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German Pages 341 [344] Year 1999
B U C H R E I H E DER ZEITSCHRIFT FÜR CELTISCHE P H I L O L O G I E H E R A U S G E G E B E N V O N KARL HORST SCHMIDT
Band 17
AKTEN DES ZWEITEN DEUTSCHEN KELTOLOGEN-SYMPOSIUMS (Bonn, 2.-4. April 1997)
Herausgegeben von Stefan Zimmer, Rolf Ködderitzsch und Arndt Wigger
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1999
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Zeitschrift für celtische Philologie / Buchreihe] Buchreihe der Zeitschrift für celtische Philologie. - Tübingen : Niemeyer Früher Schriftenreihe Buchreihe zu: Zeitschrift für celtische Philologie Bd. 17. Deutsches Keltologen-Symposium : Akten des Zweiten Deutschen Keltologen-Symposiums. - 1999 Deutsches Keltologen-Symposium : Akten des Zweiten Deutschen Keltologen-Symposiums : (Bonn, 2. - 4. April 1997) / hrsg. von Stefan Zimmer ... - Tübingen : Niemeyer, 1999 (Buchreihe der Zeitschrift für celtische Philologie ; Bd. 17) ISBN 3-484-42917-8
ISSN 0931 -4261
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck, Darmstadt Einband: Buchbinderei Geiger, Ammerbuch
Vorwort
Vom 2. bis 4. April 1997 fand im Großen Saal des Rheinischen Landesmuseums in Bonn das Zweite deutsche Keltologen-Symposium statt, ausgerichtet vom Sprachwissenschaftlichen Seminar der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität. Damit ist die in Berlin 1992 begonnene Reihe fortgesetzt worden. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, daß der gegenüber der Tagung in Gosen bei Berlin 1992 vereinfachte Name der Veranstaltung keinesfalls als Ausgrenzung unserer europäischen Freunde und Kollegen gedacht ist; er beruht auf einer Anregung von Wolfgang Meid (in seiner Besprechung des ersten Tagungsbandes in Kratylos 39, 1994, 110). Der Tagungsband legt Zeugnis ab von dem hohen Stand der Keltischen Philologie in Deutschland, ihrer Vielfalt und engen Verbindung mit der Forschung im Ausland, insbesondere den keltischen Ländern, und der Anziehungskraft des Faches auf die studierende Jugend und den wissenschaftlichen Nachwuchs. Die Fülle der angebotenen Vorträge überstieg die Möglichkeiten der drei vorgesehen Tage, so daß zuerst die Bonner Keltologen eigene Vorträge zurückgestellt haben, dann sogar noch auf einige andere verzichtet werden mußte. Allen Betroffenen sei für ihr Verständnis gedankt. Zukünftig wird das Treffen der deutschen Keltologen wohl auf mindestens vier Tage ausgedehnt werden müssen. Wir hoffen auch weiterhin auf rege Beteiligung aus anderen Ländern: Sie demonstriert neben den engen wissenschaftlichen und persönlichen Kontakten auch die anhaltend große Bedeutung des Deutschen als Wissenschaftssprache der Keltologie. Herr Kollege Poppe hat sich freundlicherweise bereit erklärt, das nächste Symposium im Jahre 2001 in Marburg zu organisieren. Allen Teilnehmern und Unterstützern der Tagung (siehe die folgende Eröffnungsansprache) sei nochmals herzlich für ihr Engagement gedankt, ohne das ein so erfolgreicher und angenehmer Ablauf nicht möglich gewesen wäre. Viele haben dazu beigetragen, daß dieser Band auch ohne jede finanzielle Unterstützung erscheinen kann. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt: Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Karl Horst Schmidt für Aufnahme in die Buchreihe der Zeitschrift für celtische Philologie; dem Max Niemeyer Verlag für die Bereitschaft zur Übernahme der Publikation; den Herren Dr. Rolf Ködderitzsch und Dr. Arndt Wigger für Mitwirkung bei Redaktion und Herausgabe; Herrn Peter Busse, M . A . , für Beratung in Computerangelegenheiten; und ganz besonders Frau Christiane Batke, M . A . , für Erstellung des reproduktionsfähigen Manuskripts. Bonn, im März 1999
STEFAN ZIMMER
Inhalt
V o r w o r t (ST. ZIMMER)
Ν
E r ö f f n u n g (ST. ZIMMER)
1
I. BALLES, ZU den britannischen *;o-Stämmen und ihren idg.Quellen
4
A. BAMMESBERGER, Der Anfang der Botorrita-Inschrift A. FALILEYEV, CT / PT VII, 23-24 kat yn aber / ioed y dygyfranc
23 adur
breuer
und die frühwalisische Schlachtenkatalogtradition
32
J. HEINECKE, Imperfektivität im Bretonischen
47
P.S. HELLMUTH, Aided Chon Roi im Gelben Buch von Lecan: die Geschichte eines Todes als Lebensretter?
65
G.R. ISAAC, Zur frühen keltischen Metrik
77
L. KABEL, Das Irische als kulturelle Zweitsprache in Belfast
96
U. MAC GEARAILT, Zur literarischen Sprache des 11. Jahrhunderts
105
B . MAIER, art .i. dia
121
I. MITTENDORF, Sprachliche und orthographische Besonderheiten eines mittelkymrischen Textes aus dem 13. Jahrhundert (Gwyrthyeu e Wynvydedic Veir)
127
Μ. NI LJRDAIL, Ogham Ördha in den späteren irisch-gälischen Handschriften .
149
Α. Ο CORRAIN, Über unpersönliche Konstruktionen im Irischen
163
Α. PEHNT, Suibhne/ Sweeney: Das Weiterschreiben einer literarischen Figur .
174
viii Β. SCHULZE-THULIN, ZU den urbritannischen na-Präsentien
182
ST. SCHUMACHER, Archaische Verbalformen im Buch von Aneirin und in anderen frühen Texten des Kymrischen
202
E. TERNES, Ist Bretonisch SVO oder VSO? Typologische Überlegungen zu einer umstrittenen Frage
236
H.L.C. TRISTRAM, „The Celtic Englishes" - Zwei grammatische Beispiele zum Problem des Sprachkontaktes zwischen dem Englischen und den keltischen Sprachen 254 J. UHLICH, Zur sprachlichen Einordnung des Lepontischen
277
E. VESELINOVIC, ZU den formalen und funktionalen Gemeinsamkeiten von ad-ci und ro-cluinethar innerhalb der irischen Sprachentwicklung
305
A. WIGGER, Untersuchungen zu Sprachkontakterscheinungen im gesprochenen Irischen
314
Stefan Zimmer
Eröffnung
Spectabiiis, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, liebe Freunde, Es ist mir eine große Freude, Sie alle heute morgen zur Eröffnung des Zweiten deutschen Keltologen-Symposiums begrüßen zu dürfen. Wie Sie wissen, stehen Sie hier in Bonn auf wortwörtlich keltischem ,Boden' - Sie dürften sich also wohlfühlen! Einige von Ihnen waren schon vor fünf Jahren dabei, als das erste Symposium in Gosen bei Berlin stattfand, doch sehe ich auch erfreulich viele neue Gesichter. Es mag daher passend sein, ein paar Worte zur Genese unseres Symposiums zu sagen. Die Idee zu solchen Treffen besteht schon lange, denn die Internationalen Keltologenkongresse werden immer größer und bieten immer weniger Gelegenheit zu intensivem Austausch. Dort sind bekanntlich auch Archäologie und Ethnographie der ehemals bzw. heute noch keltischen Länder vertreten, woraus sich Teilnehmerzahlen von derzeit um 1000 ergeben. Das macht die Einrichtung von parallelen Sektionen erforderlich (1995 in Edinburgh gab es acht davon). Die Konsequenzen sind bekannt. Meist finden zwei oder drei Vorträge, die man unbedingt hören möchte, gleichzeitig statt, oder man hat selbst ausgerechnet dann zu sprechen, wenn nebenan eine aufregende neue These oder ein Neufund vorgestellt wird; Kollege X, mit dem man ein Problem erörtern möchte, ist ständig von anderen umlagert, usw. Das alles wollten und wollen wir nicht. Unsere deutschen Keltologensymposien wollen nicht mit den Internationalen Kongressen konkurrieren. Sie sollen möglichst alle vier Jahre zwischen den Internationalen Treffen stattfinden und beschränken sich bewußt auf Sprachwissenschaft und Philologie, also jene Bereiche der Keltologie, in der deutsche Gelehrte und deutschsprachige Publikationen seit nunmehr 158 Jahren (1839 hat Franz Bopp in seiner Berliner Akademieabhandlung ,Über die celtischen Sprachen vom Standpunkte der vergleichenden Sprachforschung' die Zugehörigkeit des Keltischen zur indogermanischen Sprachfamilie bewiesen) eine führende Rolle spielen. Ich bitte dabei ausdrücklich, .Sprachwissenschaft' und .Philologie' nicht zu eng zu fassen: auch moderne Soziolinguistik und Literaturwissenschaft zählen wir zu unseren Themen, wie das Programm zeigt.
2
Stefan Zimmer Was den Tagungsort betraf, hatten wir diesmal keine große Auswahl, nachdem die
Kollegen in Marburg und Hamburg wegen lokaler Besonderheiten sich außerstande erklärten, die Organisation zu übernehmen. 1992 hatten Martin Rockel und ich in Berlin die Anregung von Hildegard Tristram gerne aufgegriffen, eine Keltologentagung in Berlin durchzuführen, denn wir alle hofften, mit einer solchen Veranstaltung dem Berliner Senat die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Neuerrichtung des alten Ordinariats in Berlin zu illustrieren. Immerhin befand sich an der Berliner FriedrichWilhelms-Universität seit 1901 der erste keltologische Lehrstuhl Deutschlands, den große Gelehrte wie Heinrich Zimmer (ich bin übrigens nicht mit ihm verwandt), Kuno Meyer (1911-1919) und Julius Pokorny (1920-1936) bekleidet haben. Wie
Sie
vielleicht wissen, sind alle Bemühungen fruchtlos geblieben. Bei der derzeitigen Kassenlage des Landes Berlin steht zu erwarten, daß die seit 1994 nur jeweils mit Vertretern besetzte C 3-Stelle dort demnächst endgültig gestrichen wird. Mit der Emeritierung von Herbert Pilch und dem Wechsel von Frau Tristram nach Potsdam geht auch die Freiburger Keltologie leider ihrem E n d e entgegen - derzeit ist dort noch der Abschluß eines Nebenfachstudiums möglich. Obwohl zahlreiche Sprachwissenschaftler (Indogermanisten, Anglisten,
Roma-
nisten, Phonetiker usw.) an vielen Universitäten Deutschlands auf keltologischem Gebiet arbeiten, verbleiben so nur noch zwei Universitäten, die planmäßig einen Studiengang Keltologie anbieten: Marburg a . d . L . und Bonn. Dabei besteht nur hier in Bonn ein Hauptfachstudiengang, dessen Einrichtung auf das Wirken des großen Rudolf Thurneysen (1913-1923,
+ 1 9 4 0 ) zurückgeht und der unter seinen
bedeutenden
Nachfolgern Leo Weisgerber und Karl Horst Schmidt lebendig geblieben ist. H e r r Schmidt, der Ehrenvorsitzende unseres Symposiums, kann nun leider nicht teilnehmen: er mußte sich vor fünf Wochen einer dreifachen
Bypass-Operation
unterziehen. E r bat mich, Ihnen allen seine Grüße zu übermitteln. Ich denke in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich ihm beste Grüße und Genesungswünsche aller Teilnehmer ausrichte. Die deutschen Universitäten werden zunehmend gedrängt, ihre eigenen Spezialitäten weiter und in Konkurrenz nebeneinander (hoffentlich nicht gegeneinander) zu entwickeln. Der Dekan der Philosophischen Fakultät, Herr Kollege Roth, dem als Prähistoriker die alten Kelten bestens vertraut sind, könnte Ihnen dazu sicherlich mehr sagen. Ich bin jedenfalls zuversichtlich, daß die Rheinische Friedrich-WilhelmsUniversität, an der der Europa-Gedanke sehr hoch gehalten wird, es sich angelegen sein lassen wird, ihr besonderes, in Deutschland einmaliges Angebot .Keltologie als Hauptfach' weiter zu pflegen und möglichst auszubauen. Wie nicht zuletzt die Zusammensetzung des Auditoriums hier zeigt, ist das Fach für die studierende Jugend sehr attraktiv. Wenn auch mancher Enthusiasmus für irische Musik, schottischen Tanz, bretonische Sagen oder gar druidische Religion an den harten Klippen der historischen Grammatik zerschellt - das Fach zieht eine steigende Zahl von hochmotivierten und hochbegabten Studierenden an, die sich - nach individuellen Interessen verschieden - intensiv in die Sprachen, Literaturen und Kulturen der keltischen Welt einarbeiten und durchweg sehr gute Studienabschlüsse
3
Eröffnung
erzielen. Die große Teilnehmerzahl hier und heute legt beredtes Zeugnis von der hohen Aufmerksamkeit ab, die das Fach in Anspruch nehmen darf. Der außeruniversitären Öffentlichkeit wird die historische Bedeutung der keltischen Kulturen gelegentlich durch aufsehenerregende archäologische Funde wie etwa das Grab vom Glauberg näher gebracht. M a n c h e r potentielle Teilnehmer ist leider verhindert, wie ich aus einigen Briefen weiß. Es war nicht einfach, einen Zeitraum zu finden, der für möglichst viele akzeptabel war. Überschneidungen mit anderen keltologischen Konferenzen,
wie
derjenigen der irischen Mediävisten in der nächsten Woche, mußten ebenso vermieden werden wie Kollisionen mit den Osterfeiertagen und dem Vorlesungsbeginn. Zum Schluß meiner Einleitung ist es mir eine angenehme Pflicht, allen zu danken, die zur Verwirklichung des Symposiums beitragen. Das sind zunächst Sie alle, aus Deutschland und gut einem Dutzend Nachbarländern, die Sie Ihre Bereitschaft bekundet haben, nach Bonn zu kommen; dann alle Kolleginnen und Kollegen, die einen Beitrag angeboten haben - ich möchte ausdrücklich auch all jenen danken, deren Angebot wir leider nicht annehmen konnten. In unser aller Namen danke ich dem Direktor des Rheinischen Landesmuseums, Herrn Prof. Dr. Frank Günter Zehnder, der uns großzügigerweise diesen schönen Saal zur Verfugung gestellt hat, Frau
Dr.
Marion
Widmann,
der
stellvertretenden
Direktorin des Rheinischen Landesmuseums, die uns sogleich begrüßen wird, sowie dem Öffentlichkeitsreferenten des Hauses, Herrn D r . Werner Hilgers, der uns in allen technischen Fragen freundlichst entgegengekommen ist. Herzlich danken möchte ich weiterhin Sr. Exzellenz dem Botschafter der Republik Irland, Herrn Pädraig Murphy, der uns großzügigerweise morgen abend in seiner Residenz empfangen wird, und seiner Stellvertreterin, Frau Joanna Betson, die sich mehrfach für unser Vorhaben eingesetzt hat und uns jederzeit mit Rat und Tat beigestanden ist. Ich danke ferner dem Rektor der Rheinischen
Friedrich-Wilhelms-Universität,
H e r r n Prof. Dr. Klaus Borchard, der uns heute mittag einen Empfang geben wird, sowie dem Dekan der Philosophischen Fakultät, Herrn Prof. Dr. Helmut Roth, der trotz seines übervollen Terminkalenders zu uns gekommen ist, um Sie zu begrüßen und das freundliche Interesse der Fakultät an unserem Fach auszudrücken; und nicht zuletzt meinen Bonner Helfern Rolf Ködderitzsch, Arndt Wigger, Frau H o f f m a n n sowie den studentischen Mitarbeitern Christiane Batke, Martha Simon und Peter Busse. Uns allen wünsche Symposium!
ich ein erfolgreiches,
anregendes
und
fruchtbringendes
Irene Balles
Zu den britannischen */o-Stämmen und ihren idg. Quellen
Gliederung: §0 Einleitung. §1 Problemstellung. §2 Die Suffixformen *-io- und *-i{o- im Idg. §3 Entwicklung von *-io- und *-(i'o- im Britannischen. §4 Entwicklung von *-,(o- und *-ijß- im
Goidelischen (aisndis & bochailt). §5 Britannisches -i'o- = idg. -jfl-, §6 Lehnwörter aus dem Vulgärlatein. §7 Verallgemeinerung der einsilbigen Suffixform. §8 Komplexe Suffixe. §9 Thematisierung der /-Adjektive. §10 Sekundärer Charakter der i'-Adjektive. §11 Vulgärsprachliche Synkope? §12 Andere Grundform (dyn, gwreidd, brynn), §13 Rückbildung zu
Kollektive (deil, heid, baich). §14 Sonstiges (heut). §15 Zusammenfassung. §0 In diesem Beitrag geht es um ein Problem der keltischen Grammatik, das lange Zeit nicht als solches erkannt worden ist: Die Fortsetzung von idg. *-jo- und *-iio- im britannischen Zweig des Keltischen. Da die bisherigen Behandlungen des Problems unbefriedigend sind, erscheint es gerechtfertigt, nach neuen Lösungswegen zu suchen. Sowohl phonetische als auch morphologische Überlegungen werden dabei eine Rolle spielen. Von besonderer Bedeutung ist jedoch die Feststellung eines universalen sprachlichen Prinzips, nämlich das der Suffixreduktion in Abhängigkeit vom Wortumfang. Es wird gezeigt, daß dieses Prinzip auch im Keltischen gewirkt hat. Verschiedene bisher problematische Erscheinungen im britannischen Sprachzweig können dadurch einer Erklärung zugeführt und mit grundsprachlichen Gegebenheiten und typologischen Tendenzen in Übereinstimmung gebracht werden. §1 Uhlich hat 1992 auf der ersten Tagung deutschsprachiger Keltologen das Problem der „Suffixvarianten" *~io- und *-no- zur Sprache gebracht. Ausgehend von Paaren wie air. böchaill/büachaill vs. mky. bugeil ,Hirt' oder air. cain vs. mky. kein ,schön' schließt er auf ein urkelt. Nebeneinander dieser beiden „Suffixvarianten", die ursprünglich nach dem Sieversschen Gesetz verteilt gewesen seien (Uhlich 1993,365). Während *-iio- sich im Goidelischen über *-eia- zu -a(e) weiterentwickelte, sei *-ionur durch die Palatalisierung reflektiert, was zur Einreihung in die ('-Stämme geführt habe. Als Beispiele für ehemalige i'o-Stämme nennt Uhlich u.a. noch cö(a)ir .passend, geeignet', siiil ,Auge, Erwartung' und die Kompositionszweitglieder -gnaid .bekannt/ geboren' und -cair .geliebt/liebend'.
5
Zu den britannischen *io-Stämmen und ihren idg. Quellen Uhlichs These ist m . E . aus folgenden Gründen nicht haltbar: 1
a) Es handelt sich bei idg. *-jo- und *-ijo- zu keiner Zeit um „Suffixvarianten", die unkonditioniert miteinander wechseln können. Ihr Auftreten ist vielmehr sowohl im Uridg. als auch in sämtlichen Einzelsprachen genau geregelt. 2 Die Annahme, daß das (Insel-)Keltische
allein hier eine willkürliche Auswahl getroffen hätte, ist daher
unwahrscheinlich. b) Selbst wenn das Goidelische beliebig hätte wählen können, so ist nicht verständlich, weshalb dann nur so selten die kürzere Suffix Variante verallgemeinert wurde. M a n würde ein ausgewogeneres Verhältnis erwarten oder aber eine durch bestimmte Faktoren motivierte Auswahl (etwa nach morphologischer Durchsichtigkeit, Wortart, Wortfeld o.ä.). c) E i n i g e d e r von Uhlich a n g e s e t z t e n urkelt. b z w .
uridg.
Vorformen
sind
morphologisch nur schwer zu motivieren oder verstoßen in ihrer Struktur gegen die phonotaktischen Regeln der idg. Grundsprache. §2 Es soll daher ein neuer Versuch unternommen werden, sowohl die britannischen mit den goidelischen Fakten als auch beide mit den grundsprachlichen Verhältnissen in Einklang zu bringen. Zu diesem Zweck soll zunächst kurz das Vorkommen von *-io- bzw. *-(j'o- in der idg. Grundsprache skizziert werden. Wenn man die Gegebenheiten des Indoiranischen, die durch das Griechische bestätigt werden, zugrundelegt, ergibt sich folgende Verteilung: §2.1 Das einsilbige Suffix idg. *-jfi- tritt auf a) in den sogenannten „Relationsadjektiven": von einem Ortsadverb bzw. einer Präposition mit *-(t)io,anderer',
*nitio-
abgeleitete Adjektive wie idg. *me -ß- (Uhlich 1989) wäre eine Grundform *dub-o- (neben *dub-u-) zwar ebenfalls möglich, doch ist ein solches Nebeneinander trotz gr. δασύς: lat. densus
(.Dumnorix
.Weltkönig'), abrit. O N
Stamm urkelt./idg. *d'ubno-
Dumna etc.
(Uhlich 1 9 9 5 , 1 7 8 f f . ) ein substantivischer
.Tiefe; Abgrund; Erde, Welt' anzusetzen.
no-
Tu den britannischen
*io-Stämmen und ihren idg.
15
Quellen
,dicht' und ai. trsü-: *terso- .trocken' (lat. terra) nicht wahrscheinlich und
*dubuo-
vorzuziehen. c) k y . gwlyb, air.
fliuch
m b r . gloeb,
ις (neben lat. uänus und ai. ünä-) und τρόφι ursprünglich Substantiva sind.
16
Irene Balles
§10.2 Das Keltische liefert weitere Evidenz für den sekundären Charakter der iAdjektive, und zwar in Gestalt der ri-Stämme. Hier handelt es sich um eine Klasse, der in der idg. Grundsprache fast ausschließlich Abstrakta angehören (eines der wenigen alten Konkreta ist *ghosti- .Fremder, Gast', ein anderes gr. μάντις .Seher'). Bei den kelt. »'-Stämmen jedoch finden sich neben Lexemen mit abstrakter Bedeutung v.a. Adjektive: air. tläith ,sanft' und ky. tlawd ,arm' gehen auf urkelt. *tläti-2] zurück, air. mläith .weich' auf *mläti-, air. maith ,gut' auf *mati- (ky. mad, ko. mas, br. mat, mad, vlglat. mattus, ital. matto ,blöde'), air. geilt .Verrückter', ky. gwyllt ,wild' auf *g"helti- (got. wilpeis). Auch Komposita wie air. etarcnaid (M\.)/etargn(a)id .bekannt' (neben etarcnad ,ds.'), airgnaid .berühmt, bekannt' (neben airgnad und airgnae), sognaid,ansehnlich', saichnid (su+aith+gnaid) usw. (Uhlich 1993,358, der freilich -io- ansetzt) weisen einen Ausgang *-ti- auf. Bezüglich der komponierten Verbaladjektiva wie etarcnaid hat bereits Thurneysen 1946,211 m.E. zurecht vermutet, daß die Flexion sich nach dem BahuvrThi-Typ inermis, exanimis gerichtet habe. Für die Simplizia kann diese Erklärung jedoch nicht zutreffen. Hier sind prinzipiell zwei Möglichkeiten zu erwägen. Entweder es handelt sich um metonymischen Gebrauch des ti-Abstraktums. Metonymie ist ein Vorgang, der jederzeit eintreten kann. In den idg. Sprachen ist er allerdings insgesamt eher selten und trifft sonst nur einzelne Wörter (wie ai. bhüri- eigtl. .Menge, große Anzahl' (lit. burys) > > ,viel'). Man wird daher eine andere Erklärung bevorzugen. Wenn man die Frage stellt, wie denn die Entsprechung der adjektivischen ft'-Stämme in anderen idg. Sprachen aussähe, drängt sich einem bald der Verdacht auf, daß es sich um einen morphologischen Ersatz von *-to- durch *-ti- handelt. Der wiederum ist Teil einer umfassenderen Substitution, bei der auch *-no- durch *-ni- bzw. ganz generell *-o- durch *-i- ersetzt werden konnte, was mit einem Schlag alle urkelt. /-Adjektiva generiert.22 Wie aber läßt sich eine solcher Substitutionsprozeß23 begründen? Als Ausgangspunkt haben wahrscheinlich, wie schon Thurneysen vermutet, adjektivische Bahuvrihis mit /-Stamm im Zweitglied gedient. *dhubni- ,tief (air. domain) verdankt seine Existenz also dem danebenstehenden gleichbedeutenden Kompositum *upodhubni- (air. flidumuin, mit „korrekter" ('-Flexion. Ebenso berechtigt war der Ausgang -i- in air. cosm(a)il .ähnlich', cöir/coai'r .passend' usw. Mitauslöser für die Angleichung der
21
22
23
Die umstrittene Entwicklung von -CRHC- wird ausführlich von Schrijver 1995,168ff. diskutiert. So läßt sich auch air. -cair/-chair .geliebt/liebend' (z.B. conchar/conchair ursprgl. .hundelieb', dann .vornehm, edel', finechair/finechar .seine Verwandtschaft liebend', cenchair .liebend, zugeneigt' neben cenchaire) ungezwungen erklären: Es handelt sich um Umformung des Kompositionszweitglieds *-karo-, Hamp 1983 zeigt an mehreren Beispielen, daß es sich keineswegs um einen singulären morphologischen Wandel handelt. Auch wenn man die auslösenden Faktoren nicht mehr eruieren kann, darf dies sowenig wie bei einem Lautwandel dazu führen, daß der Prozeß als solcher abgestritten wird.
Zw den britannischen
*jo-Stämmen und ihren idg.
17
Quellen
Simplizia an die /-Flexion der Komposita dürfte die Tatsache gewesen sein, daß in air. domun < *(tubno- das alte Adjektiv nurmehr lexikalisiert in substantivischer Bedeutung vorhanden war. Der überaus hohe Anteil an komponierten Adjektiven im Keltischen 24 dürfte die Übertragung des Ausgangs -i- auf danebenstehende Simplizia gefördert haben. Der Prozeß ist dann in gewissem Ausmaß produktiv geworden, so daß er auch auf Adjektiva übergreifen konnte, neben denen kein Kompositum existierte (tläith/tlawd, geilt/gwyllt). Dabei wurden jedoch nicht alle auf -(C)oauslautenden Adjektive ausnahmslos zu -(C)i- umgeformt. Da eine derartige Versandung einer Entwicklung („lexical diffusion") ein geläufiges Phänomen ist, spricht dieser Umstand nicht gegen die gegebene Erklärung. §11 Ein Großteil der vermeintlichen britann. jo-Stämme kann so befriedigend erklärt werden. Für einige Wörter versagen jedoch alle bis jetzt vorgebrachten Erklärungsversuche. Es handelt sich v.a. um Bildungen mit kurzem Wortkörper, so daß eine Kürzung in langer Wortform nicht in Betracht kommt. Viele der Bildungen sind primär, d.h. direkt von einer Wurzel abgeleitet. Oft sind sie synchron isoliert, verfügen aber über eine gute idg. Etymologie, so daß man sie als ererbt betrachten muß. Für diese Lexeme sollen hier mögliche Lösungswege aufgezeigt und diskutiert werden. Dire Verifizierung bzw. Widerlegung wird hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft gelingen. Peters 1996 vermutet im Anschluß an Vendryes 1951, daß in informellen keltischen Sprachstilen, ähnlich wie im Äolischen, eine Synkope von *-iio- zu *-iostattgehabt habe. Einige der betroffenen Wörter seien dann vertikal in die Hochsprache entlehnt worden. Dies könnte u.a. für folgende Wörter als Erklärung zutreffen (ich nenne das urkelt. Rekonstrukt): a) *kambio- .Wechsel': br. kemm, ky. ceimm .Wechsel' (frz. echange, engl, change)·, b) *korkio- .Hafer': ky. ceirch, br. kerc'h, ako. keirch, mod. kerh, air. coircce·, c) *kagio- ,umzäuntes Land, Gehege': ky. cae (Endlicher-Glossar: caio, caiou McCone 1996,85). Lehnwort aus dem Ky. ist air. cai in Sanas Cormac YBL (gl. tech.). d) *kallio- ,Hoden': nky. caill, br. kell (oder liegt *kalnt (Dual od. Abstraktum) .Gespaltenes' zugrunde?); e) *dhruslio-: ky. dry II .Parzelle Land, Bruchstück' (zu lat. frustrum); f) *h7argio- (nach Schumacher mündlich zu *h/irg- ,weiß, leuchtend'): ky. eiry/eira .Schnee', ako. irch, nko. er, br. erc'h gehört wohl nicht hierher: Wenn es zutrifft, daß -gi- keinen Umlaut bewirkt (Schrijver 1995,312) muß als Vorform für ky. [eirs]
24
Vgl. air. fuit
.kalt' < *upo-uehinto-,
zugewandt/ausgesetzt') mit air. fudumain achar
.lieb"
*doin-, McCone 1996,124), doch sind die Details hier unklar (Borgström 1942, anders Meid 1976). 26 Wie im Griechischen (χΰόνιος) ist das
25
26
In ychen .Ochsen' < *uksen-es fand das Wort für Menschen offensichtlich keine ausreichende Stütze. Die Annahme, daß der air. Plural döini suppletiv von einem anderen Stamm als der Singular duine gebildet wurde, ist unproblematisch. Gerade bei,Mensch/Leute' ist Suppletivismus weit verbreitet (lit. Sing, zmogus, Plur. zmones, br. Sing, den, Plur. tud, engl, man/person·, people oder nhd. Mensch: Leute.
Zu den britannischen *jo-Stämmen und ihren idg. Quellen
19
-n-, das lautgesetzlich beim Grundwort, idg. *jfböm, air. du, Acc.Dat.Gen. dort, im Auslaut entstanden ist, nicht nur in den obliquen Kasus, sondern auch in der Ableitung verallgemeinert worden. Lautliche Gründe erweisen in einem weiteren Fall die Vorform auf *-jfl- als falsch. Wie Schrijver 1995,174 zeigt, tritt vor -d- durch -io- nicht Umlaut, sondern Epenthese ein. Demzufolge geht mky. gwreidd (nicht *gwraidd, so erst nky.) nicht auf ein morphologisch schwieriges *uradio-, sondern auf den DevT-Stamm *uradl(k)- zurück. Diese Annahme wird durch die Entsprechungen lat. radix und gr. ρίζα unabhängig als richtig erwiesen. Die von Schrijver (1995,175 bzw. 318) vorgeschlagenen *yradioi bzw. *ixradiö(n) sind zwar lautlich ebensogut möglich, aber morphologisch nicht vorzuziehen. Als letztes Beispiel für ein Lexem, bei dem morphologische Gründe für eine Vorform mit urbritann. *-f sprechen, diene ky. brynn ,Hügel' (nky. bryn neben mky. bronn, nky. brön f. .Brust'). Das Wort zeigt Umlaut von -«-, es kommen somit *bhrusnio- und *t^rusni- als Vorformen gleichermaßen in Frage. Wegen air. bruinne f. ,Brust' wurde in der Vergangenheit fast ausnahmslos der io-Stamm rekonstruiert, obwohl diese Bildung phonotaktisch für das Indogermanische ausgeschlossen ist. Überdies legen die unterschiedlichen Bedeutungen von brynn und bruinne ein und dieselbe Stammbildung nicht unbedingt nahe. Ein fem. «-Stamm liegt vor in air. brü < *brusön ,Magen, Bauch; Eingeweide' (jüngerer Nom. broinn), ky. bru < *bhreusö (mit der alten Hochstufe). Die Basis der britann. Weiterbildung ist ganz offensichtlich dessen schwacher Stamm *bhrusn-. Am einfachsten ist daher die Annahme, daß im Urbritannischen der lautgesetzliche Nom. *brü < *bruu[ und die schwachen Kasusformen *brunn-/brünn- < *brusn-V- miteinander zu *brünn (> brynn) verschränkt wurden. In air. bruinne liegt eine davon unabhängige Weiterbildung mittels Zugehörigkeitssuffix *-iiä vor, ebenso in ky. bronn ,Brust' < *bhrusnä. §13 Ein Wort gibt es jedoch, wo gerade der außerkeltische Vergleich auf einen alten iO-Stamm weist: mky. deil ,Laub' (nky. dail, Sgv. dalen, ako. delen, mko. pl. delyow, dylyow neben deyl, br. delienn, pl. deliou). Eine merkwürdige formale Übereinstimmung zeigen die Synonyme lat .folium und gr. φύλλο c, die beide auf eine Vorform *bhlHio- weisen. Diese Bildung läßt sich nur durch die Annahme erklären, daß ein idg. Kollektiv *b^lHiah227 als neutraler Plural aufgefaßt und ein analogischer Singular dazugebildet wurde. Ein paralleler Prozeß läßt sich für urkelt. *dhaliovermuten, das demnach eine Rückbildung vom Kollektiv *dhali/dhaliä wäre.
27
Eine solche Bildung wäre weiters als Umbildung eines DevT-Stammes zu beurteilen. Der
Ersatz des Nom. *-ih2 durch *-iah2 wurde einerseits durch den Gen. *-jah2s, andererseits durch die Existenz zahlreicher fem. Abstrakta auf *-iiah2 (bzw. *-iah2 gemäß der Suffixkürzungsregel) ermöglicht. Ob es sich um eine schon voreinzelsprachlich beginnende Entwicklung handelt oder einen in mehreren Einzelsprachen unabhängig vollzogenen Prozeß, ist unklar.
20
Irene Balles
Auch für ky. heid f., br. hed/het m. ,(Bienen-)Schwarm' ist diese Vermutung attraktiv. Eine Rückführung auf *sati- ist unbefriedigend, da dann die air. Entsprechung saithe m. morphologisch von der britann. Sippe getrennt werden muß, dies umso mehr, wenn hier tatsächlich mit Watkins 1979 eine alte poetische Metapher vorliegt. Ein *satio- als Rückbildung zu *sat]ü wie bei deil bietet eine ernstzunehmende morphologische Alternative. Schließlich bietet sich das Muster auch noch für baich ,Bürde' an, dem im Lat. ein mask. (-Stamm fascis, pi. fascia (Typ locus: loca) gegenübersteht. Die von Schrijver 1995,375 angesetzte Vorform *bhnd'skio- läßt sich mit den lat. Wörtern unter der Annahme einer Rückbildung vom Kollektiv *bhndhskj.ä vereinbaren. Als Alternative kommt auch hier „vulgärsprachliche Synkope" in Betracht, siehe §11. §14 Zum Wort für ,Sonne' (mky. heul, ako. heuul, mko. heul, houl, br. heol), das vielfach zu Unrecht als ίο-Stamm rekonstruiert und mit ai. surya-, gr. ήλιος verglichen wurde, siehe demnächst Schumacher (Festschrift für W. Meid zum 70. Geburtstag). Air. suil ,Auge, Hoffnung' ist die direkte Kontinuante des schwundstufigen Duals *suh2l-ihh wobei an der Herkunft der Bedeutung aus der poetischen Metapher ,die zwei Sonnen (des Gesichts)' (vgl. ae. heafdes segl ,Auge') kein Zweifel besteht (Bammesberger 1982). Der Übertritt des synchron abnormalen Duals in die /Stämme ist naheliegend. §15 Die Untersuchung der britann. i'o-Stämme hat zu folgenden Ergebnissen geführt: Die Annahme eines willkürlichen Nebeneinanders von Suffixvarianten *-io- neben *-iio- ist für das Keltische ebenso wie für die idg. Grundsprache abzulehnen. Im Goidelischen fallen die Ausgänge *-io- und *-iio- in allen Kontexten unterschiedslos zusammen. Scheinbare Ausnahmen lassen sich durch lautgesetzliche phonetische Entwicklungen des Voraltirischen erklären. Die britann. ιο-Stämme sind teils direkt aus der idg. Grundsprache ererbt, teils lassen sie sich aus dieser durch Zusatzannahmen herleiten, die durch weitere Argumente gestützt werden konnten. Insbesondere die Feststellung, daß im britann. Sprachzweig Suffixe in Abhängigkeit vom Wortumfang gekürzt werden können, ist über den Bereich des Keltischen hinaus bedeutsam. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß eine ähnliche Tendenz schon im Urindogermanischen wirksam gewesen ist.28 Interessant wäre nun eine Untersuchung dieses Phänomens in größerem Zusammenhang, wobei auch die Frage zu stellen wäre, ob es sich nur um eine Tendenz oder gar ein universales Prinzip handelt und welche Faktoren für das Eintreten dieser Erscheinung vonnöten sind. Da Synkopen typisch sind für informelle Sprachstile, wäre hier möglicherweise ein versteckter Hinweis darauf zu finden, welche der idg. Sprachen sich aus niedrigeren,
28
Dies beabsichtige ich demnächst in größerem Rahmen darzustellen, weshalb hier der Verweis auf das Auftreten von einsilbigem *-j'o- als Kompositionssuffix (u.a. bei den Gerundiva) vs. zweisilbigem *-yo- in Simplizia im Indogermanischen genügen soll (vgl. oben §8).
Zu den britannischen *io-Stämmen und ihren idg. Quellen
21
welche aus gehobeneren Phonostilen (Soziolekten) innerhalb der idg. Grundsprache entwickelt haben, so daß auf diesem Umweg Aufschlüsse über die soziale Schichtung der idg. Gesellschaft zu gewinnen sind.
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Alfred
Bammesberger
Der Anfang der Botorrita-Inschrift
§1 In den letzten Jahren ist das Verständnis der 1970 gefundenen Botorrita-Inschrift 1 durch die Veröffentlichungen von Heiner Eichner, Joseph Eska und insbesondere Wolfgang
Meid
nachhaltig
gefordert
worden. 2
Wir
verfügen jetzt
über
eine
zuverlässige Textgrundlage für die Deutung der Botorrita-Inschrift. Die folgenden Überlegungen basieren in erster Linie auf Meids Veröffentlichungen und versuchen, weiterführende Vorschläge zu noch ungelösten Fragen zu bringen. §2 Von einigen Einzelheiten abgesehen, besteht im wesentlichen Einigkeit über die Transliteration der ersten beiden Zeilen und des Anfangs der dritten Zeile der Botorrita-Inschrift. 3 Die Transliteration mit der durchlaufenden Zählung der Wörter folgt Meids Edition: 4 'tiricantam 2 percunetacam 3 tocoitoscue 4 sarniciocue 5 sua 'compalces 7 nelitom 8
necue 9 to
l2
necue
15
necue
"sos
20
l0
[u]ertaunei "litom
>3
taunei
>6
masnai
l4
litom
l7
tisaunei
aucu "arestalo
22
l8
litom
tamai
§3 In bezug auf die inhaltliche Deutung hat sich eine gewisse Übereinstimmung ergeben. Das dreimal wiederkehrende litom, das auf die negierte Form nelitom folgt, kann als .erlaubt* aufgefaßt werden: 5 D a litom in allen vier Fällen mit einer Negation verbunden ist, darf man annehmen, daß ,nichterlaubte' Dinge, also .Verbote', zum Ausdruck kommen. Einzelheiten der Verbote müssen bis auf weiteres unklar bleiben; 1
2
3 4
5
Gemeint ist die nach dem Fund (1992) einer weiteren und längeren Inschrift als „Botorrita Γ zu bezeichnende Inschrift. Auf alle früheren Untersuchungen zu dieser Inschrift wird bei Eichner 1989, Eska 1989, Meid 1993 und Untermann 1997 verwiesen. Meid 1994 basiert auf der umfangreicheren Arbeit Meid 1993. Meid 1996: 146-148 und Meid 1996a resümieren in knapper Form die Resultate. Zu Eska 1989 ist noch die ausführliche Rezension durch Schmidt 1992 zu beachten. Eine eingehende Besprechung von Meid 1993 bietet Motta 1997. Eine umfassende Darstellung der früheren Vorschläge zur hier behandelten Stelle scheint nicht erforderlich. Das letzte Wort von Zeile 1 ist 'nelitom, Zeile 2 umfaßt "necue bis 20aucu. Die hier vorgenommene Anordnung des Textes spiegelt bereits die Interpretation wider, die in diesem Aufsatz vorgeschlagen wird. Zur hier anzunehmenden Wurzel idg. *le(i)- .gewähren' vgl. Pokomy 1959: 665.
Alfred Bammesberger
24
auch die sich an die Verbote anschließenden Verlautbarungen können noch nicht im Detail erklärt werden (§16). In den folgenden Zeilen soll hauptsächlich von der Einleitung des Textes (§4) und den letzten vier Wörtern des zitierten Abschnitts (§6 §14) die Rede sein. §4 Meids Deutung des Einleitungsteils geht davon aus, daß der erste Sinnabschnitt bis nelitom reicht: .Betreffend das ,bergige' Gebiet des Togoit- und des Sarnicios wurde folgendes
verfugt als
nicht erlaubt:'
(Meid
1993:
36).
Als Alternative
kann
versuchsweise vorgeschlagen werden, daß dieser Abschnitt nur bis sua reicht und dementsprechend mit .betreffend das ,bergige' Gebiet des Togoit- und des Sarnicios (gilt) so:' = ,... (gilt) dies:' zu übersetzen ist. Gründe für diese abweichende Analyse bringen die folgenden Abschnitte. §5 Das semantisch nicht sicher analysierbare Wort 'compalces kann als der Inhalt des ersten Verbots betrachtet werden: 'compalces 7 nelitom bedeutet,compalces (ist) nicht erlaubt'. 6 Dann schließen sich drei weitere Verbote an, die als Fortsetzungen oder Weiterführungen dieses ersten Verbots aufzufassen sind. Die drei weiteren Verbote in den jeweils parallelen Konstruktionen ®necue X "litom, l8
12
necue Y
14
litom,
I5
necue Ζ
litom bringen zum Ausdruck: ,und auch X (ist) nicht erlaubt, und auch Y (ist) nicht
erlaubt, und auch Ζ (ist) nicht erlaubt'. Eine genaue inhaltliche Bestimmung von Χ, Y und Ζ scheint noch nicht möglich. Meids Hinweise sind beachtenswert, können aber teilweise nur als vorläufig gelten. 7 §6 Auf die in 'compalces ... "litom enthaltenen vier Verbote folgt eine positive Wendung: "sos
20
aucu
2l
arestalo
22
tamai wird von Eska (1989:19) als ,a tag of some
kind on the preceding prohibition' betrachtet. 8 Vermutlich kommt aber diesen vier Wörtern eine ganz zentrale Funktion zu. Meids Ubersetzung .außer mit Erlaubnis des Vorstehers'
ist erwägenswert. 9 Freilich läßt sich diese Formulierung nicht ohne
weiteres mit dem Wortlaut der Inschrift vereinen. Jedenfalls ist anzunehmen, daß diese vier Wörter gegenüber den vorhergehenden Verboten eine positive Aussage beinhalten. Über die grammatikalische Analyse und die Bedeutung der vier Wörter können einige Vermutungen angestellt werden. 1 0
6
7
8
9
10
Auch wenn die Bedeutung von 'compalces unklar bleibt (vgl. Meid 1993: 91), könnte man immerhin daran denken, daß es sich um einen Typ von Versammlungen handelt, der mit dem Charakter des Heiligtums nicht vereinbar war. -palc-es ist vielleicht als neutraler i-Stamm zu analysieren, der mit *kom- komponiert wurde; zum Bildungstyp siehe Brugmann (1906: 516). Für die Folge 'necue ... "litom bietet Meid folgende Übersetzung: .Weder ist es erlaubt, dort (?) (etwas) daraufzutun, noch ist es erlaubt, (Arbeiten) zu verrichten, noch ist es erlaubt, durch .Bruch' Schaden zu verüben' (Meid 1993: 38). Nicht ganz sicher ist das dritte Wort dieser Sequenz zu lesen, da auch 2lareitalo in Erwägung gezogen wurde. Daß dieses Wort im Genitiv steht, wird allgemein angenommen und erscheint einleuchtend. Meid (1994: 20) erklärt, daß die Übersetzung .except by permission of the praepositus' als „very hypothetical" zu bezeichnen sei. In einer neuen Untersuchung kommt Villar zu dem Schluß, daß diese Folge als .This decree (inscription) shall be put in the place' (Villar 1993: 471) zu übersetzen sei.
Der Anfang der Botorrita-Inschrift
25
§7 Es ist naheliegend, sos als Demonstrativum im Nominativ Singular masculini generis zu b e s t i m m e n . " Bei aucu' 2 ist zu erwägen, daß -u den Ausgang -ö eines η-Stammes, also idg. -ö(n), von "sos
20
repräsentiert. 1 3 aucu kongruiert mit l o s . Die Bedeutung
aucu kann vielleicht präzisiert werden (§14), wenn es gelingt, die Folge
"arestalo "tamai (§8 - §13) näher zu bestimmen. §8 ^Hamai ist von der Endung her am ehesten als Dativ Singular eines ä-Stammes aufzufassen. Für das wurzelhafte Element von tarn- wurden mehrere Deutungen vorgeschlagen. Keine dieser Deutungen hat aber allgemeine Anerkennung gefunden. Wenn sich daß
21
2l
arestalo im Genitiv auf einen ,Offizial' bezieht, dann kann man folgern,
arestalo
22
tamai etwa ,für tama des arestalos' bedeuten sollte. Die zitierte
Textstelle würde also zum Ausdruck bringen, daß .mehrere Dinge verboten (sind)', aber .dieser aucu für tama des arestalos (reserviert?) (ist)'. §9 Als Dat. Sg. läßt sich
22
tamai einem keltischen Stamm auf *-ä- von einer auf -m-
endenden Wurzel zuordnen, deren Anlaut *t- oder *d- und deren Vokal -a- oder -äwaren. 1 4 Ein Femininum kelt. *dämä- ist in deutlichen Fortsetzern bis zum heutigen Tag greifbar, ferner läßt es sich etymologisch gut einordnen. §10 Vor einem Vierteljahrhundert hat Campanile (1974 und 1975) ir. dämh (air. däm .Gefolge') zusammen mit kymr. daw .Schwiegersohn' 1 5 auf kelt. *däm-ä-/-o*dömä-/-o-
< idg.
zurückprojiziert und als Vrddhiableitung zu *dom-o- .Haus' erklärt. D a r m s
(1978: 364f.) prüft die Erklärung eingehend, bringt einige Bedenken vor, meint aber letztlich, daß sie .ernsthaft in Erwägung gezogen werden' muß; zu Campaniles Herleitung siehe auch M c C o n e 1994: 126 und M c C o n e 1996: 110. Als Bedeutung für idg. *dömä > kelt. *dämä'6 kann .zum Haus gehörige Gruppe (von Menschen)' o.ä.
" 12 13
14
15 16
Diese Bestimmung wird ausführlich bei Eska (1989: 99f.) begründet. aucu kann phonologisch als /auku/ oder /augu/ aufgefaßt werden. -u in aucu wäre dann die Entsprechung zu -u in gall, frontu; zur Entwicklung von *-ö > *-ü vgl. Thumeysen 1961: 58 und Lambert 1994: 93. Einen ausführlichen Kommentar zu tamai bietet Meid: .Dativ Singular, in instrumentaler Funktion, eines femininen ä-Stammes *tama Idämäl .Erlaubnis', Nominalbildung zur Verbalwurzel kelt. *dam in altir. daimid .gestattet, gewährt, läßt zu', Präteritum (langvokalisch) dämair und gall. Imperativ 2. Singular dama (Lezoux). Ein möglicherweise entsprechendes Substantiv ist ebenfalls im Altirischen belegt. Die mehrfach vorgeschlagene Verbindung von tamai mit griech. (dor.) 6άμος und altir. däm .Gefolgschaft' bleibt, da ohne Kontext- und sonstige Stütze, hypothetisch und vermag jedenfalls den schwierigen Passus sos aucu arestalo tamai (19-22) kaum zu erhellen.' (Meid 1995: 160). Die Bedeutung .Schwiegersohn' ist sekundär; akymr. dauu/daum glossiert lat. cliens. *dämä ist als Kollektivum zu dem im Kymrischen vorliegenden Stamm *dämo- zu betrachten.
26
Alfred
Bammesberger
angesetzt werden.' 7 Wenn wir annehmen, daß arestalo tama .Familie, Haushalt des arestalos" 8 bedeutet, dann ergibt die Stelle einen brauchbaren Sinn. §11 Zur Herleitung von idg. *dömä können noch einige Überlegungen gebracht werden. Wir werden davon ausgehen, daß *döma das Femininum eines thematischen Adjektivs *dömö- darstellt, das wohl ursprünglich attributiv zu einem Substantiv stand, dann aber durch Ellipse des Substantivs substantiviert wurde." Die thematische Adjektivbildung *döm6- ist möglicherweise direkt im Germanischen greifbar: Das Adjektiv *töm-a-, das in ae. töm ,frei, ledig', as. töm und an. tömr ,leer' fortlebt, läßt sich mit idg. *dömo- identifizieren.20 §12 Die Vrddhibildung *dömö- wird zu dem thematischen Stamm *döm-o- (ai. däma,Haus', 21 gr. δόμος22) in Beziehung gesetzt. Da aber der grundsprachliche thematische Stamm *dömo- nicht ausreichend abgesichert werden kann, sollte man *döm-ö- eher als Vrddhibildung zum Wurzelnomen idg. *dom- betrachten. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, daß das Wurzelnomen *dom- möglicherweise eine direkte Spur in der Botorrita-Inschrift hinterlassen hat: temeiue (Wort 79 in Meids Zählung) wird bei Meid 1993: 56 richtig „als Lokativ zu *dem-"2i analysiert.24
17
In sehr knapper Form hatte schon O'Rahilly (1950: 375-377) vorgeschlagen, ir. dämh mit gr. δώμα zu verknüpfen. Die früher weithin akzeptierte Identifizierung von ir. dämh mit gr. δάμος, δήμος (vgl. etwa Pedersen 1909: 48) ist nicht haltbar: δάμος (myk. damo) bezeichnet ursprünglich ein Gebiet und wurde erst sekundär auf die Bewohner bezogen. Gr. δ&μος wird man am besten auf idg. *dä-mo- zurückführen und zur Wurzel *dä- .teilen, zerschneiden, zerreißen' (Pokorny 1959: 175-176) stellen.
18
Alle Glossierungen wie .Familie, Haushalt' sind irreführend, wenn wir an die modernen Inhalte dieser Wörter denken. Vielleicht wäre eine Umschreibung wie ,Mitarbeiterstab' eher angemessen. Aber wir können uns ohnehin die Kompetenzen des arestalos nicht recht vorstellen.
19
*döma entspricht formal dem Typ der foma-Bildungen (gr. τομή .Schneiden, Schnitt'), die als Abstrakta fungieren; vgl. dazu Brugmann 1906: 148-153. Zu urg. *töma- ist besonders Heidermanns (1993: 598) zu vergleichen; nach Heidermanns dürfte urg. *töma- 'zu dem starken Verb *tema- gehören, dessen Grandbedeutung .fügen, passen' ist'. Mayrhofer (1992: 697) leitet jedoch den thematischen Stamm ai. däma- vom Wurzelnomen däm- ab. Dadurch wird der Ansatz eines grundsprachlichen thematischen Stammes *domoeher zweifelhaft. Mayrhofer vertritt die Ansicht, daß idg. *dom- ,Haus, Hausgemeinschaft' mit *dem- .bauen' zu verbinden ist.
20
21
22
Frisk 1960: 408 hält gr. δόμος ,Haus, Wohnung, Zimmer', auch .Lage, Schicht' für mit „aind. däma- m. .Haus, Bau' identisch, ebenso mit lat. domus, insofern es ein o-Stamm ist". Dagegen betrachtet Chantraine 1968: 293 gr. δόμος als eine sekundäre Bildung: „Ce theme *domo- est p.-e. l'arrangement d ' u n vieux nom-racine dont il existe d'autres traces en grec archa'ique". Auch gr. δόμος kann somit nicht als zuverlässiger Zeuge für den Ansatz eines thematischen Stammes idg. *döm-o- gelten.
23
Im Glossar scheint das entsprechende Lemma zu fehlen; ein Eintrag tem- ,Haus' wäre auf S. 120 vor ti- zu erwarten.
27
Der Anfang der Botorrita-Inschrift
§13 Das Ablautverhalten der indogermanischen Wurzelnomina hat Schindler 1972 erörtert. Für das hier vorliegende Wurzelnomen *dom- setzt Schindler 1972:32 den Nom. als *döm25 (arm. tun) an, 26 für den Genitiv postuliert er *dem-s etc.). Sicherlich sind im Paradigma auch schwundstufige Formen vorgekommen, so daß mit einem Genitiv des Typs *dm-os27
zu rechnen ist. 28 In der Schwundstufe *dm-
konnte
Assimilierung zu *nm- eintreten (vgl. av. nmäna- ,Haus')· In lit. nämas ,Haus' ist wohl aus derartigen schwundstufigen Formen eine neue Hochstufe *nom-
>
nam-
geschaffen worden, die *dom- > *dam- verdrängt hat. 29 Eine mit der Vrddhiableitung idg.
*dömä
>
kelt.
*dämä
morphologisch genau vergleichbare Bildung
möglicherweise in lit. nüoma .Miete' vor, 30 wobei lediglich im Anlaut von
liegt
*düoma31
(idg. *dömä) n- von nämas eingeführt wurde. 32
24
25 26
27
28
McCone (1992) führt air. dis ,client(s)' auf eine Vorform *dens-is zurück und nimmt in einleuchtenderWeise an, daß *dens-is auf dem ererbten Gen. Sg. *dem-s (§13) > *den-s des Wurzelnomens *dom- basiert. Zur Rekonstruktion dieses Nominativs ist auch Mayrhofer (1986: 172) zu vergleichen. Der Nominativ *döm kann auch in gr. fcr n. ,Haus' vorliegen (siehe dazu Szemerenyi 1977: 95, mit reichlichen Literaturangaben). Gr. δωμα wurde von Brugmann 1906:136 auf der Basis des Akkusativs idg. *döm-m erklärt; doch vgl. jetzt noch Ruijgh 1997:277. Beekes 1995: 34 setzt neben dem Wurzelnomen *döm einen Stamm *domHos an, der dann wohl zu einer auf Laryngal endenden Wurzel gehören müßte; zum Wurzelnomen *dom- sind auch die Beobachtungen bei Beekes 1985: 217-219 zu berücksichtigen. Eine umfassende Behandlung der hier angedeuteten Fragen bietet Szemerenyi 1987: 1507-1512. Eine Ausgangsform *d(m)mes (mit schwundstufiger Wurzel) postuliert auch Schindler (1967: 302) für arm. tan. In vorkonsonantischer Stellung hätte *dm- Sonorisierung des -m- erfahren, und einige Spuren von *dm- lassen sich wohl nachweisen. Neumann 1986 hat gr. δοΰλος .Sklave' einleuchtend auf idg. *iim-selo- zurückprojiziert und im Erstelement die Schwundstufe des Wurzelnomens *dom- erkannt. Für den Matronenbeinamen Tummaestiae ist ebenfalls idg. *dm- > urg. *tum- als Erstelement anzunehmen: Neumann (1987: 115) will Tum- mit dem oben genannten Adjektiv urg. *töma- identifizieren, freilich wäre dann sowohl die Wiedergabe von /δ/ durch als auch der Mangel des Themavokals in einer Ausgangsform *töma- kaum zu erklären. *tum- in Tummaestiae ist identisch mit dem Erstelement von urg. *tumftO > an. topt .Hausplatz, Hofstelle'; die Ausgangsform für urg. *tumftö wird bei Falk-Torp 1909: 156 als idg. *dm-p(e)dä (vgl. gr. &ά-τε&ον .Fußpoden') angesetzt. Eine e-stufige Form *dem- des Wurzelnomens *dom- erkennt Strunk 1995 in dem Substantiv gr. hkvbpeov .Baum', das er als Determinativkompositum *dem-drewo- > gr. *6ίμ-δρεΡ-ον > δίν-Βρε-ο- analysiert.
29
30
31
32
Pokomy (1959: 199) meint, daß namas durch Dissimilierung entstanden sei; weitere Angaben zu dieser Erklärung bringt Fraenkel 1962: 483. Fraenkel (1962: 512) bringt lit. nüoma nur mit got. niman .nehmen' etc. in Verbindung. Daß die Nähe der Wurzel *nem- mitgespielt hat, ist sehr naheliegend. Aber letztlich wird wohl nüoma eher von der Vrddhibildung *iiömä- herrühren. Lit. nüoma gehört zu Akzentklasse 1. Vermutlich wurde der Akzent des ursprünglich endbetonten Adjektivs *döma bei der Substantivierung auf die Wurzelsilbe zurückgezogen. Eine Bildung urg. *tim-i- mit gedehnter «-Stufe ist in got. gatemiba (Adv.) .angemessen' und ahd. -zämi zu erkennen (vgl. Heidermanns 1993: 594-595).
28
Alfred
Bammesberger
§14 Für 20aucu ist zwar keine wirklich überzeugende Analyse in Sicht, folgender Vorschlag darf aber unterbreitet werden. Wenn wir annehmen, daß "sos 20aucu 21 arestalo "tamai .dieser aucu (gehört, ist reserviert) für die Familie des arestalos' bedeutet, dann müßte sich aucu auf diejenigen Dinge beziehen, deren Gebrauch ( = Nutznießung) in den vorhergehenden Verboten (für andere) untersagt wurde. Bei auc- könnte man versuchsweise an die Wurzel idg. *aug- .wachsen' (Pokorny 1959: 84) anknüpfen: 20aucu wird den .Ertrag (des Bodens)' bezeichnen, aucu /augu/ kontinuiert den Nom. Sg. idg. *aug-ö(n) eines η-Stammes idg.
*aug-on-.33
§15 Aufgrund dieser Überlegungen kann die semantische Struktur der ersten zweiundzwanzig Wörter der Botorrita-Inschrift folgendermaßen angegeben werden: .Betreffend das Gebiet ... (gilt) folgendes: compalces (ist) nicht erlaubt, ebenso (ist) X nicht erlaubt, ebenso (ist) Y nicht erlaubt, ebenso (ist) Ζ nicht erlaubt. Der Ertrag (ist) für die Familie des arestalos (reserviert).' 34 Es folgt daraus, daß neben compalces auch Χ, Y und Ζ in irgendeiner Weise Nutzungen des Geländes betreffen, die für andere nicht erlaubt sind. Die Nutznießung des mit 'tiricantam 2 percunetacam 3 tocoitoscue 4sarniciocue bezeichneten Gebiets ist der tama des arestalos vorbehalten. §16 Wenngleich ich für den Rest der Inschrift keine Deutung wage,35 möchte ich doch eine allgemeine Bemerkung anfügen. Meid nimmt an, daß auf die eingangs formulierten Verbote Angaben über das Bußausmaß folgen, das bei Übertretung der Verbote in Anwendung kommt.36 Diesen Erklärungsansatz würde ich nicht aufgreifen,
33
34
35
36
Ein maskuliner η-Stamm zur Wurzel *aug- ist jedenfalls aus dem Germanischen durch an. auki .Zuwachs' und ae. eaca .Ergänzung' nachweisbar; vgl. dazu Seebold 1970: 84. Bei der Wurzel idg. *aug- sind verschiedentlich Bedeutungen im Bereich .Zuwachs' anzutreffen. Eine entsprechende grammatikalische Analyse von sos aucu arestalo tamai wird bei Eichner (1989: 53) geboten: .Dieser Soundso (ein Tempel, eine Liegenschaft o.a., in dessen Nähe die Bronzeplatte angebracht war) gehört für ...'. Lediglich zu 4l ailam würde ich gerne einen Vorschlag unterbreiten. Da 3*poustom wohl als .Rindergehege, Kuhstall' aufzufassen ist, liegt es nahe, die Bedeutung von 4l ailam im Bereich von Einrichtungen, die für Tiere (und Menschen) Schutz bieten, zu suchen: .Das etymologisch nicht durchsichtige Wort dürfte auf jeden Fall eine bauliche Einrichtung bezeichnen, die den Zweck eines Aufenthaltsortes für Tiere, eventuell auch für die die Tiere betreuenden Menschen, erfüllte' (Meid 1993: 80). Die naheliegende Annahme, daß 4l ailam vielleicht .Schafstall' bedeuten könne, „verbietet sich aus lautlichen Gründen, da „Schaf" im Keltischen nicht *awis, sondern *owis ist" (Meid 1993: 80). Man könnte aber daran denken, daß in 4, ailam idg. *awi-, das Wort für .Vogel', vorliegt: 4l ailam wäre dann wohl eine Einrichtung für Vögel, also vielleicht .Vogelbauer'; zu ailam ist noch besonders Meid 1993a zu vergleichen. Meid (1993: 42) umschreibt seine Position in Bezug auf den .Mittelblock' der Inschrift folgendermaßen: „Die normale Erwartung, die wahrscheinlich die größere Wahrscheinlichkeit für sich hat, ist, daß auf eine Verfügung von Verboten eine Strafandrohung für den Fall unerlaubter Zuwiderhandlung, ebenfalls verbunden mit der Festsetzung einer Geldbuße, folgt. Die andere Möglichkeit wäre, daß bereits jetzt eine Aussage über die Zulässigkeit von Handlungen getroffen wird, welche abhängig gemacht wird von der Zahlung einer Gebühr
Der Anfang der
29
Botorrita-Inschrift
weil ich meine, daß die ausgedrückten Verbote absolut und allgemeingültig sind, daß daher auch keine Regelungen für irgendwelche Übertretungen der Verbote getroffen werden. Wenn die obige Interpretation von sos aucu arestalo tamai als ,diese Nutznießung (ist) für die tama des arestalos (reserviert)' zutrifft, dann würde ich weiterhin meinen, daß der Rest der Tafel eher zum Ausdruck bringen sollte, welche Rechte und Pflichten im Detail dem arestalos zukommen. Es ist anzunehmen, daß der arestalos eine wichtige Person war: Ihm oblag die Administration des Heiligtums. 37
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37
oder Kaution, denn im folgenden wird ohnehin die Zulässigkeit gewisser Handlungen vorausgesetzt." Meids zusammenfassende Beurteilung des Textinhalts ist überzeugend: „The matter this text is dealing with, is a rather sober one, and consequently its correct interpretation, now that all the excitement about sacrificial rituals with female bears and whatnot has gone, will have a sobering effect, too. Perhaps some will feel disappointed, but the fact that the message of the text turns out to be so forthright and plain, concerned with everyday economic matters, is a good argument for the basic correctness of our interpretation." (Meid 1994: 27).
