebsrat, DB 1973, 1452; ders Konzernzugehörigkeit eines Gemeinschaftsunternehmens nach dem Mitbestimmungsgesetz, 1977; B Richter Umgehung der Konzernvorschriften des MitbestimmungsG durch Widerlegung der Abhängigkeits- oder Konzernvermutung?, AG 1982, 261; ders Der mitbestimmte Aktienge-
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sellschaftskonzern, 1983; Rieble/Junker/Giesen (Hrsg) Arbeitsrecht im Konzern. 2. ZAAR-Tagung, 2010; Sattler Tarifvereinheitlichung im Konzern, 2009; UH Schneider Mitbestimmung im Gleichordnungskonzern, FS Großfeld, 1999, S 1045; Seibt Unternehmensmitbestimmung in Teilkonzernspitzen- und ZwischenholdingGesellschaften (§ 5 MitbestG), ZIP 2008, 1301; ders Unternehmensmitbestimmungsrechtliche Konzernzurechnung bei Einschaltung einer Stiftung & Co. KG und paritätischen Beteiligungsunternehmen, ZIP 2011, 249; Spindler Die Montanmitbestimmung auf dem Prüfstand des Verfassungsrechts, AG 1994, 258; Tholuck Sozialplandotierung durch die Einigungsstelle bei verbundenen Unternehmen, 2014; Thüsing/Forst Konzernweite Strukturierung von Organen der Betriebsverfassung – Klassische und neue Fragen insbesondere zum Teilkonzernbetriebsrat, Konzern 2010, 1; H Werner Konzernrechtliche Abhängigkeit und einheitliche Leitung in mitbestimmten Konzernen, ZGR 1976, 447; Wiegand/Weiß Normenkollisionen, insbesondere bei Konzernbetriebsvereinbarungen in doppelt konzernzugehörigen Gemeinschaftsunternehmen, AG 1993, 97; Windbichler Arbeitnehmermobilität im Konzern, RdA 1988, 95; dies Unternehmerisches Zusammenwirken von Arbeitgebern als arbeitsrechtliches Problem, ZfA 1996, 1; dies Auskunftspflichten in der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe nach der Richtlinie über Europäische Betriebsräte, FS Peltzer, 2001, S 629; dies Methodenfragen in einer gestuften Rechtsordnung. Mitbestimmung und körperschaftliche Organisationsautonomie in der Europäischen Gesellschaft, FS Canaris, 2007, S 1423; Wutte Betriebsrentenanpassung im Konzern: Berechnungsdurchgriff und Rentnergesellschaft, 2016; ders Bemessungsdurchgriff bei der Sozialplandotierung im Konzern, ZfA 2016, 261.
I. Allgemeines 1. Entwicklung. Der Konzern als tatsächliche Erscheinung ist eine Entwicklung der Wirtschaftspraxis.1 Eine genaue Begriffsbestimmung ist damit freilich nicht verbunden; der Sprachgebrauch ist oft untechnisch (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 1). Die heute vorgefundene Stufung von Mehrheitsbeteiligung, Abhängigkeit und Konzern wurde erst mit dem AktG 1965 eingeführt.2 Kronstein3 definierte noch die Abhängigkeit als sehr enge Verbindung, die über die heutigen Konzernanforderungen deutlich hinausgeht. Das AktG 1937 verlangte in § 15 Abs 1 die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung zu wirtschaftlichen Zwecken; nach Abs 2 wurde von einem abhängigen Unternehmen unwiderleglich vermutet, dass es mit dem herrschenden einen Konzern bildete.4 § 18 AktG wurde seit Inkrafttreten des AktG in seinem Wortlaut nicht verändert. Die 2 wichtigste Rechtsfolge des Konzerntatbestands ergab sich aus den Vorschriften über die Konzernrechnungslegung, §§ 329 ff aF. Das BiRiLiG5 platzierte die Konzernrechnungslegung eigenständig im HGB. Die Anbindung an den aktienrechtlichen Konzernbegriff wurde damit sowohl systematisch als auch inhaltlich gelockert und schließlich aufgegeben (Rdn 22, Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 39, 60). Noch im Hinblick auf den Rechnungslegungszusammenhang wurde vielfach formuliert, der Konzern müsse eine „wirtschaftliche Einheit“ darstellen (Rdn 17, 24). Auch bei zunehmender Entfernung vom Bilanzrecht als prägendem Anwendungsfall stellt sich der Konzern iSd § 18 als am weitesten fortgeschrittene Form der strukturellen Unternehmensverbindung dar (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 18 f). 1
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1 Kalss/Burger/Eckert Die Entwicklung des österreichischen Aktienrechts, 2003, S 306 ff, 313 f, 321 ff; Rehbinder Konzernaußenrecht, 1969, S 33 ff; Schilling JZ 1957, 529; Spindler Recht und Konzern, 1993, S 94 f; vgl auch den Verweis der Gesetzesmaterialien auf die Konzernwirklichkeit, BegrRegE zu § 18 bei Kropff AktG S 33. 2 Zur Gesetzesgeschichte BegrRegE bei Kropff AktG S 13; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 1; Geßler/Geßler Rdn 3 ff. 3 Die abhängige juristische Person, 1931, S 7 ff. 4 BegrRegE bei Kropff AktG S 27; Schlegelberger/Quassowski AktG3 § 15 Rdn 22 aE. 5 Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Bilanzrichtlinien-Gesetz) vom 19.12.1985 BGBl I 2355.
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2. Bedeutung der Vorschrift a) Der Konzern ist ein Unterfall der verbundenen Unternehmen iSd § 15, der mit 3 Rücksicht auf den Anwendungsbereich (Rdn 7 ff) nur von untergeordneter Bedeutung ist. Er besteht in jedem Falle aus rechtlich selbständigen Unternehmen (Windbichler § 15 Rdn 14). „Konzernrecht“ und Recht der verbundenen Unternehmen werden gelegentlich synonym verwendet; begrifflich streng trifft das nicht zu (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 1).6 Auch das Dritte Buch des AktG ist mit „Verbundene Unternehmen“ überschrieben; es enthält den wesentlichen Kern des sog materiellen Konzernrechts, setzt aber, wie § 311 deutlich zeigt, nicht notwendig einen Konzern voraus. Der Konzerntatbestand, der gemäß § 18 Abs 1 Satz 3 bei Abhängigkeit iSd § 17 vermutet wird, stellt die letzte Stufe der sog Vermutungskaskade dar, die bei der Mehrheitsbeteiligung iSd § 16 ihren Ausgang nimmt (vgl Windbichler § 17 Rdn 3). Ebenfalls untechnisch wird gelegentlich mit „Konzern“ das herrschende Unterneh- 4 men eines Unterordnungskonzerns, die Konzernspitze, bezeichnet.7 Das entspricht dem Alltagssprachgebrauch, nicht dem des Gesetzes. § 18 definiert eine spezielle Art der Unternehmensverbindung, die ihrerseits kein Rechtssubjekt ist (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 13, 26); die einzelnen Konzernunternehmen bleiben vielmehr rechtlich selbständig und Träger ihrer Rechte und Pflichten (Windbichler § 15 Rdn 14). Auch zwischen den Interessen des herrschenden Unternehmens und denen der anderen Konzernunternehmen wird zB in § 308 Abs 1 Satz 2 unterschieden. Das AktG bezeichnet mit Konzern die gesamte, nach Maßgabe des § 18 verbundene Gruppe. Die einzelnen ihr angehörenden Unternehmen heißen Konzernunternehmen, § 18 Abs 1 Satz 1 2. Halbs. Dabei handelt es sich meist um nicht nur zwei Unternehmen, sondern um eine Vielzahl. Sämtliche Konzernunternehmen sind, auch untereinander,8 verbundene Unternehmen iSd § 15. Der Konzern wird durch die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung (Rdn 17) 5 charakterisiert. Dieser Begriff hat sich im Ausland nicht durchsetzen können (Rdn 18). Auch die europäischen Verbundklauseln (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 24, 62 ff) kennen dieses Merkmal nicht. Das HGB verwendet zwar die Begriffe Konzernabschluss und Konzernlagebericht, knüpft aber die Pflicht zur Konzernrechnungslegung unabhängig von der einheitlichen Leitung richtlinienkonform an die Kontrollmöglichkeit.9 Der technische Konzernbegriff des AktG ist somit enger; er verlangt eine größere Integrationsdichte als das control-Konzept. b) In den beiden Abs der Vorschrift werden zwei Arten des Konzerns definiert, für 6 die sich die Bezeichnungen Unterordnungskonzern und Gleichordnungskonzern eingebürgert haben. Das Gesetz selbst verwendet diese Begriffe nicht. Die Unterscheidung ist für den Konzernbegriff selbst zunächst ohne Bedeutung, da die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung das entscheidende Merkmal darstellt.10 Die Vorschriften, die den aktienrechtlichen Konzernbegriff verwenden, differenzieren jedoch meist
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6 Emmerich GmbHR 1987, 213, 215; Grigoleit Rdn 4; Hüffer/Koch11 Rdn 1; Raiser/Veil6 Kapitalgesellschaften § 58 Rdn 2 f; Schmidt/Lutter/J Vetter2 Rdn 2; s auch Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672, 691. 7 So wohl 4. Aufl Otto Vor § 399 Rdn 60 f. 8 Emmerich/Habersack KonzernR10 § 4 Rdn 10; Geßler/Geßler Rdn 79; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 4 aE; K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 443; mit anderer Perspektive ders FS Lutter, 2000, S 1167, 1184 ff, der die einzelnen Konzernrechtsverhältnisse der jeweils beteiligten Unternehmen untereinander in den Vordergrund stellt; damit ist die Einheit der einheitlichen Leitung allerdings in Frage gestellt. 9 Baumbach/Hopt/Merkt HGB36 § 290 Rdn 5; MünchKommBilR/Senger/Hoehne HGB § 290 Rdn 4. 10 Geßler/Geßler Rdn 1, 6; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 1; Hüffer/Koch11 Rdn 2; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 3; MünchKomm/Bayer4 Rdn 4; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 1.
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danach, ob es sich um einen Unterordnungs- oder Gleichordnungskonzern handelt. Der Unterordnungskonzern hat die erheblich größere Bedeutung. Ein Unterordnungskonzern liegt vor, wenn die an dem Konzernverhältnis beteiligten Unternehmen in einem Beherrschungs- bzw Abhängigkeitsverhältnis gemäß § 17 stehen. Ein Gleichordnungskonzern liegt vor, wenn mehrere rechtlich selbständige Unternehmen unter einheitlicher Leitung zusammengefasst sind, ohne dass eines von dem anderen abhängig ist. Ein gleichgeordnet konzerniertes Unternehmen kann zugleich herrschendes Unternehmen eines Unterordnungskonzerns sein (Rdn 60). Beim Unterordnungskonzern nach Abs 1 werden wiederum der Vertrags- und der Eingliederungs- sowie der faktische Konzern unterschieden (Rdn 28 ff). Das Gesetz verwendet diese Bezeichnungen nicht. Der Vertrags- und der Eingliederungskonzern werden durch die Bezugnahmen auf § 291 bzw § 319 in Abs 1 Satz 2 bestimmt, während mit „faktischem“ Konzern nur die Abwesenheit dieser spezifischen Organisationsmaßnahmen zum Ausdruck gebracht wird. Dementsprechend kennt das AktG auch keine Qualifizierung des faktischen Konzerns. Die unter dem Stichwort „qualifizierter faktischer Konzern“ vor allem zum GmbH-Recht von Rechtsprechung und Literatur entwickelten, inzwischen überholten Ansätze können nicht aus dem – im Einzelnen sehr umstrittenen – Begriff abgeleitet werden.11 7
c) Die Anwendungsfälle ergeben sich kraft Bezugnahme in anderen Vorschriften, die an das Vorliegen eines Konzerns Rechtsfolgen knüpfen. Dabei ist danach zu differenzieren, ob auf den Konzernbegriff insgesamt oder nur den Unterordnungskonzern bzw Gleichordnungskonzern verwiesen ist. Die Verweisungen außerhalb des AktG sind teilweise untechnisch.
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aa) Verweisungen auf den Konzernbegriff insgesamt finden sich durch direkte Nennung des § 18 und wenn das Gesetz von Konzernunternehmen spricht. Das ist innerhalb des AktG der Fall in – § 134 Abs 1 Satz 4 (Zurechnung für Höchststimmrecht); – § 145 Abs 3 (Auskunftsrecht der Sonderprüfer); – § 293d Abs 1 Satz 2 (Auskunftsrecht der Vertragsprüfer); – § 308 Abs 1, 2 (Interessenwahrnehmung bei Ausübung von Leitungsmacht); – § 313 Abs 1 Satz 4 (Auskunftsrecht des Abschlussprüfers).
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Außerhalb des AktG findet der Konzern Erwähnung in der Bezeichnung des Zweiten Unterabschnitts des Dritten Buches des HGB; § 290 HGB zeigt aber, dass dort von einer eigenen Begrifflichkeit ausgegangen und nicht § 18 in Bezug genommen wird (Rdn 2). Dementsprechend ist bei allen Erwähnungen des Konzerns im Zusammenhang mit Rechnungslegungsvorschriften zu prüfen, ob § 18 oder Vorschriften des HGB gemeint sind. Im AktG selbst werden in §§ 131 Abs 1, 171 Abs 1 die Konzernrechnungslegung und der Sprachgebrauch des HGB herangezogen. Ebenso kann sich aus dem Zusammenhang ergeben, dass trotz allgemeiner Bezugnahme nur Unterordnungskonzerne gemeint sind. Außerhalb des AktG ist noch auf § 18 bzw den Konzern insgesamt verwiesen in 10 – § 15 Abs 1 Satz 1 AtomG (Nachrangigkeit der Schadensregulierung innerhalb des Konzerns); – § 3 Abs 1 Nr 2 BetrVG (abweichende Arbeitnehmervertretung durch Tarifvertrag);12
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11 Vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 49 mwN. 12 Str, für umfassende Bedeutung einschließlich Gleichordnungskonzern GK-BetrVG/Franzen10 § 3 Rdn 14; – aA Richardi BetrVG15 § 3 Rdn 28: wegen der sonstigen Verweisungen im BetrVG nur Unterordnungskonzern, jew mwN.
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§ 4h Abs 2 Satz 1 b, c, Abs 3 Satz 6 EStG (Zinsschranke); §§ 1 Abs 3 Nr 2, 3 Abs 1 Nr 3, 9 Nr 2 AÜG (Arbeitnehmerüberlassung im Konzern); § 36 Abs 2 Satz 1 GWB (Einheitsbetrachtung für Zwecke der Zusammenschlusskontrolle); § 200 Abs 2 Satz 6 KAGB (unzulässige Sicherheit); § 92a Abs 2 HGB (Versicherungsvertreter für Versicherungskonzern); §§ 19 Abs 2 Satz 2 Nr 3, 32 Abs 1 Nr 6e, 46 Abs 1 Satz 3 KWG; § 3 Abs 2 Nachrichtendienste-ÜbermittlungsVO; § 155 Abs 1 Nr 1 PatentAnwaltsO (Beratungsbereich für Patentassessoren); § 27 Abs 1 Nr 5 Satz 2 SGB III (Versicherungsfreiheit von Vorstandsmitgliedern); §§ 110 Abs 3 Satz 1, 111 Abs 8 SGB III (keine Arbeitsförderung zur Qualifizierung innerhalb eines Konzerns); § 7e Abs 3 SGB IV (Sicherung von Wertguthaben); § 1 Satz 3 SGB VI (keine Rentenversicherungspflicht für Vorstandsmitglieder); § 12a Abs 2 TVG (Zusammenfassung von Arbeitgebern); § 4 Abs 1 Satz 2 UBGG; § 11 Abs 1 Satz 4 UmwG (Erstreckung des Auskunftsrechts der Verschmelzungsprüfer); §§ 9 Abs 4 Nr 2 d), 11 Abs 1 Nr 4 c), 45 Abs 5 Nr 10, 47 Nr 11, 165 Abs 2, 330 Abs 1 Nr 1; § 5 Nr 6 VermVerkProspV; § 2 Nr 2, 13b WpPG.
bb) Ferner gibt es Verweisungen nur auf § 18 Abs 1 oder einzelne Sätze des Abs 1 so- 11 wie den Unterordnungskonzern. Ist keine Vorschrift genannt, ergibt sich die Bezugnahme aus der Angabe „herrschend“ oder „abhängig“ für die Konzernunternehmen. Auch wenn es nur „Konzern“ heißt, ergibt oft der Zusammenhang, dass Gleichordnungskonzerne nicht miterfasst, sondern nur Unterordnungskonzerne gemeint sind. 12 Auf den Unterordnungskonzern beziehen sich innerhalb des AktG – § 97 Abs 1 Satz 1 (Aushang über Zusammensetzung des Aufsichtsrats);13 – § 100 Abs 2 Satz 2 (Höchstzahl von Aufsichtsratsmandaten); – § 104 Abs 1 Satz 3 Nr 1, 2 (Antragsbefugnis für die gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern); – § 250 Abs 2 Nr 1, 2 (Nichtigkeitsklage betr Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds).
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Außerhalb des AktG sind zu nennen: § 8 Abs 1 Satz 2 BetrVG (Betriebszugehörigkeit); § 18a Abs 3 Satz 2 BetrVG (Zuordnung von leitenden Angestellten); §§ 54 ff BetrVG (Konzernbetriebsrat); §§ 73a f BetrVG (Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung); § 76a Abs 2 BetrVG 1972 (Vergütung für Einigungsstellenbeisitzer); §§ 87 Abs 1 Nr 8, 88 Nr 2 BetrVG 1972 (Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten); §§ 112 Abs 5 Satz 2 Nr 2, 112a Abs 2 Satz 2 BetrVG 1972 (Sozialplan); § 2 DrittelbG (Arbeitnehmerzurechnung); § 5 Abs 1, 2 MitbestG (Arbeitnehmerzurechnung); § 5 Abs 3 MitbestG (Teilkonzern); § 22 Abs 2 Nr 2 MitbestG (Anfechtungsbefugnis bei Aufsichtsratswahl);
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13 Dem Zusammenhang nach – Unternehmensmitbestimmung – kann es sich hier nur um den Unterordnungskonzern handeln, vgl Rdn 66.
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§ 3 MitbestBeiG;14 § 1 Abs 4 MontanMitbestG (Arbeitnehmerzurechnung); §§ 3 ff MontanMitbestErgG (Branchenbestimmung, Zurechnung, Wahlverfahren); § 27 Abs 1 Satz 2 SEAG (Höchstzahl der Aufsichts-/Verwaltungsratsmandate); § 3 Abs 2 Satz 2 SprAuG (Betriebszugehörigkeit); §§ 21 ff SprAuG (Konzernsprecherausschuss); § 5 Nr 7 StGB (Geheimnisse von Auslandstöchtern, Auslandstat); § 5 AbfBeauftrV, § 4 der 5. BImSchV (Bestellung von Beauftragten mit konzernweiter Zuständigkeit).
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Die Auslegung solcher Verweisungen kann nach dem jeweiligen Anwendungsbereich Abweichungen vom gesellschaftsrechtlichen Verständnis bedingen (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 58). Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, beziehen sich die Verweisungen im Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsrecht durchweg auf den Unterordnungskonzern oder bestimmte Formen davon, auch wenn das aus der Formulierung nicht unmittelbar ersichtlich ist (Rdn 23, 65 f). Die Vorschriften über die Unternehmensmitbestimmung nehmen insofern eine Sonderstellung ein, als das AktG in § 96 wiederum auf sie Bezug nimmt. Damit wird der Gleichlauf der Auslegung des Konzernbegriffs mindestens nahegelegt (Rdn 72 ff).15
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cc) Auf den Gleichordnungskonzern, § 18 Abs 2, ist lediglich mittelbar Bezug genommen in § 291 Abs 2. In der Gesetzgebung findet er selten ausdrückliche Berücksichtigung. Art 22 Abs 7 der RL 2013/34/EU stellt es den Mitgliedstaaten frei, bei Gleichordnung einen konsolidierten Abschluss zu verlangen.16
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dd) Manche Begriffe sind an das AktG angelehnt. Nur beispielhaft sei hier genannt § 5 VO über Betriebsbeauftragte für Abfall, § 4 der 5. VO zum BImG: „Sind ein oder mehrere Betreiber … unter der einheitlichen Leitung eines herrschenden Unternehmens zusammengefasst (Konzern) …“. Auch Mischungen von angelehnten Definitionen und Verweisungen kommen vor, zB „Konzernunternehmen (§ 18 des Aktiengesetzes) oder Vertragsteile eines Unternehmensvertrags (§§ 291, 292 des Aktiengesetzes)“ in § 155 PAO. Die EG-Richtlinie über die Einsetzung eines europäischen Betriebsrats17, dementsprechend § 1 Abs 6 EBRG kennen den Begriff der „zentralen Leitung“. Auslegungsprobleme können nur im jeweiligen Normkontext gelöst werden (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 58).
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3. Wesentliche Merkmale. Die entscheidenden Merkmale des Konzerns sind die Zusammenfassung und die einheitliche Leitung. Was darunter zu verstehen ist, insbesondere der Gegenstandsbereich der Leitung, ist im Einzelnen kontrovers. Es werden erhebliche Zweifel an der Operationalität des Begriffs oder der in der Literatur unternommenen Konkretisierungsversuche geäußert.18 Ob eine verbindliche Klärung über-
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14 Dazu 4. Aufl Oetker MitbestG Vorbem Rdn 52 ff. 15 Dafür, dass sich auch aus mitbestimmungsspezifischen Gesichtpunkten letztlich kein vom Aktiengesellschaftsrecht abweichender Konzernbegriff ergibt Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 518 ff; für die Betriebsverfassung Richardi/Annuß BetrVG15 § 54 Rdn 16, 31. 16 Vgl dazu auch Art 18 Abs 3 VO (EU) 575/2013 betr aufsichtsrechtliche Konsolidierung horizontaler Unternehmensgruppen von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen. 17 Art 2 Abs 1 e der Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22.9.1994 ABlEG L 254/64 vom 30.9.1994; vgl auch Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 30, 68. 18 v Bar BB 1980, 1185; Druey FS Hommelhoff, 2012, S 135, 148 f; Emmerich GmbHR 1987, 213, 216 f; Geßler/Geßler Rdn 6; Hommelhoff ZIP 1990, 761, 766; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 12, 19; Rowedder/
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haupt möglich ist, wird bezweifelt.19 Ferner ist streitig, ob die Merkmale Zusammenfassung und einheitliche Leitung jeweils getrennte Bedeutung haben,20 oder ob der Zusammenfassung – insbesondere nach Entfallen der Bestimmung „zu wirtschaftlichen Zwecken“ des § 15 Abs 1 AktG 1937 – kein eigenständiger Stellenwert mehr zukommt.21 Angesichts der Verweise auf die Praxis (Rdn 1) wird auch der betriebswirtschaftlichen Betrachtung Gewicht beigemessen. Mit Rücksicht auf den historischen Rechnungslegungszusammenhang und die in der Betriebswirtschaftslehre vorherrschende Betrachtung wird vielfach formuliert, der Konzern müsse eine wirtschaftliche Einheit darstellen (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 20).22 Dieser wiederum klärungsbedürftige Begriff und die einzelnen Merkmale der einheitlichen Leitung können aber nicht mit Hilfe von wirtschaftswissenschaftlichen Erwägungen konkretisiert werden,23 da es sich beim Konzern um einen Rechtsbegriff handelt. Die Ergebnisse der Wirtschaftswissenschaften sind auch nur begrenzt ergiebig; sie setzen sich meist nicht explizit mit dem Spannungsverhältnis von Einheit und Vielheit bei mehreren Rechtsträgern auseinander, können aber für die Auslegung relevante Szenarien anschaulich machen, ohne damit die verbindliche Definitionslast zu tragen. Die Betriebswirtschaftslehre bietet unterschiedliche Modelle der Konzernorganisation an;24 die gesellschaftsrechtlichen Grenzziehungen und rechtlichen Einwirkungsbefugnisse stimmen mit den Organisationskonzepten der Modelle oder der Praxis nicht notwendig überein. Im Rechtsvergleich gehört das Merkmal der einheitlichen Leitung zu den typischen 18 Erscheinungen des deutschen Rechts, das wenig Anklang in anderen Rechtsordnungen gefunden hat.25 Dort hat vielmehr das sog control-Konzept vorrangige Bedeutung (Wind-
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Koppensteiner/Schnorbus GmbHG5 Anh § 52 Rdn 17; Möhring FS H Westermann, 1974, S 427, 438; Semler DB 1977, 805, 808; Slongo Der Begriff der einheitlichen Leitung als Bestandteil des Konzernbegriffs, 1980, S 2, 139; Zöllner FS Kropff, 1997, S 333, 337; Zünd in: Druey (Hrsg) Das St. Galler Konzernrechtsgespräch, 1988, S 77, 79; – vgl auch schon BegrRegE bei Kropff S 33. 19 Flume BB 1968, 1011, 1013; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 15. 20 So Emmerich/Habersack KonzernR10 § 4 Rdn 11, 19 f; Emmerich/Habersack//Emmerich Aktien- und GmbHKonzernR7 Rdn 15 ff; Geßler/Geßler Rdn 6, 15 ff, 25 ff; Weimar ZIP 1988, 1525, 1526; wohl auch MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 69. 21 So die überwiegende Meinung, Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 8; Dierdorf Herrschaft, 1978, S 85 f; Hüffer/ Koch11 Rdn 7; Grigoleit Rdn 5; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 3; Hüffer/Koch11 Rdn 7; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 4; Milde Gleichordnungskonzern, 1996, S 6; MünchKomm/Bayer4 Rdn 27; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 6; zurückhaltender Semler DB 1977, 805, 808. 22 Ebenroth AG 1990, 188, 190; Gansweid Gemeinsame Tochtergesellschaften, 1976, S 112; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 19; Lutter in: Hommelhoff ua (Hrsg), Entwicklungen des GmbH-Konzernrechts, 1986, S 194; Marchand Abhängigkeit und Konzernzugehörigkeit von Gemeinschaftsunternehmen, 1985, S 91; Mestmäcker FS Kronstein, 1967, S 129, 145; Möhring FS H Westermann, 1974, S 427, 439; Rehbinder Konzernaußenrecht, 1969, S 23, 36, 74 ff; ders ZGR 1977, 581, 592; Reuter ZHR 146 (1982), 1, 10; Scheffler DB 1985, 2005, 2006; ders AG 1990, 173, 174 mwN; Slongo Der Begriff der einheitlichen Leitung, 1980, S 14; Sonnenschein Organschaft, 1976, S 279 f; Ulmer NJW 1986, 1579, 1586; H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 33, 35; weitergehend (Tendenz zur rechtlichen Einheit) Emmerich/ Sonnenschein KonzernR6 § 4 I 2; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 4 Rdn 8; vgl auch BegrRegE zu § 18 bei Kropff AktG S 33. – AA Geßler/Geßler Rdn 9 f; Rasch Konzernrecht5 S 55; Semler Überwachungsaufgabe, 1980, S 106 mit Fn 260; Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 14 f. 23 So aber Decher Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, 1990, S 46 f; Dierdorf Herrschaft, 1978, S 76 ff; Geßler/Geßler Rdn 29; Harms Konzerne im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1968, S 112 ff. 24 Überblick bei Theisen Der Konzern2 S 15 ff; ders in: Albach (Hrsg), Konzernmanagement, 2001, S 27 ff; v Werder Führungsorganisation3 S 299 ff; vgl auch Scheffler FS Goerdeler, 1987, S 469 ff. 25 Druey in: Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 352 f; ein als einheitliche Leitung verstandener Ansatz im UN-Entwurf von 1983 für einen Verhaltenskodex transnationaler Unternehmen ist in der Fassung von 1990 nicht mehr enthalten, vgl Ebenroth Code of Conduct, 1997, Rdn 133 ff; Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 68, 73. – Im schweizerischen OR gibt es die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung noch im Rechnungslegungsrecht für Vereine, Stiftungen und Genossenschaften, Art 963 A Satz 4 OR, im
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bichler Vor §§ 15 ff Rdn 24, 63 ff), das in vielfacher Hinsicht dem Begriff der Abhängigkeit entspricht (Windbichler § 17 Rdn 8). Österreich hat die Definition des § 15 aus dem AktG von 1937 beibehalten; wesentliche Vorschriften knüpfen aber an den Begriff des verbundenen Unternehmens iSd § 228 Abs 3 öUGB an, der die Rechnungslegung betrifft.26 Der Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht von 1998 hat den Begriff der einheitlichen Leitung nicht übernommen, sondern geht vom control-Konzept der 7. Richtlinie aus. Die Empfehlung des Forums, eine kohärente Gruppenpolitik mit langfristiger Ausgleichschance auch zum Nachteil von beherrschten Gesellschaften zuzulassen, sog Rozenblum-Konzept,27 verlangt wohl zunächst eine Art Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung. Das gilt ebenso für den Vorschlag des Forum Europaeum on Company Law von 2015.28 II. Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung 19
1. Auslegungsgesichtspunkte. Die Kontroversen zum Merkmal der Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung (Rdn 17) sind angesichts des begrenzten Anwendungsbereichs von begrenzter Bedeutung. Auslegungsgesichtspunkte bieten die Rechtsnormen, die in Beziehung zum technischen Konzernbegriff stehen. Die Unterscheidung nach einem „engen“ oder „weiten“ Konzernbegriff29 hat allenfalls deskriptive Funktion hinsichtlich der verschiedenen Auffassungen, die zur Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung vertreten werden,30 jedoch keinen eigenen Erklärungswert. Insbesondere verfehlt wäre die Vorstellung, ein weiter Konzernbegriff eröffne einen weiten Anwendungsbereich von Schutzvorschriften namens „Konzernrecht“.31 Auch die Vernachlässigung der „Zusammenfassung“ als überflüssiges Merkmal wird dem Gesetz nicht gerecht. Der Begriff illustriert immerhin, wohin die einheitliche Leitung führt bzw welche Art der einheitlichen Leitung gemeint ist.
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a) Der Unterordnungskonzern kann im Verhältnis zur Abhängigkeit, für die die Beherrschungsmöglichkeit genügt, als deren Verwirklichung gesehen werden,32 indem
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italienischen Recht für bestimmte Sanierungsfälle, Mohn Die Gesellschaftsgruppe im italienischen Gesellschaftsrecht, 2012, S 69 ff. 26 Kalss/Nowotny/Schauer/Kalss Österreichisches Gesellschaftsrecht, 2008, Rdn 3/926 ff. 27 Forum Europaeum Konzernrecht ZGR 1998, 672, 696 f, 705 ff; Druey FS Hommelhoff, 2012, S 135, 147 f; zu Anlässen zur Skepsis demgegenüber Windbichler FS Ulmer, 2003, S 683, 689 ff; dies Vor §§ 15 ff Rdn 81; §§ 101 Abs 3, 197 Abs 2 Satz 3 AktG 1937 ließen Benachteiligung im Konzerninteresse zu, vgl Schlegelberger/Quassowski/Herbig/Geßler/Hefermehl 2. Aufl, 1937, § 101 Rdn 9; zur gleichlautenden Vorschrift im öAktG wird eine Ausgleichspflicht bei Benachteiligung, begründet mit Gleichbehandlungsgebot und Verbot der Einlagenrückgewähr, angenommen, Doralt/Nowotny/Kalss/ Saurer öAktG §§ 100, 101 Rdn 20; zur Historie Kropff in: Bayer/Habersack (Hrsg) Aktienrecht im Wandel Bd I, 2007, S 670 ff Rdn 554 ff. 28 ZGR 2015, 507, 513. 29 Für einen tendenziell weiten Konzernbegriff die hM, Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 6; Geßler/Geßler Rdn 10; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 3; Hüffer/Koch11 Rdn 10; Lutter AG 1990, 179, 182 mit Fn 39; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 11; Wiedemann ZGR 1986, 656, 664; ders Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 1988, S 14; mit Hinweis auf geringe praktische Bedeutung Grigoleit Rdn 6; MünchKomm/ Bayer4 Rdn 31 f; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 59 Rdn 36. 30 Ähnlich Emmerich/Habersack KonzernR10 § 4 Rdn 12: keine strengen Gegensätze, sondern eher unterschiedliche Akzentsetzungen. 31 Vgl Hüffer/Koch11 Rdn 10 aE: der Begriff sei weit zu fassen, um Umgehungen der Konzernfolgen zu vermeiden; angesichts der spärlichen Rechtsfolgen überzeugt das nicht. 32 BegrRegE bei Kropff AktG S 33: der beherrschende Einfluss muss tatsächlich ausgeübt werden; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 13; Rowedder/Koppensteiner5 GmbHG Anh zu § 52 Rdn 16; weitergehend Möhring FS H Westermann, 1974, S 427, 438 f: eindeutig mehr erforderlich als die tatsächliche Beherrschung; vgl auch Windbichler § 17 Rdn 14.
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nunmehr tatsächlich Einfluss genommen wird. Da die Abhängigkeit jedoch nicht zwingend zum Konzern führt, darüber hinaus im Fall des Gleichordnungskonzerns Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung auch ohne Abhängigkeit möglich ist, kann der Konzern nicht ausschließlich von der Abhängigkeit her definiert werden.33 Die Vermutungen in Abs 1 Satz 2 und 3 vermögen aber Wesentliches zur Auslegung beizutragen. Die vom Gesetz als typisch angesehenen Fälle dienen als Maßstab, zumal die Widerlegung der Vermutung nach Abs 1 Satz 3 zur Auseinandersetzung mit Details zwingt. Ferner ist beim Anwendungsbereich zu berücksichtigen, dass deutlich mehr Vorschriften bereits bei Mehrheitsbesitz oder Abhängigkeit eingreifen, § 17 nachgerade die Zentralnorm des Rechts der Unternehmensverbindungen darstellt (Windbichler § 17 Rdn 3 ff). Die Frage, für welche Art der Einflussnahme die bei Abhängigkeit einschlägigen §§ 311 ff eine taugliche Regelung darstellen, ist daher für die Definition der einheitlichen Leitung nicht maßgeblich.34 b) Für Abhängigkeit iSd § 17 ist der Blickwinkel des abhängigen Unternehmens ent- 21 scheidend; aus seiner Sicht muss die Möglichkeit beherrschenden Einflusses bestehen (Windbichler § 17 Rdn 18). Demgegenüber kann die Frage, ob Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung besteht, nur aus der Sicht des unmittelbar die Leitung betreibenden Unternehmens festgestellt werden.35 Nur von dort aus lässt sich unterscheiden, ob die Ausübung von Leitungsmacht nur eine Einzelmaßnahme darstellt oder eine planmäßige Zusammenfassung, zumal wenn es sich nicht um ein einzelnes abhängiges Unternehmen handelt, sondern um eine aus einer größeren Mehrzahl von Unternehmen bestehenden Gruppe. Wird eine einzelne unternehmerische Grundsatzentscheidung durch ein anderes Unternehmen maßgeblich beeinflusst, kann das Ausdruck von Abhängigkeit und auch einheitlicher Leitung sein. Zur Begründung des Konzerntatbestandes genügt die Feststellung solcher einzelner Fälle nicht, da der Begriff der Leitung konzeptionelle, planende Elemente enthält, zu denen eine Einzelmaßnahme nichts auszusagen vermag.36 c) Der Konzern war für die Rechnungslegung vor dem BiRiLiG ein maßgebender 22 Schlüsselbegriff; dieser Hauptanwendungsfall (§ 329 aF) schlug sich auch in der Auslegung des Konzernbegriffs nieder. § 290 Abs 1 HGB knüpfte zunächst ebenfalls an die einheitliche Leitung an und setzte damit die nationale Rechtstradition fort (Rdn 9), während nunmehr ausschließlich das control-Konzept maßgeblich ist (Rdn 5; Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 24, 60). Damit ist die Rechnungslegung nach heutigem Stand nicht mehr als Auslegungskriterium tauglich, ggf noch historisch nach § 329 aF.37 Die damalige Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses nahm den Vergleich mit dem Einheitsunternehmen zum Maßstab;38 dem entspricht die Bezeichnung des Konzerns als „wirtschaftli-
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33 Milde Gleichordnungskonzern, 1996, S 6, 70. 34 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 21. 35 Adler/Düring/Schmaltz Rechnungslegung6 AktG § 18 Rdn 52; Barz FS Kaufmann, 1972, S 59, 63; Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 223; Marchand Abhängigkeit und Konzernzugehörigkeit von Gemeinschaftsunternehmen, 1985, S 92 ff; Ulmer ZHR 141 (1977), 466, 477; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 307; vgl auch dies FS Ulmer, 2003, S 683, 690. 36 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 23; vgl auch v Bar BB 1980, 1185, 1188; Möhring FS H Westermann, 1974, S 427, 439: Planmäßigkeit des Konzernverbundes; Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 14 f: einheitliche Konzernstrategie; s auch Rdn 24 ff. 37 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 17; KK/Mertens/Cahn3 Anh § 117 B § 5 MitbestG Rdn 22; – aA Hüffer/ Koch11 Rdn 10; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 11. 38 3. Aufl Barz § 329 Anm 3; der Gedanke klingt in der Fiktion nach § 297 Abs 3 Satz 1 HGB, Art 24 Abs 7 RL 2013/34/EU an, ist aber nicht auslegungserheblich.
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che Einheit“, ohne dass damit eine genaue Definition verbunden wäre (Rdn 17). Auch daraus ergibt sich, dass die punktuelle Koordinierung einer einzelnen Maßnahme für die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung nicht ausreicht. 23 Auch für andere Anwendungsbereiche überzeugt es nicht, die Definition möglichst weit zu fassen, um möglichst viele Fälle zu erreichen (Rdn 19), zumal wenn dafür die spärlicher werdenden Vorschriften außerhalb des AktG herangezogen werden. Die Gesetze über die Unternehmensmitbestimmung nehmen aber insofern eine Sonderstellung ein, als das AktG in § 96 wiederum auf sie Bezug nimmt. Damit wird der Gleichlauf der Auslegung des Konzernbegriffs mindestens nahegelegt (Rdn 14). Da es um die Besetzung des Aufsichtsrates geht, ist der Anwendungsbereich auch ein aktienrechtlicher und damit für die Auslegung erheblich. Die Neufassung des Konzernbegriffs im AktG 1965 erfolgte ua auch zur Ausräumung von Unklarheiten bei der Unternehmensmitbestimmung nach § 76 Abs 4 BetrVG 1952.39 2. Umfang und Gegenstand. Der Umfang der einheitlichen Leitung im Sinne von Intensität sowie ihr Gegenstand sind streitig. Während teilweise entsprechend dem Bezug der Abhängigkeit auf das gesamte Unternehmen auch umfassende Leitung verlangt wird, lassen andere planmäßigen Einfluss auf bestimmte, wichtige Unternehmensfunktionen oder Geschäftsbereiche genügen, was sich im sog engen oder weiten Konzernbegriff spiegelt (Rdn 19). Auf jeden Fall muss es sich um die Abstimmung von Entscheidungen auf der unternehmerisch-planenden Ebene handeln, die für das gesamte Unternehmen von tragender Bedeutung sind.40 Dem Erfordernis, dass Abhängigkeit wenigstens gesellschaftsrechtlich vermittelt sein und sich auf das gesamte Unternehmen beziehen muss (Windbichler § 17 Rdn 12, 17), ferner dem Grundverständnis der verbundenen Unternehmen als Übergang vom Vertrag zur Organisation41 entspricht es, auch bei der einheitlichen Leitung vom ganzen Unternehmen auszugehen. In diesem Sinne kann von wirtschaftlicher Einheit gesprochen werden. Die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung erfordert daher eine konzeptionelle Formulierung von Zielen, organisatorische Vorgaben zur Umsetzung (die auch die Entscheidung für dezentrale Verantwortungsbereiche beinhalten kann), Kontrolle und Anpassung.42 Einzelmaßnahmen genügen nicht, es kann ihnen nur Indizwirkung zukommen. Ein Vergleich mit möglichen Leitungsstrukturen im Einheitsunternehmen ist in25 soweit von Interesse, als sinnvollerweise nicht verlangt werden kann, dass sich die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung im Konzern zentralistischer manifestiert als bei einem Einheitsunternehmen.43 Dezentrale Organisationsformen mit sehr weitgehender Verselbständigung einzelner Unternehmensbereiche sind bekannt und verbreitet.
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39 BegrRegE bei Kropff AktG S 27. 40 BegrRegE bei Kropff AktG S 33: Geschäftspolitik der Konzerngesellschaften und sonstige grundsätzliche Fragen der Geschäftsführung; Dierdorf Herschaft, 1978, S 81; Geßler/Geßler Rdn 34 aE; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 23; Marchand Abhängigkeit und Konzernzugehörigkeit von Gemeinschaftsunternehmen, 1985, S 92 ff; Scheffler Konzernmanagement2, 2005, S 76 ff zu „echten“ Führungsentscheidungen. 41 Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 19 f mwN; die der Unterscheidung Vertrag – Organisation entsprechende Gegenüberstellung Markt – Hierarchie bedeutet freilich nicht, dass die Organisation ihrerseits hierarchisch sein müsste; die Begriffe sind nicht synonym. Der Gleichordnungskonzern ist anschauliches Beispiel dafür; s auch Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 72 f; Seibt/Wollenschläger AG 2013, 229; Wisskirchen/Dannhorn DB 2008, 1139, jeweils zu Matrix-Strukturen. 42 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 23; Marchand Abhängigkeit und Konzernzugehörigkeit von Gemeinschaftsunternehmen, 1985, S 93; Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 30. 43 Doralt/Nowotny/Kalss/Doralt öAktG, 2003, § 15 Rdn 8; ähnlich Klinkhammer Mitbestimmung im Gemeinschaftsunternehmen, 1977, S 47.
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Dementsprechend kann für den Konzern keine engere Koordination verlangt werden. Für einen Kernbereich unternehmerischer Tätigkeit trifft das nicht in gleichem Maße zu, nämlich die Finanzierungs-, Investitions- und Liquiditätspolitik.44 Bei einem Einheitsunternehmen ist der Unternehmensträger auch bei dezentraler Organisation stets als Vertragspartner identisch, als Inhaber des Gesellschaftsvermögens und damit des Eigenkapitals den Anteilseignern verantwortlich. Eine echte, auch rechtliche Diversifikation in finanzieller Hinsicht ist nicht möglich.45 Besteht daher Koordination zwischen mehreren Unternehmen in der abgestimmten Finanzwirtschaft, betrifft dies eine derart zentrale und bedeutende Unternehmensfunktion, dass das Erfordernis der einheitlichen Leitung jedenfalls erfüllt ist.46 Die Annäherung an das Einheitsunternehmen ist besonders deutlich in den Fällen, in denen ein einheitliches cash management mit Finanzierungsfunkton einen engen Verbund herstellt und die Allokation von Ressourcen übernimmt. Weitere Funktionen (nach der Einteilung der Grundfunktionen Beschaffung, Produktion, Absatz oder bestimmte Bereiche) brauchen nicht erfasst zu sein, auch nicht im Sinne einer Gesamtverantwortung47 in Anlehnung an die Vorstandsverantwortung in der unabhängig wirtschaftenden AG. Dementsprechend ist das Bestehen eines dem „Unternehmensinteresse“ vergleichbaren Gesamtinteresses (Konzerninteresse) nicht Voraussetzung, sondern allenfalls Folge des Verbundes. Bei einer reinen Finanzholding, die nicht strategisch auf der unternehmerischen Ebene ihrer Beteiligungen agiert, besteht keine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung.48 Streitig ist, ob die Koordination anderer wichtiger Unternehmensbereiche ohne 26 einheitliche Finanzwirtschaft den Konzerntatbestand erfüllt. Dies wird in der Literatur mit unterschiedlichen Begründungen und Abgrenzungen als sog weiter Konzernbegriff teilweise bejaht (Rdn 19 mwN). Soweit wesentliche Bereiche einer Gesamtplanung unterworfen werden, etwa Produktions-, Absatz- oder Entwicklungspolitik, ist allerdings kaum vorstellbar, dass die Finanzierung dadurch nicht auch einer einheitlichen Planung geöffnet wird. Im praktischen Ergebnis liegen die unterschiedlichen Meinungen daher nicht sehr weit auseinander.49 Abzulehnen ist hingegen die Auffassung, dass die Vergemeinschaftung einzelner wichtiger Bereiche für die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung ausreiche. Es handelt sich dabei um Beziehungsverträge, strategische Allianzen, gegebenenfalls auch um Kartelle,50 die aber nicht beim Unternehmen insgesamt ansetzen (Rdn 24). Dass eine teilweise Koordination von existenzieller Bedeutung sein kann, beispielsweise die Aufgabe der eigenständigen Forschung und Entwicklung,
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44 Zur Bedeutung der Abschreibungs-, Finanzierungs- und Dividendenpolitik für die Unternehmensidentität Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 276 f; ferner Kirchner ZGR 1985, 214, 226; aus betriebswirtschaftlicher Sicht Scheffler Konzernmanagement2 S 92 f. 45 Daran ändern schuldrechtliche Abreden, etwa in der Form der stillen Beteiligung an abgegrenzten betrieblichen Aktivitäten oder des Teilgewinnabführungsvertrages betr bestimmter Betriebe nichts; sog tracking stocks haben sich nicht durchgesetzt, vgl Cichy/Heins AG 2010, 181; Fuchs ZGR 2003, 167; Spindler/Stilz/Vatter3 § 11 Rdn 2 aE. 46 Emmerich/Habersack KonzernR10 § 4 Rdn 13 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 9, 11; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 25; MünchKomm/Bayer4 Rdn 31; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 59 Rdn 40; Reuter ZHR 146 (1982), 1, 10; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 9; als evidentes Beispiel vgl BGHZ 122, 123, 128 ff (TBB); zur Auslegung des § 18 trägt die Rspr zum (inzwischen aufgegebenen) sog qualifizierten faktischen GmbH-Konzern nichts bei. 47 Vgl Kort § 77 Rdn 35 ff. 48 Scheffler Konzernmamagement2 S 60 ff; Theisen Der Konzern2 S 178. 49 Geßler/Geßler Rdn 32; Grigoleit Rdn 6; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 28; MünchKomm/Bayer4 Rdn 31 f; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 9; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 12. 50 Vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 19; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 15; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 27.
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steht dem nicht entgegen; auch existenzielle Wirtschaftsabhängigkeit führt nicht zur Abhängigkeit iSd § 17 (dort Rdn 40); es handelt sich um eine andere Ebene der rechtlichen Betrachtung. Als Kontrollüberlegung ist die Erwägung nützlich, ob der betreffende Bereich im Wege des outsourcing vertraglich auf Dritte verlagert werden könnte. Bei der hier für die einheitliche Leitung erforderlich erachteten Finanzierungspolitik ist das nicht möglich. Die koordinierte Personalpolitik betrifft in jedem Fall die Steuerung des Unternehmensträgers als Ganzem. Dabei ist zu präzisieren: Es handelt sich um die Organbesetzung, nicht das Personalwesen iSd Arbeitnehmerschaft.51 Die Wahrnehmung des Stimmrechts zur Wahl von Personen des eigenen Vertrauens genügt dafür gleichwohl nicht, denn das tut jeder vernünftige Aktionär und entspräche auch dem Gedanken des stewardship, das Vermögensverwaltern nahegelegt wird.52 Signifikant sind aber Überschneidungen in der Organbesetzung, auch der Einsatz eigener leitender Angestellten in Organen anderer Gesellschaften (Windbichler § 17 Rdn 11 ff, 43 ff).53 27
3. Leitungsmittel. Hinsichtlich der Leitungsmittel stellt das Gesetz keine besonderen Anforderungen. Nach allgemeiner Meinung sind Weisungen nicht erforderlich, in den meisten Fällen auch gar nicht möglich idS, dass eine Folgepflicht bestünde.54 Wie Abs 1 Satz 3 zeigt, genügt die Koordination über die gezielte Auswahl der Personen für die mit Hilfe der Mehrheitsmacht zu besetzenden Organe55 und Ausübung des dadurch gewährten Einflusses, ohne dass es einer weiteren rechtlichen Absicherung bedürfte. Wesentlich ist, dass die informellen Mittel wie Verhaltenserwartungen und Anreizsysteme tatsächlich im Sinne einheitlicher Leitung eingesetzt werden. Die Intensität der Einflussnahme bei typisierter Betrachtung der aus Mehrheitsbeteiligung folgenden Abhängigkeit und ihres praktischen Einsatzes bildet wiederum den Maßstab für die Tauglichkeit anderer Leitungsmittel. Die Praxis hat eine Vielzahl von ausdifferenzierten Führungsmodellen entwickelt.56 Ein besonderes rechtliches Interesse daran ergibt sich anhand der positiven Feststellung einheitlicher Leitung beim Gleichordnungskonzern (Rdn 45, 49) und zum Zweck der Widerlegung der Vermutung des Abs 1 Satz 3 (Rdn 36 ff). III. Unterordnungskonzern
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Der Unterordnungskonzern, Abs 1, hat größere Bedeutung als der Gleichordnungskonzern. Rechtsprechung und Lehre befassen sich ganz überwiegend mit dieser Konzernart (Rdn 6). Das Gesetz nennt ihn an erster Stelle und bestimmt durch die Sätze 2 und 3 mittelbar die Auslegung der „Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung“
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51 Missverständlich insoweit 4. Aufl Oetker § 5 MitbestG Rdn 20; einer Koordination der Beschäftigung von Arbeitnehmern sind durch das Arbeitsrecht Grenzen gesetzt, vgl § 1 Abs 3 Nr 2 AÜG, dazu ErfKommArbR/Wank16 § 1 AÜG Rdn 57 f; Schüren/Haarmann AÜG4 § 1 Rdn 485 ff. 52 Vgl Financial Reporting Council, The UK Stewardship Code [https://www.frc.org.uk/FRC-Documents/ FRC/The-UK-Stewardship-Code.aspx (29.11.2015)]; Fleischer/Strothotte AG 2011, 221; Hirt ZGR 2012, 280; Reisberg Journal of Corporate Law Studies 2015, 217; Windbichler NJW 2012, 2625, 2626. 53 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 14 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 29; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 59 Rdn 40. 54 AllgM, BegrRegE bei Kropff AktG S 33; Adler/Düring/Schmaltz Rechnungslegung6 § 18 AktG Rdn 20 ff; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 16; Geßler/Geßler Rdn 27; Hüffer/ Koch11 Rdn 12; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 35; MünchKomm/Bayer4 Rdn 34; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 12; Wiedemann Unternehmensgruppe, 1988, S 44; 3. Aufl Würdinger Anm 5, 13. 55 Ein Indiz dafür enthält § 100 Abs 2 Satz 2. 56 Decher Personelle Verflechtung im Aktienkonzern, 1990, S 19 ff; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 38; Scheffler Konzernmanagement2 S 78 ff; Theisen Der Konzern2 S 199 ff.
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(Rdn 20). Die große Mehrzahl der Rechtsfolgen knüpft an den Unterordnungskonzern an (Rdn 8, 12, 15). 1. Vertrags- und Eingliederungskonzern a) Besteht ein Beherrschungsvertrag (§ 291) oder ist eine AG in eine andere einge- 29 gliedert (§ 319), wird die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung und damit der Konzerntatbestand unwiderleglich57 vermutet (§ 18 Abs 1 Satz 2). In diesen Fällen ist die Leitungszuständigkeit umfassend und auf satzungsgleicher Ebene58 dem herrschenden Unternehmen bzw der Hauptgesellschaft eröffnet (§§ 308, 323 Abs 1). Die Kapitalschutzvorschriften sind gelockert (§§ 57 Abs 1 Satz 3, 291 Abs 3, 323 Abs 2), zum Ausgleich gelten Verlustübernahmepflicht sowie spezielle Schutznormen für die Aktionäre und Gläubiger. Diese grundlegenden Strukturänderungen bestehen auch in den Fällen, in denen ausnahmsweise von der Leitungskompetenz kein Gebrauch gemacht werden sollte. Die organisationsrechtliche Gestaltung des Verbundes rechtfertigt es, in jedem Falle einen Konzern anzunehmen, zumal der gesetzlich geregelte Finanzverbund (§§ 300 ff, 322 ff; vgl Rdn 25) unabhängig von der tatsächlich praktizierten Leitungsorganisation besteht. Ist die Leitungszuständigkeit nicht erst durch Unternehmensvertrag, sondern von 30 Anfang an in der Satzung verankert (Windbichler § 17 Rdn 31 ff), ist die Ausgangslage insoweit mit § 18 I 2 vergleichbar.59 Es ist vom Konzerntatbestand auszugehen, auch wenn im Einzelnen vorgetragen wird, die Gesellschaft übe zB die satzungsmäßige dienende Funktion nicht aus. Durch die Verweisung auf Vorschriften des AktG erfasst Abs 2 Satz 2 zunächst nur 31 die Fälle des Beherrschungsvertrages mit einer AG und der Eingliederung im rechtstechnischen Sinn der §§ 319 ff. Bei anderen Rechtsformen ist die Eingliederung nicht möglich; es handelt sich um ein aktienrechtsspezifisches Instrument.60 Die Frage nach der Übertragbarkeit auf die „Eingliederung“61 anderer Unternehmensträger stellt sich daher nicht. b) Bei anderen Unternehmensverträgen ist dagegen zu fragen, ob auch sie wie 32 Beherrschungsverträge nach § 291 zur (unwiderleglichen) Konzernvermutung führen. Gewinnabführungs- und Geschäftsführungsverträge iSd § 291 sind in Abs 1 Satz 2 nicht erwähnt; auch auf die Unternehmensverträge des § 292 ist nicht Bezug genommen. Für den Gewinnabführungsvertrag erscheint das inkonsequent, da auch hier der Finanzverbund hergestellt ist.62 Es fehlt aber an der organisationsrechtlichen Verlagerung der Lei-
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57 Allg M; BegrRegE bei Kropff AktG S 33; Geßler/Geßler 59; Hüffer/Koch11 17; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 39; MünchKomm/Bayer4 Rdn 44. 58 BegrRegE bei Kropff AktG S 376 (Strukturänderung); Geßler/Geßler § 291 Rdn 24; Hüffer/Koch11 § 291 Rdn 2, § 319 Rdn 3; KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 156 ff; 4. Aufl Hirte § 308 Rdn 16; mit anderer Konstrukion 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 25 ff. 59 4. Aufl Assmann/Sethe Vor § 278 Rdn 79 ff; Baumbach/Hueck/Zöllner/Beurskens GmbHG20 SchlAnhKonzernR Rdn 65; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 36 Rdn 12 ff (betr Genossenschaft); Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 300 ff; Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 28. 60 4. Aufl Schmolke Vor § 319 Rdn 9 ff; Hüffer/Koch11 § 319 Rdn 4; KK/Koppensteiner3 Vor § 319 Rdn 10 f; MünchKomm/Grunewald4 Vor § 319 Rdn 4; hM ablehnend zur KGaA, 4. Aufl Schmolke Vor § 319 Rdn 10 f; Bürgers/Körber/Förl/Fett3 § 278 Rdn 52; KK/Mertens/Cahn3 Vor § 278 Rdn 21; KK/Koppensteiner3 Vor § 319 Rdn 10 f; MünchKomm/Grunewald4 § 319 Rdn 5, 9; Spindler/Stilz/Bachmann3 § 278 Rdn 89. 61 Vgl etwa den Sprachgebrauch in BGH NJW 1980, 231 (Gervais) oder zur körperschaftsteuerlichen Organschaft, § 14 Abs 1 Satz 1 Nr 1 KStG; KK/Koppensteiner3 Vor § 319 Rdn 1. 62 Gem § 19 Abs Nr 1 b KWG gelten Unternehmen, zwischen denen ein Gewinnabführungsvertrag besteht, als ein Kreditnehmer.
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tungsmacht, so dass die Einflussnahme iS einheitlicher Leitung auf gleicher Grundlage wie im faktischen Konzern erfolgt und deshalb der Widerlegung zugänglich sein soll. Praktische Relevanz dürfte einer derartigen Fallkonstellation kaum zukommen.63 Die Unternehmensverträge des § 292 sind sehr unterschiedlich in Inhalt, Voraussetzungen und Folgen. Sie führen nicht stets zur Abhängigkeit (Windbichler § 17 Rdn 37 f). Eine Konzernvermutung besteht daher sinnvollerweise nicht.64 Gegebenenfalls greift aber die Vermutung des Abs 1 Satz 3 ein. Im Übrigen ist der Konzerntatbestand im Einzelfall positiv festzustellen. 33
c) Bei der Frage, ob auch bei beherrschten Vertragspartnern in anderer Rechtsform als der AG Abs 1 Satz 2 gilt, ist zu differenzieren. Beherrschungsverträge führen stets zur unwiderleglichen Konzernvermutung, wenn sie die oben bezeichnete (Rdn 29) strukturändernde Charakteristik aufweisen, dh Organisationsverträge auf Satzungsebene sind. Für die GmbH ist diese Möglichkeit anerkannt,65 im Übrigen ist sie str. Wegen der rechtsformimmanenten Förderaufgabe der Genossenschaft bleibt Fremdbestimmung durch satzungsüberlagernden Beherrschungsvertrag jedenfalls an den Förderzweck gebunden.66 Bei Personengesellschaften werden teilweise zwecküberlagernde Unternehmensverträge bei Verankerung auf der Ebene der Gesellschafter selbst für zulässig erachtet,67 teilweise werden nur schuldrechtliche Verträge zugestanden 68 (vgl Windbichler § 17 Rdn 36 f). Da bei dieser Rechtsform ohnehin stets eine Einzelfallbetrachtung erforderlich ist (Windbichler § 16 Rdn 17, 20; § 17 Rdn 28) und auch der Unternehmensvertrag einzeln qualifiziert werden muss, wäre eine unwiderlegliche Vermutung verfehlt. Der Konzerntatbestand ist in solchen Fällen nach Abs 1 Satz 1 festzustellen oder nach Satz 3 (widerleglich) zu vermuten.
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2. Faktischer Konzern. Mit dieser Bezeichnung werden Konzerne gekennzeichnet, die nicht auf Beherrschungsvertrag oder Eingliederung beruhen. Das Gesetz verwendet den Begriff nicht, er hat sich aber eingebürgert. Die Vermutung des Abs 1 Satz 3 gibt das Muster dafür ab. Die durch Mehrheitsbeteiligung typischerweise gegebene Beherrschungsmöglichkeit wird in aller Regel wahrgenommen. Von diesem Erfahrungssatz ging die BegrRegE aus.69 Die einheitliche Leitung wird durch die Besetzung der Verwaltungsorgane sowie informelle Mittel ausgeübt. Nach Abs 1 Satz 3 wird daher von einem abhängigen Unternehmen widerleglich70 angenommen, dass es mit dem herrschenden
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63 Ebenso KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 39 aE. 64 Hüffer/Koch11 Rdn 3. 65 BGHZ 103, 1 (Familienheim); BGHZ 105, 324, 331 (Supermarkt); vgl nunmehr auch § 30 Abs 1 Satz 2 GmbHG. 66 HM, Beuthien in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg) Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991, S 133, 137 ff; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 36 Rdn 18 f; Henssler/Strohn/Geibel2 § 1 GenG Rdn 38; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs/Fandrich GenG4 § 1 Rdn 58. 67 Baumgartl Die konzernbeherrschte Personengesellschaft, 1986, S 43 ff; Burbach Das Recht der konzernabhängigen Personengesellschaft, 1989, S 215 ff; Kleindiek Strukturvielfalt im Personengesellschafts-Konzern, 1991, S 70 ff, 85, 127 f, 250 f; Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 58, 67 f. 68 Flume Die Personengesellschaft § 14 X (S 255); Haar Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S 272, 297 ff; Reuter ZHR 146 (1982), 1, 15 ff; UH Schneider ZGR 1980, 511, 517 ff; Löffler Die abhängige Personengesellschaft, 1988, 1988 S 36; – differenzierend Raiser ZGR 1980, 558, 563; Schießl Die beherrschte Personengesellschaft, 1985, S 13, 53. 69 BegrRegE bei Kropff AktG S 33; vgl auch BGHZ 89, 162, 167 (Heumann/Ogilvy); KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 40. 70 AllgM; BegrRegE bei Kropff AktG S 33; Geßler/Geßler Rdn 61; Hüffer/Koch11 Rdn 18; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 40; MünchKomm/Bayer4 Rdn 46; Rowedder/Koppensteiner GmbHG5 Anh § 52 Rdn 15.
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Unternehmen einen Konzern bildet. Sind mehrere Unternehmen von einem anderen abhängig, bilden sie einen einheitlichen Konzern. Der mehr als zweigliedrige Konzern ist rechtstatsächlich der Normalfall (Rdn 4, Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 15), wobei Vertrags-, Eingliederungs- und faktische Konzernierung zusammentreffen können. Ob § 18 innerhalb eines Konzerns einen rechtlich relevanten (Unter-)Konzern vorsieht, ist streitig, dazu näher unten VI. (Rdn 83). Über die Zulässigkeit des faktischen Konzerns macht § 18 Abs 1 Satz 3 insofern eine Aussage, als dieser jedenfalls rechtlich möglich ist (Rdn 87; Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 54). Die Definitionsnorm enthält jedoch keine Regelung über die materiellen Voraussetzungen und Folgen der faktischen Konzernierung. Bei anderen Gesellschaftsformen als der AG ist die Konzernvermutung anwend- 35 bar, wenn die Abhängigkeit in Voraussetzung und Folgen der aktiensrechtstypischen Situation vergleichbar ist. Bei der GmbH ist das sicher der Fall, zumal die Mehrheitsbeteiligung angesichts der Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung einen direkteren Einfluss auf die Geschäftsführung vermittelt als bei der AG. Für Personengesellschaften wird die Anwendbarkeit der Vermutung überwiegend bejaht.71 Dem ist zu folgen; die Bedeutung der Vermutung dürfte allerdings nicht groß sein, da schon die Feststellung der Abhängigkeit gesellschaftstypisch nicht ohne Einzelfallbetrachtung auskommt (Windbichler § 17 Rdn 27 f). 3. Widerlegung der Vermutung a) Zur Widerlegung der Konzernvermutung ist allgemein der Nachweis erforderlich, 36 dass (trotz Abhängigkeit) keine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung erfolgt. Wird bereits die Abhängigkeitsvermutung widerlegt, erübrigt sich die Konzernvermutung. Entscheidend für die Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung ist der Nachweis, dass die mit der Mehrheitsbeteiligung typischerweise verbundene Einflussmöglichkeit nicht besteht (Windbichler § 17 Rdn 71 ff). Bei der Konzernvermutung geht es hingegen um die Ausübung der Möglichkeit des beherrschenden Einflusses in Form der Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung. Punktuelle Einflussnahme schadet nicht,72 soweit das für den Konzern konstitutive Element der Planungskoordination auf Unternehmensebene mit entsprechendem Controlling (Rdn 24 ff) fehlt. Tatsachen, die zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung nicht ausreichen, können zur Widerlegung der Konzernvermutung taugen, etwa dass die bestehende Einflussmöglichkeit nicht realisiert wird (vgl Windbichler § 17 Rdn 71). Branchenferne bzw -nähe können eine Rolle spielen; Branchenverschiedenheit allein genügt als Widerlegungskriterium aber nicht;73 auch Konglomerate können als Verbund, vor allem als Finanzverbund geführt werden. Bei Branchenverschiedenheit dürfte es allerdings leichter fallen, die Erhaltung getrennter Finanzverantwortung nachzuweisen. b) Unter den denkbaren Anwendungsfällen lassen sich Fallgruppen bilden, die je- 37 doch nicht abschließend zu verstehen sind. Die Unsicherheiten der genaueren Erfassung
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71 BGHZ 89, 162, 167 (Heumann/Ogilvy); Löffler Die abhängige Personengesellschaft, 1988, S 20; Schießl Die beherrschte Personengesellschaft, 1985, S 13; Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 29 (für bestimmte Fallgruppen). 72 Adler/Düring/Schmaltz Rechnungslegung6 § 18 AktG Rdn 73; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktienund GmbH-KonzernR7 Rdn 23 aE; KK/Mertens/Cahn3 Anh § 117 B § 5 MitbestG Rdn 26; Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 29. 73 Staub/Schäfer HGB5 Anh § 105 Rdn 29; ähnlich KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 45 aE.
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der Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung spiegeln sich naturgemäß auch in den Anforderungen an die Widerlegung der Vermutung wider. 38
aa) Handelt es sich um eine nur vorübergehende Mehrheitsbeteiligung, hindert das die Abhängigkeitsvermutung nicht; dementsprechend folgt aus der vermuteten und nicht widerlegten (dazu Windbichler § 17 Rdn 72 ff) Abhängigkeit auch die Konzernvermutung. Die Fälle, in denen nur die Konzernvermutung, nicht aber die der Abhängigkeit widerlegt wird, dürften selten sein. Die Inanspruchnahme der kartellrechtlichen Bankenklauseln, die für die Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung nicht ausreicht (vgl Windbichler § 17 Rdn 73), kann die Unterlassung der Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung belegen. Fiel in den bisherigen Zeitraum des Anteilsbesitzes kein Hauptversammlungstermin oder standen Aufsichtsratswahlen nicht auf der Tagesordnung, spricht das ebenfalls gegen die aktive Ausübung der Beherrschungsmöglichkeit und damit gegen die einheitliche Leitung, selbst wenn die Abhängigkeit mit diesem Argument nicht beseitigt wird (Windbichler § 17 Rdn 21, 72).
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bb) Das Fehlen einheitlicher Leitung könnte durch Unterlassen der Konsolidierung oder Dekonsolidierung zum Ausdruck kommen. Wie auch schon bei der Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung hat die Bilanzierung nur Hinweischarakter und ist für die aktienrechtliche Einordnung nicht entscheidend (Windbichler § 17 Rdn 72). Die wenigen Fälle, in denen ein Konsolidierungswahlrecht besteht, legen Sachverhalte nahe, in denen auch die einheitliche Leitung nicht besteht. Das trifft die Beschränkung der Ausübung der Rechte des Mutterunternehmens (§ 296 Abs 1 Nr 1 HGB), wenn dadurch nicht schon die Abhängigkeit abgelehnt werden muss (Windbichler § 17 Rdn 88). Besteht Veräußerungsabsicht (§ 296 Abs 1 Nr 3 HGB), hindert das die Abhängigkeit nicht (Windbichler § 17 Rdn 72). Gegen die einheitliche Leitung kann sprechen, dass wegen der beabsichtigten Trennung vom Verbund einheitlich planende Einflussnahme fehle und die Zusammenfassung jedenfalls nicht mehr gegeben sei. Zwingend ist das nicht. Die Einflussnahme mag im Hinblick auf das Ausscheiden aus dem Verbund gerade aus dem Blickwinkel des Verbundes erfolgen,74 zumal wenn die Beteiligung eine längere Vorgeschichte hat. Es kommt also auf die Verhältnisse des Einzelfalles an.
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cc) Verträge, sei es mit einem Gesellschafter oder der Gesellschaft selbst, sind nur begrenzt geeignet, die Abhängigkeitsvermutung zu widerlegen (Windbichler § 17 Rdn 76 ff). In den Fällen, in denen trotz eines „Entherrschungsvertrages“ von Abhängigkeit auszugehen ist, kann aber der Verzicht auf die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung erfolgreich belegt werden. Im Mitbestimmungszusammenhang wurde ein Beherrschungsvertrag mit einem dritten (ebenfalls konzernzugehörigen, aber ausländischen) Unternehmen zur Widerlegung des Konzerntatbestandes akzeptiert.75 Für das Gesellschaftsrecht ist das nicht zwingend, zumal wenn der Partner des Beherrschungsvertrages zum selben Verbund gehört.
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dd) Besteht Abhängigkeit von mehreren Unternehmen in der Form, dass teils mittelbare, teils unmittelbare Abhängigkeit (mehrstufige Abhängigkeit, Windbichler § 17
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74 Vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 21: „Sollbruchstelle“, Bündelung von Werten in den rechtlich selbständigen Einheiten. Dieses Bündel kann zum Zweck der Veräußerung etwas anders geschnürt werden; die abzugebende Tochtergesellschaft kann als „Braut“ schön gemacht werden. 75 OLG Düsseldorf 30.10.2006 – I-26 W 14/06 AktE, NZG 2007, 77, 78 zu § 5 Abs 3 MitbestG; vgl unten Rdn 82.
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Rdn 57) besteht, bezieht sich die Konzernvermutung auf das gesamte Gebilde unter der Leitung des unabhängig herrschenden Unternehmens.76 Es handelt sich um den Normalfall des oft vielfach gestuften Unterordnungskonzerns. Eine Organisationsstruktur, die verhältnismäßig selbständige Unterzentren („Konzern im Konzern“, Rdn 83) zulässt, ist zur Widerlegung der einheitlichen Leitung des Gesamtkonzerns nicht geeignet. Besteht dagegen die Abhängigkeit von mehreren Unternehmen in ihrer Ver- 42 bundenheit (Windbichler § 17 Rdn 67), dh bei paritätischen Gemeinschaftsunternehmen, nimmt die hM an, dass das Gemeinschaftsunternehmen mit den Müttern jeweils einen Konzern bildet bzw zu den Konzernen gehört, denen die Mütter angehören.77 Dagegen spricht aber, dass zwar das abhängige Unternehmen dem koordinierten Einfluss der Mütter ausgesetzt ist, die Mütter jedoch jeweils für sich keinen herrschenden Einfluss haben, sondern auf die Koordination angewiesen sind (Windbichler § 17 Rdn 61 ff). Dass keine mehrfache Konzernzugehörigkeit besteht, folgt ferner daraus, dass die gemeinsame Beherrschung zwar eine Koordinierung des Einflusses auf das abhängige Unternehmen erfordert, der Schluss auf eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung auch der unternehmerischen Ebene (Rdn 24) der herrschenden Unternehmen dadurch aber nicht gerechtfertigt ist. Letztere kann nicht aus der Perspektive des Gemeinschaftsunternehmens beurteilt werden (Rdn 21). Insoweit ist die Vermutung bereits durch die atypische Begründung der Abhängigkeit widerlegt (vgl zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung bei atypischen Konstellationen Windbichler § 17 Rdn 74). In Betracht kommt die konzernmäßige Gleichordnung der herrschenden Unternehmen, die aber mit der Vermutung des § 18 Abs 1 Satz 3 nichts zu tun hat und gesondert festgestellt werden muss (Rdn 60 ff). ee) Die Insolvenz eines in Mehrheitsbesitz befindlichen Unternehmens widerlegt 43 zwar nicht die Abhängigkeitsvermutung (Windbichler § 17 Rdn 87), die Möglichkeit der Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung wird aber durch die Kompetenzen des Insolvenzverwalters beseitigt.78 Die konzeptionelle Unternehmensleitung folgt nunmehr den durch die InsO vorgegeben Zielen. Bei Verfahrensverbindung mehrerer Insolvenzen im Konzern, etwa bei Personenidentität des Insolvenzverwalters oder Sachwalters bei Eigenverwaltung, ist Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung aber nicht ausgeschlossen.79 Wird das herrschende Unternehmen insolvent, gehört es zu den Aufgaben des Insolvenzverwalters, Beherrschungsmöglichkeiten und einheitliche Leitung im Sinne des gesetzlichen Verfahrenszweckes einzusetzen. Der Konzerntatbestand kann somit im Einzelfall gelöst oder auch erhalten bleiben. Die Insolvenz des herrschenden Unternehmens allein genügt daher nicht zur Widerlegung der Konzernvermutung, es kommt auf die konkret getroffenen Maßnahmen an. Entsprechendes gilt für die Phase der Liquidation. c) Ein besonderes Verfahren für die Widerlegung der Vermutung ist nicht vorgese- 44 hen (vgl Windbichler § 15 Rdn 3, § 17 Rdn 87). Es finden vielmehr die Vorschriften An-
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76 HM; Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 9, 12; Grigoleit Rdn 10; Hüffer/Koch11 Rdn 13; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 31, 45 aE; MünchKomm/Bayer4 Rdn 39, 42; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 14. 77 Grigoleit Rdn 12; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 44; MünchKomm/Bayer4 Rdn 43; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 15; die dort jeweils herangezogene Argumentation aus dem Bilanzrecht greift aber nicht, da § 290 HGB keine einheitliche Leitung voraussetzt und auch nicht zwingend doppelte Vollkonsolidierung verlangt, vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 60; dies FS Kirchner, 2014, S 441. 78 Zust KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 45; – differenzierend betr die Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft durch Bestellung eines Sequesters für die Organgesellschaft (Gemeinschuldnerin) BFH ZIP 1997, 1656. 79 Vgl den Sachverhalt in BFH 19.3.2014 – VB14/14, NZI 2014,421.
