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German Pages 405 [408] Year 1993
B U C H R E I H E DER ZEITSCHRIFT FÜR CELTISCHE
PHILOLOGIE
HERAUSGEGEBEN VON H E I N R I C H W A G N E R t U N D KARL H O R S T S C H M I D T
Band ι ι
AKTEN DES ERSTEN SYMPOSIUMS DEUTSCHSPRACHIGER KELTOLOGEN (Gosen bei Berlin, 8.-10. April 1992) Herausgegeben von Martin Rockel und Stefan Zimmer
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1993
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Symposium deutschsprachiger Keltologen : Akten des Ersten Symposiums deutschsprachiger Keltologen : (Gosen bei Berlin, 8. - 10. April 1992) / Hrsg. von Martin Rockel und Stefan Zimmer. - Tübingen : Niemeyer, 1993 (Buchreihe der Zeitschrift für celtische Philologie; Bd. 11 ) NE: Rockel, Martin [Hrsg.]; HST; Zeitschrift für celtische Philologie / Buchreihe ISBN 3-484-42911-9
ISSN 0931 -4261
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1993 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck und Einband: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeber Adressen der Autoren
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K.H. SCHMIDT, Stand und Aufgaben der deutschsprachigen Keltologie 1 P. DE BERNARDO-STEMPEL, Probleme der relativen Chronologie: nochmals zu idg. *ö im Keltischen 37 G. BRODERICK, Sprachkontakt und Sprachgeschichte der Insel Man im Rahmen ihrer Ortsnamen . . . . 57 J. CORTHALS, Zur Funktion der frühirischen Prosasagen 67 D. EDEL, Die Táin Bó Cúailgne zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit: Prolegomena zu einer Geschichte ihrer Entwicklung 83 G. HEMPRICH, "Cia ainm cach dunta... " - Zum dúnad in der frühen irischen Dichtung 101 I. HUGHES, Die drei Zweige des Mabinogi 121 E. JUNG, Keltisch und Germanisch in chronologischer Sicht 133 R. KÖDDERITZSCH, Keltisch und Thrakisch
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I. LUCHT, Doppelte Markierung des Akkusativs beim Transitivum im Altirischen 159 M. NÍ MHAONAIGH, Einige Bemerkungen zu den Verbalstammbildungen in Cogad Gáedel re Gallaib 161 M. NÍ ÚRDAIL, Cath Chluarui Tarbh 183 Β. O CATHÁIN, Drei Neuerungen im Irischen von Inis Oirr, Co. Galway 199 H. PlLCH, Bretonisch-englische Lehnbeziehungen 209 E. POPPE, Vorüberlegungen zu einer Interpretation von Voranstellungen im Alt-/Mittelirischen . . . . 229 M. ROCKEL, Die irischsprachigen Schallplatten im Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin . . 241 B. ROSS, Anthony Bruodins Propugnaculum Veritatis: Ein Beispiel für den Umgang mit nationaler und kultureller Identität im 17. Jahrhundert . 251
vi J. SCHMIDT, ZU einer Neuausgabe des Annalenfragments in der Hs. Rawl. Β 502 (sog. Tigernach-Annalen, erstes Fragment) 267 B. SCHULZE-THULIN, Zur Frage altnordischer Lehnwörter im Kymrischen 287 E. TERNES, Italo-Keltisch heute: typologische Gemeinsamkeiten der keltischen und romanischen Sprachen 301 ST. TRANTER, Arbeitsbericht zur Monographie Clavis metrica: Háttatal, Háttafykill und die mittelirischen Verslehren 317 D. TRATNIK, Variationen im Vokabular schottischgälischer und irisch-gälischer Dialekte, illustriert an Vogel-, Pflanzen- und Insektennamen 319 H. TRISTRAM, Zwiebeln und Wörter: Zum Sprachkontakt über den Ärmelkanal 331 J. UHLICH, Die Reflexe der keltischen Suffixvarianten *-io- vs. *-iio- im Altirischen 353 A. WIGGER, Stand und Aufgaben der irischen Dialektologie 371 ST. ZIMMER, Das Projekt eines keltischen Namenbuches385
Vorwort
Sofort nach der 'Wende' haben wir begonnen, unsere wissenschaftlichen Kontakte zu intensivieren und unsere Bemühungen zu koordinieren, der Keltischen Philologie endlich wieder einen angemessen verankerten Platz an einer Berliner Universität zu verschaffen. In diesem Zusammenhang haben wir die Anregung von Frau Prof. Dr. Hildegard Tristram, Freiburg i.Br., gerne aufgegriffen, ein Symposium zu organisieren, auf dem sich alle in Deutschland und seinen Nachbarländern auf keltologischem Gebiet tätigen Wissenschaftler treffen und sich über ihre vielfältigen Unternehmungen austauschen könnten. Wir hofften auch, auf diese Weise einen Überblick über die jüngere und jüngste Generation deutschsprachiger Keltologen zu erhalten und dem wissenschaftlichen Nachwuchs Gelegenheit zur Vorstellung in einem weiteren Kollegenkreis zu geben. Dank der Bereitschaft der zuständigen Universitätsgremien konnte das Symposium vom 8. bis 10.4.1992 im Konferenzzentrum der Humboldt-Universität in Gosen bei Berlin stattfinden. Obwohl einige geschätzte Kollegen leider nicht anwesend sein konnten, war der Zuspruch, auch von irischen und walisischen Kollegen und von seiten der Jüngeren, höchst erfreulich. Die Veranstaltung stieß auf große Zustimmung; es wurden bereits Pläne für eine Wiederholung geschmiedet. Wir würden das erfolgreiche Symposium gerne als gutes Omen für das Wiederaufleben der alten Berliner keltologischen Tradition nehmen! Wir danken allen Teilnehmern für die gute Stimmung in Gosen, besonders allen Referenten, und v.a. denjenigen, die ihr Ms. zeitig und in der erbetenen Form eingereicht haben. Herr Prof. Pilch, der verhindert war, hat uns freundlicherweise seinen Beitrag zur Aufnahme in den Sammelband zur Verfügung gestellt. Wäre es uns gelungen, auch von den Herren Bammesberger, Birkhan, Eichner und Meid einen Beitrag zu erhalten, könnte dieser Band als nahezu vollständige Dokumentation der gegenwärtigen deutschsprachigen Keltologie gelten. Wir hoffen, daß er immerhin als repräsentativ durch-
vili gehen kann. Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgehen, wie zersplittert - persönlich wie organisatorisch - die Keltologie derzeit hierzulande (noch?) ist; die beiden Zentren in Bonn und Freiburg i.Br. bilden die rühmliche Ausnahme und zeigen in den Beiträgen ihrer Mitglieder ganz deutlich ihre jeweilige Ausprägung. Möge der Band auch den Hochschulpolitikern erkenntlich machen, daß hier ein aktiver Stamm von Wissenschaftlern bereit steht, dem seit 50 Jahren in Berlin sträflich vernachlässigten Fach endlich wieder den ihm angemessenen Platz im Kreise der philologisch-historischen Fächer zu erringen! Manuskript und Druckvorlage wurden auf einer Computeranlage der Freien Universität Berlin erstellt. St. Z. möchte auch an dieser Stelle Frau Dr. A. Hintze für Beratung in Fragen von hardware & software sowie Herrn cand. phil. C. Motschmann für Mithilfe beim Schreiben der nicht in für uns maschinenlesbarer Form eingereichten Manuskripte danken. Wir danken der Humboldt-Universität für Übernahme von Portokosten, die Bereitstellung der Räumlichkeiten und die Gewährung eines Druckkostenzuschusses; ebenso dem British Council Berlin für einen Zuschuß zu den Kosten der Publikation; Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. K.H. Schmidt, Bonn, für seine Bereitschaft, das Einleitungsreferat zu übernehmen und die Akten des Symposiums dem Verlag zur Aufnahme in die Schriftenreihe der von ihm herausgegebenen Zeitschrift für celtische Philologie vorzuschlagen; Herrn R. Harsch-Niemeyer für die Übernahme der Publikation in seinen traditionsreichen Verlag, der bereits seit 1897 die Zeitschrift für celtische Philologie publiziert.
Berlin, im Oktober 1992
MARTIN ROCKEL
S T E F A N ZIMMER
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Adressen der Autoren: Dr. Patrizia de Bernardo Stempel, Wachsbleiche 10-12, 5300 Bonn 1 Dr. George Broderick, Manx Place-Name Survey, 13 Rheast Mooar Close, Ramsey, Isle of Man Prof. Dr. Johann Corthals, Lichte Querstraße 20, 2400 Lübeck Prof. Dr. Doris R. Edel, Universiteit Utrecht, Vakgroep Duitse en Angelsaksische Taalgebieden, Afd. Keltische taal- en letterkunde, Drift 13, NL - 3512 BR Utrecht Gisbert Hemprich, M.A., Englisches Seminar / Keltologie der Albert-Ludwigs-Universität, Rempartstr. 15, 7800 Freiburg i.Br. Dr. Ian Hughes, Adran y Gymraeg, Coleg Prifysgol Cymru, Aberystwyth, Dyfed SY23 2AX, Cymru Edmond Jung, 3, rue Belle-Vue / Ostergasse, F-67350 Engwiller Dr. Rolf Ködderitzsch, M.A., Sprachwissenschaftliches Institut der Universität Bonn, An der Schloßkirche 2, 5300 Bonn 1 Ina Lucht, M.A., Sprachwissenschaftliches Institut der Universität Bonn, An der Schloßkirche 2, 5300 Bonn 1 Máire Ni Mhaonaigh, M.A., University College, Roinn na Gaeilge, Aras na Laoi, Corcaigh, Eire Meidhbhín Ni Urdail, M.A., Englisches Seminar der AlbertLudwigs-Universität, Rempartstr. 15, 7800 Freiburg i.Br. Brian O Catháin, M.phiL, Department of Modern Irish, University College, Dublin 4, Ireland Prof. Dr. Dr.h.c. Herbert Pilch, Englisches Seminar, AlbertLudwigs-Universität Freiburg, Rempartstr. 15, 7800 Freiburg i.Br. Dr. Erich Poppe, Department of Anglo-Saxon, Norse & Celtic, University of Cambridge, 9 West Road, Cambridge CB3 9DP, England Doz. Dr. sc. Martin Rockel, Humboldt-Universität zu Berlin, Fachbereich Fremdsprachliche Philologien, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Wissenschaftsgebiet Keltologie, Unter den Linden 9-11, 1086 Berlin
χ Dr. Bianca Ross, Institut für Anglistik, Philipps-Universität Marburg, Wilhelm-Röpke-Str. 6D, 3550 Marburg a.d.L. ' Prof. Dr. Dr.h.c. Karl Horst Schmidt, Sprachwissenschaftliches Institut, An der Schloßkirche 2, 5300 Bonn 1 Dr. Jürgen Schmidt, Rotkamp 29, 3002 Wedemark BrittaSchulze-Thulin, M.A., Sprachwissenschaftliches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität, Wertmannplatz 3, 7800 Freiburg i.Br. Prof. Dr. Elmar Ternes, Phonetisches Institut der Universität Hamburg, Bogenallee 11, 2000 Hamburg 13 Dr. Stephen N. Tranter, Englisches Seminar, Albert-LudwigsUniversität Freiburg, Rempartstr. 15, 7800 Freiburg i.Br. Dorothee Tratnik, M.A., University College, Roinn na Gaeilge, Aras na Laoi, Corcaigh, Eire Prof. Dr. Hildegard L.C. Tristram, Englisches Seminar, AlbertLudwigs-Universität Freiburg, Rempartstr. 15, 7800 Freiburg i.Br. Dr. Jürgen Uhlich, Sprachwissenschaftliches Institut, An der Schloßkirche 2, 5300 Bonn 1 Dr. Arndt Wigger, Bergische Universität Gesamthochschule Wuppertal, Sprach- und Literaturwissenschaften, Postfach 10 01 27, 5600 Wuppertal 1 Priv.-Doz. Dr. Stefan Zimmer, Freie Universität Berlin, Seminar für Vergleichende und Indogermanische Sprachwissenschaft, Fabeckstr. 7, 1000 Berlin 33; und Jesus College, Oxford OX1 3DW, England
Karl Horst Schmidt, Bonn
STAND UND AUFGABEN DER DEUTSCHSPRACHIGEN KELTOLOGIE Gestatten Sie mir bitte, eine kurze Würdigung des genius loci an den Anfang meines Referates zu stellen. Nach der endlich vollzogenen Wiedervereinigung Deutschlands scheint es nicht überflüssig zu sein, auf die große Bedeutung der alten Friedrich-Wilhelms-Universität für keltische Studien hinzuweisen. An dieser Universität, die heute den Namen ihres Gründers Humboldt führt, wurde der erste und neben dem persönlichen Ordinariat von Rudolf Hertz (1897-1965) in Bonn auch einzige deutsche Lehrstuhl für Keltologie als einer von Vergleichender oder Allgemeiner Sprachwissenschaft unabhängigen Disziplin geschaffen 1 und von drei Gelehrten von Weltrang Heinrich Zimmer (1851-1910), Kuno Meyer (1858-1919) und Julius Pokorny (1887-1970) - zu einem internationalen Zentrum der Keltenforschung ausgebaut. Es gehört zu dem traurigen Erbe der letzten sechzig Jahre deutscher Geschichte, daß dieser 1937 von Ludwig Mühlhausen (1888-1956) übernommene Lehrstuhl 1945 verlorenging und bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht wieder eingerichtet werden konnte. Mein T h e m a - Stand und Aufgaben der deutschsprachigen Keltologie - ist weder neu noch unproblematisch. Die ältere Periode deutschsprachiger Keltenforschung hat Victor Tourneur in seine Esquisse d'une histoire des études celtiques (Liège 1905) integriert, gefolgt von Thurneysen, der 1916 im Grundriß der indogermanischen Sprach- und Altertumskunde (vgl. Thurneysen 1991,11: 241-265) und 1930 in einem Artikel Why do Germans study Celtic Philology? (vgl. Thurneysen 1991,11: 272-284) den state-of-the-art beschreibt. Weitere Berichte wurden später von Helmut Bauersfeld 1937 und
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St. Zimmer weist hin auf Mühlhausens Tätigkeit als Honorarprofessor in Hamburg ab 1928 (vgl. Mühlhausen 1988: 146); unpräzise Tristram 1990b: 31, die dazu feststellt: "neben Berlin die einzige andere Professur für Keltologie, die es in Deutschland gegeben hat".
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Karl Horst Schmidt
unlängst von Hildegard L. C. Tristram 1986 und 1990b und Seán O Lúing 1993 vorgelegt. Bei den gegenwärtigen Aktivitäten zur Historiographie der deutschsprachigen Keltenforschung muß zwischen vier unterschiedlichen Zielsetzungen differenziert werden: 1. Nachdrucke oder Neuauflagen von Werken, die - wie Pedersens Vergleichende Grammatik, Thurneysens Heldenund Königsage, Mühlhausens Vier Zweige des Mabinogi oder in eingeschränktem Maße auch der von W. Stokes und A. Bezzenberger zusammengestellte Wortschatz der keltischen Spracheinheit, ursprünglich als Teil 2 von August Ficks Vergleichendem Wörterbuch der indogermanischen Sprachen veröffentlicht, auch heute noch als Arbeitsmittel unverzichtbar sind, bei denen demnach der historiographische Wert gegenüber dem aktuellen Nutzen deutlich zurücktritt. Indirekt in diesen Rahmen gehört auch Thurneysens Handbuch des AltIrischen, dem nach seiner 1946 erfolgten englischen 'up-todate edition' durch Binchy und Bergin eine ganze Reihe von Reprints beschieden waren und voraussichtlich auch weiterhin beschieden sein werden. 2. Ähnlich zu werten ist die Veröffentlichung Kleiner Schriften. Nach der Publikation von Leo Weisgerbers Rhenania Germano-Celtica durch J. Knobloch und R. Schützeichel 1969 erfolgte unlängst die Herausgabe von Rudolf Thurneysens Gesammelten Schriften I.II, durch P. de Bernardo Stempel und R. Ködderitzsch (vgl. auch Heiermeier 1942). Eine diesen wichtigen Arbeitsinstrumenten oder dem Choix d'études linguistiques et celtiques par J. Vendryes (1952) vergleichbare Bearbeitung Kleiner Schriften zum Keltischen von so bedeutenden Gelehrten wie Windisch, Meyer, Pedersen oder Pokorny bleibt noch zu leisten; die Veröffentlichung von Pedersens Kleinen Schriften zum Armenischen 1982 sollte bald von einer analogen Zusammenstellung seiner keltologischen Arbeiten gefolgt werden. 3. Studien zu Biographie und Werk deutschsprachiger Keltologen. Aus jüngster Zeit zu nennen sind hier u.a. die Arbeiten von Hans Hablitzel über Zeuß (1987; 1989) und von Seán O Lúing über Kuno Meyer (1991), ferner die von Bernhard Forssman herausgegebenen Beiträge zur Erlanger Ge-
Stand und Aufgaben
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denkfeier für Johann Kaspar Zeuß (1989) und P. de Bernardo Stempels Studie Rudolf Thurneysen und sein sprachwissenschaftliches Werk (1993).2 4. Festschriften und Nachrufe: Während der letzten 25 Jahre wurden m. W. nur zwei die Keltologie einschließende Festschriften für deutschsprachige Gelehrte veröffentlicht, die J. Pokorny gewidmeten Beiträge zur Indogermanistik und Keltologie (vgl. Meid 1967) und die Indogermanica Europaea genannte Festschrift W. Meid (vgl. Heller et al. 1989). Indirekt in diesen Kontext gehört die Festschrift G. S. Mac Eoin mit dem Titel Deutsche, Kelten und Iren. 150 Jahre deutsche Keltologie, deren Beiträge, dem Zeitgeist zuwiderlaufend, ausnahmslos auf Deutsch verfaßt oder ins Deutsche übersetzt worden sind (vgl. Tristram 1990a). Die 1942-1971 veröffentlichten Nachrufe auf deutschsprachige Keltologen - R. Hertz, J. Pokorny, R. Thurneysen (1857-1940) - wurden von R. Baumgarten zusammen mit den Nekrologen auf H. Pedersen (1867-1953) in die Bibliography of Irish Linguistics and Literature 1942-71 (Dublin 1986) aufgenommen. Leider muß diese Liste inzwischen durch die Nachrufe auf den Züricher Heinrich Wagner (1923-1988) ergänzt werden.3 Die Thematik meines Vortrags, auf die ich nunmehr zu sprechen komme, bedarf der zweifachen Kommentierung: (a) Verhältnis von Stand zu Aufgaben; (b) Verhältnis von deutschsprachig zu deutsch. (a) Das Kontrastpaar Stand : Aufgaben impliziert jeweilig sowohl organisatorische, wissenschaftspolitische Aktivitäten als auch wissenschaftliche Forschungsergebnisse bzw. - auf die Zukunft, d.h. den Aufgabenbereich, bezogen - wissenschaftliche Desiderata. Lassen Sie mich zunächst in der gebotenen Kürze auf den wissenschaftspolitischen, organisatorischen Bereich zu sprechen kommen. Die wichtigsten organisatori-
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Vgl. außerdem Schmidt 1986; St. Zimmer, in: Mühlhausen 1925/1988: 145-151. 3 Vgl. NSCS 2 (1988) 10-11 (M. McKenna), Celtica 20 (1988) 233-234 (Β. Ó Cuív), CSANAN 8/1 (1989) 12-13 (E. P. Hamp), EC 26 (1989) 215-217 (S. Mac Mathúna), ZCP 43 (1989) 226-229 (Κ. H. Schmidt).
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Karl Horst Schmidt
sehen Leistungen der Vergangenheit sind zweifellos zum einen im Jahre 1897 die Gründung der Zeitschrift für Celtische Philologie (ZCP), die nun bald 100 Jahre im Verlag Max Niemeyer (Halle an der Saale; ab Bd.24, 1953 Tübingen) erscheint, durch Kuno Meyer und Ludwig Christian Stern (1846-1911), zum andern die eingangs erwähnte Einrichtung des ersten deutschen Lehrstuhls für Keltische Philologie im Jahre 1901, eine Professur, die zunächst eigens für Heinrich Zimmer geschaffen worden war (Schulze 1911 = 1966: 38). Was die Gründung der ZCP 25 Jahre nach der RC angeht, so nehmen ihre ersten beiden Herausgeber unter den deutschsprachigen Keltologen eine markierte, unverwechselbare Position ein: Stern hatte Ägyptologie studiert und war ab 1886 als Bibliothekar (1905 als Direktor der Handschriftenabteilung) an der Königlichen Bibliothek in Berlin beschäftigt; erst Ende der 80er Jahre wandte er sich, angeregt durch die Ossianische Frage (Meyer, ZCP 8: 585), der Keltologie zu, um in diesem Fach durch die Bearbeitung von Handschriften - darunter die photographische Ausgabe der Würzburger Glossen (Halle 1910) - Bedeutendes zu leisten.4 Kuno Meyer war nicht nur ein Gelehrter von höchstem Rang sondern auch ein bedeutender Wissenschaftsmanager. Seine wichtigsten Erfolge in der Wissenschaftsorganisation sind die Gründung der Zeitschriften ZCP und Eriu sowie grundlegende Beiträge zur Bearbeitung der irischen Lexikographie.5 Meyers am 14. Mai 1903 vor der Gaelic League gehaltenem Vortrag über The necessity of establishing a School of Irish Literature, Philology and History folgte die Eröffnung der School of Irish Learning (Sgoil Ard-Leighinn 4
Vgl. den Nachruf von Kuno Meyer, ZCP 8 (1912) 583-587. ZCP 1-12 (Halle a. S. 1897-1918) [1-7 zus. mit L. Chr. Stern]; Ériu: The Journal of the School of Irish Learning 1-7 (Dublin 1904-1914) [1-3 zus. mit J. Strachan, 4 zus. mit O. J. Bergin, 5-6 zus. mit C. Marstrander, 7 zus. mit R. I. Best]; Archiv für celtische Lexikographie 1-3 (Halle a. S. 1900-1907) [zus. mit Wh. Stokes]; Contributions to Irish Lexicography Vol.1, part 1. Α-C, Vol.1, part 2. D-DNO [Halle a. S. - London 1906]; Anecdota from Irish Manuscripts 1-5 (Halle a. S. - Dublin 1907;1913) [zus. mit Bergin, Best, O' Keeffe], 5
Stand und Aufgaben
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na Gaedhilge) im Juli des gleichen Jahres - mit Kuno Meyer als Direktor, R. I. Best als Sekretär und J. G. O'Keeffe als Schatzmeister. Zu den Governors des Unternehmens gehörten u.a. Douglas Hyde, John MacNeill, Whitley Stokes und John Strachan.6 Lassen Sie mich jetzt kurz auf die wissenschaftspolitischen und organisatorischen Aufgaben der Zukunft zu sprechen kommen. Als vordringliches Ziel angestrebt werden sollte die Rückgewinnung der verlorengegangenen Lehrstühle für Keltische Philologie in Berlin und Bonn. Die Notwendigkeit dazu ergibt sich nicht nur aus der großen Tradition deutschsprachiger und deutscher Keltologie. In einem zusammenwachsenden Europa mit Irland als keltischem Staat und Großbritannien und Frankreich als Partnern mit bedeutenden keltischen Minderheiten stellt die stärkere Institutionalisierung der Erforschung und Pflege keltischer Sprache und Kultur eine unverzichtbare Reform dar, zumal es nach Antike und Christentum die Kelten waren, die durch ihre bedeutende Vergangenheit in frühgeschichtlicher, antiker und frühmittelalterlicher Zeit entscheidende Weichen für die kulturelle Entwicklung Mittelund Westeuropas gestellt haben und einen festen Bestandteil der Frühgeschichte von West- und Süddeutschland bilden. Über diese Primäranliegen hinausgehende Zukunftsaufgaben orientieren sich global an der wachsenden Tendenz zu internationalen und/oder interdisziplinären Aktivitäten, die ich durch einige Beispiele aus jüngster Vergangenheit erläutern möchte. Deutschsprachige Universitäten sind gegenwärtig an dem von G. S. Mac Eoin (Galway) geleiteten keltologischen Erasmus-Programm zum Austausch von Dozenten und Studenten beteiligt. - 1981-1984 erfolgte unter deutscher, österreichischer und Schweizer Beteiligung die von der irischen Unesco-Kommission angeregte Etablierung des Project for the Study and Promotion of Celtic Cultures, das als Unesco-Projekt von einem International Committee for the Study of Celtic Cultures (wiederum unter deutscher und österreichi-
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Vgl. Ó Lúing 1991: 26-34; Tristram 1990b: 24-27.
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scher Beteiligung) geleitet wird.7 Im Rahmen dieses Projektes fand 1982 in Bonn eine internationale Konferenz über Geschichte und Kultur der Kelten statt, deren Ergebnisse 1986 veröffentlicht wurden (vgl. Schmidt 1986a). - Ein sehr aktives österreichisches Zentrum für die Organisation keltischer Studien ist die von Wolfgang Meid geleitete Keltische Kommission der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Ein gewichtiger österreichischer Beitrag wird seit 196728 auch durch die kontinuierliche Aufnahme keltischer Titel in die Indogermanische Chronik (IC) geleistet. Die IC ist ein regelmäßiger Bestandteil der Zeitschrift Die Sprache, die im Auftrage der Wiener Sprachgesellschaft herausgegeben wird. Für die keltischen Neuerscheinungen ist gegenwärtig Alfred Bammesberger (Eichstätt) zuständig, während das keltische Material in der Bibliographie linguistique, dem bibliographischen Publikationsorgan des Comité international permanent des linguistes, seit 1986 von Rolf Ködderitzsch (Bonn) bearbeitet wird. Internationale Kongresse wurden von dem Europa-Zentrum in Tübingen und von der Universität Freiburg i.Br. organisiert: Die Ergebnisse der drei Tagungen des Europa-Zentrums über Die Iren und Europa im frühen Mittelalter (1982), Irland und Europa. Die Kirche im Frühmittelalter (1984), Irland und die Christenheit. Bibelstudien und Mission (1987)' sind im Druck erschienen. Die Freiburger Kolloquien fanden im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projektes Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit statt. Zu den Früchten dieser Bemühungen gehören auch zwei Sammelbände aus keltischem Bereich: Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der frühen irischen Literatur (1989), hrsg. von St. N. Tranter und Hildegard L. C. Tristram, und Metrik und Medienwechsel (1991), hrsg. von H. L. C. Tristram. Die Aufzählung weiterer
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Vgl. Celtic Cultures Newsletter (CCN) 1-6 (Dublin 1983; 1984; Galway 1985; 1986; 1987; 1990). 8 Vgl. Die Sprache 13/1, 142ff. 9 Vgl. H. Löwe 1982; P. Ni Chatháin/ M. Richter 1984 und 1987 und s. Tristram 1990b: 51.
Stand und Aufgaben
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Symposien unter internationaler Beteiligung würde den verfügbaren Rahmen sprengen.10 Erwähnt sei jedoch noch die Bonner Tagung der Indogermanischen Gesellschaft über Keltisch und Indogermanisch, deren Ergebnisse 1977 veröffentlicht wurden (vgl. Schmidt 1977). (b) Was das Verhältnis von deutschsprachig zu deutsch angeht, so ist darauf hinzuweisen, daß die beiden Begriffe nicht identisch sind: Zum einen sind keltologische Untersuchungen in deutscher Sprache nicht nur von Deutschen, Österreichern und Schweizern veröffentlicht worden, zum andern haben sich auch deutschsprachige Autoren stets anderer Sprachen bedient - des Lateinischen, Französischen und in stetig steigendem Maße des Englischen. Das prominente Beispiel für den Gebrauch des Lateinischen ist die Grammatica Celtica von Joh. Kaspar Zeuß, 1. Auflage 1853, 2. von H. Ebel besorgte Auflage 1871 (mit leicht abgewandelter Formulierung des Titels).11 In den von B. Güterbock und R. Thurneysen zusammengestellten Indices glossarum et vocabulorum Hibernicorum quae in Grammaticae Celticae editione altera explanantur (Leipzig: Salomon Hirzel 1881) heißt es zu Beginn der Praefatio: Grammaticae Celticae librum praeclarum, sed minus habilem propter argumenti et voluminis amplitudinem indice uberiore
10 Vgl. z.B. Bernhard/Kandler-Pálsson 1986; Bammesberger/Wollmann 1990. 11 1. Auflage: Grammatica Celtica. E monumentis vetustis tarn Hibernicae linguae quam Britannicae dialecti Cambricae Cornicae Armoricae nec non e Gallicae priscae reliquiis construxit J. C. Zeuss philos, dr. histor. prof. Volumen primum, Lipsiae: Apud Weidmannos MDCCCLIII. - 2. Auflage: quam Britannicarum dialectorum Cambricae Cornicae Aremoricae comparatis Gallicae priscae reliquiis construxit I. C. Zeuss phil. dr. hist, prof., Editio altera curavit H. Ebel Berolini: Apud Weidmannos, Paris: Maisonneuve & Co. MLCCCLXXI. - Bei S. Ziegler, "Geschichte und Aufbau der Grammatica Celtica", in: Forssman 1989: 155 Fußnote 2 ist der Erscheinungsort der 1. Auflage entsprechend in Leipzig zu ändern: die Weidmannsche Verlagsbuchhandlung wurde 1680 in Frankfurt a.M. gegründet, 1681 nach Leipzig, 1854 nach Berlin verlegt (Brockhaus).
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Karl Horst Schmidt
aliquanto aptiorem ad usum reddi posse monuit nos ante hos tres annos Ernestus Windisch, vir doctissimus, praeceptor carissimus. Auf Französisch und Englisch abgefaßte Aufsätze deutschsprachiger Autoren waren beispielsweise bereits in den ersten Bänden der 1870-1872 gegründeten Revue Celtique (RC) durchaus üblich. In Band 1 dieser Zeitschrift sind etwa Beiträge in französischer Sprache von F. W. Unger (Göttingen), W. Wattenbach (Heidelberg), Reinhold Koehler (Weimar) verzeichnet, während C. Lottner, damals in Dublin ansässig, und Max Müller, der von Dessau nach Oxford gegangen war, sich der englischen Sprache bedienten. Die von R. I. Best, ZCP 15 (1925) 1-65 zusammengestellte Bibliography of the publications of Kuno Meyer wird durch einen lateinischen Titel (1879) und zwei englische Schriften (1881; 1882) eingeleitet, denen erst 1884 die Leipziger Dissertation über Eine irische Version der Alexandersage in deutscher Sprache folgt, wie denn auch Meyer auf Grund seiner langjährigen Aktivitäten in England und Irland zeit seines Lebens das Englische parallel zum Deutschen gebraucht hat. Was umgekehrt den Gebrauch der deutschen Sprache angeht, so waren es nicht nur prominente Deutsche und deutschsprachige Schweizer oder Österreicher wie der Baseler Rudolf Thurneysen oder der Prager Julius Pokorny, die ihre bedeutendsten Werke in ihrer deutschen Muttersprache verfaßten. Auch die grundlegende Vergleichende Grammatik der keltischen Sprachen des Dänen Holger Pedersen wurde 1909 / 1913 auf Deutsch geschrieben. Doch ist es symptomatisch für die Entwicklung zum Englischen hin, daß die gekürzte Überarbeitung dieses Werkes durch Henry Lewis und Holger Pedersen 1937 als A Concise Comparative Celtic Grammar in englischer Sprache veröffentlicht wurde - vergleichbar der eingangs erwähnten Grammar of Old Irish als 'updated edition' von Thurneysens Handbuch. Der Rückgang im Gebrauch der deutschen Sprache läßt sich auch bereits an den zahlreichen Aufsätzen beobachten, die Whitley Stokes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die von A. Kuhn / A. Schleicher herausgegebenen Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung auf dem Gebiete der arischen, celtischen und slawi-
Stand und Aufgaben
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sehen Sprachen 1-8 (Berlin: Ferd. Diimmler 1858-1876) geschrieben hat. Stokes' erster Beitrag bemerkungen über die irischen declinationen, Bd.l (1858) 333-35512 ist von den Herausgebern mit dem Zusatz versehen worden: "Da der herr verf. seinen aufsatz englisch eingesandt hatte, so ist derselbe mit seiner Zustimmung von hrn. Lottner ins deutsche übertragen worden". Die folgenden Beiträge in den Bänden 1-6 (1858-1870) wurden ebenfalls auf Deutsch publiziert, in Band 7 (1873) finden wir Aufsätze von Stokes in deutscher neben solchen in englischer Sprache, in Band 8 (1876) nur noch in englischer Sprache.13 Die Frage nach den wissenschaftlichen Beiträgen der deutschsprachigen Keltologie, auf die wir nunmehr zu sprechen kommen, ist nicht einfach darzustellen. Das Thema bedarf der Differenzierung in wenigstens dreifacher Hinsicht: (a) Zeitliche Abgrenzung: Sieht man ab von frühen, eher vorwissenschaftlichen, Daten wie den 1717 posthum veröffentlichten Collectanea etymologica, illustration! linguarum veteris celticae, germanicae, gallicae, aliarumque inservientia des Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) oder der Publikation der irischen Glossen zum Römerbrief, fol.la-4a, 23 durch Joh. Georg von Eckhart 1729, der diese Glossen auf der Grundlage von Edward Lhuyds (16607-1709) Archaeologia Britannica 170714 als irisch bestimmt (vgl. letztlich Poppe 1986), so verbindet sich der Anfang der deutschsprachigen Keltologie mit den Namen Franz Bopp (1791-1867) und J. K. Zeuß (18061856). Nachdem bereits James Cowles Prichard 183115 und u
R. I. Best, "Bibliography of the publications of Wh. Stokes", ZCP 8 (1912) 351-406 hat den Titel modifiziert zu "Bemerkungen über die irische Declination" (354). 13 Die Aufnahme von Stokes' Aufsätzen aus den Beitr. in seine Bibliography durch Best ist unvollständig; so fehlt z.B. "Das altirische Verbum", Beitr. 6 (1870) 459-474; Beitr. 7 (1873) 1-69. 14 Vgl. Shaw 1956: 6ff.; Schmidt 1982: 61f. und (zu E. Lhuyd) letztlich Roberts 1986. 15 Vgl. Tourneur 1905: 208 "Pritchard (sic!) ne convainquit pas complètement les erudits: Pott écrivait encore en 1836, en parlant de Pritchard, que, s'il existait des analogies entre les langues celti-
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Adolphe Pictet 1836 auf den indogermanischen Charakter des Keltischen hingewiesen hatten, gelang Bopp 1838 der Nachweis, daß der inselkeltische Sandhi, d.h. die anlautenden Mutationen, durch die in der Rekonstruktion faßbaren Endungen der vorangehenden Wörter bedingt war, so z.B. beim Gebrauch des Artikels, wo die Lenierung hinter dem Nominativ Sg. fem., Gen. Sg. mask, und Dat. Sg. beider Genera zunächst konstatiert und ziemlich ungrammatisch kommentiert wird: "Warum gehen sich Mann und Frau so einander aus dem Wege, daß jener haucht, wo diese den Athem einzieht, und umgekehrt? nur daß im Dativ Sg. die beiden Geschlechter sich hauchend begegnen; sonst würde man sagen können, daß es die Absicht der Sprache gewesen sei, durch verschiedenartige Verteilung der Aspiration die Geschlechts-Unterscheidung zu erreichen" (1838: 210 = 1972: 172).16 (b) Inhaltliche Gliederung : Die hier verwandte Definition von Keltologie entspricht im Prinzip Thurneysens drei avenues of approach to Celtic studies, d. h. the geographical-ethnological, the linguistic and the literary.17 Eine vergleichbare linguistisch-philologische und ethnisch-historische Definition hat letztlich Martin Rockel (1990: 55) gegeben, der als "Gegenstand der Keltologie" "die keltischen Sprachen in allen ihren Erscheinungsformen und die Literatur in diesen Sprachen" nennt und feststellt, daß "auch die Sitten und Gebräuche neben der Sprache für die Alten ein Identifikationsmerkmal der ethnischen Gruppen war (sie!)". Weiter gefaßte Begriffsbestimmungen finden sich z.B. bei Pokorny 195318 oder in
ques et les langues indo-européennes, elles provenaient de ce que les Celtes avaient dû voisiner avec les peuples indo-européens, car le fond du celtique n'est pas indo-européen." 16 Bopp 1824: 123 = 1972: 7 hatte lediglich hingewiesen auf "einzelne Spuren der Verwandtschaft mit dem Sanskrit". Vgl. dazu Tourneur 1905: 208 und (etwas anders) Tristram 1990b: 125. 17 1. geographical-ethnological: festlandkeltische Überreste an Namen und Glossen (Holder 1896; 1904; 1910), inselkeltische Ortsnamen (Förster 1941); 2. linguistic: Identifikation des Kelt, als idg. Sprache; 3. literary (Thurneysen 1930 = 1991 II: 272-284). 18 1. Vorgeschichte der Kelten, Archäologie und Frühgeschichte; II. Keltische Sprachen und Literaturen; III. Ortsnamenkunde; IV.
Stand und Aufgaben
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meinem Entwurf für eine Enzyklopädie der Geschichte und Kultur der Kelten (vgl. Schmidt 1986a: 20-23), können hier aber nicht berücksichtigt werden. (c) Ein drittes Gliederungsprinzip ergibt sich aus der Chronologie und dem Versuch, die deutschsprachige Keltologie in vier Perioden und einen auf die Zukunft gerichteten Aufgabenbereich zu unterteilen. Die inhaltliche Besprechung dieser fünf Vorklassik, Klassik, Nachklassik, Gegenwart und Zukunft genannten Zeitabschnitte 19 muß bei den drei letztgenannten auf einige grundsätzliche Bemerkungen beschränkt bleiben. Zu den im Prinzip für alle Epochen geltenden Merkmalen der deutschsprachigen Keltologie gehört, daß das Fach in der Regel von Gelehrten vertreten wurde, deren wissenschaftlicher Ausgangspunkt außerhalb des Keltischen lag - in der historischen Sprachvergleichung und Indologie (Siegfried, Lottner, Windisch, Zimmer), in der historischen Sprachvergleichung und Slavistik (Pedersen), in der Slavistik und Irani-
Mythologie und Religion (Pokorny 1953). 19 Vorklassik: Keltologie < vergleich. Sprachwiss.: Identifikation festlandkelt. Sprachdenkmäler durch inselkelt. Sprachvergleich; Sprachgeschichte; Keltisch und Idg.: Bopp (1791-1867), Zeuß (1806-1856), Glück (1810-1866), Ebel 1820-1875), Siegfried (18301863), Lottner (1834-1873). - Klassik: Ausbau der Keltologie Philologie, Sprachgeschichte, Literaturgeschichte (besonders des Alt- und Mittelirischen) - als eigenständige Disziplin; Festlandkeltisch: Windisch (1844-1918), Zimmer (1851-1910), Thurneysen (1857-1940), Meyer (1858-1919), Stern (1846-1911), Holder (18401916). - Nachklassik: Modifikation der linguistischen Basis auf vergleichender Grundlage; Erweiterung der Philologie (auch des Kymr.); Festlandkelt.; Onomastik; Theorien zu geographisch-ethnologischen Kontaktsprachen; Neukeltisch; Typologie: Pedersen (1867-1953), Pokorny (1887-1970), Förster (1869-1954), Mühlhausen (1888-1956), Hertz (1897-1965), Weisgerber (1899-1985), Weisweiler (1900-1987), Finck (1867-1910), Lewy (1881-1966). - Gegenwart: Philologie; historische und deskriptive Grammatik; Festlandkelt.: Inschriften und Namen; neukeit. Sprachen: Phonetik, Volkskunde, Typologie; Ausgliederung der kelt. Sprachen; Kelt, und Idg.: Schmoll +(1906-1978), Wagner +(1923-1988), Hartmann (1909), Szemerényi (1913), Pilch (1927), Rockel (1928), Untermann (1928), Meid (1929), Schmidt (1929) u.a. [erfaßt wurden hier nur Gelehrte im Alter von über 60 Jahren].
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stik (Hartmann), in der historischen Sprachvergleichung und Romanistik (Thurneysen). Die Kombination von keltischer Philologie und Allgemeiner Sprachwissenschaft wurde von Leo Weisgerber vertreten, die Kombination von Keltologie und Anglistik (Max Förster) ist heute ein besonderes Merkmal der Universität Freiburg. Der Bibliothekar Alfred Holder verfaßte mit seinem Altceltischen Sprachschatz ein monumentales Werk, das trotz der Aufnahme vieler nichtkeltischer Wörter und des Fehlens späterer Funde wegen seiner reichhaltigen Quellen und Belege noch heute unentbehrlich ist; auch Ludwig Mühlhausen hatte seine Laufbahn als Bibliothekar begonnen. Früh zur Keltologie gestoßen sind die Inhaber von Lehrstühlen keltischer Philologie Kuno Meyer, Julius Pokorny und Rudolf Hertz. Im Gegensatz zu Großbritannien und Irland, wo die Lehrstühle für keltische Einzelphilologien - z.B. Alt- und Mittelirisch, Neuirisch, Kymrisch - die Regel bilden, wurde in der deutschsprachigen Keltologie das Fach eher als Einheit verstanden. Trotzdem scheint der Überblick in Fn. 19 eine Spezifizierung nach Teilbereichen erkennen zu lassen. Neben dem bleibenden Beitrag, den die keltischen Sprachen im Rahmen der vergleichenden Sprachwissenschaft für die Rekonstruktion der idg. Grundsprache leisten, ist die Tendenz zu ihrer Emanzipierung als eigenständige Philologie und Disziplin unübersehbar. Für das Verständnis der Grundlagen kommt der Vorklassik besonderes Gewicht zu. Sie spiegelt die methodologischen Prinzipien wider, durch die die Vergleichende Sprachwissenschaft in der ersten Hälfte des 19. Jhs. bestimmt ist: Sprachvergleich und Sprachgeschichte! Wie bereits erwähnt, klärt Bopp die Ursache für die Anlautmutationen in den inselkeltischen Sprachen; er tut dies durch Sprachvergleich, indem er für die Rekonstruktion des Auslautes des vorangehenden Wortes nichtkeltische idg. Sprachen zum Vergleich heranzieht, z.B. "Im Dativ besitzt der Artikel in beiden Geschlechtern eine assimilierende Kraft, und gewiß aus keinem anderen Grunde, als weil dieser Casus ohne Unterschied der Geschlechter und Wortklassen mit einem Vocal endete, wie dies auch im Lithauischen noch heute der Fall ist" (1838: 211 =
Stand und Aufgaben
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1972: 173). Obwohl Bopp die innerkeltische Sprachentwicklung unberücksichtigt läßt und sein auf der Basis der neukeltischen Sprachen vorgenommener Vergleich zur Quelle vieler falscher Ansätze wird, gewinnt er doch auf dieser morphologischen Basis ein Argument dafür, daß es sich beim Keltischen um einen idg. Sprachzweig handeln muß. Der Zugang des Historikers Zeuß entspricht dagegen eher Thurneysens first avenue, die primäre Zielsetzung besteht zunächst in der Entscheidung darüber, ob es sich bei den süddeutschen Ortsnamen um keltische oder germanische Etyma handelt. In seinem Werk Die Herkunft der Bayern (1839) XIV20 hat Zeuß die Problematik polemisch formuliert: "Einige wirkliche keltische Fluß- und Städtenamen in Bayern sind aus alter vorrömischer Zeit geblieben, wie in anderen von Deutschen besetzten Ländern, und diese alten keltischen Namen, welche bei dem jetzigen Stande der keltischen Philologie und dem Mangel älterer Denkmäler dieser Sprache zu deuten die größten Sprachforscher nicht wagen werden, laß du dich nicht gelüsten so leichthin aus dem Griechischen herauszukünsteln!" Der fränkische Historiker postuliert das Studium der einer Sprache eigenen "Gesetze und Verhältnisse nach innen und außen", wobei er dem 40 Jahre später von den Junggrammatikern Osthoff und Brugmann, Morphologische Untersuchungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen 1 (Leipzig 1878) XIII formulierten Prinzip "Aller Lautwandel, soweit er mechanisch vor sich geht, vollzieht sich nach ausnahmslosen Gesetzen" bereits recht nahe kommt, wenn er feststellt: "Wer solche Gesetze nicht kennt, und um diesen und jenen oder mehrere Laute oder gar ganze Silben unbekümmert verfährt, wird was zusammenklingt, nicht was zusammengehört, zusammenstellen, nur Willkürliches und Unwahres zu Tage fördern" (ZCP 6: 217). Die Passage beschreibt das später in der Grammatica Celtica angewandte Verfahren: Identifikation frühen keltischen Materials aus seinen historisch bezeugten Nachfolgesprachen heraus, wobei den ältesten Denkmälern, d.h. den altirischen
20
Zitiert nach Meyer, ZCP 6 (1908) 216f. und Shaw 19.56: 51.
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Glossen und den gallischen Sprachresten, besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, jedoch in der Regel kein außerkeltischer Sprachvergleich erfolgt.21 Daß Zeuß' Ergebnisse nicht sogleich allgemein zu überzeugen vermochten, zeigt Adolf Holtzmanns 1855 veröffentlichte, Jacob Grimm gewidmete, Untersuchung Kelten und Germanen, in der mit Verfassers eigenen Worten eine "ganz paradoxe Lehre ausgesprochen [wird]": "I. Die Germanen sind Kelten, II. die Kymren sind keine Kelten" (1855: l), 22 eine Theorie, die durch Glücks auf der Basis Zeußscher Prinzipien geschriebene Untersuchung über Die bei Caius Julius Caesar vorkommenden keltischen Namen (München 1857) eindeutig widerlegt wird (vgl. auch Thurneysen 1930:24): "Endlich versuchte ich auch", schreibt Glück, "die Namen, wo es möglich war, aus dem späteren Keltischen zu deuten. Hierbei muss man vor allem wissen, wie sich die Laute der heutigen Sprachen zu den der älteren verhalten" (Glück 1857: VIII). Die historisch-sprachvergleichende Attitüde der Vorklassik dürfte mit ein Grund dafür gewesen sein, daß die deutschsprachige Keltologie auch später in stärkerem Maße auf die älteren Perioden des Irischen als auf die britannischen Sprachen konzentriert war und daß die intensivere Beschäftigung mit den neukeltischen Sprachen faktisch erst in nachklassischer Zeit eingesetzt hat. Ein weiteres Merkmal der Vorklassik sind schließlich die zahlreichen Aufsätze, die von Keltologen, besonders von Ebel und Stokes (s. oben), zwischen 1858 und 1876 in den bereits genannten acht Bänden der Beiträge zur Vergleichenden Sprachforschung auf dem Gebiete der arischen, celtischen und slawischen Sprachen veröffentlicht wurden. Erwähnt seien hier die Studien von Schleicher, Beitr.
21
Vgl. hierzu Wissmann, zitiert nach Hablitzel 1987: 363. Zur Rolle von Zeuß in der deutschen Keltologie vgl. außerdem Poppe 1992. 22 Vgl. die ablehnende, obschon methodisch auch nicht klare Besprechung von L. Diefenbach, KZ 4 (1855) 379-398 und die Ablehnung durch Brandes 1857:11: "daß die genannten Völker [d.h. Kelten und Germanen] zwei gesonderte Zweige des grossen indoeuropäischen Sprachstammes seien".
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1 (1858) 437-448 und Ebel, Beitr. 2 (1861) 137-194 zur Stellung des Keltischen innerhalb der Indogermania und der von Lottner 23 verfaßte Aufsatz Celtisch-Italisch, Beitr. 2 (1861) 309-321, der zusammen mit Lottners Ausführungen Ueber die Stellung der Italer innerhalb des indoeuropäischen stammes, KZ 7 (1858) 18-49, 161-193 zur Ersetzung der italo-griechischen Hypothese durch die italo-keltische Theorie geführt hat. Hinweisen möchte ich schließlich noch auf die von Whitley Stokes, Beitr. 6 (1870) 1-18 herausgegebenen Miscellanea Celtica, von dem verstorbenen R.T. Siegfried, die als Dokument der Freundschaft und Fairness bleibenden Wert behalten werden. Wie die in Bests Bibliographien (1913; 1942) aufgelisteten Arbeiten von Windisch, Zimmer, Thurneysen und Kuno Meyer deutlich machen, liegt der Akzent in der klassischen Periode auf dem Irischen. In seiner Studie Celtic Scholars of Germany (1993) bezeichnet denn auch Seán O Lúing das Todesjahr von Kuno Meyer 1919 als "the end of an era": "Meyer had brought the development of Celtic studies to the point where, as a result of his efforts, it became the duty of Ireland to take the lead in Celtic scholarship." Dieses Zitat hat allerdings nur begrenzte Gültigkeit, da zum einen das Irische nicht deckungsgleich ist mit dem Keltischen, zum andern in ihrer grundsätzlichen Bedeutung kaum zu übertreffende Arbeiten von Thurneysen - ich meine Die irische Helden- und Königsage von 1921 und die Untersuchungen zum keltischen und irischen Recht - erst nach 1919 veröffentlicht wurden. 24 Ihren Anfang nimmt die Klassik mit Ernst Windisch, der gegenüber der vorklassischen Periode insofern einen Einschnitt bedeutet, als er die ältere irische Sprache zum Gegenstand einer irischen Philologie macht, zu einer von der historischen Sprachvergleichung unabhängigen Disziplin ausbaut. Er schreibt 1879 seine Kurzgefaßte irische Grammatik mit Lese23
Vgl. den Nachruf auf Lottner von H. Gaidoz, RC 2 (18731875) 152. 24 Vgl. Thurneysen, Gesammelte Schriften III Abteilung VI: keltisches Recht mit Publikationen zwischen 1925 [1926] und 1936.
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stücken (Leipzig: Hirzel) und regt, wie wir gesehen haben, 1881 die Anfertigung der irischen Indices zu Zeuß-Ebel än. Sein Aufenthalt als Indologe 1870/71 in London wird für ihn zum keltologischen Schlüsselerlebnis: Standish Hayes O'Grady führt ihn in das Keltische ein, und es beginnt eine lebenslange Freundschaft mit Whitley Stokes.25 Windischs Anfangsperiode als Keltologe ist vornehmlich sprachwissenschaftlichen Problemen gewidmet: er schreibt Beiträge zur 4. und 5. Auflage von Georg Curtius' Grundzügen der griechischen Etymologie (Leipzig: Teubner 1873/1879) und zu August Ficks Griechischen Personennamen (1874) und tritt mit einer Reihe kleinerer Abhandlungen in verschiedenen Zeitschriften hervor: Kuhn-und-Schleicher-Beiträge 8 (Verlust und Auftreten des ρ in den celtischen Sprachen, irisches t-Präteritum); K Z 23 (redupl. Perfekt im Irischen), BB 2 (irisches Verbalnomen, von Windisch noch Infinitiv genannt), PBB 4 (irische Auslautgesetze). Dieser Lebensabschnitt wird 1879 mit der Kurzgefaßten irischen Grammatik abgeschlossen. Es folgen Texteditionen; sie bilden Windischs bedeutendsten Beitrag.26 Die Kooperation mit Whitley Stokes, dessen enge Verbundenheit mit der deutschen Keltologie und Indogermanistik in der ihm 1900 von Kuno Meyer, L. Chr. Stern, R. Thurneysen, F. Sommer, W. Foy, A . Leskien, K. Brugmann und Ernst Windisch dargebrachten Festschrift ihre äußere Würdigung findet, setzt Siegfrieds und Lottners Tradition enger irischdeutscher
Zusammenarbeit
fort. Windischs
umfangreiche
( X C I I , 1120 S.) Ausgabe, Übersetzung und Kommentierung der Táin Bó Cúailnge (nach dem Buch von Leinster) (Leipzig: S. Hirzel 1905), dieser "morceau capital de la littérature épique irlandaise" (Tourneur 1905: 213), stellt einen Meilenstein in der
Erforschung
der Ulster-Sage
dar. Erwähnt
seien
schließlich noch als umfangreichste Arbeit britannischer The-
Vgl. den Nachruf von Kuno Meyer t,ZCP 13 (1921) 148-150 und s. Tristram 1990 b: 20f. 26 Windisch: Irische Texte mit Wörterbuch X V I + 886 pp. (Leipzig: S. Hirzel 1880): kritisiert von Zimmer 1880 (vgl. Fn. 28); Stokes-Windisch (Hrsgg.): Irische Texte mit Uebersetzungen und Wörterbuch 2.-4. Ser. (Leipzig: S. Hirzel 1884-1909). 25
Stand und Aufgaben
17
matik die Monographie über Das keltische Britannien bis zu Kaiser Arthur (Leipzig 1912) und von den späteren sprachwissenschaftlichen Untersuchungen der Aufsatz Pronomen infixum im Altirischen und im Rgveda, IF 14 (1903) 420-426, der zusammen mit den relevanten Studien anderer Gelehrter (Wackernagel 1892, Gaidoz 1883-85, Sommer 1897, d'Arbois de Jubainville 1898 und viel später Dillon 1947 [1948], 1955 [1956])27 einen Archaismus idg. Syntax aufdeckt. Eine große, obschon wegen seines zur Aggressivität neigenden Stils nicht ganz unumstrittene, Forscherpersönlichkeit war Heinrich Zimmer. Ausgestattet mit außergewöhnlicher Arbeitskraft und der Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte schnell und tief zu durchdringen, hat Zimmer, der ebenso wie Windisch ausgebildeter Indologe und Indogermanist war, in seinem nur sehr kurzen Leben eine breitgefächerte Dokumentation an Celtica hinterlassen.28 Wie vor ihm Windisch widmete sich auch Zimmer zunächst der historischen Grammatik des Irischen, ein Gebiet, auf dem er mit sicherem Instinkt wichtige Entdeckungen machte, darunter: Akzent 1884, Desiderativum 1890, t-Präteritum < s-Aorist 1890, Präteritum < Aorist + Perfekt 1900. Bereits 1881 gab er die editio princeps der Würzburger Glossen heraus und war 1887 bemüht, "den compilatorischen Charakter der irischen Sagentexte in der Hs. LU nachzuweisen" (KZ 28: 417-689). Er wandte sich dann in verstärktem Maße der Literatur, der Geschichte und der Kirchengeschichte zu, vermochte jedoch mit seinen kühnen Hypothesen nicht immer zu überzeugen. Seine die irische
27
Vgl. die Literaturangaben bei Schmidt. In: Evans et al. 1986:
200 28
Keltische Studien I (Berlin 1881): im Ton unangemessene Auseinandersetzung mit Windisch 1880 (vgl. Nr. 7); II Uber altirische Betonung und Verskunst (Berlin 1884): vgl. unabhängig davon Thurneysen RC 6 (1883-1885); "Keltische Studien" 1-18: KZ 24-36 (1879-1900); Glossae Hibernicae (Berlin 1881) = editio princeps der Würzbg. Glossen; dazu Supplementum (1886); Pelagius in Irland. Texte und Untersuchungen zur patristischen Literatur (1901); Nennius Vindicatus (Berlin 1893); "Sprache und Literatur der Kelten im allgemeinen". In: Hinneberg, Die Kultur der Gegenwart I. Abt. XI. 1. (Berlin und Leipzig 1909) 1-46.
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Sagenforschung betreffenden Arbeiten wurden von Thurneysen 1921: 8 folgendermaßen charakterisiert: "Zimmer war der erste, der die uns berührenden Probleme mit kräftiger Hand anfaßte, der sich ein scharf umrissenes Bild von der Zusammensetzung und Abhängigkeit gewisser Texte zu gestalten suchte. Aber seine Hand war - ich möchte sagen - zu kräftig. Die Ansicht, die er sich einmal gebildet hatte, mochte sie im wesentlichen richtig oder unrichtig sein, beherrschte ihn dauernd so, daß er alles ihr Entgegenstehende übersah oder durch sehr gewaltsame Konjekturen oder Deutungen kurzweg beseitigte". Den Höhepunkt deutschsprachiger Keltologie stellt Rudolf Thurneysen dar. Schweizer von Geburt, hatte er seine Karriere in Deutschland durchlaufen. Weisgerber, ZCP 22 (1941) 273-292 nannte ihn mit Recht "eine Epoche deutscher Keltologie". Bereits erwähnt wurden seine Hauptwerke, das 1946 ins Englische übersetzte Handbuch des Alt-Irischen von 1909 und die Helden- und Königsage von 1921. Nach indogermanistischer Dissertation 1879 und romanistischer Habilitationsschrift 1882 entdeckte Thurneysen unabhängig von Zimmer 1880 (vgl. Fn. 28) das Prinzip des altirischen Initialakzentes (RC 6, 1883-85). Unter dem Titel Keltoromanisches bearbeitete er die keltischen Etymologien im etymologischen Wörterbuch der romanischen Sprachen von F. Diez (Halle 1884), eine Pionierarbeit zu den keltischen Substraten in der Romania, wie denn auch Gallica stets in Thurneysens Arbeitsbereich einbezogen waren, z.B. ZCP 2 (1899) Der Kalender von Coligny, ZCP 16 (1927) Zu den Graffiti von La Graufesenque. Thurneysen war ein profunder Kenner irischer Metrik und Handschriftenphilologie. Für die praktische Vermittlung alt- und mittelirischer Sprachkenntnisse sind der 1949 ins Englische übersetzte II. Teil des Handbuchs des Altirischen (1909) und die 1935 auf Englisch veröffentlichten Scéla mucce meic Dathó zu unentbehrlichen Hilfsmitteln geworden. In seinem letzten Lebensabschnitt schuf der Meister die Grundlagen für die seither mit zunehmender Intensität betriebene Erforschung der schwierigen irischen Rechtstexte. Wie Daniel A. Binchy berichtet, geht die Idee einer Erweiterung der irischen Zeitperspektive durch die Abfassung einer Gramma-
Stand und Aufgaben
19
tik des Archaischen Irischen auf Thurneysen zurück: "Thurneysen's opinion, expressed to me on more than one occasion, that it will be possible to compile a separate grammar of archaic Old Irish (going well behind the language of the Glosses) if and when the archaic stratum of the Laws, the oldest poetry, and the saga-'rhetorics' have all been fully investigated" (Binchy 1972: 37f.). Obwohl in die Zeit der Klassik auch der bereits erwähnte Lud. Chr. Stern und Alfred Holder, der Verfasser des monumentalen Alt-Celtischen Sprachschatzes 1896, 1904, 1910 fallen, muß als letzter Klasssiker im engeren Sinne Kuno Meyer genannt werden. Dessen Tätigkeit als Sprachen- und Kulturpolitiker und als Lexikograph (vgl. Fn. 5) war im vorhergehenden bereits erwähnt worden. Als Texteditor, als Bearbeiter der ältesten irischen Dichtung und Metrik (vgl. Meyer 1909, 1913, 1914) sowie durch seine zahlreichen Mitteilungen aus irischen Handschriften (1899-1918) wurde Meyer darüber hinaus zu einem der großen Vertreter deutschsprachiger Hibernistik. Seine von Best, ZCP 15 (1925) 1-65 zusammengestellte Bibliographie zeigt, daß der Windisch-Schüler Meyer als erster deutschsprachiger Keltologe von Gewicht seine Ausgangsbasis nicht mehr in der vergleichenden idg. Sprachwissenschaft hatte. Zur systematischen Erforschung der historischen Grammatik des Irischen und Keltischen hat er über die Wortforschung hinaus keine wesentlichen Beiträge geliefert. Meyer, der, wie schon bemerkt, einen beträchtlichen Teil seiner Arbeiten auf Englisch veröffentlichte, repräsentiert einen eigenen, völlig unabhängigen Typus von deutschsprachigem Keltologen. Die 1912 von Osborn Bergin und Carl Marstrander herausgegebene Miscellany presented to Kuno Meyer ... on the occasion of his appointment to the chair of Celtic Philology in the University of Berlin (Halle a. S.) macht die besondere Wertschätzung deutlich, die diesem Gelehrten auch außerhalb Deutschlands entgegengebracht wurde. Damit können wir in der gebotenen Kürze auf Nachklassik und Gegenwart zu sprechen kommen, zwei Perioden, die aus Zeitgründen undifferenziert mit der Zukunft konfrontiert werden sollen. Das Material ist nach acht Fragestellungen angeordnet: 1. Vergleichende Grammatik, 2. Wortschatz, 3.
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Kontaktsprachen, 4. Typologie, 5. Onomastik, 6. Neukeltische Sprachen, 7. Philologie, 8. Literatur und Kultur. Unter jedem dieser Gebiete wird zwischen Stand und Aufgaben unterschieden, wobei beim Aufgabenbereich eine Differenzierung zwischen deutschsprachig und nichtdeutschsprachig kaum möglich ist, die Zukunftsaufgaben vielmehr in der Regel nur auf der Basis internationaler Zusammenarbeit lösbar erscheinen. 1. Vergleichende Grammatik Stand: Neben Pedersen 1909/1913 und Pedersen-Lewis 1937 als überarbeiteter englischer Version liegen auf Einzelbereiche bezogene Untersuchungen in deutscher Sprache vor. Beispiele sind etwa Wolfgang Meid, Die indogermanischen Grundlagen der altirischen absoluten und konjunkten Verbalflexion (Wiesbaden 1963) oder Patrizia de Bernardo Stempel, Die Vertretung der indogermanischen liquiden und nasalen Sonanten im Keltischen (Innsbruck 1987); vergleichende Studien zur Syntax irischer und kymrischer Texte werden von Erich Poppe betrieben. Aufgaben: Zusammenstellung eines neuen Pedersen oder Pedersen-Lewis unter stärkerer Einbindung des festlandkeltischen Materials. Die wichtigsten Neufunde der vergangenen zwanzig Jahre - Botorrita, Chamalières, Larzac (vgl. Eska 1989, Lambert 1985, Lejeune et al. 1985, Schmidt 1990a) und die philologisch-linguistische Überprüfung der vorhandenen Quellen - durch Lejeune, Duval, Marichal, Pinault, Fleuriot, Lambert, Evans, Meid, Krähe, Prosdocimi, Tibiletti Bruno u.a. für Gallien und Oberitalien, durch Tovar, Schmoll, Lejeune, Fleuriot, Untermann, de Hoz, Villar, Eska, Gorrochategui, Ködderitzsch u.a. für Keltiberien - sollten zum Versuch der Anlage festlandkeltischer Grammatiken ermutigen. Völlig unabhängig davon sind die zusammenfassenden Untersuchungen der linguistischen Ebenen (Phonologie, Morphologie usw.) aller keltischen Sprachen und Sprachdenkmäler eine Voraussetzung für die Neufassung der Vergleichenden Grammatik der keltischen Sprachen, die parallel zu der Rekonstruktion der (goidel., gallo-brit., keltiberischen und lepon-
Stand und Aufgaben
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tischen) Tochtersprachen und der Bearbeitung von deren jeweiliger Sprachgeschichte erstellt werden könnte. 2. Wortschatz Stand: Es liegen aus Nachklassik und Gegenwart Detailstudien zu verschiedenen Themenbereichen vor, z.B. Mühlhausens in der Festschrift Ernst Windisch veröffentlichte Dissertation über Die lateinischen, romanischen und germanischen Lehnwörter des Cymrischen, besonders im 'Codex Venedotianus' der cymrischen Gesetze (Leipzig 1914) oder die Studien von H. Haarmann über den lateinischen Lehnwortschatz im Kymrischen (1975) und Bretonischen (1978). Unvollendet geblieben und inzwischen durch das Dictionary of the Irish Language (Dublin 1983) überholt ist Hessens Irisches Lexicon (1933-1940), bei dem es sich um ein Gemeinschaftsprojekt deutscher, irischer und amerikanischer Gelehrter handelte.29 In die Gegenwart gehören die Bemühungen um rückläufige Wörterbücher (Kymrisch: Stefan Zimmer 1987; Alt- und Mittelirisch: P. de Bernardo Stempel: in Arbeit)30 und um den Grundwortschatz des Britannischen (R. W. Elsie 1979: Bonner Dissertation in englischer Sprache) und Irischen (I. Lucht: in Arbeit).31 Aufgaben: Keltisches etymologisches Wörterbuch; daneben kontrastive Wörterbücher der keltischen Sprachgruppen, besonders Gallo-Britannisch vs. Goidelisch, Gallisch vs. Britannisch, Gallisch vs. Goidelisch. 3. Kontaktsprachen Stand: Seit vorklassischer Zeit - Schleicher 1858, Ebel 1861 und besonders Lottner 1858; 1861 - ist die Stellung des Keltischen innerhalb der Indogermania immer wieder diskutiert
29
Vgl. Schmidt 1991a, Ternes [Zitat Schmidt 1991a] 2343 ff. Vgl. St. Zimmer, A reverse dictionary of Modern Welsh (Hamburg 1987), P. de Bernardo Stempel, CCN 5 (1987) 21-24 und ZCP 45 (1992) 132-160. 31 Vgl. R. W. Elsie: The position of Brittonic. A synchronic and diachronic analysis of genetic relationships in the basic vocabulary of Brittonic Celtic (Diss. Bonn 1979). 30
22
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worden. Von Bedeutung ist Paul Kretschmer, Einleitung in die Geschichte der griechischen Sprache (1896) 125 ff., der auf Isoglossen zwischen Keltisch, Italisch und Indo-Iranisch hingewiesen hat. Diese wurden später als Argumente für die marginale, d. h. archaische, Position des Keltischen gewertet, dürften sich aber wenigstens z. T. eher, wie bereits von Kretschmer gesehen, durch unmittelbaren Sprachkontakt erklären. - In den Rahmen der spätestens seit Holtzmann 1855 häufig diskutierten keltisch-germanischen Sprachkontakte gehört die umfangreiche Studie von Helmut Birkhan über Germanen und Kelten bis zum Ausgang der Römerzeit. 32 Keltische Substrate in der Romania wurden bereits von Thurneysen, Keltoromanisches 1884 behandelt; 1901 versuchte Wilhelm MeyerLübke, Die Betonung im Gallischen (Wien, Sitz. Ber. der Kais. Ak. d. Wiss., philosoph.-histor. Classe, Bd. CXLIII), den gallischen Akzent auf der Basis franz. Ortsnamen zu erklären. Umstritten ist das Problem vorkeltischer Substrate im Inselkeltischen, das auf der Basis typologischer Kriterien allein kaum lösbar erscheint. Trotzdem haben die in der Nachfolge von Morris Jones 1900 von J. Pokorny 1927ff. und H. Wagner 1959 u.a. vorgebrachten Argumente für ein semitisch-hamitisches Substrat unser Verständnis für charakteristische Züge der inselkeltischen Sprachen nicht unwesentlich gefördert. 33 Die Frage nach der Urgeschichte der Kelten und Illyrier (ZCP 20 + 21: 1936 + 1938), von Pokorny zusammen mit R. Pittioni im Lichte der Urnenfelderkultur diskutiert, leidet bis dato unter der mangelnden Klarheit des Begriffes Illyrier. Auch hier hat Pokorny bei der Diskussion seiner Theorie mannigfaltige Anregungen gegeben, ohne die Hypothese selbst eindeutig verifizieren zu können. Aufgaben: Vervollständigung des Materials. So zwingen z.B. die Neufunde von Botorrita mit dem flektierten Relativpronomen jo- und Chamalières mit dem sjo- Futurum zusammen mit der altirisch nachgewiesenen reduplizierten Desiderativbil-
32
Zu dieser Thematik vgl. letztlich Verf., HS 104 (1991) 129-
152. 33
Vgl. zusammenfassend Schmidt 1990b.
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dung zu einer Überprüfung des Alters der keltisch-italischen Sprachkontakte. 34 Diese dem Italischen fehlenden Merkmale stellen das Keltische in vorhistorischer Zeit eher in die Nachbarschaft ostidg. Sprachen (Griech., Indo-Iran., Bait., Slav.). 4. Typologie Stand: Neben den Einsichten, die durch die Substrattheorie vermittelt wurden, ist hinzuweisen auf Ernst Lewy, Der Bau der europäischen Sprachen (Dublin 1942; ^Tübingen 1964: 128), der die Typik des Irischen folgendermaßen charakterisiert hat: "eine europäisch-indogermanische Sprache hat in Westeuropa den dort alt-einheimischen, den westeuropäischen Typus erworben und weiter entwickelt." Typologische Kriterien ergeben sich auch aus der Wortstellung VSO der inselkeltischen Sprachen (vgl. Schmidt 1972; 1990b). Den Versuch einer "inneren Gliederung" der neukeltischen Sprachen hat letztlich E. Ternes, K Z 92 (1978) 195-217 unternommen. 3 5 Aufgaben: Im Zusammenhang mit dem Substratproblem sollte der Versuch unternommen werden, auf die inselkeltischen Sprachen eine diachron-typologische Betrachtung anzuwenden - durch Konfrontation mit älteren festlandkeltischen Modellen, besonders dem des Keltiberischen, und mit dem Rekonstrukt der idg. Grundsprache. 5. Onomastik Stand: Wie bereits festgestellt, war die Identifikation süddeutscher Ortsnamen (ON) ein wichtiges Motiv für Zeuß' Beschäftigung mit den inselkeltischen Sprachen. U m die Jahrhundertwende sammelte Holder weitere altkeltische O N in seinem Alt-Celtischen Sprachschatz (vgl. Fn. 19); der Romanist Wilhelm Meyer-Lübke zog 1901 franz. O N zur Rekonstruktion des gallischen Wortakzents heran; vierzig Jahre später veröffentlichte der Anglist Max Förster sein Werk Der Flußname Themse und seine Sippe - Studien zur Anglisierung keltischer Eigennamen und zur Lautchronologie des Altbritischen (Mün-
34 35
Vgl. Schmidt 1986b; 1991b und in: MacLennan 1988: 245. Vgl. weiter Meid. In: Schmidt 1986a: 120.
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chen). Umfangreiche Studien, besonders zu gallischen Namenlandschaften im alten Oberitalien (BZN 10,11,12: 19591961) und zur hispano-keltischen Onomastik wurden von J. Untermann durchgeführt, während L. Weisgerber eine Analyse der rheinischen Personennamen aus der Römerzeit vornahm (vgl. Weisgerber 1969) und Fritz Lochner von Hüttenbach 1989 Die römerzeitlichen Personennamen der Steiermark auswertete. Andere Untersuchungen bezogen sich auf Die Komposition in gallischen Personennamen (vgl. Schmidt 1957) und auf die keltischen Matronennamen, die spätestens seit Max Ihm 1887 in der deutschsprachigen Literatur diskutiert werden.36 Vor der Drucklegung befindet sich die abgeschlossene Bonner Dissertation von J. Uhlich über Die Morphologie der komponierten Personennamen des Altirischen. Aufgaben: Systematische Erfassung der noch nicht ausgewerteten älteren Textkorpora; Auswertung nach Wortbildungsgruppen und Semantik. Das von St. Zimmer geplante Projekt eines Keltischen Namenbuches würde auf weite Sicht die Problematik der keltischen Namengebung auf systematische Weise einer Lösung näherbringen. 6. Neukeltische Sprachen Stand: Bereits 1899 veröffentlichte F. N. Finck seine zweibändige Untersuchung über Die araner mundart. Auf der Basis umfassender Studien zur irischen Volkskunde hat dann Hans Hartmann die Monographien Über Krankheit, Tod und Jenseitsvorstellungen in Irland (1942), Der Totenkult in Irland (1952) und Das Passiv (1954) vorgelegt. Eine mit Unterstützung von Tomás de Bhaldraithe durchgeführte Textaufnahme von ca. 110 Gesprächsstunden ist von ihm inhaltlich ausgewertet worden und soll demnächst im Druck erscheinen (vgl. ZCP 33: 1974). Umfangreiche weitere Materialien werden von A. Wigger bearbeitet. Untersuchungen zum Neubretonischen auf phonetisch-phonologischer Grundlage wurden von Wolfgang
36 Vgl. die bei Verf. in: Matronen und verwandte Gottheiten (Köln-Bonn: Beihefte der BJ 44: 1987) 133-154 zitierten Literaturangaben.
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U. Dressler in deutscher (1972) und (1980 zusammen mit J. Hufgard) in französischer Sprache veröffentlicht, bretonische und schottisch-gälische Monographien mit phonetischer Kommentierung von E. Ternes (1970; 1973) auf Französisch und Englisch verfaßt; mit dem Kymrischen, aber auch mit neuirischer Phonetik und den phonetischen Grundlagen der keltischen Metrik, hat sich H. Pilch (letztlich 1990; 1991) intensiv beschäftigt. Von großer Bedeutung sind die Arbeiten von Heinrich Wagner zu den neuirischen Dialekten, vornehmlich der englisch geschriebene vierbändige Linguistic Atlas and Survey of Irish Dialects (1958-1969); in englischer Sprache verfaßt ist auch A. Bammesbergers dreibändiges Handbook of Irish (1982; 1983; 1984). Aufgaben: Beteiligung an den Textaufnahmen neukeltischer Sprachen mit phonetischer und, wie von Hartmann vorgegeben, volkskundlicher Kommentierung. Die Dringlichkeit dieser Aufgabe macht das von G. S. Mac Eoin geleitete UnescoProjekt The Archive of Celtic Speech deutlich.37 7. Philologie Stand: Neben Beiträgen von Pokorny, z.B. die Diskussion mit Thurneysen um die Redaktionen A und Β von Morands Fürstenspiegel,38 sind eine Reihe weiterer Belege zu nennen. Zum Irischen bleibt hinzuweisen auf die Dissertationen von Rudolf Hertz und seiner Schüler Erik Peters und Gearóid Mac Eoin: Hertz: Beiträge zur Syntax der irischen Begründungssätze, ZCP 18 (1930), 19 (1933); Peters: Die irische Alexandersage, ZCP 30 (1967), Mac Eoin: Das Verbalsystem von Togal Troi, ZCP 28 (1960/61); nennen möchte ich hier außerdem die Edition von Táin Bó Regamna durch J. Corthals (1987) und die Ausgabe der Táin Bó Froích durch Wolfgang Meid (Innsbruck 1970), die durch ihren ausführlichen philologisch-linguistischen Kommentar eine sehr nützliche Einführung in die sprachvergleichende Lektüre älterer irischer 37
Vgl. Mac Eoin, CCN 3 (1985) und in: MacLennan 1988:
589ff. 38 Thurneysen, ZCP 11 (1917) 56ff„ ZCP 13 (1921) 298f., Pokorny, ZCP 13 (1921) 43ff.
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Sagentexte darstellt. Weitere philologische Arbeiten wurden von J. Corthals und Erich Poppe vorgelegt (vgl. Tristram 1990a: 47). Auf dem Gebiete der kymrischen Philologie war Mühlhausens Mabinogi-Ausgabe von 1925 bereits genannt worden. Im gleichen Jahr veröffentlichte Weisgerber seine Dissertation über Die Handschriften des Peredur ab Efrawc in ihrer Bedeutung für die kymrische Sprach- und Literaturgeschichte, ZCP 15 (1925). Während der vergangenen drei Jahre haben W. Meid und St. Zimmer durch Übersetzungen und Aktualisierungen dreier von Henry Lewis auf Kymrisch geschriebener Handbücher zum Kymrischen (Meid 1989), Bretonischen (Meid 1990) und Kornischen (Zimmer 1990) einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung britannischer Studien im deutschen Sprachgebiet geleistet. Aufgaben: Fortsetzung der Edition philologisch-linguistisch kommentierter Texte des älteren Irischen und Britannischen nach dem Meid-Modell, eine Arbeit, die außer keltologischer auch indogermanistische Schulung voraussetzt. 8. Literatur und Kultur Stand: Pokorny publizierte verschiedene Ubersetzungen aus dem Irischen und Kymrischen,39 während Martin Rockel 1989 Taliesin, Aneirin. Altwalisische Heldendichtung (Ph. Reclam, Leipzig) herausgegeben und übersetzt hat. Zur keltischen Literatur- und Kulturgeschichte liegen u.a. Arbeiten von W. Krause, J. Weisweiler, W. Meid und H. Tristram vor, darunter z.B. Krause, Die Kelten (1929), Weisweiler, Die Stellung der Frau bei den Kelten und das Problem des keltischen Mutterrechts, ZCP 21 (1939), Weisweiler, Vorindogermanische Schichten der irischen Heldensage, ZCP 24 (1953), die Monographie von H. Tristram über Sex aetates mundi. Die Weltzeitalter bei den Angelsachsen und den Iren (Heidelberg 1985) und Meids Beiträge zur Dichtung, Rechtspflege und Medizin im alten Irland (1974), zur germanischen und keltischen Religion (vgl. Meid 1991), zur Dichtung (Meid
39
Vgl. Meid 1967: 323.
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1985), Archäologie (1989) usw. (vgl. die Bibliographie in Heller et al. 1989). Die in Utrecht lehrende Schweizerin Doris Edel hat 1980 eine interessante Monographie Helden auf Freiersfiißen vorgelegt, in der sie frühe irische und kymrische Erzähltraditionen vergleicht. Weitere Themen, wie z.B. die irische Mission, die keltische Religion (de Vries), die Kelten in der antiken Überlieferung, zentrale europäische Themen der Erzähltradition wie König Artus / Kaiser Arthur (vgl. letztlich Birkhan 1989), Ossian, die Anglo-Irische Literatur (vgl. letztlich Heinz Kosok 1990) u.a. können hier nur noch angedeutet werden. Ich komme zum Schluß: Daß mein Referat sehr lückenhaft geblieben ist, liegt zum einen zwangsläufig an der begrenzten Vortragszeit, zum andern aber auch an der Reichhaltigkeit des Gegenstandes. Die deutschsprachige Keltologie kann auf eine stolze Tradition zurückblicken. Ihr Einfluß war für die Entwicklung einer philologisch-linguistischen Disziplin innerhalb und außerhalb der keltischen Länder von grundlegender Bedeutung. Diese Position konnte nicht gehalten werden: die nationalen Philologien der keltischen Länder haben natürlicherweise in ihrem jeweiligen Bereich die Führung übernommen; die französisch- und englischsprachigen Keltologen (unter Einschluß von Nordamerika) haben sehr starke Positionen bewahrt oder ausgebaut; das gilt ebenso für Italien, während Spanien, Rußland, Japan, Belgien, die Niederlande und Polen an Einfluß gewinnen. Trotzdem ist die deutschsprachige Keltologie immer noch als sehr vital zu bezeichnen, und die großen Leistungen der Vergangenheit sollten ihr Verpflichtung sein. Die traditionell gepflegte freundschaftliche Zusammenarbeit mit den Keltologen anderer Länder und Sprachen wird durch die politische Situation unserer Zeit nicht unwesentlich gefördert. Es scheint aber wichtig, darauf hinzuweisen, daß diese in der Wissenschaft notwendige Kooperation nicht nur auf der Ebene offizieller Organisation fortgesetzt wird, sondern darüber hinaus auch in der persönlichen Attitüde der einzelnen Forscher ihren Niederschlag finden sollte.
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Genauere Angaben zu dem hier und im folgenden angeführ-
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der Befund der späteren Inschriften, vgl. González Rodríguez 1986 sowie die Zahlenverhältnisse in der Peñalba-Gruppe, die sogar ausschließlich -um zeigen könnte, da araianom und veramom in der Regel nicht als Gen. Plur. aufgefaßt werden. 10 Demgegenüber ist dort die Endung des Gen. Plur. in den eindeutigen Fällen konsequent -um. Und schließlich würde selbst die in Rechnung zu stellende Möglichkeit diatopischer Varianten gegebenenfalls auf primär chronologische Unterschiede hinweisen 11 . 1. Aus der Erkenntnis heraus, daß demnach idg. '-ö- in gedecktem Auslaut vor -m und -s noch einzelsprachlich bewahrt war, stellten Villar und ich zwei unterschiedliche relative Chronologien auf: [Villar12] A. "Posición inicial" '#{)ö- > # ( ) ä - "en época anterior a la documentación escrita" B. "Posición interior" '-Ö- > -ü- "en época anterior a la documentación escrita" C. "Sílaba final" (1.) '-ön# > -ü# "antes del inicio de la tradición escrita" (2.) *-ö/#, '-öm#, '-ös# > -üi#, -üm#, -üs# "proceso en curso de implantación al pricipio de la documentación escrita" (3.) '-öd# > -ô#"avant le début de la tradition écrite, mais la voyelle finale absolue qui en résulte n'a pas vu altérer son timbre même dans les textes les plus récents".
ten Material bei Verf. 1992, S. 210f. 10 Große Is. bzw. No. 8b. Für araianom böte sich allerdings eine Interpretation als Gen. Plur. an, falls das darauffolgende comeimu ein Verbalnomen sein sollte, wodurch sich wiederum das (ansonsten problematische) fehlende s erklärte. Die Is. No. 8b lautet velsam /ticino veramom /turos oilobo (nach Untermann 1978, S. 7ff.). 11 Vermutlich deswegen wurde Villars diesbezügliche Bemerkung "Podría haber entre unos textos y otros tanto diferencias meramente cronológicas como dialectales" (1990, S. 205) in die französische Version (1991b) nicht übernommen. 12 Veleia 6,1989(1990),205 bzw. ΑΙΩΝ 12,1990(199la),280.
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Idg. *-o im Keltischen
[De Bernardo Stempel13] 0. (im Wortinneren): '-δ-VQ
>
-ä-VQ
1. (in ungedecktem bzw. vokalisch gedecktem Auslaut): 14 a. ' - ö # > -u# b. '-öi# > -ui# II. (in konsonantisch gedecktem Auslaut): 14 a. '-öd# > -ö# > -u# b. '-ons#
c. '-os# d. ' - ö m # e. '-ör#
> -ös# > -ös#
> >
-us# -us#
> - ö m # > -um# > -ör#
>
-ur#
2. Anders als die von mir aufgestellte, erhebt Villars Chronologie ausschließlich Gültigkeitsanspruch für das Keltiberische: Grundsätzlich scheint mir aber die Suche nach einem zusammenhängenden und nach Möglichkeit lautlich nachvollziehbaren Erklärungsmodell für das Gesamtkeltische lohnender zu sein. 3. So ist - trotz der wesentlichen Ubereinstimmung der erzielten Ergebnisse - Villars Ansatz zweier getrennter, voneinander unterschiedlicher Entwicklungen in Anfangs- und Mittelsilben überraschend und nicht durch sonstige keltische Evidenz gestützt. Darüber hinaus ist das Beweismaterial für den Ubergang von '-ö- zu -ä- lediglich in erster Silbe zumindest zweideutig. 3.1. Dies gilt für das einzige von Villar angeführte Beispiel, kib. sua 'so' (Botorrita A, Z.l), das er auch als das "más probable" ansieht, und dessen Vorform von ihm als 'swö (1990a, S. 389f.), von anderen aber in der Folge von Schmidt 1976, S. 389, als 'swäd rekonstruiert wird. Eine Vorform 'swäd, für die
13
HS 104.2,1991(1992),213. D i e Buchstaben dienen nur zur Verdeutlichung innerhalb der angenommenen Etappen I und II. 14
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meist altlat. suadli als Parallele angeführt wird, läßt sich auch innerkeltisch stützen, da für gall, in alisiia (RIG-L-13, 2. Hälfte des 1. Jh.n.Chr.)16 eine nach dem Muster der o-Stämme geneuerte Ablativendung '-öd anzusetzen sein dürfte: 17 Die Endung -a kann nämlich weder Dativ noch Lokativ sein18, und da jetzt für das Gallische in auch aus Larzac belegt ist, wird man die betreffende Stelle in Anbetracht der konsequent gallischen Sprache der sakralen Inschrift kaum als lateinisch abtun, zumal sie, da der Lokativ für diesen Ortsnamen gebräuchlich war, Alesiae oder sonst allenfalls "in Alesia lauten sollte. Als "monosyllabe tonique" vermag kib. sua außerdem gerade die Entwicklung in Anfangssilben kaum zu beweisen. Und schließlich zeigen andere betonte Einsilbler, die Villar wiederum als analogisch erklären möchte, den Übergang von -ö# zu - ü # : vgl. air. cú (oben 0.1.) und air. dú, Obi. don 'Boden, Erde'. 19 Nicht eindeutig ist auch die kib. Verbalform TaTus (Botorrita A, Z.8 u.10): Sollte sie, wie von einigen Forschern angenommen, tatsächlich die Vollstufe der Wurzel 'dö- {'deh3-) enthalten, so ließe sich nämlich ihr -ä- in der Anfangssilbe genausogut als Ergebnis eines '-ö- nach dem traditionellen Ansatz in 'nicht-auslautender' Stellung erklären.
15
«suad ted» Messalla ait esse «sic te» (Festus 476, 25). Das im 4. Jh. n.Chr. belegte in alixie (Séraucourt, DAG 144) zeigt spätgall. Auslautsschwächung. Zu akzentgebundenen Erscheinungen vgl. Verf., Zum gallischen Akzent: eine sprachinterne Betrachtung [im Druck für ZCP 46], 17 Eskas Verneinung der Existenz eines Ablativs im Keltiberischen "as in all of the other Celtic dialects" (1988, S. 117 A.3) auf der Grundlage von kib. es uerTai (Bot.A, Z.6) kann nur so verstanden werden, daß der Ersatz durch den Dativ mit Präposition nach der Festlegung des alten Ablativs in besonderen Funktionen erfolgte. Und so spricht Eska selbst von sua als "a fossilised ablative, inflected, as in Italic, as an â-stem" (1989, S. 102). Wie wir jetzt wissen, war der Ablativ im Archaischen Irischen anscheinend noch in seiner Funktion bewahrt (Verf. 1992, § 3). 18 Ersteres ist mit Endung -ai, später -i belegt, für letzteres würde man mit "-äi rechnen. 19 Dazu jetzt Eska, Veleia (S. 149ff. mit A. 12 u.19), der auch die idg. Präposition 'dö ins Gespräch bringt. 16
Idg. *-o im Keltischen
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3.2.1. Es gibt dagegen gute Beispiele für eine Entwicklung zu -ä- nicht nur in erster, sondern auch in zweiter Silbe, und zwar nicht bloß in den Kompositis mit -märos (z.B. gall. Nertomarus\ ir. nertmar, ky. nerthfawr 'stark'), in denen eventuell der historische ä-Vokalismus des unkomponierten Adjektivs einen analogischen Einfluß ausgeübt haben könnte,20 sondern auch im nicht mehr durchsichtigen ako. dioc piger: mbr. dieuc 'oiseux': aky. diauc gl. segnem, mky. diog < 'dë-ôk'u- (vgl. lat. öcior, gr. ώκυς, ai. asú-). 3.2.2. Ein langes -ä- in zweiter Silbe ist auch in den ansonsten regelmäßig gebildeten Gen. und Akk. Plur. des air. Artikels entstanden ((in)naN, naN bzw. innaG, na°), die beide eine Entwicklung von 'δ (obwohl im Auslaut!) zu ä wie im Wortinneren aufgrund der proklitischen Stellung im Satze aufweisen.21 3.3.1. Für einen Ubergang des 'ö zu kib. -ü- im Inlaut kann Villar stattdessen nur Beweismaterial anführen, das aus Kasusformen von Nasalstämmen besteht, wie etwa kib. Montunos, Gen. zu letontu (PNN, Ibiza bzw. Botorrita B). Dabei ist er selbst genötigt, analogische Einführung der Länge des Nominativs in andere Kasus anzunehmen, "tal como sucede en no pocas lenguas indoeuropeas".22 Da die Analogie nach dem Nominativ Singular bei den «-Stämmen zwar aus verschiedenen Sprachen geläufig, aber gerade für das Gesamtkeltische nicht nachweisbar ist (s. im folgenden), würde ich es unbe20
Etwa wie später im schott.-gael. neartmhor geschehen. Der Akk. Plur. weist auch eine Nebenform -sna°, z.B. in air. forsrta. Man beachte die Bewahrung der idg. langvokalischen Endung des Gen. Plur. im air. Subsystem des Pronomens: Wegen des Erhalts der zweiten Silbe in der Nebenform naN wird beim Gen. eine Schwächung von kurzem '-om zu a auszuschließen sein. Außerdem ist die Bewahrung der ursprünglichen idg. Endung auch aus 21
dem Gen. Sing. fem. des Artikels bekannt (inna°, na° < 'sindäs). Vgl. bereits Verf. 1992, S. 210 u. 214, sowie 1986 zu der Formenbildung des Artikels. 22
Lat. leo, leönis; got. tuggö, tuggöns; gr. τρίβων, τρίβωνος wer-
den hierzu exemplarisch angeführt (1990, S. 204 u. 1991a, S. 279).
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dingt vorziehen, sie - im Unterschied zu Villar - als einzelsprachlich anzusetzen, und zwar n a c h dem bereits erfolgten gemeinkeit. Übergang des '-ö# zu -ü# im Nom. Sing.23 Die angesprochene Analogie läßt sich nämlich nicht für das Inselkeltische ansetzen: vgl. u.a. frühair. Colgion, Gen. zu Colg(g)u\ og. INISSIONAS (Gen.); ky. ychen, Plur. zu ych Ochse'. Normalstufe des Suffixes im Festlandkeltischen zeigen ebenfalls die lep. Dative atilonei, piuonei /bivonei/ (PNN aus Giubiasco, PID 263, bzw. Sorengo, PID 271), während Belege wie gall, ουιρονιας (Gen.Sing. eines Fem. zu ouipou: RIG-G523 bzw. 249) und lep. ariuonepos (Dat.Plur. zu 'ariö, enthalten in ven. Ariuns24) die Normalstufe lediglich voraussetzen könnten. Außerdem ist es im Keltiberischen selbst nur ein Teil der Nasalstämme, der die Länge des Nominativs in die Obliqui einführt, während eine andere Untergruppe die Schwundstufe des Suffixes bewahrt zu haben scheint: Man vergleiche die problematische Vaterschaftsangabe kib. abulos zu abulu /Ablu/, lat. Ablo (Botorrita Β bzw. A u.B und Tab. Contr.), die von Motta 1981 und Hamp 1989 unter Verweis auf air. bronn aus 'b(h)rus-n-os (Gen.Sing. zu brú 'Brust, metaph.') im Sinne eines /Abullos/ aus 'abVl-n-os, vorher 'abl-nos, interpretiert wird, von Eska (1989, S.130) jedoch als 'ablünos mit Metathese zu 'abülnos. Angesichts der lautlichen Schwierigkeiten beider Erklärungen wäre m.E. eine Vorform 'abl-on-s zu erwägen, die /ablos/ < abulos > mit demselben stummen Vokal wie im Nom. ergeben hätte.
23
Inzwischen hat auch Eska die 1989 vertretene Meinung zurückgenommen und sich für eine Analogie ausgesprochen, die sich nicht so sehr nach der Ablautstufe des Suffixes, sondern vielmehr nach dessen Vokalqualität gerichtet haben soll (Veleia, S. 151). 24 Prestino bzw. Este 25. Das Vorkommen keltischer Namen im Venetischen wurde vor genau hundert Jahren von Thurneysen beobachtet (Verf. ZCP 46 § 3.4.10. mit späterer Literatur). Dieser Interpretation zufolge würden die "ariuones, die Empfänger der anscheinend sakralen Widmung, durch das vorangehende Determinans uFiTiauioPos /upsidiauiobos/ 'hohen, erhabenen' bestimmt: dazu Tibiletti Bruno 1978, S. 142 und Verf. 1990, S. 29f.
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3.3.2. Auch die von Villar selbst nicht erwähnten gall, oxtumeto(s) (Graufesenque25 No. 6 u. 31) und die Verbalformen pissíiu mi, ueditu mi, dessu (m)mi sowie scrisu mi (i)o (in Chamalières bzw. Marcellus Burdigalensis), ließen sich als Beweis für einen Übergang von '-ó- zu -ü- im Inlaut kaum anführen, denn sie sind erst später mit Suffix bzw. pronominalem Element erweitert worden. Dies ist im Falle von oxtumeto(s) zum einen an der äußerst jungen Suffigierung ersichtlich, die wir 'vierten Grades' nennen könnten, zum anderen an der jungen Gestalt der britannischen Entsprechung ky. wythfed: br. eizvet, für die sonst die ungewöhnliche Synkope eines Langvokals anzunehmen wäre.26 Hinweise auf das junge Alter der gall, erweiterten 1. Pers. Sing, sind das gleichzeitige Vorkommen nicht erweiterter Verbalformen in ein und demselben Text (gall, regu in Chamalières) und die evident unabhängige Entstehung der entsprechenden britannischen Endungen wie in ky. caraf, kenif, denn '-ö-mi hätte "-awf/-of ergeben müssen.27 3.4. Es empfiehlt sich also, doch eher bei der traditionellen Annahme eines einzigen, einheitlichen Lautwandels 'ö > ä im
25
Hier und im folgenden nach Marichal 1988 zitiert. Vgl. gali, suéx-os vs. pinpé-tos vs. sextam-étos, nam-étos, decam-étos vs. oxtu-métos. Uberhaupt scheinen die Erweiterungen der Ordinalia, trotz Heidermanns 1991, S. 384, kaum gemeinkeltisch an Stämme mit inlautendem -m- (< *-m#, *-«#!) zu sein: In dem Falle wäre außerdem der Nasal vorvokalisch schwerlich silbisch als am realisiert worden, vgl. Verf. 1987, S. 47ff. Bemerkenswert ist auch die Einheitlichkeit der air. Schreibungen, sowohl der Endungen wie auch von nómad, wofür wir weder "nóamad noch "núamad haben. 27 Die Unabhängigkeit und das junge Alter der Bildungen werden selbst von McCone 1991, S.103 konzediert, der in dem mi - wiederum dem jungen Alter zum Trotz - eine alte idg. athematische Endung sehen möchte. Eher möglich wäre es dann, an die Endung der Copula zu denken, die in der ersten Person Singular sicherlich häufiger als z.B. in der 3. war: vgl. gall, ιμμι (RIG-G-13) und vielleicht auch imi auf einem Spindelgewicht (dafür Lejeune 1976/77, dagegen Meid 1983). 26
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An- und Inlaut zu bleiben, wie er oben (1.) von mir (sub 0.) formalisiert wurde. 4.1. Bei der ersten der drei unterschiedlichen, nach Villar für die Stellung in Endsilben anzusetzenden Entwicklungsphasen, in der nämlich der Ausgang '-ön# vor dem Anfang der schriftlichen Überlieferung -ü# ergeben habe, ist von ihm außer acht gelassen worden, daß wir für den Nom. Sing, der η-Stämme im Keltischen von einer ursprünglichen Endung '-ö# auszugehen haben, wie schon 1838 von Bopp festgestellt (S.201ff.). Dies zeigen zum einen die historische Lenierung in Fällen wie air. Cú Chulainn, zum anderen die Apokope der langvokalischen Endung im Air., vgl. triath, Gen. trethan 'Meer'. 28 4.1.1. Festzuhalten ist allerdings, daß der Übergang von '-¿># zu bei dem Nom. Sing, der Nasalstämme in gemeinkeltische Zeit fällt: vgl. gall, frontu-, lep. teu\ mezu /Medu/; 2 9 kib. abulu, letondu (Naintré: Vieux-Poitiers; Vergiate; Zignago; Botorrita B) sowie der Typ air. toimtiu mit -iu (bzw. -u wie etwa in air. tíchtu) aus '-iö. Aus diesem Grund wird der Ausgang des Nom. Sing, der «-Stämme in meiner relativen Chronologie mit der Fortsetzung der Verbalendung der
28
In diesem Sinne jetzt auch Eska, Veleia, S. 148. Bei dem von Hamp 1991, S. 97, dazu angeführten "Aßou handelt es sich jedoch um einen Genitiv, denn es heißt "Aßou ποταμού έκβολαί (Ptol. 2,3,4). 29
Aus kelt. 'Medö, einer on-Ableitung aus idg. 'medhu 'Honig; Met'. Anders als Vendryes (Vendryes/Hubert 1913, S. 423f., von Lejeune 1971 § 55 u. 60f. zweifelnd übernommen) bin ich der Meinung , daß die anthropomorphe Stele von Zignago einen PN und einen Beinamen in scriptio continua enthält (vgl. auch Lejeune 1971, S 144 und Tibiletti Bruno 1978, S. 159), und daß v.a. hier wie in Voltino (und im Venetischen: hierzu zuletzt Meid 1989, S. 20f.) als [d] zu lesen ist.
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l.Pers. Sing. (gall, delgu, tecu:30 Banassac bzw. Graufesenque, DAG 130; weitere Exx. oben 3.3.2) subsumiert (oben 1: Ia). Es handelt sich hierbei um einen Kontext, den Villar nicht zur Sprache bringt, genausowenig wie den von '-δ- vor *-/i5# oder -r# im Auslaut. Zu der Stellung im absoluten, d.h. ungedeckten Auslaut zu zählen ist vermutlich auch der bereits in der ältesten gallogriechischen Inschrift belegte 'kürzere gallische Dativ', der auch mit dem längeren auf -ui schon in den Iss. des archaischen 'Formulars βρατου' alterniert, so daß die These, die den kürzeren Dativ (zu dem auch der thematische Dat. Sing, des Air. zu zählen ist) formal aus dem alten Instrumental (als Soziativus oder Komitativus?) ableitet - und nicht aus dem Dativ auf -ui - vielleicht vorzuziehen ist.31 4.1.2. Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang vermerkt, daß der thematische Nom. Dual im Keltischen nicht auf Langvokal oder gar auf ursprünglichen und in der Regel monophthongierten Diphthong, sondern eher auf kurzes '-o hinweist: vgl. gall, uercobreto, casidano, duorico (Lixovier-Münze, Graufesenque No.8, RIG-*L-7), air. fer in in daL fer, das unabhängige Zahlwort däu und ky. dwylaw zu llaw 'Hand' 32 . 4.2. Während mir der parallele Übergang des Diphthongs *-öt'# im Auslaut zu -üi# auch unmittelbar, d.h. in die gemeinkeltische Periode, dazuzustellen schien (s. Ib sub 1.), veranlaßt ein einziger, noch umstrittener Beleg Villar dazu, den Wandel als in historischer Zeit noch nicht abgeschlossen anzusehen,
30
Aus der neuen, von Lambert (1987, S. 531) vorgenommenen Trennung, die die von Verf. 1990 (S. 31) bemängelten lautlichen Schwierigkeiten bei den früheren Deutungen beseitigt, könnte man m.E. eine ganz neue Interpretation folgern: Nach dem Dativ der Empfängerin (Aricani, 2x belegt) und Genitiv der Mutter (Lubitias zu 'Lubita 'die Geliebte') würde sich demnach für tecu eine Deutung als Verbalform (mit t- für d- hinter risi) ergeben. 31 Hierzu im einzelnen Verf. 1992, § 2.2., S. 207ff. Zu der dort zitierten Literatur adde Gray 1951. 32 Vgl. in letzter Zeit Adams 1991.