30
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Der Anfang der
Botorrita-Inschrift
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Alexander
Falileyev
CT/PT VII, 23-24 kat yn aber / ioed y dygyfranc adur breuer und die frühwalisische Schlachtenkatalogtradition1
In seiner g r u n d l e g e n d e n
Edition
Vermutung a u s g e s p r o c h e n , daß das Wort ioed könnte.
Er
hat auf
die
Gedichten 2
v o n Taliesins
besondere
hat I.
Williams
eine Variante der F o r m oed(d)
mittelbretonische
Form
der
3.
die sein
Person
sg.
Imperfectum v e r w i e s e n , die manchmal ein anlautendes i- oder y- (für [j-]) hat. In der Tat gibt es d i e s e Varianten in v e r s c h i e d e n e n mittelbretonischen T e x t e n , 3 aber g e g e n d i e s e Interpretation
lassen sich mindestens z w e i
E i n w ä n d e anführen.
1) In
der
bretonischen Sprache tritt der H a l b v o k a l nur nach Verbalpartikeln auf; 4 m a n findet identische Beispiele im A l t w a l i s i s c h e n , cf. haioid
im ,Surexit' M e m o r a n d u m , 5 aber e s
gibt keine Relativpronomina in dieser Zeile v o n PT, und vielleicht besteht auch keine Notwendigkeit, kymrischen
sie
zu
rekonstruieren.
Sprachdenkmäler
2)
Im
vollständigen
wird keine entsprechende
Korpus
Entwicklung
der
mittel-
beobachtet.
Natürlich gibt es manchmal n i c h t - e t y m o l o g i s c h e s i- vor d e m V o k a l , c f . (i)ach
.lineage,
p e d i g r e e ' , aber nicht in der F o r m d e s Imperfectums v o n , s e i n ' . 6
Ich habe diesen Vortrag als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung am Sprachwissenschaftlichen Institut der Universität Bonn verfaßt. Ich möchte meinem Gastgeber, Herrn P r o f e s s o r D r . Karl Horst Schmidt, und H e r r n P r o f e s s o r J. E. C a e r w y n Williams (Aberystwyth) dafür danken, daß sie meinem Vortrag kritisch gelesen und kommentiert haben. Die Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die ständige Hilfe von Professor R. Geraint Gruffydd. Diese Professoren waren nicht immer meiner Meinung, und die Verantwortung für den Inhalt des Vortrags liegt allein bei mir. Schließlich möchte ich Herrn Reinhard Heinz für die sprachliche Durchsicht meiner Ausführungen danken. 2
3
4
The Poems ofTaliesin, ed. I. Williams, English version by J.Ε. Caerwyn Williams, Dublin: The Dublin Institute for Advanced Studies,1968, S. 68 (im folgenden abgekürzt PT). S. ζ. Β. Vocabulaire zu Loths Chrestomatie Bretonne, Paris 1890, S. 504, worauf sich I. Williams selbst berufen hat. A ioa, u.s.w., R. Hemon, A Historical Morphology and Syntax of Breton, Dublin: The Dublin Institute for Advanced Studies 1975, S. 204; K. Jackson, A Historical Phonology of Breton, Dublin: The Dublin Institute for Advanced Studies 1967, S. 193 n. 2; P. Le Roux, Le Verbe Breton, Rennes & Paris 1957, S. 159f.
5
= Nkymr. a oedd, J. Rhys in (J. Gwenogvryn Evans, J. Rhys, eds.) The Text of the Book of Llan Dav, Oxford 1893, S. xliii; D. Jenkins, M. Owen, The Welsh Marginalia in the Lichfield Gospels. Part II: The .Surexit' Memorandum, Cambridge Medieval Celtic Studies 1 (1984), S. 96; D. Howels, The Nasalizing Relative Clause, Studio Celtica 1 (1966) S. 46; cf. G. Isaac, The Verb in the Book ofAneirin, Tübingen: Max Niemeyer 1996, S. 57.
6
Für die Verbalform siehe die allerletzte Analyse von G. Isaac, The Verb in the Book Aneirin, S. 371-380 mit Bibl.
of
CT/PT VII, 23-24
33
kat yn aber / ioed y dygyfranc adur
Es gibt einige Ausgaben und nur einige Übersetzungen der Gedichte des „historischen" Taliesin in der Geschichte der kymrischen Literatur- und Sprachwissenschaft. Die Ausgabe von I. Williams ist ein Meisterwerk, das die gesamte philologische Erfahrung der vorausgehenden Wissenschaftler miteinbezogen hat. Die nachfolgenden Werke, die verschiedene Fragmente und einige Zeilen diskutieren, gründen normalerweise auf der Ausgabe von I. Williams. Aber vorzugsweise muß Canu Taliesin / Poems of Taliesin mit den früheren Ausgaben gelesen werden - und vielleicht war dies eine Idee von I. Williams selbst, weil man in seiner Ausgabe viele Bezüge auf verschiedene Werke finden kann. PT VII ist von O. Jones, E. Williams und W. Owen (Pughe), W. Skene und J. Gwenogvryn Evans 7 herausgegeben worden, und unser Fragment (Zeile 21-26 in PT) ist dort auf folgende Weise aufgeführt (s. Anhang I): Facsimile and Text of the Book of Taliesin (diplomatische Ausgabe) 16 kat yn ryt alclut kat ymynuer. kat gellaör breöyn. kat hireurur. kat ymprysc. katleu kat ynaber ioed ydygyfranc adur breuer ma6r kat glutuein göeith pen coet 116yth llithyaöc 20 cun arom ormant g6aet Myvyrian Archaeology
of Wales, S. 51
Cad yn rhyd Alclud Cad ym ynuer Cad gellawr brewyn Cad hireurur Cad ymhrysg Cadleu, Cad yn Aber-ioed Y ddygyfrang a dur breuer mawr Cad gluduein Gwaith pen coed Llwyth llithiawg Cunar ormant gwaed; The Four Ancient Books of Wales, S. 190-1 Kat yn ryt alclut kat ym ynuer. Kat gellawr brewyn. kat hireurur. Kat ym prysc katleu kat yn aberioed Y dygyfranc a dur breuer mawr
7
O. Jones, E. Williams und W. Owen (Pughe), Myvyrian
Archaeology
of Wales2,
Denbigh
1870, S. 51; W. Skene, The Four Ancient Books of Wales, Edinburgh 1868, B. 2, S. 190-1; J. Gwenogvryn Evans, Facsimile and Text of the Book of Taliesin, Llanbedrog 1910, S. 61; Poems from the Book of Taliesin, Llanbedrog 1915, S. 82-86.
Alexander Falileyev
34 Kat glutuein gweith pen coet Llwyth llithiawc cun ar ormant gwaet. Poems from the Book ofTaliesin,
S. 84
16 Cäd, yn Rhyd ar Glwyd, gad dy.vynner: Cäd, ger llawr Brehyr, gad hir eurer: Cäd, ym.hrysc Alun, gad oleuir: Cäd, yn Aberi, oed gyvranc dir briwed mawr gludweir; yng.weith Pen Coed, 20 llwyr y llithr cynran ar or.mant gwaed. PT, S. 8 21 Kat yn ryt alclut kat ymynuer. Kat gellawr brewyn. kat hir eurur. Kat ym prysc. katleu kat yn aber ioed y dygyfranc adur breuer 25 mawr kat glutuein gweith pencoet llwyth llithyawc cun ar ormant gwaet. Es scheint, daß alle außer J. Gwenogvryn Evans 8 Aberioed
als einen Ortsnamen
aufgefaßt haben. In diesem Falle ist es möglich, kat yn aberioed
in die Schlachtenliste
einzutragen. Schlachtenkataloge kommen auch in anderen Gedichten des „historischen" Taliesin vor, z. B. in PT: XI, 16f: 9 16 kat yr agaches ο achles gwawt gognaw ybrot digones. kat ymro vretrwyn trwy w'res mawr tan. meidrawl yw y trachwres. 20 kat yrae kymrwy kanhon. kat kat crynei yn aeron. kat yn arddunyon ac aeron eidywet. eilywet y veibon 24 kat ygcoet beit [...]
9
Aber vgl. den Kommentar dazu von J. Gwenogvryn Evans in seinem Facsimile and Text of the Book of Taliesin, S. 111: „Cynghaneä suggests: Cäd ym Horth Aber oer gyfranc Graphien ist. Einschlägig sind hier z.B. die Wörter kedymdeith kewilid {-yd) ,Scham',
55
.Gefährte'54 und
die beide offenbar ein Itl in der ersten Silbe haben.
Auch im Falle des ausnahmslos mit (e) geschriebenen e mevn ,in' wird man wohl von einer Lautung /a'meyn/ ausgehen können. 56 Die weitaus häufigere mittelkymrische Variante, die z.B. im White Book ofRhydderch und dem Red Book of Hergest auftritt,
53
D.S. Evans (1976: 1). Die Belege sind in den Texten des Schreibers von Pen. 14 i + Pen. 17 i sind: ket (GWV 9:147.37, 335.22, 340.10, 10:26.22, GWV (Hs.): 43.19, 32 [ = Richards 1952: 187.25, 33 kyt]·, G S E 6 1 . 9 ; HGvK 12.3; DB 59.5, 69.16, 72.1 [fehlt Ausg.; am Rand vor pei eingeßgt])·,
inderHs.
ähnlich keny .obwohl nicht' (GWV 9:336.2, 338.28, 10:24.22,
27.13; GSE 62.32; DB 69.10) und keuei .(nicht) einmal' (GWV 10:29.5; HGvK 16.23; vgl. D.S. Evans 1976: 236 = § 262, N. 4). Die Schreibung mit (e) erscheint auch in den altkymrischen Juvencus-Englynion (cet, vgl. I. Williams 1933a: 102 [Z. 2b des Gedichts] und 107 sowie I. Williams 1933b: 206 [ebenfalls Z. 2b des Gedichts] und 209; vgl. außerdem Watkins 1982: 33-34) und im Computus-Fragment (cen nit, vgl. I. Williams 1927: 256 [Z. 11-12 des Textes] und 266-67). 54
Vgl. die Bemerkung von Mühlhausen (1988: 85) zu kedymdeith
und kedymdeithas
R[otem] B[uch von Hergest] stets ced-". Die Belege aus Pen. 14 i/Pen. 17 i sind: (-em-)
(GWV
10:28.29; HGvK 18.23, 19.1; DB 102.2), kedemdeitheon
„in
kedymdeith
(-ym-)
(GWV
9:145.6, 336.17 [Ausg. falsch gvd-}, 10:24.32, 27.9; GSE 61.4, 62.31, 32; H G v K 17.18, 18.12-13, 16), kedymdeithas 55
56
(HGvK 16.9), kedemdeithes
(GWV 32.19),
kedemdeithyav
(GWV 9:337.35), ketymdeithocaei (GWV 9:337.26). Der Red Book of Hergest-Text der Vier Zweige hat z.B. achtmal kewilyd (-id), außerdem einmal kewilydyaw (keine Belege mit ky-), der White Book ofRhydderch-Ttxt dagegen jeweils kywilyd (-id) und kywilydaw (keine Belege mit ke-). Die Belege aus GWV sind: kewilid (9:339.23, 10:21.11), kewilydus (10:21.11, 22, 26.32); es finden sich keine Belege in GSE, HGvK, DB. Die Belege aus GWV sind: 9:146.26, 336.11, 339.16, 24, 340.1, 6, 10:22.18, 22.32, 26.17, 27.30, 29.26, 28, 30.17, 22, 32, GWV (Hs.) 43.16 [ = Richards 1952: 187.23 ymywn}·, aus HGvK: 19.7 (Rest aus Hs. [C]). Es finden sich keine Belege in GSE, DB. Vgl. auch LL 120.10 ymeun (datiert auf die Mitte des 12. Jh.s, vgl. Huws 1987-88, bes. 143-44).
141
Gwyrthyeu e Wynvydedic Veir ist y mywn.
Das Neukymrische aber hat mewn,
und man wird wohl in e meun
den
Vorläufer hiervon sehen dürfen. Ein permanenter Wechsel zwischen Schreibungen mit (e) und (y) ist bei der Präposition y ,zu, f ü r ' und den Possessivpronomina der 3. Person Sg. zu beobachten. Hier scheint zunächst tatsächlich ein Fall vorzuliegen, wo das G r a p h e m (e) einem Iii entspricht. Ich halte es aber für durchaus möglich, daß diese an sich unbetonten Wörter reduzierte Nebenformen besaßen, also in einer stärker betonten Variante Iii ( = (y)) und in einer schwächer betonten h l ( = (e) oder (y)) auftraten. Parallelen hierfür lassen sich in anderen Sprachen finden, auch dafür, daß eine der Varianten später wieder beseitigt wird. 57 Insgesamt scheinen mir fast alle Fälle, in denen (e) mit Iii gleichgesetzt werden könnte, problematisch, zumindest was Pen. 14 und verwandte Handschriften angeht. Eine gründliche Überprüfung der betreffenden Wörter ist in j e d e m Fall angebracht. Ich kann hier nicht auf alle fraglichen Fälle im einzelnen eingehen; zu einer Auswahl vgl. Tab. 4. Ich möchte betonen, daß das Schwanken zwischen /e/ und Iii bzw. Isl in den Varianten eines Wortes ganz unterschiedliche Gründe haben kann und die angeführten Fälle nicht alle gleich zu bewerten sind. Tab. 4: (e)-Graphien 4 . 1 Durchgängige (e)-Schreibung: edrech vs. edrych
.betrachten' [vgl. unten
drech/drych]
ket vs. kyt .obwohl' keny vs. kyntiy .obwohl nicht' (ny ...) keuei vs. kyuei .(nicht ...) einmal' kedymdeith kewilid
vs. kydymdeith
(-yd) vs. kywilid,
.Gefährte' -yd .Scham'
den vs. dyn .Mensch' drech (f.) vs. drych (m.) .Anblick' namen vs. namyn henne vs. hynny
.außer' .dies; diese (PI.)'
e meun vs. y mywn ,in' [nky. mewn] lemadraud
vs. ymadrawd
.Rede'
4 . 2 (e)- und (y)-Schreibung alterniert: e ~ y (Präp.) ,zu'; (Poss.pron.) ,sein, ihr (f.)' wede
— wedy (Präp.) .nach' [Konj. .nachdem' und DB nur wedy]
er — yr .trotz' [nky. er] blwyden
57
~ blwydyn
.Jahr' [ b l w y d y n selten]
Vgl. z.B. mittelhochdeutsch ze (hauptsächlich Präposition ,zu') und zuo (hauptsächlich Adverb ,zu'), von denen die Form ze (u.ä.) bereits seit ahd. Zeit von zuo verdrängt wird. Auch aus dem Englischen sind natürlich stark- und schwachtonige Varianten v.a. bei Pronomina und Präpositionen bekannt.
142
Ingo
Mittendorf
4.3 Ausnahmsweise (e)-Schreibung: canes (/kanas/?); häufiger canys eve lie ,so'; häufiger evelly tracheuen (dr-\ /traxeven/?); häufiger tracheuyn (dr-) .zurück'
Schreibung des labialen Verschlußlauts im Auslaut Der erste Teil der Handschrift Pen. 14 zeigt weiter einige orthographische Merkwürdigkeiten, die ihn auch von Pen. 14 ii und iii unterscheiden und die ich hier kurz anreißen möchte. Die erste betrifft die Schreibung des labialen Verschlußlauts im Auslaut bei den Wörtern pawb j e d e r ' , pob j e d e r ' und pab ,Papst'. Hier wechselt die Schreibung zwischen (p) und (b), aber so, daß die nicht-lenierten Formen mit (b) am Wortende erscheinen, die lenierten dagegen mit (p) (also (paub) — (baup), (pob) — (bop), (pab) ~ (bap)). 58 Dieser regelmäßige Wechsel erscheint auch in anderen Handschriften wie dem Book of the Anchorite. Vielleicht handelt es sich tatsächlich nur um ein orthographie-ästhetisches Phänomen. Wenn nicht, so könnten sich einige Fragen hinsichtlich der Natur auslautender Verschlußlaute ergeben, wenigstens was die Sprache der entsprechenden Schreiber angeht.
Schreibung von inlautendem /lj/ Eine weitere Merkwürdigkeit betrifft die Schreibung von inlautendem /I/ zwischen Diphthong und /j/, wo fast ausschließlich (11) erscheint. 59 Diese Schreibung findet sich regelmäßig auch in Llyfr Iorwerth und, weniger konsequent durchgeführt, in Llyfr Colon. Ob es sich nun dabei um eine orthographische Marotte handelt oder der Schreibung eine irgendwie geartete phonetische Besonderheit zugrunde liegt, ist schwer zu entscheiden. Zu denken wäre entweder an eine singuläre Entwicklung von /!/ vor /j/ zum lateralen Frikativ Hl in der Sprache des Schreibers, 60 vielleicht handelt
58
59
60
In allen anderen Fällen erscheint am Wortende fast ausschließlich (p), außer bei mab ,Sohn', das immer mit (b) geschrieben wird. Die Belege aus GWV sind: amravaellyon (10:27.14), gribdeillyau (10:23.1), gwyllyau (10:30.38), gwyllyeu (9:339.16, 21), hoellyon (10:26.18), inseillyav (9:147.4 [Ausg. falsch emseillyav, lies e inseillyav]), insellyedic (9:148.11) (jedoch inseilyedic (10:28.28)],pressvyllyav (10:29.24) [jedoch presswylyav (10:32.11)], presswyllyus (9:340.16, 10:29.26 [-vi]), pressuyllyassant (GWV (Hs.) 44.26 [ = Richards 1952: 188.10-11 presswylyassant]). Es finden sich zahlreiche weitere Beispiele in GSE, HGvK und DB. Hierbei ist zu beachten, daß es eine umgebungsbedingte Provektion (vor /j/, /w/ usw., vgl. D.S. Evans 1976: 13 = § 17 (a) (3)), die man hier in Anspruch nehmen könnte, in den Texten des Schreibers nicht gibt. Bei den von Evans für HGvK angeführten Fällen (D.S. Evans 1977: ccxcv), zu denen er die mit (lly) freilich nicht zählt, ist die Provektion entweder morphophonologisch zu erklären (z.B. peryclont < perygl- + -hont, Subj. Präs. 3. PI.), oder
143
Gwyrthyeu e Wynvydedic Veir
es sich aber auch um den Versuch, eine Palatalisierung des III, die an sich plausibler erscheint (also l\l + 1)1 > Ifil o.a.). orthographisch zum Ausdruck zu bringen. 61
Nasal ± /h/ Eine dritte Regelmäßigkeit erscheint beim Auftreten bzw. Fehlen von inlautendem /h/ in zwei Wörtern, und zwar beikyng(h)or ,Rat' und can(h)orthwy
,Hilfe'. Eigenartiger-
weise fehlt das IUI hier in den Formen, die von keiner Anlautveränderung betroffen sind, d.h. wenn sie mit dem stimmlosen Verschlußlaut /k/ anlauten. Bei Lenierung dagegen finden sich Formen mit und ohne /h/ (vgl. Tab. 5). Erklärbar ist der Schwund des lh/ vielleicht durch eine Art Hauchdissimilierung gegenüber dem anlautenden, aspirierten /k/, 62 also: [k^ijhor] > [kh3i)or] bzw. [k h anhor0ui] > [k h anor6uj]. Tab. 5: Nasal ± /hl can(h)orthwy
,Hilfe' #k
-n-
61
62
#g
Η
#X
-η-
5 (1 + 1+ 3)
1 (1+0 +0)
0
- 0 h-
0
4 (2+0+ 2)
0
[DB: keine
Belege]
j 7 ! (1+3 + 1 3)
1 (1+0 +
0
; 13 ; (10 + 2 ! +i)
2 (0+1 + 1)
Gesamt
0)
(GWV+GSE+HGvK)
,Rat' #k
ttx
7 (4+1+ 2)
-nh-
Belege:
kyng(h)or
sie ist nur scheinbar wie v.a. in den Gruppen (tw) und (tv) ( = /dw/ bzw. /dv/), wo für das im Silbenauslaut stehende /d/ (atwen = /ad-wen/) die Wortauslautschreibung (/dl = (t)) gilt. Evans (ibid.) stellt (11) in den angegebenen Fällen zu den anderen für Konsonantenverdoppelung, erkennt jedoch nicht, daß anders als bei (n), (m), (r), (s) hier die Verdoppelung im wesentlichen auf die Position vor /j/ beschränkt ist. Es stellt sich die Frage (die auch während der Diskussion dieses Vortrags aufgebracht wurde), ob hier anglonormannischer Einfluß vorliegt. Einen solchen nahm Watkin für das Black Book of Chirk an (vgl. z.B. Watkin 1965-66). Diese Annahme läßt sich jedoch für diesen Text kaum halten (vgl. dazu zuletzt Russell 1995-6: 156-60). Im Zusammenhang mit der Schreibung (lly) für Iii muß auf jeden Fall auch berücksichtigt werden, daß das Anglonormannische des 13. Jahrhunderts das Phonem IUI wahrscheinlich bereits nicht mehr besaß und durch l\l oder /jl/ ersetzt hatte (vgl. Stimming 1899: 210-11 sowie Biunner 1960: 386 zu anglonormannischen Lehnwörtern im Englischen). Die genaue Natur der mky. Verschlußlaute /k/, /1/, /p/ läßt sich natürlich nicht direkt ermitteln. Auf Aspiration deutet jedoch: 1. die Aspiration dieser Laute auch im NeukyHinsehen (also [kh], [t"], [ph], vgl. G.E. Jones 1984: 41-42, Ball 1984: 14-16) und 2. das Resultat der Nasalierung von /k/, /t/, Ipl auch im Mittelkymrischen, nämlich Nasal (/η/, Inl, Iml) + Ihl.
Ingo
144
Mittendorf
Gemeinsame Wortvarianten der Pen. 14-Texte Die Texte in Pen. 14 teilen weiterhin eine ganze Reihe von besonderen Wortvarianten miteinander. Auf diese Texte im wesentlichen beschränkt scheinen zu sein: llyng(h)u .verschlingen' (vs. llyncu in anderen Texten), 63 pa furw , wie' (vs. pa fury (f)/furu(f)),M ysgylfyeit
.schnappen' (vs. ysglyf(y)eit
u.ä.). 65 Varianten, die den Pen. 14-Texten
gemeinsam sind, aber auch an anderer Stelle auftreten, sind z.B.: ar vs. at ,zu' (τ* ar ,auf) kemyrth vs. kymerth ,nahm' (Prät. 3. Sg. kymryt .nehmen') diafwl vs. diawl .Teufel' digwydav
vs. dygwyd(y)aw
diwyrnaut vs. diwarnawt effeiryat vs. offeir(y)at
.fallen' .Tag'
.Priester'
efferen vs. offleren .Messe' gwneithur vs. gwneuthur .machen' perygyl vs. perigyl
.Gefahr'
emchuelut vs. ymhoelut (-ch-) .umkehren' e syd (/g'siö/) vs. yssyd /'asiö/?) .(welcher) ist' y'w (einzige Form) vs. y'wlylo'e
(u.a.) ,zu seinem/ihrem (f.)' (Präp.+ Poss.pron.)
Eine nicht unwichtige Aufgabe bei der Untersuchung des Mittelkymrischen ist es, solche Wortvarianten nicht nur zu identifizieren, festzuhalten und zu sammeln,
63
Zumindest bei den beiden ersten Schreibern von Pen. 14: Uyng(h)- tritt auf in llynghu (GWV 10:28.4), llyngu (DB 103.3) sowie llwng (PM 429) bzw. llvng (PM 439, beides Ind. Präs. 3. Sg.), llyngant (PM 431, Ind. Präs. 3. PI.) und llynget (PM 423, Impv. 3. Sg.). (Die Form llwng/llvng
ist nicht ganz eindeutig, da für auslautendes /nk/ in diesem Text überwiegend Ii)/
auftritt.) Die deutlich üblichere Variante llyncu mit inlautendem /nk/ ist sprachgeschichtlich irregulär und vielleicht onomatopoetisch beeinflußt. 64
Die Belege aus GWV sind: 9:341.13, 17, 10:26.39 ( v), 30.24, GWV (Hs.) 43.12 ( = Richards 1952: 187.19 pa ffuryf). Vgl. in PM: pa furw (PM 47, 48-49, 50), e furw (PM 51). Die Form furw scheint nur im Ausdruck pa furw vorzukommen (e furw, furw
koordiniert). Als eigenständiges Substantiv erscheint daneben furyf
87.2; PM 203, 427). Vgl. z.B. auch furyfaedic
PM 51, ist mit pa (DB 70.1, 72.2,
(DB 87.1). Während sich die in PKM
vorkommenden Formen furuf (z.B. PKM 6.23) bzw. furu (PKM 87.11) durch Assimilierung (/«/ ... hl
> /u/ ... /«/) und - bei furu - Verlust des auslautenden /v/ erklären (vgl. I.
Williams 1951: 113), ist eine solche Erklärung bei furw ( = /furw/ oder /furu/) schwierig. (GPC führt die Variante weder s.v. . f f u r f noch s.v. , p a ' \ ) 65
GWV yscylvavd
(10:24.38). Vgl. PS ysgylual
52.24, 54.5); PM: ysgylyf
(=
( = /asgalvad/, wohl Adj. .räuberisch', PS
/'asgilav/, wohl .Raubgier', PM 208); CA:
ysgylvyon
.Raubvögel (?)' (CA 803 [Schreiber Α], entspricht sgliuon, CA 811, [Schreiber B]; zum Wort vgl. I. Williams 1961: 271, Jarman 1990: 123); BD: yscylueit
(Verbalnomen des obigen
Verbs, BD 15.28; dagegen ysglyf = /asgliv/, Ind. Präs. 3. Sg., BD 111.16).
Gwyrthyeu
e Wynvydedic
Weir
145
s o n d e r n m ö g l i c h s t auch zu b e s t i m m e n , w e l c h e m s p r a c h g e s c h i c h t l i c h e n oder dialektalen Stratum sie a n g e h ö r e n . D i e e i n g e h e n d e A n a l y s e einer g r ö ß e r e n A n z a h l mittelkymrischer T e x t e auf ihre sprachlichen und orthographischen B e s o n d e r h e i t e n hin wird, d e n k e ich, zu einer b e s s e r e n linguistischen Kartographierung d e s Mittelkymrischen führen, und ich h o f f e , hierzu einen kleinen Beitrag geleistet zu haben.
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Meidhbhin Νί JJrdail
Ogham Ordha in den späteren irisch-gälischen Handschriften
Ogham ördha ist die Bezeichnung einer Schrift, die erst in irisch-gälischen Papierhandschriften aus dem 18. und 19. Jahrhundert erscheint. Der Schrift selbst wird in den Handschriftkatalogen Obskurität und Merkwürdigkeit zugeschrieben: Sie wird als „a secret script", „[a] cypher" oder „ogham aisteach", also eine komische Oghaman, beschrieben.' Dennoch ist ör („Gold"), von dem das Eigenschaftswort ördha („golden") in unserer Schrift abgeleitet ist, schon im 14. Jh. in der Abhandlung Briatharogam („Wortogham") belegt. In dieser frühesten Quelle über die Form und Bedeutung der handschriftlichen Oghamschrift, einer Quelle, die sich im mittelalterlichen Kodex „Buch von Ballymote" befindet, wird durch or „Gold" als Teilparaphrase oder Kenning der anlautende Diphthong bzw. Digraph oi im Irischen verschlüsselt.2 Der Gebrauch metaphorischer Verschlüsselung des Alphabets, die als Eselsbrücke für die fill diente,3 weist auf eine besondere Stellung der Oghamschrift als Teil des Studium generale in den bardischen Schulen Irlands. Bis weit ins 17. Jh. hinein hatte sie bei den Gelehrten eine feste Position inne. Betrachtet man aber die Schrift mit dem Namen ogham ördha in den späteren irischen Handschriften, ist mindestens ein Bewußtsein der mittelalterlichen Oghamschtift zu erkennen, wenn nicht sogar die Faszination einer verschlüsselten Schrift, die nicht nur im Irland des Mittelalters, sondern auch noch im 18. und im 19. Jh. wirkte. Ferner zeigt die Verbindung mit Gold einen Respekt gegenüber dieser Schrift aus dem Blinkwinkel der Schreiber selbst: Unter den Schriftarten ist sie prachtvoll, glänzend, besonders.4 Bis jetzt kann festgestellt werden, daß die „goldene" ogham in mindestens zwanzig Handschriften vorkommt und von dem jeweiligen Schreiber entweder erwähnt oder
2
3
4
Siehe T.F. O'Rahilly, K. Mulchrone et al., Catalogue of Irish Manuscripts in the Royal Irish Academy (Dublin, und London, 1926-1970), S. 1371, S. 1417; P. 0 Fiannachta, lAmhscribhinni Gaeilge Choläiste Phädraig, Μά Nuad, Fase, ii-viii (Mä Nuad, 1965-1973), hier Fase, ν, S. 73. Siehe D. McManus, Irish Letter-Names and their Kennings, Eriu 39 (1988), S. 127-168, hierzu S. 127, S. 148-149, S. 165; vgl. McManus, A Guide to Ogam (Maynooth, 1991), S. 2-4, S. 142-143. Hierzu Β. 0 Cuiv, Miscellanea: A Fragment of Bardic Linguistic Tradition, Eigse 11 (1966), S. 287-288. Vgl. P. Dinneen, Focloir Gaedhilge agus Bearla. An Irish-English Dictionary (Dublin, 1927), i.v. ordha.
Meidhbhin Νί Ürdail
150 ausführlich
illustriert wird. 5
Wenn
zu den
in irischer Schrift
(clö
Gaelach)
geschriebenen Buchstaben ein Schlüssel angegeben wird, scheint dieser unter den Fassungen nicht immer einheitlich zu sein, d.h., die jeweiligen Schreiber ordnen den Buchstaben verschiedene Symbolwerte zu. Die Anzahl der handschriftlichen Quellen läßt sich nicht genauer angeben,
weil erstens immer noch nicht alle irischen
Handschriften katalogisiert sind und zweitens immer wieder neue Handschriften auftauchen, die sich noch heute in Privatbibliotheken oder in Privatbesitz befinden. Abgesehen von fünf Handschriften, in denen kein Datum angegeben wird, läßt sich ogham ördha nach den Quellen auf den Zeitraum zwischen 1795 und 1865 datieren. 6 Bis auf eine Handschrift, die aus Dublin stammt, sind alle in Munster in den Grafschaften Cork, Kerry, Limerick, Waterford und Tipperary angefertigt worden. 7 Ferner stammt der früheste Beleg der verschlüsselten Schrift mit dem Namen ogham ördha ursprünglich aus der Feder des Schreibers Micheäl 0 g 0 Longäin (1766-1837). In der HS RIA 23 Ν 20 wird eine Aufzählung von acht Vokalen und zwei Diphthongen (ia, ua) - wobei zwischen reinen Vokalen und Digraphen/Diphthongen unterschieden wird - , einem Nasal (ng) und einem Hauchlaut als sömpladh Beispiel oder als Muster - vorgelegt, und zwei Vierzeiler erscheinen als pennae,
5
6
7
- als
probationes
die nicht von 0 Longäin identifiziert werden. 8 Darauf folgt ein religiöses
Einzelne Buchstaben erinnern ihrer Form nach z.B. an griechische oder kyrillische Schriftzeichen. Derartige Ähnlichkeiten sind allerdings nur vereinzelt, und darüber hinaus läßt sich bislang nicht nachweisen, daß die Schreiber von solchen fremden Schriften Kenntnis hatten. RIA 23 Ν 20, S. 5-6 (1795); RIA 23 G 21, S. 430 (1795); RIA 23 C 18, S. 123 (1799); RIA 23 Ε 16, S. 189i, S. 190 (1797-1808); RIA 24 D 32, S. 23-24, S. 369-370 (1819, 1822); RIA 24 A 3, S. 49 (1833); RIA 24 C 37, F. 10r (1862); Τ ii, S. 153-154 (1797-1799); Τ xxxvii, F. 11 ν (ca 1840); NLI G 219, S. [v]-[vii] (1825); N U G 480, S. 115 (1841); N U G 544(b), S. 61 (1847); ML 2, S. 209-211 (1817); R 5, S. 56 (1852); EUL Dk.6.26, F. 20r (1865); RIA 24 C 25, S. 41; RIA 24 Μ 35, F. 5v; RIA 24 Μ 21, F. 26r; Μ C 39(b), S. 60; Camb. Add. 4437, S. 47. Die Abkürzungen sind am Ende dieses Beitrags aufgelistet. A History of the Irish Language and Ogham Alphabets transcribed by Joseph O'Longan. Dublin 1865, EUL Dk.6. 26 (F. lr). Diese Handschrift, die ich auf Mikrofilm (NLI pos. 8572) gelesen habe, ist nocht nicht katalogisiert. In den fünziger Jahren hat die National Library of Ireland eine Mikrofilmkopie der HS R 5, die verloren gegangen ist, gemacht (NLI pos. 3886); siehe P. de Brün, Lämhscribhinni Gaeilge: Treoirliosta (Dublin, 1988), S. 87, Anm. 167. Beschreibungen der anderen Handschriften befinden sich in den folgenden Katalogen: P. de Brün, Clär Lämhscribhinni Gaeilge Choläiste Ollscoile Chorcai: Cnuasach Thorna (Dublin, 1967), Bd. 1, S. 11-13; S. 106-107; P. de Brün, M. Herbert, Catalogue of Irish Manuscripts in Cambridge Libraries (Cambridge, 1986), S. 46-47; Ν. Ni Sheaghdha, Catalogue of Irish Manuscripts in the National Library of Ireland, Fase, vi (Dublin, 1980), S. 10-11, Fase, χ (Dublin, 1987), S. 89-91; P. 0 Machäin, Fase, xi (Dublin, 1990), S. 7879; 0 Fiannachta, Lämhscribhinni Gaeilge, Fase, v, S. 71-73; P. 0 Fiannachta, Leabharlanna na Cliire agus Mionchnuasaigh, Fasc. ii (Dublin, 1980), S. 42-48; O'Rahilly, Mulchrone., Catalogue, S. 902-903; S. 1215-1217; S. 1370-1400; S. 1411-1422; S. 1924; S. 2033-2034; S. 2645-2658; S. 2670-2675; S. 3145-3146; S. 3600-3602.
Ogham Ördha in den späteren irisch-gälischen
Handschriften
151
Gedicht von einem Mitglied der Bardenfamilie 0 Dälaigh. 9 Diese Handschrift war keine Auftragsarbeit für einen bestimmten Mäzen.' 0 Sie gehört zu 0 Longäins frühen Schriften, zu einer Zeit, als er noch, wie er selbst geschrieben hat, „unerfahren in Schreibertätigkeiten" und noch in der Ausbildung war." Ferner schreibt 0 Longäin 1795 in der HS RIA 23 G 21 den Namen seiner Liebe, die wahrscheinlich anonym bleiben soll, in ogham Gaelach).'2
ördha,
als Teil eines Kolophons in irischer Schrift (clö
Obwohl es fast unbedeutsam ist, zeigt also schon dieses frühe Beispiel
Micheäl 0 g 0 Longäins, daß ogham ördha eine geheime Funktion hat, worauf ich später zurückkommen werde. 0 Longäin gehört zu der zweiten von vier Generationen von 0 Longäin-Schreibern aus Munster, die zwischen dem 18. und dem Anfang des 20. Jhs. nahezu 500 Handschriften geschrieben haben und über die ich in Freiburg meine Dissertation
9
10
"
12
„Oghaim örtha [sie] Sonn - July 20th 1795. An sömpladh sonn - mar leanas" (S. 5); siehe die Photographie im Anhang, hier abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der Royal Irish Academy, Dublin. Abkürzungen in allen handschriftlichen Zitaten werden in diesem Beitrag stillschweigend aufgelöst. Ich habe festgestellt, daß der erste Vierzeiler dem Gedicht Föir mh'amhgar [al. m'angar, m'anam], a Dhe bhi entnommen wurde. Über den Verfasser sind sich die Handschriften nicht einig: Donnchadh Mor Ο Dälaigh (ob. 1244), Aonghus Fionn 0 Dälaigh T I f f c
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Ogham Ordha in den späteren irisch-gälischen Handschriften
161
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mkymr. blyned Jahre') im Frühurbrit. zu **-ijfim umgestaltet sein könnte. Auf dieses eine Beispiel eingeengt, erscheint mir Schrijvers Annahme zu unsicher, um sie bereits als Lautgesetz zu erklären.
187
Tu den urbritannischen na-Präsentien den urindogermanischen athematischen Verba ultimae
laryngalis,
die im Keltischen
einen nichtablautenden Stamm KaRa- (< *KeRH- nach Joseph 1982: 55) generalisiert haben (IOCV 189). Im Urinselkeltischen wurde dann der Stammsilbenvokal dem der ö-Denominativa angeglichen (-» *KaR-ä-,
vgl. M c C o n e 1994: 140). Nach Ausweis des
Altirischen sind in der ä-Klasse auch einige na-Präsentien mit urkelt. *-ln- > -II- (Typ air. -ella) aufgegangen (3.1). Die Produktivität dieser Klasse im Urgoidelischen zeigt sich an den aus dem Lateinischen entlehnten Verben des Altirischen, die zur Ü b e r n a h m e der produktiven ä-Flexion tendieren (GOI 575f., M c C o n e 1994 1. c., M c C o n e 1987 1. c.). An die ä-Präsentien gekoppelt ist das -ai/-ai-Präteritum (urbrit. *-ass-/-atu·),
das
seinen Ausgang von den athematischen Verben zu set-Wurzeln (*KeRH-) nahm. Urkelt. *-ss-/-to-
suffigiert an eine Wurzel ultimae laryngalis
-ato-, e. g. m k y m r . ysgaras (Wz. *skerH-
ergibt im Urkelt.
.trennte' (CA 26.655) < urbrit. *skara-ss-
(Arm P 2 1 4 . 1 7 5 ) , mkorn. feie .verbreiten', mbret. ledaff,ausbreiten',
air.
lethaid .dehnt aus' < *let-ä - zu *let-o- < *plet-o- (mkymr. lled .Breite', mkorn. les, mbret. led, air. leth .Hälfte, Seite', IEW 833);
7
Wie ich an anderer Stelle, Schulze-Thulin (in Vorbereitung 1) noch zu zeigen hoffe.
188
Britta
Schulze-Thulin
(b) Primärverben (*KaR-ä- «- *KaRa- < *KeRH-): mkymr. yscar ,sich trennen' (s.o.), komp. gwasgaru, 3.Sg.Prs.abs. gwasgarawt(R 1037.17 = EWSP 405.9a), air. scaraid, trennt' < *skar-ä- zur Wz. *skerH- .trennen, teilen' (LIV 505); mkymr. caru .lieben', Prs.Ips. carawr{R 1034.14 = EWGP 32.29c), vgl. altes Ptz. in mkymr. car .Freund', PI. carant, kereint (< *karant-es, -i), mkorn. kara, care .lieben', mbret. caret .lieben' 8 , air. caraid .liebt' < *karä-, Wz. *kerH- (nach McCone 1991: 110f.);9 vielleicht auch mkymr. talu .zahlen', 3.Sg.Prs.konj. tal (L1C § 39), mkorn. tal .zahlt sich aus' (OM 321), mbret. tal .bedeutet' (GIB 3014) < *tal-ä- zur Wz. *telh2,aufheben, auf sich nehmen' (LIV 565); mkymr. malu .mahlen', 3.Sg.Prs.konj. mal (GMBD 360.24), mbret. malaj?0 < *mal-ä- zur Wz. *melh2- .zerreiben, mahlen' (LIV 388f., vgl. Schrijver 1995: 81f.); c) Denominativa zu urbritannischen femininen ä-Nomina: mkymr. brwydraw .kämpfen', 3.Sg.Prs.abs. brwydrawt (R 577.41f.) zu *brei-trä- (mkymr. brwydr .Kampf, air. briathar .Wort'); mkymr. dadlau .streiten, sich (im Kampf) treffen', 3.Sg.Prt. ry-dadlas (L1DC 50.8), abret. condadlant .sie geleiten' (DGVB 117) zu *datlä- (mkymr. dadl .Streit', abret. dadl, mbret. dael, air. däl, IEW 237), mkymr. dial .rächen, Rache nehmen', Prs.Ips. dialawr (Arm P2 10.123) < zu *-gal-ä(mkymr. dial .Rache', spätkorn. dyal, air. digal, Wz. *g'h)elH- .Macht bekommen ü b e r ' , Klingenschmitt 1982: 270, LIV 164); mkymr. ennill . g e w i n n e n ' , enillawd/enillawr (GMBD 74.146/AL ii.510.5) zu *ande-iliä (s. Schrijver I. c. 322, air. indile .Besitz, Vieh', abret. endlim gl. fenus\ dispwyllawt (T 20.1) zu *k"eislä(air. ciall .Sinn', oder zu *k"eislä-, vgl. Schrijver 1. c. 224); d) aus lat. -äre-Verben entlehnt oder durch solche motiviert: mkymr. creu .(er)schaffen', Prt. creas/creat .schuf, wurde geschaffen' (GL1L1 149.8, GMBD 539.89 neben crew(y)s/crewyt s. G 173), mbret. croeaff .glauben' < lat. creäre\ mkymr. ffo(i) .fliehen, in die Flucht schlagen', Prs.Ips. ffohawr (Arm P2 8.106), mkorn. fo .fliehen', vgl. lat. fiigäre ,in die Flucht schlagen' (oder denom. zu ffo .Flucht' < lat. fuga); 3.Pl.Prs.Pass. akymr. planthonnor gl. fodientur (Juv., -onnor < *-ä-ntör-V-, s. 3.5) < lat. plantare (oder denom. zu lat. planta)\ mkymr. traethu ,etw. behandeln, besprechen', Ips.Konj.Prs. traethatter (R 1051.33) mit kurzem -a- zu tractdre (s. Mühlhausen 1914: 308); mkymr. ffleiryaw .riechen, stinken', mkorn. flerya .stinken', abret. fleriot gl. redolet .riecht', nbret. flaerian .riechen' < lat. flagräre (mit Metathese). 2.2 Im Altirischen sind nach Thurneysen (GOI 353ff.) neben der thematischen Klasse (BI) noch vier weitere „starke" Klassen anzusetzen: die ie/o-Klasse (ΒΠ) und die drei Nasalpräsensklassen, morphologisch repräsentiert durch -n-K-e/o- (Bill), -na- (BIV),
8 9
10
Vgl. vielleicht auch nbret. dial, caramb (s. Ernault 1890: 117, Le Roux 1957: 73 n.2). Hierzu air. carae .Freund' ( < *krH-ent-s), das zweifellos zu diesem Verbum gehört, toch. Β krent, Α krant obl. .gut' (urtoch. *kärent- < *krH-ont-), vgl. Beekes 1988: 88. Beekes Ansatz eines -h2 ist allerdings nicht gesichert. Im Kornischen nur als spkorn. metiaz mit sekundärem -y- belegt (GKK 216).
Zu den urbritannischen
xa-Präsentien
189
-ni- (BV), zu letzteren vgl. McCone 1991: 13ff. Während die urinselkeltischen j-Präsentien durch die urbritannische Entwicklung von postkonsonantischem *j zu *d (nach Jackson, LHEB 694, war dieser Prozeß im 4./5.Jh. abgeschlossen), die nur in gewissen Kontexten stattfand (s. Schrijver 1995: 279ff.), ihre formale Identität verloren, sind die Nasalpräsentien durch die Ausdehnung des Nasals auf das gesamte Paradigma im Urbritannischen zu schwachen Verben geworden. Bei Nasalpräsentien zu Wurzeln auf Plosiv (air. ΒΙΠ) sind in den britannischen Sprachen keine sicheren Beispiele belegt, die die urkeltische Thematisierung widerspiegeln würden (im Präsens würde man die Endungen der -e/o-Präsentien erwarten). Die von den nicht aussagekräftigen Normalendungen abweichenden belegten Formen weisen vielmehr auf sekundäre Flexion nach den schwachen Klassen, vgl. das urbrit. *-fij-Prt. der schwachen /"-Verben bei mkymr. dianc .fliehen', mkorn. dyank ,ds.', abret. *echdianc ( < urkelt. *-an(n)k-e/o-), so mkymr. diengis (CA 10.240 neben reimbedingten diangwys, CA 38.956), mkorn. dyenkys (RD 520), abret. ecdiecncis (für *echdiencis) gl. elapsus (DGVB 154). Auch die Fortsetzer der ni-Präsensklasse weisen Formen der urbritannischen f-Klasse auf, vermutlich aufgrund von phonetischer Nähe (*-ni- -» *-n-C-), so die 3.Sg.abs. -it /-id/ ( < urbrit. *-iti) in krennit (CA 18.456) zu mkymr. crynu .zittern' (urinselkelt. *kri-ni-, Wz. *krej,hr nach McCone 1991: 18). Ein Teil ist wohl zu den na-Präsentien (s.u.) übergegangen (vgl. air. -den .saugt' < *di-na-, Wz. *dh(e)hl(i)~ .(Muttermilch) saugen' (LIV 120), McCone 1. c. 14f."). So deutet die 3.Sg.Prs. aballa .stirbt' («- *aballn) auf urbrit. *-bal-na-t *- ur(insel)kelt. *-bal-ni-ti *- *g"alnlti < uridg. *gu}neh,ti). Die britannischen Sprachen geben ansonsten keine Auskunft über eine sekundäre Flexion nach den na-Präsentien von urindogermanischen Nasalpräsentien zu Wurzeln auf -Λ,: zu mkymr. pallu .vergehen, sterben' s. 4.2; mkymr. gwyn- .plündern' istHapax legomenon (Päli pa-vtnati .kümmert sich um', aksl. po-vingti .unterwerfen', Wz. *ueihr .sein Augenmerk richten auf, trachten nach', LIV 609f.).13 In den meisten Fällen ist die sekundäre Flexion nach einer bestimmten urbritannischen Präsensstammklasse nicht feststellbar, da nur die „Normalendungen" belegt sind, die vermutlich die ererbten Formen direkt ersetzen. Die «α-Präsensklasse besteht aus Fortsetzern urindogermanischer Nasalpräsentien zu Wurzeln ultimae laryngalis (im wesentlichen uridg. *-näh2-/-nh2-, s. McCone 1991: 14). Sie hatte nach Ausweis des Altirischen (BIV) im Ur(insel)keltischen mehr Mitglieder als die m'-Klasse. Da die Größe einer Flexionsklasse tendenziell den Erhalt von deren Formen begünstigt (vgl. Wurzel 1984: 86), wäre es daher nicht überraschend,
11
12
13
Das verwandte mkorn. denes (PC 2649, < t h - > ) neben denys .säugte, nährte' (OM 1755) weist allerdings auf urbrit. *din-l-ss- «- *di-ni. Falls mkorn. denys nicht geneuert ist, dann gehen hier das Urbritannische und Urgoidelische auseinander. Die von den iag-Verben stammende Endung -a der 3. Sg. tritt bei -a-wurzelhaften Verben nur an solche an, die nicht nach der i-Klasse flektieren. Denominativer Ursprung wäre nicht ausgeschlossen.
Britta Schulze-Thulin
190
auch in den britannischen Sprachen deutliche Reflexe der ur(insel)keltischen na-Klasse vorzufinden. Darauf scheinen die Endungen mit Bindevokal -a- hinzuweisen. 2.3 Im Paradigma des Präsens Indikativ der ä-/-a-Verben der drei britannischen Tochtersprachen ist der Bindevokal in unterschiedlicher Länge vertreten: Belegte Endungen
Urbrit.
Belegte Endungen
Sg. 1.
akymr./abret. -am, mkymr. /mkorn. -af, mbret. -äff
gyrr-af (CO 428)
Die Fortsetzer von «a-Verben weisen Formen der ä-Klasse auf, so z.B. die 3.Sg.abs. barnawt ( < späturbrit. *barnäti) und das Ips. mkymr. rybarnawr (*ro-barnärV-). Dagegen haben die ä-Verben in der l.Sg.Prs. die Endung der «α-Verben übernommen. Dies spricht für die Existenz der na-Präsentien im Urbritannischen, denn bei einem wesentlich früheren Verschwinden als Präsensklasse als die ä-Präsentien wären sie gänzlich von den d-Präsentien absorbiert worden. Den Endungen der Fortsetzer von na- und α-Verben liegen, vom Ips.abs. abgesehen, dieselben späturbritannischen Endungen zugrunde. Die konkurrierenden Flexionsklassen sind vereinigt. Die in beiden Paradigmen nicht fortgesetzten Endungen sind durch Formen der jeweiligen anderen Klasse ersetzt worden. Dies ist durch eine gegenseitige Beeinflussung beider Klassen im Urbritannischen zu erklären.
3 Zur Vorgeschichte 3.1 Lautwandel an einem Punkt im Paradigma kann als nächsten Schritt analogischen Ausgleich an anderen Stellen nach sich ziehen. Ist die Stammsilbe davon betroffen, so wird das Charakteristikum der Klasse verundeutlicht. Phonologische Veränderungen können dann der Auslöser für den Verlust einer Stammklasse sein, wenn diese alle oder einen großen Teil der Mitglieder dieser Klasse betreffen. Solange nur einzelne Mitglieder von diesem Lautwandel betroffen sind, gehen die betreffenden Verben,
17
Vgl. canhator ,wird gesungen' (*-a-to-) und brithottor
(*-ä-to-).
194
Britta
Schulze-Thulin
durch lautliche Prozesse von ihrer ursprünglichen Klasse abweichend, vielmehr in eine andere Klasse über. Sind zwei Klassen durch phonologische oder morphologische Prozesse als Klassen nicht mehr stabil, kann dies den Zusammenfall beider Klassen zur Folge haben. So trat bereits im Urkeltischen durch den Stammvokal im Präsensparadigma der ä-Präsentien in der 3.PI. auf-an(t) eine quantitative Abweichung auf (vgl. 2.3). Nach einer keltischen Version der Osthoffschen Kürzung von Langvokal + NT wird im Urkeltischen die 3.P1. der ä-Stämme von lang *-änti zu kurz *-anti gekürzt (vgl. McCone 1994: 76, 140, 146) und fällt somit lautlich mit der der na-Präsentien zusammen (*-na-nti). Dennoch fand im Ur(insel)keltischen bei den na-Präsentien, die vom urkeltischen Lautwandel *ltt > *ll betroffen waren, kein Zusammenfall der Stammklassen (etwa von der 3.PI. ausgehend) statt, diese Verben gingen vielmehr z.T. in die ä-Klasse über (*-l-na- > *-lla- -» *-ll-ä-). Darauf weist die 3.Sg.Prs.konj. auf -a der air. Fortsetzer, so air. -ella ,geht' (ad:ella .besucht') < *(p)al-na- (mit analogem e-Wurzelvokalismus im Altirischen), Wz. *pelh2- ,sich nähern' (LIV 423f.), dazu vielleicht auch die mkorn. 3.Sg.Prt. gallas, galles (L1CC 64 = HMK 108, suppletiv zu mones .gehen'), spätkorn. gyllyf ,ich gehe, verlasse' (Pryce)' 8 ; air. -cella .bewegt' (do:im-chella .geht herum'), mkymr. pallu .vergehen, sterben' < *k"al-na-, Wz. *kfelh,n- .drehen' (LIV 345-347)". Davon betroffen sein könnten auch mkymr. ballu .sterben', Wz. *guelhr .treffen, werfen'(LIV 185f.) und gallu 1. .können', 2. .nehmen', Wz. *g""elH- .Macht bekommen über' (2.1), die aber keine direkten Entsprechungen im Altirischen haben (s. 4.2). Deren mkymr. Flexion ist insofern nicht eindeutig, als nur finite Formen belegt sind, deren Vorform zwar auf *-ä-/-aweist, die Quantität aber unsicher bleiben muß (s. 2.2). Im Ur(insel)keltischen war *-a- im Präsensparadigma außerhalb der 3.PI. der ä-Präsentien nicht zulässig, wie es an den Verhältnissen im Altirischen deutlich zu sehen ist. Offensichtlich ist *-a- aber im Urbritannischen auch in andere Personen eingedrungen (s. 2.4). Da die abweichende 3.PI. im Ur(insel)keltischen und Urgoidelischen nicht als Auslöser für einem Zusammenfall der Stammklassen ausreichte, müssen im Urbritannischen noch andere Faktoren eine Rolle gespielt haben. Im Urinselkeltischen bestand zunächst einmal eine Diskrepanz zwischen Anzahl der Stämme und der Personen sowie den verfügbaren morphologischen Repräsentationen. An sechs Stellen im Paradigma (s.u.) gab es nach dem Zusammenfall der 3.Pl.Prs. nicht 12, sondern nur 11 mögliche Endungen. Das Präteritum der ä-Präsentien war ohnehin kurzvokalisch (*-ass-), hinzu kommt der Verlust des nasallosen Präteritums
18
Eine andere Möglichkeit wäre, mkorn. gall- .gehen' als Entlehnung aus frz. aller ,ds.' (allwurde als leniert aus *gall- aufgefaßt, vgl. zu diesem Phänomen nkymr. gonest .ehrlich, ehrbar' < engl, honest). Im Bretonischen ist allerdings kein Verbum *gall- in der Bedeutung .gehen' bekannt, was auch mit Homophonie mit dem Verbum kymr./kom./bret. gall,können' zusammenhängen könnte.
19
Haröarson 1995 setzt die uridg. Wz. als *kwelhr wegen griech. τήλε ,in der Ferne, fern, weit (von)' und einigen Verbformen an. Anders jedoch Rix 1994: 23 n. 47, der aufgrund von lat. agricola etc. *-h2 (aber nicht zwingend) annimmt.
Zu den urbritannischen m.-Präsentien
195
der na-Präsentien. Im Urbritannischen wurde der Nasal der Nasalpräsentien auch auf außerpräsentische Tempora ausgedehnt, *-na- war somit nicht mehr Kennzeichen des Präsensstamms. An die Stelle des ererbten nasallosen Präteritums trat das an den Präsensstamm angefügte j-Präteritum (*-na-ss-), z.B. mkymr. 3.Sg. Prt.abs. prynessid < *prin-ass-e-ti. In der Regel ist zu Fortsetzern von na-Präsentien im Mittelkymrischen aber das produktive -u^i-Präteritum belegt, das vielleicht erst innerkymrisch älteres *-as(-) ersetzt. Im Mittelkornischen und Mittelbretonischen ist -as die Normalendung des Präteritums und daher nicht aussagekräftig (2.1). Die Übernahme des schwachen ^-Präteritums durch die Nasalpräsentien könnte zusätzlich zur Kontamination von ä- und na-Klasse beigetragen haben. Die Überschneidung von Stammklassen durch Überlappen ihrer Ausdehnung ist wohl der Ausgangspunkt ihrer Vermengung gewesen (vgl. 3.3). Der Distinktionsverlust von Endungsmorphen, die zur selben Person gehören, aber zu verschiedenen Morphemen, d. h. ursprünglich zu verschiedenen Stammklassen, führt hier zum Distinktionsverlust zwischen Endungsmorphen in beiden Stammklassen.20 l.Sg.
3.Sg. abs.
3.Sg. konj.
3.PI.
Ips. abs.
Ips. konj.
Prt.
*-na-
*-nami 'i
*-nati
*-nat I ensicher s. 1.5)
*-nanti
*-nato-
*-nar
(nasallos)
*-ä-
*-ämi
*-äti t
*-ät (unsicher)
*-anti
*-äto-
*-är t
*-ass-1
*-na-
*-nami
*-näti
*-nat (unsicher)
*-nanti
*-nato
*-är
*-nass-
*-ä-
*-ami
*-äti
*-at (unsicher)
*-anti
*-äto-
*-är
*-ass
Frühurbrit.
Späturbrit.
Beim Zusammenfall der ä- und na-Klasse im Späturbritannischen war die Zahl an verfügbaren Endungen zunächst größer, dieser Überhang wurde beseitigt. Diesen Prozess der Vermischung zweier Stammklassen kann man sich folgendermaßen vorstellen:21
20
21
Die Pfeile deuten die Richtung an, in die der Ausgleich erfolgte. Die Lenierungen sind hier weggelassen. Zum Modell vgl. Meiser 1992: 199ff.
Britta Schulze-Thulin
196
konj. (unsicher)
3.Sg.abs.
l.Sg.
X(a)
*-nami
X(a)
*-nati
X(a)
*-nat
Y(b)
*-ämi
Y(b)
*-äti
Y(b)
*-ät
Z(a)
*-(n)ami
Z(b)
*-(n)äti
Z(a)
? *-(n)at
Ips.konj.
3.PI.
Prt.
X(a)
*-nanti
X(a)
*-nar-
X(a)
(nasallos)
Y(b)
*-anti
Y(b)
*-är-
Y(b)
*-ass-
Z(a,b)
*-(n)anti
Z(b)
*-är-
Z(b)
*-ass-
Mal haben sich also die Morpheme (a) der Stammklasse X ( = ηα-Klasse), mal die Morpheme (b) von Υ (=-α-Klasse) für die neue Mischklasse Ζ durchgesetzt, dabei halten sich Z(a) und Z(b) die Waage. Die Mischklasse Ζ lebt als mkymr. Normalparadigma ( > nkymr. Einheitsflexion) in der l.Sg.Prs. und 3.Pl.Prs. weiter. Die Übernahme dieser Endungen könnte in der hohen Frequenz begründet sein, die die Vorgänger von -af und -an(t) im Späturbritannischen besaßen. Miteinander konkurrierende Endungen unterliegen der Tendenz zum Abbau. So haben wir im Mittelkymrischen in derselben Person (vom Prs.Ips.abs. abgesehen) keine Reflexe von na- und ä-Klasse mehr. Dies hat oft dazu geführt, daß man für das Urbritannische nur eine ä-Klasse, aber keine na-Klasse rekonstruiert hat. 3.2 Nachdem die urinselkeltische ηα-Klasse durch den Verlust des ererbten Präteritums im Urbritannischen ihren Status als „starke" Klasse verloren hatte, war sie von der „schwachen" ä-Klasse nur noch durch die Präsensendungen der l./3.Sg., 1./2.P1. und des Impersonale („Passiv") morphologisch durch die Quantität des Stammsilbenvokals abgegrenzt. Die urinselkeltischen na-Präsentien sind im Urbritannischen aber keinesfalls von der ä-Klasse absorbiert worden. Quantitativ wäre dies durchaus denkbar gewesen: nach Ausweis der möglichen Fortsetzer in den britannischen Sprachen waren es im Urbritannischen ca. 30-40 (mit Komposita). Man vergleiche etwa die Verben, die im Urkeltischen in den ä-Präsentien aufgangenen sind: so waren es nach Watkins (1956: 621) in der ä-Klasse über 60 Primärverben (mit Komposita) mit ursprünglich kurzem *-a-. Ein Übergang der na-Präsentien zu den ä-Präsentien im Urbritannischen trat jedoch nicht ein, denn die ä-Präsentien waren im Urbritannischen nach Ausweis der Flexion der Lehnwörter nicht mehr so produktiv und als Flexionsklasse wohl nicht mehr stabil. Die «ä-Präsentien waren in einer relativ
197
Zu den urbritannischen m-Präsentien
„starken" Position, da -na- auch im Präteritum erschien (*-nass-) und mit -a- der ä-Verben vergleichbar war (*-ass-). 3.3 Der stammanlautende Nasal (W-na-E) spielte nach seiner Ausdehnung auf das gesamte Paradigma insofern keine Rolle mehr, als Verben mit Wurzelauslaut -n der d-Klasse (Wn-d-E) nun fast eine phonetisch identische Struktur aufwiesen. Dies führte zu einer Resegmentierung der Stammsilbe als *-(n)ä-/-(n)a-. Nachdem der Nasal nicht mehr Kennzeichen der Präsensklasse war, gehörte er zur Wurzel. In der 3.PI. wurde weder *-na- (da -n- auf das gesamte Paradigma, auch auf außerpräsentische Tempora (s.u. 4.1) ausgedehnt worden war) noch *-ä- als Stammklassensuffix empfunden. Die Transparenz war gestört (vgl. 3.1). Die Endungen der 3.PI. auf *-na-nti der na-Präsentien und auf *-a-nti der ä-Präsentien wurden zur neuen Endung *-(n)-anti resegmentiert, also *bar-na-nti -» *barn-anti. *-anti wurde als Endung empfunden, -n zur Wurzel gehörig. Die neue Endung *-anti wurde später zur mittelkymrischen Normalendung (s.o.). Ein analoger Prozeß in der l.Sg. erscheint denkbar, die Endung der na-Präsentien *-nami wurde zu *-(n)-ami resegmentiert und ersetzte ererbtes *-ämi. Das abstrahierte *-ami wurde später zur Normalendung, nicht nur im Mittelkymrischen, sondern auch im Mittelkornischen und Mittelbretonischen. Theoretisch wäre auch ein Bezug des kurzen -a- von der 3.PI. her denkbar, doch ein derartiger Analogieprozess erscheint eher unwahrscheinlich, da sich die l.Sg. kaum nach der 3.PI. richtet. Desweiteren ist es durchaus möglich, daß auch in der 3.Sg.konj. *-ät durch *-at («- *-(n)-at *- *-na-t) ersetzt wurde, was allerdings unsicher bleiben muß (s. 1.5). Parallel dazu wurde das Präteritum resegmentiert. *-na-nti *-ä-nti
— *-n-anti > *-a-nti
-» *-anti
*-na-ss-
-»
*-ass-
*-a-ss-
-»
*-ass-
danach l.Sg.