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wendung, die für den Rechtsstreit maßgebend sind, in dessen Kontext sich die Frage nach dem Konzerntatbestand stellt. Das kann zB im Statusverfahren (§ 99 iVm § 26 FamFG) auch ein Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz sein. Die Widerlegung der Vermutung steht jeder Partei zu, die daraus Rechtsfolgen herleiten will.80 Davon zu unterscheiden ist die materielle Frage des Blickwinkels, aus dem die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung zu sehen ist. Dass dafür die Perspektive des herrschenden Unternehmens maßgebend ist (Rdn 21), führt möglicherweise zu Beweisproblemen, nimmt aber dem abhängigen Unternehmen oder ggf einem Dritten nicht die rechtliche Chance der Widerlegung der Konzernvermutung. Im Einzelfall sind, auch mit Rücksicht auf die Reichweite der Rechtskraft, die prozessualen Instrumente der Drittbeteiligung auszuschöpfen. IV. Gleichordnungskonzern 45
Mit dem Begriff des Gleichordnungskonzerns, den das Gesetz nicht als Definition verwendet, werden die Unternehmensverbindungen des Abs 2 bezeichnet (Rdn 6). Wie alle Konzerne ist der Gleichordnungskonzern durch die Zusammenfassung mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen unter einheitlicher Leitung gekennzeichnet (Rdn 17). Darüber hinaus ist erforderlich, dass die Unternehmen in keinem Abhängigkeits- bzw Beherrschungsverhältnis zueinander stehen. Das schließt nicht aus, dass zu anderen Unternehmen Abhängigkeits- oder Beherrschungsverhältnisse bestehen (Rdn 59 ff). Da es keinen gesetzlich typisierten Gleichordnungsvertrag gibt, der dem Beherrschungsvertrag vergleichbar wäre (Rdn 50 f), führt die Unterscheidung in faktische (vgl Rdn 34) Gleichordnungskonzerne und solche auf vertraglicher Grundlage begrifflich nicht weiter. Führt die (zunächst) gleichgeordnete, freiwillig eingegangene81 Verbindung nachträglich zu Abhängigkeit, liegt ein Unterordnungskonzern vor. Wirtschaftliche Abhängigkeit genügt dafür jedoch nicht, es müssen vielmehr die Kriterien des § 17 erfüllt sein.
1. Bedeutung. Auf Gleichordnungskonzerne finden diejenigen Vorschriften Anwendung, die auf verbundene Unternehmen (Rdn 3) oder den Konzernbegriff insgesamt Bezug nehmen (Rdn 8). Auf § 18 Abs 2 verweist das AktG nur einmal mittelbar, indem § 291 Abs 2 Verträge voneinander unabhängiger Unternehmen, durch die sich diese einheitlicher Leitung unterstellen, ausdrücklich nicht als Beherrschungsverträge bezeichnet. Die Verweisungen außerhalb des AktG auf § 18 oder den Konzernbegriff sind nach Sinn und Zweck der jeweiligen Norm dahingehend zu überprüfen, ob auch Gleichordnungskonzerne erfasst werden sollen (vgl Rdn 9 f). Nach Art 22 Abs 7 der Rechnungslegungsrichtlinie82 besteht die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, auch im Gleichordnungskonzern eine konsolidierte Rechnungslegung zu verlangen. Der deutsche Gesetzgeber hat davon, wie schon in §§ 329 ff AktG aF, nicht Gebrauch gemacht. Vertieft erörtert wurde die Frage nach der kartellrechtlichen Einordnung von 47 Gleichordnungskonzernen, die vom Gesellschaftsrecht nicht isoliert werden kann, wenn
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80 AA KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 40, es sei Sache der Konzernleitung darzutun, dass einheitliche Leitung nicht ausgeübt werde. 81 BegrRegE bei Kropff AktG S 377: kein Konzernkonflikt; krit dazu 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 214; Drygala Gläubigerschutz, 1991, S 116; Paschke/C Reuter ZHR 158 (1994) 390, 394; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 4 Rdn 40; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 65 Rdn 11. 82 RL 2013/34/EU; Vorläufer Art 12 Abs 1 Siebente Richtlinie über den konsolidierten Abschluss vom 13.6.1983 83/349/EWG.
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die Verwendung des Begriffes in diesem Zusammenhang einen Sinn haben soll. Eine solche Verbindung könnte ein Kartell oder ein Zusammenschluss sein oder als Zurechnungsgrundlage dienen.83 Unabhängig von der spärlichen Erwähnung im Gesetz mögen sich im Gleichordnungskonzern Rechtsfolgen aus allgemeinen Grundsätzen, zB für einen Risikoausgleich, herleiten lassen. Durch die Verweisungen ist die rechtliche Bedeutung daher nicht abschließend umrissen. Andererseits lassen sich mit der begrifflichen Einordnung allein keine Rechtsfolgen begründen.84 Die praktische Bedeutung des Gleichordnungskonzerns ist unklar; empirisches 48 Material liegt nicht vor, so dass lediglich Erfahrungen mit einzelnen Sachverhalten Mutmaßungen zulassen. Rechtstatsächlich und -vergleichend hat der Gleichordnungskonzern wohl nicht die Bedeutung der Unterordnungsbeziehungen.85 Möglicherweise unterschätzt werden Gleichordnungsstrukturen im mittelständischen Bereich86 oder in bestimmten Branchen.87 Gleichordnungsbeziehungen dienen als Fusionsersatz, wenn einer echten Verschmelzung Hindernisse entgegenstehen88 (grenzüberschreitende Fusion, Steuerprobleme etc). 2. Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung. Der Konzernbegriff wird meist 49 anhand des wichtigsten Anwendungsfalles, des Unterordnungskonzerns, erörtert (Rdn 20 ff), woraus sich für die gleichgeordnete Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung wenig ergibt. Sie ist jedenfalls nicht das Ergebnis einer aktualisierten Beherrschungsmöglichkeit. Hinsichtlich der Leitungsmittel formuliert das Gesetz keine besonderen Anforderungen (Rdn 27); der Rückgriff auf die Umstände, die zur Vermutung des Unterordnungskonzerns führen, steht nicht zur Verfügung. Die gleichgeordnete einheitliche Leitung muss planmäßig auf der Ebene der Unternehmen als Ganze erfolgen; die Koordination einzelner Bereiche genügt nicht.89 Auch im Gleichordnungskonzern muss die Zu-
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83 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 27; Gromann Die Gleichordnungskonzerne im Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1979, S 93 ff; Paschke/C Reuter ZHR 158 (1994) 390 zu BGHZ 121, 137 (Zurechnungsklausel); K Schmidt FS Rittner, 1991, S 561 ff; unter wettbewerblichen und Effizienzgesichtspunkten I Schmidt/Fritz FS Kantzenbach, 1996, S 119 ff. 84 Anders wohl BAG 8.9.1998 – 3 AZR 185/97 (durch Rechtsprechungsänderung überholt); Lutter/Drygala ZGR 1995, 557 ff (Einzelausgleich, in Sonderfällen Verlustausgleich); Emmerich/Habersack KonzernR10 § 4 Rdn 41 f; Milde Gleichordnungskonzern, 1996, S 137 ff; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 65 Rdn 11; K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 429 ff (Verlustgemeinschaft); Wellkamp DB 1993, 2517, 2520 f (Verlustausgleich). 85 Vgl etwa Druey in Lutter (Hrsg) Konzernrecht im Ausland, 1994, S 310, 340 zur Übernahme begrifflicher Differenzierungen aus dem deutschen Recht: der Gleichordnungskonzern sei eine herzlich unwichtige Variante; vgl auch Adler/Düring/Schmaltz Rechnungslegung6 AktG § 18 Rdn 79; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 14 aE; K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 418, 431. 86 Vgl die Hinweise bei K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 433, 436; auch Sachverhalt der bofrost∗Entscheidung, BAG 30.3.2004 – 1 ABR 61/01, NZA 2004, 863 (dazu unten Rdn 81 aE). 87 Für den Versicherungsbereich Peiner VersW 1992, 920; Decher Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, 1990, S 89; Dreher FS E Lorenz, 1994, S 175, 177 ff; Timm/Messing FS Hommelhoff, 2012, S 1237, 1238 ff; dem entspricht der Sachverhalt in BAG 16.8.1995 – 7 ABR 57/94, NJW 1996, 1691; zu rechtsformspezifischen Besonderheiten des VVaG vgl auch Windbichler § 16 Rdn 19, § 17 Rdn 30; Netzwerke von Abschlussprüfungsgesellschaften iSd § 319b Abs 1 Satz 3 HGB können Gleichordnungskonzerne sein. 88 S etwa den Sachverhalt von BGHZ 82, 188, 189 f (Hoesch/Hoogovens); Lutter Beil 21 zu DB 1973, 2, 5, 13 ff; ders FS Barz, 1974, S 198, 206 f; KK/Koppensteiner2 § 291, 76; als Vorstufe zur Verschmelzung der historische Fall I.G. Farben, Fischer in Horn/Kocka (Hrsg), Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, S 476. 89 Rdn 26; Hüffer/Koch11 Rdn 21; KK/Koppensteiner3 § 291 Rdn 101; MünchKomm/Bayer4 Rdn 51; K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 422: Kartellbildung macht noch keinen Gleichordnungskonzern; anders für die Zusammenschlusskontrolle BGHZ 121, 137, 151 (Zurechnungsklausel): im Rahmen der Fusionskontrolle reicht aus, dass die Beteiligten ihr wettbewerbsbezogenes Abstimmungsverhalten einheitlicher Leitung
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sammenfassung ein tendenziell organisationsrechtliches Gepräge haben; 90 dafür spricht die systematische Stellung der Definition als Konzerntatbestand. Wie auch im Unterordnungskonzern kann die einheitliche Leitung unterschiedlich intensiv ausgeübt werden. Der Begriff einer „qualifizierten Gleichordnung“91 ist jedoch im Gesetz nicht angelegt und könnte allenfalls als zusammenfassende Prämisse auf andere Weise begründeter Rechtsfolgen sinnvoll entwickelt werden (vgl Rdn 6 aE). Die nachfolgend aufgeführten Möglichkeiten, Unternehmen gleichgeordnet unter einheitlicher Leitung zusammenzufassen, sind nicht scharf voneinander abgrenzbare Fallgruppen, sondern kommen in unterschiedlicher Intensität und in verschiedenen Kombinationen in Betracht. 50
a) Die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung kann durch Vertrag der betroffenen Unternehmen untereinander erfolgen, wie schon § 291 Abs 2 andeutet. Einen gesetzlichen Typ des Gleichordnungsvertrages gibt es nicht. Im Einzelnen ist streitig, ob es sich um einen Unternehmensvertrag handelt und welche Anforderungen an den Vertragsschluss zu stellen sind,92 zumal § 291 Abs 2 lediglich besagt, dass es sich nicht um einen Beherrschungsvertrag handelt. Sind die Merkmale eines der Unternehmensverträge nach § 292 erfüllt, zB Gewinngemeinschaft, finden die entsprechenden Vorschriften Anwendung, insbesondere das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses (§ 293 Abs 1). Wegen der dort erforderlichen qualifizierten Mehrheit dürften die Fälle, in denen nicht kraft Mehrheitsbeteiligung Abhängigkeit besteht, selten sein (Windbichler § 17 Rdn 37 f). Eine Gewinngemeinschaft iSd § 292 Abs 1 Nr 2 allein begründet keinen Gleichordnungskonzern, doch können zusätzliche Abreden zur Zusammenfassung der Unternehmen unter einheitlicher Leitung führen.93 Aus der Perspektive der Begriffsbestimmung für den Gleichordnungskonzern muss es sich jedenfalls um einen Vertrag handeln, der diese Zielsetzung zum Inhalt hat.94 Die Poolung nur bestimmter Interessenbereiche genügt daher nicht (vgl Rdn 26). Daraus folgen auch die Bedenken gegen die Zulässigkeit solcher Verträge unter dem Gesichtspunkt des § 76 und der Zuständigkeit der Hauptversammlung für Grundlagengeschäfte, denen mit entsprechenden Anforderungen an den Vertragsschluss begegnet wird.95 Das Gesetz geht je-
_____ unterstellen, nicht erforderlich sei, dass sich die Leitung auf Maßnahmen erstrecke, mit denen finanzielle Interessen gewahrt werden. 90 Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 18 ff; so im Grundsatz auch Paschke/C Reuter ZHR 158 (1994) 390, 395 f, die allerdings zu enge Konsequenzen betr Abhängigkeit von einem Leitungsorgan ziehen; dazu Rdn 24; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-Konzernrecht7 Rdn 27: Abgrenzung zu Kooperation und Kartell; vgl auch 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 210, 214. 91 K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 442: Rechtsfolge sei eine Verlustgemeinschaft. 92 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 209 f: strukturändernder Schuldvertrag; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 35: § 293 Abs 1 analog; Hüffer/Koch11 Rdn 20: GbR mit Kombinationsmöglichkeiten; KK/Koppensteiner3 § 291 Rdn 98: BGB-Gesellschaft; MünchKomm/Altmeppen4 § 291 Rdn 214: §§ 705 ff BGB, kein Unternehmensvertrag; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 65 Rdn 2: Organisationsvertrag analog § 292 Abs 1 Nr 3; vom übergreifenden Begriff des Organisationsvertrags ausgehend K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 426 ff; ders FS Rittner, 1991, S 561, 577; Timm Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, 1980, 152 ff (Zuständigkeit der Hauptversammlung); zur Ansiedlung im Organisationsrecht auch Paschke/C Reuter ZHR 158 (1994) 390, 396. – Die organisationsrechtliche Fundierung trifft sich mit der Frage nach einem numerus clausus der Unternehmensverträge, dazu 4. Aufl Mülbert Vor § 291 Rdn 7 ff; KK/Koppensteiner3 Vor § 291 Rdn 162. 93 4. Aufl Mülbert § 292 Rdn 75; Hüffer/Koch11 Rdn 20, § 292 Rdn 5; KK/Koppensteiner3 § 291 Rdn 101; § 292 Rdn 45. 94 4. Aufl Mülbert § 292 Rdn 75 mwN; unklar zur Vertragskonstruktion BGHZ 121, 137, 146 f (Zurechnungsklausel); vgl die Kritik dazu bei Paschke/C Reuter ZHR 158 (1994) 390, 393. 95 Im Einzelnen sehr str; 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 216 ff; KK/Koppensteiner3 § 291 Rdn 103; vgl die Erläuterungen zu § 291.
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denfalls von der Möglichkeit vertraglicher Gleichordnung durch die Unternehmen selbst aus. Reine Gleichordnungsverträge dürften kaum vorkommen; die Strukturen sind meist 51 komplizierter und beziehen Tochtergesellschaften, personelle Verflechtung oder Überkreuzbeteiligungen ein (Rdn 56 ff). Dem Vertrag kommt dann die Rolle eines Grundlagenoder Konzeptvertrages zu;96 seine Rechtsnatur zeigt unproblematisch die Elemente der Gesellschaft bürgerlichen Rechts.97 Ohne die tatsächliche Durchführung der nachfolgenden Schritte ist die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung jedoch noch nicht bewerkstelligt. Nach einer im kartellrechtlichen Zusammenhang ergangenen Entscheidung soll die einheitliche Leitung einem der beteiligten Unternehmen überlassen werden können.98 Die in § 291 Abs 2 geforderte Abgrenzung zum Beherrschungsvertrag wird damit aber unzulässig verwischt.99 b) Die Unternehmen können zur Ausübung der einheitlichen Leitung ein besonde- 52 res Leitungsorgan schaffen. Streitig ist, ob diesem Leitungsorgan Unternehmenseigenschaft zukommt,100 so dass die zunächst unabhängigen Unternehmen sich von dem Leitungsorgan abhängig machen und ein Unterordnungskonzern nach Abs 1 Satz 3 zu vermuten sein könnte.101 Selbst wenn dem Leitungsorgan im Einzelfall Unternehmenseigenschaft zukommt, was bei reinen Innengesellschaften jedenfalls ausscheidet (Windbichler § 15 Rdn 14, 16), ist die dadurch ausgeübte Kontrolle entscheidend durch die beteiligten Unternehmen selbst geprägt.102 Dies entspricht nicht dem Abhängigkeitsbegriff des § 17, der aus der Perspektive des abhängigen Unternehmens eine Beherrschungsmöglichkeit voraussetzt, der sich das Unternehmen nicht entziehen kann (Windbichler § 17 Rdn 18 ff, 38). Die gleichberechtigt gleichgeordneten Unternehmen können die Zusammenfassung, mindestens durch § 723 Abs 3 BGB gesichert, wieder lösen,103 während ein abhängiges Unternehmen sich seine Gesellschafter nicht aussuchen und die Beherrschungsmöglichkeit nicht eigenständig abschütteln kann. Das gilt auch für Schwestergesellschaften im Unterordnungskonzern (Rdn 62 f). § 299 scheint zwar eine gewisse Unabhängigkeit hin-
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96 Vgl KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 37; Windbichler AG 1981, 169, 170 ff; Lutter DB 1973 Beil 21 S 5; ders Die Rechte der Gesellschafter beim Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen, 1974, S 16, 18. 97 3. Aufl Würdinger § 291 Anm 34; 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 212; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-Konzernrecht7 Rdn 29; Hüffer/Koch11 Rdn 20; KK/Koppensteiner3 § 291 Rdn 98; Raiser/ Veil Kapitalgesellschaften6 § 65 Rdn 2; K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 424 (Südmilch); H P Westermann Vertragsfreiheit, 1970, S 180 ff; – die Diskussion über „Weisungsrechte“ steht damit allerdings nicht im Einklang, vgl § 709 BGB. 98 BGHZ 121, 137, 146 (Zurechnungsklausel); Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbHKonzernrecht7 Rdn 29; genauer differenzierend Geßler/Geßler Rdn 68 aE, 70: einem Unternehmen kann die Leitung übertragen werden, sofern die Bildung des einheitlichen Willens bei allen Unternehmen liegt. 99 Die Entscheidung verunklart ohnehin das Verhältnis zum Beherrschungsvertrag, BGH aaO S 146 f; vgl auch Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 65 Rdn 3. 100 So Gromann Die Gleichordnungskonzerne im Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1979, S 44 ff; dagegen KK/Koppensteiner3 § 291 Rdn 102. 101 Krit dazu Wellkamp DB 1993, 2517 f; zur Leitungsmacht ohne Beherrschung auch Gromann Die Gleichordnungskonzerne im Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1979, S 51 f. 102 BegrRegE bei Kropff AktG S 377; Adler/Düring/Schmaltz Rechnungslegung6 AktG § 18 Rdn 80 f; Hüffer/Koch11 Rdn 20; Lutter/Drygala ZGR 1995, 557, 569; KK/Koppensteiner3 § 291 Rdn 99. 103 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-Konzernrecht7 Rdn 32: „ernstgemeintes Kündigungsrecht“; MünchKomm/Bayer4 Rdn 57; Timm/Messing FS Hommelhoff, 2012, S 1237, 1241 f; dass dies wirtschaftlich schwierig oder gar unmöglich sein kann, ist ebensowenig maßgebend wie eine rein wirtschaftliche Abhängigkeit, Windbichler § 17 Rdn 12; – aA ohne ausreichend differenzierte Behandlung des Abhängigkeitsbegriffs Gromann Die Gleichordnungskonzerne im Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1979, S 47.
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sichtlich des Fortbestands eines Beherrschungsvertrages zu gewährleisten, erreicht aber nach hM dieses Ziel nicht und hat lediglich haftungsrechtliche Bedeutung.104 Abhängigkeit von einem zum Zweck der Gleichordnung gebildeten Leitungsorgan besteht daher nicht.105 Anders ist aber der Fall zu beurteilen, dass das Leitungsorgan nicht durch die betroffenen Unternehmen, sondern durch die Anteilseigner geschaffen wird und ihm deren Beteiligungsbesitz zuzurechnen ist (Windbichler § 17 Rdn 58, 66). 53
c) Überkreuzverflechtung durch Organbesetzung kann zur Gleichordnung führen. Wenn der Konstruktion keine vertragliche Abrede zugrunde liegt, was nicht sehr wahrscheinlich ist,106 kann man von einem faktischen Gleichordnungskonzern sprechen.107 Die Einordnung hat jedoch keine Konsequenzen. Entscheidend ist vielmehr, dass durch die personelle Besetzung der Gesellschaftsorgane eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung bewerkstelligt wird, die auf der Ebene des Unternehmensträgers angesiedelt ist.
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d) Eine finanzielle Art der Überkreuzverflechtung ist gegeben, wenn die gleichgeordneten Unternehmen jeweils aneinander beteiligt sind. Dabei muss es sich nicht um eine wechselseitige Beteiligung im technischen Sinn (§ 19 Abs 1) handeln, da diese einen Umfang von mehr als 25% verlangt und auf Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland beschränkt ist, während der Gleichordnungskonzern keine rechtsformspezifische Definition und auch unabhängig vom Sitz der Unternehmen (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 53, 72) ist. Der wegen §§ 71 ff sicher seltene Fall der qualifizierten wechselseitigen Mehrheitsbeteiligung von Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland, § 19 Abs 3, führt von Gesetzes wegen zur Anwendung der Vorschriften über abhängige Unternehmen. Dass sich der gegenseitige Einfluss faktisch in der Weise neutralisiert, dass die einheitliche Leitung durch herrschaftsfreie Koordination erfolgt,108 mag möglich sein, ändert aber nichts an der gesetzlich angeordneten Folge (Windbichler § 19 Rdn 30), dass es sich um ein Unterordnungsverhältnis und nicht um einen Gleichordnungskonzern iSd § 18 Abs 2 handelt. Hat eines der beteiligten Unternehmen seinen Sitz im Ausland, gilt § 19 nicht, wohl aber die widerlegbare Vermutung des § 17 Abs 2 (Windbichler § 17 Rdn 89) und des § 18 Abs 1 Satz 3. Sofern die Widerlegung der Vermutung für beide Seiten gelingt und einheitliche Leitung besteht, ist ein Gleichordnungskonzern anzunehmen. Ist die wechselseitige Beteiligung in der Form asymmetrisch, dass nur einem 55 Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung gehört, ist die Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung ausgeschlossen (§ 19 Abs 2; Windbichler § 19 Rdn 25); es handelt sich um einen widerleglich vermuteten Unterordnungskonzern (Abs 1 Satz 3). Ist § 19 jedoch
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104 4. Aufl Mülbert § 299 Rdn 3; Geßler/Geßler § 299 Rdn 2; Hüffer/Koch11 § 299 Rdn 1; KK/Koppensteiner3 § 299 Rdn 1; Windbichler Unternehmensverträge und Zusammenschlußkontrolle, 1977, S 90, 102. 105 Enger Hüffer/Koch11 Rdn 20; MünchKomm/Bayer4 Rdn 53; Paschke/C Reuter ZHR 158 (1994) 390, 396: außer einheitlicher Leitung sei für den Gleichordnungskonzern zu fordern, dass die Unternehmen sich dieser nicht entziehen könnten, daher bestehe immer Abhängigkeit vom Leitungsorgan. – Abhängigkeit und Bindung an autonom getroffene Vereinbarungen wird dort nicht hinreichend unterschieden. 106 Vgl 4. Aufl Mülbert § 291 Rdn 211; K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 429: Vergemeinschaftung der Geschäftsführung iS einer Innengesellschaft; anders aus regulierungsrechtlicher Perspektive für die Versicherungswirtschaft Timm/Messing FS Hommelhoff, 2012, S 1237, 1239; BAG 16.8.1995 – 7 ABR 57/94, BAGE 80, 322 = NJW 1996, 1691 hielt die personengleiche Vorstandsbesetzung nicht für ausreichend, Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung zu belegen. 107 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-Konzernrecht7 Rdn 30; Hüffer/Koch11 Rdn 21. 108 So die frühere Auffassung in Anlehnung an RGZ 149, 305, 308 (Iduna); Nachw bei KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 § 19 Rdn 1.
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nicht einschlägig, weil die Rechtsform der Kapitalgesellschaft oder Inlandssitz fehlen, bleibt es bei der Anwendung des § 17 Abs 2, soweit das rechtsformspezifisch möglich ist (Windbichler § 17 Rdn 69). Ist die Abhängigkeitsvermutung widerlegt, bleibt aber immer noch fraglich, ob die asymmetrische wechselseitige Beteiligung zur gleichgeordneten Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung führt. Dies muss im Einzelfall anhand sonstiger Umstände geprüft werden, die Beteiligungsverhältnisse allein genügen nicht. Bestehen gleichmäßige gegenseitige Minderheitsbeteiligungen, die die Schwelle des § 19 Abs 1 nicht erreichen (vgl § 271 Abs 1 HGB), spricht das jedenfalls für gleichgeordnete Kooperation. Gleichwohl ist auch hier eine Einzelfallprüfung erforderlich, insbesondere ob und wie die übrigen Gesellschafter die Koordination befördern oder bekämpfen. e) Die Überkreuzverflechtung von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist 56 wohl häufiger als eine unmittelbare wechselseitige Verflechtung oder trifft mit ihr zusammen. Einheitliche Leitung in dieser Form ist nur anzunehmen, wenn die Tochtergesellschaften wesentliche Bedeutung für die so verflochtenen Unternehmen haben, anderenfalls fehlt es an der unternehmensbezogenen Reichweite der Koordination (Rdn 26, s auch Windbichler § 17 Rdn 64).109 Als Anwendungsfälle kommen gemeinsame Holdinggesellschaften in Betracht.110 Gleichgeordnete einheitliche Leitung durch Überkreuzverflechtung ist ferner denk- 57 bar, wenn eine Unternehmensgruppe von paritätisch beteiligten Familienstämmen koordiniert wird.111 Unternehmenseigenschaft der beteiligten Personen bzw Familienstämme ist dazu nicht erforderlich, bei den einzelnen Personen kann die Unternehmenseigenschaft aber zB durch Mehrfachbeteiligung begründet sein (Windbichler § 15 Rdn 32 ff). Die familiäre Bindung genügt allerdings nicht für die Annahme gleichgerichteter Interessen (Windbichler § 17 Rdn 25, 63); werden die Interessen zum Zweck der unternehmerischen Willensbildung in den Beteiligungsunternehmen, zB durch Stimmbindungsverträge uä Abmachungen, gebündelt, kann dadurch die Zusammenfassung der Beteiligungsunternehmen unter einheitlicher Leitung bewerkstelligt werden.112 In den Gesetzesmaterialien wird als Beispiel gleichgeordneter einheitlicher Leitung 58 der Fall genannt, dass sich die Anteile zweier Gesellschaften in der Hand eines Eigentümers befinden, der kein Unternehmen ist.113 Die Gesellschaften sind dann nicht voneinander abhängig. Nach dem inzwischen herrschenden Unternehmensbegriff, der bei maßgeblicher Mehrfachbeteiligung von Unternehmenseigenschaft ausgeht (Windbichler § 15 Rdn 32 ff), ist der Eigentümer Unternehmen, von dem die beiden Gesellschaften abhängig sind und nach Abs 1 Satz 3 ein Unterordnungskonzern vermutet wird.114 Fraglich bleibt, ob die Gesellschaften untereinander einen Gleichordnungskonzern iSd Abs 2 bil-
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109 MünchKomm/Bayer4 Rdn 51; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 37. 110 Vgl den Sachverhalt in BGHZ 82, 188, 189 (Hoesch/Hoogovens); LG Düsseldorf 5.6.1979 – 25 AktE 1/78, DB 1979, 1451 = BeckRS 2008, 25087; Lutter Die Rechte der Gesellschafter beim Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen, 1974, S 8, 15 ff; ders DB 1973 Beil 21 S 5. 111 So wohl BGHZ 121, 137, 146 ff (Zurechnungsklausel) in kartellrechtlichem Zusammenhang; krit Paschke/C Reuter ZHR 158 (1994) 390, 392 ff, 401; Gleichordnung durch paritätisch beteiligte Familienstämme konnte nicht festgestellt werden im Fall BGHZ 62, 193, 195 (Seitz). 112 BGHZ 121, 137, 148 (Zurechnungsklausel) zu Sperrminoritäten. 113 BegrRegE bei Kropff AktG S 33 f; daraus werden teilweise Schlüsse für den Unternehmensbegriff gezogen, zB Milde Gleichordnungskonzern, 1996, S 24 ff, die aber angesichts der eingestandenen Enthaltsamkeit des Gesetzgebers zu diesem Punkt (Windbichler § 15 Rdn 10) die Regierungsbegründung überschätzen, zumal die Entwicklung des Rechts der verbundenen Unternehmen über die Ansätze des Gesetzgebers des AktG 1965 deutlich hinausgeführt hat. 114 Emmerich/Habersack KonzernR10 § 4 Rdn 38; MünchKomm/Bayer4 Rdn 55;
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den können. Das hängt vom Verhältnis des Gleichordnungskonzerns zu anderen Unternehmensverbindungen ab. 3. Verhältnis zu anderen Unternehmensverbindungen 59
a) Allgemein ist eine Gegenüberstellung von Unterordnungs- und Gleichordnungskonzern im Sinne von Alternativen weder im Gesetz angelegt noch aus anderen Gründen einsichtig oder erforderlich. Reine Gleichordnungskonzerne, die ausschließlich aus voneinander unabhängigen Unternehmen gebildet sind, dürften selten sein.115 Innerhalb eines Konzerns kann es sowohl Unter- als auch Gleichordnungsverhältnisse geben.116 Lediglich zwischen denselben Unternehmen kann nicht gleichzeitig Gleich- und Unterordnung angenommen werden; insoweit ist von Alternativität auszugehen. Welche Vorschriften zur Anwendung kommen, richtet sich nach den Beziehungen zwischen den betroffenen Unternehmen.117 Das gilt auch für die anderen Unternehmensverbindungen des § 15, vor allem Unternehmensverträge (Rdn 29 ff) und wechselseitige Beteiligung (Rdn 54 f).
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b) Nehmen gleichgeordnet konzernierte Unternehmen zugleich die Rolle als herrschende Unternehmen von Tochter- und Enkelgesellschaften ein, stellt sich die Frage, ob es sich um einen einheitlichen Konzern oder sich überschneidende, verschiedene Konzerne handelt. Rechtsfolge wäre im ersten Fall Konzernverbundenheit sämtlicher Unternehmen untereinander, im zweiten Fall Konzernverbundenheit der Unternehmen jeweils des Unterordnungs- und des Gleichordnungskonzerns, wobei sich für einzelne Unternehmen eine doppelte Zugehörigkeit ergäbe. Der Gesetzeswortlaut ist nicht eindeutig. Abs 2 könnte so gelesen werden, dass gleichgeordnete Unternehmen „auch“ iSv „zusätzlich“ einen Konzern bilden. Man könnte die Formulierung auch so verstehen, dass, selbst wenn die unter einheitlicher Leitung zusammengefassten Unternehmen in keinem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen, ein Konzern möglich ist, dh die Unterordnungsbeziehung für den Konzern nicht begriffsnotwendig ist. Entscheidend ist, ob mit der Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung iSd § 18 eine Einheit gedacht ist, die ihrerseits Teil einer Einheit gleicher Qualität sein kann. Nach der oben dargelegten Auffassung zum Unternehmensbezug und zur vereinheitlichten Finanzplanung (Rdn 24 ff) geht das nicht. Ist das herrschende Unternehmen eines Unterordnungskonzerns zugleich Teil eines Gleichordnungskonzerns, handelt es sich um einen einheitlichen Konzern; sämtliche Unternehmen sind konzernverbundene Unternehmen.118 Diese einheitliche Folge stützt sich dann auf § 18 Abs 1 Satz 1 2. Teilsatz und Abs 2 2. Teilsatz. Bei der Bestimmung weiterer Rechtsfolgen ist darauf zu achten, ob für das jeweilige Rechtsverhältnis eine Unterordnungsbeziehung relevant ist (Rdn 59).119 Es handelt sich
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115 K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 419, 421. 116 3. Aufl Würdinger § 15 Anm 2 c; K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 421; ders ZIP 1994, 1741, 1744; UH Schneider FS Großfeld, 1999, S 1045, 1050 ff. 117 Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 65 Rdn 3; K Schmidt FS Lutter, 2000, S 1167, 1177 ff: Konzernrechtsverhältnis zwischen Unternehmen; ders ZHR 155 (1991) 417, 443 für Schwestergesellschaften; vgl aber dagegen unten Rdn 63; Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 65 Rdn 4. 118 Rdn 4; Adler/Düring/Schmaltz Rechnungslegung6 AktG § 18 Rdn 49; Geßler/Geßler Rdn 40; Gromann Die Gleichordnungskonzerne im Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1979, S 71 f; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 4 Rdn 10; Geßler/Geßler Rdn 79; Hüffer/Koch11 Rdn 15; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 4 aE Raiser/Veil Kapitalgesellschaften6 § 65 Rdn 3; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 528 f; vgl auch den Sachverhalt in LG Düsseldorf 5.6.1979 – 25 AktE 1/78, DB 1979, 1451 = BeckRS 2008, 25087: paritätisches Gemeinschaftsunternehmen als Zentralgesellschaft eines Unterordnungskonzerns. 119 Vgl K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 421: (es gehe darum), das Verhältnis einzelner Konzernglieder zueinander zu beleuchten, so dass es innerhalb einer und derselben Unternehmensgruppe Unter- und
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um Einzelfragen der Binnenordnung des Konzerns. § 18 ist nicht geeignet, die verschiedenen Organisationsmöglichkeiten mit Geschäftsbereichen, Unterzentren etc begrifflich abzubilden (vgl auch Rdn 83). Bestehende Abhängigkeit wird durch die gleichgeordnete Konzernverbindung des 61 herrschenden Unternehmens nicht erweitert. Die Einbeziehung in den Verbund erfolgt nach wie vor durch Ausübung der Beherrschungsmöglichkeit durch eben dieses herrschende Unternehmen. 120 Dass dieses seine Leitungsentscheidungen möglicherweise gleichgeordnet koordiniert trifft, führt nicht zur Abhängigkeit des abhängigen Unternehmens auch vom Koordinationspartner des herrschenden. Anders liegt der Fall dagegen, wenn erst die Koordination die Beherrschung ermöglicht (Rdn 85; Windbichler § 17 Rdn 64, 67). c) Erwogen wird ferner die Möglichkeit, dass das Verhältnis der abhängigen Unter- 62 nehmen innerhalb eines Unterordnungskonzerns untereinander ein Gleichordnungsverhältnis darstellt,121 falls diese Annahme rechtliche Bedeutung hat. Konzernunternehmen sind die Beteiligten ohnehin nach § 18 Abs 1 Satz 1 2. Teilsatz. Dass die von einem herrschenden Unternehmen ausgeübte Konzernleitung zur gleichgeordneten Konzernierung der abhängigen Unternehmen führt, wird unter dem Gesichtspunkt vertreten, dass sich so Ausgleichspflichten zwischen Konzernschwestern konstruieren ließen.122 Aus dem Begriff des Gleichordnungskonzerns lässt sich dazu aber nichts herleiten, es bedarf einer materiellrechtlichen Begründung.123 Es wird auch der Verdacht geäußert, dass mangels eines ausgebildeten Rechts der Konzernschwestern Gleichordnungsprobleme zu Unterordnungsproblemen umqualifiziert würden. 124 Da die Frage letztlich das materielle Konzernrecht betrifft, soll sie hier nicht vertieft werden. Dagegen ist es unter dem Blickwinkel der Begriffsbestimmungen nicht möglich, eine 63 gesonderte gleichgeordnete Konzernbeziehung zwischen abhängigen Unternehmen eines Unterordnungskonzerns (Schwestergesellschaften) anzunehmen.125 Die passive Formulierung des § 18 Abs 2 lässt zwar offen, ob die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung durch die betroffenen Unternehmen selbst erfolgen muss oder auch durch einen Dritten vorgenommen werden kann. Auch § 291 Abs 2 sagt zu der Frage nichts aus. Dort ist die Rede davon, dass sich die Unternehmen unter einheitliche Leitung stellen, also die Beziehung selbst gestalten. Die Reichweite der Vorschrift – keine Unterwerfung eines solchen Vertrages unter die Vorschriften über den Beherrschungsvertrag – lässt aber keine generellen Rückschlüsse zu, zumal es keinen Typus des Gleichordnungsvertrages gibt (Rdn 45). Die Feststellung, ob Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung vorliegt, hat aus dem Blickwinkel der eben diese Zusammenfassung betreibenden Unter-
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Gleichordnungsverhältnisse geben kann (Hervorhebung im Original); UH Schneider FS Großfeld, 1999, S 1045, 1054 ff. 120 AA Gromann Die Gleichordnungskonzerne im Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1979, S 72 f; Hüffer/ Koch11 Rdn 15; – vgl dagegen Windbichler BB 1982, 1931: Abhängigkeit kann eine Gleichordnungsbeziehung nicht überspringen; dies Arbeitsrecht, 1989, S 528 f; Geßler/Geßler Rdn 79: Zugehörigkeit der von einem gleichgeordneten Unternehmen abhängigen Unternehmen zum Gleichordnungskonzern. 121 So K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 421; aA Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 20; MünchKomm/Bayer4 Rdn 55; weitergehend KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 8: einheitliche Leitung bei fortbestehender Abhängigkeit von einem Dritten ausgeschlossen. 122 K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 439 ff; dagegen Milde Gleichordnungskonzern, 1996, S 208 ff. 123 Vgl oben Rdn 6 aE; K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 439 ff spricht zwar von einer gesetzlichen Verlustgemeinschaft unter Schwestergesellschaften bei qualifizierter Gleichordnung, ordnet diese aber methodisch als Rechtsfortbildung in Analogie zu §§ 730 ff BGB ein, aaO S 440 ff. 124 So K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 433 ff betr Autokran. 125 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 8; MünchKomm/Bayer4 Rdn 55.
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nehmen zu erfolgen (Rdn 21). Da es sich um einen Konzern insgesamt handelt und sämtliche Unternehmen Konzernunternehmen sind, kommt es letztlich auf die Perspektive derjenigen Unternehmen an, die keinem beherrschenden Einfluss unterworfen sind. V. Mitbestimmung 1. Unternehmensmitbestimmung a) Die Bedeutung der Unternehmensmitbestimmung im Konzern (vgl auch Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 31) liegt ua darin, dass der Gesetzgeber auf die typisierte Verschiebung der Entscheidungsmacht reagiert hat und die Arbeitnehmerrepräsentation im Aufsichtsrat der Konzernspitze auf die Legitimation durch die gesamte „Konzernbelegschaft“ stützt. Damit wird der Aufsichtsrat insoweit zum Konzernorgan.126 Ansatzweise ist hier der Gedanke eines Konzernorganisationsrechts verwirklicht. Die individualrechtliche Arbeitgeberstellung der einzelnen Konzernunternehmen bleibt davon unberührt (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 28). Die Unternehmensmitbestimmung wirft in besonderem Maße die Frage nach der inneren Organisation und Kompetenzverteilung in der AG sowie des Konzerns auf, zumal wenn diese nicht den betriebswirtschaftlichen Vorstellungen, die dem AktG 1965 zugrunde liegen, folgen (Divisionalisierung, Sparten-, Matrixorganisation etc).127 Anders als der Konzernbegriff des § 18 ist die Konzernmitbestimmung rechtsform65 spezifisch. Sie setzt voraus, dass das herrschende Unternehmen eine Rechtsform hat, die der jeweiligen Mitbestimmungsvorschrift unterfällt; auf die Rechtsform der abhängigen Unternehmen kommt es hingegen nicht an. Die Montanmitbestimmung knüpft darüber hinaus branchenspezifisch an. Die Anwendung von Mitbestimmungsvorschriften in den einzelnen abhängigen Unternehmen bleibt von der Konzernmitbestimmung unberührt. Ist das herrschende Unternehmen eine SE, hat deren Mitbestimmungsvereinbarung auch in Bezug auf die Arbeitnehmer der abhängigen Unternehmen für die Konzernspitze Vorrang, vgl Art 13 Abs 2 und 3 SE-RL,128 §§ 3 Abs 1, 47 SEBG; hier folgt die Einbeziehung in die Unternehmensgruppe dem europäischen control-Konzept, § 2 Abs 3 und 4 SEBG, der auf die Definition in den Vorschriften zum Europäischen Betriebsrat (Rdn 80) Bezug nimmt. Die Konzernmitbestimmung betrifft ausschließlich Unterordnungskonzerne 66 (Rdn 11, 13 f).129 Gelegentlich geäußerte rechtspolitische Kritik130 verkennt, dass beim Gleichordnungskonzern die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung nicht das Ergebnis von Fremdeinfluss ist, sondern auf eine unabhängige Entscheidung zurückgeht, die wie jede andere unternehmensintern wie nach außen in ihren wirtschaftlichen
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126 4. Aufl Hopt/Roth § 95 Rdn 55; Hoffmann-Becking ZHR 1995 (159) 325; Martens ZHR 195 (1995) 567; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 552 ff mwN. Diese Rolle des Aufsichtsrates im Konzern ist durch die Mitbestimmungsgesetze vorgegeben; eine weitere Entwicklung von „Konzernorganen“ würde eine Konzernverfassung voraussetzen, die es aber nicht gibt; zu derartigen Ansätzen Hommelhoff Konzernleitungspflicht, 1982, S 36, 104 ff; Lutter FS Stimpel, 1985, S 825, 831 f. 127 Vgl 4. Aufl Assmann Einl Rdn 248 f. 128 RL 2001/86/EG zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer. 129 AllgM, 4. Aufl Oetker § 5 MitbestG Rdn 3; ErfKommArbR/Oetker16 § 5 MitbestG Rdn 2; KK/Mertens/ Cahn3 Anh § 117 B § 5 MitbestG Rdn 9; Raiser/Veil/Jacobs/Veil MitbestG und DrittelbG6 § 2 DrittelbG Rdn 3; Ulmer/Habersack/Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 5 MitbestG Rdn 12; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 514. 130 Köstler/Müller/Sick Aufsichtsratspraxis10 Rdn 228 mit Fn 352; Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 Einl Rdn 67.
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Folgen verantwortet werden muss. Die Mitbestimmung in gleichgeordnet konzernierten Unternehmen wird nicht durch unfreiwillige Außensteuerung entwertet. Soweit in den Mitbestimmungsvorschriften ein Arbeitsdirektor vorgesehen ist (§ 13 67 MontanMitbestG, § 13 MitbestErgG, § 33 MitbestG), ist dieser zunächst für den Personalund Sozialbereich im eigenen Unternehmen zuständig. Über Stellung und Aufgaben des Arbeitsdirektors der Konzernspitze sagen die Mitbestimmungsvorschriften nichts. Da er gleichberechtigtes Mitglied des Geschäftsführungs- und Vertretungsorgans ist, richten sich Kompetenzen in Bezug auf abhängige Unternehmen nach der konkreten Konzernorganisation und den allgemeinen Vorschriften.131 Eine Besonderheit betreffend die Wahrnehmung von Rechten aus Beteiligungen an Unternehmen, die ihrerseits mitbestimmt sind, enthält § 32 MitbestG. b) Einschlägige Vorschriften sind auf verschiedene Gesetze verteilt, deren Anwen- 68 dungsbereich in erster Linie nach der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer bestimmt wird. Für den, wiederum eigentümlich definierten,132 Montanbereich gelten Sonderregeln. aa) § 2 Abs 1 DrittelbG bestimmt, dass an der Wahl der Vertreter der Arbeitnehmer 69 für den Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens eines Konzerns iSd § 18 Abs 1 auch die Arbeitnehmer der Betriebe der übrigen Konzernunternehmen teilnehmen. Die Konzernvermutung nach § 18 Abs 1 Satz 3 war in der Vorläufervorschrift § 76 Abs 4 BetrVG 1952 ausgespart, findet nunmehr aber Anwendung. Soweit die Aufsichtsratsmitbestimmung von der Arbeitnehmerzahl abhängt (mehr als 500),133 gelten die Arbeitnehmer der Betriebe eines Konzernunternehmens nur dann als Arbeitnehmer des herrschenden Unternehmens, wenn zwischen den Unternehmen ein Beherrschungsvertrag besteht oder das abhängige Unternehmen in das herrschende Unternehmen eingegliedert ist (§ 2 Abs 2 DrittelbG).134 Diese Vorschriften gelten für AG und KGaA, GmbH, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. bb) § 5 Abs 1 MitbestG fingiert die Zugehörigkeit der Arbeitnehmer der Konzernun- 70 ternehmen zum herrschenden Unternehmen des Konzerns (§ 18 Abs 1) mit der Folge, dass diese sowohl hinsichtlich der Arbeitnehmerzahl (Schwellenwert: regelmäßig mehr als 2000) des herrschenden Unternehmens als auch hinsichtlich des aktiven und passiven Wahlrechts dort zuzurechnen sind. Darin zeigt sich das Konzept einer „Konzernbelegschaft“ besonders deutlich. Die Verweisung bezieht sich auf den gesamten Abs 1 des § 18 einschließlich der Vermutung in Satz 3. Betroffen sind herrschende Unternehmen in der Rechtsform der AG, KGaA, GmbH und Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft, gegebenenfalls kombiniert mit den weiteren Zurechnungsvorschriften der §§ 4 und 5 Abs 1 Satz 2, Abs 2 MitbestG für die Fälle, in denen ein solches Unternehmen Komplementär einer KG ist. Ginge die Zurechnung zum herrschenden Unternehmen ins Leere, weil die-
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131 Näher Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 576 f. 132 § 1 Abs 1 MontanMitbestG, vgl auch § 3 MitbestErgG. 133 Aktiengesellschaften, die vor dem 10.8.1994 ins Handelsregister eingetragen worden sind und die keine Familiengesellschaften sind, sind auch mitbestimmungspflichtig, wenn sie weniger als 500 Arbeitnehmer beschäftigen, § 1 Abs 1 Nr 1 Satz 2 DrittelbG; krit dazu Ulmer/Habersack/Henssler/ Habersack MitbestR3 § 1 DrittelbG Rdn 14. 134 Die Vorschrift ist eindeutig und erlaubt keine Ausdehnung des Abs 2 auf faktische Konzerne, OLG Hamburg 29.10.2007 – 11 W 27/07, DB 2007, 2762, 2764 mwN; Raiser/Veil/Jacobs/Veil MitbestG und DrittelbG6 § 2 DrittelbG Rdn 13; anders ist die Rechtslage bei Gemeinschaftsbetrieben, die zu mehrfachen Wahlrechten führt, BAG 13.3.2013 – 7 ABR 47/11, NZA 2013, 876.
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ses nach Rechtsform oder Sitz (dazu Rdn 72) der Mitbestimmung nicht unterliegt, schreibt § 5 Abs 3 MitbestG demjenigen mitbestimmungsgeeigneten Unternehmen, das der Konzernleitung am nächsten steht, die Rolle des herrschenden Unternehmens zu (Rdn 73). Es handelt sich insoweit um einen Teilkonzern (Rdn 82). 71
cc) Die Gesetze der Montanmitbestimmung verweisen zwar auch auf § 18 Abs 1, weichen aber im Übrigen vielfach von der Terminologie des Gesellschafts- und Arbeitsrechts ab. § 1 Abs 1 MontanMitbestG geht vom „überwiegenden Betriebszweck“ des Unternehmens aus; Abs 4 setzt für die Zurechnung der Arbeitnehmer von abhängigen Unternehmen zum herrschenden Unternehmen zusätzlich das Vorhandensein eines Konzernbetriebsrates (dazu Rdn 76 f) voraus. Das verwundert, denn der Konzernbetriebsrat ist ein fakultatives Organ.135 Im MitbestErgG ist in § 1 zunächst nur von Beherrschung die Rede, in § 3 ist dann der „Unternehmenszweck des Konzerns“ nach Maßgabe der Aktivitäten der „Konzernunternehmen und abhängigen Unternehmen“ zu bestimmen. Die Vorschriften waren auf einen begrenzten, im voraus bekannten Fall zugeschnitten136 und haben daher keinen besonderen Stellenwert für die Auslegung der Begriffe im Übrigen. Im Vordergrund stand das rechtspolitische Ziel, das Modell der Montanmitbestimmung nicht aussterben zu lassen.137 Der Anwendungsbereich ist entfallen.
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c) Die Verwendung des Konzernbegriffs im Recht der Unternehmensmitbestimmung betrifft einen gesellschaftsrechtlichen Anwendungsbereich, nämlich die Zusammensetzung des Aufsichtsrates; gleichwohl ist die Reichweite der Mitbestimmungsvorschriften gesondert zu bestimmen (Rdn 14). Eindeutig sind die Eingrenzungen durch die Anknüpfung an die Rechtsform hinsichtlich des herrschenden Unternehmens (§§ 1 Abs 1 Nr 1, 5 Abs 1 Satz 1 MitbestG). Die Rechtsformneutralität des § 18 gilt aber hinsichtlich der übrigen Konzernunternehmen.138 Lange Zeit unstreitig, ist nunmehr der territoriale Anwendungsbereich zunehmend in Frage gestellt worden. Als Teil des Gesellschaftsstatuts kann die Aufsichtsratsbesetzung nur für deutsche Konzernobergesellschaften vorgeschrieben werden;139 dem soll nicht zuletzt die Teilkonzernregelung des § 5 Abs 3 MitbestG Rechnung tragen. Das gilt auch für EU-Auslandsgesellschaften mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland. 140 Divergierende instanzgerichtliche Entschei-
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135 Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 515. 136 Zu darauf gegründeten und anderen verfassungsrechtlichen Bedenken BVerfG 2.3.1999 – 1 BvL 2-91, BVerfGE 99, 367; ErfKom/Oetker16 Montan-MitbestG § 1 Rdn 21 ff; ders ZGR 2000, 19, 26; Spindler AG 1994, 258 mwN. 137 4. Aufl Oetker Montan-MitbestG Einl Rdn 4, MitbestErgG Einl Rdn 5 f; Spindler AG 1994, 258, 262 ff; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 495 f. 138 ErfKom/Oetker16 § 5 MitbestG Rdn 5; KK/Mertens/Cahn3 Anh § 117 B § 5 MitbestG Rdn 13; Raiser/Veil/ Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 5 MitbestG Rdn 7; Seibt NZA 2004, 767, 773 f; Ulmer/Habersack/ Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 5 MitbestG Rdn 18. 139 Territorialitätsprinzip, hM, 4. Aufl Oetker § 1 MitbestG Rdn 8; Henssler RdA 2005, 330, 331 f; MünchKomm/Gach4 § 1 MitbestG Rdn 6; Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 1 MitbestG Rdn 13 ff, § 5 Rdn 3; Thüsing ZIP 2004, 382, 382; Ulmer/Habersack/Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 1 MitbestG Rdn 6 ff, § 5 Rdn 55; Wlotzke/Wissmann/Koberski/Kleinsorge/Koberski MitbestR4 § 5 MitbestG Rdn 18; – gegen eine Sonderanknüpfung über einen ordre-public-Vorbehalt Merkt ZIP 2011, 1237, 1239; Schwark AG 2004, 173, 174 ff; Windbichler/Bachmann FS Bezzenberger, 2000, S 797. 140 Str, Henssler RdA 2005, 330, 331 f; Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 1 MitbestG Rdn 15 ff; Ulmer/Habersack/Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 1 MitbestG Rdn 8 f mwN; – aA Franzen RdA 2004, 257, 259, 269 ff: Sonderanknüpfung analog Art 34 EGBGB, Anwendung der Mitbestimmungsgesetze auf fremdes Gesellschaftsstatut iSd Überlagerungstheorie, kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit; ähnlich Müller-Graff EWS 2009, 489, 497; (de lege ferenda) Weiss/Seifert ZGR 2009, 542, 550 ff.
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dungen und eine Vorlage an den EuGH werfen jedoch die Frage auf, ob wirklich nur die Arbeitnehmer deutscher abhängiger Unternehmen nach § 5 Abs 1 MitbestG, jeweils differenziert für die Bestimmung der Arbeitnehmerzahl, aktives und passives Wahlrecht, zuzurechnen seien.141 Die Argumentation stützt sich hauptsächlich auf das europarechtliche Diskriminierungsverbot und die Arbeitnehmer-Freizügigkeit, entgegengehalten werden ua die völkerrechtlichen Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis und die Kapitalverkehrs- und die Niederlassungsfreiheit. Unabhängig von der Überzeugungskraft dieser Ansätze ist gesellschaftsrechtlich zu bedenken, dass die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung bei Auslandsgesellschaften das jeweilige Statut dieser Gesellschaften beachten muss; es gibt kein „Konzernstatut“ (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 71 f). Hier sollen Auslandstöchtern Verpflichtungen auferlegt werden (Organisation bzw Duldung von Wahlen zum Aufsichtsrat der deutschen Obergesellschaft), die es nach ihrem eigenen Statut und dem Vertragsstatut ihrer Arbeitnehmer nicht oder jedenfalls so nicht gibt, angeknüpft an die Staatsangehörigkeit (Statut) des Mehrheitsgesellschafters.142 Daher greift das Argument, das MitbestG werde nicht auf die Auslandsgesellschaft, sondern nur auf die inländische Konzernspitze angewandt,143 zu kurz. Etwas Anderes gilt für lediglich im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer, zB in Zweigniederlassungen, eines Arbeitgebers mit deutschem Gesellschaftsstatut. Diesem ist die Zurechnung ohne weiteres zuzumuten, es gelten §§ 1 Abs 1 bzw 5 Abs 1 MitbestG.144 Angesichts der allenfalls punktuellen Harmonisierung des Konzernrechts hat der EuGH bisher nationale Regelungsspielräume betont und die Beschränkung konzernrechtlicher Regelungen auf nationale Unternehmen zugelassen.145 Der resultierende Flickenteppich mag als rechtspolitisch
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141 Für die Zurechnung der Arbeitnehmer ausländischer Konzerngesellschaften LG Frankfurt/M. 16.2.2015 – 3-16 O 1/14, NZG 2015, 683 = ZIP 2015, 634 m Anm Krause; obiter OLG Zweibrücken 20.2.2014 – 3 W 150/13, NZG 2014, 740; die Zurechnung für möglich haltend die Vorlage des KG 16.10.2015 – 14 W 89/15, DStR 2015, 2507; Hellwig/Behme AG 2011, 740, 744; Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 1 MitbestG Rdn 22, 27 (ohne Unterscheidung zwischen Zweigniederlassung und Tochtergesellschaft), § 5 Rdn 30 f; – für Zurechnung der Arbeitnehmer von Auslandstöchtern mit Verwaltungssitz in Deutschland Habersack AG 2007, 641, 645; ErfKomArbR/Oetker16 § 5 MitbestG Rdn 5; Ulmer/Habersack/Henssler/ Ulmer/Habersack MitbestR3 § 5 Rdn 55; für Zurechnung von im Inland beschäftigten Arbeitnehmern von Auslandstöchtern Wackerbarth in: Lutter/Bayer (Hrsg) Holding-Handbuch5 Rdn 12.93; Wlotzke/Wissmann/ Koberski/Kleinsorge/Koberski MitbestR4 § 5 MitbestG Rdn 18; – gegen die Zurechnung hM, OLG Stuttgart 30.3.1995 – 8 W 355/93, ZIP 1995, 1004 m Anm Mankowski; LG Berlin 12.5.2015 – 102 O 65/14 AktG, DB 2015, 1588; LG Düsseldorf 5.6.1979 – 25 AktE 1/78, DB 1979, 1451 = BeckRS 2008, 25087; Henssler/Willemsen/ Kalb/Seibt ArbeitsrechtKomm6 § 3 MitbestG Rdn 1, § 3 DrittelbG Rdn 4; MünchKomm/Gach4 § 5 MitbestG Rdn 8; Prinz SAE 2015, 66, 72; Seibt DB 2015, 912, 913 f; Ulmer/Habersack/Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 5 MitbestG Rdn 55; Wackerbarth in: Lutter/Bayer (Hrsg) Holding-Handbuch5 Rdn 12.92; Winter/Marx/De Decker NZA 2015, 1111, 1112 f. 142 Vgl Kalss/Klampfl Europäisches Gesellschaftsrecht, 2015, Rdn 55 zur Inländergleichbehandlung; Müller-Graff EWS 2009, 489, 496 (Grundsatz), anders aber Rdn 497 im Mitbestimmungszusammenhang. 143 So Habersack AG 2007, 641, 644; Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 1 MitbestG Rdn 25, 27; Henssler RdA 2005, 330, 331 verweist auf die Briefwahl zur praktischen Durchführung für Arbeitnehmer bei ausländischen Zweigniederlassungen, wogegen nichts einzuwenden ist; für Tochtergesellschaften gilt das nicht. 144 Enger die herrschende sog Ausstrahlungstheorie (mit unzutr Gleichbehandlung von Auslandstöchtern und Zweigniederlassungen), Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 1 MitbestG Rdn 21 mwN; Ulmer/Habersack/Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 3 Rdn 36 ff; Wackerbarth in: Lutter/Bayer (Hrsg) Holding-Handbuch5 Rdn 12.93; wie hier Henssler RdA 2005, 330, 331; ähnlich mit anderer Begründung Habersack AG 2007, 641, 648; zum Arbeitsverhältnisbezug der Unternehmensmitbestimmung bereits Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 497 ff. 145 Prominent EuGH 20.6.2013 – C-186/12 (Impacto Azul); dazu J Schmidt GPR 2014, 40; Teichmann ZGR 2014, 45, 48 f, 72; Verse/Wiersch EuZW 2014, 375: Inländerdiskriminierung zulässig, Gesellschaftsstatut von Tochtergesellschaften maßgebend.
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unbefriedigend für eine Reform des Mitbestimmungsrechts sprechen146 oder als Ausdruck des Wettbewerbs der Gesellschaftsformen aufgefasst werden. Ferner enthält das MitbestG Vorschriften, für die kein Konzernsachverhalt iSd § 18 73 Abs 1 erforderlich ist. §§ 4 Abs 1, 5 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 MitbestG betreffen die Zurechnung von Arbeitnehmern zum persönlich haftenden Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft, der eine mitbestimmungsgeeignete Rechtsform (Rdn 70) hat.147 § 5 Abs 3 MitbestG betrifft Unterordnungskonzerne mit nicht mitbestimmungspflichtiger Konzernspitze und schreibt den mitbestimmungsgeeigneten Unternehmen, die der Konzernleitung am nächsten stehen, die Rolle eines herrschenden Unternehmens zu. Solche Unternehmen üben keine eigenständige einheitliche Leitung aus, sondern sind als (theoretische) Beherrschungsmittler angesprochen. Die Vorschrift geht von einer Konzernhierarchie aus, die aber der komplexen Realität kaum gerecht wird.148 Ist das herrschende Unternehmen eine SE, hat deren Mitbestimmungsvereinbarung auch in Bezug auf die Arbeitnehmer der abhängigen Unternehmen für die Konzernspitze Vorrang, vgl Art 13 Abs 2 und 3 SE-RL,149 §§ 3 Abs 1, 47 SEBG; § 5 Abs 3 MitbestG ist nicht anwendbar.150 Das DrittelbG enthält keine dem § 5 Abs 3 MitbestG entsprechende Regelung. Eine andere, allgemeinere Frage ist, ob die einzelnen Merkmale der in Bezug genom74 menen Begriffe eine mitbestimmungsspezifische Auslegung erfahren können oder müssen. Die Vorschriften über die Unternehmensmitbestimmung nehmen insofern eine Sonderstellung ein, als das AktG in § 96 wiederum auf sie Bezug nimmt. Damit wird der Gleichlauf der Auslegung des Konzernbegriffs mindestens nahegelegt (Rdn 14). Der Unternehmensbegriff in der hier (Windbichler § 15 Rdn 19 f) vertretenen Form wirft keine besonderen Probleme auf. Auch die arbeitnehmerlose Holding in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft ist Unternehmen.151 Innerhalb des § 2 Abs 2 DrittelbG, der die Arbeitnehmerzurechnung für die maßgebliche Belegschaftsgröße betrifft, ist die Auslegung der Begriffe „Beherrschungsvertrag“ und „eingegliedert“ erforderlich, die nicht durch Vorschriften des AktG näher bezeichnet sind. Es spricht hier nichts dagegen, die gleichen Erwägungen wie zu § 18 Abs 1 Satz 2 (Rdn 29 ff) zum Zuge kommen zu lassen. Demnach sind mit Beherrschungsverträgen diejenigen gemeint, die als organisationsrechtliche Verträge dem Typus des § 291 unabhängig von der Rechtsform des beherrschten Unternehmens152
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146 So Habersack AG 2007, 641, 649 ff; Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 1 MitbestG Rdn 27. 147 Die GmbH & Co. KG ist nicht per se Konzern; das Verhältnis von § 4 zu § 5 MitbestG ist umstritten, Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 5 MitbestG Rdn 20 ff; Ulmer/Habersack/Henssler/ Ulmer/Habersack MitbestR3 § 4 MitbestG Rdn 5, § 5 Rdn 62 ff. 148 Ein Mindestmaß an Leitungsmacht der Teilkonzernspitze verlangen Habersack AG 2007, 641, 648; Henssler ZfA 2005, 289, 307 f; Wackerbarth in: Lutter/Bayer (Hrsg) Holding-Handbuch5 Rdn 12.106; – aA OLG Stuttgart 30.3.1995 – 8 W 355/93, ZIP 1995, 1004; OLG Düsseldorf 30.10.2006 – I-26 W 14/06 AktE, NZG 2007, 77. – Zur verbreiteten Kritik an der Vorschrift KK/Mertens/Cahn3 Anh § 117 B Rdn 46; Raiser/Veil/ Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 5 MitbestG Rdn 37; Ulmer/Habersack/Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 5 MitbestG Rdn 65 mwN; Koppensteiner FS Hopt Bd 1, 2010, S 959, 972 f: systemwidrig; – zu Ausgestaltungen in der Praxis Seibt ZIP 2008, 1301; ders ZIP 2011, 249. 149 RL 2001/86/EG zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer. 150 Habersack Der Konzern 2006, 105, 110 ff. 151 IE ebenso OLG Stuttgart BB 1989, 1005, 1006; 4. Aufl Oetker § 5 MitbestG Rdn 6 f; ErfKommArbR/ Oetker16 § 5 MitbestG Rdn 3; Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 5 MitbestG Rdn 5 f; Ulmer/ Habersack/Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 5 MitbestG Rdn 11; jeweils ausgehend von einem Unternehmensbegriff, der Mehrfachbeteiligung als notwendige, nicht (wie hier) nur als hinreichende Voraussetzung ansieht. 152 A Hueck RdA 1965, 321, 324; G Hueck FS H Westermann, 1974, S 241, 249 ff; Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 2 DrittelbG Rdn 14 ff (auch verdeckte und kombinierte); enger Ulmer/Habersack/
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entsprechen, während die Eingliederung als rechtstechnische Besonderheit den Aktiengesellschaften vorbehalten bleibt. In der Literatur erwogen wird gelegentlich die Auslegung des Abhängigkeitsbegriffs weniger nach den zu § 17 entwickelten Kriterien, sondern im Hinblick auf Arbeitnehmerbelange,153 ebenso bei der einheitlichen Leitung im Hinblick auf einen speziellen Bezug zu Personal- und Sozialfragen.154 Methodisch ist das nicht grundsätzlich ausgeschlossen (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 58 mwN), aber fernliegend und im Ergebnis abzulehnen.155 Zum einen spricht der gesellschaftsrechtliche Regelungsansatz – Aufsichtsratsbesetzung – gegen eine andere Auslegung der Begriffsmerkmale als zB in § 100 Abs 2 Satz 2 (vgl auch Rdn 14). Zum anderen ist die Anknüpfung an den organisationsrechtlichen Abhängigkeitsbegriff (Windbichler § 17 Rdn 12 f) sachgerecht, da die Aufsichtsratsmitbestimmung organisationsrechtliche Teilhabe ist (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 18). Entsprechendes gilt für die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung, die sich aus der Sicht des herrschenden Unternehmens auf zentrale Zielkonzeptionen erstrecken muss (Rdn 21, 24 ff).156 Die Beteiligung im Aufsichtsrat erfolgt gleichberechtigt auf institutioneller Ebene und ohne Zuständigkeitsdifferenzierung etwa nach „sozialen Angelegenheiten“.157 Ihre Anknüpfung an marktbedingte Abhängigkeit oder Kooperation in arbeitnehmerrelevanten Teilbereichen ist nicht zu rechtfertigen und wird durch die Mitbestimmungsgesetze in keiner Weise nahegelegt. 2. Betriebliche Mitbestimmung. Die betriebliche Mitbestimmung in ihren ver- 75 schiedenen gesetzlichen Ausprägungen verfasst die betroffenen Arbeitnehmer organisationsrechtlich und räumt dem Konzernbetriebsrat bzw Europäischen Betriebsrat als ihrem Repräsentationsorgan Informations- bzw Mitwirkungsrechte gegenüber dem zuständigen Arbeitgeber ein (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 30). Gruppensachverhalte werden durch Bildung entsprechender Gremien, Verlagerung der Mitwirkungsrechte und gegebenenfalls Informationsverfahren berücksichtigt.158 a) Nach § 54 BetrVG kann für einen Konzern iSd § 18 Abs 1 ein Konzernbetriebsrat 76 als fakultatives Betriebsverfassungsorgan errichtet werden. Gleichordnungskonzerne sind nicht einbezogen.159 Auf die Rechtsform der beteiligten Unternehmen kommt es nur an, soweit der Anwendungsbereich des BetrVG in Rede steht; § 130 BetrVG schließt Betriebe und Verwaltungen in öffentlichrechtlicher Trägerschaft davon aus.
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Henssler/Habersack MitbestR3 § 2 DrittelbG Rdn 13; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 516 f; weiter Wlotzke/ Wissmann/Koberski/Kleinsorge MitbestR4 § 2 DrittelbG Rdn 29: sämtliche auf Vertrag beruhende Beherrschungsverhältnisse; – vgl auch OLG Düsseldorf ZIP 1997, 546, 548 (Babcock-BSH AG); KG 7.6.2007 – 2 W 8/07, NZG 2007, 913 (Ergebnisausschlussvertrag genügt nicht); OLG Zweibrücken 18.10.2005 – 3 W 136/05, NZG 2006, 32. 153 Mit unterschiedlicher Reichweite Ulmer/Habersack/Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 5 MitbestG Rdn 11; Wlotzke/Wissmann/Koberski/Kleinsorge/Koberski MitbestR4 § 5 MitbestG Rdn 9; missverständlich insoweit 4. Aufl Oetker § 5 MitbestG Rdn 20: „Personalpolitik“; vgl oben Rdn 26. 154 Zum Parallelproblem in der Betriebsverfassung GK-BetrVG/Franzen10 § 54 Rdn. 155 Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 518 ff; für Modifikationen in Randbereichen KK/Mertens/Cahn3 Anh § 117 B § 5 MitbestG Rdn 10; Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 5 MitbestG Rdn 10. 156 Auch im Rahmen des MitbestG, MünchKomm/Gach4 § 5 MitbestG Rdn 14. 157 Vgl etwa die Zuständigkeiten des Aufsichtsrates in §§ 171 f, 204 Abs 1, 246 Abs 2; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 520; vgl auch OLG Düsseldorf ZIP 1997, 546 (Babcock-BSH AG). 158 Vgl Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 300 f. 159 AllgM; ErfKommArbR/U Koch16 § 54 BetrVG Rdn 2; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier BetrVG28 § 54 Rdn 9a; GK-BetrVG/Franzen10 § 54 Rdn 8; Richardi/Annuß BetrVG15 § 54 Rdn 3; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 309 f; vgl auch oben Rdn 69 zur Parallelregelung der Unternehmensmitbestimmung.
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Gemengelagen sind daher nicht auszuschließen. Da gesellschaftsrechtlich auch Gebietskörperschaften Unternehmen iSd §§ 15 ff sein können (Windbichler § 15 Rdn 27 ff), sind Konzerne denkbar, in denen einzelne Konzernunternehmen nicht unter das BetrVG fallen. Da § 54 BetrVG nur den Konzerntatbestand verlangt, der Konzernbetriebsrat darüber hinaus für den Konzern gebildet wird (nicht: bei oder in einem Unternehmen),160 kann diese Möglichkeit den Betriebsräten bzw Gesamtbetriebsräten der Unternehmen in privatrechtlicher Rechtsform nicht verwehrt werden.161 Die Betriebe und Verwaltungen derjenigen Unternehmen, die unter die Personalvertretung fallen, bleiben dann unberücksichtigt.162 Insoweit handelt es sich um eine Art Teilkonzern (Rdn 82). Diese Lösung bietet sich auch an, wenn die Konzernspitze oder andere Konzernunternehmen im Ausland liegen, da die Betriebsverfassung unstreitig dem Territorialitätsprinzip folgt. Die gegenteilige Rechtsprechung geht wohl von dem unzutreffenden Denkmuster aus, dass ein Konzernbetriebsrat bei der Konzern- oder Unterkonzernspitze (Rdn 83) gebildet werde;163 diese kann dann freilich nicht im Ausland liegen. Gleichwohl handelt es sich bei der Gruppe insgesamt um einen Konzern iSd § 18 Abs 1, auf dessen inländische Teile das BetrVG einschließlich des § 54 Anwendung findet.164 Dafür spricht die Funktion des fakultativen Konzernbetriebsrates, der in erster Linie ein Informationsorgan ist und divergierenden Interessen der verschiedenen Belegschaften zum Ausgleich verhelfen soll.165 Ferner braucht die (ausländische) Konzernspitze nicht Ansprechpartner des Konzernbetriebsrates zu sein.166 Insoweit ist das Ergebnis weniger dysfunktional als § 5 Abs 3 MitbestG (Rdn 73), auf den man nicht zurückzugreifen braucht. Bei der Auslegung des Konzernbegriffs stellt sich wiederum die Frage, ob die ein77 zelnen Merkmale rechtlich selbständiges Unternehmen, Abhängigkeit und Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung betriebsverfassungsspezifisch anders verstanden werden müssen (Rdn 14; Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 58). Eine der Unternehmensmitbestimmung vergleichbare Einbettung ins Gesellschaftsrecht (Rdn 74) liegt nicht vor, gleichwohl ist es mindestens aus praktischen Erwägungen misslich, wenn die Konzerndefinition für Betriebsverfassung und Unternehmensmitbestimmung auseinanderfällt. Wiederum unter dem organisationsrechtlichen Blickwinkel macht es durchaus Sinn, Abhängigkeit und Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung wie im Gesellschaftsrecht strukturell zu begreifen und zB schuldvertragliche oder wirtschaftliche Bindungen
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160 Letzteres ist allerdings der Sprachgebrauch in der Rspr und überwiegenden Literatur, zB Fitting/ Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier BetrVG 28 § 54 Rdn 10; – näher dazu Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 302; wie hier Bachmann RdA 2008, 107, 110; Richardi/Annuß BetrVG15 § 54 Rdn 3. 161 HM; BAG 27.10.2010 − 7 ABR 85/09 Rdn 29 ff, NZA 2011, 524, 526 betr öffentlichrechtlich organisierte Konzernspitze; GK-BetrVG/Franzen10 § 54 Rdn 23; Richardi/Annuß BetrVG15 § 54 Rdn 7; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 310 ff. 162 BAG 27.10.2010 − 7 ABR 85/09 Rdn 29, NZA 2011, 524, 526; BAG 9.2.2011 – 7 ABR 11/10, NZA 2011, 866. 163 BAG 14.2.2007 – 7 ABR 26/06 Rdn 40 ff, NZA 2007, 999, 1002 ff unter dem (unzutr) Etikett des „Konzerns im Konzern“, das eine Unterkonzernspitze verlange; zust ErfKommArbR/U Koch16 § 54 BetrVG Rdn 7; GK-BetrVG/Franzen10 § 54 Rdn 43 f; Junker SAE 2008, 41; Richardi/Annuß BetrVG15 § 54 Rdn 35, jew mwN; ähnlich schon Henssler ZfA 2005, 289, 310 ff. 164 Bachmann RdA 2008, 107, 110 ff; Buchner FS Birk, 2008, S 11, 17 ff; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/ Linsenmaier BetrVG 28 § 54 Rdn 34; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 323 f; dies RdA 1999, 146, 150. 165 ErfKommArbR/U Koch16 § 54 BetrVG Rdn 1. 166 BAG 12.11.1997 – 7 ABR 78/96, NZA 1998, 497 (betr Delegation nach § 58 Abs 2 BetrVG), bestätigt durch BAG 17.3.2015 – 1 ABR 49/13, NJOZ 2015, 1061; Bachmann RdA 2008, 107, 110; ErfKommArbR/U Koch16 § 58 BetrVG Rdn 5 (für Delegationsfälle); MünchHdbArbR/Joost3 § 227 Rdn 14; Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 337 ff; dies RdA 1999, 146, 150 f; – anders BAG 14.2.2007 – 7 ABR 26/06 Rdn 40 ff, NZA 2007, 999, 1002 ff; Buchner FS Birk, 2008, S 11, 20 ff; Henssler ZfA 2005, 289, 311; vgl auch § 1 Abs 4 Satz 1 EBRG: Unterrichtung durch die zentrale Leitung oder eine andere geeignete Leitungsebene …
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nicht genügen zu lassen167 oder einheitliche Leitung mit Bezug zu Personalmaßnahmen (vgl Rdn 74) zu verlangen. Die Errichtung eines Konzernbetriebsrates ist eine institutionelle Maßnahme, die nicht voraussetzt, dass mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten durch die Konzernspitze entschieden werden. Die Feinabstimmung erfolgt über die Zuständigkeitsregelung in § 58 BetrVG, die die Anpassung an die konkrete Integrationsdichte gewährleistet.168 Die Verweisung auf § 18 Abs 1 ist daher beim Wort zu nehmen.169 b) Das SprAuG folgt bis in die einzelnen Formulierungen dem BetrVG (vgl §§ 21 ff 78 SprAuG). Ein besonderes Problem tritt hier auf, wenn Personen, die in einem Arbeitsverhältnis zu einem Konzernunternehmen stehen, in einem anderen Konzernunternehmen jedoch eine Organstellung als Vorstandsmitglied oder Geschäftsführer einnehmen.170 Deren Zuordnung und Qualifizierung ist schwierig, soll nicht dem Konzernsprecherausschuss ein leitender Angestellter des herrschenden Unternehmens angehören, der in einem abhängigen Unternehmen der Geschäftsleitung und damit der Arbeitgeberseite zuzurechnen ist. c) Die Personalvertretung gilt ausschließlich für öffentlichrechtliche Arbeitgeber 79 und kennt keinen Konzernbegriff. Konzerne, denen Unternehmen in Rechtsformen angehören, die der Personalvertretung unterfallen, kommen vor und sind als Teilkonzerne zu behandeln (Rdn 76, 82). Mischformen von Betriebsverfassung und Personalvertretung sind gesetzlich nicht vorgesehen und können auch nicht rechtsfortbildend entwickelt werden. d) Neben dem unerlässlichen Aufgreifkriterium der gemeinschaftsweiten Aktivität 80 enthält die Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates171 den Tatbestand der Unternehmensgruppe, der mit dem Konzerntatbestand nicht identisch ist (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 30, 68). Die Gruppe besteht aus einem herrschenden und den von diesem abhängigen Unternehmen, Art 2 Abs 1b). Was darunter zu verstehen ist, bestimmt172 Art 3; Abs 1 nennt als Grundlage der Beherrschungsmöglichkeit beispielhaft: Eigentum, finanzielle Beteiligung oder sonstige Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln.173 Abs 2 stellt widerlegliche Vermutungen auf,
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167 AA zB Selzner Betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung in Franchise-Systemen, 1994, S 109 ff, der aber von einem unzutreffend begründeten Abhängigkeitsbegriff ausgeht; es geht nicht darum, ob eine wirtschaftliche Abhängigkeitslage „marktüblich“ oder exzeptionell ist, sondern ob sie durch Markttransaktionen induziert oder im Innenverhältnis des Unternehmensträgers verankert ist; vgl dagegen Windbichler § 17 Rdn 12 ff; auch MünchHdBArbR/Joost3 § 227 Rdn 5 ff; – für Übernahme der Merkmale des § 18, aber Abweichungen in der Anwendung Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier BetrVG 28 § 54 Rdn 8; GK-BetrVG/Franzen10 § 54 Rdn 12 f: Auslegung nach Normzweck, Rdn 20: FranchiseSystem genügt nicht; weitergehend Wlotzke/Preis/Kreft/Roloff BetrVG4 § 54 Rdn 2: nicht alle Merkmale des aktienrechtlichen Konzernbegriffs erforderlich. 168 Vgl näher Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 312, 334 ff. 169 BAG 14.2.2007 – 7 ABR 26/06 Rdn 42, NZA 2007, 999, 1002; – diese Aussage hat im entschiedenen Fall gleichwohl ein Fehlverständnis des Konzerns nicht verhindert; den Abhängigkeitsbegriff offen lassend BAG 9.2.2011 – 7 ABR 11/10, NZA 2011, 866. 170 Vgl dazu näher im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 502 ff; zur Drittanstellung Windbichler § 17 Rdn 48. 171 RL 94/45/EG, neugefasst in der RL 2009/38/EG. 172 Im deutschen Text heißt es „gilt“ als herrschendes Unternehmen. Eine Fiktion ist damit aber nicht gemeint. Der französische Text lautet „on entend par“, der englische „means“. 173 Im französischen Text: „du fait de la propriété, de la participation financière ou des règles qui la régissent“; im englischen Text: „by virtue of ownership, financial participation or the rules which govern it“.