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bzw. ihn in die mittlere Phase (d.h. C2 bei Villar sub 1) einzustufen, und zwar zusammen mit der Hebung von -ös# und -öm# in den Endungen des Nom. Plur.33 und des Gen. Plur. Bei dem möglichen Dativ handelt es sich um kib. Jrbosboi oder Jrbosoboi oder ]fbos oboi bzw. JrboLoboi,:34 Der ebenfalls skeptische Eska gibt mit Recht zu bedenken, daß "the existence of presumably dat. sg. ueiTui in the same inscription makes this somewhat doubtful".35 Die Beleglage ist in dieser Hinsicht wohl noch zu dürftig, um weitreichende Schlüsse zu ziehen, man müßte aber gegebenenfalls in die Diskussion auch die vereinzelten gall. Dative mit o-Vokalismus einbeziehen, wie ουενικοι (RIG-G-279 nach Meid 1976) oder - mit kurzer Endung - ßeXecvo, luceo, peroco, leucutio (G-28, "L-12, *L-7, L-6), die bisher als epigraphische Varianten erklärt wurden.36 4.3. Die dritte und letzte Phase der Entwicklung in Endsilben schließlich stellt laut Villar (s. C3 bei Villar sub 1) die Endung '-öd# dar, die zwar zu -ö# geworden sei, ohne jedoch ihre Qualität und auch Quantität selbst in den jüngeren Texten geändert zu haben, wie aus dem Genitiv Singular der kib. o-Stämme hervorginge (z.B. coiaio, sarnicio: Tessera Froehner bzw. Botorrita A), der sich auf einen - m.E. gerade bei Vaterschaftsangaben besonders häufigen - Ablativ der Herkunft zurückführen läßt.37 Ein gewisser Widerspruch bleibt aber bei
33
Im Air. als Endung des Vokativ Plural (firu) erhalten. Medinaceli, resp. nach den Lesungen von Villar, Fatás 1985 und Untermann 1989 bzw.1990. Vgl. dagegen das konsequent durchgeführte -üi der kib. Dative ueitui, ueisui, eqveisvi und iomui, somui (Medinaceli, Luzaga, Peñalba gr.Is. und Botorrita A7). Dasselbe gilt für das Lep.: vgl. u.a. Metelui Maesilalui, Latumarui (Carcegna bzw. Ornavasso). 35 Veleia, S. 148. Vgl. auch S. 149: "the raising was probably completed first in environment -y Φ since only y is [+ high]". 36 Lejeune, RIG I, S. 441 und Π/1, S. 58f. Dazu ferner Verf. 1992 Α. 80. 37 Vgl. zu dieser von Schmoll 1959 aufgestellten Theorie 34
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Villar nicht aus: Wenn, wie man allgemein glaubt, "La finale '-öd# a perdu son -d avant le début de la tradition écrite",38 wieso sollte dann das übriggebliebene -o# nicht wie alle anderen -ö(C)# behandelt worden sein? Außerdem, wenn auch die ohnehin äußerst spärlichen Beispiele für ein keltiberisches oder auch nur hispanokeltisches -u in dieser Stellung alles andere als sicher sind,39 zeugt jedoch einiges - zumindest außerhalb des Keltiberischen - für die kelt. Weiterentwicklung zu -M# von vorhistorischem, idg. '-öd#. Es handelt sich dabei zunächst um die lepontischen, von de Hoz 1990 erkannten und ebenfalls auf den Ablativ Singular zurückgeführten thematischen Genitive auf -u: vgl. u.a. antesilu und amaSilu, oletu (ICI 6 bzw. Ornavasso). Hierzu muß v.a. unterstrichen werden, daß erst dank de Hoz' Erklärung, nach der einige der lep. Personennamen auf -w# Nominative von «-Stämmen, die meisten aber o-stämmige Genitive darstellen, sämtliche Belegstellen befriedigend gedeutet werden können. Die frühere Interpretation aller Bildungen als «-Stämme vermochte dagegen, trotz des ad hoc-Ansatzes einer patronymischen Funktion, weder die Iss. mit einem einzigen Namen zu erklären, noch diejenigen, in denen zwei Namen auf -u hintereinander vorkommen.40 Die Genitive auf -u scheinen übrigens älter zu
die grundlegenden Untersuchungen von Untermann 1967, K.H. Schmidt 1977, de Hoz 1990. Auf Hamps und Eskas 1988 abweichende Rekonstruktion geht u.a. Verf. 1992 (S. 217 mit Literatur) ein. 38 Dafür spricht die Lenierung nach den air. neutralen Pronomina aL (Infig.Pron. K1.A, 3.Ps.Sg.) und alaill1 (zum M./F. alaile)', ferner auch die oben (3.1.) besprochenen kib. sua und gall, in alisiia. Zum Ansatz mit stimmhaftem Dental wie auch zu dessen Bewahrung in gall, enklitischen pronominalen Einsilblern wie id, med (Chamalières Ζ. 9, Lezoux, Larzac ΙΑ 7; Voltino) vgl. Verf. 1992 Α. 58. 39 Vgl. die von mir bereits 1992 angeführten kib. tvrov und Secundu, Paternu (S. 217 A. 93 mit Literatur). 40 Darüber hinaus legt die wortbildungsmäßige Analyse gerade der oben zitierten Belege ihre Interpretation als ostatt als «-Stämme sozusagen um ein Suffix näher, und auch
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sein als die ebenfalls lepontisch belegten auf -/, die bisher um etwa die Hälfte seltener (ca. 6 Bspp.) und nur nachgestellt, nicht in Verbindung mit Patronymika und überhaupt eher in jüngeren Iss. vorkommen. Eher problematisch ist dagegen das Verhältnis beider Typen zu dem fraglichen xosioiso mit durchgestrichenem s aus Castelletto Ticino, falls es tatsächlich einen thematischen Genitiv auf '-osyo darstellen sollte,41 wobei aber die erwogenen Lesungen42 - auch wegen des hohen Alters der Is. - einen Vergleich mit den 4.3.1. angeführten lep. Genitive mit noch bewahrtem -ö durchaus zuließen. Ferner sind hierzu die archaisch-irischen, später erstarrten Ablative moc(c)u[L\ mac(c)ulh] bzw. og. MACU (Verf. 1992) anzuführen, zu denen sich auch das indeklinable Namenelement corcu {corco, corca), gefolgt vom Genitiv eines Eponyms (Corcu Ruaid), hinzufügen ließe, das bisher als "a petrified dative singular or [syntaktisch noch weniger einleuchtend] accusative plural" zu coirce 'hauena' (hier wohl '"Same') galt.43 4.3.1. Man wird jedoch Villar anhand der neuen Erkenntnisse insofern zustimmen können, als zumindest in einem Teil der kib. thematischen Genitive der Ausgang -o ein archaisch noch bewahrtes langes -ö# darstellt. D.h., daß wir in einem Teil der Belege mit derselben Bewahrung des langen -ö# zu tun haben, die sich bisher auch in og. MOCO, MUCO(-) (Ab-
das extreme numerische Mißverhältnis zwischen belegten Nominativen und den anderen Kasus der «-Stämme würde dann - wie von de Hoz 1990 gezeigt - nicht mehr bestehen. 41 So Gambari und Colonna 1986. Keine Evidenz liegt jedoch für die dort angenommene Metathese vor, vgl. kosioselbst, kasio(s) (Münze, Lejeune 1971, S. 131) und alios (Civiglio). 42 "xosioio (meno probabilmente xosioiio o xosioiiso)" (Gambari/Colonna 1986, S. 132). Zu den Gefäßen mit plioiso u.ä. vgl. a. Tibiletti Bruno 1978, S. 146f. 43 DIL-C-477 s.v. corca (io-St.M.); vgl. a. LEIA-C-208 und MacNeill 1911 (bes. §§ 33, 35 u.40), der S. 64 einen Vergleich von Marstrander mit dem späteren Gebrauch von sil 'Same' (Sil Muiredaig) referiert.
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lativ Singular nach Verf. 1992), in den lep. Patronymika esopnio, (ükonetio (Genitive: ICI 18 bzw. 14)44 und gall, isoc (Chamalières Ζ. 10) beobachten läßt.45 Letzteres wird als Adverb mit der Bedeutung 'so' interpretiert und zuletzt von Eska 1990, S. 155, als Erweiterung des jungen Demonstrativstammes 'isto- mittels einer deiktischen Partikel 'k'e gedeutet,46 weswegen es von Fleuriot 1976/77, S. 186, mit umbr. esoc, esuk, issoc 'sic, ita' verglichen worden war. Eine naheliegende Erklärung als Ablativ oder als Instrumental (mit -ö aus *-ohi) verwirft Eska ausdrücklich, gerade weil nach seiner Auffassung "we would expect the -δ- to have become -Ü-". 4.3.2. Aus all den oben (4.3.) genannten Gründen muß man - und im Ergebnis stimme ich mit Eska (Veleia, S. 149) überein - für die Beibehaltung des -o beim kib. Gen. Sing, der oStämme nach einem zusätzlichen Motiv suchen, als sie dem ursprünglich darauffolgenden '-d# zuzuschreiben. Mir scheint aber K.H. Schmidts Versuch, das -o# als Produkt einer Analogie nach dem kurzvokalischen Nom. und Akk. Sing, zu deuten,47 nach wie vor4® ein brauchbares Erklärungsmodell für die zweite Phase zu sein, in der also -ö(C)# ansonsten zu -u()# wurde. Eskas Einwand49 bezüglich des gleichzeitig
44
Darüber de Hoz 1990. Die Vermutung, das -ö# habe sich wegen des vorangehenden -y- gehalten, findet sich schon bei Tibiletti Bruno, ICI S. 167 u. 172. Die zweite hier angesprochene Is. scheint noch die ältere Stellung (Determinans + Determinatum) bewahrt zu haben. 45 Für weitere Beispiele von Bewahrung des -ö- im Kelt, (vor -s# und -r#) s. unten (5.). 46 Wie in air. cé < 'k'ey. 47 1991, S. 365, in Anlehnung an Vaillants Erklärung der ostbaltischen thematischen Genitivform (lit. vyro zu vyras 'Mann') aus einem analogisch umgestalteten Abi. Sing, mit vorhistorischem langem '-äd. Zu den baltischen Gegebenheiten ausführlich K.H. Schmidt 1977. 44 Darüber schon Verf. 1992, S. 217. 49 Veleia, A. 11. Für eine andere Interpretation der gelegentlichen Bewahrung von -d# s. oben A. 36.
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bestehenden unterschiedlichen Vokalismus des Dativs und Lokativs Singular verliert an Aussagekraft, wenn man bedenkt, daß diese Kasus auch im Baltischen weder an der betreffenden Analogie teilgenommen, noch sie verhindert haben50. Außerdem, wenn man die Kürzung der Genitivendung für eine relativ jüngere Phase postuliert, in der Dativ und Lokativ bereits -u- bzw. -e-5' aufwiesen, so wird eben die Analogie a l l e Endungen erfaßt haben, die die gleiche Vokalqualität (o) zeigten. Im Falle des Lokativs können auch die begrenzte Verwendung sowie v.a. seine Funktion als lokaler und eben nicht grammatischer Kasus eine Rolle gespielt haben. 4.3.3. Durchgehender Vokalismus ist auch bei den bisher als Imperative gedeuteten kib. Verbalformen festzustellen, wie TaTus (oben 3.1.) und usabiTus, TinbiTus; biseTus; oisaTus (Botorrita A5-7), d.h. wenn man von neito (Botorrita A6) absieht, das Villar als 'ne + 'tuzo > -tus [tuz]. Eska dagegen, der sich 1989a zu der noch erklärungsbedürftigen Umgestaltung der Endung bekannte, versucht jetzt (Veleia, S. 152ff.) die Schwierigkeiten
50
Vgl. lit. Dat. auf -ui, Instr. auf -u und Lok. auf -e. Für den Ansatz eines kib. thematischen Lok. Sing, auf ei# vgl. sarniCiei vs. sarniCio: Botorrita A9 vs. Al u.ll. Zu dieser Problematik s. Villar 1991. 51
52
Idg. *-o im Keltischen
in Villars Rekonstruktion dadurch zu umgehen, daß er ein reduziertes anaphorisches Pronomen -(i)s ansetzt, das an die 3. Pers. Imp. angefügt worden sei, um sie von der 2. zu disambiguieren. 5. So sehr ich also die grundsätzliche Bestätigung durch Villar bei dem Ansatz eines zwar archaischen jedoch historischen keltiberischen langen -ö()# in Endsilben begrüße, möchte ich an der 1992 vorgeschlagenen relativen Chronologie (oben sub 1.) dennoch festhalten. Zum einen vermag sie, weil nicht auf das Keltische Hispaniens begrenzt - wie eben diejenigen Villars und Eskas (Veleia, bes. S. 154) -, vereinzelte keltische Formen mit - o # statt "-u# zu erklären. Neben den oben 4.3.1. erwähnten sind in diesem Zusammenhang v.a.52 einige gallische Akkusative des Plurals zu nennen: sos (Chamalières, Ζ. 3), otos = lat. fines (Vercelli) 53 und auch das infigierte Pronomen -so- in to[s]o\kot[e] /to-§o-kon-de/ = lat. dedit derselben Inschrift, das sich in der Folge von Koch 1983 (S. 187ff.) und zuletzt Eska 1990a als 'to-(i)stonsk'om-d(h)oe interpretieren läßt.54 Zum anderen dürfte die Unterscheidung zwischen Inlaut und Auslaut und wiederum zwischen nicht-gedecktem vs. gedecktem Auslaut bei ihr phonetisch nachvollziehbar sein, und in diesem Punkt stimme ich völlig mit Eska (Veleia, S. 154(λ)) überein. Darüber hinaus läßt sich letztere Differenzierung mit den Verhältnissen im Bereich der altirischen Langvokale vergleichen: Dort erfolgte die Kürzung in ungedecktem Auslaut wohl so früh, daß die
52
Zu weiteren fraglichen Formen wie gall, marcosior, velor (Spindelgewicht bzw. Marcellus Burdigalensis) vs. air. midiur, moiniur sowie zum o-vokalischen Gen. Plur. vgl. Verf. 1992, S. 215f. u. 210. 53 Ausführlicher darüber Verf. 1992, S. 214. Überholt deshalb McCone 1992a A. 39 zu einer vermeintlichen Nasalschwankung in Vercelli. 54 Die Aphärese des i- beim Pronomen dürfte m.E. durch das vokalisch endende Präfix bedingt sein. Vgl. auch meine Besprechung von Meid 1989 mit weiterer Literatur (ZCP 45, S. 288f.).
Patrizia de Bernardo Stempel
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Endvokale - zusammen mit den ursprünglichen Kürzen - der Apokope zum Opfer fielen, in gedecktem Auslaut hingegen um soviel später, daß der vokalische Kern der Endungen bewahrt blieb.
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George Broderick, Ramsey (Man)
SPRACHKONTAKT UND SPRACHGESCHICHTE DER INSEL MAN IM RAHMEN IHRER ORTSNAMEN 1. Einleitung Obwohl das Thema "Ortsnamen der Insel Man" insbesondere durch die Werke von Kneen (1925-28) und Marstrander (1932, 1934) recht umfassend behandelt worden war, sind erst seit 1970 detaillierte Untersuchungen durchgeführt worden (vgl. Megaw 1976, Fellows-Jensen 1978, 1983, Gelling 1970, 1971, 1978, Thomson 1978, Broderick 1979a, 1980-81a, 198081b). Eine Debatte über die Verhältnisse zwischen keltischund nordischstämmigen Elementen unter den Ortsnamen (vgl. Gelling 1970, 1971, Megaw 1976) fand v.a. deswegen statt, weil gerade damals die Kontinuität des Gälischen auf der Insel Man über die skandinavische Periode hinaus bis in die Gegenwart heftig diskutiert wurde. Ohne diese Diskussion weiterführen zu wollen, sollen im folgenden einige Fakten über die Situation der Ortsnamen der Insel Man dargestellt werden.
2. Vorskandinavische Namen Nach wissenschaftlicher Auffassung sind nur drei Ortsnamen aus der Vorwinkingerzeit erhalten: Man selbst, Douglas und Rushen. Man ist als Mona in klassischen Quellen zu finden und mit dem lateinischen Namen der Insel Anglesey Mona, kymr. Ynys Mon, verwandt. Die Bedeutung 'Berg' entspricht von den umliegenden Ländern aus betrachtet - dem Erscheinungsbild der Insel. Der Name Douglas, gäl. Dubhghlais 'schwarzer Fluß', ist wohl im ganzen westlichen Teil der britischen Inseln verbreitet gewesen, insbesondere in Irland, in Schottland und in Lancashire (Westengland); in Wales kommt er als Dulas vor und in Südwestengland als Dawlish, Dowles, Dowlish, Develish. Der Name Rushen ist eine Verkleinerungs-
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Ortsnamen der Insel Man
form von ros 'Moos, Heide, Hügel, Vorgebirge, Sumpf, Wald' und findet ebenfalls auf allen britischen Inseln Verbreitung: Auf der Insel Man existiert er im südlichen Teil sowohl als Name eines "Sheadings" (oder Kreises) als auch einer Gemeinde; daher ist es ungewiß, welcher Ort den Namen zuerst getragen hat. Der Name Ard in der Maughold-Gemeinde ist als weitere Möglichkeit in Betracht zu ziehen. In der Regel besitzt ard die Bedeutung 'Höhe'; in diesem Fall trägt er aber wahrscheinlich die Bedeutung 'Vorgebirge'(vgl. Broderick, 1980-81a), vgl. ir. áird, bezieht sich auf das Vorgebirge von 'Maughold Head', und wird erst später auf den in der Nähe liegenden gerundeten Hügel 'the Ards' [0:dz] übertragen worden sein. Das oben genannte Vorgebirge von Maughold [maxal] wird im "Book of Armagh" erwähnt und kann somit als vorskandinavisch angesehen werden. Ein weiterer vorwinkingischer Name ist Appyn 'Abteigelände' (vgl. Gelling, 1971), ein Landbesitz in Glanfaba, der in einer aus dem 14. Jh. stammenden Urkunde genannt wird. Er ist wohl in ganz Schottland vertreten und bezieht sich wahrscheinlich auf die frühchristliche Periode der britischen Inseln (6.-7. Jh.).
3. Flußnamen Es ist bemerkenswert, daß Flüsse nicht nach alten Göttern bzw. Göttinnen benannt worden sind, wie es z.B. in Großbritannien und Irland üblich war (vgl. Dee < fem. von deivos, lat. deva, Boyne < Bovindo). Der längste Fluß der Insel Man, der Sulby River (ca. 22 km lang), trägt im Manx-Gälischen den Namen Awin Vooar [aun 'vu:r] 'großer Fluß', unter den Einheimischen im Englischen 'Big River'. Auch andere Flüsse tragen das Element awin 'Fluß' (z.B. Awin Ruy 'der rote Fluß'), aber von der leicht zu erkennenden Gruppe von Flußnamen der vorgermanischen Zeit Großbritanniens findet sich auf der Insel Man keine Spur.
George Broderick
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4. Namen alter Denkmäler Unter Manx-Ortsnamen fehlen auch bedeutungstragende Namen von urgeschichtlichen Denkmälern, z.B. Gräbern, Festungen etc. An dieser Stelle ist es relevant, die Situation mit der in Irland und Schottland zu vergleichen, wo solche Artefakte, insbesondere Festungen, solche Namen tragen, die uns verdeutlichen, daß die einheimische Bevölkerung die ursprüngliche Funktion alter Denkmäler richtig verstanden hat, vgl. dún, ráth, lios, caiseal, cathair (vgl. Flanagan 1980-81, Mac Donald 1980-81, 1981-82). Auf der Insel Man werden solche Denkmäler, ebenso wie große Felsen, einzig mit dem Element cashtal 'Schloß, Festung' bezeichnet (vgl. Broderick, 1980-81b). Wo gälische Namen für Festungen der Eisenzeit auftauchen, z.B. Cronk ny Merriu 'Totenhügel', Close ny Chollagh 'Hengsthof, sind sie entweder irrelevant oder beweisen ein totales Unverständnis seitens der einheimischen Bevölkerung für ihre Originalbedeutung. Unerfindlicherweise ist nirgendwo sonst auf den britischen Inseln ein Gebiet wie die Insel Man zu finden, wo Ursprung und Bedeutung von Namen alter Denkmäler von der Bevölkerung nicht verstanden werden.
5. Gälische Namen 5.1. Die Struktur gälischer Namen Die manx-gälischen Namen Puri ny hlnshey, Cashtal yn Ard, Cronk ny Merriu, usw. haben die Form: Substantiv + abhängiges Substantiv im Genitiv und sind in Wirklichkeit Phrasennamen. Namen dieser Art sind auf Man, so wie in Irland und Schottland, zwar verbreitet, aber wahrscheinlich nicht häufig vor dem 12./13. Jh. entstanden. Hin und wieder sind sie schon im 9. Jh. zu finden (vgl. Flanagan, 1978). Namen alleinstehender Substantive (ohne Artikel) scheinen am ältesten zu sein, vgl. Áird. Der Name Rushen entspricht diesem Muster. Namen mit Artikel und Substantiv, z.B. Niarbyl, d.h. Yn Arbyl [njarbal] 'der Schwanz' (eine Felsenforma-
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Ortsnamen der Insel Man
tion), folgen als nächste Gruppe, sind aber nur wenig vertreten. Der überwiegende Namentypus, der auf Man zu finden ist, besteht aus einer Phrasengruppe wie z.B. Cronk y Voddy 'Hügel des Hundes' (wörtlich), etc., die in ihrer gegenwärtigen Form nicht vorskandinavisch sein können, obwohl sie vielleicht neugebildete Varianten älterer vorskandinavischer Namen im Gälischen sind. 5.2. Westgälische Elemente Zwei Ortsnamenelemente im Manx-Gälischen sind bemerkenswert: slieau [slju:] 'Berg', carrick [karik] 'Felsen'. Sie kommen am häufigsten in Irland und hin und wieder in Südwestschottland vor. Auf Man sind sie, insbesondere slieau, überall zu finden. In Schottland benutzt man beinn statt slieau (sch.gäl. sliabh), da dies die Bedeutung 'Moos' besitzt. Wissenschaftler vermuten, daß slieau und carrick wahrscheinlich in der Zeit der von Dublin unterstützten Niederlassungen (ca. 1025-1075) auf Man, insbesondere auf der nordwestlichen Seite, eingeführt wurden (vgl. Dolley, 1976). 5.3. Ortsnamen mit balla (ir. baile) Der am häufigsten auf der Insel Man vertretene Namenstypus ist der mit balla 'Siedlung, Stadt, Bauernhof. Die Verbreitung dieses Elements durch die Landschaft von Man fand offensichtlich nach der skandinavischen Ära statt. Für Irland ist nachgewiesen worden, daß baile ungefähr um 1150 häufiger auftauchte. Wahrscheinlich rührt dies vom Einfluß der AngloNormannen her (von ca. 1150 an), bei denen baile das Lateinische villa, entspr. aengl. tun, übersetzte. Baile ist aber wiederum auch schon aus früherer Zeit in Irland und auf Man, wenn auch selten, vertreten (vgl. Flanagan 1980, Andersen 1983). Auf der Insel Man ist balla erst ca. 1280 in der Chronik von Man bezeugt (Abteilung Landgüter der Abtei von Rushen, vgl. Broderick, 1979b). Ein balla-Name unter ihnen ist Ballasalla. Die meisten 6a//a-Namen sind aber ziemlich spät
George Broderick
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gebildet worden, da sie als Anhang den Namen des Grundbesitzers tragen: Ballakelfy 'der Bauernhof von [der Familie] Kelly', Ballagawne 'der Bauernhof von [der Familie] Gawne' etc. Diese Namensbildung ist eine Gewohnheit der AngloNormannen und wahrscheinlich aus Irland importiert; die Anglo-Normannen selbst haben sich auf Man nie niedergelassen. Obwohl Ortsnamen wie Ballagilley '...von Gill' und Ballakeigan '...von Hákon' bereits ca. 1280 nachgewiesen worden und in diesem Sinne im Vergleich zu Namen der gleichen Art 'Bauernhof von...' alt sind, sind sie dennoch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht so alt wie Ballachurree 'Bauernhof des Sumpfes/am Sumpf (Substantiv + geographisches Beschreibungselement im Genitiv) oder Ballabeg 'der kleine Bauernhof (Substantiv + Adjektiv).
6. Skandinavische Namen Viele der markanten landschaftlichen Merkmale, wie Täler und Berge, tragen skandinavische Namen: (Täler) Cardie (< kvernárdalr 'Miihlwassertal'), Eskdale ( < eskedalr 'Eschental' - der noch ältere Name auf Dhoon Glen), Groudle ( < krappdalr 'das enge Tal'); (Berge) Snaefell ( < snaefjall 'Schneeberg' - vielleicht eine Übersetzung aus dem Gälischen sliabh sneachta), Greeba (< gnipa 'Gipfel'), Barrule (< vördufiall 'Steinhügelberg'). Ramsey ( < hravns á 'Rabenfluß') und Laxey ( < lax á 'Lachsfluß') sind ursprüngliche Flußnamen, die auf Siedlungen übertragen wurden. Vorgebirge und Halbinseln tragen ebenfalls skandinavische Namen: Lagness 'lange Nase', Cregneash ( < krakünes 'Krähennase'). Es gibt ca. 28 v/A:-Namen, z.B. Garwick (< gjarvik 'Höhlenflußarm'), Fleshwick (< flesvik 'der grüne Flußarm'), und ca. 28 òy-Namen, z.B. Crosby (hier mit dem Element krós aus dem Gälischen eros, crois übernommen) 'Kreuzstadt'. Die òy-Elemente sind wahrscheinlich Außensiedlungen, die zu den Hauptsiedlungen gehören, obwohl sie abgetrennt von ihnen liegen, (vgl. Fellows-Jensen, 1983, 48). Das Element -stadir ist auch vertreten, aber nur in geringem Ausmaß, z.B. Leodest (< Ljótólfsstadir 'Ljótólfs Bauernhof).
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Ortsnamen der Insel Man
7. "Inversion-Compounds" Als "Inversion-Compounds" bezeichnet man aus zwei Elementen gebildete Namen, wobei die Syntax der Elemente nicht die betreffende Sprache repräsentiert, sondern - durch Sprachkontakt hervorgerufen - die Syntax einer anderen Sprache widerspiegelt, z.B. Dreeymlang 'der lange Rücken' < gäl. driom (mx. dreeym) 'Rücken' und skand. lang 'long'; lang wird dem Substantiv nachgestellt, wie im Gälischen. Lang ist also als Namenbildungselement in den gälischen Wortschatz einbezogen worden. Skandinavische Namen dieser Art sind in Manx-Ortsnamen kaum zu finden. Es gibt immerhin ein paar Beispiele: Tofthar Asmund (ca. 1280 Chronik von Man) 'Asmunds Hügel', aber Asmundertoftes (in normaler skand. Syntax (1154-61; 1188-1226), Hasmundertoft (ca. 1321 Register of the Priory of St. Bees), Crosyvor 'Ivarskreuz' (ca. 1280 Chronik von Man). Die vorhandenen Materialen sind hier sehr knapp, weshalb nicht viel darüber gesagt werden kann. Es scheint aber so, daß "Compounds" dieser Art eine Entwicklung der späten Wikingerzeit oder der Zeit kurz danach sind, die sich im 14. Jh. und später weiter ausbreiteten.
8. Englische Namen Castletown und Peel sind englisch. Der Name Castletown selbst wurde erst 1511 aufgezeichnet. In der ungefähr auf das Jahr 1280 datierten Chronik von Man ist Castletown durch das lateinische Villa Castelli vertreten, das ins Gälische als Baile a'Chaistil (mx. Balley Chashtal) übersetzt wurde, obwohl nicht bekannt ist, wie damals diese Stadt von der Bevölkerung bezeichnet worden ist. Gleichfalls wurde Peel im 16. Jh. auch als Holmtown 'Inselstadt, Stadt auf der Insel', (d.h. die Insel St. Patrick's Isle an der Nebmündung) bezeichnet. Peel, meng. pele, heißt 'Festung' und ist wie Holmtown wahrscheinlich eine unabhängige Namensgebung der damaligen englischen Bewohner und keine direkte Übersetzung aus dem Gälischen, d.h. Purt ny hlnshey '(wörtlich) Hafen der Insel'. Die Einführung des französischen bestimmten Artikels le, wie in Lezayre
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(mit /s/[z] zur Überbrückung des Hiats) ist wahrscheinlich auf englischen Einfluß des 13. Jh. zurückzuführen, vgl. Newton le Willows in Cheshire usw.
9. Kirchennamen Die Gemeindenamen der Insel Man bestehen aus dem Element Kirk plus dem Namen des betreffenden Heiligen, dem die Kirche in der Gemeinde geweiht ist (d.h. keltische Wortstellung). In der Umgangssprache aber fällt Kirk weg, z.B. (Kirk) Michael, (Kirk) Maughold, (Kirk) Santan. Ursprünglich ist das Element kirk die altnordische Variante des griechischen Wortes, das im Englischen zu church wurde. Uns ist es jedoch nicht so genau bekannt, ob die Gemeindenamen altnordische Bildungen sind oder ob sie durch eine gemeinsame Entwicklung in benachbarten Ländern (d.h. Nordengland/Südschottland) beeinflußt wurden. Nach heutiger Meinung sind die .KM-Namen in Südwestschottland und Nordwestengland dem anglo-normannischen Einfluß in dieser Gegend zuzuschreiben; in diesem Kontext wäre das Element kirk als ein nordwestenglisches Dialektwort zu betrachten (vgl. Brooke 1983). Die Gallowayer fa'rfc-Namen stammen aus recht später Zeit (ca. 13. Jh.), d.h. aus der gleichen Zeit, in der das Gemeindesystem auf der Insel Man offensichtlich aufgebaut worden ist, und es mag sein, daß gleichzeitig das Element kirk ins neue System übernommen wurde. 'Kirche' im Manx-Gälischen heißt keeill, das Fachwort für eine Kirchenruine in der Archäologie der Insel Man. Diese Keeills sind ebenfalls aus relativ später Zeit und wurden eher in der letzten Phase der Wikingerzeit oder später erbaut (vgl. Megaw, 1976, Anhang B). Als Ortsname bezieht sich keeill auf diese kleinen Kapellen, z.B. Keeill Voirrey 'Marienkirche'. Im Genitiv findet man Namen wie Ballakilley 'Kirchenhof, Bauernhof neben der Kirche', Lag ny Killey 'Kirchenhöhle' oder Ballakillpheric 'Bauernhof/Stadt neben der Kirche von St. Patrick'. Obwohl das Christentum erst im 6. Jh. auf der Insel Man Fuß faßte und damit die Kirchenbauten in Gang gesetzt wurden, um dem neuen Kult zu dienen, ist es höchst unwahr-
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Ortsnamen der Insel Man
scheinlich, daß die heutigen Ruinen und ihre entsprechenden Namen (siehe oben) die ganze Zeit vom 6. Jh. über die Wikingerzeit bis in unsere Gegenwart im Gedächtnis der Manx-Bevölkerung geblieben sind, wenn keine alten Namen von Siedlungsstellen der vorskandinavischen Zeit nachgewiesen werden können.1 Bibliographie Andersen, Per Sveas, To what extent did the balley/balla names in the Isle of Man supplant place-names of Norse origin? In: Fell, Foote, Graham-Campell, Thomson (Hrsg.) 1983, 147-168. Andersson, T.& Sandred, K.I. (Hrsg.): The Vikings, Uppsala 1978. Broderick, George, ceall, cill in Manx Place-Names. Bull. Ulster Place Name Soc. Ser. 2. Bd. 2, 1979a, 20-23. Ders., Cronica Regum Mannie & Insularum. Douglas: Manx Museum and National Trust, 1979b. Ders., Ardae Huimnonn - a Manx Place-Name ?. BUPS Ser. 2 Bd. 3, 1980-81a, 13-15. Ders., Secular Settlement Terms in Manx Place-Names, ibid. 1980-8 lb, 40-41. Brooke, Daphne, Kirk-compound Place-Names in Galloway and Carrick, Trans. Dumfriesshire and Galloway Nat. Hist. & Antiq. Soc. LVIII, 1983, 56-71. Davey, Peter (Hrsg.), Man and the Environment in the Isle of Man. British Archaeological Reports. Ser. 54, Liverpool, 1978. Dolley, Michael, Some Irish Dimensions to Manx History. Inaugural Lecture. The Queen's University of Belfast, 1976. Fell, Christine, Foote, Peter, Graham-Campbell, James, Thomson, Robert L. (Hrsg.), The Viking Age in the Isle of Man. London: Viking Society for Northern Research UCL, 1983. Fellows-Jensen, Gillian, The Manx Place-Name Debate: a View from Copenhagen. In: Davey, Peter (Hrsg.), 1978, 315-318.
1
Ich danke meinem Kollegen Jürgen Schreck, Mannheim, für Mithilfe bei der Formulierung dieses Artikels.
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Johan Corthals, Hamburg
ZUR FUNKTION DER FRÜHIRISCHEN PROSASAGEN
In Irland wurden im Frühmittelalter fiktive Prosaerzählungen über die eigene Vergangenheit von der mythischen Vorgeschichte bis in die frühchristliche Zeit in der einheimischen Sprache geschrieben. Das ist für diese Zeit in Westeuropa etwas Besonderes. Man findet wohl noch lateinische Geschichtsschreibung, wie die Frankengeschichte des Gregorius von Tours (Buchner, 1977), die Kirchengeschichte der Angeln des Beda Venerabiiis (Colgrave-Mynors, 1969) und die Langobardengeschichte des Paulus Diaconus (Waitz, 1878). In diesen Geschichtswerken sind auch fiktive oder halbfiktive geschichtliche Prosaerzählungen verarbeitet. Sie stehen dort in einer langen Tradition antiker Geschichtsschreibung und christlicher Hagiographie. Aber außer in Irland ist keine solche Erzählprosa in den einheimischen Sprachen überliefert. Im Folgenden wollen wir uns nun mit der Frage nach der Funktion, insbesondere nach der kommunikativen Funktion, dieser Erzählprosa beschäftigen. Denn das Verständnis ihrer Funktion wird auch für unser Textverständnis förderlich sein (Franke 1991). Erzählungen von der Art, wie wir sie in den frühirischen Sagen vorfinden, setzen natürlich ein interessiertes Publikum voraus. Wozu dienten aber die uns überlieferten geschriebenen Erzählungen? Zum Prosaroman des irischen Hochmittelalters schreibt Alan Bruford (1966, 55): 'It seems unlikely that the Romantic tales would be as well known as they are to the modern county story-tellers if they had depended only on private reading of their obscurely written manuscripts. But we have seen that internal evidence and continental parallels both suggest that they were meant to be read aloud to quite large audiences - like bardic poetry which, though often preserved in writing, was primarily designed for public recitation or singing.' Nun gibt es zahlreiche Hinweise darauf, daß literarische Texte nicht nur im Hochmittelalter, sondern auch im Frühmittelalter wie in der Antike an erster Stelle auf eine
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Hörerschaft ausgerichtet waren (Crosby, 1936). Zu dieser Zeit kann es in Irland, wie auch sonstwo auf den britischen Inseln (z.B. Asser in: Stevenson, 1904,21, Z. 6-10), nur wenige Lesekundige gegeben haben. So ist es durchaus gerechtfertigt, nach Indizien zu suchen, die darauf schließen lassen, daß es unter dem überlieferten Bestand auch Vorlese- oder Vortragstexte gibt. Vorerst müssen wir uns jedoch darüber im Klaren sein, daß ein solcher Schluß, wenn er sich als richtig erweisen sollte, nicht ohne Weiteres auf die ganze überlieferte Sagenliteratur ausgedehnt werden darf. Dagegen gibt es Bedenken allgemeiner und überlieferungsgeschichtlicher Art. Zunächst gibt es Hinweise darauf, daß frühmittelalterliche Autoren von literarischen Texten neben einer Hörerschaft durchaus auch eine Leserschaft vor Augen haben konnten. So verweist Beda im Vorwort zu seiner Historia Ecclesiastica Anglorum (Colgrave-Mynors, 1969) mehrmals nicht nur auf den potentiellen Hörer, sondern auch auf den potentiellen Leser: religiosus ac pius auditor siue lector (S. 2, Ζ. 13-14), uel tibi uel ceteris auditoribus siue lectoribus (S. 2, Z. 19-20), omnes, ad quos haec eadem historia peruenire potuerit nostrae nationis, legentes siue audientes (S. 6, Z. 22-23). Wie die Historia Ecclesiastica, so wurde auch Otfrid von Weißenburgs Liber Evangeliorum rezitiert oder gesungen (Kleiber, 1971, 234-242). Das geht u.a. aus den Rezitationszeichen in der Wiener Handschrift 2687, die der Autor wahrscheinlich zum Teil selbst eingetragen hat (Kleiber, 1971, 87-101, bes. 95-96), hervor. Trotzdem denkt Otfrid im Proömium zu seiner Dichtung nicht nur an den Zuhörer, sondern auch an den künftigen Leser: thaz then thio búah nirsmáhetin ... then lésan iz gilústi 'daß die Bücher dem nicht gering erschienen, der es zu lesen verlangte' (Braune-Ebbinghaus, 1979, 98). Ebenso wird im Begleitbrief an Erzbischof Liutbert (ibid., 94-97) wiederholt auf den 'Lesenden' (legens) verwiesen. Aus Z. 85-86 nisi inrisionem legentium devitarem 'wenn ich nicht den Spott der Lesenden vermeiden wollte' ... cachinnum legentibus prebent 'sie bringen die Lesenden zum Lachen' geht hervor, daß die
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Leser nicht (nur) als Vorleser, sondern (auch) als potentielles Publikum gedacht werden. Zweitens sind manche Prosaerzählungen aus dem irischen Frühmittelalter so kurz, daß sie in dieser Form kaum zum Vorlesen oder zum Vortrag gemeint gewesen sein können. Dazu gehören z.B. die Texte aus dem Cin Dromma SnechtaKomplex mit den kurzen Prosaerzählungen zur Sage von Conaire Mór und zu Conchobars Geburt (Thurneysen, 1912, 23-30 = 1991, 608-15). Möglicherweise stammen solche notizartigen Texte aus Sammlungen, die als Lernbücher, und nicht als Vorlesebücher gemeint waren. Wir finden solche Kurzgeschichten tatsächlich oft integriert in Lexika wie Sanas Chormaic (Stokes, 1862; Meyer, 1912) oder Coir Anmann (Stokes, 1897), in Kommentaren wie dem Kommentar zum Amra Coluimm Cille (Best-Bergin, 1929, 11-41) oder zum Félire Oengusso (Stokes 1905), oder in Gesetzeskommentaren (z.B. Dillon, 1930). Drittens sind schon vor 1100 selbständige literarische Texte in Sammlungen eingefügt, selbst interpoliert, oder bearbeitet worden. So liegt manchen von ihnen, in der Form in der sie auf uns gekommen sind, vielleicht nicht mehr die gleiche Intention zugrunde, die ihre erste Verschriftlichung angeregt haben mag. Zum Beispiel sind Táin Bó Cúailnge (O'Rahilly, 1976) und Togail Bruidne Da Derga (Stokes, 1902; Knott, 1936), die umfangreichsten Sagenwerke aus dem irischen Frühmittelalter, Kompilationen, in die neben dindshenchas und Gedichten vor allem auch ältere und jüngere Prosatexte verschiedener Provenienz gesammelt und koordiniert wurden. Anhand der Ausradierungen und Ergänzungen des sogenannten 'Interpolators' im Lebor na hUidre können wir die Tätigkeit eines solchen gelehrten Sammlers und Bearbeiters, wie es ihn im Frühmittelalter häufiger gegeben haben muß, noch unvermittelt beobachten (Best-Bergin, 1929, xvi-xviii; Oskamp, 1967). Schließlich beginnt die Überlieferung der Prosasagen erst mit Lebor na hUidre um 1100. Um diese Zeit hatte sich die gesprochene Sprache bereits weit von der Sprache der alten Prosasagen entfernt und deutet sich, in Übereinstimmung mit
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der Entwicklung der kontinentalen Literatur, bereits das Genre des wesentlich umfangreicheren Prosaromans an. Beispiéle sind die große Neubearbeitung der älteren Táin Bó Cúailnge (O'Rahilly, 1970) sowie die Acallam na Senórach (O'Grady, 1892; Stokes, 1900). Es scheint mir nicht sicher, daß alt- und frühmittelirische Prosasagen zu dieser Zeit noch von einem leseunkundigen Publikum verstanden oder genossen werden konnten. Wahrscheinlich waren sie bereits in diesem Überlieferungsstadium eher Lesetexte, zur Information für schriftkundige Philologen und Literaten. Um so mehr gilt dies für die späteren Überlieferungsschichten von ca. 1350 bis in das 17., und eigentlich noch darüber hinaus bis in das 19. Jahrhundert (Kenney, 1929, 7-69). Die alten Sagenstoffe wurden noch studiert und erzählt, und entsprechend wurden auch frühmittelalterliche Texte noch gesammelt und abgeschrieben von Philologen, die sie meist noch gut verstanden. Aber es kann sich kaum, oder kaum mehr um Vortrags- oder Vorlesetexte für ein interessiertes, aber leseunkundiges Publikum gehandelt haben, dessen Sprache und literarischer Geschmack sich inzwischen weit vom Frühmittelalter entfernt hatten. Somit bezieht sich die Suche nach Indizien für einen ursprünglichen Vortrags- oder Vorlesecharakter frühirischer Prosasagen nur auf einen Teilaspekt ihrer einstigen Funktion, der nicht für alle überlieferten Texte, bzw. nicht für jedes Überlieferungsstadium gegolten haben muß. Allerdings ist dieser Teilaspekt sehr wichtig. Denn sollte er sich tatsächlich nachweisen lassen, so würde er Licht werfen auf den ursprünglichen Zweck der Abfassung solcher Prosaerzählungen. Außerdem könnten wir sie, von diesem Blickwinkel aus betrachtet, besser verstehen, als wenn wir sie von unserem Standpunkt aus nur als Lesetexte betrachten. Auf eine wichtige Unterscheidung, die ich durch die Benennung 'Vortragsoder Vorlesetexte' schon angedeutet habe, gehe ich allerdings nicht weiter ein: handelt es sich um Vortragstexte, die aufgeschrieben wurden, oder handelt es sich um schriftlich konzipierte Vorlesetexte (Hervey, 1990, bes. 28)? Beide Gesichtspunkte haben aber gemeinsam, daß der Text primär für eine Sprecher-Hörer-Beziehung und nicht für eine Text-LeserBeziehung gemeint war.
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Einen direkten Hinweis auf eine Hörerschaft findet sich vielleicht in Siaburcharpat Con Culainn, 'Cú Chulainns Geisterwagen' (Corthals, im Druck). Hier wollen wir nun einem indirekten Hinweis für eine Sprecher-Hörer-Beziehung frühirischer Texte nachgehen. Es handelt sich um Sätze vom Typus Co cúalae ni, in mboidb dinaib colnaib "Da hörte er etwas: die Bodb von den Leichen her" (Strachan-Bergin, 1944, S. 5, Z.
2-3) oder Co n-accai ni, dolleblaing int écne ara chend "Da sah er etwas: ein Lachs sprang darauf zu" (Meid, 1967, Z. 189-190 = 1970, Z. 173-174). In diesen Sätzen verfügt das 'narrative Präteritum' von co n-accae und co cúalae über ein doppeltes Objekt: das Indefinitpronomen ni sowie das eigentliche Objekt. Solche Sätze sind durch Studientexte wie Stories from the Táin, (Strachan-Bergin, 1944) Táin Bó Fraích (Meid, 1967 und 1970), Aislinge Oengusso (Shaw, 1934) oder Longes Mac nUislenn (Hull, 1949) wohlbekannt. Vorab sollten wir jedoch bemerken, daß der Bekanntheitsgrad dieses Gebrauchs von ni nicht im gleichen Verhältnis zu seinem tatsächlichen Vorkommen steht. Große erzählende Texte wie Togail Bruidne Da Derga, Cath Maige Tuired, Imram Curraig Maele Duin, oder die Vita Tripartita, in denen das 'narrative Präteritum' von ad-ci oder ro-cluinethar häufig vorkommt (s.u.), zeigen keine Spur von dieser Verwendung von ni. Beispiele finden sich hauptsächlich in einigen Teilen von Táin Bó Cúailnge, sowie im Kreis ihrer remscéla ('Vorgeschichten)', nämlich in Aislinge Oengusso, de Chopur in da Muccida, Táin Bó Regamna, Echtra Nera, Táin Bó Dartada, Táin Bó Fraích, Longes mac nUislenn, Compert Con Culainn, und Tochmarc Ferbe. Außerhalb dieses Kreises fand ich nur wenige Beispiele, nämlich in den Geschichten über Mongán, in der alten Aided Con Culainn, jeweils ein Beispiel in Cath Almaine und in Cath Maige Mucrama, sowie einige Beispiele im jüngeren Text Aislinge Meie ConGlinne. In allen diesen Texten stehen den Konstruktionen mit co n-accae / co cualae ni stets auch Beispiele ohne ni gegenüber. Häufig läßt sich zudem ein starkes Schwanken in der Uberlieferung feststellen.
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Welcher ist nun der bedingende Faktor für diese Verwendung des Indefinitpronomens niï Nach James Carney (1955, 302) '(the indefinite pronoun ni) is used to anticipate something strange, mystic, surprising, or startling.' In dieser Definition gibt es zwei Aspekte: erstens die textsemantische Wertung des Objektes und zweitens die kataphorische Funktion von ni. Was den ersten Aspekt betrifft, so ist das Überraschungsmoment tatsächlich eine häufige Begleiterscheinung dieser Konstruktion, es scheint aber nicht ihren Gebrauch zu bedingen. Vergleichen wir folgende zwei Sätze aus der Macgnimrada-Episode in der älteren Táin Bó Cúailnge: Co η-acca ara chind in fer 7 leth a chind fair 7 leth fir aile fora muin "Da sah er einen Mann vor sich mit nur einem halben Kopf und mit der Hälfte eines anderen Mannes auf seinem Rücken" (O'Rahilly, 1976, Z. 492-493) und Co n-accatár ni, éill ngésse ara ciund atheroch "Da sahen sie wiederum etwas: einen Schwanenschwarm vor sich" (ibid., Z. 781). Nach seinem semantischen Gehalt sollte das Objekt im ersten Satz eher als das Objekt im zweiten Satz den Gebrauch von ni begünstigen. Trotzdem erscheint es nicht im ersten, sondern im zweiten Satz. Auch eine kataphorische Funktion von ni läßt sich nicht ohne weiteres erkennen. In einer solchen Konstruktion erwarten wir ein deiktisches, nicht ein indefinites Pronomen. Nun finden sich tatsächlich auch Beispiele von in(n)i, d.h. des deiktisch verstärkten Artikels, in dieser Verwendung, z.B. Allaidchi Ailill ino ligi conn faccu Ailill inni ina cotlud ind oclaech 7 in mnai ata haillium ro vaiar i n-hEriu "Eines Nachts (wtl. einer anderen Nacht) hatte sich Ailill zur Ruhe begeben, da sah er Folgendes in seinem Schlaf: den schönsten Krieger und die schönste Frau von ganz Irland." (Windisch, 1897, S. 194, Z. 121-124 nach Egerton 1782). Außer im hier genannten Beispiel aus Táin Bó Dartada fand ich aber inni in dieser Verwendung nicht in älteren Texten, sondern in jüngeren Texten wie Táin Bó Cuáilnge vom Buch von Leinster (O'Rahilly, 1970, Z. 2850, Z. 4167) oder den D.IV.2-Bearbeitungen von Comperi Con Culainn (Thurneysen 1912, 41-48 = 1991, 626-633, § 3; Meyer, 1905, S. 501, Z. 20, Z. 23, S. 502, Z. 29) Es hat somit den Anschein, daß es sich hier um einen jünge-
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ren Ersatz der älteren Konstruktion handelt, den wir nicht als Argument für eine einstige kataphorische Funktion von ni verwenden dürfen. Cecile O'Rahilly (1968, 165-166) ihrerseits wies daraufhin, daß die Transitivität von co n-accae und co cúalae stets ein akkusativisches Objekt verlange. Wenn nun das Objekt, wie im obengenannten Satz aus Táin Bó Fraích, nicht ein Nomen, sondern ein persönlicher Satz war, dann könnte ni als Füllsel für die syntaktische Leerstelle nach dem Hauptverb fungiert haben. Von dort hätte es sich analogisch auch auf andere Kontexte ausdehnen können. Zur Überprüfung dieser These habe ich drei Objektformen in Verbindung mit dem narrativen Präteritum von ad-ci und ro-cluinethar unterschieden: I. Das Objekt ist ein persönlicher Satz: z.B. ... co η-acca iar sin donala ina huilifiadmila asin fidbaid co rabadar isin maig huile "... da sah er, daß alle wilde Tiere aus dem Wald in das ganze offene Land gelangt waren" (O'Rahilly, 1976, Z.3555-7) und Co n-accai ni, dolleblaing int écne ara chend "Da sah er etwas: ein Lachs sprang darauf zu" (Meid, 1967, Z. 189-190). II. Das Objekt ist ein einfacher Akkusativ: z.B. Co cúalatár Mane mac Ailella "Da hörten sie Maine, den Sohn des Ailill" (O'Rahilly, 1976, Z.1123) und Co n-accatar ni, in Ferchess "Da sahen sie Ferches" (O Daly, 1975, Z.358). III. Das Objekt wird von . einer präpositionalen Phrase oder von einem Relativsatz näher bestimmt: z.B. ... co n-accatár in n-ingin macdacht remib "... da sahen sie eine junge Frau vor sich" (O'Rahilly, 1976, Z.30) und Conacatar ni: in mnai cosin ngaisced isin charput
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Funktion der friihir. Prosasagen "Da sahen sie eine Frau in voller Rüstung auf ihrem Wagen" (ibid., Z.3312).
Der Berechnung liegen folgende Textstellen zugrunde: A: Texte, die Beispiele von co n-accae ni enthalten: Táin Bó Cúailnge I (O'Rahilly, 1976; LU bis Ζ. 2546, YBL ab Ζ. 2547): Z.30 (III ohne ni), Ζ. 493 (III ohne ni), Ζ. 498 (III mit ni), Ζ. 516 (III ohne ni), Ζ. 552 (III ohne ni), Ζ. 755 (III ohne ni), Ζ. 781 (III mit ni), Ζ. 838 (III ohne ni), Ζ. 855 (III ohne ni), Ζ. 879 (III ohne ni), Ζ. 1104 (II ohne ni), Ζ. 1123 (II ohne ni), Ζ. 1221 (III ohne ni), Ζ. 1361 (III ohne ni), Ζ. 1491 (III mit ηί), Ζ. 1610H (I ohne ni), Ζ. 1846 (III ohne ni), Ζ. 2088 (III mit ni), Ζ. 2914 (III ohne ni), Ζ. 3196 (III ohne ni), Ζ. 3312 (III mit ni), Ζ. 3538 (II ohne ni), Ζ. 3555 (I ohne ni), Ζ. 3559 (III ohne ni); Aislinge Oenguso (Shaw, 1934; Egerton 1782): § 1 (III mit ni), § 8 (II ohne ni, III ohne ni), § 13 (III ohne ni); De Chophur in da Muccida (Roider, 1979; nach Egerton 1782): Z. 66 (III ohne ni), Ζ. 73 (I mit ni; mit proleptischem infigiertem Pronomen), Z. 83 (II ohne ni), Ζ. 94 (III ohne ni), Ζ. 163 (III mit ni), Ζ. 257 (III mit ni). In Z. 163 und Z. 257 steht zwischen ni und dem eigentlichen Objekt ein Zeitadverb (lasoduin) bzw. ein temporaler Nebensatz (in tan ...); Táin Bó Regamna (Corthals, 1987; nach Egerton 1782): Ζ. 1 (II mit ni), Ζ. 5 (III mit ni), Ζ. 13 (III ohne ni), Ζ. 14 (III mit ni), Ζ. 55 (I ohne ni); Echtra Nera (Meyer, 1889; nach Egerton 1782): Z. 27 (III mit ni), Ζ. 31 (III ohne ni), Ζ. 45 (I mit ni), Ζ. 46 (III ohne ni), Ζ. 157 (III mit ni); Táin Bó Dartada (Windisch, 1887; nach Egerton 1782): § 2 (III mit ni), § 4 (III mit ni)·, aber § 9 (III mit inni)·, Táin Bó Fraích (Meid, 1967; nach LL): Ζ. 189 (I mit ni), Ζ. 234 (III mit ni, II ohne ni), Ζ. 242 (I mit ni), Ζ. 338 (III ohne ni); in Ζ. 242 steht eine Zeitbestimmung zwischen ni und dem Objekt. Longes Mac n-Uislenn (Hull, 1949; nach LL): Z. 92 (III mit ni), Ζ. 145 (III ohne ni); Compert Con Culainn Ia (Best-Bergin, 1929; sog. Cin Dramma Snechta - Text nach LU; siehe auch Thurneysen 1912,
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31-41 = 1991, 616-26): Ζ. 10584 (III ohne ni), Ζ. 10591 (III mit ni), Ζ. 10600 (III mit ni); Compert Con Culainn Ib (Windisch, 1880, 136-140; nach Egerton 1782): S. 137, Z. 28 (III mit ni), S. 138, Ζ. 22 (I mit ni), S. 139, Ζ. 20 (III mit ni); Compert Con Culainn II (Windisch, 1880, 143-145 + 140-142; nach Egerton 1782): S. 144, Z. 11 (II mit ni), S. 144, Z. 12 (III ohne ni), S. 140, Z. 19 (III mit ni)·, Tochmarc Ferbe (Windisch, 1897; Egerton 1782): Z. 2 (III mit ni), Z. 21 (III ohne m); Geschichten über Mongán (Best-Bergin, 1929): Ζ. 10923-4 (III mit ni), Ζ. 11040 (II mit ni), Ζ. 11050 (I ohne ni)·, Aided Con Culainn I (Best-O'Brien, 1956; LL): Z. 13825 (III ohne ni), Ζ. 13881 (III mit ni), Ζ. 13959 (III ohne ni), Ζ. 13981 (III ohne ni), Ζ. 14009 (III ohne ni), Ζ. 14112 (III ohne ni), Ζ. 14172 (I mit ni), Ζ. 14176 (III mit ni); Cath Maige Mucrama (O Daly, 1975; nach LL): Z. 36 (III ohne ni), Ζ. 106 (III ohne ni), Ζ. 358 (II mit ni); Cath Almaine (Ó Riain, 1978; nach Brussels Ms.): Z. 139 (III mit ni). Β: Vergleichsgruppe ohne Beispiele von co n-accae ni: Togail Bruidne Da Derga (Knott, 1936; nach YBL): Z. 3 (III), Z. 84 (III), Z. 91 (III), Z. 136 (III), Z. 239 (III), Z. 535 (III), Z. 1497 (III); Cath Maige Tuired (Gray, 1982; Harleian 5280): Z. 44 (I), Z. 47 (I), Z. 97 (III), Z. 357 (III), Z. 400 (III); Fled Bricrenn (Best-Bergin, 1929; nach LU): Ζ. 9058 (III), Ζ. 9089 (III), Ζ. 9098 (III), Ζ. 9101 (III), Ζ. 9113 (III), Ζ. 9183 (III); Bethu Phátraic - Vita Tripartita (Mulchrone, 1939): Z. 404 (III), Z. 421 (III), Z. 445 (III), Z. 464 (III), Z. 526 (III), Z. 763 (III), Z. 2588 (I), Z. 2648 (III), Z. 2849 (III); Immram Curraig Máele Dúin (Oskamp, 1970; nach YBL): § 2 (3x111), § 5 (4x111), § 6 (III), § 11 (2x111), § 13 (III), § 17 (3x111), § 18 (III), § 19 (III), § 21 (2x111), § 23 (III), § 26 (II), § 28 (2x111), § 30 (2x111), § 33 (I, 4x111), § 34 (2x1); Eine Aufzählung der Belege geordnet nach Objektform (I, II, III), nach Textgruppe (A, Vergleichsgruppe B), sowie nach Gebrauch oder Nicht-Gebrauch von ni in Texten der Gruppe A ergibt folgendes Bild:
76 A (mit ni): I: A (ohne ni): Β:
Funktion der frühir. Prosasagen 6(16,7%) II: 4(11,1%) III: 26 (72,2%) 4(9,3%) 6(14,8%) 33 (76,7%) 6 (10,3%) 1 (1,7%) 51 (87,9%)
Aus diesen Zahlen ergibt sich, daß die Häufigkeit des Gebrauchs von ni nach dem 'narrativen Präteritum' in den Konstruktionen II und III von der Häufigkeit dieser Konstruktionen selbst bedingt ist; d.h. mit steigender oder fallender Frequenz der Konstruktion steigt oder fällt auch die Frequenz des fakultativen ni. In Konstruktion I aber ist sein relativer Gebrauch in Texten, die ni aufweisen, etwas höher. Somit scheint der Ersatz des akkusativischen Objektes durch einen persönlichen (relativen oder selbständigen) Objektsatz den Gebrauch von ni als Füllsel der syntaktischen Leerstelle nach dem 'narrativen Präteritum' zu begünstigen. In Zusammenhang damit stehen die Belege aus De Chophur in da Muccida und aus Táin Bó Fraích, in denen das eigentliche Objekt durch ein temporales Adverb oder durch einen Temporalsatz vom Verb getrennt ist (s.o.), so daß sich auch hier eine Leerstelle ergibt. Wenn wir nun sehen, daß das typische Objekt des 'narrativen Präteritums' das komplexe Objekt (III) ist, das das semantische, wenn auch nicht das syntaktische Gewicht eines Satzes hat, so könnte Cecile O'Rahillys Vermutung tatsächlich zutreffen. Allerdings tut sie dies nur im Sinne einer diachronen, nicht einer synchronen Erklärung. Denn in allen Texten (A und B) und in Verbindung mit allen Objektformen (I, II und III) ist sein Gebrauch niemals zwingend, sondern frei. So kommen wir zu einem negativen Ergebnis mit Bezug zum synchronen Verwendungsgrund von ni nach dem 'narrativen Präteritum': es war weder ein kataphorisches Element, noch gibt es Anzeichen einer zwingenden textsemantischen oder syntaktischen Konditionierung. Nun bietet aber gerade diese Negation in Verbindung mit der diachron möglicherweise zutreffenden Erklärung von Cecile O'Rahilly den Ansatz zu einer Lösung des Problems. Wenn ni ohne eigenen semantischen Wert und ohne syntaktischen Zwang die Leerstelle nach co n-accae / co cúalae ausfüllte, so war es eben, positiv ausgedrückt, ein verzögerndes Element: "da hörte er die Bodb", "da
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hörte er ... die Bodb" und "da hörte er etwas ... die Bodb" sind sinnvolle Sätze; "da hörte er etwas die Bodb" ist jedoch sinnlos. Verzögerung kann aber nur im Sprechkontext realisiert werden. So müßte sein Gebrauch in einem geschriebenen Text primär auf eine Vermittlung dieses Textes zwischen Sprecher und Hörer und nicht auf eine solche zwischen Text und Leser gezielt haben. Ist dies der Fall, so wären co n-accae ni und co cúalae ni Reflexe und zugleich Indexe für die einstige Vortrags- oder Vorlesefunktion der Erzählprosa, in der sie gebraucht wurden. Das würde auch erklären, warum dieser Gebrauch des Indefinitpronomens eher selten ist in der frühirischen Erzählprosa. Denn als Merkmal der Sprechsituation wurde es in der geschriebenen Sprache eben gemieden. Zugleich könnte seine Häufung in Táin Bó Cúailnge und ihren remscéla auf den Ursprung dieser Texte aus der gleichen Schule hinweisen. Andererseits können wir nicht ausschließen, daß es auch z.T. unabhängig von einer Vortrags- oder Vorlesefunktion als Index für den Erzählstil des Táin Bó Cúailnge-Kreises benutzt wurde. So ist es besonders häufig in der stark überarbeiteten Táin Bó Cúailnge des Buchs von Leinster (O'Rahilly 1970, Z. 183 [ni rap ingnad lé], Ζ. 831 [ni ba ingnad leiss], Z. 2137, Z. 2914, Z. 3613, Z. 4183, Z. 4237). Auch in Aislinge Meie Con Günne des 11. Jahrhunderts (Jackson 1990) mag sein Gebrauch (Ζ. 843, Ζ. 1019; Ζ. 485 nach at-c[h]onnarc, was sonst nicht vorkommt) vor allem durch die Imitation oder Ironisierung des alten Sagenstils bedingt sein. Wir sehen somit, wie ein segmentales und somit lesbares, Element, einen Hinweis darauf gibt, daß manche dieser erzählenden Texte zumindest in ihrer ursprünglichen Funktion Vortrags- oder Vorlesetexte gewesen sind. Daraus ergibt sich für die Hermeneutik der frühirischen Erzählprosa, daß solche Texte möglichst auch vom Standpunkt des Hörenden, nicht nur vom Standpunkt des Lesenden verstanden werden sollen. Ich gebe dafür ein Beispiel aus Táin Bó Regamna, einem remscél zur Táin Bó Cúailnge. Cú Chulainn streitet sich darin mit einer ihm noch unbekannten Frau, die in Begleitung eines Mannes und einer
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Kuh auf sein Gebiet erschienen ist (Corthals 1987, S. 52-3, Z.20-35): "Ni fóelid in bó lib oca himmáin", ol Cú Chulainn. "Ni dir duit éim a hetercert na bó so " ol in ben. "Ni bó charat na choicéli duit. " "Is dir dam-sa éim bai Ulad n-uile", ol Cú Chulainn. "Eter-certai-su anba, a Chú", ol in ben. "Cid amdid i in ben atomgládathar?" ol Cú Chulainn. "Cid nach é in fer atom-gládathar?" "In fer sin at-gládaither-su " ol in ben. "Ια " ol Cú Chulainn, "ol is tussu ara-labrathar. " "Uargóeth sceo lúachair sceo ... ainm ind fir sin", olsi. "Amae, is amrae fot ind anmae", ol Cú Chulainn. "Ba tussu trá atom-gládathar in fecht so ol nim acalladar infer. Cía do chomainm-siu féin?" ol Cú Chulainn. "Ni ansae. In ben sin at-gládaither-su ", ol in fer, "fóebar becbéoil, coimm diúir, folt scenb, gairit sceo úath í a hainm ", olse. "Meraige do-gnith-si dim-sa", ol Cú Chulainn, "fonn innas sin." "Die Kuh freut sich nicht, daß sie von euch fortgetrieben wird," sagte Cú Chulainn. "Dir gebührt es nicht, über diese Kuh zu urteilen," sagte die Frau. "Es ist nicht die Kuh eines deiner Freunde oder Gesellen." "Mir gebührt es, über die Kühe aller Ulter zu urteilen," sagte Cú Chulainn. "Warum spricht die Frau zu mir," sagte Cú Chulainn , "warum spricht nicht der Mann zu mir?" "Der erwähnte Mann, du redest ja zu ihm," sagte die Frau. "Ja," sagte Cú Chulainn, "denn du, du bist die Wortführerin." "Kaltwind und Binsen und ... heißt dieser Mann," sagte sie. "Amen, dieser Name ist erstaunlich lang," sagte Cú Chulainn. "Jetzt solltest du zu mir reden, denn der Mann redet mich nicht an. Wie lautet dein eigener Name?" sagte Cú Chulainn. "Leicht zu sagen. Die Frau, zu der du redest," sagte der Mann, "scharfer kleiner Mund, ausgezehrte Körperhülle, dornige Haare, untersetzt und schrecklich, so heißt sie," sagte er. "So macht ihr einen Narren aus mir," sagte Cú Chulainn. Wir sehen, wie der Dialog wie ein Streitgespräch anfängt und schließlich in ein Verwirrspiel mündet, in dem Cú Chulainn systematisch um den von ihm gewünschten Gesprächspartner betrogen wird. Der Dialog ist in Übereinstimmung mit seinem Inhalt ausgesprochen lebendig. Dies äußert sich auf der segmentalen Ebene auch in der geschriebenen Sprachform, nämlich durch emphatische Partikel (éim, trá, ia, amae), pronominale Vertärkungspartikel (-sa, -su), Spreizstellungen (passim), Nominativus pendens - Konstruktionen (In fer sin..., In ben sin...) und durch eine elliptische Antwortform (Is dir... bài Ulad n-uile für [etercert] bó mit syntaktischer Aufwertung des
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Objektsgenitivs). Trotzdem entgeht uns leicht der Sinn des Gesprächs, wenn wir es ausschließlich als Lesetext betrachten. Umsomehr muß dies für den Leser einer frühirischen Handschrift gegolten haben, die noch nicht das konsequente Gerüst von Lesezeichen verwendete, über das wir verfügen können (Raible 1991). Wird jedoch der Text unter zusätzlicher Verwendung von suprasegmentalen und von parasprachlichen Merkmalen wie Intonation, Gestik und Stimmveränderung gesprochen, so verstehen wir ohne Schwierigkeiten das Spiel der beiden unbekannten Gesprächspartner und den Grund, warum sich Cú Chulainn in Wut versetzt sieht. Nach dem vorher Gesagten können wir nun annehmen, daß es dem frühmittelalterlichen Publikum wohl nicht anders erging als uns selbst, und daß Texte wie Táin Bó Regamna ursprünglich dazu dienten, nicht gelesen, sondern vorgelesen oder vorgetragen zu werden.
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Doris Edel, Utrecht D i e lain
Bó Cúailnge
zwischen Mündlichkeit u n d
Schriftlichkeit: Prolegomena zu einer Geschichte ihrer Entwicklung1
Ich gehöre jener Richtung von Literaturwissenschaftlern an, für die Mündlichkeit und Schriftlichkeit keine unüberbrückbaren Gegensätze bilden. Darin folge ich der Ansicht Ruth Finnegans: "There is no deep gulf between the two: they shade into each other both in the present and over many centuries of historical development." 2 Mein Vortrag ist eine Weiterentwicklung meines Beitrags zum letztjährigen Keltologenkongreß in Paris, wo ich erstmals den Versuch wagte, ein Entwicklungsmodell für die Tain zu entwerfen, das diesem 'shading-into-each-other' Rechnung trägt.3 Die zwei Modelle, die bislang entwickelt wurden, das Modell eines allmählichen Wachstums, wie es von Thurneysen präsentiert und ein halbes Jahrhundert später von Cecile O'Rahilly den Einsichten Milman Parrys und seines Schülers Albert B. Lord angepaßt wurde, und das Modell eines einmaligen Schöpfungsakts, 4 das erstmals von James Carney postuliert und in jüngster Zeit von Hildegard Tristram weiterentwickelt worden ist, stehen sich auf den ersten Blick diametral gegenüber. Doch wie sehr dieser erste Blick trügt, ist mir einerseits durch meine eigenen Untersuchungen, anderseits
1
Dieser Beitrag wurde während eines Forschungsurlaubs verfaßt, den ich im vergangenen akademischen Jahr als Mitglied einer Themagruppe Orality and Literacy am Netherlands Institute for Advanced Study (NIAS) in Wassenaar verbringen durfte. Ich danke der Universität Utrecht für die Gewährung des Urlaubs, dem NIAS für seine Gastfreiheit und den andern Mitgliedern der Themagruppe für die inspirierenden Zusammenkünfte. 2 Oral Poetry, Cambridge, 1977, S. 24. 3 "Táin Bó Cúailnge and the dynamics of the matter of Ulster"; wird in Etudes Celtiques erscheinen. 4 Anders gesagt: eines Autors in modernem Sinn.
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durch Kontakte mit Forschern, die sich mit noch lebendigen mündlichen Erzähltraditionen befassen, deutlich geworden. Schon vor einem guten Jahrhundert kehrte sich der russische Komparatist A.N. Veselovsky in seinen Vorlesungen zur vergleichenden Geschichte des Epos gegen den Hang westlicher, vor allem deutscher, Gelehrter, in ihren Nibelungenund Homeruntersuchungen textkritische Methoden anzuwenden, die für rein schriftlich funktionierende Literaturen entwickelt worden waren. Er hielt es für absolut notwendig, als Ausgangspunkt das lebendige Epos zu nehmen, dessen Struktur und Entwicklungsstadien sorgfältig untersucht werden müßten; und da es in Westeuropa keine lebendige epische Tradition mehr gab, riet er seinen Fachgenossen im Westen, sich dem russischen, serbischen und modernen griechischen Epos zuzuwenden. Zhirmunsky fügte in seinem Supplement zu Nora K. Chadwicks Beschreibung der oralen Epik der Türkenvölker Zentralasiens diesen Literaturen die epischen Traditionen der in der [ehemaligen] Sovjetunion wohnhaften kaukasischen, türkischen und mongolischen Völker bei.5 Erlauben Sie mir den Hinweis, daß Literaturwissenschaftlern mit guten Russischkenntnissen da nach der Öffnung des Ostens Vergleichsmaterial zur Verfügung steht, das unbedingt genutzt werden sollte. Veselovskys Kritik hatte noch wenig von ihrer Aktualität eingebüßt, als Thurneysen sein Standardwerk Irische Heldenund Königsage verfaßte, wie sich Bemerkungen folgender Art entnehmen läßt: "Nachdem die alten Sagen niedergeschrieben waren, bildeten diese schriftlichen Texte fast die alleinige Grundlage für die späteren Umgestaltungen und Neuschöpfungen."6 Daß seither auch hierzulande das Funktionieren
5
Hierzu und zu Veselovsys Kritik, siehe V. Zhirmunsky, "Epic songs and singers in Central Asia", in: Nora K. Chadwick und V. Zhirmunsky, Oral Epics of Central Asia, Cambridge, 1969, S. 269348; hier S. 319. Chadwicks Beitrag erschien erstmals in H.M. Chadwick und N.K. Chadwick, The Growth of Literature, Bd. 3, Cambridge, 1940, S. 1-226, unter dem Titel "The Oral Literature of the Tatars". 6 Halle a.S., 1921, S. 72 (hienach abzukürzen als IHK).
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noch lebendiger mündlicher epischer Traditionen stärker beachtet wird, ist großenteils das Verdienst der Schule ParryLord, die die westliche, präziser gesagt die englischsprachige, Welt mit Einsichten vertraut machte, die bezüglich dieser Traditionen seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts im [früheren] Zarenreich und den Ländern Ost- und Mitteleuropas erarbeitet worden waren 7 - und die damit diesen Einsichten zu fast universaler Geltung verhalfen. Um zur Tain zurückzukehren: Die sukzessiven Redaktionen bezw. Versionen des Werks sind zugleich als Glieder einer längeren Entwicklung und als Produkte mehr oder weniger einmaliger Schöpfungsakte zu betrachten. Zentrale Probleme von Werken, die in einem Ubergangsgebiet zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit zustande kommen, sind Länge und Kohärenz. Um mit ersterem zu beginnen: In den modernen Ausgaben umfaßt die Táin gut 4000 bis etwas über 5000 Zeilen, je nach Redaktion / Version. Es bleibt die Frage, ob eine mündliche Tradition imstande ist, Werke dieser Länge hervorzubringen, oder ob dies erst einer Schriftkultur gelingt. Milman Parry, dem es bei seinen Forschungen auf dem Gebiet der südslawischen epischen Tradition letztlich um ein Entstehungsmodell für die homerischen Epen ging, sah sich vor dieselbe Frage gestellt. Von ihm wird berichtet, er habe seine besten Sänger unter Druck gesetzt, ihm möglichst umfangreiche Lieder vorzutragen, und sie dafür dementsprechend belohnt. 8 Dies bedeutet, daß die längsten Lieder seiner Sammlung nicht in authentischen Vortragssituationen, sondern unter Regie des
7 Ich beschränke mich hier auf die folgenden Werke: V.V. Radlov u.a., Proben der Volkslitteratur der türkischen Stämme Südsibiriens und der Dsungarischen Steppe, 10 Bde, St. Petersburg, 1866-1904 (auf den sich Nora K. Chadwick stützte); G. Gesemann, Studien zur südslawischen Volksepik, Reichenberg, 1926; M. Murko, La poésie populaire épique en Yougoslavie au début du XXe siècle, Paris, 1929 (der eigentliche Inspirator Müman Parrys). 8 Siehe G.S. Kirk, The Songs of Homer, Cambridge, 1962, S. 274, vgl. S. 329.
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Sammlers, in einer 'Sammlersituation', zustande kamen. Extreme Vorbilder derartiger Sammlerversionen scheinen mir die beiden vorliegenden Versionen des kirgisischen Epos Manas zu sein, von denen jede rund 250 000 Verse umfaßt. 9 Auch die älteste vorliegende Fassung der Táin Bó Cúailgne TBC I, ist eine typische Sammlerversion. O b sie das Werk eines Einzelnen war - Thurneysens Kompilator 10 - oder eines Kollektivs - Cecile O'Rahillys 'workshop' 11 - ist dabei Nebensache. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß es davor die Táin als ein Ganzes nicht gab. Zwar wurde das Werk im mündlichen Vortrag wahrscheinlich nur in außergewöhnlichen Situationen von A bis Ζ dargeboten, doch die Erzähler konnten bei der Darbietung einzelner Episoden davon ausgehen, ihre Zuhörer seien so mit der Táin als Ganzem vertraut, daß sie jeweils die ganze Lage vor Augen hätten. 12 Ich sehe die Entwicklung der Táin in großen Zügen wie folgt. Erstens: Das Werk existierte schon mündlich als eine verhältnismäßig lange und verhältnismäßig kohärente Erzählform. Zweitens: Dabei war die thematische Auswahl innerhalb gewisser Grenzen 'flüssig'. Drittens: Diese Flüssigkeit, die ein Merkmal mündlicher Praxis ist, charakterisiert die 7a/«-Materie weiterhin in den sukzessiven schriftlichen Redaktionen/Versionen. 13 Viertens: In zumindest einem sehr wesentlichen Aspekt nimmt die Kohärenz in diesen sukzessiven schriftlichen Fassungen eher ab als zu, nämlich in der Charakterisierung einiger Protagonisten. Was das Problem der Kohärenz betrifft: Auffallend ist eine gewisse Ambiguität, die Anfang und Ende der Táin kenn9
Zhirmunsky, a.a.O., S. 279f. IHK, S. 112, vgl. S. 118. 11 C. O'Rahilly (Hg.), Táin Bó Cúailnge: Recension I, Dublin, 1976, S. XVIII (hienach abzukürzen als Recension I). 12 IHK, S. 98. Thurneysen scheint zwar bei der Bemerkung ("Die Sage war jedermann so geläufig, dass man nur den Titel zu hören brauchte, um die ganze Lage vor Augen zu haben.") eher an eine schriftliche als eine mündliche Rezeption gedacht zu haben. 13 Vgl. E. Windisch (Hg.), Die altirische Heldensage Táirt Bó Cúalnge, Leipzig, 1905, S. XLIX: "Der ganze Stoff bleibt flüssig, vor allem in der Sprache, aber auch in der Behandlung." 10
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zeichnet. Genau betrachtet, hat das Werk einen doppelten Schluß: erstens die große Entscheidungsschlacht, die stattfindet, als die Ulter ihren Schwächezustand überwunden haben, und zweitens den Kampf der beiden Stiere. Die Schlacht schließt eine Handlungslinie ab, die die historische Praxis des Viehraubs (crech) widerspiegelt, über die der Historiker A.T. Lucas schreibt: "Nothing in Irish society is better documented over so long a period. It is the most typical and abiding event recorded in the annals down the centuries and it pervades almost every branch of Irish literature." 14 Der Kampf der Stiere bildet den Abschluß einer zweiten Handlungslinie, bei der es nicht um den Raub der Mobilia eines Gebiets, sondern ausschließlich um die Eroberung eines ruhmreichen Stieres geht. Die erste hat historische, 15 die zweite mythische Bedeutung. Auch der Anfang steht nicht fest. In TBC I setzt die eigentliche Erzählung (in scél íar n-urd) mit dem ersten Nachtlager der Invasionstruppen auf ihrem Kriegszug ein; der davorliegende Teil, der als titulrad bezeichnet wird, bildet eine Art Vorwort (Z. 1-134).16 In diesem Vorwort wird von dem Aufgebot der Krieger berichtet, dem eine Reihe von Vorzeichen für die Heerfahrt, worunter die Prophezeiung der Dichterin Fedelm, folgen; den Abschluß bildet die Aufzählung der Orte, die das Heer auf dem Weg nach Cúailnge passieren muß. 17
14
Cattle in Ancient Ireland, Kilkenny, 1991, S. 125. Wie Lucas in dem eben genannten Buch deutlich macht, war der crech in Irland Bestandteil der historischen Wirklickeit bis Ende des sechzehnten Jahrhunderts. Da es mir hier mehr um diesen Aspekt geht als um den Platz, den das Thema des Viehraubs in zahlreichen Literaturen (worunter der altindischen) hat, ziehe ich 'historisch' dem Begriff 'episch' vor. 16 Zeilenzählung jeweils nach der betreffenden Tain-Ausgabe Cecile O'Rahillys. 17 Derartige Ortsnamenkataloge kommen in der irischen epischheroischen Tradition häufig vor. Ihrer großen Lange wegen erinnert diese Liste jedoch stark an die Aufzählung der Orte, die das Volk Israel auf dem Weg von Ägypten nach Kanaan passiert (4. Buch Mose, Kap. 33). 15
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Die Táin zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Die im Buch von Leinster enthaltene Τώ'/ι-Version, TBC II, beginnt ebenfalls mit einem Vorwort, hier cennphairt genannt (Z. 1-278). Dieses Stück reicht vom Kopfkissengespräch des Connachter Herrscherpaars, das hier der eigentlichen Táin vorangestellt ist, bis zu Fedelms Prophezeiung der Heerfahrt, endet also noch vor der langen Aufzählung der Ortsnamen. Die eigentliche Erzählung (in scél fodessin) setzt hier erst nach den Macgnimrada Con Culaind, fast tausend Zeilen später, ein (Z.1218ff.). Da die "Knabentaten Cú Chulainns" in der Gegend von Ath nGrena, in dem südlichen Grenzgebiet Ulsters entlang der Boyne, situiert werden, wo nach Carney in der frühesten Tdm-Tradition der Angriff auf Ulster stattfindet,18 bilden möglicherweise die Worte In scél fodessin is ni and fodechtsa in Ζ. 1217 ein spätes Echo dieser Tradition. Ich komme darauf noch zurück. Auf dem Bauplan der ältesten Version der Táin (siehe Schaubild auf der gegenüberliegenden Seite) ist ihre stilistische Unausgeglichenheit klar ersichtlich. So erreichen darin die Invasionstruppen ihr Ziel, die Halbinsel Cúailnge an der Ostküste, kurz vor Zeile 1000, also weit vor der Mitte des Werks. Von dem titulrad genannten Vorstück abgesehen, umfaßt somit der erste Teil bis und mit der Plünderung Cúailnges, die von Findabair Cúailnge aus stattfindet, gut 860 Zeilen. Im großen ganzen folgt die Erzählung der Route der Invasionstruppen. Eine Ausnahme bilden die eben genannten Macgnimrada, die fast die Hälfte dieses ersten Teils in Anspruch nehmen, dafür aber auch zu den erzählerischen Höhepunkten der Táin gehören. An ihrem Beispiel zeigt sich, wie relativ das Konzept Länge in Werken dieser Art ist. Nicht nur der mündliche Erzähler, auch der schriftliche Redaktor/Autor kann ein und dieselbe Situation, ein und
18 "Early Irish Literature: The State of Research", in: G. Mac Eoin (Hg.), Proceedings of the Sixth International Celtic Congress of Celtic Studies, Galway, 1983, S. 123 und schon 119f. (hienach abzukürzen als EIL). Nach O'RahUly, Recension I, S. 307 befindet sich Ath nGrena (Ath nGrencha in TBC I) nördlich von Howth in der Grafschaft Meath.
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dasselbe Ereignis, mit wenigen Strichen andeuten, es ausführlicher gestalten oder gar in epischer Breite schildern. Der Zug des Invasionsheers quer durch die Insel ist durchaus nicht handlungsarm. Auch sind in dem Bericht verschiedene Anspielungen auf Ereignisse und Personen aus andern Ultersagen enthalten: Táin Bó Fraích, Táin Bó Dartada, Longes macnUislenn, Ces Ulad, De chophur in dà mucida. Doch der Erzahlstil ist gedrängt; abgesehen von Reden in gebundener Sprache sind darin jene Bausteine, die Radlov 'Vortragsteile' nannte,19 nur schwach vertreten. Diese im Repertoire des traditionellen Erzählers/Autors halb selbständig funktionierenden, mehr oder weniger stereotypen Elemente, die dazu dienen, den Stoff ausführlicher zu gestalten,20 sind auf dem Bauplan je nach Kategorie mit verschiedenen Markierungen angegeben. Um kurz bei den Macgnimrada zu bleiben: Es ist bezeichnend für das künstlerische Raffinement dieser Episoden, daß ihr Anteil an traditionellen Bausteinen trotz ihrer Länge gering ist. Was bezüglich ihres Stils gilt, gilt mutatis mutandis auch bezüglich ihrer Position in dem Werk als Ganzem. "This is very sophisticated narrative, and has no relationship whatsoever to the humble folktale," war Carneys Urteil.21 Es bleibt die Frage, ob eine von mündlichen Techniken geprägte
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Siehe Radlovs Beschreibung des kirgisischen Sängers, Proben, Bd. 5, 1885, S. XVI-XIX; von mir zitiert in "Die inselkeltische Erzähltradition zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit", in: S.N. Tranter und H.L.C. Tristram (Hg.), Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der frühen irischen Literatur, Tübingen, 1989 (ScriptOralia 10). 20
Ein Beispiel, wie irische Sagen mithilfe dieser halb selbständigen Elemente erweitert wurden, ist Comperi Con Culainn. Durch die Hinzufügung des Schlußteüs der jüngeren Version an den alten Text muß dessen Umfang im Lebor na hUidre etwa verdoppelt worden sein. Siehe A.G. van Hamel (Hg.), Comperi Con Culainn and Other Stories, Dublin, 1933, S. 6-8, c. 7. Ein großer Teil des betreffenden Stücks fand mit kleinen Anpassungen auch in der mittelirischen Sage Tochmarc Emire Verwendung: siehe Van Hamel, a.a.O., S. 29-30, c. 22-25. 21 EIL, S. 113-30, hier S. 114.
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Erzählkunst zu soviel Raffinement imstande ist, wenn nur ihre Träger über genügend künstlerisches Niveau verfügen, oder ob jene Gelehrten recht haben, die hinter den "Knabentaten" klassische Einflüsse suchen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Ansicht Walter J. Ongs in Orality and Literacy: The Technologizing of the Word, es sei geradezu ein Merkmal mündlichen Erzählstils, die Zuhörer in medias res zu stürzen.22 Der zweite Teil der Táin, von Finnabair Cúailnge bis zum Schluß, umfaßt rund dreitausend Zeilen und ist somit fast dreieinhalb Mal so lang wie der erste Teil ohne das Vorstück titulrad. Wenn man von den beiden jüngeren Hinzufügungen, der "Breslech Mór"- und der "Fer Diad"-Episode, und den sog. Η-Interpolationen (letztere auf dem Bauplan mit unterbrochenem Strich markiert) absieht,23 ist der zweite Teil immerhin noch zweieinhalb Mal so lang. Diese Länge ist hauptsächlich durch die Verwendung von 'Vortragsteilen' - Aufzählungen, Beschreibungen, Monologen und Dialogen - erreicht worden. Einige dieser Bausteine können mehreren Kategorien zugerechnet werden. So hat außer Tochestol Ulad, Tochim na mBuiden und Tochestol Fer nErenn auch die Übersicht der Kämpfe Cetherns den Charakter eines Katalogs, und was die Beschreibungen betrifft, besteht nicht nur die "Breslech Mór"Episode, sondern auch die rund 325 Zeilen lange Aufzählung Tochim na mBuiden überwiegend aus deskriptiven Elementen. Selbstverständlich finden sich auch in diesem zweiten Teil zahlreiche Anspielungen auf und Entlehnungen aus andern Ultersagen (Comperi Con Culainn, Táin Bó Regamna, Togati Bruidne Da-Derga, Táin Bó Flidaise II). Bezüglich dieser traditionellen Bausteine erhebt Frage, welche Bedeutung ihnen in der Entwicklung scher Formen, die sich vor dem Hintergrund einer chen Tradition vollzieht,. zuzumessen ist. Wichtig 22
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London und New York, 1988, 6. Druck, S. 143 (bezüglich der Odyssee und der Aeneïs). 23 Erstere gehören dem zehnten bis elften Jahrhundert an, letztere dem zwölften. Insgesamt umfassen diese jüngeren Bestandteüe etwa 1000 Zeilen.
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offensichtlich, in welchem Ausmaß sie in das Werk als Ganzes integriert sind. Was dies betrifft, hat Cecile O'Rahilly in ihren Ausgaben der verschiedenen Tá/rt-Fassungen wiederholt darauf hingewiesen, wie willkürlich diese Elemente verwendet werden konnten. 24 Obige Frage gibt zu zwei weiteren Fragen Anlaß. Erstens: Wie weit hat sich die Táin tatsächlich zu einer großepischen Form entwickelt? Zweitens: Inwiefern wurde diese Entwicklung, soweit sie stattfand, wirklich erst durch das Vorbild von Bearbeitungen klassischer Stoffe wie Togail Troi und Imthúsa Alexandair ermöglicht? Von der Beantwortung letzterer Frage hängt die Datierung der Táin ab. Sprachlich gehört das Werk, von den jüngeren Erweiterungen abgesehen, ja überwiegend der altirischen Periode an. Was hat die mittelirische Periode, von diesen Erweiterungen abgesehen, dazu beigetragen? Bisher ist der Abschnitt Córugud aile (Ζ. 1028-1234), auf dem Bauplan mit durchgehendem Strich markiert, außer Betracht geblieben. Diese als "Andere (An)ordnung" bezeichnete Erzählvariante des Trajekts von Findabair Cúailnge bis Druim Fhéne in Conaille ist der einzige Abschnitt, der das Liebesverhältnis von Medb und Fergus zentral stellt. Er enthält die hochrhetorische Unterredung der beiden mit Ailill, welche stattfindet, als dieser sicher weiß, seine Gattin betrüge ihn mit dem Ulterhelden - und damit den größten Teil der in der Táin vorkommenden Passagen in rewc-Stil. Córugud aile konfrontiert den Forscher mit einer Reihe von Problemen, von denen hier jedoch nur eines zur Sprache kommen soll, die Kohärenz von Fergus' Charakter. Ich erinnere an die Rekonstruktion der Táin, die James Carney 1979 am Keltologenkongreß in Galway präsentierte. 25 Nach Carney, der sich dabei auf Textmaterial stützte, das auffallenderweise nicht aus Ulster, sondern aus der südlichen Hälfte Irlands stammt, wird Fergus von Conchobar als Ver-
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Ein Beispiel: Keiner der Namen in der Aufzählung Tochestol Fer nErenn kommt davor oder danach in der Tain vor. 25 EIL, S. 117-125.
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räter verbannen, nachdem Medb ihn mit starken, bösen Bündnissen an sich gebunden hat; in der Folge unterstützt der Ulterheld einen aus der Gegend von Tara und Keils unternommenen Angriff auf seine Landsleute. Wie bereits erwähnt, enthält T B C II möglicherweise ein Echo dieses letzten Zuges, denn darin setzt ja in scél fodessin erst in diesem südlichen Grenzgebiet Ulsters ein. Doch auch in T B C I scheint der Z u g Spuren hinterlassen zu haben, denn darin wird in Z. 303-8 auf eine abweichende Tradition hingewiesen, welche die Begegnung Medbs mit der Seherin Fedelm, und damit Fedelms Prophezeiung der Heerfahrt, nicht bereits in Connacht, sondern erst in der Gegend von Keils lokalisiert. Die Plausibilität von Carneys Γάζ'η-Rekonstruktion steht hier nicht zur Diskussion. Deutlich ist, daß Fergus' Auftreten in der Táin - als bedeutender Ulterheld und Geliebter Medbs - den Redaktoren/Autoren der sukzessiven Fassungen der Táin Schwierigkeiten bereitete. Und nicht nur ihnen, wie die zahlreichen Erklärungen für Fergus' Aufenthalt in Connacht illustrieren, die im Laufe der Zeit produziert wurden. Nach dem frühen Gedicht Conailla Medb Michuru, das die Basis von Carneys Rekonstruktion bildet, verrät Fergus sein Land aus Leidenschaft für eine fremde Herrscherin; in Longes mac n-Uislenn (und implizit auch in T B C I) ist die Ursache diguin, d.h. die Verletzung seiner Ehre durch den Mord an den unter seinem Schutz stehenden Söhne Uislius; T B C II gibt als zusätzlichen Grund, er sei ein vertriebener König; nach dem allerdings nur fragmentarisch erhaltenen Text Fochonn loingse Fergusa befindet er sich möglicherweise auf einer Queste. 26 Außerhalb von Córugud aile wird in T B C I die Liebesgeschichte nur ein einziges Mal ausdrücklich erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit dem Zug, daß Fergus sein Schwert nicht bei sich hat. Am Anfang der Etarcomol-Episode, als Cú
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V. Hull (Hrg.,Übers.), "The Cause of the Exile of Fergus mac Roig", Zeitschrift für celtische Philologie 18 (1930), S. 293-98. Der Vergleich mit dem in der Arthurliteratur so zentralen Thema der Queste stammt von Thurneysen: siehe IHK, S. 321.
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Chulainns Wagenlenker Láeg den Fergus beschreibt, der als Gesandter der Connachter kommt, um über die Bedingungen der Kriegsführung zu verhandeln, bemerkt sein Herr, Fergus habe nur ein hölzernes Schwert bei sich (Z. 1301-10): "Ich sehe zwei Wagen auf uns zukommen", sagte Láeg. "Ein großer, brauner Mann mit braunem, buschigem Haar sitzt im ersten Wagen. Er ist in einen Purpurmantel gekleidet, der von einer Goldnadel zusammengehalten wird. Er trägt ein rot eingewobenes Hemd mit Kaputze. Er hat einen Krummschild mit einem ziselierten Rand aus findruine. In der Hand hält er einen breiten, prachtvoll verzierten Speer. Ein Schwert so lang wie das Ruder eines Boots ruht auf seinen beiden Schenkeln." "Leer ist das große Ruder, das mein Meister Fergus bei sich hat", sagte Cú Chulainn, "denn in der Scheide steckt nur ein Holzschwert. Wie man mir berichtet hat, überraschte Ailill ihn mit Medb im Schlaf, entwendete ihm das Schwert und gab es seinem [eigenen] Wagenlenker zum Aufbewahren und steckte Fergus ein Holzschwert in die Scheide."27
CÚ Chulainn gibt hier eine Variante des Berichts von Córugud aile, nach dem ja die Liebenden nicht von Ailill selbst, sondern von dessen Wagenlenker Cullius ertappt werden, der darauf das Schwert des Ulterhelden als Beweisstück für seinen Herrn mitnimmt; auch stammt darin das Holzschwert nicht von Ailill, sondern wird von Fergus verfertigt. Das Motiv von Fergus' Schwertlosigkeit hat vermutlich ursprünglich nichts mit der Liebesgeschichte zu tun, sondern ist irgendwann einmal in die Tain aufgenommen worden, um eine direkte Konfrontation des Ulterhelden mit seinen Landsleuten zu verunmöglichen. Rund 1200 Zeilen später, in dem Abschnitt Comrac Fergusa fri Coin Culaind, wird das Liebesverhältnis der beiden nochmals erwähnt, aber nur ganz beiläufig. Als Fergus nach schwerem Druck der Connachter endlich zu einem Treffen mit seinem Ziehsohn Cú Chulainn bereit ist, kommt es nicht zum Kampf, da er kein Schwert bei sich hat. Im Anschluß an Cú Chulainns Bemerkung, Fergus sei ohne Schwert gekommen
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Übersetzungen von mir.
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(Ζ. 2506-7), unterbricht der Redaktor seinen Bericht mit einem Hinweis auf die Situation, in der Fergus die Waffe abhanden gekommen ist - und damit implizit auf das Verhältnis des Helden mit der Connachter Herrscherin (Z. 2508). Auf die Unterbrechung folgt Fergus' Antwort, auch wenn er sein Schwert bei sich hätte, zöge er es nicht gegen Cú Chulainn. Darauf weicht der Jüngling vor ihm zurück, unter der Bedingung, daß er bei Gelegenheit vor ihm zurückweiche (Z. 2509-14): "Du trittst mir mit (einem Gefühl der) Sicherheit entgegen, Meister Fergus, (so) ohne Schwert in der Scheide." - Denn Ailill hatte es gestohlen, wie wir bereits berichteten. (Ar gatsai Ailill ass utpraediximus.) - "Es ist mir ganz gleich", sagte Fergus. "Auch wenn mein Schwert darin wäre, würde ich es nicht gegen dich brauchen. Weiche einen Schritt vor mir zurück, Cú Chulainn." "Weiche dann bei Gelegenheit vor mir zurück", sagte Cú Chulainn. "Das werde ich tun", sagte Fergus. Darauf zog sich Cú Chulainn vor Fergus bis nach Grellach Dolluid zurück, damit Fergus sich vor ihm am Tag der großen Schlacht zurückzöge. Die Szene in der Schlußschlacht, in der Fergus sein Versprechen erfüllt, bringt in dem Kampf zwischen Ulster und Connacht die Entscheidung, denn mit dem Ulterhelden und seinem Gefolge verlassen auch die Truppen Leinsters und Munsters das Schlachtfeld, und die Connachter bleiben allein zurück. Als Cú Chulainn Fergus entgegentritt, der inzwischen das Schwert zurückerhalten hat und damit wie ein Rasender um sich schlägt, ist er selbst schwer verwundet (Z. 4097-4107). "Wende dich hierher, mein Meister Fergus", sagte Cú Chulainn. Doch dieser gab dreimal keine Antwort. "Ich schwöre bei dem Gott, bei dem die Ulter schwören", sagte er, "ich werde dich klopfen, wie man den Flachs klopft (?). Ich werde über dich hinwegfegen, wie der Schwanz über die Katze hinwegfegt. Ich werde dich prügeln, wie eine liebhabende Mutter ihren Sohn prügelt." "Wer von den Kriegern Irlands spricht so zu mir?" sagte Fergus. "Cú Chulainn, der Sohn von Sualtaim und Conchobars Schwester", sagte Cú Chulainn. "Geh mir aus dem Weg." "Das habe ich versprochen", sagte Fergus. "So geh nun", sagte Cú Chulainn. "Einverstanden", sagte Fergus. "Du gingst mir aus dem Weg, als du von Wunden durchlöchert warst."
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Befremden wecken Fergus' abschließende Worte. Im Originaltext lauten sie Maith. [...] Romimgabais-[s]iu in tan bdsat tretholl-sa, wobei das b von basat, kleiner und blasser, über dem ersten a des Worts steht. Die Herausgeberin hält eine Emendation Maith. [...] In tan asat tretholl-sa ("Einverstanden, da du von Wunden durchlöchert bist"), mit Streichung von sowohl dem höher geschriebenen b wie der Verbalform romimgabais-[s]iu, für möglich, doch i.E. hat Emendieren keinen Sinn, da ganz offensichtlich der Redaktor die Details der früheren Begegnung vergessen habe.28 Nun sind zwar solche Lapsus memoriae in Werken dieser Art keine Seltenheit. Wenn man aber die Richtung, in der sich die Szene in den späteren Fassungen entwickelt, mit einbezieht, ist eine andere Deutung wahrscheinlicher. Wie bereits gesagt, weicht in Comrac Fergusa fri Coin Culaind Cú Chulainn vor einem Gegner zurück, der nicht imstande ist zu kämpfen, und nimmt ihm als Gegenleistung das Versprechen ab, später einmal vor ihm zurückzuweichen; dieses Versprechen ist der Grund, daß Fergus sich in der Schlußschlacht vor ihm zurückzieht. Somit ist der Jüngling der Überlegene. Doch bereits in TBC I zeichnet sich eine Tendenz ab, Fergus in ein vorteilhafteres Licht zu stellen. Mit dem Hinweis, diesmal sei Cú Chulainn nicht imstande zu kämpfen - ein Hinweis, dem zwar die unmittelbar darauf folgende Begegnung des Jünglings mit Medb widerspricht -, sucht der Redaktor eine gleichwertigere Behandlung der beiden zu erreichen. In TBC II ist die Gleichwertigkeit der beiden noch stärker ausgearbeitet. Darin ist Cú Chulainn in der Episode Comrac Fergusa zunächst nicht bereit, sich vor Fergus zurückzuziehen; auch die Initiative zu Fergus' Versprechen geht nicht von ihm aus. Fergus setzt jedoch den Jüngling unter Druck und macht ihm schließlich das ausdrückliche Angebot, falls er diesmal vor ihm zurückweiche, werde er seinerseits vor ihm den Rückzug antreten, wenn der Jüngling in der Entscheidungsschlacht des Kriegszugs "voll Wunden, blutüberströmt, durchlöchert" (chréchtach, crólinnech, tretholl) sei, und mit ihm zusammen
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O'Rahilly, Recension I, S. 297, Anmerkung zu Z. 4107.