*-na-mi *-ä-mi
-»
*-n-ami *-ami
Die 3.Sg.abs. *-äti der ά-Präsentien blieb erhalten, möglicherweise in Analogie zum Langvokalismus der 3.Sg.abs. auf *-lti der f-Präsentien. Mkymr. **-at (*-ati) der na-Präsentien wäre mit der 2.PI. (**-at < *-ate) zusammengefallen. In der kürzeren, konjunkten Form des Impersonale (-awr) hat sich die Form der d-Klasse erhalten, die aber dann von der Endung -ir der /"-Stämme verdrängt wurde (s.o.). Kurzes *-ar- ist nicht fortgesetzt (erwartet wäre mkymr./mkorn./mbret. *-ar). 3.4 Einen Sonderfall bildet das nicht zum Paradigma gehörige Verbalnomen. Auch hier ist die Vermischung beider Stammklassen reflektiert. Das ererbte Verbalnomen der Nasalpräsentien (nach Ausweis des Altirischen nasallos mit Suffix, s. G O I 4 4 7 mit Beispielen) war im Urbritannischen nach der Ausdehnung des Nasals auf das gesamte Paradigma zum Relikt des älteren Systems geworden und ist in den britannischen Sprachen nur fossiliert fortgesetzt (z.B. mkymr. -prwy zu prynu .kaufen' cf. dirprwy .loskaufen, erlösen' (ohne dazugehöriges Nasalpräsens), arch, canlit zu canlyn
198
Britta Schulze-Thulin
.folgen')· Es ist daher nicht verwunderlich, daß die ä-Präsentien dies von den rto-Präsentien nicht übernahmen. Dagegen ist Fortsetzern von na-Präsentien sporadisch das ererbte Verbalnomen *-at der ö-Präsentien (air. -ad, -ath, uridg. *-tu-, GOI 446f.) i n m k y m r . dyfneit .zähmen, (sich) gewöhnen an' (*damn-at-) belegt (neben dyfnu)·, das innerbritannisch neugebildete Verbalnomen urbrit. *-ämä (abret. -om, mbret. * - o f f , m k y m r . -aw) ist in abret. guobinom .wegschneiden', linom ,sich festmachen', mbret. *prinoff .kaufen' 2 2 (*bin-ämä, *lin-ämä, *prin-ä-mä-) belegt. Nicht aussagekräftig ist mbret. - ä f f , m k o r n . -a, -e < urbrit. *-am-ä-, das im Altbretonischen noch selten und im Kymrischen nicht fortgesetzt ist, da es im Mittelbretonischen und Mittelkornischen eine produktive Endung ist, wobei mbret. -äff von Ernault als Mischform aus *-off mit -at, -α erklärt wird (1899: 389). 3.5 Der Verlust von Distinktionen kann zur Schaffung neuer Formunterschiede führen, vgl. im Altkymrischen die 3.PI. -awnt nach der 3.Sg. -awt ( < urbrit. *-äti). Der analogischer Transfer des Bindevokals muß allerdings spät sein, nachdem Osthoffs Gesetz nicht mehr wirkte (erwartet wäre urbrit. *-Vnti> *-Vnti > m k y m r . -an(t), s. 3.1). Das a k y m r . / m k y m r . Prs.Ips.abs. auf -tor weist im Singular vier verschiedene Bindevokale auf (1.3), *ä und *a sind im Singular und Plural nebeneinander belegt (-otor, -atoT, PI. -onnor, *-annor). Desbezüglich ist die Meinung vertreten worden, daß *ä ursprünglich zum Singular, *a zum Plural gehört habe, so ist nach Schumacher (1995: 66f.) das Prs.Ips.abs. -ator analog nach dem T y p 3.PI. *ctywanhor < g l y w a n a w r > (T 55.9) .Lieder werden gehört' (vgl. dazu auch Koch 1984, Haycock 1983/84: 71). Das Ips.abs. kann aber im Singular noch den Unterschied zwischen langem und kurzem -a- bewahrt haben; -o- < urbrit. *-ä- in -otor, gegenüber -a- in -ator, wobei -a- von den «a-Stammen abstrahiert ist, wie die l . S g . (2.4, 3.3). Vgl. canhator ,wird gesungen' (T 75.9, neben sek. kenhittor in L1DC 28.88), urbrit. Prs. *kan-ä-, während **can-otor (so in der M A 133b44) eine Fehllesung ist (vgl. < c a n a t o r > in A H 30.44). Die Annahme, daß die 3.PI. -onnor analog zur 3.Sg. sei (so Schumacher 1995: 67), erscheint plausibel, da hier keine Osthoffsche Kürzung auftritt. Es wäre aber nicht auszuschließen, daß -o- ( < *-ä-) durch die lat. 1. Konjugation in lat. plant-äre motiviert ist. Osthoffs Gesetz hat zu diesem Zeitpunkt vielleicht nicht mehr gewirkt, was aber noch näher zu untersuchen wäre.
22
Das mbret. Verbalnomen prenaff .(zurückkaufen' (GIAB 2638) reimt mit doff, die Endung ist also -off (HMSB 195) der ä-Stämme (§ 92), daneben ist auch ein Verbalnomen prenou belegt (GIAB 1. c.).
Zu den urbritannischen na-Präsentien
199
4. Schluß 4.1 Für das frühe Urbritannische können wir also eine «α-Klasse rekonstruieren, die nach der Resegmentierung ihre formale Identität verlor. Da die ä-Präsentien im Urbritannischen nicht mehr produktiv waren (vgl. die Flexion der aus dem Lateinischen entlehnten Verben, s. 2.1), waren sie der Beeinflussung anderer Klassen ausgesetzt, in der l.Sg. den na-Präsentien, die es zu diesem Zeitpunkt noch gegeben haben muß. Die «α-Präsentien existierten als Flexionsklasse (wenn auch -na- nicht mehr auf den Präsensstamm beschränkt war) ebenso lange wie die ä-Verben. Später setzt auch Beeinflussung der sag-Verben ein, aber nur in der 3.Sg. (mkymr. -a, vgl. 2.2 n. 12). Der vorbildhafte Charakter der «α-Präsentien weist auf eine eigene urbritannische «α-Klasse. 4.2 Nun können wie in den unter oben (2.1) besprochenen Fortsetzer der ä-Klasse auch fur die «α-Klasse folgende Beispiele angeführt werden. Zweifelsfälle und nicht mit einiger Sicherheit zuordbare Formen sind hier weggelassen. a) = air. BIV: mkymr. kymynu .schlagen, fällen', mbret. quemenas .brach' < urbrit. *kom-bina-, air. benaid .schlägt' < urkelt. *bi-na-, Wz. *b/'e\H- .schlagen' (LIV 57); mkymr. dyfnu, dyfneit ,sich gewöhnen, saugen', 3.Sg.Prt. dyfltas (H 280.28), dyfnat (H 257.29), air. damnaid .bändigt' < urkelt. *dam-na-, Wz. *demh2- .zähmen, bändigen, gefügig machen' (LIV 99f.); mkymr. prynu .kaufen', 3.Sg.Prt.abs. prinessid (H 10.19 = GMBD 274.47, < urbrit. *prinasseti), mkorn. prena, perna .kaufen', mbret. prenaff .(zurückkaufen', air. crenaid .kauft' < urkelt. *k'ri-na-, Wz. .eintauschen, durch Tausch erwerben' (LIV 354f.); mkymr. glynu .kleben', mbret. goulen(n) .fragen', air. glenoid .klebt' < urkelt. *gli-na-, Wz. *gleiH- .bestreichen, kleben blieben' (LIV 168f.); mkymr. llynu .anstecken, beschmutzen, verderben', air. lenaid .folgt, klebt an' < urkelt. *li-na-, Wz. *h2leiH,beschmieren' (LIV 247f.). b) ohne altirische Entsprechungen: mkymr. barnu .urteilen', 3.Sg.Prs.abs. barnawt (sek. *-ä-), konj. barn < urkelt. *bar-na-, Wz. *g"erH- .begrüßen, ehren, rühmen' (LIV 188f.); mkymr. tremynu .laufen, wandern', mkorn. tremene .vorbeigehen, sterben', Prt. tremenas, mbret. tremen .(vorbei)gehen' < urkelt. ? *mi-na-, Wz. *mej.H- .wandern, gehen' (IEW 710), nach LIV 383 allerdings *mei- .wechseln, tauschen, ändern'. c) Urkelt. *-l-na- -» *-ll-ä-: mkymr. ballu .vergehen', aballu .sterben', 3.Sg.Prs. aballa («- *aball), urkelt. ? *bal-na- -* *ball-ä-, Wz. *g"elhr .werfen' (aber air. at:baill .stirbt' < *bal-ni-ti s. McCone 1991: 13); vielleicht mkymr. gallu .können, nehmen', Prt. gallas ,nahm' < urkelt. ? *gal-na-, ? -» *gall-ä-, Wz. *g /-ed/ das -fo-Partizip der Kausativa und Iterativa fort: Mittelkymrisch golo .begraben, verbergen' geht ebenso wie air. folugai .verbirgt' auf das Kausativum *log"-eie/o- zurück (vgl. ahd. leggen .legen'). Bei der Anfügung des -/o-Suffixes wurde das -ie/o- des Suffixes -eie/o- unterdrückt und es entstand -e-to-, Pokorny (1933) sah darin einen Archaismus des Keltischen. Dazu ist zu sagen, daß sich für die Grundsprache wohl kein -ίο-Partizip für Kausativa und Iterativa rekonstruieren läßt. Zumindest ist im Vedischen die Assoziation der Partizipien auf -itä- mit Verben auf -äya- selten und als sekundär zu erweisen (Jamison 1983: 214-216). Folglich ist es ebenso unwahrscheinlich, daß es sich bei -e-to- um einen Archaismus des Keltischen handelt. Vielmehr ist dies eine Neuerung, die das Keltische mit dem Italischen teilt, denn auch das -fo-Partizip der italischen -e-Verben läßt sich als *-e-to-s (und nicht *-i-to-s) rekonstruieren. Das ist einerseits ersichtlich aus dem Vorherrschen von in umbrischen Belegen solcher Partizipien (taseto- etc., vgl. Rix 1992: 224 Anm.6), andererseits aus dem lateinischen nomen agentis mer-e-trix .Anschafferin, Prostituierte', das strukturell denselben Regeln wie ein -ίο-Partizip folgt (Specht 1932: 67-69). Mit anderen Worten, die italischen -e-Verba sind zwar eine Mischklasse aus alten Kausativ-/Iterativ- und aus Stativverben, haben aber in ihrem -fo-Partizip die Form -e-to- der Kausativa/Iterativa verallgemeinert, während die Form -e-toder Stativa nur lexikalisiert erhalten geblieben ist (z.B. acetum ,Essig' zu aceö, -ere .sauer sein'; vgl. auch Jasanoff 1978: 67).
5
Die medialen Formen wurden deswegen verallgemeinert, weil die aktiven Formen nach dem Aufkommen der Unterscheidung absolut-konjunkt mit den konjunkten Präsensendungen zusammengefallen wären. Die konjunkten Formen lassen sich am besten als Resultat einer frühen Apokope von auslautendem -/' erklären. Rix' (1977: 157) Überlegung, das Imperfekt zum Konjunktivstamm und das zum Futurstamm könnten ebenfalls vom Urindogermanischen ererbt sein, läßt sich wohl nicht halten. Es handelt sich eher um inselkeltische Neuerungen, wie McCone (1986: 241) zu Recht anmerkt. Wie dem auch sei, der Endungssatz ist jeweils derselbe, d.h. teilweise umgebaute urindogermanische mediale Sekundärendungen. Nebenbei ist noch zu bemerken, daß keine Notwendigkeit besteht, zur Erklärung einzelner Morpheme bzw. Allomorphe des mittelkymrischen Imperfekts außer dem uridg. Imperfekt medium noch weitere Kategorien (etwa den uridg. Optativ) heranzuziehen.
Archaische
205
Verbalformen
2.1 /-hed/ als ursprüngliches Suffix des Impersonale Imperf. Konj. Im Mittelbretonischen, das dem Mittelkymrischen eng verwandt ist, ist /-ed/ die impersonale Endung des Indikativ Imperfekt und /-hed/ die des Konditionals, der historisch ein Imperfekt zum Konjunktivstamm ist (Hemon 1975: 173). Im „klassischen" Mittelkymrisch hingegen lautet die übliche Impersonalendung des Indikativ Imperfekt /-id/ und die des Imperfekts zum Konjunktivstamm /-hid/ (GMW 115). Nur ganz am Rande findet sich in der Grammar of Middle Welsh auch eine Erwähnung, daß es beim Konjunktiv auch die Endung /-hed/ gibt (GMW 129). Dabei wird übersehen, daß im Buch von Aneirin /-hed/ als Konjunktivendung mehrfach vorkommt, /-hid/ aber kein einziges Mal (Isaac 1996: 159), und daß /-hed/ auch in anderen frühen Texten zu finden ist (s.u.). Es ist also durchaus möglich, anzunehmen, daß /-hed/ die ursprüngliche Endung des Konjunktivs war, die dann durch den Einfluß der im Imperfekt Indikativ vorherrschenden Endung /-id/ zu /-hid/ umgestaltet wurde. Für eine solche Umgestaltung gibt es plausible Handschrifitenbelege, wie im folgenden gezeigt werden kann. Nehmen wir zunächst einen Satz aus dem Buch von Aneirin: ket ryladeltf
hwy wy ladassant
(CA 45.1128) 7
.Obwohl sie erschlagen wurden, erschlugen sie'
rylade[t] wurde bis jetzt als Indikativform des Präteritums analysiert. Zwei Gründe sprechen dagegen: Erstens ist Konjunktiv in Konzessivsätzen, die mit kyt oder kyn .obwohl' eingeleitet werden, der Regelfall (GMW 235, vgl. GBG 118f.), zweitens ist als Impersonale des Präteritums von llad im mittelkymrischen Textkorpus - Dichtung ebenso wie Prosa - fast ausnahmslos die alte starke Form llas zu finden, und gerade in einem archaischen Textkorpus sollte sich nichts anderes als der offensichtliche Archaismus llas finden, auch wenn wir Raum für dichterische Freiheit lassen. Noch deutlicher ist dies sichtbar in einem Gedicht von Cynddelw: llas Hary vrodyr gwyr goruynt
,Großzügige Brüder, ehrgeizige Männer wurden
a ched Ilated Uatessynt (H 175.5-6)
und obwohl sie erschlagen wurden, hatten sie
erschlagen, erschlagen'
Hier steht llas ,wurde erschlagen', das sich über zehn weitere Male in diesem Gedicht findet, in deutlichem syntaktischem Gegensatz zu Ilated. Die Verteilung von llas und Ilated entspricht einer klaren Ratio: llas steht im Hauptsatz, Ilated in einem Nebensatz,
6
7
Es erscheint unproblematisch, die Verbalform mit zu ergänzen bzw. rylade hwy als Verschreibung von ryladet wy zu interpretieren (vgl. z.B. CA 326). Im folgenden wird aus Textausgaben nach dem Prinzip „Seitenzahl + Punkt + Zeilenzahl" zitiert (wenn eine Zeilenzählung von der Textausgabe vorgegeben ist, wird diese beibehalten). Bibliographische Angaben zu den Textausgaben siehe im ersten Teil der Bibliographie.
Stefan Schumacher
206
dessen Konjunktion Konjunktiv verlangt. 8 Weiters zeigt diese Zeile sehr deutlich, daß es so etwas wie eine frühe Dichtersprache des Kymrischen gegeben hat, daß also trotz nicht zu leugnender Unterschiede eine fortlaufende, ungebrochene Tradition von den frühmittelalterlichen Dichtern (den sogenannten Cynfeirdd) zu denen des Hochmittelalters (den sogenannten Gogynfeirdd) weiterlief, daß also Dichter wie Cynddelw die Werke ihrer Vorgänger kannten und darauf anspielen konnten. Einen Ersatz der alten Verbalfom finden wir hingegen in einer modernisierten und leicht veränderten Form dieser dichtersprachlichen Phrase im Schwarzen Buch von Carmarthen vor. Dort heißt es a chin riUethid ve. Uatysseint. (LIDC 49.27) ,und obwohl sie erschlagen wurden, hatten sie erschlagen'
In diesem Falle könnte man a chin statt mit ,und obwohl' auch mit ,und bevor' übersetzen, 9 was von Rowland (1990: 505), nicht aber von Lloyd-Jones (GBG 119) oder Jarman (LIDC 133 s.v. kin') in Betracht gezogen wird. In jedem Falle aber ist auch dieser Satz eine Variation über dasselbe Thema und deutet auf die Kontinuität der dichtersprachlichen Tradition hin. Wichtig ist, daß hier die Konjunktivform rillethid zu finden ist, eine Form, bei der das ursprüngliche Suffix /-hed/ (wie in rylade[t] bzw. Ilated) durch ein geneuertes /-hid/ ersetzt ist. Noch deutlicher ist der Ersatz der alten Endung /-hed/ durch /-hid/ in Kulhwch ac Olwen, wo die Konjunktivformen tynhet (CO 11.303) und cladhet (CO 13.347) des Weißen Buchs in der Fassung des Roten Buchs gegen tynnit bzw. cledit ausgetauscht sind, /-hed/ als Impersonalsuffix des Imperfekts des Konjunktivs kommt noch in weiteren frühen Texten vor: lladet in Llyfr Colan (L1C 16.1 und drei weitere Male), arched im Schwarzen Buch (LIDC 49.53), kyuarched, clywed, cared in der Hendregadredd-Handschrift (H 130.22, Η 268.26, Η 319.17), gofynnet in Peniarth 6 (WM2 p.220.25, rechte Seite) und kaffet sowie rannet in Brut Dingestow (BD 85.18, 190.28). Aus dem Gezeigten läßt sich schließen, daß die ursprüngliche Endung des Imperfekts des Konjunktivs /-hed/ war und die klassische mittelkymrische Endung /-hid/ eine Neuerung ist, die unter dem Einfluß der Endung /-id/ des Imperfekt Indikativ entstanden ist. Besonders deutlich wird das daran, daß jüngere Texte bzw. Handschriften /-hed/ durch /-hid/ ersetzen, was bei den zwei Versionen von Kulhwch ac Olwen unbestreibar ist (Weißes Buch /-hed/, Rotes Buch /-hid/) und bei der vorhin erwähnten dichterischen Phrase aus dem Buch von Aneirin bzw. dem Schwarzen Buch
Die Glossierung dieser Verbalform als Impersonale Präteritum in der neuen Ausgabe des Werkes von Cynddelw (GCBM II: 413) ignoriert, daß kytlked .obwohl' den Konjunktiv verlangt, und kann daher nicht korrekt sein. Das Allomorph kyn von kyt .obwohl' war ursprünglich nur vor der Negation ny(t) zu finden (GMW 235). Daneben gibt es auch noch ein etymologisch verschiedenes kyn(t) .bevor' (eigentlich der Komparativ von kynnar .früh'), das nicht immer leicht davon zu trennen ist.
207
Archaische Verbalformen
wahrscheinlich ist. Auch aus morphologischer Sicht spricht alles für /-hed/: Während der Indikativ Präsens und Imperfekt auch im Mittelkymrischen in verschiedenen Endungen noch Allomorphe als Reflexe verschiedener Stammklassen aufweist, weist der Konjunktiv keine Stammklassen auf, sondern geht auf das thematische Suffix *-ase/o-
zurück (McCone 1991: 98-104).
2.2 /-ed/ als Allomorph des Impersonale des Indikativ Imperfekt Weiters läßt sich nun fragen, ob es im frühen Mittelkymrischen nicht auch eine impersonale Imperfekt-Indikativendung /-ed/ neben /-id/ gibt. Es gibt gute Gründe, eine solche Endung zu postulieren. Während nämlich das Mittelkornische ein Suffix < -ys > hat, das auf dieselbe Vorform wie mittelkymrisch /-id/ zurückgeht, hat das Mittelbretonische die Endung /-ed/. Das archaische Kymrisch des Buches von Aneirin und anderer früher Texte könnte aber beide Formen nebeneinander bewahrt haben. 1 0 Nun kennen aber die Handbücher keine mittelkymrische Imperfektendung /-ed/; es gibt aber im Buch von Aneirin und im Buch von Taliesin Verbalformen auf /-ed/, deren Kontext nur eine Interpretation als Imperfektformen zuläßt. Die entsprechenden Formen im Buch von Aneirin finden sich im Gedicht B.34 nach Jackson (CA CI, ZI. 1221-36 nach Williams), einer Elegie, in der die Heldentaten eines bereits toten Kriegers namens Edar beschrieben werden. Dieses Gedicht wird hier mit den von Williams und Isaac vorgeschlagenen Emendationen angeführt; Zeileneinteilung und Einrückungen richten sich nach Williams, Verbalformen sind von mir fett gesetzt. Die Übersetzung, die weniger auf stilistische Schönheit als vielmehr auf linguistische Exaktheit zielt, stammt von mir, wobei in Klammern gesetzte Wörter alternative Übersetzungsmöglichkeiten andeuten." 1221
Guelet e lauanaur en liwet in ciuamuin gal galet rac goduryfy aessaur godechet techin rac eidin vre [eujriuet
1225
10
11
meint α gaffeflifllau nyt atcoryei ohanau
.Man sah (konnte) seine Klingen in der Schar (sehen), kämpfend (im Kampf) mit einem harten Feind. Vor dem Lärm seiner Schilde pflegte man zu fliehen, sie pflegten zahllos zu fliehen vor dem Hügel von Edinburgh. So viele, wie seine Hand zu erfassen pflegte, keiner davon pflegte zurückzukehren.
Auch die altirische Passivendung des Imperfekts von Klasse BI nach Thumeysen, -the (GOI 371f.), geht auf ein strukturell ähnliches -e-tV- zurück (vgl. Ml 73c4 du-m immaircthe-se gl. coartabar). Bezüglich anderer Übersetzungen verweise ich vor allem auf Jackson (1969), Jarman (1990), Isaac (1996) und die Anmerkungen von CA. Alle Stellen, wo die hier gegebenen Übersetzungen von der Tradition wesentlich und nicht nur stilistisch abweichen, werden im folgenden diskutiert werden.
Stefan
208 cuir oed arnav ac [t]anet cindynnyauc calc drei pan grinie[t] griniei 1230
1235
nit at wanei ri guanei ri guanet oed menych guedy cwyn i escar i cimluin oed guenguin hiftt Jaraitet12 a chin i olo atan titguet daiar dirlishei etar i[]ued iuet
Schumacher
Wachs war darauf (auf ihm) und Feuer, unnachgiebig, mit zerschmettertem Schild. (Jedesmal) wenn man ihn bedrängte, pflegte er zu bedrängen, er pflegte nicht zweimal zuzuschlagen, er pflegte zu schlagen (verwunden), er pflegte geschlagen (verwundet) zu werden. Überreich war nach dem Fest für den Feind sein Geschenk und bevor er unter den Schollen der Erde begraben wurde, pflegte Edar sein Mettrinken zu verdienen.'
An den hervorgehobenen Verbalformen ist abzulesen, daß es sich großteils um Formen des Indikativ Imperfekt handelt, wie dies auch angemessen ist für einen Text, der das beschreibt, was ein nunmehr toter Krieger in der Vergangenheit wiederholt oder gewohnheitsmäßig tat. Besonderes Augenmerk möchte ich nun auf die Zeilen 1230 und 1231 richten: nit at wanei
,er pflegte nicht zweimal zuzuschlagen,
ri guanei ri guanet
er pflegte zu schlagen (verwunden), er pflegte geschlagen (verwundet) zu werden.'
Hier wird dreimal der Verbalstamm gwan-13 angeführt, einmal als Kompositum, zweimal als mit ry erweitertes Simplex. Die drei Formen sind asyndetisch aneinandergereiht, wobei ri guanet in Zeile 1231 direkt auf ri guanei folgt. Der unmittelbare wie der weitere Kontext legt daher nahe, daß sowohl ri guanei als auch ri guanet Imperfektformen sind, und tatsächlich trifft eine Übersetzung wie die obige, die dem Rechnung trägt, auf keine Schwierigkeiten, im Gegenteil, sie ist in diesem Text, der offensichtlich wiederholte Handlungen in der Vergangenheit beschreibt, vorzuziehen. Das grammatikalisierte Präverb ry (= air. ro) scheint beim Imperfekt Iterativität zu unterstützen (GMW 168). Daß dieser Text bisher nicht so übersetzt wurde, liegt im wesentlichen daran, daß niemand daran dachte, daß die Endung /-ed/ auch eine Imperfektendung sein könnte. Wie aber oben gezeigt werden konnte, geht aus dem Sprachvergleich mit dem Bretonischen und dem Altirischen hervor, daß das Urbritannische eine Imperfekt-Passivendung *-e-tV- als eines von mehreren Allomorphen gehabt hat, und somit kann kein prinzipieller Einwand gegen die Annahme gemacht werden, daß genau diese Endung in einem frühen Text noch erhalten ist, wo sie durch den Reim gestützt bzw. erforderlich gemacht wird.
12
13
Der von Isaac für diese Zeile angekündigte Übersetzungsvorschlag (vgl. Isaac 1996: 292, 452) war mir leider noch nicht zugänglich. Zur Semantik des Verbums gwan siehe unten 3.
Archaische
209
Verbalformen
Aber auch schon in den Zeilen 1223 und 1224 ist eine mutmaßliche Imperfektform auf /-ed/ zu finden: rac goduryfy aessaur godechet techin rac eidin vre [eujriuet
,Vor dem Lärm seiner Schilde pflegte man zu fliehen, sie pflegten zahllos zu fliehen vor dem Hügel von Edinburgh.'
Auch hier gilt das gerade gesagte. Das Simplex techin unmittelbar
vorhergehende
godechet
bezogen, ganz ähnlich wie ri guanei
(Impersonale ri guanet.
(3.PI. Imperfekt) und das
Imperfekt)
sind
aufeinander
Ein Tempuswechsel in asyndetisch
aufeinanderfolgenden Sätzen, die in inhaltlichem Zusammenhang stehen und das etymologisch gleiche Verbum verwenden, ist unwahrscheinlich, zumal sich weder die eine noch die andere Zeile auf ein einzelnes konkretes Ereignis zu beziehen scheint. Schwierig zu fassen ist lediglich das Tempus der ersten Zeile, wie schon oben in der Übersetzung angedeutet: Guelet e lauanaur en liwet ,Man sah (konnte) seine Klingen in der Schar (sehen).' Wenn man hier den Kontext außer Betracht läßt, würde man dazu neigen, guelet Impersonale des Präteritums zu interpretieren, ist ja doch gwelet
als
,sehen' eines jener
Verben, das sein Präteritum Impersonale regelmäßig mit -et (oder -at) bildet, so auch in CA 34.839 bzw. der Parallelstelle C A 34.852. Wenn man aber den Kontext in Betracht zieht, d.h. wenn man sich vor Augen fuhrt, daß diese Verbalform zu Beginn eines Gedichts steht, in dem sämtliche weiteren Verbalformen im Imperfekt stehen und wiederholte Handlungen in der Vergangenheit beschreiben, so muß man doch ernsthaft in Erwägung ziehen, ob nicht guelet
ebenfalls eine Imperfektform sein könnte. Im
obigen Text ist daher die Alternative ,man konnte sehen' angeboten, im Einklang mit der Tatsache, daß das Imperfekt von gwelet
die Möglichkeit der
Wahrnehmung
bezeichnet ( G M W 110). Weitere Evidenz für eine impersonale Imperfektendung auf /-ed/ findet sich im Buch von Taliesin, in dem etwas schwerverständlichen Gedicht, das sich wohl am besten als Marwnad
Cunedda bezeichnen läßt (T 69.9-70.16). Der Einfachheit halber
(und wegen der leichteren Zugänglichkeit) wird dieses Gedicht hier gemäß der Edition und Zeileneinteilung durch J . E . Caerwyn Williams (1978) zitiert. In dieser Elegie wird Cunedda,
ein König der heroischen Vorzeit, betrauert. Zeilen 20-23 (gemäß der
Zählung von Caerwyn Williams) lauten folgendermaßen: 20
ywyneb a gatwet kanweith cyn bu lleith yndorglwyt dychludent wyr bryneich ympymlwyt. Ef canet racyofyn ae arswyt oergerdet. kyn bu dayr dogyn ydwet.
210
Stefan
Schumacher
Obwohl dieser Text besondere Schwierigkeiten bereitet, ist der unmittelbare Kontext der beiden Verbalformen, um die es hier geht, klar genug, um weitere Aussagen zuzulassen. 14 Beginnen wir mit Zeile 20. Die erste Hälfte dieser Zeile lautet ywyneb a gatwet kanweith, was sich folgendermaßen übersetzen läßt: .Seine Ehre (wörtlich ,sein Gesicht') pflegte hundertfach gewahrt zu werden.' Auch eine Übersetzung von Zeile 22 ist möglich: Unklar ist an dieser Zeile nur oergerdet, dessen Semantik schwer festzumachen ist. Nach Caerwyn Williams (1978: 224f.) ist hier entweder kerd ,Lied, etc.' enthalten oder der Stamm bzw. das Verbalnomen des Verbums kerdet .gehen, etc.' er schlägt daher vor, entweder .Wehgesänge' (caneuon ο wae) oder .trauriger Gang der Dinge' (trist helynt) zu übersetzen. Das ef schließlich ist ein zu einer satzeinleitenden Partikel verblaßtes Pronomen (vgl. GMW 172, GPC 1170). Eine Übersetzung lautet daher: ,Man pflegte aus Angst und Ehrfurcht vor ihm Wehgesänge (bzw. ,den traurigen Gang der Dinge') zu (be)singen.' Wiederum gilt das oben gesagte: dieser Text beschreibt, was zu Lebzeiten Cuneddas zu geschehen pflegte (besonders in der zweiten Hälfte ab ZI.33), und daher sind Imperfektformen naheliegend. Schließlich kommt eine eindeutige Imperfektform kadwet in einem ähnlichen Text vor, in der Elegie des Dichters Gruffudd ab yr Ynad Coch auf den gewaltsamen Tod des letzten Fürsten Llywelyn ap Gruffudd im Jahre 1282 (R 1417f.): Pob gwann pob kadarn kadwet oe law (R 1418.17-18) .Jeder Schwache, jeder Starke pflegte von seiner Hand beschützt zu werden.'
Ein kurzer Blick auf den Kontext zeigt, daß der Dichter hier die - imaginierten friedlichen Zustände zu Lebzeiten Llywelyns (im Imperfekt beschrieben) in Kontrast setzt mit der augenblicklich ablaufenden Eroberung und Verwüstung des Landes durch die Engländer (Präsens von bot + Verbalnomen). Die Form kadwet muß daher ein Imperfekt sein, wie die übrigen Verbalformen, die parallel dazu stehen, und kann keine altertümliche Schreibweise für /kaduid/, eine denkbare Form des Impersonale des Präteritums, sein.' 5 Eigenartig ist freilich, daß ein Dichter im späten 13. Jahrhundert eine derart archaische Form verwenden konnte. Vielleicht handelt es sich um eine bewußte Anspielung des Dichters auf Marwnad Cunedda, denn es wäre passend genug, in einer pathetisch überhöhten Elegie auf einen im Kampf gegen die Engländer gefallenen Fürsten auf einen mythischen Helden der Vorzeit bezug zu nehmen. Wie dem auch sei, die Verwendung der altertümlichen Imperfektform kadwet
14
15
Wie die zweite Hälfte von Zeile 20 sowie die Zeilen 21 und 23 zu übersetzen sind, ist weniger klar, beeinträchtigt aber nicht die hier gegebene Übersetzung von 22 und der ersten Hälfte von Zeile 20. kadwet wird von Andrews (1996: 427) als cynhaliwyd übersetzt und auf S.501 explizit als Impersonale des Präteritums bezeichnet. Dies ignoriert allerdings vollkommen den hier skizzierten Kontext und kann daher nicht korrekt sein.
211
Archaische Verbalformen
weist auf die offensichtliche Kenntnis alter Texte und die dadurch gegebene Kontinuität der Dichtersprache. Eine Imperfektendung gewöhnlich Claf Abercuawg 15c
/-ed/
findet sich auch
in dem frühen Gedicht,
das
genannt wird (Rowland 1990: 450):
α gfajret ymabolaeth , was man in der Kindheit liebtecarwn bei kqffwn etwaeth. es wäre mir lieb, wenn ich es wieder erlangte.'
Zugegebenermaßen findet sich die Lesart α garet
nur als Verbesserung in der
Handschrift N L W 4973b, die von der Hand des Antiquars Dr. John Davies stammt, und es ist unklar, ob Davies die Form aus einer nicht erhaltenen Handschrift bezog oder ob es eine von ihm selbst gefundene Emendation ist (Rowland 1990: 621). Rowland neigt dazu, ersteres anzunehmen,
aber selbst wenn Davies den Text
emendiert haben sollte, so wäre es doch wahrscheinlich, daß er mit seinen großen philologischen Kenntnissen und seiner Fähigkeit, mit mittelalterlichem Textmaterial kritisch und analytisch umzugehen, das richtige getroffen hat. Zuletzt sei noch darauf hingewiesen,
daß die Existenz einer
impersonalen
Imperfektendung /-ed/ schon seit langer Zeit bekannt sein sollte: in der Einleitung zu seiner Ausgabe von Brut Dingestow
wies Henry Lewis darauf hin, daß in diesem Text
mehrfach ein impersonales Imperfekt oedet ,man war' unzweifelhaft belegt ist (BD xlvi). Dies wurde leider nie rezipiert, wohl auch deswegen, weil es keine Erwähnung in Simon Evans' Grammatik fand, die bald nach ihrer Veröffentlichung zu einem Standardhandbuch wurde. 1 6 Auch in Peniarth 14 findet sich oedet, wie Ingo Mittendorf zeigen wird. Abschließend läßt sich also mit Bestimmtheit feststellen, daß das Kymrische ursprünglich nicht nur die impersonale Imperfektendung /-id/, sondern in /-ed/ auch ein Allomorph dazu hatte.
3
Exkurs: m i t t e l k y m r i s c h gwan,
altirisch gonaid,
goin
Es ist hier für das Verständnis des vorigen wie des folgenden notwendig, einen kleinen Exkurs über das Verbum gwan
einzufügen. Seit Warren Cowgills meisterlichem
Aufsatz (1980) kann kein Zweifel mehr daran bestehen, daß mittelkymrisch gwan und altirisch gonaid,
goin nicht nur miteinander verwandt sind, sondern ferner auch auf
urkeltisch *g'an-e/o-
zurückgehen. Dieses *g"an-e/o-
germanische Wurzelpräsens 3.Sg.
*g*hen-ti,
3.PI.
wiederum geht auf das urindo*g"hn-inti
zurück,
wobei im
Keltischen die Schwundstufe (im besonderen die silbische Form der Schwundstufe der
16
Dies ist weniger als Kritik am Autor zu verstehen als vielmehr eine an unkritischen Benutzern: auch Standardwerke können irren oder unvollständig sein (sie erheben jedenfalls selten den Anspruch, es nicht zu tun), und es liegt am selbständig denkenden Benutzer, dies im Auge zu behalten.
Stefan
212
Schumacher
1./2.P1.) verallgemeinert und thematisiert worden ist (vgl. Watkins 1962: 141-143, McCone 1986: 228). Die Semantik des grundsprachlichen Verbums (IEW 491-493) kann am besten als .Schläge bzw. Stöße versetzen' paraphrasiert werden; für das folgende ist hier wichtig, daß die ursprüngliche Wurzelbedeutung nicht in allen Fällen ,töten' impliziert haben kann, dies aber keineswegs ausschloß - vielmehr ist dies vom Kontext abhängig. Dies wird auch von Garcia-Ramon vertreten, der die Wurzelbedeutung als .durativ' definiert. 17 Auch im Baltischen (lit. genu ,ich treibe'), Slavischen (aksl. zenp ,ich treibe') und Lateinischen ( d e f e n d o , -ere .abwehren, verteidigen') scheint die Grundbedeutung .schlagen' zu sein (vgl. Meiser 1993: 311). Im Altirischen ist die Bedeutung vom Kontext abhängig, was die Herausgeber des Dictionary
of the Irish Language
veranlaßt hat, als Bedeutung folgendes anzugeben:
„pierces, wounds passing into sense kills (the precise meaning is not always easily ascertained)" (DIL 368/G-135.42f.). Bemerkenswert ist auch der unter diesem Lemma angeführte Satz tan nangonta
i cath comthrom (ZcP 8, 1887: 217 §8), der glossiert
wird als ,when he used to be wounded in fair fight' - dieser Satz zeigt, daß das altirische Verbum in der Bedeutung „verwunden" (jedenfalls nicht „töten") durchaus iterativ im Imperfekt verwendet werden konnte, was die obige Übersetzung von ή guanei
ri guanet
als ,er pflegte zu schlagen (bzw. zu verwunden), er pflegte
geschlagen (bzw. verwundet) zu werden' umso wahrscheinlicher macht. Nebenbei bemerkt, beruht es auf einem Mißverständnis, daß gonaid als schwache Verbalform interpretiert wurde (GOI 336): wie Greene (1973: 131) gezeigt hat, wurde im Uririschen ein Konsonant in der Stellung zwischen /a/ und /e/ nicht palatalisiert; 18 wohl aber trat später bei der Apokope Palatalisierung ein, wenn die apokopierte Silbe /e/ oder /i/ enthielt (a.a.O. 132f.), weswegen das Paar absolut gonaid - konjunkt •goin lautgesetzlich ist (
urbrit. *urag-e-/*ureg-o-, vgl. Schrijver 1995: 138-142): -j-Konjunktiv 3.Sg. gwnech (z.B. Τ 37.18), -r-Präteritum 3.Sg. gwnaeth (passim), älter gwrith (T 26.18, s.u. 6.). 28
29
Die Form dydwyth, die Watkins ebenfalls angibt, ist wohl keine Verbalform, sondern ein Adjektiv dydwyth .grievous, profound, intense' (GPC 1119), was auch von Haycock (Brief vom 13.5. 1997) angenommen wird. Vgl. im wesentlichen Lindeman 1980. Eine morphologische Erklärung ist der phonologischen Erklärung von Schrijver (1995: 156f.) vorzuziehen.
Archaische
Verbalformen
221
suppletive Präteritum von gwneuthur, zu dem ein sekundäres -f-Präteritum gorwyth existiert (zwei Belege: Τ 41.11 sowie Τ 62.10 = Williams 1968: 9.49, 92). Leider hat goruc keine befriedigende Etymologie. 4.6 Zum Abschluß dieses Kapitels sei noch eine Hypothese angerissen, die einen zusätzlichen Grund liefert, weswegen die aktiven -f-Präterita cant und gwant entstanden: Im Britannischen scheint eine generelle Dereduplikation urkeltisch reduplizierter Formen stattgefunden zu haben,30 was sich vor allem an der eben erwähnten Form mky. due .führte, brachte' (auch mkorn. duk .dass.') exemplifizieren läßt,3' einer Form, die auf *du-douk-e zurückgehen muß. Im Altirischen sind ehemalige Perfekta von -u- und -i-Diphthong-Wurzeln regelmäßig redupliziert (vgl. GOI 425), ein Zustand, der sowohl mit den Verhältnissen des Indoiranischen und des Griechischen als auch mit der heutigen Sicht des urindogermanischen Perfekts übereinstimmt und altererbt sein muß. Unreduplizierte Bildungen, die auf alte Perfekta zurückgehen, müssen daher Neuerungen sein, vor allem dann, wenn sie im Altirischen nicht auftreten. Nimmt man nun an, daß im Urbritannischen Dereduplikation eingetreten ist, so muß 3.Sg. Prät. *ke-kan-e zu *kan-e und *ue-uon-e zu *uon-e vereinfacht worden sein. Nach der Apokope wäre eine 3.Sg. Präteritum *kan nicht mehr von der konjunkten 3.Sg. Präsens unterscheidbar gewesen, und eine Form, die *uon-e fortsetzt, wäre zumindest in Lenis-Position zu *uan und somit von der konjunkten 3.Sg. Präsens ununterscheidbar geworden (vgl Schrijver 1995: 123-130). Ein solcher Zusammenfall motiviert daher zweifellos eine Neubildung des aktiven Präteritums. Bemerkenswert ist, daß eine solche Neubildung nach der Apokope noch auf der Basis des passiven Präteritums (d.h. prinzipiell nach Flexionsmustern starker Verben) durchgeführt wird. Diese Erklärung ist vorläufig und muß noch ausgebaut werden, und ich hoffe, an anderer Stelle darauf zurückzukommen.
5
Der Ursprung des Suffixes /-auö/ der 3.Singular Präteritum
Neben den schwachen Allomorphen der 3.Sg. Prät. des Mittelkymrischen, die alle die Struktur -Vj haben und auf schwache -ί-Präterita zurückgehen, gibt es ein Allomorph /-auö/, das den Eindruck eines Fremdkörpers macht. Es besteht nur Einigkeit darüber, daß diese Endung von starken Präteritalformen abgeleitet ist, nicht aber, von welchen Formen. Pedersen neigte ursprünglich zu der Meinung, daß lladawd .(er)schlug', das aus *llawd umgebaut worden sei, ein möglicher Ausgangspunkt für die Verbreitung von /-auö/ gewesen sein könnte (VKG II: 380). In der Concise comparative Celtic
30
31
Dereduplikation wurde zuallererst von Lindeman (BBCS 31, 1984: 95 Anm.l) im Zusammenhang mit amuc vorgeschlagen. Aber auch in am-uc .kämpfte' (s.o.) und in dyor-lluc (H 260.14) .griff an (o.ä.)' von der Wz. *leuk- (IEW 687-689) - bezüglich der Bedeutung des letzteren vgl. das einfachere Kompositum gorllygaf .ich erwarte' sowie gr. leussö .anblicken, erblicken'.
222
Stefan
Schumacher
grammar gab er diese Überlegung auf, wohl unter dem Einfluß seines Koautors Henry Lewis (CCCG 300). Stattdessen wird der Ausgangspunkt in Formen wie 3.Sg. Prät. gordiwedawd (z.B. RM 79.28 im Roten Buch) .überholte' gesucht, einer Form, die aus älterem gordiwawd (PKM 91.6, der Parallelstelle aus dem Weißen Buch) unter dem Einfluß der schwachen l.Sg. Prät. gordiwedeis umgebaut worden sei. Diese Erklärung hat aber zumindest den schwachen Punkt, daß das Verbum .überholen' nicht häufig gebraucht wird, was die ironische Bemerkung nach sich gezogen hat, die Waliser hätten einander im Mittelalter wohl ständig überholt. Bemerkenswert ist auch die Hypothese von Arwyn Watkins (1986), der den Ursprung von /-auö/ in dem Zitierverbum amkawd .sagte' finden wollte. Vor kurzem hat Isaac (1996: 337-339) Pedersens Vorschlag wieder aktualisiert, unter dem Eindruck der Tatsache, daß das Präteritum lladawd im Buch von Aneirin dreimal vorkommt, daneben aber nur eine einzige weitere Form auf -awd (dhisgynnyawd in CA 57.1477) aufscheint. Dem ist folgendes hinzuzufügen: Eine Durchsicht der großen dichterischen Handschriften (A, C, H, R, T) mit Hilfe von Mikrofiche-Konkordanzen hat gezeigt, daß dort als 3.Sg. Prät. von llad auschließlich lladawd belegt ist. Weiters hat eine genaue Durchsicht der narrativen Texte Kulhwch (CO), Pedeir Keine y Mabinogi (PKM sowie Mühlhausen/Zimmer 1988), Peredur (Goetinck 1976 sowie Peniarth 7 in WM 2 p.291-312 32 ), Chwedleu Seith Doethon Rufein (H. Lewis 1925), der historischen Texte Historia Gruffud (HGK) und Brut Dingestow (BD) und der Gesetzestexte LIB, WML, L1C sowie des Schwarzen Buchs von Chirk (Τ. Lewis 1936) ergeben, daß auch dort nur lladawd belegt ist. Weiters entnehme ich der Arbeit von Peter Busse (1996), daß auch in den Triaden (aus Peniarth 16, dem Weißen und dem Roten Buch, alle in TYP), in Owein (Thomson 1968), Gereint uab Erbin (WM2 p. 193-226, p.254, p.283285), Brut y Brenhinedd (Roberts 1971), Brut y Tywysogyon (T. Jones 1955), Brenhinedd y Saeson (Th. Jones 1971), Ystorya Bown de Hamtwn (YBH) und Llyfr Agkyr Llanddewivrewi (L1A) nur lladawd zu finden ist (aufgeführt sind hier nur die Texte, die tatsächlich die 3.Sg. Prät. von llad enthalten). Aus dieser Liste, die einen Großteil des mittelkymrischen Literaturkorpus und insbesondere alle altertümlichen Textkorpora bzw. frühen Handschriften umfaßt, können wir mit gutem Gewissen schließen, daß es von llad nur die 3.Sg. Prät. lladawd gibt. Ähnlich formuliert dies Simon Evans: „ni ddigwydd lladw\y]s, (yma, nac yn unlle arall, hyd y gwn i)" (HGK ccxcix) „lladw\y]s kommt nicht vor (hier nicht [d.h. in Historia Gruffud vab Kenan] und auch nirgendwo sonst, soweit ich weiß)". Die einzige abweichende Form, die tatsächlich belegt ist, ist 3.Sg. abs. lledessit (CA 9.216), eine dichterische Form, die nach einem - in frühen poetischen Texten - produktiven Muster gebildet ist. Angesichts der Seltenheit von -awd in frühen Texten33 macht das häufige Vorkommen von lladawd sowie das völlige Fehlen der zu erwartenden Form **lladwys (bzw. der
32 33
Die Durchsicht dieses Textes hat meine Kollegin Caroline aan de Wiel besorgt. Aus Busses Arbeit wird deutlicher als zuvor sichtbar, daß /-auö/ sich im Laufe der Zeit ausbreitet, obwohl es in den frühesten Texten fast nur bei llad zu finden ist.
Archaische
223
Verbalformen
denkbaren Formen **lledis
oder **llades)
tatsächlich stutzig, und der Schluß ist
zwingend, daß lladawd alt ist und daß darin der Ausgangspunkt des M o r p h e m s /-auö/ zu suchen ist. Wieder einmal kann die moderne Forschung Pedersen, der aufgrund der zu seiner Zeit schlechten philologischen Grundlagen nur mutmaßen konnte, nur recht geben. Die Vorgeschichte von lladawd
lautet folgendermaßen: Das urkeltische Verbum
läßt sich am besten als *slad-ie/o-M
rekonstruieren und als jod-Präsens
laryngalhaltigen Wurzel (d.h. *slHd /au/ sollte sich eine solche Form lautgesetzlich zu aky. *laud (/lauö/) weiterentwickeln. Diese Form *laud muß kurz darauf unter starken paradigmatischen Druck geraten sein, denn es scheint, daß von starken Präteritalformen schon früh nur mehr die 3.Sg. erhalten blieb, während die übrigen Formen durch schwache -ί-Präteritum-Formen ersetzt wurden. So blieb
34
35
Der beste Beweis für ein jod-Suffix ist in abret. anlaedam gl. ingredior (DVB I: 66) zu finden. Diese Form war bis jetzt nicht sicher bestimmt, läßt sich aber am besten als l.Sg. Präs. Ind. eines Kompositums von *slad-ie/o- verstehen. Der Diphthong der altbretonischen Form ist somit ein Reflex des jod-Suffixes (vgl. Schrijver 1995: 317f.), während andere Formen der britannischen Sprachen mit /a/ in der Wurzelsilbe auf der Basis des Verbalnomens *l:ad < *sladjfi gebildet sind (etwa mky. lladafmm Verbalnomen llad , vgl. Schrijver 1995: 261). Die irischen Formen sind bezüglich der Präsensstammbildung (einfach thematisches oder jod-Suffix) wenig aussagekräftig, da sie alle spät belegt sind. Schrijver ist hier m.E. unnötig zögerlich.
Stefan Schumacher
224
zum Beispiel von dem starken (d.h. ablautenden) Präteritum von dywedut die 3.Sg. dywawt
.sagen' nur
erhalten, während alle anderen Personen bereits ein schwaches
-s-Präteritum aufweisen (d.h. 1 .Sg. dywedeis,
2.Sg. dywedeist
etc.). 3 6 Wir können also
auf Pedersens Erklärungsmodell zurückgreifen und folgendes Paradigma rekonstruieren:
l.Sg. 2.Sg. 3.Sg. 1.P1. 2. PI. 3. PI.
*ledeis * ledeist *laud *ladassam *ladassauch *ladassant
In einem solchen Paradigma konnte eine Form *laud naturgemäß leicht unter Druck geraten und zu *ladaud umgebaut werden. Es ist freilich eigenartig, daß die hier postulierte Form *laud
schon so früh
umgebaut worden sein muß, daß sie selbst im Schrifttum nicht belegt ist. Dies steht im deutlichen Gegensatz zum Verhalten der -ä-Präterita: Wie aus den Erhebungen unseres Verbalprojekts hervorgeht, sind die *Cä7"-Präterita der urkeltischen *Ce7"-Wurzeln *ued- . f ü h r e n ' , *ret- .laufen' und *uet- .sagen' - w i t gordiwawd .überholte', gwarawt
(z.B. P K M 91.6)
(z.B. Τ 41.14) .rettete' - mehrfach und in verschiedenen
Komposita belegt, und die Belege von dywawt
.sagte' gehen in die Hunderte. Man
kann nicht damit argumentieren, daß eine Ablautbeziehung /e/ : /au/ einfacher wäre als die Ablautbeziehung /a/ : /au/. Es läßt sich zum jetzigen Zeitpunkt nur deskriptiv feststellen, daß für die wenigen im Kymrischen erhaltenen ablautenden Präterita keine allgemeinen Regeln aufgestellt werden können. So unterscheiden sich die -ä-Präterita wie dywawt
von den (ablautenden und ehemals reduplizierten) Präterita due .führte,
brachte' und amuc .kämpfte' dadurch, daß bei den ersteren nur die 3.Sg. Präteritum erhalten blieb, während die letzteren stark, d.h. gleich wie das Präteritum von bot ,sein' flektieren (z.B. 3.PI. amugant
in Τ 44.12). Dennoch bleibt es ein Faktum, daß
im gesamten mittelalterlichen Schrifttum keine andere Form als lladawd zu fmden ist, diese daher alt ist und nur auf eine starke Verbalform zurückgeführt werden kann. Trotz mangelnder Parallelen bleibt also das obige Erklärungsmodell das einzig gangbare.
36
Freilich weist der älteste kymrische Text, das Surewi-Memorandum, eine 3.PI. imguodant auf, die vermutlich als .sie baten einander' zu interpretieren ist (Wz. *g"hed'-, vgl. air. gäid zu guidid, Jenkins/Owen 1984: 101) und in jedem Falle eine 3.PI. eines -ä-Präteritums einer *CeT-Wurzel ist; imguodant erweist somit, daß von *Ce7"-Wurzeln mit -d-Präteritum im frühen Altkymrischen nicht nur die 3.Sg. erhalten war, sondern zumindest auch die 3.PI. Der teilweise Ersatz von starken Präteritalformen durch schwache ist also entweder jünger als das Sufexif-Memorandum, oder - was wahrscheinlicher ist - das Präteritum von *slad-ie/o- hat sich anders entwickelt.
225
Archaische Verbalformen Das Erklärungsmodell von Pedersen und Lewis, das besagt, daß gordiwawd dem Einfluß der l . S g . zu gordiwedawd scheitert aber daran, daß gordiwedawd
unter
umgebildet wurde, ist an sich plausibel,
erst im Roten Buch, einer Handschrift aus der
zweiten Hälfte des 14.Jahrhunderts, auftritt (und daß sich die starke F o r m
gordiwawd
noch in der Parallelstelle aus dem etwas älteren Weißen Buch findet), während lladawd
bereits
im Schwarzen
Buch
wie im Buch
von Aneirin belegt
sind,
Handschriften, die sowohl physisch älter sind als auch älteres, meist frühmittelalterliches Schrifttum enthalten. Mit anderen Worten, zu dem Zeitpunkt, als gordiwawd gordiwedawd
der 3.Sg. Prät. lladawd, konnte.
Die
zu
umgebaut wurde, existierte bereits seit langer Zeit ein Modell in Form von der ein „Suffix" -awd mühelos abstrahiert werden
F o r m gordiwedawd
ist a l s o
nicht der
Ausgangspunkt
eines
Sekundärsuffixes, was sich auch daran ablesen läßt, daß sie erst in der Version der Vier Zweige im Roten Buch (RM 29.17, 147.9, 79.28, RB 95.11) zu finden ist, während schon die Rezension des Weißen Buchs der vier Zweige zahlreiche F o r m e n mit Suffix -awd
aufweist,
wie aus Busses Arbeit (1996) deutlich
hervorgeht.
Außerdem hat die hier vorgelegte Hypothese noch den weiteren Vorteil, daß die Verbalform lladawd
.tötete' bzw. die ihm zugrundeliegenden Tatsachen, Krieg bzw.
Mord und Totschlag, im früh- und hochmittelalterlichen Wales leider nur allzuhäufig vorkamen und daher auch in der gesprochenen Sprache eine relativ hohe Frequenz gehabt haben können, anders als eine Verbalform .überholte'. Hier sei noch ein Wort gesagt zu Arwyn Watkins' Hypothese (Watkins 1986), das Suffix -awd sei durch falsche Abtrennung aus dem Zitierverbum amkawd37 entstanden, das zwar nur in der Version von Kulhwch
.sagte'
aus dem Weißen
Buch
vorkommt (am keud im Buch von Taliesin (T 41.14) ist unklar), aber zweifellos in einer frühen Periode häufig war (Watkins vergleicht das englische Zitierverbum quoth).
Attraktiv an dieser Hypothese ist, daß ein Zitierverbum naturgemäß eine hohe
Frequenz hat. Dagegen spricht jedoch, daß eine Metanalyse von amkawd
als Stamm
amk- ( ! ) + Suffix -awd nicht sehr wahrscheinlich ist, zumal am- ein häufiges Präverb ist und daher kaum als zu einem Verbalstamm gehörig uminterpretiert
werden
konnte. 3 8
37
38
Phonologisch /amgauö/? Eine mögliche Etymologie siehe bei Schrijver 1995: 98f. Im folgenden wird dieses Verbum als < amkawd > zitiert, ich weise aber ausdrücklich darauf hin, daß es unklar ist, wofür das < k > steht. Schwieriger zu beurteilen sind die Fälle, wo sich amkeudawt (genauer gesagt < amkeuda6t>) geschrieben findet. Watkins argumentiert damit, daß amkeudawt aus amkawd umgeformt sei - das von amkawd abstrahierte und falsch abgetrennte „Suffix" -awd sei an den Verbalstamm wieder angefügt worden, der seinen Vokalismus dabei gleich wie bei der Anfügung der Pluralendung verändert habe. Er stellt damit die übliche Hypothese in Frage, die besagt, daß amkeudawt als 3.PI. zu verstehen sei und die fehlerhafte Modernisierung eines (oder l) einer früheren Handschrift darstelle, deren für < u > gehalten wurde und mit modernisiert wurde, wie schon Morris Jones (WG 378) vorgeschlagen hat. Freilich muß auch Watkins konzedieren, daß amkeudawt den ersten beiden Fällen, wo es vorkommt (WM2 473.1-2 und 477.6), zu amkeudant emendiert werden muß,
226
Stefan Schumacher
Zuletzt erhebt sich der Einwand, ein Suffix könne nicht von einer einzigen Verbalform ausgegangen sein. Dies scheint tatsächlich etwas irritierend, hat aber eine gute Parallele
im modernen
gesprochenen
Kymrisch.
Bekanntlich
besitzt
das
Präsens/Futur der modernen gesprochenen Sprache ein Morphem -iff der 3.Sg. (P.W. Thomas 1996: 47, Thorne 1993: 234f., King 1992: 188). Dieses Morphem kann nur aus einem einzigen Paradigma abstrahiert sein,
nämlich dem von
cael/caffael
.erhalten, kriegen, etc.', dessen Präsens/Futur-Paradigma auf zwei etymologisch verschiedenen Stammallomorphen *ca- und *caff- (nur 3.Sg.) aufbaut: l . S g . caf, 2.Sg. cei, 3.Sg. caiff, 1 .PI. cawn etc. Die 3.Sg. caiff, die diachron eine Form des Stammes caff- mit Nullsuffix und Umlaut ist, wurde in der Folge als ca- + Suffix -iff analysiert (analog zu caf < ca- + -af, cei < ca- ( + Umlaut) + -i etc.). In der Folge konnte -iff auf andere Verba übertragen werden. Die Genese und Ausbreitung von -iff ist (pace Morris Jones, WG 323) unumstritten und wurde schon von Dr. John Davies in seiner
denn eine 3.Sg. ist an diesen Stellen ausgeschlossen (durchgestrichenes und durch amkeudawt ersetztes amkawd in WM2 477.6 weist wohl auf eine momentane Nachlässigkeit des Schreibers, der vorher schon 26mal einen mit amkawd eingeleiteten Satz geschrieben hatte, aber erst ein einziges Mal einen mit amkeudawt eingeleiteten). Auch in WM2 478.29 stellt die Emendation von amkeudawt zu amkeudant den korrekten Sinn her, wie die Herausgeber von Kulhwch gezeigt haben. Watkins' Argument, daß der Text verderbt sei und (sprachwirkliches und vom Schreiber singularisch verstandenes) amkeudawt anstelle von amkeudant deswegen geschrieben worden sein könnte, weil in einer früheren Abschrift des Textes singularisches amkeudawt gefolgt sein könnte, überzeugt daher wenig. Daß Hywel Fychan, der Schreiber der Kulhwch-Version des Roten Buchs, diese Stelle anders aufgefaßt hat, als sie wohl in der Vorlage des Weißen Buchs intendiert war und einen Satz mit 3.Sg. dywawt und singularischem Subjekt formulierte, spricht nicht dagegen. Schließlich wissen wir, daß Hywel Zugang zum Weißen Buch hatte (vgl. CO x). Hywels Version dieser Passage kann sehr wohl vom Weißen Buch ausgehen und der Versuch sein, wieder Sinn in eine Stelle zu bringen, die aufgrund eines Kopierfehlers ( < - a 6 r > für ) für ihn unverständlich und verderbt war. Auch in WM 479.18 stellt die Emendation von amkeudawt zu amkeudant den richtigen Sinn her, da der folgende Satz nicht na saethutta vi .schieß nicht auf mich' lautet, sondern na saethutta ni .schieß nicht auf uns', wie aus den Korrigenda zur Neuausgabe der diplomatischen Edition des Weißen Buchs hervorgeht (WM2 p.xix). Watkins' Auffassung, daß amkeudawt eine sprachwirkliche Form der 3.Sg. sei, ist daher schlecht begründet. Die Schreibung amkeudawt ist wohl eher auf das mangelnde Verständnis oder Nachlässigkeit von Seiten des Schreibers der Kulhwch-Wersion des Weißen Buchs (bzw. von Seiten eines früheren Kopisten) zurückzuführen. Sonst wäre es nur schwer nachzuvollziehen, wieso amkeudawt nur in den vier Fällen geschrieben steht, wo nach den Kongruenzregeln nur eine 3.PI. stehen konnte, in 30 anderen Fällen (wo die Kongruenzregeln üblicherweise die 3.Sg. bedingen) aber amkawd. Watkins scheint zu unterstellen, daß die Kulhwch-Vετύοη des Weißen Buchs ein Text sei, in dem die falsche Abtrennung von /-auö/ und die somit folgende Abstraktion eines „Suffixes" in statu nascendi zu beobachten sein. Dies wird aber dadurch unwahrscheinlich, daß in den vier einzigen Fällen, wo amkeudawt im Text steht, nach den Kongruenzregeln nur eine 3.PI. stehen konnte. Zuletzt bleibt noch zu erwähnen, daß in der neuen Ausgabe von Kulhwch (CO) alle Fälle von amkeudawt zu amkeudant emendiert sind, was sicher korrekt ist, aber nirgendwo explizit gerechtfertigt wird.
Archaische
227
Verbalformen
Grammatik von 1621 erkannt (zitiert bei Morris Jones, a.a.O.)· Bine interessante typologische Parallele bietet auch das moderne Italienisch: Dort hat das passato remoto ( < lat. Perfekt) der regelmäßigen Verben auf -ire neben der l.Sg. -ei, der 3.Sg. -e und der 3.PI. -erono Allomorphe auf -ett-: l.Sg. -etti, 3.Sg. -ette, 3.PI. -ettero. Das Allomorph -ett- kann nur von dem passato remoto eines einzigen Verbums abstrahiert sein, nämlich von dem des Verbums stare: l.Sg. stetti (< stetui ert siehe oben).
228
Stefan
Schumacher
Kraft (Gen.)' < *nertt, seirc ,der Liebe (Dat.)' < *serkl < *sterkäi (GOI 47-49, McCone 1996: llOf.). 2) Urkeltisches i wird im Uririschen vor alä und olö der Folgesilbe zu e gesenkt, und zwar in betonter und unbetonter Silbe. Der einzige Kontext, wo keine Senkung eintritt, ist altes Iii vor nd (zu unterscheiden von [i], dem Allophon von Itl vor Nasal + stimmhaftem Verschlußlaut). Beispiele: fer .Mann' < uira-, fedb ,Witwe' < *uidifä, ro-Jess ,man weiß' < *-uissa-, aber find .hell, weiß' < *uinda- (GOI 46f., McCone 1996: llOf.). Ausgehend von diesen beiden Lautgesetzen läßt sich der Fall von birt/bert folgendermaßen beurteilen: Eine Hebung von bert- > birt- ist (pace Isaac 1996: 403) in keinem Fall lautgesetzlich und müßte immer durch Analogie erklärt werden. So hat Thurneysen selbst versucht, l.Sg. biurt, 2.Sg. birt durch den Einfluß von Präs. l.Sg. biur, 2.Sg. bir zu erklären (GOI 48), ließ aber die 3.Sg. birt unerklärt. Wenn man hingegen von ursprünglichem *birt- ausgeht, so sind alle Formen lautgesetzlich, denn die Formen wie 3.PI. bertatar lassen sich als Fälle regulärer Senkung vor dem Themavokal ο erklären. Weiters läßt sich -ru- in as ru-bart etc. als ein Fall von regelmäßiger Hebung vor i deuten. 40 Die einzige Form, die sich nicht als lautgesetzlich deuten läßt bzw. eine Zusatzannahme erfordert, ist die deuterotonische 3.Sg. konjunkt bert, die entweder durch Analogie entstanden oder durch ein besonderes Lautgesetz begründbar ist (,a late prehistoric Irish sound change i > e before non-palatal -r/lt' (McCone 1991: 67) läßt sich freilich nicht anderswo belegen). McCone (a.a.O.) weist auch auch auf die mittelkymrischen -f-Präterita von urkelt. *ber-: die Präterita kymyrth ,nahm', diffyrth .verteidigte, schützte' und diebyrth .beraubte' sind am leichtesten dadurch zu erklären, daß ihr -yrth ebenfalls altes -irrfortsetzt (kymyrth < *kom-birt-et < = *-birt < **-l^er-s-t). Wie Schrijver (1995: 56f.) festgestellt hat, ist der Vokal von -yrth nicht das Produkt von Hebung von Itl vor einem Cluster, sondern der Reflex eines alten Iii. Isaac (1996: 358) will -yrth als Fälle von sekundärer Ausbreitung von Umlaut erklären, der sich als Kennzeichen der 3.Sg. ausgebreitet hätte. Dies ist freilich nicht mit den Handschriftenbefunden belegbar: gerade die physisch ältesten Handschriften, etwa das Schwarze Buch von Carmarthen, das Schwarze Buch von Chirk, das Buch von Aneirin oder auch Peniarth 14 (worin Historia Gruffud vab Kenan enthalten ist), weisen alle auf /*/ und nicht /e/ (z.B. diebyrth CA 12.286), und Formen wie kymerth (z.B. L1A 39.27) sind jünger, wogegen sich Umlaut in der 3.Sg. Präs. ausbreitet - bezeichnenderweise ist das von Isaac zitierte etyb .antwortet' für das mittelalterliche Schrifttum gar nicht belegbar (dort heißt es ateb, z.B. in WML 20.4), wogegen zwar cymerth in moderner Sprache in archaisierendem Kontext vorkommt, nicht aber **cymyrth (P.W. Thomas 1996: 48, Thorne 1993: 236). Außerdem fragt man sich, wieso dann nicht auch das -i-Präteritum
40
Thumeysens Erklärung des u von -ru- wird hiermit obsolet, wobei freilich das u von cuman (is cuman lim ,ich erinnere mich') unerklärt bleibt; vgl. hierzu aber auch cuimse .passend' (z.B. Wb 14a3) kontra toimse .gemessen', beides Komposita von *-messijfl- < *-med-t(i)io-.