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wann ein beherrschender Einfluss anzunehmen ist: Kapitalmehrheit, Stimmrechtsmehrheit oder die Möglichkeit, mehr als die Hälfte des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des anderen Unternehmens zu bestellen. Sind diese Voraussetzungen bei mehreren Unternehmen erfüllt, gibt im Zweifel die letztere Möglichkeit (Organbestellung) den Ausschlag (Abs 7). Abs 3 enthält Zurechnungsvorschriften für Beteiligungen bei Treuhandverhältnissen, Abs 4 enthält Ausnahmen für vorübergehende Bankenbeteiligungen und Beteiligungs- (Kapitalanlage-)Gesellschaften (vgl Windbichler § 17 Rdn 72 f) durch Verweisung auf die ZusammenschlusskontrollVO.174 Abs 5 nimmt Liquidations-, Konkurs- und Vergleichsverwaltung als Beherrschungsmittel aus (vgl Windbichler § 17 Rdn 86). Insgesamt folgt die Richtlinie dem control-Konzept (Rdn 8, Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 24, 63 ff) und knüpft damit organisationsrechtlich an.175 Wegen dieser andersartigen europäischen Ausgangslage war es nicht möglich, im deutschen Umsetzungsgesetz auf den Konzernbegriff zu verweisen; das EBRG übernimmt in § 6 die Definitionen der Richtlinie. Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung ist daher nicht erforderlich. 81 Auf der Rechtsfolgenseite stellt die Richtlinie zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Es ist entweder ein Europäischer Betriebsrat zu bilden oder aber ein Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer zu schaffen. In jedem Falle muss ein besonderes Verhandlungsgremium zur Repräsentation der in der Gruppe beschäftigten Arbeitnehmer eingesetzt werden. Subsidiär kommen die Vorschriften des Sitzlandes der maßgeblichen zentralen Leitung zur Anwendung. Dem entspricht das EBRG, das sich eng an die Richtlinie anlehnt und im Übrigen dem Muster des BetrVG folgt. Die Arbeitnehmervertretungen haben einen Auskunftsanspruch gegen die zentrale Leitung und das Arbeitgeberunternehmen auch bezüglich der Voraussetzungen des Beherrschungsverhältnisses.176 VI. Sonderfälle 82
1. Teilkonzern. Der Konzernbegriff als solcher ist rechtsform- und statutenneutral (Rdn 88 f). Wenn Vorschriften an die Rolle als Konzernspitze eines Unterordnungskonzerns besondere Rechtsfolgen knüpfen, ist aber mit Fallgestaltungen zu rechnen, in denen die Konzernspitze nicht Normadressat sein kann, weil sie wegen ihrer Rechtsform oder Sitz im Ausland nicht in den Anwendungsbereich der jeweiligen Vorschrift fällt. Am Konzerntatbestand, der die gesamte unter einheitlicher Leitung stehende Gruppe erfasst (Rdn 4), ändert das nichts. Einzelne Vorschriften bestimmen, dass ein Teil des Konzerns, der als Normadressat in Betracht kommt, in Anspruch genommen wird – Teilkonzern – unter Inkaufnahme teilweise unsystematischer Ergebnisse.177 Das betraf die Konzern-
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174 VO (EG) 139/2004, vgl dazu Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 65. 175 Näher Windbichler ZfA 1996, 1, 11 ff; dies JITE 152 (1996) 250, 255 ff; zur Umsetzung in anderen Mitgliedstaaten und den dortigen begrifflichen Anknüpfungen Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 30; vgl auch Riesenhuber Europäisches Arbeitsrecht, 2009, § 28 Rdn 14 f: „herrschend“ und „abhängig“ nach nationalem Recht zu bestimmen, dh in Deutschland nach § 17. 176 § 5 EBRG; EuGH 29.3.2001 – C-62/99, NZA 2001, 506 (bofrost*); EuGH 13.1.2004 – C 440/00, NZA 2004, 160 (Kühne & Nagel); EuGH 15.7.2004 – C 347/01, NZA 2004, 1167 (ADS Anker); BAG 30.3.2004 – 1 ABR 61/01, NZA 2004, 863 (bofrost∗); zur Problematik solcher, die Unternehmensgrenzen überschreitender Ansprüche Windbichler FS Peltzer, 2001, S 629. 177 Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 323; Wlotzke/Wissmann/Koberski/Kleinsorge/Koberski MitbestR4 § 5 MitbestG Rdn 53; Teilkonzern und Konzern im Konzern werden vermischt zB bei Thüsing/Forst Konzern 2010, 1, 2.
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Konzern und Konzernunternehmen | § 18
rechnungslegung vor dem BiRiLiG (§§ 329 Abs 2, 330 aF).178 Für das heutige Bilanzrecht ist der Teilkonzern entbehrlich, da auf jeder Stufe des Verbundes ein Konzernabschluss mit Befreiungsmöglichkeit gemäß § 291 HGB zu erstellen ist. Die Definition des Mutterunternehmens verlangt keine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung (§ 290 HGB; Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 24 und § 17 Rdn 8). Die Voraussetzungen für die Anwendung konzernbezogener Vorschriften im Teilkonzern differieren. Das MitbestG verlagert in § 5 Abs 3 die Rolle des herrschenden Unternehmens auf die mitbestimmungsgeeigneten Unternehmen, die der Konzernleitung am nächsten stehen (Rdn 72 f). Solche Unternehmen üben keine eigenständige einheitliche Leitung aus.179 Wieder anders gehen die RL über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats in Art 4 Abs 2 und dementsprechend § 2 Abs 2 EBRG mit dem parallel gelagerten Problem um, wenn die „zentrale Leitung“ in einem Drittstaat liegt. Mangels einer „nachgeordneten Leitung“ gilt ein benannter Vertreter oder das Unternehmen mit der größten Belegschaft als fiktive zentrale Leitung.180 Für die Betriebsverfassung hat das BAG eine Teilkonzernlösung (Rdn 76) bei einer nicht dem BetrVG unterworfenen Konzernspitze über das Konzept des „Konzerns im Konzern“ (Rdn 83) konstruiert.181 Für die gesellschaftsrechtlichen Definitionsnormen ergibt sich daraus nichts; die Frage nach dem Teilkonzern ist ein Rechtsanwendungsproblem innerhalb eines einheitlichen Konzerns. 2. Konzern im Konzern? Vom Teilkonzern zu unterscheiden ist die Frage, ob es 83 innerhalb eines Konzerns davon rechtlich separierbar einen weiteren Konzern geben kann. Sie spielt im Gesellschaftsrecht keine Rolle. Die Vorschriften, die vom Konzerntatbestand ausgehen (Rdn 8), geben dafür keinen Anlass, zumal die Zugehörigkeit zu einem „Unterkonzern“ die Zugehörigkeit zum Gesamtkonzern und deren Rechtsfolgen nicht aufhebt. Innerhalb eines Konzerns können gleichgeordnete Unternehmen auch herrschende Unternehmen über andere sein, ohne dass deshalb mehrere Konzerne zustande kämen (Rdn 59). Für die Frage, ob es einen „Konzern im Konzern“ gibt, lässt sich aus den ursprünglichen Rechnungslegungsvorschriften nichts herleiten; diese betrafen nur den Teilkonzern. Auch das heutige Bilanzrecht lässt keine Rückschlüsse auf die gesellschaftsrechtlich-begriffliche Existenz des „Konzerns im Konzern“ zu. Praktische Bedeutung hat der sog Konzern im Konzern in der Rechtsprechung des BAG zur Errichtung von (Unter-)Konzernbetriebsräten (§ 54 BetrVG),182 im Recht der Unternehmensmitbestimmung wegen der Arbeitnehmerzurechnung nach § 5 Abs 1 und 2 MitbestG183 und § 2 Abs 4 DrittelbG, zumal die tatsächliche Gliederung insbesondere großer Unternehmensgruppen deutliche Unterteilungen in Untergruppen zeigt. Teilkonzern und „Konzern im Konzern“ werden dabei oft nicht auseinander
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178 Dazu 3. Aufl Barz § 329 Anm 16, § 330 Anm 1: „Lückenbüßer“. 179 OLG Düsseldorf 30.10.2006 – I-26 W 14/06 AktE, NZG 2007, 77, 79. 180 Zu damit verbundenen Problemen Windbichler ZfA 1996, 1, 13 f. 181 BAG 14.2.2007 – 7 ABR 26/06, NZA 2007, 999; zust GK-BetrVG/Franzen10 § 54 Rdn 44; Kort NZA 2009, 464, 469; krit Bachmann RdA 2008, 107, 108 ff. 182 BAG 21.10.1980 AP Nr 1 zu § 54 BetrVG 1972; zust Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier BetrVG28 § 54 Rdn 32 f; GK-BetrVG/Franzen10 § 54 Rdn 32; Konzen FS Wiese, 1998, S 199, 209; mit Modifikationen Kort NZA 2009, 464, 468; – vgl auch BAG 14.2.2007 – 7 ABR 26/06, NZA 2007, 999; BAG 16.5.2007 – 7 ABR 63/06 (juris). 183 OLG Düsseldorf AG 1979, 318, OLG Zweibrücken AG 1984, 80, OLG Frankfurt ZIP 1987, 107, LG München AG 1996, 186 halten einen „Konzern im Konzern“ im Rahmen der Unternehmensmitbestimmung für möglich, verneinen ihn aber im jeweiligen Einzelfall; offengelassen in OLG Düsseldorf ZIP 1997, 546 (Babcock-BSH AG); ebenso LG Hamburg AG 1996, 89 (Volksfürsorge); Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 5 MitbestG Rdn 23 f; Ulmer/Habersack/Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 5 MitbestG Rdn 38 f mwN.
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§ 18 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
gehalten.184 Von einem „Konzern im Konzern“ geht das BAG aus, wenn unterhalb der Konzernspitze einem Konzernunternehmen betriebsverfassungsrechtlich relevante Entscheidungsbefugnisse, insbesondere in personellen und sozialen Angelegenheiten für mehrere Unternehmen zukommen.185 Dem gesellschaftsrechtlichen Konzernbegriff entspricht das nicht. Die Verweisung auf § 18 Abs 1 spricht gegen rechtlich isolierbare Unterkonzerne, es kommt allenfalls eine dem Anwendungsbereich entsprechend modifizierte Auslegung in Betracht, die das BAG allerdings ablehnt.186 Trotz weitreichender Akzeptanz des „Konzerns im Konzern“ überzeugen die Begründungen dafür nicht.187 § 7 EBRG lässt mehrere europäische Betriebsräte innerhalb einer Gruppe, also für eine „Gruppe in der Gruppe“, bei ausdrücklicher Vereinbarung zu, so dass die tatsächliche Binnenstruktur organisatorisch nachgezeichnet werden kann. Auch die betriebsverfassungsrechtliche Repräsentation der Arbeitnehmer kann nach § 3 BetrVG durch Tarifvertrag oder (Konzern-)Betriebsvereinbarung der tatsächlichen Organisationsstruktur angepasst werden.188 Die Aufsichtsratsmitbestimmung dagegen ist ein gesellschaftsrechtliches Instrument, so dass eine Ablösung von den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben weder systematisch zu rechtfertigen noch praktikabel ist (Rdn 14, 72). 84
3. Mehrfache Konzernzugehörigkeit? Ob die Zugehörigkeit zu mehreren verschiedenen, nicht wie im sog Konzern im Konzern lediglich innerhalb eines Konzerns gestaffelten Gruppen, möglich ist, ist streitig. Anwendungsfälle können sich bei paritätischen Gemeinschaftsunternehmen ergeben, deren Träger in jeweils verschiedenen Konzernen verbunden sind, sowie beim Zusammentreffen von Gleichordnungs- und Unterordnungskonzern (Rdn 59 ff). Auswirkungen innerhalb des Aktiengesetzes ergeben sich beispielsweise für die Berechnung der Höchstzahl von Aufsichtsratssitzen nach § 100 Abs 2 Satz 2 sowie in anderen Fällen (Rdn 8, 12), ferner im Mitbestimmungszusammenhang.
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a) Paritätische Gemeinschaftsunternehmen können von den Trägerunternehmen abhängig sein. Es handelt sich dann um ein Abhängigkeitsverhältnis zu mehreren Unternehmen im Verbund (Windbichler § 17 Rdn 60 ff, 67). Daraus kann nicht entsprechend der Vermutung des § 18 Abs 1 Satz 3 ein Unterordnungskonzern mit mehreren herrschenden Unternehmen gefolgert werden.189 Die Trägerunternehmen sind ihrerseits oft
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184 ZB Pflüger NZA 2009, 130; deutlich unterscheidend Raiser/Veil/Jacobs/Raiser MitbestG und DrittelbG6 § 5 MitbestG Rdn 23; Ulmer/Habersack/Henssler/Ulmer/Habersack MitbestR3 § 5 MitbestG Rdn 40. 185 BAG 14.2.2007 – 7 ABR 26/06, NZA 2007, 999; zust jeweils für Ausnahmefälle KK/Mertens/Cahn3 Anh § 117 B § 5 MitbestG Rdn 32 ff; Kort NZG 2009, 81, 83; Wlotzke/Wissmann/Koberski/Kleinsorge/Koberski MitbestR4 § 5 MitbestG Rdn 31 ff. 186 BAG 14.2.2007 – 7 ABR 26/06, NZA 2007, 999. 187 Bachmann RdA 2008, 107, 108; Fuchs Der Konzernbetriebsrat – Funktion und Kompetenz, 1974, S 175; MünchHdBArbR/Joost3 § 227 Rdn 13 f; Richardi FS Zeuner, 1994, S 147, 152; Richardi/Annuß BetrVG15 § 54 Rdn 12 ff; Windbichler Arbeitsrecht S 318 ff, 524 ff. 188 BAG 16.5.2007 – 7 AZN 34/07, BeckRs 2011.69152; Kort NZA 2009, 464, 466. 189 Rdn 42; s auch H Werner Der aktienrechtliche Abhängigkeitstatbestand, 1979, S 183 unter Hinweis auf Harms Konzerne im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1968, S 192 ff; Barz FS Kaufmann, 1972, S 59, 62 f; Gansweid Gemeinsame Tochtergesellschaften, 1976, S 187; – aA die hM, BAG 30.10.1986 – 6 ABR 19/85, AP Nr 1 zu § 55 BetrVG 1972; BAG 13.10.2004 – 7 ABR 56/03, NZA 2005, 647; Fitting/Engels/Schmidt/ Trebinger/Linsenmaier BetrVG28 § 54 Rdn 29 ff unter Hinweis auf Folgeprobleme; GK-BetrVG/Franzen10 § 54 Rdn 40 f; Grigoleit Rdn 12; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 44; KK/Mertens/Cahn3 Anh § 117 B § 5 MitbestG Rdn 35; K Schmidt FS Lutter, 2000, S 1167, 1185 f; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 15; Ulmer/Habersack/ Henssler/Habersack MitbestR3 § 5 MitbestG Rdn 48 ff (keine Vermutung, Einschätzung im Einzelfall maßgebend); Wlotzke/Wissmann/Koberski/Kleinsorge/Koberski MitbestR4 § 5 MitbestG Rdn 36 ff.
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Konzern und Konzernunternehmen | § 18
herrschendes Unternehmen eines Konzerns, doch gehört das Gemeinschaftsunternehmen aus den oben genannten Gründen (Rdn 42) diesen Konzernen nicht an. Andere von den Trägerunternehmen abhängige Unternehmen werden dadurch, dass ihre „Muttergesellschaft“ zusammen mit einer anderen ein oder mehrere Gemeinschaftsunternehmen beherrscht, nicht zu mit den Unternehmen des anderen Konzerns verbundenen Unternehmen. Mittelbar bestätigt wird dieses Ergebnis durch § 310 HGB und IFRS 11, wo nicht einmal einheitliche Leitung vorausgesetzt wird (Rdn 22). Ein gesonderter Konzern könnte anzunehmen sein, wenn die Trägerunternehmen ein rechtlich selbständiges Koordinationsorgan errichten, das seine Tätigkeit mit der des Gemeinschaftsunternehmens unter einheitlicher Leitung zusammenfasst. Diesem Koordinationsorgan müsste Unternehmensqualität zukommen (Windbichler § 15 Rdn 47 f). Betreiben die gleichgeordnet unter einheitlicher Leitung zusammengefassten Unternehmen, § 18 Abs 2, ein von ihnen gemeinsam abhängiges Gemeinschaftsunternehmen (Windbichler § 17 Rdn 64, 67), wird dieses von der einheitlichen Leitung erfasst und gehört zu diesem Konzern, s nachfolgend Rdn 86. b) Bei Zugehörigkeit zu einem kombinierten Gleichordnungs- und Unterord- 86 nungskonzern liegt ein einheitlicher Konzern vor (Rdn 59 f). Die Konstruktion einer mehrfachen Konzernzugehörigkeit ist gesellschaftsrechtlich weder erforderlich noch sinnvoll. Für die Rechtsfolgenbestimmung kommt es auf die anzuwendende Norm und auf das Verhältnis der betroffenen Unternehmen jeweils zueinander an, das Gleichordnung oder Unterordnung sein kann. Die nicht abschließend geklärte Frage nach den (Haftungs-)Verhältnissen von Schwesterunternehmen ist mit der begrifflichen Einordnung nicht zu bewältigen. 4. Unzulässige Konzerne? Die gesetzlichen Definitionen enthalten allenfalls inso- 87 weit eine Aussage zur Zulässigkeit der Bildung bestimmter Konzerne, als die im Gesetz angesprochenen Konstellationen rechtlich möglich sind. Auch die Zulässigkeit der Bildung sog qualifizierter faktischer Konzerne kann nicht auf der Ebene der Definition geklärt werden.190 Das Verhältnis von Abhängigkeit und Gleichordnung (Rdn 59 ff) und die Anforderungen an die einheitliche Leitung im Gleichordnungskonzern sind nicht durch Zulässigkeitserwägungen zu bewältigen.191 Es handelt sich vielmehr um Einzelfragen der rechtlichen Einordnung einzelner konzernbildender Maßnahmen sowie der Rechtsfolgen bei Gesetzes- und Satzungsverstößen und anderen Legitimationsdefiziten.192 Solange etwa ein Unterordnungskonzern auf fehlerhafter Grundlage tatsächlich praktiziert wird, sind die Bildung eines Konzernbetriebsrates und die Besetzung des Aufsichtsrates des herrschenden Unternehmens unter Berücksichtigung von § 5 Abs 1 MitbestG möglich.193 Die entsprechenden Initiativen können den Anstoß dafür geben, die Rechtsgrundlagen zu überprüfen und zu bereinigen bzw die Unternehmensverbindung zu lösen.
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190 Altmeppen Abschied vom „qualifiziert faktischen“ Konzern, 1991, S 21, 29 f; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 24 Rdn 14 f; Hüffer/Koch11 Rdn 4 f; MünchKomm/Bayer4 Rdn 10 ff; K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 424 ff (betr Gleichordnung); Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 49, 57. 191 So aber Gromann Die Gleichordnungskonzerne im Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1979, S 59, 62 ff. 192 Vgl Schürnbrand ZHR 169 (2005) 35, 54 ff; Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 54; K Schmidt ZHR 155 (1991) 417, 425 f, 430 f. 193 Windbichler Arbeitsrecht, 1989, S 314 f, 529 ff; vgl auch Mankowski ZIP 1995, 1006, 1008; – aA ohne nähere Begründung LAG Berlin AG 1996, 140, 141 f; wohl auch Raiser ZGR 1996, 458, 469. Ob Ausnahmen bei Verfassungswidrigkeit als qualifizierte Rechtswidrigkeit zu machen sind, mag hier dahingestellt bleiben. Ertragreicher ist die Bestimmung und Begrenzung der Rechtsfolgen in Abstimmung mit dem Mangel wie bei der fehlerhaften Gesellschaft, s dazu K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 6 III 3.
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§ 19 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
VII. Auslandsbezug Konzernverbunden können auch ausländische Unternehmen sein. Welche Bedeutung das für eine materielle Regelung hat, die vom Konzerntatbestand ausgeht, richtet sich nach der jeweiligen Vorschrift, es gibt kein „Konzernstatut“ (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 71 f). Ein Eingliederungskonzern, Abs 1 Satz 2, ist beispielsweise nur unter inländischen AG oder SE194 möglich, §§ 319 Abs 1 Satz 1, 327 Abs 1 Nr 2. Soweit ausländische Gesellschaften an einer Eingliederung beteiligt werden sollten,195 greift die unwiderlegliche Konzernvermutung nicht, ggf aber die widerlegliche Vermutung des Abs 1 Satz 3. Ob das Auskunftsrecht der Sonderprüfer auch gegenüber ausländischen Konzernunternehmen besteht und wie dieses gegebenenfalls durchzusetzen ist, § 145 Abs 3, lässt der Gesetzeswortlaut offen und überlässt die Frage der Anwendung allgemeiner Regeln und dem IPR.196 Die Vorschriften über die befreiende Wirkung von Konzernabschlüssen, §§ 291 f HGB, stellen auf die Einbeziehung in einen konsolidierten Abschluss nach EU/EWR- oder gleichwertigen Regeln ab. Da das Recht der Unternehmensmitbestimmung nur in inländischen Unternehmen mitbestimmte Aufsichtsräte verlangen kann, fallen Konzerne mit ausländischer Konzernspitze unter § 5 Abs 3 MitbestG (Rdn 72). Unternehmensverträge mit ausländischen Gesellschaften als herrschendes Unternehmen sind grundsätzlich zulässig und in ihren Voraussetzungen und Folgen im Einzelnen zu qualifizieren und anzuknüpfen.197 Im Einzelnen kann wie stets erforderlich sein, ausländische Sachverhalte daraufhin 89 zu untersuchen, ob sie die Merkmale der Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung iSd § 18 erfüllen (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 72: Substitution). Das wird gegebenenfalls dadurch erschwert, dass in der Heimatrechtsordnung des betroffenen Unternehmens dieser Typ der Unternehmensverbindung nicht geläufig ist (Rdn 18). § 19 Wechselseitig beteiligte Unternehmen Windbichler QQQ
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§ 19 Wechselseitig beteiligte Unternehmen (1) Wechselseitig beteiligte Unternehmen sind Unternehmen mit Sitz im Inland in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, die dadurch verbunden sind, daß jedem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Anteile des anderen Unternehmens gehört. Für die Feststellung, ob einem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Anteile des anderen Unternehmens gehört, gilt § 16 Abs 2 Satz 1, Abs 4. (2) Gehört einem wechselseitig beteiligten Unternehmen an dem anderen Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung oder kann das eine auf das andere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben, so ist das eine als herrschendes, das andere als abhängiges Unternehmen anzusehen. (3) Gehört jedem der wechselseitig beteiligten Unternehmen an dem anderen Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung oder kann jedes auf das andere unmittel-
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194 Emmerich/Habersack Aktien- und GmbH-KonzernR7 § 319 Rdn 5; Hüffer/Koch11 § 319 Rdn 4; KK/ Paefgen3 Bd 8 Schlussanh II Rdn 83 ff. 195 Für diese Möglichkeit MünchKomm/Grunewald4 § 319 Rdn 6. 196 MünchKomm/Schröer3 § 145 Rdn 20: grundsätzlich nur Verpflichtung von Inlandsunternehmen, für Auslandsunternehmen ist deren Rechtsordnung maßgebend. 197 Umfassend Bayer Der grenzüberschreitende Beherrschungsvertrag, 1988; ferner Selzner/Sustmann, Konzern 2003, 85, 88 ff.
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Wechselseitig beteiligte Unternehmen | § 19
bar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben, so gelten beide Unternehmen als herrschend und als abhängig. (4) § 328 ist auf Unternehmen, die nach Absatz 2 oder 3 herrschende oder abhängige Unternehmen sind, nicht anzuwenden.
I.
II.
III.
Systematische Übersicht Allgemeines | 1 1. Entwicklung | 1 2. Bedeutung | 4 a) Verweisungen | 4 b) Praktische Bedeutung | 5 c) Systematische Stellung | 6 3. Verhältnis zu anderen Vorschriften | 9 a) Erwerb eigener Aktien | 9 b) Verbot der Einlagenrückgewähr | 10 Grundtatbestand (Abs 1) | 12 1. Betroffene Unternehmen | 12 a) Unternehmen | 12 b) Rechtsform | 13 c) Sitz im Inland | 14 2. Anteile und Anteilsberechnung | 15 a) Anteile | 15 b) Mehr als der vierte Teil | 16 c) Berechnung | 17 d) Zurechnung | 18 3. Rechtsfolgen | 19 Einseitig qualifizierte wechselseitige Beteiligung (Abs 2) | 21 1. Tatbestand | 21
a)
Grundvoraussetzung: einfache wechselseitige Beteiligung | 21 b) Einseitige Qualifizierung | 22 c) Zulässigkeit | 24 2. Rechtsfolgen | 25 a) Unwiderlegliche Abhängigkeitsvermutung | 25 b) Ausschluss des § 328 (Abs 4) | 27 c) Allgemeine Regeln | 28 IV. Beiderseits qualifizierte wechselseitige Beteiligung (Abs 3) | 28 1. Tatbestand | 29 2. Rechtsfolgen | 31 a) Folgen der Abhängigkeit und der Beherrschung | 31 b) Konzern und Konzernabschluss | 32 c) Pflicht zum Abbau der Beteiligungen | 35 V. Ringbeteiligungen | 36 VI. Andere Rechtsformen | 39 VII. Auslandsbezug | 40
Schrifttum Siehe auch die Angaben zur Vorbemerkung vor §§ 15 ff sowie zu den §§ 15–18; Adams Die Usurpation von Aktionärsbefugnissen mittels Ringverflechtung in der „Deutschland AG“, AG 1994, 148; ders Bankenmacht und deutscher Juristentag, ZIP 1996, 1590; Cahn/Farrenkopf Abschied von der qualifizierten wechselseitigen Beteiligung?, AG 1984, 178; Emmerich Zur Problematik der wechselseitigen Beteiligungen, FS H Westermann, 1974, S 55; ders Wechselseitige Beteiligungen bei Aktiengesellschaften und GmbH, NZG 1998, 622; Frank Wechselseitige Beteiligungen im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht, 1990; Havermann Die verbundenen Unternehmen und ihre Pflichten nach dem Aktiengesetz, Wpg 1966, 66; Hettlage Darf sich eine Kapitalgesellschaft durch die Begründung einer wechselseitigen Beteiligung an der Kapitalaufbringung ihrer eigenen Kapitalgeber beteiligen?, AG 1967, 249; ders Die AG als Aktionär, AG 1981, 92; Kayser-Eichberg Die wechselseitige Beteiligung nach deutschem Aktienrecht als Leitlinie einer europäischen Harmonisierung, 1969; Klix Wechselseitige Beteiligungen, 1981; Koppensteiner Wechselseitige Beteiligungen im Recht der GmbH, WiBl 1990, 1; Korch Ringbeteiligungen von Aktiengesellschaften: gesellschafts- und kartellrechtliche Aspekte, 2002; Kropff Die wechselseitige Beteiligung nach dem Entwurf eines AktG, DB 1959, 15; T Raiser Empfehlen sich gesetzliche Regelungen zur Einschränkung des Einflusses der Kreditinstitute auf Aktiengesellschaften?, NJW 1996, 2257; Ramming Wechselseitige Beteiligungen außerhalb des Aktienrechts, 2005; Kerstin Schmidt Wechselseitige Beteiligungen im Gesellschafts- und Kartellrecht, 1995; Seibert Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), WM 1997, 1; Verhoeven GmbH-Konzernrecht: Der Erwerb von Anteilen an der Obergesellschaft, GmbHR 1977, 97; Wastl/ Wagner Wechselseitige Beteiligungen im Aktienrecht, AG 1997, 241; Zöllner Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963.
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§ 19 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
I. Allgemeines 1. Entwicklung. Ein plakatives Beispiel für wechselseitige Beteiligungen bot der Iduna-Fall des Reichsgerichts,1 noch zu § 226 HGB idF der Aktienrechtsnovelle 1931 (dazu Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 3). Zwei Versicherungsgesellschaften waren aneinander mit 94,7% bzw 94,61% beteiligt; das Gericht hielt den Erwerb für wirksam und das Stimmrecht der Mehrheitsbeteiligten nicht für ausgeschlossen. Dabei ließ es dahingestellt, ob bei wechselseitiger Mehrheitsbeteiligung wechselseitige Abhängigkeit bestehe oder nicht vielmehr die Abhängigkeit gerade ausgeschlossen sei. Letzteres wurde lange von der hM angenommen, jedoch zunehmend kritisiert.2 Dieser Streit sowie die als unzureichend empfundene Regelung des AktG 1937 bilden den Hintergrund des jetzigen § 19, der aber wiederum als nicht sehr geglückte Vorschrift betrachtet wird.3 § 19 ist seit dem Erlass des AktG 1965 nicht geändert worden, doch sind die Änderungen anderer Vorschriften, insbesondere der §§ 71 ff durch das Zweite EG-KoordG4 und das KonTraG 1998,5 und die Einfügung des Art 24a in die Kapitalrichtlinie6 auslegungsrelevant. 2 Wechselseitige Beteiligungen von Kapitalgesellschaften sind unter verschiedenen Aspekten problematisch.7 Aufbringung und Erhaltung des Grundkapitals werden beeinträchtigt, indem dieselbe Einlage wirtschaftlich gesehen zweifach verwendet wird. Die Zahlung des Erwerbspreises für Aktien einer Gesellschaft, die selbst an der Erwerberin beteiligt ist, birgt zudem das Risiko der teilweisen unzulässigen Einlagenrückgewähr (Rdn 10). Hinzu kommt die Gefahr von Verwaltungsstimmrechten, da die Vorstände der wechselseitig beteiligten Unternehmen sich so vom Einfluss der übrigen Aktionäre abschirmen können. Diese Probleme wurden im AktG 1937 durch die Vorschriften bei Abhängigkeit in Angriff genommen. § 65 Abs 5 AktG 1937 behandelte den Erwerb von Aktien durch ein von der Gesellschaft abhängiges Unternehmen wie den Erwerb eigener Aktien (heute § 71d). Das AktG 1965 ging darüber hinaus, indem es die wechselseitige Beteiligung als eigenständigen Typ der Unternehmensverbindung definierte (§ 19 Abs 1), mit besonderen Rechtsfolgen versah (§§ 328, 19 Abs 4) und den Anwendungsbereich der Abhängigkeitsvorschriften für qualifizierte Fälle erweiterte (§ 19 Abs 2 und 3). Wechselseitige Beteiligung im technischen Sinne nennt das Gesetz erst, wenn 3 die Schwelle von mehr als 25% der Anteile jeweils erreicht oder überschritten ist,8 Abs 1, 1
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1 RGZ 149, 305. 2 Zöllner Schranken, 1963, S 133 f; weitere Nachweise bei KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 1; H Winter Die wechselseitige Beteiligung von Aktiengesellschaften, 1960, S 69 ff. 3 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 7; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 3, 12, 33; MünchKomm/Bayer4 Rdn 13, 16. 4 BGBl I 1978 S 1959. 5 Dazu MünchKomm/Bayer4 Rdn 15 f. 6 Art 24a der zweiten Richtlinie 77/91/EWG, neugefasst durch die RL 2012/30/EU, dort Art 28. 7 BegrRegE bei Kropff AktG S 34 ff; 3. Aufl Würdinger Einl; Baums ZBB 1994, 86, 99 f; Boesebeck BB 1959, 15; Cahn Kapitalerhaltung im Konzern, 1998, S 151 ff; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbHKonzernR7 Rdn 5 ff; Hettlage AG 1967, 249; Hüffer/Koch11 Rdn 1; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 3; Korch Ringbeteiligungen von Aktiengesellschaften, 2002, S 34 ff; Lutter Kapitalaufbringung, 1964, S 105 ff, 187 ff; K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 31 II 3 d; Kerstin Schmidt Wechselseitige Beteiligungen, 1995, S 51 ff; H Winter Die wechselseitige Beteiligung von Aktiengesellschaften, 1960, S 39 ff; Zöllner Schranken, 1963, S 133 f; (teilweise überzogen reformorientiert, rechtstatsächlich wohl überholt) Adams AG 1994, 148; SPD-Entwurf „Transparenz- und Wettbewerbsgesetz“ BT-Drucks 13/367; auch 61. DJT, Beschluß der Abt Wirtschaftsrecht II 7 b, NJW 1996, 2994, 2998: Behinderung des Marktes für Unternehmenskontrolle. 8 Geßler/Geßler Rdn 1 verwendet deshalb den allgemeineren Begriff der gegenseitigen Beteiligung bei geringerem Anteilsbesitz; – im RefE war eine Schwelle von > 20% vorgesehen, dazu Boesebeck BB 1959, 15, 16; Kropff DB 1959, 15, 17 f; – Adams AG 1994, 148, 154 befürwortete, von rechtstatsächlich heute nicht mehr zutreffenden Prämissen ausgehend, de lege ferenda eine Schwelle von 3%; MünchKomm/Bayer4
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sog einfache wechselseitige Beteiligung. Dem entsprechen die Schwellen für Mitteilungspflichten nach §§ 20 Abs 1 und 3, 21 Abs 1,9 deren Einhaltung durch §§ 20 Abs 7, 21 Abs 4 und § 328 gesichert werden soll. Sowohl die als zu hoch angesetzt angesehene Schwelle als auch die Sanktionen werden vielfach kritisiert (Rdn 16). Abs 2 betrifft eine wechselseitige Beteiligung, die dadurch einseitig qualifiziert ist, dass ein Unternehmen mehrheitlich an dem anderen beteiligt ist oder über das andere einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Abs 3 betrifft die Konstellation, die dem Iduna-Fall (Rdn 1) entspricht, nämlich beiderseitige Mehrheitsbeteiligung oder Beherrschungsmöglichkeit. Abs 4 erklärt die Sondervorschrift über die Beschränkung der Rechte bei wechselseitiger Beteiligung für die Qualifizierungsfälle in Abs 2 und 3 für unanwendbar. 2. Bedeutung a) Verweisungen auf § 19 oder wechselseitige Beteiligung sind nur wenige zu fin- 4 den. Im AktG verlangt § 160 Abs 1 Nr 7 Angaben über wechselseitige Beteiligungen im Anhang. § 328 beschränkt die Wahrnehmung von mitgliedschaftlichen Rechten, ist aber nur auf die einfache wechselseitige Beteiligung anwendbar, § 19 Abs 4. Implizit ist die Mitteilungspflicht nach § 20 Abs 3 auf § 19 Abs 1 zugeschnitten.10 Das EGAktG enthält in § 6 Übergangsvorschriften für Gesellschaften, die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits wechselseitig beteiligt waren. Wechselseitig beteiligte Unternehmen sind verbundene Unternehmen iSd § 15; sämtliche Vorschriften, die auf diesen Begriff abstellen (Windbichler § 15 Rdn 4), finden Anwendung, was erklärtermaßen zu den Normzwecken gehört.11 Außerhalb des AktG berücksichtigen branchenspezifische Vorschriften, zB § 10a Abs 1 Satz 5, Abs 2 Satz 7 KWG die Eigenmittelausstattung von Kreditinstituts- und Finanzholding-Gruppen betreffend, auch gegenseitige Verflechtungen. b) Die praktische Bedeutung der Vorschrift lässt sich schwer ermessen. Es liegen 5 nur wenige Informationen über das tatsächliche Vorkommen von gegenseitigen und wechselseitigen Beteiligungen vor; in der Versicherungswirtschaft sollen sie eine nicht unbeachtliche Rolle spielen.12 Neuere Rechtsprechung zu § 19 ist nicht ersichtlich. Das kann den Grund haben, dass Unternehmen den Anwendungsbereich der Vorschrift meiden, womit diese ganz im Sinne des Gesetzgebers zur Wirkung käme. Es kann auch sein,
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Rdn 13; KK/Koppensteiner3 Rdn 15, halten 20% (mittelbare Selbstbeteiligung in Höhe von 10% im Einklang mit § 71 Abs 2) für richtig. 9 Im Interesse einer Harmonisierung der Meldepflichten und Verletzungsfolgen ist die Anwendung des § 20 Abs 1–7 auf Emittenten iSd § 21 Abs 2 WpHG in § 20 Abs 8 ausgeschlossen, ebenso die Anwendung des § 21 in § 21 Abs 5; diese Gesellschaften sind nur nach WpHG meldepflichtig. Das WpHG geht aber von Stimmrechten aus, ein Äquivalent zu § 20 Abs 3 fehlt. S dazu Windbichler § 20 Rdn 33 ff; das ist misslich, da nach § 328 Abs 3 ein Unternehmen, dem die wechselseitige Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft gemäß Abs 1 (worin auf § 20 Abs 3 verwiesen ist) bekannt ist, sein Stimmrecht zur Wahl von Mitgliedern in den Aufsichtsrat nicht ausüben darf. 10 Die in der BegrRefE KonTraG (abgedruckt in ZIP 1996, 2129 ff, ebenso RegE ZIP 1997, 2059, 2068) enthaltene Bemerkung zu § 328, bekannt werde eine Beteiligung auch über eine Mitteilung nach dem WpHG, ist insoweit ungenau, als die Meldepflichten des WpHG stimmrechtsorientiert formuliert sind, während die wechselseitige Beteiligung kapitalorientiert definiert ist. 11 BegrRegE bei Kropff S 34. 12 BegrRegE bei Kropff S 35 f; Geßler/Geßler Rdn 3; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 4; zu den Gründen Boesebeck BB 1959, 15, 16; Monopolkommission X. Hauptgutachten 1992/93 Rdn 476 betr Allianz AG Holding und Münchener Rückversicherungsgesellschaft AG; nach Monopolkommission Hauptgutachten 2012/2013 Tabelle II 14 besteht nur noch eine geringfügige genseitige Beteiligung. – Zu gegenseitigen Beteiligungen, die die Schwelle des § 19 Abs 1 nicht erreichen, s auch Adams AG 1994, 148; Hansen AG 1996 Sonderh Oktober S 52 betr co op; jeweils rechtstatsächlich überholt.
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dass die Herstellung insbesondere qualifizierter wechselseitiger Beteiligungen durch § 71d an die Grenze der Unmöglichkeit erschwert ist. Weiter ist davon auszugehen, dass die Beteiligungsverhältnisse vielfach sehr viel komplizierter gestaltet sind als schlichte gegen- oder wechselseitige Beteiligungen und mittelbare Verflechtungen (Rdn 36 ff), darüber hinaus Auslandsbeteiligungen einbeziehen.13 Der Anwendungsbereich des § 19 ist damit großenteils verlassen. Ferner mag der Bedeutungsverlust des steuerlichen sog Schachtelprivilegs eine Rolle spielen.14 c) Nach seiner systematischen Stellung bringt § 19 zunächst eine weitere Form von verbundenen Unternehmen iSd § 15 (Rdn 4). Die Definition der (einfachen) wechselseitigen Beteiligung in § 19 Abs 1 setzt die Gesetzestechnik der §§ 15 ff fort; sie enthält eine Begriffsbestimmung, auf die dann andere materielle Vorschriften abstellen. Die Linie, die von der Mehrheitsbeteiligung ausgehend zu immer engeren Verbindungen fortschreitet, wird allerdings nicht fortgeführt.15 Wechselseitige Beteiligung kann eine schwache, aber auch eine sehr intensive Unternehmensverbindung sein. Die Abs 2–4 stellen einen Übergang zur materiellen Regelung der definierten Unternehmensverbindungen dar. Sie enthalten keine neuen Begriffsbestimmungen mehr. Abs 4 bezieht sich unmittelbar auf den Anwendungsbereich des § 328; Abs 2 und 3 erklären die zuvor bestimmten Begriffe der Mehrheitsbeteiligung, Abhängigkeit und Beherrschung zwingend (Rdn 25, 31) für einschlägig. Damit werden die daran anknüpfenden Rechtsnormen zur Geltung gebracht,16 selbst wenn die Merkmale der jeweiligen Begriffsbestimmungen für sich genommen nicht erfüllt sind. So gewinnt auch die nicht unmittelbar einleuchtende Figur der gleichzeitigen Abhängigkeit und Beherrschung (Abs 3) Plausibilität.17 Zutreffend wird daher aus Abs 2 und 3 nichts für die dort in Bezug genommenen Begriffe hergeleitet (Windbichler § 17 Rdn 9, 68). Wechselseitige Beteiligung kann zur Begründung eines Gleichordnungskonzerns 7 verwendet werden.18 Die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung muss im Einzelnen festgestellt werden, sie folgt nicht aus den Beteiligungsverhältnissen allein. Da das Gesetz in den Fällen des Abs 2 und 3 unwiderleglich von Abhängigkeit ausgeht, kommt bei qualifizierter wechselseitiger Beteiligung nur ein Unterordnungskonzern in Betracht (Rdn 18, 32 ff); die sich darauf beziehenden Vorschriften finden Anwendung. Die These von der Gleichordnung wegen gegenseitiger Neutralisierung des Einflusses kann unter der Geltung des § 19 nicht mehr zum Gleichordnungskonzern führen (Rdn 33). 8 Die Zulässigkeit der Begründung insbesondere qualifizierter wechselseitiger Beteiligungen ist streitig. Grundsätzlich sind die im Gesetz definierten Unternehmensverbindungen rechtlich möglich. Über die Zulässigkeit der Gestaltung im Einzelfall ist damit aber keine Aussage getroffen; rechtswidrig zustande gekommene Unternehmensverbin6
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13 Zum Verflechtungsgrad der Großunternehmen regelmäßig die Monopolkommission in ihren Hauptgutachten, zB Hauptgutachten 2012/2013 Rdn 455 ff. 14 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 16; MünchKomm/Bayer4 Rdn 13. 15 Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 55, § 16 Rdn 4, § 17 Rdn 3; K Schmidt Gesellschaftsrecht4 § 31 II 3d. 16 BegrRegE bei Kropff AktG S 36: bestimmt … dass die Vorschriften für abhängige und herrschende anzuwenden sind; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 9. 17 Geßler/Geßler Rdn 32: fiktive Abhängigkeit; Hüffer/Koch11 Rdn 7 „sprachliche Abkürzung“; anders KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 27 für den Fall positiv festzustellender wechselseitiger Abhängigkeit und Beherrschung: vom Inhalt des Abhängigkeitsbegriffes her unvollziehbare Vorstellung; auch Emmerich/ Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 17: schwer vorstellbar; Klix Wechselseitige Beteiligungen, 1981, S 36, der aber übersieht, dass seit dem Zweiten EG-KoordG bereits die Mehrheitsbeteiligung nach §§ 71d Satz 2–4, 71b zum Stimmrechtsausschluss führt. 18 Windbichler § 18 Rdn 54; Geßler/Geßler Rdn 41; 3. Aufl Würdinger Anm 7.
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dungen fallen unter die Vorschriften, die dafür Rechtsfolgen vorsehen, zB § 71c (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 54). Dementsprechend kann es qualifizierte wechselseitige Beteiligungen nach Abs 2 und 3 geben, obwohl ihre Entstehung zwar nicht notwendig, aber doch in aller Regel mit anderen Vorschriften in Konflikt gerät.19 Tendenziell sind daher qualifizierte wechselseitige Beteiligungen vorübergehende Zustände.20 Die Anwendungsfälle dürften außergewöhnlich und singulär sein. Eine Aussage, dass es sich um gesetzlich vorgesehene und damit gewissermaßen positiv gewertete Unternehmensverbindungen handele, lässt sich aus § 19 nicht herleiten. Die Vorschrift betrifft in ihrem Regelungsteil einen Zustand, was gerade auch dann sinnvoll ist, wenn dieser Zustand rechtlich keinen Bestand haben soll. So ist beispielsweise bei eigenen Aktien § 71b immer anzuwenden, nicht nur nach zulässigem Erwerb.21 Unterhalb der Schwelle von > 25% wird die gegenseitige Beteiligung nicht als Unternehmensverbindung typisierend zur Kenntnis genommen, oberhalb dieser Schwelle wird sie durch verschiedene Belastungen unattraktiv gemacht.22 Die systematische Zwitterstellung zwischen Definitionsnorm und materieller Regelung durch Verweisung rechtfertigt es nicht, § 19 Spezialität oder einen sonstigen Vorrang vor den §§ 57, 71 ff zuzuweisen.23 Dagegen spricht auch, dass der Anwendungsbereich der §§ 57, 71 ff enger ist, zB unentgeltlichen Erwerb und Gesamtrechtsnachfolge ausnimmt und sich nur auf AGen bezieht. Die §§ 30, 33 GmbHG sind außerdem großzügiger hinsichtlich der Zulassung von Zahlungen an Gesellschafter und den Erwerb eigener Geschäftsanteile. Das Zusammenwirken von § 19 mit anderen Vorschriften muss daher für die einzelnen Anwendungsfälle jeweils entwickelt werden. 3. Verhältnis zu anderen Vorschriften a) Der Verstoß gegen das Verbot des Erwerbs eigener Aktien, §§ 71 ff, ist der 9 Haupteinwand gegen die Begründung qualifizierter wechselseitiger Beteiligungen. Die genannten Vorschriften finden Anwendung und werden nicht etwa durch § 19 verdrängt (Rdn 8). Ferner sind die §§ 71 ff richtlinienkonformes Recht, so dass Abweichungen durch § 19 als Sonderregel nur im Rahmen der Kapitalrichtlinie24 möglich wären. Die Spielräume dafür sind gering; ein entsprechender Regelungsgehalt lässt sich § 19 auch nicht beilegen. Nach § 71 Abs 4 Satz 1 ist ein unzulässiger Erwerb nicht unwirksam.25 Statt dessen werden in § 71c Veräußerungsfristen statuiert, die bei unzulässigem Erwerb ein Jahr, bei
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19 Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 7; als legale Methode des Aufbaus wechselseitiger Beteiligung wird der gleichförmige, abgestimmte Parallelerwerb durch mehrere Anleger genannt, U H Schneider AG 1997, 81, 82 unter Bezugnahme auf Burgard BB 1995, 2069, 2074, der aber nur kurzfristigen Beteiligungserwerb zur Erzielung eines Veräußerungsgewinns erwähnt. 20 Emmerich/Habersack KonzernR10 § 5 Rdn 14; Hüffer/Koch11 § 71d Rdn 7; vgl auch Zöllner Schranken, 1963, S 134: wechselseitige Beteiligung dient keinen legitimen Zwecken, sie ist allenfalls dann nicht zu missbilligen, wenn sie auf Zufall oder Gesamtrechtsnachfolge beruht. 21 Hüffer/Koch11 § 71d Rdn 2; KK/Lutter/Drygala3 § 71b Rdn 3; vgl auch Art 28 der RL 2012/30/EU (konsolidierte Kapitalrichtlinie). 22 BegrRegE bei Kropff AktG S 34 ff, Ausschußbericht aaO S 37: wechselseitige Beteiligung iSd § 19 rechtspolitisch unerwünscht. 23 Für eine solche Art von Konkurrenz aber Cahn/Farrenkopf AG 1984, 178, 179; Geßler/Geßler Rdn 16; Kerstin Schmidt Wechselseitige Beteiligungen, 1995, S 57 f; ohne nähere Begründung schließen Wastl/ Wagner AG 1997, 241, 245, 247 von der Definitionsnorm auf die Zulässigkeit von gegenseitigen Beteiligungen, die nicht darunter fallen; – aA Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbHKonzernR7 Rdn 7: §§ 71 ff anwendbar, nicht aber § 57; Hettlage AG 1967, 249, 253 f; Hüffer/Koch11 Rdn 6; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 6 betr §§ 71 ff. 24 Art 28 RL 2012/30/EU; zur Vorläufervorschrift Neye ZGR 1995, 191, 193 ff. 25 Das gilt auch bei Aktienübernahme, die gegen das Zeichnungsverbot verstößt (§ 56 Abs 2 Satz 2), Hüffer/Koch11 § 56 Rdn 10; KK/Drygala3 § 56 Rdn 28.
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Überschreitung der zulässigen Höchstbeteiligung von 10% drei Jahre betragen.26 Die Anwendbarkeit der Übertragungs- und Veräußerungspflicht nach § 71c in Fällen des § 19 Abs 3 ist str.27 Als zulässiger Erwerbstatbestand ist auch Verschmelzung in Betracht zu ziehen,28 die zur Gesamtrechtsnachfolge iSd § 71 Abs 1 Nr 5 führt. Ist eine Gesellschaft qualifiziert wechselseitig beteiligt, kann nach § 71b aus den Aktien der anderen Gesellschaft kein Stimmrecht ausgeübt werden. Einzelheiten zur Anwendung der Vorschriften über den Erwerb eigener Aktien und über die Verhinderung von Umgehungen s dort (§§ 71 ff m Erl). Die durch das KonTraG eingeführte Möglichkeit, auf der Grundlage eines Hauptversammlungsbeschlusses den Erwerb eigener Aktien zuzulassen (§ 71 Abs 1 Nr 8), könnte sich mittelbar auf den Aufbau wechselseitiger Beteiligungen auswirken;29 die in § 71 Abs 2 statuierte Obergrenze des zulässigen Besitzes eigener Aktien bleibt jedoch (richtlinienkonform) unverändert bei 10%. b) Ein Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr ist ein weiterer, schon frühzeitig erhobener Einwand gegen den Erwerb wechselseitiger Beteiligungen.30 Ein der Rückzahlung der Einlage vergleichbarer wirtschaftlicher Effekt tritt durch die Zahlung des Erwerbspreises ein, wenn diese nicht aus freien Rücklagen erfolgt.31 Bei originärem Aktienerwerb durch ein Unternehmen, an dem die Gesellschaft beteiligt ist, ist der Kapitalaufbringungsgrundsatz insoweit berührt, als die zu leistenden Einlagen mittelbar aus dem Vermögen der AG stammen; nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut greift das Zeichnungsverbot des § 56 Abs 2 aber erst ab Mehrheitsbeteiligung oder Abhängigkeit ein.32 Soweit ein zulässiger Erwerbstatbestand nach §§ 71 Abs 1, 71d Satz 2 gegeben ist, liegt 11 keine verbotene Einlagenrückgewähr vor (§ 57 Abs 1 Satz 2). § 19 beinhaltet keine darüber hinausgehende eigenständige Ausnahme oder Verschärfung (Rdn 8).33 Eine unmittelbare Einlagenrückgewähr ist beim Anteilserwerb durch eine Kapitalgesellschaft, an der die AG bereits beteiligt ist, nicht gegeben; es kommen vielmehr die von Rspr und Lehre entwickelten mittelbaren Tatbestände (Leistung an und durch Dritte) in Betracht. § 57 ist also anwendbar, aber möglicherweise nicht einschlägig (s Erl zu § 57). Dem entspricht die verbreitete – vorsichtige – Formulierung, der wirtschaftliche Effekt entspreche einer Einlagenrückgewähr. Die Differenzierung danach, ob der Erwerbspreis aus freien Rücklagen gezahlt werden könne,34 folgt dem Maßstab des § 30 GmbHG und des Art 17 der RL 2012/ 30/EU (Kapitalrichtlinie). Gegenseitige Beteiligungen können unentdeckt bleiben, solange sie unterhalb der Schwellen von Mitteilungs- und Publizitätspflichten bleiben. Dies gilt praktisch nur für nicht börsennotierte Gesellschaften, da nach § 21 Abs 1 WpHG eine Mittei-
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26 Hüffer/Koch11 § 71d 19; teilweise aA Cahn/Farrenkopf AG 1984, 178, 179: keine Veräußerungspflicht betr Anteile, die vor Eintritt der Abhängigkeit erworben wurden. 27 Dafür Emmerich/Habersack KonzernR10 § 5 Rdn 11; Hüffer/Koch11 Rdn 8; Kerstin Schmidt Wechselseitige Beteiligungen, 1995, S 68 ff, auch für den Fall durch geschickte Zeitplanung zulässig aufgebauter wechselseitiger Beteiligungen; – dagegen Hüffer10 Rdn 8; KK/Lutter/Drygala3 § 71d Rdn 76. 28 Boesebeck BB 1959, 15, 17; Zöllner Schranken, 1963, S 134; heute §§ 1 Abs 1, 20 Abs 1 Nr 1 UmwG. 29 So Wastl/Wagner AG 1997, 241, 246 f, allerdings von einem untechnischen Begriff der wechselseitigen Beteiligung ausgehend. 30 So insbes Geßler/Hefermehl/Bungeroth § 57 Rdn 53; Hettlage AG 1967, 249, 250; zum AktG 1937 H Winter Die wechselseitige Beteiligung von Aktiengesellschaften S 46 ff, 52 ff; s auch Rdn 2. 31 Noch weitergehend Hettlage AG 1967, 249, 250 ff. 32 HM, jeweils mit rechtspolitischer Kritik, 4. Aufl Henze § 56 Rdn 28; MünchKomm/Bayer4 § 56 Rdn 31; KK/Drygala3 § 56 Rdn 19; Schmidt/Lutter/Fleischer3 § 56 Rdn 14; – aA Hettlage AG 1967, 249, 250 ff; H Winter S 51 f (zu § 51 AktG 1937). 33 MünchKomm/Bayer4 § 57 Rdn 129; KK/Drygala3 § 57 Rdn 121 (arg § 328); Spindler/Stilz/Cahn/ v Spangenberg3 § 57 Rdn 60; – strenger 4. Aufl Henze § 57 Rdn 78. 34 Vgl Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 22.
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lungspflicht ab 3% der Stimmrechte an börsennotierten Gesellschaften besteht. Ferner sind die Pflichtangaben nach den Rechnungslegungsvorschriften zu beachten, die bereits unterhalb der 25%-Schwelle ansetzen, §§ 285 Nr 11, 314 Nr 7 HGB. II. Grundtatbestand (Abs 1) 1. Betroffene Unternehmen a) Ausgangspunkt ist das Unternehmen. Der Begriff ist zunächst derselbe wie er für 12 die §§ 15 ff entwickelt wurde (Windbichler § 15 Rdn 10 ff), er wird aber dann nach Rechtsform und Sitz eingeschränkt. Diese Abkehr von der Rechtsformneutralität der Definition der verbundenen Unternehmen wird kritisiert, da auch bei wechselseitiger Beteiligung von AGen mit Personengesellschaften und ausländischen Gesellschaften die Gefahren des Verwaltungsstimmrechts und der Kapitalverwässerung auftreten können35 (Rdn 39 f). Wie oben ausgeführt sind Kapitalgesellschaften stets Unternehmen wegen der inhärenten Risiken bei organisatorischer oder kapitalmäßiger Verflechtung (Windbichler § 15 Rdn 20), so dass sich das Problem einer Kapitalgesellschaft, deren Unternehmenseigenschaft zweifelhaft ist, nicht ergibt. b) Nach der Rechtsform sind wechselseitig beteiligte Unternehmen im technischen 13 Sinn auf Kapitalgesellschaften beschränkt. Das sind AG, KGaA, SE und GmbH. Zum Begriff der Kapitalgesellschaft wurde früher auf die Legaldefinition in § 1 UmwG aF verwiesen, was nach der Reform des Umwandlungsrechts nicht mehr möglich ist. Die Definition findet sich aber wieder in der Überschrift zum Zweiten Abschnitt des Dritten Buches des HGB. In der Sache besteht kein Anlass zu Zweifeln, zumal andere Rechtsformen als die genannten für Kapitalgesellschaften nicht ernstlich in Betracht kommen. Die SE ist als Art der Aktiengesellschaft Kapitalgesellschaft auch iSd § 19. c) Es muss sich um Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland handeln. Gemeint ist das 14 deutsche Gesellschaftsstatut.36 Eine SE muss ihren Sitz nach Satzung und Ort der Hauptverwaltung im selben Mitgliedstaat haben (Art 7 SEVO) und ist ggf inländische Kapitalgesellschaft. Für eine reine Definitionsnorm wäre diese Einschränkung nicht erforderlich (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 71). § 19 Abs 1 zielt aber bereits unmittelbar auf materiellrechtliche Regelungen, deren Erstreckung auf Gesellschaften mit fremdem Statut vermieden werden soll.37 Es gelten die allgemeinen Regeln nach jeweiligem Sachrecht; § 19 Abs 1 hat diesbezüglich keine Auswirkungen.38 Die durch wechselseitige Beteiligung bedingten Gefährdungen sind damit aber nicht bewältigt (näher unten Rdn 39 f). 2. Anteile und Anteilsberechnung a) Die wechselseitige Beteiligung bezieht sich nur auf Anteile, nicht auf Stimmrech- 15 te. Der Begriff des Anteils ist derselbe wie in § 16 (Windbichler § 16 Rdn 11), hinsichtlich
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35 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 12. 36 Das erfordert mindestens Satzungssitz, Hüffer/Koch11 Rdn 2; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 29; MünchKomm/Bayer4 Rdn 26; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 5; verfehlt sind die Erwägungen zum Verwaltungssitz bei Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 11 f, der davon ausgeht, §§ 19 und 328 enthielten eine Legitimationsfunktion. 37 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 29; Wiedemann Gesellschaftsrecht I § 14 V b. 38 MünchKomm/Bayer4 Rdn 27; Schmidt/Lutter/J Vetter3 Rdn 21.
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der Berechnung ist aber nur auf § 16 Abs 2 Satz 1 und Abs 4 verwiesen (Rdn 17 f). Auf Art und Umstände des Erwerbs kommt es nicht an, es handelt sich um die Definition eines Zustands (Rdn 8). Auch der Zweck des Erwerbs sowie die Zulässigkeit spielen keine Rolle. 16
b) Erst wenn den Unternehmen mehr als der vierte Teil der Anteile des jeweils anderen Unternehmens gehören, liegt wechselseitige Beteiligung vor. Diese Schwelle ist geprägt durch das sog Schachtelprivileg des Körperschaftsteuerrechts bis Ende 1976, das eine Beteiligung von mindestens 25% voraussetzte.39 Für die Körperschaftsteuer spielen Schachtelbeteiligungen keine Rolle mehr; § 102 BewG erforderte bis 1984 eine unmittelbare Beteiligung von 25%40 zur Vermeidung von Mehrfachbelastungen durch Entlastung der Bemessungsgrundlage. Auch in anderen Zusammenhängen wird zunehmend von niedrigeren Schwellenwerten ausgegangen (Windbichler § 15 Rdn 38). Unter dem Gesichtspunkt der Verwässerungsgefahr für das Grundkapital wurde bemängelt, dass eine (sanktionslose) gegenseitige Beteiligung von 25% einerseits und 50% andererseits wirtschaftlich zu einer Beteiligung der Gesellschaft an sich selbst von 12,5%, also mehr als in §§ 71 ff zugelassen, führe.41 Ferner tritt der Effekt der Sperrminorität, dh einer Beteiligung, mit der Beschlüsse, die der Dreiviertelmehrheit bedürfen, verhindert werden können, je nach Hauptversammlungspräsenz (vgl dazu Windbichler § 17 Rdn 24) praktisch schon bei geringeren Beteiligungen ein. Umgekehrt vermittelt die Kapitalbeteiligung nicht notwendig Stimmrechte (vgl § 139). Die niedrigeren Schwellen für Meldepflichten nach § 21 WpHG betreffen nur börsennotierte Gesellschaften und gehen vom Stimmrecht aus. Daraus mögen sich Argumente de lege ferenda für den Umgang mit wechselseitigen Beteiligungen ergeben. Für § 19 Abs 1 kann daraus aber nichts hergeleitet werden; zur Herstellung von Transparenz dient § 20 Abs 3 für Gesellschaften, die nicht iSd § 21 Abs 2 WpHG börsennotiert sind. Ferner sind nach §§ 285 Nrn 11, 11b, 289 Abs 4 Nr 3 HGB Beteiligungen anzugeben.
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c) Der Berechnung ist das Grund- bzw Stammkapital zugrunde zu legen, Abs 1 Satz 2 iVm § 16 Abs 2 Satz 1. Da auf § 16 Abs 2 Satz 2 und 3 nicht verwiesen ist, sind eigene Anteile und Anteile, die einem anderen für Rechnung des Unternehmens gehören, nicht abzusetzen.42 Das mag dem Gesetzeszweck abträglich sein. Begründet wird die Einschränkung ua mit der Rechtsunsicherheit, der die beteiligte Gesellschaft ausgesetzt würde, da dieser nicht erkennbar sei, wie viele eigene Aktien die Beteiligungsgesellschaft hält.43 Als Kompensation für solche Schwierigkeiten, auch bei komplizierten Zurechnungstatbeständen, sind Regulative bei der Auslösung von Rechtsfolgen denkbar, etwa in Form geeigneter Verschuldensmaßstäbe.44 Eine übermäßige Auffächerung der
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39 BegrRegE bei Kropff AktG S 36; Emmerich/Habersack KonzernR10 § 1 Rdn 31 ff; Geßler/Geßler Rdn 2; KK/Koppensteiner3 Rdn 16. 40 Bis 1998: mindestens 10%; dann wurde die Vorschrift wegen Wegfalls der Vermögen- und Gewerbekapitalsteuer aufgehoben. 41 Claussen AG 1991, 10, 13; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 15; MünchKomm/Bayer4 Rdn 13; vgl auch Boesebeck BB 1959, 15; zu Quantifizierungsmöglichkeiten weiter ausgreifend Klix Wechselseitige Beteiligungen, 1981, S 13 ff; Kropff DB 1959, 15, 18. – Im französischen Recht löst eine Beteiligung von mehr als 10% das Verbot der wechselseitigen Beteiligung aus, Art L 233-28 code de commerce; Le Cannu/ Dondero Droit des sociétés6 Rdn 1535. 42 AllgM, Hüffer/Koch11 Rdn 3; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 19; MünchKomm/Bayer4 Rdn 30; Schmidt/ Lutter/J Vetter3 Rdn 9. 43 Geßler/Geßler § 20 Rdn 12; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 19. 44 Vgl KK/Koppensteiner3 § 20 Rdn 51 ff; Windbichler § 20 Rdn 48 ff.
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Merkmale rechtlich relevanter Unternehmensverbindungen ohne überzeugenden Typisierungsansatz entspricht nicht ihrer Funktion (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 47, 49 f). Der klare Wortlaut des Abs 1 Satz 2 lässt keine abweichende Auffassung zu; für den fehlenden Abzug eigener Anteile spricht, dass die Beteiligungsquoten im Übrigen nicht verändert werden sollen. Mit „gehören“ ist die dingliche Rechtsstellung gemeint; ein Erwerbsrecht oder eine Erwerbspflicht genügen nicht; wenn die Anteile treuhänderisch gehalten werden, ändert das an der Inhaberstellung nichts (vgl Windbichler § 16 Rdn 21 ff, § 20 Rdn 20). d) Die Zurechnung von Anteilen, die einem anderen gehören, ist möglich und 18 führt dann zu mittelbarer wechselseitiger Beteiligung. Sie richtet sich kraft Verweisung nach § 16 Abs 4 (dazu Windbichler § 16 Rdn 25–31). Wie dort ist es für die Zurechnung nicht erforderlich, dass das Unternehmen, dem Anteilsbesitz zugerechnet wird, selbst auch Anteile hält; die Zurechnung einer Beteiligung führt nicht dazu, dass der Inhaber der Anteile nicht mehr als beteiligt gilt.45 Abs 1 unterscheidet zwar nicht wie § 17 Abs 1 ausdrücklich zwischen unmittelbarer und mittelbarer Beteiligung, ein Rückschluss daraus, es müsse eine unmittelbare Beteiligung bestehen, wird dadurch aber nicht gerechtfertigt.46 Das abhängige Unternehmen oder derjenige, der Anteile treuhänderisch hält, brauchen nicht die Rechtsform der Kapitalgesellschaft und Sitz im Inland zu haben.47 Abs 1 Satz 1 verlangt das nur vom Zurechnungsempfänger. Die Art der Unternehmensverbindung „wechselseitige Beteiligung“ muss stets für das Verhältnis eines Unternehmens zu einem anderen ermittelt werden. Gerade die Zurechnungsfälle können aber dazu führen, dass der Tatbestand der wechselseitigen Beteiligung gegenüber mehreren Unternehmen erfüllt ist (zu Ringbeteiligungen Rdn 36 ff). 3. Rechtsfolgen. § 160 Abs 1 Nr 7 verpflichtet zur Angabe von wechselseitigen Betei- 19 ligungen im Anhang; die beteiligten Unternehmen sind zu nennen, nicht aber die Beteiligungshöhe.48 Wesentliche Rechtsfolgen einer wechselseitigen Beteiligung sind die Einschränkung mitgliedschaftlicher Rechte und zusätzliche Mitteilungspflichten nach § 328.49 Diese Vorschrift setzt jedoch voraus, dass mindestens eines der beteiligten Unternehmen eine AG, SE oder KGaA ist. Für wechselseitig beteiligte GmbH gibt es keine entsprechende Regelung.50 Die Rechtsfolgen beschränken sich in diesen Fällen darauf, dass die wechselseitig beteiligten GmbH verbundene Unternehmen iSd § 15 sind. Sämtliche daran anknüpfende Vorschriften finden Anwendung (Rdn 6). Dass ein Gleichordnungskonzern gegeben ist, kann nicht aus der wechselseitigen Beteiligung allein gefolgert werden (Rdn 7).
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45 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 20. 46 AllgM, KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 20; MünchKomm/Bayer4 Rdn 31 mwN; Windbichler § 16 Rdn 28 mwN; – aA noch 3. Aufl Würdinger Anm 5 aE, 9; zum Entwurfsstadium Boesebeck BB 1959, 15, 18 f: das Gesetz erfasse sog Dreiecksverhältnisse nicht, da im Gegensatz zu §§ 16 und 17 nicht von „unmittelbarer oder mittelbarer“ wechselseitiger Beteiligung die Rede sei; die Frage sei der Rechtsprechung überlassen. 47 Geßler/Geßler Rdn 21; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 20; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 97; MünchKomm/Bayer4 Rdn 31. 48 4. Aufl Brönner § 160 Rdn 31 f; Hüffer/Koch11 § 160 Rdn 17; Spindler/Stilz/Euler/Sabel3 § 160 Rdn 31. 49 Das KonTraG 1998 hat § 328 durch Einfügung des Abs 3 verschärft, nach dem ein Unternehmen, dem die wechselseitige Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft gemäß Abs 1 bekannt ist, sein Stimmrecht zur Wahl von Mitgliedern in den Aufsichtsrat nicht ausüben darf. Dadurch soll mittelbarer Einfluss auf die Besetzung der eigenen Verwaltung vermieden werden; 4. Aufl Fleischer § 318 Rdn 22. 50 Baumbach/Hueck/Zöllner GmbHG20 § 47 Rdn 58; für Analogie zu § 328 Ulmer/Habersack/Löbbe/ Paura GmbHG2 § 33 Rdn 110 ff; Kerstin Schmidt Wechselseitige Beteiligungen, 1995, S 88.