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würden sich auch die übrigen Verbündeten Connachts zurückziehen (Z. 2494-99). So sehr unterordnet Cu Chulainn seine eigene Person den Interessen Ulsters, daß er unter dieser Bedingung zum Rückzug bereit ist, obschon er damit den Verdacht der Feigheit auf sich lädt. Als er später Fergus in der Entscheidungsschlacht entgegentritt, erinnert er ihn praktisch wörtlich an das Versprechen, einschließlich des Hinweises auf seine eigenen Verletzungen (Z. 4809-11): "Und du hast versprochen, vor mir zu fliehen, wenn ich voll Wunden, blutüberströmt, durchlöchert (créchtach, crólinnech, tretholl) wäre in der Schlacht des Kriegszugs, denn ich bin vor dir geflohen bei deinem eigenen Kampf in dem Kriegszug."
Ich fasse zusammen. Außerhalb des als abweichende Tradition gewerteten Abschnitts Córugud aile, in dem das Dreiecksverhältnis von Ailill, Medb und Fergus einen zentralen Platz einnimmt, wird dem Thema in TBC I wenig Bedeutung zugemessen. Diese Marginalisierung ist m.E. eine Folge der Tendenz, den Fergus der Táin den Ultern annehmlicher zu machen, ihn sozusagen propagandistisch aufzuwerten. Córugud aile verleiht jedoch seinem Charakter eine Komplexität und Rundheit, die ihn in all seiner Zwiespältigkeit zu einer faszinierenden Gestalt macht. Eine Nebenbemerkung: In der Fer Diad-Episode hat Fergus, in offenem Widerspruch mit dem Vorhergehenden und dem Folgenden, sein Schwert immer bei sich - ein deutliches Zeichen, daß dieser jüngere Bestandteil nur unvollständig in das Werk als Ganzes integriert ist. TBC II ist deutlich mehr aus einem Guß als die ältere Fassung, wenn auch die größere Einheitlichkeit mit verhältnismäßig einfachen Mitteln erreicht worden ist. So ist ein Teil der Widersprüchlichkeiten beseitigt, weisen verschiedene Themen eine kleinere Anzahl von Variationen auf und fehlen Hinweise auf abweichende Erzähltraditionen. Was Fergus betrifft, ist seine Entwicklung zum exemplarischen Ulterhelden in dieser Fassung praktisch abgeschlossen. Wie bereits erwähnt, führt TBC II zur Rechtfertigung seiner Teilnahme an dem Kriegszug gegen seine Landsleute an, als
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früherer König von Ulster versuche er, seinen Thron wiederzugewinnen (Z. 363-64). Doch ist das Bild, das von ihm gegeben wird, zwar einheitlicher, doch auch schematischer. So wird z.B. berichtet, er sehe sich unter keinen Umständen je um, damit niemand sagen könne, er sehe sich aus Vorsicht (lies: Feigheit) um (Z. 1662-6). In TBC II ist sein Liebesverhältnis mit Medb noch stärker marginalisiert: Es kommt darin nur noch in der bereits erwähnten Episode Comrac Fergusa (Z. 2478-2509), im Zusammenhang mit Fergus' Schwertlosigkeit, vor. Da diese Fassung keine Hinweise auf Erzählvarianten enthält, fehlt ein Pendant zu Córugud aile, und in der Etarcomol-Episode erscheint Fergus, anders als in TBC I, mit Schwert (Z. 1585-6). Der Grund, daß die Liebschaft in TBC II überhaupt noch Erwähnung findet, ist wohl, daß das Motiv von Fergus' Schwertlosigkeit unerläßlich für die entscheidende Szene in der Schlußschlacht ist, in der Fergus mit den übrigen Verbündeten Connachts den Rückzug antritt - eine Szene, die TBC II ja noch eindrücklicher gestaltet als TBC I. Wie oben dargelegt, muß Cú Chulainn in Comrac Fergusa vor Fergus zurückweichen, damit dieser in der Schlußschlacht vor ihm zurückweichen kann. Doch wie könnte Cú Chulainn diesen Schritt anders als aus einer Position der Überlegenheit heraus unternehmen? Und so wird halbwegs des Werks, in offenem Widerspruch mit allem Vorhergehenden, berichtet, Fergus sei ohne Schwert, und zwar schon ein ganzes Jahr lang, seit Ailill es ihm weggenommen habe, als er ihn mit Medb auf dem Abhang von Crúachain bei einem Schäferstündchen ertappte (Z. 2485-91): "Mit schwacher Sicherheit kommt mein Meister Fergus zu mir. Er hat kein Schwert in der Scheide des großen Ruders." Er hatte recht. Ein Jahr vor diesem Ereignis hatte Ailill Fergus überrascht, als er mit Medb auf dem Abhang in Crúachain zusammen war, sein Schwert auf dem Abhang neben ihm. Ailill hatte das Schwert aus der Scheide gezogen und ein hölzernes Schwert an seine Stelle gesteckt und hatte gelobt, er werde es ihm bis zum Tag der großen Schlacht nicht zurückgeben.
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In der vorliegenden Form, die eng mit der betreffenden Szene in der jüngeren Sage Táin Bó Flidaise II übereinstimmt,29 ist das Thema der Liebschaft sozusagen auf Stammtischniveau abgesunken. Ich fasse wiederum zusammen. In TBC II ist das Thema zu einem Fremdkörper geworden - einem Fremdkörper, den der schematische, eindimensionale Fergus dieser Fassung nicht absorbieren kann und der ihn deshalb seiner Kohärenz beraubt. Es gibt verschiedene Gründe, warum der Fergus der Táin (und damit selbstverständlich auch die Figur Medbs) revidiert werden mußte, u.a. der propagandistische Wert, den die Táin durch die Jahrhunderte hindurch für Ulster hatte. Auf diese Gründe - und auf die Entwicklung Medbs - hoffe ich andernorts einzugehen. Hier nur dies: Die Weise, wie einige Protagonisten der Táin in den sukzessiven Fassungen des Werks charakterisiert werden, ist ein Anzeichen dafür, daß der künstlerische Höhepunkt der Táin nicht am Ende, sondern irgendwo halbwegs ihrer Entwicklung zu suchen ist. Nach dem Erreichen einer Hochwassermarke - was je nach Facette zu verschiedenen Zeitpunkten geschah - sank das Werk allmählich wieder ab.
29 D. Mackinnon, "The Glenmasan Manuscript", Celtic Review 1 (1904-5), S. 226-9.
Gisbert Hemprich, Freiburg i.Br.
"Cia ainm cach dunta..." - ZUM dúnad IN DER FRÜHEN IRISCHEN DICHTUNG Der folgende Beitrag ist im Rahmen eines fächerübergreifenden Sonderforschungsbereichs an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg entstanden, der sich die Erforschung der "Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit" zur Aufgabe gestellt hat. Die Keltologen, denen in Freiburg ein bescheidener Platz innerhalb der Anglistik eingeräumt wird, sind als Teilprojekt A 5 daran beteiligt und untersuchen das Verhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der älteren irischen Literatur exemplarisch anhand der mittelalterlichen Erzählung vom "Viehraub zu Cuailnge" (Táin Bó Cuailnge). Da es sich bei den untersuchten drei Prosafassungen der Táin Bó Cuailnge um Prosimetra handelt, richteten sich die Untersuchungen sowohl auf die Medialität der Metrik als auch der Narrativik.1 Meine eigene Arbeit innerhalb des keltologischen Teilprojektes gehört dem metrischen Bereich an. Ausgehend von einer Reihe von Fragen zu den Gedichten in der Táin Bó Cuailnge sollte ein genauer und vielleicht sogar quantitativ faßbarer Überblick über Umfang, Form und Datierung der frühen metrischen Dichtung in Irland erarbeitet werden. Als Form der Darstellung wurde der Katalog gewählt; darin sollen Gedichte erfaßt sein, die sich innerhalb eines zeitlichen Rahmens von Beginn der ältesten Dichtung bis zum Ende des 12. Jh. bewegen. Es wird angestrebt, möglichst vollständig alle Gedichte des genannten Zeitraums zu erfassen, soweit sie in den wichtigsten keltologischen Veröffentlichungen und Zeitschriften ediert sind, sowie vollständig die Gedichte aus den diplomatischen
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Ausführliche Projektbeschreibungen siehe Hildegard L.C. Tristram: "Celtic Studies at Freiburg im Breisgau", in: Celtic Cultures Newsletter, 3 (1985), 16-18 und "Celtic Studies in West Germany", in: Celtic Cultures Newsletter, 4 (1986), 5-12; Stephen N. Tranter: "Celtic Studies in Freiburg: Irish Literature in the Interdisciplinary Context", in: Celtic Cultures Newsletter 6 (1990), 49-54.
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Editionen des sog. Buches von Leinster2 und des sog. Lebor na hUidre.3 Der gesteckte zeitliche Rahmen folgt nidht sprachhistorischen Perioden, sondern soll jene Dichtung umfassen, die nicht der in den späteren Bardenschulen gepflegten Verskunst der strengen Form, dem dárt direch, zuzuordnen ist. In den Katalog wird jeweils die erste Strophe und deren Ubersetzung aufgenommen. Neben einer metrischen Analyse werden auch Hinweise zum Vorkommen in den Handschriften, zu Editionen und Übersetzungen, zum Autor bzw. der Autorenzuschreibung, sowie zu Art, Umfang, Inhalt und Kontext des Gedichtes gegeben. Die Ergebnisse sollen die weitere Untersuchung der Gedichte in der Táin Bó Cuailnge insofern erleichtern, daß sie nun vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden "metrischen Wirklichkeit" vorgenommen werden kann. Mit diesem Begriff meine ich die metrischen Verhältnisse in der frühen irischen Dichtung, wie sie empirisch aus dem überlieferten Material ermittelt werden können. Bisher wurde in der Forschung meist jenes Bild als Ausgangspunkt fur metrische Untersuchungen gewählt, welches uns durch mittelirische Gelehrte in überlieferten mittelirischen metrischen Traktaten vorgezeichnet wird.4 Für das keltologische Teilprojekt A 5 des Sonderforschungsbereichs wurde als Hypothese davon ausgegangen, daß diese Texte präskriptiv und normativ sind, d.h. daß dieses Bild verzerrt ist. Der momentan entstehende Katalog wird auch dazu beitragen, die Aussagekraft der uns überlieferten mittelirischen Verslehren besser einschätzen und ihr Verhältnis zur "metrischen Wirklichkeit" bestimmen zu können. Als Folge dieser Hypothese mußte die Vorgehens-
2 Handschrift H.2.18 ( = 1339), Trinity College, Dublin. R.I. Best, O. Bergin, M.A. O'Brien, A. O'Sullivan (eds.): The Book of Leinster, formerly Lebar na Núachongbála, 6 Bde, Dublin 19541983; im folgenden zitiert als LL. 3 Handschrift 23 E 25 (=1129) der Royal Irish Academy. R.I. Best and O.J. Bergin (eds.): Lebor na hUidre - Book of the Dun Cow, Dublin 1929, Reprint Galway 1970; im folgenden zit. als LU. 4 Ich übernehme dafür im folgenden pauschal den von Rudolf Thurneysen geprägten Begriff "Mittelirische Verslehren".
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weise bei der Bestimmung der Metren deshalb möglichst empirisch und nicht von vornherein durch die ausschließliche Übernahme der Klassifizierungsmuster der Mittelirischen Verslehren erfolgen, so daß der Blick nicht frühzeitig für metrische Phänomene getrübt wurde, die in den Verslehren vielleicht nicht erwähnt oder anders beschrieben wurden. Zur Illustration des Problems greife ich einen Einzelaspekt heraus, an dem die Divergenz zwischen Mittelirischen Verslehren und "metrischer Wirklichkeit" leicht zu erkennen ist, nämlich das Phänomen der dúnad in der irischen metrischen Dichtung. Wie auch bei anderen metrischen Merkmalen, nämlich bei der Textgliederung in Strophen, der Silbenzählung, dem Reimprinzip sowie bei den Metren selbst (z.B. rannaigecht und deibide) finden wir eine erstaunlich lange Formkontinuität vor, denn seine Spuren lassen sich von der neuirischen Periode bis zu den ältesten überlieferten metrischen Texten zurückverfolgen.5 Dúnad sind Mittel der forma5
Dúnad finden sich bereits bei den nach der absoluten Chronologie ältesten mehrstrophigen Gedichten in Handschriften, die sich auf dem Kontinent erhalten haben. Im Milan Codex (HS Nr. C. 301 inf., Bibliotheca Ambrosiana, Mailand; geschrieben zwischen Ende 8. und frühem 9. Jh.) sind dies (es wird jeweils die erste und letzte Verszeile zitiert): Ad(co)ndarc alaill innocht... slondod neich adchondarcsa [9 Strophen] und Tegdais adchondarc indiu... tegdassa adchondarcsa (...) [8 Strophen] und im Codex Sancti Pauli (HS Nr. 25.2.31 b im Archiv des Benediktinerstiftes St. Paul in Kärnten / Österreich; 9. Jh.), Messe η Pangur Ban ... for mu mud cein am messe [8 Strophen] und Aed oll fri andud nane ... tri laith linni ainm nAeda [8 Strophen]. Alle Beispiele zitiert nach Whitley Stokes und John Strachan (eds.): Thesaurus Palaeohibernicus, Bd. II, Reprint Dublin (DIAS) 1975 ('Cambridge 1903, 1905), 291-5. - Dúnad finden sich aber auch bei nach der relativen Chronologie noch älteren Gedichten, die uns aber frühestens in Handschriften des 12. Jh., nämlich in der Handschrift Rawlinson B. 502 (Bodleiana, Oxford) und in LL überliefert sind und z. T. ins 5. Jh. datiert werden. Diese Gedichte werden ausführlich behandelt in Kuno Meyer: Über die älteste irische Dichtung, I. Rhythmisch alliterierende Reimstrophen, II. Rhythmisch alliterierende reimlose Strophen, Berlin 1913 und 1914 [Abhandlungen der kgl. preuß. Akademie der Wissenschaften, 6 und 10]; im folgenden abgekürzt ÄID. Über die Möglichkeit, daß hierbei dúnad nachträglich hinzugefügt wurden,
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len Gestaltung, die der Befriedigung ästhetischer Ansprüche dienen und eine Reihe weiterer Funktionen ausfüllen. Der Begriff dúnad weist auf eine textumklammernde Funktion hin, man könnte ihn mit "Schließung" übersetzen, jedoch werde ich im folgenden den irischen Begriff unübersetzt und unflektiert beibehalten. Er bedeutet, daß metrische Texte in der irischen Dichtung einen Abschluß erhalten, indem ihr(e) Anfangs- und Endwort/wörter (ganz oder in Teilen) miteinander in Beziehung gesetzt werden, indem sie übereinstimmen oder sich erkennbar ähneln, gleichlauten oder gleich beginnen. Dadurch wird am Schluß des Gedichtes wieder ein Bogen zu seinem Beginn geschlagen und damit das wohlgesetzte Ende der Komposition angezeigt, - so zumindest in der Theorie. Damit nimmt der dúnad im Prosimetrum auch die Funktion ein, metrische Textteile von Prosatexten abzugrenzen, d.h. für den (Vor-)Leser optisch erkennbar zu machen, eine Funktion, die ihm allerdings nicht allein zukommt. In der Regel ist zusätzlich die Markierung dieser Textstellen durch den Schreiber der Handschrift üblich: zu Beginn der metrischen Teile meist durch Marginalien als Hinweiszeichen;6 dann durch vergrößerte, manchmal auch verzierte Anfangsbuchstaben der ersten, aber auch oft der weiteren Strophen; durch besondere, meist zweizeilige Schreibung; und am Ende, nach dem dúnad und einem Schlußpunkt, durch die nochmalige Wiederholung des Anfangswortes, derer zwei, oder nur des bzw. der Anfangsbuchstaben.7 Diese Schreibermarkierungen können übrigens auch eine Hilfe sein, metrische Stellen in Texten aufzufinden, und - dies nur am Rande - sie bieten Argumenta-
handelt K. Meyer in ÄID I, 51-2. Dazu auch James Carney in T h e Dating of Archaic Irish Verse", in: Early Irish Literature - Media and Communication. Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der frühen irischen Literatur, Stephen N. Tranter / Hildegard L.C. Tristram (Hrg.), Tübingen 1989 [ScriptOralia 10], 39ff; im folgenden zit. als ScriptOralia 10. 6 Hierzu siehe Stephen N. Tranter, "Marginal Problems", in: ScriptOralia 10, 221-240. 7 Als Beispiel hierfür siehe Ende der Strophen 8 und 9 des unten wiedergegebenen Gedichts.
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tionshilfen bei der Etablierung von nicht unumstrittenen Größeneinheiten wie Strophe und Verszeile. P.L. Henry hat 1962 in seinem Artikel "A Celtic-English Prosodie Feature" 8 gezeigt, daß Parallelen zum irischen dúnad auch bei lateinischen Psalmen, in der walisischen Versdichtung, wenigstens einmal in der altenglischen und häufiger in der späten mittelenglischen Dichtung auftreten. Nur in der irischen metrischen Dichtung hat dieses Stilmittel jedoch solch große Verbreitung erfahren. Die Kürze eines Artikels verbietet, das Phänomen dúnad allzu umfassend zu behandeln. Bei der Untersuchung sollen deshalb Häufigkeit und Erscheinungsformen - letztere nenne ich im folgenden "Typen" - im Mittelpunkt stehen sowie die zeitliche Periode auf die Überlieferung bis Ende des 12. Jh. beschränkt werden. Aus den Mittelirischen Verslehren ist nicht viel über dúnad zu erfahren, was in auffälligem Wiederspruch zur Verbreitung des Phänomens steht. Es liegen meines Wissens nur zwei relevante Textstellen vor: erstens eine kurze Auflistung dreier Typen von dúnad, worin Teile einer Gedichtsstrophe zur Illustration herangezogen werden, und zweitens ein sich vermutlich auf diese Textstellen beziehendes mittelirisches Gedicht mit 9 Strophen, beginnend Dunta for nduan decid lib... Die Stelle mit den drei Typen von dúnad findet sich zu Beginn von Text II der Mittelirischen Verslehren: (a) Saighidh 1 co rap isind iarcomarc in foeul tusech, am ron gabh lasin filid: Donnchad dianfìch domiin η ri. 1 co rob 'dormchad' risin fordunad (b) Ascnam A. eoa leith .L 'donn'. fani son bic. (c) Uaim do rinn .L co rob do rinn na ceathramthan do raith araile. (d) Comindsma .i. indsma in iarcomairc isin tsillaib tuisig noma, ut est 1 'do' .i. 'donnchad'?
8 Patrick Leo Henry, "A Celtic-English Prosodie Feature", ZCP 29 (1962-4), 91-99; ergänzt um griechische Parallelen in P.L. Henry: The Early English and Celtic Lyric, London 1966, 226-7. ' Rudolf Thurneysen (Hrg.): Mittelirische Verslehren, in: Irische Texte III/l, Leipzig 1891, 29-30; siehe auch 120-1. Im folgen-
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Z u m dúnad
Die Beispielstrophe, die in dieser Textstelle in Teilen zitiert wird, erscheint an anderer Stelle in den Mittelirischen Verslehren vollständig, nämlich als Beispiel für das Metrum decfinad mór.10 Sie stammt laut Traktat aus einem Gedicht auf einen Dondchad (mac Domnaill) und wird einem Dichter des 7. Jh., Rechtgal ú a Síadail,11 zugeschrieben. D e r Dichter hat in dieser Strophe durch die Wiederholung des Anfangswortes Donnchad a m Ende des Gedichts einen dúnad des Typs saigid gebildet. Ich führe hier die normalisierte Version und Übersetzung nach Donncha O hAodha aus dem Metrikband des Projektes A 5 in der Reihe "ScriptOralia" von 1991 an: Donnchad dia-n-fich domum daigthech dom-[fh]oir giallach glonnchar comairdirc fri hEirinn n-ollguirm ainm maic Domnaill Donnchad "Donnchad through whom a fiery world seethes, may he who takes hostages and loves brave deeds protect me; the name of the son of Domnall, Donnchad, is as renowned as great-blue Ireland."12 Die zweite Stelle, das erwähnte 9-strophige Gedicht, findet sich in einer Handschrift des frühen 15. Jh., dem sog. Book of Ballymote 13 (fol. 332 b 31). Hier werden in Strophe 5 und 6 ebenfalls Teile der besprochenen Beispielstrophe herangezogen, u m die drei Typen von dúnad zu illustrieren. Ob der Schreiber aus anderer Quelle geschöpft hat, oder ob er - wovon mit großer Sicherheit auszugehen ist - die besprochene Textstelle aus den Mittelirischen Verslehren kannte, ist letzt-
den MV. 10 R. Thurneysen, MV, 7 [Text I § 6; hier die erste Beispielstrophe des Traktats überhaupt] und 39 [Text II § 33]. 11 Siehe in der Liste irischer Dichter im Appendix zu Kuno Meyer: A Primer of Irish Metrics, Dublin 1909, 51. u Donncha Ó hAodha, "The First Middle Irish Metrical Tract", in: Metrik und Medienwechsel - Metrics and Media, Hildegard Tristram (Hrg.), Tübingen 1991 [ScriptOralia 35], 225. Hervorhebungen von mir. 13 Handschrift 23 Ρ 12 der Royal Irish Academy.
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lieh nicht festzumachen. Das Gedicht handelt von der Notwendigkeit, Versdichtung mit einem dúnad abzuschließen. Es appelliert an die Dichter, dies tunlichst zu beachten, da Nichtbeachtung mit geringerer Vergütung bestraft würde. In den Strophen 5 und 6 werden schließlich wieder, wie in der oben behandelten Strophe aus den Mittelirischen Verslehren, die uns schon bekannten drei verschiedenen Arten von dúnad aufgezählt. Da das Gedicht bereits mehrfach vollständig und in Teilen ediert und übersetzt sowie sein Inhalt diskutiert worden ist,14 beschränke ich mich bei der Wiedergabe auf die für diese Untersuchung relevanten Strophen, die ich nach G. Calder (Text) und P.L. Henry (modifizierte Übersetzung nach Calder) wiedergebe: Do dhligegaibh dunta na nduan inso sis. 4) Cia ainm cach dunta dibh sein sluinnet na baird dia mbraithrib caisted cach cluined in fis meni fhuilet 'na anfis. 5) Comindsma do Dondchad Do asenam Dond im cach deglo saighid so is e in sticht amra Dondchadh int ainm ollamda. 6) Asenam iar saigid suaire [rnodh] "Dondcad dia fich [in domon]" uaim do rind "Dondchud na ndrech dia fich in domun daightheach". 8) Saighit[h] asenam uaim do rind dunait curpu duan derb lind each iarcomarc is gioir glan comindsma is coir dia ndúnad. Dunta. 9) A ees daña in domain tiar tair eter Erinn is Albain ni dleghait seoto sona cach duaine na ba dunta. d d d Dunta.15
14
R. Thurneysen, MV, 120-1 [nur Strophen 5 + 6]; George Calder (ed.): Auraicept na n-Éces - The Scholar's Primer, Edinburgh 1917, 164-7, - im folgenden AnE; Gerard Murphy: Early Irish Metrics, Dublin 1973 (11961), 44 [nur Strophe 5]; im folgenden EIM; P.L. Henry, ZCP 29 (1962-4), 92-4. 15 G. Calder, AnE, 164-6.
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"On the Laws for closing Poems here below. 4) What is the name of each close of these which the bards express with their words? Let each one inquire, let him hear the knowledge, unless he would be ignorant of it. 5) The comindsma to Dondchadh is Do, the ascnam Dond on each fair day, the saigid (is) this, it is the famous version, Dondchadh the metrically correct word. 6) Ascnam (approach) after full approach is a pleasant mode, "Dondchadh who quelled the world", uaim do rind (alliteration at end) "Dondchadh of the many hosts, who quelled the fiery world." 8) Full approach, approach, alliteration at end, close bodies of poems, it is plain to us; every concluding word is a pure glory, riveting is proper for closing them. Closed. 9) Ye poets of the world, West and East, both in Ireland and in Scotland, they deserve no lucky treasures for every poem that will not be (properly) closed. Closed."16 Aus den Mittelirischen Verslehren lassen sich somit drei Arten von dúnad erschließen: 1. saigid = Bildung eines dúnad durch Wiederholung des Anfangswortes, 2. ascnam = Bildung durch Wiederholung der vollen Silbe des Anfangswortes, 3. comindsma = Bildung durch Wiederholung eines Silbenteils.17 Uber weitergehende denkbare Erfordernisse, wie Kongruenz der Flexionsklassen, oder semantische versus lautliche Ubereinstimmung der betroffenen Wörter, geben die Texte keine Anhaltspunkte - was aber nicht überraschend ist, denn bei Silbenteilen und Silben ließen sich solche Bedingungen auch nicht erfüllen. Somit bleibt also als erstes Ergebnis festzuhalten, daß der Umfang (d.h. der an seiner Bildung beteiligten Buchstaben bzw. Laute, Silben, bis zur Wiederholung des
16
P. L. Henry, ZCP 29 (1962-4), 94. G. Calder (AnE, 167) übersetzt die drei Begriffe mit full approach, approach und repetition of first syllable; G. Murphy (EIL, 44) mit attainment, approach und riveting together; P.L. Henry (ZCP 29, 92) mit lit. aim "full approach", lit. approach und lit. riveting. 17
Gisbert Hemprich
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ganzen Wortes) als Unterscheidungsmerkmal bei der Typisierung der verschiedenen Typen von dúnad ausschlaggebend ist. Wie verhalten sich nun die ermittelten drei Arten von dúnad zu dem, was ich oben provokativ "metrische Wirklichkeit" genannt habe? Um diese Frage zu klären, soll eine grössere Anzahl von Gedichten daraufhin untersucht werden, welche Typen von dúnad in Erscheinung treten und mit welcher Häufigkeit sie vertreten sind. Danach sollen die Ergebnisse mit den Vorgaben der Mittelirischen Verslehren verglichen werden. Als Korpus habe ich die Gedichte aus dem Buch von Leinster gewählt, das sich aus mehreren Gründen für diese Untersuchung anbietet: wegen seines großen Umfangs, seiner leichten Verfügbarkeit (und damit auch Uberprüfbarkeit der gewonnenen Ergebnisse), der Vielfalt der darin enthaltenen Textsorten, der großen Zeitspanne des überlieferten Materials18 und aufgrund seiner sicheren Datierung ins 12. Jh. Um spätere Hinzufügungen auszuschließen, habe ich bei meiner Untersuchung vorsichtshalber keine der Randgedichte mitberücksichtigt. Als Korrektiv sollen die gleichen Untersuchungen an den Gedichten des Lebor na hUidre vorgenommen und die Ergebnisse verglichen werden.19 LU, das ebenfalls sicher ins 12. Jh. datiert werden kann (auch hier habe ich Randgedichte nicht berücksichtigt), hat den Nachteil des geringeren Umfangs. Als Untersuchungsgegenstand habe ich neben der strophischen Versdichtung alle Textstellen aufgefaßt und benutze dafür im folgenden pauschal den Begriff "Gedicht", die nicht eindeutig Prosa sind oder klaren Listencharakter tragen. Diese Vorgehensweise schließt auch jene Metren mit ein, die reimlos sind, meist keine Silbenzählung und keine klare Stro-
18
Nämlich vom 5. Jh. bis 2. Hälfte des 12. Jh., sofern man den Datierungen von Kuno Meyer in ÄID II für einige der Gedichte aus den Leinster-Genealogien folgen will, bzw. denen von James Carney in ScriptOralia 10, 39-40. Ich denke insbesondere an das
Gedicht Moen doen o ba noed..., LL VI, 1327; K.Meyer, ÄID II, 10 und James Carney, ScriptOralia 10, 46-7. 19 Da sich der Inhalt beider Handschriften in Teilen deckt, war es nicht möglich, beide Handschriften als ein Korpus zu behandeln.
Zum dúnad
110
phenstruktur aufweisen und im allgemeinen unter Begriffen wie retoñe, rose oder roscad eingeordnet werden. In LL habe ich 82 solcher metrischer Textstellen20 gezählt, wovon 24, d.h. 29,3%, einen dúnad aufweisen.21 In LU sind es 51, davon 17 mit dúnad, das entspricht 33,3 %.22 Zunächst ein Überblick über die Anzahl der Gedichte in beiden Handschriften. Ihre Anzahl wurde ermittelt, indem alle metrischen Teile, die frei oder in einem Prosatext eingebettet auftreten, unabhängig von ihrem Umfang als Einheit gezählt wurden, sobald sie ein Ende aufweisen oder ein neuer Prosaabschnitt beginnt. Somit sind also auch die Einzelstrophen als Gedichte erfaßt. Tabelle 1:
LL
1. Gedichte insg. 604 ( = 100%) 2. a) mit dúnad: 324 (53,6%) b) davon mit mehreren dúnad: 11223
LU 145 ( = 100%) 55 (37,9%) 8.24
Nehmen wir davon die strophischen Gedichte (LL: 522; LU: 94) und teilen sie gemäß ihres Umfangs in drei Gruppen, so lassen sich Häufigkeitsverteilung und jeweiliger Anteil an mehrstrophigen Gedichten mit dúnad ersehen. In LL steigt dieser Anteil mit zunehmendem Umfang in Gruppe 1 bis 3 auffällig von 55,7% auf 100%. Leider nimmt auch die Anzahl der Gedichte in den Gruppen drastisch ab, wodurch Zufäl20
Hierin sind auch die Texte Tecosca Cormaic und Senbriathra Fithail (LL VI, 1503-1522) mit berücksichtigt, die ich als 27 Einheiten zähle. Sie weisen keine dúnad auf. Wenn sie als rhythmische Prosa aufgefaßt und ausgeschlossen würden, ergäbe sich das Verhältnis 31 : 24, was einem Anteil von 43,6% entspräche. 21 Die Stellen finden sich in LL, Bd I, 49, 50, 51, 51-2; Bd. II, 391, 392, 436-9, 446-7; Bd. IV, 764, 774, 943, 945; Bd. V, 1123-4, 1141, 1290. 22 Die Stellen finden sich in LU, 90, 108, 109, 111-2, 121, 170, 191, 195, 256, 257-8, 269, 270, 313-5. 23 Das entspricht 34,6% der Gedichte mit dúnad in LL. 24 Das entspricht 14,5% der Gedichte mit dúnad in LU.
111
Gisbert Hemprich
ligkeiten rechnerisch immer mehr ins Gewicht fallen können. LU hat überhaupt keine Gedichte über 50 Strophen und fällt somit als Korrektiv weg. In der Übersicht: Tabelle 2:
LL
1. a) Gedichte mit 1-49 Strophen: 497 ( = 100%)25 b) mit dúnad: 277 (55,7%) c) davon m.mehr. d. : 9427 2. a) Gedichte mit 50-99 Strophen: 22 ( = 100%)29 b) mit dúnad: 20 (90,9%) c) davon m.mehr. d. : 1630 3. a) Gedichte mit über 100 Strophen: 3 ( = 100%)31 b) mit dúnad·. 3 (100%) c) davon m.mehr. d. : 232
LU 94 ( = 100%)26 38 (40,4%) 828 --
--
Schließlich zu den Formen des dúnad selbst: Die Gedichte des Korpus wurden daraufhin untersucht, ob sie einen oder mehrere dúnad aufweisen und welcher Typ von dúnad vorliegt. Auf der Grundlage der aus den genannten Textstellen der Mittelirischen Verslehren gewonnenen Erkenntnis, daß der Umfang für die Unterscheidung der Typen ausschlaggebend ist, wurden die aufgefundenen dúnad acht verschiedenen Typen zugeordnet, und zwar, ausgehend von einer ganzen Verszeile, abgestuft entsprechend der Anzahl der bei der Bildung des dúnad beteiligten Wörter, Silben(teile) und Buchstaben. Ein Nachteil dieser Vorgehensweise ist, daß sie die
25
Das entspricht 95,2% aller strophischen Gedichte in LL. Das entspricht 100% aller strophischen Gedichte in LU. 27 Das entspricht in LL 33,9% der Gedichte mit dúnad in Gr. 1. 28 Das entspricht in LU 21,1% der Gedichte mit dúnad in Gruppe 1. 29 Das entspricht 4,2% aller strophischen Gedichte in LL. 30 Das entspricht in LL 80% aller Gedichte mit dúnad in Gr. 2. 31 Das entspricht 0,57% aller strophischen Gedichte in LL. 32 Das entspricht in LL 66,7% aller Gedichte mit dúnad in Gruppe 3. 26
112
Zum dúnad
Eigenarten der verschiedenen Metren, insbesondere der unterschiedlichen Silbenzahlen der Erstzeile, nicht berücksichtigt und einige Zuordnungen deshalb willkürlich werden. Problematisch ist auch, daß dabei von einem modernen Verständnis für Wortgrenzen ausgegangen wird, der für unser Korpus nicht unbedingt Gültigkeit haben muß.33 Die Zuordnung zu Typ 8 schließlich wird fast zu einer Glaubensfrage, sie erfolgte auch nur dann, wenn der Schreiber in der Handschrift einen dúnad durch Wortwiederholung etc. markiert hat. In LL blieben außerdem 12 Fälle (=2%) übrig, bei denen nicht klar zu entscheiden war, ob es sich um dúnad handelt oder nicht. Die so gewonnene Zahl der Typen mag zwar willkürlich erscheinen, doch ist damit auf jeden Fall ein feineres Raster als das der mittelirischen Gelehrten zur Analyse angesetzt. Zur weiteren Vorgehensweise muß ich noch auf ein Problem aufmerksam machen, über das uns von den Mittelirischen Verslehren nichts mitgeteilt wird, nämlich das mehrfache Auftreten von dúnad in verschiedenen Strophen eines Gedichtes, nicht nur in der Endstrophe, sofern der Begriff dúnad hier überhaupt anwendbar ist. Dabei wird in der Regel vom selben Bezugswort (d.h. meist das Anfangswort des Gedichtes) ausgegangen, aber in wenigen Fällen läßt sich auch ein weiteres Bezugswort finden, das in einem Gedichtsabschnitt zur Bildung eines zusätzlichen, untergeordneten dúnad herangezogen wird.34 Auch die Schreiber in LL und LU haben diese Reihung einzelner dúnad in Gedichten wahrgenommen und in der üblichen Weise gekennzeichnet. Als Grund dafür sind in manchen Fällen spätere Strophenhinzufügungen oder nachträgliche Überarbeitungen verantwortlich zu machen. Zu erwägen ist auch, ob sich in einigen Fällen vielleicht dúnad zufällig in der Strophe ergab, bzw. nachträglich als solche interpretiert wurden. Eine Reihe von Gedichten vermitteln
33
Typ 1 und 2 sind davon allerdings nicht betroffen. Beispiel in LL, Bd. III, 524-32: Gedicht mit 67 Strophen. Erster dúnad verknüpft die Strophen 1, 33 und 67; zweiter dúnad die Strophen 34 und 48. Weiteres Beispiel in Bd. IV, 859-61: Gedicht mit 23 Strophen. Erster dúnad verknüpft die Strophen 1, 9, 19, 20 und 23; zweiter dúnad die Strophen 10, 15 (?) und 18. 34
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113
aber den Eindruck, daß das mehrfache Auftreten von dúnad durchaus vom Autor beabsichtigt war,35 weshalb das Phänomen nicht ignoriert oder weginterpretiert werden darf. Bisher habe ich Gedichte mit mehreren dúnad kommentarlos in den Tabellen aufgeführt, um ihren Anteil an den Gedichten mit dúnad zu verdeutlichen. Für die nächste Tabelle sollen jedoch alle dúnad zusammengerechnet und gemeinsam analysiert werden. Bei der Verteilung der Typen wurden zunächst die Gedichte, die dúnad nur in der letzten Strophe aufweisen, von jenen mit mehreren dúnad getrennt ausgewertet. Im Ergebnis ergab sich aber kein signifikanter Unterschied bezüglich der Häufigkeit der verschiedenen Typen. Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, ist der Anteil von Gedichten, die mehr als einen dúnad aufweisen, beachtlich. In LL ist das Verhältnis 112 : 212, d.h. bei 34,6% aller Gedichte mit dúnad ist das Phänomen zu beobachten, in LU: 8 : 47 ( = 14,5%). Deutlicher noch werden die Zahlen, wenn hierbei nur die strophische Dichtung berücksichtigt wird (siehe Tabelle 6.I.). Jetzt ergibt sich für LL das Verhältnis 112 : 185 ( = 37,7%) und für LU 8 : 29 (=21,6%).
35
Extreme Beispiele finden sich in LL, Bd. III, 716-8: 14-strophiges Gedicht mit neun dúnad-, Bd. IV, 866-8: 16-strophiges Gedicht mit vierzehn dúnad.
114
Z u m dúnad
Tabelle 3: Typen von dúnad:36
LL
LU
1. dúnad 2. dúnad 3. dúnad 4. dúnad 5. dúnad
15 (2,6%) 24 (4,1%) 14 (2,4%) 73 (12,5%) 270 (46%)
6 (8,1%) 3 (4,1%) 2 (2,7%) 12 (16,2%) 39 (52,6%)
6. dúnad umf. Wortteil/Silbe(n): 162 (27,6%)
10 (13,5%)
7. dúnad umfaßt Silbenteil:
7 (1,2%)
2 (2,7%)
8. dúnad umf. einz. Buchst.:
9 (1,5%)
Anz. d. dúnad (ges. Korpus):
586 ( = 100%)
entspricht Erstzeile: variiert Erstzeile: umfaßt 3 Wörter: umfaßt 2 Wörter: umfaßt vollst. Wort:
74 (100%).
Darüber hinaus ergab die Auswertung der dúnad noch weitere Aspekte, die ich hier kurz erwähnen möchte: 1. In LL bleiben in 35 Fällen ( = 6%) unbetonte Wörter (d.h. Artikel, Vokativpartikel, Formen der Kopula etc.) bei der Bildung von dúnad unberücksichtigt, in LU in 5 Fällen
(=6,8%). 37 2. In 89 Fällen des Typs 5 tritt bei Gedichten im Metrum deibide Akzentverschiebung nach dem Schema des deibideReims auf (nur in LL). Da das Phänomen nur bei deibide-
Strophen zu beobachten war, scheint hier die Akzentverschiebung als Eigenart des deióüíe-Reimschemas auf die Bildung von dúnad übertragen worden zu sein.
36
Im folgenden je ein Beispiel aus LL; Typ 1: Dursan a eó óir ... dursan a eó óir (Bd. II, 357); Typ 2: Cath Móna Trógaide tair ... cath mór Móna Trógaide (Bd I, 76-7); Typ 3: Can a mbunadas na nGaedel... can a mbunad (Bd. III, 516-23); Typ 4: Tri meic Rosa Ruaid in rig... o fochera in tres mac (Bd. IV, 778-9); Typ 5: Fínnachta a Huíb Néill... dar lem is ferr Fínnachta (Bd. V, 1308); Typ 6: Turloch Silinni seo in re... rop saethar troch dia tur (Bd. III, 696); Typ 7: Fithir is Dáirine... ama laechaib a ILifi (Bd. V, 1269); Typ 8: Tuathal Techtmar techta in taiman... ros ben a bruachaib Brig Molt (Bd. V, 1270-3). 37 Beispiele in LL: Is mithig in chabair... acht athig mith (Bd. II, 341); Diambad messe bad rireil... dobeir in n-ith is in mess (Bd. III, 608-12); Cid caín lib in laechrad laind ... na tech mar na cumthach cain (Bd. V, 1167-8).
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115
3. Bei einem großen Teil der dúnad des Typs 5 (exakte Zahlen liegen mir hier nicht vor) differieren die beteiligten Wörter im Silbenumfang. Dahinter verbergen sich Verlust bzw. Hinzutreten von Flexions- und Pluralendungen sowie sonstiger Suffixe. 4. Bei einigen wenigen Fällen läßt sich ¿fó/u&í-Bildung durch semantische Übereinstimmung vermuten, nämlich bei gewissen Wörtern, die - durch unterschiedliche Deklinationen hervorgerufen -, auffällig abweichende Erscheinungsformen zeigen.38 Kommen wir zurück auf die Beispielstrophe aus dem metrischen Traktat, so muß zunächst als Auffälligkeit notiert werden, daß hier ein dúnad innerhalb einer Einzelstrophe auftritt, was ein durchaus seltenes Phänomen ist. Vermutlich hängt die Wahl gerade dieser Strophe zur Illustration von dúnad mit dem Zwang zum platzsparenden Umgang mit Pergament zusammen, denn andernfalls hätte als Beispiel ein mehrstrophiges Gedicht mit dúnad gewählt werden müssen. Im Korpus der strophischen Gedichte in LL weisen nur drei von 172 einstrophigen Gedichten, das entspricht 1,7%, einen dúnad auf,39 in LU eins von 47, das entspricht 2,1%.40 Vergleicht man diese Zahlen mit den Ergebnissen bei den Gedichten mit zwei und drei Strophen, schnellt der Anteil an Gedichten mit dúnad hinauf, nämlich in LL von 16% auf ca. 70 %. LU folgt dieser Tendenz allerdings nicht, was sich in diesem Fall un-
38 Beispiele in LL: A fhir théit i mmag Medba ... at uasliu na cech oenfher (Bd. III, 692-5) und Tri meic Rosa Ruaid in rig ... o fochera in tres mac (Bd. IV, 778-9). G. Murphy in EIV führt die Beispiele Dia ... Dé und gáir... gáire an. 39 Beispiele finden sich in LL, Bd. V, 1241 und 1242. Einzelstrophen mit dúnad kommen natürlich auch als Teil längerer Gedichte vor. Als Beispiele habe ich notiert: LL, III, 530, Zeilen 16352-5, hier die Strophe 49 eines 67-strophigen Gedichts; außerdem jeweils die erste Strophe eines 8-strophigen Gedichts in Bd. IV, 879-80 und eines 3-strophigen Gedichts in Bd. VI, 1584-5. 40 LU, 306. Zum Vergleich: In Text 1 der Mittelirischen Verslehren haben drei von 61 Einzelstrophen einen dúnad, das entspricht 4,9%.
Zum dúnad
116
schwer durch die geringe Anzahl von 3-strophigen Gedichten erklären läßt. Hier die Zahlen in der Übersicht: Tabelle 4: dúnad bei 1) 1-stroph. Ged. LL: 3/172 (1,7%) 2) 2-stroph. Ged. LL: 4/24 (16%); 3) 3-stroph. Ged. LL: 24/34 (70,5%)
LU: 1/47 (2,1%). LU: 3/8 (37%). LU: 1/3 (33,3%).
Daraus läßt sich für die strophische Dichtung die Hypothese ableiten, daß einstrophige Gedichte mit dúnad eine Ausnahme darstellen, die bei den Berechnungen auszuschließen sind. Der Ausschluß einstrophiger Gedichte ist methodisch auch gerechtfertigt, wenn von der Funktion der dúnad als Mittel der formalen Gestaltung ausgegangen wird, die ja gerade über die Einzelstrophe hinaus auf die Gesamtkomposition verweist.41 Im folgenden wird deshalb von einem Korpus ausgegangen, das um die Einzelstrophen, d.h. einstrophigen Gedichte verkleinert wurde ("reduziertes Korpus"), d.h. in LL um 172 (= 33% aller strophischen Gedichte in LL) und in LU um 47 Gedichte ( = 50% aller strophischen Gedichte in LU). Wie zu erwarten war, erhöht sich dadurch der Anteil an Gedichten mit dúnad, wie im Vergleich ersichtlich wird, nämlich in LL von 57,5% auf 84,9% und in LU von 40,4% auf 78,7%: Tabelle 5:
LL
I. 1. Stroph. Ged. insg.: 2. a) mit dúnad: b) dav.m.mehr. d. : II. 1. Ged. (red. Korpus): 2. a) mit dúnad: b) dav.m.mehr. d. :
522 300 112 350 297 112
41
LU ( = 100%) (57,5%) ( = 100%) (84,9%)
94 ( = 100%) 38 (40,4%) 8 47( = 100%) 37 (78,7%) 8.
Viele der Einzelstrophen sind zudem Bruchstücke oder Strophenzitate aus längeren Gedichten. Sie erscheinen gehäuft in Texten, die solche Zitate gezielt einsetzen, wie z.B. der Kommentar zum Amra Choluim Chille, die Genealogien und die metrischen Abhandlungen, z.B. der Trefhocul-Text in LL.
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Analog dazu steigen die Anteile auch in Gruppe 1 von Tabelle 2 (die den größten Teil der Gedichte von LL, bzw. alle Gedichte von LU einschließt). Zusammen mit den Zahlen in Tabelle 5. II. machen sie deutlich, daß für die mehrstrophigen Gedichte des untersuchten Korpus das Phänomen dúnad als metrische Norm anzusehen ist: Tabelle 6:
LL
1. a) Gedichte mit 2-49 Strophen: 325 (100%)42 b) mit dúnad: 278 (84,4%) c) dav.m.mehr. d.\ 94"
LU 47 (100%)43 37 (78,7%) δ.45
Kommen wir zurück auf Tabelle 3 und vergleichen die Ergebnisse mit den Aussagen der Mittelirischen Verslehren, so finden wir die darin genannten Typen folgendermaßen repräsentiert: 1. Saigid entspricht in Tabelle 3 dem Typ 5. Dies ist, wie man an den Prozentzahlen ablesen kann, die absolut häufigste Art des dúnad. Im oben besprochenen Gedicht ist dies auch der favorisierte Typ (laut Strophe 5, Zeile 3: saighid so is e in slicht amra).46 2. Ascnam entspricht Typ 6. Dies ist in LL die zweithäufigste Art des dúnad, allerdings nicht in LU. 3. Comindsma schließlich entspricht dem Typ 7. Er spielt sowohl in LL als auch in LU eine sehr geringe Rolle, selbst wenn man Typ 8 als Silbenteil interpretieren und dazurechnen würde.
42
Das entspricht 62,3% aller strophischen Gedichte in LL, bzw. 92,9% des reduzierten Korpus. 43 Das entspricht 50% aller strophischen Gedichte in LU, bzw. 100% des reduzierten Korpus. 44 Entspricht in LL 34% der Gedichte mit dúnad in Gruppe 1. 45 Entspricht in LU 22% der Gedichte mit dúnad in Gruppe 1. 46 Was auch schon G. Murphy (EIM, 44) vermutet hatte.
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Zum dúnad
Berücksichtigt man nun alle verbliebenen, d.h. alle mehr als ein Wort umfassenden Typen, so ergeben sie zusammen einèn Prozentsatz von 21,5% aller dúnad in LL und 31,1% in LU. Hinter diesen Zahlen verbergen sich also metrische Phänomene, die von den Mittelirischen Verslehren nicht erfaßt werden. Im untersuchten Fall hat sich somit die Hypothese von der Divergenz zur "metrischen Wirklichkeit" bestätigt. Zum Schluß sollen einige sich aus den Ergebnissen und Beobachtungen ableitende Merkmale des Phänomens dúnad in einer Zusammenfassung thesenartig aufgelistet werden. Was die ermittelten Zahlen angeht, möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß sie eine Exaktheit vorgeben, die scheinbar ist. Es bleiben immer Unsicherheitsfaktoren: die Zufälligkeit der Uberlieferung unseres Gedichtskorpus ebenso wie die selektive Herangehensweise des Forschers an das Material und die daraus resultierenden und zu Recht kritisierbaren Willkürlichkeiten. Doch läßt sich das gewonnene Zahlenmaterial gut dazu heranziehen, Vermutungen zu verifizieren und Tendenzen zu formulieren: A. Allgemein: 1. Dúnad bezeichnet in der irischen metrischen Dichtung das Phänomen, daß metrische Texte einen Abschluß erhalten, indem ihr(e) Anfangs- und Endwort/wörter (ganz oder in Teilen) miteinander in Beziehung gesetzt werden, d.h., daß diese entweder identisch sind, optisch oder semantisch übereinstimmen, sich erkennbar ähneln, gleichlauten oder in Teilen gleich beginnen. Es ist somit ein Mittel der formalen Gestaltung, um das Ende einer Komposition anzuzeigen (textumklammernde Funktion), und dient - bei mehrfachem Auftreten innerhalb eines Gedichtes - manchmal auch zur Strukturierung und Untergliederung. 2. Die Bildung von dúnad ist in der irischen metrischen Dichtung keine Ausnahme, sondern die Norm. 3. Dúnad sind kein Phänomen der späteren irischen Dichtung, sondern liegen bereits bei den nach der absoluten Chronologie ältesten erhaltenen Gedichten vor.
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4. Dúnad finden sich, unabhängig vom Inhalt, in allen Arten von Gedichten. 5. Dúnad treten unabhängig von bestimmten metrischen Formen auf. Sie werden nicht nur bei strophischer Dichtung angewandt, sondern auch bei reimlosen nichtstrophischen Gedichten, die häufig nicht auf Silbenzählung beruhen. 4 7 6. Dúnad können in strophischen Gedichten mehrfach auftreten, sind also nicht nur auf die letzte Strophe eines Gedichts beschränkt. Diese zusätzlichen dúnad treten aber abgesehen von fragmentarisch überlieferten Gedichten nur auf, wenn bereits in der letzten Strophe ein dúnad vorliegt. Dabei wird in der Regel vom selben Bezugswort (d.h. meist das Anfangswort des Gedichtes) ausgegangen, aber in wenigen Fallen läßt sich auch ein weiteres Bezugswort finden, das in einem Gedichtsabschnitt zur Bildung eines zusätzlichen, untergeordneten dúnad herangezogen wird. Es gilt die Tendenz, daß mit zunehmender Strophenzahl auch die Anzahl der dúnad innerhalb der Gedichte zunimmt, und zwar gegen Ende des Gedichts mit größerer Häufigkeit. 7. Das Vorhandensein eines dúnad ist kein sicherer Beweis für die Vollständigkeit eines Gedichts. 48 B. Form: 1. Die Benennung dreier Typen von dúnad in den Mittelirischen Verslehren ist willkürlich und deckt nur einen Teil der metrischen Wirklichkeit ab. 2. Die Vielfalt der Formen läßt hingegen darauf schließen, daß bei der Bildung eines dúnad nur wenig Restriktionen zu beachten sind, was das Anpassen an die Erfordernisse des jeweiligen Metrums erleichtert bzw. erst ermöglicht.
47
Das Auftreten von mehreren dúnad habe ich bei dieser Art von Dichtung nicht feststellen können. 48 Diese Beobachtung bezieht sich auf Beispiele außerhalb des Korpus, nämlich auf die Tatsache, daß die Strophenzahl von Gedichten trotz dúnad in verschiedenen Handschriften häufig differiert.
120
Zum dúnad
3. Semantische Übereinstimmung der beteiligten Wörter ist nicht erforderlich und bei Wortteilwiederholungen auch nicht zu erzielen. Variation der Silbenzahl, Auslassung von unbetonten Wörtern sowie der Wechsel betont-unbetont sind möglich. 4. Geht man vom Umfang als unterscheidendem Kriterium aus, stellt sich als häufigster Typ von dúnad die Wiederholung des Anfangswortes dar, als zweithäufigster Typ die Wiederholung eines Teils des Anfangswortes, d.h. meist der ersten vollen Silbe. Wird ein Wort vollständig wiederholt (und dadurch semantische Übereinstimmung erzielt), so muß es sich nicht nach dem Fall des Bezugswortes richten.
Ian Hughes, Aberystwyth
DIE DREI ZWEIGE DES MABINOGI Die genaue Beziehung zwischen den sogenannten Vier Zweigen des Mabinogi hat sich seit dem letzten Jahrhundert als großes Forschungsthema erwiesen. Thomas Stephens interpretierte den Titel Mabinogi folgenderweise: "tales written to while away the time of young chieftains."1 Alfred Nutt deutete den Titel als "the traditional material - mythical, heroic, genealogical - which he (the Mabinog or bardic apprentice) had to acquire."2 Aus linguistischen Gründen behauptete E.P. Hamp, das Wort bedeute "Sagenmaterial über den keltischen Gott Maponos, kymrisch Mabon."3 W.J. Gruffydd faßte die Vier Zweige als zusammenhängende Texte eines Pryderi-Sagenkreises auf, worin jeder Teil eine entscheidende Epoche in der Entwicklung des Helden schilderte.4 Sir Ifor Williams hatte die Ansicht vertreten, Pryderi sei der ursprüngliche Held des ganzen Mabinogi; der erste Zweig sei der echte Mabinogitext und die anderen drei seien Hinzufügungen verschiedenartiger Erzählungen, somit Erweiterungen des Originaltextes.5 Die oben erwähnten Wissenschaftler haben versucht, den grundlegenden Zusammenhang der Vier Zweige zu erklären. Die meisten fassen sie als einen einzigen Text auf. Diese Neigung ist nicht schwer zu verstehen, wenn man bedenkt, daß auch die Kompilatoren der beiden Manuskripte, des Weißen Buches von Rhydderch (c. 1325) und des Roten Buches von Hergest (c. 1400), die vier vorliegenden Texte als miteinander verbunden betrachteten. Man beachte in dieser Hinsicht die abschließende Phrase jedes Zweiges: Ac yuetty y teruyna y geing honn yma o'r Mabinogi "Und so endet hier dieser Zweig des Mabinogi". Aber sogar dieser Satz und seine offensichtliche Bedeutung darf nicht ohne weiteres akzeptiert 1
Thomas Stephens, The Literature of the Kymry, London 1849,
411. 2
Alfred Nutt, The Mabinogion, London 1902, 330. Eric P. Hamp, Mabinogi, Transactions of the Honourable Society of the Cymmrodorion, 1974/5, 243-249. 4 W. J. Gruffydd, Rhiannon, Cardiff 1953. 5 Ifor Williams, Pedeir Keine y Mabinogi, Cardiff 1930, xliv f. 3
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Die drei Zeige des Mabinogi
werden. Meines Erachtens könnte der Zusammenhang der Vier Zweige von zweierlei Art sein: (a) zugrundeliegend, d.h. ursprünglich. Dieser These kann man meines Erachtens heutzutage kaum mehr zustimmen. (b) sekundär, d.h. auf vier (oder mehr) verschiedene Texte zurückgehend, wobei ihre Einheit von einem späteren Redaktor herstammte; hier stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise der Redaktor den überkommenden Stoff bearbeitet hat. Richten wir zunächst unsere Aufmerksamkeit auf die verschiedene Herkunft der vier Erzählungen. Die meisten Wissenschafteier stimmen darin überein, daß ihnen Themen aus drei verschiedenen Gebieten der Britischen Inseln zugrunde liegen, nämlich (i) Dyfed, (ii) Gwynedd und (iii) Britannien. Meines Erachtens kann man infolgedessen drei ältere Erzählungen identifizieren, die durch Charakter-, Stil- und Stimmungsunterschiede bestimmt sind. Sie müssen auch nicht unbedingt zum selben historischen Zeitraum gehören. Wenn man den Inhalt jeder dieser Erzählungen vergleicht, lassen sich Schlüsse ziehen, die ein neues und klareres Licht auf die Beziehung der Vier Zweige untereinander werfen.
(i) Dyfed Die Erzählung von Dyfed umfaßt unter anderem den Zweig von Pwyll Penderne Dyuet und den von Manawydan uab Liyr, d.h. den ersten und den dritten in den Ausgaben von Ludwig Mühlhausen und von Sir Ifor Williams. Diese Erzählung hat möglicherweise früher auch andere Erzählungen oder Traditionen mit eingeschlossen, obwohl sich diese unserem Zugriff entziehen. Es finden sich ein paar Hinweise in den 'Triaden der Insel Britannien" (Trioedd Ynys Prydein)6 und zwar in 26W, 8, 67, 52 nach Rachel Bromwichs Numerierung.
6
Rachel Bromwich, Trioedd Ynys Prydein, Cardiff 1978.
Ian Hughes
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Befassen wir uns zunächst mit dem Zweig von Pwyll Penderne Dyuet. Er ist die erste Erzählung und läßt sich leicht in drei Hauptteile einteilen, wie schon viele Wissenschaftler festgestellt haben. 7 Der erste Teil umfaßt Pwylls Aufenthalt in Annwfn, der britischen Anderwelt. Es ist nicht nötig, auf die Einzelheiten dieser Erzählung einzugehen. Es genügt, folgende Schlüsse zu ziehen. Der Protagonist Pwyll ist der Herrscher von Dyfed und hat keine Frau. Nach einer unheimlichen Begegnung mit Arawn, einem Fürsten von Annfwn, muß Pwyll dorthin ausziehen, um Hafgan, einen anderen Fürsten von Annwfn, zu überwinden. Das bedeutet, daß im ersten Teil dieser Erzählung Pwylls Gegenspieler ein Bewohner von Annwfn ist. Nach seinem Sieg wird Pwyll umbenannt - er heißt von nun an "Fürst von Annwfn", was aber nur ein Titel ist, weil er tatsächlich nur Dyfed beherrscht. Der zweite Teil der Erzählung handelt von einer Brautwerbung. Pwyll ist immer noch der Protagonist, und sein Gegenspieler heißt jetzt Gwawl fab Clud, der - wie Hafgan vorher - möglicherweise auch aus Annwfn kommt, obwohl das im Text nicht eigens erwähnt wird. Es folgt eine harte Auseinandersetzung zwischen ihnen, da sie beide um Rhiannon freien. Mit ihrer Hilfe überwältigt Pwyll seinen Gegner; dadurch gelingt es ihm, Rhiannon zur Frau zu bekommen. Der dritte Teil und auch die dritte Phase in Pwylls Entwicklung umfaßt die sonderbare Geburt von Pwylls Sohn, der später Pryderi genannt wird. Gleich nach seiner Geburt wird das Kind seiner Mutter Rhiannon von einer dämonischen Klaue entführt. Diese Klaue ist sicherlich eine jenseitige Er-
7 J. Gantz, Thematic Structure in the Mabinogi, Medium Aevum XLVII, 248; A. Welsh, The Traditional Narrative Motifs of the Four Branches of the Mabinogi, Cambridge Medieval Celtic Studies 15 (1988), 56-57; A. Welsh, Traditional Tales and the Harmonizing of Story in Pwyll Pendeuic Dyuet, Cambridge Medieval Celtic Studies 17 (1989), 23; E. Hanson-Smith, Pwyll Prince of Dyfed: the narrative structure, Studia Celtica XIV/XV (1979/80), 133; Sioned Davies, Pedeir Keine y Mabinogi (Llên y Lienor), Caernarfon 1989, 19.
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scheinung und hat ihren Ursprung in Annwfn, obwohl dies im Text wiederum nicht gesagt wird. Wenn alle drei Teile zusammen betrachtet werden, merkt man, daß der Protagonist Pwyll, der Fürst von Dyfed, drei verschiedenen Feinden gegenübersteht, nämlich Hafgan, Gwawl und einem namenlosen Ungeheuer. Sie stammen möglicherweise aus Annwfn oder zumindest aus einem Gebiet außerhalb Dyfeds. Alle diese Gegenspieler vertreten Mächte, die der irdische Held allein oder mit Hilfe anderer überwinden muß, um den Erfolg seiner Herrschaft über Dyfed und das Bestehen seiner Dynastie zu sichern. Bei näherer Betrachtung der zweiten Erzählung, die nach Dyfed gehört, des sogenannten dritten Zweiges des Mabinogi - Manawydanfab Llyr -, stoßen wir auf ganz ähnliche Themen. Auch in dieser Erzählung könnte man drei Teile unterscheiden. Obwohl Manawydan fab Llyr etwas untypisch beginnt, d.h. nicht mit der zu erwartenden Formel Manawydan fab Llyr oedd yn arglwydd ar... ("Manawydan war der Fürst von ..."), gehört der Text seinem Stil und seinem Inhalt nach unzweifelhaft der einheimischen walisischen Tradition an. Bezüglich der Anfangsformel sei erwähnt, daß Manawydan in der erhaltenen Form des Mabinogi nach der vorhergehenden Erzählung Branwen ferch Lyr nicht der Herrscher eines Landes sein kann, da sein Vetter (oder Onkel) Caswallon die Krone Britanniens usurpiert hat. Man darf daher dem abweichenden Anfang dieses dritten Zweiges nicht allzu viel Gewicht beimessen. Der erste Teil befaßt sich damit, daß Manawydan zum Stiefvater Pryderis und zum Ehemann Rhiannons wird. Nun ist er der Fürst von Dyfed und der Protagonist dieser Erzählung. Pryderi schwört dem britischen König Caswallon den Lehnseid. Man sollte in diesem Teil nicht von Protagonist und Gegenspieler sprechen, obwohl eine derartige Feindschaft am Schluß von Branwen tatsächlich hätte entstehen können. Der Verfasser von Manawydan geht nicht näher auf diese Frage ein. Die Gegnerschaft zwischen Manawydan / Pryderi einerseits
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und Caswallon andererseits wird von ihm in keiner Weise thematisiert. Die politische Abhängigkeit Pryderis von Caswallon ist in dem vorliegenden Text nicht von großem Belang. Meines Erachtens ist dieser erste Teil der Erzählung sekundär, wahrscheinlich unter Einfluß echter historischer Ereignisse des 12. Jh. entstanden. 8 Er dient bloß dazu, die Beziehung zwischen Pryderi und Manawydan herzustellen, und zwar im Zusammenhang mit dem vorausgehenden Zweig Branwen. Der zweite Teil enthält die entscheidenden Entwicklungen der Handlung. Am Anfang verschwinden alle Spuren des alltäglichen Lebens - das Vieh, die Haustiere, bis auf die Jagdhunde, und die Menschen, bis auf Manawydan, Rhiannon, Pryderi und dessen Ehefrau Cigfa (die ich übrigens auch für sekundär halte). 9 Trotzdem herrscht Geselligkeit im Leben der vier Freunde; sie unternehmen eine Reise nach England und wieder nach Dyfed zurück. Bisher weiß man nicht, welcher der vier (oder, besser gesagt, welcher der beiden Männer) der echte Protagonist dieser Erzählung ist, wenngleich vieles für Manawydan spricht. Der Gegenspieler ist bisher noch nicht aufgetaucht, obwohl für den unheimlichen Nebel in Dyfed sicherlich ein Verantwortlicher vorausgesetzt werden muß. Im Gegensatz zum ersten Teil ist der dritte eng mit dem zweiten verknüpft. Hier verschwinden Pryderi und Rhiannon, indem sie etwas unbesonnen eine verzauberte Burg betreten. Die einzigen Bewohner von Dyfed sind nun Manawydan und Cigfa, und diese beiden reisen noch einmal nach England und zurück. Erst jetzt und nur allmählich leuchtet es uns wie auch Manawydan ein, daß alle Verzauberungen miteinander zusammenhängen. Dies wird besonders deutlich, als die unheimlichen Mäuse die Ernte zerstören. Schließlich erscheint der
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Siehe S. Lewis, Manawydan fab Llyr, Y Traethodydd CXXIV (1969), 137-142, und G. Goetinck, "Pedair Cainc y Mabinogi: Yr awdur a'i Bwrpas", Llên Cymru XV (1988). 9 Ich halte es für möglich, daß Cigfa nur als Gesprächspartnerin von Manawydan im letzten Teil dieser Erzählung bestimmt wird. Ohne sie käme ein Dialog kaum mehr in Frage, da Pryderi und Rhiannon schon verschwunden sind.
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Gegenspieler Manawydans in der Person von Llwyd fab Cilcoed, einem engen Freund von Gwawl fab Clud, dem Antagonisten im ersten Zweig. Die Erklärung ist nun offensichtlich: Manawydan, der Protagonist dieser Erzählung, wird nach und nach von einem unbekannten Gegenspieler zugrunde gerichtet, der aus einem Gebiet außerhalb Dyfeds (Annwfn ?) stammt und offensichtlich über Zauberkräfte verfügt. Zuerst wird ihm die Fruchtbarkeit seines Landes genommen, dann seine Frau und sein Stiefsohn, und zuletzt wird sogar sein eigenes Leben bedroht. Ein fremder Herrscher setzt also die Feindschaft gegen den Fürsten von Dyfed fort, vor allem gegen dessen Sohn (bzw. Stiefsohn) und dessen Frau. Wie in der ersten Erzählung geht es in der dritten Erzählung um eine Feindschaft zwischen der Dynastie von Dyfed und einer fremden Dynastie. Die Entsprechungen zwischen Pwyll und Manawydan sind nicht zu übersehen. Beide Erzählungen gehören zusammen und bilden den Zweig der Dyfed-Tradition.
(ii) Gvvynedd Die Erzählung der Gwynedd-Tradition umfaßt hauptsächlich den Zweig von Math fab Mathonwy, obwohl möglicherweise noch andere Bruchteile dieser Erzählung vorhanden sind. Sie finden sich z.B. in dem Gedicht Marwnad Dylan im Buch von Taliesin,10 einem Manuskript, das im 13. Jh. verfaßt wurde, und in den Triaden 26, 28, 30. Der Zweig von Math fab Mathonwy läßt sich meines Erachtens wiederum in drei Teile einteilen.11 Der erste Teil handelt von den beiden Brüdern Gwydion und Gilfaethwy; letzterer begehrt Goewin, die Dienerin Maths, des Königs von Gwynedd. Wir hören von einer Eigentümlich10 Für eine Ausgabe dieses Gedichtes siehe Marged Haycock, Dylan Ail Ton, Ysgrifau Beirniadol XIII, Denbigh 1985, 26-38. Siehe auch Sarah Larratt Keefer, The Lost Tale of Dylan in the Fourth Branch of the Mabinogi, Studia Celtica 24/25 (1989/90). 11 J. Gantz, op. cit., 251; A. Welsh, op. cit. (1988), 60-62; Sioned Davies, op. cit., 19.
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keit Maths, die ihn zu Friedenszeiten unbeweglich macht. Gwydion und seine Verdoppelung Gilfaethwy dienen als Ratgeber und Helfer dieses immer sitzenden Königs. Gwydion ist der eigentliche Protagonist. Sein Gegenspieler scheint der betrogene Fürst des Südens, Pryderi, zu sein. Bald folgt ein offener Krieg zwischen Gwynedd und Deheubarth, in welchem Pryderi erschlagen wird. Der Verfasser dieser Erzählung sympathisiert eindeutig mit den Männern von Gwynedd, obwohl auch sein Mitgefühl mit den um ihren toten Fürsten trauernden Südländern spürbar ist. In diesem ersten Teil sind auch heroische Züge nicht zu verkennen. Auch im zweiten Teil spielt Gwydion die Hauptrolle, indem er dem ihm anvertrauten Ziehsohn Lieu Llaw Gyffes hilft, die drei Verfluchungen zu überwinden, die Arianrhod auf ihn heraufbeschwor. Arianrhod bewohnt eine Insel, die sich außerhalb des Reiches von Gwynedd oder zumindest an seinem Rand befindet, und tritt Gwydion und Lieu feindselig entgegen. Die Gegenspieler in diesem Teil sind also Gwydion und Arianrhod. Der dritte Teil befaßt sich mit einer verbotenen Liebesaffäre, und zwar der zwischen Blodeuwedd, Lleus Ehefrau, und Gronw Pebr. Hier spielt meines Erachtens auch wieder Gwydion die Hauptrolle, obwohl er zunächst nur als eine Hintergrundfigur erscheint. Er ist der Helfer und Freund von Lieu, dem Fürsten von Dinoding, eines Teilgebietes von Gwynedd. Sein Gegenspieler heißt Gronw, der Liebhaber Blodeuwedds. Dieser ist ebenfalls ein Fürst und zwar von Penllyn, das außerhalb von Gwynedd oder zumindest an seinem Rand liegt. Diese Erzählung handelt also insgesamt von dem Herrscher von Gwynedd, sei es Math oder Lieu Llaw Gyffes, und von seinem Hauptratgeber Gwydion. In den drei Teilen kommen demnach drei verschiedene Gegner vor, die der Reihe nach die regierende Dynastie von Gwynedd und ihre Nachkommenschaft bedrohen. In allen drei Fällen springt Gwydion in die Bresche und rettet Gwynedd gegen seine Feinde. Zu vermerken ist auch, daß sich die Handlung dieser Erzählung keineswegs aus der Handlung der vorausgehenden Erzählungen ergibt. Pryderis Rolle in Math fab Mathonwy ist verschieden
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von seiner Rolle in Pwyll und in Manawydan. Weder Manawydan noch Rhiannon werden hier erwähnt. Die Erzählung deutet auch nur indirekt auf Annwfn hin, und auf keinen Fall kann man von einer Feindschaft zwischen den Königreichen in dieser und in der jenseitigen Welt sprechen, was in einem völligen Gegensatz zu den Erzählungen von Dyfed steht. Als drittes ist zu bemerken, daß das Schicksal in Math eine bestimmende Rolle spielt, was in den Erzählungen von Dyfed nicht der Fall ist. Auf die Sympathie des Verfassers von Math für die Nordländer im Gegensatz zu den Südländern habe ich schon verwiesen. Die Sympathie des Verfassers in Pwyll und Manawydan liegt dagegen auf der anderen Seite. (iii) Britannien Vor allem diejenigen Wissenschaftler unseres Jahrhunderts, welche die Vier Zweige als eine Kette von zusammenhängenden Erzählungen interpretieren, haben die Meinung geäußert, Branwenferch Lyr sei eine spätere Hinzufügung. Sie habe eine frühere Erzählung ersetzt, die von den jugendlichen Heldentaten von Pryderi berichtet habe, wie z.B. W. J. Gruffydd sagte.12 P. MacCana vertrat die Ansicht, Branwen ferch Lyr sei eine kymrische Bearbeitung ursprünglich irischen Materials. 13 Zwar wird Pryderis Name am Schluß dieser Erzählung erwähnt, aber die Möglichkeit einer sekundären Herkunft drängt sich auf. In der ganzen Erzählung hat man vorher nichts von ihm gehört. Halten wir uns an die Tatsachen, dann handelt diese Erzählung von zwei Königen, dem von Irland, namens Matholwch, und dem von Britannien, namens Bendigeidfran. Sie versuchen, einen Staatsvertrag zwischen beiden Inselreichen abzuschließen, so daß beide stärkeren Widerstand gegen angreifende Feinde leisten können. Dieser Vertrag wird dadurch bekräftigt, daß Matholwch Branwen, die
12 Α. Ο. H. Jarman, Mabinogi Branwen: Crynodeb o Ddadansoddiad W. J. Gruffydd, Llên Cymru IV (1957), 129-134. 13 P. MacCana, Branwen Daughter of Llyr, Cardiff 1958.
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Schwester Bendigeidfrans, heiratet. Dieser Vertrag stößt jedoch von Anfang an auf große Schwierigkeiten. Ein Brite namens Efnysieti fühlt sich aus besonderen Gründen beleidigt, und seine Taten haben Krieg zur Folge. Auch Branwen ferch Lyr läßt sich meines Erachtens in drei Teile einteilen.14 Auf den Abschluß des Vertrages in Britannien und die Hochzeitsfeier von Matholwch und Branwen folgen unmittelbar die Beleidigung Matholwchs durch Efnysien und Bendigeidfrans Versuch, dem irischen König seinen Verlust zu erstatten. In diesem Teil kann man nicht von Feindschaft reden, obwohl die Saat dafür schon gelegt worden ist. Der zweite Teil befaßt sich zunächst mit der Rückkehr Matholwchs und Branwens nach Irland. Ein kalter Krieg zwischen beiden Inseln beginnt, der sich bald zu einer offenen Feindschaft entwickelt. Die Briten erringen einen Pyrrhussieg über die Iren, da beide Streitkräfte fast völlig vernichtet werden. Nach dem Krieg in Irland kehren sieben britische Überlebende nach Britannien zurück und verweilen 78 Jahre hintereinander an zwei verschiedenen Orten an der Westküste des heutigen Wales, die offensichtlich eine Art von Tima nOg darstellen. Während ihres dortigen Aufenthaltes scheinen sie ihre furchtbaren Verluste vergessen zu haben. Schließlich kehren sie nach London zurück, um dort den Kopf von Bendigeidfran zu begraben. (Während seiner Abwesenheit hat dessen Vetter Caswallon die britische Krone an sich gerissen.) In jedem Teil der Erzählung ist eine offene oder verschleierte Feindschaft zu bemerken. Im ersten und zweiten Teil spielt Bendigeidfran die Rolle des Protagonisten, des guten und starken Königs, und die Rolle seines Gegenspielers, die eines schwachen Königs, wird von Matholwch gespielt. Die Feindschaft zwischen beiden Inseln ist irdisch, und übernatürlicher Zauber spielt darin keine große Rolle. Der Krieg wird als Folge menschlicher Schwächen und Taten dargestellt, wie z.B.
14 A. Welsh, op. cit. (1988), 57-59. Sioned Davies, op. cit. 21 (siehe aber auch 19).
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Reizbarkeit, Mißgestimmtheit, Eifersucht und Betrug. Die Handlung wird durch menschliche Gefühle ausgelöst. Die einzigen übernatürlichen Ausnahmen bilden der wunderbare Kessel, der Magnetstein im Fluß und die Körpergröße Bendi· geidfrans, die für die tatsächliche Handlung des ersten und zweiten Teils jedoch nicht grundlegend sind. Diese Erzählung enthält grundsätzlich mehr heroische Züge als die anderen drei. Das Schicksal spielt in Branwen auch wieder eine wichtige Rolle, obwohl das nur angedeutet wird. Ein erfolgreicher Staatsvertrag kann nur von zwei gleichgesinnten und gleichstarken Königen abgeschlossen werden. Wenn Bendigeidfran ein Haus betritt, fordert er sein Schicksal heraus, was dann unweigerlich seinen Tod zur Folge hat.15 Der dritte Teil von Branwen enthält wieder einen Hinweis auf eine Feindschaft - die zwischen dem echten Erben der britischen Krone und dem Usurpator, Caswallon·, aber dieses Thema wird sofort beiseite gelegt. Die sieben Überlebenden suchen Zufluchtsorte in der Anderwelt auf, die vielleicht an Annwfn erinnern. Diese jenseitigen Aufenthaltsorte sind mit der Beschreibung von Arawns Hof in Pwyll vergleichbar, obwohl es in Branwen keinen einzigen Hinweis auf solcherlei Feinde gibt. Ich verbinde Branwen eher mit anderen britischen Traditionen, wie z.B. der von Maxens Traum und der Erzählung von Lludd und Llefelys. Zugegebenermaßen beginnt die Handlung von Branwen in Nordwestwales, in Gwynedd, aber hier stellt sich nicht die Frage nach der Dynastie von Gwynedd und ihren Feinden, sondern nach der Dynastie der ganzen Insel Britannien und der ihrer Feinde, der Iren. Beim Vergleich des Inhalts, der Atmosphäre, der Stimmungen und Charakteristika aller vier Texte ist meines Erachtens nur eine einzige Schlußfolgerung möglich - wir haben es mit mehr als nur einem ursprünglichen Verfasser zu tun. Das schließt
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Diese Frage gedenke ich anderswo eingehend zu behandeln.
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aber nicht aus, daß es einen einzelnen Schlußredaktor gegeben hat. Dieser lebte vielleicht am Anfang des 11. Jh. (die genaue Datierung überlasse ich anderen) und bearbeitete vorhandenes Sagenmaterial, bevor er die Texte, so wie wir sie kennen, niederschrieb. Dieser Redaktor versuchte aus uns nicht bekannten Gründen, aus verschiedenartigen Traditionen ein Gesamtwerk zusammenzustellen. Er zwang dem Material seinen eigenen Zusammenhang auf und kompilierte (oder erfand vielleicht) die Vier Zweige des Mabinogi. Woraus? Aus Traditionen, die in verschiedenen Gegenden der britischen Inseln entstanden waren, genauer aus drei regionalen Traditionen, aus dem Zweig von Dyfed, dem Zweig von Gwynedd und dem Zweig von ganz Britannien.
Edmond Jung, Engwiller
KELTISCH UND GERMANISCH IN CHRONOLOGISCHER SICHT Die erste Kunde von Kelten finden wir beiläufig bei Herodot II, 33 und IV, 49, wo jeweils der Nil mit dem Istros (der Donau) verglichen wird. Der Historiker läßt den Istros in der Nähe der Stadt Πυρήνη im Lande der Kelten beginnen, das jenseits der Säulen des Herakles und - nach dem Gebiet der Kyneten - am äußersten Rande Europas liegt. Jene waren jedoch in Spanien und Portugal ansässig; ihr Gebiet verlief in einem großen Bogen um den Cabo Saö Vicente. Diese Nachricht spricht dafür, daß Herodot die Kelten nicht vom Land-, sondern vom Seeweg her kannte; ansonsten hätte er nicht die Donauquellen vom Schwarzwald in die Pyrenäen verlegt und damit den Flußlauf um annähernd die Hälfte verlängert. Es bleibt offen, mit welchem anderen Strom er die Donau verwechselt hat. Κέλτοι, das Verbaladjektiv der Wurzel *kel- "steigen", bedeutet wohl "die Hohen, Erhabenen". Den keltischen Namen des Istros, nämlich (latinisiert) Dänuvius, scheint Herodot nicht gekannt zu haben. Er berichtet aber von zwei Nebenflüssen des Istros im Alpengebiet, der Karpis (wahrscheinlich die Isar) und der Alpis (wahrscheinlich die Inn). Weitere Keltennamen liefert uns ein Jahrhundert später Aristoteles: Άρκυνια δρη (im Pseudo-Aristoteles Έρκύνια, woher Caesars Schreibweise Hercynia Silua stammt). Der Vergleich mit got. fairguni, ahd. Virgunne, lit. Perkunas führt uns auf eine Urform *Perkunia zurück. Diese Form weist darauf hin, daß um 350 das i.-e. ρ im Keltischen bereits zu einem Hauchlaut geworden, wenn nicht sogar ganz geschwunden war. Der Name kann nur "Eichwald" bedeuten, was aus einem Vergleich mit lat. quercus < *perkwus und Querquetulanus Möns hervorgeht. Dies bedeutet aber, daß zu dieser Zeit (oder sogar noch früher, wie der gleiche Wandel in den benachbarten Sprachen zeigt) k"u bereits zu ku vereinfacht worden war: im Keltischen jedenfalls vor dem Wandel kw (und kw) > ρ wie auch ir. cú "Hund" aus *kwö zeigt. Die germanischen Formen haben nach Verners Gesetz ein g.
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Keltisch und Germanisch
Ein anderer Name, den wir von Aristoteles überliefert haben, ist derjenige des Rheins, 'Ρήνος. Gallisch *Rënos entstand aus i.-e. *reinos < *Hr-ei-n-o-s von der Wurzel "schnellen"; die Schwundstufe dieser Form finden wir in "rinnen". Daß der in der Mythologie bedeutende Fluß einfach "der Strom" heißt, kann auf eine Tabu-Bezeichnung an Stelle eines heiligen Namens zurückgeführt werden. Aus *reinos ging auch germ. *rìnaz hervor, woraus nhd. Rhein, aber mhd. und eis. Rhin entstand. Die ergiebigsten Quellen für keltische Namen aus früherer Zeit finden wir jedoch bei dem Seefahrer, Mathematiker und Astronomen Pytheas von Massilia, der um 325, wenige Jahre nach Aristoteles, schrieb. Die Berichte über seine Fahrten in der Nordsee bis zum "versteiften Meer" erscheinen so phantastisch, daß Polybios und Strabon ihn als "Erzlügner" bezeichnen. Aber die Analyse der Namen beweist die Echtheit seiner Fahrten. Da seine Werke nicht überliefert sind, besitzen wir nur fragmentarisch einige Zitate. Die von Pytheas übermittelten keltischen Namen sollen im folgenden aufgezählt werden: Άλβιών: die bezeugte Endbetonung läßt auch für gall. *herkunia, wie im Germanischen, eine Suffixbetonung annehmen. Da aber laut Avienus die Ligurer bis zur Nordsee gekommen waren, und da es in Ligurien Ortsnamen wie Alba (z.B. Alba Longa bei Rom oder in Zusammensetzungen wie bei Albingaunun = Albenga oder Albintemelium = Ventimiglia) im Sinne von "Höhe" gibt, was eventuell mit Alpes, dt. die Alb, die Alm zusammenhängt, wurde vermutet, daß auch 'Αλβιών ligurisch sein könnte. Allerdings stehen gegenüber von Calais weder die Highlands noch die Cheviots, sondern weiße Kreidefelsen mit dem dahinter liegenden Themsebekken. Diese Tatsache führt zu dem Schluß, daß der Name wohl "das weiße Land" bedeutet (wie auch Aube und Elbe "Weißbäche" sind) aus *H¿el-bh- mit den Suffixen -i- (wie germ. Albis) und -on\ aber ohne diese Suffixe ir. Alba "Schottland". Es handelt sich um einen Archaismus, da *alb- "weiß" im Keltischen sonst kaum vertreten ist. Κάντιον scheint eine neuere Form für denselben Begriff zu sein und ist ein Derivat von altbrit. kant "weiß", vgl. lat. candì-
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dus. Allerdings beschränkt sich der Name lediglich auf eine Grafschaft (Kent). Ίέρνη, bei Aristoteles Ίέρνη mit einem Hauchlaut wie lat. Hibernia "Irland" (muß also keineswegs von hïbernus "winterlich" beeinflußt worden sein) beweist die zwei Suffixe -er- und -«-. Der Anlaut scheint auf ein altes p- hinzuweisen wie in *perkunia\ und da Pomponius Mela Iuerna schreibt und Ptolemaeus Ίουερνία, können wir *piw- als Wurzel ansetzen. Hieraus resultiert Pedersens Etymologie *piw-er- "fett", also "das fruchtbare Land" wie Πιερία < *piw-er-i-a. Die heutigen Namen zeigen eine Umstellung der -n- und -/-Suffixe: *piw-eri-on, woraus altir. Eriu (> Eire), Gen. Erenn, kymr. Iwerddon, bret. Iwerzon zu erklären ist. Eine hartnäckige Überlieferung weist aber auf Iberia "Spanien", da nach dem Lebhar na Gabala die beiden ersten Besiedlungen, die des Partholon und die des Nemed, ihren Ursprung in Spanien besaßen. Ohne an dieser Stelle auf historische und archäologische Argumente einzugehen, sagen wir lediglich, daß diese Etymologie eine Erklärung der Psilose und des -w- an Stelle von -b- erfordern würde (Lenition tritt erst zur Zeit des Untergangs des Römischen Reiches ein) und daß Iberia nach dem "Ιβηρ benannt ist, dem Ebro, dessen Name baskisch ibar "Tal" wiedergibt; auf diese Weise ließe sich sich auch besser die Anwesenheit einer Iberia im Kaukasus erklären. Πρεταννική "Britannien" entspricht kymr. Prydain "Großbritannien"; und da Britannia vor Caesar kaum Erwähnung findet, ist anzunehmen, daß die alte Form ein p- besaß. Auf diese Weise stoßen wir auf eine Urform *kwret-, die sich in lat. créta wiederfindet und sich damit auf die Kreidefelsen beziehen würde. Andererseits bezeichnet ir. Cruithni die schottischen Picten. Obwohl Körperbemalungen und Tätowierungen dieser frühen Einwohner Großbritanniens bekannt sind, ist das Wort nicht lateinisch (in Gallien wohnten die Pictaui bzw. Pidones), sondern geht auf kelt. *kwikt- zurück, vgl. ir. cicht "(Kupfer-)Stecher". C(h)ruithni < *kwret (der Vokal -u- entstand durch Färbung von e durch kw) gehört zu bret. pri "Lehm" < "prêt-, und der Vergleich mit mit créta ist umso wahrscheinlicher, als daß sich auch Kreide leicht zerreiben
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und - mit Wasser verdünnt - formen läßt oder sich auch zum Bestreichen eignet. Ein Zusammenhang mit der Wurzel *kwr "machen", skt. karoti "er macht", gall. Parisii 'Tatkräftige" ist nicht auszuschließen. Es scheint, daß die zweite Welle der einwandernden Kelten von der ersten "die Geritzten", *kwig-to > Picti genannt wurden und die dritte Welle von der zweiten "die Bemalten", *kwr-et-(Xn-) > Pretannoi. Ούξισάμη ist bei Pytheas der Name der Insel Ouessant, bret. Eussa(ñ), "die Höchste", womit wohl "am weitesten auf hoher See" gemeint ist. Der Stamm ist wie in uxellos > bret. uhel, Suffix -i-s-°m-eH2. Die gallische Betonung auf -is-, die in vielen französischen Ortsnamen in Erscheinung tritt (Blesmes < Belisama) scheint ebenfalls eingewirkt zu haben wie z.B. im Namen der Osismii (so bereits bei Caesar, wenn auch Oseinen anderen Stamm vertreten kann als eine Reduzierung von Uks-). Das Bretonische zeigt dagegen die im Brittonischen regelmäßige Betonung, nämlich -sa-; aber das -ss- zeigt, daß man von Uxisama auszugehen hat und nicht von der bezeugten Kurzform Uxama, denn dann käme man wohl auf *Euha(ñ) wie uhel. Die französische Form zeigt jedoch ein anderes Suffix: Ux-an-t-i-s ergab Ouess- wohl mit normannischer Lautentwicklung. Bei Pytheas werden auch die ersten Germanennamen angeführt: Τευτονες (die Ableitung Teutoni findet sich erst bei Caesar) wird oft als keltisch angesehen. Das würde aber bedeuten, daß sie *erkunia und nicht *pherkunia sagten oder briga und nicht burg(um). Wir besitzen darüber keine Angaben; aber bei ihrem Einbruch zweihundert Jahre später wurden sie zusammen mit den Kimbern und anderen Stämmen als Germanen bezeichnet. Für die Kelten hatte aber ein Name wie "Germanen" nur dann einen Sinn, wenn er ein Volk bezeichnete, das durch die Entwicklung sprachlich und auch religiös sich bereits so weit von ihnen entfernt hatte, daß eine Verständigung recht schwierig geworden war. Dennoch darf zu dieser Zeit die Sprache der Germanen nicht mit dem Gotischen gleichgesetzt werden. Der Name ist (west-)indoeuropäisch (denn der Stamm *teut- "Volk", egtl. "die geschwollene Menge", leitet
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sich von der Vollstufe *teu- zu *tu- "schwellen", lat. tumeö, ab: dieselbe Struktur wie in *dei-w-o-s oder *leu-k-o-s). Daß die Ableitung *teu-t-on- auch germanisch war, wird durch got. piudans "König" bewiesen. Man darf also annehmen, daß Teutones zu Pytheas Zeiten und noch später die germanische Form war, die sich, wie die gallische, von I.-E. her nicht verändert hat. Der Wandel eu > iu tritt nämlich als ein Sonderfall des i- und u-Umlautes erst in unserer Zeitrechnung auf. Außerdem zeigt die Form noch keine Andeutung der germanischen Lautverschiebung oder von Verners Gesetz. Da Τεύτονες stammbetont war, sollte kein Unterschied zwischen den zwei t in der . Aussprache bestehen; got. piudans ist dagegen eine Ableitung vonpiuda < *teutä mit Suffixbetonung. Theudtritt erst in Urkunden zur Zeit der Völkerwanderung auf; daß Teut- schriftlich noch bis in die nachtaciteische Zeit verwendet wurde, ist auf den gallischen und literarischen Einfluß zurückzuführen. Die den Teutonen vorgelagerte Insel "Αβαλον, wohl Helgoland, zeigt b, nicht bh, sonst hätten wir nicht Apfel, sondern *Abel wie haben. War dieses "Apfelland" auch ein Totenreich wie das Abalon der Kelten ? Κίμβροι Cimbri wird zu altirisch cimb "Stamm", cimbid "Gefangener" gehören; *kimb-ro bedeutet also "der gefangen nimmt". Auch hier wird nie eine Lautverschiebung angedeutet (etwa durch eine Schreibung wie *Chimbri); ihr Ursprungsland heißt aber heute noch Himmerland, Himberland. Die Γουτωνες dagegen zeigen in ihrem Namen ein -t-, das nur durch die Lautverschiebung zu erklären ist. Gemeint sind nicht die Goten in Polen oder gar der Ukraine, sondern die im Süden Skandinaviens, von wo aus sie den Teutonen Bernstein lieferten. Und die balto-slavischen Formen (Gudal "Bielorussen", G t d a n t s k t > Gdansk "Danzig", *gudünia > Gdynia) zeigen ein stimmhaftes d. Da die Media Aspirata ghbereits zur Media geworden war, konnte dies nur geschehen, indem die alte Media nicht - wie im Keltischen und Slavischen - mit ihr zusammenfiel, da sie bereits stimmlos geworden war (wenn auch noch weich). *Gud- (im Ablaut zu *goudin altnord. Gautar) gehört zur Wurzel *gheu-d- "begießen,
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befruchten", lat. fu-n-d-o, also "die Mannhaften". Die BaltoSlaven müssen den Namen in der älteren Form bereits vor Pytheas entlehnt haben. Θούλη kann auch mit dem langen ü, das durch Horaz bezeugt ist (ultima Thüle, --) nicht keltisch sein, da diese Sprache die indo-europäischen Aspiraten aufgegeben hat. Es handelt sich also wahrscheinlich um eine Schreibung für das germanische behauchte t. Ein Vergleich mit gr. τύλη "Schwulst" legt die Vermutung nahe, daß der Name auf die "geschwollene" Brandung anspielt. Daß derselbe Wandel in Teutones nicht schriftlich bezeichnet wurde, liegt wohl an der keltischen Vermittlung. Auf die Frage der Identifikation der wohl schon von (Vor)Germanen besiedelten Insel (FaröerInseln ?) wollen wir an dieser Stelle nicht eingehen. Es bleibt also festzustellen, daß zur Zeit des Pytheas die Vorstufen der Lautverschiebung in allen Stufen der Verschlußlaute bezeugt sind: Tenues behaucht: Thüle (trotz Teutones, Cimbri)', Mediae stimmlos: Guiones-, Mediae aspiratae enthaucht: Guiones. Aber die echten Stadien der Lautverschiebung, die die Verständigung mit anderen Völkern erst fraglich machten, nämlich die Spirantisierung und Verners Gesetz, sind erst - und da noch vereinzelt - seit Caesars Zeit belegt.
Rolf Ködderitzsch, Bonn
KELTISCH UND THRAKISCH 1. Herodot berichtet im V. Buch seiner "Historien" (V, 3): "Das Volk der Thraker ist nach den Indern unter allen Völkern das größte. Wenn es nur einen Herrscher hätte und einig wäre, wäre es unbesiegbar und meiner Meinung nach weitaus das mächtigste Volk auf Erden. Aber das ist bei ihm undenkbar und unmöglich, daß es jemals dazu kommt; deshalb sind die Thraker schwach. In jeder Landschaft haben sie einen besonderen Namen, doch überall alle ähnliche Sitten mit Ausnahme der Geten, der Trauser und der nördlich von den Krestonaiern wohnenden Stämme".1 Ähnlich äußert sich Pausanias (I, 9, 5): "Die Thraker zusammengenommen sind das zahlreichste aller Völker, mit Ausnahme der Kelten, wenn man sie als Nation den anderen Nationen gegenüberstellt".2 Auf Grund der Aufzeichnungen der antiken Dichter, Historiographien, Ethnographen, Geographen und Philosophen und aus archäologischen Funden wissen wir, "that the Celts in their heyday did traverse and occupy huge tracts of Europe in the second half of the first millenium B. C, ranging from Galatia in the east (beyond Europe) in Asia Minor to Ireland in the west, from the Balkans and southern Italy and the Hispanic peninsula to lands bordering the North Sea and Scotland".3 Aber ähnlich wie die Thraker blieben die Kelten
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Wörtl.: Θρηίκων δε έθνος μέγιστόν έστι μετά γε Ίνδους πάντων ανθρώπων, εί δε ύπ' ένός άρχοαο ή φρονέοι κατά τώυτό, άμαχόν τ'αν εϊη καί πολλω κράτιστον πάντων έθνέων κατά γνώμην την έμήν. άλλα γαρ τούτο απορόν σφι και άμήχανον μή κοτε έγγένηται· είσί δη κατά τοΰτο άσθενέες. ούνόματα δ'εχουσι πολλά κατά χώρας έκαστοι, νόμοισι δε ούτοι παραπλησίοισι πάντες χρέωνται κατά πάντα, πλην Γετέων καί Τραυαών καί των κατυπερθε Κρηστωναίων οίκεόντων (vgl.: Herodot, Historiae. Recognovit Carolus Hude. Editio tertia. Tomus II. Oxonii 1927). 2 Wörtl: Θρακών δε των πάντων ούδένες πλείους είσί τών ανθρώπων δτι μή Κελτοί προς αλλο έθνος εν άντεξετάζοντι (vgl.: Pausanias, Graeciae descriptio. Recognovit Fridericus Spiro. Volumen I. Lipsiae 1903, p. 22). 3 D. Ellis Evans, Celts and Germans, BBCS 29 (1981), 234.
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politisch auf einer unterentwickelten Stufe:4 Sie hatten niemals "an overall monarchy which would have given them some of the benefits of centralisation", noch hatten sie etwas der griechischen δημοκρατία oder der Verfassung der römischen Republik Vergleichbares. Und ähnlich wie die Thraker haben auch die Kelten eine Reihe von Namen: Κελταί als ethnisches Attribut diente zuerst den Griechen zur Bezeichnung eines Volkes, das nördlich der von den Phokaiern gegründeten Kolonie Μασσαλία lebte, Galli war der Name, den die Römer 390 v. Chr. den Eroberern ihrer Stadt gaben, und Γαλάται wurden von den Griechen die keltischen Eindringlinge auf der Balkanhalbinsel und in Kleinasien in der 1. Hälfte des 3. Jh. v. Chr. genannt. Die Bezeichnung "Kelten" auch für die Bewohner der Britischen Inseln "was first used as an embracing ethnic and cultural term in the sixteenth century AD by George Buchanan, and taken up in the seventeenth century AD by Edward Lhuyd".5 2. Unter den Keltologen besteht - sieht man von einigen Ausnahmen ab - durchaus Einigkeit darüber, welche Charakteristika eine Sprache aufweisen muß, damit man sie als "keltisch" bezeichnen kann, bzw. welche Textkorpora keltisch sind.6 Nicht ganz so einfach ist die Lage, was das Thrakische angeht. Nach D. Detschew sind die "Grenzen des zusammenhängenden Gebietes der thrakischen Sprache" die folgenden: im Osten das Schwarze Meer von der Mündung des Tyras bis zum Bosporus Thracius, im Süden die Propontis und Agäis bis zur Mündung des Axios, im Westen eine Linie vom Thermaei-
4
H. D. Rankin, Celts and the Classical World, London 1987,
296. 5
Rankin (wie Anm. 4), 2. Von J. Untermann wird seit 1961 (in: II. Fachtagung für indogermanische und allgemeine Sprachwissenschaft, Innsbruck 10.-15. Okt. 1961, Innsbruck 1962, 63-93) die These vertreten, daß das Lusitanische, obwohl es idg. *p bewahrt hat (lusit. porcom Akk. 'Schwein' : air. ore m. 'junges Schwein, junges Tier'), eine kelt. Sprache sei. Vgl. hierzu Verf. in einer Besprechung in ZCP 44 (1991), 283-285. 6
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sehen Golf über Naissus, Viminacium bis Porolissum, im Norden die Karpaten zwischen den Oberläufen der Flüsse Tisia (Theiß) und Hierasus (Sereth). Außerhalb des genannten Bereiches gab es nach Detschew noch thrakische Sprachinseln östlich der Propontis in Kleinasien, am Fuße des Olymp, in Phokis und Böotien, auf Thasos und Samothrake, in der Emathia, östlich von Lychnidos und in der Nähe von Dyrrhachion. Detschew hält es nicht für ausgeschlossen, daß auch die westliche Hälfte der Balkanhalbinsel ursprünglich von Thrakern besiedelt war. Im Gegensatz hierzu ist I. Duridanov in Fortführung und Weiterentwicklung der Arbeiten seines Lehrers V. Georgiev entschieden der Meinung, "daß im Ostteil der Balkanhalbinsel und des Karpatenbeckens außerhalb des Thrakischen noch eine von ihm sich unterscheidende indogermanische Sprache, nämlich das Dakomysische oder Dakische von der bodenständigen Bevölkerung gesprochen wurde". 7 Grenze zwischen den beiden Sprachgebieten war in etwa der Haemus Möns. Westlich der Thraker, am Mittellauf des Axios, etwa zwischen den heutigen Städten Veles, Prilep und Stip lebten seit den ältesten Zeiten die Päonen, westlich und südlich von diesen siedelten die Bryger und Makedonen. Z u der Tatsache, daß Herodot (IV 93) und Strabo (VII 295) die in Moesia inferior lebenden Geten ausdrücklich als Thraker bezeichnen 8 und daß Strabo (VII 305) behauptet, die Daker hätten dieselbe Sprache wie die Geten,' meint Duridanov, bei dieser Frage seien die Nachrichten der antiken Autoren nicht maßgebend, da die letzteren keine richtige Vorstellung von der Verwandtschaft der Sprachen hätten und daher nicht imstande seien, die ihnen bekannten 'barbarischen'
7
1. Duridanov, Die Sprache der Thraker, Neuried 1985, 122. Herodot wörtl.: ot δε Γέται προς άγνωμοσΰνην τραπόμενοι αύτίκα έδουλώθησαν, Θρηίκων έόντες άνδρηιότατοι και δικαιότατοι (vgl.: Herodot, Historiae. Recognovit Carolus Hude. Editio tertia. Tomus I. Oxonii 1927); Strabo wörtl.: Οί τοίνυν "Ελληνες τους Γέτας Θράκας ύπελάμβανον (vgl.: Strabo, The Geography of Strabo. Ed. by Horace Leonard Jones. Vol. III. London/ Cambridge, Mass. 1954). 9 Wörtl.: όμόγλωττοι δ'είσίν οί Δακοί τοις Γέταις. 8
Keltisch und Thrakisch
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Sprachen der Balkanhalbinsel abzugrenzen.10 Man kann in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß wie G. Neumann sagt, "auch die seit der Antike, z.B. bei Strabon 7.295 C, behauptete engere Verbindung des Phrygischen zu [...] Thrakischen,11 die in der älteren Forschung sogar zum Ansatz eines Bindestrich-Kompositums 'Thrakisch-Phrygisch' geführt hatte, [...] sich nicht bestätigt"12 hat. Gegen die Ansicht von Georgiev und Duridanov, daß das Dakische eine vom Thrakischen klar unterschiedene Sprache sei, wendet R. Katiöic zu Recht ein, daß die Basis des Dakischen viel schmaler sei als die des Thrakischen und daß "the trustworthy etymologies are less in number and the established sound correspondences remain only inspiring guesses", aber nichtsdestoweniger "for all its obvious short-comings, Georgiev's sketch of Daco-Mysian comparative phonology cannot be discarded as irrelevant".13 3. Die Hauptunterschiede zwischen dem Thrakischen und dem Dakischen sind nach Duridanov, daß das Thrakische eine dem Germanischen und Armenischen vergleichbare Lautverschiebung durchgeführt hat, das Dakische dagegen nicht. Beide Sprachen gehören allerdings zur Satemgruppe, und da sie den Zusammenfall von idg. *o und *a in a zeigen, im Sinne von J. Kurylowicz14 zu den "langues européennes du Nord". Was die silbischen Nasale und Liquiden des Protoidg. betrifft, so zeigt das Thrak. dieselben Reflexe wie das Baltische und - berücksichtigt man die speziell slawischen Lautgesetze - wie das Slawische. Im Dakischen dagegen ist idg. *r wie im Alb. und Kelt, zu ri geworden und idg. *n vielleicht zu
10
Duridanov, (op. cit.) 122. Wörtl.: xcä αύτοί δ'οί Φρύγες Βρίγες είσί, Θράκιόν τι έθνος. 12 G. Neumann, Phrygisch und Griechisch, Sitzungsberichte d. Österr. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl., 499. Bd., Wien 1988, 4. 13 R. Katiiic, Ancient languages of the Balkans, Part I, The Hague 1976, 150. 14 J. Kurylowicz, L'apophonie en indo-européen, Wroclaw 1956, 167, 209, 223 ff. 11
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α.15 Von hier aus wird verständlich, wenn Duridanov sagt, daß das Thrakische "vor dem Einsetzen der genannten Lautverschiebungen!,] eine engere Sprachgemeinschaft mit dem Baltischen (Baltisch-Slawischen), Dakischen und Vorgriechischen (Pelasgischen) gebildet" habe; entfernter vom Thrakischen hätten "die übrigen indogermanischen Sprachen gelegen [...], insbesondere das Griechische und die keltischen Sprachen, die nur je eine gemeinsame phonetische Eigentümlichkeit mit dem Thrakischen" aufwiesen. 16 Die Gemeinsamkeit zwischen dem Thrakischen und dem Griechischen ist laut Duridanov der Wandel von idg. *tt, *dt > st" im Dakischen ist idg. *tt, *dt > j18 geworden. Dem Thrakischen und dem Keltischen ist gemeinsam, wie Duridanov sagt, daß in beiden Sprachen die idg. Mediae aspiratae ( = MA) durch Mediae ( = M) wiedergegeben werden. Allerdings sind im Kelt, die M A mit den M zusammengefallen (mit Ausnahme der Labiovelare), nicht so im Thrakischen. Den Zusammenfall von M A und M zeigen außer dem Kelt, auch das Dak., Alban., Mess., Maked., Phryg., Päon., Bait., Slaw., Iran., aber auch das Heth. und Toch., die allerdings eine Sonderstellung einnehmen.