229
Archaische Verbalformen aeth
,ging' zu **eith
umgelautet wurde, wenn denn Umlaut im -ί-Präteritum ein
produktives M o r p h e m gewesen sein sollte. Die Schlußfolgerung ist, daß der zeitliche Ablauf umgekehrt gewesen sein muß: die ältesten Belege weisen auf Iii diebyrth),
(z.B.
während zu späterer Zeit das /-e-/ des Präsens wiedereingeführt wurde.
Außerdem hat die Annahme, daß sowohl die kymrischen als auch die irischen -ί-Präterita von urkelt. *ber-
auf einen dehnstufigen -i-Aorist zurückgehen, den
doppelten Vorteil, daß scheinbare Anomalien im Mittelkymrischen wie im Altirischen auf dieselbe Ursache zurückgeführt werden können und daß sie außerdem besser mit der ursprünglichen Bildeweise des grundsprachlichen -i-Aorists in Übereinstimmung gebracht werden können. Nebenbei bemerkt, bleiben alle anderen Theorien zur Entstehung des -/-Präteritums eine Erklärung für die altirische absolute 3.Sg. birt mit ihrem Iii
schuldig und sind daher der Herleitung des -ί-Präteritums
aus
dem
dehnstufigen -i-Aorist unterlegen. In diesem Licht ist nun eine alte Präteritalform von mittelkymrisch gwneuthur
,tun,
machen' zu sehen, die bisher kaum beachtet wurde, wohl, weil sie nicht von Simon Evans verzeichnet wurde und Morris Jones sich darüber nicht klar ausdrückte (WG 337, 367). In dem langen Gedicht aus dem Buch von Taliesin, das den Titel Kat Godeu trägt (T 23.9-27.12) kommen folgende Zeilen vor: ef gwrith ef datwrith. efgwrith ieithoed. llachar y enw llawffer. Uuch llywei nifer (T 26.18f.)
,er schuf, er zerstörte, er schuf Sprachen/ Stämme, Llachar (bzw. .glanzvoll') sein Name, der starkhandige glänzend pflegte er eine Schar zu fuhren'
Diese Übersetzung entspricht im wesentlichen der, die schon Marged Haycock in ihrer unveröffentlichten Dissertation gegeben hat (Brief vom 16.1.1997). Gegen die von Koch (1991: 116) vorgeschlagene Auffassung von gwrith
und datwrith
als Passiv-
formen ist formal nichts einzuwenden, eine Übersetzung als Aktivformen fügt sich aber weit besser in den Kontext, der hier relativ klar ist. Mit anderen Worten, alles deutet darauf hin, daß gwrith eine aktive Präteritalform von gwneuthur
und
datwrith
ein Kompositum mit der privativen Präverbienkette dad- ist (,un-did'). Ein mögliches weiteres Beispiel einer solchen Verbalform ist datrith ergänzen zu datwrith.
in Τ 25.18 (wahrscheinlich zu
Haycock 1990: 325, 331 Anm.72) - anders als bei Haycock
wäre aber zu erwägen, daß an dat[w]rith
datedw
schwächung') vernichtete (datwrith) ihn (a-n)'
.Verstärkung (datedw, wörtl. ,Entheißen könnte. Dies baut auf Kochs
Überlegung auf, daß es im frühen Kymrisch als Gegenstück zu Bretonisch en (Hemon 1975: 78f.) auch ein infigiertes Objektspronomen -n- der 3.Sg. geben könnte (1987: 255), das sich mit dem „leeren Präverb" α (zu unterschieden von der Relativpartikel a, vgl. G M W 55) zu an verbinden sollte. 41 Auch das Simplex gwrith könnte in diesem
41
Ein solches infigiertes Pronomen sollte im Mittelkymrischen natürlich nasale Mutation verursachen, die aber im Schriftbild nicht unbedingt aufscheinen muß.
230
Stefan Schumacher
Gedicht noch ein weiteres Mal vorkommen (T 23.11), aber es ist sehr unklar, auf welches Subjekt es sich bezieht (etwa das in der vorherigen Zeile genannte Schwert, oder aber auf Gott als Schöpfer). Wie dem auch sei, es kommt in diesem Gedicht eine Form gwrith ,tat, machte' sowie ein Kompositum datwrith ,un-did' vor, in einem Gedicht, das zahlreiche Archaismen enthält, wobei es nichts zur Sache tut, daß diese Archaismen teilweise in - wie Haycock meint - parodistischen Kontext eingebettet sind. Die Vorgeschichte von gwrith lautet folgendermaßen: gwrith geht auf eine urbritannische 3.Sg. konjunkt *yrJxt-et zurück. Dieser Form liegt der Präteritalstamm *urlxt- zugrunde, der auf urkelt. 3.Sg. *urix-s-t aufbaut, das seinerseits uridg. *ureg-s-t getreulich fortsetzt. Hier ist ein kleiner Exkurs zur Vorgeschichte des Verbums gwneuthur ,tun, machen' notwendig. Die Wurzel dieses Verbums ist *uerg-/ureg- .wirken, tun' (IEW 1168f.), urkelt. *ureg- mit primärem „Schwebeablaut" (vgl. gr. rhezö. Im Mittelkymrischen zeigt die Wurzelsilbe vier Allomorphe: gwre-, gwra-, gwne-, gwna-. Davon geht gwre- auf die urkeltische Vollstufe zurück, gwra- reflektiert eine ursprünglich allophonische Entwicklung *ureg- > *yrceg- > *yrag- vor e und i (e > ce /_ *ge, *gi, vgl. Schrijver 1995: 140, angedeutet in CCCG 336); gwne-, gwna- sind wohl unter dem Einfluß von *gniie/o- ,tun' (vgl. air. gniid ,tut, macht', mkymr. gnif ,Mühe', gweinyd ,er dient', vgl. air. fo gnt) entstanden. Formen mit /gyn-/ tauchen schon im Buch von Llandaf auf (3.Sg. Konjunktiv gunech in LL 120.24). Im Mittelkymrischen ist gwna- fast verallgemeinert und stark von a- .gehen' beeinflußt. In gwrith liegt also der am wenigsten umgeformte Reflex des -i-Präteritums von urkelt. *ureg-e/o- vor. Die Herleitung dieser Form entspricht großteils Watkins' Hypothese, der Unterschied ist aber der, daß diese Form nur von der Dehnstufe abgeleitet werden kann. Hier muß auch darauf hingewiesen werden, daß die von Watkins (1962: 164) zitierte 3.Sg. *gwreith handschriftlich nicht nachgewiesen ist. Diese Form beruht auf einer Spekulation von Morris Jones (WG 337), der darauf hinweist, daß eine Emendation von gwnaeth in CA 3.60 zu gwreith zusätzlichen inneren Reim erzeugen würde. Dies ist aber beim jetzigen Kenntnisstand keineswegs zwingend. Eine vollstufige Form mit -n- liegt aber in der 3.Sg. ry wneith (H 284.18, umgeformt < = *urext-et) vor, wogegen die -r-Form gwreith in CA 44.1102 eine l.Sg. ist und daher aus *\iraxt-ü abzuleiten ist (*yrext-ü oder auch *urixt-ü hätten l.Sg. **gwrith ergeben). Bemerkenswert ist nun, daß gwrith der einzige Reflex von Dehnstufe bei einem -ί-Präteritum einer Wurzel der urkelt. Struktur *(QReg- (einschließlich *aneg,schützen') ist. Im Altirischen ist ein solcher Reflex nicht nachweisbar. Allerdings ist der Reflex von Dehnstufe bei den Verben auf urkelt. Liquida im Altirischen - sei es aus rein lautlichen, sei es aus morphologischen Gründen - auf die 3.Sg. absolut beschränkt (vgl. birt oben), und gerade eine solche ist für Verba der Struktur *(C)Regnicht nachgewiesen, wenn man von der relativen 3.Sg. anacht (Thes. II 303.2) absieht (*anixt- würde **ainecht ergeben, der Reflex des -C- wäre hier also nur Palatalisierung
Archaische
231
Verbalformen
des -«-, was durch Analogie beseitigt sein könnte). Schwerer wiegt hingegen, daß auch im Kymrischen kein Reflex von Dehnstufe vorliegt (vgl. dyrreith < *-rext-
,ist zurückgekehrt'
im Buch von Taliesin (T 54.24), eine Form, die durch Reim mit seith
bestätigt ist), während in konjunkten Formen von -f-Präterita von *CeÄ-Wurzeln wie der 3.Sg. kymyrth
noch ein Reflex der Dehnstufe vorhanden ist. Wir müssen daraus
wohl den Schluß ziehen, daß bei den Verben der Struktur *(QReg-
die dehnstufigen
Formen schon früher eliminiert wurden, wobei die Gründe nicht ganz klar sind. Überlegungen hierzu siehe bei M c C o n e (1991: 68f.). Wenn dies der Fall war, wieso wurde die Dehnstufe von *urtxt- beibehalten? Die Antwort muß wohl darin liegen, daß ein Verbum der Bedeutung ,tun, machen' dem Grundwortschatz angehört, und es ist eine empirische Tatsache, daß Verben des Grundwortschatzes, z.B. ,sein, tun, gehen, h ö r e n ' , dazu neigen, sich stärker einer Regularisierung zu widersetzen als andere. So gehört das Verbum für ,tun' im heutigen Irischen zu den ganz wenigen unregelmäßigen Verben, und dasselbe trifft auch für das mittelkymrische gwneuthur gwrith
und das neukymrische gwneud zu, wenn auch
selbst schon früh durch gwnaeth
ersetzt wurde und nur in Kat
Godeu
nachweisbar ist. Auch in den westgermanischen Sprachen, deren starke Verba sich durch einen hohen Grad an Regularisierung auszeichnen,
hat *dö-
,tun'
eine
einzigartige Stellung als nicht regularisiertes starkes Verbum inne, und das ererbte Präteritum ist selbst im Englischen mit gewissen Umgestaltungen erhalten geblieben. Dabei ist es einerlei, wie das Präteritum von urgerm. *dö- zustande gekommen ist Tatsache ist, daß die einmal gebildete Präteritalform in allen schriftlich bezeugten westgermanischen Sprachen von Anfang an unregelmäßig war und trotz verschiedener Umbildungen bis in die modernen Sprachen unregelmäßig geblieben ist. Unwahrscheinlich ist auch die - rein lautgesetzlich - mögliche Hypothese, daß es sich bei gwrith um eine aus dem Impersonale/Passiv ( < *urix-to-)
herleitbare F o r m
handle. Nur -f-Präterita, die sekundär im Britannischen gebildet wurden und so ältere Präterita (die ihrerseits auf alte Perfekta zurückgingen) ersetzten, bilden dies auf der Basis des schwundstufigen -to-Partizips (vgl. oben 4.). Hingegen wurden ererbte -ί-Präterita nicht umgebaut, d.h. es gibt kein **kymryt d a r a u f h i n , daß der -j-Aorist der Wurzel *uerg-/ureg-
,nahm' o.dgl. Alles deutet
zumindest aus dem Urkeltischen
ererbt ist. 42 Hier liegt also der seltene Fall vor, daß ein Archaismus postuliert werden kann, der im Irischen nicht vorliegt, und es ist plausibel, daß gwrith tatsächlich einen dehnstufigen Aorist fortsetzt.
42
Ein Vergleich mit hom. errexe ist zwar möglich, beweist aber angesichts der Produktivität der -j-Aoriste in den idg. Einzelsprachen wohl kaum grundsprachliches Alter.
232
Stefan
Schumacher
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Elmar Ternes
Ist Bretonisch SVO oder VSO? Typologische Überlegungen zu einer umstrittenen Frage1
1 Einleitung und Problemstellung Die sprachtypologische Forschung erstreckt sich auf alle Bereiche der Grammatik, von Phonetik/Phonologie über Morphologie und Syntax bis zu Semantik und Pragmatik. Im Bereich der Syntax ist zweifellos die sog. Wortfolgetypologie (engl, word typology)
order
eines der bekanntesten Verfahren zur Klassifizierung von Sprachen. Der
klassische Beitrag zu diesem Thema ist nach wie vor der Aufsatz von Joseph H . Greenberg (1968, Erstveröffentlichung 1963) Some Particular
Reference
to the Order of Meaningful
R e i h e n f o l g e der H a u p t k o n s t i t u e n t e n
Universals
Elements.
of Grammar
with
Es geht dabei darum, die
des Satzes im stilistisch n e u t r a l e n
Satz
festzustellen. Unter Verwendung der Kürzel S (für Subjekt), V (fur Verb) und Ο (für Objekt) werden auf diese Weise Typen wie SVO, SOV, VSO usw. aufgestellt. Rein rechnerisch ergeben sich sechs Möglichkeiten. Greenberg geht es nicht allein um die Feststellung dieser Typen, sondern auch u m Beziehungen der einzelnen Typen zu anderen syntaktischen Erscheinungen wie der Stellung des attributiven Adjektivs zu dem
regierenden
Substantiv
(Vor-
oder
Nachstellung),
der
Verwendung
von
Präpositionen bzw. Postpositionen usw. Wir können an dieser Stelle natürlich keinen vollständigen Überblick über die Wortfolge der indogermanischen Sprachen (genealogisch) oder der europäischen Sprachen (geographisch) geben. Es soll die Feststellung genügen, daß in Europa die drei Typen SVO, SOV und VSO vertreten sind. Dabei repräsentieren die indogermanischen
Sprachen
Europas
überwiegend
den
Typ
SVO,
die
heutigen älteren
indogermanischen Sprachen dagegen den Typ SOV. Dies soll an einem Beispielsatz aus dem Latein (1) mit seiner deutschen (2) und französischen (3) Übersetzung gezeigt werden: (1)
lat.
Agricola
campum
arat
Bauer
Feld (Akk.)
pflügt
S (2)
dt.
O
V
Der Bauer
pflügt
das Feld
S
V
Ο
Für wertvolle Hinweise bin ich den folgenden Personen zu Dank verpflichtet: Sabine Heinz (Berlin) und Marion Löffler (Aberystwyth) zum Walisischen, Barbara Wehr (Mainz) zur Terminologie von Topik und Fokus, Otto Jastrow (Erlangen) zum Arabischen.
237
Ist Bretonisch SVO oder VSO? (3)
frz.
Le paysan
laboure
le champ
S
V
Ο
Deutsch 2 und Französisch weisen also den Typ SVO auf. Wie Französisch verhalten sich auch die anderen romanischen Sprachen als Fortsetzungen des Latein. Das bedeutet, daß Latein in seiner Entwicklung zu den romanischen Sprachen einen typologischen Wandel von SOV zu SVO durchgemacht hat. Man muß also im Bereich der Wortfolge mit einem diachronen Wandel rechnen (dazu allgemein Lehmann 1974). Der Unterschied zwischen den Typen SOV und SVO erscheint weniger stark, da das Subjekt in beiden Fällen in Anfangsstellung des Satzes steht. Anders verhält es sich mit dem Typ VSO, der von den beiden zuvor genannten Typen als stark abweichend gelten muß. Dieser Typ ist in Europa selten. Es gibt nur eine einzige Sprachgruppe, welche VSO aufweist, nämlich die inselkeltischen Sprachen. Dieser auffällige Sachverhalt hat zu mancherlei Spekulationen - wie z.B. Substrathypothesen - Anlaß gegeben (dazu kritisch Lehmann 1994). Die kontinentalkeltischen Sprachen folgen diesem Schema offensichtlich nicht. Für Keltiberisch ist die Stellung SOV gesichert (Schmidt 1977: 55, Tovar 1979: 888, Eska 1989: 176). Für das Gallische scheint ebenfalls die Stellung SV überwogen zu haben, während die Stellung des Objekts variiert (Lambert 1994: 69). Die spärlichen Quellen für das Lepontische scheinen darauf hinzudeuten, daß die Sprache im Übergang von SOV zu VSO begriffen war (Eska/Evans 1993: 45). Auch für archaisches Irisch scheint noch die Stellung SOV gültig gewesen zu sein (s. den klassischen Artikel von Bergin 1938), 3 während klassisches Altirisch bereits eindeutig VSO zeigt. Summa summarum dürfen wir annehmen, daß die altkeltischen Sprachen - wie andere
altindogermanische
Sprachen - ursprünglich den Typ SOV vertreten haben und daß die Stellung VSO in den inselkeltischen Sprachen eine Neuerung darstellt. Die Ursache für diese Neuerung ist vorläufig ungeklärt. Der Sachverhalt ist umso auffälliger, als - wie gesagt - der Typ VSO in Europa außerhalb des Inselkeltischen nicht auftritt. In der Literatur zur Sprachtypologie werden die inselkeltischen Sprachen (meist unspezifisch einfach als keltische Sprachen bezeichnet) gerne als typische Vertreter der Wortstellung VSO genannt. In der Tat vertreten Irisch, Schottisch-Gälisch und Walisisch diesen Typ in eindeutiger Form, wie aus den Sätzen (4) bis (6) ersichtlich ist. Zur besseren Vergleichbarkeit verwenden wir für alle Sprachen denselben einfachen Satz. Wegen des Verbums „sein" handelt es sich bei der dritten Komponente genau
2
3
Deutsch ist keine ,reine' SVO-Sprache. In Nebensätzen ist die Stellung SOV bewahrt, z.B. dt. Wenn der Bauer das Feld pflügt, (...). In der Folge sind die Verhältnisse im archaischen Irisch unterschiedlich beurteilt worden: Watkins (1963: 34) und Ahlqvist (1977: 272) halten die Stellung SOV für einen ererbten Archaismus, der in poetischer Sprache bewahrt wurde. Dagegen nimmt Greene (1977: 22) eine vorherrschende Norm mit verbinitialer Stellung an, wovon SOV nur eine stilistisch bedingte Variante sei. Wir würden uns der ersteren Auffassung anschließen.
238
Elmar Terms
genommen nicht um Ο ( = Objekt), sondern um Ρ ( = Prädikatsnomen). 4 Die Satzstruktur ist also VSP. Der Satz bedeutet in allen Sprachen „Das Wetter ist schön": (4) ir.
(5) sch.-gäl.
(6) wal.
Τά ist
an aimsir BA Wetter
V
S
'r tywydd BA Wetter S Bretonisch: amzer a
BA Wetter S
bred schön Ρ
Tha an aimsir ist BA Wetter V S P
Mae ist V Derselbe Satz lautet auf (7) bret. An
go AP
breagha schön yn AP
braf schön Ρ
zo
brav
VP ist V
schön P
Die Sätze (4) bis (6) können in jeder typologischen Untersuchung als Standardbeispiele für die Wortstellung VSO bzw. VSP angeführt werden. Satz (7) zeigt dagegen, daß es nicht berechtigt ist, pauschal von „den keltischen Sprachen" zu sprechen, da Bretonisch sich abweichend verhält. Andererseits ist es auch problematisch, umgekehrt pauschal festzustellen, Bretonisch sei SVO. Vielmehr ist über das Bretonische in dieser Hinsicht schon viel diskutiert worden, so daß seine typologische Zuordnung als umstritten bezeichnet werden muß. In der Literatur werden unterschiedliche Meinungen vertreten: 1. Bretonisch sei SVO; 2. Bretonisch sei VSO; 3. verschiedene Schattierungen der Extreme, z.B. Bretonisch sei an der Oberfläche SVO, in der Tiefenstruktur jedoch VSO. Eine Diskussion unterschiedlicher Ansichten findet sich bei Timm (1991). Als Ergebnis ihrer Untersuchungen vertritt sie selbst die Ansicht, Bretonisch habe VS als „dominant sequence", mit der Einschränkung allerdings, daß es „not [...] a rigid VS language" sei (Timm 1991: 307). Die Diskussion über die Wortstellung des Bretonischen wird durch verschiedene Umstände erschwert: 1. Bretonisch hat wahrscheinlich die flexibelste Syntax unter allen keltischen Sprachen. Jede beliebige Reihenfolge der Satzglieder im Satz ist syntaktisch möglich, natürlich mit stilistischen Implikationen. Varin (1979: 83) stellt treffend fest „one of the characteristics of Breton [...] is the extreme fluidity of its surface word order. Although Breton has no case system, [...] it seems to permit almost as many ways of ordering the elements of a sentence as if it did." 2. Es bestehen starke dialektale Unterschiede gerade auch im Hinblick auf die Wortstellung im Satz. Eine bestimmte Satzstruktur kann in zwei verschiedenen
4
Neben den erwähnten O, P, S, V werden in den Interlinearübersetzungen folgende Kürzel verwendet: AP = Adverbialpartikel, BA = bestimmter Artikel, E N Z = Enunziativ, INTP = Interrogativpartikel, NEG = Negation, REL = relativ, SIT = situativ, UA = unbestimmter Artikel, VP = Verbalpartikel.
Ist Bretonisch SVO oder VSO?
239
Dialekten ganz unterschiedliche, ja geradezu entgegengesetzte semantische und stilistische Implikationen haben. 3. Ebenso bestehen starke Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachniveaus, insbesondere zwischen der literarischen Schriftsprache einerseits und den autochthonen Dialekten und der gesprochenen Umgangssprache andererseits. Die Schriftsprache wurde von Grammatikern nach bestimmten Gesichtspunkten normiert, während Dialekte und Umgangssprache sich .natürlich' entwickelt haben. 4. Unterschiedliche methodische Zugehensweisen erschweren die Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Insbesondere ist die Unterscheidung von Oberflächenstruktur und Tiefenstruktur problematisch, da es keine eindeutigen Kriterien dafür gibt, wo genau die Grenze zwischen beiden Ebenen liegt. Im Prinzip kann man jede beliebige Hypothese vertreten, indem die gewünschte Hypothese als Tiefenstruktur postuliert und abweichende Formen der Oberflächenstruktur zugewiesen und von der Tiefenstruktur per Derivation abgeleitet werden. Auch die gegenwärtig viel verwendete sog. funktionale Satzperspektive ist nicht ohne Probleme. Bei der Interpretation eines Satzes ist es nicht immer klar, ob die Satzstruktur aufgrund der kommunikativen Situation bestimmt wird oder umgekehrt, so daß hier die Gefahr einer gewissen Zirkularität der Argumentation besteht. Besonderes Augenmerk wollen wir im weiteren auf den folgenden Punkt lenken: 5. Die Diskussion über die Satzstruktur des Bretonischen wird paradoxerweise auch durch einen Vergleich mit dem genealogisch nahe stehenden Walisisch erschwert. Viele bretonische Verbformen sind mit den entsprechenden walisischen etymologisch leicht zu identifizieren. Da Walisisch in der keltologischen Forschung meist eine größere Rolle gespielt hat als Bretonisch und Walisischkenntnisse unter Keltologen wahrscheinlich weiter verbreitet sind als Bretonischkenntnisse, besteht die Gefahr, daß bretonische Satzstrukturen in ihrem stilistischen Wert gemäß den walisischen etymologischen Entsprechungen gedeutet werden. Darüber hinaus ist es sogar möglich (nach Varin 1979), daß die Normierung der bretonischen Schriftsprache gerade in syntaktischer Hinsicht teilweise in bewußter Anlehnung an das Walisische erfolgte.
2
Das Verbum „sein" im Walisischen und Bretonischen
Wir wählen das Verbum „sein" wegen der guten Vergleichbarkeit der Formen. Das Verbum „sein" ist in allen keltischen Sprachen durch eine ausgeprägte Suppletion charakterisiert, d.h. durch die Vereinigung von Stämmen unterschiedlicher etymologischer Herkunft zu einem morphologischen Paradigma. Wir führen unter (8) und (9) die 3. Sg. Präs. in ihren etymologischen Entsprechungen zwischen Walisisch (W) und Bretonisch (B) auf. Die vier Formen in jedem Paradigma werden syntaktisch unterschiedlich gebraucht:
Elmar Tentes
240 (8)
W1
(9)
W3 B1
mae yw eman eo
B3
sydd oes (a) zo eus
W2 W4 B2 B4
Präzisierungen zur Aussprache: B1 eman ist auf der Endsilbe betont /e'mä/, B4 eus ist /er:s/. - Bei allen Formen handelt es sich um die Formen der heutigen Schriftsprache. Die etymologischen Entsprechungen W l - B l usw. sind auf den ersten Blick ersichtlich. Dennoch
kann
die lautliche Ähnlichkeit
unter Berücksichtigung
verschiedener
Zeitstufen, dialektaler und stilistischer Varianten noch vergrößert werden: Die Form B1 eman ist mit der Verbalpartikel e verschmolzen. Im Walisischen kann die Form W1 mae in freier Variation ebenfalls mit einer Verbalpartikel versehen werden: y mae. Umgekehrt haben viele bretonische Dialekte die Verbalpartikel wieder verloren. Bei gleichzeitiger Abwesenheit der Nasalität des Vokals lautet die Form im Dialekt von Groix ma
(Ternes
1970: 275). Die F o r m W1 mae
e r f ä h r t in
südwalisischer Aussprache Monophthongierung des Diphthongs, so daß wir hier ebenfalls die Form ma erhalten. Die Form W2 sydd
lautet umgangssprachlich auch sy.
Der Gebrauch
der
Verbalpartikel a in B2 ist etymologisch nicht berechtigt und erfolgt in Analogie zu anderen Verben. In bestimmten Wendungen wird die Form zo aber auch in der heutigen Sprache regulär ohne Verbalpartikel gebraucht, z.B. in ur miz zo ,vor einem Monat', wörtl. ,Es ist einen Monat (her)'. Sprachregulierende Eingriffe, das etymologisch nicht berechtigte α generell zu tilgen, waren ohne Erfolg (Räude 1944). Mittelbretonisch lautet die Form (α) so. Das stimmhafte ζ in B2 wird unterschiedlich erklärt. Wir schlagen folgende Erklärung vor: Es handelt sich um die Mutation s -» ζ (analog auch J -» 3), welche dialektal häufig (z.B. Ternes 1970: 173ff.), standardsprachlich aber nicht akzeptiert ist. Das Mutationsergebnis ζ ist in diesem isolierten Fall in petrifizierter Form in die Standardsprache aufgenommen worden. In der Form W4 oes erfolgt in südwalisischer Aussprache ebenfalls Monophthongierung zu ös /o:s/. Unter Berücksichtigung der jeweils ähnlichsten Form ergibt sich die paradigmatische Zusammenstellung unter (10) und (11) (chronologisch, dialektal und stilistisch disparat): (10)
W1
ma y mae
W3 (11)
B1
B3
W2
sy
yw
W4
ma eman eo
B2
ös /o:s/ so
B4
eus ler.s/
Anmerkung: Die lautliche Entsprechung von W3 yw und B3 eo gilt nur für das Südwalisische. Im Nordwalisischen steht für W3 die Form ydy. Es entspricht der geolinguistischen Lage von Walisisch und Bretonisch, daß Südwalisisch in diesem wie in anderen Punkten dem Bretonischen näher steht als Nordwalisisch.
241
Ist Bretonisch SVO oder VSO?
3
Sätze mit nominalem Subjekt
Die Aufgabe soll im folgenden darin bestehen, den unterschiedlichen syntaktischen Gebrauch der Formen 1-4 im Walisischen und Bretonischen zu zeigen, insbesondere im Hinblick auf die im Titel gestellte Frage SVO oder VSO. Die Form W1 mae ist die übliche neutrale Form des Verbums „sein" in positiven Aussagesätzen. Sie steht, wie zu erwarten, in satzinitialer Stellung:
(6)
wal.
Mae
'r
tywydd
yn
braf
ist BA Wetter AP schön V S Ρ ,Das Wetter ist schön' Die entsprechende Form B1 eman steht im Bretonischen ebenfalls satzinitial. Sie ist jedoch semantisch von der walisischen Form verschieden. Die Form eman, zu der entsprechende Formen für alle Personen und Numeri und für zwei Tempora (Präsens, Imperfekt) existieren, bildet neben den semantisch neutralen Formen von „sein" ein eigenes Paradigma, das in der bretonischen Grammatik als situative Formen (frz. formes de situation) bezeichnet wird. Sie drücken eine örtliche Befindlichkeit aus (,sich befinden') und werden in einfachen Sätzen in der Regel mit Ortsangaben verwendet: (12) bret.
Eman ar vamm er ger ist-SIT BA Mutter in-BA Heim V S Ρ ,Die Mutter ist zu Hause' Zur Hervorhebung der Ortsangabe kann diese auch an den Anfang des Satzes gestellt werden: (13) bret. Er ger eman ar vamm Es ist jedenfalls kategorisch ausgeschlossen, daß das Subjekt vor den situativen Formen des Verbums „sein" steht. Im erweiterten verbalen Syntagma dienen die situativen Formen dazu, zusammen mit dem sog. Präsenspartizip (gebildet aus ο + Verbalnomen) die Verlaufsform (Progressiv) zu bilden: (14) bret.
Eman an noz ο tont ist-SIT BA Nacht kommend V S P ,Die Nacht bricht (gerade) herein; wörtl. Die Nacht ist am Kommen* Die situativen Formen des Verbums „sein" repräsentieren im Bretonischen ganz klar die Wortstellung VSO. Sie sind jedoch semantisch spezialisiert. Neutrale Sätze mit „sein" haben eine andere Konstruktion, nämlich diejenige von Satz (7). Vorwegnehmend stellen wir schon an dieser Stelle fest, daß Sätze mit den situativen Formen von „sein" den einzigen Satztyp im Bretonischen bilden, welcher zweifelsfrei, ohne Einschränkung und ohne Diskussionsbedarf die Wortstellung VSO aufweist.
Elmar Terries
242
Wir kommen zu den 2er Formen. Die F o r m W 2 sydd (umgangssprachlich auch sy) wird im Walisischen als relative F o r m von „sein" bezeichnet. Sie ist semantisch mit W1 mae gleichbedeutend, drückt jedoch syntaktisch Relativität aus. Das Subjekt eines Satzes mit sydd steht in Initialstellung und ist durch diese Konstruktion fokussiert. 5 Es handelt
sich u m den
sog.
Konstruktionen frz. c'est...
Spaltsatz qui/que,
(engl,
cleft
sentence),
entsprechend
engl, it is ... who/which/that.
den
Im Deutschen ist
der Spaltsatz unidiomatisch. Die Hervorhebung erfolgt im Deutschen meist durch emphatische Betonung des betreffenden Wortes. Da es weniger sinnvoll ist, das Wort ,Wetter' zu fokussieren, verwenden wir einen anderen Beispielsatz: (15) wal.
Y
gath
BA Katze S
sydd
ar
ist-REL
auf BA Bett
y
gwely
V
Ρ
,Die K A T Z E ist auf dem Bett' Satz (15) kann als Antwort auf folgende Frage gelten: (16) wal.
Beth
sydd
ar
was
ist-REL
auf BA Bett
y
gwely?
,Was ist auf dem Bett?' In
(16)
ist das Fragewort ebenfalls fokussiert.
syntaktisch französischen Fragesätzen mit est-ce (17) frz.
Qu'est-ce
que tu
Diese Konstruktion
entspricht
qui/que:
cherchesl
,Was suchst du?; wörtl. Was ist es, das du suchst?' Da Satz (15) im Walisischen eine Fokussierung des Subjekts ausdrückt, ist er stilistisch markiert. Die resultierende Wortstellung SVP ist daher im Walisischen ebenfalls markiert. Ganz anders verhält es sich mit der etymologisch entsprechenden Form B2 (a) zo. Der schon zitierte Satz (7) ist stilistisch neutral und drückt keine Hervorhebung des Subjekts aus: (7)
bret.
An
amzer
BA Wetter S
α
zo
V P ist V
brav schön P
,Das Wetter ist schön' Satz (7) ist im Bretonischen stilistisch neutral, entspricht jedoch etymologisch einem Satz wie (15) im Walisischen. Damit ist das Wesentliche festgestellt: Bretonisch hat die Wortstellung SVO angenommen, indem ein ehemaliger Spaltsatz mit dem Subjekt in fokussierender Stellung (Initialstellung) zum stilistisch neutralen Satz wurde. Der Gebrauch der 3er Formen ist in beiden Sprachen ähnlich. E r steht ebenfalls in Beziehung zur Wortstellung, bringt aber im Hinblick auf die Titelfrage kaum neue Gesichtspunkte, sondern bestätigt das bisher Festgestellte.
Die in diesem Beitrag verwendeten Begriffe fokussiert bzw. Fokussierung entsprechen in englischer Terminologie den Begriffen topicalized bzw. topicalization.
Ist Bretonisch SVO oder VSO?
243
Die 3er Formen stehen in beiden Sprachen bei einer Umkehrung von Subjekt und Prädikatsnomen, d.h. wenn das Prädikatsnomen zur Hervorhebung am Anfang des Satzes steht. Die Satzstellung ist in beiden Sprachen identisch, nämlich PVS: (18) wal.
Braf yw V tywydd schön ist BA Wetter .Schön ist das Wetter' (19) bret. Brav eo an amzer schön ist BA Wetter ,Schön ist das Wetter' Außerdem werden die 3er Formen in beiden Sprachen bei Negation des Verbums gebraucht. In den Sätzen (20) und (21) kommt der Unterschied von VSP im Walisischen und SVP im Bretonischen erneut zum Ausdruck: (20) wal. Dyw 'r tywydd ddim yn braf NEG-ist BA Wetter NEG AP schön V S Ρ ,Das Wetter ist nicht schön' (21) bret. An amzer η' eo ket brav BA Wetter NEG ist NEG schön S V P ,Das Wetter ist nicht schön' Schließlich wird die Form yw im Walisischen in der Frage gebraucht: (22) wal. Yw 'r tywydd yn braf ist BA Wetter AP schön ,Ist das Wetter schön?' Man vergleiche die Sätze (6) und (22): Der Unterschied zwischen affirmativ und interrogativ kommt im Walisischen durch den Gebrauch unterschiedlicher Verbformen zum Ausdruck (W1 mae = affirmativ, W3 yw = interrogativ), während die Satzstellung VSP unverändert bleibt. Die Bildung von Satzfragen weicht im Bretonischen von allen anderen keltischen Sprachen ab (Ternes 1979: 221f.). Die gesprochene Sprache kennt überhaupt kein segmentales grammatisches Mittel zur Bildung von Satzfragen. Die Unterscheidung von Aussage und Frage erfolgt durch die Satzintonation: fallende Intonation für Aussage, steigende Intonation für Frage. Entsprechend stellt Satz (7) mit fallender Intonation die Aussage ,Das Wetter ist schön', mit steigender Intonation die Frage ,Ist das Wetter schön?' dar. In der Schriftsprache erfolgt die Bildung von Satzfragen, indem die Fragepartikel ha, verstärkt daoust ha, vor den im übrigen unveränderten Satz gestellt wird (vgl. Satz (19)): (23) bret. (Daoust) ha brav eo an amzer INTP schön ist BA Wetter ,Ist das Wetter schön?' Die 4er Formen haben im Walisischen und Bretonischen einen unterschiedlichen Weg in ihrer Entwicklung genommen. Die Form W4 oes steht in verneinten Sätzen, Fragesätzen und in Antworten auf entsprechende Fragen, und zwar unter der
Elmar Tentes
244
Bedingung, daß das Subjekt unbestimmt ist. Man betrachte die Sätze (24) und (25) mit unbestimmtem Subjekt (Verb W4) gegenüber den Sätzen (20) und (22) mit bestimmtem Subjekt (Verb W3): (24) wal.
Does dim Uyfr ar y bwrdd NEG-ist NEG Buch auf BA Tisch ,Es ist kein Buch auf dem Tisch'
(25) wal.
Oes llyfr ar y bwrdd ist Buch auf BA Tisch ,Ist ein Buch auf dem Tisch?' Die Antwort auf Satz (25) lautet: (26) wal.
oes (27) wal. nag oes ist ,ja' NEG ist ,nein' Die Form B4 eus hat mit dem Walisischen gemeinsam, daß sie mit einem unbestimmten Subjekt steht. Anders als im Walisischen ist sie jedoch unabhängig vom Satztyp, d.h. sie kann in Aussagesätzen und Fragesätzen, positiv und negiert stehen. In der Übersetzung entspricht sie in der Regel frz. il y a, engl, there is: (28) bret.
Aman ez eus dour hier VP ist Wasser ,Hier ist Wasser/Hier gibt es Wasser'
(29) bret.
N'
eus ket
un
den
NEG ist NEG UA Mensch ,Es ist niemand da; wörtl. Es gibt nicht einen Menschen' Die wichtigste Funktion von B4 eus hat im Walisischen keine Parallele, nämlich sein Gebrauch im Präsens-Paradigma des Verbums „haben". Bretonisch ist die einzige keltische Sprache mit einem Verbum in der Bedeutung „haben" (Ternes 1979: 219f.). Dieses Verbum unterscheidet sich in seiner Flexion vollständig von allen anderen Verben im Bretonischen. In Wirklichkeit handelt es sich eher um nominale als um verbale Flexion. Das Präsens wird gebildet aus den Possessiva für die einzelnen Personen (historisch identisch mit den sog. abhängigen Personalpronomina) und der Form B4 eus (vollständiges Paradigma mit historischer Entwicklung bei Hemon 1975: 212ff.): (30) bret.
4
Sg. 1
am eus
,ich habe'
PI.
hon eus
,wir haben'
1
Sätze mit p r o n o m i n a l e m Subjekt
Wir betrachten nun das Verhalten von Sätzen mit dem Verbum „sein", bei denen das Subjekt pronominal ausgedrückt ist. Als Subjekt wählen wir, um einen Unterschied zu den bisherigen Sätzen herzustellen, die 1. Sg. ,ich'. Die Sätze (31) bis (36) bedeuten in verschiedenen stilistischen Abwandlungen „Ich bin fertig".
Ist Bretonisch SVO oder VSO?
245
Die stilistisch neutrale Formulierung des Satzes in beiden Sprachen lautet:
(31)
(32)
wal.
bret.
Rydw
i
'n
VP-bin
ich
A P fertig
barod
V
S
,Ich bin fertig'
Ρ
Prest
on
fertig
ich-bin
,Ich bin fertig'
Die beiden Sätze sind ganz unterschiedlich konstruiert und können daher im gegebenen Rahmen grammatisch nicht vollständig analysiert werden. Auf jeden Fall zeigt der walisische Satz (31) deutlich die Wortstellung VSP, während der bretonische Satz (32) wegen der Integration von Verb und Personalsuffix bezüglich der Stellung von S und V keine Aussage zuläßt. Die Fokussierung des Subjekts erfolgt wie üblich durch Initialstellung.
Dies
erfordert die 2er-Formen des Verbums „sein", und zwar in der 3. Sg., unabhängig von der Person des Subjekts, da diese Verbformen in einem untergeordneten Satz stehen (einem Relativsatz in anderen Sprachen entsprechend). Die Sätze (33) und (34) sind also wörtlich zu übersetzen ,Ich [bin es], der fertig ist':
(33) wal.
Fi
sy
'n
ich
ist-REL
A P fertig
barod
S V (34) bret.
,ICH bin fertig'
Ρ
Me
α
zo
prest
ich
VP
ist
fertig
S
,ICH bin fertig'
V P
Die stilistische Interpretation des walisischen Satzes (33) (Fokussierung des Subjektpronomens) ist eindeutig. Dagegen ist der bretonische Satz (34) stilistisch ambivalent. Von einer Fokussierung des Subjekts ,ICH' kann man nur in der Schriftsprache sprechen,
und selbst hier ist die Hervorhebung
des Subjekts gegenüber
dem
walisischen Satz (33) abgeschwächt. Dies zeigt sich daran, daß die Fokussierung im Bretonischen durch syntaktische Mittel noch verstärkt werden kann: (35) bret.
Me
eo
α
zo
prest
ich
ist
VP
ist
fertig
wörtl. ,Ich bin es, der fertig ist' (36) bret.
Me
an
ich
BA jenige
hini
eo
α
zo
prest
ist
VP
ist
fertig
wörtl. ,Ich bin derjenige, der fertig ist' Die Konstruktionen (35) und (36) haben keine Entsprechung im Walisischen, da Satz (33) nichts von seinem stilistischen Wert (Fokussierung des Subjektpronomens) eingebüßt hat. Eine weitere Steigerung im Walisischen ist nur dadurch möglich, daß (ohne Änderung der Konstruktion (33)!) statt wal. fl ,ich' die betonte F o r m des Personalpronomens verwendet wird, nämlich wal. minnau
(37)
wal.
Minnau
sy
'n
barod
ICH
ist-REL
AP
fertig
,ICH bin fertig'
,ICH':
246
Elmar Ternes (38)
wal.
Minnau f y ICH mein ,ICH bin fertig'
hunan selbst
sy 'n barod ist-REL AP fertig
Der bretonische Satz (34) ist - wie schon festgestellt - ambivalent. Schriftsprachlich verstanden bringt er die Hervorhebung des Subjekts nur schwach zum Ausdruck und befindet sich im Übergang zum stilistisch neutralen Satz. Dieser Übergang ist umgangssprachlich und besonders in den Dialekten als vollzogen zu betrachten. Wir exemplifizieren dies am Dialekt von Groix (Ternes 1970). Das schriftsprachliche Personalpronomen me ,ich' erscheint im Groisillon in zwei Formen aufgespalten, nämlich 1. das selbständige Personalpronomen /maj/ ,ich' und 2. das unselbständige Konjugationspräfix der 1. Sg. /nra-/: maj (selbständig, betont, entsprechend frz. moi)
(39)
me
ms- (unselbständig, unbetont, entsprechend frz. je) Das Konjugationspräfix /mg-/ dient, zusammen mit den entsprechenden Formen für die anderen Personen, der regelmäßigen Flexion nicht nur des Verbums „sein", sondern aller Verben (mit Ausnahme von „haben", welches historisch anders entstanden ist, vgl. (30)). Diese Formen, bei denen auch die Verbalpartikel α lautlich geschwunden ist, implizieren keine Hervorhebung des Personalpronomens, sondern sind stilistisch vollkommen neutral. Da es sich historisch um Spaltsätze handelt, hat dies gleichzeitig zur Folge, daß die Verbform selbst - historisch gesehen - unveränderlich in der 3. Sg. steht. Die 3. Sg. hat das Personalsuffix 0 . Dadurch erfolgt die Kennzeichnung der Person nicht mehr, wie ursprünglich, durch Suffixe, sondern durch Präfixe:6 (40)
(41)
Groix
Groix
Sg.
Sg.
1 2 3 m. f. 1 2 3 m. f.
mazow
PI.
nizow xyzow xazow
,ich bin' usw.
tazow jäzow xizow maga:r taga:r jäga:r xiga:r
PI.
niga:r xyga:r xaga:r
,ich liebe' usw.
Die suffigierten Formen Groix /on/ ,ich bin', /ka:ran/ ,ich liebe' sind in anderer syntaktischer Verwendung weiter in Gebrauch.
247
Ist Bretonisch SVO oder VSO?
Wenn wir auf den Satz ,Ich bin fertig' zurückkommen, so haben wir im Groisillon folgende Möglichkeiten des Ausdrucks: 7 (42) (43)
Groix Groix
/mazo
pa:raj/
ich-bin
fertig
/pa:rej
on/
fertig
ich-bin
D e r Satz Groisillon
,Ich bin fertig' ,Ich bin F E R T I G '
(42) e n t s p r i c h t syntaktisch,
a b e r nicht stilistisch,
dem
schriftsprachlichen Satz (34): E r drückt keine Hervorhebung des Subjekts aus, sondern ist stilistisch neutral. Der Satz Groisillon (43) entspricht syntaktisch, aber nicht stilistisch, dem schriftsprachlichen Satz (32): E r ist nicht stilistisch neutral, sondern hebt das Prädikatsnomen hervor. Zwei etymologisch entsprechende Paare von Sätzen haben in der Schriftsprache und im Dialekt geradezu einander
entgegengesetzte
stilistische Werte. Die Hervorhebung des Subjektpronomens erfolgt im Groisillon durch den Gebrauch des selbständigen Personalpronomens /maj/ (39): (44)
5
Groix
/maj
azo
pa:raj/
ich
VP-ist
fertig
,ICH bin fertig'
Fazit für Bretonisch
Das Fazit der Betrachtungen
in Kap.
3. und 4.
ist also, daß Bretonisch
die
Wortstellung SVO angenommen hat, indem ein fokussierter Satz mit dem Subjekt in Initialstellung zum stilistisch neutralen Satz wurde. Dennoch ist Bretonisch keine ,reine' SVO-Sprache, da sich noch vereinzelte Reste des ursprünglichen Typs VSO zeigen, und zwar etwas stärker ausgeprägt in der normierten Schriftsprache, weniger stark in der gesprochenen Umgangssprache und in den Dialekten. Der einzige klare Fall von VSO in allen Sprachformen ergibt sich beim Gebrauch der situativen Formen von „sein", vgl. die Sätze (12) bis (14). Andere vereinzelte Indizien der Stellung VSO variieren j e nach Sprachniveau. Beispiel: Eine Regel besagt, daß nach einem einleitenden Adverb Inversion von Subjekt und Verb zu erfolgen habe (ähnlich wie dt. .Dann geht er ...'). Diese Regel gilt aber nur für die Schriftsprache und wird selbst dort nicht streng beachtet. Sie gilt jedenfalls nicht für die Umgangssprache und die Dialekte. Die normative Grammatik von Kervella geht sogar so weit, Sätze aus der Belletristik gemäß dieser Regel zu .verbessern' (Kervella 1947: 395):
7
Für .fertig' wird im Groisillon ein anderes Lexem als in der Standardsprache verwendet, nämlich /pa:raj/, welches in der Lautung standardsprachlich pare .vollständig' entspricht. Die lautlichen Varianten /zow/ — /zo/ .ist', /pa:raj/ — /pa:rej/ .fertig' sind auf satzphonetische Erscheinungen (Sandhi) im Groisillon zurückzuführen.
Elmar Ternes
248
(45) bret.
Neuze
an den
yaouank α
lamm ...
dann BA Mann jung VP springt ,Dann springt der junge Mann ...' wird von Kervella .korrigiert' (unter gleichzeitiger Umwandlung des Tempus) in: (46) bret.
Neuze
e
lammas
an
den
yaouank...
dann VP sprang BA Mann jung ,Dann sprang der junge Mann ...' Varin (1979) vermutet, daß die entsprechenden Regeln der normativen Grammatik in bewußter Anlehnung an das Walisische formuliert wurden und dem Zweck dienten, das Bretonische zu re-keltisieren. Diese Hypothese ist reizvoll, bedarf jedoch einer genaueren Überprüfung. Varin (1979: 97) weist selbst d a r a u f h i n , daß Inversion von 5 und V auch im Französischen und Englischen gebräuchlich ist und gibt selbst entsprechende Beispiele (deren deutsche Übersetzung ebenfalls Inversion zeigt):
(47) frz.
lei commence la Normandie
(48) engl.
Never in all my born days have I heard such a thing
,Hier beginnt die Normandie' .Niemals in meinem ganzen Leben habe ich so etwas gehört' Unter sorgfältiger Abwägung aller Gesichtspunkte kann man bezüglich der Titelfrage zusammenfassend folgende Auffassung vertreten: Das Bretonische ist in seiner natürlichen Ausprägung (Umgangssprache, Dialekte) eine SVO-Sprache mit vereinzelten isolierten Resten einer VSO-Sprache. Für die Schriftsprache sind von Grammatikern Regeln geschaffen worden (vielleicht in Anlehnung an das Walisische), die den VSO-Anteil gegenüber der Umgangssprache und den Dialekten etwas erhöhen. Die resultierende Form der Schriftsprache kann als im Übergang von VSO zu SVO befindlich charakterisiert werden. Sie ist jedenfalls von dem reinen VSO-Charakter des Walisischen deutlich verschieden. Bedeutsam ist dabei auch, daß es sich bei der erwähnten Übergangsform des schriftsprachlichen Bretonisch nicht um die Konservierung eines älteren Sprachzustands handelt, sondern um eine sprachplanerisch bewußt herbeigeführte Rückentwicklung des in der natürlichen Sprachentwicklung bereits erreichten Zustands. Indem Bretonisch von einer VSO- zu einer SVO-Sprache geworden ist, hat es sich typologisch von den inselkeltischen Sprachen entfernt und sich gleichzeitig den benachbarten kontinentaleuropäischen Sprachen angenähert, die ebenfalls den Typ SVO vertreten. Die Entwicklung beruht darauf, daß - wie beschrieben - ein Satz mit Hervorhebung des Subjekts durch syntaktische Fokussierung zum stilistisch neutralen Satz wurde. Der neutrale Satz des heutigen Bretonisch ist also historisch ein Spaltsatz.
6 Ausweitung auf das Romanische Zum Abschluß soll gezeigt werden, daß die Verwendung eines ursprünglichen Spaltsatzes in stilistisch neutraler Funktion im Bretonischen keine isolierte Erscheinung ist, sondern in einem areallinguistischen Zusammenhang steht. Im Gaskognischen
249
Ist Bretonisch SVO oder VSO?
(SW-Frankreich) ist seit längerem eine syntaktische Erscheinung bekannt, die als Enunziativ
(frz. inonciatif)
bezeichnet wird. Sie äußert sich darin, daß zwischen
Subjekt und Verb ein Element que tritt (Beispielsätze nach Haase 1997: 218f.): (49)
gask.
Lo
monde
BA Welt
que
van
tribalhar
ENZ
gehen
arbeiten
,Die Leute gehen arbeiten; frz. (50)
Les gens vont travailler'
gask.
La
hemna
BA Frau
qu'
a
ENZ
hat
arridut gelacht
,Die Frau hat gelacht; frz.
La femme a ri'
Die historische Erklärung dieses Phänomens ist in der Romanistik umstritten. Die am weitesten verbreitete Erklärung wird - neben Bourciez, Ronjat und Bec (vgl. Pilawa 1990: 26) - auch von Rohlfs in seinem klassischen Werk Le gascon. Philologie pyreneenne
Etudes
de
(1977: 206) vertreten. E r deutet que als Konjunktion und die
ganze Wendung als Verkürzung einer Paraphrase wie certainement
que, bien
sürque.
Dagegen interpretieren Wehr (1984: 86f.) und Haase (1997: 218) dieses que als ursprüngliches Relativpronomen, welches nunmehr in dieser syntaktischen Konstruktion grammatikalisiert ist. Die Interpretation bei Wehr und Haase erfolgte ohne Berücksichtigung des Bretonischen. Im Lichte der Entwicklung des Bretonischen scheint sie tatsächlich die richtige zu sein. 8 Die Charakterisierung des Enunziativ-Systems des Gaskognischen als „in der Romania einzigartig" bei Pilawa (1990: 23) trifft keineswegs zu. Die typologische Parallelität
reicht sehr viel weiter.
Gegenwart
sind zweigliedrige Konstruktionen
In der französischen Umgangssprache verbreitet,
in denen das
der
Subjekt
syntaktisch isoliert und durch ein Relativpronomen wieder aufgenommen
wird.
Gemeint sind Sätze wie:
(51) frz.
II y a le telephone qui sonne (aus einem Schlagertext der 60er Jahre, orthographisch
normierte
Wiedergabe) Satz (51) ist neutral zu übersetzen mit ,Das Telefon klingelt'. Es handelt sich hierbei nicht um die sog. mise en relief,
(52) frz.
wie sie in dem folgenden Satz vorliegt:
C'est le president qui a parli ,Der P R Ä S I D E N T hat gesprochen (und nicht eine andere Person)'
In Satz (51) steht le telephone
nicht im Kontrast zu einem anderen Gegenstand, der
geklingelt haben könnte. Barbara Wehr hat in ihrem Buch Diskurs-Strategien Romanischen
im
(1984) zahlreiche Beispiele der Art von (51) angeführt und als Erklärung
vorgeschlagen (Wehr 1984: 58), daß mit dieser Konstruktion der Satzgegenstand als „neu im Diskurs" gekennzeichnet wird. Dabei gibt es verschiedene Wendungen, die alle den gleichen syntaktischen und stilistischen Typ verkörpern. Wir führen einige
Auf die Beziehungen zum Baskischen können wir an dieser Stelle nicht eingehen.
250
Elmar Ternes
weitere Beispiele aus Wehr (1984) an, ohne auf die Feinheiten der inhaltlichen Interpretation einzugehen. Wichtig ist in unserem Zusammenhang, daß überall das Verbum durch ein Relativpronomen eingeleitet wird, ohne daß es sich um kontrastive Hervorhebung (mise en relief) handelt: (53) frz. Maman, il y a ma poupee qui s'est cassie (S. 59) ,Mama, meine Puppe ist zerbrochen' (54) frz. C'est mon ami qui sera content (S. 61, 64) ,Da wird mein Freund aber froh sein' (55) frz. J'ai mon gösse qui est malade (S. 74) .Mein Kind ist krank' (56) frz. Voilä mon fils qui arrive (S. 76) ,Da kommt mein Sohn' (57) frz. Ton nez qui coule (S. 79) .Deine Nase läuft' (58) frz. Et ma bagnole qui n'est pas encore payee! (S. 88) .Mein Wagen ist noch nicht bezahlt!' Satz (57) frz. Ton nez qui coule ist mit den gaskognischen Sätzen (49), (50) und letztlich auch mit dem bretonischen Satz (7) in der Konstruktion vollkommen identisch. Man kann sich leicht vorstellen, daß sich pragmatische Bedingungen wie „neu im Diskurs" (s.o.) abschwächen, so daß Sätze wie (51), (53) bis (58) allmählich ihre diskursive Besonderheit verlieren und zu stilistisch neutralen Sätzen werden. Diese Entwicklung scheint im Gaskognischen abgeschlossen zu sein. Im umgangssprachlichen Französisch wird sie unterschwellig weiterwirken, aber nicht so leicht zum Abschluß kommen, da die standardsprachliche Norm immer wieder konterkarierend wirkt. Für das Bretonische gab es jahrhundertelang keine Norm.' Die Kontakte zu den keltischen Schwestersprachen auf den britischen Inseln waren seit dem frühen Mittelalter abgerissen. Daher konnte sich das Bretonische praktisch ungehemmt entwickeln und den Vorgang ebenfalls zum Abschluß bringen. Erst in jüngerer Zeit haben normative Grammatiker wie Kervella (1947) ein wenig gegenzusteuern versucht. Wehr (1984) nennt neben zahlreichen Beispielen aus der französischen Umgangssprache auch solche aus französischen Dialekten und aus anderen romanischen Sprachen (z.B. Italienisch, Rätoromanisch). Wir haben es also mit einer gesamtromanischen Tendenz zu tun, die vermutlich auf galloromanischem Boden am stärksten ausgeprägt ist. Das Bretonische fügt sich nahtlos in diesen arealen Kontext ein. Diese arealen Zusammenhänge stützen ihrerseits die Plausibilität der Entwicklung im Bretonischen.
Man beachte, daß dasselbe Argument, nämlich das „Fehlen eines verbindlichen schriftsprachlichen Modells" (Pilawa 1990: 20, Vorwort von Wolfgang Raible), auch f ü r die Entwicklung im Gaskognischen genannt wird.
251
Ist Bretonisch SVO oder VSO?
Bretonisch als keltische Sprache kommt als einzige der beteiligten Sprachen von dem Wortfolgetyp VSO her. Durch die beschriebene Entwicklung hat es den für die inselkeltischen Sprachen neuen Typ SVO angenommen. Die beteiligten romanischen Sprachen gehörten schon vorher dem Typ SVO an, so daß sich durch die beschriebene Entwicklung zwar die syntaktische Konstruktion, nicht aber der Wortfolgetyp geändert hat. Dies läßt sich schematisch folgendermaßen ausdrücken (die syntaktische Hervorhebung ist durch Einrahmung gekennzeichnet):
(59)
7
Breton.
VSO-
| s J v O - SVO
Gaskogn. SVO -
[ s j v o - SVO
Schlußbetrachtungen
Diachrone Veränderungen des Wortfolgetyps sind schon für verschiedene Sprachen beschrieben worden. Ein Wandel VSO zu SVO liegt auch im Ägyptischen vor: Altägyptisch hatte VSO, seine jüngste Fortsetzung in der Geschichte, das Koptische, zeigt die Wortstellung SVO. Dieser Wandel ist auf andere Weise als im Bretonischen zustande gekommen: Das initiale Verb hat über einen Zwischenstatus als Hilfsverb schließlich seinen verbalen Status ganz verloren (Claudi 1994: 220ff.). Ein anderer Zweig des Afroasiatischen, nämlich Semitisch, zeigt ebenfalls einen Wandel VSO zu SVO: Klassisches Arabisch hatte VSO als stilistisch neutrale Stellung und SVO zur Hervorhebung des Subjekts. In den neuarabischen Sprachen bzw. Dialekten ist SVO die neutrale Wortstellung, so z.B. im Maltesischen (Aquilina 1973: 341). Dieser Wandel scheint sich - abgesehen von dem Stellungstausch von V und S - ohne weitere Änderungen der grammatischen Struktur bzw. ohne Grammatikalisierungsprozesse vollzogen zu haben. In diesem Rahmen ist zu wünschen, daß der Fall des Bretonischen stärker als bisher einen Platz in der Diskussion zur Wortfolgetypologie, insbesondere die diachrone Veränderung der Wortfolge betreffend, einnimmt.
Literatur Ahlqvist, Anders: Typological Notes on Irish Word-Order. In: Studies in Descriptive and Historical Linguistics. Festschrift for Winfred P. Lehmann. Ed. by Paul J. Hopper. Amsterdam: Benjamins (1977), 267-281. Aquilina, Joseph: The Structure of Maltese. Α Study in Mixed Grammar and Vocabulary. The Royal University of Malta (1973). Bergin, Osbom: On the Syntax of the Verb in Old Irish. In: Eriu 12 (1938), 197-214.
Elmar Ternes
252
Claudi, Ulrike: Word Order Change as Category Change. The Mande Case. In: Perspectives on Grammaticalization. Ed. by William Pagliuca. Amsterdam/Philadelphia: Benjamins (1994), 191-231. Eska, Joseph F.: Towards an Interpretation of the Hispano-Celtic Innsbruck: Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft (1989).
Inscription of
Botorrita.
Eska, Joseph F. and D. Ellis Evans: Continental Celtic. In: The Celtic Languages. Ed. by Martin J. Ball with James Fife. London/New York: Routledge (1993), 26-63. Greenberg, Joseph H.: Some Universals of Grammar with Particular Reference to the Order of Meaningful Elements. In: Universals of Language. Ed. by Joseph H. Greenberg. Cambridge, Mass./London: M.I.T. Press. 2nd ed. (1968), 73-113. Greene, David: Archaic Irish. In: Indogermanisch und Keltisch. Kolloquium der Indogermanischen Gesellschaft am 16. und 17. Februar 1976 in Bonn. Hg. von Karl Horst Schmidt. Wiesbaden: Reichert (1977), 11-33. Haase, Martin: Gascon et basque: bilinguisme et substrat. In: Sprachtypologie und Universalienforschung 50 (1997), 189-228 [ursprünglich Universität Hamburg, Arbeiten zur Mehrsprachigkeit 50/1993]. Hemon, Roparz: A Historical Morphology and Syntax of Breton. Dublin: Institute for Advanced Studies (1975). Kervella, F.: Yezhadur bras ar brezhoneg. La Baule: Skridoü Breizh (1947). Lambert, Pierre-Yves (1994): La langue gauloise. Description linguistique, d'inscriptions choisies. Paris: Editions Errance (1994).
commentaires
Lehmann, Winfred P.: Proto-Indo-European Syntax. Austin/London: University of Texas Press (1974). - Modifications in Syntactic Change from SOV to VSO Structure. In: Indogermanica et Caucasica. Festschrift für Karl Horst Schmidt zum 65. Geburtstag. Hg. von Roland Bielmeier und Reinhard Stempel. Berlin/New York: de Gruyter (1994), 97-109. Pilawa, Jürgen: Enunziative. Eine sprachliche Neuerung im Spiegel der gaskognischen Schriftkultur. Tübingen: Narr (1990). Räude, Alan J.: Perak ez eo fall lakaat A dirak ZO. In: Sav 31 (1944), 55-56. Rohlfs, Gerhard: Le gascon. Etudes de Philologie pyrenenne. Tübingen/Pau: Niemeyer/ Marrimpouey Jeune (1977). 3" ed. (Beihefte zur Zeitschrift fir Romanische Philologie, 85). Schmidt, Karl Horst: Der Beitrag der keltiberischen Inschrift von Botorrita zur Rekonstruktion der protokeltischen Syntax. In: Word 28 (1977), 51-62. Temes, Elmar: Grammaire structurale du breton de l'Ile de Groix. Heidelberg: Winter (1970). - Die Sonderstellung des Bretonischen innerhalb der keltischen Sprachen. Eine typologische Untersuchung. In: Zeitschrift für celtische Philologie 37 (1979), 214-228. -
The Breton Language. In: The Celtic Languages. Ed. by Donald MacAulay. Cambridge: University Press (1992), 371-452. Timm, Lenora Α.: The Discourse Pragmatics of NP-Initial Sentences in Breton. In: Studies in Brythonic Word Order. Ed. by James Fife and Erich Poppe. Amsterdam/ Philadelphia: Benjamins (1991), 275-310. Tovar, Antonio: Das Irische und die Typologie. In: Studies in Diachronic, Synchronic, and Typological Linguistics. Festschrift for Oswald Szemerenyi on the Occasion of his 65th Birthday. Ed. by Bela Brogyänyi. Amsterdam (Benjamins), Part II (1979), 885-902. Varin, Amy: VSO and SVO Order in Breton. In: Archivum Linguisticum (1979), 83-101.