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Wegen der wechselseitigen Doppelbelegung des Grund- bzw Stammkapitals ist eine Rücklage in der Bilanz entsprechend § 272 Abs 4 HGB zu erwägen. Die Vorschrift verlangt das allerdings nur für Anteile eines herrschenden oder eines mit Mehrheit beteiligten Unternehmens. Die einfache wechselseitige Beteiligung genügt dafür nicht. Nach § 266 Abs 2 A. III. 1. HGB sind Anteile an „verbundenen Unternehmen“ gesondert auszuweisen. Die dafür maßgebliche Definition ist die des § 271 Abs 2 HGB, nicht § 15.51 Da die einfache wechselseitige Beteiligung aber das Kriterium dieser Vorschrift, die Konsolidierungspflicht nach § 290 HGB auszulösen, nicht erfüllt, werden wechselseitige Beteiligungen iSd § 19 Abs 1 nicht erfasst. Für die Rechtslage vor dem BiRiLiG und de lege ferenda wurden verschiedene Vorschläge zur Bilanzierung wechselseitiger Beteiligungen mit Abschlägen von den Anschaffungskosten diskutiert.52 Die Tendenz zur stärker informations- als kapitalerhaltungsorientierten Rechnungslegung 53 macht solche Ansätze aber unwahrscheinlich. Da die Voraussetzungen des § 271 Abs 1 HGB regelmäßig erfüllt sein werden, kommt der Ausweis als Beteiligung an einem assoziierten Unternehmen nach § 311 HGB im Konzernabschluss in Betracht. III. Einseitig qualifizierte wechselseitige Beteiligung (Abs 2) 1. Tatbestand
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a) Grundvoraussetzung ist zunächst eine einfache wechselseitige Beteiligung iSd Abs 1, dh die Rechtsform der Kapitalgesellschaft (Rdn 13) und Sitz im Inland (Rdn 14) müssen gegeben sein. Für die Feststellung der wechselseitigen Beteiligung gilt die eingeschränkte Verweisung auf § 16 (Rdn 17 f).
b) Darüber hinaus wird eine Qualifizierung in der Form verlangt, dass einem Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung an dem anderen gehört oder die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses besteht. Die Feststellung der Mehrheitsbeteiligung richtet sich nach § 16 insgesamt.54 Bei der Berechnung der Anteilsmehrheit sind dementsprechend eigene und diesen gleichgestellte Anteile abzusetzen (§ 16 Abs 2 Satz 2 und 3). Zurechnungen sind uneingeschränkt nach § 16 Abs 4 vorzunehmen (Rdn 18). Dass das Unternehmen, dem Anteile zugerechnet werden, selbst unmittelbar beteiligt sein muss, ist auch hier nicht erforderlich.55 Anders als bei Abs 1 kommt es auch auf die Stimmrechte an (dazu Windbichler § 16 Rdn 34 ff). Dass im Einzelfall die die Zurechnung begründenden Verhältnisse schwer feststellbar sind, ist ein allgemeines Problem und als Auslegungskriterium untauglich.56 Die Aufdeckung von Beteiligungsverhältnissen und Zurechnungstatbeständen ist vielmehr geregelt durch Mitteilungspflichten (§§ 20 ff) und mittelbar durch die drohenden Sanktionen. Die zweite Form der einseitigen Qualifizierung liegt vor, wenn eines der wechselsei23 tig beteiligten Unternehmen auf das andere einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Damit ist § 17 Abs 1 in Bezug genommen; Abs 2 spielt keine Rolle, da die Mehrheitsbeteiligung ihrerseits schon zur Qualifizierung führt. Bedeutsam sind daher die 22
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51 MünchKomm-HGB/Reiner/Haußer3 § 266 Rdn 39; Windbichler § 15 Rdn 6. 52 Klix Wechselseitige Beteiligungen, 1981, S 18 ff mwN; vgl auch Burgard AG 2006, 527, 535 ff mit weitreichenden Vorschlägen der analogen Anwendung von § 272 Abs 4 HGB. 53 Nettoausweis nach § 272 Abs 1 HGB; MünchKomm-HGB/Reiner3 § 272 Rdn 9 f. 54 AllgM, Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 13; Geßler/Geßler Anm 28 f; Hüffer/Koch11 Rdn 4; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 24; MünchKomm/Bayer4 Rdn 34. 55 Rdn 18; aA 3. Aufl Würdinger Anm 9. 56 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 24 aE.
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Beherrschungsmöglichkeiten, die auf einer durch zusätzliche Merkmale verstärkten Minderheitsbeteiligung beruhen, also zB Hauptversammlungsmehrheit, Stimmbindungsvertrag oder besondere Satzungsgestaltung vor allem bei GmbH (Windbichler § 17 Rdn 23 f, 33 f, 53). Mittelbare Beherrschung (Windbichler § 17 Rdn 57 f) genügt, so dass gegebenenfalls auch Ringbeteiligungen erfasst werden (Rdn 37). Eine Beteiligungsgrundlage von mehr als 25% der Anteile muss in jedem Falle gegeben sein, das erfordert schon die begriffliche Voraussetzung der wechselseitigen Beteiligung nach Abs 1. Mit Rücksicht auf die Rechtsfolgen ist zu klären, ob und gegebenenfalls wie die Tatsache der wechselseitigen Beteiligung bei der Feststellung der Abhängigkeit einzubringen ist. Im Ergebnis kann die Gegenbeteiligung nicht als Argument für die „Neutralisierung“ des sonst bestehenden Einflusses herangezogen werden (Rdn 26). c) Die Zulässigkeit einseitig qualifizierter wechselseitiger Beteiligungen richtet sich 24 nicht nach § 19 (Rdn 8). Beim Erwerb sind Verstöße gegen §§ 57, 71, 71d möglich, auch gegen §§ 30, 33 GmbHG,57 die die jeweils einschlägigen Rechtsfolgen nach sich ziehen. 2. Rechtsfolgen a) Abs 2 begründet eine unwiderlegliche Abhängigkeitsvermutung für das in 25 Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen, geht damit über § 17 Abs 2 hinaus.58 Alle Vorschriften, die Abhängigkeit voraussetzen (Windbichler § 17 Rdn 4 ff), finden Anwendung. Rechtspolitisch stößt das auf Kritik, da auf diese Weise Fälle erfasst werden können, in denen tatsächlich keine Beherrschungsmöglichkeit besteht; für die Anwendung zB der §§ 311 ff bestehe kein Anlass.59 Ziel der Regelung war jedenfalls, die im AktG 1965 intensivierten Regelungen für Abhängigkeitsverhältnisse (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 3 f, 9) zur Geltung zu bringen.60 Die Inanspruchnahme der Definition „Abhängigkeit“ hat die Funktion einer Rechtsfolgenanordnung (Rdn 6). Vor Einführung der §§ 71b, 71d bewirkte § 19 Abs 2 iVm § 136 Abs 2 aF, dass auch in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen, denen die Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung sonst gelingen würde, von der Ausübung des Stimmrechts aus Aktien der mit Mehrheit beteiligten Gesellschaft ausgeschlossen wurden.61 Da die heutige Gesetzeslage das Stimmrecht ohnehin schon bei Mehrheitsbeteiligung (und daneben bei Abhängigkeit) entfallen lässt, ist insoweit eine Rechtsfolge des Abs 2 in der allgemeinen Regel aufgegangen. Die widerlegliche Konzernvermutung des § 18 Abs 1 Satz 3 (Windbichler § 18 Rdn 36 ff) greift ein.62 Ferner dürfte die zwingend angenommene Abhängigkeit zumeist zu einer Reihe von weiteren mittelbaren Abhängigkeitsverhältnissen führen, nämlich wenn das in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen selbst Tochter- und Enkelgesellschaften hat (Windbichler § 17 Rdn 57). Damit wird
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57 Einzelheiten sind str, insbes im GmbH-Recht, vgl Baumbach/Hueck/Fastrich GmbHG20 § 33 Rdn 21; Emmerich NZG 1998, 622, 625; MünchKomm-GmbHG/Löwisch2 § 33 Rdn 84; Roth/Altmeppen GmbHG8 § 33 Rdn 43; Ulmer/Habersack/Löbbe/Paura GmbHG2 § 33 Rdn 114 ff; Kerstin Schmidt Wechselseitige Beteiligungen, 1995, S 85 f; Scholz/HP Westermann GmbHG11 § 33 Rdn 13, 21. 58 AllgM, Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 15; Geßler/Geßler Rdn 27; Hüffer/Koch11 Rdn 4; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 25; MünchKomm/Bayer4 Rdn 46. 59 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 25, ohne beherrschenden Einfluss bedürfe es keiner Privilegierung nach § 311; für die Anwendung der §§ 311 ff als Schutzvorschriften Emmerich/Habersack KonzernR10 § 5 Rdn 10 aE; MünchKomm/Bayer4 Rdn 48. 60 BegrRegE bei Kropff AktG S 36. 61 Dazu Kayser-Eichberg Die wechselseitige Beteiligung nach deutschem Aktienrecht als Leitlinie einer europäischen Harmonisierung, 1969, S 82 f; Klix Wechselseitige Beteiligungen, 1981, S 35. 62 Geßler/Geßler Rdn 38 f; Hüffer/Koch11 Rdn 10; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 7; MünchKomm/Bayer4 Rdn 48.
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ua der Einzugsbereich für Zurechnungen nach § 16 Abs 4 vergrößert. Die nach § 272 Abs 4 HGB erforderliche Rücklage63 wirkt sich auf die Berechnung freier Mittel iSd § 71 Abs 2 Satz 2 aus.64 Problematisch erscheint die Norm in den Fällen, in denen die Qualifizierung nicht 26 durch Mehrheitsbeteiligung, sondern durch nach § 17 Abs 1 festgestellte Abhängigkeit begründet wird. Die Rechtsfolgenanordnung hätte dann keine eigenständige Bedeutung, da Abhängigkeit und Beherrschungsmöglichkeit bereits als Voraussetzung festgestellt wurden. Daher wird erwogen, die Norm so zu lesen, dass die „Gegenbeteiligung“ für die Feststellung der Abhängigkeit zunächst außer Betracht zu bleiben habe, was aber zu erheblicher Rechtsunsicherheit führe.65 Im Hinblick auf Abs 3 und den Iduna-Fall (Rdn 1, 3) als prägende Vorgeschichte ist es in der Tat am plausibelsten, die „unwiderlegliche“ Abhängigkeitsfeststellung als Verbot des Rekurses auf die Gegenbeteiligung als Argument gegen die Abhängigkeit zu deuten. Damit bekommt die Norm auch einen Regelungsgehalt und ist nicht bloße Wiederholung des § 17 Abs 1. Bereits in der Begründung zum Regierungsentwurf werden als Problemfälle diejenigen umschrieben, in denen „jede Beteiligung für sich betrachtet beherrschenden Einfluss vermittelt“.66 Praktische Bedeutung dürfte dem aber kaum zukommen. 27
b) Die Anwendung des § 328, der eine Beschränkung der Rechte und besondere Mitteilungspflichten bei (einfacher) wechselseitiger Beteiligung einer Aktiengesellschaft oder KGaA anordnet, ist nach Abs 4 ausdrücklich ausgeschlossen. Stimmrechtsausschlüsse und Mitteilungspflichten richten sich daher nach den allgemeinen Regeln, die teilweise weiter gehen (Rdn 16). § 328 könnte sonst dafür herangezogen werden, dass entgegen § 71b Stimmrechte partiell ausgeübt werden könnten.
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c) Welche allgemeinen Regeln zur Anwendung kommen, hängt auch von der Rechtsform der beteiligten Unternehmen ab. Es gilt das Zeichnungsverbot für Aktien der herrschenden Gesellschaft durch das abhängige Unternehmen nach § 56 Abs 2. Verstöße dagegen und gegen das Erwerbsverbot nach §§ 71 ff machen Vorstandsmitglieder nach § 93 Abs 3 Nr 3 ersatzpflichtig. Das abhängige Unternehmen darf keine Rechte aus seiner Beteiligung an einer herrschenden AG oder KGaA, insbesondere kein Stimmrecht ausüben, §§ 71d Satz 4, 71b. Der Vorstand der herrschenden Gesellschaft hat deren Hauptversammlung zu unterrichten (§§ 71d Satz 4, 71 Abs 3). Es gilt auch das Gebot des Abbaus der Beteiligung auf höchstens 10% nach §§ 71d Satz 4–6, 71b,67 bußgeldbewehrt nach § 405 Abs 1 Nr 4. Die erweiterte Zulassung des Erwerbs eigener Aktien durch das KonTraG (§ 71 Abs 1 Nr 8) hat an diesem Umfang des insgesamt höchsten zulässigen Bestandes an eigenen Aktien nichts geändert, § 71 Abs 2. Ist das herrschende Unternehmen eine GmbH,68 kommt es darauf an, in welchem Umfang Analogien zu §§ 71 ff zur Anwendung kommen (Rdn 24 mwN). Geschäftsführer haften gegebenenfalls gemäß § 43 Abs 3
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63 Hierfür gelten die aktienrechtlichen Begriffe der §§ 16 und 17, MünchKomm-HGB/Reiner3 § 272 Rdn 119; Windbichler § 16 Rdn 10, § 17 Rdn 7. 64 Burgard AG 2006, 527, 535. 65 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 27. 66 BegrRegE bei Kropff AktG S 34 (Hervorhebung vom Verf). 67 AllgM; Hüffer/Koch11 Rdn 6, § 71d Rdn 7; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 6, 10; KK/Lutter/Drygala3 § 71d Rdn 63 f; MünchKomm/Bayer4 Rdn 50; Kerstin Schmidt Wechselseitige Beteiligungen, 1995, S 68 ff, auch für den Fall durch geschickte Zeitplanung zulässig aufgebauter wechselseitiger Beteiligungen; – vgl schon Rdn 8: wechselseitige Beteiligung als vorübergehender Zustand. 68 Zur wechselseitigen Beteiligung unter Einbeziehung von GmbH Burgard AG 2006, 527, 534 f; Frank Wechselseitige Beteiligungen im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht, 1990, S 117 ff.
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GmbHG. Ferner gehört zu den Rechtsfolgen die Konzernvermutung nach § 18 Abs 1 Satz 3, die aber widerleglich bleibt (Rdn 25 aE). Im Konzernabschluss sind Anteile am Mutterunternehmen, die einem in den Abschluss einbezogenen Tochterunternehmen gehören, als eigene Anteile des Mutterunternehmens mit ihrem Nennwert oder rechnerischen Wert vom Posten „Gezeichnetes Kapital“ in der Vorspalte abzusetzen, dh nicht in die Kapitalkonsolidierung einzubeziehen (§ 301 Abs 4 HGB).69 IV. Beiderseits qualifizierte wechselseitige Beteiligung (Abs 3) 1. Tatbestand. Die beiderseits qualifizierte wechselseitige Beteiligung dürfte sehr 29 selten sein, insbesondere unter AGen nach den Änderungen der §§ 71 ff.70 Die praktische Bedeutung des Abs 3 ist daher sicher gering. Das Gesetz nennt mit der jeweiligen Mehrheitsbeteiligung und Abhängigkeit zwei Varianten, was zumindest theoretisch eine Kombination von Mehrheitsbeteiligung und anderweitiger Abhängigkeit nicht ausschließt (Rdn 23). Abs 3 betrifft zunächst die beiderseitige Mehrheitsbeteiligung. Durch diese Be- 30 zeichnung ist auf § 16 insgesamt verwiesen, die dortigen Berechnungsmodalitäten und Zurechnungen sind anzuwenden (Rdn 22). Die danach genannte Möglichkeit jedes der Unternehmen, auf das andere einen beherrschenden Einfluss auszuüben, also beiderseitige Abhängigkeit iSd § 17 Abs 1 (Rdn 23) ist wiederum im Lichte der Vorgeschichte, insbesondere des Iduna-Falles (Rdn 1, 3) zu sehen. Die Berufung auf die gegenseitige Neutralisierung des Einflusses zur Widerlegung der Abhängigkeit, wie sie das RG obiter erwogen hatte, sollte abgeschnitten werden.71 Dementsprechend ist die Frage, ob Abhängigkeit gegeben ist, ohne Berücksichtigung der Gegenbeteiligung zu prüfen. Zu diesem Zweck sind – hypothetisch – Stimmrechtsausschlüsse nach §§ 71d Satz 4, 71b, gegebenenfalls in Analogie bei Beteiligung von GmbH, außer Acht zu lassen, so dass beispielsweise eine Minderheitsbeteiligung in Zusammenhang mit anderen Umständen zur Abhängigkeit führen kann (Windbichler § 17 Rdn 23 ff). Obwohl der Gesetzeswortlaut das nicht anspricht, ist auch die Kombination von Mehrheitsbeteiligung einerseits und Abhängigkeit andererseits als beiderseits qualifizierte wechselseitige Beteiligung iSd Abs 3 anzusehen. 2. Rechtsfolgen a) Die Unternehmen unterliegen allen Folgen der unwiderleglichen Abhängigkeit 31 und der Beherrschung, die das Gesetz an diese Tatbestandsmerkmale knüpft (Windbichler § 17 Rdn 4 ff). Damit verhindert zB § 100 Abs 2 Nr 2 die personelle Überkreuzverflechtung von Vorstand und Aufsichtsrat. Weitere, von einem der wechselseitig beteiligten Unternehmen abhängige, Unternehmen sind mittelbar auch von dem anderen wechselseitig beteiligten Unternehmen abhängig (Windbichler § 17 Rdn 57). Die sich daraus ergebende mehrfache Abhängigkeit ist eine Rechtsfolge; weitere Voraussetzungen, zB Koordination des Einflusses, brauchen daher nicht geprüft zu werden.72 Einschneidend ist der, für die Feststellung der Abhängigkeit zunächst außer Acht gelassene (Rdn 26), Ausschluss von der Ausübung von Mitgliedschaftsrechten (§§ 71d Satz 4, 71b) bzw den
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69 MünchKomm-HGB/Busse v Colbe3 § 301 Rdn 159. 70 Rdn 8; nach Frank Wechselseitige Beteiligungen im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht, 1990, S 8 existieren solche wechselseitige Beteiligungen unter Aktiengesellschaften nicht mehr. 71 RGZ 149, 305, 308; BegrRegE bei Kropff AktG S 36. 72 Vgl auch Geßler/Geßler Rdn 32 zu Abs 2.
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entsprechenden Analogien im GmbH-Recht (vgl Rdn 28). Nach Abs 4 ist die Anwendung des § 328 ausdrücklich ausgeschlossen (Rdn 27). 32
b) Fraglich ist, ob die beiderseits qualifiziert wechselseitig beteiligten Unternehmen einen Konzern bilden. Aus der Abhängigkeit folgt nach § 18 Abs 1 Satz 3 die widerlegliche Vermutung eines Unterordnungskonzerns (vgl Rdn 25). Das im Fall der beiderseits qualifizierten wechselseitigen Beteiligung entstehende Bild entspricht aber kaum dem gesetzlichen Muster des Unterordnungskonzerns. Die Vermutung der Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung beruht auf der Annahme, dass der Inhaber einer Mehrheitsbeteiligung einen beherrschenden Einfluss hat und diesen entsprechend nutzt (vgl Windbichler § 17 Rdn 3). Ist die Abhängigkeit jedoch nur eine rechtstechnische Folgenanordnung, könnte die Rechtfertigung der Vermutung in Zweifel gezogen werden. Da es aber gerade nicht der Sinn des Abs 3 ist, die Unternehmen aus Verpflichtungen zu entlassen, entspricht es dem Normzweck besser, § 18 Abs 1 Satz 3 als weitere Rechtsfolge der unwiderleglich angenommenen Abhängigkeit anzusehen.73 Da die Konzernvermutung widerleglich bleibt (Rdn 25, 28), besteht ein ausreichendes Korrekturpotential; die Tatsache der wechselseitigen Beteiligung als solche kommt dafür aber nicht in Betracht. Wie bei mehrfacher Abhängigkeitsvermutung vor dem Hintergrund der möglichen Abhängigkeit von mehreren Unternehmen ist im Einzelfall die Führungsrolle eines Unternehmens konkretisierbar (Windbichler § 17 Rdn 59 f, 74 f). Die auch bei beiderseitig qualifizierter wechselseitiger Beteiligung mögliche Asymmetrie des Einflusses muss im Einzelfall untersucht werden. Dabei spielen, anders als für die Feststellung der qualifizierten wechselseitigen Beteiligung, der Ausschluss von der Ausübung von Mitgliedschaftsrechten (Rdn 25, 31), aber auch die Entstehungsgeschichte und die inhärente Instabilität des ohnehin singulären Gebildes (Rdn 8) eine Rolle. Die Widerlegung der Vermutung muss sich auf die Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung beziehen; ob diese eine Folge von Abhängigkeit ist (Windbichler § 18 Rdn 36), ist hingegen wegen des Rechtsfolgenverweises nicht relevant.74 Wird auf diese Weise die Dominanz eines Unternehmens und damit seine Eigen33 schaft als Spitze eines Unterordnungskonzerns festgestellt, kommen die darauf aufbauenden Rechtsfolgen (Windbichler § 18 Rdn 11 ff) zum Zuge. Diese verdrängen aber nicht die zwingend anwendbaren Folgen von gleichzeitiger Abhängigkeit und Beherrschung (Rdn 31). Weitere, von den wechselseitig beteiligten Unternehmen abhängige Unternehmen (Rdn 25 aE, 31), gehören nach Maßgabe des § 18 Abs 1 zum Konzernverbund; sie sind dann auch untereinander verbundene Unternehmen iSd § 15 (Rdn 4). Ist keine Vorrangposition eines der beiden Unternehmen feststellbar, wohl aber Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung, ist eine Gleichordnungssituation gegeben. Ein Gleichordnungskonzern iSd § 18 Abs 2 kommt dennoch nicht in Betracht, da dort begrifflich vorausgesetzt ist, dass zwischen den gleichgeordneten Unternehmen kein Abhängigkeitsverhältnis besteht.75 Letzteres wird durch Abs 3 aber gerade zwingend angeordnet. Die Frage, ob beiderseits qualifiziert wechselseitig beteiligte Unternehmen einen 34 Konzern bilden, wurde vor allem im Hinblick auf die Verpflichtung zur Erstellung eines Konzernabschlusses nach § 329 Abs 1 aF diskutiert. § 290 HGB stellt auf den Konzern-
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73 Geßler/Geßler Rdn 38; Hüffer/Koch11 Rdn 10; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 11. 74 IE ebenso KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 7. 75 Für die Möglichkeit eines Gleichordnungskonzerns aber noch 3. Aufl Würdinger Anm 7; Emmerich FS H Westermann, 1974, S 55, 64; Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 14; wie hier Geßler/Geßler Rdn 40 f: Gleichordnungskonzern (nur) bei einfacher wechselseitiger Beteiligung.
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tatbestand nicht mehr ab. Der beherrschende Einfluss ist nach den HGB-Kriterien festzustellen, die ggf fiktiven Folgen des § 19 Abs 2 und 3 spielen dafür keine Rolle; auf Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung kommt es nicht an.76 Eine andere Frage ist, ob die Ausübungsverbote für Stimmrechte (Rdn 28) einem beherrschenden Einfluss iSd § 290 Abs 2 Nr 1 HGB entgegenstehen. c) Auch im Fall der beiderseits qualifizierten wechselseitigen Beteiligung besteht die 35 Pflicht zum Abbau der Beteiligungen nach § 71c.77 Die Gegenansicht78 hielt die Verpflichtung, die beide qualifiziert wechselseitig beteiligten Aktiengesellschaften treffen müsste, für perplex, da die Erfüllung der Pflicht der einen Gesellschaft die Verpflichtung der anderen beseitige und das Gesetz keinen Hinweis darauf gebe, welche Gesellschaft ihre Beteiligung abzubauen habe. Somit bleibe es beim Verlust der mitgliedschaftlichen Rechte nach § 71b. Gegen diese Lösung spricht, dass gerade in den seltenen, dann aber vom Gesetz eindeutig unerwünschten Fällen der beiderseits qualifizierten wechselseitigen Beteiligung die Rechtspflicht zur Beseitigung dieses Zustands entfiele. Ferner kann der Erwerbsvorgang, der kaum einheitlich, sondern gestuft und vermittelt sein dürfte, zu unterschiedlichen Veräußerungsfristen und gegebenenfalls Bereicherungsgläubigern führen. Dies sowie die bereits erwähnten Asymmetrien (Rdn 32) sprechen gegen eine genau gleichmäßige Verpflichtung und setzen Schwerpunkte. Der Einwand träfe also nur den Fall der wechselseitigen qualifizierten Kapitalbeteiligung von AGen. Die beiderseitige Verpflichtung dürfte ferner zu einer Verhandlungssituation führen, wie der gesetzlich missbilligte Verbund zu beenden ist. V. Ringbeteiligungen Die Beteiligung von Kapitalgesellschaften aneinander erfolgt nicht nur unmittel- 36 bar, rechtstatsächlich dürften mittelbare und sog Dreiecks- und Ringbeteiligungen im Minderheitsbereich sogar häufiger sein. Ebenso spricht nichts gegen die Zwischenschaltung von Personengesellschaften, da damit Publizitätsanforderungen reduziert werden. Die wirtschaftliche Bedeutung solcher Verflechtungen wird unterschiedlich eingeschätzt, wobei bereits die Ermittlung der jeweiligen Beteiligungen schwierig ist (Rdn 5). Ferner werden ein Funktionsverlust der Hauptversammlung durch undurchsichtige Vernetzung und weitere nachteilige Einflüsse befürchtet. 79 Die vielfältigen Fallgestaltungen fallen nur zu einem kleinen Teil unter § 19 (Rdn 18). Da der Regelungsgehalt der Vorschrift beschränkt ist und die aufgeworfen Probleme auch nur teilweise löst (Rdn 1, 16), sind die Reichweite der allgemeinen Regeln und die Entwicklung des Rechnungslegungs- und Kapitalmarktrechts von größerem Interesse als Analogiemöglichkeiten. Ein Teil der Fälle wird von den Vorschriften über die wechselseitige Beteiligung er- 37 fasst, wenn die 25%-Schwelle direkt oder durch Zurechnung überschritten wird. Eine
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76 So aber noch KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 11 aE. 77 Bürgers/Körber/Fett3 Rdn 9; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 19; Frank Wechselseitige Beteiligungen im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht, 1990, S 106 ff; Grigoleit Rdn 9; Hüffer/Koch11 Rdn 8; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 11; MünchKomm/Bayer4 Rdn 51. 78 Bürgers/Körber/Fett3 § 71d Rdn 5; Hüffer10 Rdn 8, § 71 d Rdn 7; KK/Lutter/Drygala3 § 71d Rdn 76 f; MünchKomm/Oechsler4 § 71d Rdn 33; weitergehend gegen die Anwendbarkeit der §§ 71 ff Cahn/Farrenkopf AG 1984, 178 ff. 79 Adams AG 1994, 148, 151; Baums ZBB 1994, 86, 99 f; 61. DJT, Beschluss der Abt Wirtschaftsrecht II 7a, NJW 1996, 2994, 2998: Behinderung des Marktes für Unternehmenskontrolle; Wastl/Wagner AG 1997, 241, 243 f; – weniger skeptisch KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 22.
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Qualifizierung iSd Abs 2 betrifft nur das Verhältnis der wechselseitig beteiligten Unternehmen untereinander.80 Abs 1 unterscheidet zwar nicht zwischen unmittelbarer und mittelbarer wechselseitiger Beteiligung, doch werden durch Zurechnung begründete Beteiligungen nach ganz hM nicht nur ergänzend einbezogen (Rdn 18). Für Restriktionen der Zurechnung, wie sie gelegentlich vertreten wurden,81 besteht kein Anlass. Zurechnungsgründe sind, der Verweisung auf § 16 Abs 4 folgend, Abhängigkeit oder Anteilsbesitz für Rechnung des Zurechnungsempfängers. Diese Zurechnungsschwellen sind relativ hoch, stehen aber im Einklang mit der Folge, dass stets der Anteilsbesitz insgesamt zugerechnet wird und eine abstufende Gewichtung oder quotale Berechnung nicht möglich ist (Windbichler § 16 Rdn 31). Damit bleiben vor allem solche Verflechtungen, die nur Minderheitsbeteiligungen einsetzen, ohne dass im Einzelfall Abhängigkeit nach § 17 Abs 1 festgestellt werden könnte, außerhalb der technischen Definition von wechselseitig beteiligten und damit verbundenen Unternehmen.82 Entsprechendes gilt für gegenseitige Beteiligungen mit Personengesellschaften, selbst wenn diese quantitativ deutlich über der Schwelle des Abs 1 liegen.83 38 Besteht keine wechselseitige Beteiligung im technischen Sinn des Abs 1, bleibt es bei der Anwendung der allgemeinen Regeln des AktG, gegebenenfalls des GmbHG oder des WpHG (vgl Rdn 28). Das betrifft die Fälle, in denen die Schwellen des Abs 1 oder diejenigen für Zurechnungen nicht erreicht werden, Unternehmen anderer Rechtsform als der Kapitalgesellschaft unmittelbar oder als Zurechnungsempfänger beteiligt sind, ferner Fälle mit Auslandsbeteiligungen. Es ist im Einzelnen zu prüfen, ob der Erwerbstatbestand gegen §§ 57, 71 ff oder §§ 30, 33 GmbHG verstößt. Rechtspolitisch erscheint eine Ausweitung der §§ 19, 328 nicht als Gewinn (vgl Rdn 36). Für kapitalmarktorientierte Unternehmen sorgen die niedrigeren Schwellen für Mitteilungspflichten in § 21 WpHG im Vergleich zu § 20 für größere Transparenz von Beteiligungsverhältnissen. Ferner genießen branchenspezifische Regelungsanliegen in den jeweiligen Spezialgesetzen, vor allem die Regulierung von Finanzdienstleistern, Vorrang. VI. Andere Rechtsformen 39
§ 19 erfasst nur wechselseitige Beteiligungen von Kapitalgesellschaften, §§ 71 ff und 328 greifen nur, wenn eine AG, KGaA oder SE beteiligt ist. Für GmbH untereinander gelten die allgemeinen Regeln des GmbH-Rechts, Analogien zum AktG nur, soweit die andersartige Kapitalbindung und Charakteristik der Gesellschaft das zulässt.84 Verflechtungen mit Unternehmen in anderer Rechtsform bleiben insoweit ungeregelt, obwohl auch hier Risiken hinsichtlich Kapitalerhaltung, Verwaltungsstimmrechte und allgemein Intransparenz bestehen.85 Daher werden auch für diese Fälle restriktive Regelungen befürwortet.86 Eine
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80 Vgl die Beispiele bei KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 22 f, 26. 81 Kayser-Eichberg Die wechselseitige Beteiligung nach deutschem Aktienrecht als Leitlinie einer europäischen Harmonisierung, 1969, S 103 unter Berufung auf 3. Aufl Würdinger Anm 9; – wie hier KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 24. 82 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 22; MünchKomm/Bayer4 Rdn 36 ff. 83 Kritisch dazu KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 33: Vorstellungsschwäche der Gesetzesverfasser. 84 Näher zur GmbH Baumbach/Hueck/Fastrich GmbHG20 § 33 Rdn 21; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 20 ff; MünchKomm-GmbHG/Löwisch2 § 33 Rdn 81 ff; sehr weit gehend Burgard AG 2006, 527, 534 f; auch bereits Emmerich NZG 1998, 622, 624 ff. 85 Flume Grundfragen der Aktienrechtsreform, 1960, S 39 f bezeichnete die Beschränkung der Mitteilungspflichten im Hinblick auf die wechselseitige Beteiligung als Diskriminierung der Aktiengesellschaften. 86 Für Personengesellschaften Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 25.
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dogmatisch tragfähige Konstruktion – mit Ausnahme strikter, gegebenenfalls extensiver oder analoger Anwendung allgemeiner Vorschriften87 – wurde aber bisher dafür nicht entwickelt. Für Kapitalgesellschaften & Co. KG kann nur begrenzt auf Analogien zum GmbH-Recht zurückgegriffen werden, da der Komplementär nicht GmbH und der Kommanditist nicht Gesellschafter des Komplementärs zu sein braucht.88 VII. Auslandsbezug Nach seinem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut erfasst § 19 wechselseitige Beteili- 40 gungen mit einem ausländischen Unternehmen nicht (Rdn 14). Die grundsätzlichen Bedenken gegen wechselseitige Beteiligungen (Rdn 2) sind aber nicht vom Sitz des Unternehmens abhängig. Eine Regelung würde jedoch vielfältige kollisionsrechtliche Probleme aufworfen (Rdn 14).89 Verschiedene Versuche, diese bewusste Gesetzeslücke zu füllen,90 überzeugen jedoch nicht. Dagegen spricht die klare, aber auch begrenzte und nicht sehr gelungene Regelung des § 19, deren Gehalt sich zudem durch nachfolgende Änderung anderer Vorschriften (Rdn 1 aE, 25, 34) verringert hat. Die im deutschen Recht zum Ausdruck gekommene Missbilligung wechselseitiger Beteiligungen lässt sich im Rahmen der allgemeinen Vorschriften jedenfalls teilweise umsetzen (Rdn 38).91 § 20 Mitteilungspflichten Windbichler
§ 20 Mitteilungspflichten (1) Sobald einem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Aktien einer Aktiengesellschaft mit Sitz im Inland gehört, hat es dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen. Für die Feststellung, ob dem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Aktien gehört, gilt § 16 Abs 2 Satz 1, Abs 4. (2) Für die Mitteilungspflicht nach Absatz 1 rechnen zu den Aktien, die dem Unternehmen gehören, auch Aktien, 1. deren Übereignung das Unternehmen, ein von ihm abhängiges Unternehmen oder ein anderer für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens verlangen kann; 2. zu deren Abnahme das Unternehmen, ein von ihm abhängiges Unternehmen oder ein anderer für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens verpflichtet ist. (3) Ist das Unternehmen eine Kapitalgesellschaft, so hat es, sobald ihm ohne Hinzurechnung der Aktien nach Absatz 2 mehr als der vierte Teil der Aktien gehört, auch dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen.
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87 ZB LG Berlin ZIP 1986, 1564: Übernahme neuer Stammeinlage durch KG, die einzige Gesellschafterin der GmbH ist, die ihrerseits einzige Komplementärin der KG ist (sog Einheitsgesellschaft), ist unzulässige Selbstzeichnung; anders dagegen BGHZ 119, 346 (Pinneberger Tageblatt) betr Stimmrechtsausschluss für Anteile an einer Personengesellschaft, die von einem von dieser abhängigen Unternehmen gehalten werden; für die Anwendung des § 57 MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 109. 88 Vgl dazu näher Schläfke Vermögensbindung in der Kapitalgesellschaft & Co. KG als haftungsbeschränkter Personengesellschaft, 2013, passim. 89 Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 70 ff; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 29. 90 Spindler/Stilz/Schall3 Rdn 11 f, davon ausgehend, §§ 19, 328 enthielten eine Legitimationsfunktion, und unter Verkennung des IPR. 91 Gegen erweiterte Auslegung bzw Analogie Hüffer/Koch11 Rdn 2; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 30 f, Ausnahme qualifizierte wechselseitige Beteiligung mit einer Personengesellschaft, Rdn 34.
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§ 20 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
(4) Sobald dem Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung (§ 16 Abs 1) gehört, hat es auch dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (5) Besteht die Beteiligung in der nach Absatz 1, 3 oder 4 mitteilungspflichtigen Höhe nicht mehr, so ist dies der Gesellschaft unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (6) Die Gesellschaft hat das Bestehen einer Beteiligung, die ihr nach Absatz 1 oder 4 mitgeteilt worden ist, unverzüglich in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen; dabei ist das Unternehmen anzugeben, dem die Beteiligung gehört. Wird der Gesellschaft mitgeteilt, daß die Beteiligung in der nach Absatz 1 oder 4 mitteilungspflichten Höhe nicht mehr besteht, so ist auch dies unverzüglich in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. (7) Rechte aus Aktien, die einem nach Absatz 1 oder 4 mitteilungspflichtigen Unternehmen gehören, bestehen für die Zeit, für die das Unternehmen die Mitteilungspflicht nicht erfüllt, weder für das Unternehmen noch für ein von ihm abhängiges Unternehmen oder für einen anderen, der für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens handelt. Dies gilt nicht für Ansprüche nach § 58 Abs 4 und § 271, wenn die Mitteilung nicht vorsätzlich unterlassen wurde und nachgeholt worden ist. (8) Die Absätze 1 bis 7 gelten nicht für Aktien eines Emittenten im Sinne des § 21 Abs 2 des Wertpapierhandelsgesetzes.
I.
II.
III.
IV.
V.
Systematische Übersicht Allgemeines | 1 1. Mitteilungspflichten, Publizität und Sanktionen allgemein | 1 2. Entwicklung und systematische Stellung der Norm | 4 a) Normzweck | 4 b) Systematische Stellung | 6 c) Rechtsnatur | 8 3. Mitteilungspflichten außerhalb des AktG | 10 Grundtatbestand der Mitteilungspflicht (Abs 1) | 16 1. Unternehmen als Verpflichtete | 16 2. Beteiligung | 18 a) Beteiligungsgesellschaft | 18 b) Merkmal „gehören“ | 20 c) Beteiligungsumfang | 23 Zurechnung von Aktien nach Abs 1 Satz 2, Abs 2 | 26 1. Verweisung auf § 16 Abs 4 | 27 2. Erweiterte Zurechnung nach Abs 2 | 28 a) Aktien, deren Übereignung das Unternehmen verlangen kann (Abs 2 Nr 1) | 30 b) Abnahmeverpflichtung (Abs 2 Nr 2) | 32 Mitteilungspflicht nach Abs 3 | 33 1. Normzweck | 33 2. Verhältnis zu Abs 1 | 35 Mehrheitsbeteiligung (Abs 4) | 36
Windbichler
VI.
Reduktion und Wegfall der Beteiligung (Abs 5) | 37 1. Veränderung der Beteiligung | 37 2. Veränderung sonstiger Tatbestandsmerkmale | 39 VII. Einzelheiten zur Mitteilung | 40 1. Mitteilungspflichtiger und -empfänger | 40 2. Form, Inhalt und Zeitpunkt der Mitteilung | 41 a) Schriftform | 41 b) Inhalt | 42 c) Insbesondere: Zurechnungen | 45 d) Zeitpunkt | 48 3. Mehrere Mitteilungstatbestände und Verpflichtete | 53 4. Entbehrlichkeit in besonderen Fällen? | 54 VIII. Publizität | 57 1. Bekanntmachungspflicht nach Abs 6 | 57 a) Voraussetzung | 57 b) Inhalt | 58 c) Zeit und Ort | 59 d) Sanktionen | 60 2. Andere Publizitätsvorschriften | 61 a) § 160 Abs 1 Nr 8 | 61 b) Kapitalmarktrecht | 62 c) Andere Art der Offenlegung | 63 508
Mitteilungspflichten | § 20
IX.
Sanktionen (Abs 7) und weitere Rechtsfolgen | 64 1. Voraussetzungen | 65 a) Unterlassen der nach Abs 1 oder 4 erforderlichen Mitteilung | 65 b) Betroffene Aktien, Zurechnungsfälle | 67 c) Verschulden | 70 2. Verlust mitgliedschaftlicher Rechte | 71 a) Wirkung der Sperre | 71 b) Betroffene Rechte | 72 aa) Stimmrecht | 73 bb) Gewinnrechte, Abs 7 Satz 2 | 74 cc) Bezugsrecht | 78
X. XI.
dd) Sonstige Rechte | 81 ee) Anteil am Abwicklungsüberschuss | 82 c) Entfallen der Sanktionsfolgen | 83 d) Folgen einer gegen Abs 7 verstoßenden Rechtsausübung | 84 3. Beweislast | 87 4. Haftung | 88 a) Beteiligtes Unternehmen | 89 b) Gesellschaft | 91 c) Organmitglieder der Gesellschaft | 92 Ausnahme für Emittenten (Abs 8) | 93 Auslandsbezug und Rechtsvergleichung | 94
Schrifttum zu §§ 20–22 Bayer/Hoffmann Beteiligungstransparenz nach AktG und WpHG, AG 2013, R143; Bernhardt Mitteilungs-, Bekanntmachungs- und Berichtspflichten nach neuem Aktienrecht, BB 1966, 678; Burgard Die Offenlegung von Beteiligungen, Abhängigkeits- und Konzernlagen bei der Aktiengesellschaft, 1990; ders Die Offenlegung von Beteiligungen bei der Aktiengesellschaft, AG 1992, 41; ders Mitteilungspflichten nach einem Delisting, FS UH Schneider, 2011, S 177; ders Inzidente Mitteilungen gemäß § 20 AktG?, WM 2012, 1937; v Caemmerer Publizitätsinteressen der Öffentlichkeit und Gesellschaftsrecht, in: Das Frankfurter Publizitätsgespräch, 1963, S 141; Diekmann Mitteilungspflichten nach §§ 20 ff AktG und dem Diskussionsentwurf des Wertpapierhandelsgesetz, DZWiR 1994, 13; Dreher Treuepflichten zwischen Aktionären und Verhaltenspflichten bei der Stimmrechtsbündelung, ZHR 157 (1993), 150; Falkenhausen Abhängige Unternehmen und Mitteilungspflicht nach §§ 20, 21 AktG 1965, BB 1966, 875; Fatemi Beteiligungstransparenz und der Verlust von Aktionärsrechten, DB 2013, 2195; Gelhausen/Bandey Bilanzielle Folgen der Nichterfüllung von Mitteilungspflichten gemäß §§ 20 f AktG und §§ 21 ff WpHG nach In-Kraft-Treten des Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes, Wpg 2000, 497; Geßler Verlust oder nur Ruhen der Aktionärsrechte nach § 20 Abs 7 AktG, BB 1980, 217; Großfeld/Möhlenkamp Zum Auskunftsrecht des Aktionärs, ZIP 1994, 1425; Hägele Praxisrelevante Probleme der Mitteilungspflichten nach §§ 20, 21 AktG, NZG 2000, 726; Hagen Der Rechtsverlust im Aktien- und Kapitalmarktrecht, 2012; Happ Zum Regierungsentwurf eines Wertpapierhandelsgesetzes, JZ 1994, 240; ders Zur Nachholung aktienrechtlicher Meldepflichten und damit verbundenen prozessualen Fragen, FS K Schmidt, 2009, S 545; Heinsius Rechtsfolgen einer Verletzung der Mitteilungspflichten nach § 20 AktG, FS Robert Fischer, 1979, S 215; Hüffer Verlust oder Ruhen von Aktionärsrechten bei Verletzung aktienrechtlicher Mitteilungspflichten, FS Boujong, 1996, S 277; ders Konsortialverträge im Rahmen der Mitteilungspflichten nach § 20 AktG, FS K Schmidt, 2009, S 747; Irriger/Longrée Aktienrechtliche Mitteilungspflichten gem § 20 AktG nach Formwechsel in eine AG, NZG 2013, 1289; Janberg/Schlaus Abstimmungsverträge nach neuem Aktienrecht unter Berücksichtigung des Rechts der verbundenen Unternehmen, AG 1967, 33; Junge Anzeigepflichten und Publizität bei Beteiligungserwerb, FS Semler, 1993, S 473; Koppensteiner Einige Fragen zu § 20 AktG, FS Rowedder, 1994, S 213; Neye Harmonisierung der Mitteilungspflichten zum Beteiligungsbesitz von börsennotierten Aktiengesellschaften, ZIP 1996, 1853; Nodoushani Die Transparenz von Beteiligungsverhältnisse, WM 2008, 1681; Paudtke Zum zeitweiligen Verlust der Rechte eines Aktionärs gem § 20 VII AktG, NZG 2009, 939; Pentz Mitteilungspflichten gem §§ 20, 21 AktG gegenüber einer mehrstufig verbundenen Aktiengesellschaft, AG 1992, 55; Priester Die Beteiligungspublizität gemäß §§ 20, 160 III Nr 11 AktG bei Gründung der Gesellschaft, AG 1974, 212; Quack Die Mitteilungspflichten des § 20 AktG und ihr Einfluß auf das Verhalten der Organe des Mitteilungsadressaten, FS Semler, 1993, S 581; Rittner Gesellschaftsrecht und Unternehmenskonzentration – Zu den Vorschlägen der Monopolkommission, ZGR 1990, 203; Schäfer Die Rechtsfolgen bei Unterlassung der Mitteilung nach den §§ 20 und 21 des AktG, BB 1966, 1004; UH Schneider Anwendungsprobleme bei den kapitalmarktrechtlichen Vorschriften zur Offenlegung von wesentlichen Beteiligungen an börsennotierten
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Aktiengesellschaften (§§ 21 ff WpHG), AG 1997, 81; ders Die kapitalmarktrechtlichen Offenlegungspflichten von Konzernunternehmen nach §§ 21 ff WpHG, FS Brandner, 1996, S 565; ders/Burgard Transparenz als Instrument der Steuerung des Einflusses der Kreditinstitute auf Aktiengesellschaften, DB 1996, 1761; SH Schneider/UH Schneider Der Rechtsverlust gemäß § 28 WpHG bei Verletzung der kapitalmarktrechtlichen Meldepflichten – zugleich eine Untersuchung zu § 20 Abs 7 und § 59 WpÜG, ZIP 2006, 493; Siebel Zur Auskunftspflicht des Aktionärs, FS Heinsius, 1991, S 771; Starke Beteiligungstransparenz im Gesellschaftsund Kapitalmarktrecht: Rechtsprobleme der §§ 21 ff WpHG und des § 20 AktG, 2002; Witt Vorschlag für eine Zusammenlegung der §§ 21 ff WpHG und des § 20 AktG zu einem einzigen Regelungskomplex, AG 1998, 171; ders Die Änderungen der Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach §§ 21 ff WpHG und §§ 20 f AktG durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz und das „KonTraG“, WM 1998, 1153; Wolframm Mitteilungspflichten familiär verbundener Aktionäre nach § 20 AktG, 1998.
I. Allgemeines 1
1. Mitteilungspflichten, Publizität und Sanktionen allgemein. Die Einführung der Mitteilungspflichten in den §§ 20 ff gehörte zu den stark umstrittenen Neuerungen durch das AktG 1965.1 Die Grundvorstellung von der „société anonyme“ mit einem breiten, eben anonymen Anlegerpublikum2 kontrastierte zunächst mit Offenlegungspflichten. Die neuere Entwicklung für börsennotierte Gesellschaften im Kapitalmarktrecht, der Wandel der Namensaktie zum Normalfall und der Inhaberaktie zur voraussetzungsgebundenen Ausnahme (§ 10 Abs 1) hat diesen Streit überholt. Dass Transparenz der Mitgliederstruktur als Entscheidungsgrundlage für die betroffenen Akteure ein wichtiges Mittel mittelbarer Steuerung sowohl in Bezug auf Marktprozesse als auch als organisationsrechtliches Element ist, ist nicht mehr zu bestreiten.3 Publizität gilt allgemein als Instrument der privatrechtlichen Kontrolle, die staatlicher Aufsicht überlegen ist oder diese, je nach Kontext, ergänzt, und hat auch als Korrelat der Haftungsbeschränkung Bedeutung.4 Der in Abs 7 und durch Einfügung des Abs 8 geänderte5 § 20 ist zudem von beträchtlichen Wandlungen des rechtlichen Umfeldes betroffen; das führt zu Verschiebungen in der Auslegung im Vergleich zur ursprünglichen Normsituation.6 Wegen der insgesamt weitreichenden gesetzlichen Neuordnung von Mitteilungspflichten, auch im Übernahmerecht (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 23, 44), sind Extensionen oder Ergänzungen auf der Basis von Treuepflichten nicht möglich; die Berufung auf die Änderung der Lebensverhältnisse zur Schaffung einer ausfüllbaren Lücke ist angesichts der vielfältigen Aktivitäten des Gesetzgebers ausgeschlossen.7
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1 Ausschussbericht bei Kropff AktG S 40 ff; Flume Grundfragen der Aktienrechtsreform 1960 S 39 ff; KK/Koppensteiner2 4 mwN. 2 Siems Die Konvergenz der Rechtssysteme im Recht der Aktionäre, 2005, S 178 ff; – vgl zur Funktion des Teilnehmerverzeichnisses der Hauptversammlung Schmidt/Lutter/Ziemons3 § 129 Rdn 16; 4. Aufl Werner § 129 Rdn 1 f, 30 f. 3 Zum Einstellungswandel gegenüber Publizität Assmann/UH Schneider WpHG Vor § 21, 2; Merkt Unternehmenspublizität, 2001, S 92 ff, 117 ff; Otto AG 1994, 167, 170; vgl auch die Rechtsprechung zum Auskunftsrecht nach § 131 Abs 1, BayObLG ZIP 1996, 1743; KG ZIP 1995, 1585; ZIP 1995, 1590 (Allianz); ZIP 1995, 1592 = NJW–RR 1996, 1060 (Siemens). 4 4. Aufl Assmann Einl Rdn 247, 255 ff (Binnensteuerung), 331; Burgard AG 1992, 41, 43; Wiedemann Gesellschaftsrecht § 10 V 1. 5 Drittes FinanzmarktförderungsG vom 24.3.1998 BGBl I S 529, 567; zum Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Finanzen vom 3.4.1997 Neye ZIP 1996, 1853, 1856 f; UH Schneider AG 1997, 81, 82 f. 6 Vgl Windbichler Vor §§ 15 Rdn 4; Wolframm, Mitteilungspflichten, 1998, S 56 ff. 7 So aber im Jahr 1990 Burgard Offenlegung, 1990, S 65; auch mit Vorsicht Emmerich/Habersack/ Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 8; – aA die hM, KG 18.5.2010 – 14 AktG 1/10, AG 2010, 494,
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Die Offenlegung von Beteiligungen wird allgemein als Instrument in verschiede- 2 nen Rechtsgebieten eingesetzt. Sie dient der Information für gegenwärtige und künftige Anleger und Gläubiger, der Durchsetzung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften, der Kontrolle bei Ausübung von Mitgliedschaftsrechten, auch der Unterrichtung von Behörden und der Allgemeinheit. Rechtsgrundlagen finden sich zB im Rechnungslegungs- und Kapitalmarktrecht, Kartell- und Gesellschaftsrecht (Rdn 10 ff). Ob satzungsmäßige Mitteilungspflichten bei der AG möglich sind, ist an § 23 Abs 5 zu messen.8 Verschiedene Vorschriften verwenden zwar mehrfach Verweisungen auf § 16, insbesondere dessen Abs 2–4 zur Berechnung und Zurechnung von Beteiligungen, sind insgesamt aber nicht aufeinander abgestimmt (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 37). Teilweise sehr weitgehende Vorschläge de lege ferenda reichen über die Offenlegung als Ausnahme hinaus und propagieren eine im Privatrecht sonst nicht heimische Transparenz von Transaktionen und bloßen Absichten.9 Die zunehmende Tendenz zur Offenlegung allgemein stößt andererseits auf die Grenzen sinnvoller Informationsverarbeitung; der Anlassfall der Beteiligung an Aktiengesellschaften ist nur ein Teil dieser Problematik. Eine Harmonisierung einzelner Bestandteile von Offenlegungspflichten, etwa Schwellenwerte, Be- und Zurechnungsmodalitäten, Bekanntmachungsformen etc, ist im Interesse der Handhabbarkeit und Vermeidung unnötiger Kosten wünschenswert (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 47, 50 f), die gesetzgeberischen Tendenzen weisen aber nicht in diese Richtung. Das Dritte FinanzmarktförderungsG 1998, das die Rechtsfolgen bei Verletzung der aktienrechtlichen Mitteilungspflicht und derjenigen nach WpHG nahezu gleichlautend formulierte und börsennotierte Gesellschaften iSd § 21 Abs 2 WpHG von der aktienrechtlichen Mitteilungspflicht befreite, erreichte keine umfassende Harmonisierung; spätere Änderungen vergrößerten die Differenzen (Rdn 12, 64). Als Adressaten von Offenlegungspflichten allgemein kommen Gesellschafter 3 oder nur bestimmte Gesellschafter, ehemalige Gesellschafter, die Gesellschaft selbst sowie (sekundär) Dritte in Betracht. Der Mitteilungspflicht unterliegen Beteiligungen, die im Einzelnen der näheren Bestimmung bedürfen, zB nach Stimmrecht oder Kapitalanteil, Höhe, Berechnungs- und Zurechnungsmodalitäten. Adressat der Mitteilung können die Gesellschaft selbst, die übrigen Gesellschafter, eine Behörde oder die Öffentlichkeit sein. Ebenso vielfältig sind die möglichen Sanktionen, die von der Versagung mitgliedschaftlicher Rechte über Haftungsfolgen, Auslösung oder Nichtauslösung des Laufes von Fristen, rechnungslegungs- und abschlussprüfungsrechtlichen Folgen (Prüfervermerk) bis zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen und Bußgeldern reichen. 2. Entwicklung und systematische Stellung der Norm a) Ausweislich der BegrRegE10 war der Normzweck der Mitteilungspflichten des 4 § 20, die Aktionäre, die Gläubiger und die Öffentlichkeit über geplante und bestehende Konzernverbindungen besser zu unterrichten und die mehrfach auch für die Unternehmensleitung selbst nicht erkennbaren Machtverhältnisse in der Gesellschaft deutlicher
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496; Grigoleit/Rachlitz Rdn 3; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 8, 31; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 5 f; Spindler/ Stilz/Petersen3 Rdn 11. 8 Vgl UH Schneider AG 1990, 317, 324 f; tendenziell großzügig 4. Aufl Röhricht § 23 Rdn 192; zum englischen Recht Rdn 95. 9 Burgard AG 1992, 41, 52: Meldepflicht ab 3% der Stimmrechte, Offenlegung von Transaktionsdetails, Treugebern und weiteren Absichten etc; ähnlich Adams AG 1994, 148, 149: 3%; – Erwerbs- und Veräußerungsabsichten sind aufsichtsrechtlich anzeigepflichtig zB nach § 2c Abs 1 KWG, § 17 Abs 1 VAG (Rdn 14 f), § 6 Abs 1 BörsG; im Kartellrecht § 39 GWB; im Kapitalmarktrecht § 27a Abs 1 Satz 3 WpHG. 10 BegrRegE bei Kropff AktG S 38; zur Einführung vgl ferner Bernhardt BB 1966, 678.
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hervortreten zu lassen; ferner sollte durch diese Mitteilungspflicht die Rechtssicherheit bei der Anwendung derjenigen Vorschriften, die an die Höhe einer Beteiligung anknüpfen, erhöht werden. Darin zeigt sich die ursprünglich mindestens teilweise auch kapitalmarktrechtliche Ausrichtung des AktG.11 Diese Normzwecke verfolgen nunmehr die strengeren Mitteilungspflichten des WpHG. Die kapitalmarktrechtliche Funktion der aktienrechtlichen Regelung ist daher weitestgehend entfallen. Als Harmonisierungsmöglichkeit wurde eine gänzliche Abschaffung vorgeschlagen.12 Die Einführung des Abs 8 ist dem ein wenig nähergetreten.13 Im Folgenden ist daher eine grundsätzlich gesellschaftsrechtliche Betrachtungsweise zugrunde zu legen.14 Die verbleibenden Pflichten nach §§ 20 f können nicht mehr mit kapitalmarktrechtlichen Deutungen versehen werden. Das AktG unterscheidet zunehmend zwischen Emittenten und anderen AGen.15 Relikte der alten Diskussion um Mitteilungspflichten allgemein (Rdn 1) mögen im 5 Zusammenhang mit kleinen Gesellschaften und Familiengesellschaften auftreten, die in der Tradition einer in Deutschland verbreiteten Publizitätsscheu stehen.16 Das Ziel, ein „Anschleichen“ von heimlichen Aufkäufern17 bzw das „Davonschleichen“ eines Paketaktionärs durch Transparenz den Reaktionsmöglichkeiten der übrigen Gesellschafter und der Verwaltung auszusetzen, ist jedoch unverändert Normzweck bei nicht börsennotierten Gesellschaften. Bei Publikumsgesellschaften hat die kapitalmarktrechtliche Erfassung der Problematik Vorrang, die Entscheidungen zu § 20 zeigen jedoch die verbliebene gesellschaftsrechtliche Bedeutung.18 6
b) Die systematische Stellung des § 20 ist durch die enge Verbindung zum Recht der verbundenen Unternehmen iSd § 15 geprägt. Die Mitteilungspflichten üben eine Brückenfunktion zwischen Definitionsnormen und materieller Rechtsanwendung aus.19 Im Gegensatz zu § 21 WpHG werden nur Unternehmen verpflichtet (Rdn 16). Diese Einbindung bestätigt sich durch die Stellung der Norm unter den „Allgemeinen Vorschriften“, denn theoretisch könnte man Mitteilungspflichten auch unter die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter (Dritter Teil des Ersten Buches) einordnen. Die Rolle des Aktionärs als Anleger und Kapitalmarktteilnehmer steht demgegenüber im Hintergrund. Dem entspricht auch die vergleichsweise hohe Schwelle (Rdn 25) von mehr als 25%, die in Richtung Beherrschungsmöglichkeit weist, während bereits erheblich kleinere Aktienpakete einen maßgeblichen Einfluss vermitteln können (Windbichler § 15 Rdn 38 ff). Von einer Offenlegungspflicht von Abhängigkeitstatbeständen ohne Mehr-
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11 4. Aufl Assmann Einl Rdn 3, 343 ff. 12 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 8, Bd 6 Anh § 22 §§ 21 ff WpHG Rdn 8; Happ JZ 1994, 240, 245 f; krit dazu Neye ZIP 1996, 1853, 1855. – Die Forderung nach Vereinheitlichung wurde vom Finanzausschuss erhoben, BTDrucks 12/7918 S 96 f, BRDrucks 605/97 S 58 f; auch schon Burgard AG 1992, 41, 51. 13 Zum anderslautenden Diskussionsentwurf s Neye ZIP 1996, 1853, 1856 f; U H Schneider AG 1997, 81, 82 f; zu daraus entstehenden Lücken Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 3; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 3. 14 Bürgers/Körber/Becker3 Rdn 3. 15 MünchKomm/Heider4 § 3 Rdn 41; Windbichler JZ 2008, 840 mwN. 16 Vgl die verschiedenen, gegen Mitteilungspflichten vorgebrachten Einwände im Ausschussbericht bei Kropff AktG S 40 ff; vgl auch die Entwicklungsgeschichte der GmbH-Publizität, EuGH 4.12.1997 – C-97/96 (Daihatsu), und der individualisierten Offenlegung von Organvergütungen, § 285 Nr 9 HGB. 17 Happ JZ 1994, 240, 245; U H Schneider AG 1997, 81. 18 ZB BGH 24.7.2000 – II ZR 168/99, NZG 2000, 1220; BGH 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204 = NZG 2006, 505; OLG München 28.7.2010 – 7 AktG 2/10, WM 2010, 1859; OLG München 6.7.2011 – 7 AktG 1/11, ZIP 2011, 2199; OLG Schleswig 31.5.2007 – 5 U 177/06, ZIP 2007, 2214 (dazu BGH 20.4.2009 – II ZR 148/07, NZG 2009, 827). 19 Vgl KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 1: Hilfsnormen.
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Mitteilungspflichten | § 20
heitsbeteiligung hat der Gesetzgeber ausdrücklich abgesehen;20 die Vorschrift ist anteils-, in Abs 4 aber auch stimmrechtsorientiert. Da § 20 für alle AG und KGaA (Rdn 18) gilt, die nicht Emittenten iSd § 21 Abs 2 WpHG sind (Abs 8), handelt es sich um eine genuin gesellschaftsrechtliche Vorschrift. Besondere Bedeutung kommt ihr daher bei kleinen und Familiengesellschaften zu sowie solchen, die vom Kapitalmarktrecht nicht oder nur teilweise erfasst werden. Ob damit die Interessen von Anlegern in nicht zum amtlichen Handel zugelassenen Aktien (Freiverkehr) gewahrt sind, ist eine Frage des Anlegerschutzes, nicht eine des Gesellschaftsrechts. Ihrem Inhalt nach betreffen die Mitteilungspflichten Beteiligungen, die mehr als 7 25% der Anteile (Abs 1), die Anteils- oder Stimmenmehrheit (Abs 4) betragen, und zwar deren Bestand sowie deren Wegfall (Abs 5). Die gesonderte Mitteilungspflicht einer Beteiligung von mehr als 25% ohne Anwendung der besonderen Zurechnungsvorschriften in Abs 2 (Abs 3) ist im Zusammenhang mit der wechselseitigen Beteiligung (§ 19 Abs 1 und § 328) zu sehen (Rdn 33). § 20 überschneidet sich im Anwendungsbereich mit § 21, der AG und KGaA dazu verpflichtet, ihrerseits Beteiligungen an anderen Kapitalgesellschaften diesen mitzuteilen; die weiterreichenden Pflichten nach § 20 werden durch § 21 nicht etwa verdrängt.21 Beide Vorschriften werden ergänzt durch § 22, der den Mitteilungsempfänger berechtigt zu verlangen, dass ihm der Bestand der Beteiligung nachgewiesen wird. § 7 EGAktG enthält eine Übergangsvorschrift für Beteiligungen, die beim Inkrafttreten des AktG am 1.1.1966 bestanden und hat daher keine praktische Bedeutung mehr. c) Die Rechtsnatur der aktienrechtlichen Mitteilungspflicht erschließt sich aus der 8 tatbestandsmäßigen Anknüpfung sowie den Sanktionen. Verpflichtet sind Unternehmen als Aktionäre, dh es handelt sich um eine besondere mitgliedschaftliche Verpflichtung.22 Dafür spricht weiter, dass nur die Gesellschaft Mitteilungsempfänger ist (Rdn 40). Dass der Normzweck auch Interessen von Gläubigern und der Öffentlichkeit einbezieht, steht dem nicht entgegen, da die aktienrechtliche Organisation insgesamt solche Interessen berücksichtigt (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 41). Beruht die Mitteilungspflicht auf der Zurechnung von Aktien, die einem anderen gehören, ist die Qualität der Zurechnungsgründe zu beachten. Dass Aktien eines abhängigen Unternehmens auch als solche des herrschenden gelten, steht in Verbindung mit der Abhängigkeit als einer strukturellen, gesellschaftsrechtlich vermittelten Unternehmensverbindung, für die rein tatsächliche oder schuldvertragliche Beziehungen nicht genügen (Windbichler § 17 Rdn 12 f). Das Halten von Anteilen für Rechnung eines anderen wurde bereits in § 16 als Baustein rechtlich relevanter Unternehmensverbindungen eingeführt (Windbichler § 16 Rdn 27 ff), somit die strukturelle, mitgliedschaftsbezogene Beziehung (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 18, 40) herausgestellt. In den Fällen der Zurechnung nach Abs 2 (Rdn 28 ff) ist insoweit ein mitgliedschaftsrechtliches Element enthalten, als das Erwerbsrecht und die Abnahmepflicht diesbezügliche Vorwirkungen entfalten. Die Zurechnungstatbestände rechtfertigen wie beschrieben die Bündelung, die die Pflicht auslöst. Rechtstechnisch ist die Mitteilungspflicht nach § 20 zwar Rechtspflicht, aber nicht 9 selbständig einklagbar, also eine Art unvollkommene Verbindlichkeit oder Obliegenheit.23 Auf ihre Einhaltung kann die Gesellschaft nicht verzichten; die Rechtsfolgen bei
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20 BegrRegE bei Kropff AktG S 39. 21 AllgM, Emmerich/Habersack KonzernR10 § 6 Rdn 1; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 216 f; Hüffer/ Koch11 Rdn 1; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 7. 22 Mülbert FS K Schmidt, 2009, S 1219, 1221; Wiedemann Gesellschaftsrecht § 14 V b. 23 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 30; Geßler/Geßler Rdn 46; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 18; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 7; Mülbert FS K Schmidt, 2009, S 1219,
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Nichterfüllung sind zwingend.24 Die Sanktionen sind in Abs 7 und § 328 geregelt; die Pflichtverletzung zieht Rechtsverluste nach sich. Insoweit besteht ein gewisser Spielraum für die betroffenen Unternehmen, die Mitteilung unter Hinnahme der Rechtsfolgen zu unterlassen, wenn ihnen das tunlich erscheint. Von der selbständigen Einklagbarkeit zu unterscheiden ist eine evtl Schadensersatzpflicht bei Verletzung (Rdn 88 ff).25 Die Mitteilungen selbst sind geschäftsähnliche Handlungen, auf die die Vorschriften für Rechtsgeschäfte entsprechend zur Anwendung kommen.26 Zu den bei Erfüllung der Mitteilungspflichten hinzunehmenden Rechtsfolgen gehört die Bekanntmachung nach Abs 6 und den Vorschriften des Rechnungslegungsrechts. 3. Mitteilungspflichten außerhalb des AktG. Ein Vergleich mit Mitteilungspflichten außerhalb des AktG verdeutlicht den Standort des § 20, der gewissermaßen aus der Frühzeit stammt,27 in Relation zu anderweitigen Anonymitäts- und Transparenzinteressen. Insgesamt tendiert die Rechtsentwicklung zu größerer Offenheit und bekämpft Umgehungsstrategien, mit unterschiedlichem Erfolg. Überschneidungen, die die Angleichung von Mitteilungspflichten nahe legen, werden kaum berücksichtigt (Rdn 2 aE); das gilt auch für die Anknüpfung an Anteile oder Stimmrechte, Erwerbsvorstufen und Zurechnungsregeln. Tendenziell laufen die Bestimmungen eher auseinander. Mitteilungen aufgrund aktienrechtlicher Vorschriften dienen aber mittelbar der Information auch für Meldepflichten aus anderen Rechtsbereichen. Im Gesellschaftsrecht ist die Offenlegung von Mitgliedschaften untrennbar mit 11 dem Haftungsstatut verbunden, weshalb die Gesellschaftsformen mit persönlicher Haftung Registerpublizität vorsehen (§§ 106 Abs 2, 162 HGB, §§ 3 ff PartGG). Von anderer Rechtswirkung ist die nach § 40 GmbHG zum Handelsregister einzureichende Gesellschafterliste; das gilt auch nach der Aufwertung durch das MoMiG.28 Bei der Genossenschaft war die Mitgliedschaft von der Eintragung im Genossenschaftsregister abhängig (§§ 15 Abs 2, 70 Abs 2 GenG aF; nunmehr genügt die schriftliche Beitrittserklärung und Zulassung durch die Genossenschaft, §§ 15 ff GenG). Im Aktienrecht ist die „Anonymität“ der Aktie (Rdn 1) insofern auf dem Rückzug, als die Namensaktie zum gesetzlichen Normalfall erklärt worden ist (§ 10 Abs 1 Satz 1),29 Inhaberaktien aber zulässig bleiben. §§ 67 Abs 1 Satz 3, 129 Abs 2 und 3 machen deutlich, dass die Einschaltung Dritter zulässig und auch gängig ist. Die aktiengesellschaftsrechtliche Offenlegung von Mitgliedschaften und Einflussmöglichkeiten ist deshalb in den Rahmen der Funktionsbedingungen der Rechtsform zu stellen; die Rolle der AG und der Aktionäre als Kapitalmarktteilnehmer ist dagegen den Funktionsbedingungen der Kapitalmärkte entsprechend zu regeln (Rdn 4 f). Offenlegungspflichten im Kapitalmarkt- und Börsenrecht setzen Teilnahme an 12 den jeweiligen Märkten voraus (§ 21 Abs 2 WpHG, § 32 BörsG und BörsZulV). Unternehmenseigenschaft der beteiligten Aktionäre ist hier nicht erforderlich. § 21 WpHG statuiert Meldepflichten bei Erreichen, Über- oder Unterschreiten von Schwellen ab 3% der
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1223; auch noch KK/Koppensteiner2 Rdn 7 aE; 3. Aufl Würdinger Vor §§ 20–22 aE, Anm 1; – aA KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 11; MünchKomm/Bayer4 Rdn 2, jedoch mit Zweifeln an der Klagbarkeit; zur Klagbarkeit gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten Weller Liber Amicorum M Winter, 2011, S 755; Quack FS Semler, 1993, S 581, 586 f. 24 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 11. 25 Vgl die mangelnde Klagbarkeit von manchen Schutzpflichten, deren Verletzung aber zum Schadensersatz verpflichtet, MünchKomm-BGB/Bachmann7 § 241 Rdn 62 ff. 26 Happ FS K Schmidt, 2009, S 454, 552 ff. 27 Vgl Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 5: „holzschnittartig“. 28 MünchKomm-GmbHG/Heidinger2 § 40 Rdn 2 ff. 29 Zur Entwicklung Siems Die Konvergenz der Rechtssysteme im Recht der Aktionäre, 2005, S 179 ff.
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Stimmrechte eines Emittenten gegenüber der Gesellschaft selbst sowie der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Zurechnungen und Vorverlagerungen richten sich nach den mehrfach erweiterten §§ 22 ff WpHG. Die Verletzung der Pflicht ist sowohl mit der gesellschaftsrechtlichen Sanktion des Verlustes von Rechten aus den Aktien versehen (§ 28 WpHG)30 als auch mit Bußgeld bedroht, § 39 Abs 2 Nr 2 f) WpHG. Die Meldepflichten setzen die Transparenzrichtlinie31 um und dienen dem Anlegerschutz sowie der Stärkung der Wertpapiermärkte. Im Emissionsprospekt zum Zweck der Börsenzulassung sind die Organisationsstruktur der Unternehmensgruppe und die Stellung des Emittenten darin bekannt zu machen, ferner, soweit bekannt, die Hauptaktionäre, Nrn 7, 18.1 EU-VO 890/2004 (ProspektV). Für Emissionen außerhalb des organisierten Marktes verlangt § 5 Nr 6 VermVerkProspV eine Beschreibung des „Konzerns“, falls der Emittent ein Konzernunternehmen ist. Im Übernahmerecht ist das Erreichen der Kontrollschwelle von 30% der Stimmrechte zu veröffentlichen, § 35 Abs 1 Satz 1 WpÜG. Die Zurechnung von Stimmrechten ist in § 30 WpÜG gesondert geregelt; Abweichungen vom WpHG ergeben sich aus der unterschiedlichen Erfassung nur potenzieller Stimmrechte. Auch hier wird berücksichtigt, dass die Zurechnungstatbestände nicht immer reibungslos zur Kenntnis gebracht werden (§ 35 Abs 1 Satz 2 WpÜG). Die Sanktion in § 59 WpÜG entspricht § 28 WpHG und geht über § 20 Abs 7 hinaus. Im Kartellrecht (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 61 ff), verlangt § 39 Abs 3 Satz 4 GWB 13 die Anmeldung eines Zusammenschlusses vor Vollzug einschließlich Angaben über verbundene Unternehmen. Eine Beteiligung von 25% der Anteile oder Stimmrechte stellt einen anzeigepflichtigen Zusammenschluss dar (§ 37 Abs 1 Nr 3 b) GWB). Zurechnungsregeln sind eigenständig ohne Verweisung geregelt. Branchenspezifische Mitteilungspflichten finden sich iVm aufsichtsrechtlichen 14 Zielen vor allem im Bereich der Finanzdienstleistungen (vgl Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 33). Hier ist das sekundäre Gemeinschaftsrecht prägend, so dass aktienrechtliche Ansätze keine Rolle mehr spielen. Mitteilungspflichten gegenüber den Aufsichtsbehörden wurden zunehmend erweitert; entsprechend der aufsichtsrechtlichen Zielsetzung dieser Anzeigepflichten findet keine Veröffentlichung statt, die Informationen unterliegen vielmehr durchweg der Verschwiegenheitspflicht nach § 9 KWG. Entsprechendes gilt für Unternehmen, die der Versicherungsaufsicht unterliegen (§ 309 VAG). Unternehmen, die nach §§ 264 ff HGB zur Rechnungslegung verpflichtet sind, ha- 15 ben im Anhang Beteiligungen an anderen Unternehmen ab 20% anzugeben (§ 285 Nr 11 HGB). Davon sind auch kleine Kapitalgesellschaften nicht ausgenommen (§ 288 Abs 1 HGB). § 20 ist älter als die in Rdn 12 ff genannten Vorschriften. Auch daran zeigt sich die Änderung des rechtlichen Umfeldes (Rdn 1). II. Grundtatbestand der Mitteilungspflicht (Abs 1) 1. Unternehmen als Verpflichtete. Die Mitteilungspflichten bestehen ausschließ- 16 lich für Unternehmen unabhängig von deren Sitz und Rechtsform. Die Diskussion über den Unternehmensbegriff betraf in der Entstehungsphase des AktG 1965 hauptsächlich die Mitteilungspflichten, danach hat sich der Schwerpunkt zum Begriff der verbundenen Unternehmen verlagert (Windbichler § 15 Rdn 10 ff). Nach der systematischen Stellung
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30 Nach dem Dritten FinanzmarktförderungsG 1998 sind die Rechtsfolgen (zuvor lediglich Ruhen des Stimmrechts) verschärfend an die aktienrechtliche Sanktion angeglichen worden; das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie 2013 vom 20.11.2015, BGBl I S 2019, verschärfte die Sanktionen weiter. 31 RL 88/627/EWG, konsolidiert durch die RL 2001/34/EG, revidiert durch die RL 2013/50/EU; zur Entwicklung Veil Europäisches Kapitalmarktrecht, 2011, S 343 ff.