15
FIN Κρίοος (zur Theiß, heute 'Koros') < idg. *krpos 'schwarz' (vgl. IEW 583) [einer der Quellflüsse des Koros heißt heute "Cri§ul Negru"], vgl. Katiòic, (wie Anm. 13) 150; StN ΤριΒαλλοί < idg. *trp-alio- 'Dörfler' (vgl. IEW 1090), vgl. Duridanov, (wie Anm. 7) 133; PflanzenN διέσεμα 'Himmelbrand, Königskerze, Fackelkraut' < idg. *dies-eusmt\ ?, vgl. V. Georgiev, Trakijskijat ezik, Sofia 1957, 70, weiterhin D. Detschew, Die thrakischen Sprachreste, Wien 1957, 546 f. - [IEW hier und im folgenden = J. Pokorny, Indogermanisches etymologisches Wörterbuch, Bd. I, Bern - München 1959], 16 Duridanov, (wie Anm. 7) 147 f. 17 Speziell zu diesem Lautwandel vgl. Verf., Historische Phonologie des Albanischen: Probleme und Aufgaben, in: Aspekte der Albanologie: Akten des Kongresses 'Stand und Aufgaben der Albanologie heute', < 1988, Köln>. Hrsg. von W. Breu, R. Ködderitzsch, H.-J. Sasse, Berlin 1991, 123 ff. 18 Als Beispiel hierfür nennt Duridanov (wie Anm. 7, 129) den ON Salsovia (Stadt im Donaudelta, heute Mahmudia) < "*Saldtouüä, Weiterbildung von idg. *sald-to-, vgl. lat. salsas 'salzig'".
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4. Eine wichtige Gemeinsamkeit zwischen dem Thrakischen, Dakischen und Keltischen hat Duridanov allerdings übersehen, es handelt sich um den Wandel von *gwh > g." Das Thrak.20 zeigt hier einen ähnlichen Reflex wie das Arm., ebenfalls eine Satemsprache mit Lautverschiebung (arm. gan 'Schlag, Prügel' < idg. * fhn-·, mit Palatalisierung arm. ferm 'warm' < idg. *g"hermós). Für das Kelt, ist dieser Lautwandel insofern bemerkenswert, als er sonst nur in Satemsprachen (Iran., Bait., Slaw., Thrak., Dak., Arm. und Alb.) vorkommt und im Phryg., einer Sprache, in der wie in den Satemsprachen die idg. Labiovelare ihr labiales Element aufgegeben und häufig die Mediae aspiratae zu Mediae verschoben, aber wie in den Kentumsprachen die idg. palatalen Tektale erhalten sind.21
19 Die Entwicklung von idg. *gwh im Kelt, ist eine derzeit heftig umstrittene Frage, die an dieser Stelle nicht ausreichend diskutiert und entschieden werden kann. Letztlich zu dem Problem geäußert haben sich John T. Koch (Further evidence for IE *¿"h > GalloBrittonic w: the personal name Task(i)ouanos 'badger slayer', PHCC 6, 1986, 183) und ausführlich Kim McCone (The PIE stops and syllabic nasals in Celtic, SCJ 4, 1991, 37-69). Gegen McCone bin ich allerdings mit dem von ihm attackierten K. H. Schmidt (in einem bisher unveröffentlichten Manuskript mit dem Titel Celtic Phonology, das mir der Verf. freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat) der Meinung, daß kymr. nyf 'Schnee' ein lat. Lehnwort ist, daß kymr. deifio 'sengen' "must be connected with Oír. dóid 'burns', IE *däu-" {IEW 180), daß gall. (Chamalières) uediíumí Ί worship' nicht mit der idg. Wurzel *^"hedh- 'bitten' und air. guidid 'asks for, prays', kymr. gweddi 'prayer' verbunden werden kann und daß "Bryth. */gw/ is attested as a reflex of both IE */g"h/ and IE */g(h)/, which means that the labialization of */g/ occurred independently of the existence or nonexistence of an old labiovelar". Gegen die Annahme McCones, daß "g·" > b must have preceded wh > gw«^ gpj-jcht vor allem auch, daß */g / mehr markiert ist als w */g / und demzufolge wahrscheinlich auch zuerst vereinfacht worden ist. 20 Vgl. das thrak. Glossenwort γέντον 'Fleisch' (zur idg. Wz. w *g hen- 'schlagen, töten') und den ON Γερμανία (zu idg. *g"hermo'warm'). 21 Wenn im Germ, ein idg. *¿"h vor u zu g geworden ist, oder im Toch. vor Konsonant oder dunklem Vokal zu k, dann handelt es
Rolf Ködderitzsch 4.1.
Eine
Gemeinsamkeit
145 zwischen dem
Arm.,
Griech.,
Phryg. und Brygischen ist die Vokalprothese, 22 genauer: die Wiedergabe idg. Laryngale, wenn sie am Wortanfang vor Konsonant standen, durch prothetische Vokale. Wenn Duridanov mit seiner Etymologie für den thrak. FIN Έργΐνος, 'Εργίνος, Erginus, Έργίνας 2 3 (zu idg. *hfeg"os 'Dunkelheit'; griech. ερεβος 'Unterwelt', arm. erek, -oy 'Abend', got. riqis, -izis n. 'Dunkel', ai. rájah η. 'Staub, Nebel, Düsterkeit, Schmutz') recht hat, bedeutet das, daß das Thrak. eine gemeinsame Isoglosse mit dem Arm., Griech., Phryg. und Bryg. hat. 4.1.1.
Das Wort für 'rot' lautet im Thrak. rudas. Wenn das
oben über die Vokalprothese Gesagte richtig ist, folgt daraus, daß das Thrak. hier das Entscheidungskriterium dafür liefert, daß die idg. Wurzel *reudh- nicht mit Laryngal anlautete, daß also der prothetische Vokal des Griech. bei έρυθρός nicht laryngalen Ursprungs ist.24 4.2.
Es gibt die dak. Inschrift Decebalus per Scorilo, von V .
Georgiev ins Bulgarische übersetzt mit "ü,eKe6an, CHH HA CKopnji(o)". 25 Georgiev und Duridanov26 sehen in dem -o des P N einen alten Abi. Sg. eines o-Stammes in der Funktion des Gen. Sg. Sie verweisen auf entsprechende bait, und slaw. Formen (lit. Gen. Sg. vilko, vyro zu vilkas ' W o l f und vyras 'Mann', lett. téva zu tëvs 'Vater', abulg. vlbka zu vlbkb ' W o l f ) . Georgiev verweist auf eine thrak. Inschrift aus Duvanli (bei Plovdiv): Σκυθοδοκο; er sieht darin den Genitiv des P N Σκυθόδοκος, der allerdings griechisch sein dürfte.27 Etwas
sich um sekundäre Entwicklungen, die mit den hier diskutierten nichts zu tun haben. 22 Vgl. hierzu Verf., Brygisch, Päonisch, Makedonisch, BalkE 28 (1985) 17 ff. 23 Duridanov, (wie Anm. 7) 29. 24 Vgl. hierzu die Überlegungen bei H. Rix, Historische Grammatik des Griechischen, Darmstadt 1976, 58. 25 V. Georgiev, (wie Anm. 15) 25. 26 1. Duridanov, Thrakisch-dakische Studien, I. Teil: Die thrakisch- und dakisch-baltischen Sprachbeziehungen, BalkE 13,2 (1969) 97. 27 Aus diesem Grund hat wohl auch I. Duridanov die Inschrift und den PN nicht in sein Buch (wie Anm. 7) aufgenommen. Für
146
Keltisch und Thrakisch
später vergleicht dann Κ. H. Schmidt28 die keltib. Genitive auf -o mit den bait, und slaw. Genitivendungen der o-Stämme.29 In einem unlängst erschienenen Aufsatz zeigt J. de Hoz,30 daß die lepont. PNN auf -u, bisher als Nominative Sg. von «-Stämmen interpretiert, sehr wahrscheinlich ursprüngliche Ablative Sg. in Genitivfunktion sind. P. de Bernardo Stempel vertritt jetzt durchaus glaubhaft die Ansicht,31 daß auch in air. mac(c)cu, moc(c)u und in Ogam muc(c)o, moc(c)o, macco die auslautenden -u und -o auf die Ablativendung *-öd zurückgehen (vgl. unten 7.1.1 und 7.2.3). 5. Da das Thrakische und auch das Dakische Sprachen ohne eigenes Schrifttum sind - sieht man von den bisher gefundenen und völlig kontrovers gedeuteten thrakischen Inschriften und der oben erwähnten dak. Inschrift einmal ab -, ist es praktisch unmöglich, das keltische Morpheminventar mit dem thrakisch-dakischen zu vergleichen. Bisherige keltischthrakische Sprachvergleiche beschränkten sich deshalb weitestgehend auf die Konfrontation von lexikalischen Einheiten und Namen. Typisch hierfür aus der neueren Zeit ist ein Auf-
thrak. hält die Is. jedoch Zivka Velkova, Le iscrizioni trace; in: Le monde thrace: IIe Congrès International de Thracologie Bucarest 1976, Milan 1982, 177, 179. 28 Κ. Η. Schmidt, Zum Problem des Genitivs der ό-Stämme im Baltischen und Slavischen; in: Commentationes linguisticae et philologicae Ernesto Dickenmann lustrum claudenti quintum decimum, ed. F. Scholz, W. Woesler, P. Gerlinghoff, Heidelberg 1977, 335-344. 29 Eine konträre, aber sicherlich falsche Meinung hat J. F. Eska in seiner Dissertation (Towards an interpretation of the HispanoCeltic inscription of Botorrita; IBS 59, Innsbruck 1989; 160, 192) und in einem Aufsatz (The origin of the Hispano-Celtic o-stem genitive singular and related matters, EC 25, 1988, 117-122) vertreten. 30 J. de Hoz, El genitivo celtico de los temas en -o-: el tes-timonio lepóntico; in: Studia indogermanica et palaeohispanica in honorem A. Tovar et L. Michelena, ed. por F. Villar, Salamanca 1990, 315-329. 31 P. de Bernardo Stempel, Archaisch Irisch maccu als morphologisches Relikt. HS [= KZ] 104 (1991), 205-223.
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147
satz von V. E. Orel.32 Der Verf. setzt sich in diesem Aufsatz hauptsächlich mit einem Artikel von H. Wagner33 auseinander, ohne allerdings die neueren Arbeiten zum Thrakischen überhaupt zur Kenntnis genommen zu haben. 5.1. Bedingt dadurch, daß er das thrak. und das dak. Material nicht voneinander scheidet, ist Orel nicht in der Lage zu sagen, ob im Thrak. idg. "*g" > k as in LN Κελλαι, cf. OHG quella 'spring'" oder ob > g as in RN Gabranus , cf. Skt. ga(m)bhïrà'deep'". Allerdings erklärt er anders als Wagner, aber durchaus richtig, das Element bitu-, das in vielen thrakischen Namen vorkommt und das schon P. Kretschmer mit gall, bituund ir. bith 'Welt' verglichen hatte,34 als kelt. Lehnwort im Thrak. Auch den dakischen Pflanzennamen βουδάθλα (mit βου- = idg. *gwou-), der griech. βούγλωσσον und lat. lingua bubula übersetzt, erklärt er wie schon Kretschmer35 als Entlehnung aus dem Griech. Mit diesen Erklärungen trägt Orel unausgesprochen einer Forderung Rechnung, die D. Detschew aufgestellt hatte:36 wenn wir annähmen, daß idg. *gw im Thrak. durch b vertreten würde, dann widerspräche das dem Satemcharakter des Thrak. . Zu b geworden ist *gw offensichtlich nur im Kelt., Osk.Umbr., Maked.37 und kontextabhängig in den meisten griech. Dialekten. 6. Im folgenden erklärt Orel dann wie schon Wagner und Detschew vor ihm auch das Element κυρμι- in Κυρμιληνός, 32
Vladimir E. Orel, Thracian and Celtic, BBCS 34 (1987) 1-9. H. Wagner, The origin of the Celts in the light of linguistic geography, TPhS 1969, 203-250 [Wiederabdruck in: H. Wagner, Studies in the origins of the Celts and the early Celtic civüisation, Tübingen 1971], 34 P. Kretschmer, Einleitung in die Geschichte der griechischen Sprache, Göttingen 21970, 239: "Thr. bitu- in Traibithus, Bititralis, Bithicenthus, Kurzform Βϊθυς, Bithus, Βέΐθυς, Beitus = gall, bitu- in Biturix, Bitudaga, Dagobitus, ir. bith 'Welt'". 35 Paul Kretschmer, (wie Anm. 34) 234. 36 Detschew, (wie Anm. 15) 65 f. 37 Vgl. Verf., (wie Anm. 22) 29 f. 33
148
Keltisch und Thrakisch
einem BeiN des Apollo (vgl. gall, κοδρμι, kymr. cwrw, air. cuirm 'Bier') als Entlehnung aus dem Kelt. Keine Entsprechung im Kelt, hat dann aber nach Orel das Element uscu- in Uscudama, dem alten Namen der römischen Stadt Hadrianopolis, und im FIN "Οσκιος, heute Iskär. Wagner und Detschew zufolge gehört thrak. uscu- zu ir. uisce 'Wasser' (< *ud(n)-sk-io-M), was von Orel mit dem keinesfalls überzeugenden Argument bestritten wird, daß "in Thracian at least three other synonyms for 'water' are known". Das Element -dama im ON Uscudama hat Wagner laut Orel "correctly equated with Ir. dám" ('community'), Tomascheks Vergleich mit ai. dhäman- 'Wohnstätte',39 der auch von Duridanov unterstützt wird und dem auch wir den Vorzug geben, sei dagegen "less convincing". Zu den von Tomaschek behaupteten Etymologien des thrak. PN 'Ρήσος (vgl. gall, -rix, air. ri, ky. rhi, lat. rèt, ai. ra/-), dessen Träger bei Homer König der strymonischen Thraker ist, und des StN Πίερες (vgl. ai. pivará'fett, dick, feist', griech. πιερός, iuotpôç dass.), den Orel überdies etymologisch mit air. Ériu, ky. Iwerddon verbindet, wird darauf verwiesen, daß diese Isoglossen nicht auf das Thrak. und Kelt, begrenzt sind: "Therefore, they are worthless as far as the relationship between Thracian and Celtic is concerned". 6.1. Im zweiten Teil seines Aufsatzes versucht Orel eine Reihe von ONN und PNN in Thrakien als kelt. zu erweisen. Es handelt sich dabei vor allem um den ON Λουκουνάντα (vgl. gall. Lugus, ir. Lug, ky. Lieu; gall, nantu-, ky. nant 'valley, water-course, stream', bret. nant 'vallis'), den PN Βειθυκενθος, Bithicentus, Biticentus, Bitucentus (vgl. gall, bitu-, air. bith, kymr. byd 'world'; gall, cintu-, air. cét-, cétnae 'first', kymr. cyn 'before, previous to', cynt 'earlier, sooner, quicker'), den ON Σινγίδουνον, var. Σιγγιδών (lt. Orel, der A. Holder40 folgt,
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Vgl. Eric P. Hamp, uisce again, Ériu 42 (1991), 143. Wilhelm Tomaschek, Die alten Thraker. 11,2. Sitzungsber. d. phil.-hist. Kl. d. kaiserl. Akad. d. Wiss., 131. Bd., 1. Abh., Wien 1894, 57 f. [Neuabdruck Wien 1980]; weiterhin: Duridanov, (wie Anm. 7) 76. 40 A. Holder, Alt-Celtischer Sprachschatz, 3 Bde., Graz 21962, II 1570. 39
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eine "vox híbrida" mit dem Element gall, -δουνον, air. dún 'befestigte Burg'),41 die PNN Κατομοφος und Μαρυκατος (vgl. gali, catu-, ir. cath, kymr. cad 'battle'; gall, maro-, ir. már, kymr. mawr 'great, big'), der PN Κατουβηα (lt. Orel < "katubiwä 'living in/for the battle' mit der Parallele Ogam Boddibewe" < *boudi-biwiäs 'living in/by the victory'), die PNN Βιοβρις, Βιοηρις (lt. Orel "a Greek representation of Celtic *biwa-wir- or even of *biwo-wir- "), den PN Κασιγνακις (lt. Orel "a derivation in *-äko- connected with Ogham Castigai"), den ON Κασι-βόνων (vgl. gall, -bona in Vindobona), die PNN Ζμερτομαρος, Σμερτομάρα (vgl. gall. Smertorix, Rosmerta usw.). 6.1.1. Anzumerken wäre zu Orels Namensammlung, daß die Namen alle dem Buch von D. Detschew, Die thrakischen Sprachreste (Wien 1957), entnommen sind, daß sie also aus dem oben umrissenen Areal stammen, das nach Detschew das "zusammenhängende[.] Gebiet[..] der thrakischen Sprache" bildete. In dem von Orel zusammengestellten Material fehlt die zeitliche Gliederung. Grundsätzlich können keltisch-thrakische Übereinstimmungen aus verschiedenen Zeitabschnitten stammen: 1) Sie sind gemeinsam aus dem Protoidg. ererbt worden; 2) Sie sind gemeinsame, nach der Ausgliederung aus der "Ursprache" entstandene positive Neuerungen; 3) Es handelt sich um Entlehnungen als Folge von Kontakten in historischer Zeit. Zur ersten Gruppe gehören der thrak. PN 'Ρήσος und seine gall. Entsprechung -rix, zur zweiten dagegen thrak. uscu- und ir. uisce und zur dritten thrak. κυρμι- in dem GN Κυρμιληνός und gall, κοϋρμι 'Bier'. Ebenfalls zur dritten Gruppe gehört das angeführte Namenmaterial, insofern es sich hierbei wirklich um Entlehnungen und nicht um Parallelbildungen handelt.
41 Vgl. auch den dak. ON Σινγίδαυα bei Detschew, (wie Anm. 15) 443, und Duridanov, (wie Anm. 7) 44.
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6.1.2. Die Kelten erscheinen, von Westen kommend, zu Beginn des 4. Jh. v. Chr. im Karpatenbecken. Zu Beginn des '3. Jh. haben sie große Teile Dakiens und Thrakiens erobert und unter ihre Kontrolle gebracht. In Südthrakien errichteten sie ein Königreich mit der Hauptstadt Tylis, das von 275-213 v. Chr. bestanden hat. Der kelt. Stamm der Skordisker ließ sich im 3. Jh. an der Saumündung nieder und drang im 2. Jh. bis zu den Grenzen Makedoniens vor. Inwieweit allerdings Aussagen wie "The city of Tomis (Constanza), which was originally colonised from Miletus, came under Celtic occupation in the third and second centuries BC"42 oder wie "Près de l'embouchure du Danube existent des toponymes sans doutes celtiques comme Arrubium (Mäcin), Noviodunum (Isaccea) ou Aliobrix, auxquels s'ajoutent Carrodunum, Maetonium, Vibantavarium et Eractum sur le Dniestr" 43 zutreffen und wie sie zu werten sind, vermag ich derzeit nicht zu sagen. Abgesehen davon scheint es aber auch so völlig natürlich, wenn die Kelten Spuren in Toponymie, Anthroponymie und Lexikon des Thrak. und Dak. hinterlassen haben. Wie die keltoiden P N N mit germanischen Namenträgern 4 4 zeigen, kommt es nicht darauf an, daß ein Germane z.B. den kelt. PN Ariovistus richtig als 'der das Wissen eines Herrn hat' interpretiert, es genügt für die Kommunikation, wenn er meint ihn zu verstehen und ihn "germanisch" segmentiert und als 'Heerführer' oder 'dem H e e r entsprossen' deutet. Es gibt z.B. den thrak. 45 PN Mucasenus (var. Mukazenis, Mukazinis, Mukasenës, Mucasenes),46 der etwa 'im Geschlecht geboren' bedeutet 47 . Ein
42
Rankin, (wie Anm. 4) 17. Ion HoraÇiu Cri§an, Rapports entre la culture géto-dace et la culture celtique; in: Le monde thrace: IIe Congrès International de Thracologie Bucarest 1976, Milan 1982, 103. 44 Vgl. hierzu Verf., Keltoide Namen mit germanischen Namenträgern, ZCP 41 (1986) 187 ff. 45 Bezüglich des thrak. Materials stützen wir uns im folgenden fast ausschließlich auf das Buch von I. Duridanov (wie Anm. 7). 46 Bei anderen Namen wechseln muka-, moka-, mokka-; vgl. Mukaporis, Mokaporis, Mukaporeis, Mucapor, Mocapor, Mokkaporis, Mo-kaporos m., Mucapora m. und f. 'Knabe, Sohn des Geschlechtes' bzw. 'Mädchen, Tochter des Geschlechtes'. 43
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Gallier, der Namen wie Catomocus, etwa 'Schlachtschwein', und Marcosena (f.), etwa 'alte Stute',48 kennt, versteht den thrak. Namen vielleicht analog als 'altes Schwein'. Und umgekehrt kann der Thraker den gall. PN Marcosena als 'die im sumpfigen Gelände geborene' (zu thrak. *marka 'Morast'; vgl. den thrak. ON Μοφκέλλαι, weiter die lit. Gewässernamen Markëlis, Markelyné und lit. markà 'Flachsweiche, Hanfröste') deuten. 7.0. Ein kurzer Blick auf den Wortschatz der thrakischen Sprache, so wie er von Duridanov zusammengestellt worden ist, macht deutlich, daß es zwischen dem Thrak. und dem Kelt, bei einigen Verwandtschaftsbezeichnungen auffällige Gemeinsamkeiten gibt, daß aber ansonsten eher die Unterschiede überwiegen. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen: 7.0.1. 'Gott': thrak. zis (zu idg. *diêus), desa(s), disa(s), diza(s) (idg. *dhueso-s\ IEW49~268 ff.) « gali, devo-, deo-; divo-, dio-, air. dia, kymr. duw (idg. *deiuo-). 7.0.2. 'Donner': thrak. pericón (IEW 822 f.) » air. 'torann, gali. GN Taranis (IEW 1088 f.). 7.0.3. 'Eiche': thrak. perkâ, perkas (IEW 822 f.) « gall, dru-, air. daur, dair, kymr. derwen (IEW 215); vgl. jedoch gall. Hercynia [silva] 'das deutsche Mittelgebirge', hisp.-kelt. VN Querquerni/Quarquerni, kymr. perth 'Busch, Hecke'. 7.0.4. 'Hirsch': thrak. drenis (idg. *dhrenis\ alb. geg. dre, -ni\ IEW 276), brentas, brendas (idg. 'bhrentos; mess, βρένδον; IEW 168) « kymr. carw (idg. *kruo-\ deBSt50 152), gall, elem(b)- (idg. *elnbh-\ deBSt 163), air. oss; séd, ség; dam/ ag allaid; fîad.
47
Zur Semantik vgl. Ogam inigena, air. ingen Tochter'. Zu den kelt. PNN vgl. K. H. Schmidt, Die Komposition in gallischen Personennamen. Sonderabdruck aus ZCP 26, Tübingen 1957, 237, 243, 267. 49 Zu der Abkürzung IEW vgl. oben Anm. 15. 50 deBSt = Patrizia de Bernardo Stempel, Die Vertretung der indogermanischen liquiden und nasalen Sonanten im Keltischen, Innsbruck 1987 ( = IBS 54). 48
152
Keltisch und Thrakisch
7.0.5. 7.0.6. 7.0.7. 7.0.8. 7.0.9. 7.0.10. 7.0.11.
7.0.12.
'weiß': thrak. arzas ( I E W 64 ff.); dak. balas (lit. bälas] I E W 119) « gall, vindo- ( I E W 1125). 'schwarz': thrak. kersas (IEW 583) « air. dub ( I E W 264). 'rot': thrak. rudas (idg. *rudh-) « air. rúad (idg. *roudh-\ I E W 872 f.). 'groß': thrak. mêr- (idg. * mêros) « gall, -märos (idg. *möros\ I E W 704). 'Ort, Stelle': thrak. dòn « air. dú G e n . don (idg. *dhghom-\ I E W 414 ff.). 'Anhöhe, Berg': thrak. dün- « air. dún·, weiter gall. dünon 'Burg' (IEW 263). 'Volk': dak. faufa 51 (lit. tautà mit -au- < *-eu-f2 « gali, teuto-, touto-, töto-, füio-; 53 vgl. weiterhin: illyr. P N N Τεύτα, Teutona, Τευταμίδης usw., mess. P N N Qeotor, Qaotor-, θotor, Qator-.M 'Kranich': dak. zerva55 (lit. gérvé < *gerhjuiä) « mky. ako. bret. garan, gall, [torvos trijgaranos (< *grh3. anos).56
7.1. Es gibt auch eine R e i h e von faux amis zwischen d e m Kelt, und d e m Thrak. Orel z.B. erklärt die folgenden Morp h e m e in Detschews Material für "potentially Celtic": vi-, muka-, tarvo-, gais(o)-, seno, mark-, rota-. Allerdings reklamiert Duridanov zumindest muka-, taru-, gaisas, marka auch f ü r das Thrak.
51
Vgl. Duridanov, (wie Anm. 26) 92. Vgl. Chr. S. Stang, Vergleichende Grammatik der Baltischen Sprachen, Oslo - Bergen - Tromsö 1966, 73. 53 Vgl. IEW 1084; K. H. Schmidt, (wie Anm. 48) 277«., 297 f. 54 Vgl. hierzu O. Parlangèli, Studi messapici, Milano 1960, 370«. 55 Vgl. Duridanov, (wie Anm. 26) 88. 56 Vgl. hierzu P. de Bernardo Stempel, (wie Anm. 48) 155: "Der Ansatz einer exakten Grundform ist wegen der bei derartigen Appellativen stets wirksamen Onomatopöie nicht möglich". Zur Verbindung von trigaranos mit griech. τρυγέρανος vgl. auch: M. Lejeune, τρυγέρανος, in: "Ηδιστον λογοδείπνον - Logopédies: Mélanges de philologie et de linguistique grecques offerts à Jean Taillardat, Paris 1988, 133-136. 52
Rolf Ködderitzsch 7.1.1.
7.1.2. 7.1.3.
7.1.4.
153
thrak. muka 'Same, Geschlecht, Nachkommenschaft' (vgl. iran. *muka- in osset. myg/mugœ 'Familie', myggag/muggag 'Same, Geschlecht'), thrak. mukös 'sumpfiges Gelände, Morast' (vgl. lett. muka 'Sumpf) « gall, -mocus, air. mucc 'Schwein', Ogam muc(c)oi, moc(c)oi, moco, muco 'Nachkomme', air. mac(c)u, moc(c)u. thrak. tarn- 'Speer' (idg. *doru-) « gall, torvos 'Stier'. thrak. gaisas 'Licht; leuchtend, hell, klar' (vgl. lit. gaïsas 'Lichtschein, Röte am Himmel') « gall, gaesum, γαΐσον 'schwerer, eiserner Wurfspieß'. thrak. marka 'Morast, sumpfiges Gelände' « gall. marco- 'Pferd'.
7.2. Bei den Verwandtschaftsnamen gibt es folgende auffällige Gemeinsamkeiten zwischen dem Thrak. und dem Kelt.: 7.2.1. thrak. kenthas 'Kind, Nachkomme': PN Kenthos, Kentis, Desa-kenthos, Disa-centus, Dias-kenthos, Epta-kenthos, Muka-ken-thos, vgl. lat. re-cens, -ntis 'frisch, jung, neu', mit anderem Suffix abulg. èçdo 'Kind', nbulg. ¿edo. Zu vergleichen ist hier vor allem gall. Cintus, Cintugnätos, air. cétnae, cét- 'erster', kymr. cyntaf 'erster', air. cenél 'Geschlecht', air. cinid 'entspringt' (vgl. IEW 563 f.). Edgar C. Polomé nennt das "a remarkable Celto-Thra-cian isogloss".57 7.2.2. thrak. suchis, sukis, sulais, suku 'Mädchen, Tochter': PN Dentu-sucu, Eptë-sychis, Eptê-sykos, Rhymë-sykis, Moka-sokos (alle f.), vgl. kymr. hog-en 'Mädchen' ( < idg. *sukä), dazu gebildet kymr. hog-yn 'Bursche',58 zur Wurzel idg. *seu-: *sü- 'gebären', zu der auch als Ableitung *sünu-s 'Sohn' gehört, lit. sûnùs, abulg. sym, usw. Die verschiedentlich aufgestellte Behauptung,
57
E. C. Polomé, Jhraco-Phrygian; in: Indo-European Numerals, ed. by J. Gvozdanovic, Berlin - New York 1992, 361. 58 Neben hogen findet sich mit gleicher Bedeutung auch die Form hogan (vgl. Beth Thomas, Peter Wynn Thomas, Cymraeg, Cymrâg, Cymrêg...: cyflwyno'r tafodieithoedd, Caerdydd 1989,93). Nach Alan R. Thomas (TTie linguistic geography of Wales, Cardiff 1973, 519, 521) kommen hogan 'Mädchen' und hogyn 'Junge' nur "in the north-west and in the north-west midlands" von Wales vor.
154
7.2.3.
59
Keltisch und Thrakisch daß "daw hog(yn) o'r Saesneg hogg 'anifail ifanc'",59 ist sicher nicht richtig. Ae. hogg (> me. hog, hogge 'Hausschwein, junges Schaf, Wildeber im zweiten Lebensjahr') ist nach K. Jackson60 eine Entlehnung aus urkymr. *hocc (> kymr. hwch 'Schwein'; vgl. akorn. hoch gl. porcus, soch gl. uomer) mit geminiertem cc. Die Annahme einer Riickentlehnung von kymr. hog- in hog-yn, hog-ert aus engl, hog 'young animal' ist nach I. Duridanov61 vor allem aus semantischen Gründen unwahrscheinlich. thrak. muka 'Same, Geschlecht, Nachkommenschaft': PN Muka-boris, Muka-bur, Muka-zeras, Muka-tralis, Muka-poris, Moka-sokos. H. Wagner verbindet als erster, sich auf Detschew stützend,62 das thrak. Wort etymologisch mit iran. muka- in osset. myg/mugœ 'Sperma', myggag / muggag 'Same, Geschlecht, Familie, Art'63 und weiter mit "the O.Ir. word mocu, macai, occurring in early Og/iaw-inscriptions as muc(c)oi
Vgl. Beth Thomas, Peter Wynn Thomas (wie Anm. 57); Geiriadur Prifysgol Cymru, cyfrol 2, Caerdydd 1968-1987, 1887; Max Förster, Keltisches Wortgut im Englischen, in: Texte und Forschungen zur englischen Kulturgeschichte: Festgabe für Felix Liebermann, Halle/S. 1921, 132 ff.; Eric P. Hamp, Indo-European notes, IF 87 (1983) 70-75; E. P. Hamp, Miscellanea, IF 93 (1988) 121-123. 60 Kenneth Jackson, Language and history in early Britain, Edinburgh 31971, 567; vgl. auch IEW 913, 1038, weiterhin Enrico Campanile, Profilo etimologico del comico antico, Pisa 1974, 64, 95 f. - Nach Campanile ist die ursprüngliche Bedeutung von kelt. *sukko- 'grugno di maiale', das dann u. a. metaphorisch zu 'punta dell'aratro' geworden ist. 61 1. Duridanov, Kymrisch hogyn, hogen, BalkE 33, 1-2, 1990,2325. 62 Wagner, (wie Anm. 33) 226; Detschew, (wie Anm. 15) 312. 63 Für die Bedeutungsentwicklung 'Sperma' > 'Geschlecht' verweist V. I. Abaev, [Istoriko-ètimologiëeskij slovar osetinskogo jazyka, t. II, Leningrad 1973, 138] auf "cr.cnaB. plemq Β 3HaieHHH σπέρμα h sëmç β 3HaieHHH KaK σπέρμα, TaK h 'ρο,α', 'noKOJieHHe' [...]; cp. TaKjfce τιορκ. uruy 'ceMfl', 'poa', 'nopoiia', 'nJieMs'". - Eine weitere semantische Parallele bietet die Etymologie von ai. tokám η. 'Nachkommenschaft, Kinder', tókman- η. 'junger Halm, Schößling', aw. taoxman- n. 'Same, Keim', apers. taumä f. 'Familie, Geschlecht, Same, Keim', mhd. diehter 'Enkel' (IEW 1085).
Rolf Ködderitzsch
155
and originally meaning 'belonging to the gens (clan or family of...'". Nach A. A. Korolev,64 der sich der Meinung von Wagner anschließt, hat J. Vendryes65 etymologisch fälschlicherweise die O g a m - W ö r t e r muc(c)oi und maqi 'des Sohnes' verbunden. Trotzdem hat neulich Patrizia de Bernardo Stempel in einem Aufsatz66 die Meinung vertreten, daß für das Goidelische von einer Form *makk"öd auszugehen sei, die zuerst mac(c)o und dann moc(c)u ergeben habe. Wir halten allerdings mit E. Mac Neill 67 die Form moc(c)u für älter als mac(c)u und weiter muc(c)oi, muco für älter als moc(c)u. Auszugehen ist nach unserer Ansicht für das Keltische, Lateinische, Thrakische und Ossetische (resp. Skytho-Sarmatische) von einer Grundform *mukos mit der Bedeutung 'Sperma, Schleim'.68 Lat. mücus hat die Bedeutung 'Schleim' bewahrt69, im Osset. wurde von myg/ mugce 'Sperma' mit Hilfe des Suffixes -ag das Wort myggag/ muggag 'Same, Geschlecht, Familie, Art' gebildet, und das Thrak. und Kelt, haben gemeinsam die Bedeutung 'Nachkommenschaft' entwickelt. Sehr bald sind in den beiden letztgenannten Sprachen durchaus lautgesetzlich die Nebenformen *mokos, *mokas70 und mit expressiver Gemination *mokkos, *mokkas entstan-
64
A. A. Korolev, DrevnejSie pamjatniki irlandskogo jazyka, Moskva 1984, 114. 65 J. Vendryes / E. Bachellery / P.-Y. Lambert, Lexique étymologique de l'irlandais ancien, Dublin - Paris 1959 ff., M-l. 66 P. de Bernardo Stempel, Archaisch Irisch maccu als morphologisches Relikt. HS [= KZ] 104 (1991), 205-223. 67 Eoin Mac Neill, Mocu, maccu, Eriu 3 (1907) 42. 68 Kaum hierzugehören die von D. Detschew (wie Anm. 15, 312) außerdem noch angeführten Namen wie z. B. der kappadok. ON Μουκισσός, der 1yd. StammesN Μοκ(κ)αδηνοί, der kar. PN Μοκολλης usw.; vgl. L. Zgusta, Kleinasiatische Personennamen, Prag 1964, 323; ders., Kleinasiatische Ortsnamen, Heidelberg 1984, 392, 402. 69 Der lat. PN Mücius ist nach W. Schulze (Zur Geschichte lateinischer Eigennamen, Berlin - Zürich - Dublin 21966, 194 f.) etrusk. Herkunft und muß deshalb hier fernbleiben. 70 Vgl. Duridanov, (wie Anm. 7) 106; R. Thurneysen, A Grammar of Old Irish, Dublin 1946, 46.
156
Keltisch und Thrakisch den.71 Die Endung -o, -u in den bereits mehrfach genannten irischen Formen erklären wir mit de Bernardo Stempel als "Relikt des idg. Ablativs Singular der o-Stämme" und die Endung -oi in mucoi als mechanische Anfügung der Endung des Genitivs Singular an die opak gewordenen und dann als Nominativ Singular interpretierten Formen auf -o und -u. Air. mac(c)u scheint, relativ betrachtet, eine späte Form zu sein, die wohl durch Kontamination von moc(c)u und *maq(q)a- [> mac(c)] entstanden ist.
8. Die kurze Prüfung des wenigen zur Verfügung stehenden Materials zeigt, daß von einer besonders engen Verwandtschaft zwischen dem Thrak. und Dakischen einerseits und dem Kelt, andererseits keine Rede sein kann. Es hat in vorhistorischer Zeit Kontakte zwischen den drei genannten Sprachen gegeben. Indiz hierfür sind vor allem die drei Verwandtschaftsnamen und die Gleichung thrak. uscu- « ir. uisce 'Wasser'; hierbei handelt es sich durchaus um Neuerungen im Sinne von A. Leskien,72 also "um positive Übereinstimmungen der betreffenden Sprachen, die zugleich Abweichungen von den übrigen sind". Allerdings zeugen diese wenigen Übereinstimmungen zwischen dem Kelt, und dem Thrak. nicht von längerdauernden intensiven Berührungen. Stimmt man mit I. Duridanov der "Auffassung V. Georgievs [...] , daß die heutigen Albaner dakischer Abstammung sind",73 dann hat es wohl auch einige Berührungen zwischen den Dakern und den Kelten gegeben, da sich keltisch-albanische Sprachkontakte, die allerdings nicht sehr intensiv und von großer Dauer waren, durchaus nachweisen lassen.74
71 Zur Verschärfung von Verschlußlauten bei Verwandtschaftsnamen, insbesondere im Keltischen vgl. K. H. Schmidt, Zur Entwicklung einiger indogermanischer Verwandtschaftsnamen im Keltischen, EC 16 (1979), 117-122. 72 Α. Leskien, Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen, Leipzig 1876, VII. 73 Duridanov, (wie Anm. 26) 13. 74 Vgl. hierzu Verf., Keltisch und Albanisch: zwei indogermanische Sprachen im Vergleich; in: Deutsche, Kelten und Iren: 150
Rolf Ködderitzsch
157
8.1. Nach Duridanov75 haben das Dak. und das Thrak. weit mehr Übereinstimmungen mit dem Bait. Nach Meinung von V. Georgiev sind jedoch von den thrak.-balt. Vergleichen Duridanovs einige zu streichen, so daß "für die vermutete nähere thrakisch-baltische Verwandtschaft nicht sehr viel übrig"76 bleibe. K. H. Schmidt ist in einer Untersuchung über die keltisch-baltisch-slawischen Sprachkontakte 77 zu dem Schluß gekommen, daß die kelt.-slaw. Kontakte vermutlich älter sind als die kelt.-balt. und diese wiederum älter als die intensiven balt.-slaw. Sprachbeziehungen und damit auch älter als die kelt.-balt.-slaw. Kontakte. Sucht man nun nach kelt.balt.-slaw.-dak.-thrak. Übereinstimmungen, so ist das einzige, was man finden kann, der Synkretismus von Gen. und Abi. Sg. bei den o-Stämmen und die Durchsetzung der Endung "-öd, was einerseits "a rather late areal expansion"78 der GenitivSingular-Endung *-i im italisch-keltischen Bereich impliziert und andererseits die Frage aufwirft, wie der apreuß. Gen. Sg. der *o-Stämme auf -as in diesem Zusammenhang zu erklären ist.
Jahre deutsche Keltologie; Gearóid Mac Eoin zum 60. Geburtstag gewidmet, hrsg. von Hildegard L. C. Tristram, Hamburg 1990, 6170. 75 Duridanov, (wie Anm. 26) 100. 76 V. I. Georgiev, Probleme der thrakischen Sprachwissenschaft (Anlässlich von Duridanovs Buch über das Thrakische). BalkE 28,4 (1985) 14 f. 77 K. H. Schmidt, Keltisch, Baltisch und Slavisch; in: Symbolae Ludovico Mitxelena septuagenario oblatae, ed. José L. Melena, Vitoria 1985, 25 f. 78 Κ. Η. Schmidt, Latin and Celtic: genetic relationship and areal contacts, BBCS 28 (1991), 13.
Ina Lucht, Bonn
DOPPELTE MARKIERUNG DES AKKUSATIVS BEIM TRANSITIVUM IM ALTIRISCHEN Untersucht wurde 1 ein Konstruktionstyp, der im Alt- und Mittelirischen häufig anzutreffen ist, z.B.: SMMD 2 § 9, Z.8: ni-s-toirchi in muicc fort indas sin. "Du bekommst das Schwein nicht auf diese Weise." Dabei wird ausgedrückt, nalphrase in nomen (hier
das Objekt der transitiven Handlung zweifach nämlich zum einen explizit (hier durch die Nomimuicc), zum anderen durch ein enklitisches Prodas infigierte Pronomen -s-).
Diese Konstruktion wurde den entsprechenden "normalen" Transitivkonstruktionen gegenübergestellt, d.h. Sätzen, in denen entweder nur das explizite Objekt oder nur ein enklitisches Pronomen in der Funktion des Objekts steht. Für verschiedene air. und mir. Texte wurde die Textfrequenz der verschiedenen Konstruktionstypen ermittelt, wobei sich für den fraglichen Typ durchweg niedrige Prozentzahlen ergaben, nämlich in einem Bereich zwischen 1-10 %. Ein einheitliches Motiv für die Verwendung dieser Konstruktion konnte nicht festgestellt werden. Die vorgefundenen Belege lassen jedoch darauf schließen, daß in Sätzen mit nominalem oder pronominalem explizitem Objekt in den meisten Fällen wohl eine Absicht des Schreibers vorlag, das zunächst pronominalisierte Objekt durch Anfügung des eigentlichen Objekts noch einmal zu verdeutlichen. Dieses Bestreben ist - vor allem im Mir. - in Verbindung mit dem Funk-
1
Der Vortrag stellt eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse meiner 1987 eingereichten Magisterarbeit dar. Eine etwas detailliertere Fassung wird demnächst in der Zeitschrift für Celtische Philologie erscheinen; daher sollen hier nur kurz die Problematik und die Grundthesen skizziert werden. 2 Ed. Thurneysen, Dublin 1975 (4. Auflage).
160
Doppelte Markierung des Akk. im Air.
tionsverlust der infigierten bzw. suffigierten Pronomina zu sehen. Daneben findet sich auch die sogenannte "adverbiale" Verwendung eines neutralen enklitischen Objektpronomens. 3 Schließlich muß für Belege der Konstruktion, in denen als explizites Objekt ein komplexes Syntagma steht, also etwa ein Zitat oder ein Nebensatz, mit dem Motiv der Kasusmarkierung gerechnet werden, d.h. der Verdeutlichung der syntaktischen Bezüge. Auch für einige Fälle mit pronominalem explizitem Objekt kommt dieses Motiv in Frage.
3
Vgl. L. Breatnach, Ériu 12 (1977), 89ff.
Máire Ni Mhaonaigh, Cork
EINIGE BEMERKUNGEN ZU DEN VERBALSTAMMBILDUNGEN IN Cogad Gdedel re Gallaib Im folgenden möchte ich meine Bemerkungen zum Verbalsystem des Cogad Gáedel re Gallaib auf einige Beobachtungen, die die im Text belegten Stammbildungen betreffen, beschränken. Es ist meines Erachtens nicht allzu schwierig, diese Einschränkung zu rechtfertigen, da die mittelirische Periode durch eine enorme Reduktion der Vielzahl der Stammbildungen, wie sie im Altirischen vorherrschte, gekennzeichnet ist. Die grundlegende Tendenz hierbei war das Bestreben, das Modell der schwachen Verben zu übernehmen, d.h. einen unveränderlichen Verbalstamm zu schaffen, an den verschiedene Suffixe treten konnten.1 So stand am Ende dieser Entwicklung, abgesehen von einigen wenigen unregelmäßigen Verben, folgendes Schema: das Präteritum war im allgemeinen gekennzeichnet durch Hinzufügung eines Suffixes -s-, das Futur durch die eines Suffixes -/- an den verallgemeinerten Verbalstamm, der identisch mit dem altirischen Präsensstamm war. Die einzelnen Tempora blieben durch verschiedene Sets von Endungen gekenn-
1
Mittelirische Entwicklungen des Verbalsystems finden sich zusammengestellt bei Kim McCone, The Early Irish Verb (EIV), Maynooth 1987, 176-266. Siehe auch Wendy Joy Lewis, The Loss of the Strong Conjugation in Middle Irish, unpubl. Diss. Harvard 1986. Die Verbalformen einzelner Texte dieser Periode sind ebenfalls untersucht worden. Siehe z.B. Gearóid Mac Eoin, Das Verbalsystem von Togail Troi (H.2.17), Zeitschrift für celtische Philologie (ZCP) 28 (1960/61) 73-136, 149-223; Kathleen Mulchrone, Die Abfassungszeit und Überlieferung der Vita Tripartita, ZCP 16 (1927) 1-94, 411-52; Robert D. Nuner, The Verbal System of the Agallamh na Senórach, ZCP 27 (1958/59) 230-310; Máirín O'Daly, The Verbal System of the LL Táin, Ériu 14 (1946) 31-139; Alf Sommerfeit, Le Système Verbal dans In Cath Catharda, Revue Celtique (RC) 36 (1915) 24-62, 295-334, RC 37 (1917-1919) 230-46, RC 38 (1920-1921) 25-47, RC 40 (1923) 157-69; John Strachan, The Verbal System of the Saltair na Rann, Transactions of the Philological Society (TPS) 1895-97, 1-76.
162
Verbalstammbildungen in CGG
zeichnet. Diese unterlagen ebenfalls bedeutenden Änderungen in der mittelirischen Periode; hierbei wurde offenbar besonders darauf geachtet, Person und Numerus eindeutig zu markieren. Wie bereits angedeutet, liegen die Personalendungen jedoch außerhalb des Themas dieses Aufsatzes. Was meine Entscheidung anbetrifft, Verbalformen aus Cogad Gáedel re Gallaib zu verwenden, um mittelirische Entwicklungen der Stammbildungen zu illustrieren, so lassen sich mehrere Gründe für diese Wahl anführen. Erstens stellt das Cogad aufgrund seines Umfangs ein großes Materialkorpus für eine solche Analyse dar. Im Text sind über 1000 Verbalformen belegt; davon entfällt aufgrund der Natur des Textes der größte Teil auf Präteritalformen, doch ist die Menge der belegten Präsens-, Futur- und Konjunktivformen ebenfalls bedeutend. Weiterhin kann das Cogad recht sicher in einen historischen Kontext gestellt werden. Hieraus bezogene Hinweise, die die exakte Datierung des Textes und so variable Faktoren wie das Umfeld des Autors und die Art seiner Adressaten betreffen, sind bei der Beurteilung des Materials natürlich von sehr hohem Wert. In dieser Hinsicht ist die Situation im Falle des Cogad besonders günstig. Der Text beschreibt den Einfall der Wikinger in Irland vom Ende des achten bis Anfang des elften Jahrhunderts. Dabei liegt die Hauptbetonung auf dem Widerstand, den die Sippe Dál Cais (später Ui Briain genannt) unter der Führung des Mathgamain mac Cennétig und besonders seines Bruders, Brian Bórama, gegen die Aggressoren leistete. Brian Bórama wird hier als der Held par excellence dargestellt. Aufgrund seiner weitreichenden militärischen Fähigkeiten gelingt es ihm, die Eindringlinge zurückzudrängen und somit seinen Untertanen während seiner Regierungszeit sicheren Schutz zu garantieren. Im Text heißt es dazu, daß eine Frau mit einem goldenen Ring ohne Begleitung von Norden nach Süden reisen könnte, ohne daß ein Angriff auf sie verübt würde.2 Brian
2
Cogadh Gaedhel re Gallaibh, The War of the Gaedhil with the Gaill (Cog.), hrsg. von James Henthorn Todd, London 1867, 138.
Máire Ni Mhaonaigh
163
Bórama war für seine Untertanen ein Garant des Friedens, er setzte die von den Wikingern zerstörten Kirchen wieder instand und förderte Bildung und Gelehrsamkeit (Cog. 138-40). Von daher ist es nicht verwunderlich, daß im Text behauptet wird, daß seine Sippe, abwechselnd mit der Sippe Eoganacht, ein Anrecht auf das Königtum von Cashel hatte (Cog. 54). Somit kommt dem Dál Cais eine zentrale Rolle in der irischen Politik zu. Das Cogad dient mithin Propagandazwecken, und dies hat selbstverständlich Auswirkungen auf die Datierung des Textes. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß der Verfasser '...was either himself an eye-witness of the Battle of Clontarf or else compiled his narrative from the testimony of eye-witnesses', wie Todd in seine Ausgabe behauptet (Cog. xxv). Eine Heroisierung, wie sie von Brian Bórama im Cogad erfolgt, erfordert sowohl Zeit als auch andauernde Macht. Donnchad mac Briain, Brian Bóramas Nachfolger, hatte nie denselben Erfolg wie sein Vater. 3 Er versuchte immer wieder seine Herrschaft vor allem auf Osraige auszudehnen, 4 und ließ sich laut des Schreins des Stowe Missal sogar zum 'König von Irland' ernennen, 5 aber dieser Anspruch war für nur eine kurze Zeit realistisch, und er mußte sich sogar teilweise bemühen, seine Macht über Munster nicht zu verlieren. 6 Sein größter Gegner war sein Neffe Tairdelbach, der Donnchad mit Hilfe des Königs von Leinster, Diarmait mac Mail na mBó, im Jahre 1063 besiegte (s.a. AI). Tairdelbach gelang es, seine Herrschaft
3
Die Laufbahnen und Schicksale der Nachfolger Brian Bóramas sind beschrieben in John Ryan, The O'Briens in Munster after Clontarf, North Munster Antiquarian Journal (NMAJ) Vol. 2 No. 4 (1941) 141-52 und Vol. 3 No. 1 (1942) 1-52. Siehe auch Donncha O Corráin, Ireland before the Normans, Dublin 1972, 131-50. 4 Siehe z.B. The Annals of Ulster (to A.D. 1131) (AU), hrsg. von Seán Mac Airt und Gearóid Mac Niocaill, Dublin 1983-, s.a. 1031, 1034 usw. 5 Siehe Pádraig O Riain, The Shrine of the Stowe Missal, redated, Proceedings of the Royal Irish Academy Vol. 91 C Number 10 (1991) 285-95 (bes. 287-8 und Fn. 25). 6 Siehe z.B. The Annals of Inisfallen (AI), hrsg. von Seán Mac Airt, Dublin 1951, s.a. 1019, 1058.
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Verbalstammbildungen in CGG
auszudehnen und insbesondere Leinster, Dublin und Mide zu behaupten. 7 Als er 1086 starb, war er zum mächtigsten König in Irland avanciert. Sein Sohn Muirchertach baute auf dem von seinem Vater gelegten Fundament auf und dehnte seinen Einflußbereich auf Connacht aus, ohne je dort die vollständige Machtübernahme zu erreichen.8 Im Jahre 1114 erkrankte Muirchertach, und sein Bruder Diarmait entriß ihm das Königtum (s.a. AI); obwohl Muirchertach im Jahre 1118 nach Diarmaits Tod seinen Titel wiedererlangte, gewann er doch nie wieder die alte Machtfülle zurück. Er starb ein Jahr danach, ohne verhindern zu können, daß der König von Connacht, Tairdelbach Ua Conchobair, Munster zwischen Ui Briain und Meie Carthaig aufteilte (AU s.a. 1118). Die drei Söhne von Diarmait, die Muirchertach nachfolgten, konnten sich weder gegen Ua Conchobair in Connacht noch gegen die wachsende Macht der Meie Carthaig im eigenen Lager wehren und hatten eine Zeit lang alle Hände voll zu tun, sich in Munster zu behaupten. Es scheint daher unwahrscheinlich zu sein, daß die Ui Briain vor Muirchertach in der Lage gewesen wären, eine derartige Demonstration politischer Macht, wie sie im Cogad ihren Ausdruck findet, hervorzubringen. Ferner muß die Möglichkeit in Erwägung gezogen werrden, daß der Text in seiner ursprünglichen Form spätestens im Jahre 1114 verfaßt wurde, als es mit Muirchertachs Gesundheit bergab ging. Wenn dies der Fall ist, so dürfte der Text eher in die zweite Hälfte der Herrschaft Muirchertachs gehören, als dieser mehr und mehr Kontrolle über Connacht und Mide bekam. Es ist ebenfalls spürbar, wie Muirchertach Brian Bórama immer mehr zu seinem Vorbild zu machen scheint. Muirchertachs Rundreise durch den Norden Irlands im Jahre 1101 und die nordirische Reise seines Urgroßvaters im Jahre 1006 sind auffällig parallel (s.a. AU, AI). Ebenso gleicht das Goldgeschenk, das 7
Siehe z.B. AI s.a. 1070,1072, 1073. Weiter Annála Ríoghachta Eireann: The Annals of the Kingdom of Ireland by the Four Masters from the earliest period to the year 1616 (FM), hrsg. von John O'Donovan, Dublin 1848-51, s.a. 1080. 8 Siehe z.B. AI s.a. 1092, 1093, 1095 usw.
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Muirchertach 1103 der Kirche von Armagh machte, der Gabe - ebenfalls Gold - Brian Bóramas an dieselbe Kirche im Jahre 1006.9 Es wäre dann denkbar, daß Muirchertach zu diesem Zeitpunkt auch das Cogad schreiben ließ.10 Durch die Erschaffung einer ruhmreichen und herrlichen Vergangenheit des Dál Cais fände die herausragende Rolle der Familie Ui Briain in der irischen Politik des zwölften Jahrhunderts ihre Legitimation. Der direkte Vergleich Muirchertachs mit dem großen Brian Bórama trug erheblich zur Steigerung seines Ansehens bei. Der Verfasser stützte sich jedoch auf älteres Material. Unter seinen Quellen ragen besonders mehrere Sammlungen von Annalen heraus, auf die er sich bezog, um die Verhältnisse und Hintergründe von Brian Bóramas Herrschaft darzustellen." Archaische Formen im Text können leicht aus diesen Quellen bezogen sein. Es ist ebenfalls erwähnenswert, daß der Redaktor ein Mönch zu sein scheint. So betont er zum Beispiel insbesondere den zerstörerischen Einfluß der Wikinger auf die Kirche.12 Mit gutem Grund kann man daher annehmen, daß er sehr gebildet war. Schließlich existieren Hinweise darauf, daß der Text in der Mitte des zwölften Jahrhunderts in der Gegend von Bréifne-Cairbre überarbeitet 9
Chronicum Scotorum, A Chronicle of Irish Affairs from the earliest times to A.D. 1135, hrsg. von W.M. Hennessy, London 1866, 242 [1003]; AU s.a. 1103; FM s.a. 1004, 1103. 10 John Ryan, The Battle of Clontarf, Journal of the Royal Society of Antiquaries of Ireland 48/1 (1938) 1-50: 3, ist der Meinung, daß der Text in der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts geschrieben wurde; zustimmend Kathleen Hughes, Early Christian Ireland: Introduction to the Sources, London 1972, 288-9. O Corráin hat allerdings gezeigt, daß er eher an den Anfang des zwölften Jahrhunderts gehört, da Caithréim Chellacháin Chaisil, ein vom Cogad abhängiger Text, auf 1127-1134 zu datieren ist. Siehe Donnchadh O Corráin, Caithréim Chellacháin Chaisil: History or Propaganda?, Ériu 25 (1974) 1-69 (bes. 57-60). 11 Siehe A.J. Goedheer, Irish and Norse Traditions about the Battle of Clontarf, Haarlem 1938, 19-45; R.H. Leech, Cogadh Gaedhel re Gallaibh and the Annals of Inisfallen, NMAJ 11 (1968) 13-21. 12 Z.B. Cog. 12-6, 38-42 usw. S. Ó Corráin, Ériu 25 (1974), 63.
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wurde. In dieser Zeit wurden Interpolationen, die die Familie Ui Ruairc betreffen, eingefügt.13 Die Bedeutung dieses Faktors in jeder sprachlichen Analyse dieses Textes ist offensichtlich. Es ist sicherlich nicht auszuschließen, daß sich bestimmte Eigenheiten des Bréifne-Teils als dialektale Abweichungen von diesem ansonsten sprachlich und historisch sicher nach Munster gehörigen Text erklären lassen. Wenn wir diesen historischen Hintergrund im Auge behalten, können wir uns den im Text belegten Stammbildungen zuwenden. Die Formen, die ich zitiere, stammen alle aus dem Manuskript TCD 1319 (H.2.17), das auf das vierzehnte oder fünfzehnte Jahrhundert zu datieren ist.14 Ein Teil, etwa ein Siebtel des Gesamttextes, findet sich auch im Book of Leinster, das aus der Mitte des zwölften Jahrhunderts stammt.15 Schließlich fertigte Míchél O Cléirigh im siebzehnten Jahrhundert eine Abschrift des Textes an.16 Wenn eine Form in allen drei Handschriften oder, wenn der betreffende Teil nicht im Book of Leinster überliefert ist, in O Cléirighs Kopie und der TCD Handschrift bezeugt ist, kann davon ausgegangen werden, daß diese Form auch im Original des zwölften Jahrhunderts stand.
13 S. Máire Ni Mhaonaigh, Bréifne bias in Cogad Gáedel re Gallaib, Ériu 43 (1992), im Druck. 14 1319 Vol. X, fol. 350-97. Für eine Beschreibung dieser Handschrift siehe T. Abbott und E.J. Gwynn, Catalogue of the Irish Manuscripts in the Library of Trinity College Dublin, Dublin 1921, 110-6. Die Verbalformen sind genau so wie sie in der Handschrift vorkommen angegeben. Ich verweise jedoch auf Seite und Zeile von Todds Ausgabe. 15 The Book of Leinster formerly Lebar na Núachongbála Vol V, hrsg. von R.I. Best und M.A. O'Brien, Dublin 1967, 1319-1325. Siehe auch William O'Sullivan, Notes on the Scripts and Make-up of the Book of Leinster, Celtica 7 (1966) 1-31. 16 Jetzt in der Brüsseler Handschrift 2569-2572, fol. 103-135. Eugene O'Curry fertigte im Jahre 1853 eine Abschrift dieser Handschrift für Trinity College, Dublin an. Diese Abschrift befindet sich dortselbst jetzt als 1408 (H.6.18).
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Im großen und ganzen kommt das sprachliche Niveau des Cogad-Redaktors den Maßstäben, wie sie in den gegen Ende des zwölften Jahrhunderts verfaßten grammatischen Traktaten festgelegt wurden, sehr nahe. 17 Die meisten Verben haben das bei den schwachen Verben anzutreffende Modell einer unveränderlichen Gestalt des Stammes angenommen. Im Falle von altirischen komponierten Verben bestand der erste Schritt dieses Prozesses in der Transformation dieser komponierten Verben zu verba Simplicia. Neuen zusammengesetzten Verben lag im allgemeinen der altirische komponierte Stamm, der in prototonischer Position verwendet wurde, oder das altirische Verbalnomen zugrunde. 18 Der Ausgangspunkt dieses Prozesses ist klar in den altirischen Verben zu suchen, bei denen ein Präverb to, fo oder ro einer mit Vokal anlautenden Verbalwurzel vorausging. Die beiden Vokale waren bereits im Altirischen verschmolzen; die Unterscheidung zwischen Formen in unabhängiger und abhängiger Stellung blieb im Altirischen jedoch durch die Verwendung unterschiedlicher Endungen aufrechterhalten. 19 Die ursprüngliche Endung ist einmal im Cogad in der 3. Pl. Fut. tief at (10.1) bewahrt. Im Mittelirischen wurde diese feine Unterscheidung im allgemeinen jedoch aufgegeben, wie Formen wie 3. PI. Ind. Präs. tecait (176.28) statt altirisch tecat zeigen. Diese Entwicklung griff dann rasch um sich und hatte zur Zeit des Cogad auch mit Konsonant anlautende Verben erfaßt. Als Beispiele für diese Entwicklung zitiere ich 3. PI. Ind. Imperf. ro tafnitis (180.18) zu mittelirisch taifnid aus altirisch do-seinn; 3. Sg. Konj. Imperf. no chongbad (166.11) zu mittelirisch congbaid aus altirisch con-boing\ 3. PI.
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Die Traktate sind herausgegeben von O.J. Bergin, Irish Grammatical Tracts (IGT), Supplement zu Eriu 8 (1915-6), 9 (1921-3), 10 (1926-8), 14 (1943-6). Das Verbaltraktat (IGT III) findet sich in Eriu 14. 18 3. Sg. Ind. Präs. aithnit (146.16) z.B. ist von einem Simplex aithnid abgeleitet, das von dem prototonischen Stamm zu altirisch ad-gnin stammt. 3. Sg. Prät. aichnigis (170.21) dagegen gehört zu einem mittelirischen Verb aithnigid vom altirischen Verbalnomen zu ad-gnin, aith(g)ne. 19 R. Thurneysen, A Grammar of Old Irish (GOI), Dublin 1946, § 756; EIV 3-4.
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Kond. ni insaigfitis (168.15) zu mittelirisch insaigid aus altirisch ind-saig; ro thincoisc ( 144.3)M 3. Sg. Prät. zu mittelirisch tinchoiscid aus altirisch do-inchoisc, ra cloemcloset (58.23) 3. PI. Prät. zu mittelirisch cláemclóid aus altirisch con-imchloi usw. Bei einigen Verben beruht das neue mittelirische Simplex weder auf dem abhängigen Stamm noch auf dem Verbalnomen. So ist z.B. tarlaic (124.30) 3. Sg. Prät. von einem mittelirischen Simplex tarlaicid, was dem altirischen do-léici entspricht; tarlaicid ist nach altirischen ro-Formen gebildet, z.B. altirisch do-relic. Das reguläre Simplex von do-léici, teilcid, kommt auch im Mittelirischen vor, jedoch nicht im Cogad.21 Mehrere Formen im Cogad können entweder als zum altirischen komponierten Verb oder als zu dem neuen mittelirischen Gegenstück gehörig interpretiert werden. So könnte die zweite Person Singular Imperativ frithoil (124.21) zu altirisch fris-áilethar gehören mit fris- > frith- in vorvokalischer Position unter dem Ton (GOI § 839). Beachten wir jedoch die weitverbreitete Bezeugung simplifizierter ehemaliger komponierter Verben im Text, so ist es allerdings wesentlich wahrscheinlicher, daß frithoil in Wirklichkeit von dem mittelirischen G e genstück zu fris-áilethar, dem Simplex frithmlid, abgeleitet ist.22 Auf ähnliche Weise könnte -fobred (158.18), altirisch -fobreth, das Präteritum Passiv zu fo-beir repräsentieren. Die Tatsache, daß das auslautende -th wahrscheinlich stimmhaft ist, weist aber vielmehr auf das Präteritum Passiv eines mittelirischen Verbums/oifcnd. Ebenso könnte -armit (166.10) theoretisch die 3. PI. Präs. des altirischen Verbums ad-rtmi dar-
20
Todd liest ro tincoisc. Z.B. 3. Sg. Prät. -rotheilg, in Togail Troí H.2.17 (TTr.), hrsg. von W. Stokes und E. Windisch: Irische Texte II, Leipzig 1884, Z. 354; 1. Sg. Prät. rotheilgesa, Táin Bó Cúalnge from The Book of Leinster (LL-TBC), hrsg. von Cecile O'Rahilly, Dublin 1984, Z. 2070. Der Prozeß, durch den Formen wie do-relic usw. später ganz neue Paradigmen erzeugen, wird von McCone 'skewing' genannt (EIV 219-20). 22 Vgl. 3. Sg. Prät. ros fritháil TTr. Ζ. 1318; fritfhjailis, In Cath Catharda (CCath.), hrsg. von W. Stokes: Irische Texte IV, 2. Heft, Leipzig 1909, Z. 2978; fritháilfed usw. IGT III § 70. 21
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stellen, mit -it als graphischer Variante zur regulären abhängigen Endung -et. Es ist aber wiederum wahrscheinlicher, daß der Stamm in diesem Fall ein simplifiziertes á(i)rm- ist, an den die generalisierte Endung der 3. PI. -(a)it angefügt wurde. Andere Formen hingegen zeigen, daß die Entwicklung von komponierten zu einfachen Verben noch nicht abgeschlossen war. So ist neben zahlreichen anderen auf einem mittelirischen Stamm tic- 'kommt' aus altirisch do-icc- beruhenden Formen 23 eine 3. Sg. Kond. dotigfad (60.2) belegt. Wenn do hier nicht die mittelirische Relativpartikel ist, was in diesem Fall nicht auszuschließen ist, dann repräsentiert dotigfad eine Entwicklungsstufe, zu der tic- zwar weitgehend als generalisierter Verbalstamm aufgefaßt wurde, aber das zugrundeliegende do-icc- noch verstanden wurde, so daß tic- hyperkorrekt mit do- präfigiert wurde und mithin ein hybrider Stamm dotic- enstand. Das Modell für diese Entwicklung war bereits im Altirischen vorhanden, z.B. do-tuit, aber -tuit in abhängiger Stellung.24 Dasselbe gilt für 3. PI. Konj. Imperf. datistais (120.5/6). Die Form ro thoduisc (162.19) wurde hingegen zweimal vereinfacht. Das zugrundeliegende altirische Verb ist do-fîuschi 'erwacht, weckt', woraus ein Simplex diuscaid bezogen wurde. Wie im Falle von do-tic- wurde später auf der Basis des neuen Verbums ein sekundäres Kompositum dodiusc- gebildet. Dieses neue Kompositum wurde dann wiederum vereinfacht und resultierte in mittelirisch todiuscaid, 3. Sg. Prät. ro thoduisc. Bei anderen komponierten Verben wurde das Bedürfnis nach einem neuen, simplen Verb durch die Ersetzung durch ein bereits vorhandenes einfaches Verb ähnlicher Bedeutung gelöst. So werden fo-ceird, dessen prototonische Formen im Altirischen teilweise suppletiv von -cuirethar gebildet wurden (GOI § 762), und do-cuirethar im Verlauf der mittelirischen Periode durch das Simplex cuirid verdrängt. Die Form curi 23
Z.B. 3. Sg. Fut. -ticfa (10.10); 1. Sg. Kond. -ticfaind (172.8)
usw.
24
McCone nennt diesen Prozeß 'dummy prefixing'. Für eine Beschreibung des ganzen Prozesses und weitere Beispiele siehe EIV 210-4.
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(120.29) im Cogad hingegen zeigt Bewahrung des altirischen Zustands. Todd liest cur i, und anhand seiner Übersetzung, 'dispel its sorrow', scheint es, daß er cur als 2. Sg. Imperativ zu cuirid und i als Neutrum des Possessivpronomens der 3. Sg. auffaßt. Abgesehen davon, daß das Possessivpronomen nicht in den Kontext paßt, erscheint es nirgendwo sonst im Text als i. Nach unserer Auffassung ist curi als graphische Variante zu altirisch cuire aufzufassen, das als 2. Singular Imperativ zu fo-ceird neben dem regulären -cuirthe (Deponens) bezeugt ist;25 Die Form cuire existiert neben cur bis ins Frühneuirische. Ansonsten herrscht im Cogad aber cuir- vor; so sind beispielsweise/·«? cured (18.5 usw.), ro cuirit (110.5) und ro curit (150.17) an die Stelle von altirisch -corad usw. getreten. Ob -cuirit und -curit Varianten rein graphischer Natur sind oder auch für die phonetische Realisierung der beiden Stämmen cuir- und cur- bedeutsam sind, ist schwer festzustellen. Im Altirischen war (im Gegensatz zum Neuirischen) die Einfügung eines Gleitvokals nicht obligatorisch, um die Palatalität eines Konsonanten anzuzeigen (GOI § 86). Nach altirischen orthographischen Konventionen ginge -curit dann auch auf einen palatalen Stamm cuir- zurück. Eine Alternation zwischen palatalen und nichtpalatalen Stämmen findet sich jedoch bei anderen Verben im Mittelirischen. Die palatale Variante von altirisch rann- ist beispielsweise im Cogad in der 3. Sg. Prät. ro roind (58.8) und in der 3. PI. Prät. ro roinset (30.5) belegt. 1. Sg. Präs. -gabaim (CCath. 4601) und 3. PI. Ind. Imperf. -gabtáis (TTr. 1092) weisen auf einen Stamm gabneben air. gaib-, In Saltair na Rann kommt eine 3. PI. Präs. radait vor, die sicherlich auf ein nichtpalatales rád- für altirisch ráid- zurückgeht.26 Es ist daher möglich, daß eine Präs.
25
Thurneysen (GOI § 589) erklärt cuire als analogisch nach den Konjunktivformen déne und dé(i)cce gebildet. Jay H. Jasanoff, Old Irish Tair 'Come!', TPS 1986, 132-41 (bes. 138-9) erklärt jedoch déne und dé(i)cce als Imperative auf *-si. (Für den Hinweis auf diesen Artikel danke ich Dr. Jürgen Uhlich, Bonn). Ein Addendum von Lionel S. Joseph, Varia I: Archaic Oír. aisnde, Ériu 40 (1990) 179-80 unterstützt Jasanoffs These. 26 The Saltair na Rann; A Collection of Early Middle Irish
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Pass. Form, die im Cogad -rater (52.23) geschrieben wird, auch rád- anstelle von ráid- repräsentiert. Auf ähnliche Weise war léicid im Altirischen stets palatal, im Cogad hingegen findet sich neben léic- auch ein Präsensstamm léc-, was eventuell Nichtpalatalität anzeigt.27 Außerdem, und dies zeigt wiederum, daß der Präsensstamm als allgemeiner Verbalstamm verwendet wird, finden sich beide Varianten, palatal und nichtpalatal, auch in den anderen Tempora. In diesen Zusammenhang gehört z.B. die 3. Sg. Kond. -lecfead (170.13). Bemerkenswert ist auch 3. Sg. Prät. ro loisc (32.9) neben 3. PI. Prät. ro loscset (24.20), und die nichtpalatalen Stämme zu altirisch báid- und loit- könnten in ro bathit (192.4) und ro loted (28.6) bezeugt sein. In anderen Fällen sind völlig neue mittelirische Stämme belegt. Neben gaib- und gab- tritt ein Stamm geib- in der 2. Sg. Imperativ geib (122.1) auf.28 Da der Präsensstamm allmählich die anderen Stämme verdrängt und die Rolle eines allgemeinen Verbalstamms annimmt, ist es nicht verwunderlich, geib- auch in der 3. PI. Kond. (oder Konj. Imperf.) -geibtis (194.5) zu finden. Auf ähnliche Weise greift ein neuer Stamm suid- auf Kosten des altirischen said- um sich, wie die 2. Sg. Imperativ suid (124.10) zeigt.29 In diesem Zusammenhang ist auch die Bezeugung eines sekundären Stammes mem- oder meb- beachtenswert. Während altirisch maidid dem Muster anderer Verben in wesentlichen folgt, indem der Stamm maid- verallgemeinert wird, z.B. 3. Sg. Prät. ro maid (76.9), so sind daneben auch eine 3. Sg. Prät. mebais (176.22) und eine 3. Sg. Präs. mebaid (142.10) belegt.30 McCone ist der Mei-
Poems (SR), hrsg. von W. Stokes, Oxford 1883, Z. 2970. 27 Beispielsweise 2. Sg. Imperativ leic (172.22) neben 2. PI. Imperativ legid (122.23). 28
Vgl. 2. Sg. Imperativ geib neben gaib SR 1326 und 1149; geib
CCath. 4563. 29 Vgl. 3. Sg. Ind. Präs. suidid SR 5133 und Acallamh na Senórach (AS), hrsg. von W. Stokes und E. Windisch, Irische Texte IV 1. Heft, Leipzig 1900, Z. 5729. 30 Vgl. -memsat, Táin Bó Cúailnge, Recension I (LU-TBC), hrsg. von Cecile O'Rahilly, Dublin 1976, Z. 1866.
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nung, daß dieser Stamm mem- / meb-, der aus der Reduplikationssilbe und dem Wurzelanlaut besteht, aus Formen wie altirisch 3. Sg. Fut. memais bezogen ist, das seinerseits durch ein/-Futur maidfid verdrängt wurde; memais konnte dann als 3. Sg. Prät. eines Verbums memaid reanalysiert werden (EIV 234-5). Daß der Stamm mem- alle Spuren seiner Herkunft aus einem reduplizierten Futur verloren hat, wird deutlich dadurch, daß ein neues e-Futur -mebad (144.7 = mébad) im Text vorkommt. Andere Verben im Cogad haben ebenfalls é-Futurbildungen angenommen. Dieser Typus war im Altirischen auf eine Handvoll starker Verben mit -/, -r und -m im Wurzelauslaut beschränkt.31 Formen wie -odemad (66.18) und -lemtha (50.2) im Cogad32 bezeugen hingegen das Vordringen des e-Futurs auf das Gebiet anderer asigmatischer reduplizierter Futurbildungen.33 Diese Ausdehnung findet sich auch in anderen mittelirischen Texten. Anhand des Materials läßt sich zeigen, daß dieser Prozeß andere Verben auf -/, -r und -m ohne é-Futur im Altirischen erfaßte und im Mittelirischen zunächst weitgehend auf diese beschränkt bleibt. Formen von daimund laim- im Cogad folgen offenbar diesem Schema. Hierher gehört auch 3. Sg. Kond. -fedad (182.4), wenn dies ein neues ¿-Futur zu mittelirisch fétaid aus altirisch ad-com-ta- darstellt. Die Form könnte aber auch -étad repräsentieren, ein altirisches redupliziertes Fut. von ad-cota mit unorganischem/. Da fétaid an anderer Stelle im Text statt ad-cota vorkommt,34 scheint es mir aber wahrscheinlicher, daß -fedad zu fétaid
31
32
GOI §§ 650-2; EIV 47-8.
Vgl. lémhad und démhad IGT III §§ 24, 25. Ein ¿-Futur zu
fo-daim ist sehr früh belegt, siehe -fuidema Ml. 56c9. Solche mittelirischen Formen in den Glossen sind zusammengestellt und analysiert in Kim McCone, The Würzburg and Milan Glosses: Our earliest sources of Middle Irish, Eriu 36 (1985) 85-106. 33 Das ¿-Futur ist natürlich seiner Herkunft nach ein asigmatisches redupliziertes Futur (GOI § 669). Da es im Mittelirischen zu eine sehr verbreiteten Kategorie geworden ist, behandele ich sie hier als gesondert. 34 Z.B. 3. Konj. Präs. -feta (60.18); 3. Sg. Prät. -rofet (196.13).
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gehört. An wieder anderer Stelle im Cogad ist das Simplex mit /-Fut. belegt, z.B. 1. Pl. Kond. -fetfamais (182.15).35 Diese Ausdehnung einer ehemals auf starke Verben beschränkten Futurbildung widerspricht natürlich dem, was ich bisher als das hauptsächliche Merkmal mittelirischer Stammbildungen dargestellt habe, nämlich der Verallgemeinerung des Präsensstamms als generellem Verbalstamm, an den verschiedene Suffixe zur Bildung der anderen Tempora gefügt wurden. Zur Erklärung kann ich nur anbieten, daß das ¿-Futur sich deshalb einer gewissen Beliebtheit erfreute, weil é als Futurkennzeichen sehr markiert und die Gruppe der Verben mit é-Futur klar definiert und eng begrenzt war. Die Tatsache, daß diese Gruppe viele häufige Verben beinhaltete, hat sicherlich zur Verbreitung mit beigetragen. Altirisch beir-, gniund gaib- hatten beispielsweise e'-Futur, und die entsprechenden Formen sind im Cogad selbstverständlich erhalten, wie 1. Sg. Fut. dober (128.2) und dogen (172.23/24), 3. Sg. dogeba
(172.11) und 3. Sg. Kond. -berad (170.6) und dogenad (66.2) zeigen. Diese Verben haben in einigen Fällen ihre e-Futurbildungen bis auf den heutigen Tag bewahrt.36 Meistens jedoch wurde das é-Futur Opfer der vorherrschenden Tendenz, einen allgemeinen und unveränderlichen Verbalstamm zu schaffen. Neben Formen wie 3. Sg. Kond. -gebad (128.12) und 2. Sg. Kond. dagebta (172.9) sind weitere Komposita von gaib- mit /-Futurbildungen im Cogad bezeugt, so z.B. 1. Sg. Fut. -baigiub (172.9 = -faigiub) aus altirisch fo-gaib und 3. PI. Kond. -tocbaitis (156.28) aus altirisch to-uss-gaib-. Es ist sicherlich bedeutsam, daß sowohl -baigiub als auch -tocbaitis Komposita von gaib- sind, da Verben mit -b im Wurzelauslaut einfacher als /-Futurformen aufgefaßt werden konnten, was auf der Alternation zwischen/und b beim Suffix des altirischen /-Futurs beruht.37 é-Futurformen zu Komposi35
Vgl. 2. Sg. Fut. -fétfa LL-TBC 1572; 3. Sg. Kond. -fétfad AS
4898. 36
Bear-, déan-, und déar- haben noch im Neuirischen ¿-Futurformen, siehe O.J. Bergin, The Future Tense in Modern Irish, Eriu 2 (1905) 36-48: 37. 37 GOI § 635. vgl. auch E.G. Quin, On the Modern Irish F-Fu-
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ta von gaib- werden im allgemeinen auch als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer weiteren mittelirischen Innovation angeführt, dem eò-Futur. 38 Diese Bildung müßte entstanden sein, nachdem -b nach bestimmten Konsonanten im Mittelirischen verlorengegangen war. So entstanden zu den neuen Verba Simplicia fácbaid und tócbaid aus altirisch fo-ácaib und do-fócaib Varianten mit Stämmen fác- und tóc-. Aufgrund dieser lautlichen Entwicklung stand eine Futurform wie -fuicéba einem Präsensstamm fác- gegenüber. Somit konnte -éb- als Futursuffix aufgefaßt und auf andere Verben übertragen werden (EIV 244-6). Zwar ist im Cogad kein -eò-Futur belegt, doch weisen manche Schreibungen darauf hin, daß die Konsonantengruppe -cb- zu -c- vereinfacht worden war, so 3. Sg. und PI. Präteritum ro ac (68.2), ro acsat (28.18)39 und der Singular des Konjunktivs Passiv -fagtha (50.7).40 Im Cogad belegt ist hingegen ein Beispiel für das mittelirische -ob-Futur, die 3. PL Kond. -impobdais (156.28) zu mittelirisch impáid, das altirischem imm-soi entspricht. 41 Dieses Futur und das verwandte -άό-Futur waren charakteristisch für Hiatverben mit Wurzelvokal o, der gewöhnlich mit einem folgenden Vokal verschmolz und in unbetonter Stellung als á realisiert wurde. McCone ist der Meinung, daß die Oszillation von a und o in anderen Formen dieser Verben schließlich
ture, Ériu 21 (1969) 32-41: 37, wo er der Meinung ist, daß/und b in komplementärer Verteilung zueinander stehen;/wird verwendet, wo der der Wurzel folgende Vokal synkopiert wurde, z.B. léicfea, b wird verwendet, wo keine Synkope eingetreten ist, z.B. -léiciub. 38 Vorschlag zurückgehend auf R. Thurneysen in einer Fußnote zu J. Strachan, Grammatical Notes: 11. The Sigmatic Future and Subjunctive, ZCP 3 (1901) 474-91: 497 Fn. 2. Siehe auch Carl Marstrander, The Mid.-Ir. Muture in -eba, RC 36 (1915-16) 291-2 und Kenneth Jackson, Notes on the long e-future in Middle and Modern Irish, Celtica 11 (1976) 94-106: 100. 39 Todd liest ro fhacsat. 40 Vgl. Konj. Präs. Pass, -fagaither LL-TBC 3802, aber 1. Sg. Ind. Präs. -fagbaim CCath. 4286/7; und 2. Sg. Konj. Präs. -fagba, Aislinge Meie Con Günne, hrg. v. K. Jackson, Dublin 1990, Z. 724. 41 Vgl. 3. Sg. Prät. impôts CCath. Z. 193, aber 3. Sg. Ind. Präs. imsáe ist auch in diesem Text belegt, CCath. Z. 385.
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auch zur Schaffung einer Variante ó führte. In Kombination mit einem Futursuffix -/- waren Bildungen auf -áb- und -óbdas Ergebnis (EIV 246-7). Diese sind auch in den grammatischen Traktaten bezeugt, wo die Bildung auch auf Verben mit Labial im Wurzelauslaut übergegangen ist (IGT III § 67). Bevor wir die Futurbildungen im Cogad verlassen, möchte ich noch auf die 3. Sg. Kond. -réfed (172.28) hinweisen.42 Diese Form sieht auf den ersten Blick wie eine hybride é- und /-Futurbildung aus. Die Ausdehnung des e-Futurs war aber, wie wir sahen, im allgemeinen auf Wurzeln mit auslautendem -/, -r oder -m beschränkt. Mir scheint es daher wahrscheinlicher, daß -réfed mit Hilfe der allmählich immer schwächer artikulierten stimmlosen dentalen Spirans th zu erklären ist. Schreibungen wie Ua Clohnai (AI 1176) und sayrn ( = Sathairtt, AI 1267) weisen darauf hin, daß th im zwölften Jahrhundert nur noch eine bloße Aspirata oder gar verstummt war.43 Die Form -réfed ist daher mit Ersatzdehnung aus -reithfed zu erklären, einem /-Futur zum Präsensstamm reith-, der das altirische sigmatische Futur ress- verdrängte. Die Ausdehnung des é-Futurs ist, wie wir sahen, nicht Teil des Prozesses der Verallgemeinerung eines unveränderlichen Stamms, was für das Verbalsystem des Mittelirischen charakteristisch ist. Widerstand gegen diesen generellen Trend kam auch aus einigen anderen Ecken im System. Im Cogad belegte Formen, die altirische Stammbildungen bewahren, entsprechen im allgemeinen denen, die auch noch im Frühneuirischen belegt sind und in vielen Fällen in der Gruppe von Verben, die vom synchronen Standpunkt als unregelmäßig bezeichnet werden, bis auf den heutigen Tag überleben. Manche s-Konjunktive sind im Cogad belegt, z.B. für tiagund Komposita von -icc- und -finn-, u.a. 2. Sg. Konj. Präs. 42
Todd liest -refed. Diese und andere Beispiele finden sich bei R.A. Breatnach, The origin of the 2 pl. ipv. in Northern Irish, Eriu 16 (1952) 49-60: 52 Fn. 2. Diese Beispiele und -réfed weisen darauf hin, daß der Lautwandel th > h wenigstens ein Jahrhundert früher zu datieren ist, als O'Rahilly meinte. Siehe T.F. O'Rahilly, Notes on Middle-Irish Pronunciation, Hermathena 44 (1926) 152-95: 192. 43
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Verbalstammbildungen in C G G
-danechais (122.35) von téit; 2. Sg. Konj. Präs. -ris (124.4) von ro-icc; 3. Sg. Konj. Imperf. -tisad (180.2) von do-icc und 2. Sg. Konj. Imperf. -festa (172.4) von ro-finnadar. Gerade diese Verben haben jedoch s-Konjunktivformen bis ins Frühneuirische bewahrt. 44 Formen des α-Konjunktivs von finn- finden aber auch in den grammatischen Traktaten Billigung45 und kommen gelegentlich im Cogad vor, z.B. 1. PI. Konj. Präs. -finnam (132.1). Auf gleiche Weise steht 3. PL Konj. Imperf. -comraigtis (130.1) von com-ro-icc- den sonstigen 5-Konjunktiven der Komposita von -icc- gegenüber. Man hätte vielleicht auch erwarten können, daß saig- s-Konjunktivformen im Cogad bewahrt, da solche in IGT belegt sind.46 Es sind jedoch nur α-Konjunktive bezeugt, u.a. 2. Sg. Konj. Präs. -saige (124.20); 3. PI. Konj. Imperf. -insaigtis (168.15). Formen des ί-Präteritums sind jedoch bei -saig- und bei Komposita von -ber- im Cogad belegt, u.a. 3. Sg. dorocht (190.21), 3. PI. darochtatar (76.4/5) von to-ro-saig- und ro suacht (150.7/8) 3. Sg. von ro-saig. Vgl. auch 3. Sg. Prät. asbert (64.32) und dobert (144.16). Diese entsprechen wiederum Formen, die auch gemäß den grammatischen Traktaten der Dichterschulen erlaubt sind, z.B. adubart und do-ruachtas (mit Endungen des j-Präteritums) (IGT III §§ 6,15). Doch sogar bei diesen Verben war das gewöhnlich widerstandsfähige f-Präteritum gelegentlich dem s-Präteritum unterlegen, z.B. tairbiris (170.22) und ro tairbir (48.9) zu to-ar-ber-, ro saig (106.16), 3. Sg. zu saigid, und ro iarfaig (198.1), 3. Sg. Prät. zu iarfaigid, einem mittelirischen Simplex aus altirisch iarmi-foich. Im Falle von as-reig scheint ein vom Stamm -érig, der in abhängiger Stellung verwendet wurde, oder vom Verbalnomen éirge abgeleitetes Simplex éirgid zu einem frühen Zeitpunkt im Mittelirischen entstanden zu sein, da éirgid einige Besonderheiten aufweist. Im Cogad sind die 3. Sg. Prät. ro erig (156.15)
44
Z.B. do deachadhas IGT III § 8; tisainn IGT III § 5; ris IGT III § 12; -ffesmaois IGT III § 20. 45 Z.B. do-finnar IGT III § 20. 46 Z.B. do-soiser IGT III § 15. Siehe auch Beispiele aus anderen mittelirischen Texten, z.B. -roisedh CCath. Z. 1795.
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und die 3. Pl. Prät. ro eirgetar (174.9) belegt. Die Form atracht (188.15), aus altirisch as-reig mit infigiertem neutralen Pronomen, ist jedoch einmal bezeugt. Trotz des weitverbreiteten Gebrauchs von éirgid scheint das f-Präteritum zu as-reig eine Zeitlang überlebt zu haben; eine Form adrécht ist z.B. in IGT belegt (IGT III § 17). Formen von ad-eirrig scheinen nicht so widerstandsfähig zu sein, da eine 3. Sg. 5-Prät. -aitheraig (188.26) bezeugt ist. Alle anderen Stämme sind ganz zum j-Prät. übergetreten z.B. 3. Sg. ro airg (32.8) und 3. PI. ro airgset (6.7) von airgid; 3. PI. ro dligset (114.32) von dligid und 3. Sg. ro faim (168.12) von faimid, einem Simplex aus altirisch fo-eim. Die Analyse der überlebenden suffixlosen Präteritalformen im Cogad zeigt ebenfalls, daß nur solche Verben, die diese Bildungen bis ins Frühneuirische und darüber hinaus bewahren, diese auch im Cogad aufweisen. Bei vielen dieser Verben scheint der reduplizierte oder unreduplizierte Präteritalstamm äußerlich keine direkte Beziehung zum entsprechenden Präsensstamm aufzuweisen. Dies und die Tatsache, daß die meisten dieser Verben eine hohe Frequenz aufweisen, kann zur Bewahrung des suffixlosen Präteritums beigetragen haben. Während z.B. die Verbindung zwischen einem Präteritalstamm memad- und dem Präsensstamm maid- oder dem Präteritalstamm dám- und Präsensstamm daim- einigermaßen klar und die Ersetzung eines Präteritalstamms durch einen Präsensstamm nur ein relativ kleiner Schritt war, so waren Formen wie táinic oder adconcatar wesentlich weiter von den entsprechenden Präsentien do-icc und ad-ci entfernt. Diese Formen, die aufgrund der Semantik der Verben zu jedem Zeitpunkt in der Sprache häufig waren, können synchron sicherlich als suppletiv bezeichnet werden und waren daher widerstandsfähiger gegen eine einfache Reanalyse.47 An suffixlosen Präterita sind im Cogad unter anderem belegt: 1. Sg. Prät.-Präs. -etar (192.24), 3. Sg. ro itir (128.11) und
47 Vgl. Lewis, The Loss of the Strong Conjugation in Middle Irish, 118.
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Verbalstammbildungen in CGG
3. PI. de etatar (128.21) zu altirisch ro-finn-48 und 1. Sg. Prät. -aca (182.1), 3. Sg. otconnaic (188.9) und 3. PI. atconcatar (156.24/25) zu altirisch ad-ci.49 Weiterhin sind unreduplizierte suffixlose Präterita zu téit und do-tét im Text belegt. Diese werden wie im Altirischen von den suppletiven Stämmen lodund de-com-ued- gebildet, z.B. 3. Sg. luid (130.12), doluid (14.15) und 3. PI. lottar (28.18), dolotar (70.14) neben dacuaid (192.11) und dacuatar (34.1/2). Doch kommen neben diesen Formen auch gelegentlich s-Präterita vor. Die Form -facostar (154.22) ist 3. Sg. 5-Präteritum zum mittelirischen Simplex aus altirischem ad-ci mit unorganischem /-, und da dechastair (154.21) ist 3. Sg. Prät. zu mittelirisch déccaid aus altirischem do-éccai. Die Form dachuadas (124.26) hat die Endung eines ί-Präteriturns, 50 und 5-Präterita zu imm-tiag- sind ebenfalls belegt, z.B. ro imdig (130.11) und ro imigset (78.10). Mit dem bezeugten reduplizierten suffixlosen Präteritum steht es ähnlich. Die einzigen Formen, die beständig auftreten, sind Komposita von -icc- und die beiden Verben ro-cluinethar und fo-gaib, z.B. tanic (6.5), tancatar (12.5), rancatar (156.24), tarnic (150.12), außerdem ro cuala (70.23), -cualatar (150.16) und fuair (130.18).51 Doch auch hier begegnen sporadisch Formen von do-icc- mit Endungen des s-Präteritums, z.B. tanacais (130.21). Bei anderen Komposita von -icc- sind ausschließlich j-Präterita belegt, z.B. ro comraigset (110.9), 3. Pers. PI. Prät. zu mittelirisch comraicid < altirisch con-ricc. Andere Verben sind nur mit ¿-Präterita belegt z.B. 3. PI. ro bensat (192.22) von benaid; 3. Sg. ro tircan (92.22/23) von einem Simplex tirchanaid zu altirisch do-airchan und 3. Sg. do dluig (196.3) von altirisch dluigid. Beim altirischen Stamm des Präteritums Passiv waren Stämme auf -ss, die im Altirischen zu Verben auf Dental oder -nn gebildet wurden, unempfindlicher gegen eine Verände-
48
Vgl. do-eadar IGT III § 20. Vgl. do-chonnaic, do-chonnairc usw. IGT III § 4. 50 Vgl. do-chuadhas IGT III § 8. 51 Vgl. do-áinig, táinig IGT III § 5; -ránac IGT III § 12; do-chuala IGT III § 3; -fuair IGT III § 22. 49
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rung als die anderen Stämme; außerdem sind Stämme auf -ss auch gelegentlich bei anderen starken Verben belegt. Es überrascht daher nicht, daß diese Stämme auf -ss auch im Cogad bezeugt sind; hierher gehören tarcas (172.15) aus altirisch do-fairget, taras (116.4),52 ro thairis (126.26/27) aus altirisch do-airret und ro fes (72.22) aus altirisch ro-finnadar.5i Eine Form at-clos (54.22) aus altirisch ro-cluinethar ist ebenfalls belegt; die Form ist bereits altirisch und analog gebildet nach dem semantisch verwandten Verb ad-ci, das einen Prät. Pass. Stamm -cess hatte (GOI § 708). Aber auch bei diesen Verben mit -ss findet sich gelegentlich ein schwacher passiver Präteritalstamm. Dies ist beispielweise der Fall bei anderen Komposita zu reith-; hierhin sind zu stellen ro arraid (148.10) aus altirisch ad-reith und ro hinred (6.12/13) aus altirisch ind-reith. Auf ähnliche Weise ist mid- mit einer Prät. Pass. Form ro mided (116.5) statt altirisch -mess belegt. Dieser neue Stamm ist auch in ro femed (38.1) aus fo-ess-mid- zu sehen. Andere Verben jedoch haben das Modell der schwachen Verben ganz übernommen, z.B. ro cuibrìged (106.22) zu cuibrigid, einem Simplex aus altirisch con-rig; ro gonad (26.6) zu gonaid und ro hairged (28.11) zu airgid. Doch -frith, aus dem suppletiven Prät. Pass. Stamm zu fo-gaib, ist in dafnth (102.5/6) bewahrt. Die Form ist aber auch in den Dichterschulen erlaubt. 54 Andere altirische Formen überlebten in einer speziellen Bedeutung, als erstarrte Formen. Die 3. Sg. Prät. altirisch dorochair, torchair zu do-tuit 'fällt', genauer zum Suppletivstamm to-cer-, überlebte eine Zeitlang in der Schriftsprache in der Bedeutung 'fiel im Kampf. 55 Zahlreiche Beispiele finden sich im Cogad, die sich graphisch voneinander unterscheiden z.B. 3. Sg. idrocair (32.6), adrocair (44.5), indrocair (12.15); 3. PI. drocradar (20.20), drocairdar (24.23/26.1), do drocmtar (78.14), idrochradar (22.16/17) usw. Ebenso beweist das infi-
52
Todd liest tarros. Vgl. -feas IGT III § 20. 54 Vgl. frith IGT III § 22. 55 Vgl. torchair IGT III § 21. 53
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Verbalstammbildungen in CGG
gierte ro in der 3. Sg. ra-Präteritum tarla (142.6) nichts für das Überleben von do-cuirethar als komponiertes Verb. Die Form tarla und sein übliches Gegenstück dorala scheinen im Mittelirischen eine unabhängige Existenz erlangt zu haben und wurden in der Bedeutung 'es passierte' petrifiziert. 54 Die Bewahrung des e/o Wechsels im Präsensstamm /'-thematischer Verben, die im Präsens Passiv dlegar (54.16) zu air. dligid bezeugt ist, kann meines Erachtens ebenso erklärt werden. Da dleagha(i)r die einzige Form ist, die diese Reflexe im Mittelund Frühneuirischen bewahrt, kann dieser Archaismus aufgrund des häufigen Vorkommens der Formel dlegar X do Y erklärt werden, die weitgehend 'X hat Anrecht auf von Y' bedeutet. Dieselben Reflexe sind in 3. PI. Präs. tecait (176.28) und 1. PI. Imperativ -raecam (122.15) belegt. Komposita von -ice- scheinen dieses Phänomen jedoch länger als andere Verben bewahrt zu haben.57 Auf der anderen Seite zeigen atfet (126.28) und atrulla (6.3), 3. Sg. Prät. zu altir. as-luí, das bereits im Altirischen mit petrifiziertem infígierten Pronomen at-lui belegt ist, daß diese Verben noch als Komposita aufgefaßt wurden. Atfet scheint ein echter Fortsetzer des altirischen Zustande zu sein, obwohl an anderer Stelle im Text das Simplex indisid von indes, Verbalnomen zu altirisch ad-fét und in(d)-fét, vorkommt, z.B. 3. PI. Ind. Präs. innisit (92.24), 3. Sg. Prät. ro innis (128.8). Im Falle von atrulla ist die Form jedoch in einem Absatz belegt, der die Flucht von Étgal aus den Händen der Wikinger beschreibt. Diese Episode findet sich in ähnlichen Wortlaut in vielen Annalen. 58 Die Form atrulla kann sich daher bereits in der Quelle befunden haben, aus der der Verfasser des Cogad schöpfte, und wäre so in den Text gelangt. Schwieriger scheint rot necht (124.19) zu erklären; diese Form zeigt Bewahrung des altirischen passiven Präteritalstamms zu nigid 'wäscht'. Ein späterer Schreiber scheint Schwierigkeiten gehabt zu haben, diese Form zu verstehen; er schrieb -rt (d.h. nert) über das
56
Vgl. tarla, do-arla, do-rala IGT III § 2. Siehe Jackson AMC 118. 58 Z.B. AU, AI s.a. 824.