(new series) 10/2
253
Ist Bretonisch SVO oder VSO?
Watkins, Calvert: Preliminaries to a Historical and Comparative Analysis of the Syntax of the Old Irish Verb. In: Celtica 6 (1963), 1-49. Wehr, Barbara: Diskurs-Strategien im Romanischen. Tübingen: Narr (1984).
Ein Beitrag zur romanischen
Syntax.
Hildegard L. C. Tristram
The Celtic Englishes" - Zwei grammatische Beispiele zum Problem des Sprachkontaktes zwischen dem Englischen und den keltischen Sprachen
Anhand zweier grammatischer Beispiele möchte ich vorführen, um welche Problematik es sich bei dem Forschungsprojekt „The Celtic Englishes" handelt, das ich seit 1995 an der Universität Potsdam leite. Bei beiden Beispielen liegen synchron formale translinguistische syntaktische Entsprechungen vor, d.h. Entsprechungen zwischen den heute noch lebenden keltischen Sprachen und denjenigen Varietäten des heutigen Englischen, die in den Ländern gesprochen werden, in denen heute noch eine keltische Sprache lebt oder wo ein Sprachwechsel zwischen einer keltischen Sprache und dem Englischen (vor kurzer oder längerer Zeit oder über einen längeren Zeitraum hinweg) stattgefunden hat. Sog. „Celtic Englishes" werden nicht nur auf den Britischen Inseln und in Irland gesprochen, sondern auch da, wohin Sprecher dieser Varietäten des Englischen ausgewandert sind oder wo monoglotte Auswanderer ihre
keltische
Muttersprache schließlich zugunsten des Englischen aufgegeben haben (Nordamerika, Australien und Neuseeland). Mein Ansatz ist semasiologisch, d.h. ich gehe von der Form aus, frage nach deren grammatischen und semantischen Funktion(en), frage sodann nach kontaktsprachlichen Analoga bzw. Parallelen und suche Kriterien zu finden, die einen möglichen Zusammenhang dieser Formen plausibel erscheinen lassen. 1
Mein herzlicher Dank gilt Prof. Gearöid Mac Eoin (Galway), Dr. Meidhbhin Ni LIrdail (Cork), Dr. Andrea Sand (Freiburg), Dr. Jon Axel Haröarson (Freiburg), Prof. Jörg Glauser (Zürich/Basel), Prof. Erich Poppe und Ingo Mittendorf M.A. (Marburg), Dr. Sabine Heinz (HU Berlin), Johannes Heinecke M.A. (HU Berlin), Dr. Arndt Wigger (Wuppertal), Prof. Barbara Wehr (Mainz) und Christina Jacobs M.A. (Potsdam). Sie haben verschiedene Ausfertigungen des Konzeptes gelesen oder den Vortrag in Bonn gehört und kritisch kommentiert oder weitere Beispiele geliefert. Nur mit der Hilfe von kompetenten Sprechern verschiedener Sprachen ist interdisziplinäre Forschung durchführbar. Ich danke auch den Teilnehmern des mittwöchlichen Forschungskolloquiums „Sprachwandel" an der Universität Potsdam, insbesondere Prof. Achim Hoffmann und Dr. Heidi Bonin, für die Diskussion der hier vorgestellten Gedanken. Alle Fehler und Irrtümer habe ich selbstverständlich selber zu verantworten.
255
„ The Celtic Englishes"
Erstes Beispiel Sachverhalt Das erste Beispiel betrifft die Kategorie des Aspektes, so wie ich ihn verstehe,2 im Englischen, Irischen, Schottisch-Gälischen, Kymrischen und Bretonischen.3 Es handelt sich um periphrastische Konstruktionen. Auf eine flektierte Form von SEIN folgt eine infinite Verbform, {VERB(stamm) + -ing} im Englischen und das Verbalnomen (VN) in den keltischen Sprachen. Vor dem Verbalnomen steht ein Konstruktionsmarker (yn [kymr.], ag [ir.], ο [bret.]). Da -ing im Englischen als Suffix angesehen werden muß, sind die keltischen periphrastischen Konstruktionen analytischer als die englische Konstruktion. Entsprechend der von J. Kurylowicz4 vertretenen These der allgemeinen Entwicklung (er spricht von shift) von der Synthetizität zur Analytizität sind die keltischen Sprachen progressiver als das Englische.5 Aspekt I (la)
SEIN + {VERB (stamm)+-ing} speaking I'm
(1b)
+ Partikel + VN SEIN rwy' η siarad täim ag labhairt me a zo ο komz
EE
W Ir Β
Die Bedeutung dieser Formen umfaßt u.a. den sog. Parontiv, d.h. den Ausdruck dessen, was gerade jetzt geschieht. Sie umfaßt auch den Durativ und den Progressiv, d.h. eine Handlung oder einen Zustand, dessen Anfang und Ende nicht einbezogen wird, und die entweder eine Veränderung beinhalten oder nicht. Zusammenfassen
3
4
5
Vgl. Hildegard L.C. Tristram, Aspect in Contact, in: Wolfgang Riehle und Hugo Keiper, Hrsgg., Anglistentag 1994 Graz, Tübingen 1995, S. 269-94. Obwohl das Bretonische nicht als Input in ein „keltisches Englisch" angesehen werden kann, ist seine Einbeziehung in die folgenden Überlegungen nützlich, weil es externe Belege für die „Keltizität" einer Konstruktion liefern kann. Die bretonischen Beispiele belegen, daß die fraglichen Konstruktionen fest in der Syntax der modernen keltischen Sprachen verankert sind. Jerzy Kurylowicz, The Inflectional Categories of Indo-European, Heidelberg 1964. Diesen Hinweis verdanke ich Dr. Rolf Ködderitzsch (Bonn). Im Zusammenhang mit dieser Entwicklungslinie ist auch die These von Johannes Heinecke (HU Berlin) zu verstehen, der zufolge das Walisische und das Bretonische Aspektsprachen sind, d.h. Aspektoppositionen auf allen Zeitstufen aufweisen, während das Englische und das Irische diesen Zustand noch nicht erreicht haben, aber schon „fortschrittlicher" sind als beispielsweise das Niederländische oder das Deutsche. Siehe seine Dissertation Temporal Deixis in Welsh and Breton (Potsdam 1998).
Hildegard
256
L.C.
Tristram
lassen sich diese Funktionen unter dem Terminus Imperfektivität. Von der Verwendung dieser Konstruktion sind in den genannten Sprachen nur wenige Verben ausgeschlossen. Die Verwendung dieser Konstruktion breitet sich im Englischen laufend aus und erlaubt mittlerweile auch die Verwendung von Verben, die früher von der Konstruktion ausgeschlossen waren, z.B. I am thinking that ...6
Aspekt Π
(2a)
HABEN
+
I have
(2b)
SEIN
{VERB(stamm)+-ed}
+
rwyf taim
Partikel
+ VN
wedi tar eis i ndiaidh
talu ioc
(me am eus
(2c)
SEIN
EE
paid
+ Partikel
WE, IrE, ScE I'm after
paeet
W Ir
B)
+ {VERB (stamm)+-ing} paying
Der zweite Aspekttyp drückt die Perfektivität oder die Resultativität einer Handlung oder eines Zustandes in der Gegenwart aus. Er wird im Englischen durch eine Form von HABEN plus einer infiniten Verbform ausgedrückt; diese setzt sich zusammen aus {VERB(stamm)+-ed}. Die Perfektivität/Resultativität wird also durch den Kontrast von HABEN zu SEIN und durch den Konstrast von -ed zu -ing ausgedrückt. 7 Es handelt sich um eine doppelt markierte Distinktivität. Im Walisischen und Irischen folgt auf die flektierte Form von SEIN wieder das Verbalnomen, das aber durch einen spezifischen Konstruktionsmarker als perfektiv/resultativ gekennzeichnet ist (wedi [kymr.], tar eis /tr'e:s'/ 8 oder i ndiaidh /in'i:3g'/ [irisch]). Diese Konstruktion ist, anders als im Englischen, nur einfach markiert. Durch den Status von -ed als gebundenes Morphem ist Englisch wieder synthetischer als die beiden keltischen
6
7
8
Vgl. Christian Mair and Marianne Hundt, Why is the Progressive Becoming in English? A Corpus-Based Investigation of Language Change in Progress, Keiper, Anglistentag 1994 (s.o. Fn. 2), S.247-54; auch in: Zeitschrift für Amerikanistik 18 (1995), S. 111-122. Im historischen Englischen gab es, wie noch im heutigen Deutschen oder im auch SEIN-Perfektiva. Die Grammatikalisierung des Aspektes II vollzog größtmöglicher Kontrastbildung. Phonetische Realisation in der Regel als [tr'e:ä].
More Frequent in: Riehle und Anglistik und Französischen, sich also mit
The Celtic Englishes"
257
Sprachen und diese dadurch progressiver. Irisches, Schottisches und Walisisches Englisch haben aber auch die Möglichkeit einer Doppelmarkierung, die Analytizität und Synthetizität vereint. Diese Konstruktion verbindet die flektierte Form von SEIN mit der analytischen Markierung durch die Präposition bzw. den Konstruktionsmarker after plus {VERB(stamm) + -i'ng} als synthetische Form: I am after playing ,I have just finished playing'. Dies ist das sog. „hot news perfect". 9 Auch diese Konstruktion ist zweifach markiert, allerdings anders als im Standardenglischen. Das Bretonische stimmt interessanterweise in gewissem Maße mit dem Englischen überein, indem es eine perfektive Form {VERB(stamm) + -et] besitzt, die auf eine Form von HABEN {am eus etc.) folgt. Diese Form von HABEN ist durch Grammatikalisierung von speziellen Formen von SEIN entstanden: me am eus c'hoari-et ,ich habe gespielt'. Die Forschung spricht hier von Interferenz des Französischen. 10
Forschungsproblematik Die Forschung hat sich gefragt (und kontrovers diskutiert), wie die periphrastischen Analoga und weitere syntaktische und phraseologische Gemeinsamkeiten im Englischen (Standard und keltische Varietäten) und in den keltischen Sprachen zu erklären sind. Dabei gibt es unter den Anglisten grundsätzlich zwei Lager (mit einigen Abstufungen). Man könnte das eine Lager als das der „anglicists" bezeichnen. Sie trachten, die englischen Besonderheiten des Aspektes (etwa gegenüber dem Niederländischen, dem Friesischen, dem Deutschen oder Dänischen) aus der historischen Entwicklung des Englischen selbst heraus zu erklären." Die Anhänger des anderen Lagers sind als „substratumists" bezeichnet worden,12 d.h. sie führen die
John Harris, Syntactic Variation and Dialect Divergence, Journal of Linguistics 20 (1984), S. 303-27; Markku Filppula, The Grammar of the Irish Dialects of English: Some Problems and Controversies, in: Hildegard L.C. Tristram, Hrsg., The Celtic Englishes, Heidelberg 1997, S. 225-44. 10
11
12
Typologisch entspricht das Bretonische damit nicht nur der Perfektivkonstruktion des Französischen, sondern auch des Englischen und z.T. auch des Deutschen. Siehe z.B. Roger Lass, Irish Influence: Reflections on 'Standard' English and its Opposites, and the Identification of Caiques, Studia Anglica Posnaniensia 18 (1986), S. 81-87; ders., Early Mainland Residues in Southern Hiberno-English, Irish University Review 20 (1990), S. 137-48; Clara Ferranti, English in Ireland and the Genesis of Hiberno-English, Annali della Facoltä di Lettere e Filosofia dell'Universitä di Macerata 25 (1994), S. 203-49; dies., L'aspetto abituale nell'Inglese d'Irlanda: dinamica interlinguistica ο principio funzionale?, in: R. Bombi, Hrsg., Lingue speciali e interferenza. Atti del Convegno Seminanale Udine, 16-17 maggio 1994, Rom 1995, 157-75. Markku Filppula, „Subordinating And in Hiberno-English Syntax: Irish or English Origin?", in: P. Sture Ureland and George Broderick, eds., Language Contact in the British Isles, Proceedings of the Eighth International Symposium on Language Contact in Europe, Douglas, Isle of Man, 1988, Tübingen 1991, 617-631, S. 617; ders., Cross-Dialectal Parallels and Language Contacts: Evidence from Celtic Englishes, in: Raymond Hickey and Stanislaw
Hildegard L.C. Tristram
258
aspektualen englischen Konstruktionen auf keltischen Einfluß (hier:
Lehnsyntax)
zurück. Ich persönlich bevorzuge die Bezeichnung „substrativists" (so auch im folgenden). Die soziohistorische Kontaktsituation zwischen England und den keltischen Ländern wird von diesen als Sprachkontakt innerhalb des sog. Strata-Modelles, d.h. zwischen dem englischen Superstrat und dem keltischen Substrat, verstanden. 1 3 Nach guter alter philologischer Methode muß man sich in den
genannten
Kontaktsprachen nun die ältesten Belege ansehen. Die Sprachkontaktsituation zwischen ihnen besteht immerhin schon ca. 1500 Jahre. Im Altenglischen gab es nur zwei morphologisch markierte Tempora, das Präsens und das Präteritum. Mit Hilfe der Adverbiale dienten sie zum Ausdruck sämtlicher zeitlicher Relationen. Gegen Ende der altenglischen Periode (10. und 11. Jh.) tauchen erste periphrastische
Beispiele wie ( l a )
und
(2a) auf.
Mit dem
Verlust
der
Flexionsendungen der Verben konnte deren Grammatikalisierung beginnen. Im Mittelenglischen wird sie zuerst faßbar. Sie verfestigt sich im 18. Jh. Der Gebrauch der periphrastischen Tempora im Englischen dehnt sich im 20. Jh., wie erwähnt, weiterhin erheblich aus, zum Teil auf Kosten der ursprünglichen Tempora, insbesondere in den sog. New Englishes und in den Englischen Kreols. Die keltischen periphrastischen Formen sind dagegen schon in den ältesten Texten belegbar, aber sie scheinen noch nicht in dem Sinne grammatikalisiert gewesen zu sein wie im heutigen Irischen und Schottisch-Gälischen. 1 4 Im älteren Altirischen (9. Jh.) heißt es z.B. biuu-sa oc irbäig dar far cenn-sifri
Maccidöndu
(Wb. 16d8)
ich bin immer (Habit.) beim Verherrlichen für euch gegenüber den Mazedoniern ,ich verherrliche euch gegenüber den Mazedoniern'
13
14
Puppel, Hrsgg., Language History and Linguistic Modelling. Α Festschrift for Jacek Fisiak on his 60th Birthday, Berlin 1997, 943-57, S. 945-48. Die Position der „substrativists" lautet wie folgt: Wenn innerhalb eines bestimmten geographischen Raumes Muttersprachler zweier oder mehrerer Sprachen aus unterschiedlichen Gründen standig neben- und miteinander leben und in einer Reihe von sozialen Situationen interagieren, dann beeinflussen sich diese Sprachen auf den verschiedenen linguistischen Ebenen. Nimmt man den Macht- und Prestigefaktor hinzu, dann geht die Strata-Theorie davon aus, daß die Sprache mit dem höheren Prestige (Superstrat) die Sprache mit dem geringeren Prestige (Substrat) stärker beeinflußt als umgekehrt. Letztere wird als minderwertig angesehen, weil die Sprecher annehmen, daß sie von geringerem sozialen Wert ist und damit auch einen geringeren persönlichen Nutzen bietet. Sinkt der Nutzen auf Null, wird das Substrat aufgegeben. Vgl. Uriel Weinreich, Languages in Contact, den Haag 1953, 21962, Neudr. 1968; dt. Übersetzung von Jörg Kohlhase, Sprachen in Kontakt, München 1977 (mit neuem Nachwort); Sarah G. Thomason and Terrence Kaufman, Language Contact, Creolization, and Genetic Linguistics, Berkeley 1988; Theo Vennemann gen. Nierfeld, Etymologische Beziehungen im Alten Europa, Der Ginkgo Baum. Germanistisches Jahrbuch ßr Nordeuropa 13, Helsinki 1995, 39-115, bes. S. 43 (Strataregeln). Vgl. Kim McCone, The Early Irish Verb, Maynooth 1987, S. 23 f.
„ The Celtic Englishes"
259
is
oc precept
es ist
beim Predigen des Evangeliums
soisceli
attd (Wb. 21c 19) ich bin
,ich bin beim Predigen des Evangeliums'. 1 5 Diese Konstruktion vertritt den Typ ( l b ) des Aspektes. Allerdings gab es zu dem Zeitpunkt auch noch synthetische Verbformen, deren Flexionsendungen zueinander in Relation von Aktionsarten stehen, wie z.B. das Präteritum und der Imperfekt oder der Habitualis beim Verb SEIN. Das bedeutet, im Altirischen wurde mit Hilfe der Verbmorphologie zwischen Perfektivität und Imperfektivität sowie Habitualtät und Nichthabitualität unterschieden. Diese Aktionsarten waren jedoch defektiv, d.h. sie waren nicht in allen Zeitstufen (und nicht bei allen Verben) gleichmäßig vertreten. Man könnte vermuten, daß die periphrastischen Konstruktionen hier durch Ausdruckszwang im System entstanden sind, d.h. z.B. daß, da der Unterschied zwischen Perfektivität
und Imperfektivität
einer Handlung
oder eines Zustandes
in
der
Vergangenheit mittels des morphologischen Kontrastes zwischen Präteritum und Imperfekt ausgedrückt wurde, die Lücke für die Gegenwart schon früh mit Hilfe der periphrastischen Konstruktion SEIN + oc VN geschlossen wurde. Die Formen des Typs (2b) sind im Altirischen nicht belegt und treten erst etwa zur gleichen Zeit auf wie die entsprechenden englischen Formen des Perfekts, d.h. ab dem Hochmittelalter. 1 6 Aber auch das könnte man inneririschen Systemzwängen zurechnen. Das Altirische hatte ein morphologisch durch die präverbale Tempuspartikel
ro-
markiertes Perfekt. 1 7 Diese Tempusmarkierung wurde durch do- ersetzt, und der so markierte Verbalkomplex nahm die Bedeutung des Präteritums an. Mit anderen Worten, die Perfektstelle wurde frei und durch die periphrastische {SEIN + tar eis (,nach') VN} Konstruktion gefüllt. Augenscheinlich empfanden die Sprecher das Bedürfnis, der Perfektivität in Bezug auf die Gegenwart Ausdruck zu geben. Der Typ (2c) sieht allerdings stark nach einem keltischen calque (Lehnübersetzung) aus. Die perfektiven Konstruktionsmarker kymr. wedi,
ir. tar eis / t r ' e : s ' / oder i
ndiadh / i n i ' s g ' / scheinen wörtlich durch die Präposition after wiedergegeben worden zu sein, denn die keltischen Marker können nicht nur vor Verbalnomina, sondern auch vor nominalen Elementen (Substantiven, Personalpronomina), eben als Präpositionen, verwendet werden.
15
16
17
Das Dictionary of the Irish Language (DIL) Ο, 83.65-84.78 gibt viele Beispiele. Vgl. McCone, The Early Irish Verb (s.o. Fn. 14), S. 23 f.; ders.. An tSean-Ghaeilge agus a Reamhstair, in: Kim McCone et al., Hrsgg., Stair na Gaeilge in Ömös do Pädraig 0 Fiannachta, Maynooth 1994, S. 135 (§ 22.3), 214 (§ 36.8); Liam Breatnach, An Mheän-Ghaeilge, in: ibid., S. 289 (§ 11.42). Breatnach sagt erstaunlicherweise, daß die Konstruktion im Mittelirischen nicht häufig sei: „ach nil an üsäid seo coitianta sa MG". DIL gibt keine Beispiele für SEIN + tar eis + VN oder SEIN +(' ndiaidh + VN. Allerdings zitiert DIL I 17.14-5 Beispiele aus der friihneuirischen bardischen Dichtung für eine Konstruktion vom Typ SEIN + a f - + VN, wobei a f - < altirisch iaf- ,nach'. Es scheint, daß die iaf' -Konstruktion der heutigen vorangegangen ist. Weitere Perfektmarkierungen umfassen andere residuale Tempuspartikel.
260
Hildegard
L. C.
Tristram
Die neuen periphrastischen Strukturen im Englischen und in den keltischen Sprachen können aus sprachinternen Gründen nicht völlig isomorph sein, da sich die grammatischen Grundstrukturen dieser Sprachen zu sehr unterscheiden: Die keltischen Sprachen haben als infinite Form ein „Verbalnomen" und keinen „Infinitiv" wie das Englische; 18 das Verbalnomen wird für vielerlei verschiedene Konstruktionen verwendet; als Teile des Prädikates werden sie mit vorangestellten Partikeln konstruiert; diese Partikeln können verschiedene temporale Relationen ausdrücken, wie z.B. Gegenwärtigkeit (kymr. yn), P r o g r e s s i v s t (kymr. yn), Perfektivität (kymr. wedi, newydd) und Futurität (kymr. ar), aber auch die atemporale Kategorie der Negation (kymr. heb). Die keltischen Sprachen haben, anders als das Englische, kein Partizip Präsens. Das Irische und Kymrische haben auch kein eigentliches Partizip Perfekt," wenn sie auch über ein Verbaladjektiv verfügen, das attributiv und prädikativ verwendet werden kann (ir. tä'n doras diinta ,die Tür ist geschlossen' oder .verschlossen'; tä se fachta geallta ,he has gotten engaged'). 2 0 Die Verbaladjektivkonstruktion tä
ioctha
agam
ist
gekauft
bei mir
,ich habe (es) bezahlt' entspricht der Konstruktion (2b) täim tar iis ioc (,ich bin nach dem Bezahlen', d.h. ,ich habe bezahlt'). Der Unterschied zwischen beiden Konstruktionen liegt darin, daß bei der ersten die Resultativität betont wird und bei der zweiten die Perfektivität. Die syntaktische Unterscheidung zwischen Resultativität und Perfektivität schlägt nach
18
Der Unterschied zwischen einem Verbalnomen und einem Infinitiv besteht darin, daß das Verbalnomen eines transitiven Verbs ein davon abhängiges Objekt im Genitiv regiert und nicht im Akkusativ wie beim Infinitiv. An diese syntaktische Trennung infiniter Verbformen schließen sich weitere typologische Merkmale an. Es scheint, daß die keltischen Sprachen hier Gemeinsamkeiten mit dem Altlatein aufweisen. Diese Unterscheidung zwischen Verbalnomen und Infinitiv ist jedoch historischer Art und nur solange relevant, wie eine Sprache einen morphologisch markierten Genitiv bzw. Akkusativ besitzt. Bei den modernen keltischen Sprachen ist der Genitiv nur noch im Irischen gegeben. Da im Kymrischen und Bretonischen dies nicht mehr der Fall ist, sprechen hier die modernen Grammatiken auch bereits vom Infinitiv. Das Lateinische scheint schon viel früher den Übergang vom Verbalnomen zum Infinitiv vollzogen zu haben als die keltischen Sprachen. Da für meine Argumentation die historische Perspektive ausschlaggebend ist, bleibe ich bei der historischen Unterscheidung zwischen Verbalnomen und Infinitiv. Vgl. Jean Gagnepain, La syntaxe du nom verbal
dans
les langues
und
celtiques,
I. irlandais,
Paris
1963; Hans Hartmann,
Synchronische
diachronische Studien zur Syntax des Irischen, ZCP 37 (1979), 10-157, S. 22 f. 19
Die Partizipform des Bretonischen auf -et und deren Tempusfunktion verdient eine gesonderte Betrachtung.
20
Munster Irisch (Kerry); ich verdanke dieses Beispiel Meidhbhin Ni Ürdail (Cork).
„ The Celtic
261
Englishes"
Harris und Filppula auch im IrE durch; vgl. den Unterschied zwischen I am after paying the house and I have the house paid. Das Standardenglische verwendet zur Konstruktion von (2a) das Hilfsverb HAVE, und die keltischen Sprachen haben (mit Ausnahme des modernen Bretonischen) ein solches Verb bekanntlich nicht. Zum Ausdruck des Parontivs und Progressivs sowie der Perfektivität und Resultativität greifen sie daher zu analogen grammatischen Mitteln, die in den jeweiligen strukturellen Möglichkeiten der Sprachen angelegt sind. Ich hätte Mühe, für die englischen Beispiele (la) und (2a) einer „substrativist" Position Glauben zu schenken, daß diese Konstruktionen aus den keltischen Sprachen entlehnt worden sein könnten, obwohl die dem Typ (la) analoge Konstruktion (lb) im Irischen viel früher belegt ist als im Englischen. Die Konstruktion (la) kommt in allen Varietäten des heutigen Englischen vor, der Typ (2a) ebenfalls, auch wenn das sog. „present perfect" z.B. im IrE und im Highland und Island English den höheren Sprachregistern angehört. Es ist ferner bezeichnend, daß die Konstruktion in allen keltischen Sprachen einen Konstruktionsmarker aufweist, im Englischen hingegen nicht. Ich hätte Bedenken gegen die „substrativist" Position auch aus soziokulturellen Gründen. Das Prestige der keltischen Sprachen war in England seit frühester Zeit vermutlich so niedrig, daß Sprechern des Englischen durch den Sprachkontakt mit den keltischen Sprachen ein individueller kommunikativer Nutzen oder ein kollektiver Vorteil durch den Gebrauch periphrastischer Konstruktionen entstanden sein könnte.21 Gegen eine Entlehnung in umgekehrter Richtung spricht, wie gesagt, die Priorität der altirischen Belege und ihre feste Verankerung in der Syntax der keltischen Sprachen. Außerdem waren die keltischen Sprachen bis zum 17. Jh. selbst noch so vital, daß sie englischen Syntagmen gegenüber genügend Resistenz aufwiesen. Wie läßt sich also das Aufkommen der periphrastischen Analoga erklären? Ich kenne
21
Eine ablehnende Einstellung gegenüber dem Irischen läßt sich deuüich aus Bedas Darstellung des Osterstreits (Historia ecclesiastica
gentis anglorum,
Kap. III.25 passim
(731 η. Chr.))
herauslesen, da die Iren im Osterstreit seiner Ansicht nach einer falschen Zeitrechnung und falschen kirchlichen Riten anhingen. Trotz des von Beda bezeugten frühen intensiven Kontaktes zwischen den Iren und den Angelsachsen gibt es im altenglischen Schrifttum nur einen einzigen eindeutigen Beleg für volkssprachliche Interaktion. Es handelt sich um ca. 90 altirische Wörter in altenglischen Zaubersprüchen (vgl. Howard Meroney, Irish in the Old English Charms, Speculum 20 (1945), S. 173-182; Hildegard L.C. Tristram, Vom Abschaben irischer Handschriften im alten England, in: Ursula Schaefer, Hrsg., Schriftlichkeit Mittelalter, Anglo-Saxon
Tübingen 1993, 153-177, bes. S. 167; Brian 0 Broin, Defence England
and Early Medieval
Ireland,
im frühen Charms
in
unveröff. M.Phil. Diss., Cork 1994).
Auch der Einfluß des Britannischen auf das Alt- und Mittelenglische scheint bis auf Hydronyme, Toponyme und einige Wörter nur gering gewesen zu sein. Thomason and Kaufman gehen in ihrer weltweit rezipierten Untersuchung Language
Contact (s.o. Fn. 13)
nicht einmal darauf ein. Sie beginnen ihre Fallstudie der historischen Entwicklung des Englischen („English and other Coastal Germanic Languages, or Why English is Not a Mixed Language", S. 263 ff.) mit dem Einfluß des Altnordischen.
262
Hildegard L. C. Tristram
außerhalb der areallinguistischen Hypothese22 und der oben erwähnten Hypothese Kurylowicz', 2 3 die eine allgemeine Entwicklung der idg. Sprachen von der Synthetizität zur Analytizität und deshalb nicht Einfluß, sondern Konvergenz der Formen im Westen Europas vermuten läßt, keine plausible „Erklärung". 24 Beide Hypothesen „erklären" aber letztlich auch nicht, weshalb die Analoga entstanden sind. Anders sieht es beim Typ (2c) aus. Konstruktionen vom Typ I am after playing sind in den keltischen Sprachen ein integraler Teil der Konstruktionen mit SEIN + Partikel (kymr. yn, wedi, newydd, ar, heb, etc.) + VN. Im heutigen Englischen ist dagegen eine Konstruktion vom Typ BE + Partikel + {VERB(stamm)+-/'/!#} ungewöhnlich,25 weil ohne eindeutige strukturelle Parallelen,26 und ihr Vorkommen ist im wesentlichen auf die keltischen Kontaktvarietäten des Englischen beschränkt. Da Konstruktionen vom Typ (2c) nur in den sog. „Celtic Englishes" vorkommen, halte ich die Hypothese, sie als Lehnsyntax zu verstehen, für plausibel. Man wird also vermutlich bei der Entstehung der einzelnen Konstruktionen differenzieren und sich vor Pauschalurteilen hüten müssen.
Zweites Beispiel Sachverhalt Während das erste Beispiel eine Reihe von Problempunkten enthält, die vorerst nicht geklärt und auch nicht leicht zu klären sind (insbesondere weil es noch keine synchronen und diachronen Korpora und Korpusanalysen des Alt- und Mittelkym-
22
23 24
25
26
Vgl. z.B. Heinrich Wagner, Das Verbum in den Sprachen der Britischen Inseln, Tübingen 1959. Siehe oben Fn. 4. Prof. Gearöid Mac Eoin (Galway) weist mich daraufhin (Schreiben vom 3.7.1997), daß auch das Isländische unabhängig von den keltischen Sprachen und vom Englischen periphrastische Konstruktionen zur Markierung von Imperfektivität und Perfektivität entwickelt hat (siehe Anhang). Vgl. P.L. Henry, An Anglo-Irish Dialect of North Roscommon. Phonology, Accidence, Syntax, Dublin 1957, S. 206: „seems un-English". Obwohl natürlich im Altenglischen Präpositionalkonstruktionen wie he was on huntunge ,er war beim/(am) Jagen' und im Mittelenglischen mit Suffixsubstituierung und Präfigierung he was α-hunting gut belegt sind. Die letztere Form existiert auch heute noch in regionalen Varietäten des Englischen in Südengland, in den Südstaaten Amerikas und im Ulster Scots. Das Aufkommen der Form und der Bedeutung des Typs (la) im Zusammenhang mit diesen Konstruktionen ist in der Forschung kontrovers diskutiert worden. Zu erörtern wäre ggf. auch die Struktur der Negation: BE + Neg + {VERB(stamm) + -i>ig}. Der Negationsmarker NOT entspricht gewissermaßen der walisischen /^^-Konstruktion und nimmt wie in den keltischen Sprachen die Position zwischen BE und der infiniten Verbform ein.
263
„ The Celtic Englishes"
rischen, Alt- und Mittelirischen, Schottischen Gälischen und Bretonischen gibt), 27 scheint mir beim zweiten Beispiel die Antwort vermutlich eher auf Seiten der „substrativists" zu liegen. Im IrE treten Konstruktionen mit subordinierendem and und Korreferenz der Subjekte auf, für die es ganz offensichtlich Parallelen im Irischen gibt. 28 (3 a) UND + (Subjekt)pron
+ nominale
Ergänzung
Don't ask me to go and I/me having a sore foot (Joyce 35) 29 I saw them and they/them
after doing it (ibid.)
Bloom was talking and talking with John Wyse and he quite excited dunduck-etymudcoloured Joyce,
with his
mug on him and his old old plumeyes rolling about (James
Ulysses)
An chead fheachaint a fuaradar air agus e ag teacht isteach sa phäirc
(Hartm.
1960: 8) 30 Der erste Blick, den sie auf ihn fanden, und ihn beim Kommen hinein ins Feld
27
Das Englische hingegen ist, was die Korpuslinguistik betrifft, vergleichsweise gut erforscht. Für das Englische Englisch gibt es das London-Lund Corpus of Spoken English (LLC); das London-Oslo-Bergen-Corpus (LOB), dessen Update (FLOB: Freiburg LOB Corpus) kurz vor der Fertigstellung steht; das BNC (British National Corpus); das Brown-Korpus für das Amerikanische Englische, dessen Update (Frown: Freiburg Update of the Brown University Corpus of Written American English) ebenfalls kurz vor der Fertigstellung steht; das Kolaphur-Korpus für das Indische Englisch usw. Das International Corpus of English (ICE), begonnen von Sidney Greenbaum, jetzt unter dem Koordinator Charles F. Meyer, ist seit 1990 in Arbeit. Es erfaßt die Standardvarietäten des Englischen weltweit. In Potsdam wird Zuarbeit dazu im Bereich des IrE in Form einer Kooperation mit dem English Department der Queen's University Belfast geleistet. Es gibt ferner das Helsinki-Korpus für die englischen Dialekte und das historische Englische vom Altenglischen (8. Jh.) bis zum 19. Jh. (Filppula, Subordinating And, s.o. Fn. 12). Das einzige mir bekannte Korpus zu mittelalterlichen irischen Texten ist das CURIA-Projekt der Royal Irish Academy, das jetzt als CELT-Projekt der Universität Cork weitergeführt wird. Die Arbeiten sind jedoch noch nicht so weit fortgeschritten, daß bereits linguistische Analysen daran vorgenommen werden könnten. Weitere Korpora keltischer Sprachen sind mir nicht bekannt.
28
Markku Filppula, Subordinating And (Fn. 12); Juhani Klemola and Markku Filppula, Subordinating uses of and in the history of English, in: Matti Rissanen, Ossi Ihalainen, Terttu Nevalainen, Irma Taavitsainen, eds., History of Englishes. New Methods and Interpretations in Historical Linguistics, Berlin 1992, S. 310-18. W.P. Joyce, English as We Speak it in Ireland, London/Dublin 1910, Neudr. Portmamock 1979. Hans Hartmann, Der Typus ocus έ im Irischen, in: Hans Hartmann und Hans Neumann, Hrsgg., Indogermanica, Festschrift fir Wolfgang Krause zum 65. Geburtstage ant 18. September 1960, Heidelberg 1960, S. 8-23.
29
30
264
Hildegard
L. C.
Tristram
Diese Konstruktion besteht aus einem Hauptsatz, an den sich der Koordinator and und eine Nominalphrase anschließen. Deren erste Konstituente ist ein Personalpronomen oder ein Demonstrativpronomen, ggf. auch ein Nomen mit Possessivpronomen zur Herstellung der Korreferenz zwischen dem Hauptsatz und der koordinierten Nominalphrase. Im Englischen erscheint das Personalpronomen sowohl in der Form des casus rectus als auch im casus obliquus. Aber es zeigt sich wie auch in anderen Konstruktionen die Tendenz zur Tilgung des Unterschiedes zwischen dem casus rectus und dem casus obliquus der Personalpronomina, wobei bekannterweise / - > me, he -> him, they -> them etc. Im Irischen steht stets das Objektpronomen. Die zweite Konstituente kann im Englischen aus (to +) Infinitiv, Part. Präs., Part. Perf., Adj., NP, präp.P, bestehen. Im Irischen folgen auf agus (,und') plus Pronomen31 nominale Ergänzungen vom Typ ag + VN, Adj. (+ Part. Perf.), NP, präp.P. In beiden Sprachen kommt in dieser Konstruktion kein flektiertes Verb vor. In beiden Sprachen kann die and-Phrase sowohl vor als auch nach dem Hauptsatz stehen. Die Nachstellung ist jedoch häufiger. Während im IrE die Konstruktion and + Pron + {VERB(stamm)+-/ng} am häufigsten ist, ist es im Irischen wiederum die strukturell genau entsprechende Konstruktion mit dem Verbalnomen: agus + Obj.Pron + ag + VN. Wie erwähnt, gibt es im Englischen kein Verbalnomen und im Irischen keine infinite {-/«#}-Form (Part. Präs.). Konstruktionen dieser Art weisen Korreferenz zwischen Hauptsatz und and-Phrase auf und dienen zum Ausdruck der zeitlichen Relation der Gleichzeitigkeit von Handlungen, Zuständen oder Sachverhalten. Sie dienen auch zur Angabe der (nicht-zeitlichen) Begleitumstände des im Hauptsatz Behaupteten. Ins Deutsche übersetzen kann man je nach Bedeutungsschattierung mit während, wobei, weil, und dabei oder mit einem Relativsatz. Gelegentlich kann die Konstruktion im Rahmen des Ausdrucks der Begleitumstände auch in der Art eines Ausrufes eine Überraschung oder sogar einen Vorwurf ausdrücken. Diese Verwendung der Konstruktion ist im IrE besonders auffallig.
Forschungsproblematik Auch hier haben die „anglicists" versucht, die subordinierenden anrf-Konstruktionen allein aus dem historischen Englischen heraus abzuleiten.32 (z.B. 0 Siadhail,33
31 32
33
Personalpronomen und Demonstrativpronomen (siüd, sin). Das Oxford English Dictionary (OED) gibt für das englische and insgesamt 13 Konstruktionen mit unterschiedlichen Bedeutungen an. Die Etymologie legt eine Ursprungsbedeutung des Wortes als „(ent)gegen, angesichts" nahe. Engl, and und dt. und sind mit lat. ante, griech. άντί und skr. änti verwandt und diese wiederum mit dem Antlitz (Diese Information verdanke ich Dr. Jon Axel Haröarson, Freiburg). Micheäl 0 Siadhail, „Agus (Is)/And: a shared syntactic feature", Celtica 16 (1984), 125-37.
265
„ The Celtic Englishes"
Hacker 34 ) und, wenn dies nicht plausibel erschien, die Konstruktion im Rahmen von „absoluten" Konstruktionen zu erklären, die auf lateinischer Lehnsyntax beruhen. 35 Die historischen Grammatiken des Englischen
34
35
36
37
38
(Jespersen, 36
Visser, 37
Curme, 38
Martina Hacker, Subordinate ami-Clauses in Scots and Hiberno-English: Origins and Development, Scottish Language 13 (1994), 34-50. Der ae. dativus absolutus als caique für den lat. ablativus absolutus ebenso wie auch die ca/gu«-Formen des ae. nominativus absolutus und accusativus absolutus erscheinen im Mittelenglischen durch den Flexionsverlust als kasuslose Absolutkonstruktionen und seien dementsprechend grammatikalisiert worden. Siehe Else von Schaubert, Vorkommen, gebietsmäßige Verbreitung und Herkunft altenglischer absoluter Partizipialkonstruktionen im Nominativ und Akkusativ, Paderborn 1954, S. 188-192; Franz H. Link, AND oder WITH + Participium, Anglia 73, 322-27. Otto Jespersen, Α Modern English Grammar on Historical Principles, III, London/ Kopenhagen 1927, Neudr. 1974, § 17.8s: „In a related popular idiomatic contruction we have and followed by a subject and predicative without a verb. The combination implies a contrast with what precedes and generally indicates surprise. The whole resembles a nexus-tertiary („absolute construction") and often means the same thing as a clause with though. „How could you talk in that way, and your mother present to hear it?" = your mother being present, or, though your mother was present". Exx.: ... Fulg 35 ye do but mocke To speke to me of ony wedlocke. And I so yonge a may de [ | Sh Tim III 1.50 ls't possible the world should so much differ, And we aliue that liued?" etc.; ders., Part V, London/Kopenhagen 1940, § 6.85: „This leads us to the popular idiomatic constructions added loosely by means of and implying a contrast with what precedes and generally indicating surprise. A great many examples have already been printed vol. III. 17.8s. A few additional ones may be given here: Caxton R 25 he ... was goon his way, And the hows not pourueyed ne vitaylled [ | Austen Μ 382 my greatest danger would lie in her consulting Mrs Fraser, and I at a distance, unable to help my own cause [ | Wordsw 188 And have I then thy bones so near, And thou forbidden to appear? etc." F. Th. Visser, An Historical Syntax of the English Language, Leiden 1963-1973, § 1089: „The absolute adjunct preceded by and is often used as a kind of rounding-off or winding up formula. It is remarkably frequent in Irish English, judging from Lady Gregory's and Synge's plays. When it is a pronoun that operates as the subject of the form in -ing this pronoun appears in the non-oblique case; the use of the oblique case in the quotations from Walter Scott, A. Morrison, G.B. Shaw, J.T. Farrell and Marsh is dialectal or substandard." Vissers frühestes Beispiel stammt aus dem Cursor Mundi (Cott.) 8672: And sif>en sco laid it [sc. the new-born baby] priueli And i slepand in bedd, me bi [= while I slept]. George O. Curme, A Grammar of the English Language, Boston 1931, Neudr. Essex 1986, Bd. II: Syntax, S. 152: „An absolute nominative, i.e. a nominative without grammatical relations to the principal proposition, is often used in English". ... S. 154: „In popular Irish, the infinitive has come into wide use here, so that it can be employed in every kind of subordinate clause, in conditional clauses, temporal clauses, etc.: (conditional clause) 'It would not be for honor she to go without that much' (Lady Gregory, McDonough's Wife). As explained in 19 3, such clauses are often introduced by and: .Little will it signify, and we to be making clay (temporal clause = when we shall be moidering in the grave), who was it dug a hole through the nettles or lifted down the sods over our heads' (ib.)". S. 172: „In older literary English, an independent proposition which is coordinated by and to a preceding independent proposition is often used instead of a dependent relative clause: ,A good man was
266
HildegardL.C.
Tristram
Poutsma, 3 9 Mitchell, 40 ) führen insbesondere zwei solcher „absoluten" Konstruktionen an, die eine ohne die Verwendung von and und die andere mit: (3b) I had dinner with her, she being the most beautiful
woman that ever
(3c) H e had only five or six carps in the pond, and those very sick and Es besteht also kein Zweifel, die and-Phrase
breathed lean.
kommt auch im Standardenglischen vor
und kann bis ins Mittelalter zurückverfolgt werden. W a r u m aber diese lateinische Lehnsyntax ausgerechnet im IrE so häufig ist, daß sie geradezu als charakteristisch angesehen wird, wird nicht erklärt. Markku Filppula und Juhani Klemola lehnen die Lateinhypothese ab, und zwar auf Grund dreier Korpusanalysen, zwei synchroner und einer diachronen Korpusanalyse. 4 1 Erstens hat M a r k k u Filppula in den 70er Jahren im Rahmen seines Dissertationprojektes Sprachaufhahmen in ganz Irland zu syntaktischen Irizismen durchgeführt. 4 2 Seine Untersuchungen zur am/-Subordinierung haben ergeben, daß die Frequenz der Konstruktion in Kerry und Clare signifikant höher war als in Dublin, aber auch in Dublin
sehr
wohl
zu hören
war.
Filppula
wertet
diesen
Stadt/Land-Kontrast
dahingehend aus, daß die Landvarietät die archaischere bzw. konservativere sei und mehr Interferenzerscheinungen des Irischen aufweise als die städtische Varietät. Außerdem nehme die Frequenz des Auftretens der Konstruktion mit der geographischen Distanz von Dublin zu. Das bedeute, daß die Zeittiefe des Wechsels vom Irischen zum Englischen sich in der unterschiedlichen Frequenz widerspiegele. Später Sprachwechsel korreliere mit höherer Frequenz.
39
40 41
42
ther ofreligioun. And was a poure persoun of a town' (Chaucer, Canterbury Tales, Prologue, 477) ( = who was a poor parson of a town). Coordination instead of a dependent relative clause is still widely used in Irish English dialect, as illustrated above". Hendrik Poutsma, A Grammar of Late Modern English, Groningen 1926-29, S. 781: „The impossibility of distinguishing between the nominative and accusative of nouns dating from an early period of the language led to uncertainty as to which case is used in the infinitive-phrase without for. .. Similar to the above are such sentences as the following, in which the infinitive of the copula to be may be supplied: He well knew that his poor mother could not be cheerful, and he away« (Dick., Pickw., Ch. VI, 53). Of the same purport also is a sentence like the following, although the construction used is different. The use of the unconnected me, instead of / is not, of course, anything out of the common (CH. XXXII; 8). How could the room be cleaned, and me with my rheumatism (Onions, Adv. Eng. Syntax, 61a, 4)." S. 914: „Mrs. Proudie .. would not hear of her guest - and he a clergyman - going out to the inn for his breakfast on a Sunday morning. Trol., Fram 1. Pars., Ch. VII, 62.". Bruce Mitchell, Old English Syntax, Oxford 1985, 914 ff., bes. S. 926 ff. Markku Filppula, Subordinating And (Fn. 12); Klemola/Filppula, Subordinating uses of and (Fn. 27); Fippula, Cross-Dialectal Parallels, in: FS Fisiak (Fn. 12), S. 950-51. Markku Filppula, On some semantic and syntactic special features of spoken Hiberno-English, Phil.Lie., Joensuu 1982.
„ The Celtic
Englishes"
267
Zweitens hat Filppula anhand seiner Auswertung des Dialektteils des HelsinkiKorpus gezeigt, daß dieses nur ein einziges Beispiel aufweist, und zwar aus Somerset. 43 Well, we go right through the field like that there till we finished [picking up turnips] and the sheep coming along up behind. Dieses Beispiel ist aber strukturell anders, da keine Korreferenz zwischen Hauptsatz und der a/id-Phrase vorliegt. Man könnte nun argumentieren, daß die Belege, die von den historischen Standardgrammatiken als lateinische Lehnsyntax angesehen werden, eindeutig der Schriftsprache angehören und auf Grund ihrer gelehrten Distanzsprachlichkeit nicht in die gesprochene Sprache der Dialekte eingedrungen sind. Drittens haben Klemolas und Fiippulas Analyse des Helsinki Korpus des historischen Englischen ergeben, daß die englischen Belege überhaupt erst seit der Mitte des 14. Jh. auftreten. Für das Alt- und Frühmittelenglische gibt es keine Beispiele. Für das Mittelenglische geben sie ganze 10 Belege in einem Korpus von 600 000 Wörtern an, z.B. What koude a sturdy housbonde moore devyse To preeve hir wyfhod and hir stedefastnesse, And he continuynge evere in sturdinessel (Chaucer, Clerk's Tale, (Ε) 698-700) ... he schal be resceyued, & elles nouht; & he to make an op with his gode wil to fulfille pe poyntes in pe paper (Book of London English, 54, 1389) He ... asked ayen if we wold forbere and abstayne and be recompensed therfor, and we to have the viw and alle that longeth therto generally (Shillingforth Letters, 11, 1447) Hir kepars haue we bene And sho ay in oure sight (York Plays, 120, ca. 1450). Für das Frühneuenglische sind von 12 000 and-Belegen insgesamt immerhin schon 17 Belege vorhanden, darunter auch eine {and + Subj.pron. + adv.} Konstruktion, und zwar bei Shakespeare:
43
Filppula, Subordinating And (Fn. 12, S. 623).
268
Hildegard L. C. Tristram
.. that I used in Talke of hir Highnesse Marriage with the Prince of Spaine, Matters too farre aboue my Capacitie, and I very vnable to consider the gravitie thereof (Trials, 1554)44 When good manners shall lie in one or two men's hands, and they unwash'd too, 'tis a foul thing. (Shakespeare, Romeo and Juliet, I 4.3-4) And shall the figure of God's majesty, His captain, steward, deputy elect, .. Be judg'd by subject and inferior breath, And he himself not present? (Shakespeare, Richard II, IV 1.125-29) .. and I say, of seventy or eighty Carps, [I] only found five or six in the said pond, and those very sick and lean (Secular Instruction, 1653-1676).45 Die mittelenglischen Beispiele weisen z.T. noch etwas andere Bedeutungen auf als die frne. und die heutigen Belege. Sie bezeichnen einen Kontrast zwischen Hauptsatz und and-Phrase, im Deutschen etwa zu übersetzen als: und dabei ...', oder sie drücken eine Verpflichtung, eine Verordnung oder einen Willensakt aus. Die historischen Korpusbelege erscheinen also als qualitativ und quantitativ marginal.'16 Das Frühneuenglische ist die Sprachperiode, in der das Englische im großen Stile nach Irland transplantiert wurde, und zwar erstens durch die Kolonialisierungspolitik der Tudors und Stuarts und zweitens durch Cromwells erstes Commonwealth. 47 Die verschiedenen Varietäten des Frühneuenglischen bilden die Basis, aus der sich die Varietäten des heutigen IrE entwickelt haben. Diese reflektieren auch heute noch ziemlich genau die Siedlungsgeschichte. Die „Ulster Plantations" rekrutierten sich zum größten Teil aus den schottischen Lowlands, die Plantations im restlichen Irland aus dem westlichen Mittelland und aus dem Süden. Die Hypothese, die heutigen IrE
44 45 46
47
Beispiel aus Filppula, Subordinating And (s.o. Fn. 12), S. 624. Beispiel aus Filppula, Subordinating And (s.o. Fn. 12), ebd. Allerdings ist zu bedenken, daß Filppula bei seiner Datenerhebung in Irland mit gesprochener Sprache gearbeitet hat. Die historischen Belege sind dagegen ausschließlich schriftlich. Geht man davon aus, daß die Konstruktion überwiegend, wenn nicht sogar hauptsächlich, sprechsprachlich ist, könnten dann 10-27 schriftsprachliche Belege vielleicht doch in gewisser Weise repräsentativ sein? Vgl. Margaret MacCurtain, Tudor and Stuart Ireland, Dublin 1972 (Gill History of Ireland, Bd. 7); Steven G. Ellis, Tudor Ireland. Crown, Community and the Conflict of Cultures 1470-1603, Burnt Mill, Harlow 1985; T.C. Barnard, Planters and Policies in Cromwellian Ireland, Past & Present 61 (1973), S. 31-69; ders., Cromwellian Ireland, Oxford 1976.
„ The Celtic Englishes"
269
Konstruktionen seien ein Überbleibsel aus der Tudorzeit, klingt daher zunächst plausibel. Kolonialsprachen zeichnen sich in vielen Zügen durch den bekannten „colonial lag" aus, d.h. Beibehaltung älterer Formen. Aber: reichen die 27 Belege aus dem Helsinki-Korpus aus, um die Kolonialhypothese als plausibel erscheinen zu lassen? Selbst wenn man an eine Art von reinforcement
einer vorhandenen Struktur
denkt? Ich meine, die Beleglage macht es unwahrscheinlich, daß die Konstruktion von den Siedlern mitgebracht wurde. Nun gibt es diese Konstruktion im Irischen bereits im Altirischen. Hierauf gehen 0 Siadhail, Häcker, Filppula und Klemola nicht ein. Die Konstruktion ist dort häufig belegt. 48 Der Koordinator erscheint dort (in der Kurzform) als os (Sg.) und ot (PI.) und variiert mit is (Sg.) oder it (PI.): Tech in-na-fera flechod ...
os έ cen udnucht
.Ein Haus, in das es nicht regnet,
und es ohne Palisaden d a r u m . '
n-imbi
(„Suibne Geilt", Reichenauer Schulheft, ca. 840 bis 845 n. Chr.) 4 9 Dobert a mäthair di bäe dec do assint sid, it e finda öiderga ,Seine Mutter gab ihm 12 Kühe aus dem Elfenhügel und sie weiß mit roten Ohren' („Tain Βό Fraich" 5-6, 10./11. Jh.). 5 0 Die Konstruktion findet sich auch in den Würzburger, Mailänder und Sankt Galler Glossen und tritt besonders häufig in den narrativen Texten des Mittelirischen a u f . " Aus Gründen der klaren Präzedenz des Auftretens im Alt- und Mittelirischen und aus der Frequenz des Vorkommens in irischen Texten erscheint es mir daher als sehr plausibel, daß die IrE Parallelkonstruktion auf irischer Lehnsyntax beruht. Hinzu kommt wieder das oben schon bei Beispiel 1 angeführte Argument, daß diese Konstruktion sehr gut in die irische Nominalsyntax eingebettet ist. An die Stelle des Personalpronomens kann beispielsweise auch ein Nomen treten:
Is amhlaidh a bhi se
agus caipin ar a cheann
So
und eine Kappe auf seinem Haupt
war er
(Hartmann 1960: 14)
48 49
50
51
Allerdings ist der Prozentsatz noch nicht ausgezählt worden. Datierung nach der absoluten Chronologie (Handschriftendatierung); die dargestellte Zeit liegt zu Beginn des 7. Jh., d.h. die Schlacht von Magh Rath (Annals of Ulster 637, post quem). Der Text könnte daher vielleicht sogar älter als das 9. Jh. sein (ante quem). Wolfgang Meid datiert das Original des Textes ins Altirische (8. Jh.); siehe W. Meid, Hg., Täin Βό Fraich, Dublin 1967, 21974, S. xxv; vgl. auch James Carney, Studies in Irish Uterature and History, Dublin 1955, Neudr. 1979, 24-27, S. 115. DIL s.v. ocus- Rudolf Thurneysen, A Grammar of Old Irish, Dublin 1946, 21975, Neudr. 1980, S. 548, und Μ.A. O'Brien, ZCP 14, S. 311 ff. (s.u. Fn. 58) geben viele Beispiele an.
270
Hildegard L. C.
Tristram
A u c h sonst weist das Irische eine Reihe nichtfiniter Subordinierungskonstruktionen auf. 5 2
Das DIL
weist ferner fünf weitere ο « « - K o n s t r u k t i o n e n
auf, die e s
als
„idiomatisch" angibt 53 und die der ocwi-Subordinierung nahestehen. A n a l o g e Konstruktionen sind auch im Mittelkymrischen belegt. 5 4 In der modernen kymrischen Literatur- und Umgangssprache sind sie ebenfalls geläufig. 5 5 In der
52 53 54
Hans Hartmann, Synchronische und diachronische Studien (Fn. 18), S. 22 ff. DIL Ο 96.54-97.98.. In dem Gedicht Herod yn Uffern .Herodes in der Hölle' aus dem Buch von Taliesin findet sich folgende Konstruktion: Tristyt anwogawn Unermeßliche Traurigkeit A oryw Erof Greulawn: bereitete Herodes Greulon: Brattäu Iessu Jesus zu verraten, Ac efyn credu. und er am glauben ( = obwohl er glaubte). (Marged Haycock, Hrsg., Blodeugerdd Barddas ο Ganu Crefyddol Cynnar, LLandybi'e 1994, S. 137.) Diese Konstruktion ist auch in der mittelkymrischen Erzählprosa ( C y f r a n c Lludd a Llefelys 128) belegt:
55
... ac ef ehun y nos honno yn gwylyat ,und er selbst (in) dieser Nacht beim Wachen.' Vgl. D. Simon Evans, A Grammar of Middle Welsh, Dublin 1964, S. 231; M. Richards, Cystrawen y Frawddeg Gymraeg, Cardiff 1938, Neudr. 1970, S. 26-28; Geiriadur Prifysgol Cymru (GPC) a 4 4. Vgl. Stephen J. Williams, A Welsh Grammar, Cardiff 1980, § 252: „The Absolute Phrase is one that is added to a sentence but is independent of the syntax of that sentence. It is not a subordinate clause, although it may be equivalent to an adverbial clause, inasmuch as it is an extension of what is said in the main sentence. It may precede the main sentence, or it may follow it, or it may be a parenthesis. It is always introduced by the preposition (sic! Tr) a(c), and in form is one of the three patterns: (a) subject + predicative yn + noun or adjective (b) subject + adverbial phrase (c) subject + preposition (,pre-verb-noun-' yn, ar, ar fin, ar fedr, wedi, heb) + verb-noun". Das Subjekt kann ein Personalpronomen oder ein Nomen sein: A hwy yn yr eglwys, ysbeiliwyd eu $ ,Und sie in der Kirche, wurde geplündert ihr Haus ( = Während sie in der Kirche waren, ..)'. Mynnodd fynd i'r gwaith, a'r meddig wedi dweud wrtho am orjfwys ,Er bestand darauf, zur Arbeit zu gehen, und nachdem der Arzt gesagte, sich auszuruhen ( .. nachdem der Arzt ihm gesagt hatte, sich auszuruhen)'. Die Beispiele, die Williams gibt, stammen aus der von der Bibelübersetzung geprägten Schriftsprache. Diese α ^-Konstruktionen sind im Walisischen wie im Irischen, wie erwähnt, fest in der Syntax verankert; vgl. auch Gareth King, Modern Welsh, A Comprehensive Grammar, Cambridge 1993, § 317:
271
„ The Celtic Englishes"
einschlägigen Literatur zum heutigen W E werden sie jedoch nicht angeführt. 5 6 Gehört habe ich sie dort persönlich auch nicht, was allerdings nicht bedeutet, daß es sie nicht doch gibt und sie nicht bei systematischer Untersuchung belegt werden könnten. Im Englischen hingegen ist die anrf-Subordinierung wegen ihres offensichtlichen nominalen Charakters syntaktisch ungewöhnlich, weshalb die Grammatiker sie als lateinische Lehnsyntax deklarierten. Wiederum wegen der geringen Prestigehaltigkeit der keltischen Sprachen im kolonialen Denkmuster hätten Grammatiker des 19. und frühen 20. Jh. nie daran gedacht, daß ein englisches Syntagma keltische Lehnsyntax sein könnte, nicht einmal bei einem syntaktischen Muster in einer keltischen Varietät des Englischen, wenn sich mit Hilfe des Lateinischen eine viel elegantere und prestigehaltigere Lösung des Problems anbot. Beispiele für die and-Phrase
gibt es nicht nur im IrE, sondern sind für das
Schottische Englisch, für das Englische der (Äußeren) Hebriden und auch für das Scots belegt. Dieses gilt zwar in der Forschung nicht als zu den „Celtic Englishes" gehörig, weist aber eine Reihe von keltischen Kontaktstrukturen, darunter auch keltische Lehnsyntax, auf. Allerdings wäre noch im einzelnen zu diskutieren, w a r u m 0 Baoill und Macafee 5 7 wie auch Häcker 5 8 und andere das Scots nicht zu den „Celtic Englishes" zählen, da das Altnordhumbrische, der historische Ausgangspunkt für das Scots, eine Varietät des Anglischen auf der Basis britannischer Varietäten des Keltischen gewesen ist. Augenscheinlich wird in der anglistischen Forschung der frühmittelalterliche Sprachwechsel vom Britannischen zum Altenglischen (ideologisch bedingt?) nicht als formbildend angesehen. Das Problem kompliziert sich, wenn man die These M . A . O'Briens in die Diskussion mit einbezieht. 5 9 O'Brien vertritt einen etymologischen Ansatz und sieht in den altirischen Konstruktionen mit os/ot und mir. is/it überhaupt keine Formen des
56
57
58 59
Naethon nhw ofyn inni ganu, a ninnau heb fivyta dim ers brecwast ,Sie baten uns zu singen und wir ohne Essen seit dem Frühstück.' Ein Beispiel aus einer modernen umgangssprachlichen Kurzgeschichte aus Nordwales von Elena Graffudd mit dem Titel Annwyl Santa verdanke ich Dr. Sabine Heinz (Berlin): Chafodd ο erioed wybod i ble'r oedd yr hen gono'n mynd chwaith, acynta wedi bod yn saethu o'r ty amser te bob diwrnod am flynyddoedd. ,Er erfuhr auch nie, wo der alte Kerl hinlief, wobei dieser jahrelang jeden Tag zur Teezeit von zu Hause abgehauen ist.' Diese subordinierenden α (^-Konstruktionen erscheinen dagegen nicht in den Standardgrammatiken von Rowlands, D. Thorne und Peter Wyn Thomas. Die Konstruktion wird z.B. nicht erwähnt in Alan Thomas, The Welshness of Welsh English: A Survey Paper, in: Tristram, The Celtic Englishes (s.o. Fn. 9), S. 55-85; und auch nicht in Thomas, Welsh English: A Grammatical Conspectus, in: Wolfang Viereck, Hg., Focus on: England and Wales, Amsterdam 1985, S. 213-21. C.I. Macafee and Colm 0 Baoill, Why Scots is not a Celtic English, in: Tristram, The Celtic Englishes (s.o. Fn. 9), S. 245-86. Häcker, Subordinate /tnrf-Clauses (s.o. Fn. 34), S. 34. M.A. O'Brien, Hibemica. 2. Old-Irish os me, os se, ote, etc., ZCP 14 (1923), S. 311-15.
Hildegard L. C.
272 Koordinators ocus,w
sondern leitet sie von einem vorhistorischen Partizip Präsens des
Verbum Substantivums ab, *sonts (.seiende').
Die
Abschwächung
Tristram
air.