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der Vorschrift (Rdn 6) sowie der inzwischen gesonderten Regelung der kapitalmarktrechtlichen Mitteilungspflichten, die sämtliche Aktionäre betrifft (Rdn 12), ist von demselben Unternehmensbegriff auszugehen wie er für die Definitionsnormen der §§ 15 ff entwickelt worden ist; Rechtsform und Sitz (Rdn 18) des Unternehmens spielen keine Rolle.32 Dass in § 20 das Merkmal „rechtlich selbständig“ nicht mehr genannt ist, hat keine Bedeutung.33 Die in manchen Fällen schwierige Bestimmung, ob ein Aktionär Unternehmen iSd Vorschrift ist, führt notgedrungen auch zu entsprechenden Unklarheiten bei der Normanwendung, zumal es kein „Statusverfahren“ die Unternehmenseigenschaft betreffend gibt (Windbichler § 15 Rdn 3, 47 f). In schwierigen Fällen, etwa Stimmrechtskonsortien und andere Gesellschaften bürgerlichen Rechts,34 müssen die Unternehmenseigenschaft und die Zuordnung des Beteiligungsbesitzes (Rdn 27 ff) jeweils als getrennte Tatbestandsmerkmale festgestellt werden. Eine Mitteilungspflicht kann auch dadurch entstehen, dass ohne Veränderung 17 der gehaltenen Beteiligung erstmals die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 erfüllt werden. Das ist der Fall, wenn dem Aktionär Unternehmenseigenschaft zuwächst,35 etwa durch Aufnahme anderer Aktivitäten oder Erwerb weiterer Beteiligungen (Windbichler § 15 Rdn 22 ff, 32 ff). Wird der Mitteilungsempfänger erst durch formwechselnde Umwandlung zum nach § 20 Abs 1 Berechtigten (Rdn 18), entsteht die Mitteilungspflicht mit Eintragung der Umwandlung ins Handelsregister.36 Entsprechendes gilt für Gründungsgesellschafter (Rdn 19). Wechselt dagegen das beteiligte Unternehmen die Form, ändert das an der Identität nichts und löst keine erneute Mitteilungspflicht aus.37 Auch eine bloße Umfirmierung ändert nichts an den Beteiligungsverhältnissen.38 Führt ein Umwandlungsvorgang zu einer Änderung der Identität des beteiligten Unternehmens, löst das eine (erneute) Mitteilungspflicht aus.39 Gelangt die AG durch Delisting, also Wegfall des Ausschlusses nach Abs 8, in den Anwendungsbereich des § 20, kommen die aktienrechtlichen Mitteilungspflichten zum Tragen.40 Die Erfüllung der zuvor nach §§ 21 ff WpHG bestehenden Meldepflichten ändert daran nichts, denn das WpHG setzt bei Stimmrechten an, nicht bei Anteilen, so dass zB Vorzugsaktien nicht erfasst werden; ferner gelten andere Zurechnungsregeln (Rdn 12). 2. Beteiligung 18
a) Die Beteiligungsgesellschaft, dh die Gesellschaft, an der die Beteiligung besteht, muss nach dem Gesetzeswortlaut eine inländische Aktiengesellschaft sein. Der In-
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32 AllgM, Geßler/Geßler Rdn 1, § 15 Rdn 22; Hüffer/Koch11 Rdn 2; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 31, 34; MünchKomm/Bayer4 Rdn 6. 33 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 32; Wolframm Mitteilungspflichten, 1998, S 76 ff. 34 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 40; Windbichler § 15 Rdn 16, 47 f; Geßler/Geßler Rdn 4 ff; Wolframm Mitteilungspflichten, 1998, S 79 ff; auch BGHZ 114, 203, 210. 35 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 29; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 10. 36 Irriger/Longrée NZG 2013, 1289, 1291; Schmidt/Lutter/Veil4 Rdn 17; vgl auch LG Düsseldorf 26.11.2009 – 32 O 65/09, ZIP 2010, 1129 unter 4. 37 Irriger/Longrée NZG 2013, 1289, 1290; Hüffer/Koch11 Rdn 3; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 35; MünchKomm/Bayer4 Rdn 29a. 38 OLG Karlsruhe 13.11.1998 – 14 U 24/98 Rdn 51 (juris); OLG Köln 17.6.2009 – 18 U 139/08, NZG 2009, 830; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 35. 39 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 35. 40 AA LG München I 28.8.2008 – 5 HKO 2522/08, BeckRS 2008,23312 unter Nr 7; dem folgend LG Hannover 11.8.2009 – 32 O 68/08, BeckRS 2011,08647 unter Nr 10; OLG Celle 28.4.2010 – 9 U 92/09 Rdn 33 (juris); Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 11; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 8; wie hier Burgard FS UH Schneider, 2011, S 177, 184 f, 193; s auch Rdn 39.
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landssitz ist aus denselben Gründen wie in § 19 erforderlich (s dort Rdn 14); die Mitteilungspflichten und ihre Sanktionen treffen eine besondere Gruppe von Mitgliedern auf der Grundlage der Mitgliedschaft (Rdn 8), so dass das AktG nur für Gesellschaften mit deutschem Statut solche Regelungen treffen kann.41 Gemäß § 278 Abs 3 ist die KGaA gleichgestellt, die Mitteilungspflicht erstreckt sich auch auf Beteiligungen an Gesellschaften dieser Form.42 Auch für die SE mit Inlandssitz kommt nach Art 9 Abs 1 c ii SEVO deutsches Aktienrecht, damit auch § 20, zur Anwendung.43 Keine Anwendung findet die Mitteilungspflicht auf Gesellschaften, die Emittenten iSd § 21 Abs 2 des WpHG sind, Abs 8. Teilweise wird bereits die Beteiligung im Gründungsstadium, die die gesetzlichen 19 Schwellenwerte überschreitet, der Mitteilungspflicht unterworfen.44 Das hängt davon ab, ob § 20 zu den Vorschriften gehört, die eine Eintragung der Gesellschaft nicht voraussetzen,45 und ob die Mitgliedschaften in der Vor-AG bereits Anteile iSd § 20 sind.46 Die in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung des BGH47 sagt dazu allerdings nichts, denn es handelte sich dort um eine eingetragene Gesellschaft und deren Gründungsgesellschafter. In der Vor-AG sind mehrheitliche Satzungsänderungen nicht möglich,48 so dass auch die Funktion einer Sperrminorität ausscheidet und die Versagung von Stimmrechten, Abs 7, als Sanktion nicht passt. Die Anteilsübertragung ist nach § 41 Abs 4 ausgeschlossen, so dass allenfalls Zurechnungsfälle von Interesse sind.49 Eine Bekanntmachung nach Abs 6 vor Bekanntmachung der Gesellschaft selbst scheidet aus; die Bekanntmachung ist erst nach Eintragung der Gesellschaft zu verlangen.50 Es ist daher sachgerechter, die Vor-AG nicht in den Anwendungsbereich des § 20 einzubeziehen, sondern die Mitteilungspflicht erst mit der Eintragung der AG ins Handelsregister (§ 41 Abs 1 Satz 1) entstehen zu lassen.51 Diese gilt dann auch für die Gründer; ihre Angabe im Gründungsprotokoll führt zwar zur (anderweitigen) Kenntnis der Gesellschaft, die die Mitteilung aber nicht ersetzt (Rdn 54).52 Zu erwägen ist eine vorzeitige Erfüllbarkeit der Mitteilungspflicht in Gründungs- und anderen Fällen (Rdn 52). Die Vor-AG ist ferner wegen der Seltenheit echter Neugründungen nur von begrenzter praktischer Bedeutung. Demgegenüber häufiger dürfte die Entstehung einer AG, SE oder KGaA durch Umwandlung (Verschmelzung, Formwechsel, Spaltung) sein. Auch in diesen Fällen entsteht die Mitteilungspflicht mit Eintragung der Zielrechtsform ins Handelsregister. Dafür spricht das Identitätsprinzip und die Tatsache, dass bis zur Eintragung die Gesellschaft den Re-
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41 BegrRegE bei Kropff AktG S 39: Mitteilungspflicht wurzelt im inländischen Gesellschaftsverhältnis. 42 Geßler/Geßler Vor §§ 20–22 Rdn 3, § 20 Rdn 10; Hüffer/Koch11 Rdn 2, § 278 Rdn 20; 3. Aufl Würdinger Vor §§ 20–22. 43 MünchKomm/Bayer4 Rdn 5. 44 Hüffer/Koch11 Rdn 2; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 42; MünchKomm/Bayer4 Rdn 6, 30; Schmidt/ Lutter/Veil3 Rdn 11; Priester AG 1974, 212, 213 f. 45 So allgemein zur Anwendung von Vorschriften für die fertige juristische Person auf die Vorgesellschaft BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 (betr GmbH); BGHZ 117, 323 = NJW 1992, 1824 (betr AG), jeweils mwN; KK/Arnold3 § 41 Rdn 17, 23; K Schmidt § 41 Rdn 41. 46 Dafür Priester AG 1974, 212, 213; aA Bürgers/Körber/Becker3 Rdn 5. 47 BGH 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 2004 = NZG 2006, 505. 48 HM, Hüffer/Koch11 § 41 Rdn 7; KK/Arnold3 § 41 Rdn 36; MünchKomm/Pentz4 § 41 Rdn 39; mit Abweichungen K Schmidt § 41 Rdn 126 f. 49 Vgl Priester AG 1974, 212, 213 f. 50 MünchKomm/Bayer4 Rdn 40; Priester AG 1974, 212, 214; – für unverzügliche Bekanntmachung, nicht erst nach Eintragung Hüffer/Koch11 Rdn 2 aE; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 33 aE. 51 Emmerich/Habersack KonzernR10 § 6 Rdn 17; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbHKonzernR7 Rdn 20; wohl auch Bürgers/Körber/Becker3 Rdn 5: keine Anwendung auf Vor-AG; – aA KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 42 f; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 33 aE. 52 BGH 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 2004 = NZG 2006, 505.
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geln der Ausgangsform folgt und deshalb für eine Vorwirkung der Zielrechtsform kein Bedarf besteht. 20
b) Abs 1 verlangt, dass dem Unternehmen mehr als 25% der Anteile gehören, womit zunächst die dingliche Rechtsstellung gemeint ist (Windbichler § 16 Rdn 21 ff). Zurechnungstatbestände ergeben sich kraft Verweisung in Abs 1 Satz 2 aus § 16 Abs 4 sowie Abs 2 (Rdn 26 ff). Da § 20 vom Anteilsbesitz, nicht wie § 21 WpHG vom Stimmrecht, ausgeht, kommt es bei Namensaktien auf die Legitimation nach § 67 Abs 2 nicht an (Windbichler § 16 Rdn 21). § 67 Abs 1 Satz 2 begründet eine Verpflichtung zur Anmeldung des Aktienübergangs gegenüber der Gesellschaft;53 die Eintragung eines Legitimationsaktionärs ist aber möglich. Die Mitteilungspflicht nach § 20 steht nicht zur Disposition (Rdn 9), so dass der wahre Inhaber verpflichtet bleibt. Der Legitimationsaktionär ist zwar stimmbefugt, aber nicht Anteilsinhaber (Windbichler § 16 Rdn 35).54 Im Einzelfall klarzustellen ist, ob die Mitteilung nach § 20 zugleich eine Anmeldung iSd § 67 Abs 1 Satz 2, Abs 3 darstellt, denn Veräußerer und Erwerber können im Innenverhältnis die Differenzierung wollen. Evtl bestehende Satzungsbestimmungen sind zu beachten; zu Zurechnungsfragen unten Rdn 26 ff. Für die umgekehrte Frage, ob die Anmeldung nach § 67 Abs 3 zugleich die Mitteilung nach § 20 darstellt bzw entbehrlich macht, ist die strikte Trennung der beiden Vorgänge anerkannt; die Mitteilung ist auch in diesen Fällen nicht entbehrlich (Rdn 54). Beteiligungsabsicht iSd Rechnungslegungsrechts (§ 271 Abs 1 HGB) oder sonstige 21 Motivationselemente spielen für die Mitteilungspflicht nach § 20 keine Rolle. Ebensowenig ist von Belang, ob das Unternehmen die Beteiligung nur kurzfristig zu halten gedenkt. Ggf ist schon nach kurzer Zeit die gegenläufige Mitteilung nach Abs 5 zu machen. Fraglich ist, ob das auch für Kreditinstitute und andere Unternehmen gilt, die nach § 186 Abs 5 bei Kapitalerhöhungen eingeschaltet werden. Für die Zeit nach Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung, aber vor Weitergabe der jungen Aktien an die Bezugsberechtigten oder sonstigen Abnehmer sind Emissionsbanken vollwertige Aktionäre. Eine ähnliche Fragestellung ergibt die Eigentümerposition, die sich ausschließlich aus wertpapierhandelstechnischen Gründen ergibt (Windbichler § 16 Rdn 23 aE). Das Merkmal des Gehörens ist jeweils erfüllt, es sind aber Restriktionen bezüglich der Mitteilungspflicht zu prüfen (Rdn 55). Die Problematik hat durch Abs 8 an praktischer Relevanz verloren, bleibt aber für außerhalb eines organisierten Marktes gehandelte Aktien bestehen. Auf die Art des Beteiligungserwerbs kommt es nicht an.55 Auch originärer Anteils22 erwerb bei Gründung (zum Zeitpunkt s Rdn 19), Kapitalerhöhung oder Wandlung von Schuldverschreibungen (§ 221) führt zur Mitteilungspflicht. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollten zwar hauptsächlich Veränderungen der Beteiligungsverhältnisse offengelegt werden. Auf diesen Vorgangsbezug weist zwar die Formulierung „sobald … gehört“ hin. Das Gehören ist dagegen ein Zustand; dieser löst als entscheidendes Tatbestandsmerkmal die Mitteilungspflicht aus.56 Es werden daher auch Zustände erfasst, die nicht durch Erwerbstatbestände in den Anwendungsbereich der Norm gelangt sind,
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53 Schmidt/Lutter/T Bezzenberger3 § 67 Rdn 15, 34. 54 AA Grigoleit/Rachlitz Rdn 9; MünchKomm/Bayer4 § 67 Rdn 15a; die Entscheidung OLG Köln 6.6.2012 − 18 U 240/11, NZG 2012, 943, betraf die Meldepflicht nach dem stimmrechtsbezogenen § 21 WpHG, gibt daher für § 20 nichts her. 55 Priester AG 1974, 212, 213. 56 Eher auf den Wechsel der Rechtszuständigkeit abstellend Hüffer/Koch11 Rdn 3; unzutr Widder NZG 2004, 275, der eine „Rechtsnachfolge“ in Mitteilungspflichten problematisiert; vgl dazu Rdn 37 ff.
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sondern durch Erwerb der Unternehmenseigenschaft (Rdn 16) oder Erfüllung bzw Wegfall von Zurechnungskriterien oder der Kapitalmarktorientierung iSd Abs 8.57 c) Der Beteiligungsumfang, der die Meldepflicht auslöst, ist erreicht, wenn dem 23 Unternehmen mehr als der vierte Teil der Aktien der Gesellschaft gehört, also bei Stimmrechtsaktien die sog Sperrminorität. Die Bezeichnung als „Schachtelbeteiligung“ ist dafür nach wie vor verbreitet,58 hat durch die Änderungen im Steuerrecht (Windbichler § 19 Rdn 16) aber ihre Kennzeichnungskraft in diesem Sinne verloren. Anders als im Körperschaftsteuerrecht bis Ende 1976 genügt eine Beteiligung von 25% nicht, sie muss vielmehr diesen Prozentsatz um wenigstens eine Aktie (wegen § 213 Abs 2 genügt ein Teilrecht nach § 213 Abs 1 nicht) übersteigen. Dann kann nämlich mit Sicherheit die satzungsändernde Dreiviertelmehrheit nach § 179 Abs 2 Satz 1 verhindert werden. Tatbestandsmerkmal ist diese Möglichkeit allerdings nicht, sondern Erklärungsmuster für die Wahl der gesetzlichen Schwelle.59 Da es nur auf die Anteile, nicht die Stimmrechte ankommt, können auch stimmrechtslose Vorzugsaktien die Mitteilungspflicht begründen.60 Insgesamt kommt es auf die Aktiengattung nicht an.61 Die Berechnung richtet sich gemäß der Verweisung in Abs 1 Satz 2 nach § 16 Abs 2 24 Satz 1 (dazu Windbichler § 16 Rdn 12 ff). Bezugsgröße ist das Grundkapital (s auch § 8 Abs 4 bei Stückaktien), auch bei der KGaA. Kapitalanteile der persönlich haftenden Gesellschafter bleiben außer Betracht. Abzüge für eigene Anteile nach § 16 Abs 2 Satz 2 und 3 sind nicht vorzunehmen; die eingeschränkte Verweisung entspricht derjenigen in § 19 Abs 1 Satz 2 (s dort Rdn 17). Wie dort könnte man die Gründe für die Regelung in Zweifel ziehen, der Gesetzeswortlaut ist aber eindeutig. Für diese Regelung spricht hier, dass die Beteiligungsquote der übrigen Aktionäre sich nicht verändern soll.62 Rechtspolitisch wurde der Schwellenwert von mehr als 25% als zu hoch kritisiert.63 25 Praktisch genügt bei schwacher Hauptversammlungspräsenz (vgl Windbichler § 17 Rdn 24) eine erheblich geringere stimmberechtigte Beteiligung zur Verhinderung von Grundlagenbeschlüssen.64 Das Phänomen dürfte aber überwiegend börsennotierte Gesellschaften treffen, auf die § 20 keine Anwendung findet. Im Lichte der Verknüpfung der Vorschrift mit den Definitionsnormen der §§ 15–19 Abs 1 ist die Schwelle dogmatisch konsequent. Als Vorstufe und gewissermaßen Warnsignal zum Abhängigkeitstatbestand dürfte in vielen Fällen die Meldepflicht bei Überschreiten der Viertelbeteiligung genügen. Angesichts der gewandelten Einstellung zur Beteiligungspublizität insgesamt (Rdn 1) setzt die gesellschaftsrechtliche Mitteilungspflicht gleichwohl erst sehr spät ein. Dies gilt auch im Licht des ursprünglichen Normzwecks, die Rechtssicherheit bei der Anwendung derjenigen Vorschriften zu erhöhen, die an die Beteiligungshöhe anknüpfen (Rdn 4). Die niedrigste Schwelle für Minderheitsrechte im Aktienrecht liegt bei 1%
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57 Burgard FS UH Schneider, 2011, S 177, 184 f, 193; s auch Rdn 17, 39. 58 ZB Bürgers/Körber/Becker3 Rdn 9; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 17; Grigoleit/Rachlitz Rdn 9; Hüffer/Koch11 Rdn 3 f; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 118; MünchKomm/ Bayer4 Rdn 12; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 16; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 6. 59 BegrRegE bei Kropff AktG S 39. 60 BGHZ 114, 203, 216. 61 KG ZIP 1990, 925, 926 betr vinkulierte Namensaktien. 62 Vgl für den Fall eigener Aktien der Gesellschaft: statutarische Höhe maßgebend, 4. Aufl Merkt § 71b Rdn 16; Grigoleit/Rachlitz § 71b Rdn 8; KK/Lutter/Drygala3 § 71b Rdn 7. 63 Burgard AG 1992, 41, 44, 51: de lege ferenda sollten der Erwerb von 3% sowie jedes weiteren Prozentpunktes an Stimmrechten einsetzen; ähnlich Adams AG 1994, 148, 149; Herkenroth Konzernierungsprozesse im Schnittfeld von Konzernrecht und Übernahmerecht, 1994, S 73 ff. 64 Vgl BGHZ 129, 136 (Girmes); BGH ZIP 1997, 887 (VW).
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(§§ 142 Abs 2, Abs 4, 148 Abs 1), sonst bei 5% zB in § 122 Abs 1, oder 10% zB in § 120 Abs 1 Satz 2. III. Zurechnung von Aktien nach Abs 1 Satz 2, Abs 2 26
Die für die Mitteilungspflichten über die Verweisung auf § 16 Abs 4 hinaus durch Abs 2 erweiterten Zurechnungsmöglichkeiten dienen der stärkeren Abwehr von Umgehungen.65 Anderenfalls ließe sich eine Mitteilungspflicht leicht vermeiden, indem der Aktienbesitz auf mehrere Vertrauenspersonen aufgeteilt wird. Solche Situationen ergeben sich bei Aktionärsgruppen, deren Interessen gleich oder ähnlich gelagert sind, etwa bei Konsortien,66 Familienstämmen, oder auch bei Erwerbsfällen, die mit Hilfe von Optionen, Tauschrechten oder Rückerwerbspflichten konstruiert werden. Die im Einzelnen komplizierten und mit zahlreichen Unsicherheiten behafteten Zurechnungsmöglichkeiten sind wegen der vergleichsweise hohen Schwelle der Beteiligung (Rdn 25) praktisch besonders wichtig. Wären auch kleinere Pakete offenlegungspflichtig, könnten die Gesellschaft, Aktionäre und die Öffentlichkeit selbst Erwägungen über die Interessenverbindung der Paketinhaber untereinander, zB auf familiärer Basis, anstellen.67 Von der Zurechnung von Beteiligungen zu unterscheiden ist die Zurechnung der Unternehmenseigenschaft, wie sie insbesondere bei Personengesellschaften unter Rückgriff auf Unternehmen als Mitglieder in Betracht kommt (Windbichler § 15 Rdn 44 ff).
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1. Verweisung auf § 16 Abs 4. Auch mittelbare Beteiligungen führen zur Mitteilungspflicht. Die Zurechnung von Anteilen richtet sich kraft Verweisung nach § 16 Abs 4 (dazu Windbichler § 16 Rdn 25–31); für Abweichungen besteht keine Veranlassung.68 Wie dort ist es nicht erforderlich, dass das Unternehmen, dem Anteilsbesitz zugerechnet wird, selbst auch Anteile hält; die Zurechnung einer Beteiligung führt nicht dazu, dass der Inhaber der Anteile nicht mehr als beteiligt gilt.69 Das wirkt sich gegebenenfalls in dessen eigener Mitteilungspflicht aus (Rdn 53). Der unmittelbare Aktionär, zB Treuhänder, braucht selbst nicht Unternehmen zu sein (Windbichler § 16 Rdn 26). Tatsächliches Zusammenwirken, etwa auf der Grundlage familiärer Bindungen, genügt für eine Zurechnung nicht, kann aber als Indiz für eine rechtsgeschäftlich gesicherte, die Zurechnung begründende wirtschaftliche Einheit dienen.70
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2. Erweiterte Zurechnung nach Abs 2. Hier werden Fälle erfasst, in denen die Aktien dem Unternehmen bzw einem anderen, dessen Anteile sich das Unternehmen nach § 16 Abs 4 zurechnen lassen muss, noch nicht gehören, deren Erwerbsmöglichkeit aber bereits gesichert ist. Es handelt sich um eine Art Vorwirkung der Mitgliedschaft, die im Einklang mit der Funktion des § 20 steht, auch schon in Entstehung begriffene Unternehmensverbindungen offenzulegen. 71 Wie in den anderen Zurechnungsfällen führt auch Abs 2 nicht zur „Absorption“, der Anteilsinhaber bleibt weiterhin beteiligt und ge-
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65 Ausschussbericht bei Kropff AktG S 42; Geßler/Geßler Rdn 20. 66 Zu Stimmrechtspools Hüffer FS K Schmidt, 2009, S 747. 67 Wolframm Mitteilungspflichten, 1998, S 190. 68 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 15. 69 Inzwischen allgM, BGHZ 114, 203, 217; BGH 24.7.2000 – II ZR 168/99, NZG 2000, 1220; s auch Windbichler § 16 Rdn 23, 28, 31 mwN. 70 Wolframm Mitteilungspflichten, 1998, S 157 ff. 71 M Weber ZIP 1994, 678 betr Abhängigkeit aufgrund zukünftiger Mitgliedschaft; ders Vormitgliedschaftliche Treuebindungen, 1999, S 214.
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gebenenfalls mitteilungspflichtig.72 Das gilt auch für echte Pensionsgeschäfte (vgl § 340b Abs 2, 4 HGB), bei denen der Pensionsgeber wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien bleibt, und die sog Aktienleihe.73 Das erwerbsberechtigte Unternehmen unterliegt den Zurechnungen nach § 16 29 Abs 4, dh auch Übereignungsansprüche von abhängigen Unternehmen und Treuhändern zählen mit. In der Literatur wurde teilweise verlangt, dass das Unternehmen, dem Aktien nach Abs 2 zugerechnet werden sollen, anders als bei § 16 Abs 4, selbst unmittelbar beteiligt ist.74 Dafür wurde der Gesetzeswortlaut herangezogen, der nicht die Fiktion (§ 16 Abs 4 Satz 1: als Anteile, die gehören, gelten auch …) wählt, sondern vom Zurechnen von Aktien zu den dem Unternehmen gehörigen spricht. Das entspricht dem Ausgangspunkt, dass bei direkter Beteiligung bereits eine mitgliedschaftliche Bindung besteht, die als solche Pflichten begründet und deren Aufstockungsmöglichkeit infolgedessen anzukündigen ist. Die hM geht dagegen (wie die Vorauflage dieses Kommentars) zutreffend davon aus, dass eine Eigenbeteiligung nicht erforderlich ist.75 Bei einem reinen Neuerwerb ist die Mitteilungspflicht die gesetzliche Ausprägung einer vormitgliedschaftlichen (Treue-)Pflicht, deren Anerkennung grundsätzlich nichts entgegensteht.76 a) Aktien, deren Übereignung das Unternehmen, ein von ihm abhängiges Unter- 30 nehmen oder ein anderer für Rechnung des Unternehmens oder eines von diesem abhängigen Unternehmens verlangen kann (Abs 2 Nr 1), sind solche, über die das schuldrechtliche Geschäft abgeschlossen wurde, dessen dinglicher Vollzug aber noch aussteht und der von dem Erwerber einseitig verlangt werden kann.77 Auf die Rechtsnatur des Kausalgeschäfts kommt es nicht an.78 Anwendungsfälle sind nicht nur Kauf oder Tausch, sondern auch Optionsverträge und ähnliche Gestaltungen, die zu einem Übereignungsanspruch führen. Ein Vorkaufsrecht allein genügt hingegen nicht, da die Entstehung des Anspruchs vom Eintritt des Vorkaufsfalles abhängig ist.79 Obwohl vom Gesetzeswortlaut nicht erfasst, fallen wegen der in jeder Hinsicht vergleichbaren Interessenlage auch bindende Veräußerungsangebote, die das Unternehmen jederzeit annehmen kann, unter die Vorschrift.80 Kein unbedingter Übereignungsanspruch folgt aus dem Zeichnungsvertrag bei Kapitalerhöhung; die Aktien existieren noch nicht (§ 191), die Gesellschaft ist zur Durchführung der Kapitalerhöhung nicht verpflichtet.81 Bezugsrechte, auch nach
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72 Allg M; Geßler/Geßler Rdn 23; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 16; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 36; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 120; vgl auch unten Rdn 53. 73 Vgl BGH 16.3.2009 – II ZR 302/06, BGHZ 180, 154 = NZG 2009, 585 Rn 9; Bachmann ZHR 173 (2009) 596, 608 ff. 74 Emmerich/Sonnenschein KonzernR6 § 6 IV 1 c; Geßler/Geßler Rdn 20; KK/Koppensteiner2 11; Wolframm Mitteilungspflichten, 1998, S 127; entsprechend seiner bereits zu § 16 Abs 4 abw Ansicht auch 3. Aufl Würdinger Anm 7. 75 4. Aufl Windbichler Rdn 29; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 17; MünchKomm/Bayer4 Rdn 15. 76 Dazu umfassend M Weber Vormitgliedschaftliche Treuebindungen. Begründung, Reichweite und Vorauswirkung gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten, 1999. 77 Enger formuliert § 22 Abs 1 Nr 5 WpHG: (Stimmrechte aus Aktien), die der Meldepflichtige durch eine Willenserklärung erwerben kann; dazu MünchKomm/Bayer4 § 22 WpHG Rdn 30 ff; Schwark/Zimmer/ Schwark4 § 22 WpHG Rdn 9 ff. 78 Geßler/Geßler Rdn 21. 79 Janberg/Schlaus AG 1967, 33, 39; MünchKomm/Bayer4 Rdn 19; Wolframm Mitteilungspflichten, 1998, S 146. 80 HM, Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 23; Geßler/Geßler Rdn 22; Grigoleit/Rachlitz Rdn 13; Hüffer/Koch11 Rdn 4; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 17; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 121; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 24. 81 BGH NJW 1999, 1252, 1253; Bürgers/Körber/Marsch-Barner3 § 185 Rdn 3; Hüffer/Koch11 § 185 Rdn 4.
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Zuteilung,82 führen aus demselben Grund nicht zur Zurechnung nach Abs 2 Nr 1. Erreicht ein Unternehmen mit Vollzug der Kapitalerhöhung (§ 189) mehr als 25% der Anteile, entsteht die Mitteilungspflicht nach Abs 1 (Rdn 22). Entsprechendes gilt beim rechtstechnisch derivativen Erwerb im Fall des mittelbaren Bezugsrechts (§ 186 Abs 5); der Anspruch auf das Angebot durch die Bank ist noch kein Übereignungsanspruch, dieser kommt mit der Annahme durch den Bezugsberechtigten zustande.83 Praktisch dürfte das mittelbare Bezugsrecht bei Gesellschaften, die nicht Emittenten iSd § 21 Abs 2 WpHG sind, wohl nur bei Notierung im Freiverkehr84 eine Rolle spielen. Streitig ist, ob Zurückbehaltungsrechte, aufschiebende Bedingungen oder sonstige 31 Erfüllungshindernisse der Zurechnung entgegenstehen. Nach dem Zweck der Vorschrift, Beteiligungen bereits im Vorfeld zu erfassen, kann es darauf nicht ankommen. Für § 320 Abs 1 Satz 1 BGB im Hinblick auf eine Kaufpreiszahlung erscheint das selbstverständlich. Fehlt bei Übertragung vinkulierter Namensaktien noch die Zustimmung (§ 68 Abs 2), ist das zugrunde liegende Rechtsgeschäft gleichwohl wirksam. Der Übereignungsanspruch besteht und damit auch die Mitteilungspflicht.85 Es entspricht dem Zweck des § 20 und ggf dem der Vinkulierung, der Gesellschaft bereits sich anbahnende Machtpositionen kenntlich zu machen, zumal womöglich deren Zustimmungsentscheidung davon abhängig ist. Weitere Differenzierungen anzubringen würde die Rechtsunsicherheit erhöhen, zumal brauchbare Abgrenzungskriterien nicht ersichtlich sind. Darauf, ob der Inhaberwechsel letztlich stattfindet, kommt es nach Abs 2 Nr 1 gerade nicht an.86 Es genügt, dass der Übereignungsanspruch besteht und der Erwerb rechtlich (noch) möglich ist. 32
b) Spiegelbildlich zum Übereignungsanspruch führt eine Abnahmeverpflichtung (Abs 2 Nr 2) ebenfalls zur Zurechnung. Eine Erwerbsverpflichtung besteht zB beim unechten Pensionsgeschäft nach § 340a Abs 3 HGB. Sowohl das Erwerbsrecht wie die Abnahmeverpflichtung können sich aus Abreden ergeben, die bereits iSd Abs 1 Satz 2, § 16 Abs 4 zum „Gehören für Rechnung“ und damit zur Mitteilungspflicht führen. Eine Differenzierung ist jedoch im Hinblick auf Abs 3 relevant (Rdn 34). Übernahmeangebote iSd WpÜG spielen mangels Anwendbarkeit des § 20 auf börsennotierte Zielgesellschaften keine Rolle. IV. Mitteilungspflicht nach Abs 3
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1. Normzweck. Die gesonderte Mitteilungspflicht für Kapitalgesellschaften nach Abs 3 ist im Zusammenhang mit der wechselseitigen Beteiligung zu sehen. Da § 19 Abs 1 nur die Zurechnung von Anteilen nach § 16 Abs 4 in die Definition einbezieht, nicht aber die weiteren Zurechnungsmöglichkeiten nach § 20 Abs 2, ist zur Aufdeckung wechselseitiger Beteiligungen und Auslösung der Rechtsfolgen des § 328 erforderlich, die (Nicht-)Anwendung des Abs 2 klarzustellen. Besteht eine wechselseitige Beteiligung mit einer AG, SE oder KGaA, müssen die Unternehmen einander unverzüglich die Höhe ihrer
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82 Dazu Hüffer/Koch11 § 186 Rdn 14; 4. Aufl Wiedemann § 186 Rdn 89 f. 83 Bürgers/Körber/Marsch-Barner3 § 186 Rdn 59. 84 Vgl OLG München 21.5.2008 – 31 Wx 62/07, NZG 2008, 755, 757 f. 85 KG 14.6.1990 – 2 W 1088/90, ZIP 1990, 925, 926; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbHKonzernR7 Rdn 23; Grigoleit/Rachlitz Rdn 13; – aA Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 18; MünchKomm/Bayer4 Rdn 19; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 24. 86 Weil bei vinkulierten Namensaktien der Erwerb noch ungewiss sei, bestehe nach Schmidt/Lutter/ Veil3 Rdn 24 keine Mitteilungspflicht; ähnlich Bürgers/Körber/Becker3 Rdn 12: „noch nicht hinreichend gefestigt“. Aber auch andere Übereignungsansprüche können aus den verschiedensten Gründen letztlich scheitern.
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Beteiligung und jede Änderung schriftlich mitteilen (§ 328 Abs 4). Da die Vorschrift auf Emittenten iSd § 21 Abs 2 WpHG keine Anwendung findet (Abs 8), entfällt für Beteiligungen an diesen Gesellschaften auch die Mitteilungspflicht nach Abs 3. Das ist mit dem geschilderten Normzweck nicht vereinbar, da die Meldepflichten nach WpHG von Stimmrechten ausgehen, während die wechselseitige Beteiligung ausschließlich anteilsorientiert definiert ist und anderen Zurechnungsregeln folgt. § 328 Abs 2 privilegiert Unternehmen, die ihrerseits zuerst eine Mitteilung nach §§ 20 Abs 3 oder 21 Abs 1 gemacht haben; diese Vorschriften sind aber auf Emittenten nicht anwendbar. Zudem ist § 328 durch die Einfügung des Abs 3 verschärft worden.87 Das macht den Wegfall der spezifischen Mitteilungspflicht besonders misslich.88 Dass auch Meldungen nach dem WpHG der Gesellschaft eine Beteiligung iSd § 328 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 bekannt werden lässt, mag in vielen Fällen zutreffen, ist aber nicht zwingend. Aus der Meldung des Überschreitens von 25% der Stimmrechte folgt nicht notwendig, dass der Aktionär Unternehmen ist und mehr als 25% der Anteile hält; umgekehrt kann bei Auseinanderfallen von Stimmrecht und Kapitalbeteiligung (zB bei Vorzugsaktien) die Schwelle des Abs 3 überschritten werden, ohne dass eine Meldepflicht nach WpHG ausgelöst wird. Ferner unterscheiden sich die Zurechnungsvoraussetzungen des § 16 Abs 4, der nach § 328 Abs 1 Satz 3 anwendbar ist, von denen des § 22 WpHG. Für börsennotierte Gesellschaften ersetzen daher entgegen der Gesetzesbegründung die kapitalmarktrechtlichen Mitteilungspflichten § 20 Abs 3 praktisch nicht. Abs 3 macht es erforderlich, bei Zurechnungstatbeständen zwischen § 16 Abs 4 und 34 § 20 Abs 2 genau zu unterscheiden, was bei Überschneidungsfällen im Übrigen nicht notwendig wäre. Der Übereignungsanspruch iSd Abs 2 Nr 1 oder die Abnahmepflicht iSd Nr 2 können im Rahmen eines Treuhandverhältnisses begründet sein, das dazu führt, dass der gegenwärtige Inhaber die Anteile für Rechnung des berechtigten bzw verpflichteten Unternehmens hält (Windbichler § 16 Rdn 27). Damit ist bereits ein Zurechnungsfall nach Abs 1 Satz 2 iVm § 16 Abs 4 gegeben.89 Dass zusätzlich Abs 2 eingreift, beseitigt nicht den Tatbestand nach Abs 1. 2. Verhältnis zu Abs 1. Im Unterschied zu Abs 1 richtet sich Abs 3 nur an Kapital- 35 gesellschaften. Nach hM ist die Mitteilungspflicht nach Abs 3 auf inländische Kapitalgesellschaften beschränkt, da nur solche unter die Definition der wechselseitigen Beteiligung fallen.90 Diese Einschränkung ist zwar mit dem Zweck der Vorschrift begründbar, entspricht aber nicht dem Wortlaut. Da wechselseitige Beteiligungen auch mit ausländischen Kapitalgesellschaften wegen der Doppelbelegung des gezeichneten Kapitals nicht unproblematisch sind (Windbichler § 19 Rdn 14, 40), besteht durchaus ein Interesse an der zusätzlichen Mitteilung; dem Gesetzeswortlaut ist zu folgen.91 Besteht eine Mitteilungspflicht nach Abs 3, sind stets auch die Voraussetzungen des Abs 1 erfüllt. Eine einheitliche Mitteilung genügt, es ist aber klarzustellen, nach welchen Vorschriften (Abs 1 und 3) sie erfolgt.92 Eine Aufspaltung in der Weise, dass das Unternehmen zwar nach
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87 KonTraG 1998; in der Hauptversammlung einer börsennotierten Gesellschaft kann ein Unternehmen, dem die wechselseitige Beteiligung gem Abs 1 (der auf § 20 Abs 3 verweist) bekannt ist, sein Stimmrecht zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern nicht ausüben; s auch Windbichler § 19 Rdn 3 f. 88 Eine Mitteilung nach § 21 WpHG soll daher für § 328 Abs 2 genügen, wenn sie inhaltlich genau genug ist, MünchKomm/Grunewald4 § 328 Rdn 5 mwN. 89 Geßler/Geßler Rdn 27. 90 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 25; MünchKomm/Bayer4 Rdn 22; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 26. 91 IE ebenso mit anderer Begründung KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 34. 92 BGHZ 114, 203, 215; allgM, Geßler/Geßler Rdn 29; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 25; Schmidt/Lutter/ Veil3 Rdn 27.
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Abs 3 mitteilt (zB wegen der Folgen des § 328), nicht aber nach Abs 1, um unter Inkaufnahme der Folge des Rechtsverlustes nach Abs 7 die Veröffentlichung nach Abs 6 zu vermeiden, ist nicht möglich (Rdn 44). Hat die beteiligte Kapitalgesellschaft zunächst die Viertelbeteiligung unter Anwendung des Abs 2 überschritten und die Mitteilung nach Abs 1 gemacht, ist eine weitere Mitteilung nach Abs 3 erforderlich, sobald sich die entsprechende Beteiligung auch ohne Heranziehung des Abs 2 ergibt (Rdn 53). V. Mehrheitsbeteiligung (Abs 4) 36
Nach Abs 4 sind Mehrheitsbeteiligungen an den in Abs 1 bezeichneten Unternehmen mitzuteilen. Das entspricht der besonderen Bedeutung dieser Form der Unternehmensverbindung, insbesondere als Auslöser der Abhängigkeitsvermutung nach § 17 Abs 2. Verpflichtet sind wiederum Unternehmen ohne Rücksicht auf Rechtsform und Sitz (Rdn 16). Es ist nicht nur die Anteilsmehrheit, sondern auch die Stimmrechtsmehrheit erfasst, wie sich aus der Verweisung auf § 16 Abs 1 ergibt. Für die Bestimmung der Anteils- oder Stimmrechtsmehrheit gilt § 16 insgesamt trotz der gesetzestechnisch irritierenden Verweisung nur auf § 16 Abs 1.93 Damit werden bei der Berechnungsgrundlage für die Anteilsmehrheit eigene Anteile und Anteile, die einem anderen für Rechnung des Unternehmens gehören, gemäß § 16 Abs 2 Satz 2 und 3 abgezogen; die Zurechnungsregeln des § 16 kommen zur Anwendung, nicht dagegen Abs 2.94 Die Abweichung zu Abs 1 Satz 2 und § 19 Abs 1 Satz 2 lässt sich mit den für die dortige Einschränkung vorgebrachten Gründen, die ihrerseits nicht außer Zweifel stehen (Rdn 26, Windbichler § 19 Rdn 17), kaum vereinbaren. Gleichwohl ist damit und mit der Nichtanwendung des Abs 2 immerhin der Gleichlauf mit § 16 und den daran anknüpfenden Vorschriften hergestellt.95 Eine Stimmrechtsmehrheit kann nicht unter Verweis auf den Stimmrechtsverlust nach Abs 7 verneint werden. Das wäre zirkulär, die Verhältnisse müssen zunächst ohne die spezielle Rechtsfolge betrachtet werden (vgl Windbichler § 16 Rdn 35, § 19 Rdn 30). VI. Reduktion und Wegfall der Beteiligung (Abs 5)
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1. Veränderung der Beteiligung. Auch das Absinken einer Beteiligung unter die in Abs 1, 3 oder 4 genannten Schwellen ist mitteilungspflichtig. Dafür sind verschiedene Fallkonstellationen denkbar. Wird eine Beteiligung, die unter Abs 3 fällt, in der Weise reduziert, dass unter Inanspruchnahme der Zurechnung nach Abs 2 eine mitteilungspflichtige Beteiligung nach Abs 1 verbleibt, besteht die Mitteilungspflicht. Eine Mehrheitsbeteiligung kann auf die dann ihrerseits mitteilungspflichtige Überschreitung der Viertelbeteiligung reduziert werden.96 Veränderungen im Rahmen des Abs 4, zB dass statt Anteils- und Stimmrechtsmehrheit nur noch Anteilsmehrheit besteht oder umgekehrt, müssen nicht mitgeteilt werden. Der Gesetzeswortlaut geht von einer Mehrheitsbeteiligung aus. Mitteilungspflichtig ist das Unternehmen, das den Bestand der Beteiligung nach Abs 1, 3 oder 4 gemeldet hat.97 Die Pflicht besteht unabhängig davon, ob ein anderes Unternehmen durch Erwerb mitteilungspflichtig geworden ist.
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93 AllgM, Bernhardt BB 1966, 678, 680 f; Geßler/Geßler Rdn 34 ff; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 20; MünchKomm/Bayer4 Rdn 25; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 29. 94 Hüffer/Koch11 Rdn 6; MünchKomm/Bayer4 Rdn 25; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 29; Spindler/Stilz/ Petersen3 Rdn 18. 95 Geßler/Geßler Rdn 36 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 20. 96 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 29. 97 Geßler/Geßler Rdn 42.
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Nach hM ist eine Mitteilung nach Abs 5 auch dann erforderlich, wenn die zuvor 38 erforderliche Mitteilung der Beteiligung unterblieben ist. Dafür spricht der Gesetzeswortlaut.98 Eines Vergleichs mit § 15 Abs 1 HGB99 bedarf es nicht, zumal es keine entsprechenden Publizitätsfolgen gibt. Der Gesetzeszweck, sich anbahnende Machtpositionen offenbar zu machen, erfordert zwar keine Angaben für die Vergangenheit,100 ein nachträgliches Interesse ist gleichwohl nicht auszuschließen.101 Entscheidend für die Anwendbarkeit der Norm ist das aber nicht. Mitteilungspflichtig ist das Unternehmen, das den Bestand der Beteiligung nach Abs 1, 3 oder 4 hätte melden müssen. Die Rechtsfolgen des Abs 7 entfallen mit Unterschreiten der mitteilungspflichtigen Beteiligungsschwelle,102 sind also nicht von Abs 5 abhängig.103 2. Veränderung sonstiger Tatbestandsmerkmale. § 20 ist auf Veränderungen des 39 Aktionärskreises durch Erwerb und Veräußerung von Aktien ausgerichtet. Dadurch, dass nur Unternehmen Normadressaten sind und verschiedene Zurechnungen die direkte Anteilsinhaberschaft ergänzen, können auch Veränderungen in diesem Bereich bei gleichbleibenden Mitgliedschaftsverhältnissen dazu führen, dass die Tatbestandsmerkmale einer Mitteilungspflicht nicht mehr erfüllt sind. Dem Gesetzeswortlaut nach bezieht sich Abs 5 nur auf die Beteiligungshöhe.104 Das führt zu wenig plausiblen Ergebnissen, da zB eine unrichtig gewordene Bekanntmachung in der Welt bleibt und die Gesellschaft ein Interesse an der Information über den Wegfall der Voraussetzungen haben kann. Unproblematisch ist der Fall, dass die Anwendbarkeit des gesamten § 20 durch Börsengang der Gesellschaft entfällt (Abs 8); dann greift § 21 Abs 1a WpHG; zum Delisting s Rdn 17. Entfällt die Unternehmenseigenschaft des zuvor Meldepflichtigen, entfällt ebenfalls die Anwendbarkeit des Abs 5. Angesichts der zahlreichen Unstimmigkeiten im Bereich der aktienrechtlichen Mitteilungspflichten erscheint eine andere als wortlautgetreue Lesart ausgeschlossen (vgl Rdn 38).105 Das hindert aber nicht, den Wegfall des jeweiligen Mitteilungstatbestandes freiwillig mitzuteilen und, mit Einverständnis des (nicht mehr) Mitteilungspflichtigen, bekannt zu machen.106 Die praktische Relevanz der Frage ist begrenzt, da die Fälle selten sein dürften und keine Sanktion nach Abs 7 droht. VII. Einzelheiten zur Mitteilung 1. Mitteilungspflichtiger und -empfänger. Zur Mitteilung verpflichtetes Unter- 40 nehmen ist dasjenige, das selbst die Beteiligung hält oder dem nach Abs 1 Satz 2, Abs 2 Anteile zuzurechnen sind, im Fall des Abs 5 das Unternehmen, das die vorangegangene
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98 Bürgers/Körber/Becker3 Rdn 19. 99 So Hüffer/Koch11 Rdn 7. 100 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 21, der deshalb eine Mitteilungspflicht nach Abs 5 ohne vorangegangene Mitteilung ablehnt; so auch die früher hM einschließlich 4. Aufl Windbichler Rdn 37. 101 Auf die Interessenlage abstellend Grigoleit/Rachlitz Rdn 11; Münch/Komm/Bayer4 Rdn 26; Schmidt/ Lutter/Veil3 Rdn 31. 102 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 50; – aA Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbHKonzernR7 Rdn 16a; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 51 unter Berufung auf eine nicht überzeugende Entscheidung des LG München II im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. 103 AllgM; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 29; Geßler/Geßler Rdn 43; Hüffer/Koch11 Rdn 7; MünchKomm/Bayer4 Rdn 26 aE, 41; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 31. 104 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 29; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 20. 105 AA Grigoleit/Rachlitz Rdn 11; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 21, vgl aber Rdn 31; auch noch 4. Aufl Windbichler Rdn 39. 106 Zu freiwilligen Bekanntmachungen Röhricht/Schall § 23 Rdn 168 f, § 25 Rdn 5 f.
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Mitteilung gemacht hat (Rdn 37). Werden Beteiligungen eines Unternehmens, die selbst einen Tatbestand der Abs 1 bis 4 erfüllen, einem anderen zugerechnet, sind beide mitteilungspflichtig (Rdn 53). Welche Person oder Personen dafür zuständig sind, richtet sich nach der Organisation im Innenverhältnis und der Vertretungsmacht nach außen (geschäftsähnliche Handlung, Rdn 9 aE). Die Frage nach der Unternehmenseigenschaft, der Rechtsträgerschaft von Personenmehrheiten und der Zurechnung sowohl von Unternehmensmerkmalen als auch von Beteiligungen sind hier ggf zu klären.107 Ein Nachweis der mitgeteilten Beteiligung ist nicht erforderlich,108 die Empfängergesellschaft kann diesen aber nach § 22 verlangen. Adressat ist nur die Gesellschaft iSd Abs 1, an der die Beteiligung besteht. Empfangszuständig ist der Vorstand bzw Komplementär bei der KGaA, der dann die weiteren Schritte der Bekanntmachung und gegebenenfalls Rückfrage nach § 22 veranlasst. Eine registergerichtliche oder behördliche Kontrolle wie nach WpHG gibt es nicht (vgl auch Rdn 9). 2. Form, Inhalt und Zeitpunkt der Mitteilung 41
a) Alle Mitteilungen nach § 20 bedürfen der Schriftform. Damit ist implizit auf § 126 Abs 1 BGB verwiesen; Textform (§ 126b BGB), mündliche, telefonische oder telegrafische Übermittlung genügen nicht.109 Elektronische Übermittlung genügt nur mit qualifizierter elektronischer Signatur (§ 126a BGB). Ob Fernkopie (Telefax) ausreicht, ist nach dem Schutzzweck der Norm zu entscheiden.110 Da es hier nicht um eine Warnung vor einem gefährlichen Rechtsgeschäft (vgl Bürgschaft), sondern um ein formales Verfahren zur Wahrung mitgliedschaftlicher Rechte (Abs 7) geht, liegt die Rechtsprechung zum Prozessrecht näher, so dass die Formen, die ein im Original unterschriebenes Schriftstück dem Empfänger übermitteln und dessen Dokumentationsinteressen genügen, ausreichen.111 Eine eingescannte Unterschrift soll nach OLG Schleswig nicht genügen;112 bei Telefax und Computerfax wird das aber schwer festzustellen sein. Praktisch verbreitet ist die Übermittlung von Schriftstücken per Telefax und gleichzeitiger Versendung des Originals per Briefpost.
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b) Der notwendige Inhalt der Mitteilung ergibt sich teilweise unmittelbar aus dem Gesetz, eine spezielle Regelung besteht jedoch nicht. Gerade im Zusammenhang mit Zurechnungen treten aber Zweifelsfragen auf. Auf jeden Fall muss die Identität des mitteilenden Unternehmens ersichtlich sein, typischerweise gekennzeichnet durch Name bzw Firma und Anschrift. Insbesondere bei der Bündelung mehrerer Mitteilungen und Vertreterhandeln besteht die Gefahr von Unklarheiten (unten Rdn 53), die der Mitteilung die rechtliche Wirkung nehmen.113 Die Gesellschaft, die Adressat ist, ist nicht verpflich-
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107 Oben Rdn 16, 26; speziell zu BGB-Gesellschaften BGHZ 114, 203 = NJW 1991, 2765, 2766; Geßler/ Geßler Rdn 4 ff; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 40; zu wirtschaftlich verflochtenen Familienmitgliedern Wolframm Mitteilungspflichten, 1998, S 79 ff, 129 ff. 108 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 27. 109 BGHZ 24, 297, 300. 110 ZB BGHZ 121, 224, 229: Telefax für Bürgschaftserklärung nicht ausreichend; Einreichung bestimmender Schriftsätze durch Telefax einschließlich Computerfax BGHZ 144, 160, 164 = NJW 2000, 2340 mwN. 111 Happ FS K Schmidt, 2009, S 454, 551 f; Hüffer/Koch11 Rdn 8; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 30; MünchKomm/Bayer4 Rdn 35; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 12; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 22; – für die Meldungen nach § 21 WpHG genügt gem § 18 WpAIV die Übermittlung per Telefax oder ein von der BaFin zur Verfügung gestelltes elektronisches Verfahren. 112 OLG Schleswig 31.5.2007 – 5 U 177/06, ZIP 2007, 2214, 2215 r Sp; in der nachfolgenden Entscheidung BGH 20.4.2009 – II ZR 148/07, NZG 2009, 827 nicht relevant. 113 BGHZ 114, 203, 215 ff.
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tet, aus eigener Kenntnis Richtigstellungen vorzunehmen;114 eine unzureichende Mitteilung löst keine Bekanntmachungspflicht aus, selbst wenn die erforderlichen Informationen aus anderer Quelle vorliegen (Rdn 57). Die Mitteilung kann mit anderen Erklärungen verbunden werden, zB einem Übertragungsverlangen (§ 327a) oder Mitteilung zur Eintragung im Aktienbuch (§ 67 Abs 1 Satz 2).115 Streitig ist dabei aber, inwieweit die Mitteilung nach § 20 als solche kenntlich sein muss,116 denn Kenntnis der Gesellschaft aus anderen Quellen ersetzt die Meldung nicht (Rdn 54). Zu verlangen ist jedenfalls, dass aus der Mitteilung die jeweils maßgeblichen Tatbestände des § 20 Abs 1, 3 bis 5 klar hervorgehen und die Bekanntmachung nach Abs 6 ermöglicht.117 Die nötige Klarheit ist hingegen nicht beeinträchtigt, wenn ein Unternehmen bei 43 Streit oder Ungewissheit über seine Unternehmenseigenschaft oder um Zurechnungstatbestände die Mitteilung nur vorsorglich macht, um die Rechtsfolgen des Abs 7 in jedem Fall zu vermeiden. In der Rechtsprechung wurde auf diese Möglichkeit sogar ausdrücklich hingewiesen.118 Vorsicht ist jedoch geboten bei vorsorglichem Nebeneinandersetzen verschiedener Konstellationen, die dann die vom BGH beanstandete Verwirrung stiften.119 Auch eine vorsorgliche Mitteilung löst die Bekanntmachungspflicht nach Abs 6 aus (Rdn 57). Die genaue Beteiligungshöhe braucht nicht angegeben zu werden, sondern nur die 44 jeweils überschrittene oder unterschrittene Schwelle; ebensowenig müssen Erwerbsart und -zeitpunkt genannt werden.120 Es muss erkennbar sein, welcher Vorschrift (Abs 1, 3, 4 oder 5) die Mitteilung genügen soll (Rdn 42); die unmittelbare Benennung ist jedenfalls hilfreich. Schädlich ist dagegen eine Verwirrung stiftende Kumulation durch Aufzählung (Rdn 43). Im Fall der Mitteilung nach Abs 4 braucht nicht spezifiziert zu werden, ob es sich um eine Stimmrechts- oder Anteilsmehrheit handelt.121 Auf eine vorangegangene Mitteilung kann Bezug genommen werden, wenn nach Abs 5 der Wegfall des Beteiligungstatbestandes angezeigt wird (Rdn 37). Dabei ist die Reichweite der einzelnen Tatbestände entscheidend. Wird etwa der Wegfall einer Sperrminorität nach Abs 3 im Rahmen des Abs 5 mitgeteilt, schließt das die Rücknahme der Mitteilung nach Abs 1 nicht ein. Entsprechendes gilt für die Nachricht, eine Mehrheitsbeteiligung nach Abs 4 bestehe nicht mehr.122 Eine Mitteilung nach Abs 3 schließt begriffsnotwendig diejenige nach Abs 1 ein (Rdn 35). Für die Mehrheitsbeteiligung, Abs 4, gilt das nicht, da eine Stimmrechtsmehrheit das Überschreiten der Viertelbeteiligung bei den Anteilen nicht voraussetzt. Solche Fälle dürften jedoch selten sein und angesichts § 5 EGAktG noch seltener werden. Es ist nicht erforderlich, dass der Mitteilung nach Abs 4 eine solche nach Abs 1 voraus-
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114 KG ZIP 1990, 925, 926 f betr Umschreibungsantrag bei Namensaktien. 115 Vgl OLG München 6.7.2011 – 7 AktG 1/11, ZIP 2011, 2199, 2201; OLG München 28.7.2010 – 7 AktG 2/10, WM 2010, 1859; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 33a. 116 Gegen „Inzidentmitteilungen“ Burgard WM 2012, 1937, 1941; kritisch auch MünchKomm/Bayer4 Rdn 31; vgl auch KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 23, jeweils unter Berufung auf KG 14.6.1990 – 2 W 1088/90, ZIP 1990, 925, 926 f; die Entscheidung behandelt die Frage nur obiter unter dem Gesichtspunkt, ob die Mitteilungspflicht bei vinkulierten Aktien a limine entfalle, und dürfte überholt sein. 117 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 33; Hüffer/Koch11 Rdn 8; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 25; ähnlich MünchKomm/Bayer4 Rdn 32 f. 118 BGHZ 114, 203, 217; KG ZIP 1990, 925, 927. 119 In BGHZ 114, 203, 214 ff handelte es sich um ein Bündel von vorsorglichen Mitteilungen, s Fn 127. 120 HM, Bernhardt BB 1966, 678, 682; Geßler/Geßler Rdn 50; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 26; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 127; MünchKomm/Bayer4 Rdn 31; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 9; – vgl auch § 328 Abs 4, der die Angabe der Beteiligungshöhe verlangt und den Gegenschluss für § 20 zulässt; anders § 21 Abs 1 WpHG idF der Anlage zu § 17 Abs 1–3 WpAIV. 121 Geßler/Geßler Rdn 39 ff; 3. Aufl Würdinger Anm 8 aE; s auch Rdn 36. 122 Geßler/Geßler Rdn 49.
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ging; ob die Mehrheitsbeteiligung iSd Abs 4 das Überschreiten der Viertelbeteiligung iSd Abs 1 oder 3 einschließt, bedarf der Klarstellung.123 c) Fraglich ist ferner, ob und in welchem Umfang Zurechnungen anzugeben sind. Bei einer Mitteilung nach Abs 3 ist jedenfalls klar, dass keine Zurechnungen nach Abs 2 erfolgt sind. Nach dem Gesetzeswortlaut ist eine Offenlegung von Zurechnungen nach Abs 1 Satz 2 iVm § 16 Abs 4 oder Abs 2 sowie die Benennung beteiligter Unternehmen oder Personen und des auf sie entfallenden Aktienbestands nicht notwendig.124 Beim Zusammentreffen mehrerer Mitteilungstatbestände und -verpflichteten (Rdn 53) können Hinweise auf Zurechnungen zur Klarstellung erforderlich sein (Rdn 47). Wenn das mitteilungspflichtige Unternehmen das für tunlich hält, kann es detailliertere Informationen geben als zwingend notwendig, solange die notwendige Verständlichkeit erhalten bleibt. Die Mitteilung muss jedenfalls als Grundlage für die Bekanntmachung geeignet sein (Rdn 42, 57). Ein Anhaltspunkt für den Mitteilungsinhalt sind die nachfolgenden Pflichten der 46 Gesellschaft zur Bekanntmachung nach Abs 6 und Aufnahme in den Anhang nach § 160 Abs 1 Nr 8. Danach ist anzugeben, wem die Beteiligung gehört. Da die Zurechnungen den Begriff des „Gehörens“ ausweiten, lässt sich daraus keine Erweiterung der notwendigen Angaben über das mitteilende Unternehmen hinaus herleiten.125 Ausgehend davon, dass die Duldung der Bekanntmachung eine mitgliedschaftliche Pflicht ist, die die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale der Mitteilungspflicht voraussetzt, sind solche Aktionäre, deren Anteile zwar anderen zugerechnet werden, die selbst aber nicht unter die Mitteilungspflicht fallen, davon nicht belastet. Privatpersonen, denen keine Unternehmenseigenschaft zukommt, oder Anteilsinhabern von weniger als einer Sperrminorität erlegt § 20 keine Pflichten auf, sie brauchen sich daher auch nicht in der Mitteilung eines Unternehmens benennen und nachfolgend bekanntmachen zu lassen. Auch die Offenlegung von Abhängigkeitsverhältnissen zum Zweck der Zurechnung ist vom Normzweck des § 20 nicht gedeckt. Dem Informationsbedarf bei der Gesellschaft, der insbesondere bei komplizierten Verhältnissen hoch sein kann, genügt § 22. Die Angabe von Zurechnungen allgemein – ohne Nennung der Beteiligten und des 47 Zurechnungsgrundes – ist dagegen aus Klarheitsgründen erforderlich, vor allem wenn die Gesellschaft mit mehreren, sich überschneidenden Mitteilungen rechnen muss oder der Wegfall von Zurechnungsvoraussetzungen zur Mitteilung nach Abs 5 führt.126 Die Entscheidung des BGH, die vor allem unklare Zurechnungsverhältnisse bei der Mitteilung bemängelte, steht damit in Einklang.127 Dort ging es vor allem darum, dass eine abgegebene Mitteilung nicht erkennen ließ, welche Art der Beteiligung (nach Abs 1, 3 oder 4) wem als Mitteilungspflichtigem zuzuordnen war. Eine allgemeine Aussage, dass Treuhandverhältnisse umfassend offengelegt werden müssten, lässt sich daraus nicht herleiten. 45
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123 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 25; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 128. 124 Bernhardt BB 1966, 678, 682; Grigoleit/Rachlitz Rdn 17; MünchKomm/Bayer4 Rdn 31; ähnlich 3. Aufl Würdinger Anm 8; kritisch Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 9. 125 Vgl Geßler/Geßler Rdn 56; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 36, 43; jeweils zur gleichgelagerten Frage der Bekanntmachung. 126 Geßler/Geßler Rdn 50, 52; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 33a; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 43; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 26; für Klarstellung bei sich überschneidenden Mitteilungspflichten MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 128; MünchKomm/Bayer4 Rdn 31, 34; – aA Bürgers/Körber/Becker3 Rdn 21 (mit Fehlzitat 4. Aufl Windbichler Rdn 45). 127 BGHZ 114, 203, 217; Der weitergehende Schluss bei Emmerich/Sonnenschein KonzernR5 § 6 IV 1 a bb aE, dass auch die Zurechnungsgrundlagen mitgeteilt und bekanntgemacht werden müssten, lässt sich aus der Entscheidung nicht herleiten, findet in späteren Auflagen auch keine Erwähnung mehr.
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d) Der maßgebliche Zeitpunkt für die pflichtgemäße Mitteilung lässt sich nicht in einer genau umrissenen Frist festlegen;128 sie hat unverzüglich zu erfolgen, sobald der mitteilungspflichtige Tatbestand eingetreten ist. Das ist zumeist Aktienerwerb oder -veräußerung, kann aber auch Eintritt der Unternehmenseigenschaft oder eines Zurechnungsgrundes sein (Rdn 22, 26 ff). Beim Erwerb kann je nach der gewählten Gestaltung schon vor Abschluss des eigentlichen Erwerbsvorgangs ein Zurechnungsfall iSd Abs 1 Satz 2 iVm § 16 Abs 4 eintreten, etwa mit Ausführung eines Einkaufsauftrags bis zur Ausführungsanzeige (§ 384 Abs 2 HGB) oder Absendung des Stückeverzeichnisses (§ 18 Abs 3 DepotG).129 In anderen Zurechnungsfällen, zB bei Erwerb durch Tochtergesellschaften, erlangt das Unternehmen möglicherweise erst nachträglich Kenntnis vom Eintritt seiner Mitteilungspflicht. Die Bezeichnung „unverzüglich“ verweist auf § 121 Abs 1 Satz 1 BGB und bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern“. Das darin enthaltene Verschuldenselement ist in Einzelheiten umstritten.130 Die praktische Bedeutung ist beträchtlich, da die Rechtsfolgen einschneidend und die Tatbestandsmerkmale wie Unternehmenseigenschaft, Halten für Rechnung, Erwerbs- und Veräußerungstatbestände bei Tochter- und Enkelgesellschaften etc oft mit Ungewissheiten behaftet sind.131 Im Gegensatz zu § 121 Abs 1 Satz 1 BGB ist hier keine Überlegungsfrist ab Kenntnis des rechts- bzw pflichtenbegründenden Sachverhaltes eingeräumt. Die sanktionierte Obliegenheit besteht, wenn das Unternehmen den Sachverhalt kennt oder kennen muss. Im Übrigen ist ein angemessenes Übermittlungsmedium zu wählen (Rdn 41). Entscheidend ist daher, wann fahrlässige Unkenntnis – Kennenmüssen – vorliegt. Nur in Ausnahmefällen wird sich ein Unternehmen auf Rechtsirrtum berufen können,132 zumal wenn die Gesellschaft selbst von einer mitteilungspflichtigen Beteiligung ausgeht und die Möglichkeit der vorsorglichen Mitteilung besteht. Die oben (Rdn 48 aE) erwähnten Fälle des Eintritts des mitteilungspflichtigen Beteiligungstatbestands vor dem eigentlichen Aktienerwerb (Abs 2) dürften kaum praktische Probleme aufwerfen, da es sich jedenfalls bei regulärem, nicht zu Verschleierungszwecken instrumentalisiertem Erwerb nur um sehr kurze Zeiträume handeln wird. Auch die Zurechnung von Aktien, die für Rechnung des Unternehmens gehalten werden, beruht in aller Regel auf einer Vereinbarung, an der das Unternehmen beteiligt und somit informiert ist.133 Schwierigkeiten können dagegen die von abhängigen Unternehmen und für deren Rechnung gehaltenen Aktien sowie die Erwerbsrechte und Abnahmeverpflichtungen dieser Unternehmen machen. Der Erwerb einer Splitterbeteiligung durch ein (mittelbar) abhängiges Unternehmen kann unbemerkt zur Mitteilungspflicht des herrschenden Unternehmens führen, wenn
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128 Anders § 21 Abs Satz 1 WpHG: unverzüglich, spätestens innerhalb von vier Handelstagen; eine Auslegungshilfe für § 20 ist daraus nicht zu entnehmen; aA Grigoleit/Rachlitz Rdn 16; Emmerich/ Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 32a. 129 Vgl BGHZ 114, 203 unter 4. = NJW 1991, 2765, 2767. 130 Die frühere Ansicht, die Mitteilungspflicht sei rein objektiv zu bestimmen, ist überholt; dazu KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 51; Mülbert FS K Schmidt, 2009, S 1219, 1229 ff. 131 Happ FS K Schmidt, 2009, S 545, 547; Mülbert FS K Schmidt, 2009, S 1219, 1234 zum Rechtsirrtum; vgl auch Fleischer/Bedkowski DStR 2010, 933, 937; Schmidt/Lutter/Veil3 Anh § 22: § 28 WpHG Rdn 2; v Bülow/Petersen NZG 2009, 1373, 1376 f; jeweils zum ähnlich gelagerten Problem im Kapitalmarktrecht. 132 KG ZIP 1990, 925, 927; Hüffer/Koch11 Rdn 11; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 54; enger Spindler/Stilz/ Petersen3 Rdn 40: nur unvermeidbarer Rechtsirrtum relevant; großzügiger Mülbert FS K Schmidt, 2009, S 1219, 1234; die frühere Diskussion betraf den Zeitraum, indem die Unternehmenseigenschaft der öffentlichen Hand, mithin deren Mitteilungspflichten, umstritten waren, KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 51 zu BGHZ 69, 334 (VEBA/Gelsenberg); vgl auch Haertlein ZHR 168 (2004) 437, 453 ff. 133 Vgl den Sachverhalt in OLG Schleswig 8.12.2005 – 5 U 57/04 Rdn 118 ff (juris) (Mobilcom) zu § 28 WpHG; in BGHZ 114, 203 hatte der Aktionär selbst die unübersichtliche Lage geschaffen.
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dieses bereits Aktien derselben Gesellschaft hält, zumal der Abhängigkeitstatbestand keine konkrete Einflussnahme oder Überwachung voraussetzt (Windbichler § 17 Rdn 19). Das gilt vor allem dann, wenn die Beteiligung des abhängigen Unternehmens selbst keine Schwelle für eine Mitteilungspflicht (Rdn 10 ff, § 21) überschreitet. Der beherrschende Einfluss wird zwar in aller Regel die Möglichkeit eröffnen, unmittelbare und mittelbare Aktienbestände bei abhängigen Unternehmen zu ermitteln; eine explizite Auskunftspflicht haben diese jedoch nicht. Es gelten die jeweils rechtsformspezifischen allgemeinen Regeln (zB § 51a GmbHG); § 294 Abs 3 Satz 2 HGB ist nicht anwendbar.134 Aus einer rechtlichen oder tatsächlichen Einflussmöglichkeit allein folgt aber keine Rechtspflicht zu deren Einsatz in einem bestimmten Sinn.135 Eine Nachforschungspflicht kann angesichts des rechtlichen Umfeldes (Rdn 4 f, 8) nicht ohne Differenzierung auf § 20 selbst gestützt werden. Es kommt darauf an, wie die Einflussmöglichkeiten in der Unternehmensgruppe umgesetzt werden. Wählt das herrschende Unternehmen im Rahmen der Organisationsautonomie (Windbichler Vor §§ 15ff Rdn 17 aE, 42) eine dichte Integration, insbesondere einheitliche Leitung und damit eine Konzernbindung, kann es die aufgebaute Informationsdichte nicht leugnen, wenn es um die eigene Belastung mit Pflichten geht.136 Praktisch dürfte in vielen Fällen der interne Informationsfluss zum Zweck der Konzernrechnungslegung und des konzernweiten Risikomanagements genügen. Rechtlich gesichert ist der Kenntnisstand hinsichtlich der Zurechnungsfälle damit aber nicht. Mittelbar schafft die Sanktion des Abs 7, die auch die Rechte aus zugerechneten Anteilen erfasst (Rdn 68 f), einen Anreiz, für Klarheit zu sorgen. Dass die internen Verhältnisse und weiteren Beteiligungen des Unternehmens der Beteiligungsgesellschaft ggf unbekannt und für diese schwer festzustellen sind, ist in der Beweislastverteilung zu berücksichtigen (Rdn 87). 52 Die Anwendung des § 20 auf die Vor-AG ist im Wesentlichen ein Problem des Zeitpunktes (Rdn 19). Die Mitteilungspflichten bestehen ab Eintragung der Gesellschaft; auf die Art des Beteiligungserwerbs (Aktienzeichnung) kommt es nicht an (Rdn 22). Auch bei Umwandlung löst erst die Eintragung ins Handelsregister die Mitteilungspflicht aus. Es spricht jedoch nichts dagegen, die Erfüllung der mitgliedschaftlichen Obliegenheit zur Aufdeckung von Beteiligungen vorzeitig, nur durch die Eintragung aufschiebend bedingt, zuzulassen. Auch ein Erwerber von Bezugsrechten (Rdn 30) kann bereits die zu erwartende Beteiligung mitteilen. 53
3. Mehrere Mitteilungstatbestände und Verpflichtete. Die Zurechnung von Anteilen bewirkt keine Entlastung des unmittelbaren Anteilsinhabers. Ein abhängiges Unternehmen, Treugeber oder (Noch-)Inhaber bei Abs 2 bleibt zur eigenständigen Mitteilung
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134 Windbichler FS Peltzer, 2001, S 629, 634 f; Fleischer ZGR 2009, 505, 530 ff; Spindler/Stilz/Fleischer3 § 90 Rdn 30; Kort § 90 Rdn 66a, 72 ff; für eine Analogie zu § 294 Abs 3 HGB UH Schneider FS Brandner, 1996, S 565, 573 f, dort mit dem öffentlichrechtlichen Charakter der kapitalmarktrechtlichen Meldepflichten argumentierend; zu Informationspflichten abhängiger Unternehmen aus Treuepflicht gegenüber dem beteiligten herrschenden Unternehmen UH Schneider/Burgard FS Ulmer, 2003, S 579, 597 ff; ähnlich KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 55; Wittmann Informationsfluss im Konzern, 2008, S 86 ff, 107; vgl dagegen noch den vehementen Angriff von Flume Grundfragen der Aktienrechtsreform, 1960, S 38 gegen die Einbeziehung schlicht abhängiger Unternehmen in die Publizität. 135 Windbichler Arbeitsrecht, S 157 f; aA Hommelhoff Konzernleitungspflicht, S 71 ff, 77. 136 Zur Kongruenz der Reichweite von Pflichtbindungen mit der Integrationsdichte im Konzern Windbichler Arbeitsrecht, S 339 f; von einer derartigen dichten Integration kann in den Sachverhalten, die der Rechtsprechung zum Auskunftsrecht nach § 131 Abs 1 zugrunde lagen, BayObLG ZIP 1996, 1743; KG ZIP 1995, 1585, 1590 (Allianz), ZIP 1995, 1592 (Siemens), ausgegangen werden; zur Auswirkung der Stimmrechtsbündelung – auch eine autonome Organisationsmaßnahme – auf die Treuepflicht BGHZ 129, 136 (Girmes).