57
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-cht von necht. Die Form steht in einem Gedicht, das nur in dem Text der TCD Handschrift belegt ist. Metrischer Zwang kann sehr wohl den Dichter veranlaßt haben, diese besondere Form zu verwenden. Es ist ebenfalls möglich, daß das Verb hier als Teil einer Beleidigung in Sprichwortform auftritt.59 Nach dem Kontext zu urteilen a lestraib glaine rot necht /mini saige saigfear ort, wörtlich 'du bist in Gefäßen aus Glas gewaschen worden / wenn du nicht angreifst, wirst du angegriffen werden', scheint der Bezug zum Waschen in Glas, das der Dichter zitiert, um A ed Ua Néill zum Kampf gegen die Ui Briain anzustacheln, den Charakter der endgültigen Beleidigung zu haben. Schließlich ist ein s-Konjunktiv zu do-tuit in der 3. Sg. Konj. Präs. -toirtea (120.25) belegt. Eine solche Form ist in den grammatischen Traktaten nicht belegt, doch sind für dieses Verb auch andere s-Konjunktivformen bezeugt (IGT III § 21), und diese konnten dazu beitragen, daß Formen wie -toirtea länger überlebten. Auf ähnliche Weise ist eine 3. Sg. s-Futur zu do-roich in daría (172.23) belegt.60 Hier scheint das Futur anstelle des Konjunktivs verwendet zu sein, was bei diesem Verb im Mittelirischen durchaus üblich war. Der altirische Gebrauch ist daher nicht direkt bewahrt. Diese kurze Analyse der Stammbildungen in Cogad Gâedel re Gallaib zeigt somit, daß die altirischen Verbalstämme bereits zu der Zeit, da der Text verfaßt wurde, am Anfang des zwölften Jahrhunderts, umfassend transformiert worden waren. Das Verbalsystem dieses Textes hat auf dem Weg, den Präsensstamm als generellen Verbalstamm zu verallgemeinern und Präteritum, Futur und Konjunktiv durch das Anfügen verschiedener Suffixe an diesen Stamm zu bilden, bereits ein sehr weites Stück zurückgelegt. Die im Text belegten altirischen Formen sind diejenigen, die sich im allgemeinen sehr widerstandsfähig gegen einen Wandel zeigten und bis ins Frühneuirische oder noch darüber hinaus überlebt haben. Die
59
Vgl. Dictionary of the Irish Language, Dublin 1983, 478, N. 47.57-64. 60 Vgl. do-ria IGT III § 15.
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wenigen altirischen Formen, bei denen dies nicht der Fall ist, insbesondere atfet und -toirtea, stellen nur einen so geringèn Prozentsatz des gesamten Materials dar, daß sich, selbst wenn diese Formen dem Redaktor tatsächlich noch aktiv präsent waren, das hier skizzierte Bild nicht ändern würde. Da sich das Cogad historisch sicher auf den Anfang des zwölften Jahrhunderts datieren läßt, kann dieses Bild als repräsentativ für die Gelehrtensprache dieser Zeit gelten und, was die Verbalstammbildungen angeht, als Maßstab für die Beurteilung der relativen Chronologie anderer mittelirischer Texte dienen.61
61
Ich möchte Herrn Professor Pádraig Ó Riain, Cork, der das Manuskript gelesen hat, für viele Hinweise danken. Ebenso danke ich Herrn Torsten Meißner, Oxford, der mein Deutsch von Hibernizismen befreit und eigentlich erst zu Deutsch gemacht hat.
Meidhbhín Ni Úrdail, Freiburg i.Br. CATH CHLUANA
TARBH
Die Schlacht von Cluain Tarbh (Clontarf) fand im Jahre 1014 statt. 1 Der König der Dál gCais, Brian Bóraimhe, unterlag einer Übermacht von Wikingern. Sein Tod übte eine wichtige Signalfunktion aus, weil er zumindest aus der Sicht der Dál gCais den Vormarsch der Wikinger in Irland eindämmte und er dadurch die nationale Identität der Iren retten half. Die Fassung der Erzählung CCT, die ich herausgegeben habe, stammt aus der Handschrift BL Egerton 1062 und ist, so viel ich weiß, die früheste handschriftliche Niederlegung dieser Erzählung. Die Handlung findet in der Nähe von Dublin statt, wo sich Brians Armee und seine Gegner, die Männer aus Leinster, zusammen mit den Wikingern sammeln. Eine lange Liste von Helden wird aufgezählt. Da es Karfreitag ist, bleibt Brian betend in seinem Zelt: Adubhairt Brian nach ë deireadh do c/¡uir[f]ead/i ar an cCargkus [a] dhol a ccath do mharbhadh daoine η ro fhan iona p/tobal fein.3 "Brian sagte, um Menschen in der Schlacht zu töten, würde er nicht die Fastenzeit enden, und er blieb in seinem eigenen Zelt." Sein Sohn Murchadh übernimmt die Führung. Am Ende wird eine zweite lange Liste, diesmal der Toten auf beiden Seiten aufgeführt, und die Dál gCais kehren nach Süden zurück. Mör an sgëal do torchradh ann sin .i. Brian_ mhac Cinnëide mheic Lorcäin .i. ceat/irom/iadh gein socftair Eireann riamh .i. Brian ar iarmhair Lochlannach do dhlbirt η d'ionnarbadh η ar
1
Ich habe die Erzählung Cath Chluana Tarbh (CCT), d.h. "Die Schlacht von Cluain Tarbh", als Teil meiner Magisterarbeit im Sommer 1991 am University College Cork neu herausgegeben: Litríocht Dhál gCais: An Fráma Ginearáltha bzw. Die Literatur von Dál gCais: ein Überblick. Mein Dank gilt Prof. Dr. Seán O Coüeáin für seine Betreuung der Arbeit und Prof. Hildegard L.C. Tristram für ihre Hilfe bei der Redaktion dieses Artikels. 2 Fol. 128-132b. Siehe Robin Flower, Catalogue of Irish Manuscripts in the British Museum II, London 1926, S. 329 ff. 3 Hs. Eg. 106, fol. 129a.
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an daoirse do bhl aca ar fftearuiWi Ereann do thögbhail dlobh tair êis a ttug Ceallachân Chaisil do chathaibh dhöibh roimhe sin -| Eoghan Mör mhac Mogfta Nuadhad, an dara gein ar a bhfoirighin ön ngorta. Agus Fionn mhac Cumhaill, an treas gein dä bhfurtacht ön mbö dhlt/i a n-aimsir Chorma/'c mheic Airt, gonâr faigeadh do bhuaibh a nEirin« acht aon tsamhuisg a nGleann Samhuisge4 a ccöigeadh Chloinne hlr, go ttug Fionn η a fhiana seacht mba η tarbh t/iar säile anali do gach baile a nËiriwi.5 "Ein großes Ereignis ist dort [d.h. in Cluain Tarbh] geschehen, nämlich daß Brian mhac Cinnéide mheic Lorcáin - d.h. die vierte Friedensgeneration von Irland überhaupt - den Rest der Wikinger aushub und vertrieb und die Zwangsherrschaft, die sie über die Männer Irlands ausgeübt hatten, aufhob. [Das Ganze] nachdem Ceallachân Caisil ihnen [d.h. den Wikingern] zuvor Kämpfe geliefert hatte. Und Eoghan Mór mhac Mogha Nuadhad die zweite Generation, die die Iren vor der Hungersnot bewahrt hatte. Und Fionn mhac Cumhaill die dritte Generation, der die Iren von den zerstörten Kühen in der Zeit von Cormac mhac Art gerettet hatte, so daß es nur eine Färse in Gleann Samhuisge im Herrschaftsgebiet von Clann Ir gab, so daß Fionn und seine Gefolgsmänner sieben Kühe und einen Stier über das Meer her zu jedem Dorf in Irland brachten." Wie man an dem Zitat sieht, vermischen sich hier die historischen Elemente der Erzählung mit romanzenhaften Zügen, so daß sich eine Überhöhung der erzählerischen Wirklichkeit ergibt. Laut ihrer lateinischen subscriptio in der Hs. Eg. 106' soll die Erzählung zuerst von einem gewissen McCarthy in der Mitte des 17. Jh. in Castleisland (Baile an Oileáin) in der Grafschaft Kerry niedergeschrieben worden sein: Sgriptum per me Eugenium Carti Baile an Oilëin aedib«s domini Tadei Deirmisi Cormaci Carti anno domini 1648 undesimoque Januarii.7 Die Fassung in der Hs. Eg. 106 ist also eine Abschrift. Diese wurde im Jahre 1715/16 von Seón (Seán) Mac Solaidh ange-
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Der Schreiber hat zuerst angefangen, tamu zu schreiben. Ibidem fol. 130b. Fol. 132b. Fol. 132b.
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fertigt, wie eine weitere, diesmal auf Irisch geschriebene subs c r i p t s angibt: Arna athsgrlohftad/i le Seón m/iac Solaidh a mBaile Hardaman a bporraisde Thighthe Calläin, a cCondae na Midhe η a mbarüntacht Släinghe ... an t-ochtmhadh [l]ä .X. do mhï Feab/iradh an bhiiadhain d'aois an Tigfeearna 1715/16.8 Mac Solaidh war nicht der alleinige Schreiber dieser Handschrift. Außer ihm waren an der Fertigstellung von Eg. 106 noch vier Personen beteiligt: Uilliam O Loinsigh, Risteárd Tiobar und Éadbhard O Rathaille. Diese schrieben in Dublin und in der Grafschaft Meath. Mac Solaidh stammte aus Baile H a r d a m a n in der Nähe von Tara,' und die anderen Schreiber bekannten sich zu der sog. O Neachtain - Schule, einer Kerngruppe von Gelehrten am Anfang des 18. Jh. in Dublin. 10 Sie sammelten und schrieben Handschriften zur Geschichte und Literatur Irlands unter der Leitung des Dichters und Literaten Tadhg O Neachtain ab. 11 CCT erscheint in der Handschrift nach der ossianischen Ballade Túarusgabhal cátha G a b h r á sonn. 12 Auf die Erzählung folgt eine Elegie über Brian BÓraimhe Marbhnaigh Briain Bhoroimhe, 13 worin der Tod Brians und seines Sohnes Murchadh beschrieben wird. Wenn man die Handschriftenkataloge irischer, britischer, amerikanischer und italienischer Bibliotheken durchblättert, kann man leicht nachvollziehen, wie beliebt CCT bei den Schreibern des 18. und 19. Jh. in Irland war und wie sehr sie
8
Ibidem. In der Hs. RIA 23 Κ 37 stellt Mac Solaidh seine Genealogie dar: Seón mac Emuind mhic Donnchadha mhic Muiris Mhic Solaidh (S. 219). 10 Siehe Alan Harrison, Ag Cruinniú Meala, Dublin 1988, S. 40-41. 11 In seinem Gedicht Sloinfead scothadh na Gaoidhilge grinn, Anfang des 18. Jh., rühmt O Neachtain die literarischen Gelehrten in Dublin. Es werden sechsundzwanzig Namen erwähnt, u.a. Mac Solaidh, Tiobar und Ó Loinsigh. Siehe T. F. O'Rahilly (Hrg.), Irish Scholars in Dublin, Gadelica 1, Nr. 3 (1913), S. 156-162. 12 Ein Bericht über die Schlacht von Gabhair, fol. 124b. Eine Fassung davon hat Nicholas O'Kearney 1853 in Transactions of the Ossianic Society 1 herausgebracht. 13 Der Tod von Brian Bóraimhe, fol. 133a. 9
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sich für diesen Stoff interessierten. Keine handschriftliche Fassung geht jedoch weiter zurück als das 18. Jh. Allein in der Royal Irish Academy taucht CCT in vierunddreißig Handschriften auf, von denen vier ins Englische übersetzt und zwei unvollständig sind. In der British Library gibt es vier; in der National Library of Ireland befinden sich sechszehn, wovon zwei lückenhaft sind; im Trinity College Dublin, St. Patrick's College Maynooth, und im University College Cork finden wir fünf Versionen; vier in der Hyde Collection in Galway, drei in der University of Wisconsin-Madison und in St. Coleman's College, Fermoy, Co. Cork, und zwei in der Torna Collection der Universität Cork, eine davon unvollständig. In der Llyfrgell Genedlaethol Cymru, Aberystwyth, gibt es zwei Fassungen; jeweils eine Fassung gibt es im Coláiste Eoin, Waterford, im Coláiste na nGael in Rom, in der Liverpool University Library und im Stonyhurst College Lancashire.14 Das ergibt
14
Siehe: T. K. Abbot, E. J. Gwynn, Catalogue of the Irish Manuscripts in the Library of Trinity College, Dublin (Dublin, 1921); C. G. Buttimer, Catalogue of Irish Manuscripts in the University of Wisconsin-Madison (Dublin, 1989); A. de Búrca, MSS in Dr. Hyde's possession, catalogued by Aine de Búrca, 1926-27 (15 handgeschriebene Bände, in der University College Library), NLI pos 474; P. de Brún, Clár Lámhscríbhinní Gaeilge Choláiste Ollscoile Chorcaí: cnuasach Thorna, I-II (Dublin, 1967); idem, 'Cnuasaigh de Lámhscríbhinní Gaeilge: Treoirliosta', Studia Hibernica, 7 (1967), S. 146-81(167); vgl. idem, Lámhscríbhinní Gaeilge: Treoirliosta (Dublin, 1988), S. 35; A. Mac Lochlainn, 'Irish Manuscripts at Liverpool', Celtica, 4 (1958), S. 217-38; Ni Dhonnchadha, M. E., Clár na Lámhscríbhinní insan leabharlann i gColáiste na hOllscoile, Corcaigh (unveröffentliche Doktorarbeit der Universität, Cork 1943); siehe auch Β. O Conchúir, Clár Lámhscríbhinní Gaeilge Choláiste Ollscoile Chorcaí: Cnuasach Uí Mhurchú (Dublin, 1991); Ni Shéaghdha, N. et al., Catalogue of Irish Manuscripts in the National Library of Ireland, I-XII (Dublin, 1967-90); T. F. O'Rahilly, K. Mulchrone et al., Catalogue of Irish Manuscripts in the Royal Irish Academy, I- XXVII, Index I-II (Dublin, London, 1926-58); T. Ó Concheanainn, idem, XXVIII (Dublin, 1970); P. O Fiannachta, 'Lámhscríbhinní Gaeilge Choláiste na nGael sa Róimh', Studia Celtica, 3 (1968), S. 53-65; idem, Clár Lámhscríbhinní Gaeilge, Leabharlanna na Cléire agus Mionnchnuasaigh, I-II (Dublin, 1978-80); S. H. O'Grady, R. Flower, (M. Dillon), Catalogue of Irish
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insgesamt siebenundachtzig handschriftliche Fassungen dieser Erzählung. Meine Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie zeigt aber, wie populär CCT im 18. und 19. Jh. war.15 Darüber hinaus gibt es extratextuelle Hinweise auf die Erzählung. In der Hs. 12 Q 13 der Royal Irish Academy aus dem Jahre 1874, die Angaben über die irische Sprache und Literatur am Ende des 19. Jh. macht,16 wird sie ebenfalls erwähnt; diese Handschrift zählt CCT zu den Texten, die bis zum letzten Viertel des 19. Jh. am häufigsten in den Handschriften aus Munster auftauchen. Wenig später hat der Historiker Eoin Mac Néill eine Fassung aus den Handschriften ediert.17 Leider gibt er seine Quellen nicht an, sagt aber, sie sei eine Geschichte d'aithris ughdar éigin, d.h. "die ein Autor erzählt hat". CCT gehört zu einer Reihe von handschriftlichen Erzählungen, die mit annalistischen Zitaten verbunden wurden und - laut Robin Flower - 'a kind of romantic history of Munster AD 174-1138' darstellen18. Außerdem bemerkt er in seinem Katalog,19 welche Ähnlichkeiten es z.B. zwischen den Hss. Eg. 106 und Eg. 15020 gibt, denn beide enthalten ein ganz be-
Manuscripts in the British Museum, I-II (London, 1926, 1953); P. O Riain, Clár na Lámhscríbhinní Gaeilge sa Bhreatain Bhig (Dublin, 1968); P. Walsh, Catalogue of Irish Manuscripts in Maynooth College Library, Bd. 1 (Maigh Nuadhad, 1943), P. Ó Fiannachta, Lámhscríbhinní Gaeilge Choláiste Phádraig Má Nuad: Clár, Bd. IIVII (Má Nuad, 1965-73). 15 John O' Donovan's Übersetzung der CCT Fassung aus der Hs. H.1.13 (1287) in Trinity College Dublin zeigt das Interesse an dieser Erzählung. Siehe 'The Battle of Clontarf, Dublin Penny Journal, Bd. 1, Nr. 17 (1832), S. 133-136. 16 Siehe Alan Bruford, Gaelic Folktales and Mediaeval Romances (Dublin 1969), 56, 65 n. 7; zuerst in Béaloideas, 34, 1966 (1969), S. vii & 1-284 erschienen. 17 'Cath Chluana Tairbh', Irisleabhar na Gaeilge, 7 (1896), S. 8-11, 41-44, 55-57. 18 Op. cit., 396. 19 Op. cit., 395-7. 20 Niedergeschrieben 1773-4 von mindestens vier Schreibern für Seán O Maoldomhnaigh in der Grafschaft Limerick. Siehe Flower
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Cath Chluana Tarbh
stimmtes Kompendium von Erzählungen. Im besonderen sind dies: Cath Cnucha, Cath Maighe Léana, Cath Maighe Mucroimhe, Cath Críonna, Cathughadh Cheallacháin Chaisil und Cath Chluana Tarbh. Die annalistischen Zitate zwischen den einzelnen Erzählungen enden mit dem Tode von Cormac Mac Cárthaigh, einem der Munster-Könige des 12. Jh.. Flower behauptet, daß dieses Kompendium MacCárthaigh-Propaganda sei.21 Die gleiche Sammlung von Erzählungen taucht auch noch in fünf weiteren Handschriften auf: Hs. NLI G. 22, Hss. R I A 24 L 21, 12 F 20, 23 Κ 37" und Hs. 12029 M in der Universitätsbibliothek Liverpool. Alle wurden in Munster bzw. in Cork, Limerick und Kerry verfaßt und stammen aus dem Ende des 18. Jh. oder dem Anfang des 19. Jh. In der Hs. NLI G. 22 aus dem Jahre 1773 findet sich ein Name für dieses Kompendium, zu dem CCT gehört: This MS. entitled The Compendium of Palles, recites the Wars and Loves of the earliest Irish Heroes, composed by the ancient Bards, who usually attended their Princes - Palles, near Cashell, in the County of Tipperary, was the residence of the Ancient Monarchs of Ireland - This Compendium was formed out of the Annals kept there by the Bards, who noted down all the Events of the Country - The original Irish Ms is now [1774] at Cashell probably in the Archives of the Abp. of Cashell - from whence this copy was taken by a poor man belonging to the County of Kerry, and presented to me by Arthur Blenerhasset of Dover Street Esq Dec the 20th 1774 - And: Coltee Ducarel.23 Laut Andrew Ducarel, dem Empfänger dieser Handschrift, existierte anscheinend ein Buch von Palles in der Buchsammlung der Diözese in Cashel, von dem die Handschrift von Tomás O Súilleabháin im Jahre 1773 abgeschrieben worden sein soll. Alan Harrison 24 fügt noch hinzu, der Erzbischof von
(1926), op. cit., 395 ff. 21 Ibid. 396. 22 Auch von Seán Mac Solaidh niedergeschrieben. 1714, 1715/16, 1717, 1718, 1772, 1774 sind die Daten, die in der Handschrift erscheinen. Vgl. Anm. 9 oben. 23 Fol. 1, recto. Siehe Ni Shéaghdha, op. cit., Bd. II, S. 14. Die Handschrift wurde von Tomás O Súilleabháin niedergeschrieben. 24 Who wrote to Edward Lhwyd?, Celtica 16 (1984), S. 175-178 (176, Anm. 8.).
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Dublin besitze eine Buch- und Handschriftensammlung, zu der mindestens eine irische Handschrift gehöre. Es ist davon auszugehen, daß eine Kopie des Leabhar Gearr na Pailise den Schreibern in Dublin - der O Neachtain Schule - am Anfang des 18. Jh. zur Verfügung stand, während sich eine zweite Fassung, oder sogar der Urtext, am Ende des 18. Jh. in Munster befand. Im übrigen zählte Edward Lhuyd, der bekannte walisische Archäologe und Philologe, in seiner 1707 erschienenen Archaeologica Britannica, dieses Leabhar Gearr na Pailise - The Compendium of Palles zu den damals weit verbreiteten Handschriften Irlands; heute existiert es jedoch nicht mehr. Dieser Titel Leabhar Gearr na Pailise taucht ferner auch in den Handschriften 12 F 2025 und 12029 M26 auf. Merkwürdigerweise kommt er nicht in den anderen vier Handschriften vor27 und wird nicht als handschriftliche Quelle bezeichnet. Nessa Ni Shéaghdha ist aber überzeugt, daß Eg. 106 das früheste handschriftliche Zeugnis dieser Überlieferungskette ist: 'the earliest known copy is that referred to in the colophon in Eg 106 and was apparently written by Eoghan mac Carrthaigh in 1648'.28 Die einzelnen Erzählungen von CCT unterscheiden sich nur in manchen Details voneinander. Die Fassung in der Hs. Eg. 106 fängt z.B. im Jahre 1034 an, als sich die Gegner außerhalb Dublins sammeln.29 Viele Fassungen stimmen mit
25
As mhac mhic leabhair Giolla [recte Ghearr] na Pailise (S.
118). 26
Ar na sgríobhadh as an leabhar dà ngoirthear leabhar géar na Pailise (s. Mac Lochlainn 1958, S. 220). 27 Der Schreiber der Hs. RIA 24 L 21 zitiert das Buch von Munster als seine Quelle: Arna sgríobh as an leabhar dà ngoirthear Leabhar Muímhneach ansa mbliadhain d'aois Criost 1811 Seághan Ua Dóghbhuir (s. RIA Cat., 2541). 28 Ni Shéaghdha (1967-90), op.cit., Bd. II, S. 14. 29 Anno domini ceithre bliadhna déag η fiche η mile, do rinne Brian sluagh Mum/ια/ι, η Connacht, η bhfear Midhe [do ghairm], go rabhadar a bhfoslongphort ar Ghalluibh η ar Laighnibh ö Lughnasa go Nodhluig, η ni bhfuair cath nò braighde ó Ghalluibh nó Laighnibh (S. 128).
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diesem Datum überein, 30 andere dagegen fangen mit anderen Daten an.31 Außerdem wird behauptet, daß die Männer aus der Grafschaft Meath und deren König Maoilseachlainn Brians Armee verlassen hätten, als die Armee vor Dublin hielt. Als Grund dafür wird Verrat angegeben, 32 weil die Männer aus Meath den Wikingern geholfen hätten.33 Abgesehen davon weisen die einzelnen Erzählungen noch unterschiedliche Listen von den Männern der beiderseitigen Armeen auf, die an der Schlacht beteiligt waren. Wo tauchen, abgesehen von den einzelnen Erzählungen mit dem Titel CCT, in der irischen Literatur weitere Berichte
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Hss. RIA 24 L 21, 23 Κ 37, NLI G. 22, G. 147, G. 324, Liv. 12029 M, Cork C 61 und BL Eg. 150. Vermutlich hatten die Schreiber dieses Datum Seathrún Céitinns pseudohistorischen Bericht Foras Feasa ar Eirinn entnommen. McCarthy hat seinen Text 15 Jahre später in Castleisland verfaßt. John Ryan behauptet, daß Marianus Scotus (1028-1082/3) dieses Datum der Schlacht als erster angegeben hatte. Siehe '"Irish and Norse Traditions about the Battle of Clontarf", Reviews', Irish Historical Studies, II, Nr. 5 (1940), S. 93-97 (95). Des weiteren sagt McCarthy am Ende seines Textes in der Hs. Eg. 106, daß diese Erzählkette, die mit dem Tode Cormac Mac Cárthaighs zu Ende kommt, sich um ein foras feasa grundlegendes Wissen - für die Iren handelt. Ich vermute, daß der Schreiber Céitinns Werk im Kopf hatte. 31 CCT fängt in den Hss. RIA 23 H 15, 12 F 20 und Wis. 178 (b) mit 1022 an, mit 1002 in der Fassung der Hs. RIA 23 Ν 18, mit 1012 in den Hss. BL Add. 29,614, NLI G. 371 und RIA 23 Η 18. Kein Datum taucht jedoch in der Fassung der Hss. RIA 24 L 21, 24 C 14, NLI G. 96, G. 161, G. 360, G. 394, G. 636, Wis. 175, Cork C. 5 (g) auf. In den Hss. RIA 24 C 57, NLI G. 63, G. 121, G. 641 wird das korrekte Jahr 1014 angegeben. 32 In den Hss. BL Eg. 106, Eg. 150, RIA 12 F 20, 23 Ν 18, 23 H 18, NLI G. 22, G. 147. 33 Manche handschriftliche Fassungen betonen ausdrücklich diesen Verrat. Er bewirkt selbst bei den Schreibern eine starke Reaktion. Die Fassung in der Hs. Stony. A 2 20, angefertigt im Jahre 1701/02, weist den Leser am Schluß ausdrüklich darauf hin, daß es eine Verschwörung zwischen Maolseachlainn und den Wikingern gab: Féach a léaghthóir ... do bhí do cheilg idir [Maolseachlainn] agus Lochlonnaicc ... acht aseadh do rín é féin agus a shluagh d'anmhuin do leataoibh an chatha, amhuil d'ornduigheadar Lochlonnaicc dhó (S. 428).
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über das historische Ereignis der Schlacht von Cluain Tarbh auf? Wenn es wahr ist, was der Historiker John Ryan behauptete: 'no battle in Irish history has impressed itself more deeply on the national imagination than the Battle of Clontarf, 34 so müßte es eigentlich noch viele andere Berichte darüber geben, sowohl historische als auch literarische. Dem möchte ich im folgenden nachgehen. Im Cogadh Gaedhel re Gallaibh (CGG)35 haben wir den ersten Bericht über die Schlacht von Cluain Tarbh. CGG wurde vermutlich am Anfang des 12. Jh. niedergeschrieben und ist ein ungewöhnliches Werk, weil sich darin historischannalistische Berichte mit romanzenhaft-literarischen Motiven vermischen. Der erste Teil dieses Werkes (bis einschließlich Kapitel 34) weist zwar starke Verbindungen mit den irischen Annalen auf, stellt aber dennoch eine eigenständige historische Quelle dar36. Im Gegensatz dazu steht der zweite Teil, den Donnchadh O Corráin 'a superb piece of Ua Briain propaganda' bezeichnet hat.37 Er ist laut John Ryan 'the official panegyric of the Dál Chais'.38 Brian Bóraimhe und sein Sohn Murchadh erscheinen hier als Helden par excellence. Sie mehren nicht nur den Ruhm der O Briain-Sippe, sondern schützen darüber hinaus auch ganz Irland vor dem Feind. Während der Eroberungszüge der Dál gCais am Anfang des 34 'The Battle of Clontarf, Journal of the Royal Society of Antiquaries of Ireland 68/1 (1938), 1-50 (1). 35 J. H. Todd (Hg.), Cogadh Gaedhel re Gallaibh (London, 1867). Neuausgabe angekündigt von Máire Ni Mhaonaigh (Instiúid Ardléinn Bhaile Atha Cliath). 36 A. Goedheer behauptet, daß eine Fassung der Annalen von Ulster dem Verfasser von CGG zu Verfügung gestanden haben müsse: Irish and Norse Traditions about the Battle of Clontarf (Haarlem, 1938); S. Mac Airt (Hrg.), The Annals of Inisfallen (Dublin, 1951) führt diese als mögliche Quelle an; R. Leech, 'Cogadh Gaedhel re Gallaibh and The Annals of Inisfallen', North Munster Antiquarian Journal, XI (1968), 13-21, betrachtet CGG als eigenständige Quelle. 37 'Caithréim Cheallacháin Chaisil: History or Propaganda?', Ériu 25 (1974), 1-69 (69). 38 'The Dalcassians', North Munster Antiquarian Journal, 4, Bd. 3 (1943), S. 189-202 (191).
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12. Jh. sollte der Clan und seine Anhängerschaft vermutlich aus der CGG Mut und Kraft schöpfen. In CGG führt alles, was gall 'fremd' ist, auf den falschen Weg. Der gesamte zweite Teil, also die Kapitel 34 ff., beschäftigt sich mit dem Hauptfeind der Dál gCais: den Wikingern.39 Die Männer aus Leinster dagegen, die auch zu den Gegnern der Dál gCais in Cluain Tarbh gehörten, werden nicht auf diese Weise beschrieben. Um der Propaganda willen wird ferner ein besonderes Konstrukt geschaffen: Es wird behauptet, in dieser Schlacht habe das Christentum über das Heidentum gesiegt. Sonst hätte das Werk nicht so häufig die von den Wikingern verursachte Zerstörung und Vernichtung der Klöster Irlands erwähnt. Die Dál gCais führten nicht nur Krieg gegen die Wikinger, sondern vertraten überhaupt die Angelegenheiten der Kirche und des Christentums in Irland. Da sich Dál gCais im frühen 12. Jh. in die organisatorischen Veränderungen der Kirche einmischte,40 wäre eine solche politische Funktion des Textes plausibel. Die historische Wirklichkeit hat jedoch vermutlich anders ausgesehen. In Wirklichkeit wollte Brian Bóraimhe Leinster bzw. Dublin erobern, um seine eigene Herrschaft zu festigen.41 CGG erweist sich darüber hinaus als ein Text, der auf der einen Seite einen Blick zurück in die Vergangenheit wirft, indem er die zunehmende Macht und Stärke der Dál gCais in Munster im 10. Jh. beschreibt, der aber auch die Gegenwart betrachtet, als die Sippe am Anfang des 12. Jh. immer noch mächtig war. Daher wird versucht, die Herrscherolle der Dál
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Es gibt eine ganze Reihe von Synonyma für die Wikinger. Sie werden Danaraibh (Dänen), Duibgenti Danarda (dänische Schwarzheiden), Genti (in den Annalen als Bezeichnung für die Skandinavier), Gallaibh, Allmuraig, Allmarda gaill (skandinavischer Eindringling, vom Meer her) genannt. Die häufig verwendete Bezeichnung Lochlannaigh als Verallgemeinerung erschien erst viel später in der Literatur. Siehe Séamas O Duilearga, 'Scéalta i dtaobh na Lochlannach\ Béaloideas 1 Nr. 2 (1927), 182-187 (184 Anm. 15). 40 Siehe z.B. K. Simms, From Kings to Warlords (Suffolk, 1987), S. 63. 41 Siehe D. O Corráin, Ireland before the Normans (Dublin, 1972), S. 130-1.
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gCais zu zementieren: der Besuch Aoibhealls bei Brian drückt dies aus. Aoibheall symbolisiert das Königtum als Frau, die ihrem geliebten Mann erscheint, und bei diesem Treffen stellt sich heraus, daß Brians Sohn Donnchadh der nächste König Irlands sein wird. Der Herrschaftsanspruch der Dál gCais wird dadurch nicht nur für Munster sondern für ganz Irland erhoben.42 CGG muß also einerseits als ein literarischer Text betrachtet werden, der ein bestimmtes historisches Ereignis verarbeitet (besonders im Teil 1), andererseits auch als Beispiel für gezielte O Briainsche Propaganda (und dies besonders im Teil 2). Auch im Leabhar Oiris - 'Buch der Chroniken', herausgegeben von Richard I. Best,43 findet sich eine Darstellung der Schlacht von Cluain Tarbh. Das gesamte Werk ist hauptsächlich ein Bericht über die verschieden Schlachten, die Brian Bóroimhe von 979 bis zu seinem Tode geschlagen hat. Wie die einzelnen CCT- Erzählungen findet sich LO in mehreren Abschriften des 18. und 19. Jh. Unter anderem hatte Seán Mac Solaidh im Jahre 1711 die handschriftliche Fassung geschrieben, die Best herausgegeben hat.44 Im Vergleich zu den CCT-Erzählungen kommt uns die Darstellung der Ereignisse in Cluain Tarbh in der LO-Version trocken vor: sie ist eher faktenbezogen. Die Erscheinung von Aoibheall, der Göttin der Dál gCais, zusammen mit Dubhluing O hArtagáin, dem Feenfreund 45 von Murchadh, werden nicht berichtet. Der Blickwinkel richtet sich im LO nur auf die Dál gCais, wobei
42
Die Funktion von Aoibheall ist in den romanzenhaften Erzählungen von CCT eher die der Feenfrau als die der Herrschaftsgöttin. Die Begegnung wird darüber hinaus in dramatischer Dialogform gestaltet. 43 'The Leabhar Oiris', Ériu, 1 (1904), S. 74-112. 44 An der Fertigstellung dieser Handschrift, 23 E 26 der RIA war auch Risteárd Tiobar beteiligt (siehe oben). 45 Vgl. Hs. RIA: 23 H 15: síoguidhe do bhí na charaid ag Murchadh; 23 H 18: síoguíde do bhí do charaid ag Murchadh; Hs. Stony. A 2 20: síoguídhe do charaid ag Murchadh. In der Hs. Eg. 106 wird Dubhluing nicht so ausdrücklich genannt: Asi sin uair η aimsir tharla Dubhluing O hArtagáin ar an magh os cionn an c/iatha.
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einzig die militärischen Erfolge Brian Bóraimhes von Wichtigkeit sind. Brian Bóraimhe und in zunehmendem Maße auch sein Sohn Murchadh sowie die Dál gCais-Helden des 10.- 11. Jh., deren Namen ursprünglich mit den historischen Ereignissen verbunden waren, werden in der späteren Literatur zu Romanzenhelden.44 Ihre Verbindung mit dem historischen Ereignis in Cluain Tarbh wird nicht mehr hergestellt, sondern das Undeutliche, die neblige Welt von Tir na nOg, Sliabh Riffe, Sorcha, Dreóllainn, wo Murchadh besonders gegen das Übernatürliche kämpfen muß, treten in den Vordergrund. Drei Romanzen, die sowohl einen mündlichen als auch einen schriftlichen Hintergrund haben, gehören zu solchen Dál gCais-Erzählungen. Alle drei handeln von Zauberei und übernatürlichen Ereignissen. In CGG wird zwar schon Murchadh mhac Briains Kontakt zu An Domhan Sidhe/Si, der übernatürlichen, 'anderen' Welt, erwähnt. Murchadh sagt hier zu Dubhluing,47 der ihn vor der Schlacht von Cluain Tarbh besucht: 'acht ém cena,' ar Murchadh, 'is menic tarcas damsa i sithaib, ocus i sithbrugaib, in betha sin, ocus na cornada, ocus nir treigius oen aidchi mo tir, no mo ducus oro' (S. 172).
'ich bin oft in den Si-Siedlungen, Si-Hügeln jenes Lebens gewesen, aber ich habe deswegen nie eine Nacht lang mein Land oder meine Kultur verlassen'. Dieses mit Murchadh verbundene Motiv der Anderwelt der Sí wird in den drei Erzählungen Leigheas Coise Céin (LCC), Dithreabhach Ghlinne an Phéice (DGP), Giolla an Fhiugha (GF) übernommen und ausgeführt. Es sollte noch erwähnt werden, daß es in Irland und in Schottland auch heute noch viele mündliche Erzählungen gibt, die von Murchadh und seinem Kontakt mit Sí/Lucht Sí handeln. Dies ist aber nicht der Ort, darauf einzugehen; denn im folgenden möchte ich die drei erwähnten romantischen literarischen Erzählungen
46
LO bleibt jedoch eine Ausnahme, da es mehr faktenbezogen
47
Vgl. Anm. 45 oben.
ist.
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LCC, DGP, GF und die Handschriften, in denen sie sich finden, behandeln. GF ist handschriftlich spät überliefert, dh. alle Handschriften sind ins 19. Jh. zu datieren.48 Murchadh mhac Briain besucht für ein Jahr und einen Tag die andere Welt, Tir na nOg, und rettet ein schönes Mädchen vor dem Riesen. Die gesamte Sprache der Erzählung ist, obwohl schriftlich, mit rothaig stilisiert - das sind typische Redewendungen, die einer starken mündlichen Tradition entspringen.49 Die Interaktion zwischen mündlicher und schriftlicher Tradition ist hier besonders auffällig. Murchadh spielt auch in DGP die Hauptrolle. Drei handschriftliche Beispiele stehen zur Verfügung. Alan Bruford hat die früheste, die aus dem 17. Jh. stammt, herausgegeben.50 Sie kommt aus Schottland. Die übrigen zwei Handschriften stammen aus der ersten Hälfte des 19. Jh. und aus Cork.51 Merkwürdigerweise tauchen in Munster keine mündlichen Varianten der Erzählung auf.52 Die Erzählung erinnert an eine Ossianballade. Die Helden gehen auf eine Jagd, wobei viele irische Ortsnamen, aber auch Helden der Dál gCais aufgezählt werden; ich zitiere aus der schottischen Version, da hier das Exordium gehaltvoller ist: Sealg mhór do chomoradh le Brian Boruidh mac Ceinaduidh fan Chritalidh η fa Loch Deargartuidh η fa Mhagairse maghruaidhe η fa Horchosloch -\ fa iomlaibh Locha Lethan lanfharsuing η fa Mhumhan mhor dona hiomlibh; η as iad do bhi ' comoradh na seilge sin maille clan riogh Erionn mur ata: Donnchu mac Brian η Murchadh mac Brian, Taodhg η Toirdhealb-
48
Die sieben vorhandenen Handschriften stammen aus Cork und Clare: das Jahr 1811 ist die früheste handschriftliche Datierung, 1857 die späteste. 49 Eine Ausgabe hat Douglas Hyde herausgebracht. Siehe Giolla an Fhiugha, Irish Text Society 1, Nr. X (1899). 50 'Murchadh mac Briain agus an Dithreabhach', Eigse, 12 (1968), Bd. iv, 301-326. Die Hs. NLS 36 wurde 1690-1 in Schottland von Eoghan Mhac Ghilleóin niedergeschrieben. 51 Hs. Murphy 18 in St. Patrick's College, Maynooth, geschrieben 1817, und Hs. RIA 24 Β 35 eine Abschrift davon, 1841 niedergeschrieben. 52 Siehe A. Bruford (1969), op. cit., 257.
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hach, Cenaidhti η Lorcan, η maithibh Dal Chais η laochradh Luimhneach η fir Mhaigh O Dorna, η fir mhor-dhearga Mumhan η laochradh lamhdhearg Laighen η fir ordhearca Uladh ar gach taobh do ri Erionn.53 Eine solche Liste von bekannten Ortsnamen, so wie sie hier angegeben wird, erweckt das unmittelbare Interesse des Zuhörers. Das Reizvollste an dieser Erzählung liegt aber darin, daß sich die bekannte und die unbekannte Welt vermischen. Wie Murchadh von seinem Gefolge getrennt wird und durch den Nebel in die 'andere Welt' des Sí eingeht, bis er auf den Einsiedler - dithreabhach - trifft, erinnert an Fionn mac Cumhaills ähnliche Erfahrung in einer Ossianballade, die uns schon aus dem 12. Jh. erhalten ist.54 Im Hinblick auf die handschriftliche Tradition ist LCC die älteste der drei Romanzen und stammt aus der Mitte des 15. Jh. Sie kommt aus der Grafschaft Cavan.55 Die einzige andere Handschrift wurde zwischen 1671 und 1674 von Dáibhídh O Duibhgennáin in Sligo verfaßt.56 Die beiden handschriftlichen Fassungen von LCC unterscheiden sich kaum. O Duibhgennáin benutzt mehr Adjektive in seinen Beschreibungen als die Cavan-Hs., was ein typisches literarisches Stilistikum für das Frühneuirische bzw. klassische Irische ist. Unter den Titel setzt O Duibhgennáin den Kommentar: sgél dona míbhlasdu a ngan Amhrus - 'ohne Zweifel eine schlechte Erzählung'. 57 Die genaue Bedeutung dieses Satzes ist unklar, denn es könn-
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Bruford (1968), op. cit., 305. Siehe E. Mac Néill, Duanaire Finn, 1, ITS, VII (1908), 39 ff. 55 Hs. Eg. 1781 der British Library. Ein Teil dieser Handschrift wurde bereits in den Jahren 1484 und 1487 geschrieben. Der Verfasser von LCC ist unbekannt. Standish H. O'Grady hat diese handschriftliche Fassung mit Übersetzung herausgegeben. Siehe Silva Gadelica, Bd. 1 (London, 1892), 296-305; Bd. 2, 332-342. 56 Hs. RIA Β iv 1 der Stowe Sammlung. O Duibhgennáin war ein Mitglied der gelehrten O Duibhgennáin-Familie aus dem Nordwesten Irlands. Er war einer der berühmsten Schreiber Irlands und ist mit Peregrine/Cúcoigríche O Duibhgennáin, einem der Four Masters, verwandt. Siehe P. Breathnach, 'David O Duigenan, Seribe', The Irish Book Lover, Januar-Februar, 1932, 4 ff. Vgl. P. Walsh, Irish Men of Learning (Dublin, 1947), 25-33. 57 Hs. RIA Β iv 1, fol. 180a. 54
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te sowohl der Inhalt als auch die handschriftliche Qualität der Vorlage gemeint sein, die O Duibhgennáin zur Verfügung stand. Um den Zusammenhang mit den Dál gCais herzustellen: Das Bein von Cian mhac Maolmhuaidh, eines Gefolgsmannes von Brian Bóraimhe, soll in dieser Erzählung geheilt werden. Er übernimmt die Rolle des Zuhörers, als sein Neffe - Macámh an Fhagháin - seine abenteuerlichen Erlebnisse bei der Errettung seiner Frau vor dem Bösen erzählt. Kompositorisch ist die ganze Geschichte eine Aggregation von Einzelerzählungen, die in der 'anderen' Welt stattfinden. Sie werden nur locker aneinandergereiht. Die Verbindung der einzelnen Erzählungen erfolgt allein über den verbalen Konnektor ocus 'und'. Die Dál gCais, Brian und Murchadh, bilden dabei nur den Ereignisrahmen, der mit den üblichen Requisiten über die Wirklichkeit dieser Welt hinausweist. Die Schlacht von Cluain Tarbh fand also ihren ersten literarischen Niederschlag im 12. Jh. im Machtbereich der Dál gCais. Er diente dort der Verarbeitung und Glorifizierung der eigenen dynastischen Vergangenheit und zugleich der Wahrung gegenwärtiger Machtpositionen in Zeiten politischer und religiöser Änderungen. Spätestens seit dem 18. Jh. unter den speziellen politischen Umständen der Entmachtung Irlands durch England entstand ein erneutes, besonders starkes Interesse an dem Stoff, vor allem in Munster. Die Erzählungen dieser Zeit richten also den Blick zurück auf die Größe der eigenen Vergangenheit, bei der der Aggressor durch die Macht des eigenen Helden zurückgeschlagen werden konnte. Dieser Rückblick verband sich zugleich mit der Aura der Fluchtwelt der Romanzen und der realpolitischen Hoffnung auf Erlösung bzw. einen Erlöser von der gegenwärtigen politischen Ohnmacht. Man denke an die Gedichte des 17. und 18. Jh., wo Irland als verlassene Frau,58 die nach ihrem Geliebten sucht, dargestellt wird. Auch wenn sich in den späteren Texten keine direkten politischen Aussagen finden lassen, 58
Vgl. oben der Besuch Aoibhealls bei Brian in CGG. Dieses Motiv der verlassenen Frau Aoibheall in CGG wird schon von den Dichtern Gofraidh Fionn Ó Dálaigh (14. Jh.) und Tadhg Dali Ó hUiginn (15. Jh.) als politische Allegorie in Anspruch genommen.
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vermute ich dennoch, daß die späteren Schreiber das Ereignis in Cluain Tarbh und die Rolle der Dál gCais in dieser Schlacht in bezug auf die politischen Verhältnisse für besonders aussagekräftig hielten.59 Meine Magisterarbeit hat dazu die Quellen aufgezeigt. P.S. Nach Fertigstellung dieses Beitrages habe ich eine weitere Fassung der CCT ermittelt. Sie steht in der Hs. Dunnington 1, p. 136. Diese 1813 in der Grafschaft Waterford hergestellte Handschrift befindet sich in der Privatsammlung von Edgar M. Slotkin in Cincinnati (s. E.M. Slotkin, Two Irish Literary Manuscripts in the Mid-West, Éigse 25 (1991), 56-80.
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Eine ähnliche Rolle scheint z.B. auch die Erzählung Ceasacht Inghine Guile gespielt zu haben, vgl. Caoimhin Breatnach, Early Modern Irish Prose Reconsidered - the Case of Ceasacht Inghine Guile, Ériu 42 (1991), 119-138.
Brian Ó Catháin, Dublin
DREI NEUERUNGEN IM IRISCHEN VON INIS OÍRR, CO. GALWAY In diesem Beitrag möchte ich drei Neuerungen im Irischen von Inis Oirr, einer der Araninseln, darstellen. Zuerst aber möchte ich ein paar einleitende Worte sagen über (1) die geographische Lage der Araninseln; (2) die linguistische Klassifizierung der dort gesprochenen Dialekte; (3) einige der wichtigsten vorliegenden Arbeiten über diese Dialekte. Die drei Araninseln liegen in der Galway-Bucht vor der Westküste Irlands - etwa 40 km südwestlich der Stadt Galway. Die größte Insel - Arainn - liegt am weitesten westlich, und die anderen zwei - Inis Meáin und Inis Oirr - liegen südöstlich von Arainn, wobei Inis Oirr die östlichste ist. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß diese Insel nur etwa 12 km vom naheliegenden County Clare entfernt ist. Bemerkenswert ist auch die phonetische Realisierung des Namens der Insel - phonetisch [in'i I si:r] - die sich keineswegs in der offiziellen orthographischen Standardform Inis Oirr widerspiegelt. Anders gesagt: Sowohl das 's' als auch das 'r' der geschriebenen Standardform sind - in der heutigen Aussprache der Bewohner der Araninseln - nicht palatalisiert. Die heutige Form - [in'i ¡ si:r] - dürfte man deshalb als Neuerung bezeichnen, denn sie wurde zum Beispiel 1895 vom deutschen Sprachwissenschaftler Franz Nikolaus Finck nicht belegt. Das Irische der Araninseln gehört zum westirischen Zweig. Ferner gehört es dem Galway-Dialekt an, wobei das Irische aller drei Inseln Grundzüge mit dem Dialekt von Cois Fhairrge gemeinsam hat. Im Gegensatz zu den beiden anderen Araninseln weist Inis Oirr aber auch Züge auf, die sich im benachbarten Südirischen von County Clare finden. Es ist eindeutig, daß die geographische Lage der Insel eine große Rolle bei der Entwicklung des Dialekts gespielt hat. Von den Wissenschaftlern, die sich mit dem Irischen der Araninseln beschäftigt haben, möchte ich nur ganz kurz die Arbeit der beiden ersten erwähnen. Franz Nikolaus Finck, geboren 1867 und außerordentlicher Professor der allgemeinen Sprachwissenschaft an der Universität Berlin zur Zeit
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Drei Neuerungen auf Inis Oirr
seines Todes im Jahre 1910, war ein Pionier im Bereich der Dialektologie des Neuirischen. 1895 verbrachte er vier Monate auf den Araninseln. 1899 veröffentlichte er sein Hauptwerk über das Neuirische: Die araner mundart: Ein beitrag zur erforschung des westirischen. I. Grammatik. II. Wörterbuch. 1 Der zweite Wissenschaftler ist der bekannte Indogermanist und Keltologe Holger Pedersen, der kurz nach der Abfahrt Fincks viereinhalb Monate auf Arainn, also auf der größten Araninsel, verbrachte. Pedersens sehr umfangreiche Aufzeichnungen wurden aber nie von ihm selbst veröffentlicht - abgesehen von einzelnen zerstreuten Beispielen in seinen bekannten Werken2 und in den 'Nachträgen und berichtigungen', die einen wichtigen Teil von Fincks oben genanntem Werk bilden. Die erste Neuerung im Irischen von Inis Oirr, die ich besprechen möchte, betrifft die außerordentliche Erscheinung der Präposition ag vor Verbalnomina in Relativkonstruktionen, wo man a (historisch do) erwarten würde.3 Die Beispielsätze unter 1(a) und (b) schildern den offiziellen Gebrauch der beiden Präpositionen im heutigen Irischen. 1(a) Tá muid ag tabhairt beatha do na muca [a tu:rt']. "Wir geben den Schweinen Futter." 1(b) Feicim an beatha atá muid a thabhairt do na muca [s hu:rt']. "Ich sehe das Futter, das wir den Schweinen geben."
1
Das Wörterbuch wurde bereits in Marburg 1896 als Habilitationsschrift unter dem Titel Wörterbuch der auf den araninseln gesprochenen westirischen mundart veröffentlicht. 2 Wie beispielsweise in Pedersen: 1897; 1899; 1909-1913. Teile der Pedersen'schen Sammlung wurden mittlerweile von Ole Munch-Pedersen veröffentlicht - Munch-Pedersen: 1985; 1989. 3 Dieses Phänomen ist schon für das Irische von Dún Chaoin (Co. Kerry) und von Gaoth Dobhair (Co. Donegal) belegt (O Siadhail: 1989, 295). Da Ó Siadhail aber keine Beispiele für das Westirische gibt, habe ich mich entschieden, dieses Phänomen hier noch als 'Neuerung' zu bezeichnen.
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1(b) ist - im Vergleich zu 1(a) - ein Relativsatz und in diesem Fall wird die Präposition a statt der Präposition ag vor dem Verbalnomen benutzt. Obwohl die heutige Aussprache der beiden Präpositionen vor Konsonanten gleich ist, sind sie an der Nichtlenierung nach ag bzw. an der Lenierung nach a noch zu unterscheiden, vgl. 1(a) [tu:rt'] - unleniertes [t] - mit 1(b) [hu:rt'] - leniertes [t]. Natürlich gibt es auch Fälle, wo der nachfolgende Konsonant keine Lenierung zuläßt und wo man dann in der gesprochenen Sprache zwischen den beiden Präpositionen nicht mehr unterscheiden kann, vgl. z.B. 1(c) und (d). 1(c) Tá mé ag rá. [a ra:] "Ich sage." 1(d) Céard atá tú a rá? [a ra:] "Was sagst du?" Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Präpositionen existiert heute noch in den verschiedenen Dialekten des Westirischen, wie aus den Beispielen in 2(a) und 2(b) zu ersehen ist. 2(a) [as b'og a | ta: s'e ji:Na]4 (Cois Fhairrge) Is beag atá sé a dhéanamh. "Er tut wirklich nichts!" 2(b) Agus ni raibh aort mhaidhm dá raibh sí a chur uaith? .... (Großraum Carna). "Und keine Welle, die sie verursachte ..." Als nächstes möchte ich die Situation in bezug auf den Gebrauch dieser Präpositionen im Irischen von Inis Oirr darstellen. Auch hier wird a in der Relativkonstruktion durchaus noch gebraucht, wie folgende Beispiele - 3 (a) bis (f) - belegen: 3(a) ... ná rafibh] siad sin a[g] sao[th]rú na cupla pin[gi]n a bhí siad [a] fháil... (Sprecher 1). "Haben sie sich nicht die paar Groschen verdient, die sie bekamen?" 3(b) ... agus tá ord anseo a bhíodh tú fhéin agus do chuid drithearachai a chaithe[amh] thar a[n] teach. (Ibid.) "Und hier ist der Schmiedehammer, den du und deine Brüder über das Haus zu werfen pflegtet."
4 5
de Bhaldraithe 1953: 146. So Éamon a Búrc in Ó Nualláin [Hrg.] 1982: 58.
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3(c) ... agus fuair 'brcm ' agus rudai mar sin a bhídís a thabhairt dóib[h], fuair sé ródhaor'. (Sprecher 2). "... und Kleie und ähnliche Sachen, die sie ihnen zu geben pflegten, wurden zu teuer." 3(d) Céard tátúa dheanafmh]? (Sprecher 3). "Was tust du?" 3(e) [k'e:rd ta: tu: 3 ji:na]6 Céard tá tú a dhéana[mh]? "Was tust du?" 3(f) [a rug s'ib' er' a ηadi: a v'i: s'ib' a ho:riaxt]7 A[r] rug sib[h] ar a[n] ngadaí a bhí sib[h] a thóraíocht? "Habt ihr den Dieb gefangen, nach dem ihr gesucht habt?" Das Irische von Inis Oirr erlaubt aber auch regelmäßig den Gebrauch der Präposition ag in Relativkonstruktionen. Bei Sprecher 3 (geboren c.1882, gestorben 1965) zum Beispiel ist dieses Phänomen sogar zur Norm geworden, vgl. die Beispiele in 4(a) bis (d), die alle vom gleichen Sprecher stammen. 4(a) ... agus chuir fear acub, an máistir a bhí ar a[n] gcúirt a bhíodar a[g] tóigeáil, chuir sé fear ... "... und einer der Männer, der Herr über die Burg, die sie bauten, schickte einen Mann ..." 4(b) ... thios sa gcraiceann gabhair a bhí sé a[g] cuir chuile bhlas... "... er tat alles in die Ziegenhaut hinein ..." 4(c) ... sin í atá mé a[g] cuartú. "Sie ist es, die ich suche." 4(d) ... agus sé [a]n t-ainm a bhí na págánachaí a[g] tabhairt ar Naomh Pádraic 'Páidín na Muc' "... und der Name, den die Heiden dem heiligen Patrick gaben, ist 'Páidín na Muc'". Die einzige Ausnahme von dieser Neuerung, die man bei diesem Sprecher findet, ist die formelhafte Redewendung, die schon unter 3(d) angegeben wurde. Selbst diese Redewendung wird aber manchmal verändert, wie das folgende, aus dem Jahre 1932 belegte Beispiel beweist: 4(e)... céard tá tú a[g] dionaΤ8 "Was tust du?"
6 7 8
Finck, Die araner mundart Bd. II, S.27. Ibid., S.120. Dillon 1939: 12.
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Interessant ist die Tatsache, daß diese Neuerung sich auch in einer festen Erzählformel in Märchen findet, d.h. selbst in einer sehr konservativen Textgattung hat sich diese Neuerung durchgesetzt - siehe die aus dem Jahre 1932 stammende Formel in 4(f), das früheste von zehn Beispielen der gleichen Formel: 4(f) ... agus an crann úr a[g] lúbafdh] leis an bhfeoin' a bhísé [an fathach] a[g] cur uaidh, a[g] tíocht ó'n domhan thiar9. "... und der Baum bog sich unter dem Windesbrausen, das ihn [den Riesen] begleitete." Der älteste Beleg dieser Neuerung, den ich bisher im Irischen der Araninseln gefunden habe, ist folgendes Beispiel, das von Finck stammt: 4(g) [an bro:ga ta: tu: d'iina]10 An bróga [a]tá tú a[g] déana[mh]? "Fertigst du Schuhe an?" Ich bin der Meinung, daß diese Neuerung hauptsächlich dadurch zustande gekommen ist, daß die Nichtrelativkonstruktion mit ag plus Verbalnomen in der Sprache häufiger vorkommt als die Relativkonstruktion mit a plus Verbalnomen. Daher wurde die häufigere Form zur Norm. Die sozusagen 'neutralen' Fälle, wo die Lenierung keine unterscheidende Rolle spielt, wie beispielsweise in 1(c) und (d), haben auch dazu beigetragen, den Prozeß der Neuerung zu fördern. Die zweite Neuerung im Irischen von Inis Oirr, die ich besprechen möchte, betrifft die Futur- und Konditionalkategorie des Verbums faigh 'bekommen'. Neben den von mir hier als regelmäßig bezeichneten Futur- und Konditionalformen, die zum Verbum faigh gehören, werden auch Formen vom Verbum gabh 'nehmen' usw. verwendet. Unter 5(a) werden die in Inis Oirr vorkommenden Futurformen der dritten Person Sing, angegeben, während die des Konditionals unter 5(b) angegeben werden. 5(a) [gau / jau / g'au] - gheobhaidh "wird bekommen" 5(b) [yaux / jaux] - gheobhadh "würde bekommen".
'Ibid. 10 Die araner mundart Bd. II, S.50.
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Die interessanten Formen sind hier die, die vom Verbum gabh gebildet werden. Natürlich werden eben diese Formen auch für 'werde' bzw. 'würde gehen' im Irischen von Inis Oirr gebraucht. Ich habe sogar Beispiele gehört, wo Futur- bzw. Konditionalformen, die eigentlich dem Verbum faigh angehören, verwendet wurden, um 'werde' bzw.'würde gehen' auszudrücken, wie im folgenden Beispiel: [n'i: jau tu: max]. Aus dem Zusammenhang ging eindeutig hervor, daß dieser Satz die Bedeutung 'Du wirst nicht rausgehen' hatte. Was das Vorkommen der von gabh gebildeten Formen betrifft, muß folgendes noch gesagt werden: Sie werden normalerweise nicht benutzt, wenn sie direkt nach einer Partikel stehen, die Eklipse verursacht, In diesem Fall werden die sogenannten 'abhängigen' Formen [wai] bzw. [waix] regelmäßig verwendet. Beispiele 6(a) und (b) demonstrieren diese Regel: 6(a) [ga vai m'e:]11 - go bhfaighidh mé "bis ich bekomme" 6(b) [a: vaix mid']12 - [d]á bhfaigheadh muid "wenn wir bekämen". Wenn aber lenierte Formen verlangt werden, so werden die Formen vom Verbum gabh benutzt, und zwar in der lenierten Form - vgl. 6(c) und (d): 6(c) [n'i: yau m'e:] - ni bhfaighidh / ghabhfaidh mé "Ich werde nicht bekommen / werde nicht gehen" 6(d) [n'i: γ aux s'e:] - ni bhfaigheadh/ ghabhfadh sé "Er würde nicht bekommen / würde nicht gehen". Fincks Beschreibung der Futur- bzw. Konditionalkategorie des Verbums faigh enthält keine Belege dieser vom Verbum gabh stammenden Formen. Seine Formen werden von zwei Stämmen gebildet: [jau-] und [jef-]. Die zweite Form [jef-] findet man häufig in anderen Dialekten des Westirischen, ich habe sie jedoch nie im Irischen von Inis Oirr gehört. Was den Gebrauch von faigh in der Bedeutung 'gehen' betrifft, gibt es einen Beleg bei Finck:
11
Wagner 1966: 150, sub gheibhim.
n
Ibid.
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[m a:gsN tu: an t'i:r', jau m'e: lat]13 [sic] Má fliágann tú an tir, gabhfaidh mé leat. "Wenn du das Land verläßt, werde ich mit dir gehen."
7
Die dritte Neuerung im Irischen von Inis Oirr, auf die ich eingehen möchte, betrifft die außerordentliche Erscheinung eines von mir als 'intrusiv' bezeichneten palatalen f-Lauts in den Präsensformen einsilbiger Verben, deren Stämme entweder einen Vokal - sei er lang oder kurz - oder einen Diphthong im Auslaut haben. 8(a), (b) und (c) sind drei Beispielsverben dieser Art: 8(a) [krua] - cruaigh! "härte!" 8(b) [ru] - rith! "laufe!" 8(c) [n'i] - nigh! "wasche!" Unter 9(a), (b) und (c) habe ich die regelmäßige, morphologische Komposition des Präsens im Irischen von Inis Oirr dargestellt. 9(a) [krua] + [-aN] — > [kruaN] - cruann "härtet" 9(b) [ri-] (< [ru] + Vokaldehnung + [-im'] — > [ri:m'] rithim "ich laufe" 9(c) [n'i] + Vokaldehnung + [-aN] — > [n'i:N] - nionn "wäscht". Die auch auf Inis Oirr aufgezeichneten Formen unter 10(a), (b) und (c) demonstrieren die Erscheinung eines intrusiven palatalen [f] im Präsens: 10(a) crúifeann 14 - cruann "härtet" 10(b) [ri-] < [ru] + [-f-] + [-im'] -- > [rifim'] - rithim "ich laufe" 10(c) [n'i] + [-f-] + [-aN] — > [n'ifaN] - nionn "wäscht". Ich habe ein Beispiel dieser Neuerung bei Finck gefunden. Dieses Beispiel ist [brifim'] 15 bruithim "ich koche, siede", und sowohl Finck als auch Pedersen konnten diese Form nicht erklären. Pedersen fragt in bezug auf die Form: "Wo aufge13
Die araner mundart Bd. II, S.125. So bei Seosamh Tom Pheadair O Flaithearta belegt. Der Beleg findet sich im Manuskript 1767, S.102 in der Hauptsammlung des Department of Irish Folklore am University College, Dublin. 15 Die araner mundart Bd. II, S.50. 14
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zeichnet? Auf Aran?" worauf Finck antwortet: "Ja, auf Inisheer. Merkwürdig kommt mir die form vor, aber gehört habe ich sie"16. Wichtig ist die Tatsache, daß Finck ausdrücklich sagt, er habe diese Form von einem Inis Oirr-Informanten gehört. Die Form kann meiner Meinung nach im Rahmen des intrusiven palatalen /-Lauts ganz einfach erklärt werden; hierzu das Kompositionsschema unter 11: 11 [bri-] < [bru] + [-f-] + [-im'] — > [brifim']. Vergleichen wir auch eine andere Form des gleichen Verbums bruith. Diese Form - das einzige andere Beispiel des Verbums, das bei Finck steht - ist das Partizip [brit'a]17 bruite "gekocht, gesotten", und dieses weist kein intrusives palatales f auf. Schließlich möchte ich erklären, woher meiner Meinung nach der intrusive palatale /-Laut dieser Neuerung kommt. Kurz gesagt: Dieses palatale/gehört im Irischen von Inis Oirr ganz regelmäßig zur Bildung der Futur- und Konditionalformen einsilbiger Verben, deren Stämme entweder auf Vokal oder Diphthong auslauten18. Die Neuerung besteht darin, daß dieses palatale / sich mobil macht und in den Präsensformen erscheint19. Eine solche Entwicklung überrascht nicht besonders, denn im Irischen übt die Kategorie des Futurs sowohl in der Morphologie20 als auch in der Semantik21 einen nicht unbeträchtlichen Einfluß auf das Präsens aus.
16
Ibid., S.264. Ibid., S.50. 18 Dasselbe gilt natürlich für andere Dialekte des Neuirischen O Buachalla 1985 gibt hierzu einen detaillierten Überblick. 19 Parallelen aus dem Dialekt von Cois Fhairrge (Co. Galway) wo historisches -dh- als -v- realisiert wird - zeigen, daß andere Interpretationen zur Herkunft dieses palatalen f-Lauts möglich sind: guidhe giv'a, eidheann ev'aN (de Bhaldraithe 1945: 100). 20 Vgl. (1) [d'iaraN, d'e:rsN] déarann (de Bhaldraithe 1953: 110; Ó Catháin 1990: 70); (2) [b'e:raNJ béarann (Ó Catháin 1990: 71); (3) [i:saN] íosann (de Bhaldraithe 1953: 113; Ó Catháin 1990: 17
88). 21 Beispielsweise im Irischen von Erris (Co. Mayo) - siehe Mhac an Fhailigh 1948.
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Bibliographie de Bhaldraithe, T. 1945: The Irish of Cois Fhairrge, Co. Galway. Dublin Institute for Advanced Studies. id. 1953: Gaeilge Chois Fhairrge. Dublin Institute for Advanced Studies. Dillon, M. 1939: 'An Aran Folktale', Éigse 1, 7-13; 305. Finck, F.N. 1896: Wörterbuch der auf den araninseln gesprochenen westirischen mundart. Marburg, Universitäts-Buchdruckerei R. Friedrich. id. 1899: Die araner mundart: Ein beitrag zur erforschung des westirischen. I. Grammatik. II. Wörterbuch. Marburg, Elwert. Mhac an Fhailigh, E. 1948: 'Consuetudinal Future and Consuetudinal Present', Éigse 6, 149-154. Munch-Pedersen, O. 1985: Ά Ninteenth Century Version of Decamerone, 11:5' Arv (Scandanavian Yearbook of Folklore) 41, 77-88. id. 1989: 'Cur síos ar Sheanchaí amháin a Thug Scéalta do Jeremiah Curtin', in O Fiannachta, P. [Hrsg.] Thaitin sé le Peig: Iris na hOidhreachta. Bd. I, 123-143. Ó Buachalla, Β. 1985: 'The F-Future in Modem Irish - a Reassessment', Proceedings of the Royal Irish Academy 85c, 1-36. O Catháin, Β. 1990: Cuntas Sioncrónach ar Mhoirfeolaíocht an Bhriathair i nGaeilge Inis Oírr, Oileáin Arann, Co. na Gaillimhe. Unveröffentlichte Magisterarbeit, University College, Dublin. Ó Nualláin, C. [Hrsg.] 1982: Eochair, Mac Ri in Éirinn. Dublin, Comhairle Bhéaloideas Éireann. O Siadhail, M. 1989: Modern Irish: Grammatical Structure and Dialectal Variation. Cambridge University Press. Pedersen, H. 1897: Aspirationen i Irsk. Leipzig, Spirgatis. id. 1899: 'Die aspiration im Irischen II', Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 35, (neue Folge Bd. 15) 315444. id. 1909-1913: Vergleichende Grammatik der keltischen Sprachen. Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht. Wagner, H. 1966: Linguistic Atlas and Survey of Irish Dialects. Bd. III. Dublin Institute for Advanced Studies.
Herbert Pilch, Freiburg i.Br.
BRETONISCH-ENGLISCHE LEHNBEZIEHUNGEN 1. Phonetische Isoglossen Das Meer trennt nicht nur, sondern es verbindet. Darauf hat besonders Hans Kuhn hingewiesen. 1 Es gilt speziell für gemeinsame Isoglossen zwischen gegenüberliegenden Küsten, die als gegenseitige Entlehnung im Sinne eines "Sprachbundes" zu deuten sind, z.B. den Zusammenfall von engl, / h w / ï / w / (Kennwortpaar whale : wail) in Südengland und großen Häfen an der amerikanischen Ostküste.2 Fañch Falc'hun3 und Hildegard Tristram4 haben in diesem Sinne auf gemeinsame Isoglossen zwischen der englischen Südküste und der gegenüberliegenden bretonischen Küste aufmerksam gemacht, und zwar: 1.1. Schwanken zwischen r-haltigem und r-freiem Auslaut: /-rK/ « / - K / , z.B. bret. -orm « -om (Endung der l.Ps.Pl. der Präpositionen), dervez « devez 'Tag', sperrt ( < lat. spina), martolout ( < frz. matelot (?)) 'Matrose'. Die gleiche Schwankung sehen wir in engl, harbor, vgl. vann. haor, frz. Le Havre (vgl. unten § 4.5). In Südwestengland erhalten die Mundarten bis
1
Friesisch und Nordseegermanisch, Us Wurk 4 (1955), 37-46. Raven I. McDavid und Virginia McDavid, h before semivowels in the Eastern United States, Language 28 (1952), 41-62. Seitdem breitet der Zusammenfall sich weiter in ganz Nordamerika aus, vor allem bei der jungen Generation; ähnlich in Australien und Neuseeland. 3 Perspectives nouvelles sur l'histoire de la langue bretonne, Paris 21981, 317-323, 550f. 4 Zum Sprachkontakt über den Ärmelkanal (im vorliegenden Band); Linguistic Contacts across the English Channel: The Case of Breton Retroflex , Language Contact and Linguistic Change, Proceedings of a Conference, ed. Jacek Fisiak, Berlin [im Druck]; Zaoz and Zomerzet: Linguistic Contacts across the English Channel, Proceedings of the 9th International Congress of Dialectology, ed. Wolfgang Viereck [im Druck], Ich danke Hildegard Tristram für Einsicht in ihr unveröffentlichtes Material. 2
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heute das auslautende / r / (z.B. in far, four, fear). In der vornehmen Aussprache der Städte aber weicht es vor der r-freien Aussprache des Südostens zurück.5 In der Bretagne verbreiten sich die r-haltigen Formen in neuerer Zeit von Karaez aus, das im Inland gelegen ist. Das schließt frühere Ausbreitung von der Nordküste aus nicht aus. Im Gegensatz zum traditionell üblichen Zungenspitzen-r wird das auslautende bretonische / r / in den r-haltigen Mundarten retroflex artikuliert6 - wie auch in Südwestengland. 1.2. Sonorisierung der anlautenden Spiranten bret. / f s § χ / , engl, / f p s / , z.B. bret. mu sat / z a t / 'mein Vater', saout / z o u t / 'Vieh', selaouerìen /zilóu + êrjèn/ 'Hörer' (Pl.). Seit der frühesten Überlieferung ist die Stimmhaftigkeitskorrelation der englischen Spiranten schwach bzw. fehlt ganz. Im betonten Anlaut verallgemeinert Südwestengland die stimmhafte, die übrigen Mundarten die stimmlose Aussprache. 7 Opposition zwischen 'stimmhaften' und 'stimmlosen'
5
Falc'hun, op.cit. 550 setzt diese (moderne) Schwankung bereits für die altenglische Zeit voraus. Die bretonische Schwankung soll von einzelnen Angelsachsen ausgehen, die sich den britischen Auswanderern anschlossen. Das dürfte kaum zutreffen. Der Verlust setzt im Englischen erst 1000 Jahre später ein. 6 Im Norden des Bro Dreger wird auch das anlautende / r / retroflex artikuliert (nach Mitteilung von Hildegard Tristram). 7 Die Literatur spricht in diesem Zusammenhang von 'Sonorisierung' als sprachhistorischem Wandel, d.h. sie setzt ältere 'stimmlose Spirans' an, die in Südwestengland (und im niederdeutschen Bereich) 'stimmhaft' geworden sein soll. Dafür fehlt jegliches Indiz. Solange die Überlieferung zurückreicht, ist die stimmhafte Aussprache in Südwestengland (und in den Niederlanden) bezeugt. Im niederdeutschen Bereich außerhalb der Niederlande ist sie stimmhaft für urg. / s γ / (z.B. in dt. sehen, gehen), stimmlos für urg. / f / (z.B. in dt. finden, vier, Vater), und nur letzteres steht (im Anlaut) in Opposition zu 'stimmhaftem' /v/ ( < urg. /w/, z.B. in winden, wir, waten). Warum soll sie vor Beginn der Überlieferung stimmlos gewesen sein? - Die dialektische Schwankung zwischen stimmlosen und stimmhaften Spiranten dürfte schon urgermanisch sein; denn im Urgermanischen gibt es keine Opposition zwischen 'stimmlosen' und 'stimmhaften' Spiranten, sondern nur zwischen
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Spiranten entsteht im Englischen erst mit den französischen und lateinischen Lehnwörtern wie vile / file, vine / fine, zinc / sink, außerdem in Geräuschwörtern wie zip sip), zoom, vroom. Für / ζ / ? / s / fehlt sie im Anlaut bis heute8. 1.3. Hinzuzufügen wäre die Diphthongierung / a ·/ > / e i / im Dialekt von Leon, z.B. dañjer /deízer/ Vielleicht' (< frz. danger), sañj /seïz/ 'ändern' (< frz. changer), Fañch /feïs/ (Vorname, < lat. Francisais). Die Parallele zur frühneuenglischen Vokalverschiebung liegt hierbei auf der Hand. Jedoch ist der Wandel im Dialektgebiet von Leon kombinatorisch beschränkt auf die Stellung vor -ns, -nz. 1.4. Eine weitere Parallele zur frühneuenglischen Vokalverschiebung bietet das Dialektgebiet von Gwened (Vannes)' mit parallelen Verschiebungen der vorderen und hinteren Reihe: mbret. / e · / > vann. /i · /, mbret. / o • / > vann. / u · /· Anders als im Englischen rückt aber das alte bret. / a · / im Dialekt von Gwened nur bis zum 'tiefen, hinteren, leicht gerundeten' /o · / vor (vgl. dagegen me. / fne. / o · / in road, stone, hole usw.), und die Stelle des alten / e · / nimmt parallel dazu vann. / ε / (verschiedener Herkunft) ein (vgl. dagegen me. / a · / > fne. /e · /), d.h. der Vokalismus des vannetais umfaßt (außer den gerundeten Vokalen / ü · ö · / und dem Diphthong / a u / ) nur vier 'lange' bzw. 'zirkumflek-
den 'Geräuschlauten' / ß δ γ ζ / einerseits, den 'Spiranten' / f j i x s / und den 'Verschlüssen' /p t k/ andererseits. Die 'Geräuschlaute' sind dabei weder 'Verschlüsse' noch 'Spiranten', sondern liegen (wie im heutigen Spanischen) ihrem distinktiven Merkmal nach in der (phonometrischen) Übergangszone zwischen Verschluß und Spirans. Keine der drei urgermanischen Konsonantenklassen ist distinktiv 'stimmhaft' oder 'stimmlos' (vgl. Herbert Pilch, Altenglische Grammatik, München 1970, § 14.2). 8 NB. anlautendes / z / im peripheren englischen Wort genre /zar/. 9 Material aus eigenen Studien im Gebiet von Intel («hautvannetais»).
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tierte'10 Vokale: ger / j î r / 'Wort', re /rî/ 'zu sehr', amzer /ascaìr/ 'Wetter'; bro /brü/ 'Gebiet', digor / d ' j ü r / 'öffnen', gober /gùbîr/ 'arbeiten' (< lat. oper-)·, bras /br5 · s/'groß', tad /t3 t / ' V a t e r p e v a r / p w 5 r / Vier'; merc'h /mêx/ 'Tochter', seizh /sêx/'sieben', bloazh /ble/ 'Jahr'. Die Schreibung mit e, o, a usw. gibt dabei den Lautstand der übrigen Dialekte (und vermutlich des Mittelbretonischen) wieder. Im Sinne eines englisch-bretonischen Sprachbundes läßt sich diese Isoglosse jedoch nicht ohne weiteres deuten, weil Vannes gerade an der von England abgewandten Küste der Bretagne liegt. 1.5. Im Dialekt von Leon steht der Diphthong / ê a / (unklarer Herkunft) 11 in einer Reihe einsilbiger Zeichenkörper, wie laez /lêas/ 'Milch', kêr /kêax/ 'Stadt', dem "partizipialen" Formans -aed / ê a t / der inchoativen Verben auf -aad wie kos-aed /kôsêat/ 'gealtert'.12 Ein dem Klangbild nach ähnliches [ea] bzw. [as · ] gibt es im Friihneuenglischen (und bis heute im Dialektgebiet von New York und Umland) in Wörtern wie engl, glass, can, can't. Im 18. Jahrhundert schreibt Henry Fielding ea für fne. /as · / bei der schriftlichen Wiedergabe der Mundart von Somerset, z.B. in veather 'Vater'. Die Ähnlichkeit erschöpft sich nicht im Klangbild, sondern sie reicht ins System insofern, als auch das englische /ae · / im wesentlichen auf Einsilbler (mit bestimmten Auslautkonsonanten) beschränkt ist (das /ae · / in fne. father ist innerhalb des Englischen eine unerklärte Ausnahme). Liegt hier wieder ein Sprachbundphänomen vor? Dagegen spricht das ebenfalls sehr ähnliche [ae ] bzw. [ea] in kymrischen Einsilblern, und zwar in den Dialektgebieten von Dol-
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Zur Äquivalenz von 'Länge' und 'Zirkumflex' im Bretonischen, vgl. Herbert Pilch, L'accentuation de la langue bretonne, La Bretagne linguistique 2 (1986), 43-69, bes. 63-65. 11 Cf. Kenneth Jackson, A Historical Phonology of Breton, Dublin 1967, 176-179. u Cf. Herbert Pilch, Breton Phonetics: A New Analysis, Studia celtica japónica 3 (1990), 9-50, bes. 28.
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gellau (Cyfeiliog) und Capel Trisant (Morgannwg), z.B. in tad / t a e d / 'Vater', bach /bae-x/ 'klein'. Auch diese Vokale ähneln dem / ê a / von Leon nicht nur im Klang, sondern wieder auch in der Stellung im System. Jedoch ist das vorliegende [ae · ] zweifellos als Diaphon des gemeinkymrischen / a · / entstanden, das bretonische / ê a / eher aus * / a e / bzw. */ai/, z.B. im auslautenden -aed, morphologisch -ha (Suffix), -ed (Endung des unpersönlichen Aorist, vgl. mkymr. -at, -et). Diese mangelnde Übereinstimmung läßt sich gewiß nicht leugnen, sie stärkt aber ebensowenig die bretonisch-südwestenglische Sprachbundhypothese gegenüber der Deutung als historischer Fortsetzung einer gemeinbritischen Isoglosse [a · ] « [as · ] in Einsilblern.
2. Gemeinsamer Wortschatz Als altenglische Lehnwörter im Bretonischen nennt Falc'hun ganze zwei, und zwar bret. godei ( < ae. god)13 'Tasche (im Kleidungsstück)' und c'hwistellat « c'hwitellat (< ae. hwistlian) 'pfeifen'. Erstere Etymologie halte ich für schwach. Sie stützt sich auf ne. coat ( < afrz. cote) und kymr. cot ( < engl. coat (?)). Der Vergleich mit dt. Kotze deutet jedoch eher auf ae. *cott, woraus auch das kymrische Wort entlehnt sein könnte.14 Hildegard Tristram nennt als jüngere Lehnwörter bret. pato 'Kartoffel' (vgl. § 2 unten), bret. pav < engl, paw 'Pfote' (vgl. unten § 5.4) und bret. chaokat 'kauen' < ae. cëowan (s. unten Anm. 42).
13
Op.cit. S.178. Falc'hun kennzeichnet ae. god nicht als rekonstruiert. Ich finde das Wort (in der einschlägigen Bedeutung) weder bei J. Bosworth und T.N. Toller, An Anglo-Saxon Dictionary, Oxford 1898; Supplement Oxford 1921; noch bei Clark Hall-Merritt, A Concise Anglo-Saxon Dictionary, Cambridge 41969. Selbst wenn es existiert, wäre von dort zu bret. /godèl/ noch ein weiter Weg nach Laut und Bedeutung. Oder verwechselt Falc'hun es mit ae. codd 'Sack'? Dann wäre der Weg noch weiter. 14 Das im Altenglischen belegte cott 'cottage' ( > ne. cot) paßt seiner Bedeutung nach nicht hierher.
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Eine Reihe von weiteren bretonisch-englischen Wortschatzisoglossen sind bisher kaum beachtet worden. Bei den meistèn in Frage kommenden Wortgleichungen liegt sicher nicht Entlehnung aus dem Bretonischen ins Englische bzw. umgekehrt vor, sondern Entlehnung aus dem Lateinischen bzw. Französischen oder Spanischen ins Bretonische und ins Englische, und zwar unabhängig voneinander, z.B. bret. liken 'Lebermoos' < frz. liehen oder lat. liehen; vgl. engl. liehen < frz. liehen oder lat. liehen bret. truant 'Bettler' < afrz. truant 'Bettler'; vgl. engl, truant 'wer die Schule schwänzt' < afrz. truant bret. persoun 'Gemeindepfarrer' < mlat. persona 'id.'; vgl. engl, parson 'Pfarrer' < mlat. persona bret. promet-i 'versprechen' < frz. prometí-re Versprechen'; vgl. engl, promise Versprechen' < frz. promis (Part. Prät.) bret. dañjer /delzer/ 'vielleicht' < frz. danger 'Gefahr'; vgl. engl, danger 'Gefahr' < frz. danger. Auf Doppelentlehnung aus dem Spanischen15 beruht vermutlich auch das von Hildegard Tristram genannte bret. patatezenn, Kurzform pato 'Kartoffel' < span, patata-, vgl. engl. potato < span, patata; vgl. kymr. tatws < engl, potatoes.
3. Entlehnung aus dem Englischen ins Bretonische Vorliegende Erklärung (unabhängige Doppelentlehnung in beide Sprachen) stößt jedoch auf Schwierigkeiten, wenn das betreffende Wort aus dem Lateinischen oder Französischen nicht bekannt ist bzw. nicht in der gleichen Bedeutung bekannt ist bzw. nicht in der nach den Lautgesetzen zu erwartenden Lautform. In solchen Fällen halten wir unmittelbare Entlehnung für wahrscheinlicher, und zwar aus dem Englischen ins Bretonische für: 3.1. bret. lód-ènn (< *lot-) 'Teil einer Menge' (Erstbeleg 1632); vgl. engl, lot 'große Menge' (Erstbeleg 1575). Für das bretonische Wort ist keine keltische Etymologie bekannt. Kymrisch lot 'a lot of ist nach Ausweis von Laut
15
Anders Tristram (im vorliegenden Band).
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und Bedeutung zweifellos aus dem Englischen entlehnt. 16 Das englische Wort ist polysem (oder homonym) zu lot ( < ae. hlott) 'Los', einem nullstufigen Derivat vom starken Verbum hlëotan 'losen'. 3.2. bret. Ιίρ-ât 'lecken' ( < *lipp-)\ vgl. ne. lip ( < ae. lippa). Für das bretonische Wort ist keine keltische Etymologie bekannt. 17 Die bretonische Akzentuierung deutet auf Angleichung an die inchoativen Verben auf -aad in der gesprochenen Sprache, während die Orthographie konservativ geblieben ist (vgl. unten § 3.5 bei lakaad). Deshalb (und auch wegen des einfachen, metonymischen Bedeutungswandels von 'Lippe' zu 'lecken') 18 halten wir frühe Entlehnung für wahrscheinlich. 3.3. bret. gast 'böser Geist, Teufel'; vgl. ae. gast 'böser Geist, Teufel'. Das bretonische Wort wird gewöhnlich mit kymr. gast / g a s t / 'Hündin' verglichen. Aber die Bedeutungen der beiden Wörter passen schwer zusammen. Zu ae. gast paßt das bretonische Wort dagegen sowohl nach Laut als auch nach Bedeutung. 3.4. bret. skouer / s k w ê r / 'Beispiel' ( < mbret. skouezr, Erstbeleg 1732); vgl. fne. square 'Vorbild' (englische Glosse 'a canon, criterion, or standard ... a pattern or example'). 19 Für das bretonische Wort ist keine keltische Etymologie bekannt.
16 Das Wort fehlt im Geiriadur Prifysgol Cymru. Dort steht nur das polyseme lot 'Los'. 17 Kymr. llipa 'lustlos' könnte seinem Lautstand nach ebenfalls aus ae. lippa entlehnt sein [so mit Fragezeichen Geiriadur Prifysgol Cymru]. Nach Ausweis der Bedeutung kann es schwerlich über das Britische mit dem Bretonischen urverwandt sein. Der Bedeutungssprung von 'Lippe' zu 'lustlos' könnte sich so erklären, daß es sich im Kymrischen um ein altes Slangwort handelt, das sich heute im Gemeinwortschatz verbreitet hat, vgl. Herbert Pilch, L'étymologie des mots argotiques, Actes du colloque argotologique de Besançon 1989, ed. J.P. Goudailler [im Druck], 18 Zu den Typen des Bedeutungswandels vgl. Herbert Pilch, Struktur der Polysemie, Verhandlungen eines Kolloquiums in Bialowieza 1990, ed. Jozef Wierzchowski, Warschau [im Druck]. w J.A. Simpson and E.S.C. Weiner ed., The Oxford English Dictionary, Oxford 21989 [Abk. OED] s.v. square sb.1.2: "very common c 1550-1650".
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3.5. bret. làkâad, làkàt 'legen, setzen' ( < * lagh-)\ vgl. urg. *lagg-jan 'legen, setzen', Kausativ zu *liggj-an 'liegen'. 20 Der α-Vokalismus und das inlautende / k / ( < * / g h / ) weisen auf frühe Entlehnung aus einer germanischen Sprache, vermutlich während der angelsächsischen Eroberung des 5./6. Jahrhunderts oder während der Normanneneinfälle des 9. Jahrhunderts.21 Innerhalb des Bretonischen gleicht sich das Verbum an die Inchoativa auf -aad an. Nach Laut und Bedeutung paßt das bretonische Wort besser zu urg. *laggjan als zu den bisher als Etyma vorgeschlagenen 22 lat.
20 Die Inlautgruppe *[ggj] rekonstruieren wir in diesen Wörtern für das Urgermanische wegen der Vertretung als engl.fries. /d2/, ndd.nordg. /gg/. Diese Vertretungen deuten für das Urgermanische auf eine 'fortisierte' und 'jotierte' Variante des Phonems / g / , wobei wir Längung bzw. Affrizierung als zwei (physische) Teilparameter der 'Fortisierung' ansehen. Letztere ist ein (abstrakter) Sammelbegriff, unter dem wir die besondere Qualität des 'jotierten' Inlautkonsonanten nach kurzem Vokal zusammenfassen [NB. Wir setzen die abstrakten Merkmale zwischen einfache Anführungszeichen - im Gegensatz zu den physischen Parametern], - Daß das Gotische und Althochdeutsche die 'fortisierten' Inlautkonsonanten nicht durch eine besondere Schreibweise kennzeichnen, sondern einfaches gi bzw. g schreiben, beweist nichts weder für noch wider diese Rekonstruktion. Warum sollte das Gotische bzw. das Althochdeutsche gerade diese Phonemvariante in besonderer Weise schreiben? Die übrigen germanischen Sprachen tun dies genau deshalb, weil dort / d z / bzw /gg/ von / g / phonematisch verschieden ist. 21 Mangels Überlieferung wissen wir nicht, ob in dieser Zeit der germanische /-Umlaut im altnordischen Dialekt der Normannen bereits bis zum Verlust des / j / in Inlautgruppen und damit zur Ausbildung des Unterschieds ( / e C / < */aCj/) * ( / a C / < * / a C / ) geführt hatte (wie heute in schwed. lägga 'legen' ? lag 'lag'). Das bretonische / a / in diesem Wort deutet auf einen altgermanischen Dialekt, in dem der durch ¡'-Umlaut entstandene vordere Vokal noch nicht phonologisch von / a / verschieden war. Das kann genau so gut der altnordische Dialekt der Normannen sein wie das frühe Altenglische. 22 Léon Fleuriot, Les langues de Bretagne: Aperçu sur l'histoire du breton, in: La Bretagne, ed. Yann Brekilien, Paris 1982, 245281, bes. 264; Das Paar gall, logito 'legte' : legasit 'hat gelegt' gehört dem Lautstand nach zum gleichen indogermanischen Paradigma wie das altenglische Paar. Den für die Entwicklung vom Gallischen
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locare, gall, logito 'legte'. Der Ersatz der urgermanischen 'jotierten Fortis' */ggj/ durch bret. / g h / = / k / läßt sich ohne weiteres als Lautsubstitution deuten. Es spielt für unseren Zusammenhang keine Rolle, daß nach kurzem Vokal urg. */ggj/ = * / y j / ist (das Gleichheitszeichen bedeutet phonematische Gleichheit und fehlende Unterscheidbarkeit). Im heutigen Bretonischen ist / k / ebenfalls 'unaspirierte Fortis', und zwar im Gegensatz zur 'unaspirierten Lenis' / g / . Das irische Wort leagan 'niederwerfen' sieht ebenfalls nach einem Lehnwort aus urg. */laggjart/ aus, da im Irischen allgemein /gg/ > / g / wird.23 3.6. bret. straed /strêad/ (Léon) « /strêd/ 'Pfad'; vgl. me. strete /stras -t/> afrz. estree, lat. stra 4a. Vom Lautstand her paßt das bretonische Wort besser zum Englischen als zum Französischen, und zwar wegen des Auslautkonsonanten. 24 Der Vokal / ê a / geht bei alten Wörtern auf brit. */ai/ zurück.25 Deshalb ist unmittelbare Entlehnung aus lat. strata ebenfalls unwahrscheinlich.26 Bei Entlehnung aus me. oder fne. /strae -t/läßt sich der bretonische Vokal dagegen ohne weiteres als Lautsubstitution deuten. 3.7. bret. stai 'Geschäft'; vgl. engl, stall 'Verkaufsstand' (Erstbeleg in dieser Bedeutung 1377), vgl. afrz. estai 'table où l'on étale les marchandises'. 27 Für das bretonische Wort
ins Bretonische maßgebenden Lautgesetzen nach kann jedoch keines der beiden Wörter bretonisch làkàd bzw. lakäad ergeben. 23 Rudolf Thurneysen, A Grammar of Old Irish [iibs. und erweitert von D.A. Binchy und Osborn Bergin], Dublin 1946, § 192. Das Dictionary of the Irish Language der Königlich Irischen Akademie gibt Entlehnung des irischen Wortes aus an. leggja an [Compact ed., Dublin 1983, s.v. lecaid]. 24 Im bretonischen Auslaut ist die Stimmhaftigkeitskorrelation neutralisiert. Die Schreibung des Auslautkonsonanten als d (statt t) ist eine graphische Konvention des Bretonischen. Sie schwächt nicht die Entlehnungshypothese, vgl. Herbert Pilch, Breton Phonetics S. 34. 25 Kenneth Jackson, Historical Phonology of Breton §§ 230,245. 26 Unmittelbar aus lat. strata entlehnt ist breton, strad 'Bilge' (so Julius Pokorny, Indogermanisches etymologisches Wörterbuch, Bern 1959, 1030). 27 Walther v.Wartburg, Französisches etymologisches Wörterbuch, 24 Bdd., Bonn 1928-1983 [Abk. FEW], 18 s.v. stai; OED s.v. stall sb.1 6a.
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ist keine keltische Etymologie bekannt. Nach Laut und Bedeutung paßt es besser zum Englischen als zu afrz. estai. In die gleiche Richtung weist die Chronologie der Belege. Das Wort fehlt in den historischen Wörterbüchern des Bretonischen 28 , daher ist Entlehnung aus (dem im Französischen früh ausgestorbenen) afrz. estai wenig wahrscheinlich. 3.8. bret. strivañ 'streben' (Erstbeleg 1464); vgl. engl, strive 'streben' (Erstbeleg 1300); ihrer Bedeutung nach passen das englische und das bretonische Wort besser miteinander zusammen als mit afrz. estrìver 'streiten'. Die "starke" Morphologie des englischen Verbums (strove : striven) deutet auf hohes Alter, ebenso die möglicherweise verwandten nid. strijven, dt. streben. Deswegen halten wir Entlehnung aus dem Englischen ins Bretonische für wahrscheinlicher als umgekehrt. 3.9. Auffällig ähnlich sind nach Laut und Bedeutung vann. mall 'die rechte Zeit (etwas zu tun)' und ae. mee l gleicher Bedeutung. Wenn hier Entlehnung vorliegt, dann muß sie vor Ende der altenglischen Zeit erfolgt sein, da das Wort im Englischen in der Bedeutung 'fällige Zeit' später nicht mehr belegt ist. Das 'mouillierte' II des bretonischen Wortes erklärt sich ohne weiteres durch Lautsubstitution unter Einfluß des altenglischen Vordervokals /ae · / , der der gesamten G r u p p e ae. /ae · 1/ einen 'hellen' Klang gab. 3.10. vann. dapenn 'Tropfen'; vgl. ae. tceppa ( > ne. tap) 'Wasserhahn'. W e n n das bretonische Wort aus dem Englischen entlehnt ist29, so hat sich die Bedeutung metonymisch verschoben, das individualisierende Suffix breton, -enn ist angefügt, und für den Anlautkonsonanten ist die lenierte Alternante / d / verallgemeinert. Der bretonische Inlautkonsonant / p / paßt gut zu einer Ausgangsform mit ae. me. / p p / . D e r terminus ad quem für die Entlehnung wäre dem-
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Le Catholicon, ed. Le Men, Lorien 1867 [Erstausgabe 1464; darauf verweisen wir mit dem Hinweis: "Erstbeleg 1464"]; Roparz Hemon, Geriadur istorel ar brezhoneg, Kemper 1958-79; Léon Fleuriot, Dictionnaire des gloses en vieux breton, Toronto 21984. 29 Die bretonischen Wörterbücher verzeichnen in gleicher Bedeutung das Wort takenn, nicht jedoch tapenn bzw. (das von mir wahrgenommene) dapenn.
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nach der Verlust der Geminaten im Englischen zum Ausgang der mittelenglischen Periode (etwa 1400).
4. Entlehnung aus dem Bretonischen ins Englische Diese Entlehnungsrichtung setzen wir an für: 4.1. engl.faze 'beunruhigen' (slang der amerikanischen Marineinfanterie, Erstbeleg 1830); vgl. mbret.faezañ 'beunruhigen' (< tfaid-am),30 korn. fetha, kymr. difetha, bretonischer Erstbeleg 1464. Für das englische Wort ist keine germanische oder romanische Etymologie bekannt. Nach Laut und Bedeutung paßt es besser zur bretonischen Form als zum Kornischen und Kymrischen. Der Vergleich des bret. faeza mit kymr. difetha (morph. *di-metha) krankt darüber hinaus an mangelnder Übereinstimmung sowohl des Anlautkonsonanten kymr. / v / < */m/ als auch des Inlautkonsonanten kymr. / p / (nicht /9/!). 4.2. engl, toque / t u k / 'Mütze' (kanadisch, Erstbeleg 1890); vgl. bret. tok /tùk/ (Léon) < frz. toque.31 Das englische Wort hat laut OED die Alternante /touk/ (Erstbeleg 1505), für die it. tocca oder span, toca als Etymon vermutet wird (wegen Ähnlichkeit nach Laut und Bedeutung). Es könnte ebensogut die bretonische Alternante /tok/ (Bro Gerne) sein. Darüber hinaus hat das englische Wort keine bekannte Etymologie. 4.3. engl, dismantle 'schleifen (-• Festung)', Erstbeleg 1601; vgl. bret. dis-mantra 'zerstören', Präfixableitung zu mantra 'überwältigen (-• psychisch)'32. Im Französischen ist démanteler 'schleifen' seit dem 16. Jahrhundert belegt (Littré), Etymologie unbekannt. Ist es ebenfalls aus dem Bretonischen entlehnt? Die verbreitete Deutung 'den Mantel ausziehen' (so auch OED) sieht verdächtig nach Volksetymologie aus. Sie paßt nicht auf die frühen Belege, z.B. nicht auf This realm dismantled was of love himself (Shakespeare, Hamlet II.2.293).
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Jackson, op.cit. § 239. Jackson, op.cit. § 499 Anm. 7. 32 Wir schreiben den Pfeil für die semantische Solidaritätsrelation, d.h. 'überwältigen' setzt ein psychisches (kein physisches) Objekt voraus, das "fertig gemacht" wird. 31
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4.4. engl, seizure 'Schlaganfall' (Erstbeleg 1779); vgl. frz. saisie 'Beschlagnahme'; vgl. bret. seti 'Schlaganfall' (Erstbeleg 1732). Das englische Wort ist angeglichen an die Abstrakta auf -we, z.B. leisure, measure, posture, pleasure, moisture, puncture. Für Entlehnung der Bedeutung aus dem Bretonischen ins Englische spricht die Bedeutungsgleichheit 'Schlaganfall' in beiden Sprachen. Bei umgekehrter Entlehnungsrichtung wäre -ure > bret. -ul geworden, vgl. bret. musul ( < frz. mesure) 'measure'. 4.5. vann. haor /5-vr/ 'Hafen'; vgl. engl, harbor (Erstbeleg 16. Jh.),33 frz. havre (gebräuchlich im Ortsnamen Le Havre).* Weder für das englische noch für das bretonische Wort ist eine Etymologie bekannt.35 Nach Ausweis von Laut und Bedeutung gehören beide zusammen, und beide ähneln auffällig nach Laut und Bedeutung dem bretonischen Wort aber 'Flußmündung' [NB. Das geschriebene h im Französischen und Bretonischen ist rein graphisch]. Der retroflexe Vokal in der ersten Silbe des englischen Wortes deutet auf die zu erwartende bretonische Alternante */ârvr/ (vgl. oben § 1.1). Demnach muß das Wort aus dem Bretonischen ins Englische und auch ins Französische entlehnt sein, nicht umgekehrt. Dafür spricht auch die Alternation von / r / « /!/ in den französischen Belegen (vgl. Anm. 34). Sie spiegelt offenbar die ähnliche Alternation des Bretonischen wieder (vgl.oben § 4.4). Das bretonische 33
Die vermeintlich älteren Belege im OED meinen offensichtlich me. herberwe 'Herberge'. 34 Älter Havre de Grâce [1536], le Hable de Grâce [1489], nach E.Nègre, Toponymie générale de la France, Genf I 1990 II1991 III 1991, Nr. 25584; A.Dauzat und Ch.Rostaing, Dictionnaire étymologique des noms de lieux en France, Paris 21978. Der Wechsel / r / « / l / ist kennzeichnend für das Bretonische allgemein, z.B. bret. musul < frz. mesure. 35 Die übliche Etymologie ne. harbor < me. herberwe 'Herberge' ist wegen des Bedeutungsunterschiedes und der Lautgesetzwidrigkeit [me. herberwe hätte ne. *harborough Br.E. /'harbra/ « Am.E. /'harbaro/ ergeben müssen. C.T. Onions, The Oxford Dictionary of English Etymology, Oxford 21967, vergleicht dazu den Ortsnamen Market Harborough in Leicestershire, anders Ellert Ekwall, The Concise Oxford Dictionary of English Placenames, Oxford 41960, s.v.] schwach, diejenige frz. havre < ndl. haven ist es wegen des auslautenden -re.
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Etymon kann aber kaum aber sein; denn lautlich könnte bret. aber wohl engl. *arbor ergeben, aber nicht engl, harbor. Auch das 'h aspiré* im französischen Ortsnamen spricht gegen bret. aber als Etymon.