Formen
(.seiend') hätten
sich
im Singular und *sontes lautgesetzlich
durch
im Plural proklitische
v o r d e m b e t o n t e n P r o n o m e n g e b i l d e t und bei n o c h
weiterer
A b s c h w ä c h u n g die mittelirischen Formen. O'Brien störte an der Erklärung dieser Formen als Koordinatoren, daß den Regeln der air. Syntax folgend, eigentlich die prädikative Bestimmung im Dativ stehen müßte (vgl. focusj
έ som triuss ,und er einer
von dreien', w o b e i triuss Dat.Sg. v o n tress ,einer v o n dreien') und sie nicht w i e bei allen altirischen Beispielen im Nominativ stehen dürfte. Folglich suchte O'Brien nach einer Erklärung im Paradigma des Verbum Substantivums. Daraus würde f o l g e n , daß, als im Mittel- und Frühneuirischen der Koordinator ocus ,und' in der Proklise zu os, as
oder
is
wurde,
die
Koordinatorkonstruktion
ursprüngliche
Partizipialkonstruktion
verstanden b z w .
os
reinterpretiert werden
me/is
me
als
konnte,
da
der
Koordinator im Mittelirischen auch (wie im heutigen Irischen) als Kurzform (is) belegt ist. D i e s könnte somit die Basis für die spätere Lehnsyntax der and-Konstruktionen im IrE geliefert haben. 6 1
60
61
Ocus ist als unbetonte Form aus dem Adj. ocuis .nahe", Subst. ,Nähe', entstanden und mit kymr. agos .nahe' und korn. ogas ,nahe' verwandt; es bedeutete zunächst vermutlich so etwas wie .nebst'; siehe Wolfgang Meid, Hg., Die Romanze von Froech und Findabair: Täin Bö Froich, Innsbruck 1970, S. 75. Auch für das Walisische a(c) sind Zweifel geäußert worden, ob es sich bei den entsprechenden Konstruktionen (ursprünglich) um einen Koordinationsmarker gehandelt hat. In Stephen J. Williams walisischem Original (Elfennau Gramadeg Cymraeg, Cardiff 1959, M980) der in Fn. 55 zitierten Grammatik wird der Marker als cysylltiad .Konjunktion' bezeichnet, in der englischen Ausgabe dagegen als preposition. Es gibt jedoch im heutigen Walisischen keine Präposition a(c), sondern nur die Präposition ä/ag ,mit'. Gareth King, Modern Welsh (Fn. 54), § 510 A, betont allerdings die Künstlichkeit der Trennung von a(c) ,und' und ä/ag ,mit' in der modernen Schriftsprache: „Ac is often heard as ag in many areas. In the standard language, however, the spelling convention a-ac and is retained to distinguish from ä-ag with. There is similarly no pronunciation difference in normal speech between a and ä." Ingo Mittendorf (Marburg, schriftl. Mitteilung vom 21.5.1997) sieht den Ursprung des heutigen Konstruktionsmarkers in der mittelkymr. Präposition a(c) ,mit' vor allem wegen Sätzen wie folgendem: A guede defroi e sant, bendigau Duw a oruc a ' r wynuydedic Veir ac a phaub o'e gedemdeitheon [sic leg.!] en kyscu, kyrchu a oruc m e r t h < y r > i o l a e t h seint Mercur a cheissyav e arveu ac nys cauas (vgl. BBCS 9, 336.16-18). ,Und nachdem der Heilige aufgewacht war, segnete er Gott und die heilige Maria, und während alle seine Gefährten (noch) schliefen, begab er sich zur Märtyrerkirche des Hl. Merkur und suchte seine Waffen und fand sie nicht'. Hier folgen zwei a(c)'s aufeinander, und es scheine unwahrscheinlich, daß es sich bei beiden um die Konjunktion ,und' handele. Fasse man das erste aber als ,und', das zweite (das Teil der „independent phrase" ist) als .mit' auf, erkläre sich die Wiederholung problemlos. Weitere solche Beispielen (ohne Kommentar) finde man bei Melville Richards, Cystrawen y Ffrawddeg Gymraeg, Cardiff 1938, 26-28 passim). Auch die Funktion der „independent phrase" erkläre sich glatter, wenn a(c) die Präposition ,mit' sei. Fasse man nämlich a(c) als
„ The Celtic Englishes"
273
R. Thurneysen hält allerdings O'Briens syntaktisches Argument nicht für stichhaltig und deutet den Plural ( o t / i t ) weiterhin als den aus dem Adjektiv ocuis entstandenen air. Koordinator und ot e > mir. it e als Analogiebildung zur Kopulaflektion. 62 Dies würde bedeuten, daß die Konstruktion ererbt ist und sich nicht erst im Mittelalter entwickelt hat. Es bliebe nun noch zu untersuchen, in welchem Kontext die 27 mittel- und frühneuenglischen Belege zu verstehen sind. Sie scheinen auf keine Kontaktsituation mit einer der keltischen Sprachen hinzuweisen. Allerdings müßten diese Beispiele wirklich noch genauer untersucht werden. 63 Ein warnendes Beispiel: Es ergab sich bei der Nachprüfung der Beispiele, die Micheäl 0 Siadhail 64 dafür angeführt hatte, daß die anrf-Phrase
auch in englischen Dialekten vorkomme und daher vom
Irischen
unabhängig sei, daß seine Beispiele zum größten Teil aus George Eliots (1819-80) Prosa stammen. Sie dienten zur sprachlichen Gestaltung von couleur locale.65
Filppula
bemerkt, daß erstens literarische Beispiele linguistisch keine validen Zeugnisse sind und daß zweitens George Eliot von zwei irischen Gouvernanten erzogen worden war, die einen großen Einfluß auf sie ausgeübt hatten, vermutlich auch sprachlich.
,und' auf, komme man zu dem angeblichen Paradox dieser Konstruktion, daß „Although its construction is absolute, the phrase is usually subordinate to the principal clause in meaning" (D. Simon Evans, A Grammar of Middle Welsh, Dublin 1976, Neudr. 1994: 231), was dann zum Terminus „independent phrase" (etwa im Sinne von „koordiniertem Nebensatz" o.ä.) geführt habe. Bei a(c) =,mit' - wobei die ganze Konstruktion eine Präpositional-/ Adverbialphrase darstelle - sei die subordinierende Funktion der Konstruktion kein Problem; sie ergebe sich aus ihrem Charakter als Präpositionalphrase. Ebenfalls auf a(c) = ,mit' deute, daß a(c) notwendiger Bestandteil der Konstruktion ist. Wäre a(c) = ,und', fänden sich möglicherweise hier und da Beispiele ohne dieses Wort, das im Mittelkymrischen zwar die meisten, aber durchaus nicht alle Sätze einleite. Aber während die Konjunktion ,und', wo sie Sätze einleite, entbehrlich scheine, sei es unvorstellbar, in einer Präpositionalphrase auf die Präposition zu verzichten. 62
63
64 65
R. Thumeysen, Allerlei Keltisches. 8. Air. os me, ZCP 16 (1927), S. 275-76. Ich verdanke den Hinweis auf die Artikel O'Briens und Thurneysens Prof. Gearöid Mac Eoin (Galway). Siehe auch Anhang II. Herbert Pilch (Irish Influence on American English, in: Heinrich Ramisch und Kenneth Wynne, Hrsgg., Language in Space and Time, Studies in Honour of Wolf gang Viereckonthe Occasion of his 60th Birthday, Stuttgart 1997, 174-82, S. 176 f.) weist auf ein (literarisches) Beispiel im amerikanischen Englischen hin (Nathaniel Hawthorne), allerdings ohne auf die einschlägige Forschung einzugehen. Micheäl 0 Siadhail, „Agus (IS)/And" (siehe Fn. 33). Zur Verwendung von Dialektmerkmalen für die Gestaltung einer fingierten Mündlichkeit im Roman des 19. Jh. siehe z.B. Paul Goetsch, Fingiertes mündliches Erzählen in den Wessex-Romanen Hardys, in: Richard Matthews, Joachim Schmole-Rostosky, Hrsgg., Papers on Language and Mediaeval Studies Presented to Alfred Schopf, Frankfurt a.M. 1988, S. 89-112.
274
Hildegard
L. C.
Tristram
Zusammenfassung der Problematiken Ich sehe die Problematik der beiden angeführten Beispiele wie folgt: Das erste Beispiel betrifft die Entstehung der grammatischen Kategorie des durch Periphrase ausgedrückten Aspektes (Imperfektiv und Perfektiv) sowohl im Englischen als auch in den keltischen Sprachen und verdeutlicht deren typologische Nähe. Doch welcher Art der Anlaß bzw. der Ursprung dieser Nähe ist, bleibt im einzelnen noch unklar. Das zweite Beispiel legt mit hoher Wahrscheinlichkeit irische Lehnsyntax nahe, und zwar auf Grund der Kriterien der Frequenz, der Präzedenz, der Einbindung der Konstruktion in ähnliche Konstruktionen im Irischen und der Parallelen im Walisischen, einer keltischen Sprache aus dem anderen, sprachlich weiter „entfernten" Zweig des Inselkeltischen. 66 Nicht diskutiert habe ich den sog. Universalienansatz. Dieser lehnt die Einflußhypothese ab und geht davon aus, daß sich bei Sprachkontakt die Komplexität der grammatischen Strukturen reduziert um des Nutzens einer einfacheren und effizienteren Kommunikation willen. Dies würde vielleicht die Verwendung von anrf-Subordinierung im Mittelenglischen erklären helfen. Das Englische war verschiedenen Kontaktsituationen ausgesetzt, zuerst mit dem Britannischen, dann mit dem Altnordischen und dem Normannischen. Die geringe Anzahl der Belege könnte damit erklärt werden, daß es sich um eine sprechsprachliche Form handelt, die nur gelegentlich in die Literatursprache eingedrungen ist. Koordination statt Subordination gehört zu den Standardbeispielen der Kreolistik. Die a/ui-Subordinierungen sind ein Hybrid zwischen Koordination und Subordination. Formal ist durch den Koordinator Koordination gegeben; die Semantik der Konstruktion legt aber Subordination nahe. Insofern ist die anrf-Subordinierung ein spezieller Fall auf einer Skala zwischen formal und referentiell reiner Koordination und formal und referentiell reiner Subordination, und damit geradezu ein Paradebeispiel einer grammatikalisierten Kreolform. Kontaktsituationen hätten sich dann wieder für das Englische bei der Einwanderung in Irland seit dem 17. Jh. ergeben. Diesmal bestand der Sprachkontakt zwischen den verschiedenen Varietäten des Englischen und dem Irischen. Die latent bereits vorhandene Koordinierungstendenz hätte sich verstärkt, wenn monoglotte Sprecher des Irischen Englisch von bilingualen Iren lernten und sich das Modell der LernerKontinuität über mehrere Jahrhunderte erstreckte. Nach dieser Hypothese hätte das Irische an sich keine Quellfunktion für die Existenz dieser Konstruktion. Zählen würde
66
Die von Filppula, Cross-Dialectal Parallels (FS Fisiak,
Fn. 12) angebenen Analoga zum
Irischen Englischen in den Varietäten des Englischen auf den Hebriden sind weniger aussagekräftig, da die keltischen Ausgangssprachen, die diesen beiden Varietäten des Englischen zu Grunde liegen, sehr eng miteinander verwandt sind (irisches und schottisches Gälisch). Erst Ende des 18. Jh. trennten sie sich durch die politischen Umstände, und ein irischer und schottisch-gälischer Standard entwickelte sich in der Lexik, Grammatik und Orthographie. Erst danach konnten sprechsprachliche Eigenheiten divergent formbildend werden und die beiden Varietäten als verschiedene Sprachen angesehen werden.
„ The Celtic
Englishes"
275
nur der Grad der Sprachmischung an sich. Diese Hypothese würde aber die üppige Beleglage in den keltischen Sprachen des Mittelalters (Irisch und Kymrisch) nicht berücksichtigen.
Anhang Periphrastische Konstruktionen im Isländischen Prof. Gearoid Mac Eoin (Galway) weist mich mit Schreiben vom 3.7.1997 auf die analoge Entwicklung periphrastischer Aspektstrukturen im Isländischen hin: „The mainland Scandinavian languages are like standard German in having only one form for the Present, whether punctual or habitual (sic!). Thus Swedish has jag talar ,1 speak' and ,1 am speaking'. The Swedish Past (Preterite) also resembles German: jag talade ,1 spoke'. The Swedish Perfect also resembles German: jag har talat ,1 have spoken'. Icelandic, on the other hand, has developed separate forms for the Punctual Present and for the Habitual: jag tala ,1 speak' (tala = 1 sing. pres. ind.) jag er ad tala ,1 am speaking' (ad being a preposition and verbal particle, and tala the Infinitive). In the Past (Preterite) the simple tense is used: eg talaöi. In the Perfect there is a form with the verb HAVE and the neuter of the past participle passive: ig heftalad ,1 have spoken'. This is the historically accepted form, widely attested in the medieval literature. A new form has developed in the Perfect: ig er büinn ad tala ,1 have spoken' (literally: ,1 am finished speaking'), where büinn is the nom.sing.mask, of the past participle passive of a verb biia .dwell > cultivate the land > make > finish' (Germ, bauen). It differs from eg heftalad in that it is more conversational and, even though the two are interchangeable in most contexts, eg er büinn ad tala seems to refer mainly to actions carried out in the recent past, while eg heftalad is of more general application. ... The importance of the Icelandic evidence is that it shows a language developing these periphrastic tenses independently. I am assuming that the Irish substratum in Iceland was of no linguistic significance and that contact with Gaelic-speaking Scotland would not have been sufficient to bring about such an important change in Icelandic. If Icelandic could develop such tenses then English could have done so too - a further boost to your argument regarding (la)".
276
Hildegard L. C.
Tristram
Prof. Jürg Glauser (Zürich/Basel) verweist mich freundlicherweise mit Schreiben vom 10.1.1998 auf die Behandlung der neuisländischen periphrastischen vera und büinn Konstruktionen in Bruno Kress, Isländische Grammatik, München 1982, §§ 415-421, 565 (S. 159-162, 232) wie auch auf den Artikel von Hreinn Benediktsson, fsl. vera ad + nafnh: aldur og uppruni [über das Alter und den Ursprung der Konstruktion vera ad + Infinitiv], in: Nordiska studier ifilologi och lingvistik, Festskrift tili augnad Gösta Holm pä 60-ärsdagen den 8 Juli 1976, Lund 1976, S. 25-47. Laut Benediktsson habe sich die neuisländische Konstruktion vera ad + Infinitiv ab dem Zeitraum um 1300 aus der altisländischen Kontruktion vera at at + Infinitiv entwickelt. Altisländisch at entspreche neuisländisch ad, und altisländisch vera at at + Inf. bedeute etwa so viel wie „dabei sein (vera at), [etwas] zu (at) tun". Die Belege Benediktssons stammen alle aus der Prosa, meist Sagaprosa, z.T. auch aus der Übersetzungsprosa (aus dem Lateinischen). Die Konstruktion vera büinn ad -I- Infinitiv sei dagegen laut Jon Thorkelsson, Supplement til islandske Ordb osger, Reykjavik 1890-94, S. 129, entstanden, um deutsch fertig bzw. dänisch fcerdig in der Bedeutung „mit etwas fertig sein, etwas vollbracht haben" zu übersetzen. Erste Belege stammen aus der geistlichen Übersetzersprache des 17. Jh. Im Altisländischen werde das Part. perf. büinn (zu büa) adjektivisch verwendet im Sinn von „vorbereitet, gerüstet, fertig, bereit, fähig, in der zu etwas zu sein", jedoch offenbar nie, um eine (soeben) abgeschlossene Handlung auszudrücken. Glauser fügt hinzu, daß die historischen Dimensionen dieser periphrastischen Konstruktionen s.W. letztlich noch nicht richtig aufgearbeitet worden sind. Dr. Jon Axel Haröarson (Freiburg, Dezember 1997) hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß die beiden genannten periphrastischen Konstruktionen schon in der 1738 fertiggestellten Grammatik des Isländers Jon Magnüsson aufgeführt werden: Formulce- circumlocutionis hcec sunt: Eg er ad giora: Eg var ad giora:
in instanti facio faciebam
Eg er buinn ad giora jam perfeci Eg hefgiort: feci. Magnüsson bindet diese Konstruktionen in eine Reihe weiterer periphrastischer Konstruktionen ein. 67
67
Jon Magnüsson, Grammatica Reykjavik 1997, S. 238.
islandica
- l'slenzk Mälfrceöi, hg. von Jon Axel Haröarson,
Jürgen
Uhlich
Zur sprachlichen Einordnung des Lepontischen
Der Terminus „Lepontisch"
bezeichnet traditionell 1 den Großteil der keltischen
Sprachreste im Bereich Nordwestitalien. Diese bestehen in ca. 140 Stein- oder Gefäßinschriften, die nur z.T. sprachlich vollständig und ansonsten fragmentarisch erhalten oder abgekürzt notiert sind; ihre Fundorte liegen hauptsächlich in der Region Lombardia (Provinzen Como, Brescia, Milano, Varese, Bergamo, Pavia), ferner in der südlichen Schweiz (Tessin/Ticino) und in Piemonte (Novara), vereinzelt im Veneto (Verona). 2
All diesen
etruskischen (d.h.
Denkmälern
gemeinsam
ist die Verwendung
aus einem etruskischen Vorbild adaptierten)
des
„Alphabets
nordvon
L u g a n o " ; 3 dieses Alphabet findet sich sonst nur noch in einigen nordwestitalienischen und südfranzösischen Münzlegenden, die auch innerhalb Italiens geographisch weiter verteilt sind als die lep. Inschriften und sich daher selbst in ihrer „padanischen" Untergruppe sprachlich nicht mit Sicherheit dem Lepontischen zuordnen lassen, 4 sowie in sieben weiteren Inschriften aus der Poebene unmittelbar südlich vom
oben
beschriebenen lepontischen Gebiet, in Lombardia (Pavia, Milano), Piemonte (Novara, Vercelli) und in einer Inschrift aus Umbria, 5 welche ebenso traditionell nicht dem Lepontischen, sondern dem Gallischen zugerechnet werden und somit den Einzeldialekt „Cisalpinisch-Gallisch" dokumentieren. Eine solche Unterscheidung zwischen Lepontisch und dem Gallischen Norditaliens ist nie eindeutig begründet worden und wird daher in letzter Zeit vermehrt in Frage gestellt. So differenziert Lejeune (RIG II 1 , 3 ) zwar grundsätzlich zwischen „des le premier Äge du Fer [Hallstatt] (mais ä une date et par un cheminement non connus), peuplement «lepontien» dans la region du lac M a j e u r et du lac de C ö m e , porteur, au - VIC s., de la civilisation dite de Golasecca" und „au second Äge du Fer [La Tene], intrusion massive, ä partir du - IV e s., de Gaulois venus du Nord-Ouest qui se
2
3
4 5
Zur Terminologie Lejeune 1972. Vgl. die Edition der Texte von Solinas 1995, mit einer geographisch geordneten Übersicht 388-90 (vgl. noch das Addendum 383-5); eine Verteilungskarte für die Steininschriften bei de Marinis in de Marinis/Motta 1990-1, 205 (vgl. schon Lep., Karte zwischen 362 und 363). Zum Alphabet von Lugano s. Lep. 364-83; RIG II 1, 4-8; Solinas 1995, 313f. („alfabeto leponzio"). Lep. 480-8: Α „padanes", Β „piemontaises", C „rhodaniennes"; Solinas 1995, 314f. RIG II 1, E-l bis -6; zwei weitere bei Motta 1992, 317, vgl. 1995; s. jetzt auch Solinas 1995, Nrr. 100, 110, 112, 123, 140, 141, 142, und S. 384 (riKanas).
Jürgen Uhlich
278
sedentarisent dans la plaine, depuis le Pidmont j u s q u ' ä l ' ß m i l i e " - für letzteres mit Bezug auf die historischen Berichte von Polybios, Diodoros, Strabon und Livius - , fügt jedoch an, daß „de la civilisation materielle latenienne les uns et les autres vont etre porteurs conjointement", und die praktische Zuordnung einzelner Denkmäler erfolgt dann nur auf indirekter historischer Grundlage (6): „A chance d'etre gaulois tout document en ecriture de Lugano, posterieur au - V e s., issu d ' u n secteur de la zone sublepontique que les historiens anciens assignent expressement ä une population gauloise", ein Kriterium zudem, das schon auf E-5 und E-6 nicht anwendbar ist (zu Lejeunes möglichen sprachlichen
Kriterien s.u.)· Vor diesem Hintergrund meinen
Eska/Evans (1992, 43), daß Lepontisch „perhaps should be considered as a dialect of Gaulish", und Eska (1996, 330) denkt ferner an eine spezifischere Klassifizierung als „an archaic and geographically peripheral dialect of Cisalpine Gaulish"; ähnlich bekennt Solinas (1995,
312) eine
„convinzione
che non esistano
motivazioni
linguistiche sufficienti a giustificare la dicotomia"; lediglich M c C o n e (1996, 68f.) bespricht allerdings auch einige konkrete sprachliche Fakten und erschließt daraus für das Lepontische einen „essential status as early Gaulish". Daß es sich beim Lepontischen zunächst überhaupt um eine indogermanische Sprache handelt, wurde, auf der Basis von Vorarbeiten von Hirt und Danielsson, durch Krähe (1936, 242f., mit Literatur; Material nach PID Π) zusammenfassend dargelegt, und zwar aufgrund der belegten Flexionsendungen einiger produktiver Stammklassen: 6
Sg. Nom.
ä-Dekl.
o-Dekl.
n-Dekl.
-a
-OS
-u
-i
Gen.
[-oiso] Dat.
-ai
-ui
-on-ei [-on-i]
Akk.
-am
-om
Die Endungen in Klammern erscheinen noch nicht bei Krähe, sondern sondern sind in erst später entdeckten oder in mittlerweile neugedeuteten Inschriften belegt. Die häufige Endung -u (s. Nom. Sg. n-Dekl., d.h. < idg. *- *-ü(-)tt: N o m . Sg. -u (s.o.) [2, 7 3, 20, 24, 26, 30, 35], = gall.
kib. -u; Dat. Sg. -ui (s.o.) [3, 4, 10, 11, 13, 18, 25, 27, 31, 37], = gall.
-ov/-u, -ovJ-ui,
kib. -ui idg. *g" > b: *g"i(h3)uoidg. *p > 0: *up/no-
.lebendig' > Piuo- [6, 18, 36]
,höchste(r)' > uvamo- [2], falls über *upamo-
> *u-amo-
*u"amo- ( W e d . 49); vgl. uerKalai [18], falls mit Vorderglied *uper-
,über'
> >
*uer- (Lep. 474, vgl. 418) idg. *e > /: siT- [2] < *sed- ,Sitz' (vgl. am Ende dieser Untersuchung) kelt. *l > *έ: im konsonantstämmig verallgemeinerten Bindevokal in Dat. PI. *-on-ibos > -onePos [2] (vgl. hier am Ende) idg. *st > ts: *ghostis ,Gast' > -Kozis [2], * is tos ,er, derselbe' > isos [3] Ferner das Vorhandensein des Lexems *uindoAlcovindo
,weiß', in alKouinos [33], vgl. gall.
(Lep. 41 l f . mit A n m . 149; vgl. Evans 1972, 421 A n m . 10)
Zur Differenzierung des Lepontischen vom Gallischen generell, d.h. vom sogenannten transalpinischen Gallischen (oder vielleicht besser von den belegten nichtcisalpinischen gallischen Dialekten) führt Lejeune folgende Merkmale an (Lep.
375, 380f., 397,
413f., 423, 462f., 470, 476): Assimilation von kelt. *nd > nn (geschrieben mit einfachem < n > , vgl. Lep. 379f.): *uindos
,weiß' > -uinos [33], vs. gall, vindo- (KGP 295f.; GPN 387 A n m . 4)
Reduktion (bzw. Verlust zumindest in der Schreibung 8 ) von Nasalen vor anderen Verschlußlauten: *g'iuont-
.lebendig' > PiuoT [6], PiuoTialui [18],' vs. gall.
z.B. cant(o)-, tanco-, cingo-, ambiEntwicklung des nasalen Sonanten *n > en, allerdings nur auf der sehr fraglichen Grundlage von siTes [2], falls lautgesetzlich < Akk. PI. *sedns,
vs. gall. *n
generell > an (s. hierzu weiter unten)
7
8
9
Die Zahlenangaben zwischen [ ] verweisen hier und im folgenden auf die im Anhang zusammengestellten datierbaren lep. Inschriften und beziehen sich auf die dort verwendete fortlaufende Numerierung. Daß es sich hierbei nicht nur um eine reine Schreibkonvention [nT] = < T > handelt, belegt eine Schreibung mit < n T > wie anTesilu [20], mit erst sekundär durch Haplologie entstandenem [nT], falls < *ande-tets- (Lep. 381 mit Anm. 69; vgl. auch KGP 131). Lejeune (Lep. ebd.) schließt daraus auf lautlichen Schwund des Nasals in ursprünglichem *-nT-\ gegen vollständigen Ausfall selbst in solchen Gruppen spricht jedoch die vereinzelte Schreibung Piuonta [36], neben PiuoT- [6, 18], und ebenso die Wiedergabe von („gall.") arKaTo- in lateinischer Schrift als arganto- (E-2). Es scheint also ein Wandel VnT (mit ursprünglicher Gruppe nT) > V T (mit Nasalierung des vorangehenden Vokals, die in der Schrift normalerweise ignoriert wird) zugrundezuliegen. Zu weiteren Beispielen s. weiter unten zu den Gemeinsamkeiten zwischen Lepontisch und Cisalpinisch-Gallisch.
280
Jürgen
Uhlich
Assimilation von kelt. *xs > ss: sasamos [29], esopnio [35], vs. gall. Sax(s)amus (s. Lep. 420 Anm. 220), Exsobno, Exomnus, u.a. (410f. Anm. 139; GPN 202) Präposition/Präverb *ad- mit i-Erweiterung > *ad-s-: asKoneTi [33], asmina [37], vs. gall. Adgonetus, Adgonna, Adminio, und allg. ad- (KGP 111-7; GPN 129-31) Ferner im Bereich der Wortbildung die Beinamen/Patronymika auf -alo-/-ala- [4, 10, 11, 13, 18, 37], auch -al [32, 34]: evtl. mit rhätischem (meist thematisiertem) Lehnsuffix (vgl. Krähe 1936, 247, Lep. 408, RIG Π 1, 6; anders Prosdocimi 1991, 159-76), vs. gall. z.B. -ikno-/-ikna- (G-206, -214, u.a., L-4, -6, -9, -11; vgl. auch hier [37]) Schwieriger zu bewerten ist das Verhältnis zwischen Lepontisch und speziell dem Cisalpinisch-Gallischen, d.h. der Sprache der davon traditionell als solche unterschiedenen cisalpinisch-gallischen Inschriften. Zunächst teilt dieser gallische Dialekt einige der oben beschriebenen Züge des unmittelbar benachbarten Lepontischen, die also zugleich auch Abweichungen vom sonstigen Gallischen (s.o.) sind (vgl. RIG Π 1, 6): *nd > nn: kelt. ande- ,in(nen); sehr' > ane-, *and(e)-are- > an-are-, *and-o-kom> ano-ko- (E-l) *nT > "Τ: *kom-bog(i)ios > -Ko-PoKios, lat. Quintus * KuiTos (E-l), *arganto- > arKato- : arganto- (E-2), *longäm > loKan (E-5, nach McCone 1993, 245-9) *xs > ss: *eks- ,aus; ohne' in es-aneKoTi (E-l), es-oPnos (E-4) Demgegenüber führt Lejeune in Lep. 385 zwei Kriterien an, aus denen er die sprachliche Zuordnung der cisalpinischen Inschrift E-5 zum Gallischen erschließt: Phonologie: *-m# > -n#: Akk. Sg. loKan (E-5), ebs. auch Gen. PI. TeuoxTonion (E-2'°), vs. dem lautlichen Archaismus lep. Akk. Sg. Pruiam, Palam [3], uinom nasom [31]; s. jedoch auch unten Anm. 13 Verbalmorphologie: 3. Sg. Prät. KarniTu (E-5), PI. KamiTus (E-l), vgl. gall. ]λιουεικο!ρ!>ιτου[ (G-151); nach Lejeunes Formulierung ,1a presence ä Todi [= E-5] du meme verbe qu'ä Saignon [= G-151]" bezieht sich sein Vergleich hier auf die Stammbildung, nicht auf die Flexionsendung (wozu s.u.).
Weitere Unterscheidungskriterien nach RIG II 1, 6: Die Endung 3. Sg./Pl. Prät. schwach Karni-Tu(s) (E-5, -1; s.o.), vs. lep. Kari-Te, Kali-Te [3]; vgl. Lep. 446-52; s. jedoch Eska 1990, besonders 86 Anm. 38, wonach der Gegensatz -u vs. -e keine Schlüsse auf eine Dialekt-/Sprachzugehörigkeit zuzulassen scheint.
10
Zur Lesung vgl. Meid 1989, 10f.; Motta 1992, 315f.
281
Zur sprachlichen Einordnung des Lepontischen
Patronymika auf -iKno-/-a (E-l, -5; ferner ]Knos ... nimoniKna, Cureggio, s. Motta 1995; auch hier [37] in der jüngeren Generation), vs. lep. (sonst) -alo-/-ala-, -al (s.o.) Vor diesem Hintergrund muß eine vollständige Behandlung der eingangs aufgeworfenen Frage nach der sprachlichen Stellung des Lepontischen in zwei Schritten erfolgen: Die Hauptschwierigkeit besteht darin, zwischen zwei sprachlichen Einheiten Lepontisch und Cisalpinisch-Gallisch zu differenzieren - die noch dazu fragmentarisch bzw. im zweiten Fall äußerst fragmentarisch überliefert sind - , also in der Praxis eine gegebene Inschrift oder besonders eine gegebene sprachliche Erscheinung der einen oder der anderen Sprache bzw. Dialekt zuzuordnen, denn diese beiden angenommenen unterschiedlichen Einheiten sind - für die Zeit, während deren sich beider Überlieferungsperioden decken - in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander belegt, und speziell ihre oben aufgezählten exklusiven Gemeinsamkeiten können somit auf sekundärer arealer Beeinflussung zumal zwischen immer noch ähnlichen oder sogar wechselseitig verständlichen Dialekten beruhen, ohne daß jeweils von vornherein klar wäre, welche der beiden Seiten jede einzelne sprachliche Neuerung hervorgebracht und an die andere weitergegeben hat. Zuerst ist es jedoch erforderlich, das Lepontische vom Gallischen generell, d.h. der transalpinischen Hauptüberlieferung, abzugrenzen, und dieser erste Schritt ist das Thema der vorliegenden Untersuchung. Hierzu zunächst einige methodologische Überlegungen: Die Aufgabe, die mögliche Eigenständigkeit einer sprachlichen Einheit zu überprüfen, darf logisch nicht verwechselt werden mit der Suche nach Kriterien für eine engere Verwandtschaft zweier Sprachen innerhalb einer größeren Sprachfamilie. Im letzteren Fall sind entscheidend nachweislich gemeinsame und exklusive Innovationen, d.h. solche Neuerungen, die nicht so trivial oder naheliegend sind, daß sie auch in beiden Sprachen unabhängig voneinander durchgeführt worden sein könnten, und die ferner innerhalb der Gesamtfamilie auf diese beiden Sprachen beschränkt sind." Der Nachweis der Eigenständigkeit besteht demgegenüber in individuellen Neuerungen der betreffenden Sprache (sei es hier des Lepontischen oder auch des Gallischen), denen gleichzeitig oder sogar später belegte entsprechende Archaismen in den davon abzugrenzenden anderen Mitgliedern der Sprachfamilie gegenüberstehen. Im Gegensatz zum Nachweis einer engeren Verwandtschaft ist es dabei logisch irrelevant, ob diese Neuerungen trivial sind, da der Tatbestand des Unterschieds zwischen den untersuchten Sprachen
"
Vgl. J. Schmidt 1872, 20 (klar zu gemeinsamen Neuerungen, nicht eindeutig genug zur mangelnden Aussagekraft „gemeinsam"
bewahrter Archaismen)
zusammen mit 8
(Exklusivität) und 33 (Ausschluß von unabhängigen Parallelentwicklungen), ferner 34 (Irrelevanz von Lehnbeziehungen); Leskien 1876, VII oben: „Die Kriterien einer engeren Gemeinschaft können nur in positiven Uebereinstimmungen der betreffenden Sprachen, die zugleich Abweichungen von den übrigen sind, gefunden werden." (vgl. K.H. Schmidt 1984, 129f.; 1991,
14-6, auch zur Frage sogenannter „common retentions" und
innovations" laut Watkins 1966, 30f.).
„negative
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Jürgen Uhlich
(d.h. einschließlich der Nichtdurchfiihrung des trivialen Wandels in den abzugrenzenden Sprachen) davon nicht betroffen wird. Solche Erscheinungen im Lepontischen sind ihrer Natur nach (zur Datierung s. jedoch unten) z.B. die Wandel *nd > nn, *nT > "Τ, *xs > ss, gegenüber transalp.-gall. gleichzeitig oder später belegten nd, nT, xs (nn, ss erst noch später und somit unabhängig). Ohne Aussagekraft sind dagegen auch in diesem Fall im Lepontischen bewahrte Archaismen gegenüber späteren gall. Neuerungen wie z.B. der lep. Gen. Sg. -oiso der frühesten (s.u.) Inschriften vs. dem areal in mehreren Sprachen später eingeführten *-[, so z.B. im Lat. und Faliskischen (älter beide ebenfalls mit -osio), Gall. (G-13, L-13, auch E-5) und nicht zuletzt auch im Lep. [14?, 25?, 32, 33],12 die sich problemlos auch mit einer Einstufung des Lepontischen als archaische Vorstufe des Gallischen (d.h. „Altgallisch" o.ä.) vereinbaren lassen würden.13 Sowohl für die Ermittlung solcher Kriterien - Neuerungen gegenüber gleichzeitig oder später bezeugten Archaismen - als auch für die Einschränkung der Untersuchung der keltischen Sprachreste Norditaliens und der südlichen Schweiz auf das Lepontische, also um für den ersten der beiden oben genannten Schritte die traditionell angesetzte Einheit Cisalpinisch-Gallisch, die bislang sprachlich nicht eindeutig vom Lepontischen differenziert worden ist, dennoch sicher auszuschließen, ist es unerläßlich, die vorhandenen Denkmäler datieren zu können. Auf der Grundlage einer Datierung wenigstens der meisten Denkmäler wird es dann möglich sein, das lepontische Korpus in einen historischen Rahmen einzufügen und daraufhin zunächst nur diejenigen Inschriften zu untersuchen, die entweder zeitlich noch vor der Hauptinvasion der (dann „cisalpinen") Gallier nach Norditalien (s.u.) liegen oder auch
12
13
Zur Verbreitung dieser Endungen Lejeune 1989, spezieller zum Lep. Prosdocimi 1991, 1529; Motta 1992, 312f.; zum idg. Hintergrund von *-f Stempel 1994. Komplexer ist der Fall des lautlichen Archaismus -m vs. gall, überwiegend -η: Zwar begegnet auch cisalp. -η (E-2, -5), und sogar zeitgleich mit lep. -m in [31], so daß logisch gesehen auch diese Erscheinung als Unterscheidungskriterium geeignet zu sein scheint, aber abgesehen davon, daß sowohl -m als auch -n lediglich in je zwei Inschriften belegt sind und so keine ausreichende statistische Grundlage besteht, um plausibel auszuschließen, daß eine oder beide Sprachen vielleicht beide Zeichen in freier Variation für die Schreibung eines auslautenden Nasals verwenden konnten, ist die cisalp.-gall. Beleglage nicht einmal einheiüich, sofern an zwei anderen Stellen zu Recht -m gelesen wird: 1) oikan[-?] (E-l, Zeile Al) nach Lejeune (RIG II 1, 23, vgl. 19: „sürement pas Μ"), jedoch „poikam ... secondo una nuova lettura" (de Marinis 1988, 172, vgl. 246), ebs. „Un recente restauro ha confermato la lettura poikam" (Gambari 1990-1, 233); 2) a]Tom „(ou a ] T o < s > ? ) " (E-2, 11) nach Lejeune (RIG II I, 37: „indubitable ... M", allerdings evü. Fehler für s), hingegen nach Meid (1989, 11) zu lesen als aTos („s ziemlich wahrscheinlich"). E-l ließe sich daraufhin theoretisch noch statt als gallisch eben als lepontisch einstufen, jedoch zeigt die Inschrift E-2 daneben auch -n und würde dieses Kriterium somit völlig entwerten (vgl. auch Gambari, I.e.), bzw. genauer: Aus dem Vorhandensein von -m lassen sich keine Rückschlüsse auf die Sprachzugehörigkeit ziehen, da -m nicht nur als lautlicher Archaismus des Lep. erscheint, sondern auch z.B. als Schreibkonvention auf benachbarte gall. Texte übertragen werden konnte; lediglich -n könnte nach der bisherigen Beleglage als Kriterium für Zugehörigkeit zum Gall, gelten.
Zur sprachlichen Einordnung des Lepontischen
283
noch später wegen ihrer lokalen Isolation ebenfalls nicht im Verdacht stehen, importierte gall. Züge durch Kontakt übernommen haben zu können oder gar selbst vielleicht cisalpinisch-gallisch zu sein. Einen Wendepunkt für die Datierung des Lepontischen überhaupt markierte die Entdeckung im Jahre 1985 des Bechers von Castelletto Ticino mit der Inschrift xosioiso [hier Nr. 1], der sich archäologisch auf das zweite Viertel des 6. Jahrhunderts datieren läßt und damit die früheste bekannte lepontische Inschrift trägt. 14 Doch auch schon vorher hatte ein Prozeß der Neudatierung (insbesondere Rückdatierung) der lepontischen Denkmäler begonnen, zunächst nach archäologischen (also mithilfe der unmittelbaren Fundumgebung), dann auch nach assoziierten epi- und paläographischen Kriterien," und diese umfassende Neudatierung betraf insbesondere die in vielerlei Hinsicht einmalige Steininschrift von Prestino [hier Nr. 2], die anfänglich dem 2. Jahrhundert zugeordnet wurde, sich jetzt jedoch auf das frühe 5. Jahrhundert datieren läßt. 16 Der archäologische Kontext der frühesten lep. Denkmäler ist die eisenzeitliche (teilweise hallstattbeeinflußte) Golasecca-Kultur, genauer innerhalb ihrer Phasen II-III (ca. 600-375), deren Verbreitungsgebiet dasjenige der gleichaltrigen Inschriften im Lugano-Alphabet miteinschließt.' 7 Spätere Inschriften gehören zu verschiedenen Phasen der La Tene-Kultur, d.h. nach der Hauptinvasion gallischer Stämme nach Norditalien ca. 400; die meisten dieser Inschriften stammen aus dem 2. und 1.
14
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16
17
S. Gambari/Colonna 1988, zur Datierung 126 (Gambari), 132 (Colonna), femer de Marinis in de Marinis/Motta 1990-1, 212. Fraglich ist die Keltizität der ältesten transpadanischen Inschrift von Sesto Calende (Ende 7. Jh.), ]iun6anaxa: nach Colonna „in alfabeto e con ogni probilitä anche in lingua etrusca" (Gambari/Colonna 1988, 140, mit Zeichnung, femer Diskussion in 140f. Anm. 96); dagegen laut Prosdocimi (1991, 148f.) vielleicht auch dem Fundort entsprechend keltisch, jedoch ohne formale Absicherung: zu JiunOa- [nicht „-iuneV-"\] sei zu vergleichen einerseits gall, iutu- (KGP228), andererseits gall, ianiu-: iatu, usw. (KGP 222-4), was über Anklänge nicht hinauskommt, und -naxa bleibt ungeklärt. S. de Marinis 1981, 246f. (und Anmerkungen 268f.); 1986; 1988, 170f.; 1991, 95; eine detaillierte Typologie und entsprechende zeitliche Klassifikation sowohl der Stein- als auch der Vaseninschriften bietet de Marinis in de Marinis/Motta 1990-1. Zur jetzt überholten Datierung s. Lep. 454 Anm. 343 (nach Tibiletti Bruno), vgl. noch Tibiletti Bruno 1989, wogegen direkt de Marinis in de Marinis/Motta 1990-1, 21 lf. Anm. 16; zur Neudatierang femer de Marinis 1981, 247: (Mitte?) 5. Jh.; 1988, 170: 475^50; bei Prosdocimi 1987, 569: vor ca. 500; Colonna in Gambari/Colonna 1988, 140 Anm. 94: 5. Jh., vor 480; Prosdocimi 1987, 569f.: Ende 6. bis Anfang 5. Jh.; vgl. 1991, 141. Benannt nach einem zentralen Fundort, vgl. die heutige Ortschaft Golasecca am linken Ufer des Ticino kurz nach seinem Ausfluß aus dem Lago Maggiore; s. einen Überblick bei de Marinis 1991, vgl. EIEC233f. Eine genauere Darstellung der Perioden der Golasecca-Kultur, zusammen mit den dieser ohne archäologischen Bruch vorausgehenden bronzezeitlichen Vorstufen Protogolasecca (12. - 10. Jh.) und Canegrate (Anfang 13. - 12. Jh.) - sowie der hiervon durch einen Bruch getrennten Phase La Scamozzina(-Monza/di Albairate) (14. Anfang 13. Jh.) - , gibt de Marinis 1988, 159-248; zum genauen Verbreitungsgebiet der Golasecca-Kultur ebd. 166f., vgl. eine Karte 238 (und 239, = 1991, 93), ebs. bei Violante 1993, 13 (genauer als die vereinfachende kreisförmige Verteilungszone für [die meisten] Inschriften in Lep., Karte zwischen 362 und 363; vgl. noch bei Frey 1995, 516).
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Jahrhundert, während Zeugnisse aus dem 4. und 3. Jahrhundert wesentlich seltener sind. 1 8 Rein archäologisch lassen sich somit drei Perioden der Überlieferung keltischer Sprachreste am Südrand der Alpen unterscheiden: 1) Die Phasen Π und ΠΙ der Golasecca-Kultur ca. 600-400, 2) eine Periode nur geringer Belegdichte im noch Golasecca-beeinflußten La Tfene-Kontext ca. 4 0 0 - 2 0 0 , " 3) eine Periode
wieder
stärkerer Überlieferung im La Tene-Kontext ca. 200-1. Mit dieser archäologischen Periodisierung läßt sich in genaue Übereinstimmung bringen eine historisch begründete Einteilung, die auf zwei Ereignissen beruht: 1) Der Invasion gallischer Stämme nach Norditalien ca. 400 (Besetzung Roms 390 oder 387/6) und 2) dem Beginn der Romanisierung ebendieser Stämme und der von ihnen bewohnten Territorien, insbesondere der Poebene, mit der Hauptunterwerfungsphase 225-191. Letzterer Vorgang ist historisch weitestgehend unstrittig: 20 Der südlichste gallische Stamm der Senones (Adriaküste nördlich von Ancona) war bereits 283 unterworfen worden (Gründung der römischen Kolonien Sena Gallica 283, Senigallia,
Ariminum 268, > Rimini),
>
ihr Gebiet, der Ager Gallicus, wurde jedoch
erst 232 per Gesetz unter römische Siedler aufgeteilt. Nach dem Sieg bei Telamon (etruskische Küste) gegen Boii, Insubres und Taurisci 225 begann dann der römische Vormarsch in die Poebene, mit Angriffen gegen die Boii (angesiedelt um Bononia [früher etruskisch Felsina] > Bologna,
224) und die Insubres (um C o m u m >
d.h. ursprüngliches lepontisches Gebiet, 222) und der Gründung der Placentia ( > Piacenzä)
Como,
Kolonien
und Cremona im Jahre 218. Nach Beendigung des Zweiten
Punischen Krieges (218-01),
in dem Hannibal auch durch cisalpinische
Gallier
unterstützt worden war, mußten die Cenomani (um Brescia/Verona) 197 Frieden schließen, das insubrische C o m u m wurde 196 erobert und die Boii 191 endgültig geschlagen und großenteils vertrieben (189 Gründung der Kolonie Bononia). Umstrittener ist die historische und kulturelle Bewertung der gallischen Invasion nach Norditalien. Nach fast einhelliger Nachricht der antiken Historiker, darunter insbesondere Polybios (ca. 200 - ca. 120), vollzog sich um das Jahr 400 eine massive Einwanderung mehrerer gallischer Stämme, in kurz aufeinanderfolgenden Wellen, von Norden und Westen über die Alpen nach Norditalien, d.h. auch archäologisch nachweisbar in die gesamte Poebene (außer dem venetischen Gebiet jenseits des Adige) von den Alpen bis an den Apennin und an der Adriaküste nach Süden bis etwa Ancona (vgl. Plb. 2, 17, 3-7), gipfelnd in der vorübergehenden gallischen Eroberung Roms (ca. 387/6, zu erschließen aus Plb. 1, 6, 1). Diese Datierung der Invasion kurz vor dem Angriff auf Rom wird auch von Livius (ca. 59 v. - ca. 17 n. Chr.) bestätigt (der Fall Roms dort 390), darüber hinaus jedoch datiert Livius als einziger antiker
18 19
20
De Marinis 1988, 171; ders. in de Marinis/Motta 1990-1, 216; vgl. de Marinis 1991, 95. Die auf diese Zeit datierten Denkmäler sind zudem örtlich isoliert, denn sie stammen sämtlich aus der Schweiz (Kanton Tessin/Ticino), also aus dem äußersten nördlichen Randbereich des ursprünglichen Golasecca-Gebiets [hier Nr. 18-22, evtl. 25-8]. S. die Überblicke in Auswahl bei Frey 1995, 519; Cunliffe 1997, 77f., 286; ausführliche kommentierte Darstellungen bei Rankin 1987, 110-6; Violante 1993, 57-92.
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285
Historiker die erste Kelteneinwanderung nach Italien schon auf etwa 600 v. Chr., 2 1 gefolgt in z.T. größeren Abständen von den anderen (auch bei Polybios genannten) gallischen Stämmen bis hin zu den Senones um 400, welche sodann Rom besetzten. 2 2 Für die hier zu untersuchende Frage nach der Stellung des Lepontischen bedeutet dies, daß „stabilito che la lingua rivelata dalle iscrizioni della cultura di Golasecca fa parte della famiglia delle lingue celtiche, rimane da chiarire a quale epoca risalga questa celtizzazione del territorio transpadano: a un primo Strato di invasioni galliche nel 600 a . C . , prestando fede al racconto di Livio, oppure a un periodo ancora piü antico? Nel primo caso sarebbe errato distinguere tra leponzio e gallico, poiche esisterebbe continuitä di invasione, dalle piü antiche del 600 alle piü recenti del 400 a . C . " (de Marinis 1988, 171f.). Eine Entscheidung in dieser Frage würde zwar noch nicht das schwierige (und hier noch nicht weiter zu verfolgende) Problem der Differenzierung zwischen Lepontisch und Cisalpinisch-Gallisch lösen, die in j e d e m Falle aus späterer Zeit in engem Kontakt miteinander überliefert sind, sie ist jedoch notwendig, um zunächst das Verhältnis des Lepontischen zum (transalpinischen) Gallischen allgemein zu klären, d . h . , handelt es sich hierbei nach außersprachlichen Gesichtspunkten lediglich um einen in historischer Zeit eingewanderten, teilweise archaischen gallischen Dialekt, oder läßt sich eine zeitlich wesentlich weiter zurückgehende geographisch und sprachlich eigenständige Entwicklung für die Vorgeschichte der ab ca. 600 belegten lepontischen Sprache wahrscheinlich machen? Hierzu läßt sich zwar anhand der historischen Quellen keine Klarheit gewinnen, Aufschluß geben jedoch die archäologischen Zeugnisse aus Norditalien und z . T . auch aus den ursprünglicheren gallischen Siedlungsgebieten auf der anderen Seite der Alpen, und zwar 1) über die gallische Invasion selbst und 2) über die
frühere
Entwicklung Norditaliens bis hin zu diesem Ereignis: Die massive Einwanderung ganzer gallischer Stämme ist zunächst grundsätzlich nachweisbar durch einen abrupten kulturellen Wandel, die Einführung der Kultur La Tene (hauptsächlich in ihrer Phase Β 1, = ca. 375-300), deren Präsenz sich an typischen Kunst- und Gebrauchsgegenständen in Siedlungen und Gräbern bzw. Nekropolen erkennen läßt, so z.B. „nella Lombardia Orientale, dove compare una cultura interamente nuova, senza radici locali, quella La Tene dei Cenomani" (de Marinis 1988, 242). Ein weiteres datierbares Anzeichen ist der plötzliche Niedergang etruskischer Städte in der Poebene, so unter dem Ansturm des Stammes der Boii in der Emilia Romagna: „The importation of Greek pottery ceases in Bologna and Marzabotto around 400/390 BC, in contrast to the port of Spina, situated at the estuary of the river Po, which was protected by its location in the lagoon. The same situation is evident in other Etruscan centres, giving
22
„ducentis ... annis ante", 5, 33, 5, „Prisco Tarquinio Romae regnante", 5, 34, 1, ferner zeitlich verknüpft mit der Gründung der griechischen Kolonie Μασσαλία (Massilia > Marseille), 5, 34, 7-8; Endpunkt dieser ersten Einwanderung war nach Livius die Gründung von Mediolan(i)um, 5, 34, 9 ( > Milano/Mailand). Eine umfassende Dokumentation der antiken historischen Überlieferung bei Wernicke 1991, 73-86; Übersetzungen bei Knita Poppi 1991, 686f.
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us a date which fits well with the written accounts of the Celtic invasion" (Frey 1995, 524), und die „Celtic migrations of whole tribes ... can be recognized, at least in the Etruscan area around the Mincio [nördlicher Nebenfluß des Po, bei Mantova] and south of the Po, by the diminution or break-up of settlements in or about 400 BC" (Frey 1996, 78; nicht allerdings z.B. des etruskischen Mantua selbst, ebd. 65). Komplementäres Beweismaterial liefern die plausibel anzunehmenden 23 Ausgangspunkte dieser Wanderungen, d.h. die ursprünglichen Heimatgegenden der auswandernden gallischen Stämme: „The most convincing evidence for an exodus of population comes from the Marne region. A study of the rich burial data shows that during the fifth century a large stable population occupied the region, ... But some time about 400 BC the population suddenly declines" (Cunliffe 1997, 74f.); Ähnliches läßt sich im Rheinland beobachten und weniger deutlich auch in Böhmen, und „it is reasonable to suppose that the three most developed centres of Early La Tfcne culture - the Marne, the Moselle, and Bohemia - contributed to populations which made their way through the Alpine passes about 400 BC to set themselves up in the lush lands of the Po valley" (ebd. 75). Daneben gibt es zwar auch Belege für eine keltische Präsenz in Norditalien schon vor diesem Datum, diese sind jedoch grundsätzlich anderer Art: Zunächst finden sich in literarischen Quellen einige mögliche Anzeichen für eine frühere Anwesenheit von Kelten, so z.B. die vagen Angaben bei Polybios und Plutarch. 24 Diese historio-
23
24
Die jeweilige Herkunftsgegend einzelner gallischer Stämme ist auch an ihren neuen Wohnsitzen in der Poebene archäologisch z.T noch zu erkennen, so z.B. an bestimmten Bestattungsbräuchen, die den Stamm der Boii mit ihrer böhmischen Heimat (oder mit ihren dorthin gezogenen ursprünglichen Stammesgenossen) oder die Senones und Cenomani mit ihrem Ursprungsgebiet an der Marne verbinden: „Taken together the evidence emerging for regional patterns and their Transalpine parallels is beginning to offer a striking confirmation of the traditional account of the settlement" (Cunliffe 1997, 73). Zitiert von Wernicke 1991, 112, vgl. 73 zu Plb. 2, 17, 3 über die Etrusker in der Poebene vor der großen Kelteninvasion, οΐς ίπιμι-γνύμενοι κατά την παράϋεσιν Κελτοϊ ... ΐκ μικρας ιτροφάσεως με-γάλη στρατιίρ παραδόξως έπελΰόι>τες έξίβαλον ex της περί τον Πάδο ρ χώρας Τυρρηνούς καΐ κατίσχον αίιτοί τα πεδία „mit denen die Kelten in Nachbarschaft verkehrt hatten und ... unter geringfügigem Vorwand plötzlich mit einem großen Heer heranrückten, die Tyrrhener [=Etrusker] aus dem Land um den Po vertrieben und selbst die Gegend besetzten". Des weiteren berichtet Diony sios von Halikarnassos über den Angriff auf K i ^ / C u m a e 524 v. Chr. unter anderen durch Τυρρηνών oi περί τον 1 όνων κόλπον κατοικοΰντβς (κέϊϋίν ϋ' νπο των Κελτών ίξελα&ίντες συν χρόνω (D.H. 7, 3, 1), „die[jenigen] Tyrrhener, die das Land am Ionischen Meerbusen (Adria) bewohnt hatten, aber im Laufe der Zeit von [den] Galliern von dort verdrängt worden waren" (Wernicke 1991, 111) [angesichts der geographisch entfernten Lage von Κύμη bei Neapel ist ίξελαύέντες hier kaum vorzeitig zur Berichtsperspektive des Autors gemeint, das hieße „die ... bewohnten, aber ... verdrängt worden sind", also erst nach 524]. Unsicherer ist der Wert der vierten bei Wernicke (11 If.; vgl. Frey 1996, 75) angeführten Stelle: Der Hinweis bei Skylax (18f.; um 500 v. Chr.), Μετά ie Τυρρηνούς είσικ Κελτοϊ ϊύνος ... firi στενών μέχρι Άδρίου „Nach/hinter den Etruskern ist das Volk der Kelten ... auf einem schmalen Stück Land bis
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graphischen Andeutungen „beweisen zwar nicht, daß die Kelten 200 Jahre vor der Belagerung von Clusium [ca. 400] zum ersten Mal die Alpen überschritten hätten [sc. massiv, und gemäß der von Livius gegebenen Datierung], sie weisen jedoch darauf hin, daß die ersten keltischen Stämme im Verlauf des 6., spätestens jedoch des S. Jh. v.Chr. und damit auf jeden Fall früher, als von einem Großteil der Forschung heute angenommen wird, in die Padana eingedrungen sind" (Wernicke 1991, 112). Klareren Aufschluß geben auch in diesem Fall die archäologischen Quellen: Während die Hauptmasse der Belege für keltische Präsenz der Periode La Tene Β und später, also nach der Invasion, angehört, 25 existieren auch Fundobjekte aus dem späten 5. Jahrhundert, die (oder deren Prototypen, mit anschließender Herstellung solcher Gegenstände dann auch in Italien selbst) der Phase La Tene Α nördlich der Alpen entstammen, „above all openwork belt-hooks of bronze and iron, which were used to fasten the warrior's belt", welche „can hardly be regarded as the products of normal trading activities", und „it seems reasonable to suggest that their dispersal came about through personal contact between those who wore them" (Frey 1995, 522, 523; vgl. 1996, 77). Hinzu kommen, für die Vorgeschichte der boiischen Besetzung der Emilia Romagna, Grabsteine aus dem späten 5. Jahrhundert aus Bologna, auf denen Kämpfe zwischen Etruskern und Kelten abgebildet sind (Frey 1995, 524f.; Cunliffe 1997, 70f.). Die diesen Erscheinungen zugrundeliegenden Kontakte zwischen Völkern nördlich und südlich der Alpen 26 waren auch in die andere Richtung aktiv, speziell durch „reflux cultural movements" bzw. „cultural regression" in Rückwirkungen der eingewanderten cisalpinen Kelten auf ihre transalpinen Ursprungsgegenden, welche bereits im 5. Jahrhundert (La Tene A) einsetzen, wie Fundobjekte norditalienischer Herkunft z.B. in der Champagne belegen (s. Frey 1995, 529; 1996, 66-75). Weitere derartige Fundobjekte in Norditalien erscheinen sogar schon am Ende des 6. und Anfang des 5. Jahrhunderts und entstammen der späten Hallstattkultur nördlich der Alpen, darunter besonders Fibeln, und „since we must assume that such simple garment fastenings were not a common trade item, it seems logical that they arrived south with their wearers across the alps" (Frey 1996, 77, vgl. 1995, 524). Diese Hallstattspuren finden sich jedoch nur vereinzelt, z.B. im Kontext der weiterhin bestehenden etruskischen Städte in der Poebene, wo „a break in the cultural development cannnot be detected, so we can hardly assume a large-scale immigration" (Frey 1996, 77). Vielmehr läßt sich aus diesen Anzeichen, ebenso wie aus den LaTene-A-Objekten „insbesondere in der Ostpadana und dem Adriabereich" (Wernicke 1991, 123), schließen, „that the great Celtic invasion, which affected the Etruscan
25
26
zur Adria", stammt aus einem Text ungeklärter Autorenschaft, dessen Quellen z.T. auch später in das 4. Jahrhundert datiert werden. Vgl. Frey 1995, 520-2, 524-7; 1996, 59-62 (auch zur Möglichkeit der Wanderung von Objekten ohne entsprechende Bevölkerungsbewegung!). Vgl. auch Frey 1995, 518f. zur häufigen Rekrutierung von Hilfstruppen durch die cisalpinen Kelten aus Gegenden nördlich der Alpen.
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Vhlich
towns, had been preceded by a much longer period of Celtic intrusions,27 which served as a prelude for it. We must assume a complex process, which, having taken place at an earlier period, was either simplified or distorted in the classical sources" (Frey 1995, 524). Nur in diesem Sinne ist es somit möglich, die Darstellung der keltischen Einwanderungen durch Livius als im Kern glaubwürdig einzustufen, 28 d.h. nur mit dem entscheidenden Zusatz, daß zwischen einer massiven Invasion (oder kurz aufeinander folgenden massiven Invasionen) ganzer Stämme um 400 und einer vorangehenden, mehr oder weniger kontinuierlichen Phase des Kontakts oder sogar der Eingliederung einzelner Personen oder Gruppen ab dem (späten) 6. Jahrhundert unterschieden werden muß. Was nun die Relevanz dieses außersprachlichen Rahmens für das hier zu behandelnde Thema, die Stellung der lepontischen Sprache, betrifft, so ist dieser zunächst geographisch noch weiter einzuengen und dann linguistisch zu bewerten. Die Einschränkung betrifft den archäologischen Kontext der lepontischen Inschriften, also die Golasecca-Kultur in der nordwestlichen Poebene und dem nördlich angrenzenden Alpenbereich. Das sich für diesen begrenzten Bereich (neben einigen wenigen historischen Hinweisen) aus den archäologischen Funden ergebende Bild entspricht, wenn auch mit einigen Unterschieden, grundsätzlich den soeben skizzierten Erkenntissen über die keltische Besiedlung Norditaliens im allgemeinen. Die gallische Invasion um 400 wirkte sich auf die Kultur von Golasecca zunächst nur indirekt aus, indem durch die plötzliche Zerstörung der etruskischen Städte in der Poebene (wozu s.o.) der Handel mit diesem Bereich zum Erliegen kam und so dem Hauptzentrum der Kultur, der Golaseccasiedlung um Como, die Lebensgrundlage entzogen wurde. 29 In der Folge wurde das Zentrum Como weitgehend aufgegeben, und für die sich anschließende Phase Golasecca III A 3 (400-375) finden sich dort kaum noch Belege, und auch an Orten weiter südlich in der Poebene wie z.B. Milano bricht, nach einer drastischen Reduktion um 400, mit dem Ende von G ΠΙ A 3 die Dokumentation völlig ab. Im Gegensatz zur Zerstörung der etruskischen Städte jedoch ist diese Phase ΠΙ A
27
Vgl. Frey 1996, 78:
probably before the massive intrusions of whole tribal groups there
were different movements of smaller groups who then settled in the vicinity of still flourishing older towns"; ein solcher Prozeß läßt sich charakterisieren eher als „infiltration of Celtic population groups" (ebd. 77) denn als „several waves of immigration" (ebd. 75). 28
Vgl. die ausführlichen und nicht nur archäologischen, sondern auch historischen Ansätze zur Rechtfertigung des Livius durch Wernicke (1991, 86-110, auch zu älteren Arbeiten; der Abschnitt 106-10 über die „Bemühungen des Livius um eine korrekte Darstellung" ist zu diesem Punkt jedoch eher atmosphärisch angelegt als faktisch abgesichert) und Violante (1993, 15-23); eine Gegenposition mittels historischer Analyse bei Baldacci (1983, 153-5), vgl. auch Frey (1995, 517f ). Nicht notwendig scheint dagegen eine völlige Zurückweisung („nessun valore", Campanile 1983, 27).
29
Vgl. auch Wernicke 1991, 124f. [für „Abdero" leg. Arbedo]; demnach ist die Annahme eines direkten Kontakts, d.h. „la contrazione del Golasecca all'inizio del IV secolo puö rendere accettabile l'ipotesi di un arrivo di alcuni gruppi da nord-ovest" (Baldacci 1983, 153), zur Erklärung der Aufgabe dieser Siedlung nicht notwendig.
Zur sprachlichen Einordnung des Lepontischen
289
3 in einem stark verkleinerten Gebiet, besonders um den mittleren Lago di C o m o und im Schweizer Kanton Ticino/Tessin, reich dokumentiert, und „durante i primi decenni del IV secolo la cultura di Golasecca mantiene inalterate le sue caratteristiche"; darüber hinaus sind „chiaramente riconoscibili ... le persistenze della tradizione golasecchiana nel Comasco e nel Canton Ticino durante il IV-ΙΠ secolo a . C . " , und „i ritrovamenti del G. ΠΙ A 3 e dei periodi successivi dimostrano che le regioni alpine e prealpine della cultura di Golasecca non sono state direttamente toccate dall'invasione gallica" (de Marinis 1988, 242, 243). Allerdings setzt mit der Phase La Tene Β 1 (ab 375) ein gradueller Prozeß der Anpassung an die Kultur der benachbarten Einwanderer ein, und „d'ora in poi bisognerä parlare di una cultura La Tene con forti tradizioni golasecchiane" (ebd. 244; zum Ganzen vgl. auch Frey 1996, 65, mit Literatur). Ähnlich wie an anderen Stellen in Norditalien allgemein finden sich auch im Bereich der Golasecca-Kultur schon frühere Spuren von Einflüssen oder Zuwanderungen aus keltischen Gegenden nördlich der Alpen. So erscheinen auch hier u.a. insbesondere die für La Tene Α typischen durchbrochenen Gürtelhaken im letzten Viertel des 5. Jahrhunderts (innerhalb der einheimischen Phase G ΠΙ A 2), allerdings in weiterhin rein lokalen Kontexten, und „since most cemeteries were in continuous use up to this period, it seems unlikely that the change in forms represents a change in population" (Frey 1995, 523); solche Spuren scheinen auch in diesem Fall auf „una effettiva presenza di gruppi di guerrieri gallici nell'Italia settentrionale" zu weisen, und „il primo stadio dell'invasione sembra quindi annunciato da queste infiltrazioni e movimenti di guerrieri" (de Marinis 1988, 237 30 ). Und auch noch frühere Spuren von Kontakten mit der transalpinen (überall keltischen?) Hallstattkultur sind erkennbar, allerdings eher als die oben besprochenen weiter östlich belegten (um 500), nämlich schon ab ca. 700; jedoch führen auch diese zu keiner Zeit - d.h. auch nicht um 600, was dann der Datierung der ersten Einwanderung durch Livius entspräche - zu einer Unterbrechung der Entwicklung in der einheimischen Golasecca-Kultur (s. de Marinis 1988, 172f., vgl. 179f.), so daß bestenfalls von ,,eine[r] allmählichefn] Infiltration durch die Kelten [besser: durch Kelten] und ... [der] Existenz von Handelsbeziehungen seit dem 7. Jh. v . C h r . " die Rede sein kann. 3 1 Für eine erste große Invasion schon um 600, gemäß der Datierung durch Livius, gibt es somit auch in diesem geographisch begrenzten Bereich keine archäologischen Anzeichen, und auf der anderen Seite finden sich vielmehr sogar positive Belege fiir eine kulturelle Kontinuität bis zur Invasion um 400. Diese durchgehende Entwicklung, innerhalb deren sich kein archäologischer Bruch feststellen läßt, reicht zurück über alle Stadien der Golasecca-Kultur (ab 9. Jh.) und die vorangehende bronzezeitliche Phase Protogolasecca (12.-10. Jh.) hinaus bis hin zum Beginn der Canegrate-Kultur
30
31
Ferner 243 zur Verwendung (dann meist aus einheimischer Produktion) der Gürtelhaken noch im 4. Jh. (G III A 3); vgl. auch Baldacci 1983, 151. Wernicke 1991, 120 (nach Barfield), jedoch anschließend mit einem weitergehenden Axiom; vgl. Baldacci 1993, 150f., 151.