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verpflichtet, soweit bei ihm die Voraussetzungen erfüllt sind.137 Dass es auf diese Weise zu sich überschneidenden Mitteilungen kommen kann, die sich auf dieselben Aktien beziehen, ja auch mehrere Mehrheitsbeteiligungen angezeigt werden können, steht nicht entgegen, zumal es auf mit der Beteiligung verbundene Zwecke nicht ankommt (Rdn 21). Verwirrung ist nicht ausgeschlossen, aber dass die gesetzlichen Tatbestände zu solchen Situationen führen können, ist bekannt;138 die Gesellschaft kann sich mit Hilfe des § 22 nähere Aufklärung verschaffen. Die Mitteilung muss jedoch klarstellen, für wen sie erfolgt139 (Rdn 42) und die Tatsache enthalten, dass Zurechnungen vorgenommen wurden (Rdn 45 ff). Eine Vorschrift entsprechend § 24 WpHG, die die Befreiung von Mitteilungspflichten der Tochterunternehmen durch Erfüllung der Meldepflicht durch das Mutterunternehmen vorsieht, enthält das AktG nicht. Die damit angestrebte Vermeidung von Mehrfachmitteilungen lässt sich aber auch durch Bündelung und rechtsgeschäftliche Vertretung (Rdn 9, 40) erreichen, solange nur die Mitteilungspflichten und die einzelnen Mitteilungen klar identifizierbar sind. 4. Entbehrlichkeit in besonderen Fällen? Die Mitteilungspflichten und damit 54 die Rechtsfolgen im Fall der Nichterfüllung entfallen nicht dadurch, dass der Gesellschaft die Beteiligung schon auf anderem Wege bekannt oder in anderem rechtlichen Zusammenhang offenbart wurde;140 die Gesellschaft hat grundsätzlich keine Nachforschungspflicht.141 Auch der Alleinaktionär ist grundsätzlich mitteilungspflichtig;142 nur bei direkter Alleinbeteiligung ist zu erwägen, die Mitteilung als überflüssige Formalität zu betrachten, nicht aber für Zurechnungsfälle.143 Registerpublizität besteht nach § 42, für die die Anwendbarkeit von Zurechnungsregeln streitig ist.144 Im Fall der Neugründung kann das Gründungsprotokoll die Mitteilung nicht ersetzen (Rdn 19). Als enge Ausnahme kommen Emissionsunternehmen in Betracht, die bei Kapital- 55 erhöhungen mitwirken (§ 186 Abs 5) und dadurch vorübergehend mitteilungspflichtige Beteiligungsschwellen überschreiten. Nach Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung sind sie vollwertige Aktionäre, jedoch zur Weitergabe der jungen Aktien an die Bezugsberechtigten verpflichtet (Rdn 30, Windbichler § 16 Rdn 23). Da die Gewährung des mittelbaren Bezugsrechts ihrerseits im Rahmen des Kapitalerhöhungsverfahrens publik zu machen ist, erfordert der Gesetzeszweck die Mitteilung nicht, solange die Bezugsfrist noch offen ist oder Weisungen der Gesellschaft bezüglich der Begebung beste-
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137 Ganz hM, oben Rdn 27 f; BGHZ 114, 203, 217 = NJW 1991, 2765, 2767; BGH 24.7.2000 – II ZR 168/99, NZG 2000, 1220 m Anm Hägele; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 16; Grigoleit/Rachlitz Rdn 9; Hüffer/Koch11 Rdn 4; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 38; MünchKomm/Bayer4 Rdn 9; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 16; Windbichler § 16 Rdn 23. 138 Windbichler FS Kirchner, 2014, S 441. 139 Dem genügte die in BGHZ 114, 203, 205 wiedergegebene Mitteilung nicht. 140 AllgM, BGHZ 114, 203, 213; BGHZ 167, 204 Rz 13; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbHKonzernR7 Rdn 37; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 130; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 15. 141 OLG Stuttgart 21.12.2012 – 20 AktG 1/12 (juris) Rdn 162; Hüffer/Koch11 Rdn 9; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 84 aE (nur bei Verdachtsgründen); vgl auch Cahn Kapitalerhaltung im Konzern, 1998, S 190 ff, 225; anders Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 37 unter Berufung auf § 93 Abs 1; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 30; letztlich dürfte das eine Frage des Einzelfalles sein, Happ FS K Schmidt, 2009, S 454, 559. 142 Ehricke § 42 Rdn 48 aE; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 30a; Geßler/Geßler Rdn 47, 87; die Probleme auf der Sanktionsseite rechtfertigen keine Ausnahme, KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 80. 143 So etwa Grimm/Wenzel AG 2013, 274, 282. 144 Ehricke § 42 Rdn 47 f; Hüffer/Koch11 § 42 Rdn 4 mwN.
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hen (vgl Windbichler § 17 Rdn 72).145 Sobald die Emissionsbank jedoch frei ist, die ihr gehörenden jungen Aktien zu platzieren, zählen diese für die Mitteilungspflicht mit.146 Ergibt sich die Eigentümerposition ausschließlich aus wertpapierhandelstechnischen Gründen (Windbichler § 16 Rdn 23 aE), stellt sich ebenfalls die Frage nach einer Restriktion, wenn nur dadurch mitteilungspflichtige Beteiligungsschwellen überschritten werden. Ist die Wahrnehmung mitgliedschaftlicher Rechte durch den Treuhänder (Kreditinstitut, Broker) ausgeschlossen und dem Treugeber zugewiesen, kann damit eine absorbierende Zurechnung begründet werden. Mitteilungspflichten des formellen Eigentümers würden den Wertpapierhandel unnötig belasten und zu Mitteilungen je nach Bestand führen, die keine Aussagekraft iSd Gesetzeszwecks haben. Praktisch relevant werden kann diese Frage allerdings nur bei Gesellschaften, die nicht Emittenten iSd § 21 Abs 2 WpHG sind (Abs 8), zB nur im Freiverkehr notiert sind.147 Emissionsunternehmen, die nach WpHG meldepflichtig würden, hilft ggf § 23 WpHG. Vor der Abgrenzung in Abs 8 fanden die aktienrechtlichen und die kapitalmarkt56 rechtlichen Meldepflichten kumulativ Anwendung. Insofern war zu erwägen (und zu verwerfen), ob die Mitteilungen nach § 20 sich erübrigen, wenn nach § 23 WpHG aF Befreiung von den Meldepflichten erteilt wurde. Nunmehr fallen Emittenten iSd § 21 Abs 2 WpHG ganz aus dem Anwendungsbereich des § 20 heraus, selbst wenn im Einzelfall keine Mitteilungspflicht nach WpHG besteht. Im Hinblick auf Abs 3 und § 328 ist das misslich (vgl Rdn 33). Ausnahmen, die in anderen Gesetzen bezüglich vorübergehend oder treuhänderisch gehaltener Anteile gemacht werden, zB in § 37 Abs 3 GWB, haben keine Auswirkung auf die aktienrechtliche Mitteilungspflicht. VIII. Publizität 1. Bekanntmachung nach Abs 6 57
a) Die Bekanntmachungspflicht nach Abs 6 setzt voraus, dass der Gesellschaft eine Mitteilung, wenn auch nur eine vorsorgliche (Rdn 43), über eine Beteiligung nach Abs 1 oder 4 oder deren Entfallen zugegangen ist. Für Mitteilungen nach Abs 3 ist keine Bekanntmachung vorgesehen. Da diese aber notwendig die Mitteilung nach Abs 1 einschließen (Rdn 35, 44), ist eine Aufspaltung in der Weise, dass zur Vermeidung der Offenlegung nur nach Abs 3, nicht aber nach Abs 1 mitgeteilt wird, nicht möglich. Es genügt nicht, dass der Gesellschaft die Beteiligung auf andere Weise bekanntgeworden ist (Rdn 42); die Mitteilung ist formale Voraussetzung für die Bekanntmachungspflicht.148 Bei Kenntnis aus anderen Quellen als der Mitteilung nach § 20 wird überwiegend eine Bekanntmachungsbefugnis des Vorstands angenommen,149 jedenfalls wenn Konsens des beteiligten Unternehmens vorliege.150 Soweit dieser „Konsens“ bedeutet, dass das Unternehmen eine andere, formal und inhaltlich ausreichende Mittei-
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145 Grigoleit/Rachlitz Rdn 11 aE; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 24; Nodoushani WM 2008, 1571, 1676; vgl auch MünchKomm/Schürnbrand4 § 186 Rdn 161; aA wohl Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 18. 146 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 24; zur Beendigung der fremdnützigen Treuhand der Emissionsbank vgl BGHZ 118, 83 (BuM III). 147 Vgl OLG München 21.5.2008 – 31 Wx 62/07, NZG 2008, 755, 757 f. 148 BGHZ 114, 203, 215; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 32. 149 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 37; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 45; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 132; MünchKomm/Bayer4 Rdn 38; Quack FS Semler, 1993, S 581, 587; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 29; – aA Bürgers/Körber/Becker3 Rdn 23. 150 3. Aufl Würdinger Anm 8.
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lung auch als solche nach § 20 gelten lassen will, sind die Voraussetzungen nach Rdn 42, 53 erfüllt. Anderenfalls bedarf die Bekanntmachung der Legitimation.151 Eine in Anspruch genommene bloße Bekanntmachungsbefugnis genügt den Anforderungen des § 20 nicht.152 Sie ersetzt nicht die korrekte Mitteilung, zumal es nicht Aufgabe der Gesellschaft ist, über den Eintritt der Rechtsfolgen des Abs 7 zu disponieren. b) Der Inhalt der Bekanntmachung umfasst in jedem Fall die Identität des mittei- 58 lungspflichtigen Unternehmens und den Mitteilungstatbestand (Abs 1, 4 oder 5). Auch das Vorliegen von Zurechnungen sollte bekannt gemacht werden (zur Mitteilung Rdn 45 ff).153 Dafür spricht, dass damit der gegebenenfalls unzutreffende Eindruck einer direkten Beteiligung vermieden wird. Die Aktionäre, deren Aktien dem mitteilungspflichtigen Unternehmen zugerechnet werden, sind nicht bekanntzumachen (Rdn 46). Entsprechend ist die Bekanntmachung zu fassen, wenn sich am Aktienbestand nichts geändert hat, aber auf andere Weise die Voraussetzungen für eine Mitteilungspflicht nicht mehr erfüllt sind (Rdn 39). Es genügt die Bezugnahme auf die vorangegangene Bekanntmachung und die Feststellung, dass die Voraussetzungen für eine mitteilungspflichtige Beteiligung nicht mehr gegeben sind. c) Zeit und Ort der Bekanntmachung sind mit „unverzüglich in den Gesellschafts- 59 blättern“ umschrieben. „Unverzüglich“ bedeutet wiederum ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs 1 Satz 1 BGB). Da der Nachweis der Beteiligung nach § 22 weder für die Mitteilung noch für deren Bekanntmachung erforderlich ist, darf im Hinblick darauf die Bekanntmachung nicht verzögert werden.154 Rücksichtnahme auf Geheimhaltungswünsche des beteiligten Unternehmens wäre pflichtwidrig; eine derartige Einflussnahme des Aktionärs kann unter § 117 fallen. Die Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern erfolgt durch Einrückung im Bundesanzeiger (§ 25). Sieht die Satzung noch andere Publikationsorgane als Gesellschaftsblätter vor (§ 23 Abs 4), muss die Mitteilung satzungsgemäß auch dort veröffentlicht werden. d) Das Gesetz nennt keine besonderen Sanktionen für die Verletzung der Bekannt- 60 machungspflicht. Sie ist nicht ordnungswidrig wie die Stimmrechtsausübung entgegen Abs 7 (Rdn 84); auch die bilanzrechtlichen Sanktionen für fehlende oder unrichtige Angaben im Anhang (Rdn 61) greifen nicht ein. Für eine entsprechende Anwendung des Abs 7 bestehen keinerlei Ansatzpunkte. Der Vorstand kann nicht durch Zwangsgeld zur Bekanntmachung angehalten werden.155 Die Vorstandsmitglieder haften nach § 93 Abs 2, falls der Gesellschaft ein Schaden durch die Pflichtverletzung entstanden ist, der auch darin bestehen kann, dass die Gesellschaft in Anspruch genommen wird (Regress). Angesichts der allgemeinen Funktion der Publizität und des auch auf Unterrichtung der Öffentlichkeit ausgerichteten Normzwecks (Rdn 1, 4 f) ist Abs 6 nach hM Schutzgesetz iSd
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151 Vgl oben Rdn 46, dazu den Rechtsgedanken des § 67 Abs 6; 4. Aufl Merkt § 67 Rdn 154 ff; auch das Teilnehmerverzeichnis ist nicht mehr zum Handelsregister einzureichen, sondern nur den Teilnehmern der Hauptversammlung zugänglich zu machen, § 129 Abs 4; keine Bedenken bestehen, wenn die Beteiligung bereits nach anderen Vorschriften zugänglich gemacht werden musste, zB § 285 Nr 11 HGB. 152 Geßler/Geßler Rdn 54; Quack FS Semler, 1993, S 581, 587; aA KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 45. 153 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 36; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 43; MünchKomm/Bayer4 Rdn 36; – aA Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 33. 154 Allg M, Geßler/Geßler Rdn 57 aE; Hüffer/Koch3 Rdn 9; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 43; MünchKomm/Bayer4 § 20 Rdn 37. 155 So aber Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 47; § 407 ist nicht einschlägig, ebensowenig § 335 HGB; wie hier KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 88.
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§ 823 Abs 2 BGB (Rdn 90). Fallgestaltungen, in denen gerade das Fehlen der Bekanntmachung einen Schaden verursacht, dürften allerdings selten sein. 2. Andere Publizitätsvorschriften 61
a) Nach § 160 Abs 1 Nr 8 sind Beteiligungen, die der Gesellschaft nach Abs 1 oder 4 mitgeteilt worden sind, ggf mit dem nach Abs 6 veröffentlichten Inhalt, in den Anhang aufzunehmen. Es ist anzugeben, ob es sich um eine die Viertelbeteiligung übersteigende oder eine Mehrheitsbeteiligung handelt und wem diese gehört, wobei wiederum nur der Mitteilungspflichtige, gegebenenfalls als Zurechnungsempfänger gemeint ist (vgl Rdn 40).156 Die Mitteilungen nach Abs 3 und 5 fallen nicht darunter. Der Bestand einer wechselseitigen Beteiligung ist, auch ohne besondere Mitteilung,157 in § 160 Abs 1 Nr 7 erfasst; auf diesen Fall zielt auch Abs 3 (Rdn 33). Der Wegfall einer mitteilungspflichtigen Beteiligung führt dazu, dass die entsprechende Angabe im Anhang unterbleibt, insofern bedarf Abs 5 hier keiner besonderen Berücksichtigung. Gleichwohl mag es zur Klarstellung nützlich sein, den Vorgang bei Wesentlichkeit im Lagebericht zu erläutern.158 § 160 Abs 1 Nr 8 betrifft nur nach § 20 mitgeteilte Beteiligungen, nicht solche, von denen die Gesellschaft auf andere Weise Kenntnis erlangt hat. Werden letztere angegeben, ist das zu kennzeichnen; auch vorsorgliche Mitteilungen (Rdn 43) sollten als solche kenntlich gemacht werden.159 Die Pflichtangaben im Anhang sind durch die handelsrechtlichen Straf- und Bußgeldvorschriften (§§ 331 Nr 1, 334 Abs 1 Nr 1 d HGB) sanktioniert; auch § 400 Abs 1 Nr 1 (strafbare unrichtige Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft) ist nicht auszuschließen. Nach § 258 Abs 1 Nr 2 kann der Verdacht fehlender oder unvollständiger Angaben im Anhang eine Sonderprüfung rechtfertigen.
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b) Überschneidungen der aktienrechtlichen Publizität mit den Veröffentlichungspflichten nach Kapitalmarktrecht (§§ 26, 26a WpHG, § 35 Abs 1 WpÜG) sind nach Abs 8 ausgeschlossen. Für die nichtnotierten Gesellschaften im Konzerngefüge verbleibt es aber bei der Anwendbarkeit des § 20.
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c) Eine andere Art der Offenlegung besteht in der Erteilung von Auskünften in der Hauptversammlung (§ 131), die nur bei Publikumsgesellschaften faktisch, wenn auch nicht rechtlich160 öffentlichen Charakter hat. Soweit der erforderliche Zusammenhang mit einem Tagesordnungspunkt gegeben ist, können auch Beteiligungen an der Gesellschaft Gegenstand von Auskunftsansprüchen sein. Ein allgemeines mitgliedschaftsrechtliches Recht auf Kenntnis der anderen Aktionäre gibt es aber nicht. Soweit Auskünfte über Beteiligungen an der Gesellschaft verlangt werden, die nach anderen Vorschriften mitteilungs- und publizitätspflichtig sind, etwa nach § 20 oder WpHG, ist die Bekanntgabe im Rahmen des § 131 unbedenklich. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Mitteilungspflichten erfüllt sind, sondern auf die Kenntnis der Gesellschaft. Ob eine darüber hinausgehende Offenlegung zulässig oder geboten ist, richtet sich in erster Linie nach der sachlichen Notwendigkeit zur Beurteilung des Tagesordnungspunktes, zu dem Aus-
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156 AA MünchKomm/Kessler3 § 160 Rdn 67 unter unzutr Berufung auf BGH 24.7.2000 – II ZR 168/99, NZG 2000, 1220: auch indirekt beteiligte Unternehmen müssten angegeben werden; dort ging es aber um deren eigene Mitteilungspflichten; vgl dazu oben Rdn 45 f, 58. 157 4. Aufl Brönner § 160 Rdn 31; MünchKomm/Kessler3 § 160 Rdn 58. 158 Vgl 4. Aufl Brönner § 160 Rdn 32 aE betr wechselseitige Beteiligung. 159 4. Aufl Brönner § 160 Rdn 34; Adler/Düring/Schmaltz Rechnungslegung6 § 160 AktG 68. 160 4. Aufl Mülbert Vor §§ 118 – 147 Rdn 63; Hüffer/Koch11 § 118 Rdn 28 f; MünchKomm/Kubis3 § 118 Rdn 7.
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kunft begehrt wird. Dabei sind andere Informationsmöglichkeiten des Aktionärs161 sowie die Grenzen der Mitteilungspflichten (Rdn 45 ff) in Rechnung zu stellen. IX. Sanktionen (Abs 7) und weitere Rechtsfolgen Abs 7 ordnet an, dass Rechte aus Aktien, die einem mitteilungspflichtigen Unter- 64 nehmen gehören, für die Zeit einer unterlassenen Mitteilung nach Abs 1 oder 4 nicht bestehen. In der Fassung der Vorschrift vor dem Dritten FinanzmarktförderungsG 1998 hieß es, die Rechte könnten nicht ausgeübt werden. Ob damit ein Ruhen der Rechte oder ein endgültiger Rechtsverlust für den maßgeblichen Zeitraum gemeint war, war streitig. Die Änderung folgte der hM, die auch schon bisher vom Rechtsverlust ausging.162 Mit der gleichzeitigen nahezu gleichlautenden Neufassung des § 28 WpHG wurde die Sanktion für unterlassene Meldungen nach WpHG zunächst weitgehend angeglichen, nachfolgende Änderungen führten aber wieder zu neuen Unterschieden.163 Daraus folgt, dass Rechtsprechung und Lehre zu § 28 WpHG immer weniger für die Auslegung des § 20 Abs 7 herangezogen werden können. Übereinstimmend bleibt in bestimmten Fällen der Dividendenanspruch erhalten, Satz 2. 1. Voraussetzungen a) Die Folgen des Abs 7 treten bei Nichterfüllung der nach Abs 1 oder 4 erforder- 65 lichen Mitteilung, nicht der nach Abs 3 und 5, ein. Treffen die Mitteilungspflichten nach Abs 1 und Abs 4 zusammen, sind beide zu erfüllen.164 Soweit Abs 1 und Abs 3 sich decken, befreit die Tatsache, dass Abs 3 nicht unter die Sanktion fällt, nicht von den Rechtsfolgen des Abs 7 im Hinblick auf die Mitteilungspflicht nach Abs 1. Abs 3 ist in § 328 mit einer besonderen Rechtsfolge für wechselseitig beteiligte Unternehmen versehen. Die mitteilungspflichtige Verringerung einer Beteiligung, Abs 5, erfordert nach ihrem Schutzzweck keine einschneidenden Sanktionen.165 Die Parallelvorschrift in § 28 WpHG ordnet den Rechtsverlust bei Nichterfüllung aller dortigen Meldepflichten an, erfasst damit auch die Fälle, in denen das Unterschreiten einer Stimmrechtsschwelle nicht mitgeteilt wird. Nichterfüllung ist zunächst das Unterlassen der erforderlichen Mitteilung, aber 66 auch, wenn sie nicht ordnungsgemäß, dh nicht richtig, nicht vollständig oder nicht in der vorgeschriebenen Form erfolgt. Fehler und Unvollständigkeiten sind am Informationszweck zu messen; geringfügige Fehler sollen nicht schaden.166 Der BGH hatte zu
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161 KG ZIP 1994, 1267, 1274: Teilnehmerverzeichnis und Aktienbuch, §§ 129 und 67; nach § 67 nF scheidet das Aktienregister als Informationsquelle jedoch aus. 162 Emmerich/Sonnenschein KonzernR6 § 6 V 2 b, c; Geßler BB 1980, 217; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 284; KK/Koppensteiner2 Rdn 37; MünchHdbAG/Krieger1 § 68 Rdn 133, 135; MünchKomm/Bayer4 Rdn 43 f; Quack FS Semler, 1993, S 581, 584. 163 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 39; MünchKomm/Bayer4 § 28 WpHG Rdn 4; zu den Unterschieden insgesamt Burgard FS UH Schneider, 2011, S 177, 186 ff; Erstreckung der Sanktion auf sämtliche Zurechnungstatbestände durch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie 2013 vom 20.11.2015, BGBl I S 2019. 164 Geßler/Geßler Rdn 69 f; Grigoleit/Rachlitz Rdn 24 aE; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 222 m Fn 35; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 129; vgl auch Rdn 44. 165 OLG Stuttgart 21.12.2012 – 20 AktG 1/12 Rdn 152 (juris); LG Hamburg AG 1996, 233; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 49. 166 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 45; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 219; Mülbert FS K Schmidt, 2009, S 1219, 1227 ff; vgl auch OLG Düsseldorf 29.12.2009 – I-6 U 69/08 Rdn 80 ff (juris) zu § 28 WpHG; Scholz AG 2009, 313, 314 ff.
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Recht nur ordnungsgemäße Mitteilungen für geeignet angesehen, die Folgen des Abs 7 zu vermeiden. Auch dort wurde der Informationszweck zum Maßstab genommen; die Mitteilung sei ordnungsgemäß, wenn die Gesellschaft die Beteiligung und deren Inhaber wie sie ihr mitgeteilt sind in den Gesellschaftsblättern bekannt machen könne, ohne dass in der Öffentlichkeit Zweifel über die Art der Beteiligung und den Zurechnungsempfänger entstehen. Die (zutreffende) Mitteilung nach Abs 1 war durch Alternativen und überflüssige weitere Angaben verunklart worden.167 b) Betroffene Aktien sind nach dem Gesetzeswortlaut zunächst diejenigen, die dem mitteilungspflichtigen Unternehmen selbst gehören. Die Sanktion gilt für sämtliche Aktien des mitteilungspflichtigen Unternehmens, nicht nur für den Bestand, der die Mitteilungspflicht auslöst.168 Darüber hinaus sind Aktien erfasst, die einem abhängigen Unternehmen gehören oder für Rechnung des Unternehmens oder eines abhängigen Unternehmens gehalten werden. Umgehung durch Vollmachtserteilung oder Legitimationsübertragung zur Stimmrechtsausübung ist ordnungswidriger Aktienmissbrauch iSd § 405 Abs 3 Nr 5. Die Wortlautbetrachtung des Abs 7 klärt noch nicht abschließend, ob und gegebenenfalls durch wen Rechte aus Aktien ausgeübt werden können, die dem Unternehmen zugerechnet werden. 68 Unter den Zurechnungsfällen ist der des Abs 2 (Rdn 28 ff) wenig problematisch; ein Rechtsverlust für die zugerechneten Aktien kommt hier nicht in Betracht. Ein Innenverhältnis, das bewirkt, dass die Aktien für Rechnung des Zurechnungsempfängers gehalten werden, ist gerade nicht erforderlich. Ein Verbot der Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte würde daher das erwerbsberechtigte oder abnahmeverpflichtete Unternehmen auch nicht mittelbar treffen, es sei denn, es liegt zugleich ein Halten für Rechnung iSd Abs 1 Satz 2, § 16 Abs 4 vor. Soweit der Inhaber nicht selbst unter § 20 fällt, treffen ihn keine Pflichten aus dieser Vorschrift (vgl Rdn 28). Er unterliegt deshalb auch nicht den Einschränkungen des Abs 7.169 § 28 WpHG und § 59 WpÜG nahmen bis zur Neufassung 2015 ebenfalls die Fälle des einseitigen Erwerbsrechts aus; nunmehr sind dort sämtliche Zurechnungsfälle des § 22 WpHG von der Sanktion erfasst.170 Dagegen erfasst Abs 7 auch Rechte aus Aktien, die nach Abs 1 Satz 2, § 16 Abs 4 zuge69 rechnet werden.171 Die Zurechnung erweitert den Begriff des „Gehörens“; die Formulierung wird auch als implizite Verweisung auf Abs 2 Satz 2, § 16 Abs 4 gelesen. Der Wortlaut des Abs 7 erzwingt das zwar nicht; der Gleichlauf von Zurechnung und Sanktion liegt aber nahe, selbst wenn Differenzierungen zB bei unterschiedlich ausgestalteten Treuhandverhältnissen angebracht wären. In Einzelfällen kann das zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, nämlich wenn mittelbar oder unmittelbar abhängige Unternehmen, die selbst 67
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167 BGHZ 114, 203. 168 AllgM, Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 44; Geßler/Geßler Rdn 69 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 60; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 136; MünchKomm/Bayer4 Rdn 47; anders dagegen der ursprüngliche RegE, Ausschussbericht bei Kropff AktG S 42 (d), und die gespaltene Regelung in § 328 Abs 1. Ist das mitteilungspflichtige Unternehmen Alleinaktionär, führt dies zu einer faktischen Blockade der Gesellschaft, vgl KK/Koppensteiner2 Rdn 51; der Fall ist wohl eher theoretisch und durch Haftungsfolgen, Rdn 88, zu bewältigen. 169 Oben Rdn 32, 34; Geßler/Geßler Rdn 66 f; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 222; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 62; MünchKomm/Bayer4 Rdn 46; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 37; LG Hannover ZIP 1992, 1236, 1239 f (Pirelli/Continental). 170 Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie 2013 vom 20.11.2015, BGBl I S 2019; dazu Söhner ZIP 2015, 2451 mwN. 171 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 43; Geßler/Geßler Rdn 65, 68; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 222; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 61; MünchKomm/Bayer4 Rdn 46; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 37; LG Hannover ZIP 1992, 1236, 1240 (Pirelli/Continental).
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keiner Mitteilungspflicht unterliegen und auf das Verhalten des herrschenden Unternehmens keinen Einfluss haben, dadurch die Rechte aus ihren eigenen Beteiligungen verlieren (vgl Rdn 51 zur Informationslage). Teilweise werden aus der Sanktion Rechte und Pflichten für das Innenverhältnis hergeleitet,172 was aber so pauschal nicht überzeugt. c) Nach hM erfordert Abs 7 Verschulden.173 Dieses Element ist bereits in der Mittei- 70 lungspflicht enthalten, die wenigstens Kennenmüssen des Tatbestandes verlangt (Rdn 49 ff). Damit ist auch die Sanktion von dieser Voraussetzung abhängig. Ein darüber hinausgehendes Verschuldenserfordernis besteht nicht.174 Die Anforderungen insbesondere an die Geltendmachung von Rechtsirrtümern sind hoch gesteckt (Rdn 50). Eine Aushöhlung der Sanktion ist daher nicht zu befürchten. Abs 7 Satz 2 ändert an diesem Befund nichts, da eine Sonderregelung für eine „nicht vorsätzlich“ unterlassene Mitteilung zum Verschuldenserfordernis im Übrigen nichts aussagt.175 Die Ansiedlung des Verschuldenserfordernisses beim Tatbestand der Mitteilungspflicht (unverzüglich) oder bei der Verletzung dürfte im Ergebnis keinen großen Unterschied machen. Für eine Differenzierung auf der Rechtsfolgenseite nach Verlust von Rechten bei Verschulden und ohne Verschulden besteht kein Anhaltspunkt.176 2. Verlust mitgliedschaftlicher Rechte a) Die Wirkung des Abs 7 besteht darin, dass „Rechte aus Aktien … nicht bestehen“, 71 also ein temporärer Rechtsverlust. Nach Abs 7 aF konnten „Rechte … nicht ausgeübt werden“; bereits dazu wurde überwiegend angenommen, dass das zum endgültigen Verlust der mitgliedschaftlichen Rechte für den maßgeblichen Zeitraum führte.177 Die Gegenansicht ging davon aus, dass die Rechte lediglich ruhten, also nachträglich wieder aufleben konnten.178 Nach der jetzigen Fassung ist grundsätzlich von Rechtsverlust auszugehen, in den Satz 2 genannten Fällen von Ruhen. Damit ist aber nicht geklärt, welche Rechte wie im Einzelnen und mit welchen Folgen betroffen sind. Das Regel-/Ausnahmeverhältnis des Abs 7 lässt keine konsequente Struktur erkennen.179 Ein Rückzug auf den reinen Gesetzeswortlaut180 führt daher nicht zu systematisch stimmigen Lösungen.181 b) Betroffene Rechte sind grundsätzlich alle Mitgliedschaftsrechte aus Aktien. Die 72 Unterscheidung zwischen Vermögens- und Verwaltungsrechten ist hier ohne materielle
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172 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 43 aE will einen Anspruch auf Erfüllung der Mitteilungspflicht auf § 241 Abs 2 BGB stützen. 173 Bürgers/Körber/Becker3 Rdn 25; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 46; Grigoleit/Rachlitz Rdn 21; Hüffer/Koch11 Rdn 11; MünchKomm/Bayer4 Rdn 49; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 43. 174 Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 220; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 52 ff; Mülbert FS K Schmidt, 2009, S 1219, 1229 ff; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 135; Quack FS Semler, 1993, S 581, 585. 175 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 53. 176 Hüffer/Koch11 Rdn 11; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 56; anders noch Hüffer10 Rdn 11; Grigoleit/ Rachlitz Rdn 23. 177 Emmerich/Sonnenschein KonzernR6 § 6 V 2 b, c; Geßler BB 1980, 217; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 284; KK/Koppensteiner2 Rdn 37; MünchHdbAG/Krieger1 § 68 Rdn 133, 135; Quack FS Semler, 1993, S 581, 584; – Neye ZIP 1996, 1853, 1857 bezeichnete den Vorschlag der Neufassung als „redaktionelle Anpassung“. 178 Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 229; v Godin/Wilhelmi Rdn 10; Schäfer BB 1966, 1004, 1006; auch Adler/Düring/Schmaltz Rechnungslegung6 § 170 AktG Rdn 34, § 174 AktG Rdn 32. 179 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 64. 180 So MünchKomm/Bayer4 Rdn 45. 181 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 64 f.
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Bedeutung. Problematisch aber sind Rechte, die die Substanz der Mitgliedschaft selbst betreffen, denn die Mitgliedschaft als solche wird durch die Sanktion nicht berührt.182 Vollständigen Verlust als Sanktion kennt das AktG im Fall der Kaduzierung mit einem aufwändigen Verfahren zur Warnung (§ 64). Das Recht auf den Abwicklungsüberschuss (§ 271) tritt an die Stelle der Substanz der Mitgliedschaft, die zusammen mit der Gesellschaft mit dem Schluss der Abwicklung erlischt (§ 273). Hier hat der Gesetzgeber nach Abs 2 mit Nachholung der Mitteilung den endgültigen Verlust vermeidbar gemacht (Rdn 82). Das gilt auch für den Dividendenanspruch, der aber ein Recht aus der Aktie ist und nicht die Substanz betrifft. Ob die ex tunc wirkende Nachholung auch in anderen vergleichbaren Fällen möglich ist, ist umstritten. Von Satz 1 erfasst sind jedenfalls das Stimmrecht (Rdn 73, 84), Bezugsrechte (Rdn 78), Minderheitsrechte (Rdn 81), das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung mit Auskunftsrecht und die Anfechtungsbefugnis (Rdn 73). Einzelheiten in der Anwendung sind streitig, insbesondere die jeweils relevanten Zeitpunkte. Trotz des durch Abs 8 reduzierten Anwendungsbereichs der Vorschrift kommt diesen Fragen große praktische Bedeutung zu, da § 28 WpHG die gleichen Probleme aufwirft. 73
aa) Für das Stimmrecht ist der Zeitpunkt der Hauptversammlung maßgebend; das gilt auch für evtl erforderliche Sonderbeschlüsse sowie das Teilnahme- und Auskunftsrecht.183 Fraglich ist, ob bereits das Recht, von der Einberufung erfasst zu werden, entfällt. Davon scheint die Rechtsprechung auszugehen, die aber eine „Vollversammlung“ ohne den mitteilungssäumigen Aktionär (§ 121 Abs 6) an der Treuepflicht misst und ggf Rechtsmissbrauch annimmt.184 Andererseits kann die Mitteilung bis zur oder gar in der Hauptversammlung erfolgen, was die Aktionärsrechte wieder aufleben lässt. In unklaren Fällen (vgl Rdn 48 ff) empfiehlt es sich daher, die Einladung und die zur Teilnahme an der Hauptversammlung und Stimmrechtsausübung gegebenenfalls erforderliche Anmeldung (§ 123 Abs 2) nicht unter Berufung auf Abs 7 zu versagen,185 zumal die Mitteilung noch innerhalb der Hauptversammlung erfolgen kann.186 Die Gesellschaft kann sich aber zu einer Aufforderung zur Mitteilung (vgl Rdn 9, 54) veranlasst sehen. Die Anfechtungsbefugnis (§§ 243 Abs 2, 245 Nr 3) kann durch ordnungsgemäße Mitteilung innerhalb offener Anfechtungsfrist aktiviert werden;187 im Übrigen unterliegt sie dem temporären Rechtsverlust wie auch das Recht auf Teilnahme und Widerspruch zu Protokoll. Aktien, aus denen wegen Abs 7 kein Stimmrecht ausgeübt werden kann, gelten als auf der Hauptversammlung nicht vertreten.188 Der Ausschluss mitgliedschaftlicher Rechte
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182 BGH 20.4.2009 – II ZR 148/07, NZG 2009, 827, 828; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 44; Habersack FS Säcker, 2011, S 355, 357; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 284 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 12: Substanz ist sanktionsfest; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 48, 64 unterscheidet zwischen Rechten an und solchen aus der Aktie; MünchKomm/Bayer4 Rdn 78a; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 44. 183 BGH 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204 Rdn 14; KG ZIP 1990, 925 betr Auskunftsrecht; Geßler/ Geßler Rdn 75; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 223; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 278; Hüffer/Koch11 Rdn 14; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 67; Quack FS Semler, 1993, S 581, 588. 184 BGH 20.4.2009 – II ZR 148/07, NZG 2009, 827, 828; – die Sachverhalte in den instanzgerichtlichen Entscheidungen zeigen die Gefahr der Instrumentalisierung des § 20 Abs 7 ohne Zusammenhang mit dem Gesetzeszweck; vgl Happ FS K Schmidt, 2009, S 454 ff; Paudtke NZG 2009, 939, 940 f. 185 Zur (vorläufigen) Entscheidungsbefugnis des Versammlungsleiters bei Unklarheit der Teilnahmeberechtigung 4. Aufl Werner § 123 Rdn 65 ff; vgl auch Grunsky ZIP 1991, 778. 186 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 49, 51a; die dort zitierte Entscheidung des OLG Düsseldorf trägt das allerdings nicht; Happ FS K Schmidt, 2009, S 545, 550 ff; S Schneider/U Schneider ZIP 2006, 493, 496 (l Sp) zu § 28 WpHG. 187 BGH 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204 Rn 14. 188 Geßler/Geßler Rdn 78; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 223; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 68; MünchKomm/Bayer4 Rdn 54; 4. Aufl Wiedemann § 179 Rdn 113; vgl auch Windbichler § 17 Rdn 74.
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bezieht sich auch auf die Zustimmung nach § 180. Ein Beschluss, der unter dieses Erfordernis fällt, ist auch ohne die Zustimmung des mitteilungssäumigen Aktionärs wirksam und ins Handelsregister einzutragen.189 Je nach Lage des Einzelfalls kommt jedoch treupflichtwidriger Missbrauch in Betracht.190 bb) Hinsichtlich der Gewinnrechte ist zu unterscheiden: Das Gewinnbezugsrecht 74 als untrennbar mit der Mitgliedschaft verbundenes Stammrecht bleibt unberührt; es bedarf der Umsetzung in einzelnen Schritten. Nur bei diesen weiteren Stufen ist es sinnvoll, Rechtsverluste anzusiedeln, die einen vorübergehenden Zustand („… für die Zeit …“) darstellen. Der Gewinnbeteiligungsanspruch gemäß § 58 Abs 4 entsteht mit der Feststellung des Jahresabschlusses, der einen Bilanzgewinn ausweist.191 Als ausübbares Recht folgt daraus kein Zahlungsanspruch, sondern ein wohl selten relevanter Anspruch gegen die Gesellschaft auf Herbeiführung eines Gewinnverwendungsbeschlusses;192 dieser geht nach nach dem Wortlaut des Abs 7 Satz 1 verloren, es sei denn die Mitteilung wird nach Satz 2 nachgeholt. Der Zahlungsanspruch auf die Dividende, der mit dem entsprechenden Gewinnverwendungsbeschluss (§ 174) entsteht, ist zwar ein autonomes Gläubigerrecht, erwächst aber aus der Mitgliedschaft und fällt ebenfalls unter die ruhenden Rechte. Dafür ist der Zeitpunkt des Beschlusses in der Hauptversammlung maßgebend.193 Ist bis dahin die Mitteilungspflicht nach Abs 1 oder 4 nicht erfüllt, ist der Anspruch mit einer rechtshindernden Einwendung behaftet, die aber gemäß Satz 2 beseitigt werden kann (Rdn 76). Ein Dritter, der durch Erwerb von Aktien beim veräußernden Unternehmen die Mitteilungspflicht nachträglich entfallen lässt (vgl Rdn 37), kann den Dividendenanspruch dadurch nicht aufleben lassen und geltend machen. Streitig ist die Auswirkung des ruhenden Dividendenanspruchs auf die Gewinn- 75 verwendung und Rechnungslegung. Nach Geßler und anderen konnte die Ausübungssperre, falls sie bekannt war, im Beschluss berücksichtigt werden; für die entsprechenden Aktien entstehe kein Gläubigerrecht, der freiwerdende Ausschüttungsbetrag könne auf die übrigen Aktionäre verteilt werden.194 Das ist aber kaum praktikabel, da nicht sicher ist, ob die Mitteilung bis zur Fälligkeit (§ 58 Abs 4 Satz 2, 3) nicht doch noch erfolgt oder nachgeholt wird (Satz 2). Der Gewinnverwendungsbeschluss legt nur den Gesamtbetrag des auszuschüttenden Gewinns fest; die Verteilung auf die Aktien erfolgt nach Satzung und Gesetz und fällt nicht in die Kompetenz der Hauptversammlung; die Aufschlüsselung in Einzelbeträge ist nur deklaratorisch.195 Sie erfolgt durch den Vorstand in Anwendung der einschlägigen Vorschriften.196 Nur im Fall der positiven Kenntnis der
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189 Geßler/Geßler Rdn 76; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 223 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 68; – je nach Beschlussinhalt die Folgen fehlender Zustimmung differenzierend 4. Aufl Wiedemann § 180 Rdn 20. 190 Vgl BGH 20.4.2009 – II ZR 148/07, NZG 2009, 827, 828. 191 BGHZ 124, 27, 31 mwN; 4. Aufl Brönner § 174 Rdn 7 ff; Hüffer/Koch11 § 58 Rdn 26; KK/Drygala3 § 58 Rdn 112; Schmidt/Lutter/Fleischer3 § 58 Rdn 44. 192 Hüffer/Koch11 § 58 Rdn 26; KK/Lutter2 § 58, 89 ff; MünchKomm/Bayer4 § 58 Rdn 97, 99; Schmidt/ Lutter/Fleischer3 § 58 Rdn 44. 193 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 49, 53; Geßler/Geßler Rdn 82; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 225; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 290; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 73; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 141. 194 Bürgers/Körber/Becker3 Rdn 27; Geßler/Geßler Rdn 83; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 291; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 77 f; MünchHdbAG/Krieger1 § 68 Rdn 142; auch 4. Aufl Brönner § 174 Rdn 23; – nur für den Fall, dass feststeht, das Satz 2 nicht in Anspruch genommen werden kann. 195 BGH 29.4.2014 – II ZR 262/13 Rdn 9 ff (juris), Hinweisbeschluss zu § 21 WpHG mwN; Schmidt/Lutter/ Drygala3 § 174 Rdn 7. 196 KK/Ekkenga3 § 174 Rdn 13; zu den damit verbundenen Risiken bei unklarer Rechtslage Haertlein ZHR 168 (2004) 437.
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Gesellschaft, dass ein Rechtsverlust nach § 20 Abs 7, § 28 WpHG oder § 59 WpÜG endgültig eingetreten ist, ist die Verteilung des freiwerdenden Betrags auf die übrigen Aktionäre mit Gesetzesanwendung begründbar.197 Der Dividendenanspruch der übrigen Aktionäre erhöht sich daher regelmäßig nicht. Die nachträgliche Änderung der Ausschüttungsquote – womöglich erst nach längerem Rechtsstreit darüber, ob die Voraussetzungen des Abs 7 Satz 1 oder 2 gegeben waren – passt nicht zur Aktie als fungiblem Dividendenpapier und der „brutto“-Berechnung der Anteile (Rdn 24).198 Ein Gewinnverwendungsbeschluss, der neben der Gesamtsumme Einzelbeträge für Aktionäre ausweist, die nach Abs 7 Satz 1 kein Dividendenrecht haben, ist nicht inhaltlich fehlerhaft und nicht aus diesem Grunde anfechtbar.199 Die insoweit nicht abrufbare Dividende verbleibt der Gesellschaft.200 Das materiellrechtliche Ergebnis bestimmt auch die bilanzielle Behandlung.201 Der Betrag ist als Verbindlichkeit zurückzuhalten solange die Mitteilung noch iSd Abs 7 Satz 2 nachgeholt werden kann; danach ist die nicht abrufbare Dividende als Ertrag zu verbuchen.202 Die Sanktion hat nicht den Zweck, die Rechte der übrigen Aktionäre zu vermehren; an deren Beteiligungsumfang ändert sich nichts. 203 Beim Stimmrecht kann sich die Erhöhung des Stimmgewichts durch den Stimmrechtsausschluss bei anderen Aktionären als Reflex der Regelung ergeben; das Stimmgewicht ist aber von der Hauptversammlungspräsenz und dem Verhalten anderer Aktionäre abhängig und daher nicht vergleichbar. Nach Abs 7 Satz 2 gilt der Rechtsverlust nicht für „Ansprüche nach § 58 Abs 4“, 76 wenn die Mitteilung nicht vorsätzlich unterlassen wurde und nachgeholt worden ist. Die erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingefügte Vorschrift geht wohl zurück auf eine Mindermeinung, nach der Abs 7 keinen endgültigen Rechtsverlust bewirken sollte.204 Ausweislich der Begründung zum RegE soll eine heilende Nachholung nur bis zum Gewinnverwendungsbeschluss möglich sein. Konstruktiv entspricht das dem Gesetzeswortlaut, der ausdrücklich den mitgliedschaftlichen Gewinnanspruch (§ 58 Abs 4) nennt (Rdn 74). Die ganz herrschende Meinung geht aber davon aus, dass der Gewinnverwendungsbeschluss als letzter Teil der Entstehung des Dividendenanspruchs den letzten Zeitpunkt für den Rechtsverlust bestimmt. Das bedeutet, dass die Möglichkeit der Nachholung längstens bis Eintritt von Vorsatz oder Ablauf der dreijährigen Verjährungs-
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197 In BGH 29.4.2014 – II ZR 262/13 Rdn 11 aE (juris) offen gelassen und jedenfalls für unwahrscheinlich gehalten; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 56; KK/Drygala3 § 58 Rdn 124, § 60 Rdn 61; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 143; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 42. 198 Vgl MünchKomm/Bayer4 § 60 Rdn 37. 199 BGH 29.4.2014 – II ZR 262/13 Rdn 14 (juris), Hinweisbeschluss zu § 21 WpHG; Geßler BB 1980, 217, 219; KK/Koppensteiner2 49; MünchKomm/Bayer4 § 58 Rdn 103; vgl auch Geßler/Kropff § 170, 11: Hinweis an die Hauptversammlung erforderlich, wenn der Vorstand Kenntnis vom Vorliegen eines Falles des § 20 Abs 7 hat; ähnlich Adler/Düring/Schmaltz Rechnungslegung6 § 174 AktG 17 f, 30 f zur Abänderung des Gewinnverwendungsvorschlages. 200 BGH 29.4.2014 – II ZR 262/13 Rdn 11 (juris); 4. Aufl Henze § 60 Rdn 37; KK/Drygala3 § 58 Rdn 124; Habersack FS Säcker, 2011, S 355, 361. 201 Jeweils undifferenziert für Bilanzierung als sonstige Verbindlichkeit: 4. Aufl Henze § 60 Rdn 37; Schmidt/Lutter/Fleischer3 § 60 Rdn 23; Spindler/Stilz/Cahn3 § 60 Rdn 30; wohl auch MünchKomm/Bayer4 Rdn 74, vgl aber § 60 Rdn 37; – für Verbuchung als (außerordentlichen) Ertrag Geßler BB 1980, 217, 219; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 291. 202 KK/Drygala3 § 58 Rdn 124, § 60 Rdn 63; MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 143; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 42 (Rückstellung bei nachholbarer Mitteilung); vgl auch LG München I 27.11.2008 – 5 HK O 3928/08 (juris) Rdn 16 zu § 59 WpÜG. 203 Vgl 4. Aufl Merkt § 71b Rdn 16. 204 Adler/Düring/Schmaltz Rechnungslegung6 § 170 AktG 33 ff, § 174 AktG 32; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 226 ff; HP Müller AG 1996, 396; s auch o Rdn 71 m Fn 186; – ohnehin auf den Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses abstellend Geßler/Geßler Rdn 82; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 290.
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frist besteht.205 „Nicht vorsätzlich“ bedeutet, dass auch Eventualvorsatz die Heilung hindert. Kennenmüssen, das als Bestandteil von „unverzüglich“ Voraussetzung der Pflichtverletzung ist (Rdn 49 f), steht also nicht entgegen. Die Abgrenzung im Einzelnen wird nicht immer einfach sein. Die Nachholung muss allen Anforderungen einer ordnungsgemäßen Mitteilung entsprechen (Rdn 41 ff). Eine Abschlagszahlung nach § 59 kann das Unternehmen, das seiner Mitteilungs- 77 pflicht nicht nachgekommen ist, nicht verlangen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Zustimmungsbeschluss des Aufsichtsrates gemäß § 59 Abs 3 als letztes zeitliches Erfordernis für die Entstehung von Ansprüchen der Aktionäre.206 Gezahlte Abschläge sind im nachfolgenden Gewinnverwendungsbeschluss zu berücksichtigen.207 Ist das Unternehmen bis dahin seiner Mitteilungspflicht nachgekommen oder ist diese entfallen, ändert das an einer mit Rücksicht auf die Abschläge geringeren Dividende nichts. Auch insoweit führt Abs 7 zu einem Rechtsverlust. Satz 2 findet keine Anwendung auf den Abschlag, dieser betrifft kein Recht aus § 58 Abs 4. cc) Der Rechtsverlust erfasst das Bezugsrecht bei Kapitalerhöhung gegen Einla- 78 gen (§ 186 Abs 1).208 Der Kapitalerhöhungsbeschluss ist der maßgebliche Zeitpunkt, da dann der konkrete Bezugsanspruch entsteht.209 Der Zeitpunkt der Hauptversammlung ist für alle Beteiligten eindeutig und im Voraus bekannt. Der Beschluss ist, falls das von der Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte ausgeschlossene Unternehmen ergebnisrelevant mitgestimmt hat, anfechtbar (Rdn 84), seinem Inhalt nach aber fehlerfrei, wenn in der Formulierung des Bezugsverhältnisses sämtliche Aktien berücksichtigt wurden. Dafür sprechen nicht nur praktische Gründe (vgl Rdn 76 zum Gewinnverwendungsbeschluss), sondern Rechtsnatur und Zweck des Bezugsrechts. Dem Aktionär wird die Chance eingeräumt, bei Kapitalerhöhungen seinen Anteil an Stimmenmacht und am Grundkapital als Bezugsgröße zu erhalten. Ist ein Aktionär nach Abs 7 gehindert, diese Chance wahrzunehmen, ändert das die Position der übrigen Aktionäre nicht; ihnen wachsen keine zusätzlichen Bezugsquoten zu. § 20 Abs 7 verlangt das nicht und erzwingt diesen Effekt auch nicht als Reflexwirkung wie beim Stimmrecht.210 Im Fall des genehmigten Kapitals tritt an die Stelle des Hauptversammlungsbeschlusses der Ausführungsbeschluss des Vorstands mit Zustimmung des Aufsichtsrates gem §§ 202 ff.211 Die Gesellschaft bzw die Emissionsbank bei mittelbarem Bezugsrecht kann über die 79 durch Rechtsverlust freigewordenen Aktien disponieren, muss dabei aber die Interessen der berechtigten Aktionäre wahren und darf erst nach Ablauf der Bezugsfrist das
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205 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 74 f; KK/Drygala3 § 60 Rdn 63 f; MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 142; MünchKomm/Bayer4 Rdn 70, 81 f; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 41. 206 Hüffer/Koch11 § 59 Rdn 4; Schmidt/Lutter/Fleischer3 § 59 Rdn 9, 13; auch BegrRegE zur Änderung des § 28 WpHG, BRDrucks 605/97 S 96. 207 4. Aufl Brönner § 174 Rdn 13; Spindler/Stilz/Cahn3 § 59 Rdn 16. 208 BGHZ 114, 203, 207; hM, Hüffer/Koch11 Rdn 12; MünchKomm/Bayer4 Rdn 61 ff; Spindler/Stilz/ Petersen3 Rdn 45; – aA Habersack FS Säcker, 2011, S 355, 363 f zu § 28 WpHG; MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 146, jeweils mit Hinweis auf den Substanzbezug. 209 4. Aufl Wiedemann § 186 Rdn 29, 54, 60 f; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbHKonzernR7 Rdn 60: Beginn der Abstimmung; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 293; Hüffer/Koch11 Rdn 16; MünchKomm/Bayer4 Rdn 61; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 45; Emmerich/Sonnenschein KonzernR6 § 6 V 2 c; die Auffassung, die Eintragung ins Handelsregister sei entscheidend, wird ersichtlich nicht mehr vertreten. 210 Bürgers/Körber/Becker3 Rdn 31; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 61; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 293 f; Hüffer/Koch11 Rdn 16; MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 147 für den Fall des – abgelehnten – Rechtsverlustes; MünchKomm/Bayer4 Rdn 64; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 40; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 45; – aA KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 70. 211 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 69.
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ausgeschlossene Unternehmen wie einen Dritten berücksichtigen. Werden junge Aktien dadurch verfügbar, dass berechtigte Aktionäre von ihrem Bezugsrecht keinen Gebrauch machen, kann die Gesellschaft auch mit einem Unternehmen, das unter Abs 7 fällt, Zeichnungsverträge über diese Aktien schließen.212 Abs 7 hindert das betroffene Unternehmen auch nicht, Bezugsrechte von anderen Aktionären zu erwerben und sodann auszuüben. Diese Bezugsrechte stammen nicht aus der Mitgliedschaft des Unternehmens, sondern sind rechtsgeschäftlich erworbene Gläubigerrechte.213 Die vorstehenden Grundsätze gelten auch bei der Ausgabe von Wandelschuldver80 schreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten (§ 221 Abs 4).214 Dagegen fallen nach ganz hM zutreffend Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln nicht unter Abs 7.215 Das ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 215 Abs 1.216 Es handelt sich nicht um ein Recht aus der Mitgliedschaft, sondern die Mitgliedschaft selbst wird umstrukturiert. Mit ähnlicher Argumentation wurde die Teilhabe am Abwicklungsüberschuss (Rdn 82) von der Rechtsfolge des Abs 7 ausgenommen. Dass Satz 2 § 271 nunmehr ausdrücklich nennt, lässt mangels dogmatischer Konsistenz der Gesamtregelung (Rdn 71) keinen Gegenschluss für die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln zu.217 Ansprüche bei Kapitalherabsetzung (§ 237) weisen ebenfalls Ähnlichkeit mit dem Liquidationserlös auf, fallen aber ebenfalls unter Abs 7 Satz 1.218 Davon auszunehmen ist allerdings der Fall des § 237 Abs 3 Nr 3, der das Spiegelbild der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln darstellt. 81
dd) Sonstige Rechte, die die temporär verloren gehen, sind weiter Minderheitsrechte, insbesondere zur Einberufung und Ergänzung der Tagesordnung der Hauptversammlung, Sonderprüfung und Abwehr einer Freigabe (§§ 122 Abs 1 Satz 3, Abs 2, 142 Abs 2 Satz 1, 246a Abs 2 Nr 2). Es kommt darauf an, ob im Zeitpunkt der Ausübung die Mitteilungspflichten erfüllt sind. 219 Die Auswirkung einer vorherigen (aber behobenen) Mitteilungspflichtverletzung oder nachträglich eingetretenen Mitteilungspflicht und ihrer Nichterfüllung hängt davon ab, zu welchen Zeitpunkten die Geltendmachung des Minderheitsrechts eine vollwertige Aktionärsstellung verlangt. Für die vorangehende Aktienbesitzzeit, gegebenenfalls iVm § 70, kommt es nach dem Normzweck220 hingegen nicht auf einen zwischenzeitlichen Rechtsverlust an; die Aktionärsstellung als solche wird durch den Rechtsverlust nicht berührt (Rdn 72). Entsteht die Mitteilungspflicht
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212 BGHZ 114, 203, 207; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 60; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 293 f; Hüffer/Koch11 Rdn 16. 213 4. Aufl Wiedemann § 186 Rdn 61. 214 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 63; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 71; MünchKomm/Bayer4 Rdn 67. 215 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 63; Hüffer/Koch11 Rdn 16; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 72; MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 145; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 40. 216 Geßler/Geßler 72; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 231 f; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 285; Hüffer/Koch11 Rdn 16; KK/Koppensteiner2 46; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 145: ein Substanzeingriff ist von Abs 7 nicht gewollt; s auch § 328 Abs 1 Satz 2. Davon, dass der Rechtserwerb (aaO: „das Bezugsrecht“) bei Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nicht vom Rechtsverlust erfasst ist, geht auch die BegrRegE zur Änderung aus, BRDrucks 605/97 S 95. 217 So aber MünchKomm/Bayer4 Rdn 67. 218 Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 287 f; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 65; – aA MünchKomm/Bayer4 Rdn 77. 219 4. Aufl Werner § 122 Rdn 5; Hüffer/Koch11 § 142 Rdn 22; Geßler/Geßler Rdn 80; MünchKomm/Kubis3 § 122 Rdn 3. 220 Verhinderung kurzfristigen Aktienaufkaufs zum Zweck, ein Anfechtungs- oder Minderheitsrecht zu ausnützen zu können, Hüffer/Koch11 § 142 Rdn 21, 23; KK/Rieckers/J Vetter3 § 142 Rdn 239; Schmidt/Lutter/ Spindler3 § 142 Rdn 42.
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nachträglich, führt Abs 7 Satz 1 bei Nichterfüllung zum Wegfall der jeweiligen Antragsberechtigung.221 Sonderrechte, insbesondere ein satzungsmäßiges Entsendungsrecht in den Aufsichtsrat (§ 101 Abs 2), sind mitgliedschaftliche Rechte und fallen unter Abs 7. Das gilt jedenfalls für das Entsendungsrecht der Inhaber bestimmter Aktien als Recht aus Aktien iSd Abs 7.222 Aber auch das Entsendungsrecht ad personam (§ 101 Abs 2 Satz 1 1. Fall) ist ein mitgliedschaftliches Recht, das die Aktionärsstellung voraussetzt. Da Abs 7 sämtliche Aktien erfasst, nicht nur diejenigen, die die Mitteilungspflicht auslösen (Rdn 71), besteht keine Veranlassung, personenbezogene Sonderrechte von dessen Wirkung auszunehmen. Keine „Rechte aus Aktien“ sind die Ansprüche auf Abfindung und Ausgleich gegen den Partner des Unternehmensvertrages (§§ 304, 305)223 sowie der Umtausch der Aktien im Fall der Verschmelzung.224 ee) Der Anspruch auf den Anteil am Abwicklungsüberschuss (§ 271) wurde über- 82 wiegend schon nach altem Recht der Sperre des Abs 7 aF unterworfen.225 Der damit verbundene endgültige Substanzverlust würde über den Normzweck hinausgehen.226 Abs 7 Satz 2 geht davon aus, dass der Anspruch aus § 271 ruht, aber bei Vorsatz oder fehlender Nachholung der Mitteilung vom Rechtsverlust erfasst ist. Aus den genannten Gründen bleibt aber auch diese Lösung Zweifeln ausgesetzt;227 die Gesetzesbegründung ist insofern widersprüchlich. Ab welchem Zeitpunkt Rechtsverlust bzw Ruhen eintreten und nach Satz 2 eine nicht vorsätzlich unterlassene Mitteilung rechtserhaltend nachgeholt werden kann, ist unklar. In Betracht kommt der Eintritt des Auflösungsgrundes iSd § 262, insbesondere ein Auflösungsbeschluss.228 Die Auflösungsgründe der Ablehnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse und der Vermögenslosigkeit (§ 262 Abs 1 Nr 4 und 6) lassen die Frage nach einem Abwicklungsüberschuss praktisch entfallen. Der ungewöhnliche Fall des Abschlusses eines Insolvenzverfahrens mit einem Überschuss bei der Schlussverteilung führt zu einem Anspruch, für den § 199 InsO auf die aktienrechtlichen Vorschriften verweist. Der Anspruch auf den Abwicklungsüberschuss entsteht aber erst, wenn die gesetzlichen Verteilungsvoraussetzungen erfüllt sind.229 In Anlehnung an die stufenweise Entstehung des Dividendenanspruchs (Rdn 74) kann man von dem abstrakten mitgliedschaftlichen Recht auf Teilhabe am Abwicklungsüberschuss im Zeitpunkt der Auflösung ausgehen, das bei vorsätzlicher Verletzung der Mitteilungspflicht entfällt und im Übrigen durch unverzügliche Nachholung bis zum Zeitpunkt des Erstarkens zum durchsetzbaren Anspruch erhalten werden
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221 Vgl OLG München 11.5.2010 – Wx 14/10, NZG 2010, 866 betr Rechtsverlust durch Squeeze-out. 222 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 47; Geßler/Geßler Rdn 71; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 223; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 66; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 43. 223 So insbes Habersack FS Säcker, 2011, S 355, 357 ff zu § 28 WpHG; ferner KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 65; Schmidt/Lutter/Veil3 Anh § 33: § 28 WpHG Rdn 10. 224 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 65. 225 Geßler/Geßler Rdn 73; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 234 (der jedoch von einem Ruhen des Rechts, nicht vom endgültigen Verlust ausgeht); KK/Koppensteiner2 Rdn 50; – aA MünchHdbAG/Krieger1 § 68 Rdn 139; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 285 ff. 226 Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 285 ff mit weiteren Differenzierungen hinsichtlich eines im Abwicklungszeitraum erwirtschafteten Gewinnes; kritisch Hüffer/Koch11 Rdn 13. – Auch die BegrRegE, BRDrucks 605/97 S 95 geht davon aus, dass die Mitgliedschaft als solche nicht betroffen sein soll. 227 Hüffer/Koch11 Rdn 13. 228 Dafür KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 79. 229 Aufstellung der Schlussbilanz mit Verteilungsplan durch die Abwickler, Einhaltung des Sperrjahres nach § 272, MünchKomm/J Koch4 § 271 Rdn 3; Spindler/Stilz/Bachmann3 § 271 Rdn 2, 7; – aA Burgard Die Offenlegung von Beteiligungen S 60: Liquidationsbeschluss, der aber nur zu einem Recht auf Durchführung der Abwicklung und Verteilung allgemein führt, vgl Rdn 74.
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kann.230 Der als vorübergehend gedachte Rechtsverlust zielt zwar nicht darauf ab, die Vermögensposition der übrigen Aktionäre zu verbessern. Genau das wird aber durch die Einbeziehung von Ansprüchen nach § 271 bewirkt.231 Eine Präventivfunktion kann § 20 Abs 7 nicht mehr ausüben. 83
c) Die Sanktionsfolgen des Abs 7 entfallen mit Wegfall der Mitteilungspflicht ex nunc unabhängig von einer Mitteilung nach Abs 5 (Rdn 37 ff),232 im Fall der Nachholung nach Abs 7 Satz 2 ex tunc. Für einen Erwerber von Aktien sind Mitteilungspflichten jeweils nach dessen Verhältnissen zu bestimmen. Veräußerungen im Zeitraum möglicher Nachholung, die die Mitteilungspflicht entfallen lassen, können zu Zweifelsfällen führen. Dann könnte mit der Mitteilungspflicht auch die Nachholungsmöglichkeit entfallen. Wenn im Zeitpunkt der Bilanzfeststellung die Mitteilungspflicht verletzt war, bleibt beim nicht mitteilungspflichtigen Erwerber solcher Aktien der abstrakte Gewinnanspruch (§ 58 Abs 4) als mitgliedschaftliches Recht unberührt. Die hM stellt auf den Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses ab (Rdn 74, 76). Wenn vor der über die Gewinnverwendung beschließenden Hauptversammlung die Pflicht durch Veräußerung von Aktien entfallen ist (Rdn 37), sind die Aktien des Erwerbers dividendenberechtigt.233 Überträgt das mitteilungssäumige Unternehmen die Aktien nach dem Gewinnverwendungsbeschluss, hat der Erwerber keinen Dividendenanspruch.234 Eine vom Veräußerer zugesagte „Weiterleitung“ der Dividende ist ein rein schuldrechtlicher Anspruch ohne gesellschaftsrechtlichen Gehalt.235 Das veräußernde Unternehmen kann „seinen“ Dividendenanspruch mangels Mitteilungspflicht nicht mehr durch Nachholung nach Abs 7 Satz 2 retten.236 Eine Verlängerung der Sanktion wie in § 28 Satz 3 WpHG kennt § 20 nicht.
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d) Die Folgen einer gegen Abs 7 verstoßenden Rechtsausübung richten sich nach der Art des betroffenen Rechts. In der Hauptversammlung abgegebene Stimmen sind nichtig (§ 134 BGB). Die Stimmrechtsausübung ist ordnungswidrig nach § 405 Abs 3 Nr 5. Hauptversammlungsbeschlüsse sind anfechtbar, wenn der Versammlungsleiter diese Stimmen für die Feststellung des Beschlussergebnisses mitzählt und das Stimmgewicht der unzulässig abgegebenen Stimmen das Ergebnis beeinflussen konnte.237 Ist letzteres nicht der Fall, kann noch auf unzulässige Teilnahme an der Hauptversammlung sowie Ausübung des Rede- und Fragerechts als Gesetzesverstoß abgestellt
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230 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 59; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 79; MünchHdb/Krieger4 § 69 Rdn 144. 231 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 58: Verteilung unter die übrigen Aktionäre. 232 KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 50; Mülbert FS K Schmidt, 2009, S 1219, 1239; – aA Emmerich/ Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 16a, 44: verbleibende Anwendbarkeit des Abs 7 auf restliche Aktien unterhalb der Meldeschwelle; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 51 unter Berufung auf eine nicht überzeugende Entscheidung des LG München II im einstweiligen Rechtsschutzverfahren: Fortbestand der Mitteilungspflicht. 233 Anders für veräußerte eigene Aktien Spindler/Stilz/Cahn3 § 60 Rdn 30. 234 Vgl MünchKomm/Oechsler4 § 71b Rdn 7: Ein nicht existierendes Recht kann nicht durch Verfügung geschaffen werden. 235 Vgl Spengel/Eidgruber DStR 2015, 785, 787 zu Cum/Ex-Geschäften. 236 Anders wohl diejenigen, die vom Fortbestand der Mitteilungspflicht ausgehen: Emmerich/ Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 16a; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 51. 237 AllgM; BGH 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204; BGH 29.4.2014 – II ZR 262/13 Rdn 9 ff (juris), Hinweisbeschluss zu § 21 WpHG; 4. Aufl K Schmidt § 243 Rdn 22, 38; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 51; Geßler/Geßler Rdn 78; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 224; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277; Hüffer/Koch11 Rdn 17; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 81; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 139; MünchKomm/Bayer4 Rdn 56 f; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 47.
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werden, dessen Relevanz für das Beschlussergebnis aber im Einzelnen begründet werden muss.238 Ein Bestätigungsbeschluss nach § 244 ist möglich, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse in der Zwischenzeit geändert haben, zB durch Erfüllung oder Wegfall (Rdn 37 ff, 83) der Mitteilungspflicht.239 Eine zu Unrecht gezahlte Dividende kann die Gesellschaft zurückfordern. An- 85 spruchsgrundlage gegen unmittelbar beteiligte Unternehmen ist § 62 Abs 1.240 Gutgläubiger Dividendenempfang iSd § 62 Abs 1 Satz 2 dürfte kaum vorkommen, da die Mitteilungspflicht Kennenmüssen der relevanten Umstände verlangt (Rdn 49 ff) und hinsichtlich des guten Glaubens entsprechende Maßstäbe gelten.241 Bei Dividendenbezug durch Aktionäre, deren Aktien dem Unternehmen zugerechnet werden, richtet sich die Rückzahlung bei Treuhandverhältnissen ebenfalls nach § 62, sonst nach §§ 812 ff BGB.242 Ein fehlender Bezugsanspruch führt dazu, dass bei einem Zeichnungsangebot 86 durch die Gesellschaft bzw einem entsprechenden Angebot beim mittelbaren Bezugsrecht aufgrund des (vermeintlichen) Bezugsrechts ein Anspruch auf Lieferung der Aktien nicht entsteht.243 Zu Unrecht bezogene Aktien sind schon im Interesse der Kapitalaufbringung wirksam; der Wert des Bezugsrechts selbst ist eine unzulässige und deshalb nach § 62 Abs 1 zurückzugewährende Leistung.244 Die Aktien bzw der Wert der entfallenen Bezugsrechte kommen nicht den übrigen Aktionären zugute,245 da deren Beteiligungsquote sich nicht erhöht und die Sanktion keine Begünstigung der übrigen Aktionäre bezweckt (Rdn 78). Ein Erwerber bei mittelbarem Bezugsrecht muss sich wie ein Zeichner behandeln lassen. Rechte aus den jungen Aktien bestehen nicht, solange die Mitteilungspflicht nicht erfüllt ist, Abs 7 Satz 1. 3. Beweislast. Ob die Mitteilungspflicht überhaupt besteht und ob ihre Erfüllung 87 unverzüglich erfolgte (Rdn 48 ff), bietet Anlass für zahlreiche Streitigkeiten. Ausgangspunkt kann, wie in durch die Rechtsprechung bekannten Fällen, sein, dass die Gesellschaft ein Aktionärsrecht verweigert oder ein Aktionär Hauptversammlungsbeschlüsse anficht. Der volle Beweis aller Voraussetzungen kann von der Gesellschaft nicht verlangt werden. Dafür spricht nicht nur die Einordnung der Mitteilungspflicht als mitgliedschaftliche Verpflichtung (Rdn 8 f), deren Erfüllung Voraussetzung für die Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte ist, sondern auch dass die maßgeblichen Tatsachen etwa der Zurechnungsgründe und der Konzernorganisation sich im Lebens- und Erfahrungsbereich des beteiligten Unternehmens befinden. Es genügt daher, wenn die Gesellschaft einen
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238 4. Aufl K Schmidt § 243 Rdn 22 ff, 30 f; enger Geßler/Geßler Rdn 77; MünchKomm/Bayer4 Rdn 56; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 44: Teilnahme und Wahrnehmung des Auskunftsrechts bleibe ohne Folgen; vgl auch LG München I 27.11.2008 – 5 HK O 3928/08 (juris) Rdn 14 zu § 59 WpÜG. 239 Ausführlich Happ FS K Schmidt, 2009, S 454, 559 ff, gegen LG Köln 5.10.2007 – 82 O 114/06 Rdn 185 (juris) (STRABAG); Segna AG 2008, 311, 316 ff. 240 Geßler/Geßler Rdn 85; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 225 f; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 291 f; Hüffer/Koch11 Rdn 17; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 82; KK/Drygala3 § 62 Rdn 50; MünchKomm/Bayer4 Rdn 76; vgl auch LG München I 27.11.2008 – 5 HK O 3928/08 (juris) Rdn 17 zu § 59 WpÜG; – aA noch Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 17: § 812 BGB. 241 Zu differenzierten Anforderungen bei Groß- und Kleinaktionären 4. Aufl Henze § 62 Rdn 79; KK/Drygala3 § 62 Rdn 83; Schmidt/Lutter/Fleischer3 § 62 Rdn 24. 242 4. Aufl Henze § 62 Rdn 22 ff, 30; KK/Drygala3 § 62 Rdn 36, 38. 243 BGHZ 114, 203, 207 ff. 244 HM; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 62; Hüffer FS Boujong, 1996, S 277, 294; Hüffer/Koch11 Rdn 17; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 83; MünchKomm/Bayer4 Rdn 66; Spindler/Stilz/Peters3 Rdn 45. 245 So Geßler/Geßler Rdn 81 aE: Rückübertragungsanspruch der Aktien an die Gesellschaft und nachträgliches Bezugsrecht; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 83: Kompensation des (nach dortiger Auffassung) entgangenen Bezugsrechts; ähnlich 3. Aufl Würdinger Anm 12.
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prima facie schlüssigen Fall darlegt, gegen den sich das Unternehmen dann verteidigen kann.246 Will sich das Unternehmen auf unverschuldete Unkenntnis der Mitteilungspflicht berufen (Rdn 50 f), muss es die Voraussetzungen dafür darlegen und beweisen.247 Macht das Unternehmen geltend, dass erst die Zusammenrechnung kleinerer Beteiligungen von Tochter- und Enkelgesellschaften zur Mitteilungspflicht führten und deren Beteiligungspolitik nicht Gegenstand des möglichen beherrschenden Einflusses im Sinne der tatsächlich praktizierten Gruppenstruktur ist, kann sich die Beweisführung auch mit der vorgelagerten Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung (Windbichler § 17 Rdn 71 ff, 87) oder auch mit der Widerlegung der Konzernvermutung (Windbichler § 18 Rdn 36) überschneiden, die denselben Regeln folgt. Manche Entscheidungen zeigen eine Neigung, die Mitteilungspflichten für Anfechtungsklagen zu instrumentalisieren.248 Im Anfechtungsprozess muss der Kläger den Anfechtungsgrund darlegen und beweisen; trägt er einen relevanten Verstoß gegen Abs 7 schlüssig vor, genügt bloßes Bestreiten seitens der Gesellschaft nicht, was zu Schwierigkeiten führt, wenn die Gesellschaft keinen Zugang zu den Verhältnissen des beteiligten Unternehmens hat. Die nicht vorsätzliche Unterlassung der Mitteilung iSd Abs 7 Satz 2 hat das Unternehmen zu beweisen, das einen Dividendenanspruch bzw einen Anspruch auf Abwicklungsüberschuss geltend macht.249 88
4. Haftung. Folgende denkbare Haftungsverhältnisse sind zu unterscheiden: Das beteiligte Unternehmen könnte wegen Unterlassung einer nach § 20 erforderlichen Mitteilung gegenüber der Gesellschaft, den übrigen Aktionären, Dritten oder eigenen abhängigen Unternehmen und Vertragspartnern haften. Die Gesellschaft selbst könnte wegen Verletzung der Bekanntmachungspflicht von Aktionären oder Dritten ersatzpflichtig werden. Den Organmitgliedern der Gesellschaft könnten Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit § 20 vorzuwerfen sein. Ferner ist nach den jeweiligen Pflichtverletzungen zu unterscheiden.