5. Unklare Richtung der Entlehnung Indizien für die Entlehnungsrichtung fehlen bei: 5.1. engl, hangar /haerjr/ 'Flugzeugschuppen' (Erstbeleg 1902); vgl. bret. hangar 'landwirtschaftlicher Schuppen, Stellplatz der Kuh im Stall' /árjgár/ < / h a g g a r / ; vgl. frz. hangar / ä g a r / 'Flugzeugschuppen' (Etymologie unbekannt). Bedeutungsübertragung vom alten landwirtschaftlichen Schuppen auf den modernen Flugzeugschuppen ist - aus G r ü n d e n der Typologie des Bedeutungswandels — wahrscheinlicher als umgekehrt. 34 Wir würden deshalb annehmen, daß das Wort aus dem Bretonischen stammt, dann über das Französische ins Englische gelangte. Der englische Konsonantismus (Anlaut / h / , Inlaut / r j / ) wäre dann als Schriftaussprache des französischen Wortes zu deuten. Dagegen spricht jedoch, daß das bretonische Wort in den Wörterbüchern nicht belegt ist.37 Ist es doch erst neuerdings aus dem Französischen ins Bretonische entlehnt? 5.2. engl, chattels 'bewegliches Eigentum' (Erstbeleg 1190)38 36
Hier liegt Übernahme aus dem allgemeinen in einen technischen Wortschatz mit entsprechender, technischer Bedeutungsspezialisierung vor - ein Vorgang, den wir alle aus unserem linguistischen Fachwortschatz kennen. Einschlägige Beispiele wären die Wörter Vergleich, Opposition, Subjekt, Objekt im allgemeinen und im linguistischen Wortschatz. Bei umgekehrter Entlehnungsrichtung haftet dem Wort im allgemeinen eine jargonhafte Konnotation an, z.B. an den (aus dem Fachwortschatz der Betriebssoziologie (?)) in die deutsche Gemeinsprache entlehnten Wörtern kreativ, innovativ, effizient. Eine solche Konnotation fehlt bei bret. hangar 'landwirtschaftlicher Schuppen'. 37 F. Vallée, Mots français et bretons d'après le sens, 2 Bdd. Karaez 1936, glossiert frz. hangar mit bret. 'kledour, gwaskedenn', ohne das bretonische Wort hangar zu erwähnen. 38 Das Wort steht in der Graphie cadal 'bewegliches Eigentum' zweimal bei Layamon 4998, 5117 [Hs. Cotton Caligula], als catel bei Layamon 15310 [Hs. Otho, beide Hss. ed. G.L. Brook und R.F. Leslie, London I 1963, II 1978, EETS OS 250, 278], Der erste
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» cattle 'Vieh'; vgl. bret. chàtàl 'Tiere' (suppletiver Plural zu aneñvel 'Tier'); vgl. afrz. chatel, catel 'Besitz' (< lat. capitalem). Das Bretonische und Englische haben die Bedeutung gemeinsam eingeengt auf 'Tiere, Vieh', so im Englischen seit dem 16. Jahrhundert. Die historische Alternante engl, chatteis kennt zwar heute noch der Philologe und der Rechtshistoriker, aber nicht mehr das breite Publikum. Der Inlautkonsonant Ô der beiden englischen Erstbelege gibt wahrscheinlich eine aus dem Kymrischen entlehnte Nebenform mit kymr. /p/ (< lat. / p t / ) wieder, vgl. kymr. caeth < lat. captus und das Nebeneinander von kymr. Prydain < lat. Britannia und Brython < lat. Brittania. Für diese phonetische Deutung spricht das Wortspiel cattle /kap-/ : Caithness /kap-/ (vgl. mschott. Cathness [1535]) bei Layamon39 4998: al abuten Catenes / per heo cadel wrohten 'die Gegend von Caithness / dort schufen sie (die Pikten) sich Hab und Gut'. 5.3. Noch schwerer nachzuvollziehen ist die Wanderung der Wörter park und pav: bret. park 'Feld'; vgl. ir. paire 'Feld'; vgl. engl .park 'grünes Gelände mit einzelnen Bäumen'; vgl. afrz. parc 'Tiergehege'. Die gemeinsame Bedeutung des irischen und des bretonischen Wortes deutet auf Zusammenhang. Wie das Wort gewandert ist, können wir nicht ergründen. Es gehört eher in einen "internationalen" Wortschatz wie auch das moderne, polyseme Park 'Abstellplatz für Fahrzeuge'. 5.4. bret. pav 'Pfote'; vgl. me. powe /pawa/ (Erstbeleg 14. Jh.) > ne. paw / p o / ; vgl. afrz. poue; vgl. dt. Pfote, ndl. poot, frz. patte. Dem Lautstand nach steht das bretonische Wort dem englischen näher als dem französischen und niederländischen. Der Vokalismus /aw/ des Englischen und Bretonischen läßt keine lautgesetzliche Verbindung mit afrz.. norm, / u / bzw. dt. nid. / o · / und nfrz. / a / erken-
Beleg im OED ist von 1549, ältere Belege zitiert bei Hans Kurath und Sherman Kuhn, Middle English Dictionary, Ann Arbor, Mich,
seit 1952 [Abk. MED] s.w. catel, cathel. 39 Layamon arbeitet in seinem Text reichlich mit Paronomasien dieser Art, vgl. Herbert Pilch, Layamons Brut, Heidelberg 1960, lllf.
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nen. 40 D a das bretonische Wort Ableitungen bildet wie pafalañ 'betasten', pafalek 'qui a de grande pattes' 41 und da diese Ableitungen heute nicht (mehr) produktiv sind, muß das bretonische Wort alt sein, vermutlich älter als das englische.
6. Kriterien für Entlehnung Ähnlicher Laut und ähnliche Bedeutung sind notwendige, aber nicht zureichende Kriterien, um eine Entlehnung zu erweisen, z.B. reichen sie nicht aus für die oben § 2 erwähnten Hypothesen, bret. godei 'Tasche' sei aus ae. codd 'Sack' entlehnt, bret. chaokat < ae. cëowan,42 Gewiß liegt bei beiden Wörtern Bedeutungsähnlichkeit vor, aber wie erklären wir die Substitution von bret. / g / für altenglisches 'aspiriertes' / k / im Anlaut von godei? Und soll bret. -el in godei ein Suffix sein? Und auch bret. -ka in chaokat? In welchem morphologischen Paradigma? Grundsätzlich genügt Ähnlichkeit bzw. Gleichheit von Laut und Bedeutung allein nicht. Betrachten wir z.B. das bretonische Wort / á f a z i / 'der Fehler'. Nach Laut und Bedeutung ist es so gut wie gleich dem deutschen Wort Aphasie 'Sprachstörung, Sprachfehler'. Nun setzt jede Entlehnung ein (zumindest bescheidenes) Maß an Zweisprachigkeit voraus. 43 Z u einer Entlehnungshypothese fehlt es im vorliegenden Falle an
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Ernest Klein, A Comprehensive Etymological Dictionary of the English Language, 2 Bände, Amsterdam 1967, rekonstruiert dazu eine "pre-Celtic form" *pauta (s.v. paw, ohne Begründung); vgl. "es handelt sich wohl um ein vorkeltisches Wort" (FEW 8 s.v. pauta, auf Grund von Inschriften in der Treverer Gegend). 41 So A.E. Troude, Nouveau dictionnaire pratique breton-français du dialecte de Léon, Brest 1876, Nachdruck Mayenne 1979, s.v. 42 Bret. chaokat (das ich nur aus den Wörterbüchern kenne) sieht aus nach einer Ableitung von chaok in butun-chaok 'Kautabak' (Troude s.v. chaok). Es gleicht in seinem Konsonantismus dem gleichbedeutenden frz. chique 'Kautabak' (ohne Etymologie, Erstbeleg 1800 bei Walther v. Wartburg und Oscar Bloch, Dictionnaire étymologique de la langue française, Paris 1960). 43 H. Pilch, Empirical Linguistics, München 1976, 153.
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einer zweisprachigen, deutsch-bretonischen Gesellschaft, über die die Entlehnung hätte erfolgen können.44 Aus dem glèichen Grunde ist die Entlehnungshypothese schwach für engl. toque < it. tocca, ir. paire < bret. park, dt. macho < span. macho. Gewiß hat das bretonische Wort billig 'Bratpfanne' etymologisch nichts mir dem deutschen Wort billig zu tun. Wenn aber ein bretonisches Gasthaus an einer viel befahrenen Touristenroute Ti billig 'Haus zur Bratpfanne' heißt, so fragt man sich, ob hier sekundär doch die deutsche Bedeutung entlehnt ist. Sollte sie vielleicht dem deutschen Urlauber nahegebracht werden? Dieses rhetorische Spiel würde bedeuten, daß dt. billig neu ins Bretonische entlehnt wäre - "neu entlehnt" in dem Sinne, daß ein homonymes Wort im Bretonischen bereits besteht und die beiden Homonyme neu als polysem interpretiert werden. Das "schon vorhandene Wort" wird also "nochmals entlehnt".45 Analog deuten wir den Vorgang bei engl, seizure 'Beschlagnahme'. Das Wort wird "neu entlehnt" mit der bretonischen Bedeutung 'Schlaganfall'. Ein analoges Beispiel aus unserer heutigen Erfahrung wäre dt. ein Papier 'eine Vorlage' (in der Bedeutung des englischen a paper, im Deutschen meiner Beobachtung nach üblich seit etwa 1970). Jede Entlehnungshypothese wird um so stärker, je mehr Wörter darunter fallen und aus Sprache A mit wiederkehrenden Lautsubstitutionen bzw. Lautgesetzen in Sprache Β entlehnt werden - vgl. das normannische-französische Lehngut im Mittelenglischen, das slavische Lehngut im Rumänischen, das spanische Lehngut im heutigen amerikanischen Englisch. Fast alle bretonischen Wörter mit anlautendem ch- /§/ sind z.B. aus dem Französischen entlehnt, z.B. chas 'Hunde' (< chasse), chom 'bleiben' ( < chômer), chatal ( < chatel) 'Tiere'.
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Gegen Entlehnung aus gr. αφασία ins Bretonische spricht die bretonische Morphologie an- (bestimmter Artikel), -fazi (Substantiv). 45 Technisch sprechen wir in diesem Falle von 're-borrowing' 'Neuentlehnung eines schon vorhandenen Wortes', vgl. Herbert Pilch, Empirical Linguistics 155.
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Das geht so weit, daß man den Umkehrschluß wagen kann: Wenn ein bretonisches Wort mit /§/ anlautet, ist es wahrscheinlich aus dem Französischen entlehnt (vgl. oben Anm. 42). An diesem Maßstab gemessen, sind alle vorliegenden bretonisch-englischen Entlehnungshypothesen relativ schwach. Als weitere mögliche deutsche Lehnwörter im Bretonischen (neben /àfâzi/) könnte ich z.B. nur noch drei nennen, nämlich bret. stourm 'Angriff (< dt. Sturm (?) wie in Landsturm, Volkssturm); bret. pákáñ 'greifen' (< ndl. pakkert oder dt. packen (?)); Gwiler, Ortsname in Leon ( < -willer wie in vielen alemannischen Ortsnamen (?)). Aus gleicher Erwägung ist auch die Entlehnungshypothese bret. lákáad < urg. *laggjan relativ schwach. Zwar passen Laut und Bedeutung, und als Träger der Entlehnung können wir auf die Auswanderer aus Britannia maior nach Britannia minor bzw. auf die normannisch-germanischen Seeräuber (vor ihrer Französierung in der Normandie) verweisen. Aber die Entlehnungshypothese würde es stärken, wenn wir noch weitere Belege für Entlehnung aus dem frühen Germanischen ins Bretonische beibrächten. Die nächsten dafür in Frage kommenden Wörter wären bret. lipät und mall, mit ungewissem Entlehnungsdatum bret. c'hwistellat und dapenn. Das ist als stützendes Beweismaterial wenig. Stärken würde es die vorliegenden englisch-bretonischen Entlehnungshypothesen auch, wenn wir nicht nur Lautsubstitutionen ad hoc angeben könnten, sondern einheitliche Lautgesetze für eine größere Menge von Lehnwörtern. Kommen wir z.B. zurück auf den Vokal leon. / ê a / in straed (vgl. oben § 3.6). Der Diphthong / ê a / kommt im Dialekt von Leon heute nur in einsilbigen, betonten Zeichenkörpern vor (vgl. oben § 1.5), innerhalb unseres (hypothetischen) Lehnmaterials nur in diesem Wort. Andererseits bleibt diese Schwäche bestehen, auch wenn wir Entlehnung aus dem Lateinischen, Französischen oder Kymrischen annehmen, und niemand wird daran zweifeln, daß das bretonische Wort straed letztlich, wenn auch auf verschlungenen Wegen, auf lat. strata zurückgeht. Offensichtlich brauchen wir in der Lehnwortforschung
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auch relativ schwache Hypothesen. Das gibt uns den Mut, vorliegendes Material trotz seiner Schwächen vorzulegen. Als Träger englisch-bretonischer Lehnbeziehungen (in beiderlei Richtung) rechnen wir (mit Fañch Falc'hun) mit Seefahrern und Geschäftsleuten, die spätestens seit dem Beginn der angelsächsischen Eroberung (und noch heute) zwischen England und der Bretagne verkehren. 46 Dazu kamen nach Ausweis der literarischen Überlieferung aus dem Mittelalter zahlreiche fahrende Ritter. Bei engl, faze und toque wäre an bretonische Einwanderer nach New York bzw. Toronto als Träger zu denken. 47 Die übliche Kategorisierung der Entlehnung als "kulturell" (bei neuen designata, die man gemeinsam mit ihrem N a m e n kennenlernt, z.B. russ. sputnik, glasnost', perestrojka in den westeuropäischen Sprachen) bzw. "intim" (man schmückt sich mit Wörtern aus der Prestigesprache, weil sie höherwertig klingen, z.B. engl, ticket für dt. Flugkarte)48 scheint auf das bretonisch-englische Material nicht recht anwendbar. Die als solche in Frage kommenden Lehnwörter gehören als G r u p p e weder in den kulturellen noch in den intimen Wortschatz. Wir möchten eher mit einer bretonisch-englischen lingua franca der Seeleute und Reisenden rechnen, nicht unbedingt mit einer Kreolsprache, sondern eher vergleichbar mit der niederdeutsch-schwedischen lingua franca, in der man bis in unser Jahrhundert hinein über die Ostsee verkehrte, mit der "gemeinskandinavischen" lingua franca, in der man sich heute innerhalb der "nordischen Länder" verständigt. Einzelne Wörter aus der lingua franca werden dabei immer wieder in die Einzelsprachen übernommen, zunächst als internes Wort der beteiligten G r u p p e (slang), von dort weiter in die Gemein-
46
Bis zur Reformation saßen zahlreiche bretonische Geschäftsleute in den kornischen Städten. Danach brach der Zuzug aus der Bretagne ab (nach Martyn F.Wakelin, Language and History in Cornwall, Leicester 1975, 99). 47 Es bestehen bretonische Einwandererkolonien in New York, Toronto u.a. In Jenkinstown, Pennsylvanien, erscheint neuerdings die bretonische Zeitschrift Bro Nevez. 48 Leonard Bloomfield, Language, New York 1933, 444-475.
Herbert Pilch
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spräche, z.B. das deutsche Seemannswort (ver)gammeln Verkommen' ( < nordg. gommai 'alt'). 49 Dazu stimmt es, daß einige als englisch-bretonisch in Frage kommende Lehnwörter zuerst als Slangwörter belegt sind, z.B. engl, faze, toque. Bret, gast 'Teufel' ist bis heute Trabantenwort 50 zu diaoul, vermutlich ein in die Gemeinsprache übernommenes Slangwort. Engl, dismantle ist ein technisches Wort (bzw. ein Slangwort) des Militärs (auch der Marine), seizure 'Schlaganfall' eines der Medizin, hangar eines der Luftfahrt. Auch vann. haor 'Hafen' dürfte seinen Weg als Trabantenwort zum gemeinbretonischen porzh begonnen haben. Für die Richtung, in der entlehnt wird, liefert einmal die Chronologie der Belege einen Anhaltspunkt (z.B. bei bret. hangar, pav), zum anderen die Integration des Wortes in die Struktur des einheimischen Wortschatzes. Vergleichen wir z.B. engl, dismantle, frz. démanteler mit bret. dismantra, so ist nur letzteres in den Wortschatz integriert insofern, als es als Ableitung neben dem Simplex mantra steht. Das Englische und Französische kennen dagegen kein (als Derivand in Frage kommendes) verbum simplex *mantle bzw. *manteler. Die "Struktur des einheimischen Wortschatzes" soll dabei nicht nur synchron verstanden werden, sondern muß im Falle des Bretonischen ausgedehnt werden auf den Wortschatz der keltischen Sprachen insgesamt, im Falle des Englischen der germanischen Sprachen insgesamt usw. Diese Erwägung spricht z.B. dafür, daß engl, faze aus dem Bretonischen entlehnt ist, nicht umgekehrt, da ja bret. faezañ mit körn, fetha verwandt ist. Aus gleicher Erwägung müssen bret. lâk-âad und lód-ènn aus dem Germanischen stammen (nicht umgekehrt). Sind doch die altenglischen Wörter lecgan und hlott morphologisch analysierbar (Ableitungen von licgan bzw. hlëotan) und entsprechen verwandten Wörtern in den übrigen germanischen Sprachen. Die bretonischen Wortstämme lak-, lod- sind
49
Inzwischen ist der Wortstamm gammel- aus der Seemannssprache weiter entlehnt in die deutsche Gemeinsprache. 50 Den Begriff übernehmen wir von Walther v.Wartburg, Einführung in die Problematik und Methodik der Sprachwissenschaft, Tübingen 21962, 145.
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Breton.-engl. Lehnbeziehungen
dagegen (innerhalb des bretonischen und keltischen Wortschatzes) isoliert. Die (zur Diskussion zu stellende) keltische Urverwandtschaft von bret. lakaad mit ir. leagan scheitert am Inlautkonsonanten bret. / k / < */gh/, ir. / g / < */gg/ (die spätere Übernahme in das Paradigma der bretonischen Verben auf mbret. -haad > nbret. -aad veränderte den Inlautkonsonanten nicht mehr, da bret. / k h / = / k / (bzw. bret. / k h / > / k / ) . Wir folgern, sowohl bret. lak- als auch mir. lecseien unabhängig voneinander aus dem frühen Germanischen entlehnt. Aus dem gleichen Grunde kann bret. aber 'Fluß' nicht aus frz. havre entlehnt sein,51 sondern höchstens umgekehrt; denn aber ist auch im Kymrischen seit alters belegt und in die kymrische Morphologie integriert (PI. ebyr). Diesen Strukturbegriff verallgemeinernd, schließen wir uns dem (m.W. allgemein akzeptierten) Grundsatz an, daß Entlehnungshypothesen nur mit der Maßgabe gelten, daß historischvergleichende Deutung ("Integration") ausscheidet. Deshalb spricht z.B. das kymr. [ae · ] dagegen, daß wir südwestenglisch /ae · / und leon. / e a / (vgl. oben § 1.5) im Sinne des Sprachbundes deuten. Auch wenn die bretonisch-englischen Lehnbeziehungen als Reste einer einstigen lingua franca ihrer Bedeutung nach nicht mit den intimen französisch-bretonischen bzw. französischmittelenglischen zu vergleichen sind, so lösen sie doch eine Reihe von Rätseln im etymologischen Wörterbuch.
51
Entgegen FEW 16 s.v. havene Abs. 2.
Erich Poppe, Cambridge
VORÜBERLEGUNGEN ZU EINER INTERPRETATION VON VORANSTELLUNGEN IM ALT-/MITTELIRISCHEN 1. Einleitung Typologisch gesehen ist das Irische in allen belegten Perioden eine konsistente und rigide VSO-Sprache, die zudem SVO als unmarkierte Variante nicht zuzulassen scheint.1 Die Voranstellung einer Konstituente vor das finite Verb ist nach herrschender Grammatikermeinung nur möglich in einem sog. Spaltsatz, und die Funktion dieser Konstruktion ist Emphase, die Hervorhebung einer Konstituente, so z.B. Kim McCone: "Since the ordering of elements within the clause is rather inflexible, the principal device for emphasising a given constituent of the clause apart from the verb is the so-called 'cleft-sentence' whereby the element in question is taken out of the clause itself as an antecedent construed with the appropriate form of the copula, which may, however, on occasion be omitted."2 Untersuchungen von Proinsias Mac Cana und Pádraig Mac Coisdealbha3 zu Voranstellungen im Alt-/Mittelirischen 1
Vgl. Joseph H. Greenberg, Some Universals of Grammar with Particular Reference to the Order of Meaningful Elements, in: J.H. Greenberg (Hrsg.), Universals of Grammar, Cambridge (Mass.) 1963, 73-113; Michael Flecknoe, VSO-Patterns in Old-Irish, Working Papers in Linguistics (Univ. of Hawaii), 8.4. (1976), 19-28; Anders Ahlqvist, Typological Notes on Irish Word-Order, in: P.J. Hopper (Hrsg.), Studies in Descriptive and Historical Linguistics, Amsterdam 1977, 267-81; Markku Filppula, Some Aspects of Hiberno-English in a Functional Sentence Perspective, Joensuu 1986 ( = University of Hoensuu Pubi, in the Humanities, 7), 57-60. 2 Kim McCone, The Early Irish Verb, Maynooth 1987 ( = Maynooth Monographs, 1) 19; vgl. auch Rudolf Thurneysen, A Grammar of Old Irish, Dublin 1946, 327. 3 Proinsias Mac Cana, On Celtic Word Order and the Welsh 'Abnormal' Sentence, Ériu, 24 (1973) 90-120; Pádraig Mac Coisdealbha, The Syntax of the Sentence in Old Irish, Diss. Bochum 1974 [gedruckt 1976],
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Voranstellungen im Air. und Mir.
haben gezeigt, daß 'Emphase' eine sehr allgemeine Kategorie ist, die nach spezifischeren Funktionen untergliedert werden kann. Solche Funktionen seien z.B. Kontrastierung, explizite Feststellung des inhaltlichen Verhältnisses von zwei Aussagen, Kennzeichnung einer Erklärung, Neu- oder Wiedereinführung einer Erzählfigur, Hervorhebung der Gesamtaussage. Diese Liste kann aber erheblich erweitert werden. Apriori lassen dies einige neuere Untersuchungen zu Funktionen von Spaltsätzen im Englischen, Hiberno-Englischen und Neukymrischen erwarten. Die kontrastiv-funktionale Analyse von Spaltsätzen im Standard-Englischen und im Hiberno-Englischen von Markku Filppula hat ergeben, daß im Standard-Englischen die Verwendung von Spaltsätzen eingeschränkter ist, sowohl was die Wahlmöglichkeiten von Konstituenten für die Voranstellung als auch was das Spektrum ihrer pragmatischen Leistungen betrifft.Das Hiberno-Englische ist hier stark vom Irischen beeinflußt, und ähnliches scheint für das Cambro-Englische zu gelten.4 Im folgenden möchte ich einige Vorüberlegungen zu einer verfeinerten Untergliederung der Funktionen von Spaltsätzen im AIt-/Mittelirischen vorstellen und zugleich auch die Frage ansprechen, ob alle Voranstellungen notwendig als emphatisch im Sinne eines Spaltsatzes und somit als syntaktisch und pragmatisch markiert angesehen werden müssen. Dies ist ein erster Werkstattbericht; mein Kriterien- und Klassifikations-
4
Peter Erdmann, It-Sätze im Englischen, Heidelberg 1987; Peter C. Collins, Cleft and Pseudo-Cleft Constructions in English, London 1991; Markku Filppula, VSO and SVO Languages in Contact: Sentence-Thematic Pecularities of Hiberno-English, in: Th. Fretheim & L. Hellan (Hrsg.), Papers from the Sixth Scandinavian Conference of Linguistics, Trondheim 1982, 50-59; Filppula, Aspects; T. Arwyn Watkins, The Function of the Cleft and Noncleft Constituent Orders in Modern Welsh, in: J. Fife & E. Poppe (Hrsg.), Studies in Brythonic Word Order, Amsterdam 1991, 329-51. Zur Rolle des Gruppenakzents vgl. den Beitrag von Elmar Ternes in diesem Band. Für verschiedene Erklärungsmodelle für die hiberno-englische Situation vgl. Markku Filppula, Substratum, Superstratum, and Universals in the Genesis of Hiberno-English, Irish University Review 20.1 (Spring 1990), 41-54.
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raster ist noch vorläufig, und die vorgeschlagenen Interpretationen wollen nicht mehr als exemplarischen Charakter beanspruchen.
2. Zur funktionalen Untergliederung der Spaltsätze 2.1. Eine pragmatische Leistung wird mit dem Spaltsatz traditionell eng verbunden, nämlich KONTRASTIERUNG. Sie scheint eine semantische oder logische Beziehung zwischen der durch den Spaltsatz hervorgehobenen oder fokussierten Konstituente und einem anderen Ausdruck im Kontext zu verlangen, und der Relativsatz zeigt oft, aber nicht notwendig, geringe kommunikative Dynamik. Eines der wenigen eindeutigen Beispiele für diesen Typ ist (1): (1)
Bentai frisin corthe inna farrad co sescaind cach ball de a lethe. Mad iar n-arailiu [sticht] immorro is a líat[h]róit ro lá-som inna beólu co mie a inathar thrit. (TBC I 584-87) 'Er [Cú Chulainn] schleuderte ihn [den Hund] gegen den Stein neben ihm, so daß alle seine Glieder von ihm weg sprangen. Nach einer anderen Version aber war es sein Ball, den er in sein Maul stopfte, so daß es seine Innereien durch ihn hindurch trieb.'
Hier werden zwei Versionen eines Ereignisses berichtet, und die jeweils unterschiedlichen Mittel, den Hund zu töten, der Stein bzw. der Ball, sind die kontrastierenden Ausdrücke, die zueinander in Beziehung gesetzt werden, indem eines fokussiert wird. Der Relativsatz enthält neue Information. 2.2. Eine sehr viel häufigere Funktion von Fokussierung ist IDENTIFIKATION. Hierbei wird durch einen minimalen auktorialen Kommentar das Verhältnis von zwei Aussagen eindeutig bestimmt, z.B. durch einen anaphorischen Präpositionalausdruck mit einem regierten Substantiv, wie in (2), oder mit Personal- bzw. Demonstrativpronomen, wie in (3), (4) und (5).5 5
In diesem Zusammenhang wäre auch dem interessanten Hinweis von Pierre-Yves Lambert, La traduction du pronom relatif latin dans les gloses en vieil-irlandais, Études celtiques, 18 (1981), 121-39, nachzugehen, daß fokussierte Personalpronomen in air.
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Voranstellungen im Air. und Mir.
(2)
Ba isin n-aidchi sin adchondairc Dubthach Dóel Ulad in aislingi (TBC I 3527) 'Es war in dieser Nacht, daß Dubthach Dóel Ulad eine Vision hatte'. Der Präpositionalausdruck in (2) bezieht sich über das Demonstrativum zurück auf die im vorausgehenden Kontext bestimmte temporale Situation, und durch die Fokussierung wird die Gleichzeitigkeit von zwei Ereignissen herausgestellt. (3) Is and sin dosnáncatár cruitti Cambili ó Ess Rúaid día n-airfitiud. (TBC I 942-43) 'Da kamen die Harfner von Caín Bile zu ihnen von Ess Rúaid, um sie zu unterhalten,' (4) Dolodar iar sin ina slóig dia guin. Ni léig Fergus acht a t[h]echt leth bud mellach lais. Is iar sin doascain dochum a thíri. (TBC I 4143-145) 'Die Armeen kamen dann, um ihn [den Bullen] zu töten. Fergus erlaubte ihm zu gehen, wohin er wollte. Danach brach er in sein Land auf.' (5) Ocus ort in n-én boi for gúalaind Ailella fri áth antúaid Is de atá Méthe nEóin. (TBC I 924-25) 'Und er [Cú Chulainn] tötete den Vogel, der auf Ailills Schulter saß, nördlich von der Furt. Daher kommt [der Name] Méthe nEóin.' Fokussiertes and, wie z.B. in (3), wird in erzählenden Texten häufig verwendet und kann als narrative Formel betrachtet werden. Wohl deshalb wurde auch überlegt, ob dieser Ausdruck seine ursprüngliche markierte Bedeutung ganz oder
Glossen und späterer Übersetzungsliteratur zur Wiedergabe eines "relative apposée", eines nicht-restriktiven, weiterführenden Relativsatzes verwendet werden. Ein mögliches Beispiel für diesen Typ aus dem einheimischen Korpus wäre TBC I 369-70, wobei jedoch auch eine Interpretation als identifizierender Kopulasatz parallel zum vorausgehenden Satz möglich ist: Is éfer dogénad in gnínt, [...] Cú Chulaind Is é no benfad a crand óenbémim dia bun. 'Er ist der Mann, der diese Tat vollführt hat, Cú Chulainn. Er ist es, der den Baum mit einem Schlag von seiner Wurzel gefällt hat' oder '[...] Cú Chulainn, der den Baum [...]'. Erdmann, It-Sätze, 134, hat auf eine 'additive' Verwendung eines fokussierenden it-Satzes aufmerksam gemacht, "der im Vor-satz an Vorangegangenes anknüpft und im Folge-satz neue Mitteilungen macht, die im Text weitergeführt werden". Ausgeschlossen ist eine Interpretation als weiterführender Relativsatz z.B. im Falle von TBC I, 635-36.
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weitgehend verloren hat und zu einer reinen Satzverbindung geworden ist.6 Nach einer Analyse einer Reihe von Belegen scheint mir jedoch ein solcher Funktionsverlust nicht eingetreten zu sein. In narrativen Zusammenhängen unterbricht die Fokussierung von and die erwartete, fortlaufende Beschreibung von Ereignissen, indem sie auktorial auf das genaue Verhältnis dieser Ereignisse abhebt. Damit wird das nachfolgend beschriebene Ereignis aus der narrativen Abfolge heraus- und hervorgehoben, und die Konstruktion dient somit der Steuerung des Informationsflusses im Hinblick auf die Aufmerksamkeit und Erwartung eines Hörers. Dies gilt wohl auch für die häufigen Einführungssätze von poetisch gehobener Rede mit fokussiertem and, da solche Rede in mittelalterlichen irischen Erzählungen eine besondere Bedeutung hat.7 Fokussiertes íarom/íar sin, wie z.B. in (4), ist weniger geeignet, die unmittelbare Abfolge oder Gleichzeitigkeit von zwei Ereignissen zu identifizieren, da diese Ausdrücke eine unspezifische Zeitspanne zwischen den beiden Ereignissen erlauben. Obwohl sie in ähnlicher Weise wie fokussiertes and gebraucht werden können, um die Abfolge von Ereignissen zu verdeutlichen und zugleich Ereignisse aus diesen Abläufen hervorzuheben, können sie gleichzeitig noch andere pragmatische Leistungen übernehmen, z.B. die Kennzeichnung von Parallelität oder Texteinschnitt. Eine Klassifikation der pragmatischen Leistungen von Fokussierungen steht somit vor der methodischen Komplikation, daß eine solche Konstruktion in einem einzigen Kontext mehrere pragmatische Leistungen
6
Vgl. Mac Coisdealbha, Syntax, 48; Cecile O'Rahilly, Varia 2. is ann: is amlaid, Celtica, 12 (1977), 188-91; Erich Poppe: Beobachtungen zum Adyerbialgebrauch in den Texten der Táin Bó Cúailnge, erscheint in Η. L. C. Tristram (Hrsg.), Die Táin Bó Cúailnge zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Tübingen. 7 Vgl. z.B. Proinsias Mac Cana, Notes on the Combination of Prose and Verse in Early Irish Narrative, in S.N. Tranter & H.L.C. Tristram (Hrsg.), Early Irish Literature. Media and Communication. Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der frühen irischen Literatur, Tübingen 1989 (= ScriptOralia 10), 125-47.
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übernehmen kann, also eine Überschneidung von Kategorien eintritt. Obwohl es möglich und sinnvoll ist, verschiedene Leistungskerne zu bestimmen und zu beschreiben, werden eine nicht geringe Anzahl von Textbeispielen dann Merkmale verschiedener Leistungen zeigen, so daß die Kategorien in ihrer tatsächlichen Verwendung nicht notwendig eindeutig voneinander abgegrenzt sind. Dies gilt auch für die Belege, in denen die Ableitung eines Namens durch fokussiertes de, wie z.B. in (5), mit einem vorausgehend berichteten Ereignis eindeutig verbunden wird. Obwohl die Kernleistung Identifikation und Kennzeichnung des Wechsels der Erzählebene ist, kann auch die zusätzliche Kennzeichnung einer Erklärung angenommen werden. 2.3. Die Kennzeichnung einer E R K L Ä R U N G , als Reaktion auf eine ausgesprochene oder unausgesprochene Frage, ist eine andere Umgebung, in der, wie eben erwähnt, Spaltsätze verwendet werden: (6) Ro-ráidset a n-athesca. 'Do chungid in chon do-dechammar-ni' ol techta Connacht. (SMD § 2.2-4) 'Sie [die Boten] berichteten ihre Anliegen. "Wir sind gekommen, um den Hund zu fordern," sagten die Boten aus Connacht.' Die unausgesprochene, kontextgegebene Frage betrifft das Anliegen der Boten; die fokussierte Konstituente hier enthält die entscheidenden Elemente der erwarteten Erklärung und somit neue Information. Dies ist jedoch nicht notwendig, wie der folgende Beleg (7) zeigt: (7) 'Is espa didiu, ' ol Medb, 'a techt. Is foraib biaid büaid in tslóig. ' (TBC I 153-54) "Ihr Kommen," sagte Medb, "ist deshalb sinnlos. Ihnen wird der Sieg der Armee gebühren." Hier erweitert und erläutert die Sprecherin ihre erste Feststellung, und nur der nicht-fokussierte Teilsatz enthält neue, kommunikativ entscheidende Information. Bei einer weiteren Verfeinerung des Rasters kann es notwendig werden, einen erklärenden von einem erweiternd-additiven Gebrauch mit Hilfe eines solchen Kriteriums der Informationsverteilung zu unterscheiden. 2.4. Fokussierung wird auch zur Kennzeichnung der konfrontierenden P A R A L L E L I T Ä T von zwei oder mehr Aussagen
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verwendet. Solche Fälle sind relativ einfach aus ihrer Umgebung zu bestimmen: Die komplexen Sätze bilden parallele Aussagen und haben zudem semantisch entsprechende Konstituenten in gleichen syntaktischen Positionen:8 (8)
'Cinnasfir,' or Aitili, 'in Cú rochúalammár la hUltu? Cia háes in gillai sin is irdairc?' 'Ni handsa ém, ' ol Fergus. 'Irma chóiced bliadain luid, dia cluchiu cosin macraid do Emain Machi. Issin tsessed bliadain luid do foglaim gaiscid 7 chless la Scáthaig. Isin tsechtmad bliadain gabais gaisced Isin tsechtmad bliadain dèe a áes ind inbaid sea. ' (TBC I 374-80) "Was für ein Mann," sagte Ailill, "ist der Hund, von dem wir bei den Ulsterleuten gehört haben? Wie alt ist der berühmte Jüngling?" "[Das ist] nicht schwierig," sagte Fergus, "im fünften Jahr ging er zum Spielen zu den Knaben nach Emain Macha; im sechsten Jahr ging er, um Waffenkunststücke von Scáthach zu lernen; im siebten Jahr nahm er Waffen; sechzehn Jahre ist er jetzt."
2.5. Eine weitere wichtige, wenn auch vielleicht schwieriger greifbare Funktion von Fokussierungen ist HERVORHEBUNG. Der Sprecher hebt eine Konstituente als in einem bestimmten Kommunikationszusammenhang besonders wichtig heraus. Hier wird deutlich, wie Fokussierungen der Organisation von Information durch den Sprecher im Hinblick auf die von ihm gewünschte Form ihrer Aufnahme durch den Hörer dienen. Durch die Fokussierung lenkt der Sprecher die Aufmerksamkeit auf diese Konstituente, die kontextuell ungebundene oder zumindest als solche dargestellte Information enthält, ebenso wie zumeist auch der nicht-fokussierte Teilsatz. (9)
Recait iar sin co Emain. 'Carptech dorét far ñdochum, ' ol in dercaid i nEmain Macha. (TBC I 802-3) 'Sie erreichen dann Emain. "Ein Wagenfahrer kommt auf euch zu," rief der Wächter in Emain Macha.'
Die Fokussierung in (9) erscheint in direkter Rede, die einen Wechsel der Sicht, aus der erzählt wird, einleitet, von Cú Chulainn und seinem Wagenlenker hin zu den Leuten von Emain Macha. In des Wächters Warnruf ist das Element zur Fokussierung gewählt, das den Grund seiner Warnung angibt, 8 Vgl. hierzu Simon C. Dik, The Theory of Functional Grammar I. The Structure of the Clause, Dordrecht 1989, 278-82.
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d.h. das Element mit der größten kommunikativen Dynamik in dieser speziellen Umgebung. (10) Do-eth ó Ailill ocus ó Meidb do chungid in chon. Immalle dono táncatar ocus techta Ulad ocus Conchobair do chungid in chon chétna. (SMD § 1.3-6) 'Man kam von Ailill und Medb, um den Hund zu fordern. Zur gleichen Zeit aber kamen sie und die Boten der Ulsterleute und Conchobors, um den gleichen Hund zu fordern.'
In (10) ist die Tatsache, daß die Boten der zwei Provinzen gleichzeitig kommen, um den gleichen Hund zu fordern, Ausgangspunkt der Erzählung, da damit das Problem gegeben ist, das die Hauptperson zu lösen versucht. Der Adverbialausdruck ist fokussiert, um die Aufmerksamkeit der Hörer auf die entscheidende Tatsache der Gleichzeitigkeit des Kommens zu richten. Fokussierung zur Hervorhebung zeigt sich so als wichtiges Mittel, das Verständnis eines Textes in eine bestimmte Richtung zu lenken. 2.6. Meine (vorläufig) letzte Kategorie von Fokussierungen hat einen etwas anderen Status als die bisher besprochenen: Hier kennzeichnet die Fokussierung einen TEXTEINSCHNITT. Oft werden unspezifische temporale Adverbialausdrücke so eingesetzt, wie z.B. in (11): (11) Fecht aile daño bátár Ulaid inna nóendin. (TBC I 525) 'Einmal waren die Ulstermänner in ihrem Schwächezustand.'
In diesen Fällen hat die Fokussierung keine satzinterne Funktion, sie lenkt die Aufmerksamkeit nicht auf die fokussierte Konstituente und ihren Aussagegehalt im Hinblick auf die folgende Aussage, sondern sie hat eine nur satzexterne, textuelle Funktion im Hinblick auf das Verhältnis der folgenden Aussage zum vorausgegangenen Bericht: sie unterbricht die selbstverständliche zeitliche Abfolge der Ereignisse, und der Adverbialausdruck überbrückt eine auf der Zeitachse der Erzählung unbestimmt gebliebene Spanne. Die Kennzeichnung eines Erzähleinschnitts durch Fokussierung ist jedoch nicht zwangsläufig, wie das folgende Beispiel (12) zeigt, sondern beruht auf einer auktorialen Wahl aus einer Reihe von Möglichkeiten (so etwa auch Voranstellung eines Personennamens, Kapitelüberschriften, Kapitelzusammenfassungen):
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(12) Bai in fecht [n-Jaile dono oc ani liât[hJráiti i mmaig in c[h]luche fri Emain anair. (TBC I 471-72) 'Er spielte einmal Ball auf dem Spielfeld östlich von Emain.'
3. Fokussierte versus thematische Voranstellungen 3.1. Fokussierte Voranstellungen sind für alle Konstituenten, mit Ausnahme des finiten Verbs, möglich und belegt. Aufgrund meiner bisherigen Untersuchungen glaube ich jedoch zeigen zu können, daß für (zumindest) zwei Klassen von Konstituenten auch eine nicht-fokussierte, thematische Voranstellung möglich ist, nämlich für temporale Adverbialsätze und ihnen gleichwertige Konstruktionen.® Temporale Adverbialsätze können, im Alt-/Mittelirischen wie in vielen anderen Sprachen, dem übergeordneten Teilsatz vorangehen oder folgen. Untersuchungen zur pragmatischen Bedeutung solcher beweglichen Adverbialsätze im Deutschen und Englischen haben gezeigt, daß sich vorangestellte Temporalsätze von nachgestellten hinsichtlich ihrer Funktion eindeutig unterscheiden: vorangestellte (nicht-fokale) Adverbialsätze sind thematische Elemente, während nachgestellte Adverbialsätze rhematische Elemente sind. Thematische Adverbialsätze geben Hintergrundsinformationen über den situativen Rahmen der folgenden Aussage, d.h. sie fungieren als Situationskulissen mit niedriger kommunikativer Dynamik. Rhematische Adverbialsätze hingegen gehören zum Informationszentrum des komplexen Satzes und tragen als eine lokalisierte Spezifikation der Aussage des übergeordneten Satzes notwendig zur Entfaltung der Satzinformation bei.
9
Vgl. Erich Poppe, The Pragmatics of Complex Sentences: Interpreting the Position of Temporal Clauses in Early Irish, erscheint in Journal of Celtic Lingustics, für eine exemplarische Vorstellung, sowie Erich Poppe, Untersuchungen zur Wortstellung im Mittelkymrischen. Temporalbestimmungen und funktionale Satzperspektive, Hamburg 1991, 93-116, 223-48, für eine ausführlichere Darstellung der einschlägigen Literatur sowie einer Anwendung auf ein mittelkymrisches Korpus.
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3.2. An dieser Stelle ist es nur möglich, exemplarisch den Erklärungswert dieser Kategorien für die Voran- bzw. Nachstellung von Adverbialsätzen im Alt-/Mittelirischen aufzuzeigen. Ausgangspunkt seien (13) bis (15): (13) Céin trá ro gnithea ina fisi seo ro airlesatar Connachta a comairle Alleila 7 Medba 7 Fergusa techtaireda úaidib do décsin Ulad dûs in torpori[atJar an mag. (TBC I 3545-547) 'Während man nun diese Visionen hatte, entschieden die Männer von Connacht auf den Rat von Ailill, Medb und Fergus, Boten zu senden, um herauszufinden, ob die Ulstermänner die Ebene erreicht hätten.' (14) '[...] Céin ba deisib 7 tririb, ba herusa do chomchisi' or Fùtgin. 'In tan as slicht slüaig, (ar) atbéla do anim cip cruth. ' (TBC I 3285-286) "'Solange es [deine Angreifer] zwei und drei Männer waren, war deine Diagnose sehr leicht," sagte Fingin, "wenn es die Spuren eines Heeres sind, wirst du sowieso sterben."' (15) 'Dar ar mbréthir trá,' ar sé, 'isatt áilsiu damsa 7 bidat áil hi céin bat béo. ' (SC 724-25) '"Bei meinem Wort," sagte sie, "du bist mir lieb, und du wirst mir lieb sein, solange du lebst."'
In Beleg (13) sind die beiden Ereignisse als gleichzeitig, aber unabhängig voneinander dargestellt; die Bedeutung der Konjunktion céin ist entsprechend 'während'. Der Temporalsatz bezieht sich auf den im vorausgehenden Kontext gegebenen Bericht über die Visionen von Dubthach und Ailill (TBC I 3530-543) und bestimmt so den situativen Rahmen für die folgende Aussage auf der Zeitachse der Erzählung. Für diesen Beleg, sowie für eine große Zahl vergleichbarer Belege, scheint mir eine Interpretation als fokussiert nicht angemessen, vielmehr erfüllt der Temporalsatz die Aufgabe einer thematischen Situationskulisse. Ich schlage deshalb vor, in solchen Umgebungen von der thematischen Voranstellung einer Konstituente zu sprechen. In Satz (14) hingegen sehe ich Kontextfaktoren gegeben, die eine Interpretation des vorangestellten Adverbialsatzes als fokussiert erfordern: zusammen mit dem nachfolgenden Satz, in dem ein mit in tan 'wenn' eingeleiteter Adverbialsatz vorangestellt ist, bildet dieser Satz ein Paar, in dem gleichartige Konstituenten zur konfrontierenden Parallelisierung der Aussagen fokussiert sind (vgl. oben § 2.4.). Die Bedeutung der Konjunktion céin ist hier eindeutig 'solange'; der Adverbial-
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satz verankert die nachfolgende Aussage also nicht auf der Zeitachse der Erzählung, sondern gibt eine lokalisierte, inhaltlich notwendige temporale Bestimmung der Aussage des übergeordneten Teilsatzes und erfüllt so die funktionalen Bedingungen für die Verwendung eines Adverbialausdrucks als einer Spezifikation. In Beleg (15) hat die Konjunktion i céin die Bedeutung 'während, solange', und der Adverbialsatz gibt die temporale Bedingung an, unter der die Aussage des übergeordneten Teilsatzes erfüllt wird. Entsprechend stellt er eine lokalisierte und inhaltlich notwendige Ergänzung dar, ist damit eine rhematische Spezifikation und unterscheidet sich funktional deutlich von einem als Situationskulisse verwendeten Adverbialsatz. In dem von mir analysierten Korpus zeigt sich eine Regelhaftigkeit des Verhältnisses von Stellung und Funktion von Adverbialsätzen: vorangestellte Adverbialsätze fungieren als thematische Situationskulissen oder als Fokus, nachgestellte Adverbialsätze als rhematische Spezifikationen. Dies rechtfertigt den Ansatz von zwei funktional unterschiedenen Arten von Voranstellung für diesen Konstituententyp, thematische bzw. fokussierte Voranstellung. Thematische Voranstellung und Nachstellung differenzieren wiederum zwischen den beiden pragmatischen Leistungen von Adverbialausdrücken, Situationskulisse bzw. Spezifikation. 3.3. Präpositionalausdrücke mit einem regierten Verbalnomen und typischerweise einem Präpositionalausdruck, der das Agens des Verbalnomens bezeichnet, sind Adverbialsätzen äquivalent. Sie zeigen das gleiche Verhalten wie Adverbialsätze bei Voranstellung (thematisch oder fokussiert), bei Nachstellung jedoch eine funktionale Uneindeutigkeit: Entsprechend ihrer Umgebung können sie als Spezifikation, wie in (16) oder als Situationskulisse, wie in (17), verwendet sein.10 (16)
'Dos-icfe uile eil condolba oc aicsin in meic isind níth mär sin. ' (TBC I 3834) '"Ein Gefühl von Loyalität werden sie alle spüren, wenn sie die Knaben so in der Schlacht sehen."'
10 Vgl. TBC I 694-95 für einen ähnlichen Ausdruck in der Verwendung einer Situationskulisse.
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(17) Lotar ass iarom co hEmuin, 7 in mac la Finnchóem. Ro fuigill Morann íarom íar riachtain dóib co hEmuin, 7 asbertside. (Comp.C.C. § 7.47-48) 'Sie gingen dann nach Emain, und der Knabe mit Finnchóem. Morann entschied dann, ab sie Emain erreichten, und er sagte.'
Eine weitgehend vergleichbare Situation ist für das Englische beschrieben worden: In Sätzen wie She was robbed in London ist die funktionale Interpretation des Adverbialausdrucks uneindeutig und hängt von der spezifischen Satzumgebung ab, d.h. ob der Satz als Antwort auf die möglichen Fragen Where was Mary robbed? bzw. What happenend to Mary in London? gemeint ist." Im ersten Fall ist er, in der hier verwendeten Terminologie, als Spezifikation, im zweiten als Situationskulisse zu interpretieren.
4. Ausblick Der hier kurz vorgestellte Ansatz zur Interpretation von Voranstellungen im Alt-/Mittelirischen läßt vermuten, daß nicht alle Voranstellungen als Spaltsatz und somit als 'emphatisch' analysiert werden müssen und daß das traditionelle Konzept der 'Emphase' sinnvoll weiter untergliedert werden kann und die Verwendungsweisen der fokussierten Voranstellung damit genauer beschrieben werden können. Abgekürzt zitierte Texte: Comp.C.C. SC SMD TBC I.
= Comperi Con Culainn and Other Stories, hrsg. v. A. G. van Hamel, Dublin 1933. = Serglige Con Culainn, hrsg. v. M. Dillon, Dublin 1953. = Scéla Mucce Meie Dathó, hrsg. v. R. Thurneysen, Dublin 1935. = Táin Bó Cúailnge. Recension I, hrsg. v. C. O'Rahilly, Dublin 1976.
11 Susumo Kuno, Conditions for Verb Phrase Deletion, Foundations of Language, 13 (1975), 161-75.
Martin Rockel, Berlin
DIE IRISCHSPRACHIGEN SCHALLPLATTEN IM LAUTARCHIV DER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN Unter Bezugnahme auf einen Antrag vom 27. Februar 1914 wurde ein Lautarchiv für das lebendige Sprachstudium und den praktischen Sprachunterricht geschaffen, das wie folgt gegliedert war: 1. Sprachen sämtlicher Völker der Erde, 2. sämtliche deutsche Mundarten, 3. Musik und Gesang aller Völker der Erde, 4. Stimmen der großen Persönlichkeiten".1 Unter der Führung dieses Lautarchivs wurde nach dem Ausbruch des ersten Weltkriegs im August 1914 eine Kommission zur Aufnahme der Stimmen der Vertreter aller in deutschen Kriegsgefangenenlagern untergebrachten Völker auf Veranlassung des Ministerialdirektors Dr. Schmidt eingesetzt. Unter diesen Aufnahmen befanden sich keine in einer keltischen Sprache. So wurden die Stimmen einfacher Menschen konserviert. Darüber hinaus wurden aber auch die Stimmen "bedeutender Persönlichkeiten" wie z.B. Seiner Majestät des Kaisers Wilhelm II. bei seinem Aufruf an das deutsche Volk vom 6. August 1914 der Nachwelt überliefert. Letzteres geschah, um die patriotische Erziehung zu stärken; denn im Antrag "Wert und Bedeutung einer Amtlichen Stimmensammlung" vom 16. Juni 1917 wird davon ausgegangen, daß die Charakterzüge einer Persönlichkeit an Autogrammen, Photographien und Phonogrammen studiert werden können. Deshalb bestünde ein historisches Interesse an der Stimme von: - S. M. des Kaisers, - aller bedeutendsten Fürsten wie des Königs von Bayern etc., - der ersten Heerführer wie Hindenburg, Ludendorff etc., - der Staatsmänner und bedeutenden Wissenschaftler und - berühmter Sänger und Redner.
1 Archiv der Deutschen Staatsbibliothek (im folgenden abgekürzt ADS), Akten betr. Lautsammlung Bd. I No. III G 59 Bl. 1.
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Irischsprachige Schallplatten der HU
Die Stimmensammlung wurde mit der Autographensammlung Darmstaedter vereinigt. Die Organisation, Verwaltung und Leitung der Lautaufnahmen wurden dem Oberlehrer Prof. Wilhelm Doegen übertragen. Während anfangs festgelegt wurde, daß die Sammlung dem Publikum unzugänglich war und die Platten "weder verkauft noch zu irgendwelchen wohltätigen und anderen Zwecken vertrieben werden" und als Eigentum der Regierung nur mit ihrer Genehmigung "an besonderen nationalen Festtagen" vorgeführt werden dürfen,2 dienten sie später dem Hochschul- und Sprachunterricht, so daß das gesammelte Material "allen deutschen Forschungs und Bildungsanstalten in der Gegenwart und Zukunft zugänglich" war.' Dies bedeutete Verkauf der Platten, aber keinen Verleih. Im Jahr 1920 wurde die Lautabteilung, die inzwischen Aufnahmen in 250 Sprachen erfaßte, der Preußischen Staatsbibliothek angegliedert.4 W. Doegen wurde 1931 wegen Verstoßes gegen die Haushaltsvorschriften vom Generaldirektor der Preuß. Staatsbibliothek3 und im Jahr 1933 aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" beurlaubt. Auf Antrag seines Nachfolgers D. Westermann wurde im Jahr 1934 die Lautabteilung zum "Institut für Lautforschung an der Humboldt-Universität" umgebildet.6 Das technische Herstellungsverfahren bestand aus folgenden Schritten: Ausschneiden von Lautkurven mit einem geschliffenen Saphir auf einer Wachsplatte, galvanoplastische Umwandlung in Originalkupfermatritzen, Versilberung und Aufbewahrung dieser Matrizen, Herstellen von Preß und Reservepreßmatrizen aus Kupfer und Pressung von Schellack-
2 3 4
ADS Nr. A 29, Lautabteilung Bl. 2. ADS, Akten betr. Lautsammlung Bd. I No. III G 59 Bl. 16. ADS, Akten betr. Lautsammlung Bd. II No. G 59, 1927/28,
Bl. 7. 5
Archiv der Humboldt-Universität (im folgenden abgekürzt AHU), Findbuch 1920-1945, Institut für Lautforschung Bl. II. 6 Ebd. Bl. III
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platten.7 Diese Arbeiten wurden von den Schallplattenfirmen Odeon 8 und C. Lindström9 in Berlin ausgeführt.
Die irischen Schallplatten Im Jahr 1928 trat die Royal Irish Academy an die Lautabteilung der Preußischen Staatsbibliothek mit der Bitte heran, irische Mundarten aufzunehmen. Im Arbeitsbericht der Lautabteilung für das Jahr 1928 heißt es hierzu: "Zunächst ist auf Kosten der Royal Irish Academy für September 1928 eine Expedition nach Irland angesetzt, um eine Anzahl irischer Mundarten mit Aufnahmen festzuhalten. Die gesamten Kosten trägt die irische Regierung."10 Als Vermittler fungierte der damalige Minister für Deutschland und Gesandte des Irischen Freistaates in Berlin Daniel A. Binchy.11 Die Partner in Irland waren Myles Dillon, Secretary of Irish Studies Commitee,12 und Tomás O Máille, Secretary of the Sub-Committee of the Royal Irish Academy,13 der gemeinsam mit Liam O Buachalla vom University College Dublin14 für die Bereitstellung der Sprecher verantwortlich war. In den Proceedings der Royal Irish Academy in Dublin" werden das Aufnahmeverfahren beschrieben und die Kosten für die Aufnahmen zusammengestellt. Das Ergebnis der Tonaufnahmen waren Schallplatten, die von der Firma C. Lindström einseitig bespielt wurden. Die Umdrehungsgeschwin-
7
ADS Nr. A 29, Lautabteilung Bl. 5f. ADS, Akten betr. Lautsammlung Bd. I No. III G 59, Bl. 28. 9 ADS, Akten betr. Lautsammlung Bd. II No. III G 59, 1927/28, Bl. 119. 10 Ebd. Bl. 206 11 Ebd. B1.237b; ADS, Akte Institut f. Lautforschung Nr. 10, 1926/32, Brief von Prof. Hülle an Prof. Binchy v. 14.9.1931. 12 ADS, Akte Institut f. Lautforschung Nr. 10, 1926/32, Brief von M. Dillon an Prof. Hülle v. 20.3.1931. 13 Ebd. Brief von T. Ó Máille an W. Doegen v. 26.7.1929. 14 Ebd. Brief von T. Ó Máille an W. Doegen v. 19.8.1929. 15 Jg. 1927/28, S. 16ff.; Jg. 1928/29, S. 7f„ 19-29; Jg. 1930/31, S. 9, 20-26; Jg. 1931/32, S. 6, 25-31; Jg. 1932/33, S. 13; Jg. 1933/34, S. 8
1, 10, 22.
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Irischsprachige Schallplatten der HU
digkeit der Schellackplatten beträgt 78 U/min, ihr Durchmesser 30 cm. Von den einzelnen irischen Dialekten wurden aufgenommen: Dialekt Munsteririsch
Signatur Stückzahl Summe LA 1031-1053 23 LA 1055-1090 36 59 Connachtirisch LA 1103-1179 77 77 Ulsteririsch LA 1201-1281 81 81 Gesamt 217. Die Aufnahmen hat der Direktor der Lautabteilung, Prof. Dr. Wilhelm Doegen, mit seinem Techniker, Herrn Tempel,16 durchgeführt. Wie aus einem Brief des nachfolgenden Direktors der Lautabteilung Prof. Hülle an Prof. D. A. Binchy vom 14. September 1931 hervorgeht, verlief die Reiseroute von Berlin nach Bremerhaven auf dem Landweg und von dort nach Irland auf dem Seeweg. Nach den Proceedings der Royal Irish Academy Jg. 1928/29,23 zerbrachen vier Wachsmatrizen (LA 1048, 1049, 1055, 1076) auf dem Transport von Irland nach Berlin, von denen eine ein Duplikat war. Demnach müßte die Sammlung irischsprachiger Schallplatten des Lautarchivs der Humboldt Universität zu Berlin 213 Stücke umfassen. Vorhanden sind jedoch nur 185 Schallplatten: 1 Probeaufnahme, 61 Munsteririsch, 73 Connachtirisch, 50 Ulsteririsch - zusammen 185. Ob und von wem die zwei munsteririschen Schallplatten eventuell zu einem späteren Zeitpunkt (?) angefertigt wurden und ob der Verlust der connachtirischen und ulsteririschen Schallplatten durch Kriegseinwirkungen bzw. beim Umzug des Archivs entstanden ist, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Sicher ist, daß nach der Entlassung Doegens und der Umbildung der Lautabteilung der Preußischen Staatsbibliothek zum Institut für Lautforschung der Afrikanistik Prof. D. Westermann dem irischen Teil der Sammlung keine Beach-
16
Der Vorname ist in den Akten nicht festzustellen.
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tung schenkte. In Briefen des Instituts für Lautforschung an die irische Gesandtschaft wird mitgeteilt, daß kein Bearbeiter für diesen Teil der Sammlung vorhanden ist.17 Im Brief vom 23. November 1937 wird der Gesandtschaft mitgeteilt, daß die Studentin der Musikwissenschaft Frl. Harmenning ca. 50 Schallplatten mit irischen Volksliedern bearbeitet, deren Texte nur in irischer Handschrift ohne Übersetzung vorliegen. Auf die Bitte um Nennung eines Kenners des Irischen verwies die Gesandtschaft das Institut an Prof. Dr. Ludwig Mühlhausen,18 der seit September 1936 Professor für Keltologie und Direktor des Indogermanischen Seminars war.1' Wo und wie diese Handschriften in Berlin abhanden gekommen sind, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Ihr Verlust wiegt um so schwerer, als nach der Auskunft von Tomás de Bhaldraithe am Rande des IX. Kongresses für keltische Studien in Paris im Juli 1991 auch die "transcripts" der Royal Irish Academy von Tomás^Ó Máille und Myles Dillon an Studenten zur Bearbeitung hferausgegeben wurden und seither verschwunden sind. Im Jahr 1964 hat Prof. Dr. Hans Hartmann in Zusammenarbeit mit Dr. Arndt Wigger in Conemara - hauptsächlich in Carna - Aufnahmen gemacht, die er in dem Artikel "Distribution und Funktion der Expanded Form in einigen Dialekten der irischen Sprache von Co. Galway" (ZcP 33/1974, 140-284) auswertet. So gibt es für ein eng begrenztes Gebiet des Connachtirischen Material für den historischen Vergleich. Werden die Aufnahmen nach Sprache und Gesang gegliedert, ergibt sich folgende Übersicht: Munsterir. Connachtir. Ulsterir. Summe Sprache 44 58 66 168 Gesang 8 12 6 26 gemischt 7 7 9 23 Summe 59 77 81 217. 17
ADS, Akte Institut f. Lautforschung Nr. 13, Briefe v. 9.7.37, 9.8.37 und 9.11.37 an die Irische Gesandtschaft. 18 Ebd. Brief der Irischen Gesandtschaft an das Institut f. Lautforschung v. 24.11.1937. 19 ADS, Personalakte Ludwig Mühlhausen Bl. 11.
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Irischsprachige Schallplatten der HU
Eine Gliederung der Sprachaufnahmen nach Inhalten ergibt folgende Übersicht: Munsterir. 54 Sprechtexte Geschichte vom verlorenen Sohn 15 Numeralia 5 Wochentage Vaterunser 3 Einzelwörter 1
Connachtir. 84
Ulsterir. 104 1 14 3
1 5
~
-
—
—
— .
Die Unterschiede zwischen den Zahlen der Schallplatten und denen der Sprechtexte ergeben sich daraus, daß eine Aufnahme verschiedene Textarten enthalten kann. Die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn und die Numeralia sind offensichtlich zum Zwecke des Dialektvergleichs aufgenommen worden. Alle anderen Sprechtexte (Biographien, Volkserzählungen, Gebete) sind Einzeltexte. Sabine Heinz hat anläßlich eines Studien- und Forschungsaufenthalts an der Universität Freiburg i. Br. eine Auswahlbibliographie zur irische Dialektologie zusammengestellt. Ich habe seit geraumer Zeit Recherchen über die Geschichte der Sammlung irischsprachiger Schallplatten des Lautarchivs der Humboldt-Universität durchgeführt. Sie waren ein Teil der Vorbereitung der Errichtung des Archivs keltischer Sprachen, die von Prof. Gearóid S. Mac Eoin, Galway/Irland, in der UNESCOKommission "On Celtic Cultures" angeregt wurde. Im Zeichen dieses Vorhabens stand ein sechswöchiger Besuch Prof. Mac Eoins im Jahr 1982 im Wissenschaftsgebiet Keltologie der Humboldt Universität zu Berlin, in dessen Verlauf u.a. die Texte zweier Schallplatten transkribiert, in neuirische Orthographie gesetzt und übersetzt wurden. Es wurde ein Artikel "Über das Verhältnis von Feldforschung und Sprachgeschichte in der Keltologie" in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Humboldt-Universität, GewiR. 33, Berlin 1984, verfaßt, in dem die Bedeutung der irischen Dialektologie für die Keltologie dargelegt wird. Ein Sitzungsbericht in der Philosophisch-Historischen Klasse der Österreichischen Akade-
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mie der Wissenschaften über die "Grundzüge einer Geschichte der irischen Sprache", Wien 1989, stellt die Tatsache, daß das Irische nur noch in seinen Dialekten lebt, in einen sprachhistorischen Zusammenhang.
Aufgaben: a. Edition der Texte Technische Aufbereitung der irischsprachigen Schallplatten Transkription der munster-, connacht- und ulsteririschen Texte in phonetische Umschrift Transliteration der Texte in moderne irische Orthographie Übersetzung der Texte ins Deutsche und Englische. b. Auswertung der aufgearbeiteten / edierten Texte: Untersuchungen zur historischen Dialektologie des Irischen und zur vergleichenden Grammatik und Lexikologie der keltischen Sprachen (viele der aufgenommenen Dialekte existieren nicht mehr) im allgemeinen Vergleich mit den Daten des "Linguistic atlas and survey of Irish dialects" von H. Wagner, Dublin 1958ff., und dem Korpus, das H. Hartmann in seinem o.g. Artikel beschrieben hat. Arbeitsprogramm: a. Technische Vorbereitungen: Nach der Reinigung der Schellackplatten ist ein Fachmann mit der Minimierung/Ausfilterung des Rauschens zu beauftragen. b. Transkriptionen: Da offensichtlich frühere Transkripte nicht mehr vorhanden sind, ist die Transkriptionsphase die aufwendigste. Der derzeitige technische Zustand der Platten läßt für den Irischsprecher zwar die Bedeutungserfassung zu, macht aber darüber hinaus eine genaue phonetische Bearbeitung des Textes schwierig, in Einzelfällen gar unmöglich. In Fällen, in denen ein Dialekt inzwischen ausgestorben ist, wird oft nur eine annähernde Wiedergabe der exakten
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Irischsprachige Schallplatten der H U
Aussprache möglich sein. Während seines Berliner Besuchs haben Prof. Mac Eoin und ich zwei Schallplatten probeweise bearbeitet. Dabei ergab sich, daß die Transkription etwa 3 Arbeitstage à 8 Stunden pro Schallplatte in Anspruch nimmt, der Einsatz von ausgebildeten irischen Linguisten ist hier unerläßlich. Um eine größere Zuverlässigkeit zu erreichen, sollte für jeden der drei Dialekte ein promovierter Kenner des jeweiligen Dialekts eingesetzt werden, dem zwei ungeprüfte Hilfskräfte zur Erledigung von Hilfsarbeiten zur Verfügung stehen. c. Transliteration: Die Transliteration impliziert eine adäquate Segmentierung der Texte. Deshalb sollten die gleichen Bearbeiter, die die Texte transkribieren, sie auch transliterieren. d. Übersetzung: Die Übersetzung des irischen Textes ins Englische wird von den irischen Bearbeitern, die ins Deutsche von einem deutschen Bearbeiter vorgenommen. Die gesamte Bearbeitungszeit einer Schallplatte beträgt 5 Arbeitstage à 8 Stunden. Somit würden sich die Transkriptions-, Transliterations- und Übersetzungsphasen über einen Zeitraum von ca. Jahren erstrecken. Für die Dokumentation der Texte zur Vorbereitung der Untersuchung der Veränderungen des phonologischen, morphologischen, syntaktischen und lexikalischen Systems der Dialekte werden ca. 6 Monate benötigt, so daß sich für den ersten Teil des Forschungsprojekts ein Gesamtzeitraum von etwa 5 Jahren ergibt.
Der zweite Teil des Forschungsprojekts hat die Erforschung der Dialekte mittels der historischvergleichenden Methode zum Gegenstand. Er soll am Detail zeigen, wie sich Dialekte ohne eine natürlich gewachsenen Gemeinsprache das Schulirisch ist eine künstliche Schöpfung unter der Bedingung des Absterbens verändern. Dabei bilden die edierten Texte der Schallplatten und die Texte der Aufnahmen Prof. H. Hartmanns und Arndt Wiggers sowie die Texte und Wörter der Dialektbeschreibungen, die in der Chronologie folgen, das
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Vergleichsmaterial. Da die irischen Dialekte bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts keine geschlossenen Sprachgebiete mehr waren, sondern sich als Orts bzw. Haussprachen darstellten, werden nur Sprachdaten desselben Ortes bzw. dicht beieinanderliegender Orte verglichen. Folgende Arten diachronischer Lautveränderungen sind zu ermitteln: a. Phonetische Veränderungen: Monophtongierungen und Diphtongierungen Veränderungen der Artikulationsart und -stelle fehlende bzw. neuentstandene Mutationen Auswirkungen der Veränderungen auf das phonologische System. b. Morphologische Veränderungen: Vereinfachung und Zusammenfall von Flexionsklassen Wegfall und Neuentstehung von Flexionsklassen Interferenzen und Analogien im morphologischen System. c. Syntaktische Veränderungen: Veränderung der Nominal- und Verbalrektion Veränderung der Präpositionalrektion Verschiebungen im Gebrauch analytischer und synthetischer Verbalformen. d. Lexikalische Veränderungen: Bedeutungserweiterung und -Verengung Periphrasierung Aufnahme von Anglizismen. Nach Ermittlung der einzelnen Veränderungen sollte untersucht werden, welche Veränderungen sich über größere Dialektgebiete erstrecken. Soweit möglich, sind die Ursachen und Zusammenhänge zu erforschen und zu beschreiben.
Bianca Ross, Marburg a.d.L.
ANTHONY BRUODINS PROPOGNACULUM CATHOLICAE VERITATIS: Ein Beispiel für den Umgang mit nationaler und kultureller Identität im 17. Jahrhundert Vor dem Hintergrund der Diskussion über das Vorhandensein oder das Entstehen von nationaler und kultureller Identität im Irland des 16. und 17. Jahrhunderts sind auch oder gerade Texte von Autoren, die Irland verlassen hatten, von besonderer Bedeutung. Z u m einen zeigen die Bemühungen von Autoren wie den Four Masters und Keating, daß man bestrebt war, die als eigenständig und erhaltenswert erachtete, jedoch durch die englische Dominanz bedrohte Kultur und Geschichte zu propagieren. Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, daß eine auf bewußter Traditionserhaltung basierende Herangehensweise negative Auswirkungen auf die Objektivität des Gesagten haben wird. Gemeinsam ist allen diesen katholischen Autoren ihr Engagement, ihre als bedroht empfundene einheimische Kultur zu retten, wie die folgende Diskussion von Propugnaculum catholicae verìtatis1 von Anthony Bruodin exemplarisch zeigen soll. Anthony Bruodin ist ein Sproß der mit den O'Briens assozierten Historikerfamilie Mac Bruaidheadha in Thomond, zu denen z.B. Tadhg mac Dáire (1570-1652) gehört, der den berühmten Streit der Dichter auslöste, indem er die Überlegenheit der O'Brien gegenüber den O'Neill, 2 und damit des Südens über den Norden, betonte. 3 Anthony Bruodin, sein
1
Anthony Bruodin, Propugnaculum catholicae verìtatis, libris X. constructum in duasque partes divisum, Pragae, 1669. 2 Im Zusammenhang mit den O'Neill sollte man vielleicht erwähnen, daß ein Auszug aus Propugnaculum ausgerechnet von einem Mitglied dieser Famüie herausgegeben wurde. Es handelt sich dabei um Descriptio regni Hiberniœ sanctorum insula;, et de prima origine miseriorum & motuum in Anglia, Scotia, & Hibernia, regnante Carolo primo rege, Romae, 1721. 3 Das bekannteste Produkt dieses Dichterstreits ist eine Sammlung von dreißig Gedichten, bekannt unter dem Titel Iomarbhágh na bhfileadh, der die Rivalitäten zwischen den beiden Hälften, dem
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Bruodins Propugnaculum
Großneffe, war ein Franziskaner in Prag und gehörte laut Joseph Leerssen zu einer Gruppe von Autoren, "[who] amalgated their religious and their national feelings, saw English evil at work both in the political and in the religious persecution of their country and both forms of persecution were denounced jointly."4 Wie dies im einzelnen aussieht, soll im folgenden untersucht werden. Anders als es der Titel vermuten läßt, ist Propugnaculum keineswegs nur eine Verteidigungsschrift der katholischen Religion, wenn auch diesem Thema und besonders der Darstellung häretischer Gedanken und der einzelnen Sekten, aber vor allem der Situation in England ein großer Teil des Textes gewidmet ist.5 Es handelt sich nämlich auch um eine Verteidigung Irlands und den Versuch einer Rehabilitation gegenüber englischen Vorwürfen, wobei ganz deutlich festgestellt wird, daß diese Angriffe allein von England ausgehen, andere europäische Staaten hingegen auf der Seite Irlands stehen. In ganz Europa seien es nur die britischen "Pseudo-Historiker", die die Iren herabsetzen. 6 Dieser Aspekt ist Thema des 5. Buches, dem ein kurzer Prolog mit der üblichen Rechtfertigung für die unternommene Arbeit vorangestellt ist. Bruodins ausgesprochenes Ziel ist es, die "monströsen Figmente der Pseudo-Historiker zu widerlegen";7 der Prolog beinhaltet aber auch eine eindeutige Stel-
Norden und dem Süden, widerspiegelt und an dem sich auch andere Dichter beteiligten. 4 Joseph Leerssen, Mere Irish and Fior-Ghael: Studies in the Idea of Irish Nationality, Its Development and Literary Expression prior to the Nineteenth Century, Amsterdam und Philadelphia, 1986; S. 295. 5 Im Anschluß an den Brief an den Leser und vor dem Prolog finden sich ein Index von Sekten, ein Sachindex und ein nach Vornamen geordneter Index irischer Märtyrer. 6 Bruodin, Propugnaculum, S. 767 "Britannorum Pseudo-historici". Vgl. auch S. 766: "Primo ergo certum est, Britannicos Scriptores, non tarn veritatis indagandae studio, de rebus egisse Hibernicis, quam animo diffamandi Nationem ab Anglis subjugatam; & complacendi victoribus, juratis Regni Incolarum hostibus." Der zweite Punkt bezieht sich ausdrücklich auf die "Pseudo-Historiker". 7 Bruodin, Propugnaculum-, zum Inhalt des 5. Buches S. 759-
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lungnahme des Autors zu seiner Person: "Hibernus namque sum, & Franciscani Ordinis Religiosus".8 Und er fährt fort, von seiner Erziehung in der irischen Tradition zu berichten und die herausragende Bedeutung seiner Familie und ihre Leistungen im Bereich der Historiographie hervorzuheben.9 Nachdem er selbst im Prolog seine Fachkompetenz betont hat, beginnt der eigentliche Text mit scharfen Angriffen auf die bereits angesprochenen "Pseudo-Historiker", denen er wie Stanihurst und Camden - ihre fehlenden Sprachkenntnisse vorwirft, auf Grund derer sie die irische Geschichte
1086: "Pseudo-Historicorum, & maxime illorum, qui de Sanctorum Insula Hibernia, incolarumque illius moribus falso scripserunt, vitia, & mendacia redarguuntur. Veridica, & brevis Regni historia scribitur; deque Regibus omnibus antiquis, nec non incolarum Hiberniae, tarn veterum, quam modernorum moribus, professione; ac Rempublicam pacis, bellique tempore, gubernandi modo agitur [...]." Von der Verf. übersetztes Zitat S. 760. Der volle Text ebd. lautet: "Refutatis itaque prius Pseudo-historiographorum monstrosis figmentis; sine Personarum, vel Familiarum acceptione" und er fährt fort: "quae a curioso Antiquitatum Indagatore, circa praeteritum, & praesentem Regni Hiberniae, & Incolarum illius, statum desiderari possunt." 8 Bruodin, Propugnaculum, S. 760. 9 Bruodin, Propugnaculum, S. 760: "[...] utpote ex nobili illa Bruodiniana natus familia, quae a Serenissimis tot Hiberniae Regibus, & Principibus, inter alias multas gratias, ante plurima saecula, ilio ornata est privilegio, ut solis Bruodinis (regnantibus ó Briennis) Regum gesta conscribere, eorumque Genealogías consignare; BeUorum ac pacis exitus notare, & consequenter honorífico ilio Chronologi Regum titulo gaudere licebat. Varijs titulis, fides mihi prae alijs debetur. Hoc intelligentibus, quibus pauca placent, insinuare sat est. Ad rem ergo ut veniamus sit." Wie wichtig ihm Herkunft und Familie sind, findet sich bereits auf dem Titelblatt, wo er als "Tuomoniensi Hiberno" bezeichnet wird. Zu den Leistungen seiner Familie vgl. auch S. 770.
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Bruodins
Propugnaculum
nicht hätten verstehen können.10 Dieses Argument hatte ja auch bereits Keating benutzt. Die Unwahrheiten, die jene Autoren verbreiten, namentlich werden z.B. Polidore Vergil, Buchanan und Dempster genannt, würden bewußt eingesetzt, um fremde Leser - im Text "extraneis Lectoribus" - von der Barbarei der Iren zu überzeugen, und Bruodin vergleicht diese Historiographen, in Anlehnung an Keating, mit einem Scarabäus, der auch das Schlechte sucht und das Gute mißachtet.11 Die Hauptursache für die Art und Weise, in der diese Autoren irischen Belangen begegnen, sei, so Bruodin, in Animositäten der Nichtkatholiken. von ihm wertend als "Häretiker" bezeichnet, gegenüber
10
Bruodin, Propugnaculum, S. 762. Den Engländern wirft er allgemein Unwissenschaftlichkeit vor, wie in seinem Angriff auf Lucas de Linde, der, auf der Basis britischer Geschichtswerke Unrichtiges ungeprüft übernommen hat. Bruodin, Propugnaculum, S. 789-90: "De Linda qui ex Stanihurstio, & alijs Britannicis historiéis, mille nugas, & mendacia collegit, inter alia dicit, quod inter müites, pedites ab Hibernis vocentur Kami: sed errat, nam despectuoso ilio nomine (quod non bene scribunt, aut pronunciant exteri) nunquam Hiberni müites dehonestarunt, vocantur itaque (cum Hibernice Pseudo-Scriptores scire volunt) pedites, Chosihi, eorum etiam famuli non Daltini (nisi ex contemptu) sed Buocoli dicuntur per faire, faire, qua voce utebantur quondam Hiberni, quoties ad pugnam ventum, non Pharaonem (ut Britannici infamatores, lepidique interpretes linguae, quam non intellexerunt, scribunt) sed vigilantiam, seu attentionem, eodem sensu, quo Itali gaurda gaurda, intelligunt. Item Barde, non Poëtam, ut Uli fingunt, sed detractorem Hibernis significat. Jam ad alia." Zu diesem Beispiel vgl. Keating, Foras feasa, S. 42: "Adeir Stanihurst ar tan bhid Eireannaigh ag comhrac, nó ag bualadh a chéile, go n-abraid mar chomhairc do ghuth árd, 'Pharo, Pharo', agus saoüidh seisean gurab ó'n bhfocal so 'Pharao', fá hainm do rígh Eigipte chleachtaid mar chomhairc é: gidheadh ni fior dó sin, óir is ionann é agus 'faire, faire ó', nó 'ó faire', ag a rádh sin an rann eile bhéith ar a gcoiméad, amhaü adeir an Francach 'garda, garda', an tan dochí a chomharsa i nguais." 11 Bruodin, Propugnaculum, S. 765. Dazu vgl. Keating, Foras feasa, S. 2-4.
Bianca Ross
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"Catholicas Hibernorum Gentis" u begründet, ist also im religiösen Bereich zu suchen. Hätten die genannten Historiker, so Bruodin, tatsächlich ein Interesse an objektiver Darstellung gehabt, hätten sie sich nur auf die einheimischen Texte stützen brauchen, von denen es auch nach den Zerstörungen durch die Dänen und Norweger noch genügend gab. Bruodin selbst nennt den Psalter von Cashel von Cormac Mac Cuilennáin, das Buch von Armagh, ein "Psalterium Poematum" mit Aengus dem Culdee als Autor und eine Geschichte von Clonmacnoise. Er schließt mit einem globalen Hinweis auf eine Vielzahl von anderen Werken und erwähnt auch "Syardus Ketten" bzw. "Kelten", also Geoffrey Keating.13 Diese Quellen lassen sich in der Form, in der sie bei Bruodin genannt werden, am einfachsten über Keating erschließen: sowohl das Buch von Armagh, als auch der Psalter von Cashel14 werden dort genannt, bei dem "Psalterium Poematum" 12 Bruodin, Propugnaculum, S. 766. Vgl. auch ebd.: "Primo ergo certum est, Britannicos Scriptores, non tarn veritatis indagandae studio, de rebus egisse Hibernicis, quam animo diffamandi Nationen! abAnglis subjugatam; & complacendi victoribus, juratis Regni Incolarum hostibus." Als zweiten Punkt nennt er auf S. 767 die Tatsache, daß die "Britannorum Pseudo-historici" nur den Status Irlands schmälern wollen, wo doch jeder in Europa wisse, daß Irland immer der katholischen Religion treu geblieben ist. 13 Bruodin, Propugnaculum, S. 769-70: "Sunt etiam nonnulli prae manibus ex approbatis Theamorice (postquam sanguine Agni redempti sumus) libris, inter quos relucent Chronicce S. Cormacij, quae alias Psalterium Caseliense dicitur, a S. Cormaco de Culinan, Archi-Episcopo Caseliensi, & Momonice Principe, ante tot saecula exaratae. Chronicce Ultoniœ, quae alias Uber niger Ardmachance Cathedralis Ecclesice, dicitur. Historia Ceiledi, quae & Psalterium Poematum, ab /Enea Ceiledeo scriptum dicitur, Historia Cluonmucnoensis; & alij multi libri, quos citât, & sequitur Syardus Ketten in sua M.S. historia." 14 Zum vermutlichen Inhalt des Psalters von Cashel s. Pádraig O Riain, The Psalter of Cashel: A Provisional List of Contents, Éigse XXIII (1989), 107-30; S. 122-3, wo aus einer Liste von sieben Titeln, die von Bischof David Rothe gegeben wird, zu Punkt 5 "A treatise beginning Ego Nennius Eluodugi discipulus aliqua excerpta scribere curaui etc. (Historia Brittonum or Leabhar Breatnach.)"
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Bruodins Propugnaculum
handelt es sich zweifellos um Saltair na Rann, mit der Geschichte von Clonmacnois müßte das Werk gemeint sein, das die Four Masters als Buch von Clonmacnoise bezeichen.15 Daneben betont Bruodin die Bedeutung von zwei Werken, die von einem Mitglied seiner eigenen Familie, einem "D. Florentij mac Bruodin", verfaßt worden sein sollen.16 Einen Hinweis auf eine mögliche Identifizierung findet sich in den Annalen der Four Masters, die als eine ihre Quellen das Buch der Mac Bruaidheadha angeben, das von einem Mitglied dieser Familie, Maoilin Og, verfaßt worden sei.17 Einer der Autoren, die sehr wohl in der Lage gewesen wären, mit irischen Texten zu arbeiten, war Thomas Carew,
von diesem angemerkt wird, daß dieser Text auch von Keating im Zusammenhang mit dem Psalter von Cashel genannt wird. 15 S. Annala Rioghachta Eireann: Annals of the kingdom of Ireland by the Four Masters, from the earliest period to the year 1616, 7 Bde., hrsg. und übers, von John O'Donovan, Dublin: Hodges, Smith & Co., 1856; Bd.l, "Approbations to the Work". S. lxiv findet sich auch ein Hinweis auf das Buch von Clonmacnoise, "leabhar cluana mie nóis in ro bhennaigh Naoimhchiarán mac an tsaoír". Von diesem Buch von Clonmacnois soll es nur noch eine in mehreren Manuskripten erhaltene und im Jahre 1627 von Connell Mageoghagan angefertigte Übersetzung der "Annalen von Clonmacnoise" geben. - Bei dem Buch, das Keating als "Uidhir Chiaráin" bezeichnet und mit dem Hinweis versieht, daß es in Clonmacnois geschrieben wurde, handelt es sich wohl um Leabhar na hUidhre. Vgl. dazu Geoffrey Keating, Foras feasa ar Eirinn, Bd.l, London: Irish Texts Society, 1902; S. 78-80. 16 Bruodin, Propugnaculum, S. 770 bezieht er sich auf die beiden Werke, und zwar Ruber und Rufus, die von "D. Florentij mac Bruodin, Domini de Moyneo" verfaßt worden sein sollen. Zum Inhalt: "In Rufo omnia facta Regum & Principum Familiarum [...] continebatur"; "In Rubro vero libro, inter alia, Arbores Genealogicae, non solum Regiae ó Brienorum Familiae, sed & praecipuarum omnium Hibernicarum familiarum artificiose collocatae videntur." 17 S. Annala Rioghachta Eireann, Bd.l, "Approbations to the Work" S.lxvi. Eine der Approbationen ist am 11. November 1636 von "Mac Bruaideadha, Conchobhar, mac Maoilin Oig ó Chill Chaoide 7 ó Leitir Maolain i ccontae an Chláir", wie es im Text heißt, bzw. laut Unterschrift "Conner Mac Brody, dà ngoirther Mac Bruadan".
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der jedoch Bruodins Erwartungen an einen katholischen Autor irischer Abstammung nicht erfüllte und den Bruodin aus diesem Grunde immer wieder vehement attackiert; schließlich handelt es sich bei Carew um einen Mann irischer Abstammung - er stammt aus Tipperary -, der, wie Bruodin nicht müde wird zu betonen, sogar seinen Namen von "Carran" zu "Carve" anglisiert hat18 und inzwischen in Deutschland lebt. Carew war während des Dreißigjährigen Krieges Armeekaplan der irischen, schottischen und englischen Truppen und verfaßte mit seinem Itinerarium einen Reise- und Augenzeugenbericht über die Ereignisse der Zeit. Besondere Aufmerksamkeit erregte dabei bei zeitgenössischen Autoren irischer Abstammung die Tatsache, daß an einer Stelle den Iren Unwissenheit vorgeworfen wurde, wodurch eine erregt geführte Diskussion ausgelöst wurde." Der Streit zwischen Bruodin
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Bruodin, Propugnaculum, S. 802-3: "Propugnata jam, ut potui patria, contra externorum scriptorum injustos assultus, crudasque imposturas, cum quiescere paululum proposueram, ecce me se obtutui objicit domesticus cuculus, abortivusque Patriae partus (nulla pestis major familiari inimico) Thomas, ut se cognominai, Carve (potius Carran) Tipperariensis in Momonia Hibernus." Carran ist eine anglisierte Form von O Corráin, andere Namensformen für denselben Autor in anderen Werken sind Carue und Carew. Zu den Angriffen vgl. auch S. 804: "Porro, ut se majori redderet fide dignum, cognomen suum Carran (latine falcem significat) quod Hibernicum est, in Carve, quod Anglicum est, mutavit; & sie ex Hiberno se in Anglum lepidus senex transformavit; quasi illi esset magis honorificum ex Anglica illa, quamvis haeretica (à Regibus ad honores, ob Haeresim non ita pridem promota) esse stirpe, eique quantumvis mentienti, major propterea adhiberi deberet fides, quam si se Carranum, antecessorum more subscriberet. Sed sit Carve, vel Carran prout voluerit, illius audiamus imposturas." 19 Thomas Carve, Itinerarium [...] cum historia facti Butteri, Gordon, Lesfy & aliorum, 2 Bde., Moguntiae, 1640-41. Band II endet mit einer "Vindiciae, contra quosdam qui cum laesi minime sint se laesos tarnen iniuria proclamant, laeduntque per meram obtrectandi libidinem, probam & multis annis probatam Authoris Famam", bestehend aus einem Brief an den Leser, sowie Stellungnahmen verschiedener Autoren. Bei der angegriffenen Textstelle handelt es sich um folgende Äußerung in Bd.I, S. 34: "Incolse ab liberalitate educationis & morum commendati; nisi quod bonorum suorum sint
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und Carew stand dabei im Mittelpunkt und erinnert an den Dichterstreit, den Bruodins Großonkel Tadhg begonnen hatte. Carews Loyalität ist sowohl katholisch als auch dem englischen Herrscher gegenüber, den Iren wirft er vor, die Notwendigkeit, den englischen Herrscher zu akzeptieren, nicht erkannt zu haben.20 Carew plädiert also für die Beibehaltung englischer Herrschaft und stellt die religiöse über die kulturelle oder gar nationale Zugehörigkeit. Wie aber sieht Bruodin das Verhältnis der einzelnen Bevölkerungsgruppen zueinander? Nach seinem scharfen Angriff auf seinen Landsmann Carew widmet sich Bruodin im 3. Kapitel des 5. Buches der Frage nach der nationalen Zugehörigkeit und bedient sich dabei interessanter Termini. Für die Iren, gemeint sind die katholischen Bevölkerungsgruppen, wählt er die Begriffe "Vetero-Hispani", auch "Hiberni" genannt, und "Vetero-Angli-Hiberni", wobei es sich bei ersterer Gruppe um Nachkommen von Milesius handelt, während letztere anglo-normannischen Ursprungs sind.21 Die einzelnen Familien werden dabei in dieses Schema eingepaßt und es kommt zu genaueren Definitionen, dabei wird mit "Brito-Angleis" zunächst ein weiterer - laut Bruodin von Spenser eingeführter - Begriff erwähnt, der sich auf Familien be-
prodigi, & gloriae appetentissimi, qui licet Uteris non ita exculti sunt, in fide tarnen orthodoxa firmi & stabiles, exterorum & maximè virorum Ecclesiasticorum amantes, ex Anglorum commendo dedocti sunt pristinam illam Barbariem, quam S. Bernardus Claraeuallis Abbas in vita Malachiae Vltoniesibus exprobrat dicens, sicut piscis in mari non sapit salem, ita Malachias inter Barbaros (id est Vltonienses, inter quos Archiepiscopus Ecclesiam nexit) nullam Barbariem traxit." Zum Streit mit Bruodin vgl. Thomas Wall, "Bards and Bruodins", S. 438-62 in: Father Luke Wadding: Commemorative Volume, hrg. von The Franciscan Fathers, Dún Mhuire, Killiney, Dublin: Clonmore and Reynolds/London: Burns Oates and Washbourne, 1957. 20 S. z.B. Carve, Lyra, S. 40 und S. 41. Über die Verfolgung von Katholiken s. S. 133 und S. 134-5. 21 Bruodin, Propugnaculum, S. 772. Vgl. dazu Keating, der als Mitglied letzterer Gruppe die Begriffe "sean-Ghall" und "nua-Ghall" benutzt, um die Unterschiede zwischen den verschiedenen englischen Einwanderern zu verdeutlichen.
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zieht, die aus Britannien eingewandert sind. Die hierbei getroffene Feststellung, daß Irland bereits vor der sächsischen Eroberung dem König der Briten Untertan gewesen sei22, wird sogleich mit Hinweis auf Cambrensis entkräftet, der ja darauf hingewiesen hatte, daß Irland vor dem Kommen der Dänen nie von einer ausländischen Macht unterworfen worden sei. Ein Punkt, der für Bruodin v.a. im Hinblick auf die Römer große Bedeutung hat.23 Bruodin unterscheidet bewußt zwischen den einzelnen Einwanderergruppen und es wird deutlich, daß es für ihn besonders auf die Dauer ankommt, die eine Familie in dem Land verbracht hat. Ist eine Familie bereits seit mehreren Generationen im Lande, kann man ihre Mitglieder als Einwohner des Landes bezeichnen. So wie die jetzt in Irland lebenden Iren eigentlich aus Spanien kamen, kamen so berühmte Familien wie die der Geraldines und Butlers aus England und haben sich in der Zwischenzeit mit einheimischen Familien wie den O'Brien, O'Conor oder O'Neill durch Heirat verbunden.24 Doch neben diesen einflußreichen Fa-
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Bruodin, Propugnaculum, S. 784: "Quidam Brito-Anglus, Spenserus nomine, in sua Chronica dicit, ante ingressum Saxonum, seu Anglorum in Angliam, quod Hibernia Britannorum Reff, fuerit subjecta; & insuper dicit, Nobiles has Hibernias familias, de Schihi, de Mara, de Mahuny, de Coavanech, & de Tuohalay, Britannicas origine esse familias." 23 Bruodin, Propugnaculum, S. 784: "Spenserus decipitur in utroque, vel studio erravit; nam Hibernia, ut testatur ipse Cambrensis, nulli unquam extraneae potestati subjecta erat, ante Danorum adventum [...]." Dazu vgl. Keating, Foras feasa, S. 16 (Cambrensis) und S.24 (Spenser). Die besondere Stellung Irlands läßt sich, so Bruodin, auch daran erkennen, daß das Land nie von den Römern erobert wurde. Vgl. ebd., S. 781: "Si igitur, Anglorum testimonio, Hiberniam non solum non subjugarunt Romani, sed etiam, quod in illam, tanquam ad asylum exterae nationes fugere solebant; quamodo est credendam, quod Arturo Britannorum Regulo fuerit subjecta, nunc ad alia." 24 Bruodin, Propugnaculum, S. 785: "Ex Anglia in Hiberniam, interrogo vos, an nobiliores, aut magis illustres venerunt, unquam familiae, quam sunt Geraldinorum, Butlerianorum, de Burgo, de Stephano (Fitz Stephen) de Lacaeo, de Barry, de Rocheio &c. quae
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milien erwähnt Bruodin auch unbedeutendere, die zwar aus England stammen, doch inzwischen als Iren betrachtet werden können. Das Bindeglied zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen - wenn man sie nach den Ausführungen Bruodins überhaupt noch als solche bezeichnen möchte - ist dabei der Katholizismus.25
millies mutüo cum primarijs vetero-Hibernorum procerum familijs puta cum ó Brienis, Chartceis, ó Conoris, ó Nellis, ó Ruorck, ó Donellis, ó Morphœis &c. matrimonia contraxerunt?" Dazu vgl. auch seine Liste adliger Familien S. 1095-1100 unter der Überschrift "Series Nobilium Familiarum Regni Hiberniae" mit der Erläuterung auf S. 1095 "[...] nec inscripsi, nisi pures putas Hibernicas Familias nobiles [...]", gemeint sind u.a. die de Burgos, die Geraldines und die Butlers, die bereits seit der Zeit Heinrichs II in Irland leben. Und er fährt fort: "Hibernicas enim ego merito illas voco familias, non solum quae a mille, vel bis mille annis antecessores suos, in Hibernia fuisse demonstrant, verum etiam illas, quae a ducentis annis, & multo magis quae a quingentis in Hibernia sunt." 25 Bruodin, Propugnaculum, S. 950-1: "Familiae autem illae sunt hae. Geraldini, de Burgo, Butteri Barrei, Roch, seu de LaRocho, Fitz Stephan, Lacij, Curtij, Poer (haec descendit a Donato ò Brien Rege Hiberniae, quamvis tunc ex Anglia, quo ob maternam parentelam recesserat ipsius Avus, venerat) Priston, Phleming, Nugent, Tobin, Wallis (alias Breatneigh) Grass, Pendergass, Purseil, Blorisinh, Din, Bremmingam, Condons, Contuals, Deirush, Darsi), Dillon, Taffe, Muresigh, Easmont, Brun, Kettens, Elmers, &c. Hae, & multae aliae nobilissimae Familiae (quarum in Catalogo nobilium familiarum regni mentionem faciam) quae circa illa tempora, ex Anglia in Hiberniam venerunt, defacto in Hibernia sunt, non sine magno Regni, & fidei Catholicae commodo, gloria, & honore, ac in moribus aulicis, & professione fidei Catholicae, ita sunt, & semper fuere alijs Hibernis ita pares, quod nulla inter eos appareat disparitas: unde nonnisi ignarus diceret modo, quod hae sint Anglicae familiae, plusquam aliae Hibernicae familiae, Scythicae, sive Hispanicae sint." Wie das Beispiel der Geraldines belegt, gilt ähnliches für Familien, deren Herkunft auf andere Länder zurückverfolgt werden kann, vgl. dazu S. 942: "Reimondum Crassum, Guilielmi Geraldini filium, & Mainiti) Geraldini fratrem (hi ex Italia in Angliam venerunt, & ab illis descenderunt Geraldini omnes in Hibernia)" oder S. 1095 mit Bezug auf verschiedene Familien "vel ab I talis, vel a Gallis, vel a Normandis, vel a Germanis".