Jürgen Uhlich
290
(13.-12. Jh.). 3 2 „Nell'ämbito della cultura di Golasecca, dunque, fino agli inizi del IV secolo a. C. non sono mai riscontrabili fenomeni di netta e improvvisa rottura della tradizione culturale, tali da richiedere per la loro comprensione il ricorso a un modello di tipo invasionistico ο migratorio. Si osservano si mutamenti e innovazioni, ma di cui si possono rintracciare i luoghi di origine e perfettamente spiegabili come effetto dell'apertura ai contatti, agli scambi culturali, ai rapporti commerciali con altre culture vicine. La tesi di una celtizzazione della cultura di Golasecca verso la fine del VII secolo a . C . attraverso di un fenomeno migratorio non trova quindi alcun sostegno nella documentazione archeologica."
(de Marinis 1988,
174). Die Öffnung für
auswärtige Einflüsse erfolgte ferner erst im 10. Jahrhundert und beendete „un periodo di m a r c a t o isolamento d e l l ' a r e a l o m b a r d o - p i e m o n t e s e "
(ebd.
166), u n d
ein
archäologischer Bruch, eine „discontinuita culturale", ist nur im 13. Jahrhundert zu erkennen, mit der Ankunft der bronzezeitlichen Canegrate-Kultur, „che segna una rottura pressoche totale con la precedente cultura della Scamozzina di Albairate" und ferner deutlich auf die älteste Phase der Urnenfelderkultur des nordwestlichen Alpenraums zurückgeht (ebd. 175; vgl. Frey 1996, 77 A n m . 45). Dieses bis hierhin skizzierte historische und archäologische Gesamtbild ermöglicht folgende linguistische Schlußfolgerungen: Angesichts der ununterbrochenen Weiterentwicklung der Golasecca-Kultur und ihrer Vorstufen ab d e m 13. Jahrhundert bis zur gallischen Invasion 400 (und örtlich begrenzt sogar noch darüber hinaus) ist eine „Keltisierung", also die gänzliche Neueinführung einer keltischen Sprache in dieses Gebiet - oder aus entsprechenden Gründen auch in andere Gebiete Norditaliens - um ca. 600 (gemäß Livius) und damit unmittelbar vor den frühesten Bezeugungen des Lepontischen sowie mit anschließender „continuitä di invasione" (s.o.) bis 400 nicht anzunehmen. Da jedoch die lepontischen Sprachreste deutlich dem keltischen Zweig des Indogermanischen angehören (s.o.), muß eine solche Keltisierung bereits vor 400 durchaus stattgefunden haben, allerdings schon zur Zeit des nächstvorangehenden archäologischen Bruchs im 13. Jahrhundert mit dem Beginn der Canegrate-Kultur, somit nicht 200, sondern mindestens 800 Jahre vor der historischen
gallischen
Invasion. Da ferner die Canegrate-Kultur auf die nordwestalpine Urnenfelderkultur zurückgeführt wird, bietet sich letztere als gemeinsamer (protokeltischer?) Ausgangspunkt
für das
spätere
Lepontische
und
(über
die
westliche
früheisenzeitliche
Hallstattkultur) das spätere transalpinische Gallische an (bis hierhin vgl. de Marinis 1988, 174f.). Nach diesem Beginn im 13. Jahrhundert entwickelte sich die neueingeführte Kultur sogar zunächst weitgehend
isoliert und öffnete sich erst im
10.
Jahrhundert nach außen. Die dann einsetzenden Kontakte durch Handel oder sogar allmähliche Infiltration lassen zwar eine gewisse sprachliche Beeinflussung durch Lehnwörter als möglich oder auch unumgänglich erscheinen, aber da die angenommenen Zuwanderer vor 400 in jedem Fall keinen kulturellen Umschwung innerhalb
32
S., auch zum folgenden, de Marinis 1988, 169-75 (173f. zu „la stretta continuitä tra il G. I [bis ca. 6 0 0 ] e il G. II [che] emerge fin nei piü piccoli particolari"); ferner Violante 1993, 23.
Zur sprachlichen Einordnung des Lepontischen
291
der Golasecca-Kultur bewirkten, sondern vielmehr sich ihrerseits in die einheimische Kultur eingefügt haben müssen, 33 ist eine auch grammatische Beeinflussung des (Vor-)Lepontischen ganz unwahrscheinlich. Mit dieser Vorgeschichte ist das Lepontische vor 400 nicht nur vom um 400 importierten Cisalpinisch-Gallischen gänzlich zu trennen, sondern über einen so langen Zeitraum der Eigenentwicklung sind auch sprachliche Unterschiede zum transalpinischen Gallischen allgemein geradezu zu erwarten. 34 Das Lepontische derjenigen Inschriften, die sich auf die Zeit vor 400 datieren lassen, ist also klar als „vorgallisch" und damit als von grammatischen Merkmalen des Gallischen unbeeinflußt einzustufen, und der sprachliche Status dieser ersten Überlieferungsperiode kann auf dieser Grundlage untersucht und mit dem des transalpinischen Gallischen konfrontiert werden. Und was die in die Zeit nach 400 datierten lepontischen Denkmäler betrifft, so sind diese zunächst aus grundsätzlichen Erwägungen, nämlich solange das Verhältnis zwischen spätem Lepontisch und Cisalpinisch-Gallisch nicht geklärt ist, von einer Untersuchung über die sprachliche Stellung des Lepontischen noch auszuschließen; es scheint jedoch auch auf dem jetzigen Erkennmisstand bereits möglich, zumindest die kleine Gruppe der Inschriften aus dem 4. und 3. Jahrhundert mitzuberücksichtigen: Diese sind sämtlich in der Schweiz, also im nördlichen Randbereich des Golasecca-Gebiets, gefunden worden (s.o. Anm. 19), welches nach der obigen Darstellung auch ein Teil der Rückzugszone der Golasecca-Kultur nach der gallischen Invasion war (Phase G III A 3). Hierzu paßt auch die Rekonstruktion der Einwanderungsrouten der Gallier um 400, nämlich „a western route funnelling from the Seine, Marne, and Rhine, through the Great St Bernard Pass, to the upper reaches of the valley [z.B. die Cenomani und Senones] and an eastern route from the Upper Danube, and Bohemia beyond, via the river Inn and eastern Alpine passes, to the lower reaches of the plain [z.B. die Boii]".35 Demnach haben die einfallenden Gallier
33
34
35
Sogar nach 400 ist in Norditalien allgemein keine reine oder vorwiegende (keltische) LaTene-Kultur anzutreffen, sondern die archäologischen Anzeichen deuten auf eine Bevölkerungsmischung aus einheimischen und eingewanderten Elementen hin (Frey 1995, 524-8; 1996, 60-6). Vgl. nach de Marinis (1988, 174f.) auch die Tatsache, daß von den in den antiken historischen Quellen überlieferten Namen keltischer Völker Norditaliens diejenigen der um 400 eingewanderten Stämme Entsprechungen im Gallien des ersten Jh. (z.B. laut der Darstellung bei Caesar) finden, nicht hingegen die der vorher dort bezeugten Stämme (zu den verschiedenen Namen vgl. de Marinis 1988, 169, 191f. [vor 400]; Wernicke 1991, 73f., 78f., 84f„ 111 [hauptsächlich nach 400]). Cunliffe 1987, 73, vgl. 71, 72; etwas anders Wernicke 1991, 123f. (vgl. auch 124f. Anm. 138). Einer der einwandernden Stämme waren zwar laut Polybios auch die Insubres ("I νσομβρες, 2, 17,4), diese wurden jedoch nach der Darstellung bei Livius von den um 600 zuerst einwandernden Bituriges im ager Insubrium als bereits ansässig vorgefunden, und die Bituriges gründeten dann aufgrund der Namensgleichheit mit einem Unterstamm Insubres der transalpinen Haeduerdort Mediolan(i)um ( > Milano) (vgl. Wernicke 1991, 73f. Anm. 3 mit weiteren Verweisen). Da die archäologische Beleglage in diesem Gebiet (westliche
292
Jürgen Uhlich
dieses Gebiet nicht durchquert, und die einheimische Kultur hat hier noch lange Zeit und mit nur allmählicher Veränderung durch nachbarschaftliche Anpassung weiterbestanden (s.o.), und vor diesem Hintergrund kann auch die Sprache der hier aus dem 4. und 3. Jahrhundert erhaltenen Inschriften noch als dem Status nach „vorgallisch", also rein-lepontisch, behandelt werden. Ausgehend von der schon oben nach archäologischen Kriterien ermittelten Dreiteilung des Zeitraums, innerhalb dessen lepontische Sprachreste bezeugt sind, kann also auch eine entsprechende historische Unterteilung vorgenommen werden (zusammengefaßt in der unten gegebenen Tabelle), und auf dieser Grundlage ergibt sich eine sprachliche Klassifikation des erhaltenen lepontischen Materials nach drei Überlieferungsperioden,36 die sich als Friihlepontisch, Mittellepontisch und Spätlepontisch bezeichnen lassen und von denen die ersten beiden nun zur sprachlichen Einstufung des Lepontischen herangezogen werden können.
Archäologisch-historischer Rahmen
36
Golasecca Π A
Anfang VI - 525
Golasecca-Kultur seit IX, ohne
Golasecca Π Β
525 - 480/75
archäologischen Bruch seit ΧΠΙ
Golasecca ΠΙ A 1
480/75 - 450/40
Golasecca ΙΠ A 2
450/40 - 400
Golasecca ΙΠ A 3
400 - 375
La Tene A = G III A 2-3
450 - 375
Gallische Invasion
La Tene Β 1
375 - Ende IV
in die Poebene,
[Continuum - G I A-C, XI-VII
Protogolasecca, XII - X «- Canegrate, XIII - XII]
Lombardei) für das 4. und 3. Jahrhundert überaus spärlich ist, läßt sich vorerst nicht entscheiden, ob die historische Bevölkerung der Insubres späterer Jahrhunderte mehrheitlich auf eine ursprüngliche Besiedlung schon vor 400 oder erst auf einen späteren Zuzug (evtl. über ein älteres insubrisches Substrat) zurückgeht (s. de Marinis 1988, 243; Wernicke 1991, 123 [unschön mehrmals agrum Ins(b)ubrium]\ Frey 1995, 521, vgl. 523; 1996, 65, 75). In jedem Fall ergibt sich so die Möglichkeit, daß sowohl die Invasoren um 400 als auch die mehr vereinzelten Zuwanderer vorher über die westliche Zugangsroute auf eine lepontischsprechende Vorbevölkerung trafen, welche (oder ein Teil deren) den Namen Insubres trug (vgl. Baldacci 1983, 153; Frey 1996, 75 Anm. 44). Vgl. eine allgemeine Anregung schon bei de Marinis 1981, 268f. Anm. 149. Nicht Sprachperioden, da es angesichts der nur sehr fragmentarischen Überlieferung des Lepontischen zumindest noch zu früh ist, um eine Unterteilung nur nach linguistischen Kriterien vorzunehmen.
293
Zur sprachlichen Einordnung des Lepontischen
La Tene Β 2
1. Hälfte ΙΠ
um 400
La Tene C 1
2. Hälfte III
La Tene C 2
II
Römische Unterwerfung
La Tene D 1
Ende Π - Anf. I
der gallischen Stämme
La Tene D 2
Rest I
ab 225/191
Von den am Anfang dieser Untersuchung angeführten sprachlichen Eigenheiten des Lepontischen gegenüber dem Gallischen sind nach dem Zeugnis der datierbaren Inschriften die folgenden schon in der frühlepontischen oder der mittellepontischen Periode belegt: 37 *nd > nn: *and(e)- in anareKarTos [? 23]; vgl. alKouinos [33] *nT > πΤ: TaKos [5]? PiuoT [6]; PiuoTialui [18]; vs. anTesüu [20], trans.-gall. Antessius: < *an(de)-tets-l *an-/-tets-l vs. PiuonTa [36]; gall. arKaTo- : arganto(E-2) Beinamen/Patronymica uerKalai, PiuoTialui
auf -alo/a-: Tej/rialui [4], meTalui [11], Kualui [13]; [18]
Prät. (Ipf.) *-t + *-e: KariTe, KaliTe [3] ferner die für die Stellung des Lepontischen gegenüber dem Transalpinisch-Gallischen nicht aussagekräftigen (s.o.) früh erhaltenen Archaismen: *-m#: Pruiam, Palam [3]; vgl. auch uinom : nasom [31] Gen. Sg. *-osio: xosioiso [1], Plioiso [8, 9], vgl. [16, 17] Eine weiterer wichtiger frühlepontischer Beleg ist schließlich die Form siTes in der auf ca. 500 datierten Inschrift von Prestino [2] (vgl. oben Anm. 16), die als ein erstes Anwendungsbeispiel jetzt auf ihre Aussagekraft untersucht werden soll. Innerhalb des durch die Flexionsendungen sowie auch die Wortstellung bestimmten syntaktischen Kontextes läßt sich diese Form plausibel nur als Akkusativobjekt zu einem den Satz abschließenden Verbum erklären, also uvamoKozis PlialeOu (Nom. Sg. 38 ) uv}/jTiauioPos ariuonePos (Dat. PI.) siTes (Akk.) TeTu (3. Sg.). Weiterer Erläuterungen bedürfen allerdings Numerus und Stammbildung: Prosdocimi deutete siTes ursprünglich als s-stämmigen neutralen Akk. Sg. *sedes (1967, 214f.),
37
38
Frühlepontisch in der nachfolgenden Auflistung = einfach fett, mittellepontisch = kursiv, spätlepontisch = fett klein. Zu de Hoz' Deutung von PlialeOu als Gen. Sg. vgl. hier Anm. 6.
fett
294
Jürgen Uhlich
akzeptierte jedoch später (1986, 245, vgl. 231) Lejeunes ersten Einwand, daß für eine solche Form nur *-os angesetzt werden kann, 39 sowie Lejeunes Erklärung als Akk. PI. eines Wurzelnomens *sed-ns (Lep. 460f.). Dem zweiten Einwand Lejeunes, *-es hätte nicht -es, sondern -es ergeben müssen (vs. -es < *-ens), sucht Prosdocimi zwar dadurch zu begegnen, daß er eine Dissimilation „s-s > s~s, come in venetico" postuliert, 40 jedoch ist der entsprechende Vorgang im Venetischen nur für *s-s im Anlaut und Auslaut der letzten Silbe belegt (Lejeune 1974 §§171a, 172c), und insbesondere erscheint dieselbe Endung ohne dissimilationsverdächtigen Kontext in a r T u a s (E-5, als cisalp.-gall. eingestuft), Akk. PI. < *-ä-ns (syntaktisch gleichwertig neben Akk. Sg. loKan < *-äm) und vielleicht aTos (E-2; vgl. Anm. 13), während andererseits uarsiieos (S 23, spätlep.) und KasiKos (S 113, undatiert) keine solche Dissimilation zeigen. Ein anderes denkbares Argument gegen die etymologische Aussagekraft der Opposition s : s wäre der Ansatz einer freien graphischen Variation ohne sprachlichen Hintergrund zwischen den beiden aus der etruskischen Schrift übernommenen Zeichen. Diese Möglichkeit läßt sich jedoch auf der Grundlage statistischer Beobachtungen ausschließen: In den von Solinas (1995, einschließlich Anhang) edierten 150 Inschriften im Alphabet von Lugano findet sich s- im Anlaut in 14 Fällen, 41 sdagegen kein einziges Mal; 42 daß dies nicht etwa auf einer mechanisch aus dem etruskischen System übernommenen Verteilung beruht, zeigen Belege von anlautendem s- (ebenso wie s-) im Etruskischen. 43 Des weiteren erscheint die am häufigsten belegte Flexionsendung Nom. Sg. mask. *-os 32mal in der Schreibung -os, 44 jedoch keinmal
39
40
41
42 43
44
Vgl. aus dem Keltischen die air. s-Stämme mit neutralem Auslautskonsonanten im Nom./Akk. Sg., so auch sid ( > nir. slodh) ,Elfenhügel; Friede' < *sed-os·, ferner evtl. gall. arcos, falls für *argos, Nom., .Klarheit' (Meid 1996, 44f.), ganz unsicher lep.(/gall.) TaKos ([5]; E-l; vgl. RIG II 1, 24; Motta 1992, 314f.). Eine außerkeltische Parallele für eine (sekundär verallgemeinerte, Schindler 1975, 259) Ablautform Nom./Akk. Sg. *-es findet sich allerdings generell im Germanischen, z.B. got. Nom./Akk. riqis, Gen. riqizis, .Finsternis' < *reg"es, *reg"es-es (Krahe/Meid II 43f.). Problematisch ist heth. nepis(-), n., .Himmel', vgl. zwar die sehr seltene Variante Nom. ne-pe-eS, andererseits jedoch den nach der i-Flexion entgleisten Gen. Sg. ne-pi-as, der für eine Ausgangslautung /nebis/ spricht (dieses dann < *neb"es, mit *e > i in unbetonter Silbe?); s. Tischler 1977ff., II 310-5 (mit Literatur). 1986, 245; vgl. schon 1967, 215 mit Anm. 55, wo jedoch das Beispiel venet. vesk.es zu streichen ist, vgl. Lejeune 1974 §77, 15 und §172 a, wonach ve.s.ke.i. = Nom. zu Dat. ve.s.kete.i., d.h. -i < *-t-s. Z.B. setuPoKios, 24, slaniai, 3Aa, suloiKei[?, 75; vgl. 28, 62c, 81, 94h, 941, 94u, 100, 111, 128.1, 129, 138; ferner noch die Münzlegende A6 sexeGu [hier 24], 94i läßt sich als s[ oder als ]s lesen; 113.1 zeigt lediglich unsicher su oder tu. Vgl. Bonfante/Bonfante 1985, Glossar 191f.; vgl. entsprechend zum Venetischen Lejeune 1974, 324. Z.B. isos, 119, alios, 7, seTuPoKios, 24; vgl. 5, 21, 22, 23 (2x), 26, 36, 52, 72, 97, 98, 104b (?), 110, 112, 113.2, 121, 123 (2x), 129, 132, 140 (6x), 141 (2x), 142; ferner die Münzlegenden A2, 4, 7, B6, C3 (Lep. 482-4, 486f.); evtl. 2x TaKos, s. Anm. 39. Hinzu
295
Zur sprachlichen Einordnung des Lepontischen
als *-os. Schon diese grundsätzlichen Erkenntnisse zur Verteilung belegen, daß die verschiedenen Grapheme s und s auch verschiedene sprachliche Realitäten bezeichnen, und „on n'a jusqu'ici aucune preuve de confusion entre les deux sifflantes" (Lep. 374f.). Darüber hinaus steht diese Differenzierung im Einklang mit einer Reihe von plausiblen etymologischen Herleitungen, wonach s < *s oder *ks, dagegen s < verschiedenen anderen s-haltigen Gruppen, also einerseits z.B. Gen. Sg. -oiso < *-oiso
< *-osio (Eska 1995, 42 45 ), es- < *eks- ,aus', sasamos = gall.
(s.o.), andererseits asouni (S 126), Gen. zu gall. Axiounus isos [3] < *istos, „gall." anareuiseos (E-l) < *-uistiios
Sax(s)amus
(d.h. s < *ssi < < *-uift-
< *-uid-t-,
*ksi), as-
< *ad-s-. An dieses letzte Beispiel mit dem (zumindest etymologischen) Lautwert [ts] läßt sich auch die Endung des Akk. PI. anschließen, belegt in „gall." a r T u a s (E-5), laut Lejeune (Lep. 375) mit „-ans > *-ä(n)'s",
und dementsprechend ist auch siTes
als Akk. PI. zu analysieren. Bleibt die Frage der Stammbildung: Gegen Lejeunes Deutung als Wurzelnomen, also < *sed-ns (s.o.), wendet Tibiletti Bruno (1981, 180) ein, daß *-ns zu *-ans hätte werden müssen, und setzt statt dessen einen /-Stamm an „con Γ passato a e come in ariuonepos,
da *-i-bhos" (letzteres ebf. belegt in [2]), hierin gefolgt von de Bernardo
Stempel (1987, 166), die auf den Mangel an Parallelen für ein Wurzelnomen zu *sed,sitzen' verweist. Ein solches Wurzelnomen *sed- wird jedoch unabhängig auch als Grundlage von lat. sed-es ,Sitz' rekonstruiert (s. die Hinweise bei Prosdocimi 1986, 245; WH II 508), und der Übergang ϊ > e findet sich zwar (insbesondere im Gallischen) z.B. unbetont nach r (mit vereinzelter analogischer Ausbreitung), im (posttonischen) Wortauslaut und im Auslaut von Präverbien, 46 nicht hingegen im (sonstigen) Stammausgang von /-Stämmen. 47 Somit bleibt nur der Ansatz eines Wurzelnomens *sed- mit konsonantstämmiger Endung Akk. PI. *-ns. Die so ermittelte Flexionsendung -es für idg. *-ns ist zunächst hinsichtlich ihres Vokals -e- zu besprechen: Lejeune (Lep. 462-6; spätere Verweise bei de Bernardo Stempel 1987, 165) sah hierin den einzigen Beleg für die lepontische Behandlung der idg. sonantischen Nasale, also mit spezifisch lep. *n > *en = abweichend von allen
45
46
47
kommen etymologisch klare Endungen mit auslautendem *-s wie Dat. PI. -Pos (65 = [2], 2x, neben siTes) oder Nom. Sg. -is (ebd.). Die folgenden Herleitungsregeln nach Lep. 375, vgl. Motta 1983, 67f.; Lejeune 1987, 494f., 501. 1) nach r: -maTereKos : -materecus (E-2) < *mhrtr-ikos .Zumesser'? (Meid 1989, 12), ματρεβο, atrebo < *-ri- < *-r-b''o(s), analogisch übertragen im r-Stamm suiorebe (d.h. -r+ analogisches -e- oder < analogischem *-r-i-), η-Stamm lep. ariuonePos, 2) im Auslaut (nach dem Akzent auf der Pänultima): suiorebe, gandobe(LG 146, neben -bi), more (LG 203; lat. Einfluß?), gallolat. brace, brogae (LG 59), Argentorate, Arelate (Lep. 447f. Anm. 327); ebenso im Auslaut zweisilbiger Präverbien: ande-, are-, ate- (vs. ambi-, eri-)\ s. Lep. 459f., 475 Anm. 411; de Bernardo Stempel 1987, 71; 1995, 21f.; McCone 1996a, 112f. Vgl, in derselben Inschrift wie ariuonePos, Nom. Sg. uvamoKozis; ferner „gall." Koisis (E-5); gall. ναμαυσατις (G-153); Boudilatis (L-2); Akk. Sg. Vcuetin (L-13), aruerilatin (Chamalieres 2, LG 151); u.a. Gegenbeispiele mit -e- sind mir nicht bekannt.
296
Jürgen
Uhlich
übrigen keltischen Sprachen, die, sofern überhaupt aufschlußreich, in dieser Position *n > *an zeigen oder voraussetzen (s.u.)· Bedenken dagegen, auf eine derartige auffällige Sonderentwicklung nur aus einem einzigen Beleg zu schließen, erhob Schmidt (1980, 184; 1983, 75f.) und schlug statt dessen eine Herleitung siTes < *sedens < *sedans [die letzten beiden allerdings genauer *sld-] < *sedns vor, wozu zustimmend de Bernardo Stempel (1987, 165). Der hierfür von beiden als Parallele angeführte Übergang *-ans- > air. -is- ist jedoch kaum vergleichbar: Zum einen betrifft dieser Wandel gerade nicht den Auslaut, vgl. vielmehr air. Akk. PI. z.B. riga < *rlgäs ( = gall, -as) < *rlgans < idg. *regns, und zum anderen setzt diese ir. Entwicklung die innerkeltische Hebung von /a/ und /e/ > [ae] bzw. [i/e] vor Obstruent bzw. Verschlußlaut voraus, die jedoch erst nach der im Ir. und Gall, reflektierten kelt. Auslautentwicklung *-ans > *-äs stattgefunden haben kann (s. zuletzt McCone 1996, 49, 50, 55-7, 61-3, 79), also relativchronologisch 1) *-ns > kelt. *-ans, 2) *-ans > *-äs, 3) *anC > *cenC (reflektiert in air. je nach Kontext z.B. e und in gall. Schreibvarianten enC/inC neben normalem anC). Dies bedeutet, daß ein für das Lep. postulierter Wandel *-ans > *-ens (bzw. *-ans) relativchronologisch nicht mit dem ähnlich aussehenden Übergang im Ir. und Gall, in Verbindung gebracht werden kann und deshalb dadurch bestenfalls typologisch zu stützen wäre, jedoch im direkten Widerspruch zur Vorgeschichte des ebendort bezeugten Akk. PI. *-äs steht. Da somit sowohl gegen den Ansatz *-ns > *-ens als auch gegen *-ns > *-ans > *-ens Bedenken bestehen, wäre eine simplere, analogische Erklärung des Vokals -e(für zu erwartendes *-as < *-ans) grundsätzlich vorzuziehen, und eine solche scheint in der Tat möglich: 1) Eine naheliegende Quelle analogischer Beeinflussung wäre der im Lep. nicht belegte konsonantische Akk. Sg., sofern als *-em ansetzbar, vgl. die (einzige) gall. Parallele mjaterem (Larzac lb5) mit Sonderentwicklung < *-cem, welches regelrecht < *-am < *-m, 48 also eine ursprüngliche Opposition Akk. Sg. *-em : PI. *-as *-em : -es. Jedoch macht mich Joe Eska (brieflich) darauf aufmerksam, daß hiergegen die belegten Akk. Sg. der d-Flexion Pruiam, Palam [3] angeführt werden können, da für diese dann angesichts des morphologisch am ehesten ά-stämmigen gall. Akk. δεκοίντεμ/-ν - mit Parallelentwicklung *-em < *-eem < *-am, jedoch in diesem Falle < *-äm*9 - ebenfalls *-em zu erwarten wäre. Zwar könnte man daraufhin noch auf eine Wiederherstellung des -ä- in Analogie nach den anderen Kasus des Paradigmas (Gen. Sg. -äs usw.) zurückgreifen, die möglicherweise auch für gall. ]ουειματικοιν[ (G-151) und vielleicht toncnaman (Chamalieres 7, LG 151) angesetzt werden muß, jedoch kann 2) der analogische Einfluß mit Eska auch vom weniger kontroversen Nom. PI. *-ei 50 ausgegangen sein, d.h. -es : *-as • -es : -es.
48 49 50
McCone 1996, 57; vgl. Eska 1996a, 73 Cowgill 1975, 49; Lejeune 1994, 178; McCone 1996, 57, 78f. Dieser ist möglicherweise sogar belegt in Jones [38],
Zur sprachlichen Einordnung des Lepontischen
297
Was schließlich den auslautenden Konsonanten der Endung angeht, so wurde bereits oben dargelegt, daß -s nicht für einfaches /s/ stehen kann. Laut Lejeune (1987, 495) wird der ursprüngliche Wert (oder einer der ursprünglichen Werte; s.o.) /ts/ erwiesen durch den Gebrauch dieses Zeichens auch in lateinisch geschriebenen Inschriften Norditaliens: Tetumus Sexti Dugiava
Sasadis (Voltino 51 ), Surica Ciposis f
(s. Tibiletti Bruno 1981, 173), wo für einen Wert /ss/ die Mittel der lat. Schrift selbst ausgereicht hätten. Z w a r folgt hieraus nicht mehr, als daß das Zeichen nicht den Wert /ss/ hatte, aber als Ursprungswert ist /ts/ nach den oben referierten Beispielen tatsächlich der wahrscheinlichste und wird von Lejeune (Lep. 375) auch für den Akk. PI. arTuas mit „-ans
>
*-ä(n)'s"
angesetzt. 5 2 Dieselbe Analyse bietet Eska (im
Druck, A n m . 35) für siTes: „I propose that < s >
in this inscription represents acc.
pi. -[ts] or -[t s ] with epenthetic III inserted into the inherited acc. pi. morpheme *-ns (as also occurred phonology, > -ts or
in Luwian;
see H.
CRAIG MELCHERT, Anatolian
historical
Amsterdam, 1994, p. 233 53 ); thus perhaps *-ns > *-nts > *-dds >
*-ds
Die dem Zwischenschritt „*-nts > *-dds" zugrundeliegende Annahme
einer vollständigen Assimilation von *nt > dd, geschrieben < Τ > , steht allerdings im Widerspruch zu Belegen wie PiuonTa [36], welche zeigen, daß ein Nasal vor Verschlußlaut nicht vollständig geschwunden ist, sondern eher zu einer Nasalierung des vorangehenden Vokals geführt hat (s.o. Anm. 8); die von Eska angesetzte Entwicklung ist also dementsprechend leicht zu emendieren zu *-ns > *-nts >
*-"ts,
mit wie auch sonst regelrecht fehlender Schreibung der Nasalität in siTes = /si:de"ts/. Diese lep. Form der Endung des Akk. PI. ist nun zu konfrontieren mit dem Zeugnis der anderen keltischen Sprachen, und hier kommen aufgrund von Beleglage oder Auslautgesetzen nur das Gallische und das Irische in Frage. Der Akk. PI. der nichtneutralen air. Konsonantenstämme geht auf nichtmutierendes -a aus, das sich lautgesetzlich aus *-äs erklärt, z.B. riga .Könige'
restgemeinkelt. *-äs,
>) *-e"ts = -es
> gall, -as bzw. air. -α; vgl. σ-stämmig
tuddus[ (Grauf. 46b, 25) < / = *tutsüs < *tustös < *tustons,
d . h . mit erhaltenem
„tau Gallicum" < d d > gegenüber mit Ersatzdehnung vereinfachtem -s
Zusammenfassung und Ergebnis: Die
Bestimmung
der
sprachlichen
Stellung
des
Lepontischen
gegenüber
dem
Gallischen muß in zwei Schritten erfolgen: Hier wurde zunächst das Verhältnis zum Gallischen allgemein, d.h. zu seinen transalpinisch überlieferten Dialekten untersucht, und die speziellere Frage nach einer Unterscheidung zwischen Lepontisch und einer in ihren Belegen zeitlich, räumlich und quantitativ eng eingegrenzten möglichen Einheit Cisalpinisch-Gallisch
in unmittelbarer Nachbarschaft dazu kann erst auf dieser
Grundlage behandelt werden. Das Lepontische kann schon wegen seiner trümmerhaften Überlieferung nicht nur auf der Basis rein sprachlicher Kriterien mit dem Transalpinisch-Gallischen konfrontiert werden, sondern zunächst ist sein historischer und archäologischer Hintergrund zu prüfen, um Aufschluß 1) über die Ansiedelung der Träger des Lepontischen oder ihrer Vorfahren in Norditalien, 2) über entsprechende
55
ä-stämmig Abi. PI. Atrebatis (Caes., BG 2, 16; sonst -ibus), Nom. PI. Pictonae (: -es), Biturigae, Atrebatae, Allobrogae, ferner appellativisch druidae/Spovibm (: -es) (Belege in Thes.)· vgl. LG 61 und Lambert 1996, 90. Für einen Akk. PI. (Bitu)-rigas (McCone 1996, 50, 73) kenne ich keinen Beleg. So zum Lautlichen Eska, briefl., der die normale Entwicklung des Nom. Sg. mask, von ntStämmen vergleicht.
299
Zur sprachlichen Einordnung des Lepontischen (sonstige) gallische E i n w a n d e r u n g e n und 3) ü b e r K o n t a k t e z w i s c h e n
beiden
Bevölkerungen über die Alpen hinweg zu erlangen und auf dieser Grundlage dann bei erkennbaren sprachlichen Neuerungen des Lepontischen plausibel zwischen lokalen Eigenentwicklungen (vertikal) und arealen Beeinflussungen und Übertragungen vom Gallischen (horizontal) unterscheiden zu können. Historische und archäologische Kriterien erlauben eine Dreiteilung der lepontischen Überlieferung in die Perioden Friihlepontisch
(ca. 600-400), Mittellepontisch
(ca. 400-200) und Spätlepontisch
(ca.
200-1), von denen die erste aus historisch-archäologischen Gründen und die zweite zusätzlich wegen ihrer besonderen Lokalisierung höchstens Lehnwörter aus der Sprache der schon vor 400 infiltrierten bzw. um 400 massiv eingewanderten Gallier erwarten lassen, jedoch keine tiefergreifenden Einflüsse etwa in der Grammatik. Eine
mögliche
eigenständige
Entwicklung
des
Lepontischen
innerhalb
der
keltischen Sprachen wäre also nachweisbar durch exklusive sprachliche Neuerungen, die bereits innerhalb der Perioden Früh- und Mittellepontisch belegt sind. Von den sich so ergebenden Kriterien wurde hier als erster Anwendungsfall der frühlep. konsonantische Akk. PI. siTes untersucht, und es wurde festgestellt, daß diese Endung lautlich nicht unmittelbar mit ihren air. und gall. Entsprechungen vereinbar ist. Als vorläufig (vorläufig deshalb, weil sie bislang nur auf einem einzigen sprachlichen Kriterium beruht und in Zukunft der zusätzlichen Abstützung durch weitere solche Kriterien bedürfen wird) neue Rekonstruktion der Entwicklung vom Keltischen zu den Einzelsprachen, jedenfalls was das Lepontische angeht, ergibt sich daraus das folgende „kelto-lepontische" (im gleichen Sinne wie „Indo-Hittite") Modell: A B1
Idg. Akk. PI. kons. *-ns > kelt. *-ans Kelt. *-ans
> (ur)lep. *-ants oder analogisch beeinflußt *-ents,
> lep. *-a"ts
bzw. letztendlich *-ents, geschrieben -es. Derselbe Ausgang findet sich auch im späteren, „cisalpinisch-gall." a r T u a s , < ä-stämmigem *-äns, und gehört damit zu den lep. und „cisalp.-gall." Gemeinsamkeiten, welche, sofern tatsächlich zwei verschiedene sprachliche Einheiten vorliegen, durch sekundären Austausch in unmittelbarer Nachbarschaft zustandegekommen sein müssen; da diese Endung bereits im grammatisch unbeeinflußten Frühlep. zu finden ist, wäre in diesem Fall die Entlehnung vom Spätlep. in das Gall, erfolgt. Schließlich läßt sich auf diese Weise auch der mögliche „gall." Beleg Akk. PI. a T o s (E-2, falls nicht Akk. Sg. a T o m zu lesen) erklären, nämlich als o-stämmiges /a"to"ts/ wiederum mit (ggf. übertragener) spätlep. Endung und damit auch unproblematischem -o(im Gegensatz zu gall. Akk. PI. tuddus
< *-ös < kelt. *-ons), da vor *-nts bzw.
*-nts keine Ersatzdehnung mehr erfolgte. 5 6 B2
56
Kelt. *-ans > restkelt. *-äs, > gall, -as und air. -a
Die Lesung uinos naTos in [31] = Akk. PI. „bei figlioli" (oder „blanche bende"; Tibiletti Bruno 1981, 163f.) liefert dieselbe Endung -os < *-ons, sie wird jedoch von Lejeune (1987, 502-9) mit lautlichen, syntaktischen und epigraphischen Argumenten widerlegt, so daß die traditionelle Lesung uinom nasom beizubehalten ist.
300
Jürgen Uhlich
Anhang: Datierte lepontische Sprachdenkmäler57 Frühlepontisch (6. - Anfang 4. Jh., Golasecca II - III A, „vorgallische Periode") 1 xosioi^o, Castelletto Ticino (Varese), G II A, 2. Viertel 6. Jh., S 113bis 2 uvamoKozis : Pliale9u : uvl/iTiauioPos : ariuonePos : siTes : TeTu, Prestino (Como), 6. oder Anfang 5. Jh., S 65 3 PelKui: Pruiam : Teu : KariTe : isos : KaliTe : Palam, Vergiate (Varese), Lep. 444, G II, Anfang 5. Jh., S 119 4 Kuasoni : Pala : Tel/rialui, Mezzovico (Ticino), G ΠΙ A, S 20 5 TaKos, Brescia, 5. Jh. (?), de Marinis 1991, 99; Motta 1992, 314f. 6 PiuoT, Parre (Bergamo), 5. Jh., S S. 384 7 alios, Civiglio (Como), G III A 1, S 60 8 Plioiso, Rondineto (Como), G III A 1-2, S 80 9 Plioiso, S. Fermo della Battaglia (Como), G ΙΠ A 1-2, S 96 10 ]nialui : Pala, Banco (Ticino), G ΠΙ A, S 2 11 [ ]ni One? ]nei?) : meTalui Pal[a], Davesco Β (Ticino), G ΠΙ A, S 3 12 aa/ui : Pala, Tesserete Aa (Ticino), G III A, S 27 13 Teromui : Kualui, Vira Gambarogna (Ticino), G III A, S 29 14 KiraKi / ?Kar? [ •], Casate (Como), G III A?, S 56 Ferner (nur summarisch wiedergegeben nach Solinas 1995): 15 (G Π, 6. Jh.) xa; Tex; Pa? Ua? [-•?]; xu0/T; ihex? [ >]; px 16 (G III A, ~ 5. Jh.) ]Tume[?; [—]ois[o]; -]iso; aev; [—?]nerios; Pe; sapsT[? [ •]; Po Κ ru; Prn 17 (5 Jh.? 4. Jh?) ]Tioiso-[; ] - eK [·-•]; ]ias[; ev-[; as[?; Pei[; vev oder aea [--•]; ]- : suloiKei[?; ] a K u r [ ; ]ouKi[; ?]aKle[; sla[; ]nar[; a-[ [ •]; nap[ / ot-[; ]rKimu[; mei/aa; ]ais[; ]rPia[?]; ?]lu[?; Pesa oder vesa; sTu[; ?]--Paiei- / sa[; ?]ou oder ?]ru; al
Tr-[;
Mittellepontisch (Anfang 4.-3. Jh., La Tene Β 1/2 - C 1, „gallische Periode") 18 slaniai : uerKalai : Pala / Tisiui : PiuoTialui : Pala, Davesco Α (Ticino), LT B/C, S 3 19 seTuPoKios, Solduno (Ticino), 3. Jh., S 24 20 anTesilu, Solduno (Ticino), 3. Jh., S 25 21 A: iaKir; B: Koi, Giubiasco (Ticino), LT Β 1, de Marinis in de Marinis/Motta 1990-1, 216f.
57
Hier wiedergegeben nach den bei Solinas 1995 verzeichneten (allerdings dort nur größtenteils durch Kriterien oder über Literaturverweise begründeten) Datierungen. Die Inschriften sind grundsätzlich linksläufig geschrieben; rechtsläufige sind mit [->] bezeichnet. Die Angaben mit „S" beziehen sich auf die Numerierung in der Ausgabe Solinas 1995.
Zur sprachlichen Einordnung des Lepontischen
301
22 Plai[-]P, Giubiasco (Ticino), LT C 1, de Marinis in de Marinis/Motta 1990-1, 216.
? 23 anareKarTos, Münze A 2, spätestens 3. Jh., Lep. 480, 482 ? 24 sexeOu, Münze A 6, spätestens 3. Jh., Lep. 480, 482 Mittel- bis/oder Spätlepontisch (La Tene B/C) 25 A: ]aniui : P[ / JKionei : P[ / e.ionu-[; B: ]maTiona[?; C: ]-soni : ila[; D: ]ala[, Aranno (Ticino), S 1 26 minuKu : Komoneos, San Pietro di Stabio (Ticino), S 22 27 ]rKomui : Pala, Tesserete Β (Ticino), S 27 28 sunalei : maKo[, Viganello (Ticino), S 28
Auswahl Spätlepontisch (2.-1. Jh., La Tene C 2 - D 1/2, „römische Periode") 29 sasamos, Ornavasso (Novara), Anfang 2. Jh. - 1. Viertel 1. Jh., S 129 30 oleTu amasilu, Ornavasso (Novara), S 131 (wie Nr. 29) 31 laTumarui :[3 Punkte] saPsuTai :[2] Pe :[4] uinom :[3] nasom, Ornavasso, LT D, S 128 32 ualaunal / raneni [ •], Mesocco (Ticino), LT D 1, S 19 33 alKouinos / asKoneTi [-•+], San Pietro di Stabio (Ticino), LT D 1, S 21 34 Tunal / Koimila, Levo (Novara), 1. Jh., S 125 35 namu / esoPnio [ •], Levo (Novara), 1. Jh., S 127 36 PiuonTa, Coccaglio (Brescia), LT D 2 (?), S 39 Undatiert z.B.: 37 meTelui: maesilalui: uenia : meTeliKna : asmina : KrasaniKna [-»], Carcegna (Novara), S 122 38 Jones : m[ / ]ena / [ ], San Fermo della Battaglia (Como), S 95
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Veselinovic
Zu den formalen und funktionalen Gemeinsamkeiten von ad-ci und ro-cluinethar innerhalb der irischen Sprachentwicklung1
§1 Im Altirischen bzw. Mittelirischen läßt sich eine Reihe von Gemeinsamkeiten bei den Verben für .hören' und .sehen' feststellen. Diese sind kaum dem Zufall zuzuschreiben. Ihr Zustandekommen hat graduell stattgefunden und ist teils nicht allzu lang vor der altirischen Periode, teils noch wesentlich später anzusiedeln. 2 Typologisch mustergültig kann hier die semantische Nähe dieser beiden prominenten Perzeptionsverben demonstriert werden. Es soll gezeigt werden, in welcher Weise sich die semantische Verwandtschaft und die daraus resultierende funktionale Annäherung zweier Verben gewissermaßen über die formalen, d.h. phonologischen und morphosyntaktischen, Gesichtspunkte der Sprachentwicklung hinwegsetzt. Zwei Verben mit historisch denkbar verschiedenem Hintergrund rücken einander im Laufe der innersprachlichen Entwicklung auf mehreren Ebenen immer näher. §2 Zunächst eine allgemein bekannte funktionale Gemeinsamkeit der beiden betreffenden Verben: die spezifische, nur bei diesen beiden Verben auftretende Präfigierung der sog. narrativen Präteritalformen co cüala und co n-accae im Altirischen. 3 Die Verben ad-ci und ro-cluinethar werden, wenn keine andere konjunkte Partikel vorangeht, im Präteritum durch die Konjunktion coN, deren wörtliche Übersetzung etwa ,so daß' lautet, präfigiert. Dieses hinsichtlich der Perfektivierungspartikel ro 4 formal merkmallose Präteritum wird in der Regel als narratives Präteritum bezeichnet. Thurneysen bezeichnet das Präfix co in diesem Kontext als „meaningless"; 5 vielleicht sollte man es treffender als „grammatikalisiert" bezeichnen, was besagen will: Das Wörtchen hat den Charakter einer subordinierenden Konjunktion vollständig verloren und tritt als Präverb in absoluter, satzinitialer Stellung auf.
Die Idee für diesen Vergleich entstand im Rahmen meiner 1996 in Köln angefertigten Magisterarbeit und wurde zusätzlich angeregt von Prof. Kim McCone (Maynooth). Für hilfreiche Kommentare 2 3 4
5
und
Korrekturen
danke
ich Dagmar Wodtko
(Köln),
Frank
Heidermanns (Köln) und Stefan Schumacher (Halle/S.). Vgl. E7V215. Vgl. GOI §536, ETV 156. Zur Problematik einer funktionsgerechten Benennung dieses anderorts auch als „Augment" bezeichneten Elements vgl. EIV Kap. IX-XI passim. GOI §761.
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Elvira
Veselinovii
Die Formen mit co- sind in den altirischen Glossen nicht belegt. Frühe Beispiele aus Erzähltexten sind:6 Amail immindräitset conacatar Fiacc Find cucu Thes Π 241.11 (Tirechan's notes in the Book of Armagh). Dieses ist wohl der älteste auffindbare Beleg. Beispiele für diese Formen am Satzanfang: Co n-accai-side üad in tenid Trip2404 Co n-accai dä ech carpuit Trip22849 co cualatär Mane mac Ailella LU 5477 co cualatar guth [m]bec ina hingini Bethu Brigte (ed. ό hAodha Z.16) Der Ursprung für den absoluten Gebrauch dieser Konstruktion ist in der besonderen Semantik des Hörens und Sehens zu suchen. Wesentlich ist dabei die Feststellung, daß diese beiden Verben einen besonderen Charakter haben, der dieses zuläßt. Die Semantik von .hören' und .sehen' impliziert eine vorangegangene Handlung des Eintretens der Wahrnehmung, sozusagen eine inhärente Perfektivität, die der komplexen Bedeutung dieser Klasse von Sachverhalten zuzuschreiben ist.7 Im größeren Zusammenhang der Interaktion von Syntax und lexikalischer Semantik ist den beiden Verben ad-ci und ro-cluinethar ein weiteres Phänomen exklusiv gemeinsam - die „surprisative"8 Verwendung des Indefinitpronomens ni in Konstruktionen wie z.B. cu cuala ni in boidb dinib collaib LU 4937 welche in den Editionen durch die Interpunktion hervorgehoben wird: co cuala ni, in [mjboidb dinib collaib TBC (ed. O'Rahilly 1976) 498f. co cüalae ni, in mboidb dinaib colnaib Stories from the Tain S.5
6
7
8
Für die philologisch-statistische Feinarbeit bezüglich der Syntax sei auf O'Rahilly 1968 verwiesen. Eine sprachphilosophische Untersuchung über den Verbalcharakter, so sehr sie sich auch aufdrängt, würde den Rahmen dieses Vergleichs sprengen. Jedoch sind sich Aspektologen jeder Couleur meistens darüber einig, daß den sog. verba percipiendi - auch außerhalb der indogermanischen Sprachfamilien - eine besondere Sachverhaltsklasse zusteht. Man kann diese Problematik schon mit Wagners Beobachtungen illustrieren (Verbum S.118ff) - er erkennt die Notwendigkeit einer Gliederung der mehrschichtigen Verbsemantik in eine nominale Komponente der Bedeutung und eine verbale Komponente der Handlung. Zum Aspektverhalten der Perzeptionsverben siehe auch unten §6. Der Terminus stammt von Wehr 1984 passim (zum air. Material 47 u. 122ff). Vgl. zur Diskursanalyse dieser Texte auch ausführlich Corthals 1993 passim.
ad-ci und ro-cluinethar
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Als nächstes stellt sich die Frage, zu welcher Zeit und in welcher Reihenfolge co in die Paradigmen von -cluinethar und -ci eingedrungen ist. Anders ausgedrückt fragt sich, ob der Vorgang zeitgleich stattgefunden hat oder ob co vom einen ins andere Paradigma übertragen wurde. Die Präfigierung mit co hat mit höherer Wahrscheinlichkeit von -cüalae auf -accae übergegriffen als umgekehrt. Hierfür spricht, daß -cüalae .hörte' in Opposition zum perfektiven ro-cüalae ,hat gehört' steht - eine Aspektunterscheidung nur durch Präfigierung, ähnlich wie im Slavischen. -accae hingegen hatte diesen Bedarf nach einer binären Aspektopposition im Präteritum durch Suppletion mit ad con-dairc zu lösen. Somit konnte die Form mit co im Paradigma von cüalae eine Leerstelle einnehmen, die sich ergab durch: a) Homonymie zwischen ro-Perfekt und Präteritum, da ro ja schon als lexikalisches Präverb zum Paradigma gehört, und b) den Bedarf danach, das Präteritum prototonisch zu halten, da deuterotonische Formen fehlen bzw. homonym sind. ro-cluinethar hat bereits im Präsens das perfektivierende ro, bringt die inhärente Perfektivität also im Präsens schon zum Ausdruck. Folglich verfugt das Verb über eine stabilere Konzeptualisierung der Kategorie Aspekt/Aktionsart (innerhalb einer Wurzel) als das Paradigma für .sehen', wenngleich es im Präsens ro-cluinethar aufgrund der spezifischen aspektuellen Verhältnisse keine Aspektopposition gibt. Ein perfektives Präsens ist auch ad-ro-darcar,can be seen' (3.Sg. Präs.Pass.; Sg 172 a 2; Hapa*); gut möglich wäre, daß auch diese - mit einiger Sicherheit junge - Bildung durch ro-cluinethar mitbeeinflußt wurde.'
Auch für die Bedeutung .Sehen' ergibt sich eine spezifische Aspektopposition in der Vergangenheit: co-n-accae ,sah' imperfektiv/narrativ vs. ad-con-dairc ,hat gesehen' perfektiv. In einem größeren Zusammenhang spielt hier noch eine weitere Opposition hinein, nämlich diejenige zwischen Perzeption und Intention, welche den Suppletivismus beim Verb für .sehen' in so mancher indogermanischen Sprache mit beeinflußt zu haben scheint. 10 Ein weiterer Gesichtspunkt der Annäherung könnte sich aus der lautlichen Gestalt der beiden Formen ergeben. Formal sind sowohl -cüalae als auch -accae reduplizierte suffixlose Präterita (idg. Perfekt) zu Stämmen, welche auf -u oder -s auslauten, beides
10
Pedersen VKG §582 bezeichnet die Form als „sonderbare MischbildungMcCone £7V 158 nimmt die Präfigierung mit produktivem ro als Indiz dafür, daß die Form jung bzw. sekundär sei. Gemeint ist der Bedarf nach verschiedenen Benennungen von sinnlicher Wahrnehmung als passivem Sinneseindruck einerseits und aktiver Willenshandlung andererseits. Diese Opposition ist aber keineswegs so exklusiv binär zu verstehen, wie sie beispielsweise Vend ryes 1932: 116ff. formuliert hat.
Elvira
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Veselinovic
Laute, die intervokalisch schwinden: *ad-kfek"ois-e" > accae\ *ku-klou-en > cüalae. Die hieraus folgende auffällige lautliche Ähnlichkeit macht sie vielleicht für wechselseitige Beeinflussungen empfänglicher als die Präteritalformen anderer Verben mit synchron vorhandenem auslautenden Konsonanten (wie z.B *ke-kan-e > cechain
zu canaid). Auch im Kymrischen finden sich Eigenschaften im Rahmen der Tempus/AspektKategorie, die für ,hören' und .sehen' spezifisch sind 13 : Nur bei gwelet und clybot wird als Narrativ stets das Imperfekt gwelei, perfektivischen Präteritum gwelas,
cigleu,
ctywei gebraucht - im Gegensatz zum welches überall sonst für das einfache,
konstatierende, erzählende Tempus steht. §3 Die zweite Interaktion der Paradigmen von ad-ci und ro-cluinethar phonologischer Annäherung: Das Präteritum Passiv von -cluinethar,
basiert auf
die Form -closs
(neben dem ererbten -cloth) ist in lautlicher Analogie zu -cess, dem Präteritum Passiv von ad-ci, gebildet. Das Verb ad-ci ist synchron betrachtet ein unregelmäßiges Hiatverb (ΑΙΠ), welches in der Bildung des Prät. Passiv erwartungsgemäß und lautgesetzlich mit den starken Verben mit Dentalauslaut übereinstimmt. Diese Bildung hat sich dann vom Verb für .sehen' auf das semantisch verwandte Verb für .hören' ausgebreitet. Schon Thurneysen 14 hat diese „Analogie" beobachtet. Es erscheint in der Tat verlockend, die Analogie als rein phonologisch motiviert zu betrachten. Im größeren Rahmen der hier angeführten Gemeinsamkeiten liegt es jedoch durchaus nahe, auch semantische Gründe dafür verantwortlich zu machen. Für die Belange der hier dargestellten Untersuchung ist die Feststellung wichtig, daß die to-Bildung cloth im Rahmen des altirischen Verbalparadigmas keine infinite Verbform mehr ist. Somit ist die gerade beschriebene Beeinflussung jedenfalls dem semantischen Hintergrund des irischen Verbums zuzuordnen und gehört daher in den Rahmen dieser Untersuchung. cloth n.o-St. .Gerücht, Ruhm' «- ,das Gehörte', formal das ro-Partizip, ist außerdem nominalisiert; vgl. ai. irutä-, gr. κλυτός, lat. in-clutus .berühmt', arm. lu ,kund'; gm. hlüda > laut („hörbar" „gehört") usw.' s Vielleicht ist neben das verbale cloth u.a. auch deshalb die Neubildung closs getreten, weil das Partizip schon anderswo „gebraucht" wurde. Hier läge dann eine Interaktion von transkategorialer Homonymie-Vermeidung einerseits und semantischer Beeinflussung andererseits vor.
11
Pokomy 1916:164 setzte *ad-k"e-k"ois-e an, so auch McCone SnaG 168. Z u m Thema der Nicht-e-Reduplikation s. Pokomy 1917:26, Thurneysen 1921:101, McCone SnaG 166f., weswegen sich auch *ad-k"i-k"ois-e rekonstruieren ließe.
12
Der Reduplikationsvokal u im Perfekt -cüala (< *ku-klou-) entstammt wohl der Assimilation an den Wurzelvokal, was als keltische Neuerung gewertet werden kann. Der Vokalismus in der ky. Entsprechung cigleu bleibt dennoch problematisch, vgl. a. Schrijver 1995: 329.
13
Thurneysen 1904:87 Anm. 1; CCCG 268. GOI §708. Vgl. l E W f ß S f .
14 15
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ad-ci und ro-cluinethar
Die ältere Form cloth meint man in retoirics greifen zu können: co clos Ailill co cloth ni Medb co cloth Fergus
LU 5445 LU 5449 LU 5470
Man kann anhand solcher Belege illustrieren, daß cloth und clos durchaus beide innerhalb der altirischen Überlieferung noch greifbar sind, es sich hierbei demnach nicht um einen schon voreinzelsprachlich abgeschlossenen Prozeß der Veränderung handelt. In den Glossen hingegen finden sich keine Formen von -cloth, später dann erwartungsgemäß auch nicht mehr: ished inso sis rochlos et adchess innabesaib et agnimaib Wb 23c 11 is glae thegdais törm rochlos Thes II 292 §4 Das Verb ad-ci hat einen deponentialen ά-Konjunktiv neben dem älteren 5-Konjunktiv, dessen einstige Existenz, obwohl er die den Regeln entsprechend zu erwartende Konjunktivbildung ist, nur fragmentarisch nachweisbar ist. rop ith 7 mlicht adcear Thes II 293.1 (Gedicht aus dem Codex St.Pauli) adceter sidi Ml 3a4 usw. neben Formen wie -accastar 3.Sg.Konj.Pass; Ml 50a5 for-aicis 2.Sg.Konj.Akt. (din Techtugud AL 4.18,21) Das Auftreten des deponentialen ä-Konjunktivs ist wohl auf einen Einfluß durch das Paradigma des Deponens -cluinethar zurückzufuhren. Bezüglich der Deponentialität ist ad-ci in seiner Verbalklasse ein Einzelgänger. 16 Idg. Verben für Sinneseindrücke, insbesondere die perzeptiven (im Gegensatz zu den intentionalen), haben durchaus eine Affinität zum Medium, so könnte es eher verwunderlich sein, daß ad-ci aktivisch ist. Thurneysen 17 schreibt apodiktisch: „the deponent flexion is doubtless due to the influence of ro-cluinethar". Tatsächlich geht es hier auch genau darum, daß die Formen ad-cear usw. deponential sind, denn der ä-Konjunktiv bot sich als produktiver Typ ohnehin als naheliegende Neuerung an. Wichtig ist daher festzuhalten, daß die Beeinflussung nicht etwa über den Stammvokal des Konjunktivs, sondern über die Deponentialität stattfindet.
16
17
Ein Vergleichsbeispiel für aktiven Indikativ vs. deponentialen Konjunktiv aus einer anderen Präsensklasse wäre das starke und ebenfalls suppletive Verb für „essen" CO/§609.
ithid/-estar.
310
Elvira Veselinovid
In jedem Fall scheint dieses das älteste Exempel unter den gegenseitigen Beeinflussungen zu sein, da der Einfluß hier formal am tiefgreifendsten ist. Die Zuordnung einer Diathese zu einer modalen Kategorie innerhalb eines Verbalparadigmas ist eine Eigenschaft, die nicht willkürlich erfolgen kann, sondern seit früher einzelsprachlicher Zeit feststehen sollte. Ein Vergleichsbeispiel aus einem Paradigma für ein Verb der optischen Wahrnehmung in einer anderen Sprache: griech. Präsens Medium tantum δέρκομαι vs. Perfekt Aktiv ϋί&ορκα. An sich ist dies eine durchaus übliche Erscheinung, welche durch die inhaltliche Ähnlichkeit bzw. gemeinsame Herkunft von Medium und Perfekt begründet w i r d . " Im Gegensatz zu z.B. γ ί γ ΐ Ό μ α ι / γ ί γ ο κ » hat ϋρκομαι auch einen aktivischen Aorist ΐδρακον.
allerdings
Hier handelt es sich zwar um eine Opposition auf Tempus-
Aspekt-Ebene, nicht auf der Ebene zweier Modi. Dennoch trägt es vielleicht etwas zur Nachvollziehbarkeit der Verhältnisse bei.
§5 Im Mittelirischen kommt es unter den beiden Verben zu einem regen wechselseitigen Austausch der Präfixe; es finden sich einerseits Formen wie at-chuala neben do-chuala («- ro-chuala) und andererseits do-chi neben at-chi: at-chlwiim at-chüala LL 38854 at-chluiniu LL 38409 at-chudla LL 23703 usw. adchualadar, ad-chualaid Togail na Tebe 4633 do-chi Lee 185 r b ll In welcher Richtung die Beeinflussung hier stattgefunden hat, ist nicht genau bestimmbar, da im Mittelirischen generell eine Tendenz zur Vermischung und Desemantisierung von Präverbien vorherrscht. Sie gipfelt darin, daß im Neuirischen bei den Verben, welche auf alte Komposita zurückgehen, synchron keine Segmentierung der Verben in ihre einstigen Bestandteile mehr möglich ist. Da do das weitaus produktivere Präverb ist, kann man zumindest die Feststellung machen, daß es ungewöhnlicher ist, daß das Verb -chluinim sich des Präverbs ad bedient, und zwar sowohl im Präsens als auch im Präteritum, als daß -cht das Präverb do übernimmt. Daher auch die Annahme, es handle sich hier um einen wechselseitigen Einfluß und nicht um bloße willkürliche Vermischung von Präverbien. Die naheliegende Vermutung, diese Beeinflussung hätte nur auf literarischer bzw. stilistischer Ebene stattgefunden, läßt sich durch die neugoidelischen Fortsetzer ausschließen:'9
18
"
Vgl. z.B. Rix 1976: 191; Matasovii 1997: 211. £7V215; vgl. hierzu auch Breatnach in SnaG S. 285 u. McManus, op.cit. S.413f.
ad-ci und ro-cluinethar
311
at-chi > 'tchi (Ulst.Ir) vs. do-chl > chi (Schott.Gäl.) c(h)ionn (Munst.Ir.) §6 Abschließend sei nun die Nähe der beiden Verben noch am gegenwärtigen Sprachzustand illustriert. Schon Wagner 20 hat die neuirischen Fortsetzer ('t)chim und cluinim beide in eine Klasse von Zustandsverben eingeordnet, zu welcher außer Wahrnehmungsverben vor allem Verben fxir „sein" gehören. Das Präsens eines finiten Verbs fungiert im Neuirischen nur bei ganz wenigen Verben als simples Präsens mit aktueller Gegenwartsbedeutung, in der Regel ist es habituativ. Diese Einordnung läßt sich auf das oben schon erwähnte besondere Aspektverhalten dieser beiden Verben, nicht nur im Irischen, zurückführen. Eine besondere Parallele findet sich im Aspektverhalten der Verben .hören' und .sehen' im Serbischen/Kroatischen (welches hier durchaus von demjenigen anderer slavischer Sprachen abweicht): Sie sind mustergültig biaspektuell oder, anders ausgedrückt, entziehen sich der Möglichkeit, einem der beiden Aspekte zugeordnet zu werden bzw. den jeweils anderen Aspektpartner zu bilden. Dieses zeigt sich in der Kompatibilität von Perfektivität und Präsens, welche sonst in einfachen Hauptsätzen mit aktueller Gegenwartsbedeutung nicht zulässig ist. Daß die Verben jedoch nicht imperfektiv sind, testet man z.B. mit den sog. Adverbialpartizipien videvii .gesehen habend' und iuvSi .gehört habend', welche nur zu perfektiven Verben bildbar sind.
Anhand der historischen Entwicklung innerhalb des Irischen und anhand der typologischen Parallelen kann das hier dargelegte Material zu einer Schlußfolgerung für die aspektuelle Gestalt von Perzeptionsverben beitragen: Das Präsens eines zuständlichen (im Gegensatz zu einem agentivischen wie look und listen) Perzeptionsverbs konzeptualisiert nicht nur den Zustand, sondern auch das Zustandekommen der Wahrnehmung bzw. die Fähigkeit, wahrzunehmen. Die Kategorie Aspekt hat somit hier zwar formal die Aufgabe, einen Zustand auszudrücken, aber auch die Funktion, eine abgeschlossene Handlung zu konzeptualisieren, woraus sich die gerade erläuterte Neutralisierung der Inkompatibilität von Präsens= Zustand und Perfektivität ergibt. Perzeptionsverben wie air. ro-cluinethar und ro-finnadar (Präsentien mit perfektivierendem Präfix) machen dieses deutlich. §7 Zusammenfassend läßt sich folgendes feststellen: Diejenigen Verben, welche die primären Sinneswahrnehmungen benennen, haben aufgrund ihrer semantischen Verwandtschaft eine starke Tendenz, formale Gemeinsamkeiten zu entwickeln. Folgende wurden hier erörtert: - eine funktionale Gemeinsamkeit: paralleler Gebrauch einer aspektuellen Feinheit (bzw. Grammatikalisierung einer Konjunktion zum Aspektpräfix für einen ganz bestimmten Zweck);
20
VerbumS.31
u. 59.
Elvira Veselinovic
312 -
drei eindeutig
semantisch motivierte formale Beeinflussungen: die
lautliche
Umgestaltung eines ίο-Partizips, die Übernahme einer Diathese im Konjunktiv zusätzlich zur Neuerung ä-Konjunktiv vs. älterer s-Konjunktiv beim Paradigma von ad-ci und der wechselseitige Austausch von Präverbien im Mittelirischen; -
die Einordnung in eine Sachverhaltsklasse von Zustandsverben, welche in der besonderen Aspektsemantik von .hören' und .sehen' zu suchen ist.