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a) Das beteiligte Unternehmen ist der Gesellschaft selbst wegen Verletzung einer mitgliedschaftlichen Pflicht (Rdn 8 f) verantwortlich. Das kann etwa bei erfolgreicher Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses hinsichtlich der Kosten relevant werden. Im Übrigen ist zu unterscheiden: Gegenüber anderen Aktionären kommt nur unter spezifischen Umständen des Einzelfalles eine Treupflichtverletzung durch Unterlassung einer nach § 20 erforderlichen Mitteilung in Betracht.250 Entsprechendes gilt für Mitteilungen, die unzutreffend sind und nicht rein vorsorglich wegen bestehender Unklarheiten (Rdn 43), sondern womöglich zu Manipulationszwecken abgegeben worden sind. Streitig ist, ob § 20 Schutzgesetz iSd § 823 Abs 2 BGB ist.251 Auch zu §§ 21 ff WpHG
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246 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 51; Grigoleit/Rachlitz Rdn 6; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 57; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 55. 247 Burgard Die Offenlegung von Beteiligungen S 56; ebenso für § 21 WpHG Assmann/U H Schneider WpHG § 21, 84, § 28, 6; – vgl auch die BegrRegE zur Änderung des § 28 WpHG im Dritten FinanzmarktförderungsG, BRDrucks 605/97 S 95: Beweislastumkehr für die Fälle der Heilung nach S 2. 248 Happ FS K Schmidt, 2009, S 454 ff; Paudtke NZG 2009, 939, 940 f; zum gleichgelagerten Problem bei § 28 WpHG Fleischer/Bedkowski DStR 2010, 933, 934. 249 MünchKomm/Bayer4 Rdn 81 ff. 250 Zur Treuepflicht der Aktionäre untereinander 4. Aufl Henze/Notz Anh § 53a Rdn 27, 52 ff; Schmidt/ Lutter/Fleischer3 § 53a Rdn 42, 49 ff; vgl auch BGH 20.4.2009 – II ZR 148/07, NZG 2009, 827, 828 zur Treuepflicht der übrigen Aktionäre; – davon zu unterscheiden ist die – hier abgelehnte – Extension von Mitteilungspflichten selbst durch die Treuepflicht, Rdn 1 aE. 251 Dafür Burgard Die Offenlegung von Beteiligungen, 1990, S 53 f; Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 235; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 90; MünchKomm/Bayer4 Rdn 85; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 45 (unter Hinweis auf nicht zu erwartende praktische Relevanz); differenzierend Emmerich/Habersack/Emmerich
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besteht darüber Streit; nach überwiegender Ansicht handelt es sich um marktbezogenes Recht, nicht um ein Schutzgesetz.252 Die dortigen Argumente können aber nicht ohne weiteres übertragen werden, da vorliegend die aufsichtsrechtliche Komponente fehlt (Rdn 4). Empfänger der Meldung ist die Gesellschaft, so dass ohnehin nur die bekanntmachungspflichtigen Mitteilungen (Abs 1 und 4) in Betracht kommen. Auf die selbständige Klagbarkeit kommt es für den Schutzgesetzcharakter nicht an.253 Entscheidend ist vielmehr, ob ein deliktischer Vermögensschutz zur Verwirklichung des gesetzgeberischen Willens (dazu Rdn 5 f) erforderlich ist. Angesichts der eigenständigen Sanktion in Abs 7 und der nur weitläufig vermittelten und schwer feststellbaren Vermögensbeeinträchtigung ist das nicht der Fall; die in der Mitgliedschaft begründete Regelung schützt Aktionäre nur im Rahmen des Gesellschaftsrechts, Dritte nur reflexartig (Rdn 8). Abs 1 und 4 sind daher kein Schutzgesetz iSd § 823 Abs 2 BGB. Das mitteilungspflichtige Unternehmen kann sich aber aus der jeweiligen Rechtsbeziehung schadensersatzpflichtig machen, wenn ein abhängiges Unternehmen oder ein Treuhänder wegen der Zurechnung (Rdn 69) gleichwohl Rechte nach Abs 7 verliert und dadurch einen Schaden erleidet, schon gar wenn die Betroffenen einer eigenen Mitteilungspflicht nachgekommen sind. Die Missachtung der Sanktion des Abs 7 ist eine Anmaßung mitgliedschaftlicher 90 Rechte, die vorübergehend nicht bestehen. Das verpflichtet zum Schadensersatz aus Gesellschaftsrecht gegenüber der Gesellschaft und den übrigen Aktionären. Zweifelhaft ist auch hier, ob es sich um ein Schutzgesetz zugunsten der Allgemeinheit (Gläubiger, zukünftige Aktionäre) handelt.254 Angesichts des engen Mitgliedschaftsbezugs der Sanktion (Rdn 1, 8) ist der Schutz Dritter nur als Reflex anzusehen, zumal allenfalls die sanktionsbewehrte Vorschrift den Schutzzweck hat, nicht die Sanktion. Geht die Missachtung der Sanktion mit einer Einflussnahme auf Organmitglieder oder Führungskräfte der Gesellschaft einher, kommt eine deliktische Haftung nach § 117 in Betracht. Das gilt auch für die unzulässige Einflussnahme des Unternehmens, das eine Mitteilung abgegeben hat, auf deren Bekanntmachung durch die Gesellschaft (Rdn 59). b) Die Gesellschaft haftet nach § 823 Abs 2 BGB bei schuldhafter Verzögerung oder 91 Versäumung der Bekanntmachung nach Abs 6 (Rdn 60).255 Sie kann gegebenenfalls bei den intern verantwortlichen Personen Regress nehmen (Rdn 92). Da die Gesellschaft auf die Rechtsfolgen bei Nichterfüllung der Mitteilungspflichten nicht verzichten kann (Rdn 9, 57), hat sie diesbezüglich nur begrenzten unternehmerischen Ermessensspielraum.256 Gleichwohl führt die Nichtdurchsetzung der Sanktion nicht zu Ersatzansprü-
_____ Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 64; – dagegen Grigoleit/Rachlitz Rdn 7; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 18. 252 Für Schutzgesetz Assmann/Schneider WpHG6 § 28 Rdn 79; MünchKomm/Bayer4 WpHG § 21 Rdn 2; – dagegen Assmann/Schütze/Süßmann HdbKapAnlR4 § 14 Rdn 89; Schmidt/Lutter/Veil3 Anh § 22: § 28 WpHG Rdn 28; Schwark/Zimmer/Schwark KMRK4 § 28 WpHG Rdn 20; Spindler/Stilz/Petersen3 Anh § 22 Rdn 16; – vgl auch BGH 22.6.2010 – VI ZR 212/09, BGHZ 186, 58: § 34a Abs 1 Satz 1 WpHG kein Schutzgesetz; BGH 13.12.2011 – XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 Rn 26: § 20a WpHG kein Schutzgesetz; BGH 11.6.2013 – II ZR 80/12, NZG 2013, 939: § 35 Abs 2 WpÜG kein Schutzgesetz. 253 MünchKomm/Bayer4 Rdn 2; – es gibt zahlreiche Schutz- und Verkehrspflichten, die nicht selbständig klagbar sind, bei Verletzung aber zu Schadensersatzansprüchen führen können. 254 Dafür Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 235; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 149, der aber nur eine Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft erwähnt; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 90. 255 Geßler/Geßler Rdn 60; Hüffer/Koch11 Rdn 9 aE; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 90; MünchHdbAG/ Krieger4 § 69 Rdn 149; MünchKomm/Bayer4 Rdn 85; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 47; – aA 3. Aufl Würdinger Anm 10 aE. 256 Hopt/Roth § 93 Rdn 74 ff; 4. Aufl Hopt/Roth § 111 Rdn 234 ff, 352 ff.
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chen Dritter, da Abs 7 kein Schutzgesetzcharakter zukommt (Rdn 90). Eine Bußgeldbewehrung wie in § 39 Abs 2 Nr 2 e) WpHG gibt es nicht. 92
c) Die Organmitglieder der betroffenen Gesellschaft sind im Rahmen der ordnungsgemäßen Geschäftsführung bzw Überwachung (§§ 93 Abs 1, 116) verpflichtet, die Ausübung von nach Abs 7 nicht bestehenden Rechten zu verhindern.257 Insofern kommen in Zweifelsfällen Rückfragen auch außerhalb des § 22 in Betracht (s dort Rdn 2); eine spezifische Nachforschungspflicht besteht hingegen nicht (Rdn 51). Das möglicherweise meldepflichtige Unternehmen ist gegebenenfalls aus der Mitgliedschaft zur Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung verpflichtet (Rdn 8 f). Wenn die Verzögerung oder Versäumung der Bekanntmachung nach Abs 6 zu Ersatzansprüchen gegen die Gesellschaft führt, sind dafür verantwortliche Organmitglieder der Gesellschaft nach §§ 93 Abs 1, 116 zur Freistellung bzw zum Ersatz verpflichtet (Rdn 91). Die Veröffentlichung kann nicht durch Zwangsgeld durchgesetzt werden.258 X. Ausnahme für Emittenten (Abs 8)
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Das Dritte FinanzmarktförderungsG hat 1998 Abs 8 angefügt, nach dem die Abs 1 bis 7 nicht für Aktien einer börsennotierten Gesellschaft iSd § 21 Abs 2 WpHG gelten; 2007 sprachlich angepasst ist nunmehr von Emittenten die Rede.259 § 21 Abs 2 WpHG wurde seither ebenfalls geändert, nicht aber im hier interessierenden Bereich der Definition. Emittenten in diesem Sinne sind Inlandsemittenten und Emittenten, für die die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist, deren Aktien zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. § 2 Abs 5 WpHG bezeichnet als organisierten Markt ein im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des EWR betriebenes oder verwaltetes, durch staatliche Stellen genehmigtes, geregeltes und überwachtes multilaterales Handelssystem. Gleichlaufend mit § 3 Abs 2 und § 264d HGB sind damit Gesellschaften mit im Freiverkehr gehandelten Aktien nicht erfasst; diese unterliegen weiter § 20. Zur Befreiung nach Abs 8 genügt die Emittenteneigenschaft iSd § 21 Abs 2 WpHG; darauf, ob die kapitalmarktrechtlichen Meldepflichten erfüllt sind, kommt es nicht an. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut lässt auch die zugelassene Nichtberücksichtigung von Stimmrechten nach § 23 WpHG die gesellschaftsrechtliche Mitteilungspflicht nicht aufleben (Rdn 56). Insgesamt setzen die Meldepflichten nach WpHG früher ein als die des AktG. Unternehmenseigenschaft des Aktionärs ist nicht erforderlich; die niedrigste Schwelle, die eine Meldepflicht auslöst, ist das Erreichen von 3% der Stimmrechte (Rdn 12); die Sanktionen (§ 28 WpHG) greifen, anders als nach Abs 7, in sämtlichen Zurechnungsfällen und auch bei Unterlassen der Meldung eines Absinkens der Beteiligung. Zweck der Ausschlussregelung in Abs 8 ist die Vereinfachung der Mitteilungs- und Meldepflichten (Rdn 4, 10). Gesellschaften, die bereits nach WpHG meldepflichtig sind, sollen nicht durch abweichende zusätzliche Mitteilungspflichten belastet werden. In vielen Fällen dürften die Informationszwecke des § 20 durch die kapitalmarktrechtlichen Meldepflichten erfüllt sein. Eine Vereinheitlichung ist damit aber nicht erreicht (Rdn 2, 10). Insbesondere für die wechselseitige Beteiligung bestehen aber Lücken, da die auf die Definition des § 19 Abs 1 und die Rechtsfolgen des § 328 zugeschnittene Mitteilungs-
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257 Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 235; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 149; Quack FS Semler, 1993, S 581, 585 ff; s auch KK/Koppensteiner2 56; Geßler/Geßler 86 betr Dividendenzahlung. 258 So aber Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 47 unter unzutr Hinweis auf § 407 und § 335 HGB. 259 TransparenzRL-Umsetzungsgesetz (TUG) v 5.1.2007, BGBl I S 10.
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pflicht nach Abs 3 keine genaue Entsprechung im WpHG findet (Rdn 33, Windbichler § 19 Rdn 3). XI. Auslandsbezug und Rechtsvergleichung Da die Vorschrift nur Beteiligungen an inländischen Gesellschaften betrifft (Rdn 18), 94 beschränken sich die Fragen des Auslandsbezugs auf ausländische Unternehmen als Aktionäre (Rdn 16, 35).260 Als mitgliedschaftliche Verpflichtung (Rdn 8 f) unterliegt die Mitteilungspflicht dem Statut der Gesellschaft, auf Nationalität oder Statut des beteiligten Unternehmens kommt es nicht an. Zur Feststellung der einzelnen Merkmale, die die Mitteilungspflicht auslösen, ist gegebenenfalls Substitution erforderlich (Windbichler Vor §§ 15 ff Rdn 72). Rechtsvergleichend wurde bereits im ursprünglichen Gesetzgebungsverfahren 95 festgestellt, dass in den USA, Frankreich und England weiterreichende Publizitätspflichten bestanden.261 Die Pflicht zur Offenlegung von Beteiligungen ist jedoch stark kapitalmarktrechtlich dominiert.262 Im U.S.-amerikanischen Kapitalmarktrecht verlangt der sog Williams Act (1968), § 13 (d) SEC Act iVm Schedule 13 D und Rule 13-d 1, Offenlegung ab 5%iger Beteiligung mit Ausnahmen für Broker und bestimmte institutionelle Anleger. Insgesamt sind Mitteilungspflichten über qualifizierte Beteiligungen sehr verbreitet. Mitteilungspflichten rein gesellschaftsrechtlicher Art ohne Kapitalmarktbezug sind jedoch die Ausnahme.263 Die Transparenz gegenüber der Gesellschaft, die aus dem überwiegenden Gebrauch von Namensaktien und den Aktienregistern folgt, versagt oftmals beim Auseinanderfallen von rechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum.264 § 21 Mitteilungspflichten der Gesellschaft Windbichler QQQ
§ 21 Mitteilungspflichten der Gesellschaft (1) Sobald der Gesellschaft mehr als der vierte Teil der Anteile einer anderen Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland gehört, hat sie dies dem Unternehmen, an dem die Beteiligung besteht, unverzüglich schriftlich mitzuteilen. Für die Feststellung, ob der Gesellschaft mehr als der vierte Teil der Anteile gehört, gilt § 16 Abs 2 Satz 1, Abs 4 sinngemäß. (2) Sobald der Gesellschaft eine Mehrheitsbeteiligung (§ 16 Abs 1) an einem anderen Unternehmen gehört, hat sie dies dem Unternehmen, an dem die Mehrheitsbeteiligung besteht, unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (3) Besteht die Beteiligung in der nach Absatz 1 oder 2 mitteilungspflichtigen Höhe nicht mehr, hat die Gesellschaft dies dem anderen Unternehmen unverzüglich schriftlich mitzuteilen.
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260 AllgM; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 13a; Hüffer/Koch11 Rdn 2; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 34; MünchKomm/Bayer4 Rdn 6; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 1; jeweils mit – hier abgelehnter, Rdn 35 – Einschränkung betr Abs 3. 261 Ausschussbericht bei Kropff AktG S 41. 262 Siems Die Konvergenz der Rechtssysteme im Recht der Aktionäre, 2005, S 190 ff. 263 Kindler ZGR 1997, 449, 451 f. 264 Vgl etwa sec 126 Companies Act 2006: „No notice of any trust, expressed, implied or constructive, shall be entered on the register of members of a company registered in England and Wales or Northern Ireland, or be receivable by the registrar.“; Siems Die Konvergenz der Rechtssysteme im Recht der Aktionäre, 2005, S 186 ff.
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§ 21 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
(4) Rechte aus Anteilen, die einer nach Absatz 1 oder 2 mitteilungspflichtigen Gesellschaft gehören, bestehen nicht für die Zeit, für die sie die Mitteilungspflicht nicht erfüllt. § 20 Abs 7 Satz 2 gilt entsprechend. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht für Aktien eines Emittenten im Sinne des § 21 Abs 2 des Wertpapierhandelsgesetzes.
I.
II.
Systematische Übersicht Allgemeines | 1 1. Normzweck und systematische Stellung | 1 2. Verhältnis zu anderen Mitteilungspflichten | 2 a) § 20 | 2 b) § 21 WpHG (Abs 5) | 3 c) § 131 | 4 d) Rechnungslegung | 5 Mitteilung bei Überschreiten der Viertelbeteiligung (Abs 1) | 6 1. Mitteilungsverpflichtete Gesellschaften | 6
2.
III.
IV. V.
Beteiligungsgesellschaft und Beteiligungshöhe | 7 3. Inhalt und Form der Mitteilung | 8 Mitteilung einer Mehrheitsbeteiligung (Abs 2) | 9 1. Beteiligungsunternehmen | 9 2. Beteiligungshöhe | 10 Mitteilung des Unterschreitens von Beteiligungsschwellen (Abs 3) | 11 Sanktionen und weitere Rechtsfolgen | 12 1. Rechtsverlust für die Zeit unterlassener Mitteilung (Abs 4) | 12 2. Sonstige Folgen | 13
Schrifttum siehe § 20 Ferner Bungert Mitteilungspflichten gemäß § 21 II AktG gegenüber Beteiligungsunternehmen mit Auslandssitz?, NZG 1999, 757; Grimm/Wenzel Praxisrelevante Probleme der Mitteilungspflichten nach § 21 AktG, AG 2012, 274; Holland/Burg Mitteilungspflicht nach § 21 AktG beim Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile einer GmbH?, NZG 2006, 601; Leitzen Mitteilungspflichten nach § 21 AktG und die notarielle Praxis im Gesellschaftsrecht, MittBayNot 2012, 183.
I. Allgemeines 1
1. Normzweck und systematische Stellung. Die Vorschrift normiert Mitteilungspflichten der Gesellschaft gegenüber Kapitalgesellschaften und anderen Unternehmen. Sie bezwecken nicht in erster Linie die Information der Empfänger der Mitteilung in deren Interesse, sondern sollen zugleich Rückwirkungen auf die Gesellschaft selbst sichern. Das betrifft die Folgen der wechselseitigen Beteiligung im technischen Sinne des § 19 sowie die Beschränkung der Rechte, denen ein in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen unterliegt,1 also das Zeichnungsverbot nach § 56 Abs 2 und das Verbot des mittelbaren Erwerbs eigener Aktien nach § 71d Satz 2. In § 328 Abs 1 Satz 1, Abs 2 ist auf die Mitteilung nach § 21 Abs 1 ausdrücklich Bezug genommen. Für nach § 21 Abs 1 und 2 mitgeteilte Beteiligungen kann das Empfängerunternehmen gemäß § 22 Nachweise verlangen. Eine Bekanntmachungspflicht entsprechend § 20 Abs 6 besteht nicht. Das Dritte FinanzmarktförderungsG 1998 hat § 21 den Änderungen des § 20 angeglichen und den Anwendungsbereich im Interesse einer Teilharmonisierung mit dem WpHG eingeschränkt; sprachlich angepasst ist seit 2007 vom Emittenten die Rede (Windbichler § 20 Rdn 93).
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1 BegrRegE bei Kropff AktG S 39; Geßler/Geßler Rdn 1 f; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 1; KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 1, 3; MünchKomm/Bayer4 Rdn 2; – zu breit verschiedene Interessen betonend Hüffer/Koch11 Rdn 1; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 1.
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Mitteilungspflichten der Gesellschaft | § 21
2. Verhältnis zu anderen Mitteilungspflichten a) § 21 überschneidet sich teilweise mit den Mitteilungspflichten nach § 20, wenn 2 das Empfängerunternehmen ebenfalls eine inländische AG, SE oder KGaA und nicht nach § 20 Abs 8, § 21 Abs 5 ausgenommen ist. § 21 ist aber keine speziellere Norm in dem Sinne, dass sie die weiterreichenden Pflichten des § 20 verdrängt oder umgekehrt § 20 Vorrang hätte.2 Eine Mitteilung, die Verpflichtungen nach beiden Vorschriften genügen soll, ist als solche zu kennzeichnen.3 Über die §§ 20 und 21 hinaus geht § 328 Abs 4, der Mitteilung der jeweils genauen Beteiligungshöhe sowie jeder Änderung verlangt. b) Überschneidungen bestanden bis 1998 auch zu § 21 ff WpHG, die jedoch stimm- 3 rechtsorientiert anknüpfen, während § 21 Abs 1 von den Anteilen ausgeht. Nunmehr unterliegen nach Abs 5 Aktien eines Emittenten iSd § 21 Abs 2 WpHG ausschließlich den kapitalmarktrechtlichen Meldepflichten. Mit Rücksicht auf die wechselseitige Beteiligung im technischen Sinn ist das wenig hilfreich, da § 328 die anteilsorientierte Definition des § 19 zugrunde legt (Rdn 7) und sich nach dem Gesetzeswortlaut auf die aktienrechtlichen Mitteilungspflichten bezieht.4 c) Das Auskunftsrecht der Aktionäre nach § 131 erfasst auch Beteiligungen an ande- 4 ren Unternehmen, soweit diese Informationen zur Beurteilung von Gegenständen der Tagesordnung erforderlich sind. Die Bezugnahme auf das Rechnungslegungsrecht in § 131 Abs 1 Satz 3 und 4 sowie der Zweck der Vorschrift legen nahe, dass „Beziehungen zu verbundenen Unternehmen“ nicht als Einschränkung auf den technischen Begriff des § 15 zu verstehen ist. Beteiligungen, die nach § 21 mitzuteilen sind, unterliegen jedenfalls bei Tagesordnungsrelevanz als Angelegenheit der Gesellschaft auch dem Auskunftsrecht der Aktionäre. d) Für die Rechnungslegung verlangt § 285 Nr 11 HGB im Anhang die Angabe von 5 Name und Sitz anderer Unternehmen, von denen eine Kapitalgesellschaft mehr als 20% der Anteile besitzt, sowie die Höhe des Anteils, das Eigenkapital und das Ergebnis des letzten Geschäftsjahres; börsennotierte Kapitalgesellschaften müssen zusätzlich alle Beteiligungen an großen Kapitalgesellschaften angeben, die 5% der Stimmrechte überschreiten. § 313 Abs 2 Nr 4 HGB enthält eine entsprechende Vorschrift für den Konzernanhang. Für diese Angaben bestehen keine größenabhängigen Erleichterungen (§ 288 HGB). Zu branchenspezifischen, aufsichtsrechtlich orientierten Angaben s Windbichler § 20 Rdn 14 f. II. Mitteilung bei Überschreiten der Viertelbeteiligung (Abs 1) 1. Mitteilungsverpflichtete Gesellschaften. Angesprochen sind nur Gesellschaf- 6 ten, die unter das AktG fallen, also AG, SE und KGaA. Das entspricht dem Sprachge-
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2 HM; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 1; MünchKomm/Bayer4 Rdn 5; Windbichler § 20 Rdn 7; – aA, § 20 lex specialis, Hüffer/Koch11 Rdn 1 unter Berufung auf KG AG 2000, 227; die Aussage ist in der Revisionsentscheidung, BGH 24.7.2000 – II ZR 168/99, NZG 2000, 1220, aber nicht mehr enthalten; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 150. 3 Vgl Windbichler § 20 Rdn 44; Geßler/Geßler Rdn 7; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 1, 3; MünchKomm/ Bayer4 Rdn 5; auch Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 4, 7, der aber von einem Vorrang des § 20 ausgeht. 4 Windbichler § 19 Rdn 3, § 20 Rdn 33 ff.
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§ 21 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
brauch des Gesetzes (Windbichler § 15 Rdn 15). Die Beschränkung des Adressatenkreises auf Inlandsgesellschaften ist erforderlich, denn das AktG kann Unternehmen mit fremdem Statut als solchen keine Verpflichtungen auferlegen.5 Die Mitteilungspflichten nach § 20 folgen aus der Mitgliedschaft in der AG, sind also für Unternehmen jeglicher Rechtsform und Nationalität durch das AktG regelbar (Windbichler § 20 Rdn 8, 94). Hier ist dagegen die Gesellschaft selbst aus dem auf sie anwendbaren zwingenden Recht verpflichtet. Für die Vor-AG ist darauf abzustellen, ob § 21 zu den Regeln gehört, die eine Eintragung der Gesellschaft voraussetzen.6 Das ist der Fall,7 da die zu sichernden Vorschriften (Rdn 1) erst bei der eingetragenen Gesellschaft relevant werden. Da § 21 dem § 20 nachgebildet ist, ist auch hier davon auszugehen, dass die Empfänger keinen klagbaren Rechtsanspruch auf die Mitteilung haben (unvollkommene Verbindlichkeit, Windbichler § 20 Rdn 9). Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Vorstands der Gesellschaft, die Mitteilung unter Hinnahme der Folgen nach Abs 4, § 328 zu unterlassen, wenn das im Interesse der Gesellschaft liegt. Dafür spricht auch der Schutzzweck der Norm (Rdn 1), da ein gewissenhafter Vorstand auch ohne Mitteilung unzulässigen Aktienerwerb oder unzulässige Aktienzeichnung (Rdn 1) verhindern kann. 7
2. Beteiligungsgesellschaft und Beteiligungshöhe. Die Gesellschaft, an der die mitteilungspflichtige Beteiligung besteht, muss eine inländische Kapitalgesellschaft sein. Insoweit besteht Gleichklang mit § 19 Abs 1, nicht aber mit § 20 Abs 3; eine wechselseitige Beteiligung im technischen Sinn, die es aufzudecken gilt, kommt nur mit einer inländischen Kapitalgesellschaft in Betracht (Windbichler § 19 Rdn 13 ff, § 20 Rdn 35). Die Beteiligungshöhe in Abs 1, Überschreiten der Viertelbeteiligung, ist ebenfalls auf die Definition der wechselseitigen Beteiligung abgestimmt. Sie ist unter Berücksichtigung von § 16 Abs 2 Satz 1, Abs 4 zu ermitteln. Dass anders als in § 19 Abs 1 und § 20 Abs 1 die „sinngemäße“ Anwendung von Berechnungs- und Zurechnungsvorschriften des § 16 angeordnet ist, hat keine Bedeutung. Es gelten die gleichen Erwägungen wie zu § 19 (Windbichler § 19 Rdn 15 ff). Eine dem § 20 Abs 2 entsprechende weitere Zurechnungsnorm enthält § 21 nicht.
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3. Inhalt und Form der Mitteilung. Die Mitteilung hat unverzüglich und schriftlich zu erfolgen. Insoweit bestehen keine Unterschiede zu § 20 (s dort Rdn 40 ff). Bei Überschneidung mit anderen Mitteilungspflichten ist klarzustellen, welche im Einzelnen erfüllt werden soll (Rdn 2). Das gilt auch bei der Beteiligung an einer GmbH, die gemäß § 40 Abs 1 Satz GmbHG den Geschäftsführern gemeldet wird.8 III. Mitteilung einer Mehrheitsbeteiligung (Abs 2)
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1. Beteiligungsunternehmen. Adressaten der Mitteilung nach Abs 2 sind im Gegensatz zu Abs 1 bei Mehrheitsbeteiligungen nicht nur andere inländische Kapitalgesellschaften, sondern andere Unternehmen unabhängig von Rechtsform und Sitz. Wegen der engen Verknüpfung der Mitteilungspflichten mit den Vorschriften über die
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5 Vgl Windbichler § 19 Rdn 14; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 5; Wiedemann Gesellschaftsrecht § 14 V b. 6 So allgemein zur Anwendung von Vorschriften für die fertige juristische Person auf die Vorgesellschaft BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 (betr GmbH); BGHZ 117, 323 = NJW 1992, 1824 (betr AG), jeweils mwN; KK/ Arnold3 § 41 Rdn 17, 23; K Schmidt § 41 Rdn 41. 7 AA ohne Begründung Grigoleit/Rachlitz Rdn 1. 8 HM, Hüffer/Koch11 Rdn 2; MünchKomm/Bayer4 Rdn 1; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 2; wohl auch Spindler/ Stilz/Petersen3 Rdn 8; – unentschieden KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 2.
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Mitteilungspflichten der Gesellschaft | § 21
wechselseitige Beteiligung, bei Mehrheitsbeteiligung also der qualifizierten wechselseitigen Beteiligung iSd § 19 Abs 3 oder 4, wurde früher teilweise eine Beschränkung auf Kapitalgesellschaften angenommen.9 Dem ist angesichts des klaren Gesetzeswortlauts und des Gesetzeszwecks, der über die Aufdeckung wechselseitiger Beteiligungen hinausreicht (Rdn 1), nicht zu folgen.10 Die Rechtsform des Unternehmens, an dem die Mehrheitsbeteiligung besteht, spielt keine Rolle. Nach verbreiteter Ansicht sollen jedoch nur Mehrheitsbeteiligungen an inländischen Unternehmen mitteilungspflichtig sein.11 Der Gesetzeswortlaut und der Normzweck geben dafür keinen Anhaltspunkt. Auch aus der Verweisung in Abs 4 Satz 2 auf § 20 Abs 7 Satz 2, der wiederum Normen des AktG in Bezug nimmt, können keine Schlüsse gezogen werden. Die Rechtsfolgen der Mehrheitsbeteiligung, etwa das Zeichnungsverbot (§ 56 Abs 2), und das Erwerbsverbot von Aktien nach § 71d Satz 2, treffen auch ausländische Unternehmen. Der Anpassung der Sanktion an den speziellen Fall stehen keine unüberwindlichen Hindernisse entgegen (Rdn 12 f). Ferner ist die Sanktion gegenüber dem eigentlichen Normzweck nachrangig. Es besteht kein Anlass zur einschränkenden Auslegung des Abs 2, zumal § 21 nur Pflichten für Gesellschaften statuiert, die unter das AktG fallen (Rdn 7). 2. Beteiligungshöhe. Abs 2 verweist zwar nur auf § 16 Abs 1; wie in § 20 Abs 4 sind 10 jedoch sämtliche Mehrheitsbeteiligungen iSd § 16 erfasst (Windbichler § 20 Rdn 36); dessen Berechnungs- und Zurechnungsregeln finden Anwendung.12 Da auch Unternehmen in anderer Rechtsform als Kapitalgesellschaften Adressaten sind, sind die entsprechenden Parallelwertungen die Kapitalbeteiligung und das Stimmgewicht betreffend vorzunehmen.13 Die gegebenenfalls eingreifende Sanktion des Abs 4 ist für die Bestimmung des Stimmgewichts außer Acht zu lassen. Für ausnahmsweise entbehrlich gehalten wird die Mitteilung bei der Gründung 100%iger Tochtergesellschaften bzw beim Erwerb sämtlicher Anteile.14 Dem ist für Direktbeteiligungen zuzustimmen, nicht aber für Zurechnungsfälle.15 IV. Mitteilung des Unterschreitens von Beteiligungsschwellen (Abs 3) Der Mitteilungspflicht unterfällt auch das Unterschreiten einer der Schwellen des 11 Abs 1 oder 2. Wie zu § 20 Abs 5 ist davon auszugehen, dass diese Pflicht auch besteht, wenn keine Mitteilung vorausgegangen ist (Windbichler § 20 Rdn 38). Die Voraussetzungen des Abs 3 können ohne Veränderung der Beteiligungsverhältnisse dadurch eintreten, dass Zurechnungsvoraussetzungen entfallen (vgl Windbichler § 20 Rdn 39). Eine
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9 Bernhardt BB 1966, 678, 679; 3. Aufl Würdinger Anm 3; noch enger Emmerich/Sonnenschein KonzernR5 § 6 III 2. 10 HM, Geßler/Geßler Rdn 8; Hüffer/Koch11 Rdn 3; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 4; MünchHdbAG/ Krieger4 § 69 Rdn 152; MünchKomm/Bayer4. 11 Bungert NZG 1999, 757; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 8; Geßler/ Geßler Rdn 8 unter Berufung auf die BegrRegE bei Kropff AktG S 39, die sich aber nur auf Abs 1 bezieht; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 152; MünchKomm/Bayer4 Rdn 3; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 5; offen Emmerich/Habersack KonzernR10 § 6 Rdn 22 aE; – aA, wie hier, Grimm/Wenzel AG 2012, 274, 275 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 3; Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 4; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 4. 12 Geßler/Geßler Rdn 9; Hüffer/Koch11 Rdn 3; MünchKomm/Bayer4 Rdn 3; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 5. 13 BegrRegE bei Kropff AktG S 39; Windbichler § 16 Rdn 16 ff, 45 ff. 14 Baumbach/Hueck/Zöllner GmbHG20 § 47 Rdn 57; Hägele NZG 2000, 726, 729; Holland/Burg NZG 2006, 601, 602 ff; Hüffer/Koch11 Rdn 2; Leitzen MittBayNot 2012, 183, 185 f (nur betr Gründung); MünchHdbAG/ Krieger4 § 69 Rdn 152; – aA aus Gründen des praktischen Risikos ungeklärter Rechtslage Bürgers/Körber/ Becker3 Rdn 2 aE. 15 Grimm/Wenzel AG 2012, 274, 281 f; vgl auch Windbichler § 20 Rdn 54.
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§ 22 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
besondere Sanktion bei Verletzung der Pflicht besteht nicht; es kommen jedoch Schadensersatzansprüche nach allgemeinen Regeln in Betracht (Rdn 13). V. Sanktionen und weitere Rechtsfolgen 12
1. Rechtsverlust für die Zeit unterlassener Mitteilung (Abs 4). Abs 4 ist § 20 Abs 7 nachgebildet und bezieht sich nur auf unterlassene Mitteilungen nach Abs 1 und 2; die Unterlassung der Mitteilung des Absinkens einer Beteiligung nach Abs 3 ist, wie bei § 20 Abs 5, nicht erfasst. Im Unterschied zu § 20 Abs 7 sind die von der Sanktion betroffenen Unternehmen bzw Personen nicht benannt. Daraus wird geschlossen, das Verbot richte sich gegen „jedermann“, insbesondere also auch gegen Inhaber von nach § 16 Abs 4 zugerechneten Anteilen; im Übrigen wird jeweils auf die Ausführungen zu § 20 verwiesen.16 Das wird der „Umkehrung“ zu § 20 aber nicht ganz gerecht, im Einzelnen können sich Unterschiede ergeben, denen je nach konkreter Fallgestaltung nachzugehen ist. § 20 statuiert eine mitgliedschaftliche Pflicht, so dass Konsequenzen hinsichtlich der Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte ein passendes Korrelat sind. § 21 dagegen verpflichtet die Gesellschaft nach ihrem eigenen Recht und regelt nicht die Verhältnisse der Beteiligungsgesellschaft. Insbesondere wenn diese eine andere Rechtsform als die der Kapitalgesellschaft oder ihren Sitz im Ausland (Rdn 9) hat, müssen die Auswirkungen des Verbots jeweils einzeln untersucht und festgestellt werden.17 Der im Recht der beteiligten Gesellschaft begründete Rechtsverlust ist nach dem Recht des Unternehmens, an dem die Beteiligung besteht, zu gewichten. Der Inhalt der Sanktion entspricht weitgehend § 20 Abs 7.
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2. Sonstige Folgen. Nach dem Normzweck des § 21 (Rdn 1) kommt eine Einordnung sowohl der Mitteilungspflichten als auch der Sanktion nach Abs 4 als Schutzgesetz iSd § 823 Abs 2 BGB nicht in Betracht.18 Schadensersatzpflichten sind aber möglich bei schuldhafter Verletzung der jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Beziehungen (vgl Windbichler § 20 Rdn 88). Entsteht der Gesellschaft ein Schaden wegen Nichterfüllung der Mitteilungspflichten, haften ihr ihre Organe nach §§ 93, 116. § 22 Nachweis mitgeteilter Beteiligungen Windbichler QQQ
§ 22 Nachweis mitgeteilter Beteiligungen Ein Unternehmen, dem eine Mitteilung nach § 20 Abs 1, 3 oder 4, § 21 Abs 1 oder 2 gemacht worden ist, kann jederzeit verlangen, daß ihm das Bestehen der Beteiligung nachgewiesen wird.
I. II.
Systematische Übersicht Allgemeines | 1 Voraussetzungen des Nachweisanspruchs | 3 1. Mitteilung | 3 2. Berechtigter und Verpflichteter | 4
III. IV. V.
Inhalt und Reichweite des Anspruchs | 5 Form, Verfahren | 8 Auslandsbezug | 9
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16 Heinsius FS Fischer, 1979, S 215, 217; Hüffer/Koch11 Rdn 4; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 6. 17 Vgl Grimm/Wenzel AG 2012, 274, 278 ff. 18 Für Schutzgesetz Grimm/Wenzel AG 2012, 274, 276 (nur zugunsten des Unternehmens, an dem die Beteiligung besteht); MünchKomm/Bayer4 Rdn 6; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 8; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 12; – unentschieden Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 § 20 Rdn 64; – wie hier Henssler/Strohn/Maier-Reimer2 Rdn 8, § 20 Rdn 18.
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Nachweis mitgeteilter Beteiligungen | § 22
Schrifttum siehe § 20 I. Allgemeines Die Vorschrift gibt den Empfängern von Mitteilungen nach §§ 20 Abs 1, 3 oder 4 1 und 21 Abs 1 oder 2 einen Anspruch auf den Nachweis, dass die mitgeteilte Beteiligung besteht. Berechtigt sind nicht nur AG und KGaA, sondern alle Empfängerunternehmen. Deren Interesse geht auf Rechtssicherheit und Klarstellung, vor allem in komplizierten Zurechnungsfällen und bei sich überschneidenden Mehrfachmitteilungen (Windbichler § 20 Rdn 46, 53). Der Nachweis mag eine erforderliche Veröffentlichung erleichtern, verfolgt aber nicht diesen Zweck;1 bereits die ordnungsgemäße Mitteilung muss die Veröffentlichung nach § 20 Abs 6 ermöglichen (Windbichler § 20 Rdn 42). Außerhalb des Tatbestandes des § 22 sind andere Rückfragen durch die Gesell- 2 schaft möglich und zulässig. Schon vor einer Mitteilung nach § 20 kann der Verdacht einer mitteilungspflichtigen Beteiligung bestehen, dem der Vorstand im Rahmen seiner Pflichten als ordentlicher Geschäftsleiter nachzugehen hat (Windbichler § 20 Rdn 92). Eine Auskunftspflicht des betroffenen Aktionärs lässt sich nicht auf § 20 stützen, weshalb auch entsprechenden Treuepflichtansätzen mit größter Zurückhaltung zu begegnen ist (Windbichler § 20 Rdn 1, 9). Doch wird man aus der Treuepflicht ohne weiteres herleiten können, dass erteilte Auskünfte wahrheitsgemäß sein müssen und nicht irreführend sein dürfen. Davon zu unterscheiden ist die Situation, dass der Vorstand nach seiner pflichtgemäßen Einschätzung einem Unternehmen die Ausübung von Mitgliedschaftsrechten nach § 20 Abs 7 verweigert. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung2 ist es Sache desjenigen, der die Zweifel auszuräumen in der Lage ist, die dafür erforderliche Auskunft zu geben. Es kann jedoch nicht mehr als die Klarstellung der Lage verlangt werden, denn die Mitteilung nach § 20 kann nicht verlangt werden, sie ist nicht selbständig einklagbar (Windbichler § 20 Rdn 9). Im Streitfall gelten die zu § 20 entwickelten Beweislastregeln (Windbichler § 20 Rdn 87). Das WpHG enthält als Parallelvorschrift zugunsten des Emittenten und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in § 27 eine Nachweispflicht auf Verlangen. Auskunftsund Nachweispflichten bestehen ferner nach § 294 Abs 3 Satz 2 HGB, der aber nicht über seinen Anwendungsbereich hinaus verallgemeinerbar ist (Windbichler § 20 Rdn 51). Die zusätzliche Meldepflicht nach § 328 Abs 4 ist nicht mit einem Nachweisanspruch versehen. II. Voraussetzungen des Nachweisanspruchs 1. Mitteilung. Der Nachweisanspruch besteht nur, wenn eine der in der Vorschrift 3 genannten Mitteilungen erfolgt ist. Ist gemäß § 20 Abs 5 oder § 21 Abs 3 mitgeteilt worden, dass eine mitteilungspflichtige Beteiligung nicht mehr bestehe, löst das keinen Nachweisanspruch aus. Mit Hilfe des § 22 kann sich das Unternehmen jedoch nach einer einmal erfolgten Mitteilung vergewissern, dass eine nach § 20 Abs 5 oder § 21 Abs 3 erforderliche Mitteilung nicht unterblieben ist.3 Der Nachweisanspruch besteht jederzeit und ist zeitlich nicht an die auslösende Mitteilung gebunden (Rdn 6).
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1 So aber MünchKomm/Bayer4 Rdn 1; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 1. 2 Quack FS Semler, 1993, S 581, 586. 3 BegrRegE bei Kropff AktG S 43; Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 6; Hüffer/Koch11 Rdn 2; MünchKomm/Bayer4 Rdn 2; Spindler/Stilz/Petersen3 Rdn 1.
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§ 22 | 1. Teil – Allgemeine Vorschriften
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2. Berechtigter und Verpflichteter. Anspruchsberechtigt ist jedes Empfängerunternehmen, in den Fällen des § 21 Abs 2 auch eines, das im Übrigen nicht unter das AktG fällt. Verpflichtet ist dasjenige Unternehmen, das die Mitteilung vorgenommen hat. Das ergibt sich aus der Ergänzungsfunktion des § 22, der keinen zusätzlichen Adressatenkreis erschließt; abhängige Unternehmen und Personen, die Aktien für Rechnung eines Unternehmens halten, sind nicht nachweispflichtig.4 III. Inhalt und Reichweite des Anspruchs
Der Anspruch bezieht sich zunächst auf den Inhalt der Mitteilung (dazu Windbichler § 20 Rdn 42 ff). Die genaue Beteiligungshöhe braucht zwar nicht mitgeteilt zu werden, sie kann sich aber aus dem erforderlichen Nachweis des Überschreitens einer bestimmten Schwelle ergeben.5 Ebenso genügt für die Mitteilung die Angabe der Tatsache, dass Zurechnungen vorgenommen wurden. Zum Zweck des Nachweises kann es dann aber gleichwohl notwendig werden, die einzelnen Zurechnungstatbestände und Inhaber der zugerechneten Anteile zu belegen.6 Ein zeitlicher Zusammenhang mit der Mitteilung ist nicht erforderlich. Der Nach6 weisanspruch kann jederzeit und auch wiederholt geltend gemacht werden. Das entspricht der Begründung zum Regierungsentwurf und der überwiegenden Literaturmeinung und kommt insbesondere dann in Betracht, wenn das Empfängerunternehmen den begründeten Verdacht hat, dass eine mitgeteilte Beteiligung nicht mehr besteht (s auch Rdn 3).7 Auf Verlangen nach § 22 erbrachte Nachweise unterliegen keiner Publizitätspflicht. 7 Diese kann sich aber aus anderen Vorschriften ergeben. Auch Auskunft in der Hauptversammlung kann nach den Voraussetzungen des § 131 verlangt werden (Windbichler § 20 Rdn 63). 5
IV. Form, Verfahren 8
Bestimmte Formen des Nachweises sind nicht vorgeschrieben. In erster Linie dürfte die Vorlage von Urkunden in Betracht kommen.8 Eine Beschränkung darauf besteht aber nicht. Der Anspruch ist klagbar und gegebenenfalls nach § 888 ZPO vollstreckbar.9 Zuständig sind die ordentlichen Gerichte, nach § 95 Abs 1 Nr 4a GVG die Kammer für Handelssachen. Es gilt der Gerichtsstand der Mitgliedschaft, §§ 5, 14 iVm § 22 ZPO. V. Auslandsbezug
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Soweit Mitteilungspflichten für ausländische Unternehmen bestehen (Windbichler § 20 Rdn 94), besteht gegen diese auch der Nachweisanspruch nach § 22.10 Bei Mitteilungen nach § 21 stellt sich die Frage nicht, da die Vorschrift nur inländische Gesellschaften zu Mitteilungen verpflichtet.
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4 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 5. 5 Geßler/Geßler Rdn 5; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 1. 6 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 5; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 1: Nachweis des Abhängigkeitsverhältnisses. 7 BegrRegE bei Kropff AktG S 43; Geßler/Geßler Rdn 6 f; Hüffer/Koch11 Rdn 2; – zweifelnd KK/ Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 3. 8 Geßler/Geßler Rdn 3; KK/Koppensteiner3 Bd 1/2 Rdn 2; Schmidt/Lutter/Veil3 Rdn 5. 9 Emmerich/Habersack/Emmerich Aktien- und GmbH-KonzernR7 Rdn 1; Geßler/Geßler Rdn 4. 10 Geßler/Geßler Rdn 8; MünchHdbAG/Krieger4 § 69 Rdn 131.
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Sachregister
Sachregister
Sachregister Sachregister Die fetten Zahlen verweisen auf die Paragraphen, Vor = Vorbemerkung, die mageren Zahlen verweisen auf die Randnummern. Abgeld – Begriff 9 41 Abhängige Unternehmen 17 1 ff – Abhängigkeitsvermutung (s dort) – Anteilsmehrheit 16 30 – atypische stille Beteiligung 17 30 – Aufsichtsratsbesetzung 17 46 – Auslandsbezug 17 90 f – Auslegung 17 9 ff – Austauschbeziehungen 17 40 – Bedeutung 17 3 ff – Befreiung von Wettbewerbsverboten 17 32 – beherrschender Einfluss 17 17 ff – Beherrschung 15 59 – Beherrschung durch mehrere Unternehmen 17 59 ff – Beherrschungsdauer 17 21 – Beherrschungsmittel 17 22 ff – Beherrschungsmöglichkeit 17 19 f – Beherrschungsvertrag 17 35 f – Betriebspachtvertrag 17 38 – Betriebsüberlassungsvertrag 17 38 – einheitliche Abhängigkeit 17 66 f – Entwicklung 17 1 f – Erwerbsrecht 17 26 – Europäische Aktiengesellschaft 17 27 – familiäre Bindungen 17 25 – Familiengesellschaften 17 60 – Franchisesysteme 17 41 – gemeinsame Interessenwahrung 17 54 – Gemeinschaftsunternehmen 17 60 – Genossenschaft 17 29, 39 – Geschäftsbeziehungen 17 12 – Gesellschaft bürgerlichen Rechts 17 67 – Gesellschaft mit beschränkter Haftung 17 27 – Gewinnabführungsvertrag 17 35 f – Hauptversammlungsmehrheit 17 24 – herrschendes Unternehmen (s dort) – Internationales Konzernrecht 17 90 f – Kartellrecht 17 62 – Kommanditgesellschaft auf Aktien 17 27 f – Konsortialverträge 17 51 ff – Konzernabschluss 17 61 – Konzernvermutung 17 14 – Koordinierungsorgan 17 54, 64, 66 – Kreditbeziehungen 17 40 – Kreditgeber 17 12 – Kunden 17 12 – Lieferanten 17 12 – Lieferbeziehungen 17 40
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– mehrere Abhängigkeitsverhältnisse 17 66 f – mehrfache Abhängigkeitsvermutung 17 59 – Mehrheitsbeteiligung 17 11 ff, 22 – Mehrmütterherrschaft 17 60 – Minderheitsbeteiligung 17 23, 37 – mittelbare Beherrschung 17 57 f – Option 17 26, 50 – personelle Verflechtungen 17 12, 43 ff – Personenhandelsgesellschaften 17 28 – Poolverträge 17 51 ff – Satzung 17 31 ff – schuldrechtliche Unternehmensverträge 17 37 ff – Sperrminorität 17 20 – Stiftung 17 30 f, 49 – stille Beteiligung 17 42 – Stimmbindungsverträge 17 51 ff – Stimmrechtsvollmacht 17 56 – Teilgewinnabführung 17 38 – Unternehmensbegriff (s dort) – Unternehmensbezug 17 17 ff – Unternehmensvertrag 17 35 – verbundene Unternehmen (s dort) – Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit 17 30 – Verträge 17 37 ff – Vorstandsbesetzung 17 48 – wechselseitig beteiligte Unternehmen (s dort) – Wettbewerbsverbote 17 32 – wirtschaftliche Abhängigkeit 17 12 Abhängigkeitsvermutung 17 3, 68 ff – abhängige Unternehmen (s dort) – Bedeutung in anderen Rechtsgebieten 17 89 – Beteiligungsverbote 17 84 – Beweislastregel 17 68, 88 – Entherrschungsverträge 17 76 ff, 81 ff – Gesellschaft mit beschränkter Haftung 17 69 – Insolvenz 17 87 – mehrfache 17 59 – mehrstufige Abhängigkeit 17 86 – Personengesellschaften 17 69 – satzungsüberlagernder Organvertrag 17 81 – Stimmbindungsverträge 17 76 ff – Stimmrechtsbeschränkungen 17 74 – stimmrechtslose Vorzugsaktien 17 74 – Stimmrechtsverzicht 17 80 – Treuhandverhältnisse 17 78 – Unternehmensmitbestimmung 17 85 – Verfahren 17 88 – vorübergehende Mehrheitsbeteiligungen 17 72 f – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 25 – Wettbewerbsverbote 17 84
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– Widerlegung 17 68, 71 ff – Zusammenschlusskontrollverfahren 17 73 Abspaltungsverbot – Stimmrecht, Verstoß 12 62 ff Abwesenheitspfleger – Ausübung des Stimmrechts 12 62 Abwicklungsüberschuss – Aktiengattung 11 49 – Verlust des Anspruchs 20 82 Agio (s Aufgeld) Aktie – Abtretung 10 72, 74, 120 – Aktienformen 8 69 ff – Aktiengattungen (s dort) – Aktienrechtsnovelle 2016 10 11, 24, 31 ff – Anspruch auf Verbriefung 10 56 – Anteile des Grundkapitals 1 121 – Arten der Verbriefung 10 35 ff – Ausgabe 10 128 ff – ausländisches Recht 10 18 ff – Bedeutung iSd § 1 Abs 2 1 121 – Begriff 8 68 – beschränkte dingliche Rechte 10 79 ff, 96 ff, 104 ff, 114 ff, 123 ff – Beschränkung auf Nennbetrags- und Stückaktien 8 3, 41 ff – Einzelverbriefung 10 43 ff – Einzelverwahrung 10 62 – Europäische Aktiengesellschaft 10 10 – europäisches Recht 10 15 ff – European Model Companies Act 10 17 – fehlende Verbriefung 10 119 – Gesetzesgeschichte 10 6 ff – grenzüberschreitende Verfügungen 10 88 ff, 101, 110, 118 – Grundsatz von einer Einzelverbriefung 10 23 – gutgläubiger Erwerb 10 76 ff, 94 f, 103, 113 – Inhaberaktien (s dort) – Insolvenz 10 86 f, 99 f, 107 ff, 117 – Legitimationswirkung der Verbriefung 10 59 f – Mindestnennbetrag der Aktie (s dort) – Namensaktien (s dort) – Nennbetragsaktie (s dort) – nennwertlose Aktie (s dort) – Quotenaktie 8 78 – rechtsgeschäftliche Übertragung von Aktien 10 70 ff, 92, 102, 111, 120, 127 – Regelungszweck 10 2 ff – Sammelverbriefung 10 50 ff – Sammelverwahrung 10 64 f, 102 ff – Sonderverwahrung 10 63, 91 ff – Spartenaktie 8 79 – Stimmrecht (s dort) – Stückaktie (s dort)
– Transparenz der Beteiligungsverhältnisse 10 4, 20 1 ff, 57 ff – Umstellung der Aktienart 10 167 ff – Unteilbarkeit von Aktien (s dort) – Verbriefung 10 23, 34 ff – Verfügungen 10 23, 68 ff – Verpfändung 10 79 – Verwahrung 10 23, 61 ff – Wahlrecht zwischen Inhaber- und Namensaktie 10 129 ff, 148 ff – Wahlrecht zwischen Namens- und Inhaberaktie 10 1 ff, 29 – Wahlrecht zwischen Nennbetrags- und Stückaktie 8 86 ff – wertpapierrechtliche Einordnung 10 3 – Zerlegung des Grundkapitals 1 121 – Zwischenscheine (s dort) Aktiengattungen 11 1 ff – Abwicklungsüberschuss, Recht auf 11 49 – Änderung der Rechte 11 34 ff, 58 – Art der Rechte 11 29 – Aufhebung der Rechte 11 58, 81 – Ausgabe junger Aktien 11 38 ff – Ausgabe von gleich- oder besserrangigen 11 45 – Ausgabebetrag 11 66 – Ausgleichs- und Abfindungsanspruch 11 49 – Auskunftsrecht 11 53, 55 – ausländisches Recht 11 14 – Begründung 11 73 – Bestehen, Folgen verschiedener Gattungen 11 75 – Bestehen, Voraussetzungen 11 62 – Bezugsrecht 11 49 – Bilanz 11 76 – Bildung 11 59 ff – börsennotierte Aktengesellschaft 11 77 – Börsenzulassung 11 67 – Dividendenrecht 11 49, 20 74 ff – Entsendungsrecht 11 68 – Entstehung 11 73 – Europäische Aktiengesellschaft 11 13 – europäisches Recht 11 11 ff – European Model Companies Act 11 12 – gattungsbegründende Pflichten 11 65 ff – gattungsbegründende Rechte 11 63 f – gattungsspezifische Gefährdungslage 11 60 f – Gesetzesgeschichte 11 5 ff – Gestaltungsfreiheit 11 24 – Gestaltungsfreiheit, materielle Schranken 11 27 ff – Gewinnbeteiligungen 11 63 – Gläubigerrechte 11 57 – Gleichbehandlungsgebot 11 17 – Gleichbehandlungsgrundsatz 11 17, 24 – Gründung 11 33 – Hauptversammlungsbeschluss 11 36
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Sachregister
– Hauptversammlungsbeschlüsse, Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit 11 53 – Hauptversammlungseinberufung 11 53 – Hauptversammlungsteilnahme 11 53, 20 73 – Höchststimmrecht 11 66 – Inhaberaktien 11 67 – Investmentaktiengesellschaften 11 21 – Kapitalerhöhung 11 38 ff, 78 – Kapitalherabsetzung 11 44, 78 – Lagebericht 11 76 – mehrere 11 61 – Mehrheitsentscheidung 11 60 – Mehrstimmrechtsaktien 11 20 – Minderheitenrechte 11 68 – Mitgliedschaftsrechte 11 25 – Namensaktien 11 67 – Nebenleistungspflichten 11 45, 65 – Nennbetrag 11 66 – Nennbetragsaktien 11 67 – Pflichtangebote 11 79 – preferred shares 11 64 – Regelungszweck 11 2 ff – Satzung 11 32, 75 – Satzungsänderung 11 35 ff – Sonderprüfer, Recht zur Bestellung 11 53 – Sonderrechte 11 18 f – Spartenaktien 11 63 – Stimmrecht 11 53 ff, 63 – Stückaktien 11 67 – tracking stocks 11 51, 63 – Übernahmeangebot 11 79 – Umfang der Rechte 11 28 – Umwandlungsmaßnahmen 11 78 – Veränderung 11 80 – Verbriefung 11 67 – Vermögensrechte 11 49 ff – Vertreter, Recht zur Bestellung besonderer 11 53 – Verwaltungsrechte 11 53 ff – Vinkulierung 11 45, 67 – Vorzugsaktien 11 45 – wirtschaftliche Bedeutung 11 9 f – Zuzahlung von Aktionären 11 46 f Aktiengesellschaft – Abkürzungen 4 17 ff – Abwicklerin einer anderen Aktiengesellschaft 1 43 – Eintragung 1 22 – Aktie (s dort) – Anwendungsdurchgriff 1 63 ff – Außengesellschaft 1 14 – Arbeitgeber 1 44 – Arbeitnehmer 1 44 – Arbeitsrecht 1 44 – Betreuer 1 40 – Beteiligung an anderen Gesellschaften 1 43
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– börsennotierte Aktiengesellschaft (s dort) – Deliktshaftung 1 61 f – Definition 1 1 – Doppelsitz 14 14 – Durchgriffshaftung (s dort) – Eigenschaften 1 1 ff – Entstehungsgeschichte des § 1 1 5 ff – Erbrecht 1 41 – Erfinderrecht 1 42 – Europarecht 1 8 ff – Europäische Aktiengegesellschaft 1 8 – Europäisches Gemeinschaftsrecht (s dort) – Gesellschaftsrecht 1 43 – Gesellschaft, Einordnung als 1 11 ff – Gewerbeordnung 3 4 – Grundrechte 1 51 – Grundkapital (s dort) – Grundrechtsfähigkeit 1 50 – Haftungsbegrenzung 1 3, 21, 70 ff – Haftung (s dort) – Handelsgesellschaft 3 1 – Handlungsfähigkeit 1 55 f – Insolvenzverwalter 1 43 – juristische Person 1 15 ff – Kapitalgesellschaft 1 30 – Kaufmannseigenschaft (s dort) – Löschung 1 23 – Nachlasspfleger 1 41 – Nachlassverwalter 1 41 – Organwissen 1 58 – Organbesitz 1 60 – Parallelnormen des § 1 1 7 – Parteifähigkeit 1 47 f – personalistische Aktiengesellschaft 1 32 – Persönlichkeitsrecht 1 45 – Prozessrecht 1 47 f – Rechtsfähigkeit (s dort) – Rechtsformzusatz 4 15 f – Rechtsinhaberschaft 1 38 ff – Rechtspersönlichkeit 1 2, 15 ff – Selbstbelastungsfreiheit 1 54 – Sitz 14 13 – Strafrecht 1 53 f – Testamentsvollstrecker 1 41 – Trennungsprinzip 1 21, 69 – Unternehmensgegenstand (s dort) – Unternehmensträger 1 34 ff – Unterscheidung börsennotierte und nicht börsennotierte Aktengesellschaft 3 11 ff – Urheberrecht 1 42 – Vereinsrecht, analoge Anwendung 1 25 ff – Verletzung des Mindestnennbetrags, Auswirkungen 8 113 – Vor-AG (s dort) – Vormund 1 40
Sachregister
– Wettbewerbsverbot 1 67 – Wesensmerkmale 1 1, 11 ff, 36 ff – Zurechnungsfragen 1 57 ff, Vor 15 40 Aktiengesetz 1937 – abhängige Unternehmen 17 1 – Aktien 10 6 – Aktiengattung 11 7 – Ausgabe von Zwischenscheinen 8 28 – Firma 4 4 – Gründerzahl 2 5 – Grundkapital 6 6 – Konzern 18 1 – Mindestnennbetrag der Aktien 8 18 – Mindestnennkapital 7 8 – Namens- und Inhaberaktien 10 6 – Sitz 5 7 – Stimmrecht 12 8 – Unteilbarkeit von Aktien 8 27 – Unterzeichnung der Aktien 13 3 – Verbot der Unter-pari-Emission 9 8 – Verbot von Mehrstimmrechtsaktien 12 9 – verbundene Unternehmen Vor 15 3 – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 1 f – Wesen der Aktiengesellschaft 1 6 – Zulässigkeit der Über-pari-Ausgabe 9 12 – Zuständigkeit 14 3 Aktiengesetz 1965 – abhängige Unternehmen 17 1 – Aktiengattung 11 8 – Doppelsitz 5 30 – Firma 4 5 – Gründerzahl 2 6 – Grundkapital 6 7 – Konzern 18 1 – Mindestnennbetrag der Aktien 8 20 – Mindestnennkapital 7 10 – Mitteilungspflichten 20 1 – Namens- und Inhaberaktien 10 7 – Sitz 5 7 – Stimmrecht 12 8 – Unterzeichnung der Aktien 13 3 – Verbot von Mehrstimmrechtsaktien 12 10 – verbundene Unternehmen Vor 15 4 – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 1 f – Wesen der Aktiengesellschaft 1 6 – Zuständigkeit 14 3 Aktiensplitting – Nennbetragsaktien 8 102 ff – Stückaktien 8 161 ff Aktienübernahme 2 41 Aktienurkunden 13 1 ff – Anwendungsbereich des § 13 13 8 – Aussteller 13 18 – Börsennotierung 13 14 – europäisches Recht 13 5 f
– fehlende Ausstellung 13 16 – Form 13 9 ff – geleistete Teilbeträge 13 21 – Gesetzesgeschichte 13 3 – Individualisierbarkeit 13 22 – individueller Namenszug 13 9 – Inhaberaktien 13 20 – Inhalt 13 17 ff – Kaduzierung 13 21 – Namensaktien 13 20 – Nebenleistungspflichten 13 21 – Schadensersatz 13 16 – Schriftform 13 13 – Serienzeichen 13 22 – Sprache 13 18 – Umfang der Mitgliedschaft 13 19 – Unterschrift 13 11 – Unterzeichnung 13 9 – Unwirksamkeit der Verbriefung 13 15, 23 – Verstoß gegen Formvorschriften 13 15 f Aktionär – Anspruch auf Verbriefung 10 56 – Privataktionär 15 15, 24, 37 – Unternehmen als Aktionär 15 1, 10 ff Altaktien – Vereinigung von Aktien 8 108, 167 Alt-Aktiengesellschaften – Mindestnennbetrag des Grundkapitals 7 47 American Depositary Receipts – Unteilbarkeit der Aktien 8 206 Amtsauflösung – Sitz 5 44 Anstalt öffentlichen Rechts – Unternehmensbegriff 15 16 Anteilsbesitz 16 16 Anteilsmehrheit – abhängige Unternehmen 16 30 – Anteilsinhaberschaft 16 21 – ausländische Kapitalgesellschaften 16 15 – Begriff 16 11 ff – Berechnung 16 12 ff, 20 – Beteiligungsbegriff 16 21 ff – dingliche Rechtsstellung 16 21 – Eigene Aktien 16 13 – Eigentum 16 21 – Einzelkaufmann 16 32 – Einzelpersonen 16 32 – Erwerbspflicht 16 22 – Erwerbsrecht 16 22 – Freiberufler 16 32 – für Rechnung eines anderen 16 27 – Gebietskörperschaften 16 32 – Genossenschaft 16 19 – Gesellschaft bürgerlichen Rechts 16 17 – Gesellschaft mit beschränkter Haftung 16 14
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Sachregister
– Idealverein 16 19 – Miteigentum 16 21 – mittelbare Beteiligungen 16 25 ff – Personenhandelsgesellschaft 16 17, 20 – Stiftung 16 19 – stille Gesellschaft 16 18 – Treuhand 16 23, 27 – Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit 16 19 – vinkulierte Namensaktien 16 21 – wirtschaftlicher Verein 16 19 – Zurechnung 16 24 ff, 31 Arbeitsrecht – Rechtsfähigkeit 1 44 – Unternehmensgruppe Vor 15 28 Arglistige Täuschung – Zurechnung 1 66 Atypische stille Beteiligung – abhängige Unternehmen 17 30 Aufgeld – Aufgeldfähigkeit 9 89 – Begriff 9 34 – Erbringung 9 103 ff – Festsetzung 9 44 ff, 89 ff – Funktion 9 35 f – Mehrbetrag bei Kapitalerhöhungen mit mittelbarem Bezugsrecht 9 39, 143 – offenes 9 37, 86 ff – Publizität 9 107 – schuldrechtliche Zuzahlungen, Abgrenzung 9 127 f – Verhältnis zum Abgeld 9 41 – Verhältnis zum Börsenkurs 9 43 – Verhältnis zum Kaufpreis der Aktie 9 42 – verstecktes 9 38, 117 ff Aufsichtsrat – abhängige Unternehmen 17 47 – börsennotierte Aktiengesellschaft 3 42 – Mitbestimmung (s dort) Ausgabebetrag der Aktie – Aktiengattung 11 66 – Aufgeld (s dort) – Begriffsbestimmung 9 31 – (fiktiver) Nennbetrag der Aktie 9 33 – Kapitalaufbringung durch schuldrechtliche Zuzahlungen 9 40, 121 ff – schuldrechtliche Zuzahlungen 9 121 ff – Über-pari-Ausgabe (s dort) – Unter-pari-Ausgabe (s dort) – Zusammensetzung 9 32 ff Auskunftsrecht – Aktiengattung 11 53, 55 – Mitteilungspflichten 20 1, 16 ff, 21 4 Ausländische Gesellschaften – abhängige Unternehmen 17 90 f – Konzern 18 88 f
561
– Mehrheitsbeteiligung 16 49 – Mitteilungspflichten 20 94 – Unternehmensgruppe Vor 15 69 ff – verbundene Unternehmen 15 63 – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 40 Ausschluss des Einzelverbriefungsanspruchs 10 202 ff – aktienrechtliche Praxis 10 14 – Beschränkung des Anspruchs 10 205 – Inhaberaktie 10 134 f, 170 – nachträglicher Ausschluss 10 206 – rechtpolitische Würdigung 10 28 – Satzung 10 43, 202 ff Bankrecht – Mitteilungspflichten 20 14 Bareinlage – unter-pari-Ausgabe 9 17 Beherrschungsvertrag – abhängige Unternehmen 17 35 f – Unterordnungskonzern 18 29 ff Beteiligungsverbot – Abhängigkeitsvermutung 17 84 Betreuer – Aktiengesellschaft 1 40 Betriebspachtvertrag – abhängige Unternehmen 17 38 Betriebsstätte – Sitz 5 20 Betriebsüberlassungsvertrag – abhängige Unternehmen 17 38 Betriebsverfassungsgesetz – Unternehmensbegriff 15 54 – Unternehmensgruppe Vor 15 30 Bezugsrecht – Aktiengattung 11 49 – Mitteilungspflichten 20 78 ff Bilanzrecht – einheitliche Leitung 18 22 – Mehrheitsbeteiligung 16 6 – Mitteilungspflichten 20 15 21 5 – Unternehmensgruppe Vor 15 24 Bilanzrichtlinie – Unternehmensgruppe Vor 15 60 Bilanzrichtliniengesetz – einheitliche Leitung 18 22 – verbundene Unternehmen Vor 15 5 Börsengang – Antrag 3 48 f – gebilligtes Prospekt 3 48 Börsenkurs – Verhältnis zum Aufgeld 9 43 Börsennotierte Aktiengesellschaft – Anwendungsbereich des § 3 Abs 2 3 29 – Aufsichtsrat 3 42
Sachregister
– Bankenaufsichtsrecht, verwandte Definition 3 35 – Bedeutung 3 42 ff – Börsengang 3 48 ff – Börsennotierung, Definition 3 30 – Börsenrückzug 3 50 – Deutscher Corporate Governance Kodex 3 45 – erfasste Märkte 3 34 – Hauptversammlung 3 44 – historische Entwicklung 3 16 – Kapitalmarktrecht, Sonderregelungen 3 47 – Kapitalmarktrecht, verwandte Definition 3 36 ff – Legaldefinition 3 9, 29 – Markt, Begriff 3 31 – Mitteilungspflichten 20 93 – nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, rechtspolitische Bewertung der Unterscheidung 3 12 ff – nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, Unterscheidung 3 11 – organisierter Markt 3 36 – Organverantwortlichkeit 3 43 – regelmäßig zugelassen, Begriff 3 32 f – Vorstand 3 42 – Vorstandsvergütung 3 42 Börsennotierung – Bedeutung 3 42 ff – Definition 3 30 – Formerfordernisse, Aktienurkunde 13 14 – Inhaberaktie 10 132 f, 179 Börsenrückzug 3 50 – Inhaberaktie 10 169 – Mitteilungspflichten 20 17 Bruchteilsgemeinschaft – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 28 – Unteilbarkeit der Aktien 8 200 Buchführungspflicht – Kaufmannseigenschaft 3 25 Delisting (s Börsenrückzug) Differenzhaftung – Entstehung 9 66, 110 – schuldrechtliche Zuzahlungen 9 138 – Über-pari-Ausgabe 9 109 f – Verbot der Unter-pari-Emission 9 65 – Vergleich 9 66, 110 – Verjährung 9 66, 110 – Verrechnung 9 66, 110 Disagio (s Abgeld) Dividende – Aktiengattung 11 49 Doppelsitz 5 30 ff – Bürde doppelter Registerführung 5 33 – Grundsatz eines einzigen Sitzes 5 32 – praktische Konsequenzen 5 34 ff