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Die Frage nach der nationalen Identität, das Gefühl von Zusammengehörigkeit, das Bruodin, wie andere seiner Zeitgenossen, zu beschreiben sucht, wird stark von der zeitgenössischen historischen Situation geprägt. Die Besiedlung Irlands soll sich geschichtlichen Quellen zufolge in mehreren Einwanderungswellen vollzogen haben, weshalb es auch im Hinblick auf die mit der Historiographie, also der Aufzeichnung einheimischer Traditionen, verbundenen Erwartungen unsinnig gewesen wäre, ein rein an Volk und Land geknüpftes Nationalbewußtsein zu propagieren. Indem der Autor die Religion als Bezugspunkt wählt, schafft er, der im Ausland lebende Franziskaner, zum einen einen Identifizierungsrahmen, in dem mehr als eine Bevölkerungsgruppe Platz hat, zum anderen wird das Land in einen breiteren internationalen d.h. europäischen Kontext eingebunden. Die im Lande verwurzelten Engländer werden als Teil des eigenen Volkes akzeptiert. Im allgemeinen folgt Bruodin bei der Vorstellung Irlands der Praxis seiner Vorgänger, indem er, im Anschluß an seine einleitenden Bemerkungen, auf Lage und Form, geographische Höhe und Breite, sowie Wetter, Landschaft, Gewässer, Fruchtbarkeit, Tiere, Metalle, Fische sowie Städte und Burgen kurz beschreibend eingeht.26 Etwas mehr Raum als diesen Fragen, die ja auch nicht zu den bei den meisten Autoren strittigen Punkten gehören, widmet er der Beschreibung der verschiedenen Einwanderungen, wobei, wie auch in anderen historiographischen Texten der Zeit, detaillierte Genealogien eingefügt werden.27 Besonders detailliert wird die Herkunft der als direkte Vorfahren aufgefaßten Milesier dokumentiert.28 In diesem Zusammenhang befaßt er sich mit den Fehlern von Boetius und Buchanan und greift deren Überzeugung, daß die Milesier über England nach Irland kamen, scharf an 26
Bruodin, Propugnaculum, S. 824-30. Bruodin, Propugnaculum, S. 830-8. 24 Bruodin, Propugnaculum, S. 838-54. Mit Bezug auf Magog heisst es S. 840 in Klammern in Ergänzung zum Text: "ut nostras testantur antiquissimae Historiae de Dromsneachta dictce". 27
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und verweist auf irische Einflüsse, die auch darauf zurückzuführen seien, daß die Briten in Zeiten der Not immer wieder in Irland um Asyl nachsuchten und dort auch ihre Ausbildung erhielten.29 Dies ist ein weiterer, mehr oder weniger indirekter Hinweis auf die kulturelle Überlegenheit der Iren. Seine Auseinandersetzung mit der Beziehung zum mächtigen Nachbarn kulminiert an dieser Stelle in der Feststellung "Hibernica enim natio semper addicta fuit Britannis"30, die eindeutig die enge Beziehung zwischen den beiden Völkern betont, und eben auch, daß es sich hier um zwei nationes handelt. Der nicht existente nationale Status wird rückwirkend festgeschrieben und auch dadurch als real dargestellt, indem Bruodin diese Tatsachen in seinen historiographischen Diskurs und die Liste der Regenten einbindet. Zur Verdeutlichung einer eigenständigen kulturellen Tradition greift Bruodin zu verschiedenen Taktiken, bei denen er seine Absicht nicht explizit darlegen muß. Namensformen wie "Balle-Aha-clie"31 für Dublin belegen, daß Bruodin nicht nur auf die geschriebenen Formen, sondern häufig auch auf gesprochene zurückgreift. Außer für Personennamen gilt dies auch für Familien- oder weitere Ortsnamen.32 Andere Bei-
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Bruodin, Propugnaculum, S. 854-67, bes. S. 856. Daneben liefert er, wie das auch britische Autoren für Irland tun, eine Erklärung für den Namen des Landes, denn, laut Bruodin, ist der Begriff "Britannien" von Britannus Calvus, Sohn von Fergus, Sohn von Nemed abgeleitet, vgl. ebd., wo es nach dem Verweis auf "Britannus Calvus, filius Feargusi filij Neimidi" zur Sprache heißt: "Vnde mirum non est, [...] si adhuc linguae Britannica admixta inveniuntur verba Hibernica, quamvis Mileriani ex Britannia non vénérant. D e hac re legatur S. Corvacus ó Culinam, in suo Casseliensi Psalterio." Zur Größe der Bildungsstätten zu dieser Zeit s. S.903. 30 Bruodin, Propugnaculum, S. 857. 31 Bruodin, Propugnaculum, S. 1015. 32 Für weitere Beispiele von Personennamen s. S. 919 "Gaelli Glas" "(a quo Hiberni vocantur Clanna Gaoidheal, id est filij Gaelli)" oder auch S. 864 u.a. "Goduis Olghotach, seu clamorosus" oder "Sirneus Saoghlac, seu Longœvus (a longa qua fruebatur vita sic dictus)"; S. 895 "Columbus (alijs Columba)"·, S. 904 "Melseaclinus, seu Malachias"·, S. 911 "Princeps Brienus, seu Bernardas Borume,
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spiele f ü r diese Praxis sind "Brechuf' f ü r brithem "Brehon" u n d "Vske Baha" f ü r uisce beatha "Whiskey". 33 D e u t l i c h wird dies auch bei d e r E n u m e r a t i o n der v e r s c h i e d e n e n N a m e n f ü r Irland, mit d e r Feststellung, d a ß "Irlandia" kein i n d i g e n e r Begriff ist, s o n d e r n n u r a n a l o g zu a n d e r e n L ä n d e r n a m e n gebildet wird, also einerseits v o n a u ß e n k o m m t , a n d e r e r s e i t s a b e r d a s E i n g e b u n d e n s e i n des L a n d e s in e i n i n t e r n a t i o n a l e s S t a a t e n g e f ü g e dokumentiert. 3 4 In d i e s e m Z u s a m m e n h a n g sei e i n e R e i h e v o n irischen B e g r i f f e n verwiesen, d i e B r u o d i n i m m e r w i e d e r in die A r g u m e n t a t i o n e i n f ü h r t u n d zumeist einsetzt, u m d u r c h die G e g e n ü b e r s t e l l u n g von lateinischen u n d irischen F o r m e n b e i d e S p r a c h e n gleichberechtigt e r s c h e i n e n zu lassen. In e i n e m Beispiel b e d i e n t e r sich d a r ü b e r h i n a u s a u c h des D e u t s c h e n , w e n n er Mac u n d O mit d e m L a t e i n i s c h e n de u n d d e m D e u t schen von vergleicht. 3 5 D a s Englische wird zwar a u c h zuwei-
filius Kenedi ex semine Eiberi"; S. 930 "Therentius (alijs Terdhelbacus)"; S. 935 "Christophoro (Hibernice Giollochrist)"; S. 937 "Rodericus ó Connorus (Conchovair)" und S. 938 "Dermitio mac Moraghu seu Morpheo)". Vgl. aber auch S. 902: "Danos, & Norvegios (hos communi voce Hiberni Lochlannunigh, id est fortes in mari viros vocabant)". - Zu Ortsnamen vgl. z.B. Bruodin, Propugnaculum, S. 880 "Leath Coinn, id est, pars Connei (& haec est septemtrionalis, & pejor Regni pars) & Leath Mogha, id est Eugeni] Magni (qui alias Mognuatus dicebatur) pars." S. 980 "Monasterium de Surio, vulgo Inishlaunaght" sowie ebd. "Ccenobium loci de Kilcoul, alias Arvi-Campo" oder S. 984 "Insulse S. Michaelis, vulgo Schelig Mhihile, id est Rupi? S. Michaelis", S. 1032 über die Aran Inseln "vulgo Arinna ncehm, hoc est Arinea Sanctorum, dicitur" und S. 1058 "Dunensis (quae Hibernice Dun-da-leth-glas dicitur)". 33
Bruodin, Propugnaculum, S. 786: "([...] quod Hiberni Judicem vocarent Brechuf, aut Poetas Filli, [...])" und S. 1073 "aquavitae, quam Hiberni Vske Baha vocant". Vgl. auch "Karni" für cearneach" ebd., S. 789: "[...] pedites ab Hibernis vocentur Karni [...]." 34 Bruodin, Propugnaculum, S. 821-822. Diese Liste ähnelt der bei Keating, ohne mit ihr in allen Punkten übereinzustimmen. Vgl. Keating, Foras feasa I, Buch I, Teil I, S. 97-105. 35 Bruodin, Propugnaculum, S. 921-2 und S. 1095. Zu mac "cum praepositu syllaba" und ó "cum vocali" s. auch S. 1072.
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len zur näheren Erläuterung herangezogen36, aber auffallenderweise nur an Stellen, wo zu vermuten ist, daß der englische Begriff dem Leser bekannt oder bekannter sein könnte. Dies gilt z.B. bei topographischen Bezeichnungen wie für die Provinzen37, Grafschaften 38 , Städte39 oder Naturerscheinungen40, daneben gibt es noch einige Beispiele zu typisch irischen Dingen, wie Mantel und Harfe,41 wobei diese dem Leser möglicherweise aus Berichten bekannt sind und Bruodin wohl nicht nur die Zuordnung erleichtern, sondern bewußt die Besonderheit und das typisch Irische hervorheben wollte. Wie er überhaupt die kulturelle Eigenständigkeit betont; so in der Gesetzgebung42 oder in der Medizin.43 Mit Bezug auf das Herrschaftssystem, dessen Besonderheiten erläutert werden müssen, will man die unabhängige und eigenständige Entwicklung kultureller Formen zur Definition nationaler Einheit darstellen und erklären, kommt der Kommentator in eine Zwickmühle zweifacher Art. Zum einen gilt 36
Pikanterweise, wenn es sich mit ziemlicher Sicherheit auch, da im Ausland gedruckt, nur um einen Druckfehler handelt, wird auf Wilhelm den Eroberer als "Guilielmus victoriosus (Anglice the Lonquerer [¿7c/])" verwiesen. S. Bruodin Propugnaculum, S. 795. 37 Bruodin, Propugnaculum, S. 955 "Momonia (quae Hibernice Muain, & Anglice Mounster dicitur), S. 998 "Lagenia, quae Hibemice Lein, & Anglice Leinster" urid S. 1047 "a Latinis Ultonia, ab Hibernis Coighi Ulhu, ab Anglis vero Ulster dicitur". Zu Connacht gibt es keine besondere Erläuterung, vgl. S. 1029. 38 Bruodin, Propugnaculum, S. 998 "Comitatum Regince, vulgo Loys, & Anglice vero Queens Counti". 39 S. z.B. Bruodin, Propugnaculum, S. 972 "Vrbs Limericum (Anglice Limerick, Hibernice vero Lumneach)", S. 987 "Corcagia, vulgo Corke, (derivato nomine, ab Hibernica voce Corcach, quae locum palustrem sonat)". 40 Bruodin, Propugnaculum, S. 869 mit Bezug auf einen Katarakt, in dem "Hugo Rufus (alijs Aidus)" ertrunken ist: "Cataractae in quibus Hugo submersus est, Hibernice dicuntur Eas Ruaidh, Anglice Redfall, & Latine Cataractœ Rufce". 41 Bruodin, Propugnaculum, S. 1072 "pallio (quod vulgo Falluin ab Hibernis, & ab Anglis Mantell dicitur) und S. 1075 "lyra (quam Hiberni Clairseach, Angli vero Harp vocant)". 42 Bruodin, Propugnaculum, S. 786 und S. 787. 43 Bruodin, Propugnaculum, S. 790.
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es, das Einzigartige zu beschreiben, und so das gemeinsame kulturelle Erbe hervorzuheben, zum anderen ist das Königtum, das ja gerade durch die Uneinheitlichkeit und das fehlende gemeinsame Zentrum charakterisiert ist, kein besonders günstiges Beispiel zur Darstellung von Homogenität. Aufgeteilt ist das Land in eine Vielzahl von kleineren Königreichen, das Konzept eines Hochkönigs scheint eine Erfindung der Intellektuellen zu sein, die damit diese fehlende nationale Komponente, besonders in diesen Zeiten der nationalen Bedrohung, und die auch in früheren Texten angedeutet wird, wiederentdecken und so, auch durch die genealogischen Kompilationen, die Grundlage der historiographischen Werke sind, rückwirkend Identität stiften sollten. Bruodin selbst stellt die Tatsache heraus, daß es sich bei den als Königen bezeichneten Herrschern wohl eher um principes als um reges handelt.44 Dennoch hält auch er sich an die bewährte und übliche Konvention, Historiographie auf Genealogie aufzubauen. So schließt der Band mit weiteren genealogischen Listen, wie die der O'Briens als Patronen seiner Familie, sowie der Könige bis Heinrich II und weiterer adliger Familien.45 Wobei wir wieder bei der Geschichtsschreibung und der Perzeption von Geschichte angelangt wären. Vom Ansatz her sind Bruodins Loyalitäten unverkennbar lokal, nur sein Ausblick ist unter Einfluß inter- bzw. supranationaler Faktoren national.
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Bruodin, Propugnaculum, S. 1070-1. Bruodin, Propugnaculum, S. 1077-86 findet sich eine detaillierte Genealogie der O'Briens, die bis auf Adam zurückgeht und in drei Spalten gegliedert ist, die angeben, ob es sich a) um comités, principes oder rex handelt, b) gibt filii an und in der dritten Spalte findet sich erläuternder Text. Die Liste der Könige, "Catalogue Regum Hiberniae", auf den Seiten 1087-94 ist in die fünf Kategorien "An Mundi", die Jahre seit der Schöpfung, "Num Reg", die fortlaufende Numerierung, den Namen des jeweiligen Königs, seine Abstammung, z.B. "Eiberi" oder "Erevoni" und die Dauer seiner Herrschaft eingeteilt. Auf den Seiten 1095-1100 findet sich die bereits angesprochene Liste adliger Familien. 45
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Der Katholizismus, den Bruodin und seine Mitstreiter überhaupt erst als Hauptbindeglied zwischen den verschiedenen Gruppen einführten, sollte sich in der Folgezeit, besonders nach der Einführung der Penal Laws, zum nationalen Merkmal schlechthin entwickeln, eine Funktion, die er zur Zeit Bruodins wohl eher für die nicht im Lande selbst ansässigen, missionarisch tätigen Kleriker hatte, als für die in Irland lebenden Menschen, die, so wird in weiteren Studien zu untersuchen sein, in höherem Maße lokal orientiert waren. Wobei man diese lokale Verbundenheit, wie gesagt, auch bei Bruodin beobachten konnte. Der Drang nach Authentizität schließlich suchten die Autoren den vermeintlichen Unwahrheiten englischer Autoren die Realität entgegenzusetzen verbunden mit alten Loyalitäten verlangte, auch unter kulturellen Aspekten - die eigenständigen Traditionen waren ja ein Fokus, den es hervorzuheben galt -, geradezu nach diesem lokalen Bezug. Während noch heute sowohl Perzeption als auch Diskussion von nationalen Stereotypen geprägt sind, und sich ein wahrhaft irisches Nationalgefühl wohl erst im 19. Jahrhundert entwickelte, ist es doch bemerkenswert, wie wenig Einfluß die bei den Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts formulierten Ideen auf das nationale Denken hatten. Eine mögliche Erklärung ist, daß die Identität wohl eher eine koloniale war, und dies scheint das Erwachen eines nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls weitgehend verhindert bzw. verzögert zu haben.
Jürgen Schmidt, Mellendorf
ZU EINER NEU AUSGABE DES ANNALENFRAGMENTS IN DER HS. Rawl. Β 502 (sog. Tigemach-Annalen, erstes Fragment)
1. Die 'Tigemach-Annalen" Acht1 Texte werden den Annalen zugerechnet, welche nach älterer, unbewiesener Auffassung Tigernach hua Braein (gest. 1088) in Clonmacnoise verfaßt haben soll.2 Die wichtigsten Versionen finden sich in den Hss. Rawl. Β 502, fol. lr-12v, und Β 488, fol. lr-26v (Bodleian Library Oxford) sowie Η. 1.8, fol. 12-14 (Trinity College Dublin).3 Stokes Benennung "Annals of Tigernach" suggeriert zu Unrecht, daß sie Teile desselben Originals sind. Doch sind sie näher untereinander verwandt als mit allen anderen irischen Annalen (etwa der restlichen "Clonmacnoise-Gruppe"), so daß man im weitesten Sinne von Fragmenten derselben Annalen sprechen darf, von Annalen
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O'Curry (1861, 62) sprach von sieben bekannten "copies", zählte aber die Hss. H.1.8 und H.1.18 im Trinity College Dublin nicht gesondert. 2 Anders Mac Neill (1913, 45-49). 3 Stokes veröffentlichte diese Texte als Fragmente von "Annais of Tigernach": The First Fragment, RC XVI( 1895)374-419; The Second Fragment, RC XVII( 1896)6-33; The Third Fragment, ibid. 119-263; The Fourth Fragment, ibid. 337-420; The Continuation, RC XVIII( 1897)9-59, 150-197, 267-303; und The Dublin Fragment, ibid. 374-391. Letzteres ist in der Hs. H.1.8 den AU vorgeschaltet und wird von Mac Niocaill in seiner Neuausgabe als "vorpatrizianischer Teil" der AU reklamiert. (Man wüßte gern die Gründe dafür.) Weitere verwandte Texte (unediert): 4. Hs. H.1.18 (Hs 1292), fol. 113-164, TCD; 5. Hs. Egerton 104, BM; 6. Hs. Egerton 94, BM; 7. Hs. 33.6, RIA; 8. ein weiteres Fragment in der RIA (vgl. O'Curry 62). Diese Texte scheinen lediglich Abschriften der Version in Rawl. Β 488 zu sein, könnten aber aufschlußreich in Detailfragen sein.
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des Tigernach aber höchstens, weil sich diese Bezeichnung eingebürgert hat und sich eine bessere derzeit nicht anbietet. 4
2. Das Annalenfragment in der Hs. Rawl. Β 502 D i e Handschrift Rawl. Β 502 besteht aus zwei Pergamentteilen, zwischen denen sich ein Papierteil befindet. Der erste Pergamentteil (fol. 1-12) unterscheidet sich durch die Schrift und das ursprünglich größere Format deutlich vom zweiten und wirkt älter. Beide gehören ursprünglich nicht zusammen. 5 Überlegungen zu Alter, Herkunft und Verfasser des uns interessierenden ersten Teils sind daher separat vom zweiten anzustellen. Der Haupttext des ersten Teils stammt von zwei Schreibern ("A": fol. l r - 4V, "B": fol. 5r- 12v). Daneben finden sich Korrekturen, Retuschen und Glossen dieser Schreiber und weiterer Hände ("I", "H" und "X"). Alter Die ersten zwölf folia werden seit Meyer gewöhnlich auf das Ende des 11. oder den Anfang des 12. Jahrhunderts datiert.6 Ein nachprüfbares Argument lieferte zuerst Best (1913, 115).
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Die schon vorgeschlagene Bezeichnung "Annales Bodleiani" würde auf die Texte aus den Hss. Rawl. Β 502 und Β 488 zutreffen, nicht aber auf das Fragment in der Hs. H.1.8. 5 Erst ein späterer Besitzer - vielleicht Ware - hat sie zusammenbinden lassen. Nicht überzeugt Oskamp (1972, 56). 6 Meyer (1909, üi) datierte den ersten Pergamentteil auf das 11. oder den Anfang des 12. Jahrhunderts, eine Seite später auf gegen Ende 11. Jahrhundert - beide Male ohne Angabe von Gründen. Mac Airt (1951, xv) und Mac Niocaill (1975, 45) plädierten für das 12. Jahrhundert, Kelleher (1971, 111) für das späte 12. Jahrhundert. Aussagen über Alter und Herkunft von Rawl. Β 502 sind wenig hilfreich, wenn nicht beachtet wird, daß die beiden Pergamentteile verschieden alt und verschiedenen Ursprungs sein können und erst spät zusammengebunden worden sind. Zudem wurde früher auf Grund der vorgefaßten Meinung, Tigernach (gestorben 1088) sei der Verfasser der ATig, eine Abfassungszeit im 11. Jahrhundert vertreten. Ein ähnlicher Gedanke scheint auch Walsh (1940/4, 219225) zu seiner Datierung veranlaßt zu haben.
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Er identifizierte an mehreren Stellen die Hand des "Interpolators H", die er aus dem im späten 11. oder zu Beginn des 12. Jahrhunderts in Clonmacnoise entstandenen LU kannte, und glaubte, das Fragment auf nach 1106 datieren zu dürfen, weil H nach dem Hauptschreiber des LU, Máel Muiré mac Céilechair von Clonmacnoise (gestorben 1106), gewirkt haben müsse. O Concheannain 7 vertrat dagegen die Ansicht, H sei mit Máel Muiré identisch, was für die Hauptversion von ATig I das Jahr 1106 als terminus ad quem ergäbe.8 Aber auch die ältere Auffassung von Best impliziert nicht zwangsläufig, daß H in ATig I später als 1106 gewirkt haben muß: Er kann zeitlich unabhängig von seiner Tätigkeit am LU schon früher ATig I glossiert haben. Die eigentliche Frage jedoch, wann die Hauptschreiber der zwölf folia tätig waren, läßt sich auf diesem Wege nicht beantworten. Sichere weitere Indizien für eine mögliche Abfassungszeit bis zum Anfang des 12. Jahrhunderts fehlen. Der erste, 1092 abgeschlossene Teil der AI basiert auf einer Vorlage, welche mit derjenigen von ATig I wohl eher identisch als nur nahe verwandt9 war: Zumindest lassen die in beiden Annalen verschieden in den Haupttext eingebauten Glossen eigentlich nur den Schluß zu, daß sie in der Vorlage noch am Rande standen. Dieselbe ist in den AI aus Flann Mainistrechs kurz vor 1056 n.Chr. entstandenen Gedicht "Réidig dam" erweitert und muß damit älter sein. Das dürfte zwar auch für die Vorlage von ATig I gelten (wo Flann aber nicht erscheint), erlaubt aber natürlich keine genaue Datierung für dieses Fragment. Die Korrekturmarken, die sich schon in Hss. des 8. und 9. Jahrhunderts finden,10 könnten zwar theoretisch sogar eine so frühe Datierung stützen, begegnen aber z.B.
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(1973-4, 277-288), anders Oskamp, Mael Muire: Compiler or reviser? Éigse 16 (1975/76), 177-182. 8 Dumville ( 1977, 55) folgte der Identifizierung von H mit Maél Muire und datierte fol. 1-12 auf das 11. Jahrhundert, wobei er mehr an die Jahrhundertmitte zu denken scheint. 9 So schon Kelleher (1971, 111) u.a. 10 Vgl. Draak a.O.
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auch im Buch von Leinster (ca. 1150/60):11 Dieser Usus lebte also in späterer Zeit weiter, kann aus älteren Vorlagen in die Hs. Rawl. Β 502 gelangt sein und hilft wenig bei der Datierung des Fragments. Ein sicherer terminus post quem ergibt sich aus dem Abfassungsdatum von Bedas Chronica maiora (726) als jüngster identifizierter Vorlage:12 ATig I wird also zwischen dem 8. und dem 11./12. Jahrhundert entstanden sein. Abfassungsort Daß Rawl. Β 502 in Leinster geschrieben worden ist, war seit Meyer (1909, iv) communis opinio. Dabei wurde zwar nicht immer genügend beachtet, daß der Codex keine ursprüngliche Einheit bildet, doch könnte diese Lokalisierung auch für ATig I zutreffen, denn dort findet sich Sonderinteresse an Leinster: § 50 berichtet, daß nach dem Tode des Cobthach Cóel Breg Kriegszustand zwischen "Conns Hälfte" und den Leinstermännern geherrscht habe. § 700 sagt ohne erkennbaren Zusammenhang, daß von Labraid Loingsech bis Cathaer Mór dreißig Könige aus Leinster Irland beherrscht hätten. § 850 notiert den Tod des Lugaid Reoderg durch die drei Rotköpfe (dazu in Glosse Schreiber Β oder I: aus Leinster). § 901 berichtet, Tuathal Techtmar habe als erster den Rinder11
Die Überlegung von Oskamp (1972, 56) hinsichtlich einer möglichen Verwandtschaft mit dem irischen Codex Sangallensis 904 (saec. IX) ist wegen der anderen Schrift und des anderen Buchschmucks nicht zwingend. Grundsätzlich zu trennen von diesen Überlegungen zum Alter von ATig I sind Meinungen über dajenige der ATig, welche nach der absoluten Chronologie bei manchen als die ältesten irischen Annalen gelten. Dabei müssen Texte in einer Hs. des 11. Jahrhunderts nicht zwangsläufig älter sein als solche in einer Hs. des 13. Jahrhunderts (vgl. dazu K.H. Schmidt 8f.). Welche Annalen chronologisch relativ älter und nur in absolut jüngeren Quellen überliefert sind, wird wohl am ehesten eine genaue Quellenanalyse und ein ebensolcher Vergleich mit den anderen Annalen erweisen können. Auch die Sprache ist nicht unbedingt ein sicheres Indiz: Ein späterer Abschreiber kann eine altertümliche Vorlage modernisieren (vgl. das CS). 12 Möglicherweise lassen sich noch jüngere Quellen identifizieren.
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tribut von Leinster erhoben. 13 Sonstige Irland betreffende Ereignisse (Craobh Ruadh-Stoff) und eine der beiden Königslisten (die auch in den AI stehen) beziehen sich auf Ulster. 14 Auch genauere Lokalisierungen als Leinster wurden vertreten.15 Für eine Entstehung in Clonmacnoise spricht beim derzeitigen Stand der Kenntnisse außer dem wenigen Buchschmuck, der sich ähnlich im dort entstandenen LU findet,16 die Tätigkeit des aus diesem Buch bekannten Interpolators Ή" in ATig I. Verfasser Wohl wegen der Worte "Hue usque Tigernach scribsit" (ATig Ile s.a. 1088) galt früher Tigernach hua Braein als Autor dieser Annalen; seit Mac Neill (1913, 30-41) 17 werden sie meist nur noch aus Gründen der Konvention unter Tigernachs Namen zitiert. So auch hier. Der wirkliche Verfasser ist unbekannt. Auf keinen Fall ist ATig I gar ein Autograph des Tigernach:18 Schreiber "A" folgte schon einer Vorlage, neben der noch ein zweites Exemplar existierte, über das der Schrei-
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Rückschlüsse, welche ATig IIa erlaubt, sind hier bewußt ausgeklammert. Interesse an Leinster findet sich auch in den AI, wird also schon in der gemeinsamen Vorlage angelegt gewesen sein. 14 Die (ursprünglich wohl glossenartige) Erwähnung von Corco Ochae in ATig I 840 und AI 226 setzt die gemeinsame Vorlage vielleicht in Beziehung zu Bangor. 15 Für Clonmacnoise als Abfassungsort der ganzen Hs. plädieren u.a. Kenney (1929, 377) und Dillon (1961, 116f.), für Killeshin Byrne (1979, 13). Oskamp (1972, 56) äußerte sich, was einen irischen Entstehungsort betrifft, wegen enger Beziehungen zu kontinentalen Hss., z.B. zum Codex Sangallensis 904, skeptisch. 16 Vgl. Henry & Marsh-Micheli (1962, 116f.). 17 Ware sagt im Inhaltsverzeichnis zu Rawl. Β 502: "Annales ab urbe condita usque ad initium Imperii Antonii Pii" (während er in demjenigen zu Rawl. Β 488 "Annales Tigernaci" notierte). O'Conor (1825, II i) folgerte richtig, daß Ware ersteren Text nicht zu den ATig gezählt habe. 18 Wie Oskamp (1972, 56) in Rechnung stellte - zurückgewiesen von Dumville (1977, 48).
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ber "Β" (und wohl auch der "Interpolator Η")1' zusätzlich verfügte. Keiner von beiden könnte daher Tigernach sein, wenn dieser der ursprüngliche Verfasser der ATig gewesen sein soll.
3. Die Parva Perscriptio Corpus und Umfang Der Annalentypus, welchen neben ATig I noch ATig IIa und das Dubliner Fragment sowie die Anfangsteile der AI,20 ACott und AClon repräsentieren, wird in AI 344 mit den Worten gekennzeichnet: "Nunc finit haec parua perscriptio21 a principio mundi undecunque collecta .i. sine exemplari propria." Die Parva Perscriptio ist also eine Kompilation aus mehreren Vorlagen und begann mit der Weltschöpfung. In allen bekannten Versionen ist sie nur fragmentarisch erhalten: Die ACott22 beginnen heute kurz vor der Geburt des Enos ("AM cccxxxv"),23 die AClon (nach einem Vorwort, Quellenangaben und einem chronologischen Uberblick) mit der Zeugung Seths ( = Beda 10).24 Der Befund in diesen beiden Annalen bestätigt wohl, daß die PP mit der Weltschöpfung begann. Alle anderen Versionen setzen heute später ein: die in den AI einige Jahre vor der Zeugung Ismaels durch Abraham,
" V g l . Kelleher (1971, 111). Nach Mac Airt (1951, xv) die älteste Version der Irish World Chronicle. 21 Es besteht vorläufig kein Grund, im Sinne der Frage von Van Hamel (1927, 259) ("leg. perscriptio ?") zu emendieren, wenn auch damit die jetzige Funktion der PP gut gekennzeichnet wäre. 22 Nach Mac Airt (1951, xv) die früheste Stufe der Entwicklung repräsentierend. 23 Das heutige Ende der verschiedenen Annalen, die mit der PP beginnen, besagt nichts über dasjenige der PP. 24 Was folgt, erinnert z.T. stark an Beda. Vor allem aber sind irische Ereignisse berücksichtigt. ACott, AClon (von Mac Airt, Hughes u.a. ausgeklammert) und die nicht nur hinsichtlich der von Mac Carthy angeschnittenen Prioritätsfrage interessanten Synchronismen erlauben wichtige Rückschlüsse, müssen aber aus Platzgründen hier ausgeklammert bleiben. 20
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ATig I im ersten Regierungsjahr des Königs Jotham von Juda (737? v.Chr.), ATig IIa im 13. Regierungsjahr des Ptolemaios I. (335 v.Chr.) und das Dubliner Fragment im ersten Regierungsjahr Domitians (81 n.Chr.). Wie weit die PP ursprünglich reichte, läßt sich weder aus dem Schluß der verschiedenen Annalen, die mit ihr beginnen, noch aus dem Zeitpunkt des "finit" in den AI (drei Jahre nach der Synode von Ephesos 432 n.Chr., also 435 n.Chr.)25 oder gar aus ihrem heutigen fragmentarischen Ende in ATig I (im fünften Jahr des Antoninus Pius, 142 n.Chr.),26 in ATig IIa (im ersten Regierungsjahr des Iulianus Apostata, 361 n.Chr.) oder im Dubliner Fragment (zwölf Jahre nach der Predigt des Hieronymus in Bethlehem, was 405 n.Chr. entspräche) erschließen. Funktion Die PP ist in den AI dazu benutzt, die irische Geschichte ab 433 mit der Weltgeschichte zu verbinden. Das Jahr davor markierte aber nicht das ursprüngliche Ende der PP: Zu dieser Annahme verleiten zwar die Worte der AI ("Nunc finit haec parua perscriptio"), doch befindet sich die PP dort schon im Jahre 435 n.Chr. und reicht danach noch weiter, wie die Quellenanalyse beweist. Der Verfasser hat also lediglich den genauen Punkt verfehlt, an dem er die irische Geschichte in die PP hätte einfügen müssen. Ob dieser Fehler schon auf die Vorlage zurückgeht, ist wegen des fragmentarischen Zustands der weiteren Zeugnisse ungewiß: Daß auf ATig I jemals irische Annalen gefolgt sind, läßt sich stringend nicht beweisen; 25
Ob der Schreiber der AI sagen will, daß seine Vorlage hier zuende sei, oder was sonst, sei zunächst dahingestellt: Jedenfalls ergibt sich aus der Quellenanalyse, daß sie weiter reichte. 26 Stokes (1895, 374) ließ ATig I von der Zeit biblischer Propheten wie Hosea bis Antoninus Pius reichen. Mac Neill (1913, 39), Macalister (1944, 39), Mac Airt (1951, xv) und Hughes (1972, 100) irrten sich, wenn sie das Ende von ATig I auf (genau oder ca.) 160 n.Chr. datierten: Das entspräche zwar nach dem Ansatz des Euseb bzw. Hieronymus dem Jahr der Ankunft Polykarps in Rom, dem letzten Ereignis in ATig I, doch ist dasselbe (fälschlich) im fünften Jahr des Antoninus Pius notiert: 142 n.Chr. ist also chronologischer Endpunkt des Fragments.
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wir könnten es hier mit dem Fragment einer eigenständigen Version der PP zu tun haben.27 Deren Zugehörigkeit zu den irischen Annalen in den Hs. Raw. Β 488 (ATig Ilb-c) läßt sich äußerlich damit begründen, daß ATig IIa vom selben Schreiber wie die restlichen Folia stammt. Die Zusammenstellung könnte aber theoretisch auch erst auf den Schreiber zurückgehen.28 Die Zäsur zwischen dem Dubliner Fragment und den AU in der Hs. H.1.8 verbietet jeglichen Rückschluß auf die ursprüngliche Zusammengehörigkeit beider Texte; dieselbe muß zudem bezweifelt werden.29 Hier kann überall nur die genaue Analyse der Texte und Quellen weiterhelfen. Quellen Im Zusammenhang mit der Frage nach der Entstehung der irischen Annalen sind die Quellen der PP zu beachten. Dazu gibt es nur einige wenige systematische Untersuchungen, die alle mehr oder weniger auf dem nicht immer zuverlässigen Text von Stokes basieren und zudem oft nicht beachten, daß
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Die PP könnte schon einer gemeinsamen Vorstufe der genannten historischen Texte, mit denen sie heute im Zusammenhang steht, in der Weise vorgeschaltet gewesen sein, wie es in den AI der Fall ist, die ebenfalls zunächst nichts anderes als eine eigene Redaktionsstufe derselben Gruppe repräsentieren, zu denen auch die verschiedenen Annalen der "Clonmacnoise-Gruppe" und die AU zählen. Dieser Aspekt müßte künftig bei Überlegungen zur Entstehung der alten irirschen Annalen verstärkt berücksichtigt werden. 28 In den ACott und AClon erlaubt der Textzustand keine genauen Rückschlüsse. 29 Die AI weisen, je weiter sie voranschreiten, eine zunehmende Tendenz zur Kürze auf, welche sich aus den Interessen des Verfassers erklärt. Daneben lassen sich ebenso motivierte Erweiterungen gegenüber der Vorlage beobachten. ATig I und IIa hingegen weisen diese Tendenz zur Kürze nicht auf, erweitern oder bearbeiten aber ebenfalls ihre Vorlage. Das "Dubliner Fragment" dagegen kürzt so stark, daß es schon als Exzerpt einer Fassung der ATig angesehen worden ist. Daneben steht die Auffassung, diese Version sei besonders alt, und die anderen seien ihr gegenüber erweitert was einer Quellenanalyse nicht standhält.
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ATig I und II nicht Teile derselben Redaktionsstufe der ATig sind. Mac Neill (1913, 30-113) nahm als Basis für die PP eine irische Weltchronik an, welche auf einem Exemplar der Chronik des Hieronymus gefußt habe, das vermutlich bis ca. 606 nach Irland gekommen sei. Die irische Weltchronik sei wie das Chronicon Eusebii in Kolumnen arrangiert und später (bereits glossiert) vom Annalisten in die heutige Form gebracht worden. Van Hamel (1927, 241-260, bes. 257ff.) widersprach Mac Neills Theorie: ATig und AI seien unabhängige Versionen einer gemeinsamen, schon glossierten Vorlage, einer Kompilation, für die eine Schrift Bedas einen integralen Bestandteil bilde und die daher frühestens in den Anfang des achten Jahrhundert falle. Eine irische Fassung des Chronicon Eusebii - wenn es das je gegeben habe - könne höchstens eine Quelle der PP gewesen sein. Macalister (1944/45, 38-57 und 241-260) erkannte, daß die irische Chronik in ihrer ursprünglichen Form nicht in den Kolumnen des Euseb abgefaßt war und der Kompilator dessen Werk nicht einmal gekannt hat. Bedas Rolle bei der Entstehung der PP wurde dann zunehmend hervorgehoben: Mac Airt (1951, xv) unterstrich, daß Bedas Chronica das ursprüngliche Werk stark beeinflußten. Nach Kelleher (1971, 115) basierte das "chronological framework" der frühen Annalen hauptsächlich auf Bedas 726 n.Chr. endender Chronik. Für Dumville (1977, 53) ist die gemeinsame Wurzel der PP Bedas De temporum ratione (Chronica maiora 66). Eine Analyse der Texte ergibt: Zunächst wurden Bedas Chronica maiora vom irischen Verfasser der PP in Annalenform umgegossen, indem er für jedes Regierungsjahr von Bedas Weltmonarchen ein Κ (für "Kalendae", "Jahresanfang") setzte und dann die von Beda geschilderten Ereignisse passenden Jahren zuordnete, soweit dies möglich war, oder sie einfach unter dem ersten Κ der jeweiligen Regierung vermerkte. Bedas Angaben über das letzte AM derselben setzte er wahrscheinlich, wie er sie in seiner Vorlage vorfand, ebenfalls an den Rand. Abweichungen von Wortlaut und Komposition der Chronica sind ganz selten, etwa dort, wo bei Beda römische Könige "falsch" eingeordnet sind. In das so gewonnene Raster setzte der Ire (wohl im mehreren Arbeitsgängen) weiteres Material aus anderen Vorlagen: Notizen aus
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Isidor fügte er, soweit diese Beda ergänzten, entweder in vorhandene thematische Zusammenhänge oder nach anderen Kriterien (z.B. einfach am Ende einer Regierungszeit) ein. Daneben verwertete er Bedas Chronoca minora (vor allem zu den Weltaltern) und Exzerpte aus der Vulgata und dem Danielkommentar des Hieronymus. Zeitangaben (die chronologischen Triaden) müssen, wie die Parallelen zeigen, auch schon auf ihn zurückgehen. Auch beide irischen Königslisten waren schon bei ihm (neben anderem irischen Material - z.T. oder stets ?) am Rand vermerkt, darüber hinaus wenige Notizen aus z.T. noch nicht identifizierten Sonderquellen. Weiter fügte er aus der Chronik des Hieronymus exzerpierte Königslisten ein. Dieses Material stand in der ursprünglichen Fassung der PP nicht immer im Haupttext: Das wird daraus ersichtlich, daß es in ATig und AI manchmal in verschiedener Reihenfolge begegnet. Die gelegentliche Positionierung außerhalb des Haupttextes läßt u.a. darauf schließen, daß dieses Material in einem relativ späten Arbeitsgang eingefügt worden ist, als im Text an der richtigen Stelle kein Platz mehr war. Notizen aus Hieronymus wurden - wenn sie nicht die Kirchengeschichte tangierten - in den AI nur anfangs übernommen. So nennen die AI zunächst Assyrerkönige, führen aber diese Liste nicht zu Ende. In den ATig hingegen ist solches Material aus Hieronymus nicht gekürzt. Besonderheiten im Ouellenmaterial Den Tod von Bedas Weltmonarchen notierte der Verfasser der PP - wie noch in den AI zu sehen - nach dem Schema "NN mortus est" jeweils unter dem letzten Κ seiner Regierung oder dem ersten seines Nachfolgers. Diese Notizen sind in den ATig besonders häufig durch Informationen aus Orosius ersetzt. Angaben zum Regierungsantritt von Weltmonarchen - in der gemeinsamen Vorlage nach Beda gegeben - sind in den ATig teilweise aus Orosius revidiert, der daneben weitere Textstücke lieferte. Durch die Orosiusrezeption unterscheidet sich die Version in den ATig prägnant von allen anderen Versionen der PP - etwa von der in den AI, wo Orosius durch Flanns Gedicht Réidig dam vermittelt ist. Daß er in den AI sonst nicht begegnet, ist übrigens nicht mit deren Tendenz zur
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Kürze zu erklären: Der Bearbeiter hätte wissen müssen, welche Notizen in seiner Vorlage aus Orosius stammten, wenn er sie gezielt hätte tilgen wollen, was nicht anzunehmen ist. Einen weiteren Textzuwachs in den ATig gegenüber der Vorlage stellen die Bischofslisten dar, die aus Rufins Übersetzung der eusebianioschen Kirchengeschichte exzerpiert sind. Weitere "Quellen", die in der PP "zitiert" werden, z.B. Julius Africanus und Josephus, hat der Verfasser aus seinen Vorlagen übernommen. So zeigt sich, daß die begrenzte Zahl der Vorlagen, welche der ursprüngliche Verfasser der PP benutzt hat, nicht das Übermaß an Gelehrsamkeit erforderte, das Mac Neill dem Tigernach der Legende nicht zutrauen wollte. Die PP und die irische Chronik nach Art des Chronicon Eusebii: Ganz ausgeschlossen ist auf Grund der Quellenanalyse die Annahme, eine altirische Chronik, welche auf dem Chronicon Eusebii basiert habe und in welcher Einträge aus Hieronymus sekundär durch solche aus Beda ersetzt worden seien, habe den späteren Annalen als Vorlage gedient. Dabei hat Mac Neill das System, nach welchem die Kolumnen des Hieronymus zu einer neuen Chronik umgestaltet wurden, im Prinzip richtig erkannt: Ereignisse, die jener in der Regierungszeit bestimmter Könige berichtet, sind ohne weitere Zeitangaben zu Kapiteln zusammengefaßt. Nur hat diese Arbeit nicht erst der Verfasser einer altirischen Weltchronik geleistet, sondern schon Beda. Gegen die Chronik des Hieronymus als Vorlage der PP könnte zunächst sprechen, daß diese nicht - wie die PP - mit der Weltschöpfung, sondern mit Abraham beginnt. Die Zeit davor könnte jedoch aus anderen Quellen, etwa Beda oder Isidor, vorgeschaltet worden sein: Sichere Rückschlüsse lassen aber die aus Hieronymus exzerpierten Königslisten der PP zu. Wenn dessen Chronik als direkte Vorlage fungiert hätte, müßten diese Listen in den Annalen wenigstens einigermaßen synchron sein. Das sind sie aber zum Teil überhaupt nicht. Besonders auffällig ist das in der Ägypterliste, wo (ATig I 74) zu lesen ist: "Dinastia Aegiptiorum intermittitur an/zu .c.xii." Und noch im selben Jahr heißt es - direkt im Anschluß:
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"Rursum Aegiptioruw dinastia renascitur et regnauit Amartius Saitis annis .ui." Daß hier 112 Jahre fehlen, hätte dem Verfasser nicht entgehen können, wenn er die Chronik vorliegen gehabt hätte. Sein Versehen führt dann dazu, daß später die Ägypterliste aus Hieronymus zeitlich nicht zu Bedas Einträgen über die Könige Josia von Juda und Necho von Ägypten paßt. Ähnlich asynchron ist die Makedonenliste. Dort hat der irische Verfasser sogar die Diskrepanz selbst festgestellt und zu begründen versucht, warum diese Liste nicht zur Chronologie der Perser (zu dieser Zeit die Weltmonarchen aus Beda) passe: "quia Eusebium in sirie Macidonicorum regum secuti sumus" (§ 430,2). Eine solche Begründung hat nur einen Sinn, wenn "Eusebius" nicht die Hauptvorlage war. Wäre die Chronik des Hieronymus vom Verfasser der PP direkt benutzt worden, hätte dieser zudem alle Kompositionsprobleme, welche er beim Zusammenstellen seines aus mehreren Quellen stammenden Materials natürlich hatte, relativ leicht vermeiden können, denn Hieronymus gibt ein genaues chronologisches Schema vor. Dagegen ist die Gliederung nach K's ein reiner Notbehelf. Es ist daher davon auszugehen, daß die Chronik des Hieronymus weder die Basis für die PP gewesen ist noch deren Verfasser vorgelegen hat: Dieser muß das Hieronymus-Material aus schon vorhandenen Exzerpten genommen haben, wie wir sie im irischen Bereich u.a. aus Synchronismen kennen und wie sie auch sonst existiert haben.30
4. Zur Neuausgabe der fragmentarischen Annalen in der Hs. Rawl. Β 502, fol.l r -12 v Editionsplan Unsere geplante Ausgabe beschäftigt sich mit dem Annalenfragment in der Hs. Rawl. Β 502.31 Vorgesehen sind zunächst zwei Bände. Band I soll u.a. eine allgemeine Einleitung, die Textausgabe mit Übersetzung sowie Indices zum Text enthal30
Vgl. die Listen bei Schoene, Eusebi Chronicorum líber prior, vol. I, Dublin 2 1967. 31 Eine Ausgabe der Annalen in der Hs. Rawl. Β 488 ist vorbereitet.
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ten, Band II eine Einleitung zu speziellen Fragen, Kommentare und Indices dazu. Aufgabenstellung der Ausgabe O'Conor veröffentlichte in den Rerum Hibernicanim Scriptores Veteres (II. 1825, 1-314) "Annales Tigernachi" aus der Hs. Rawl. Β 488. Sie ersetzte Stokes durch seine "Annals of Tigernach", welche neben den Annalen in der Hs. Rawl. Β 488 noch die Fragmente aus Rawl. Β 502 und H.1.8 umfaßt. Seine Ausgabe ist nicht immer zuverlässig,32 ohne Kommentar und Indices, umständlich zu zitieren und zudem nicht bequem zugänglich. Neben kleineren Lesefehlern ist besonders schwerwiegend, daß Stokes (absichtlich oder nicht) K's weggelassen hat, weshalb sein Text keine sicheren Aussagen über die interne Chronologie von ATig I erlaubt. Ferner fügte er gelegentlich Interlinearversionen oder sonstige Glossen stillschweigend in den Haupttext ein. Eingriffe in den ursprünglichen Text durch sekundäre Hände sind bei ihm nicht zu erkennen. Entschieden zu kritisieren ist ferner, daß Stokes die Texte in den Hss. Β 502 und Β 488 so behandelt hat, als lägen Fragmente ein und desselben Originals vor, die sich ergänzen und beliebig austauschbar sind. Dabei weisen beide Fragmente erhebliche Unterschiede auf. Eine Neuausgabe wurde deshalb schon öfter gefordert und auch schon vorbereitet.33 Zur Edition Die Editionsprinzipien orientieren sich an denjenigen der Neuedition der Angelsächsischen Chronik und der Historia Brittonum.34 Die Paläographie wird in ihren verschiedenen 32
Auf Mängel dieser Ausgabe wurde schon mehrfach hingewiesen: vgl. z.B. Best 1914, 114f„ Mac Neill 1913, 45-49; Kenney 1929, 75; Hughes 1972, 100. 33 Durch Macalister und zuletzt durch McClure. 34 Vgl. The Anglo-Saxon Chronicle. A collaborative edition. General editors David Dumville & Simon Keynes, Volume 3. MS A. A semi-diplomatic edition with introduction and indices. Edited by Janet M. Bately, Cambridge 1986, clxvff.; dass., Volume 4. MS B. Edited by Simon Taylor, Cambridge 1983, cvii f.; The Historia Brittonum. Edited by David N. Dumville. 3. The 'Vatican' Recen-
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Teilgebieten genau dokumentiert;35 über das hinaus, was Best und andere darstellten,36 lassen sich weitere Details liefern. Dabei werden die verschiedenen Hände 37 auch mit dem Ziel genauer untersucht, Aussagen über das Scriptorium zu gewinnen. Die Besonderheiten derselben (einschließlich der Glossen) werden genau dokumentiert. Es wird gezeigt, über welche Buchstabenformen die einzelnen Schreiber verfügen, welche bevorzugt und welche bevorzugt kombiniert werden, welche Kürzungen auftreten, etc. Eine Buchstabenliste des Originals wird geboten. Die Liste der Kürzungen von Best wird ergänzt, ausführlich nach Händen und Fundstellen spezifiziert und im Zusammenhang mit anderen MinuskelHss. ausgewertet. Die Markierungen werden ebenfalls dokumentiert. Abbildungen der drei großen Anfangsbuchstaben (fol. 3r 1, 3V 1 und 9V 1) und der vergleichbaren im LU38 sind vorgesehen. Ferner wird das Latein der Hs. genau untersucht, über das zusammenhängend noch nichts publiziert ist: Bestimmte Charakteristika des Mittellateinischen in Orthographie und Aussprache treten bei allen beteiligten Schreibern hervor (z.B. e caudata statt ae, i statt y, Aspiration fortgelassen oder abundierend gesetzt, Wechsel von ph und f, Verein-
sion, Cambridge 1985, 55. 35 Eine Gesamtdarstellung, in welcher alle Teilgebiete irischer Schreibkunst von den Anfängen bis etwa zum 17. Jhd. umfassend dokumentiert und unter Berücksichtigung der Sonderinteressen in den Zusammenhang mit den Inhalten gestellt würden, ist ein dringendes Desiderat: Bisherige - meist sehr informative - Publikationen wie die von O'Neill, Alexander, Henry & Marsh-Micheli oder Draak sind leider entweder auf thematische oder zeitliche Teilgebiete beschränkt. 36 Eine erste Beschreibung der Schrift, einer großen, regelmäßigen irischen Minuskel, gab O'Connor II i; die Schrift des ersten Teils der Hs. erinnerte ihn an einen von ihm nicht näher klassifizierten, die vier Evangelien enthaltenden Codex "Hibernicus Harleianus, anni 1130" [Harleianus 1023, wohl aus Armagh], was ihn zur Annahme einer ähnlichen Abfassungszeit für Rawl. Β 502 führte. Die Schrift beider Hss. weist wirklich große Ähnlichkeit auf. 37 Das Wirken zweier Schreiber und weiterer Hände bemerkte zuerst Best 1914, 114-120; vgl. Oskamp 1972. 38 Vgl. Henry & Marsh-Micheli 1962, 116f.
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fachung unbequemer Konsonantenverbindungen, vereinfachte oder abundierend gesetzte Konsonantengemination), aber kaum spezifisch insulare Züge. Bemühungen um die Orthographie zeigen sich besonders in Glossen des Schreibers B.
5. Zu Texten und Übersetzung Auf gegenüberliegenden Seiten werden paarweise Computertransskription und diplomatischer Text sowie kritischer Text und Übersetzung geboten. Auf diese Weise wird der Text, für den Leser nachvollziehbar, schrittweise entwickelt, wobei neben einer zuverlässigen Textgrundlage auch Informationen darüber gegeben werden, wie die handschriftlich bezeugte Form aussieht und zu lesen ist. Computertransskription In der Hs., die wir im Juli 1991 in der Bodleian Library Oxford kollationieren konnten, sind noch Details zu erkennen, die in der Faksimile-Ausgabe von Meyer oder auf dem Mikrofilm nicht erscheinen. Besonders gilt das für fol. Γ und fol. 12v, aber auch für mehrere Einzelstellen. Hier kann die Computertransskription dem Leser, der nicht jederzeit das Original einsehen kann, eine zuverlässige Auskunft darüber geben, was dort steht. Details wie verschiedene Typen derselben Buchstaben, Kürzungen, Markierungen und besondere Schreibweisen (etwa die Verbindungen von Präpositionen und anderen Partikeln mit dem nachfolgenden Wort, Ligaturen etc.) werden möglichst vorlagengetreu imitiert, Buchstaben- und Zeichentypen dabei aber bewußt standardisiert: Gezeigt wird, welcher Grundtyp eines Buchstabens jeweils vorliegt - auch an Stellen, die sonst unleserlich wären. Details der Hs. (Schaftlängen, Neigung der Schäfte etc.), die dabei verloren gehen, werden im paläographischen Teil der Einleitung umfassend dokumentiert. Die Computertransskription bietet ferner die Möglichkeit, Glossen und sekundäre Eingriffe im Text hervorzuheben.
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Diplomatischer Text Mit dieser Form der Textwiedergabe soll eine Hilfe beim Erfassen des genauen Wortlautes des Originals geboten werden. Zwecks besserer Verständlichkeit werden hier Präpositionen, Partikel usw. vom nachfolgenden Wort getrennt und Kürzungen sowie Silbenzeichen (ausgenommen η, .k., .i. und Zahlen) aufgelöst und kursiv gesetzt. Glossen und sonstige Eingriffe sekundärer Hände in den Text werden am Rand näher hinsichtlich ihrer Herkunft gekennzeichnet. Kritischer Text Der Text wird so geboten, wie ihn der Schreiber verstanden hat. Glossen werden als solche immer gekennzeichnet und nie, auch wenn sie eine "bessere Lesart" bieten, der Version des Haupttextes vorgezogen. Unterschiede zu Lesungen von Stokes werden im Kommentar behandelt, weil sonst der Lesefluß durch die Fülle der Verweise gestört würde. Besonderheiten in der Schreibweise (bis zu Schreibfehlern) werden beibehalten, weil dieselben gerade im Vergleich verschiedener Texte sehr hilfreich sein können (z.B. "sine manu" statt "siue manus" (ATig I 199). Emendationen werden in Fußnoten gegeben und im Kommentar begründet. Die Interpunktion orientiert sich an den im Lateinischen üblichen Regeln. Auf Kursivsatz wird zugunsten der Lesbarkeit verzichtet: Details sind aus Computertransskription und diplomatischem Text zu entnehmen. Der Text wird, um das Zitieren zu erleichtern, in Paragraphen eingeteilt. Für jedes "K" (auch ohne folgenden Text) ist ein Paragraph angesetzt.39 Die Paragraphen sind bei Bedarf in Abschnitte unterteilt, die sich an den gerade benutzten verschiedenen Quellen - oder bei längeren Zitaten an Sinnabschnitten - orientieren. Dies dient u.a. im Kommentarteil der Genauigkeit bei Verweisungen. Auf die Paragraphen beziehen sich auch die Indices.
39 Eine Zählung mit Jahresangabe erscheint aus Gründen, welche auf der Komposition des Textes beruhen; weniger sinnvoll.
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Ubersetzung Die Übersetzung soll transparent machen, wie der Text verstanden ist. Angestrebt ist größtmögliche Wörtlichkeit. An Stellen, wo der Schreiber oder Verfasser in seiner Vorlage etwas mißverstanden hat, wird versucht, das Mißverstandene zu übersetzen (Richtigstellung in Fußnote). Perfectum exactum wird grundsätzlich mit Perfekt wiedergegeben.40 Irische Beinamen bleiben in der Regel unübersetzt, weil ungewiß ist, ob "sprechende" Beinamen und Patronyme wirklich vom Schreiber so empfunden worden sind. Manchmal ist auch die Bedeutung nicht klar. Auf damit verbundene Fragen wird im Kommentar eingegangen. Indices Ein Index verborum und ein Index nominum ergänzen die Edition des Textes. Jedes im Text erscheinende Wort wird ausnahmslos indiziert, also auch Partikel und desgleichen. Beide Indices haben einen lateinischen und einen irischen Teil. Eine Konkordanztabelle zur Ausgabe von Stokes schließt sich an.
6. Zum Kommentar Die Einleitung enthält Übersichtstabellen und zusammenfassende Untersuchungen zur Komposition des Fragments sowie zu chronologischen und zu Quellenfragen. Im fortlaufenden Kommentar wird jeder Paragraph einzeln, wenn sinnvoll, auch abschnittsweise, behandelt.41 Um die Übersicht zu erleichtern, ist der Kommentar jeweils in verschiedene Rubriken aufgeteilt, denen die Buchstaben T, P, Q, C, S oder Κ vorangestellt sind: Unter Τ werden Textprobleme sowie abweichende Lesarten bei Stokes besprochen. Dabei werden die jeweiligen Paragra40 Vgl. ACott, wo anfangs in Bedas Text andere Notizen falsch integriert sind, weil das Perfectum exactum als solches verstanden wurde. 41 Mac Niocaill 1975, 18 forderte eine "year-by-year-analysis of the contents of the entries themselves".
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Tigernach-Annalen
phen von ATig I so präsentiert, daß ein bequemer Vergleich mit den Texten unter Ρ und Q möglich ist. Unter Ρ werden dann Paralleltexte aus anderen irischen Annalen, Gedichten, Synchronismen und Erzähltexten in gleicher Weise geboten.42 Unter Q erscheinen die Vorlagen für ATig I; nur in Ausnahmefällen werden auch Texte geboten, die ebenfalls als Vorlage gedient haben könnten oder dokumentieren, daß dies nicht, wie früher angenommen, der Fall ist. Für die Feststellung dieser Quellen wurden Chroniken, Annalen, die Bibel, patristische und andere erfolgversprechende Texte herangezogen und Wort für Wort mit dem irischen verglichen. Unter C findet sich für jedes Jahr eine Liste zur internen Chronologie. Dieselbe ist nötig, weil ATig I in der Jahreszählung zwar weitgehend Beda folgt, aber doch Eigenheiten aufweist. Wegen der damit verbundenen Probleme wurde in der kritischen Ausgabe auf Zeitangaben verzichtet, die nun hier geboten werden: Zu jedem Κ findet sich der Annus mundi nach der laufenden Zählung von ATig I und nach Bedas Ansatz, der Annus Abrahae und das Regierungsjahr des jeweiligen Weltmonarchen, ab der Zeitwende dazu noch der Annus Domini. S bietet kurze Sachkommentare zu den im Text geschilderten Ereignissen. Κ geht auf Fragen der Komposition von ATig I und der parallelen Texte ein und erörtert deren Verhältnis zueinander und zu den Vorlagen unter Berücksichtigung des Wortlautes, der Chronologie usw. Konkordanztabellen und Indices zum Kommentar beschließen die Edition.
42 Vgl. Hughes 1972, 100: "We badly need a parallel edition of A U and ATig". Eine solche wird hier praktisch geboten; neben den A U sind noch alle anderen relevanten Annalen und sonstige Texte berücksichtigt. Dies ist ein Teil unserer parallelen Darstellung allen annalistischen Materials vom Anfang der Welt bis 1178 n.Chr., die als Manuskript vorliegt.
Jürgen Schmidt
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Bibliographie Alexander, J.J.G.: Insular Manuscripts, 6th to the 9th century, London 1978 Best,R.I.: Palaeographical Notes I: The Rawlinson Β 502 Tigernach, Ériu 7 (1914), 114-120 Byrne, F.J.: 1000 years of Irish Script, Oxford 1979 Dillon, M.: Literary activity in the Pre-Norman Period, in: Seven Centuries of Irish Learning, Dublin 1961 Draak, M.: Construe Marks in Hiberno-Latin Manuscripts, Mededelingen der Koninklijk Nederlandsche Akademie van Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde, nr. 20, deel 10, Amsterdam 1957, 261-282 ead., The Higher Teaching of Latin Grammar in Ireland during the Ninth Century, ibid. nr. 30, deel 4, 1967, 109-144 Dumville, D.N.: Ulster Heroes in the Early Irish Annals: a Caveat, Éigse 17 (1977), 47-54 Henry, F. & Marsh-Micheli, G.L.: A Century of Irish Illumination (1070-1170), Proceedings of the Royal Irish Academy 62 C 5 (1962), 101-166 Hughes, K.: Early Christian Ireland, London 1972 Kelleher, J.V.: The Táin and the Annals, Ériu 22 (1971), 107127 Kenney, J.F.: The Sources for the Early History of Ireland: Ecclesiastical. New York 1929 = repr. 1979 Mac Airt, S.: The Annals of Inisfallen, Dublin 1951 Macalister, R.A.S.: The Sources of the Preface to the "Tigernach" Annals, Irish Historical Studies 4 (1944/45), 38-57, 241-260 Mac Carthy, B.: The Codex Palatino-Vaticanus No. 830, Dublin 1892 (= Todd Lecture Series III) Mac Neill, E.: The Authorship and Structure of the "Annals of Tigernach", Ériu 7 (1913), 30-113 Mac Niocaill, G.: The Medieval Irish Annals, Dublin 1975 ( = Medieval Irish History Series, 3) Meyer, K.: Rawlinson Β 502. A collection of pieces in prose and verse in the Irish language compiled during the eleventh and twelfth centuries. Now published in facsimile from the original Manuscript in the Bodleian Library with an introduction and indices by Kuno Meyer, Oxford 1909 O Concheannain, T.: The reviser of Leabhar na hUidhre, Éigse 15 (1973/74), 277-288
Tigernach-Annalen
286
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ATig Ha
ATig lib
ATig lie
AU CS Dubliner Fragment LU PP
Annalen in der Hs. Rawl. Β 488, erstes Fragment (fol. l r - 6V; Stokes' "Second Fragment" enthält davon nur fol. 4Γ 2, 47 - 6V 2) Annalen in der Hs. Rawl. Β 488, zweites Fragment (fol. Τ - 14v; = Stokes' "Third Fragment") Annalen in der Hs. Rawl. Β 488, drittes Fragment (fol. 15r - 26v; = Stokes' "Fourth Fragment" und "Continuation") Annalen von Ulster Chronicon Scotorum Hs. H.1.8, fol. 12-14 (= Stokes' "Dublin Fragment") Leabhar na hUidhre Parva Perscriptio
Britta Schulze-Thulin, Freiburg i.Br.
ZUR FRAGE ALTNORDISCHER LEHNWÖRTER IM KYMRISCHEN 1. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Wikinger auf ihren zahlreichen Fahrten zu den Britischen Inseln auch nach Wales gekommen sind. Die Ankunft des norwegischen Königs Magnus Barfuß in Wales wird in der HGVK: 26 folgendermaßen geschildert: A gwedy datkanu y'r brenhin trwy yeithydd pa ynys oedd, a phwy oedd argluydd... "Und dann wurde dem König durch einen Dolmetscher erklärt, welche Insel es war, und wer Herr war..." Es ist aber nicht sehr wahrscheinlich, daß sich Nordleute und Waliser immer über einen Dolmetscher verständigt haben, die altnordischen Lehnwörter im Kymrischen sprechen dagegen. Die Motivation für Entlehnung stammt aus einer Zeit, als Teile der Bevölkerung zweisprachig, d.h. Sprecher des Altkymrischen und Altnordischen waren. Es stellt sich die Aufgabe, die bisher wenig untersuchte sprachliche Seite dieses Aufenthaltes zu bearbeiten und âas Interesse an der altnordischen-altkymrischen Lehnwortforschung neu zu beleben. Dabei geht es um eine phonologische Auswertung der zwar im Altkymrischen entlehnten (Entlehnungszeit 9.-12. Jh.), aber erst im Mittel- und Neukymrischen überlieferten ca. 45 altnordischen Appellativa und Namen (siehe Kapitel 12), deren Lautbild vielschichtige Probleme aufwirft. Dabei wird von folgenden Fragestellungen ausgegangen: - Welche Unterschiede in Akzentuierung und Phonemsystem führen zu Interferenzerscheinungen ? - Welche innerkymrischen Entwicklungen, d.h. vom zu postulierenden Entlehnungszeitpunkt (Altkymrisch) bis hin zur frühesten belegten Form (Mittel- und Neukymrisch) lassen sich an den Lehnwörtern beobachten ? Der sprachwissenschaftlichen Betrachtung wird ein kurzer historischer Überblick vorangeschickt werden. Die Bearbeitung wird durch folgende Punkte erschwert: - Geringe Anzahl (ca. 45) altnordischer Lehnwörter im Kymrischen (im Vergleich zu mehreren hundert im Irischen).
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Altnord. LW im Kymrischen
- Späte Überlieferung (entlehnt ins Altkymrische, belegt aber erst im Mittel- und Neukymrischen). - Möglicher Umweg über das Alt- und Mittelirische. - Frage einer möglichen Entlehnung aus dem Alt- und Mittelenglischen lautlich oft schwer entscheidbar. - Die Aussprache altnordischer Eigennamen kann auch erlernt worden sein (d.h. manche altnordischen Laute, die im Altkymrischen nicht vorhanden waren, wurden mit übernommen). Dabei können diese Punkte nicht an jedem Einzelfall diskutiert werden. 2. Vor allem dürfte es auf die geringe Zahl altnordischer Lehnwörter im Kymrischen zurückzuführen sein, daß man bisher für eine linguistische Bearbeitung wenig Interesse gezeigt hat. An Vorarbeiten, die unser Material zusammenstellen, sind nur wenige zu nennen. Meist sind es nur einzelne Wörter, die erfaßt wurden. Dabei sind Laws (1888), Smith (1910), Mühlhausen (1914), Williams (1934) und de Vries (1961) zu nennen. Am umfassendsten hat Gwilym Peredur Jones in zahlreichen Aufsätzen (1922-1927) Listen altnordischer Appellativa und PN im Kymrischen zusammengestellt, wobei als wichtigstes Werk seine Arbeit von 1927 zu nennen ist. 3. Wales wurde vom 9.-12. Jhd. mehrmals von Wikingern heimgesucht. Unsere Kenntnisse darüber entstammen hauptsächlich aus kymrischen, irischen und englischen Annalen (z.B. BT, BS, ASC, ACa, CS, AU). Diese vermitteln folgendes Geschichtsbild: Mitte des 9. Jhd. dringen Wikinger in Anglesey ein und stoßen auf heftigen Widerstand der walisischen Bevölkerung. Die wiederholten Attacken gehen ab 961 auch von skandinavischen Siedlern in Irland aus. Die ersten freundlichen Kontakte bestehen ab 980 in Form von Bündnissen gegen gemeinsame Feinde (z.B. die Angelsachsen) und gehen bis Ende des 11. Jhd. mit Kriegszügen einher.
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Darüber hinaus sind die altnordischen Sagas zu nennen. 1 Am ausführlichsten berichtet die Jómsvikingasaga 2 über nordisch-kymrische Kontakte. Im Mittelpunkt steht das Schicksal des Wikingers Palnatoki, der in Wales einheiratet. Nach dem Tode seiner Frau übergibt er sein dortiges Königreich dem Waliser Björn ('Bär', vgl. kymr. Arth(ur): arth 'Bär', also Übersetzung eines Eigennamens ?). Es ist die Rede von einer nordischen Kolonie in Wales, die in den kymr./ir./engl. Annalen nie erwähnt wird. Auf nordische Besiedlung weisen aber mehrere hundert nord. ON, vor allem in Südwales hin (z.B. Swansea = Sveinns ey 'Sveins Insel').3 Als weiterer Hinweis dient die sogenannte Dubliner Rolle,4 eine Liste von Freileuten und Gildemitgliedern Dublins im 12. Jhd. Die Liste enthält zahlreiche, eindeutig nordische Namen, deren Träger aus Südwales stammen, z.B. Torkaill of Kardif, Swein de Kardif, Steiner de Cardif. Von archäologischer Seite allerdings wird die These einer nordischen Besiedlung von Wales nicht gestützt. Die wenigen Funde sind bei Thompson (1956) zusammengestellt. Dagegen weisen dekorative Muster auf Stein häufig skandinavische Einflüsse auf, die skandinavische mit einheimischen Motiven vereinigen. Die Steindenkmäler befinden sich in Nordwestwales (besonders Anglesey) und Südwales.5 4. Wenden wir uns nun den Interferenzerscheinungen altnordischer-altkymrischer Sprachkontakte zu. Der Erstsilbenakzentuierung im Altnordischen steht zur Entlehnungszeit Paenultimaakzentuierung im Kymrischen gegenüber, die sich im Laufe der altkymrischen Periode herausbildet. 6 Die Frage ist, wie sich dies auf die Wiedergabe altnordischer Lehnwörter im Kymrischen wiederspiegelt. Zum 1
Für einen Überblick siehe Charles (1934), 89-135. Halldórsson (ed. 1969). 3 Paterson (1920-1922). 4 In: Gilbert (ed. 1870), 3-48. 5 Nash-Williams (1950); Hughes (1922) 61-65, (1930) 238-240. 6 Nach Watkins (1972) 201-205. 2
Altnord. LW im Kymrischen
290
Vergleich werden gegebenenfalls rezente Entlehnungen dazugestellt. Naturgemäß treten in Einsilblern keine Veränderungen auf, z.B. an. Mar > Mar, Mor, Pór(r) > Tur, jarl(r) > iarll, gard(r) > gardd. In zweisilbigen Wörtern ist ebenfalls keine Veränderung nötig, da der ersten Silbe des altnordischen Wortes die Paenultima des kymrischen entspricht, z.B. an. Asi, Gen. Asa > kymr. Assa, Kári > Ceri, Harald(r) > Haralld. Silbenanlautendes h- ist in kymrischen schwachakzentuierten Silben nicht möglich.7 Daher schwindet es (a) im Anlaut der Ultima, bleibt dagegen (b) im Anlaut der Paenultima (d.h. hier im absoluten Anlaut) erhalten. Bsp.: (a) an. Áshildr > kymr. Essyllt,8 Ragnhildr > Ragnell, Rainhillt, Ranillt; (b) Harald(r) > Haralld, Hamall > Hamal. Da anlautendes hiim Kymrischen phonotaktisch nicht möglich ist, schwindet hin an. Hjardar > kymr. Iardur, an. Hiçrvardr > kymr. Iorwerth. In dreisilbigen Wörtern erscheint zunächst ein Verbleiben des Akzentes auf der gleichen Silbe nicht möglich, da dem an. Akzent auf der ersten Silbe Antepaenultimaakzentuierung im Kymrischen entspräche, die aber erst in ganz rezenten Entlehnungen möglich ist, wie zB.'melodi, 'phi'losophi. Folglich ist eine Akzentverschiebung zu erwarten, wie sie in modernen Lehnwörtern aus dem Englischen zu beobachten ist. Als illustratives Beispiel sei hier engl, 'catholic angeführt, das im Kymrischen sowohl als 'catholig (Antepaenultimaakzentuierung s.o.) neben catholig (Paenultimaakzentuierung wie in einheimischen Wörtern als Folge von Akzentverschiebung) erscheint. 9 Offensichtlich ist weder Antepaenultimaakzentuierung noch Akzentverschiebung im 9.-12. Jhd. möglich, denn stattdessen
7
Morris Jones (1913) 64f. Der Name wird später zur Übersetzung der weiblichen Hauptgestalt der mittelalterlichen Sagen um "Tristan und Isolde" verwendet. Die ursprünglich nichts miteinander zu tun habenden Namen Essyllt und Isolde wurden ihrer lautlichen Ähnlichkeit wegen in Verbindung gebracht. 9 Anders bei Pilch (1975) 69. 8
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werden Dreisilbler zu Zweisilblern verkürzt. Damit wird erreicht, daß auch die Lehnwörter mit den spätaltkymrischen phonologischen Regeln konform gehen, z.B. an. 'Amlódi > kymr. 'Amiod, 'Amlawdd. Auf den ersten Blick erscheint kymr. Eliffer (f.) < an. Eilifar (Gen. zu Eilif - fem. Entsprechung zu mask. Eilífr) als Ausnahme. Im Kymrischen ist jedoch der Svarabhaktivokal [a] (/f r) nicht phonemisch (orthographisch wird er übrigens nur sporadisch ausgedrückt). Damit gilt kymr. Eliffer [elifr] als Zweisilbler und ist obigen Beispielen zuzuordnen. Viersilbige an. Lehnwörter im Kymrischen sind nicht belegt. 5. Im Kymrischen erscheint in der Verbindung eines Obstruenten mit einem Sonoranten ein nichtsilbischer Svarabhaktivokal [a], der orthographisch nur sporadisch ausgedrückt wird (durch , , oder gleich dem Vokal der voran-gehenden Silbe). Er tritt überwiegend in auslautenden Konsonantengruppen, seltener im Anlaut auf. Dieser Svarabhaktivokal erscheint bisweilen auch in an. Lehnwörtern im Kymrischen, z.B. a) anlautend (mit gleichem Vokal wie in der Folgesilbe): an. Knytling(r) > kymr. Cynillin (neben Cnitlin), Hjardar > Hayadur (neben Iardur, Eardur)\ (b) auslautend (mit gleichem Vokal oder , < e > , ): an. bródr > Brodor (neben Brodr), Tryggr > Trygyr, Hafagr > Harfagyr. Nicht hierher gehört kymr. silod 'Kleinfische' < an. sild 'Hering'. Befremdend wirkt sowohl der Vokal -o- als auch die umgebenden Konsonanten (Sonorant + Obstruent statt umgekehrt). Vermutlich wurde die Endung analog zu pluralischen (kollektiven) Tiernamen wie kymr. llygod 'Mäuse' zu -od umgestaltet. Ein Singular zu silod ist meines Wissens nicht belegt. 6. Im folgenden kann kein umfassender Überblick über altnordische und altkymrische Quantitätsverhältnisse gegeben werden. Die Langvokale dienen als illustratives Beispiel. Während im Altnordischen Langvokale (V:) sowohl in haupt- als auch in nebenakzentuierten Silben, in Ein- und
292
Altnord. L W im Kymrischen
Mehrsilblern auftreten können, sind diese im Kymrischen auf Einsilbler beschränkt. In Mehrsilblern ist beim Entlehnungsprozeß daher eine Quantitätsveränderung zu erwarten. Dabei sind folgende Regeln zur Vokallänge im Kymrischen relevant:10 - Vokale offener Silben sind halblang ( V ' ) , ebenfalls vor d und /. - Vor anderen Konsonanten wie z.B. s ist der Vokal kurz. Dies spiegelt sich in an. Lehnwörtern im Kymrischen folgendermaßen wider:
(a)
V: > V ' : an. Âtridr > kymr. Edryd, Álffinnr > Elffin, Kári > Ceri \ V: > V : an. Áshildr > Essyllt, Knytling(r) > Cnitlin.
(b)
7. Die Phoneminventare zweier so verschiedener Sprachen wie Altnordisch und Altkymrisch weisen Differenzen auf. Als illustratives konsonantisches Beispiel werden hier die einfachen Velare und der /-Laut herausgegriffen. Kontrastiv sieht das Inventar folgendermaßen aus: Altnordisch
Altkymrisch
Mittelkymrisch
/k/ : 0
/k/ : /χ/
/k/ : /χ/
/g/ - M
/g/ (: hi)
/g/ : 0.
W i e die Tabelle zeigt, weist das an. Velarinventar keinen stimmlosen Frikativ /χ/ auf. Er war bereits im Urnordischen (vor 700) geschwunden. Im Altkymrischen schwindet der stimmhafte velare Frikativ /γ/. Sein Schwund oder seine Entwicklung zu /i/ spiegelt sich in den Lehnwörtern wider. Dabei ist anzunehmen, daß die Wörter, die einen Ersatz durch i im Kymrischen aufweisen, zu einer Zeit entlehnt worden sind, als /γ/ im Altkymrischen noch vorhanden war. Das Nebeneinander mehrerer Formen mit i ~ Schwund - < g > im gleichen Text (z.B. an. Ragnhild(r) > kymr. Rainillt, Ra-
10
Für genauere Regeln siehe Morris Jones (1913) 65ff..
Britta Schulze-Thulin
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nellt, Ragnhild in der HGVK) 11 beweist nicht, daß die Namen so zur gleichen Zeit entlehnt wurden, da die älteste Hs. (13. Jh.) jünger ist als der Entlehnungszeitpunkt. Die Wiedergabe von an. [γ] ( < g > ) durch kymr. bedeutet vermutlich, daß die Schreibweise des an. Namens bekannt war, z.B. in an. Reginn > kymr. Regin (neben Rein). Andernfalls wurde an. [γ] durch kymr. g ersetzt, z.B. (a) an. [γ] > kymr. [i]: an. targr > kymr. tañan, Ragnhildr > Rainillt (neben Ranillt, Ragnelt)·, (b) an. [γ] > kymr. 0: an. Reginn > Rein (neben Regin); (c) an. [γ] > kymr. < g > : an. Ragnhildr > kymr. Ragnell (neben Rainillt, Ranillt), Reginn > Regin (neben Rein). Bezüglich des /-Lautes ist für die Entlehnungsperiode von folgenden Phoneminventaren auszugehen: An. /!/ : Ν
Akymr. :0
/ ! / : 0 : (/*/)
M kymr. Ν • 0 "· Ν ·
Im Altnordischen ist die Opposition kurz : lang phonemisch, wie folgendes Beispiel zeigt: çl "Bier" : çll "alle". Im Inselkeltischen haben lenis [1] und fortis [L] Allophonstatus.12 Fortis [L] entwickelt sich zu altkymrisch stl. [1]. Die Opposition lenis : fortis ist also in die Opposition sth. : stl. übergegangen. Dies hat zur Folge, daß zur Entlehnungszeit dieses Lautgesetz noch produktiv war, bzw. der Analogiemechanismus noch nachgewirkt hat. Aber bereits ab den Entlehnungen aus dem Mittelenglischen ist z.B. -It, statt nach der [L] > [1]-Regel -Ut [-h], durchaus möglich, z.B. kymr. cwilt < mengl. qwylte, quylt(e), nengl. quilt. Aus der Entwicklung akymr. [L] > [1] waren neue phonotaktische Regeln für die Verteilung von [1] und [1] entstanden. In den altnordischen Lehnwörtern spiegeln sich folgende wider:
11
Der frikative Charakter von in an. Ragnhild(r) ist durch die Entlehnung in air./mir. Rachenild erwiesen. n Genaueres bei Jackson (1953) 473-480.
294
Altnord. LW im Kymrischen
(a)
/ + Dental > [1] + Dental: an. Áshildr > kymr. Essylt, Ragnhildr > Rainhillt, Ranillt (neben Ragnell), Harald'> Haralld", (b) -1(1) > [1]: an. Ketill > kymr. Cetili, Porkeil > Torkaill, Thurkyll; (c) rl > [rt]: an. jarl(r) > kymr. iarll·, (d) tl > [1]: an. Atli > kymr. Elli, Knytling(r) > Cynillin (neben Cnitlin). Dagegen sind drei Namen im Mittelkymrischen belegt, deren Orthographie durch einfaches < 1 > eher auf sth. [1] schließen läßt, obwohl [1] < II zu erwarten wäre: an. Hamall > kymr. Hamal, Porkeil > Thür kiaul (neben Torkaill, Turkild), Harald(r) > Harald (neben Haralld). Die Schreibweise kann bekannt (z.B. kymr. Harald) oder die Aussprache erlernt worden sein (z.B. kymr. Hamal), bevor dann l in allen Positionen möglich wird (s.o.). 9. Betrachten wir nun die einfachen Vokale. Die Phoneminventare sehen folgendermaßen aus:13 An. Ν hl M / e / / 0 / /O/ /ε/ Ν Ν
Akymr. Ν /e/
Ν Ν /ui/ / o / ( / D / > / au/) /a/.
In der hauptakzentuierten Silbe stehen neun an. Phoneme sieben im Akymr. gegenüber. Die Differenz ist durch das Fehlen von offenen / e / und /D/ im Akymr. zu erklären ( / o / wird zu / o / , /D:/ erst recht spät zu / a u / ) . Auch entsprechen sich mittlere an. /y/, /φ/ und akymr. /ii/, /UJ/ nicht völlig, letztere werden weiter hinten artikuliert. Da die Wiedergabe der fünf Grundvokale keinerlei Problem darstellt, soll uns besonders der Ersatz von an. / e / , /o/, / y / und / 0 / im Kymr. interessieren.
13 Zwischen Länge und Kürze wird in der Übersicht nicht unterschieden.
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Zur Wiedergabe des an. / φ / erscheint kymr. / u i / am geeignetsten; an. Gudr0dr wird zu Gwrydr /guruidr/. Dagegen muß an. / y / von akymr. / ü / wohl unterschieden gewesen sein, denn an. / y / wird mit /£/ in kymr. Sitric < Sigtryggr (hier im An. nebenakzentuierte Silbe), kymr. Cnitlin, Cynillin < an. Knytling(r) wiedergegeben. Aber auch mit /UJ/ wie in Trygyr /trujgujr/ < an. Tryggr. Das Nachwirken der Diphthongisierung von /o\/ > / a u / im Kymr. zeigt sich im an. Namen Amlçâi, der sowohl durch kymr. Amlawdd mit / a u / als auch durch Amiod mit / o / wiedergegeben wird. Ebenfalls als / o / im Kymr. erscheint an. / o / in an. Hiçrvardr > kymr. Iorwerth, dagegen als / a / in an. Qnundr > kymr. Anundr, Annun. Hierzu ist anzumerken, daß an. / ρ / lange Zeit dem / a / recht nahe artikuliert wurde; dies spiegelt sich auch in an. bçlkr > ir. bale wieder. Auch ist eine Entlehnung aus den aschw. und adän. Formen Anundr und Anund nicht auszuschließen. Sichere Beispiele für an. / ε / sind nicht belegt. 10. Im Kymrischen hat das Phänomen des Paenultima-/-Umlautes die Struktur des Phonemsystems eine Zeit lang bestimmt. Er ist bereits in den ältesten akymr. Hss. orthographisch belegt. Findet sich in an. Wörtern ä vor i in der Folgesilbe, so erscheint dort im Kymr. e, z.B. (a) an. a > kymr. e\ an. Atli > kymr. Eilt; (b) An. ä > kymr. e: an. Alffinnr > kymr. Elffin, Ashildr > Essylt, Kári > Ceri. Der i-Umlaut ist bis ins Mkymr. hinein produktiv.14 Auch weisen Pluralformen an. oder aengl. Lehnwörter /-Umlaut auf, z.B. kymr. gardd "Garten", PI. gerddi. In kymr. Iestyn < an. Josteinn und Ierwerth (neben Iorwerth) < an. Hiçrvardr scheint anlautendes ie- auf ein ähnliches Phänomen zurückzuführen zu sein. Kymr. mit io- anlautende Wörter sind allerdings alle
14
Morris Jones (1913), 122 n.2.
Altnord. LW im Kymrischen
296
erst später (ab dem Mkymr., kymr. Ionawr < lat. Iánuárius ist nach Lewis 1943,7 auf mehr als Zweisilbigkeit des lat. Wortes zurückzuführen) entlehnt. Dagegen war je- in einheimischen Wörtern durchaus üblich. Die Namen wurden akymr. phonotaktisch möglichen Lautstrukturen angepaßt. 11. Mit diesen Beispielen hoffe ich gezeigt zu haben, wie sich akymr. Lautgesetze auch auf Lehnwörter aus dem An. auswirken. Umgekehrt sind Lehnwörter aussagekräftig für Datierungen der Produktivität von Lautgesetzen, wie wir z.B. anhand des [y]-Lautes, des kymr. [1] oder des i-Umlautes gesehen haben. 12. Im folgenden wird eine Liste möglicher an. Lehnwörter im Kymr. gegeben, wie sie von verschiedenen Forschern gesammelt wurden. Auf einen ausführlichen Kommentar muß dabei verzichtet werden. Genaueres z.B. darüber, wo die ältesten Formen belegt sind, ist in der angegebenen Literatur nachzulesen. An.
Kymr.
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Alffinnr
Elf fin
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AmlçSi
Amlawdd, Amiod
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Andrés
Andras
- (1927), 163.
Àsbjçtrn
Osbwrn
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Ashildr
Essyllt
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Ási, Gen. Asa
Assa
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Áti (od. Oddi)
Edi
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Atli
Elli
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Bró5ir, Dat. Bródur
Brodr, Brodor
- (1927), 164.
Eilíf, Gen. Eilífar
Eliffer
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Elín
Elin
- (1927), 165.
Engli
Ingli
- (1927), 165.
Erpr
Yrp, Yrb, U r b i
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garÒ(r) "Garten"
gardd
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Gripr + jó3
Gripiud (Gruffydd)
Jones (1927), 165.
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320.
298
Altnord. LW im Kymrischen
vik(r) "Bucht"
(Porth) Wygyr
vik(r)
gwig 1 5
Jones (1923), 48.
viking(r)
Wigen
- (1925), 140.
Qnund(r)
Anundr, Annun
- (1927), 163f.
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15 Mündliche Mitteilung Stefan Schumachers, dem ich an dieser Stelle für zahlreiche Anregungen und Hinweise danken möchte.
Britta Schulze-Thulin
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Elmar Ternes, Hamburg
ITALO-KELTISCH HEUTE: typologische Gemeinsamkeiten der keltischen und romanischen Sprachen 1. Einleitung Der erste Teil des Titels "Italo-Keltisch heute" besagt nicht, daß im folgenden der Versuch unternommen wird, den heutigen Forschungsstand zur sog. italo-keltischen Hypothese innerhalb der indogermanischen Sprachfamilie zu resümieren. Es soll vielmehr auf typologische Gemeinsamkeiten zwischen den heutigen keltischen Sprachen und den heutigen romanischen Sprachen aufmerksam gemacht werden. Ein solcher typologischer Gesichtspunkt ist bisher nur selten eingenommen worden. Wer immer sich mit den keltischen Sprachen, besonders den inselkeltischen, befaßt, ist von ihrer Fremdartigkeit fasziniert. Diese Fremdartigkeit, die eben eine typologische ist und die keltischen Sprachen vom gemeineuropäischen Sprachtypus (Standard Average European = SAE) deutlich abhebt, tritt umso stärker hervor, gerade weil die genealogische Zugehörigkeit des Keltischen zum Indogermanischen unbestritten und für den etymologisch und überhaupt sprachhistorisch Geschulten jederzeit deutlich erkennbar ist. Eben diese Ambivalenz des Keltischen zwischen genealogischer Vertrautheit und typologischer Fremdheit macht einen großen Teil der Faszination der Beschäftigung mit dem Keltischen aus. Man hat daher in der Vergangenheit eher die Frage gestellt, woher diese Fremdartigkeit des Keltischen komme, und sie mit weit hergeholten Substrattheorien zu beantworten versucht (etwa Wagner 1982, Near Eastern and African Connections with the Celtic World), und seltener die weniger spekulative Frage, zu welchen anderen näher gelegenen Sprachen das Keltische Ähnlichkeiten aufweist. Man hat also immer wieder die Fremdheit, ja Exotik des Keltischen betont, statt unter Hinweis auf ähnliche Erscheinungen in benachbarten Sprachen diese Fremdheit zu relativieren. Wenn wir nun den letzteren Gesichtspunkt aufgreifen und uns fragen, mit welchen lebenden Sprachen die keltischen bei aller
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Andersartigkeit am ehesten zu vergleichen seien, dann lautet die Antwort: mit den romanischen Sprachen. Dieser Befund ist typologisch und wurde rein synchron auf der Basis der heutigen Sprachstrukturen gewonnen. Wir stellen dann sekundär fest, daß sich dieser Befund mit der alten italo-keltischen Hypothese, welche auf den ältesten belegten Sprachformen beruht, deckt. Insofern sind diese beiden Gesichtspunkte (synchron-typologisch und historisch-sprachvergleichend) nicht voneinander zu trennen. Man könnte nun die gemeinsamen Züge, welche im Rahmen der italo-keltischen Hypothese festgestellt wurden (z.B. Porzig 1954, Schmidt 1969), Punkt für Punkt aufgreifen (etwa das mediale -r oder der Superlativ auf -(i)samo) und feststellen, inwieweit diese Eigenschaften in den heutigen keltischen und romanischen Sprachen noch vorhanden sind. Dies wäre eine interessante Untersuchung, soll uns aber im folgenden ebenfalls nicht beschäftigen. Was das Italo-Keltische im historischen Sinne betrifft, so begnügen wir uns mit der bei Schmidt (1969:119f) resümierten Feststellung, welche wohl der heutigen communis opinio entspricht, daß eine italo-keltische Einheit im Sinne einer vorhistorischen stammbaummäßigen Einheit nicht nachzuweisen ist, daß aber "Italiker und Kelten über lange Zeitstrecken in unmittelbarem Kontakt miteinander gelebt haben müssen" (ibid. 120). Die. Gemeinsamkeiten etwa zwischen Latein und Altirisch bleiben natürlich bestehen und sind nicht zu leugnen, gleichgültig ob sie auf einer stammbaummäßigen Einheit oder auf einer Kontaktsituation beruhen (s. neuerdings Schmidt 1991). Ganx neu ist der Gedanke eines Vergleichs zwischen den keltischen und romanischen Sprachen keineswegs. Der Begriff Keltoromanisch, der gewissermaßen die auf die neueren Sprachen bezogene Umformulierung von Italo-Keltisch darstellt, taucht schon bei Rudolf Thurneysen (1884) und Hugo Schuchardt (1897) auf. Außerdem gibt es einen Sammelband mit Beiträgen von Hugo Schuchardt u.d.T. "Romanisches und Keltisches" (Schuchardt 1886). Aber die Beziehungen zwischen Romanisch und Keltisch in diesen alten Werken
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betreffen hauptsächlich die Etymologie. Von Typologie kann noch nicht die Rede sein. In neuester Zeit wird man zunehmend auch auf typologische Ähnlichkeiten aufmerksam. Barbara Wehr hat auf dem 9. Internationalen Keltologenkongreß in Paris 1991 einen Vortrag über typologische Parallelen in der irischen und französischen Syntax gehalten (Wehr 1991), und Bechert (1990:121) weist auf typologische Ähnlichkeiten in der Nominalstruktur des Romanischen und Keltischen hin. Wir möchten diese Ansätze im folgenden erweitern und in einen größeren Zusammenhang stellen, wobei uns die begrenzte Zeit nur eine kurze Behandlung der einzelnen Punkte erlaubt.
2. Satzphonetik und Folgeerscheinungen Die am tiefsten greifende Ähnlichkeit der keltischen und romanischen Sprachen ist lautlicher Natur. Ihre Auswirkungen sind aber nicht auf den lautlichen Bereich im engeren Sinne beschränkt, sondern reichen über die Morphologie bis hin zur Syntax und Stilistik. Sie betreffen sowohl die Sprachstrukturen in synchroner Hinsicht als auch deren diachrone Entwicklung. Es handelt sich in beiden Sprachgruppen um die Existenz eines ausgeprägten phonetischen Gruppenakzents. Bei dieser Erscheinung, die im Französischen auch als groupe rythmique oder mot phonétique bekannt ist, handelt es sich darum, daß das Einzelwort seine lautliche Eigenständigkeit im Rahmen einer längeren, ohne Pause gesprochenen Passage weitgehend oder vollständig aufgibt. Die Einzelwörter werden zu einem langen mot phonétique "verkettet", daher auch der französische Begriff enchaînement. Ein extremes typologisches Gegenbeispiel ist gerade Standarddeutsch, welches durch zahlreiche lautliche Grenzsignale die Wortgrenzen deutlich markiert: dynamischer Wortakzent, Auslautverhärtung, Glottalverschluß zur Markierung von Wortanfang und Morphemgrenze usw.1
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Dem widerspricht nicht die Existenz der Auslautverhärtung im Bretonischen. Im Deutschen gilt sie im Satzzusammenhang bei jedem Wort, im Bretonischen nur am Ende eines mot phonétique,
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Daher macht das Deutsche auf Sprecher aller romanischen Sprachen einen "abgehackten" Eindruck. Das gleiche gilt für ein mit deutschem "Akzent" gesprochenes Französisch usw. Die Tendenz zum Gruppenakzent ist in den keltischen Sprachen eher noch stärker ausgeprägt als in den romanischen. Der Gruppenakzent hat zahlreiche Konsequenzen auf den verschiedensten Ebenen. Im subphonemischen Bereich hat er zur Folge, daß allophonische Regeln in gleicher Weise im Wortinnern wie an der Wortgrenze gelten. Beispiel: span, /b, d, g/ haben die Allophone [ß, 9, γ] in intervokalischer Stellung, im Wortinnern (lado) ebenso wie am Wortanfang nach einem vokalisch auslautenden Wort (ocho días). Auf der phonemischen Ebene ergeben sich zahlreiche Sandhi-Erscheinungen. Unter Sandhi verstehen wir lautlich bedingte Veränderungen auf der Phonemebene, wenn zwei oder mehr Wörter in Folge statt isoliert gesprochen werden (Ternes 1986). Diese Erscheinungen sind gerade in den keltischen Sprachen besonders ausgeprägt. Das Wort kann im Satzzusammenhang seine lautliche Form so stark verändern, daß es kaum noch mit der isolierten Form identifizierbar ist. In der Beschreibung des Bretonischen der Insel Groix umfaßt die Behandlung der Sandhi-Regeln 42 Seiten (Ternes 1970:68-110), ohne damit erschöpfend zu sein.2 Von Veränderungen betroffen sind sowohl Segmente (Vokale und Konsonanten ändern ihre Qualität) als auch suprasegmentale Eigenschaften: Veränderungen der Lautquantität in Form von Kürzungen oder Längungen; Verlagerung, Reduzierung oder Schwund des Wort-
d.h. in absoluter finaler Stellung, vgl. dt. Lied [t] vs. bret. tad [t] (beides mit Auslautverhärtung), aber dt. das Lied [t] [?] ist ...(Auslautverhärtung, folgender Vokal setzt mit Glottalverschluß ein) vs. bret. an tad [d] a zo ...(keine Auslautverhärtung, kein Glottalverschluß, [d] wird zum folgenden Vokal gebunden). 2 Die Aufhebung der Wortgrenzen wird dadurch besonders deutlich, daß die Sandhi-Regeln an der Wortgrenze weitgehend identisch sind mit den morphophonemischen Regeln beim Aufeinandertreffen von Morphemen im Wortinnern (cf. Ternes 1970:127, Ternes 1977b: 197).
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akzents. In der Romania sind Sandhi-Erscheinungen am stärksten im Portugiesischen ausgeprägt. Die Auswirkungen des mot phonétique im allophonischen und phonemischen Bereich sind ihrerseits bekanntlich die Voraussetzungen bzw. die Vorstufen für die Entstehung der berühmten Mutationen im Keltischen. Bei den Mutationen handelt es sich um lautliche Veränderungen an der Wortgrenze, deren lautliche Voraussetzungen geschwunden sind, die aber dennoch beibehalten wurden und somit grammatischen Status angenommen haben. Damit gehören sie der morphophonemischen Ebene an. Mutationen sind keineswegs, wie gelegentlich behauptet wurde (Schmidt 1969:123), auf die keltischen Sprachen beschränkt. Die romanischen Sprachen bieten die lautlichen Voraussetzungen, und in der Tat haben sich echte Mutationen in spanischen Dialekten, besonders in andalusischen und kanarischen Dialekten, entwickelt (Ternes 1977a, Oftedal 1985, cf. Ternes 1985). Vorstufen zu Mutationen finden sich in italienischen Dialekten, im Sardischen und im Korsischen (Ternes 1977a). Das Funktionieren einer Mutation im andalusischen Spanisch zeigt das folgende Paradigma (nach Ternes 1977a): / b á k a / "Kuh" Sg. /la báka/ Pl. / l a fáka/ / d u n a / "Düne /la duna/ /la 0 ù n a / /gâta/ "Katze" /la gâta/ / l a xáta/. Ein anderer Typ von Mutation existiert im kanarischen Spanisch und hat folgendes Aussehen (Ternes 1977a und Oftedal 1985): / p á r m a / "Palme" Sg. /la bárma/ Pl. / l a párma/ /tiérra/ "Erde" /la diérra/ / l a tiérra/ /kása/ "Haus" /la gása/ / l a kása/. Ein Nebenprodukt der Mutationen ist die Präfigierung von Konsonanten vor vokalisch anlautenden Stämmen, z.B. ir. na hulla "die Äpfel" von úll "Apfel", i η-am "in time" von am "Zeit". Das andalusische Spanisch hat Formen wie /lo hóho/ für los ojos "die Augen", die eine genaue Entsprechung zu ir. na húlla darstellen. Diese Erscheinungen wiederum haben eine direkte Parallele in der französischen liaison, z.B. les [z]amis , en [η]-allant. Alle diese präfigierten Konsonanten haben den gleichen Ursprung wie die eigentlichen Mutationen.
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Die sog. Nasalmutation (oder Eklipse) des Irischen beruht auf dem Schwund eines auslautenden Nasalkonsonanten, der vor seinem Schwinden den anlautenden Konsonanten des Folgewortes veränderte, z.B. /p/-»/b/, /b/->/m/. Wenn aber das folgende Wort nicht mit Konsonant, sondern mit Vokal anlautete, blieb der auslautende Nasalkonsonant des Vorderwortes erhalten, verlagerte aber seine Funktion und seine Position und erscheint heute als Präfix zu dem folgenden Wort. Ebenso wie /p/-+/b/ und /b/-*/m/ wird also Nullkonsonant / n / (ir. i η-am). Dem entspricht genau die französische liaison. Das / z / in les [ζ]-amis ist der Reflex des lat. / s / in illos vor vokalisch anlautendem Folgewort. Im Unterschied zum Keltischen existieren im Französischen in seiner Standardform nur die konsonantischen Präfixe, nicht die eigentlichen konsonantischen Alternationen. Letztere existierten aber auch (ähnlich wie im andalusischen und kanarischen Spanisch) in inzwischen wohl größtenteils ausgestorbenen französischen Dialekten. Eine Entsprechung zu der französischen liaison, seiner typologischen Natur ebenso wie seiner historischen Entstehung nach, stellt auch das raddoppiamento sintattico im Italienischen dar (a casa / a kkása/, Ternes 1977a). Die Behauptung, für die keltischen Mutationen gebe es in der gesamten Indogermania keine Parallelen (Schmidt 1969:123, aber auch bei anderen Autoren) konnte zustande kommen, weil entsprechende Erscheinungen im Romanischen in nicht-verschrifteten Dialekten vorkommen, in eben diesen Dialekten durch die jeweilige Standardsprache ständig konterkariert werden oder dort, wo sie standardsprachlich sind (etwa im Falle der französischen liaison), durch die historische Orthographie, welche den Zustand des Lateinischen widerspiegelt, verschleiert werden. Die älteste standardisierte Form der keltischen Sprachen, das Altirische, besaß bereits Mutationen, während die älteste standardisierte Form der romanischen Sprachen, eben das Latein, solche Erscheinungen nicht kannte. Daher haben sich die orthographische Tradition und überhaupt die Standardisierung in den beiden Sprachfamilien ganz unterschiedlich entwickelt. Es ist sogar zu vermuten, daß Formen von Mutationen (oder Vorstufen wie die gorga tosca-
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na im Italienischen, cf. Ternes 1977a) in den romanischen Sprachen u.a. deshalb nicht in den Standard aufgenommen wurden, weil sie zu stark von dem immer präsenten Vorbild des Latein abwichen. Die französische liaison hat sich gewissermaßen unbemerkt in den Standard eingeschlichen, da sie orthographisch verschleiert und ihre wahre Natur jahrhundertelang nicht erkannt worden war. Entsprechend hat sie auch für viel Verwirrung gesorgt und ist als "caprice déroutant de la langue française, ...sa coquetterie la plus raffinée" bezeichnet worden (Bernard Bichakjian, zitiert nach Klausenburger 1984:8, cf. Ternes 1987 b). Erklärungsversuche sind bis in die neuere Zeit nicht über die unsägliche "Euphonie" oder "Hiatusvermeidung" hinweggekommen. Das Fehlen einer lautlichen Markierung der Wortgrenze innerhalb des mot phonétique hat Folgen auch auf semantischer Ebene. Eine bestimmte Passage kann unterschiedliche Bedeutung haben, je nachdem ob und an welcher Stelle Wortgrenzen angenommen werden. Diese Wortgrenzen sind aber normalerweise nicht hörbar, sondern können nur metasprachlich verdeutlicht werden. So kann französisch /iletuver/ verstanden werden als il est ouvert "es ist offen" oder als il est tout vert "es ist ganz grün". Homophonien dieser Art sind eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Bildung von calembours im Französischen. Von dieser stilistischen Möglichkeit wird gerade im französischen Alltagsgespräch wie in der Literatur reichlich Gebrauch gemacht. Dieselben Möglichkeiten bestehen auch in den anderen romanischen Sprachen und in den keltischen Sprachen. Im Groix-Bretonischen sind "zwei Sommer" und "zwei Winter" homophon in der Form /dewagaex/ (cf. Ternes 1987a: 179, 183f.; eine genauere grammatische Analyse dieses Beispiels in Ternes 1970:68). Ein solcher Typ von Homophonie bzw. ein solcher Typ von darauf beruhenden Wortspielen ist in Sprachen, bei denen die Wortgrenze lautlich markiert ist (wie etwa im Deutschen), nicht möglich. Die enge lautliche Bindung innerhalb eines mot phonétique führt diachron dazu, daß ursprünglich getrennte Wörter und Morpheme miteinander verschmelzen und neue synthetisierte Formen bilden, so die für die romanischen und keltischen
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Sprachen gleichermaßen typischen Sonderformen für Verbindungen von Präposition und Artikel: ir. sa "in dem", faoin "unter dem", leis an "mit dem", entsprechend ital. nel "in dem", sul "auf dem" usw. Dies führt sogar zu sog. Portmanteau-Formen wie frz. au, aux /o/ "zu dem, zu den", die so eng verschmolzen sind, daß die ursprünglichen Bestandteile (/a/ "zu" und Artikel /ta/ bzw. /le/) nicht mehr analysierbar sind. Auch in ir. sa "in dem" ist die Präposition i "in" nicht erkennbar. Hierher gehören auch die Verbindungen von Präpositionen und Possessiva (wozu ebenfalls die fälschlicherweise so genannten infigierten Personalpronomina im Keltischen gehören), wie ir. dhá "zu seinem", ina "in seinem", bret. ez "in deinem" und zahlreiche weitere Formen. In diesem Zusammenhang kann ein umfassenderer Gedanke, der eine weitere Ausarbeitung erforderte, nur angedeutet werden. Die Existenz von Mutationen oder mutationsähnlichen Erscheinungen (französische liaison, italienisches raddopiamento u.a.), die Verschmelzung von ehemals getrennten Wörtern und Morphemen und andere Erscheinungen sind darauf zurückzuführen, daß die diachrone Entwicklung in diesen beiden Sprachfamilien häufig nicht paradigmatisch, sondern syntagmatisch erfolgte. Eine bestimmte Form (z.B. eine nominale Kasusform) ist nicht allein durch die Struktur des entsprechenden morphologischen Paradigmas bestimmt, sondern durch den konkreten syntagmatischen Rahmen, in den sie eingebettet ist, etwa den Kontext Präposition + Artikel + Substantiv + attributives Adjektiv. Die diachrone Entwicklung erfolgt für das Syntagma als ganzes, nicht für jede einzelne Form getrennt in ihrem jeweiligen Paradigma. Wenn man das Syntagma in seine einzelnen grammatischen Wörter zerlegt und diese paradigmatisch auflistet, dann äußert sich die beschriebene Entwicklung in (scheinbaren !) Unregelmäßigkeiten. Im Lateinischen memorieren wir die Deklination der Substantive in Form von Paradigmen wie amicus, amici, amico... Eine solche Anordnung bringt im Irischen keinen großen mnemotechnischen Gewinn, da beinahe jedes Substantiv andere Besonderheiten aufweist und zuudem ein und dieselbe grammatische Form desselben Substantivs je nach
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dem syntaktischen Zusammenhang verschiedene Ausprägungen haben kann. Wenn im Irischen zu Nom. an fear / a f a r / "der Mann" der Genitiv an fhir /an'ir'/ lautet, so erscheint dies paradigmatisch unregelmäßig, ist aber für irische Verhältnisse völlig normal. 3 Man vergleiche die Deklination des Artikels im Deutschen der, des, dem, den mit den unterschiedlichen Formen des Artikels im Irischen oder Schottisch-Gälischen. Das vollständige Paradigma des Artikels ist so verwirrend, daß eine Einprägung in paradigmatischer Form kaum möglich ist. Man lernt die Formen des Artikels am besten mit einem konkreten Substantiv, und zwar für jedes Substantiv getrennt. Noch einmal: Die Verwirrung bzw. Unregelmäßigkeit ist nur paradigmatisch, auf der syntagmatischen Ebene ist die Vielfalt der Formen regelmäßig erklärbar, wie z.B. ir. an t-úll "der Apfel" von úll (mask.), aber an tsúil /tu:l'/ "das Auge" von súil /su:l'/ (fem.) u.v.a. Diese Formen haben eine typologische Parallele im Romanischen in der sog. Elision des Artikels, z.B. frz. l'ami. Man vergleiche auch die in beiden Sprachfamilien verbreitete Allomorphie des Artikels in Abhängigkeit vom Anlaut (und unabhängig vom Genus) des folgenden Substantivs, z.B. bret. an / al / ar (an ti, al leur, ar mor), ital. il / lo (il cuore, lo stomaco). In allen diesen Fällen erfolgte die lautliche Entwicklung nicht getrennt in je einem Paradigma für Artikel und Substantiv, sondern Artikel + Substantiv (häufig auch Präposition + Artikel + Substantiv) bildeten eine zusammenhängende Form, die sich en bloc für jedes Substantiv getrennt entwickelte. Daher konnte es diachron auch leicht zur sog. Agglutination des Artikels (frz. lierre "Efeu" < Artikel + lat. hederá) bzw. Deglutination von Silben (ital. rondine "Schwalbe" < lat. hirundinem) kommen. In diesem Zusammenhang ist auch der erstaunlich hohe Anteil an suppletiven Formen in der Morphologie der keltischen Sprachen zu sehen.