Diese Art von Beeinflussung wird in ihrer Gesamtheit wohl nur von einem kognitivsemantischen Standpunkt her durchsichtig, da von einem objektivistischen Standpunkt aus betrachtet die historische/phonologische Voraussetzung jedes beliebigen anderen Verbpaares, sich ähnlich zu verhalten, die gleiche wäre. Die Verben für .hören' und .sehen' stehen mit dieser Art von wechselseitiger Beeinflussung im Irischen nicht allein da: Auch die Verben füir .essen' und .trinken', die sich semantisch in vergleichbarer Weise nahestehen, haben sich gegenseitig morphologisch beeinflußt: 1. -iba, das d-Futur zu ibid, beeinflußt -isa" 2. Präteritum: das petrifizierte Präfix at bei at-ib beeinflußt at-duaid 3. zwar nicht eine Beeinflussung untereinander, aber eine weitere formale Gemeinsamkeit mit den hier behandelten Verben wurde oben (§4) schon genannt: aktiver Indikativ vs. deponentialer Konjunktiv ithid/-estar.
Man muß demzufolge davon ausgehen, daß die Gemeinsamkeiten beim Konzept der Wahrnehmung der Lexikalisierung
- bzw. hier auch Grammatikalisierung/morpho-
logischen Realisierung - dieser Gemeinsamkeiten zugrundeliegen. So gibt uns die irische Sprachgeschichte durchaus Aufschluß über sprachliche Kategorisierung im Sinne Lakoffs. 22 Auch ohne explizit auf bestimmte Richtungen der zeitgenössischen Semantikforschung Bezug zu nehmen, konnte hier exemplarisch gezeigt werden, daß Sprache nicht nur durch die objektive Wirklichkeit diktiert wird, sondern die Kognition des Sprechers sehr wohl Einfluß auf den Sprachwandel nimmt. Die Lexikalisierung gewisser Einzelphänomene gibt insofern nicht nur Aufschluß über die Benennungsmechanismen, sondern auch über die Kategorisierungsmechanismen, welche diesen notwendigerweise zugrundeliegen.
21 22
Vgl. GOI §647 u. §658a. Lakoff 1987.
313
ad-ci und ro-cluinethar
Literatur Breatnach, Liam: An Mhean-Ghaeilge. In: SnaG(s.
McCone 1994).
Corthals, Johan: Zur Funktion der frühirischen Prosasagen. In: Akten des ersten Symposiums deutschsprachiger Keltologen. Hrsg.: Martin Rockel und Stefan Zimmer. Tübingen (1993), 67-81. Lakoff, George: Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind. Chicago (1987). Lewis, Henry und Holger Pedersen: A Concise Comparative Celtic Grammar. Göttingen (1937). [CCCG] Matasovic, Ranko: Kratka poredbenopovijesna gramatika latinskoga jezika. Zagreb (1997). McCone, Kim: From Indo-European to Old Irish: Conservation and Innovation in the Verbal System. In: Proceedings of the 7th International Congress in Celtic Studies, Eds. D.E. Evans, J.G. Griffith, E.M. Jope. Oxford (1986). - The Early Irish Verb. Maynooth (1987) [EN], - An tSean-Ghaeilge agus a Reamhstair. In: Stair na Gaeilge (FS Pädraig Ο Fiannachta) Hrsg.: McCone et al.; Maynooth (1994) [SnaG], McManus, Damian: An Nua-Ghaeilge Chlasaiceach. In: SnaG (s. McCone 1994). O'Rahilly, Cecile. Three Notes on Syntax; I.Co n-acca, co cuala In: Celtica 8 (1968), 155-160. Pedersen, Holger: Vergleichende Grammatik der keltischen Sprachen. Göttingen (1909) [VKG']. Pokorny, Julius: Zur irischen Grammatik und Wortkunde. In: KZ 47 (1916), 159-169. - Streitfragen zur altirischen Grammatik. In: ZcP 11 (1917), 1-29. -
Indogermanisches
etymologisches Wörterbuch. Bern/ München (1959) [IEW'].
Rix, Helmut: Historische Grammatik des Griechischen. Darmstadt (1976). Schrijver, Peter: Studies in British Celtic Historical Phonology. Amsterdam/Atlanta (1995). Thumeysen, Rudolf: Zum keltischen Verbum. KZ 37 (1904), 52-120. - Grammatisches und Etymologisches. In: ZcP 13 (1921), 101-108. - A Grammar of Old Irish. Dublin (1946) [GOI], Vendryes, Joseph: Sur les verbes qui expriment l'idee de „voir". Comptes-rendus de l'Academie des Inscriptions (1932), 192-206. Wagner, Heinrich. Das Verbum in den Sprachen der britischen Inseln. Tübingen (1959) [Verbum]. Wehr, Barbara: Diskursstrategien
im Romanischen. Tübingen (1984).
Arndt
Wigger
Untersuchungen zu Sprachkontakterscheinungen im gesprochenen Irischen
Zur Forschungslage Die Erforschung des Einflusses der englischen Sprache auf das Irische ist seit längerem ein Nebenthema der Linguistik des Irischen. Angesichts der Tatsache, daß der Gebrauch des Irischen seit etlichen Jahrhunderten im Rahmen gesellschaftlicher Zweisprachigkeit und in diesem Jahrhundert überwiegend auch in Verbindung mit individuellem Bilingualismus situiert ist, scheint mir die Suche nach den Auswirkungen dieses Sprachkontaktes lange Zeit zu wenig intensiv betrieben zu worden sein. Zu den älteren Arbeiten gehören die von Sjoestedt 1928 oder de Bhaldraithe 1953, die sich allerdings auf monoglotte Sprecher beziehen. In jüngerer Zeit hat sich vor allem Nancy Stensen mit dieser Thematik befaßt; sie untersucht Sprecher, die bestenfalls ausgewogen bilingual sind, d.h. zumindest teilweise eher zum Gebrauch des Englischen zu neigen scheinen.' Meine Beobachtungen kann man zwischen diesen beiden Situationen einordnen, da sie von Bilingualen mit klarer Präferenz für und stärker entwickelter Kompetenz in Irisch stammen.2 Wie der Beitrag von Stenson 1990 gezeigt hat, ist der sprachtheoretische Erkenntniswert solcher Studien anhand einer Sprache wie Irisch nicht unbeträchtlich.3 Diese Ebene werde ich hier kaum betreten können, möchte aber darauf hinweisen, daß jede konventionelle Etikettierung von Sprachkontakterscheinungen (.Lehnwort, Fremd-
2
3
Soziolinguistische Untersuchungen über den Bilingualismus in der irischsprachigen Siedlung von Rath Cairn, aus der Stenson ihre Daten bezieht, liegen nicht vor. Die geringe Größe des Gebietes, das vollständig von seinem englischsprachigen Umfeld abhängt, und die Nähe zu Dublin sprechen für eine starke Dominanz des Englischen. Das Material gehört zu dem großen Korpus spontaner Dialoge aus Conamara, das Hans Hartmann und Tomas de Bhaldraithe 1964 aufgenommen haben und für dessen Aufbereitung ich seit 1994 im Rahmen eines DFG-Projektes an der Wuppertaler Universität verantwortlich bin. Das für diese Studie ausgewertete Material stammt aus den Ortschaften Ros Muc und An Cheathni Rua im mitüeren Teil der Gaeltacht an der Küste von Co. Galway, und zwar von 20 verschiedenen Sprechern, und umfaßt insgesamt etwa 15 Stunden Sprechzeit. Sie hat mit überzeugenden Argumenten und aussagekräftigen Daten mehrere bis dahin weitgehend akzeptierte Annahmen über das Funktionieren von code-switching widerlegen können, insbesondere die von Sankoff & Poplack 1981 postulierten syntaktischen Beschränkungen, die für spanisch-englische Umschaltungen Gültigkeit haben mögen, aber offensichtlich nicht universalistisch verallgemeinerbar sind.
Sprachkontakterscheinungen
im gesprochenen
Irischen
315
wort') durchaus Bezug nimmt auf theoretische Kategorien, die einer kritischen Überprüfung standhalten müssen. In dieser Studie möchte ich die Frage der Integration von Ausdruckselementen englischer Herkunft im irischen Sprachgebrauch in den Mittelpunkt stellen. Hierbei ist zunächst zu klären, welcher Sprache die betreffenden Objekte eigentlich angehören, denn Feststellungen etwa zu code-switches beziehen sich zwangsläufig nicht auf das Irische, sondern auf eine Varietät des Englischen. Insofern stellt sich hier die Frage der Integration eigentlich gar nicht. Dies betrifft sowohl code-switches im engeren Sinn (intra- und intersententiell) als auch lexikalische Einblendungen aus L2 (spontaneous borrowings)·, von letzteren wird hier (anders als bei Stenson) hauptsächlich die Rede sein, und es geht demnach um die Abgrenzung solcher Erscheinungen von echten Entlehnungen, die dem LI-Lexikon zugehören. In bisherigen Untersuchungen ist durchweg mit verschiedenen formalen Kriterien gearbeitet worden; dies sind Indikatoren phonologischer, morphologischer oder syntaktischer Natur. Ich werde hier einige wenige dieser Kriterien präsentieren und kritisch diskutieren. Darüberhinaus möchte ich Hinweise auswerten, die Aufschluß über das Sprachbewußtsein geben und den Äußerungen der bilingualen Sprecher selbst entstammen. Denn gerade bei solchen Sprechern, die in irgendeinem Maße über beide Codes verfugen und zu entsprechenden Zuordnungen fähig sind, sind sichtbare Spuren des Umschaltprozesses zu erwarten, die manchmal mehr aussagen als formale Eigenschaften der sprachlichen Einheiten.
1 Integration und Adaptation Wenn wir uns mit der Integration fremd- oder zweitsprachlicher Elemente befassen, so sollte von vornherein klar sein, daß es dabei nicht um eine bloße Alternative geht, etwa im Sinne eines binären Merkmals [ ± nativ], sondern daß mit einer unbestimmten Anzahl von Parametern und Graden der Integriertheit zu rechnen ist. Während man in der Vergangenheit eher zu einer binären Auffassung neigte, haben in jüngerer Zeit manche Forscher mit Recht auf die Notwendigkeit einer skalaren oder sogar multidimensionalen Auffassung hingewiesen. 4 Wieweit eine mehr oder weniger weitgehende formale Anpassung mit anderen graduellen Eigenschaften wie Häufigkeit des Gebrauchs oder Alter der Entlehnung korreliert, bleibt vorerst noch ganz offen, da die hierzu erforderlichen Untersuchungen mit einigen methodischen Schwierigkeiten verbunden sind. Relativ klar erkennbar sind jedenfalls solche adaptierenden Operationen, die die Sprecher auf der Basis von systematischen Kontrasten im phonologischen wie auch in anderen Teilsystemen durchführen und die sich u.U. konventionalisieren und in LI
4
So z.B. Stenson 1991; einen ebenso differenzierten wie radikalen Standpunkt nimmt schon Lüdi 1981 ein, indem er die globale Kategorie der marques transphrastiques einführt.
316
Arndt Wigger
etablieren, so daß das betreffende Element schließlich als hochgradig adaptiert bewertet werden kann. So ist ganz offensichtlich die Namensform Seän [Ja:N] in jeder Hinsicht voll integriert (auch wenn es eine Neuerung zu älterem Eoin [ j o:n'] darstellt), ganz im Gegensatz zu dem recht geläufigen John [d3a:N] - sofern es berechtigt ist, diese Namen als Dublettenpaar anzusehen. Ähnliches gilt für Paare wie tarra [ta:ra] vs. tar [ta:r] ,Teer', aber auch tobac [ta'bark] ,Tabak' verglichen etwa mit tae [te:] ,Tee'. In diesen Fällen impliziert aber das Ausbleiben phonologischer Adaptation (bei den Formen mit alveolarem [t]) nicht zwangsläufig einen gleich niedrigen Grad an Integration. Eine systematische Sichtung auch nur des phonologischen Teilsystems im Hinblick auf Stufen der Integration ist hier nicht zu leisten. Es sei nur festgestellt, daß die Menge der Adaptationsschritte bei der Übernahme nicht direkt proportional dem Grad der Integriertheit ist, sofern damit auch eine kommunikativ-psychologische Dimension verbunden sein soll. Es gibt nicht wenige auffallige Widersprüchlichkeiten: Ein Wort wie tobac z.B. dürfte im Lexikon bilingualer Sprecher in klarer interlingualer Opposition zu tobacco stehen, zeigt aber eine beharrliche nicht-native Wort- und Akzentstruktur; es hat über Jahrhunderte einem phonologischen Anpassungsdruck etwa in Richtung *tobac, *obac oder auch *bac widerstanden. Die Verbreitung von Iii ist mittlerweile so zu beschreiben, daß es als marginales Phonem im Connacht-Irischen gilt, zwar kontaktbedingt, aber wohl nicht mehr als sprecherseitige Kennzeichnung einer Zugehörigkeit zum Englischen. Ebenso sind nichtlenierbare Wortanfänge mit h, v, oder j Teile eines phonologischen Zusatzinventars, das man phonologisch als [- nativ] markieren kann. Dennoch sind Wörter wie hata, vota, jug, jabaire etc. zum nativen Lexikon zu rechnen. Widersprüchlich ist auch die Bewertung von Diskurspartikeln wie bydad und bhoil: Sie sind aufgrund ihrer Funktion und ihrer sehr hohen Frequenz als lexikalisch integriert anzusehen, jedenfalls gewiß nicht als Umschaltwörter, zeigen aber nur minimale phonologische Adapation. Wie bilinguale Sprecher, die diese Ausdrücke ja auch im Englischen verwenden, die offensichtliche Übereinstimmung bewerten, ist mir nicht klar. 5 Neben den morphologischen Strukturen der Kontaktsprachen, auf die ich unten eingehen werde, gehören natürlich auch syntaktische, phraseologische und semantische Eigenschaften zum Bereich dessen, was unter der Fragestellung Integration bzw. Adaptation zu untersuchen wäre. So steht etwa ein verbaler Ausdruck wie tabhairt suas .aufgeben' zumindest im Verdacht, auf Sprachkontakt zu beruhen (aus engl, give up); der Nachweis hierfür ist aber nicht leicht zu erbringen, und auch die Festlegung von Kriterien zur Messung von Integriertheit ist in solchen Fällen mit Schwierigkeiten verbunden. Dennoch lassen sich im neueren Sprachgebrauch durchaus phraseologische
5
Einige Sprecher, die ich hierzu befragt habe, konnten keine klare Meinung formulieren; sie haben diese Wörter weder ausdrücklich dem englischen noch dem irischen Lexikon zugerechnet.
Sprachkontakterscheinungen
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im gesprochenen irischen
Importe nachweisen, z.B. in Fällen, wo der thematische Bereich bestimmten modernen Erfahrungssphären zuzuordnen ist: "Ghtaoigh me suas" adeir se, "ar an Statistics Office" adeir se, "agus thäinig an cailin" adeir se, "ar an nguthdn" adeir se. (RM4-04-09S) Er sagte: "Ich rief im Statistischen Amt an, und das Mädchen kam ans Telefon." Der Anglizismus besteht hier offensichtlich in erster Linie in der Ausbildung eines Partikelverbs mit suas, entsprechend ring up. Die Rektion folgt dann nicht mehr dem englischen Muster (zu erwarten wäre ein direktes Objekt, allenfalls ag für at); sie scheint aber bei dem nächsten Verb wieder auf einer Analogie mit dem Englischen zu beruhen (on the phone) 6 - Sehr deutlich sind solche phraseologischen Importe, wenn sie gleichzeitig lexikalische Anleihen aus der Kontaktsprache enthalten: Bhi chuile dhuine mixäilte suas faoi. (RM6-21-02Ma) Alle waren in dieser Sache verwirrt. ( = Niemand wußte darüber Bescheid.) (Auf der Grundlage von mixed up about.) Der Schluß, daß eine analoge Formulierung ohne lexikalischen Import ebenfalls kontaktbedingt ist, legt sich nahe: ...
measctha
suas faoi.
2 Formale Kriterien: Morphologie Nach dieser kurzen Präsentation der Gesamtproblematik möchte ich drei morphologische Kriterien
etwas näher behandeln, die für die Frage der
sprachlichen
Zugehörigkeit beobachtbarer Formen von Bedeutung sein könnten und auch in diesem Sinne Gegenstand früherer Untersuchungen gewesen sind.
2.1 Aus dem Englischen übernommene Nomina haben im Plural häufig das s-Suffix, nicht selten erscheinen sie aber auch mit einem der irischen Langplural-Suffixe, und zwar durchweg -anna(i).
Es liegt nahe, diese Wahlmöglichkeit als Indikator für
verschiedene Grade der Integriertheit zu werten. Demnach wären Belege wie telegrams, sweets, pig drivers, volunteers, tricks, lorries als wenig oder nicht-integriert, solche wie swellflwia, mmeanna,
trifleacha
dagegen als stärker integriert einzustufen.
Thdinig ar wird außer in konkret-lokaler Bedeutung (,kam ... auf') sonst nur im Sinne von .stieß auf, fand' verwendet (Hinweis von Aidan Doyle). - Man beachte die Verwendung des Neologismus guthän statt /on/phone.
318
Arndt Wigger
Eine solche Lösung wäre einfach und überdies theoretisch plausibel: Die Anwendung der nativen Morphologie würde danach die Übernahme des Lexems symbolisieren, die Bewahrung der anderssprachigen Morphologie dagegen seine Fremdheit markieren. Nach diesem Grundsatz ist oft die Grenze zwischen Entlehnung und Umschaltung gezogen worden.7 Dieser Ansatz wird aber mit einem Schlag entkräftet, wenn ein Sprecher folgendes formuliert: Swellawia tä a fhios agat, 'se α thugann siad orthu i mBearla, aniar 6n Atlantic. (RM1-0206M) Brecher, weißt du, so nennt man die auf Englisch, die vom Atlantik reinkommen.
Wenn der Sprecher selbst angibt, ein englisches Wort zu gebrauchen, hat der Linguist kein Recht mehr, es als integriert zu bewerten, auch wenn es ein natives Pluralzeichen trägt. Dies ist kein Einzelfall. Eine Untersuchung zahlreicher Belege ergibt für die Pluralkennzeichnung insgesamt folgende Situation: (1) Einsilbige englische Wörter werden mit dem silbischen η-Plural des Irischen versehen, mehrsilbige (einschließlich Zusammensetzungen) mit dem (nichtsilbischen) s-Plural, der mit dem des Englischen übereinstimmt. Dies entspricht der Verteilung von Pluralsuffixen bei irischen Wörtern insofern, als die Wahl zwischen den häufigen Langpluralsuffixen -anna und -acha sich im wesentlichen ebenso nach der Silbenstruktur des Grundlexems richtet: amanna vs. aimsireacha etc.8 - Wenn bei zweisilbigen Wörtern das acAa-Suffix verwendet wird (statt -s), kann dies allerdings sehr wohl als Indikator für einen höheren Grad von Integration gewertet werden; trifleacha (traidhflleacha). (2) Davon ausgenommen sind Kollektivplurale, die generell mit dem s-Suffix erscheinen: sweets. Dies hängt vermutlich mit der sekundären Singulativ-Funktion der irischen Langpluralsuffixe zusammen. Ähnliches gilt für ein plurale tantum (QuasiDual) wie togs .Badehose'. (3a) Nomina, die auf -hr/ auslauten, bekommen das s-Suffix: crackers. Dies scheint unabhängig vom Integrationsgrad zu gelten: trölar+s .Fischkutter', sogar rothar+s .Fahrräder'. (3b) Viele Nomina, die auf -( auslauten, bekommen das s-Suffix: lorries (leoraios). Diese Konfiguration dringt auch in das native Lexikon ein: ciili+os .Tanzabend', 9 sogar fili+os .Dichter' neben ceiliocha, fllithe. Andere Wörter auf Langvokal können aber wie Einsilbige behandelt werden: banjo anna, deerteanna. (3c) Einzelne Lexeme mit anderer Lautgestalt erscheinen trotz offensichtlich hohem Integrationsgrad (z.T. verbunden mit semantischem Wandel) mit s-Plural. Auch wenn es überwiegend bei Wörtern englischer Herkunft auftritt, ist -s hier bereits ein
7 8 9
Free-morpheme constraint (z.B. bei Poplack). So schon bei Wigger 1970. Ceili ist ein Neologismus, der auch im Englischen Irlands verwendet wird.
Sprachkontakterscheinungen
im gesprochenen
Irischen
319
Lehnsuffix. Zusätzlich hat sich für solche Fälle eine Regel der Lenition nachfolgender Adjektive etabliert. Beispiele: tricks (bheaga), lorries (mhöna), lads (auch leadsai). (4) Die Verwendung eines Pluralsuffixes in Verbindung mit Numeralien orientiert sich z.T. an den irischen Syntaxregeln, die für gewisse Fälle die Verwendung der Singularform des Nomens vorsehen: na tri scheme. Ein abweichender Beleg wie dhä detectives könnte entweder als Fall von Umschaltung zu erklären sein, d.h. die irische Numeralsyntax wird umgangen, oder mit der unterschiedlichen Behandlung von einund mehrsilbigen Lexemen zusammenhängen. Aus dieser Übersicht ist ersichtlich, daß Pluralformen auf -s einen recht unterschiedlichen Status haben können. Sie sind in der Sprache bilingualer Personen teilweise Bestandteil von eingeblendeten englischen Wörtern (sofern mehrsilbig). Andererseits ist ihre Verwendung schon seit längerem auch Bestandteil der Dialektgrammatik; vermutlich haben monoglotte Sprecher kaum Formen wie *trölaracha oder *leoraiocha gebildet. Völlig geklärt ist die Frage der s-Plurale damit aber noch nicht, und der Gebrauch ist nicht so einheitlich, wie die oben aufgeführten Regeln es erscheinen lassen; auch sprecherintern treten bemerkenswerte Schwankungen auf: Bhi ceann de na ... tä a fltios agat na banjos sin aige. [...] Τά a fhios agatfein na banjo anna siiid mar α άέαήά ... (CR7-13-01/02MG) Er hatte so ein, weißt du so ein Banjo. Du weißt ja, diese Banjos, also.
Hinsichtlich des interlingualen Status sind diese beiden unterschiedlichen Formen nicht erkennbar verschieden: In beiden Fällen greift der Sprecher offenbar auf das englische Lexikon zurück; abgesehen vom Fehlen eines entsprechenden irischen Terminus ist die Verzögerung beim Einführen des Wortes charakteristisch. Vielleicht ist die Wortstruktur von banjo (auch für Engl, untypisch) ambivalent hinsichtlich der Wahl zwischen -s und -anna, und es werden nacheinander beide Möglichkeiten geboten. Daß bei der zweiten Nennung das irische Suffix erscheint, könnte zu der Annahme verleiten, daß das Wort, soeben als englisches Lexem eingeführt, nunmehr als Entlehnung im Irischen zur Verfügung steht; ich halte dies aber nicht für zutreffend. 2.2 Festzuhalten bleibt als wichtigstes Ergebnis bisher, daß die Wahl irischer Affixe bei englischen Wörtern nicht als Indiz für sprachliche Integration gelten kann. Dieser Befund wird durch die Untersuchung anderer grammatischer Bereiche noch verstärkt. Dazu können wir einen Blick auf die Verwendung des Suffixes -άΙ/-άϊΙ'° bei Verben werfen. Dieses Formativ hat in der irischen Wortbildung bekanntlich mehrere Funktionen: (1) Bildung des Verbalnomens (VN) für viele Verben: 1.Klasse (einsilbig): füg .lassen' > fäg+äil, 2.Klasse (mehrsilbig): coinn+igh ,halten' > coinn+eäil
10
Die Verteilung von Palatalisiemng des /!/ bleibt hier unberücksichtigt.
Arndt Wigger
320 (2) Verbstamm-Bildung, z.T. denominal: glas+äil sdbhäil
.verschließen' (zu glas .Schloß'), crübäil
.greifen' (zu crüb ,Klaue');
.retten'
V N identisch (gelegentlich + -t:
säbhäilt)
(3) Bildung isolierter VN (z. T . denominal; defektiv: ohne finites Verb) sluaisteäil
.schaufeln' (zu sluasaid
.Schaufel'); candäil
(= ceantäil
zu
ceant
.Auktion') .versteigern' (4) Verbstamm-Bildung auf Basis engl. Verblexeme (einschl. V N , wie (2)) march'dü
marchi ladar"
Bekanntlich ist der Prozeß (4) seit längerem äußerst produktiv; die Zahl der in 0 Domhnaill's Wörterbuch aufgenommenen Bildungen dieser Art (die insofern als lexikalisch integriert angesehen werden können) geht in die Hunderte. 1 2 Wir befinden uns hier in einem Bereich, wo im irischen Verblexikon ein typologischer Wandel vonstatten geht: Ein großer Teil der «(Y-Bildungen füllt das irische Verblexikon an solchen Stellen auf, wo bis dahin eher verschiedene periphrastische Konstruktionen im Gebrauch waren; z . T . koexistieren gegenwärtig beide Muster, wie folgender Beleg zeigt: Ach pe ar bith ein sceal e nior airigh se ariamh an dtuigeann tu, go raibh Micheäl Phädraig ar an taobh eile dhö stripäilte, an t-eadach bainte dho.13 (RM1-01-18M) Aber jedenfalls, er merkte überhaupt nicht, weißt du, daß M.P. auf der anderen Seite war, ausgezogen, ohne Kleider. Mit dialogischer Paraphrase: M: Anois, go raibh si ag imeacht anois mar sin, agus ag driftäil... T: Dhä caitheamh anonn is anall. (RM1-05-14) M: Also, daß es so weiterfuhr und driftete ... T: ... hin- und hergeworfen wurde. Aber zurück zur Frage des Status dieser Bildungen. Nach dem Kriterium
der
Verwendung nativer morphologischer Mittel müßten alle diese Verben dem irischen Lexikon zugerechnet werden. Dagegen sprechen aber mehrere Gründe. (1) Es gibt keine Einblendungen englischer Verben im Umfang eines einzelnen Wortes. Die wenigen Vorkommnisse von Verben in englischer Morphologie außerhalb von Zitaten und umfangreicherem Umschaltphasen sind bereits komplexerer Natur, d.h. echte code-switches: Μ: Ach, bhi na Bells of Lloyd ansin ag nngäiV ar feadh mlonna mionna, agus always rings an dtuigeann tu, presumed ship is Jost. (RM2-05-06M)
"
Cf. Standard mäirseäil.
12
Das rückläufige Wörterbuch von Doyle&Gussmann verzeichnet 802 mehrsilbige Wörter auf -äii. dhö für de.
13
Sprachkontakterscheinungen
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im gesprochenen Irischen
Aber, die Bells of Lloyd läuteten monatelang, und always rings verstehst du, presumed ship is lost. Μ: Ach düirt se ag dul suas poll an die an meid seo: „This night is with ye now." adeir si, „and let ye live as long as ve can." It means... go dtdinig se anuas le muid α mharü. (RM301-17T) Aber als er aus der Luke rauskam, sagt er: "This night is with ye now." sagte er "and let ye live as long as ye can." It means ... daß er runtergekommen war, um uns zu töten. (RM3-01 17T) Völlig unnatürlich wäre hier *agus rings i geönar,
und ganz undenkbar *means se.
Offenbar hängt dies mit der grammatischen Natur des engl. s-Suffixes zusammen: Da der Rahmen als L I (Irisch) definiert ist, folgt die grammatische Behandlung des importierten Lexems der Grammatik dieser Sprache. Eine Version wie *meanann se, *rmgann
se würde diesem Sachverhalt immerhin gerecht werden. Offenbar wird aber
die obligatorische Stammbildung auf -äil als Klassenmarkierung für Verben vorausgesetzt, bevor die übrige grammatische Morphologie des Verbs operieren kann. Die einzig möglichen Gestalten für diese englischen Verben sind meanälann si, ringälann si; ersteres ist übrigens gut belegt. Weitere Gründe für die nicht-integrative Funktion von -äil sind: (2) In der Regel erfolgt eine vollständige Übernahme der (dialektalen) englischen Wortform,
ohne
erkennbare
Adaptation,
insbesondere
bez.
Silbenstruktur
und
Akzentuierung: dismissäiY. avoiddiV, riddltäil. ustail (3) Im Bewußtsein bilingualer Sprecher sind mit ά/7-Suffix versehene Formen u . U . durchaus als Rückgriff auf das englische Lexikon gekennzeichnete Einblendungen: Tä tu ag dul isteach ag breathnü thart timpeall ar an gcaipin sin go bhfeice tu an bhfuil braon anuas in aon äit, mar adeir an Bearla an bhfiiil si ag leakdi7. (CR2-03-08CB) Du gehst rein und guckst von allen Seiten auf diesen Deckel, ob nicht irgendwo ein Tropfen runterkommt, wie man auf Englisch sagt, ob es leakt. (4) Auch die Verwendung weitergehender Flexionsmorpheme steht dem fremdsprachlichen Charakter solcher Bildungen nicht im Wege: Nuair a bheadh sin deanta, lootäilfi an pota. 'Sin sort ainm a thugadh muid air, bhiodh cineal beag Bearla ag baint leis ... (CR1-03-13M) Wenn das getan war, wurde der Topf gelootet. So nannten wir das, ein bißchen Englisch gehörte dazu ... Solche Formen sind keineswegs so selten wie Stenson 1991 meint. 14 Belege:
14
p. 567: „[...] The morphological assimilation of such verbs often extends no farther than the addition of the suffix -äil. Typically such forms resist the addition of further tense and person/number affixes, although well-integrated loans frequently take them."
Arndt Wigger
322 riddleäladh
(Prät
Aut),
riddltäladar
(Prät
3P1),
dismissäladh
(Prät
Aut),
h a p p e n ä i l f e a d h (Cond), dipäilfeä (Cond 2Sg) (5) Andererseits zeigen die grammatischen Mutationen hier durchaus Beschränkungen. Die Ergebnisse der statistischen Untersuchung von Stenson anhand neuerer Daten aus Rath Cairn entsprechen im wesentlichen dem, was für die hier untersuchte ConamaraMundart bereits eine Generation vorher gegolten hat. Lenition (jedenfalls in für Verbformen einschlägigen Kontexten) erfolgt bei labialen (ohne Iii)
und velaren
Anlauten durchweg normal, bei dentalen stark eingeschränkt, bei Iii fast nie. Eklipse wird nahezu regulär durchgeführt. Bei der Lenition von Dentalen ist festzustellen, daß Plosive deutlich geringere Werte zeigen als die Spirans Isl. Exkurs: Stenson erklärt die beschränkte Lenierbarkeit englischer Wörter (nicht nur Verben) durch
die Anzahl der jeweils betroffenen phonologischen
Merkmale:
Mutationen, die ein oder zwei Merkmale verändern, sind mit hoher Frequenz in englischen Wörtern nachweisbar; wenn 5 oder 6 Merkmale betroffen sind, nämlich bei Dentalen (t,s,sh > h; d > dh), sinkt die Quote merklich ab, und bei f > 0 (alle Merkmale!) ist die Lenitionsregel praktisch blockiert. Diese Interpretation der Lenitionsbeschränkungen im Rahmen der phonologischen Theorie ist zweifellos plausibel und zugleich ein Hinweis auf die Bedeutung phonologischer Merkmale. 1 5 Damit bleiben aber einige grundsätzliche Fragen immer noch offen: Man könnte die Lenitionsbeschränkungen dahingehend deuten, daß der Umschaltprozeß nicht rein lexikalischer Natur ist, also nicht nur im Einfügen eines Elementes aus einem anderssprachigen Inventar besteht, sondern daß zugleich grammatische Regeln der Primärsprache durch solche der Sekundärsprache ersetzt werden, also hier Anpassung an eine Grammatik, die keine Mutationen kennt. Wenn dies der Fall wäre, müßte man unlenierte Formen mit beliebigen Anlauten erwarten, zumindest in einem Teil der grammatischen Mutationskontexte, aber nicht die Freistellung bestimmter Lauttypen, wie es tatsächlich der Fall ist. Die hier untersuchte Form der Zweisprachigkeit ist nämlich klar zu unterscheiden von der heute häufigen Situation, in der v.a. j ü n g e r e oder Gelegenheitssprecher des Irischen weitgehend ohne Mutationen auszukommen versuchen, d.h. sie behandeln Wörter in der gleichen Weise wie in ihrer Primärsprache Englisch. Hier liegt offenbar etwas anderes vor. In semiotischer Hinsicht ist bei Anlautveränderungen die segmentale Repräsentation eines Lexems (hier: aus einer anderen Sprache) betroffen, oder die Integrität des Wortes ist beeinträchtigt. Wenn die Substitution außerhalb des Phoneminventars der Gebersprache (L2) bleibt (g,d
>
gh,dh), kann das Substitut als nichtsignifikante Variante des zugrundeliegenden Lautes verstanden werden (.interlinguales Allophon'); in den meisten Fällen entspricht das Substitut in L I aber einer phonematischen Opposition in L2, wodurch die Worter-
15
Die Differenzen im Merkmalsinventar von Chomsky&Halle bzw. 0 Siadhail&Wigger spielen hier nur eine untergeordnete Rolle.
Sprachkontakterscheinungen im gesprochenen Irischen
323
kennung ernsthaft gefährdet sein kann (s > h, ρ > f, b > m etc.)· M a n könnte erwarten, daß die Anwendung der Mutationsregeln auf den ersteren, .harmloseren' Fall beschränkt bleibt - dies ist aber offensichtlich nicht der Fall: Das Resultat einer irischen Mutationsregel, angewandt auf ein englisches Wort, kann eine Art interlingualer Homophonie erzeugen, die sich nur durch Kontexthinweise aufschlüsseln läßt. Daraus resultierende Dubletten lassen sich leicht finden (nach Stenson): an-mhüA
= mild / wild
dhä bhfeedail
= feed / weed
na hedgtanna
= hedges / edges
Watsons Vermutung, daß die Blockierung von Lenition der Vermeidung derartiger Ambiguitäten dient, trifft also offensichtlich nicht zu, wie Stenson richtig feststellt, mit dem ebenfalls zutreffenden weiteren Argument, daß solche Neutralisierungen auch innerhalb des Irischen zwangsläufig auftreten: mball/mall
etc. Mit der Messung der
phonologischen Differenz (durch Zählung der veränderten Merkmale) ist die Frage, weshalb ein Teil der Mutationsregeln eingeschränkt wird oder ausfällt, aber noch nicht hinreichend beantwortet, sondern nur auf eine andere Ebene verlagert. Bei genauerer Überprüfung handelt es sich hier eigentlich nicht um eine Skala verschiedener Häufigkeitswerte von Lenition bei einzelnen
Konsonantengruppen,
sondern eher darum, daß gewisse Anlauttypen systematisch unlenierbar sind. Bei den Dentalen sind es gerade die beiden Plosive t/d, die hier betroffen sind, was sich mit der alveolaren Artikulation in engl. Entlehnungen erklären läßt: E s handelt sich hier um (marginale) neue Phoneme, die außerhalb des ererbten Mutationssystems stehen. Nach meinen Beobachtungen sind die verbleibenden Fälle von lenierten dentalen Plosiven solche, die phonetisch reine Dentale sind, mithin systematisch integrierte Entlehnungen wie z.B: trapäil,
tornäil.
- Bei der Blockierung der Lenition von Iii ist
die Situation insofern eine andere, als das Segment ja nicht substituiert, sondern gelöscht wird. Dies ist in der Tat ein tiefgreifender Eingriff in die Wortsubstanz, der nur im nativen System toleriert wird. In den wenigen Fällen von lenierten Anglizismen mit f-Anlaut haben wir hiermit ein gültiges Kriterium für deren Integration: taobh thoir den f/iactory (CR6-12-02SE) östlich von der Fabrik Die Bewahrung des f-Anlautes bei Verben korreliert übrigens mit einer weiteren Regularität, nämlich daß das d-Präfix im Präteritum bei vokalisch oder mit Iii anlautenden Verben grundsätzlich fehlt: (*d')excuseai7 me, (*d')avoidäladar. (*d')usea;7 muid\ (*d')ihtedäil Auch
hierin manifestiert sich das Bestreben,
den
se
wahrnehmungspsychologisch
bedeutsamen Wortanfang zu bewahren.
2.3 Neben den zahlreichen Verbimporten auf -äil existieren bekanntlich nicht wenige Adjektive auf -äilte. Die Beziehung zwischen beiden ist offensichtlich sehr eng, denn man kann -äilte als -äil+te Verb. Natives Beispiel:
analysieren, d.h. als reguläres Verbaladjektiv zu einem äil-
Arndt
324
Wigger
glas+äil .verschließen' glas+äil+0 = VN glas+äil+te = VA .verschlossen' Die Verwendung von -äil für die Bildung des VN führt aber nicht zwangsläufig zu einem VA dieses Typs: tog .nehmen' tög+äil = VN tög+tha = VA .genommen' coinn+igh .halten' coinn+eäil = VN coinn+ithe = VA .gehalten' In der Tat stimmt diese Analyse durchaus für einen großen Teil der importierten Verben, die regulär ein solches VA bilden: landäil - landäilte draenäil - draenäilte störäil - störäilte Doch damit ist der Fall -äilte keineswegs abgeschlossen. Zu berücksichtigen ist erstens, daß in manchen Fällen zwar die Korrelation zwischen VN -äil und VA -äilte besteht, aber das entsprechende finite Verb fehlt: puzzläi/fe, brassäilte. geantäilte Zweitens tritt -äilte auch in solchen Fällen auf, wo die lexikalische Basis ein reines Adjektiv des Englischen ist, d.h. kein Partizip: siüräilte < sure fearäilte < fair süpläilte < supple smartäilte < smart neatäilte < neat cleverdiVre < clever Hier liegt der Schluß nahe, daß -äilte in der gleichen Weise als Klassenmarkierung für importierte Adjektive dient wie -äil für Verben. Das würde bedeuten, daß keine unmodifizierten englischen Adjektive als Einzelwörter in irischem Kontext vorkommen können, sei es als integrierte Entlehnung, sei es als spontaner Übergriff auf das L2Lexikon. Wie sich an zahlreichen Belegen nachweisen läßt, ist dies allerdings nicht der Fall. Im Unterschied zu Verben zeigen Adjektive in den meisten Formen des gesprochenen Irischen kaum noch grammatische Morphologie, jedoch klare syntaktische Verwendungsregeln. Bei der Übernahme englischer Adjektive werden in aller Regel die Vorgaben der irischen Syntax eingehalten. In prädikativer Verwendung ergibt sich ohnehin kein syntaktischer Konflikt, abgesehen von der Verbstellung: Muise mura raibh se sin chomh tough anois le aon sceal a chuala tu ariatnh! (RM1-01-15M) Na wenn das nicht so tough war wie alles was du jemals gehört hast! Nach tough an saol ata anois ann. (RM1-03-06M) Ist das Leben heute nicht tough? Agus öh muise gur üirt na pöilios go rabhadar
sorry. (RM2-10-04M)
Und, ach die Polizisten sagten, daß sie sorry wären.
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Irischen
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Adverbial: Ach, ni raibh mise ag obair steady ηά rud ar bith mar e. (RM3-08-1M) Aber ich habe nie steady gearbeitet oder irgendsowas.
Zu sorry ist festzustellen, daß es auch als Substantiv geläufig ist: Tä sorry orm anois nach bhfuil me in arm tuairisc ... (RM3-05-10M) Es tut mir leid, daß ich nicht berichten kann ..."
In attributiver Verwendung erscheinen auch importierte Adjektive rechts, nach den Regeln des Irischen: Scaddin, is ola lampa, coal tar, rudai rough. (RM2-12-05M) Heringe und Petroleum, coal tar, roughs Sachen.
Numeruskongruenz scheint nicht durchgeführt zu werden, wie auch weitgehend im Irischen. Ob in Ah bhi mnä Germans ann α Phädraig is ba mhör an spöirt iad! (CR5-28-02SD) Ah da waren deutsche Frauen, Pädraig, und die waren sehr lustig!
ein Adjektiv im Plural vorliegt, und zwar in engl. Morphologie, ist nicht klar. Die umgekehrte Anordnung zeigt allerdings folgender Beleg: Ach an real soitheach seoil an dtuigeann tu an full-rigged ship tä cheithre chrann (RM2-05-02M)
uirthi.
Aber das richtige Segelboot, verstehst du, das full-rigged ship, das hat vier Masten.
Ich gehe aber davon aus, daß hier das sekundäre Muster des Irischen zugrundeliegt (kompositionsartig), denn real entspricht semantisch ziemlich genau flor, das in dieser Bedeutung ja vorangestellt wird (= fiorshoitheach seoil). An dieser Stelle ist ein kurzer Blick auf Fragen der Komposition angebracht. Die Adjektivstellung in full-rigged ship erklärt sich offensichtlich als phrasaler Import, d.h. der Ausdruck wird als komplexes Lexem des Englischen aufgefaßt und ohne Übersetzung einer Teilkomponente und ohne syntaktische Umordnung verwendet. Dies ist der Normalfall bei sämtlichen Komposita (coal tar, septic tank, spark plug usw.); wenn die umgekehrte Anordnung vorliegt, also das Determinans rechts erscheint wie
16
Dieser morphologisch unmarkierte Klassenwechsel scheint,inneririsch' zu sein, es sei denn, man findet Belege für eine solche Verwendung im Hibemo-Englischen. Der Ausdruck scheint nach dem Modell des gleichbedeutenden tä brön orm gebildet zu sein (Hinweis von Aidan Doyle).
326
Arndt Wigger
im Irischen normal, handelt es sich um freie Nominalkomplexe, auch wenn sie nur aus nicht-adaptierten englischen Lexemen bestehen: bag plastic, jumper v-neck' 7 sind gleichwertig den .halbübersetzten' Versionen mala plastic, geansai v-neck Vgl. auch die Dublette electric blanket - pluid electricity18 Die Abgrenzung zwischen freien Nominalen und Komposita ist aufgrund identischer Oberflächengestalt bekanntlich generell problematisch. In Doyle 1996a werden aber einige syntaktische Kriterien für diese Abgrenzung vorgeschlagen, die sich auch als Test operationalisieren lassen. Wenn wir diese auf unsere interlinguale NPs anwenden, soweit die gegenläufige Attributstellung dies erlaubt, ergibt sich folgender Befund: Cä bhfuil an bag plastic? - An ceann plastic? Wo ist die Plastiktüte? - Die aus Plastik? Chonaic me an bag plastic. - Cen ceannl Ich habe die Plastiktüte gesehen. - Welche? Bag agus bosca plastic. Eine Tüte und eine Kiste aus Plastik. Bag maith plastic. Eine gute Plastiktüte. Dagegen: Cä bhfiiil an coal tar? - *An ceann coal? Wo ist der Kohlenteer? - Der aus Kohle? Chonaic me an coal tar. - *Cen ceannl Ich hab den Kohlenteer gesehen? - Welchen? *Coal agus wood tar. Kohlen- und Holzteer. Coal tar maith. / *Tar maith coal. Guter Kohlenteer. Somit erweist sich die eben geäußerte Vermutung, daß bag plastic kein Kompositum ist, als bestätigt. Aber zurück zum Adjektiv: Wenn -äilte, wie wir gesehen haben, nicht in der gleichen Weise als obligatorische Adj-Markierung eingestuft werden kann wie -äil für Verben, so ist doch immerhin zweierlei festzuhalten: (1) ist die Zahl der Adj des Typs smartäilte recht groß, und sie sind oft gut etabliert sowie semantisch z.T. spezialisiert. Von daher ist zu vermuten, daß englische Adjektive ohne diese Erweiterung in geringerem Maße integriert sind - ein Kriterium, das bei Verben nicht zur Verfügung steht, wo -äil eben obligatorisch ist. (2) ist eine regelmäßige Korrelation zwischen ώ'/fe-Bildungen und entsprechenden englischen Partizipialbildungen auf -ed festzustellen; es fällt auch auf, daß ed-Formen
17 18
0 Coigligh p. 215. loc.cit. - Aufgrund syntaktischer Beschränkungen für code-switching Möglichkeit *electric pluid, *plastic rndla.
entfällt aber die
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im irischsprachigen Kontext kaum auftreten. Insofern ist -äilte in einem Teil seiner Verwendungen eine Morphemsubstitution für -ed. Mar bhi se giftäilte an bhfuil a flios agat. Bhi an gift aige a mhac. (RM3-06-03M) Denn er war begabt, weißt du. Er hatte die Begabung, Mann. Bhi chuile dhuine mixäilte suasfaoi. (RM6-21-02Ma) Alle waren darüber im Unklaren. ... agus ndr raibh tu supposeät'/fg a labhairt air. (RM3-05-19M) ... und daß du darüber nicht sprechen solltest. Mit anderen Worten: Bei der Übernahme englischer Partizipien wird lediglich der Verbstamm direkt übernommen, das partizipiale Formans aber substituiert.
Vor
diesem Hintergrund läßt sich die Analyse der «(/-Formen teilweise revidieren bzw. erweitern, denn in der gleichen Weise entsprechen sich hier irisch -äil und englisch -ine, sofern die ά/7-Form als V N fungiert. Dazu paßt auch die weitere Beobachtung, daß englische Nomina auf -ing bei der Übernahme ins Irische ebenfalls die άί'Ζ-Endung erhalten, und zwar als Substitut für -ing: rigeäil
< rigging
soileäl
< ceiling
Schon in älteren Schichten des Lehnwortbestandes englischer H e r k u n f t haben sich interlinguale Korrelationen zwischen Suffixen (oder Wortauslauten) etabliert, die mit weitgehend regelmäßigen Substitutionen beim Entlehnungsprozeß einhergehen: -or > -dir:
governor >
-er > -ire:
jobber >
gobharnöir jabaire"
Diesen Entsprechungen sind sprecherseitig drei Operationen zuzuordnen: morphologische Analyse des englischen Wortes,
Reduktion auf das Stammelement
und
schließlich Substitution des Suffixes; das Verfahren findet bei einem Teil der ail(te)Bildungen erneut Anwendung. Aber man sollte diesen Prozeß nicht von vornherein als Indiz für Integration oder Assimilation auffassen, da er sich auch - wie vorhin gezeigt - bei spontanen Worteinblendungen aus dem L2-Lexikon abspielt.
3 Sprachbewußtsein und Sprecherurteile 3.1 Ich habe vorhin mehrfach so argumentiert, daß ein Hinweis auf die Zweitsprache seitens des Sprechers ausreicht, um ein in dieser Weise markiertes Element als dem L2-Lexikon angehörig zu betrachten, auch wenn es morphologische oder phonologische Adaptation aufweist (z.B. α/7-Suffix). Derartige Kennzeichnungen sind in der Literatur öfter als flags (flagged code-switch)
bezeichnet worden. Auf die Frage, was
die Sprecher zum Setzen solcher .Marken' hervorruft, kann ich hier nicht näher eingehen; zu bedenken ist auch, daß die spezifischen Verhältnisse in einer bilingualen
19
Nach Doyle 1996b p. 108.
Arndt Wigger
328
Gemeinschaft hier zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen führen, ebenso wie die situativen Bedingungen solcher Äußerungen. Für die hier untersuchten Sprecher gilt erstens, daß der Gebrauch des Irischen den des Englischen bei weitem dominiert, was sich allerdings nur in sehr geringem M a ß e auf die Schriftsprache bezieht. Zweitens wurde für die Aufnahmen ein besonderes Interesse an der irischen Alltagssprache gegeben, so daß sich die Gesprächsteilnehmer möglicherweise um einen etwas ,reineren' Sprachgebrauch bemühten als außerhalb solcher Aufnahmesituationen. Dadurch könnte man diesen Markierungen einen leicht entschuldigenden Charakter zuschreiben, insbesondere dann, wenn ein irisches Wort an der betreffenden Stelle für möglich gehalten wird, dem Sprecher aber nicht geläufig ist. Teilweise ist aber auch die Interpretation plausibel, daß mit der Verwendung eines englischen Ausdruckes eine gewisse Weitläufigkeit demonstriert wird, wie bei einem Sprecher, der lange in Amerika gelebt hat und gern davon berichtet; er neigt auch mehr als andere zu gelegentlichen längeren Umschaltpassagen. 2 0 Wenn flags den Namen der L2 enthalten (also hier Bearid) oder einen äquivalenten Hinweis auf bestimmte Sprecher und Sprechergruppen, sind sie in ihrer Funktion eindeutig. Ich nenne dies den primären Typ. Is ar ndöigh a mhaicin go deo nil a fiios ein reception mar adeir an Bearla a bhi acu rompu. (RM2-02-1M) Und natürlich, Junge, du weißt ja nicht, was für eine reception, wie man auf Englisch sagt, sie ihnen bereiteten. Phraseologisch teilübersetzt: Agus m 'anam, insan meantime mar adeir an Bearla, gur casadh muide than. (CR2-02-10PC) Und in der meantime, wie man auf Englisch sagt, drehten wir tatsächlich um. Globaler Bezug auf englischsprachige Personen (hier die Bewohner von Dublin): Niflieadfä a dhul amach i mBaile Atha Cliath an t-am sin aimsir curfew mar adeireadh siad fein. (CR1-14-12C) Du konntest damals in Dublin nicht rausgehen, als curfew war, wie sie selbst es nannten. Im folgenden Beleg gibt der Sprecher zugleich das Fehlen eines irischen Äquivalents zu erkennen, zumindest in seinem persönlichen Wortschatz:
20
In erster Linie sind markierte wie unmarkierte Einblendungen und Umschaltungen aber lediglich eine natürliche Konsequenz der Zweisprachigkeit. Auch wenn sich die Formen und Funktionen dieser Erscheinungen deutlich unterscheiden, sind sie doch universell verbreitet und im übrigen wertfrei zu untersuchen. Dies dürfte dem Konsens der gegenwärtigen Forschung zum code-switching entsprechen.
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Irischen
Agus bhi barüil go dtiocfaidis tobann ag tögäil an rud a dtugann muide fine i mBiarla air, ηό cen Ghaeilge
...
T: 0h is cuma sa miädh. Τά tu ceart go leor. (RM6-20-03Ma) Und es schien, als würden sie plötzlich kommen, um abzuholen, was wir auf Englisch fine nennen, oder wie heißt es auf Irisch ... T: Ach ist doch egal. Ist schon in Ordnung.
Sekundär sind demgegenüber Formeln wie mar α diarfä .sozusagen'. Dies ist eigentlich nur ein Hinweis auf uneigentlichen Sprachgebrauch; er wird aber besonders häufig zur Kennzeichnung englischer Redebestandteile eingefügt: Agus cailleadh suas le seventy-five people uirthi mar α dearfä.
(RM3-05-10M)
Und es starben an die seventy-five people darauf, sozusagen. Bhi me istigh agus bhi operation agam le haghaidh an 'phendix seo mar α dearfä agus bhi an fear seo as Ärainn fear ög istigh ann, sa ward ceanna mar a diarfa a raibh me. (CR2-0203PC) Ich war drin [sc. im Krankenhaus] und ich hatte eine operation am, also, 'pendix. und dieser junge Mann aus Aran war da drin, im selben, also, ward, wie ich.
Die Apokopierung bei (ap)pendix wird hier offenbar als Eigenschaft des englischen Wortes verstanden, denn sonst könnte das Wort nicht leniert sein; und daß es als englisches Wort präsentiert wird, verhindert nicht, daß es leniert wird - ebensowenig wie die Verwendung eines ά/7-Suffixes das Verb ,ent-anglisiert': Ach ar chaoi ar bith, b'iigin
dhom an comhluadar
a joinäil suas mar α dearfä.
(CR2-03-
33PC) Aber jedenfalls mußte ich die Gesellschaft, also, ioinen.
Als tertiären Typ kann man verschiedenartige prosodische Markierungen einstufen, besonders solche, die mit einer Verzögerung einhergehen. Selbstverständlich sind diese Erscheinungen in zahlreichen Fällen anders motiviert, aber prosodisch abgesetzte Worteinblendungen aus L2 sind doch auffallend häufig; manchmal kann man den Eindruck gewinnen, daß sich die für den Umschaltprozeß zusätzlich erforderliche Zeit hörbar manifestiert. Bhi ceann de na ... tä α fhios agat na banjos sin aige. [...] Τά α fhios agat fein na banioanna siüd mar α dearfä ... (CR7-13-01/02MG) Er hatte so ein, weißt du so ein Banjo. Du weißt ja, diese Banjos, also.
Aus der Perspektive des Sprachkontaktes kann man sagen, daß durch alle diese Markierungen die Nichtzugehörigkeit zum primären Ausdrucksinventar der Sprecher belegt wird, so daß sich im Grunde genommen die Integrationsfrage gar nicht stellt. Der folgende Beleg ist in etwas anderer Weise zu werten: Nuair a bheadh sin deanta,
lootäilff an pota.
'Sin sort ainm a thugadh muid air,
bhiodh
cineäl beag Biarla ag baint leis ach ni raibh aon aird air nuair α bheadh rud le dianamh
ach
Arndt Wigger
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an obair α dheanamh. Ba chuma ceard ί an teanga α üsäidfi, ach go dtuigfeadh na daoine a cheile. (CR1-03-13M) Wenn das getan war, wurde der Topf gelootet. So nannten wir das, ein bißchen Englisch gehörte dazu, aber darauf achtete man nicht, wenn es nur darauf ankam, die Arbeit zu tun. Es war egal, welche Sprache man benutzte, solange die Leute einander verstanden. Da der Sprecher hier eine globale Aussage über die sprachliche Zugehörigkeit eines lexikalischen und darüber hinaus kommunikativen Teilbereichs macht - es geht um Schnapsbrennterminologie - kann man nicht von flagged code-switch
im üblichen
Sinne sprechen. Dennoch werden in diesem Kontext auftretende Lexeme als .englisch' markiert. So gibt uns der Sprecher an dieser Stelle einen indirekten Hinweis für die Deutung des Verbs lootäil bzw. das N o m e n lootin'. das ohne diesen Hinweis nicht leicht zu identifizieren bzw. zu verschriften wäre. Natürlich kann sich der Sprecher mit dieser Zuschreibung irren; wenn ihm aber - und das ist hier zu unterstellen - die betreffenden Termini auch aus englischsprachiger Konversation geläufig sind, liegt mehr als eine bloße Volksetymologie vor. 3.2 Interlinguale Zuordnungen seitens der Sprecher treten auch in der F o r m auf, daß Übersetzungsmöglichkeiten expliziert werden. A m häufigsten ist ein monologisches Synonymreihungsverfahren, wobei einem zunächst gewählten Lexem mit L2-Zugehörigkeit ein Äquivalent aus L I angefügt wird, oft mit ηό ,oder = vei
verbunden:
Bhi an sentence ηό an breitheamh [sie] tugtha ort ar an bpointe. (CR7-05-02PD) Der sentence oder das Urteil wurde sofort über dich gesprochen. Täfear a dtugann siad sail maker air, fear deanta seolta. (CR1-13-0M) Es gibt einen Mann, den man sailmaker nennt, ein Segelmacher. Auch die umgekehrte Reihenfolge kommt gelegentlich vor: Ach, ag iarthrä mhara a bhuail an soitheach seoil seo an charraig seo, ar iarthrä 'sin mar a dearß low tide. (RM1-01-14M) Aber bei Ebbe rammte das Segelboot diesen Felsen, bei Ebbe, das heißt, also, low tide. Formulierungen dieser Art werden besonders oft für
Übersetzungsäquivalenzen
verwendet; im nativen irischen Sprachgebrauch finden sie sich nur vereinzelt. Natürlich ist hier auch eine Deutung als .puristische Selbstkorrektur' möglich (i.S: .oder besser: ...'); in j e d e m Fall manifestiert sich auch hier die bilinguale Kompetenz, und der analysierende Linguist erhält so Hinweise auf die Zugehörigkeit sprachlicher Elemente, jedenfalls aus der Sicht des Urhebers der Äußerung. Ein nicht ausgeführter Übersetzungsversuch: 'Seard a bhi istigh ann, äit a raibh öl dhd dheanamh mar adeir siad /ein, brewery ηό ρέ ar bith ein Gaeilge a thabharfas tu air. (RM4-06-03Mi) Darin war ein Platz, wo man trank, brewery oder wie auch immer man das auf Irisch nennt.
Sprachkontakterscheinungen
im gesprochenen
Irischen
331
Solche Äquivalenzpaare können auch mit einem flag kombiniert auftreten: Ceann cruinn, rabhnäilte, mar a dearfä. (RM5-16-09T) Ein runder, round, sozusagen.
Belege dieser Art können auch einen diagnostischen Wert für die Bestimmung des Integrationsgrades haben: rabhnäilte ist hier als Fremdlexem markiert, obwohl es mittlerweile als etablierte Entlehnung aufgefaßt wird, wie die Orthographie zeigt. Wortübersetzungen treten auch in dialogischen Formen auf, wobei ebenfalls die Reihenfolge Englisch - Irisch dominiert. Μ: Τά se baräilte ort. - Τ: Τά cineäl. - S: Τά tu coiscithe. (RM3-05-19) M: Es ist für dich gebart. - T: Ja, irgendwie schon. - S: Du bist ausgeschlossen. M: Anois, go raibh si ag imeacht anois mar sin, agus ag driftäi/ ... T: Dhä caitheamh anonn is anall. (RM1-05-14T) M: Also, daß es so weiterfuhr und driftete ... T: ... hin- und hergeworfen wurde.
Auch hierin ist eine Art der Korrektur zu sehen: Der Dialogpartner bestätigt zwar eigentlich nur einen Teil des vorangegangenen Redebeitrags, indem er ein thematisch relevantes Lexem wiederholt; indem er es aber zugleich übersetzt, schlägt er eine Alternative vor, die den präferierten Code signalisiert. In Dialogphasen können sich Prozesse des lexikalischen Lernens manifestieren, die auch Elemente des englischen Wortschatzes betreffen können. In diesem Ausschnitt wird keine Übersetzung gegeben, sondern eine partielle Worterklärung (slimming > caolü): MG: An bhfuil α fliios agat bhl na daoine fadö ann ach ni raibh siad ag fäil... ni raibh na ... ein t-ainm a thugann siad orthu sin ar chorarbith, na slimmin' tablets lsl'...l sin ag imeacht chor ar bith. PD: Sl... Ceti t-ainm a thug tu air? MG: Slimmin' tablets no ainm iigin mar sin sttim atä orthu. Bionn siad in ann iad fiin a chaolü. PD: Oh. MG: Ni fhaca mise nä thusa ceachtar acu siüd ag corrai ariamh buiochas le Dia, mar bhl muidsäch slimäilte / s T . . . / . (CR7-08-08MG) MG: Weißt du, die Leute früher kriegten keine ... es gab keine ... wie heißen die eigentlich, überhaupt keine slimmin' tablets. PD: Sl... Wie hast du das genannt? MG: Slimmin' tablets oder irgendwie so heißen die. Die können sie schlank machen. PD: Oh. MG: Du oder ich haben keine von beiden sich regen sehen, denn wir waren ziemlich slim.
Arndt Wigger
332
M a n beachte hier die ironisierende Spontanbildung slimäilte (statt caol oder tanai),
die
das soeben im Kompositum eingeführte englische Lexem slim aufgreift und zwei gegensätzliche Bewertungen von Schlankheit kulturkritisch kontrastiert. 21 Aus
solchen
Anfängen heraus
können
komplexere
Reflexionsprozesse
und
schließlich Diskussionen über Wortäquivalenzen entstehen, besonders natürlich im Fall gelegentlicher Unsicherheit. Dies sind Momente, in denen wir Einblick in das Sprachnormbewußtsein der Sprecher nehmen können. Das ist nur selten möglich, denn unter Personen, die einander kennen und über einen voll internalisierten gemeinsamen Code verfügen, der trotz erheblicher Variation kaum erkennbare soziolinguistische Differenzierungen aufweist, ist die Sicherheit und Routine im Sprachgebrauch in spontanen Alltagsgesprächen sehr hoch. Sie leben zwar räumlich und soziologisch weit entfernt von den sprachpolitisch bewußten und aktiven irischsprachigen Zirkeln und Institutionen, haben aber doch ein mehr oder weniger vages Bewußtsein hinsichtlich der ihnen als Gaeltachtbewohnern zugedachten Rolle bei der Rehabilitierung und beim Ausbau ihrer Sprache. PC: Anois agus chonaic me istigh insna häiteacha seo ... cen t-ainm a thugann siad ar an museum α Phädraig ? Ρ: Oh diabhal a ßios nil α ßios
agam, iarsmalann no diabhal eigin atä i nGaeilge airfeicthear
dhom,
agam ό Dhia. Is cuma.
PC: Bhoil ni dhearfainn go raibh aon Ghaeilge air. CB: Cen t-ainm Gaeilge a thug tu air α Phädraig? PC: An t-iars... P: Nil α ßios
agam ...
CB: Oh tä α ßios. PC: Ni dhearfainn go raibh aon Ghaeilge acu san äit sin. P: Iarsmalann feicthear dhom a tugadh i leabhar eigin air. (CR4-08-09/10) PC: Na und ich habe gesehen in diesen ... wie nennt man museum. Pädraig? P: Ach keine Ahnung, iarsmalann oder irgendsowas heißt das auf Irisch, glaub ich, aber ich hab keine Ahnung. Egal. PC: Also ich glaub, es gibt keinen irischen Namen dafür. CB: Wie hast du's nochmal auf Irisch genannt, Pädraig? PC: Iars... P: Ich weiß es nicht... CB: Doch! PC: Ich glaube nicht, daß die da Irisch sprachen. P: Iarsmalann meine ich hieß das in irgendeinem Buch. (CR4-08-09/10)
Was hier geschieht, läßt sich etwa so beschreiben: Der Sprecher erkennt museum als englisches Wort, sucht und fragt nach einem irischen Äquivalent. Ein zögernder
21
Dabei wird übrigens ein phonologischer Adaptationsschritt vollzogen: slimming /sl/, aber slimäilte / s T / , dennoch wird dieses Adjektiv nicht als natives verwendet, worauf ja gerade die Pointe beruht.
Sprachkontakterscheinungen
im gesprochenen Irischen
333
Vorschlag wird zögernd angenommen, offenbar also ein lexikalischer Lernprozeß. Dieser Prozeß wird jedoch durch Vorbehalte gegenüber amtlicher Terminologie gebremst, d.h. das neuerworbene iarsmalann,
das Sprecher Ρ zwar kennt, aber nicht
verwendet, wird somit auch für die Gesprächspartner einem
Sonderwortschatz
zugewiesen. Es ist zu vermuten, daß auch nach diesem Lernschritt weiterhin museum als bevorzugte Bezeichnung verwendet wird. Konversationelle Abläufe dieser Art erlauben Einblicke in die Einstellung dieser Menschen zu den beiden Sprachen, über die sie verfugen. Diese Dinge genauer empirisch zu untersuchen, halte ich für eine wichtige Aufgabe, zumal sie mittlerweile auch schon fast ins Museum gehören.
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