– Problematik 5 30 ff – Rechtsmissbrauch 5 36 Durchgriffshaftung 1 77, 82 ff – Aktionärshaftung für Delikte 1 109 ff – aktiver Vermögensentzug 1 102 – Anschein persönlicher Haftung 1 98 – Außenhaftung 1 114 – Beherrschung 1 100 – Durchgriffsdebatte 1 82 ff, Vor 15 40 – Existenzvernichtung 1 102 – Fallgruppen 1 97 ff – Geschäfte mit negativem Ertragswert 1 110 – Geschäfte mit positivem Ertragswert 1 111 – Innenhaftung 1 114 – Konzern 1 101, Vor 15 40, 80, 82 f – Missbrauchslehre 1 86 – Normanwendungslehre 1 87 – Pflichtverletzungslehre 1 88 – Rechtsfolgen 1 114 ff – Rechtsmissbrauch 1 94 ff – Rechtsprechung 1 94 ff – Sphärenvermischung 1 99 – Stellungnahme zur Durchgriffsdebatte 1 89 ff – Theorien 1 85 ff – umgekehrter Durchgriff 1 116 – Unterkapitalisierung (s dort) – Unternehmensgesellschafter 1 101 – Vermögensvermischung 1 95, 99 Eigene Aktien – Anteilsmehrheit 16 13 – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 9 Eigenkapital – Abgrenzung zum Grundkapital 7 42 Eingliederungskonzern – Unterordnungskonzern 18 6, 29 ff Einheitliche Leitung – abgestimmte Finanzwirtschaft 18 25 – Auslegung 18 19 – Bilanzrichtliniengesetz 18 22 – Gegenstand 18 24 ff – Gleichordnungskonzern 18 49 – koordinierte Personalpolitik 18 26 – Leitungsmittel 18 27 – Rechnungslegung 18 22 – Umfang 18 24 ff – Verhältnis zur Abhängigkeit 18 20 Einlagenrückgewähr – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 10 f Einpersonen-Gründung 2 8, 13 – Anwendungsbereich des § 2 2 12 – Europarecht 2 11 – Konzern Vor 15 14 – rechtpolitische Bewertung 2 9 – Rechtsvergleichung 2 11
562
Sachregister
Einzelverbriefung 10 43 ff – Ausgabe der Aktienurkunde 10 45 ff – Ausschluss des Einzelverbriefungsanspruchs (s dort) – Begebungsvertrag 10 45 f – Beschränkung des Anspruchs 10 205 – Satzung 10 43 – Übertragung von Aktien 10 70 ff Einzelverwahrung 10 62 empty voting – Unteilbarkeit der Aktien 8 204 – Zurechnung der Beteiligung 16 22, 17 26 Entherrschungsverträge – Abhängigkeitsvermutung 17 76 ff, 81 ff Entsendungsrecht – Aktiengattung 11 68 – Abhängigkeit 17 31 ff Erbengemeinschaft – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 29 – Unternehmensbegriff 15 16 Erbrecht – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 20 – Rechtsfähigkeit 1 41 Eröffnungsbilanz – Kaufmannseigenschaft 3 25 Europäische Aktiengesellschaft – abhängige Unternehmen 17 27 – Aktiengattung 11 13 – Firma 4 10, 14 – Grundkapital 6 13 – Inhaberaktien 10 10 – Kaufmannseigenschaft 3 20 – Konzern 18 65, 73 – Mindestnennbetrag 8 34 – Mindestnennbetrag des Grundkapitals 7 18 – Mitteilungspflichten 20 18 – Namensaktien 10 10 – Sitz 5 11 – Stimmrecht 12 20 – Unternehmensgruppe Vor 15 7 – Verbot von Mehrstimmrechtsaktien 12 25 – verbundene Unternehmen Vor 15 7, 69 Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 25 – Stimmrechtsmehrheit 16 48 – Unternehmensbegriff 15 18 Europäischer Betriebsrat – Konzern 18 80 Europäisches Gemeinschaftsrecht – Gründerzahl 2 11 – Einpersonen-Gründung 2 11 – Konzernrecht Vor 15 6 f, 25, 34, 47, 51 Europäisches Privatrecht – Unternehmensgruppe Vor 15 47 ff
563
European Model Companies Act – Aktiengattung 11 12 – Ausgabebetrag der Aktien 9 16 – Grundkapital 6 12 – Mindestnennbetrag des Grundkapitals 7 17 – Namens- und Inhaberaktien 10 17 – Nennbetragsaktien 8 33 – Stimmrecht 12 19 EU-Wettbewerbsrecht – Unternehmensbegriff 15 53 – Unternehmensgruppe Vor 15 62 ff Existenzvernichtung 1 74, 102 Faktischer Konzern – Unterordnungskonzern 18 6, 34 f Familiengesellschaften – abhängige Unternehmen 17 60 – Mitteilungspflichten 20 5 Familienrecht – Rechtsfähigkeit 1 40 Familienstamm – Unternehmensbegriff 15 16 Fehlerhafte Gesellschaft – Unternehmensvertrag Vor 15 54 Finanzdienstleistungen – Unternehmensgruppe Vor 15 33, 37 Firma 3 25 – Abkürzungen 4 17 ff – Änderung 4 35 – Anwendungsbereich 4 11 ff – Aufspaltung von Unternehmensgruppen 4 22 – Bedeutung des § 4 4 1 – Bezeichnung „Aktiengesellschaft“ 4 15 f – „Deutsche“-Zusatz 4 28 – Durchsetzung durch Private 4 39 – Durchsetzung durch Registergericht 4 36 ff – Europarecht 4 10 – „Europäische“-Zusatz 4 28 – Firmenbeständigkeit 4 21 – Firmenbildung, sonstige Grundsätze 4 25 ff – Firmeneinheit 4 26 – Firmenfortführung 4 20 ff – Firmenfortführung bei Umwandlung 4 24 – Firmenfortführung nach HGB 4 23 – Firmenklarheit 4 27 – Firmenunterscheidbarkeit 4 31 f – Firmenwahrheit 4 28 – Gegenstandsbezeichnungen 4 30 – historische Entwicklung 4 4 ff – „Internationale“-Zusatz 4 28 – Konzernfamilien 4 32 – Mangel 4 36
Sachregister
– Ordnungsgeld 4 37 – Parallelnormen 4 9 – Personenfirma 4 27 – Personennamen 4 29 – Phantasiefirma 4 27 – Rechtsscheinhaftung 4 42 – Registergericht 4 36 – Sachfirma 4 27 – Satzung 4 36 – Schutz 4 41 – Zweck des § 4 4 2 – Zweigniederlassung 4 33 f forum shopping – Sitz 5 9 Franchise – abhängige Unternehmen 17 41 Freiberufler – Anteilsmehrheit 16 32 – Unternehmensbegriff 15 23 Für Rechnung eines anderen – Anteilsmehrheit 16 27 Gebietskörperschaften – Anteilsmehrheit 16 32 – Unternehmensbegriff 15 27, 30 Gemeinschaftsunternehmen 17 60 – Konzern 18 85 Genossenschaft – abhängige Unternehmen 17 29, 39 – Anteilsmehrheit 16 19 – Stimmrechtsmehrheit 16 48 – Unternehmensbegriff 15 17 – Unterordnungskonzern 18 33 Gesamthandsgemeinschaft – Unteilbarkeit der Aktien 8 201 Geschäftsführungsvertrag – Unterordnungskonzern 18 32 Geschäftsleitung – Begriff 5 19 Gesellschaft – Einordnung der Aktiengesellschaft 1 11 ff – Haftung (s dort) Gesellschaft bürgerlichen Rechts – abhängige Unternehmen 17 67 – Anteilsmehrheit 16 17 – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 25 – Unternehmensbegriff 15 16, 47 Gesellschaft mit beschränkter Haftung – abhängige Unternehmen 17 27 f – Abhängigkeitsvermutung 17 69 – Anteilsmehrheit 16 14 – Konzernvermutung 18 35 – Unterordnungskonzern 18 33 Gesellschaftsvertrag – Gründerzahl 2 5
– Satzung (s dort) – Terminologie 2 44 Gewerbeordnung – Kaufmannseigenschaft 3 4 Gewerblicher Rechtsschutz – Rechtsfähigkeit 1 42 – Unternehmensgruppe Vor 15 35 Gewerkschaften – Unternehmensbegriff 15 25 Gewinnabführungsvertrag – abhängige Unternehmen 17 35 f – Unterordnungskonzern 18 32 Gewinnbeteiligungsanspruch – Mitteilungspflichten 20 74 ff Gewinnbezugsrecht – Mitteilungspflichten 20 74 ff Gleichbehandlungsgrundsatz – Aktiengattung 11 17, 24 – Inhaberaktien 10 143 – Namensaktien 10 143 Gleichordnungskonzern 18 6, 45 ff – Bedeutung 18 46 ff – besonderes Leitungsorgan 18 52 – einheitliche Leitung 18 49 ff – faktischer 18 53 – Familienstämme 18 57 – finanzielle Überkreuzverflechtung 18 54 – herrschendes Unternehmen 18 60 – Holdinggesellschaften 18 56 – kartellrechtliche Einordnung 18 47 – praktische Bedeutung 18 48 – Überkreuzverflechtungen durch Organbesetzung 18 53 – Überkreuzverflechtungen von Beteiligungen 18 56 ff – Unterordnungskonzern 18 59 ff, 62 f – verbundene Unternehmen 18 46 – Verhältnis zu anderen Unternehmensverbindungen 18 59 ff – Verweisung 18 15 – wechselseitige Beteiligung 18 55 19 33 Globalaktien – Unteilbarkeit von Aktien 8 191, 198 Globalurkunde 10 52, 111 ff – Dauerglobalurkunde 10 111 ff – grenzüberschreitende Verfügungen 10 118 – gutgläubiger Erwerb 10 113 – Insolvenz 10 117 – Nießbrauch 10 115 – Pfändung 10 116 – rechtsgeschäftliche Übertragung 10 111 – Sammelverwahrung 10 111 ff – Verbriefung 10 55, 111 ff – Verpfändung 10 114 – Verwahrung 10 66
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Sachregister
Gründer – Alleinerbe 2 20 – Anwaltssozietät 2 16 – ausländische Personengemeinschaften 2 33 – ausländische Staatsangehörige 2 21 – beschränkt Geschäftsfähige 2 18 – Beteiligungspflicht 2 15 – Bruchteilsgemeinschaft 2 28 – Ehegatten 2 31 – Einzelkaufmann 2 18 – Erbengemeinschaft 2 29 – Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung 2 25 – Geschäftsunfähigkeit 2 19 – Gesellschaft bürgerlichen Rechts 2 25 – Gründerfähigkeit 2 17 ff – Gütergemeinschaft 2 31 – Haftung (s dort) – juristische Person 2 23 ff – Kommanditgesellschaft 2 25 – Lebenspartner 2 31 – Mindestzahl 2 1, 13 – Mitteilungspflichten 20 17, 19 – natürliche Personen 2 18 ff – nicht-rechtsfähiger Verein 2 27 – offene Handelsgesellschaft 2 25 – Partnerschaft 2 25 – Personengesellschaften 2 25 – Selbstkontrahieren 2 35 – Stellvertreter 2 34 f – Steuerberatungsgesellschaft 2 22 – stille Gesellschaft 2 26 – Strohmanngründung 2 16 – Testamentsvollstreckung 2 37 f – Treuhänder 2 36 – Übernahme der Aktien 2 41 – Vor-AG 2 23, 20 19 – Wirtschaftsprüfungsgesellschaft 2 22 – Wohnungseigentümergemeinschaft 2 32 Gründerfähigkeit 2 17 ff – juristische Personen 2 23 ff – natürliche Personen 2 18 ff – Vertretungsmacht, Abgrenzung 2 24 Gründerzahl – Bedeutung des § 2 2 1 ff – Anwendungsbereich des § 2 2 12 – Mehrpersonen-Gründung 2 13 – Vorgründungsgesellschaft 2 14 – Strohmanngründung 2 16 – historische Entwicklung 2 5 ff – Mindestzahl 2 1, 13 – Einpersonen-Gründung 2 8, 13 – rechtpolitische Bewertung 2 9 – Parallelnormen 2 10
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– Europarecht 2 11 – Rechtsvergleichung 2 11 Grundkapital 1 118 ff 6 1 ff – Angrenzung zum Eigenkapital 7 42 – ausländisches Recht 6 14 – Begriff 1 119 – Bestimmung des Anteils von Nennbetrags-und Stückaktien 8 184 – Einführung des Euro 6 20 ff – Europäische Aktiengesellschaft 6 13 – europäisches Recht 6 11 ff – Funktion 1 120 ff – Gesetzesgeschichte des § 6 6 5 ff – Grundlagen des Kapitalschutzsystems 6 1 – Mindestnennbetrag des Grundkapitals (s dort) – Nachgründung, Zusammenhang zum Grundkapital 7 45 – Nennbetrag (s dort) – Rechtsfolgen bei Verstoß gegen § 6 6 26 ff – rechtspolitische Würdigung des § 6 6 16 – Regelungsbereich des § 6 6 1 – Regelungszweck des § 6 6 2 ff – Rücklagen, Zusammenhang zum Grundkapital 7 43 – Währung, Alt- und Übergangsfälle 6 19 ff – Währungsreform 6 6 – Zerlegung in Aktien 1 121 Grundrechte – Gesellschaften mit Beteiligung der öffentlichen Hand 15 27 f – Rechtsfähigkeit 1 50 Gründung der Aktiengesellschaft – Ablauf, Überblick 2 39 ff – Aktiengattung 11 33 – Angabe der Aktienart 10 148 – Anwaltssozietät 2 16 – Ausgabebetrag der Aktien 9 35 f, 51, 61 ff – Einpersonen-Gründung (s dort) – fehlende Festlegung der Aktienart 10 150 ff – Festsetzung des Aufgeldes 9 90 – Feststellung der Satzung 2 40 – Gründer (s dort) – Gründerzahl (s dort) – Mängel 2 43 – Steuerberatungsgesellschaft 2 22 – Strohmanngründung 2 16 – Übernahme der Aktien 2 41 – Über-pari-Ausgabe 9 87 – Verstoß gegen Unter-pari-Verbot 9 61 ff – Wirtschaftsprüfungsgesellschaft 2 22 Gütergemeinschaft – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 31 – Unternehmensbegriff 15 16 Gutgläubiger Erwerb – Globalurkunde 10 113
Sachregister
– Inhaberaktien 10 76, 94, 103 – Namensaktien 10 77, 95, 103 – Zurechnung 1 63 – Zwischenscheine 10 78 Haftung 1 68 ff – Aktionärshaftung für Delikte 1 109 ff – Allgemeines Zivil- und Gesellschaftsrecht 1 74 – Durchgriffshaftung (s dort) – Existenzvernichtungshaftung 1 74, 102 – Grundsatz 1 69 – Haftungsbegrenzung (s dort) – Innenhaftung der Organe 1 80 – Konzernrecht 1 72, Vor 15 17, 22, 36, 40 – öffentliches Recht 1 75 – Organhandeln 1 78 ff – Trennungsprinzip 1 69 – Wettbewerbsrecht 1 73 Haftungsbegrenzung 1 70 ff – Ausnahmen vom Trennungsprinzip 1 72 ff – Durchgriffshaftung (s dort) – Kapitalsammelfunktion 1 71 – wohlfahrtsfördernde Funktion 1 70 Handelsgeschäft – Kaufmannseigenschaft 3 26 Handelsgesellschaft 3 1 – Kaufmannseigenschaft (s dort) – Unternehmensbegriff 15 19, 47 Handlungsvollmacht – Kaufmannseigenschaft 3 25 Hauptversammlung – börsennotierte Aktiengesellschaft 3 44 – Sitz 5 37 Hauptversammlungsbeschluss – Aktiengattung 11 36, 53 Hauptversammlungsteilnahme – Aktiengattung 11 53 Herrschendes Unternehmen 15 59 – abhängige Unternehmen (s dort) – Unternehmensbegriff (s dort) – verbundene Unternehmen (s dort) – wechselseitig beteiligte Unternehmen (s dort) hidden ownership – Stimmrecht 12 58 – Unteilbarkeit der Aktien 8 205 – Zurechnung der Beteiligung 16 22, 17 26 Höchststimmrecht 12 74 – Aktiengattung 11 66 Holdinggesellschaften – Unternehmensbegriff 15 20 Holzmüller-Entscheidung – Unternehmensgruppe Vor 15 14 Idealverein – Anteilsmehrheit 16 19
– Unternehmensbegriff 15 16 Individualarbeitsrecht – Unternehmensgruppe Vor 15 28 Inhaberaktien 10 36 ff – Abtretung 10 72 – Aktiengattung 11 67 – Aktienrechtsnovelle 2016 10 11, 24, 31 ff – Aktienurkunden 13 20 – Alt- und Übergangsfälle 10 31 ff – Amtslöschung 10 159 – Ausgabe 10 128 ff – Ausgabeverbot 10 184 ff – ausländisches Recht 10 18 ff – Ausschluss der Einzelverbriefung 10 134 f, 170 – Börsennotierung 10 132 f, 179 – Börsenrückzug 10 169 – Einschränkung für die Verwendung 10 24 ff – Europäische Aktiengesellschaft 10 10 – europäisches Recht 10 15 ff – European Model Companies Act 10 17 – fehlende Börsennotierung 10 158 ff – fehlende Festlegung 10 150 ff – fehlende Hinterlegung 10 140 f, 158 ff – fehlende Verbriefung 10 119 ff – fehlenden Erfüllbarkeit der Voraussetzungen bei Gründung 10 155 ff – Festlegung in Gründungssatzung 10 155 ff – freiwillige Umstellung auf Namensaktien 10 171 – Geldwäsche und Terrorfinanzierung 10 4, 24, 131 – Gesetzesgeschichte des § 10 10 6 ff – Gleichbehandlungsgebot 10 143 – Globalurkunde 10 111 ff – grenzüberschreitende Verfügungen 10 88, 101, 110, 118 – gutgläubiger Erwerb 10 76, 94, 103 – Haftung 10 163 f – Hinterlegung der Sammelurkunde 10 136 ff, 170 – Insolvenz 10 86 f, 99 f, 107 ff, 117 – Legitimationswirkung der Verbriefung 10 59 – nachträgliche Aufhebung der Festlegung auf eine Aktienart 10 165 f – Nießbrauch 10 83 f, 90, 97, 105, 115 – Ordnungswidrigkeit 10 46 – Pfändung 10 85, 90, 98, 106, 116 – Sammelverwahrung 10 102 ff – Satzung 10 148 f – Satzungsänderung 10 169 ff, 173 ff – Schadensersatz 10 163 f – Sonderverwahrung 10 92 ff – Übereignung der Urkunde 10 71 – Übertragung von Aktien 10 71 – Umstellung von Inhaber- auf Namensaktien 10 168 ff – Umstellung von Namens- auf Inhaberaktien 10 172 ff
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Sachregister
– (un)vollständige Leistung der Einlage 10 184 ff – Verpfändung 10 80, 96, 104, 114 – Wahlrecht 10 129 f, 148 ff – Wahlrecht, Einschränkungen 10 142 ff – Wertpapiersammelbank 10 137 – wirtschaftliche Bedeutung 10 12 – Zentralverwahrer 10 138 f – Zwangsversteigerung 10 85 Insolvenz – Abhängigkeitsvermutung 17 87 – Konzernvermutung 18 43 – Rechtsfähigkeit 1 43 – Unternehmensgruppe Vor 15 27 Insolvenzverfahren – Aufgeld 9 111 – schuldrechtliche Zuzahlungen 9 139 – Sitz 5 42 – Übertragung von Aktien 10 86 f, 99 f, 107 ff, 117 Insolvenzverwalter – Ausübung des Stimmrechts 12 62 Internationales Gesellschaftsrecht – Unternehmensgruppe Vor 15 69 ff Internationales Konzernrecht Vor 15 69 ff – abhängige Gesellschaft 17 90 f – Konzern 18 72, 88 f – Mitteilungspflichten 20 94 – verbundene Unternehmen 15 63 – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 40 Investmentaktiengesellschaft – Aktiengattung 11 21 – Mindestnennbetrag des Grundkapitals 7 39 Investmentfonds – Unternehmensbegriff 15 21 Jahresabschluss – Kaufmannseigenschaft 3 25 Juristische Person – Aktiengesellschaft 1 15 ff – Wesen, Theorienstreit 1 15 ff – Haftung, Trennungsprinzip 1 21, 69 – Rechtsfähigkeit (s dort) Juristische Personen des öffentlichen Rechts – Unternehmensbegriff 15 27 ff Kapitalaufbringung – offenes Aufgeld 9 86 ff – schuldrechtliche Zuzahlungen 9 121 ff – Sicherung 16, 4, 30, 19, 10, 20, 86 – Über-pari-Ausgabe 9 85 ff – verstecktes Aufgeld 9 117 Kapitalerhöhung – Aktiengattung 11 38 ff, 78 – Ausgabebetrag der Aktien 9 36, 39, 51 – Festsetzung des Aufgeldes 9 91 ff – Mehrbetrag mit mittelbarem Bezugsrecht 9 143
567
– Mindestnennbetrag 8 123 – Nennbetrag 8 110 – Über-pari-Ausgabe 9 87 – Verstoß gegen Unter-pari-Verbot 9 73 ff Kapitalgesellschaften – Mitteilungspflichten 20 33 ff – Unternehmensbegriff 15 19 Kapitalherabsetzung – Aktiengattung 11 44, 78 – Nennbetrag 8 111 Kapitalmarktrecht – Mitteilungspflichten 20 12 – Unternehmensgruppe Vor 15 23, 67 Kapitalschutzrichtlinie – Grundkapital 6 11 – Inhaberaktien 10 7 – Mindestnennbetrag der Aktie 8 32 – Mindestnennbetrag des Grundkapitals 7 12, 15 – Namensaktien 10 7 – Nennbetragsaktie 8 31 – Unter-pari-Ausgabe 9 15 Kapitalschutzsystem – Grundkapital 6 1 – Mindestnennbetrag des Grundkapitals 7 12 – ökonomische Analyse 7 22 ff Kapitalverwaltungsgesellschaft – Mindestnennbetrag des Grundkapitals 7 39 Kaptalgesellschaft – Aktiengesellschaft 1 30 ff Kartellrecht – abhängige Unternehmen 17 62 – Mitteilungspflichten 20 13 – Unternehmensbegriff 15 51 f – Unternehmensgruppe Vor 15 34, 61 Kaufmannseigenschaft – Anwendungsbereich des § 3 Abs 1 3 19 ff – ausländische Gesellschaften 3 21 – Buchführungspflicht 3 25 – Bürgschaft 3 27 – Eröffnungsbilanz 3 25 – Europäische Aktiengesellschaft 3 20 – Europarecht 3 18 – Fiktion 3 1, 22 ff – Firma 3 25 – Freiberufler-Aktiengesellschaft 3 22 – gemeinnützige Aktiengesellschaft 3 22 – gesetzliche Anknüpfungen 3 25 – Gewerbeordnung 3 4 – Handelsgeschäfte 3 26 – Handelskauf 3 27 – Handelsrecht 3 25 ff – Handlungsgehilfe 3 25 – Handlungsvollmacht 3 25 – historische Entwicklung 3 15
Sachregister
– Jahresabschluss 3 25 – Kleingewerbe-Aktiengesellschaft 3 23 – öffentliches Recht 3 4 f – Parallelnormen 3 17 – Prokura 3 25 – Schweigen als Zustimmung 3 27 – Sorgfaltsmaßstab 3 27 – Steuerrecht 3 5, 28 – Unternehmensbegriff 15 16, 20, 22 – Unwiderlegbarkeit 3 24 – Verjährung 3 28 – Vertragsstrafe 3 27 – Verzinsung 3 27 – Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen 3 28 – Zweck der Fiktion 2 6 Kommanditgesellschaft auf Aktien – abhängige Unternehmen 17 27 – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 25 – Mitteilungspflichten 20 18 Kommanditist – Unternehmensbegriff 15 43 Konsortialvertrag – abhängige Unternehmen 17 51 ff – Stimmrechtsmehrheit 16 37 ff Konsortium – Unternehmensbegriff 15 48 Konzern 15 60 18 1 ff (s auch verbundene Unternehmen) – Arten 18 6 – Auslandsbezug 18 88 f – Bedeutung 18 3 ff – betriebliche Mitbestimmung 18 75 ff – Betriebsverfassungsgesetz 18 76 f – Drittelbeteiligungsgesetz 18 69 – Durchgriffshaftung 1 101 – einheitliche Leitung (s dort) – Europäische Aktiengesellschaft 18 65, 73 – Europäischer Betriebsrat 18 80 – europarechtliches Diskriminierungsverbot 18 72 – faktischer Konzern (s dort) – Gemeinschaftsunternehmen 18 85 – Gleichordnungskonzern (s dort) – historische Entwicklung 18 1 f – Internationales Konzernrecht (s dort) – Kapitalverkehrsfreiheit 18 72 – Konzern im Konzern 18 83 – mehrfache Konzernzugehörigkeit 18 84 ff – Merkmale 18 17 f – Mitbestimmung 18 64 ff – Mitbestimmungsgesetz 18 70 – Montanmitbestimmung 18 71 – Niederlassungsfreiheit 18 72 – Personalvertretung 18 79 – Sprecherausschussgesetz 18 78
– Teilkonzern 18 82 – territorialer Anwendungsbereich 18 72, 76 – Unternehmensbegriff (s dort) – Unterordnungskonzern (s dort) – unzulässige Konzerne 18 87 – verbundene Unternehmen, Unterfall 18 3 – Vertragskonzern 18 6, 29 ff – Verweisung 18 7 ff – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 32 – wirtschaftliche Einheit 18 17 Konzernrecht – Haftung, Ausnahmen vom Trennungsprinzip 1 72, Vor 15 40 Konzernrechtsrichtlinie – Unternehmensgruppe Vor 15 7 – verbundene Unternehmen Vor 15 7 Konzernvermutung 18 34 ff – abhängige Unternehmen 17 14 – Dekonsolidierung 18 39 – Gesellschaft mit beschränkter Haftung 18 35 – Insolvenz 18 43 – Konsolidierung 18 39 – mehrere Unternehmen 18 41 f – Personengesellschaften 18 35 – Verfahren 18 44 – Verträge 18 40 – vorübergehende Mehrheitsbeteiligung 18 38 – Widerlegung 18 36 ff Körperschaft – Aktiengesellschaft 1 24 ff Kreditinstitute – Kernkapital, variables 7 40 Kreditwesengesetz – Mehrheitsbeteiligung 16 7 – Unternehmensgruppe Vor 15 37, 66 f Kündigungsschutzgesetz – Unternehmensbegriff 15 55 Lauterkeitsrecht – Unternehmensgruppe Vor 15 35 Legitimationszession – Stimmrechtsmehrheit 16 36 Loyalitätsaktien 12 22, 31 ff, 68 loyalty shares (s Loyalitätsaktien) Maklerprovision – Zurechnung 1 67 Markt – Definition iSd § 3 Abs 2 3 31 – organisierter 3 36 – Vertrag v Hierarchie Vor 15 18 f Mehrfachverwahrung 10 66 Mehrheitsbesitz – Bedeutung 16 1 – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 25
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Sachregister
Mehrheitsbeteiligung 15 37, 58 – Abhängigkeitsvermutung 17 11 ff, 23, 72 f – Anteilsmehrheit (s dort) – Auslandsbezug 16 49 – Bedeutung 16 1 ff – Bilanzrecht 16 6 – EU-Verbundklauseln 16 8 – Kapitalmehrheit 16 3 – Kreditwesengesetz 16 7 – Mitteilungspflicht 20 36 21 9 ff – Stimmenmehrheit 16 3 – Systematik 16 4 – Unternehmensbegriff (s dort) – Verweisungen 16 9 f – Zweck 16 2 Mehrmütterherrschaft – abhängige Unternehmen 17 60 Mehrstimmrecht – Aktiengattung 11 20 Mehrstimmrechtsaktien – ausländisches Recht 12 31 ff – europäisches Recht 12 21 ff – Loyalitätsaktien 12 22, 31 ff, 68 – Verbot von Mehrstimmrechtsaktien (s dort) Minderheitsrechte – Mitteilungspflichten 20 81 – Schwellen 15 39 Mindestnennbetrag der Aktien – Aktiengesetz 1965 8 18 – Alt-und Übergangsfälle 8 55 ff – Anforderungen an den Nennbetrag 8 91 ff – ausländisches Recht 8 35 ff – Euro-Einführung 8 22, 57, 62 ff – Europäische Aktiengesellschaft 8 34 – Europarecht 8 31 ff – fiktiver Mindestnennbetrag bei Stückaktien 8 158 – freie Festsetzung des Nennbetrags 8 91 – historische Entwicklung 8 15 ff – Kapitalerhöhung 8 123 – Mindestnennbetrag 8 94 – Nennbetragsaktie (s dort) – Nichtigkeit von Aktien bei Unterschreitung 8 118 – ökonomische Analyse 8 41 ff – Ordnungswidrigkeit 8 131, 139 – rechtpolitische Würdigung 8 46 ff – Regelungszweck 8 4 ff – registerrechtliche Folgen eines Verstoßes 8 115 – Satzung 8 113 – Schadensersatzpflicht nach § 8 Abs 2 Satz 3 (s dort) – Übernahmeerklärungen bei Verletzung des Mindestnennbetrags 8 122
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– Unteilbarkeit der Aktien 8 10 ff, 27, 50, 185 ff – Unterschreitung 8 95 – Unterschreitung des Mindestnennbetrags bei Eintragung 8 120 – Unterschreitung des Mindestnennbetrags vor Eintragung 8 119 – Vereinigung von Aktien (s dort) – Verhältnis zum Nennwert des Grundkapitals 8 82 – Verletzung des Mindestnennbetrags, Anfechtbarkeit von satzungsändernden Hauptversammlungsbeschlüssen 8 116 – Verletzung des Mindestnennbetrags, Auswirkungen auf Mitgliedschaft 8 117 ff – Verletzung des Mindestnennbetrags, Bestandsauswirkungen 8 113 ff – Wahlrecht zwischen Nennbetrags- und Stückaktie 8 86 ff – wirtschaftliche Bedeutung 8 29 Mindestnennbetrag des Grundkapitals – Abweichungen des Mindestnennbetrags von Summe der Nennbeträge aller (Nennbetrags-)Aktien 7 57 ff – Alt-Aktiengesellschaften 7 47 – ausländisches Recht 7 19 ff – Ausschluss von Kleinstunternehmen 7 4 – Eigenkapital, Abgrenzung zum Grundkapital 7 42 – Euro-Einführung 7 11, 47 – Europäische Aktiengesellschaft 7 18 – europäisches Recht 7 15 ff – European Model Companies Act 7 7 – fehlende Festsetzung 7 53 f – Festsetzung 7 49 ff – Gesetzesgeschichte 7 5 ff – Gläubigerschutz 7 30 ff – Grundkapital (s dort) – Handelsbilanzrecht, Abhängigkeit zum geltenden 7 35 – Investmentaktiengesellschaft 7 39 – Kapitalschutzrichtlinie 7 12, 15 – Kapitalschutzsystem, Funktionsfähigkeit 7 12 – Kapitalverwaltungsgesellschaften 7 39 – Kreditinstitute 7 40 – Kritik an § 7 7 27 ff – Missverhältnis zur tatsächlichen Eigenkapitalanforderung 7 28 – Nachgründung, Zusammenhang zum Grundkapital 7 45 – ökonomische Analyse 7 22 ff – Pfandbriefbanken 7 40 – Real-Estate-Investment-Trust-AG 7 38 – rechtpolitische Würdigung 7 27 ff – Rechtsfolgen bei Verstoß gegen § 7 7 51 ff – Regelungsinhalt des § 7 7 1
Sachregister
– Rücklagen, Zusammenhang zum Grundkapital 7 43 – Satzung 7 49 – Satzungsänderung bei Verstoß gegen § 7 7 56 – Seriositätsschwelle 7 34 – signaling theory 7 23 – Sonderfälle 7 38 ff – Transaktionskosten 7 24, 36 – Überschreiten 7 49 f – Unternehmensbeteiligungsgesellschaften 7 39 – Unternehmenssanierung 7 36 – Unterschreiten 7 49 – wirtschaftliche Bedeutung 7 13 ff – zu niedrige Festsetzung 7 55 – Zweck 7 2 ff Mitbestimmung – Abhängigkeitsvermutung 17 85 – Konzern 18 64 ff – Unternehmensgruppe Vor 15 31 Miteigentum – Anteilsmehrheit 16 21 Mitgliedschaft – Abtretung 10 72, 74, 120 – Aktienurkunden 13 19 – fehlende Verbriefung 10 119 ff – Verbriefung 10 34 ff Mitgliedschaftsrecht 11 25 Mitteilungspflicht über Beteiligungen 20 1 ff – Abnahmeverpflichtung 20 32 – Adressat 20 3 – Anfechtungsbefugnis 20 73 – Anteil am Abwicklungsüberschuss 20 82 – Auskunftsrecht 20 73 21 4 – Auslandsbezug 20 94 22 9 – Bankrecht 20 14 – Bekanntmachung 20 57 ff – Beteiligungsgesellschaft 20 18 ff – Beteiligungshöhe 20 44 21 10 – Beteiligungsumfang 20 23 ff – Beteiligungsunternehmen 21 9 – betroffene Aktien 20 67 – Beweislast 20 87 – Bezugsrechtsverlust 20 78 ff – Bilanzrecht 20 15 21 5 – börsennotierte Gesellschaften 20 93 – Emissionsprospekt 20 12 – Emissionsunternehmen 20 55 – Entbehrlichkeit 20 54 ff – Erfüllungshindernisse 20 31 – erweiterte Zurechnung nach § 20 Abs 2 20 28 f – Europäische Aktiengesellschaft 20 18 – Familiengesellschaften 20 5 – Form 20 41 21 8 – Gesellschaft 21 1 ff – Gesellschaftsrecht 20 11
– Gewinnbeteiligungsanspruch 20 74 ff – Gewinnbezugsrechtsverlust 20 74 ff – Haftung 20 88 ff – historische Entwicklung 20 4 ff – Inhalt 20 42 ff 21 8 – Inhalt der Bekanntmachung 20 58 – Internationales Konzernrecht 20 94 – Kapitalerhöhung 20 78 – Kapitalgesellschaften 20 33 ff – Kapitalherabsetzung 20 80 – Kapitalmarktrecht 20 12, 62 – Kartellrecht 20 13 – Kennenmüssen mitteilungspflichtiger Umstände 20 20, 70 – Kommanditgesellschaft auf Aktien 20 18 – mehrere Verpflichtete 20 53 – Mehrheitsbeteiligung 20 36 21 9 ff – Minderheitsrechte 20 81 – Mitteilungsempfänger 20 40 – Mitteilungspflichtiger 20 40 – mitteilungsverpflichtende Gesellschaften 21 6 – mittelbare Beteiligungen 20 27 – Nachweis 22 1 ff – Nachweisanspruch 22 3 ff – Nachweisberechtigter 22 4 – Nachweisform 22 8 – Nachweisverfahren 22 8 – Nachweisverpflichteter 22 4 – Nichterfüllung 20 65 – Ort der Bekanntmachung 20 59 – Publizität 20 57 ff – Publizitätsvorschriften, andere 20 61 ff – Rechtsnatur 20 8 – Rechtsvergleich 20 95 – Reduktion der Beteiligung 20 37 ff – Regelungszweck des § 20 20 4 f – Regelungszweck des § 21 21 1 – Sanktion 20 64 ff 21 12 f – Sanktionsfolgen nach § 20 Abs 7 20 83 f – schuldrechtliche Ansprüche 20 30 f – Sonderrechte 20 81 – Sperrminorität 20 23 ff 21 6 ff – Stimmrechtsverlust 20 73 – Systematik des § 20 20 6 f – Systematik des § 21 21 1 – Teilnahmerecht 20 73 – Übernehmerecht 20 12 – Übertragung vinkulierter Namensaktien 20 31 – Umwandlung 20 19 – Unterlassung 20 66 – Unternehmensidentität 20 42 – Unterschreiten von Beteiligungsschwellen 21 11 – Veränderung der Beteiligung 20 37 – Verhältnis § 20 und § 21 21 2
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Sachregister
– Verletzung der Bekanntmachung, Sanktion 20 60 – Verlust mitgliedschaftlicher Rechte 20 71 ff – Verpflichteter 20 16 ff – Verschulden 20 70 – Vor-AG 20 19, 52 – wechselseitig beteiligte Unternehmen 20 33 – Wegfall der Beteiligung 20 37 ff – Zeitpunkt 20 48 ff – Zeitpunkt der Bekanntmachung 20 59 – Zurechnung 20 45 ff – Zurechnung von Aktien 20 26 ff – Zurückbehaltungsrecht 20 31 Nachgründung – Grundkapital, Zusammenhang zur ~ 7 45 Nachlasspfleger – Aktiengesellschaft 1 41 Nachlassverwalter – Aktiengesellschaft 1 41 – Ausübung des Stimmrechts 12 62 Namensaktien 10 39 f – Abtretung 10 74 – Aktiengattung 11 67 – Aktienrechtsnovelle 2016 10 11 – Aktienurkunden 13 20 – Angabe von Teilleistungen 10 188 ff – Architekten-AG 10 144 – Ausgabe 10 128 ff – ausländisches Recht 10 18 ff – Blankoindossament 10 73, 102 f – Buchprüfer 10 144 – Dominanz gegenüber Inhaberaktien 10 12 – Europäische Aktiengesellschaft 10 10 – europäisches Recht 10 15 ff – European Model Companies Act 10 17 – fehlende Festlegung 10 150 ff – fehlende Verbriefung 10 119 ff – Folgen unvollständiger Einzahlung 10 183 – freiwillige Umstellung auf Namensaktien 10 171 – Gesetzesgeschichte des § 10 10 6 ff – Gleichbehandlungsgebot 10 143 – Globalurkunde 10 111 ff – grenzüberschreitende Verfügungen 10 89, 101, 110, 118 – gutgläubiger Erwerb 10 77, 95, 103, 193 – Haftung 10 194 – Handelsgesellschaft 10 17 – Indossament 10 73 – Ingenieur-AG 10 144 – Insolvenz 10 86 f, 99 f, 107 ff, 117 – Investmentaktiengesellschaft mit veränderlichem Kapital 10 146 – Legitimationswirkung der Verbriefung 10 60 – Luftfahrtunternehmen 10 145
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– nachträgliche Aufhebung der Festlegung auf eine Aktienart 10 165 f – Nießbrauch 10 83 f, 90, 97, 105, 115 – Pfändung 10 85, 90, 98, 106, 116 – Rechtsanwälte 10 144 – Regelfall 10 131 – Sacheinlagen 10 187, 190, 192 – Sammelverwahrung 10 102 ff – Satzung 10 148 f – Satzungsänderung 10 169 ff, 173 ff – Schadensersatz 10 180 – Sicherung der Kapitalaufbringung 10 5 – Sonderverwahrung 10 93 ff – Steuerberater 10 144 – teileingezahlte 10 181 – Übertragung der Aktie 10 73 – Umstellung von Inhaber- auf Namensaktien 10 168 ff – Umstellung von Namens- auf Inhaberaktien 10 172 ff – unvollständige Leistung der Einlage 10 184 ff – Verpfändung 10 80, 96, 104, 114 – Verstöße gegen § 10 Abs 2, Folgen 10 191 ff – vinkulierte 10 142, 144 f – Wahlrecht 10 129 f, 148 ff – Wahlrecht, Einschränkungen 10 142 ff, 181 – wirtschaftliche Bedeutung 10 12 – Wirtschaftsprüfer 10 144 – Zwangsversteigerung 10 85 Nebenleistungen – Aktienurkunden 13 21 Nennbetrag 6 23 ff – Aktiengattung 11 66 – Anforderungen 8 91 ff – Einführung des Euro 6 20 ff – europäisches Recht 6 11 ff – fehlende oder fehlerhafte Festsetzung, Rechtsfolgen 6 26 ff – fehlender Ausweis des Grundkapitals als ~ 6 28 – fehlerhafter Ausweis des Nennbetrags 6 29 – Festlegung in Satzung 6 23, 30 – Festsetzung in Euro 6 25 – Gesetzesgeschichte des § 6 6 5 ff – Grundkapital (s dort) – Informationsfunktion 6 3 – kalter Bezugsrechtsausschluss 8 99 – Kapitalerhöhung 8 110 – Kapitalherabsetzung 8 111 – Mindestnennbetrag des Grundkapitals (s dort) – Mindestnennbetrag 8 94 – Motive für konkrete Festsetzung 8 93 – nachträgliche Änderung 8 101 – (Nennbetrags-)Aktie 6 24 (s auch dort) – Regelungszweck des § 6 6 3 f – Satzungsänderung 6 23, 31
Sachregister
– Treuepflicht 8 97 – treuwidrige Festsetzung zu hoher Nennbeträge 8 99 – Übernahmeerklärungen bei Verletzung des § 8 Abs 2 Satz 4 8 136 – Verletzung des § 8 Abs 2 Satz 4, Anfechtbarkeit satzungsändernder Hauptversammlungsbeschlüsse 8 136 – Verletzung des § 8 Abs 2 Satz 4, Auswirkungen auf den Gesellschaftsbestand 8 133 ff – volle Euro 8 96, 133 ff Nennbetragsaktie – Aktienform 8 69 – Aktiengattung 11 67 – Anpassung des bedingten Kapitals 8 147 – Anpassung des genehmigten Kapitals 8 146 – Ausgabe 8 91 ff – ausländisches Recht 8 35 ff – Beschränkung auf Nennbetrags- und Stückaktien 8 3, 41 ff – Bestimmung des Anteils am Grundkapital 8 184 – Einführung 8 140 – Europarecht 8 31 ff – European Model Companies Act 8 33 – Folgemaßnahmen bei Umstellung 8 145 ff – Formwechsel 8 151 – historische Entwicklung 8 15 ff – kombinierte Teilung und Vereinigung 8 109 – Nennbetrag (s dort) – nennwertlose Aktie (s dort) – ökonomische Analyse 8 41 ff – rechtpolitische Würdigung 8 46 ff – Regelungszweck 8 2 ff – Satzung 8 140 – Teilung 8 102 ff – Umstellung auf Euro 8 57, 62 ff – Umstellung der Aktienurkunden 8 144 – Umstellung von Nennbetrags- in Stückaktien 8 171 ff – Umstellung von Stück- in Nennbetragsaktien 8 141 ff – Umwandlung durch Satzungsänderung 8 141 ff – Vereinigung 8 105 ff – Vorgaben 8 4, 43, 46 ff – Wahlrecht 8 1, 86 ff Nennwertlose Aktie – Aktienform 8 71 – echte 8 75 f – Stückaktie 8 77 – unechte 8 72 ff Nicht rechtsfähiger Verein – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 27 Niederlassung – Begriff 5 21
Nießbrauch – Stimmrecht 12 57 – Stimmrechtsmehrheit 16 42 OECD Leitsätze für multinationale Unternehmen – Unternehmensgruppe Vor 15 68 Offene Handelsgesellschaft – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 25 Öffentlich-rechtlich organisierte Rechtsträger – Unternehmensbegriff 15 16 Ordnungswidrigkeit – Mindestnennbetrag 8 131, 139 Örtliche Zuständigkeit – Europäische Aktiengesellschaft 14 5 – europäisches Recht 14 4 – Gesetzesgeschichte 14 3 – Sitz (s dort) Parteifähigkeit – Rechtsfähigkeit 1 47 Partnerschaft – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 25 Partnerschaftsgesellschaft – Unternehmensbegriff 15 16 f Pensionskassen – Unternehmensbegriff 15 21 Personenfirma 4 27 Personengesellschaften – abhängige Unternehmen 17 28 – Abhängigkeitsvermutung 17 69 – Anteilsmehrheit 16 17, 20 – Konzernvermutung 18 35 – Stimmrechtsmehrheit 16 45, 48 – Unterordnungskonzern 18 33 Persönlich haftender Gesellschafter – Unternehmensbegriff 15 43 Persönlichkeitsrecht – Rechtsfähigkeit 1 45 Pfandbriefbanken – Kernkapital 7 40 Pfandrecht – Stimmrechtsmehrheit 16 42 Phantasiefirma 4 27 Poolvertrag – abhängige Unternehmen 17 51 ff – Stimmrechtsmehrheit 16 37 ff preferred shares – Aktiengattung 11 64 Prokura – Kaufmannseigenschaft 3 25 Prozessrecht – Rechtsfähigkeit 1 47 f Quotenaktie 8 78
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Sachregister
Real-Estate-Investment-Trust-AG – Mindestnennbetrag des Grundkapitals 7 38 Rechtsfähigkeit – Aktiengesellschaft als juristische Person 1 15 ff – Aktionärseigenschaft 1 63 ff – Aktionärsverhalten 1 63 ff – Anwendungsdurchgriff 1 63 – Arbeitsrecht 1 44 – arglistige Täuschung 1 66 – Bürgerliches Recht 1 39 ff – Deliktshaftung 1 61 f – Erbrecht 1 41 – Erfinderrecht 1 42 – Familienrecht 1 40 – Formkaufmann 1 33 – Gesellschaftsrecht 1 43 – gewerblicher Rechtsschutz 1 42 – Grundrechte 1 51 – Grundrechtsfähigkeit 1 50 – gutgläubiger Erwerb 1 63 – Handelsgesellschaft 1 33 – Handlungsfähigkeit 1 55 f – Inhalt 1 20 – Maklerprovision 1 67 – öffentliches Recht 1 49 ff – Parteifähigkeit 1 47 – Persönlichkeitsrecht 1 45 – Prozessrecht 1 47 f – Rechtsinhaberschaft 1 38 ff – Selbstbelastungsfreiheit 1 54 – Strafrecht 1 53 f – Urheberrecht 1 42 – Verwaltungsrecht 1 49 – Vollstreckungsrecht 1 48 – Zurechnung von Organverhalten 1 57 ff Rechtspersönlichkeit der Aktiengesellschaft 1 15 ff – Beginn 1 22 – Ende 1 23 Rechtsscheinhaftung – Firma 4 42 Rechtsvergleichung – Mitteilungspflichten 20 95 – Unternehmensgruppe Vor 15 73 ff Registersperre – Mindestnennbetrag der Aktien 8 18 ff Restgesellschaften – Stimmrecht 12 59 reverse split – Nennbetragsaktien 8 105 ff – Stückaktien 8 164 ff Ringbeteiligungen – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 36 ff Rücklagen – Grundkapital, Zusammenhang 7 43
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Sacheinlage – Unter-pari-Ausgabe 9 55 – Über-pari-Ausgabe 9 88, 104, 106 Sachfirma 4 27 Sammelurkunde 10 50 ff – Hinterlegung 10 136 ff – Mehrfach- oder Sammelurkunde 10 51 – Wertpapiersammelbank 10 137 – Zentralverwahrer 10 138 f Sammelverwahrung 10 64 f – grenzüberschreitende Verfügungen 10 110, 118 – gutgläubiger Erwerb 10 103, 113 – Insolvenz 10 107 ff, 117 – Nießbrauch 10 105, 115 – Pfändung 10 106, 116 – rechtsgeschäftliche Übertragung von Dauerglobalurkunden 10 111 – rechtsgeschäftliche Übertragung von Mehrfachoder Sammelurkunde 10 102 – Verpfändung 10 104, 114 Satzung 2 44 ff – abhängige Unternehmen 17 31 ff – Aktiengattung 11 32 f, 35 ff, 75 – Aktiensplittung 8 102, 161 – Änderung der Firma 4 35 – Angabe der Aktienart 10 148 – Ausschluss des Einzelverbriefungsanspruchs 10 202 ff – Begriff 2 44 – Definition 2 3 – Einführung von und Umstellung in Nennbetragsaktien 8 140 ff – Einführung von und Umstellung in Stückaktien 8 170 ff – fehlende Festlegung der Aktienart 10 150 ff – Festlegung auf Inhaberaktie 10 155 – Festlegung des Nennbetrags 6 23, 26 – Festsetzung des Nennbetrags 8 101 – Firma 4 36 – Formerfordernisse, Aktienurkunde 13 12 – Mindestnennbetrag des Grundkapitals 7 49, 54 ff – Ortsbestimmung 5 28 – Rechtsnatur 2 45 – Sitz 5 1 ff – Sitzverlegung 5 46 – Stimmrecht 12 55 – Umstellung von Inhaber- auf Namensaktien 10 169 ff – Umstellung von Namens- auf Inhaberaktien 10 173 ff – Unteilbarkeit der Aktien 8 11 – Verbot von Mehrstimmrechtsaktien 12 72 f – Vereinigung von Nennbetragsaktien 8 105 – Vereinigung von Stückaktien 8 164
Sachregister
– Verletzung des Mindestnennbetrags 8 113 – Wahlrecht zwischen Nennbetrags- und Stückaktie 8 88 Schadensersatzpflicht nach § 8 Abs 2 Satz 3 8 125 ff – Anspruchsgegner 8 127 – Anspruchsinhaber 8 126 – Anspruchskonkurrenz 8 130 – negatives Interesse 8 129 – Voraussetzungen 8 128 Schuldrechtliche Zuzahlungen – Abgrenzung zum Aufgeld 9 127 f – Bilanzierung 9 141 – Differenzhaftung 9 138 – Erbringung 9 134 ff – Festsetzung 9 131 f – Gestaltungsvarianten 9 129 f – Kaptalaufbringung 9 121 ff – Leistungsstörungen 9 137 ff – Überbewertung 9 137 – Übertragbarkeit der Leistungspflicht 9 140 – Zulässigkeit 9 122 ff Sicherungsübereignung – Stimmrecht 12 57 Sitz 14 13 – allgemeiner Gerichtsstand 5 39 – Amtsauflösungsverfahren 5 44 – Anwendungsbereich 5 23 – ausschließliche Gerichtsstände 5 40 – Bedeutung 5 1 ff – Betriebsstätte 5 20 – Definition 5 1 – deutsches Staatsterritorium 5 27 – Doppelsitz 14 14 (s auch dort) – Erreichbarkeit 5 6 – Europäische Aktiengesellschaft 5 11 – Europarecht 5 13 – forum shopping 5 9 – Gebietsreform 5 26 – Geschäftsanschrift 5 22 – Geschäftsleitung 5 19 – gesetzliche Anknüpfungen 5 37 ff – Großgemeinde 5 25 – historische Entwicklung 4 7 ff – Individualisierungsfunktion 5 3 – Inland 5 27 – Insolvenzverfahren 5 42 – internationale Zuständigkeit 5 41 – Konzern Vor 15 71 – Niederlassung 5 21 – Normverstöße 5 44 f – Ordnungsfunktion 5 4 – Ort der Hauptversammlung 5 37 – örtliche Zuständigkeiten, Festlegung 5 4 – Ortsbegriff 5 24 f
– Ortsbestimmung durch Satzung 5 28 – Parallelnormen 5 11 f – rechtspolitische Bewertung 5 9 f – Rechtsvergleichung 5 13 – Registerverfahren 5 38 – Satzung 5 28 – satzungsändernder Beschluss 5 45 – Satzungsänderung 5 46 – Satzungsfreiheit 5 2 – Satzungssitz 5 1 – Sitzverlegung 5 46 – Staatsangehörigkeit 5 5 – Steuerrecht 5 12, 19 f – Verfahrensrecht 5 38 ff – Verwaltungssitz, Abgrenzung 5 16 ff – Verwaltungsverfahren 5 43 – Vor-AG 5 23 – Wahl 5 29 – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 14 – Wohnsitz, Abgrenzung 5 15 Sonderrecht – Aktiengattung 11 18 f Sondervermögen des öffentlichen Rechts – Unternehmensbegriff 15 27 ff Sonderverwahrung 10 63 – grenzüberschreitende Verfügungen 10 101 – gutgläubiger Erwerb 10 94 f – Insolvenz 10 99 f – Nießbrauch 10 97 – Pfändung 10 98 – Übertragung von Aktien 10 92 f – Verpfändung 10 96 Sozialrecht – Unternehmensgruppe Vor 15 32 Spartenaktie 8 79 Spartenaktien – Aktiengattung 11 63 Sperrminorität 15 37 f – abhängige Unternehmen 17 20 – Beherrschungsmöglichkeit 17 20 – Mitteilungspflichten 20 23 ff 21 6 ff Staatsangehörigkeit – Sitz 5 5 Stellvertreter – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 34 f – Konzern Vor 15 26 – Mitteilungspflichten 20 9, 40, 53 Sterbekasse – Unternehmensbegriff 15 21 Steuerberater – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 22 Steuerberatergesellschaften – Namensaktien 10 144 Steuerrecht – Kaufmannseigenschaft 3 5, 28
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Sachregister
– Sitz 5 12, 19 f – Unternehmensgruppe Vor 15 25 Stiftung – abhängige Unternehmen 17 30 f, 49 – Anteilsmehrheit 16 19 – Stimmrechtsmehrheit 16 46 – Unternehmensbegriff 15 16, 25 f Stille Gesellschaft – abhängige Unternehmen 17 42 – Anteilsmehrheit 16 18 – Stimmrechtsmehrheit 16 46 Stimmbindungsvertrag – abhängige Unternehmen 17 51 ff – Abhängigkeitsvermutung 17 76 ff – Mehrheitsstimmrechte, Unzulässigkeit 12 67, 70 – Stimmrechtsmehrheit 16 37 ff Stimmgewicht – Stimmrechtsmehrheit 16 44 Stimmrecht 12 1 ff – Abspaltungsverbot, Verstoß 12 62 ff – Abwesenheitspfleger 12 62 – Aktie, zwingende Verbindung 12 51 ff – Aktiengattung 11 53 ff, 63 – ausländisches Recht 12 26 ff – Begriff 12 51 – Begründung isolierter Stimmrechte, Unmöglichkeit 12 54 ff – Bruchteilstimmrechte 12 59 – Depotstimmrecht (s dort) – empty voting 12 58 – Erwerbsmotiv 12 20 – Europäische Aktiengesellschaft 12 20 – europäisches Recht 12 16 ff – European Model Companies Act 12 19 – Gesetzesgeschichte 12 7 f – Gestaltung 12 54 ff – hidden ownership 12 58 – Höchststimmrecht 12 74 – Insolvenzverwalter 12 62 – Investmentaktiengesellschaft 12 46 – isoliertes 12 54, 58 – Kapitalprinzip 12 2 – Mehrstimmrechte (s Verbot von Mehrstimmrechtsaktien) – Mitteilungspflichten 20 73 – Nachlassverwalter 12 62 – Nichtaktionär 12 5 – Nießbrauch 12 57 – ökonomische Analyse 12 37 f – Proportionalitätsprinzip 12 2 – rechtspolitische Würdigung 12 39 – Regelungsinhalt 12 1 – Regelungszweck 12 2 ff – Restgesellschaften 12 59 – Satzungsstrenge 12 55
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– Sicherungsübereignung 12 57 – stimmrechtslose Vorzugsaktien (s dort) – Stimmrechtsvollmacht 12 62 – Testamentsvollstrecker 12 62 – Treuhänder 12 57 – Unteilbarkeit von Aktien 12 54, 61 – Verbot der isolierten Übertragung 12 61 – Verbot von Mehrstimmrechtsaktien (s dort) – Vereinbarungen von Stimmrechtsbeschränkungen 12 63 – Verhältnis zu anderen Vorschriften 12 46 – wirtschaftliche Bedeutung 12 13 Stimmrechtsbeschränkungen – Abhängigkeitsvermutung 17 74 Stimmrechtslose Vorzugsaktien 12 66 ff – Abhängigkeitsvermutung 17 74 – Aktiengattung 11 63 – Gesetzesgeschichte 12 7 f – rechtspolitische Würdigung 12 40 – Zulässigkeit 12 40 Stimmrechtsmehrheit 16 34 ff – Abspaltungsverbot 16 38 ff – Ausübungsverbot 16 35 – Berechnung 16 43 ff, 47 – Bezugsgröße 16 43 – Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung 16 48 – Genossenschaft 16 48 – Konsortialvertrag 16 37 ff – Legitimationszession 16 36 – Nießbrauch 16 42 – Personengesellschaften 16 45, 48 – Pfandrecht 16 42 – Poolvertrag 16 37 ff – registrierte Legitimationsaktionär 16 35 – Stiftung 16 46 – stille Gesellschaft 16 46 – Stimmbindungsvertrag 16 37 ff – Stimmgewicht 16 44 – Stimmrechte aus zugerechneten Anteilen 16 41 – Stimmrechtsvollmacht 16 36 – Verein 16 46 – Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit 16 46 – vertraglich vermittelte Stimmrechtsmehrheit 16 38 – vorübergehende Ausübungshindernisse 16 35 Stimmrechtsvollmacht – abhängige Unternehmen 17 56 – Stimmrechtsmehrheit 16 36 Strohmanngründung 2 16 Stückaktie – Aktienform 8 70 – Aktiengattung 11 67 – Anforderungen 8 153 ff – Anpassung des bedingten Kapitals 8 178
Sachregister
– Anpassung des genehmigten Kapitals 8 177 – Ausgabe 8 153 ff – Beschränkung auf Nennbetrags- und Stückaktien 8 3, 41 ff – Bestimmung des Anteils am Grundkapital 8 184 – Einführung 8 170 – Festsetzung der Anzahl 8 154 – fiktiver Mindestnennbetrag 8 158 – Folgemaßnahmen bei Umstellung 8 176 ff – Formwechsel 8 182 – historische Entwicklung 8 23 ff – Investmentaktiengesellschaften mit veränderlichem Kapital 8 53, 87 – kalter Bezugsrechtsausschlusses 8 159 – Kapitalmaßnahmen 8 168 – Motive für Festsetzung einer konkreten Anzahl 8 93 – nachträgliche Änderung 8 160 – ökonomische Analyse 8 41 ff – rechtpolitische Würdigung 8 46 ff – Regelungszweck 8 2, 7 – Satzung 8 170 – Teilung 8 161 f – treuwidrige Festsetzung einer zu geringen Anzahl 8 159 – Umfang der Beteiligung am Grundkapital 8 155 – Umstellung der Aktienurkunden 8 175 – Umstellung durch Satzungsänderung 8 171 ff – Umstellung von Nennbetrags- in Stückaktien 8 171 ff – Umstellung von Stück- in Nennbetragsaktien 8 141 ff – unechte nennwertlose Aktien 8 77 – Vereinigung 8 164 ff – Verletzung des § 8 Abs 3 8 169 – Vorgaben 8 7 f, 43, 46 ff – Wahlrecht 8 1, 86 ff, 153 – wirtschaftliche Bedeutung 8 29 – Zulässigkeit 8 23 ff Tarifrecht – Unternehmensgruppe Vor 15 29 Teilgewinnabführung – abhängige Unternehmen 17 38 Teilkonzern 18 82 Testamentsvollstrecker – Aktiengesellschaft 1 41 – Ausübung des Stimmrechts 12 62 tracking stocks 8 79 – Aktiengattung 11 51 Trennungsprinzip 1 21, 69 – Ausnahmen 1 72 ff Treuhand – Abhängigkeitsvermutung 17 78
– Anteilsmehrheit 16 23, 27 – Unteilbarkeit der Aktien 8 203 – Unternehmensbegriff 15 45 Treuhandanstalt – Unternehmensbegriff 15 30 Treuhänder – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 36 – Stimmrecht 12 57, 16 29, 36 ff Über-pari-Ausgabe 9 31 ff – Änderung der Ausgabebeträge 9 100 ff – ausländisches Recht 9 21 ff – Bareinlage 9 88 – bedingte Kapitalerhöhung 9 92 – Beschränkung auf Aktien 9 86 – Bilanzierung des Aufgeldes 9 113 f – Bindungen für die Kapitalrücklage 9 115 – Differenzhaftung 9 109 f – Entstehung der Leistungspflicht 9 103 f – europäisches Recht 9 15 – faktischer Bezugsrechtszwang 9 97 – Fälligkeit der Leistungspflicht 9 103 f – Festsetzung des Ausgabebetrages 9 89 ff – Finanzierungsquelle 9 85 – Gesetzesgeschichte 9 10 ff – Inhalt des § 1 Abs 2 9 1 – Kapitalaufbringung durch schuldrechtliche Zuzahlungen 9 121 ff – Kapitalerhöhung 9 91 ff – Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtausschluss 9 93, 95 – Leistungsstörungen 9 108 ff – offenes Aufgeld 9 86 ff – ökonomische Analyse 9 25 – Prüfung durch Registergericht 9 105 f – rechtspolitische Würdigung 9 27 – Regelungszweck 9 3 ff – Sacheinlage 9 88, 104, 106 – Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss 9 96 – schuldrechtliche Zuzahlungen (s dort) – Überbewertung 9 109 – Übertragbarkeit der Leistungspflicht 9 112 – Unter-pari-Ausgabe (s dort) – verstecktes Aufgeld 9 117 ff – Verwendungsmöglichkeiten des offenen Aufgeldes 9 115 f – wirtschaftliche Bedeutung 9 14 – Zulässigkeit 9 3, 85 ff Umwandlung – Firmenfortführung 4 24 – Mitteilungspflichten 20 17 Unteilbarkeit von Aktien 8 185 ff – Abspaltungsverbot 8 192 – American Depositary Receipts 8 206
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Sachregister
– Aufspaltungsverbot 8 190 f – Begründung des Grundsatzes 8 186 ff – Bruchteilsgemeinschaft 8 200 – empty voting 8 204 – gemeinschaftliche Berechtigung an einer Aktie 8 199 – Gesamthandsgemeinschaft 8 201 – hidden ownership 8 205 – historische Entwicklung 8 27 – Neustückelung 8 197 – ökonomische Analyse 8 44 f – Rechtsfolgen bei Verstoß 8 207 ff – rechtspolitische Würdigung 8 50 – Treuhand 8 203 – Umtausch von Globalaktien in Einzelurkunden 8 191, 198 – Unterbeteiligung 8 202 – Verbot der Realteilung 8 190 f – Zweck 8 10 ff Unterbeteiligung – Unteilbarkeit der Aktien 8 202 Unterkapitalisierung 1 103 ff – freiwillige Gläubiger 1 106 – Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung 1 103 ff – Haftungsbeschränkung, ökonomische Analyse 1 104 ff – unfreiwillige Gläubiger 1 107 Unternehmensbegriff 15 10 ff – Anstalten 15 16 – atypische stille Beteiligung 15 43 – Auslegungsmaßstäbe 15 11 – Beteiligung 15 31 ff – Beteiligungen an mehreren Gesellschaften 15 32 ff – Beteiligungsumfang 15 36 ff – Betriebsverfassungsgesetz 15 54 – Eigengesellschaften 15 30 – Erbengemeinschaft 15 16 – Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung 15 18 – EU-Wettbewerbsrecht 15 53 – Familienstamm 15 16 – Freiberufler 15 23 – funktionaler Ansatz 15 12 – Gebietskörperschaft 15 27, 30 – Genossenschaft 15 17 – Gesellschaft bürgerlichen Rechts 15 16,47 – Gewerkschaften 15 25 – Gütergemeinschaft 15 16 – Handelsgesellschaften 15 19, 47 – Handelsgesetzbuch 15 50 – Holding 15 20 – Idealverein 15 16 – institutioneller Ansatz 15 12
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– Investmentfonds 15 21 – juristische Personen 15 25 ff – juristische Personen des öffentlichen Rechts 15 27 ff – Kapitalgesellschaften 15 19 – Kartellrecht 15 51 f – Kaufleute 15 16, 20, 22 – Kommanditistenstellung 15 43 – Konsortium 15 48 – Kündigungsschutzgesetz 15 55 – maßgebliche Beteiligung 15 33, 36 ff – Mehrheitsbeteiligung 15 37 – Minderheitsrechte 15 39 – natürliche Person 15 24, 31 ff – öffentlich-rechtlich organisierte Rechtsträger 15 16 – Partnerschaftsgesellschaft 15 16 f – Pensionskassen 15 21 – Personenmehrheiten 15 47 f – persönlich haftender Gesellschafter 15 43 – rechtliche Selbständigkeit 15 14 – Rechtsform 15 15 ff – relativer Unternehmensbegriff 15 10 – Sondervermögen des öffentlichen Rechts 15 27 ff – Sperrminorität 15 37 f – Sterbekassen 15 21 – Stiftung 15 16, 25 f – stille Beteiligung 15 43 – teleologischer Unternehmensbegriff 15 11 – Treuhandanstalt 15 30 – Treuhandverhältnisse 15 45 – Verein 15 25 f – Versicherungsunternehmen 15 21 – Vorgesellschaften 15 16 – wirtschaftliche Verein 15 16 – Zurechnung 15 44 ff – Zwischenholding 15 46 Unternehmensbeteiligungsgesellschaften – Mindestnennbetrag des Grundkapitals 7 39 Unternehmensgegenstand – Wahl 3 7 f – Zweck 3 7 f Unternehmensgruppen Vor 15 1 ff (s auch verbundene Unternehmen) – rechtstatsächlicher Normalfall Vor 15 12 – Gruppe Vor 15 38 ff Unternehmensträger – Aktiengesellschaft 1 34 f Unternehmensvertrag 15 62 – abhängige Unternehmen 17 35, 37 ff – fehlerhafte Gesellschaft Vor 15 54 Unternehmereigenschaft 3 2 Unterordnungskonzern 18 6, 28 ff – abhängige Unternehmen (s dort) – Beherrschungsvertrag 18 29 ff
Sachregister
– Eingliederungskonzern 18 29 ff – faktischer Konzern 18 34 f – Genossenschaft 18 33 – Geschäftsführungsverträge 18 32 – Gesellschaft mit beschränkter Haftung 18 33 – Gewinnabführungsverträge 18 32 – Gleichordnungskonzern 18 45 ff, 59 ff – Konzern (s dort) – Konzernvermutung (s dort) – Mitbestimmung 18 66 – Personengesellschaften 18 33 – Rechtsformen 18 33 – Unternehmensverträge 18 32 – Vertragskonzern 18 29 ff – Verweisung 18 11 ff – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 33 Unter-pari-Ausgabe 9 9 ff – Aufgeld (s dort) – Ausgabebegriff 9 51 – Ausgabezeitpunkt 9 51 – ausländisches Recht 9 18 ff – Auswirkungen auf Einlageverpflichtung der Aktionäre 9 64 ff, 78 ff – Auswirkungen auf Entstehung einer Aktiengesellschaft 9 61 ff – Auswirkungen auf Verfassung der Aktiengesellschaft 9 73 ff – Belohnungen und Entschädigung für Gesellschaftsgründung 9 57 – Differenzhaftung 9 65 f – Erreichen des geringsten Ausgabebetrags 9 52, 64 – Europäische Aktiengesellschaft 9 17 – europäisches Recht 9 15 – European Model Companies Act 9 35 – fehlerhafte Festsetzung 9 62 – Geltungsbereich 9 53 – Gesetzesgeschichte 9 7 ff – Gläubigerschutz 9 2 – Haftungsfolgen für die Gründer 9 71 – Inhalt des § 1 Abs 1 9 1 – Kaduzierung der Aktien 9 68 – Kaptalerhöhung 9 73 ff – nicht werthaltige Sacheinlage 9 65 – Nichtigkeit des Zeichnungsscheins 9 75 – ökonomische Analyse 9 24 – rechtspolitische Würdigung 9 26 – Regelungszweck 9 2, 6 – registerrechtliche Folgen 9 62 ff – Sacheinlage 9 55 – Schadenersatz der Organmitglieder 9 69, 83 – Teilnichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses 9 74 – überbewertete Sacheinlage 9 80 – Übernahmeerklärung 9 61
– Über-pari-Ausgabe (s dort) – Verbot der Unter-pari-Emission 9 2, 47 ff – verdeckte 9 56, 63, 77, 81 – verdeckte Sacheinlage 9 30 – Verhältnis zu anderen Vorschriften 9 29 f – Verstoß, Rechtsfolgen 9 60 ff – wirtschaftliche Bedeutung 9 13 UN-Verhaltenskodex – Unternehmensgruppe Vor 15 68 Urheberrecht – Rechtsfähigkeit 1 42 Verbot von Mehrstimmrechtsaktien 12 67 ff – Alt- und Übergangsfälle 12 50, 71 – ausländisches Recht 12 31 ff – Ausnahmen 12 71 – Europäische Aktiengesellschaft 12 25 – europäisches Recht 12 21 ff – Geltungsbereich 12 69 – Gesetzesgeschichte 12 9 ff – Kapitalerhöhung 12 71 – ökonomische Analyse 12 37 f – Rechtsfolgen 12 72 – rechtspolitische Würdigung 12 41 ff – Regelungszweck 12 6 – Satzung 12 72 f – Stimmbindungsvertrag 12 67, 70 – Unternehmenskontrolle 12 67 – Verhältnis zu anderen Vorschriften 12 47 f – wirtschaftliche Bedeutung 12 15 Verbrauchereigenschaft 3 2 Verbundene Unternehmen Vor 15 1 ff 15 1 ff – abhängige Unternehmen (s dort) – Aktiengesetz, Definitionsnormen Vor 15 50 ff – Aktiengesetz 1965 Vor 15 4 – Arbeitgeber Vor 15 28 – Arbeitsrecht Vor 15 28 – Auslandsbezug Vor 15 69 ff 15 63 – Ausscheiden Vor 15 45 – Bedeutung, AktG 15 4 f – Bedeutung, außerhalb des AktG 15 6 ff – Betriebsverfassungsrecht Vor 15 30 – Betriebswirtschaftslehre Vor 15 20 – Bilanzrecht Vor 15 24 – Bilanzrichtlinien Vor 15 60 – Bilanzrichtliniengesetz Vor 15 5 – Definitionsnormen Vor 15 1 f, 50 ff – Differenzierung zwischen Vertrag und Organisation Vor 15 19 – EG-Wettbewerbsregeln Vor 15 62 ff – Entwicklungstendenzen Vor 15 6 ff – Europäische Aktiengesellschaft Vor 15 7, 69 – europäisches Gesellschaftsrecht Vor 15 7 – europäisches Privatrecht Vor 15 47 ff – Finanzdienstleistungen Vor 15 33, 37, 65 f
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Sachregister
– Gefahrenabwehr Vor 15 10 – Gesetzesgeschichte Vor 15 3 ff – Gesetzestechnik 15 2 f – gewerblicher Rechtsschutz Vor 15 35 – Gründe Vor 15 17 ff – Gruppe Vor 15 38 ff – Gruppenbildung Vor 15 17 ff – Hauptgesellschaft Vor 15 56 – herrschendes Unternehmen (s dort) – Holzmüller-Entscheidung Vor 15 14 – Individualarbeitsrecht Vor 15 28 – Insolvenz Vor 15 27 – Internationales Gesellschaftsrecht Vor 15 69 ff – Internationales Konzernrecht (s dort) – Kapitalmarktrecht Vor 15 23, 67 – Kartellrecht Vor 15 34, 61 – Konzentrationsbewegung Vor 15 13 f – Konzern 15 60 (s auch dort) – Konzerneingangskontrolle Vor 15 44 – Konzernrechtsrichtlinie Vor 15 7 – Kreditwesengesetz Vor 15 37, 66 f – Lauterkeitsrecht Vor 15 35 – materielles Recht, Entwicklung in Rechtsprechung und Lehre Vor 15 9 ff – Mehrheitsbesitz 15 58 – Mehrheitsbeteiligung 15 58 (s auch dort) – Mitbestimmung Vor 15 31 – Mitteilungspflichten (s dort) – Mittel der Gruppenbildung Vor 15 18 f – Normadressat Vor 15 39 – Oberbegriff Vor 15 55 – OECD Leitsätze für multinationale Unternehmen Vor 15 68 – ökonomische Theorie Vor 15 21 – Organisationsrecht Vor 15 10, 41 ff – praktische Bedeutung Vor 15 13 ff – Recht der Rechnungslegung Vor 15 24 – rechtliche Erfassung Vor 15 22 ff – Rechtsformunabhängigkeit Vor 15 53 – rechtstatsächlicher Normalfall Vor 15 12 – Rechtsvergleichung Vor 15 73 ff – Sozialrecht Vor 15 32 – Statut Vor 15 71 f – Steuerrecht Vor 15 25 – Tarifrecht Vor 15 29 – Umorganisation Vor 15 46 – Unternehmensbegriff (s dort) – Unternehmensvertrag 15 62 – UN-Verhaltenskodex Vor 15 68 – Vertragsrecht Vor 15 26 – Verweisung, Bedeutung außerhalb des AktG Vor 15 58 ff – wechselseitig beteiligte Unternehmen 19 6 (s auch dort) – Zurechnung Vor 15 40
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Verein – Stimmrechtsmehrheit 16 46 – Unternehmensbegriff 15 16, 25 f Vereinigung von Aktien 8 105 ff, 164 ff – Altaktien 8 108, 167 – Kapitalmaßnahmen 8 110, 168 – Satzung 8 105, 164 – Zustimmung 8 107, 166 Verjährung – Kaufmannseigenschaft 3 28 Vermögensentzug – aktiver 1 102 – passiver 1 103 Vermögensrechte – Aktiengattung 11 49 ff Vermögensvermischung – Durchgriffshaftung 1 99 Versicherungsgesellschaften – Unternehmensbegriff 15 21 Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit – abhängige Unternehmen 17 30 – Anteilsmehrheit 16 19 – Stimmrechtsmehrheit 16 46 Vertragskonzern – Unterordnungskonzern 18 6, 29 ff Vertragsrecht – Unternehmensgruppe Vor 15 26 Verwaltungsrechte – Aktiengattung 11 53 ff – Rechtsfähigkeit 1 49 Verwaltungssitz – Satzungssitz, Abgrenzung 5 16 ff Vinkulierte Namensaktien – Anteilsmehrheit 16 21 Vor-AG 2 23 – Mitteilungspflichten 20 19, 52 – Sitz 5 23 – Unternehmensbegriff 15 16 – Verfügungen über Aktien 10 69 Vorgründungsgesellschaft 2 14 – Verfügungen über Aktien 10 69 Vormund – Aktiengesellschaft 1 40 Vorstand – abhängige Unternehmen 17 48 – börsennotierte Aktiengesellschaft 3 42 Vorzugsaktie – Aktiengattung 11 54 – rechtspolitische Würdigung 12 40 – stimmrechtslose Vorzugsaktien (s dort) – wirtschaftliche Bedeutung 12 14 Wechselseitig beteiligte Unternehmen 15 61, 19 1 ff – abhängige Unternehmen (s dort)
Sachregister
– Abhängigkeitsvermutung 19 25, 31 – Anteile 19 15 ff – Anteilsberechnung 19 17 – Anwendungsfälle 19 19 f – Auslandsbezug 19 40 – Bedeutung 19 4 ff – Begründung, Zulässigkeit 19 8, 24 – beherrschender Einfluss 19 23 – beiderseitig qualifizierte wechselseitige Beteiligungen 19 29 ff – beiderseitige Mehrheitsbeteiligung 19 30 – betroffene Unternehmen 19 12 ff – Einlagenrückgewähr 19 10 f – einseitig qualifizierte wechselseitige Beteiligungen 19 21 ff – Erwerb eigener Aktien 19 9 – Gleichordnungskonzern 19 7, 33 – Grundtatbestand 19 12 ff – herrschendes Unternehmen (s dort) – historische Entwicklung 19 1 ff – Internationales Konzernrecht 19 40 – Konzernbildung 19 32 – Mitteilungspflicht 20 33 ff – praktische Bedeutung 19 5 – Qualifizierung 19 22 – Rechtsfolgen 19 19, 25 ff, 31 ff – Rechtsform 19 13 – Rechtsformen, andere 19 39 – Ringbeteiligungen 19 36 ff – Sitz 19 14 – Systematik 19 6 – Unternehmensbegriff (s dort) – Unterordnungskonzern 19 33 – verbundene Unternehmen (s dort) – Verhältnis zu anderen Vorschriften 19 9 ff – Verweisungen 19 4 – Zurechnung 19 18 Wettbewerbsrecht – Haftung, Ausnahmen vom Trennungsprinzip 1 73 Wettbewerbsverbot – abhängige Unternehmen 17 32 – Abhängigkeitsvermutung 17 84 Widerlegung – Abhängigkeitsvermutung 17 71 ff Wirtschaftlicher Verein – Anteilsmehrheit 16 19 Wirtschaftsprüfergesellschaften – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 22 – Namensaktien 10 144 – Unternehmen 15 23 Wissenszurechnung – Rechtsfähigkeit der Aktiengesellschaft 1 58 f Wohnsitz – Satzungssitz, Abgrenzung 5 15
Wohnungseigentümergemeinschaft – Gründung einer Aktiengesellschaft 2 32 Zurechnung 1 57 ff – Arbeitgeber Vor 15 28 – arglistige Täuschung 1 66 – Beherrschungssituation 1 64 f – gutgläubiger Erwerb 1 63 – kollusives Zusammenwirken 1 66 – Konzern Vor 15 40 – Maklerprovision 1 67 – Organbesitz 1 60 – Organverhalten 1 57 ff – Organwissen 1 58 – Wissenszurechnung 1 58 f Zusammenschlusskontrolle – Abhängigkeitsvermutung 17 73 Zuständigkeit 14 1 ff – Anwendungsbereich 14 8 ff – EuGVVO, Anwendbarkeit 12 15 – Europäische Aktiengesellschaft 14 5 – europäisches Recht 14 4 – funktionelle 14 12 – Gesetzesgeschichte 14 3 – internationale 14 12, 15 – örtliche 14 11 – sachliche 14 12 Zwangsvollstreckung – Rechtsfähigkeit 1 48 Zweigniederlassung – Firma 4 33 f – Mitbestimmung 18 72 Zwischenholding – Unternehmensbegriff 15 46 Zwischenschein Zwischenschein 8 209 ff 10 41 f, 196 ff – Aktienform 8 80 – Anforderungen 8 211 – Ausgabe 8 212 10 196 ff – Bedeutung 8 210 – Begriff 8 209 – Formerfordernisse 13 10 – gutgläubiger Erwerb 10 78 – Haftung 10 201 – historische Entwicklung 8 28 – Inhaberrechte und -pflichten 10 200 f – inhaltliche Anforderungen 10 196 ff – rechtpolitische Würdigung 10 27 – Regelungszweck 8 14 – Übertragung von Aktien 10 75 – Unterzeichnung 13 9 ff – Verstoß 8 213 – wirtschaftliche Bedeutung 10 13
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