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Die stark historische Orthographie des Irischen verschleiert diese Erscheinungen zum Teil. Unsere Argumentation beruht auf der lautlichen Realisierung, nicht auf der orthographischen Wiedergabe.
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Das folgende Kriterium ist syntaktischer Natur, es ist aber durchaus im Zusammenhang mit der eingangs erwâhntèn lautlichen Charakteristik des mot phonétique zu sehen. Im Deutschen können wir jedes Wort eines Satzes durch emphatische Betonung hervorheben, ohne im übrigen die Satzstellung zu verändern. Aus ich fliege nach Paris können wir machen ICH fliege nach Paris (und nicht du), ich FLIEGE nach Paris (und fahre nicht mit dem Zug), ich fliege nach PARIS (und nicht nach London). Eine Hervorhebung dieser Art ist in den romanischen und keltischen Sprachen nicht üblich. Ein Grund dafür ist in den lautlichen Eigenschaften des mot phonétique zu suchen. Innerhalb eines mot phonétique sind alle Wörter relativ gleichmäßig gewichtet, am deutlichsten im Französischen, wo der individuelle Wortakzent völlig aufgehoben ist und nur die letzte Silbe des gesamten mot phonétique den finalen Wortakzent erhält. Diese gleichmäßige Stärkeverteilung innerhalb des mot phonétique erlaubt nicht die emphatische Hervorhebung eines einzelnen Wortes oder umgekehrt ausgedrückt, eine emphatische Hervorhebung einzelner Wörter würde das mot phonétique auseinanderreißen bzw. die Etablierung von mots phonétiques gar nicht erst erlauben. Die keltischen und romanischen Sprachen greifen zur Hervorhebung zu morphologischen und syntaktischen Mitteln, die ihrerseits vielfältig differenziert sind wie Änderung der Wortstellung (häufig mit weiteren syntaktischen Konsequenzen), speziellen emphatischen Wortformen (frz. moi, toi gegenüber je, tu), emphatischen Partikeln (ir. mo mhac-sa "MEIN Sohn") u.v.a. Das auffälligste der syntaktischen Verfahren ist zweifellos der sog. Spaltsatz (engl, cleft sentence), also Wendungen wie frz. C'est papa qui vous envoie?, ir. Is é Seán a chuaigh go Corcaigh inné "SEAN ist gestern nach Cork gegangen", Is go Corcaigh a chuaigh Seán inné "Seán ist gestern nach CORK gegangen", im Gegensatz zum stilistisch neutralen irischen Satz Chuaigh Seán go Corcaigh inné "Seán ist gestern nach Cork gegangen" (Beispiele nach Wehr 1991). Im Bretonischen hat übrigens ein historischer Spaltsatz die Funktion des stilistisch neutralen Satzes angenommen: bret. an amzer a zo brav "das Wetter ist schön" (stilistisch neutral) enthält historisch in
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seinem zweiten Teil einen Relativsatz. Auf diese Weise hat Bretonisch als einzige keltische Sprache die unmarkierte Wortstellung SVO angenommen, gegenüber VSO in allen anderen keltischen Sprachen. 4 Im Deutschen ist der Spaltsatz grammatisch zwar nicht ausgeschlossen, aber absolut unidiomatisch, besonders in gesprochener Sprache.
3. Weitere Gemeinsamkeiten Im letzten Teil soll stichwortartig auf einige weitere gemeinsame Züge hingewiesen werden. Der erste Punkt ist hinreichend bekannt. In den romanischen Sprachen (mit Ausnahme des Rumänischen) sowie in den britannischen Sprachen des Keltischen ist die Kasusflexion geschwunden, wobei deren syntaktische Funktionen durch in beiden Sprachgruppen ganz ähnlich gebildete präpositionale Fügungen übernommen wurden. Bei den goidelischen Sprachen, welche die Kasusflexion zunächst (teilweise) bewahrt haben, ist diese heute im Zusammenbruch begriffen, so daß im Goidelischen mit einer zeitlichen Phasenverschiebung die gleichen Entwicklungen zu erwarten bzw. teilweise schon jetzt eingetreten sind wie im Britannischen. Auch die im Keltischen übliche Konstruktion des substantivischen Attributs (sog. "Genitivattribut") ohne Präposition (bret. ti an tad "das Haus des Vaters") hat im Romanischen Parallelen: Konstruktionen wie Ii serjant le roi "die Diener des Königs" waren im Altfranzösischen sehr geläufig. Im heutigen Französisch sind sie noch in festen Wendungen wie Hôtel-Dieu oder de par la loi "im Namen des Gesetzes" (par < lat. partem) erhalten. Die keltischen und romanischen Sprachen (erneut mit Ausnahme des Rumänischen) besitzen ein synthetisches Futur, dessen Verwendung bei futurischer Bedeutung obligatorisch ist: frz. faites ce que vous voudrez! "Macht was ihr wollt [wörtl. 4
Die Unkenntnis der heutigen synchronen Funktion dieser Konstruktion im Bretonischen und die vergleichende Betrachtung mit dem Walisischen, wo diese Konstruktion (walis. sydd) in der Tat stilistisch markiert ist, hat häufig zu einer falschen syntaktischen Beurteilung des Bretonischen geführt.
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wollen werdet] !" Dies steht im Gegensatz z.B. zu den germanischen und slawischen Sprachen, die nur periphrastische Futurformen besitzen, deren Gebrauch nicht obligatorisch ist. In diesen Sprachen wird häufig das Präsens in futurischer Bedeutung gebraucht (cf. das obige Beispiel). Der obligatorische Gebrauch eines synthetischen Futurs im Keltischen und Romanischen ist umso bemerkenswerter, als von den lebenden Sprachen allein das Irische die alten Futurformen bewahrt hat. Alle anderen Sprachen haben ein synthetisches Futur neu gebildet, und zwar auf ganz unterschiedliche Art: Die romanischen Sprachen durch Synthetisierung des Syntagmas cantare habeo, das Bretonische durch Umfunktionierung der Konjunktivformen (Konjunktiv Präsens zu Futur, Konjunktiv Imperfekt zu Konditional), Walisisch und Schottisch-Gälisch durch Umfunktionierung des Präsens (Präsens zu Futur, wobei zur Kompensation ein neues analytisches Präsens entstand). Der innersprachliche Druck, die meist durch lautliche Entwicklungen außer Gebrauch gekommenen alten Futurformen (lat. Fut. cantabit fällt zusammen mit Perf. cantavit) zu ersetzen, war offensichtlich sehr stark, so daß sich in erstaunlich kurzer Zeit neue synthetische Formen herausbilden konnten. Bemerkenswert ist, daß es sich auch im Falle des romanischen Futurs um eine morphologische Verschmelzung mehrerer Wörter handelt (cf. obpn). Nur das Rumänische besitzt ein periphrastisches Futur. Die keltischen und romanischen Sprachen besitzen das gleiche Genussystem, nämlich eine Differenzierung von zwei Genera: maskulinum und femininum. Auch die diachrone Entwicklung ist in beiden Sprachfamilien identisch. Die jeweils ältesten belegten standardsprachlichen Formen (Latein, Altirisch) besitzen noch das indogermanische System von drei Genera: maskulinum, femininum, neutrum. Die Reduktion auf zwei Genera ist also in historischer Zeit erfolgt, und zwar durch Zusammenfall von maskulinum und neutrum. Dies steht in typologischem Kontrast zum Erhalt der drei Genera etwa im Deutschen, Griechischen und in den slawischen Sprachen, andererseits zum vollständigen Verlust der Kategorie des Genus beim Nomen im Englischen. Die Reduktion der drei
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indogermanischen Genera auf zwei in den skandinavischen Sprachen ist von der Entwicklung im Keltischen und Romanischen zu trennen, da sie durch den Zusammenfall von maskulinum und femininum entstanden ist. Zum Abschluß nur die Andeutung einer weiteren Parallele im lautlichen Bereich: Die keltischen und romanischen Sprachen weisen im Konsonantensystem eine bemerkenswerte Vielfalt von Sonoranten auf. Das Irische besitzt bis zu je vier n-, /-, und r- Phoneme. Die romanischen Sprachen (besonders in ihren Dialekten) weisen eine ähnliche Vielfalt auf. Außerdem spielt bei der diachronen Entwicklung eben dieser Konsonantenphoneme in beiden Sprachfamilien die Konzeption von "starken" und "schwachen" Positionen mit jeweils unterschiedlicher lautlicher Ausprägung dieser Phoneme eine wichtige Rolle. Dies äußert sich in den keltischen Sprachen u.a. in bestimmten Mutationstypen (z.B. schott.-gäl. / N / / n / ) . In den romanischen Sprachen werden nur vor diesem Hintergrund bestimmte Lautentwicklungen, die für sich genommen unmotiviert erscheinen, erklärbar. In katal. lloc / λ / < lat. locus liegt keineswegs eine Palatalisierung vor, sondern / λ / stellt gegenüber / l / die "starke" Form des Laterals im Wortanlaut dar (vgl. die diachrone Darstellung des spanischen Konsonantensystems in Ternes 1987:232f.).
4. Schlußbemerkung Wir glauben gezeigt zu haben, daß die keltischen und romanischen Sprachen in der Tat zahlreiche typologische Gemeinsamkeiten aufweisen und die alte italo-keltische Hypothese somit eine neuzeitliche Fortsetzung erfahren hat. Die Frage, worauf diese Gemeinsamkeiten letztlich beruhen, wird immer spekulativ bleiben. Es genügt festzustellen, daß sie für die alte wie für die neue Zeit tatsächlich belegt und nachweisbar sind. Dabei sind die in Frage kommenden Phänomene häufig in den keltischen Sprachen in extremerer Form ausgeprägt (z.B. bei den Mutationen), so daß die romanischen Sprachen als eine typologisch abgeschwächte Form erscheinen. Insofern bleibt der "exotische" Charakter des Keltischen durchaus
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Italo-Keltisch heute
bestehen. Daß das Rumänische innerhalb der romanischen Sprachen gelegentlich abseits steht, überrascht nicht, da das Rumänische seit Jahrhunderten von der übrigen Romania isoliert ist und in dieser Zeit anderen Einflüssen ausgesetzt war. Wenn wir diese italo-keltische bzw. kelto-romanische Gemeinsamkeit als gegeben akzeptieren und fragen, welche moderne Sprache oder Sprachfamilie als nächste Kandidatin für einen typologischen Vergleich zu diesem gemeinsamen Block in Frage käme, so wäre hier das Griechische (Neugriechisch) zu nennen. Dies soll einer späteren Untersuchung vorbehalten sein. Bibliographie Bechert, Johannes (1990): The structure of the noun in European languages. In: Toward a Typology of European Languages. Ed. by J. Bechert & all. Berlin u. New York, 115-140. Klausenburger, Jürgen (1984): French Liaison and Linguistic Theory. Stuttgart 1984 (Zeitschrift für französische Sprache und Literatur, Beihefte N.F. 10). Oftedal, Magne (1985): Lenition in Celtic and in Insular Spanish. The Secondary Voicing of Stops in Gran Canaria. Oslo u.a. Porzig, Walter (1954): Die Gliederung des indogermanischen Sprachgebiets. Heidelberg. Schmidt, Karl Horst (1969): Die Stellung des Keltischen in der indogermanischen Sprachfamilie, historisch-vergleichend und typologisch gesehen. In: Zeitschrift für Vergleichende Sprachforschung 83, 108-123. id. (1991): Latin and Celtic: Genetic Relationship and Areal Contacts. In: The Bulletin of the Board of Celtic Studies 38, 1-19. Schuchardt, Hugo (1886): Romanisches und Keltisches. Berlin, id. (1897): Keltorom. frog-, frogn-\ Lautsymbolik. In: Zeitschrift für romanische Philologie 21, 199-205. Ternes, Elmar (1970): Grammaire structurale du Breton de l'Ile de Groix. Heidelberg, id. (1977a): Konsonantische Anlautveränderungen in den keltischen und romanischen Sprachen. In: Romanistisches Jahrbuch 28, 19-53.
Elmar Ternes
315
id. (1977b): Propositions pour un système de prononciation standard du breton. In: Zeitschrift fur celtische Philologie 36, 180-198. id. (1985): Rez. zu Oftedal 1985. In: Norsk Lingvistisk Tidsskrift 3/1, 61-64. id. (1986): A Grammatical Hierarchy of Joining. In: Sandhi Phenomena in the Languages of Europe. Ed. by Henning Andersen. Berlin u.a., 11-21. id. (1987a): Einführung in die Phonologie. Darmstadt, id. (1987b): Rez. zu Klausenburger 1984. In: Romanistisches Jahrbuch 38, 214-217. Thurneysen, Rudolf (1884): Keltoromanisches. Die keltischen Etymologieen im Etymologischen Wörterbuch der romanischen Sprachen von F. Diez. Halle. Wagner, Heinrich (1982): Near Eastern and African Connections with the Celtic World. In: The Celtic Consciousness. Ed. by Robert O'Driscoll. New York, 51-67. Wehr, Barbara (1991): Typological Parallels in Irish and French Syntax. Vortrag auf dem IXeme Congrès International d'Etudes Celtiques, Paris 1991.
Stephen Ν. Tranter, Freiburg Arbeitsbericht zur Monographie
CLAVI S METRICA: HÁTTATAL, HÁTTALYKILL UND DIE MITTELIRISCHEN VERSLEHREN Bei der Arbeit handelt es sich um eine komparatistische Untersuchung, die im Rahmen eines DFG-Sonderforschungsbereichs (SFB 321, Freiburg, Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Sprecher Herr Prof. Dr. Wolfgang Raible; Teilprojekt A5, Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der älteren irischen Literatur, Projektleiterin Frau Prof. Dr. Hildegard L.C. Tristram) durchgeführt wird. Verglichen wird der Begriff der metrischen Gattung in mittelalterlichen präskriptiven Texten aus dem altnordischen und irischen Bereiche, die sich mit der in beiden Bereichen hochentwickelten Kunst des strophischen Dichtens befassen. Der Symposionsbeitrag befaßte sich ausschließlich mit irischen Aspekten der Gesamtthematik. Die Traktate der mittelirischen Verslehren ordnen die behandelten Strophenformen nach aufwendigen Kategorisierungskriterien ein. Dabei bedient sich jeder Traktat eines anderen Kategorialsystems. Als Beispiel wurde das System des 1. Traktates erläutert. Hier werden die Metren nach den Regeln der Zahlensymbolik in ein übergeordnetes Schema eingegliedert, wobei die Zahl sieben (sieben praktizierende Bardenklassen und ihnen jeweils adäquate metrische Klassen entsprechend den sieben freien Künsten?) zweigeteilt wurde (Dihäreseprinzip) und zwar in eine Gruppe von vier höherstehenden Klassen (primfodlai = quadrìviuml) und eine von drei als minderwertig eingestuften (*fófodlai = triviuml). Nach empirischen Kriterien ist diese zahlensymbolische Einteilung nicht aufrechtzuerhalten. Zwar können die behandelten Metren schon in zwei große Gruppen eingeordnet werden; der Einschnitt kommt jedoch zwischen den fünften und sechsten der dargestellten Klassen, nicht nach der vierten. Als Kriterium bei der empirischen Einteilung dient die für jede Klasse vorgeschriebene Ornamentik, insbesonders die Alliteration. Diese ist für die Metren der ersten fünf Klassen, die man als bairdne zusammenfassen kann, obligatorisch; für
318
Mittelirische Verslehren
die beiden letzten, rannaigecht und deibide, war sie jedoch meist fakultativ. Diese empirische Einteilung weist auf eine Zweiteiligkeit der Rezeption hin, die von dem Verfasser des Traktats berücksichtigt wird. Die ersten fünf Klassen sind als Produkt der mündlichen Rezeption lateinischer Hymnik, wie es in der Liturgie vorkommt (Stowe Missal, Antiphonar von Bangor) zu verstehen. Die beiden letzten Klassen sind dagegen das Ergebnis der Rezeption dieser lateinischen Hymnik durch Kleriker, die sie nach den Regeln der Schriftlichkeit analysierten und sowohl im Lateinischen wie auch in der Volkssprache weiterentwickelten. Rannaigecht und vor allem deibide sind daher als klerikale, schriftbasierte Metren zu betrachten; die fünf Klassen der bairdne dagegen als laizistisch und mündlichkeitsbasiert.
Dorothee Tratnik, Cork
VARIATIONEN IM VOKABULAR SCHOTTISCH-GÄLISCHER UND IRISCH-GÄLISCHER DIALEKTE, illustriert an Vogel-, Pflanzen- und Tiernamen 1 In meinem Vortrag habe ich versucht, an einer Auswahl von größtenteils eigenen Feldforschungsbefunden zu demonstrieren, wie sich das ausgesuchte Vokabular im Hinblick auf einige, z.T. schon durch phonologische Studien definierte, Dialekte verhält. Dabei habe ich die Herausforderung betont, die umfassende lexikalische Studien des Gälischen aus mindestens zwei Gründen heute darstellen: erstens aus kulturellem Interesse, weil das sich rapide verändernde Leben in den Gaeltachts das Verschwinden traditionellen Vokabulars aus vielen Lebensbereichen und somit den Verlust des Verständnisses für dieselben mit sich bringt (die Konservierung traditioneller Konzepte auf Papier und Diskette kann zwar das graduelle Aussterben der alten Kultur nicht verhindern, aber sie kann uns das Wissen um sie erhalten), und zweitens im Interesse einer erweiterten Dialektforschung. Eine systematische Erforschung des Lexikons ist in keiner der bisher vorgelegten Studien gälischer Dialekte unternommen worden und eine Arbeit, in der das Vokabular mehrerer gälischsprachiger Gegenden verglichen würde, existiert auch noch nicht. Heinrich Wagners Atlas kommt mit seinem gewaltigen Wortschatz einer solchen Arbeit zwar am nächsten; da aber sein Corpus ausschließlich zur Ermittlung der Lautsysteme der einzelnen Lokalmundarten dient, kann von einer systematischen Erforschung des Lexikons nicht die Rede sein. Mit den wenigen unten aufgeführten Angaben möchte ich andeuten, welche interessanten Perspektiven sich durch eine vergleichende, die Gaeltachts Schottlands und Irlands umfassende, Erforschung des Wortschatzes eröffnen können. Dabei ist insbesondere auf die Frage einer möglichen Verbindung zwischen den südschottischen und den nordirischen Dialekten
1
Von der Autorin gekürzte Fassung des Vortrages.
320
Variationen im Vokabular
hinzuweisen. Genaue Wortstudien könnten einen beträchtlichen Einfluß auf die bestehenden Ansichten zur Frage der Einteilung in "ostgälische" vs. "westgälische" (Jackson 1951) oder "nordgälische" vs. "südgälische" Dialekte (O Buachalla 1988) haben. Dabei ist nicht auszuschließen, daß bezüglich des Lexikons keine dieser Theorien haltbar ist, und daß sich die Dialekte als ein Kontinuum darstellen, welches trotz extremer Schwächung und sogar Verschwinden des Gälischen in Schlüsselgebieten (z.B. in Kintyre oder an der irischen Nordostküste) immer noch erkennen läßt, daß eine scharfe Aufteilung der Dialekte in zwei Gruppen der komplexen Wirklichkeit nicht gerecht wird. Ein weiteres, bisher kaum berührtes Thema in diesem Bereich ist die mitunter belächelte 'Randtheorie', d.h. das mögliche Bestehen gewisser Gemeinsamkeiten zwischen nordschottischen und südirischen Dialekten. Einige der unten aufgeführten Angaben deuten in der Tat auf eine solche Gemeinsamkeit hin (vgl. Pflanzennamen Nr. 9, Insektennamen Nr. 3).
Gegenstand der Erhebung Schon wegen der wichtigen Rolle, die die Natur in jenen Gebieten spielt, wo gälisch gesprochen wird, bietet es sich an, entsprechende Themen für eine kurze und umkomplizierte Befragung auszuwählen, um möglichst authentische Antworten zu erhalten. Lieder und Gedichte der Gälen in Schottland und Irland zeigen, daß die Menschen dort traditionsgemäß ein stark naturverbundenes Volk sind. Ihre lange unverändert gebliebene Lebensweise, bestimmt durch Landwirtschaft (crofting) und Fischerei, garantiert ein fundiertes und hoch entwickeltes Wissen über alle damit verbundenen Sachverhalte. Bei der Suche nach geeigneten Informanten stellte es sich heraus, daß es zum Zeitpunkt der Befragung in den von mir besuchten Gebieten eine (relativ zur Gesamtbevölkerung) große Zahl von Menschen mit ausgezeichneten Kenntnissen über die für die Befragung ausgewählten Bereiche gab. In den meisten Fällen gehörten sie der Altersgruppe über 50 Jahren
Dorothee Tratnik
321
an. Bei den Jüngeren werden Menschen mit vergleichbaren Kenntnissen zunehmend zur Ausnahme.
Zur Feldforschung Das von mir aufgezeichnete Material beruht, soweit nicht anders angegeben, auf eigener Feldforschung in den Jahren 1988 und 1989. Den Informanten, Muttersprachler der jeweiligen Ortsdialekte, wurde eine vorbereitete Liste englischer Vogel-, Pflanzen und Insektennamen, z.T. mit Bildern, vorgelegt. Ihre Aufgabe war es dann, die entsprechenden gälischen Namen zu nennen oder aufzuschreiben. Mit der Ausnahme zweier Fälle war die Autorin während der Befragung anwesend. Die Auswahl der Informaten, für welchen Themenbereich auch immer, wird in Zukunft ein großes Problem darstellen, nicht nur weil das Gälische durch den wachsenden Einfluß des Englischen geschwächt und verändert wird, sondern auch aufgrund von Dialektvermischungen; hierfür ließen sich ökonomische Gründe und zahlreiche Aspekte der besonders in den letzten zehn Jahren verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten anführen. Das Projekt einer vergleichenden Studie des Lexikons aller noch vorhandenen gälischen Dialekte verlangte daher von jedem einzelnen Feldforscher u.a. Kenntnis dieser Faktoren und ihres Einflusses auf das Leben der Menschen in den Befragungsgebieten. Die systematische Sammlung und vergleichende Analyse eines thematisch umgrenzten Lexikons ist ein mühsamer, jedoch lohnender Weg, zu Schlußfolgerungen zu kommen. Die Arbeit stellt auch für angrenzende Forschungsbereiche eine Materialsammlung bereit. Obwohl bestehende Gedanken und Fragen zur Verwirklichbarkeit eines solchen Projektes an dieser Stelle wegen ihrer Komplexität nicht angesprochen werden können, hoffe ich, daß dieser Beitrag nicht das letzte Wort dazu bleiben möge. Vielmehr möchte er dazu anregen, in der deutschsprachigen Keltologie das Interesse an den modernen gälischen Sprachen zu stärken. Für die heranwachsende Keltologengeneration im deutschen Sprachraum sollte
Variationen im Vokabular
322
die Zusammenarbeit mit schottischen und irischen Kollegen, auch im Dienste der Erhaltung des Wissens um die alte gälische Kultur, in Zukunft zur Selbstverständlichkeit werden. Orte, an denen Feldforschung durchgeführt wurde (s. Karte):2 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Beàrnaraidh Leòdhais Nis, Leòdhas Scalpaidh na h-Earadh Solas, Uibhist-a-tuath Dearbhaig, Muile Ile Tir Chonaill Mionloch, Co. na Gailli Cois Fharraige Inis Mór, Co. na Gailli Dún Chaoin Baile an Sceilg Cúil Aodha, Co. Chorea! Oileán Cléire / Béara
(Great Bernara, Lewis) (Ness, Lewis) (Scalpay, Harris) (Solías, North Uist) (Dervaig, Mull) (Islay) (Tyrconnell) (Menloh, Co. Galway) (Inismore, Co. Galway) (Dunquin) (Ballinsgelligs) (Coolea, Co. Cork) (Clear Island / Bere Peninsula).
Materialprobe3 I. Vogelnamen 1. Calidris alpina, e. dunlin, dt. Alpenläufer, Strandläufer 1 Tarmachan na tuinne 2 Tarmachan tràghad 5 Gròilleag
2
7 11,12,14BC
Cearc trá Circín trá
Das Material aus Ort Nr. 6 stammt aus Grant 1987. Für die Daten aus Ort Nr. 14 war Dr. Roibeárd Ó hUrdail, Cork, der Informant (April 1992). "B" hinter einem Eintrag steht für Béara, "C" für Cléire. 3 Zu den Anmerkungen: D e Bhaldraithe bezieht sich nur auf Co. Galway, Lucas bezieht sich nur auf Ros Goill, Mac Donald b ezieht sich, soweit nicht anders angegeben, auf Uibh Ráthach, d.h. hauptsächlich Ballinskelligs und Umgebung ( = Nr. 12), O Cróinín bezieht sich nur auf West Muskerry (Nr. 13). In allen anderen Fällen ist der Ort, aus dem die jeweilige ergänzende Information stammt, angegeben.
Dorothee Tratnik
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. — • — . — . — . — • — . Km 20 0 40 80
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V a r i a t i o n e n im V o k a b u l a r
2. Phalacrocorax carbo, e. cormorant, dt. Kormoran, S e e r a b e 1.2.3.5 Sgarbh 4 4,6 Sgarbh beag 7 An Duibhéan mór 8 Duibhéan, Broigheall
9 10 11,12 14BC
Cailleach dhubh Broigheall, Brochallán Fiach mara Seaga
3. Saxícola torquata, e. stonechat, dt. Schwarzkehlchen 1.2.5.6 7 8,9,10
Clacharan Clocharán Caislin doch
11 Caislin fé chloch 5 13 Caislin dearg, Caislin doch 14 Donncha an Chaipín, Máirín an Triúis
4. N u m e r i u s arquata, e. curlew, dt. Brachvogel 1,2,3,4,5 Guilbneach 6 11,12,13,14C Cuirliún 6,8,9,10 Crotach 7 14C Cuinliún 7 Crotach (talaimh / mara) 5. Troglodytes troglodytes, e. wren, dt. Z a u n k ö n i g 1,2,3,4,5 6
Driothann donn Drèolan 8
7 8,9,10,11,12,13,14BC
Dreolán Dreoilin
6. Laras marinus, e. great black-backed gull, dt. M a n t e l m ö v e Arsbag 9 7 Droim dubh Farsbag 10 Droimeach mór Farsbach 11 Caobach 10 Farsbach, Faoileag mhòr 12 Faoileán droma duibhe Dubh-fhaoileann 14C Cóbaíoch, Β Caobach
1 2,4 3 5 6
4
Entlehnt aus anord. skarfr. Mask. Donncha an chaipín, Fem. Máirín an Triúis. 6 Grant bezeugt aus Strath Spey die Form Guilbsneach. 7 Bei Wagner auch aus Arran und Kintyre gebucht; vgl. O Baoill 1978:5,37 und 166. 8 Vgl. auch Ó Baoill 1978:39. 9 Vgl. an. svart-bakr. - Das generelle Wort für "Möve"ist im Schottischen faoileag, im Irischen faoileán. Wagner verzeichnet für Arran, Kintyre and Mittel-Argyll faoilean. Vgl. auch O Baoill 1978:283. 10 D i e Angabe verdanke ich Liam O Murchú, Roinn na Gaeilge, Coláiste na hOllscoile, Corcaigh. 5
325
Dorothee Tratnik 7. Sula bassana, e. gannet, dt. Baßtölpel11 1,3,4,5 2 6 7
Sùlaire Sùlaire, Brut: Guga Amhsan 1 2 Gainnéan
8 10,11,12 14C 14B
Gainéad, Ugastún Gainéad Gainéan Gainéad, Gainéan
8. Corvus, e. crow, dt. Krähe 1,2,3 4,5,6 7,8,12 9,10
Starrag Feannag Préachán Priochán
11 Préachán an Daingin, Crothóg 13 Priachán 14BC Priachán (liath, dubh)
9. Fratercula arctica, e. puffin, dt. Papageientaucher 1
Fachadh
8,10
Puifín
2,3 5 7
Bùthaid Bùthag Boilgéan
11 12 14
Fuipín, Canóg, A n t-Ean dearg Fuipín, Canóg 1 3 Cánóg
10. Haematopus ostralegus, e. oystercatcher, dt. Austernfischer 1,2,3,4 5 6
Trìlleachan Gille Brìgdhe Brìdein 14
7 Roithleach 9,10,14BC Roilleach 11 Roilleóg 1 5
11. Pica pica, e. magpie, dt. Elster16 7 Píobaire breac 8,10 Snag breac 14BC Meaig 11
11 A n Mheaig 1 7 12 A n Mheaig, Breacadán 13 A n Mheaig, Pocaire na mbánta 18
Vgl. an. súla. Scharff gibt aus Rathlinn die Form Abhsan. 13 Eine der Skellig-Inseln heißt Oileán na gCanóg, e. Puffin Island. 14 Grant verzeichnet aus Badenoch den Namen Piet mara. 15 Nie Pháidín gibt Roilleach breac. 16 Zu Dwellys Angabe Pigheid behauptet einer der schottischen Informanten, dies bedeute "Papagei". Auf den Hebriden gibt es keine Elstern. 11 An mheaig ist ein Lehnwort aus dem Englischen. Mein Informant in Dún Chaoin nannte als Grund dafür, daß erst in den fünfziger Jahren Bäume in der Gegend gepflanzt wurden. Mit ihnen kamen die Elstern. In Muskerry und Glen Flesk hingegen gibt es einen alten gälischen Namen, der zeigt, daß es schon immer Elstern dort gegeben hat. Die dortige Landschaft bietet günstige Lebensbedingungen für Elstern. 18 Wagner verzeichnet in Glen Flesk Preabaire na mbánta. 12
Variationen im Vokabular
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12. E r i t h a c u s r u b e c u l a , e. r o b i n , dt. R o t k e h l c h e n 1 2,3,4,5 6 7,8,9,10
Brù dhearg, Roban Brù d h e r a g Bruidinneach (?) Spideóg
11 12 13 14BC
Spiordóg, Roibin éin Spiordóg Spiodóg, Spiodóigín Spiodóg
II. P f l a n z e n n a m e n 1. A c h i l l e a m i l l e f o l i u m , e. y a r r o w , dt. S c h a f g a r b e 2 5,7
A n èarr thalmainn Lus na fola
9,11
A t h a i r thalún
2 . T a r a x a c u m o f f i c i n a l e , e. d a n d e l i o n , dt. L ö w e n z a h n 1,2,3,4,5 9,10
Beàrnan Brìgdhe Caisearbhán
13 Caisearabhán 1 9 14BC Caisearabhán
3 . H y p e r i c u m , e . St. J o h n ' s w o r t , dt. J o h a n n i s k r a u t 1,520 2
Lus Cholmchille Achlasan Cholmchille
7,13 11
Luibh Eoin Baiste Luibh Cholmchille, Luibh athúraithe
4 . E r i p h o r i u m , e . c o t t o n g r a s s , dt. W o l l g r a s 1,2,5 3 7
Canach 8,9,10,11,14BC Canach an t-slèibh 13 C e a n n a b h á n sléibhe, Canach
Ceannabhán C e a n n a b h á n móna
5 . Iris p s e u d a c o r u s , e . y e l l o w iris, dt. S c h w e r t l i l i e ( ? ) 1,2 3
Seileastar Sealasdair
4 5
Sialasdair Seileasdair
9 11
Seileastram Liostrom, Bláth na flaige bui, Filiostrom, Duiliostrom 13 Feileastram 14BC Liostrum
6 . L o n i c e r a p e r i c l y m e n u m , e . h o n e y s u c k l e , dt. G e i ß b l a t t 1,2 5
Leum-chrann 9 Droigheann mu chrann 2 1 11
Féithleog T á i t h f h é i l e a n n , M i l e a n n a , Mil na n g a b h a r 13 Táithfhéileann 2 2 14BC Táithfhéileann
7
Lus na meala, Féithleog
19
N i e Phádín gibt Caisearbhacàn. M a c D o n a l d kennt die drei N a m e n Achlasan Lus Cholmchille und Luibh Cholmchille. 20
21 22
D w e l l y v e r z e i c h n e t aus Skye: Droigheann O Cróinín gibt Mil bhiothógach.
mu
chrann.
Cholmchille,
Dorothee Tratnik
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7. Cirsium, e. thistle, dt. Distel Fónán Geosadán (Cill Rónáin), Deochadán (Westen) Geosadán, Feothadán, Feocha11 dán 24 Feochadán 26 13 14BC Feochadán
9 10
1 2,4
Gìogan Dìogan
5
Gìogan, Foghnan 2 3
6 7 8
Fothannan 25 Feothadán 27 Fóthanán, Geosadán
8. Juncus, e. rushes, dt. Binsen 1,2,4,5,9,10,14 7
Luachair 11 Geataire, Geitire, Luachair Luachair, Fiodhógaí 2 8 13 Luachair 29
9. Digitalis purpurea, e. foxglove, dt. Fingerhut Lus na mban-sìth Cìoch na mnà-sìth 30
10 11
Lus mór Méiríní dearga, Méaracán táilliúra, méiríni púcaí, Méaranta mada ruaidh Méaracán an táilliúra 13 Méirín púca, Méaracán dearg Méaracán púca 14BC Méaracán na mban-sí, Méaracáin sí; C Dréimire Mhuire
10. Urtica dioica, e. nettle, dt. Brennessel 1,4 2,3,5 6
Feanntag Deanntag Feanntagach 31 23
7 Cúil Fháith, Neantóg 8,9,13,14BC Neantóg 11 Leantóg
Mac Donald verzeichnet Gìogan. Nach meinen Informationen aus Ballyferriter Feosadán. 25 Dwelly hat auf Arran die Form Fothantan gehört. 26 Aus Nie Pháidín; nach ihr bedeutet Gaosadán na bpúcaí "Fingerhut", Gaosadán bui "Geißkraut, Kreuzkraut". Wagner verzeichnet Geosadán. 27 Wagner hat zusätzlich aus der Nähe von Errigal die Form Fofalan. 28 Wagner gibt für Fanad Feagha, für Aicill Feaghna (?), für Rosmuc Broibh. 29 Wagner gibt für Ballinsgelligs Geataire, für Glen Flesk Luachair. 30 Vgl. Mac Donald verzeichnet aus Süd-Uist Cìoch na mnàtha sìtheadh, aus Barra Miaran na mnàtha sìtheadh; Dwelly von Skye Ciochan nan cailleachan marbh. 31 Vgl. aus Wagner: Kintyre: Feanndagach, Argyll: Fionnagach, Arran: Neanntag, Gort a'Choirce: Cúilfháith, Aicill: Neantógach, Ballinsgelligs: Leantóg, Glen Flesk: Neantóg. 24
328
V a r i a t i o n e n i m Vokabular
11. Bellis perennis, e. daisy, dt. G ä n s e b l ü m c h e n 1,3,5 2 4 6
Neòinean Neònan Neòinean 332 ' Neòinteag
7,14BC Neoinín 8,9,10,13 Nóinín 11 Nóiníní bána (Pl.)
12. Dryopteris, e. fern. dt. Farnkraut 1 2 3 4
Fraineach Ranach Raineach Raineach 33
5 6 7 11,12,13,14BC
Rainneach Froineach Raithneach Raithineach
13. Primula vulgaris, e. primrose, dt. G e l b e Schlüsselblume 1,2 Seòbhrach 5 Sòbhrach, Seòbhrag 6
7 8,9,10,11,12,13,14BC
Samhaircín Sabhaircín
Sòbhrachan
14. Viola, e. violet, dt. V e i l c h e n Bròg na cuthaige35 21 Sail-/Dail-chuach 7 Sail-chuach
11 13 14C
An tSailchuach Sal-chuach Gormán (?)
15. R i b e s grossularia, e. gooseberry, dt. S t a c h e l b e e r e 5 7
Gròseid 36 Spíonóg
32
9,11 Spíonán 13,14 Spiúnán
Mac Donald verzeichnet aus Süd-Uist Eòntein, Feòntein; vgl. auich Ó Baoill 1978:248. 33
aus Barra
Mac Donald verbucht die Varianten Froindeach, Roindeach, Roineach. 34 Mac Cionnaith kennt aus Donegal Samharcán. 35 Mac Donald kennt Dail-chuach und Ail-chuach sowie vom Festland Fail chuach. 36 Vgl. Dwelly von Blair Atholl: Groiseag\ Mac Cionnaith und Wagner aus Fanad: Groiseog; Wagner aus Indreabhán: Spíonán, aus Dún Chaoin und Glen Flesk: Spiúnán. Vgl. auch Ó Baoill 1978:126.
Dorothee Tratnik
329
III. Insektennamen 1. Apoidea (Gruppe I), e. bee, dt. Biene 1 2 3,4,5 6 7 8
Teillean Teillean, Seillean Seillean Seillean 38 Beachóg Smeach, Meach
9 10 11 13 14BC
Meach Smeach Meach 37 Beach Beach, Β Puch
2. Tabanidae (Gruppe I), e. horsefly, dt. Bremse, Stechfliege 1 2 4 5 6 7
Creimhire 8 Greamaire 9 Creathlag 10 Creathlach mòr nan each 11,13 Creithire 39 14C Creabhair (chapaill)
Creabhar Creabhar, Cleabhar Cuileógaí capaill (PI.) Dochtúir Dochtúir 40
3. Tipulidae (Gruppe I), e. cranefly, daddy longlegs, dt. Schneider Colm nan casan fada, Colm a t-sabhail Breabadair ladhrach Cailleach an t-slèibh 41 Fidhleir 42 Snáthad chogaidh
10 Galán 11 Pilib an Gheataire 13 Deaidí na gcosa fada, Ruathán na gcosa groí 14 Deaidí na gcosa fada
Bibliographie
37
Nie Pháidín verzeichnet Puch. Vgl. Wagners Angaben: Arran Seilleach, Beach; Gort a'Choirce: Seillean, Bombai-, Fanad: Beachóg; Aicill: Meachóg; Inisman: Smeach; Glen Flesk: Beach. 39 Vgl. Wagner aus Arran und Kintyre: Cleathar; De Bhalraithe: Fothach ; Nie Pháidín: Beach capaill, Dochtúir. 40 Daneben Cuil a'chapaill "kleine gelbe Fliege, die nicht sticht". Mein Informant ist der Meinung, daß es sich um zwei verschiedene Fliegenarten handelt. Dochtúir bezeichnet die Stechfliege. 41 Ich habe auf Skye Pocan Salainn aufgenommen. 42 Vgl. folgende Angaben: Mac Donald: Snàthad an duine mhairbh; Lucas: Snáthad mhór an diabhail; Mac Cionnaith (aus Donegal): Galán gasach, Ruamán na geoinneal·, Nie Pháidín: Bod capaill. 38
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Variationen im Vokabular
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Hildegard L.C. Tristram, Freiburg i.Br.
ZWIEBELN UND WÖRTER: ZUM SPRACHKONTAKT ÜBER DEN ÄRMELKANAL "Es gibt keine völlig ungemischte Sprache" stellte im Jahre 1884 der Grazer Sprachwissenschaftler und Kreolist Hugo Schuchardt fest 1 und stellte sich damit gegen das sprachliche Reinheitsgebot vieler vergleichender Sprachwissenschaftler und Junggrammatiker. Sprachkontaktforschung hat seit gut einem Jahrhundert Tradition und hat ausgehend von der vergleichenden Phonologie vor allem in diesem Jahrhundert von Roman Jakobson, 2 Nikolai S. Trubetzkoy,3 sowie im angelsächsischen Raum von Uriel Weinreich 4 entscheidende Impulse erfahren. Sprachkontaktforschung versteht sich als Erforschung verschiedener Typen von sprachlichen Konvergenzen benachbarter (oder ehemals benachbarter) Sprachen. Diese können genetisch mehr oder weniger eng miteinander verwandt sein oder auch nicht. Bei genetisch großer Distanz und bei überhaupt nicht miteinander verwandten Sprachen spricht man von Sprachbundphänomenen. 5 Sprachbünde ver-
1
Slawo-deutsches und Slawo-italienisches, wieder abgedruckt in: Hugo Schuchardt, Slawo-deutsches und Slawo-italienisches. Mit Schuchardts übrigen Arbeiten zur Slavistik und mit neuen Registern, hrsg. v. D. Gerhardt, München 1971 (= Slavische Propyläen 66), S. 5. 2 Roman Jakobson, Über die phonologischen Sprachbünde, Travaux 4 (1931), 234-240; wieder in: Selected Writings, Bd. I, Phonological Studies, Den Haag 21971, 137-143; Sur la théorie des affinités phonologiques entre les langues, Appendix zu N.S. Trubetzkoy, Principes de phonologie, Paris 1949. 3 Actes du premier congrès international de linguistes à la Haye, du 10 - 15 avril 1928, Leiden 1930, 17-18; Phonologie und Sprachgeographie, Travaux 4 (1931), 228-234; Principes de phonologie, Paris 1949. 4 Languages in Contact. Findings and Problems, New York 1953, Den Haag-Paris 71970. 5 Statt von "Sprachbund" spricht man auch von "interlingualem Areal", "sprachlicher Affinität", "Konvergenzbereich", engl, "convergence area" (Uriel Weinreich), "linguistic area" oder "neighbourhood effect" (Peter Trudgill). Zur Problematik der Definition von "Sprachbund" siehe Heinz Miklas, Trubetzkoys Sprachbundbegriff
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halten sich wie Dialekte, die als solche nur durch eine variable Menge von Isoglossenbündeln auszumachen sind und bei denen die Übergänge zu den benachbarten Isoflächen in der Regel fließend sind. Der Unterschied ist, daß die Isoglossen nicht innerhalb von Sprachen verlaufen, sondern über die Sprachgrenzen hinweg. Am besten erforscht sind die diversen Sprachbundphänomene in der sog. Balkanphilologie. Weniger erforscht ist die sprachliche Konvergenz in Westeuropa.6 Das Bretonische hat, wie alle anderen (westeuropäischen) Sprachen auch, einen "gemischten Wortschatz".7 Abgesehen von den verschiedenen Schichten keltischer Erbwörter, den alten Lehnwörtern aus dem Kontakt mit der hispanischen, okzitanischen und gallischen Romania, der fränkischen und mittelalterlichen englischen Germania, hat es spätestens seit dem Ausgang des Mittelalters im großen Maße französische Lehnwörter aufgenommen. Dadurch wurde aber die Grammatik des Bretonischen nicht in dem Maße zu beeinflußt, daß es seinen Status als keltische Sprache aufgegeben hätte.8 Diese aus der Sicht der jüngeren Forschung, Festschrift für Wilhelm Lettenbauer zum 75. Geburtstag, hrsg. von Antonin Mest'an und Eckhard Weiher unter Mitarbeit von Peter Drews und Heinz Miklas (Freiburg 1982), 131-153, und neuerdings ganz ähnlich Reinhard Sternemann und Karl Gutschmidt, Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft, Berlin 1989, 271-329. Ich verdanke die letzteren Literaturangaben Heinz Miklas (Freiburg). 6 Einzige Erwähnung beispielsweise bei Sternemann-Gutschmidt, op. cit., S. 295 (Wikingerbund: Gyula Décsy) und 296 (britischer Sprachbund: Harald Haarmann). Vgl. aber J.K. Chambers und Peter Trudgill, Dialectology, Cambridge 1980, 182-204 (Diffusion: geographical). Die genannten Arbeiten von Miklas und Chambers-Trudgill sind in Sternemann-Gutschmidt nicht erwähnt. 7 Der Ausdruck "gemischter Wortschatz" ist ein feststehender Begriff in der deutschsprachigen anglistischen Linguistik; er stammt von Ernst Leisi, Das heutige Englisch, Heidelberg 1955 (versch. Nachdrucke), 46-87. 8 Es ist darin dem Englischen zu vergleichen, das auch einen ganz wesentlichen Teil seines Wortschatzes aus dem Französischen und ebenfalls grammatische Eigenheiten sowie einzelne Phoneme übernommen hat, ohne aber seinen Status als germanische Sprache aufzugeben; vgl. R.W. Zaandvoort, Is English a Germanic Language?, Durham University Journal NS 18 (1956), S. 83 ff.
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französischen Lehnwörter wurden phonologisch, grammatisch und semantisch integriert und sind als solche von den heutigen Spechern nicht mehr erkennbar. Eine andere (sozio-spezifische) Schicht französischer Lehnwörter kennzeichnete das gelehrte Schriftbretonisch (breizhoneg beleg), das besonders seit der Mitte des 17. Jh. von der katholischen Priesterschaft zu Bildungs- und Erbauungszwecken gepflegt und in der Romantik von Sprachpuristen heftig angegriffen wurde. Der Status dieser Art von gelehrten lexikalischen und phraseologischen Übereinstimmungen zwischen dem Bretonischen und dem Französischen war wesentlich labiler und hatte weniger Chancen, in den Grundwortschatz aufgenommen zu werden. Den Grad der Vermischung zeigt folgendes Beispiel: 9 An Aotrou Calvez, "Ar misteriou principalla eus ar religion" (Fournier, 1843): XXII KENTEL: C'hwec'hvet gourc'hemenn a Zoue. Lubrik ne vezi ket ivez / Nag a gorf nag a volontez; Na c'hoanta dre luksur pec'hin, / Nag a soñj vil n'en em lezi. Ken alies gwech ma pec'her volonteramant a-enep d'ar burete, pe dre aksion, pe dre zezir, pe dre soñjezon, e pec'her varvelamant; er matier-mañ ned eus nemet an defaot a gonsantamant parfet hag a c'hallfe dispansiñ pe ekskuzift a bec'hed marvel. Ar vis detestapl a impureté a zo naturelamant represantet dre ar wreg-hont a behini ez eo parlantet en apokalips: Sant Yann, ar profet eus an alians nevez, o vezafi en enezenn Pathmos, a welas, dre ur vizion a spered, ur gourtizanez, gwisket a skarleg, omet a bandorellioù hag a ziamanchoù, fichet, en ur ger, ha paret eus a gement a c'heller da invantift evit chalmift ar selloù ha desev ar c'halonoù; azezet e oa war ul loen pehini en devoa seizh penn ha dek korn, had e talc'he etre he daouam ur voutailh aour leun a ul likeur abominapl, a behini en em servije evit mezviñ an holl abitanted eus an douar. "Lektion XXII: Das sechste und neunte Gebot Gottes: Du sollst nicht lüstern sein / weder durch den Körper noch durch den Willen.
9
Ich verdanke das Beispiel und die Übersetzung meinen ehemaligen Mitarbeitern Gwenole Bihannig (Rennes) und Anke Simon (Siegen). Insbesondere Gwenole Bihannig bin ich zu großem Dank dafür verpflichtet, daß er mir verschiedenerlei Materialien für diesen Artikel zur Verfügung gestellt hat.
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Begehre weder durch Wollust zu sündigen, / noch gebe dich schmutzigen Gedanken hin. Jedes einzelne Mal, wenn man freiwillig gegen die Reinheit sündigt, durch Tat(en), durch Verlangen oder durch Denken, sündigt man tötlich; in dieser Anglegenheit ist es nur der Mangel an vollkommender Zustimmung, der von der Todsünde befreien oder Vergebung bringen kann. Das verabscheuungswürdige Laster der Unreinheit wird natürlich von jener Frau verkörpert, über die in der Apokalypse gesprochen wird: als der heilige Johannes, der Prophet des neuen Bundes, auf der Insel Pathmos war, sah er in einer Vision des Geistes eine Dirne, scharlachrot gekleidet, geschmückt mit Bändern und Diamanten, in einem Wort herausgeputzt, und verziert mit allem, was man nur erfinden kann, um die Blicke zu verzaubern und die Herzen zu täuschen; sie saß auf einem Tier, das sieben Köpfe und zehn Hörner hatte, und sie hielt in ihrer Hand eine goldene Flasche, gefüllt mit einem abscheulichen Getränk, dessen sie sich bediente, um alle Bewohner dieser Erde trunken zu machen." Der Grad dieser Art der Mischung der bretonischen Lexik ist heute rezessiv. Er hängt mit der zunehmenden Lokalisierung der bretonischen Gesellschaft und mit dem derzeitig akzelerierten Prozeß des Sprachtodes zusammen. Auf eine andere Art soziospezifischer bretonischer Kontaktsprachlichkeit möchte ich nun hinweisen, die noch nicht wissenschaftlich aufgearbeitet ist und die paradigmatisch über sich hinaus auf ein größeres Muster bretonischer Kontaktsprachlichkeit über den Ärmelkanal hinweg verweist. Es geht mir in diesem Beitrag nicht allein um die sprachlichen Auswirkungen einer kuriosen Handelsbeziehung über eine Meeresenge hinweg, sondern um dessen paradigmatischen Wert zur Aufhellung einer vielschichtigen und unterschiedliche Sprachgemeinschaften verbindenden Sprachkonvergenz. Der folgende Satz ist von Gwenole Bihannig nach dem gleichen Muster wie das breizhoneg beleg erfunden; er ist grammatisch und semantisch wohlgeformt, wenn er auch ein wenig gekünstelt erscheinen mag: *Plenty en deus bet an tea-total o welout dre windo ar shap ar master o pakañ ur païntad gant ar policeman. "Der Abstinenzler (engl, tea-total) hat sich gefreut, als er durch das Fenster des Geschäftes hindurch sah und den Zwiebelhandelsunternehmer mit dem Polizisten einen Schoppen (engl, pint) Bier trinken sah".
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Ein solches bretanglais wurde bis vor kurzem und wird im geringen Maße auch heute noch, soweit es sie noch gibt, von den Zwiebelverkäufern von Roseoff (bret. Rosko), einem Hafen im Norden des Bro Leon, gesprochen, und zwar in einem Gebiet, das bis vor kurzem noch hauptsächlich bretonischsprachig war. Das bretanglais ist ein Jargon (Fachsprache) der sog. Johnnies de Roskoff ("ar Johnniged"), die in der Saisonkampagne nach dem Fest der hl. Barbe (3. Montag im Juli) in Großbritannien von Haustür zu Haustür gehen und die guten rosa Zwiebeln des Bro Leon verkaufen, hauptsächlich im Südwesten von England und Wales, aber auch hinauf bis nach Dundee in Schottland. 10 Ihr Bretonisch ist mit englischen Wörter gespickt.
10
Alexander Fenton, Direktor der School of Scottish Studies, teilte mir im August 1991 mit, der Standort "seines" Johnnies sei Leith, der Hafen von Edinburgh. 11 Jean-Pierre Menez, Johnnies du Pays de Roseoff, hier & aujourd'hui, Morlaix 1986, S. 75.
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Einige Beispiele von geläufigen englischen Lehnwörtern im Bretonischen von Roseoff) sind:12 Johnny englischer Spitzname für die bretonischen Zwiebelverkäufer bell braker anderer Spitzname für den Haustürverkäufer ("Haustürglockenbrecher" = "Klinkenputzer") linker, ul linker "ein schlechter Verkäufer" linkañ "billiger verkaufen" link, ul link "Seil, an dem die Zwiebelzöpfe aufgehängt werden" ar master "der Zwiebelhandelsunternehmer"13 misez, ar visez "die Frau des Zwiebelhandelsunternehmers" shap "Laden": mond an ran buon a raog ma vezo serret ar shap "ich muß schnell machen, bevor der Laden schließt" ur päintad oder pintad (bier) "eine pint oder ein Glas": degass deomp ur pintad! "Bring uns ein Glas Bier!" shilink, shilinkou "Geld" ar shilinkou n'int ket eaz da rastelaad "Geld ist nicht leicht zusammenzukratzen" policeman "Polizist" bag-dor "Hintern": ne vijen ket pell o planta va botez en e vag-dor da hennez "ich bräuchte nicht lang, um ihm in den Hintern zu treten" "Freude, Spaß": Nag a blenty or beus bet! plenty "Was haben wir für einen Spaß gehabt!" "Fenster": Seil er windo hag e weli! "Schau windo durchs Fenster und du wirst ihn sehen!" kouk, ar c'kouk "Koch (auf dem Zwiebelschiff bei der Überfahrt oder im Zwiebellager in Großbritannien) kiteil, ar giteli 'Tee- oder Wasserkessel" a capety "eine Tasse Tee" an dutch "holländische (Konkurrenz)zwiebeln" 12
Jean-Pierre Menez, Johnnies du Pays de Roscoff, S. 59 und S. 64 f. 13
Die Etymologie von engl, master wird auf ae. mœgester < lat. magister und afrz. maistre zurückgeführt (OED und Oxford Dictionary of English Etymology). Das entsprechende bretonische, aus
dem Frz. entlehnte Wort heißt ar mestr, pl. mistri (mit Umlautharmonisation).
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ar poker, stick, stake, shoulder-pole oder or vazh ognon "Der Zwiebelstock" (der quer über die Schultern getragen wird) string oder bundle "Zwiebelzopf (meist zu 12-15 Zwiebeln)" raffling "Verlosung von Zwiebeln, z.B. in den Pubs"14 tea-total "Abstinenzler". Es gibt spezielle Bezeichnungen für englische Großstädte, wie z.B. ar Poul für Liverpool. Die meisten Lexifizierungen des bretanglais bleiben eng an der Ausgangssprache; sie spiegeln gelegentlich Regionalaussprachen des Englischen wieder, wie shap für RP /Sop/15 und shilink für RP /silig/; 16 sie weisen Bedeutungsveränderungen auf, wie bei plenty "eine Menge von, viel" > "Vergnügen, Spaß" und Metaphorisierungen wie bag-dor (engl, backdoor) für "Hintern". In den Alltagsgesprächen der Roscoviter und ihren Liedern fließen englische Phrasen ein. Der Refrain eines im September 1929 im Courrier du Finistère veröffentlichten Liedes ("Good onions, véré chip, ognon mat, marc'had mat") lautet:17 Good onions, véré chip! Prenit ognon mat Digant ar Roskoad. Good onions, véré chip! Prenit ognon mat Digant ar Breizad.
"Good onions, very cheap! Kauft die guten Zwiebeln vom Mann aus Roscoff.
vom Mann aus der Bretagne".
Neben den englischen Lehnwörter gibt es auch eine Reihe von bretonischen Wörtern und Ausdrücken, die von den Johnnies und ihren Familien sowie von den bäuerlichen Zwiebel-
14 Vgl. die Kurzgeschichte von Dylan Thomas mit dem Titel "Story" (1953). 15 Vgl. SED Karten bonnet, holly, god und fox: unterschiedliche Verteilung von / o / und /Λ/ Aussprachen im Süden und Südwesten Englands, /Λ/ Aussprache ist besonders in (Teüen von) Devon belegt. 16 Vgl. M. Wakelyn, English Dialects. An Introduction, London 1972, S. 96. 17 Menez, Johnnies du Pays de Roscoff, S. 60.
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Zulieferern im Hinterland von Roseoff verwendet werden und die mit ihrem besonderen Beruf und der damit verbundenen Kontaktsprachlichkeit zusammenhängen. Dazu gehören:18 awalac'h da c'hoanviñ "genug für ein gutes Leben" brouan "Binsen zum Zusammenbinden der Zwiebeln" bourkoù, bourker, ar vourkerien, mont war ar bourkoù, mont da vourkañ "außerhalb der Städte verkaufen" chinan "hausieren, auf Tour gehen": poent mont da chinan "Zeit, auf Tour zu gehen" doublañ "teurer verkaufen, als vom Master angesetzt" ar gajoù, sinañ ar gajoù, ober ar gajoù "den Vertrag zwischen dem Master und dem Johnny abschließen": paeañ ar gajoù "den Lohn zahlen" koll, ur c'holl "billiger verkaufen, als vom Master angesetzt, d.h. ein Verlust" kompagnunezh, ur gompagnunezh "eine Gruppe von Zwiebelverkäufern, die von einem Master geleitet wird (früher zwischen 20 und 60 Männern)" lod, bezañ war e lod, kaoud e lod, reiñ e lod "mit dem Master am Gewinn beteiligt sein" magasenn, ar vagasenn "das Lager, von dem aus die Johnnies ihre Kampagnen starten" merkañ an ognon "den Zwiebelverkauf verbuchen" un neweziant (nevezhant), newezianted "Anfänger" ognon moret "von Meerwasser verdorbene, unverkäufliche Zwiebeln" ur pakad, ar pakajoù "Zwiebelzopf (siehe auch oben string oder bundle)" ar skodenn "Vorschuß auf die in der Saisonkampagne zu erwartende Einnahme" un taol a dreus "ein schräger Blick, d.h. Ankauf einer Zwiebelernte auf Kredit" tournant Sant Laorans "Sturm am Laurentiustag (10. August), fällt häufig mit dem Beginn der Herbstsaison zusammen". Diese Wörter haben teils Bedeutungen, die sie im sonstigen Bretonischen nicht haben, oder sind überhaupt nicht in den gängigen Lexika belegt. Dieser spezielle Jargon aus englisch
18
Ebd., S. 23, 64 f.
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lexifiziertem Bretonisch und bretonischen Spezialausdrücken unterscheidet das Roscviter Bretonisch von anderen Varietäten des Bretonischen im Bro Leon. 19 Es konnte auch bewußt als Distanzsprache eingesetzt werden, wenn es darum ging, einen beruflichen Vorteil zu erzielen, etwa beim Preisaushandeln von Waren. Manchmal sprachen die Roscoviter auch Englisch miteinander.20 Der Vater meines Informanten Gwenole Bihannig, mit Namen Louis Bihannig (geb. 1924), stammte wie dessen Vater, Jean Bihannig, aus Landeda im Bro Leon und war dort vor und während des 2. Weltkrieges peskataer "Fischer" und bezhiner "Seetangsammler" von Beruf. Louis Bihannig erinnert sich, daß, wenn die Leute aus Roseoff in sein Dorf kamen, er sie nicht verstehen konnte:21 Evit pezh a sell ar "Johniged", em eus o gwelet a-raok ar brezel o tont da gerc'hat bezhin du sec'h da Landeda evit o douaroù. Epad ma vezed o varc'hata ar priz e komzent awechou saozneg etrezo evit enem glevout. Met n'ouzon ket petra lavarent ha peseurt geriou a implijent dre ma ne ouien ket a saozneg d'ar poent-se. "Was die 'Johnnies' angeht, ich habe sie vor dem Krieg gesehen, wenn sie nach Landeda kamen, um schwarzen, trockenen Seetang für ihre Felder zu holen. Beim Aushandeln des Preises sprachen sie manchmal Englisch unter sich, um sich zu verständigen. Aber ich weiß nicht, was sie sagten und welche Wörter sie benutzten, da ich zu jener Zeit noch kein Englisch konnte."22
19
So wie sich die Johnnies auch sonst von ihren Landsleuten durch die Annahme einiger englischer Verhaltensmuster unterscheiden. Beispielsweise haben sie eine ausgesprochene Teekultur entwickelt. 20 Es verdient, in diesem Zusammenhange erwähnt zu werden, daß bis vor kurzem die Fischer aus Douarnenez im Eismeer das Bretonische benutzten, wenn sie sich über Radio verständigten, um den Russen und anderen Konkurrenten ihre Fischfanginformationen vorzuenthalten (pers. Mitteilung von Yves Le Berre, Brest, Mai 1992). 21 Persönliche Mitteilung vom 12.2.1992. 22 Übersetzung von Anke Simon.
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Keines der oben aufgezählten Lehnwörter ist in den gängigen Lexika und auch nicht in Le Roux' Atlas linguistique de la Basse Bretagne (ALBB) aufgeführt. Eine Ausnahme bildet das Wort pint(ad), wohl wegen frz. pinte "Schoppen". Das englische Wort pint selbst ist französischen Ursprungs, bezeichnet aber im Englischen ein festes Flüssigkeitsmaß, und zwar eine Achtel Gallone (0,5682 1). Die meisten Wörter der oben angeführten Liste sind jetzt Louis Bihannig bekannt. Aus seinem eigenen Erfahrungskreis fügt er das Wort skliper < engl, clipper "schnell dahingleitendes Schiff (< an. clippaf3 und sklipat "sich schnell vorwärtsbewegen" hinzu. Dies Wort stammt aus dem gleichen semantischen Bereich wie ein weiteres Wort aus dem Wortschatz der Johnnies: Dundee, was im 19. Jh. einen kleinen Zweimaster bezeichnete, der die Zwiebeln und Johnnies nach Großbritannien beförderte. Abb.224
23 24
OED und Oxford Dictionary of English Etymology. Karte von Gwenole Bihannig.
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Der Zwiebelhandel über den Ärmelkanal ist seit dem Jahre 1828 schriftlich belegt (Henri Ollivier startete in jenem Jahr von Roseoff nach Plymouth). Er dürfte aber viel älter sein und auf den mittelalterlichen Handel zwischen dem Süden und Südwesten Englands mit der Bretagne und auch der Normandie zurückgehen. Seit dem Ende des 14. Jh. sind in den Hafenarchiven von Southampton, Exeter, Plymouth und den Häfen von Südwales die Ankunft von bretonischen Segelschiffen mit Ladungen von Getreide, Erbsen, Schinken, Knoblauch und Zwiebeln verzeichnet. Die Überquerung des Ärmelkanals dauerte etwa einen Tag. Von Roseoff nach Plymouth sind es ungefähr 100 nautische Meilen, d.h. etwa 180 km. Eine solche Distanz war in der damaligen Zeit viel schneller zu Schiff auf dem Meer als zu Pferd und Wagen auf dem Lande zurückzulegen. Die Schiffer wußten die jahreszeitlichen Winde und Strömungen sehr wohl geschickt auszunutzen.25 Bis zum zweiten Weltkrieg waren die meisten Johnnies polyglott, zumeist dreisprachig, Bretonisch, Französisch und Englisch, manchmal auch viersprachig, Bretonisch, Französisch, Englisch und Kymrisch.26 Nach Irland gingen sie nicht, weil sich der irische Markt nicht lohnte. Ihre Kompetenz in den einzelnen Sprachen dürfte unterschiedlich gut und funktional komplementär verteilt gewesen sein. Das Französische war im wesentlichen nur eine Schriftsprache. Die Einführung des Schulzwanges durch Jules Ferry (1832-1893), Bildungsminister von 1879-1883, griff trotz aller drakonischer Maßnahmen ("la vache") nur zögerlich. Erst nach 2. Weltkrieg verdrängte das Französische das Bretonische effektiv auch als Sprechsprache. Seit dem Ende der 60er Jahre nimmt der
25 François Guivarch, Les Johnnies de Roseoff, Quimper 1979; Jean-Pierre Menez, op. cit.; Tad Medar-Kapusin, Paotred an ognon, Sant-Brieg 1986. Vgl. auch den Jugendroman von Yvon Mauffret, Une audacieuse expédition, Paris 1982, der von den Erlebnissen eines einährigen Johnny namens Sa'ik in Wales erzählt. Die Handlung ist im Jahre 1913 angesiedelt. 26 Vgl. die erwähnte Kurzgeschichte von Dylan Thomas, bei der der Witz der kurzen Unterhaltung zwischen dem kleinen Jungen und dem Johnny aus der Interferenz aller vier Sprachen besteht.
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Zwiebelhandel auf Grund der europäischen Marktkonkurrenz ständig ab. Noch ist er nicht ganz zum Erliegen gekommen. Der Zwiebelhandel ist nur ein Beispiel für den transmarinen Kontakt des Bretonischen mit dem Englischen und der sich aus der Zweisprachigkeit der Zwiebelhändler ergebenden Entlehnung englischer Wörter und Redewendungen. D i e Entlehnungsrichtung ist unidirektional. Nun ist der unidirektionale Sprachkontakt zwischen England und der Bretagne, wie es scheint, schon viel älter. Es gibt eine kleine G r u p p e von bretonischen Wörtern, die auf englische Etyma zurückgeführt werden und dabei eine z.T. erhebliche Zeittiefe aufweisen. 27 Dazu gehören: chaokat
(ALBB Karte mâcher) < ae. cêowan [ne. chew, vgl. dt. kauen] c'h(w)i(s)tellat (ALBB Karte siffler) < ae. hwistlian [ne. whistle; vgl. korn. whythell, kymr. chwît]28 p(ot)ato (ALBB Karte pommes de terre) < engl, potato 29 près (ALBB Karte armoire) < regionalengl. press javed < engl, jaw (etym. verwandt mit engl, chew?) gwell (gwelloc'h, gwellan) < engl, well [vgl. dt. wohl] ridéll < me. ridil < ae. hriddel < hridder "grobes Sieb"30 flac'h "hohle Hand" < ae. flasce « flax "Flasche, Vase" (ebd.) mizen "Topsegel" < engl. miz(z)en 'Topmast, Topsegel"31 27
Hier werden nur ältere Lehnwörter aus dem Englischen behandelt und nicht die aus dem heutigen Französischen übernommenen rezenten Anglizismen wie z.B. weekend, parking oder leader. 28 Vgl. F. Falc'hun, Perspectives nouvelles sur l'histoire de la langue bretonne (Paris 1962,31981), S. 178, und sein Vorwort zum ALBB. 29 Vgl. François Falc'hun, Perspective nouvelles, S. 447 f.; Alphonse Dauzat, La géographie linguistique, Paris 1922, S. 173f. 30 J. Loth, Emprunts bretons à l'anglo-saxon, RC 14 (1893), 300. 31 Vgl. C'hwec'h kontadenn eus arvor bro vigouden gant Marsel Divanac'h, hrg. von Mikael Madeg, Dastum 1988, S. 25: Tout an dud a gase ar mizen d'aï laez "Alle zogen das Topsegel hoch". Das entsprechende frz. Wort ist misaine, von dem auch engl. miz(z)en abgeleitet ist.
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"Zum Teufel! Verflucht noch mal!"32 < ae. gast "Hauch, Geist; guter oder böser Engel, Dämon, Teufel."33
gast
Bei einer Reihe von Wörtern, die auf eine englische Etymologie zu weisen scheinen, ist jedoch Vorsicht angebracht. Sie können aus dem Fränkischen stammen, direkt oder über das Französische oder in noch komplizierterer Weise aus dem Fränkischen über das Französische und das Englische. Bei einigen Wörtern sind die Entlehnungswege ausgesprochen komplex, wie z.B. bei striv "Anstrengung, Bemühung" (engl, strive34, afrz. estriver [polysem: "sich bemühen; diskutieren, streiten; kämpfen", 12.-16. Jh.]35 aus dem Fränkischen [vgl. ndl. straven < niederfränkisch, dt. streben]) pav "Pfote", pl. paviou (engl, paw, fränk./lat. pauta) ul lod "Stück, Teil, Menge" (engl, a lot (of) "eine Menge", ae. hlot, vgl. ndl. lot < altniederfränkisch, afrz. lot < fränkisch); lodañ "(zu)teilen" person "Gemeindepfarrer" (engl, parson "Gemeindepfarrer", me. persoun36 « person(e), afrz. persone, lat. persona) 37 32
Ein sehr geläufiges Schimpfwort (Ausruf) in der Bretagne. Pers. Auskunft von André Bothorel (Straßburg), SS 1991. 33 "Gast", 'lavare-eñ. "Penaos e teuin a-benn, an taol-man?" ("Zum Teufel!", sagte er. "Wie soll ich es diesmal schaffen?"): Mikael Madeg, C'hwec'h kontadenn, S. 26. Das bret. Wort gast "Hündin; Hure" steht vermutlich dazu in einem polysemen Verhältnis. Weitere Beispiele im Beitrag Pilchs in diesem Band. 34 Frühes me. Lehnwort (Vb.) aus dem Französischen, eines der wenigen, die das aus dem Germanischen ererbte Ablautmuster übernahmen; vgl. Barbara H.M. Strang, A History of English, London 1970, S. 277. 35 R. Grandsaignes d'Hauterive, Dictionnaire d'ancien français, moyen âge et renaissance, Paris 1947, S. 272. 36 Im Mittelenglischen und Frühneuenglischen schwankte die Vokalrealisierung vor vermutlich retroflexem / r / : person « parson (vgl. ae. feor(r), me. fer « far, ne. far); im Neuenglischen differenzierte sich das Wort semantisch unter dem Einfluß des Gelehrtenlatein in person "menschliches Einzelwesen" und parson "Gemeindepfarrer". Die Schreibung im Mittelenglischen von lat. -on als ou weist auf Entlehnung aus dem Anglonormannischen. 37 Vgl. ALBB Karte recteur (curé).
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mall "wenig Zeit, Eile, Schnelligkeit"34 (ae. mael "Zeit(punkt), Gelegenheit, Essenszeit, Mahlzeit", ne. meal; ndl. maal; dt. mal, Mahl). Nun sind die bretonischen und englischen Lehnwörter über den Ärmelkanal hinweg für die bretonisch-englische Kontaktsprachlichkeit nicht besonders wichtig, da die Anzahl der englischen Lehnwörter etwa im Vergleich zum breizhoneg beleg39 gering ist und nicht aus dem Grundwortschatz stammt. Sie lassen sich, mit Ausnahme des Jargons der Johnnies, auch nicht bestimmten semantischen Feldern zuordnen.40 Der Zwiebelhandel und sein lexikalischer Effekt ist an sich linguistisch auch nicht besonders bedeutsam. Er ist eher von keltologisch-ethnologischem Interesse. Aber die englischen Lehnwörter im Bretonischen sind symptomatisch für eine ganze Reihe von Isoglossen auch auf anderen linguistischen Ebenen. Diese Isoglossen umspannen sowohl den Süden bzw. Südwesten Englands als auch Teile der Bretagne und reichen in einigen Fällen sogar noch weit darüber hinaus. Folgende Isoglossen sind mir außerhalb der Lexik bisher aufgefallen,41 und ich habe angefangen, sie in Einzelpublikationen aufzuarbeiten:
38
Lavar em oa mall da welet an nor was! "Also, ich habe mich sehr beeilt, aus dem Haus herauszukommen!": Mikael Madeg, C'hwec'h kontadenn, S. 43. 39 Vgl. das obige Beispiel. Das englisch lexifizierte Beispiel ist natürlich noch wesentlich künstlicher ist als das französisch lexifizierte. 40 Habent sua fata vocabula: Jedes Lehnwort scheint seine eigene kulturhistorische Motivation zu haben, am besten ersichtlich an der Entlehnung von engl, potato "Kartoffel"; siehe Falc'hun, Perspectives nouvelles, S. 447 f. 41 Anläßlich eines längeren Besuches in der Bretagne im Jahre 1987.
Hildegard L.C. Tristram
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Phonologie: stimmhafte Realisierung von Spiranten in Anlaut:42 engl. / f , s ¿ 0 / , bret. /f,s,S/ phonetische Realisierung des Phonems / r / als [[]43 Verlust von auslautendem (unbetonten) / r / Epenthese: bret. dorn, engl, elm, film44 Diphthongierungstendenz statt / a : / und / e : / : bret. maen / e ' / "Stein", Somerset veather "father"45 Grammatik: Arten der Markiertheit der Verbalkategorie: Tempus gegenüber Aspekt (perfektiv, imperfektiv), Durativus, Habitualis periphrastische Konstruktionen mit engl. D O und bret. OBER Ähnlichkeit in der analytischen Struktur von Nominalphrasen44 Wortstellung: bret. VSO > SVO.47 Nun muß man bei diesen Erscheinungen zwischen oberflächlicher Ähnlichkeit unterscheiden und dem funktionalen Platz, den die Erscheinungen innerhalb des Systems der beiden Sprachen einnehmen. Beispielsweise haben die Anlautsonori-
42 Vgl. Hildegard L.C. Tristram, Zaoz and Zomerzet: Linguistic Contacts Across the English Channel, im Druck für: Proceedings of the International Congress of Dialectologists, Bamberg, 29.7.-4.8. 1990, hrg. von Wolfgang Viereck, Wiesbaden, voraussichtlich 1993. 43 Vgl. Hildegard L.C. Tristram, Linguistic Contacts Across the English Channel: The Case of the Breton Retroflex , im Druck für: Proceedings of the International Conference on Language Contact and Linguistic Change, Rydzyna, June 5-8, 1991, hrsg. von Jacek Fisiak, Berlin, voraussichtlich 1993. 44 Vgl. SED Karten arm, arse, elm, fork, corn, ford, worms für verstreute Belege zur Epenthese. 45 Henry Fieldiijg, Tom Jones. Ich verdanke dieses Beispiel Herbert Pilch; vgl. SED Karte aunt Somerset /ae '/. 46 Siehe auch den Beitrag von Elmar Ternes in diesem Band. 47 Ebd., Abschn. 2 am Ende. Ternes wies in der Diskussion auch auf parallele Entwicklungen im Bereich der Personalpronomina im Bretonischen und im Englischen hin, besonders auf die Neutralisierung der 2. Pers. Sg. und PI. Sie ist im Kerngebiet des Englischen ganz durchgeführt, in der Bretagne nur teilweise.
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Zwiebeln und Wörter
sierungen der Spiranten einen ganz anderen Stellenwert im englischen Phonemsystem als im bretonischen, wo sie mit Sandhi-Phänomenen einhergehen, innerhalb derer sie auch als innersprachliche Extensionen metaprachlicher Realisierungen verstanden werden könnten. Das ist im Englischen nicht der Fall. Dort ist aber die Opposition von stimmhaften und stimmlosen Spiranten nicht voll realisiert, so daß sich vielleicht die stimmhaften Lautung leicht generalisieren konnte. Daher könnte man die Anlautsonorisierung als zweifelhaftes Beispiel für transmarinen Sprachkontakt ansehen. Ebenso ist die Realisation von / r / als [[] von Wolfgang Dressler als innersprachliches Verfallszeichen der Beherrschung des Bretonischen als Muttersprache aufgefaßt worden.48 Die Anlautsonorisierung und die retroflexe Aussprache des / r / wären demzufolge polygenetischen Ursprungs. Ferner könnte man behaupten, daß die Epenthese, die Diphthongierungstendenz und die lexikalischen Entsprechungen quantitativ viel zu wenig Gewicht für das Argument einer bretonisch-englischen Kontaktsprachlichkeit haben. Die gemeinhin übliche Ansicht der Forschung ist, daß Interferenzen auf Grund von Kontaktsprachlichkeit sich zunächst massiv auf der lexikalischen Ebene auswirken und von dort aus erst den lautlichen Bereich erfassen.49 Von größter Bedeutung seien jedoch die grammatischen Phänomene. Sie setzten immer intensive Interferenzen sowohl im Wortschatz als auch auf der lautlichen Ebene und eine lange Interaktionzeit voraus. Inwiefern diese Hypothese in jedem Einzelfall und auch für die bretonisch-englische Kontaktsprachlichkeit gilt, bleibt noch zu untersuchen. Vorläufig bin ich der Ansicht, daß die einzelnen Teilsysteme unabhängig von einander unterschiedliche Entlehnungsprozesse durchmachen können und daher jeder Fall gesondert untersucht werden muß. Aber selbst gemäß der traditionellen Argumentation könnte man sagen, daß wegen der (ebenfalls noch genauer zu untersuchenden) Konvergenzen im Bereich der Nominalphrase und der
48 49
Siehe Tristram, Linguistic Contacts, Fn. 10. Miklas, Trubetzkoys Sprachbundbegriff, S. 141.
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Verbalphrase die weniger gewichtigen Konvergenzen gleichsam als Stützphänomene an Gewicht gewinnen. Die genannten Isoglossen umfassen größere und kleinere Gebiete innerhalb des bretonischen und südenglischen Sprachraumes. Teils reichen sie darüber hinaus ins Frankobretonische (d.h. dem Regionalfranzösischen, das in der Bretagne in unterschiedlicher Ausprägung von Sprechern ganz unterschiedlichen Bildungsgrades gesprochen wird) und ins Gallo (dem an das bretonische Sprachgebiet angrenzenden französischen Dialekt). Sie reichen auch ins Kymrische (besonders im Süden des Landes), ins Südostangloirische, vielleicht früher auch ins Südostirische, weiter nördlich in das englische Sprachgebiet des Mittellandes hinein, im Falle der Anlautsonorisierungen bis ins Flämische und Holländische, den Abkömmlingen des Altniederfränkischen, im Falle des anlautenden / s / > / z / sogar bis ins Hochdeutsche hinein. Kurz: die genannten Isoglossen verhalten sich wie Dialektisoglossen, die teils Bündel bilden, teils Fächer, teils einander kreuz- und quer überschneiden. Der Unterschied zu den Dialektisoglossen liegt darin, das sie genetisch nicht verwandte oder wenigstens nicht unmittelbar miteinander verwandte Sprachen verbinden. Flüsse, Wasserstraßen und Ozeane bilden dabei keine Sprachbarrieren; im Gegenteil, in früheren Zeiten erleichterten gerade die Wasserwege die menschliche und damit sprachliche Kommunikation, was leicht zu Interferenzen führte. Das hat besonders die nordgermanische Philologie gezeigt50 und auch die Geschichte der Verpflanzung des Englischen nach Nordamerika,51 Australien, Neuseeland und Südafrika.52 Diese Wasserstrecken waren we50
Hans Kuhn, Rez. von Ernst Schwarz, Goten, Nordgermanen, Angelsachsen (Bern 1951), in: AfdA 66 (1952), 45-52; ders., Zur Gliederung der germanischen Sprachen, ZfdA 86 (1955), 1-47; Heinrich Wagner, Nordeuropäische Lautgeographie, ZCP 29 (196263), 225-298. 51 Vgl. Tristram, Zaoz and Zomerzet, Fnn. 28, 34, 44, 52, und Albert C. Baugh and Thomas Cable, A History of the English Language, London 31983, 342-399. 52 Vgl. English Transported. Essays on Australasian English, ed. by W.S. Ramson (Canberra 1970); L.W. Lanham und C.A. Mac-
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sentlich länger als diejenigen über den Ärmelkanal, und die sprachlichen Auswirkungen waren in diesen Fällen sogar viel stärker, weil sie mit massiven Siedlungsmigrationen verbunden waren. Dies war in der Bretagne seit den Zeiten des litus saxonicus (5. und 6. Jh.)33 nicht mehr der Fall. Die späteren historischen Kontakte mit dem Süden Großbritanniens waren politischer, kriegerischer und kommerzieller Art.54 Ich will nicht behaupten, daß die Sprachbundverbindungen zwischen der Bretagne, und insbesondere dem Norden der Bretagne, und den südlichen bzw. südöstlichen Dialekten Englands ein Kerngebiet (engl, focal area) von über dieses Gebiet in alle Richtungen hinausreichenden Isoglossen bildet.
donald, The Standard in South African English and its Social History, Heidelberg 1979; Ingeborg Blom, "Are you coming with to the braai at Jan or them?" or the Dutch/Afrikaans contribution to South African English, Nowele. North-Western European Language Evolution 17 (1991), 85-110. 53 Vgl. Léon Fleuriot, Les origines de la Bretagne, Paris 1982, 199-202. 54 Mir ist keine Monographie zu den historischen Kontakten zwischen England und der Bretagne bekannt. An Einzeluntersuchungen siehe z.B. Ferdinand Lot, Bretons et anglais aux Vè und Vlè siècles, Proc. Brit. Acad. 1930-31, 327-344 (The Sir John Rhys Memorial Lecture"); Gwenaël Le Duc, Une glose en Anglo-Saxon glosée en Britonnique, EC 16 (1979), 262-263; C. Brett, A Breton pügrim in England in the reign of King Athelstan, in: France and Britain in the Middle Ages, ed. by David Dumville and Gillian Jondorf (Woodbridge, Suffolk, 1989). Im ausgehenden Mittelalter waren die Beziehungen zwischen den Hafenstädten von Morlaix und Plymouth besonders eng. Vor allem Tuche und Wein wurden von Morlaix nach England exportiert. Bretonische Kaufleute hatte feste Niederlassungen in Plymouth. Die Kontinentalsperre durch Napoleon brachte diesen Handel zum Erliegen (pers. Mitteüung von Yves Le Berre, Brest, Nov. 1987). Das Barzaz Breiz des T. Hersart de La Villemarqué (Erstausgabe 1839, hier verwendete Ausgabe von François Maspero, Paris 1981) berichtet in einer Reihe von gwerziou von den kriegerischen Auseinandersetzungen über den Ärmelkanal hinweg: "Alan al louarn" (S. 121-122), "Ann distro euz ar Vro-Zaoz" (S. 141-143), "Stourm ann Tregont" (S. 195-200), "Ann erminik" (S. 201-204), "Seizen eured" (S. 234-241) und "Emgann Sant-Kast" (S. 336-339).
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Dafür überlappen sich die hier angeführten Isoglossen zu sehr mit anderen Dialekt- und Sprachbundkontinua. Zudem muß die historische Deutung der einzelnen Isoglossen im Sinne von neuernden Arealen und Reliktarealen in jedem Falle sehr differenziert vorgenommen werden.55 Manchmal ist nicht zu entscheiden, wann und wo die Neuerung begonnen hat. Beispielsweise entstand der Kontrast zwischen der unmarkierten und der progressiven Ausdrucksmöglichkeit (progressive form), d.h. der Kontrast zwischen Tempus und Aspekt als grammatische Kategorie, im Englischen, Irischen und Bretonischen etwa gleichzeitig im Hoch- und Spätmittelalter aus präexistenten Ausdrucksmöglichkeiten. Wo hat die Neuerung angefangen? Es soll sie beispielsweise auch im Westen Portugals geben.54 Ist sie ein Seefahrerphänomen? Sie scheint jedenfalls an die durch die Schiffahrt ermöglichte hohe Mobilität bestimmter Bevölkerungsgruppen gebunden gewesen zu sein. Die Forschung hat in diesem Falle auch an die gemeinsame Drift der (west)europäischen (atlantischen) Sprachen von einem eher synthetischen zu einem zunehmend analytischen Sprachtypus gedacht.57 Von den Linguisten, die sich besonders mit Sprachbundphänomenen befaßt haben, ist der insulare Sprachraum mit seiner historisch hohen transmarinen Mobilität verschiede55
Dies habe ich erst in zwei Fällen vornehmen können, für die Anlautsonorisierung ("Zaoz and Zomerzet"), die ein vergleichsweise großes Areal umfaßt und für die mit einer Zeittiefe von etwa 1000 Jahren zu rechnen ist, und für die retroflexe Realisation von / r / , dessen Gebiet in England, wenn auch historisch rezessiv, so doch noch heute groß und in der Bretagne dagegen sehr begrenzt ist, und zwar auf den Norden des Bro Dreger. Die Zeittiefe ist schlecht abzuschätzen, deutet aber auf keinen längeren Zeitraum. Der dritte Fall ist der des Jargons der Johnnies von Roseoff, dessen Zeittiefe vielleicht weniger als 150 Jahre intensiver Interferenz aufweist. 56 Vgl. Bernard Comrie, Aspect. An introduction to the study of verbal aspect and related problems, Cambridge 1976, S. 105. 57 Eine Entwicklung von den Tempora Präsens und Präteritum zum vollendeten und unvollendeten Aspekt mit Hilfe des Partizip Präsens und des Partizip Präteritums hat es z.B. auch im Hindi gegeben.
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ner ethnischer Gruppen bisher noch nicht angemessen gewürdigt worden. Besonders gut untersucht sind die verschiedenen Typen translingualer Konvergenzen im Balkanraum, besonders seit Trubetzkoy und Jakobson, und der südostasiatische Raum (davidische und idg. Sprachen). Ernst Lewy58 und Hans Henrich Hock59 haben anhand einiger weniger Isoglossen den europäischen Raum konvergenztypologisch zu erfassen gesucht. Im gewissen Sinne hat dies auch Heinrich Wagner für den westatlantischen (litoralen) Küstenraum vom Samojedischen im hohen Norden über das Isländische, Irische, Englische, Portugiesische bis hin zum Berber getan.^Sein Buch Das Verbum in den Sprachen der Britischen Inseln (Tübingen 1959) untersucht einen engeren Konvergenzraum.61 Die Untersuchung des westatlantischen Sprachraumes würde die Aufdeckung vielfältiger Konvergenzphänomene zwischen den keltischen, d.h. älteren kontinentalkeltischen und jüngeren inselkeltischen, germanischen (englischen, altnordischen, fränkischen und späteren flämischen) und romanischen (frz. Dialekte in England und auf dem Kontinent) erwarten lassen. Konvergenzen sind nicht nur wegen der arealty-
58
Der Bau der europäischen Sprachen, Proceedings of the Royal Irish Academy 48/C (1942-34), 15-117; separatim Tübingen 1964; vgl. ders., Studien über den Bau der Sprachen, Lexis 3 (1953), 245-258. 59 Historical implications of a dialectological approach to convergence, in: Historical Dialectology, Regional and Social, hrsg. von Jacek Fisiak, Berlin 1988, 283-328. Dies ist ein anregender Artikel. Hocks Beispiele zum Bretonischen und Irischen (S. 309 ff.) sind jedoch nicht representativ. Es sind Lehrbuchbeispiele, die keiner modernen Spontansprachlichkeit entstammen. 60 Nordeuropäische Lautgeographie, ZCP 29 (1964), 225-298; Near Eastern and African Connections with the Celtic World, in: The Celtic Consciousness, ed. by Robert Driscoll (New York 1981), 51-67. 61 Wagners (älterer) Sprachgebrauch versteht unter den Britischen Inseln England, Wales, Schottland, Man und Irland. Heute würde man eher sagen die "Britischen Inseln(, Man) und Irland". Das Bretonische hatte Wagner damals als außerhalb des untersuchten Areals gesprochene Sprache nicht einbezogen.
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pologischen Übereinstimmungen von Interesse, sondern als Beispiele besonders akzelerierten Sprachwandels. Dies ist im übrigen ein anderer Forschungsansatz als der heute in der Erforschung der insularen Sprachenvielfalt übliche. Dort werden in der Regel Studien zur parallelen Existenz verschiedener Sprachen und Dialekte durchgeführt,62 oft unterteilt nach dem Herrschafts- und damit Prestigegefälle in Minoritätensprachen und Majoritätssprache.63 Es sind eine ganze Reihe von Einflußstudien durchgeführt worden, meist unilateral, seltener bilateral, kaum multilingual. Schauen wir uns z.B. den von Sture Ureland und George Broderick kürzlich herausgegeben Konferenzband Language Contact in the British Isles an,64 dann finden wir im insularen Bereich 31 unilaterale oder allerhöchstens bilaterale Einflüsse aufgezählt. Sie werden werden in den graphischen Darstellungen bezeichnenderweise mit Pfeilen versehen. Bei einem solchen Ansatz wird nur das Strukturverändernde der jeweiligen Zielsprache in Betracht gezogen, also die Ausgliederung der Zielsprache von ihren Verwandten (engl, cognates) innerhalb einer genetisch definierten Sprachfamilie, nicht das Gemeinsame bei der Strukturinnovation innerhalb der von Sprachbundphänomenen betroffenen Isoflächen.65 Erkenntnisziel ist dort die Alterität,
62
Vgl. z.B. Glanville Price, The Languages of Britain, London 1984. Durch die geographische Beschränkung auf das United Kingdom sind hier das Irische in der Republik und das Bretonische von der Darstellung ausgeschlossen. 63 Vgl. R.D. Grillo, Dominant Languages. Language Hierarchy in Britain and France, Cambridge 1989; s.a. die Publikationen in der Reihe Multilingual Matters. 64 Language Contact in the British Isles. Proceedings of the Eighth International Symposium on Language Contact in Europe (Douglas, Isle of Man, 1988), Tübingen 1991. Die Bezeichnung "British Isles" berücksichtigt interessanterweise irische und auch manxische Empfindlichkeiten nicht. 65 Siehe dagegen den Beitrag von Elmar Ternes in diesem Band zu synchron-typologischen Gemeinsamkeiten zwischen den romanischen und den keltischen Sprachen. Sie beruhen vermutlich auch auf Konvergenz, weisen aber eine wesentlich größere Zeittiefe des gemeinsamen Angleichungsprozesses auf als die hier vorgestellten Phänomene. Auch Ternes' Ansatz hat schon Vorläufer in den
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nicht die Konvergenz. Das Bretonische erscheint übrigens in Urelands und Brodericks Liste der 31 insularen Kontaktsprachlichkeiten überhaupt nicht. Die rosa Zwiebeln aus der Bretagne verkauften sich jedoch hervorragend in ganz Großbritannien.
Arbeiten von Hugo Schuchard: Romanisches und Keltisches, Berlin 1886. Barbara Wehr greift in ihren Arbeiten einzelne typologische Ähnlichkeiten in der romanischen und keltischen Syntax auf: Diskurs-Strategien im Romanischen. Ein Beitrag zur romanischen Syntax, Tübingen 1984, 46-48, 128-130; Parallèles typologiques entre les syntaxes française et irlandaise (Vortrag beim IXe Congrès International d'Etudes Celtiques, Paris, 8-12 Juillet 1991). Wehr zieht das über das Irische und Französische hinausreichende Phänomen syntaktischer Konvergenzen jedoch nicht in Betracht.
Jürgen Uhlich, Bonn
DIE REFLEXE DER KELTISCHEN SUFFIXVARIANTEN *-io- VS. *-iio- IM ALTIRISCHEN § 1 a) Zwischen dem Altirischen und dem Britannischen gibt es einige Fast-Wortgleichungen, bei denen einem air. /-Stamm in den brit. Sprachen der Reflex eines io-Stammes gegenübersteht, z.B.:1 - air. búachaill (-/), i, m., "herdsman, cowherd; ..." (Gen. Sg. -alla), vs. mky. bugeil (nky. bugail), m., "herdsman, shepherd, ...", letzteres < Y-ou-k^olip- (vgl. LHEB 595; HPB § 402, 2 c; zum *-k(*)- vgl. u. Anm. 4). - air. cain, i, "fine, good, fair, beautiful, ,..",2 vs. mky. kein (nky. cain) "fine, fair, ..." < *kanio-/-iä- (vgl. LEIA C-15). - air. cóir (co(a)ïr), i, "even, well-proportioned, straight; proper, ...", vs. mky. kyweir (nky. cywair), als Adj. "fully equipped, ... orderly, ... ready, ... correct, ...", < *komuario-/-iä-. b) Diese Diskrepanz zwischen den ir. und den brit. Belegen läßt sich auch nicht dadurch beseitigen, daß man auch für das Brit. ursprüngliche /-Stämme ansetzt, denn *i in Endsilben bewirkt im Brit. keinen Umlaut ("final ¿-affection", s. LHEB 579-81),3 vgl. ky. gwlad "country, ..." = air. flaith, i, f., "lordship, sovereignty, rule" < *ulati- (IEW 1112) und ky. môr "sea, ..." = air. muir, i, η., < *mori- (IEW 748), d.h., als Reflexe von ursprünglichen /-Stämmen wären ky. *bugol, *can und *cywar (gegen GOI § 201 b) zu erwarten. c) Ausgangspunkt der angeführten ky. Belege ist also jeweils eine Bildung mit postkonsonantischem *-w-/-iä- in letzter Silbe. Neben dieser regulären brit. Konstellation 1
(A)ir. Wörter mit englischer Bedeutungsangabe sind nach DIL zitiert. Stellvertretend für das Brit. werden meist nur ky. Belege angeführt, und zwar nach GPC (bzw., wo dieses noch nicht erschienen ist, nach GM). Sonstige Quellen sind jeweils angegeben. 2 Air. cain gleicher Bedeutung ist Lehnwort aus dem Brit. (vgl. z.B. mky. kein, s. weiter im Text), s. VGKS I 23; IEW 564; LEIA C-16. 3 Im Unterschied zu *T als Kompositionsvokal, also vor der Morphemgrenze, welches final affection bewirkt, s. LHEB 579-81, vgl. 651, 369.
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Keltische Suffixvarianten
*-Cio-/-Ciä-, mit nachfolgendem Umlaut des vorangehenden Vokals und Apokopierung der Endsilbe *-io-/-iä-, erscheint in einigen brit. Reflexen die Alternative *-Ciio-/-Ciiä- (zu lautlichen Einzelheiten s.u. § 5), mit nachfolgender Entwicklung des intervokalischen *-i- zu *-d (ky. -dd, ko. -th, bret. -z; s. LHEB 348-51), also z.B. mky. eil (nky. ail) "second" < *alip-/-m- vs. ky. caredd "transgression, sin, crime" < *kariiä-, ebenso innerhalb desselben Flexionsparadigmas z.B. bugeil < *glfou-k(,i)olio(s.o.) vs. Pl. bugelydd < You-k^joliu (s. WG 204 f.). § 2 Demgegenüber scheint das Goidelische nach klaren Belegen die Variante *-Cii- (vor beliebigem Vokal, d.h. *-CiiV-) vollständig verallgemeinert zu haben, z.B. air. aile "other of two, second" < *aliio-/-üä- (vs. mky. eil < *alio-/-iä-) wie caire, iä, f.,"crime, fault, sin" = ky. caredd < *kwiiä- (s. VGKS I 68; GOI §§ 94, 197; vgl. Cullen, Ériu 23 (1972) 227-9; Greene, TPS 1973, 131-3). Die oben angeführten air. Belege lassen sich jedoch mit ihren brit. Entsprechungen ganz in Einklang bringen, wenn man auch für die Vorgeschichte des Air. beide Varianten, *-CiiV- und *-CiV-, ansetzt, von denen zwar die erste weitgehend verallgemeinert worden ist, sich daneben aber die zweite in einigen Spuren wie den hier besprochenen Fällen erhalten hat, also z.B. (früh)air. coir nicht < *kom-uari- (GOI § 201 b), sondern, ebenso wie mky. kyweir, < *kom-uario-/-iä- (zum Lautlichen s. weiter unten § 5). Eine derartige formale Rückführung auf einen ursprünglichen io- statt auf einen /-Stamm kann im Falle der beiden anderen angeführten Wörter, air. búachail(l) und cain, noch zusätzlich gestützt werden: Bei cain wird der io-Stamm (> mky. kein, usw.) als ursprünglich erwiesen durch den weiteren Vergleich mit gr. καινός "neu" < *kanio- (vgl. LEIA C-15; IEW 564 (mit ?); skeptisch zu diesem Vergleich Frisk I 754, jedoch ohne Begründung). Zu búachail(l) lautet die etymologische Entsprechung im Gr. βουχόλος "tending kine" (LSJ; myk. qo-u-ko-ro "oxherds", sowie Gen. Sg. -o-jo; s. Doc.2 578)
Jürgen Uhlích
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< *^ou-kolo-:A Gegenüber diesem ursprünglichen o-Stamm (zum Kompositionstyp s. z.B. Risch 196 f.) wäre ein /-Stamm (*^ou-k(u)ol-i-, als Vorstufe von búachail(l)) nicht zu motivieren. Hingegen läßt sich die (für das Brit. ohnehin anzusetzende) Ausgangsform *¿tou-kf)ol-ioproblemlos als uri i sprüngliche adj. Ableitung von *g ou-k( )olo- mit dem im Idg. bzw. in den idg. Einzelsprachen produktiven Suffix *-io- (s. z.B. Ai. Gr. II 2, 778 ff.; Risch 112-22; Lat. Gr. I 288-96; zum Kelt. vgl. VGKS II 16 f.) erklären: *-io- bezeichnet hier entweder (entsprechend der Grundfunktion dieses Suffixes) allgemein eine Zugehörigkeit, d.h., ein ursprüngliches Adj. der Bedeutung "zum Kuhhirten gehörig" hätte substantiviert sein Grundwort im Gebrauch verdrängt, oder *-io- dient als Kompositionssuffix zur Verdeutlichung des ursprünglichen verbalen Rektionskompositums *^ou-kf)olo- "Kühe hütend", bezeichnet also ein Nomen agentis.5 4
*g*ow-fco/o- mit *-k- hinter *-u- dissimiliert < *-kf-, vgl. de Saussure, MSL 6 (1889) 161 f.; vgl. 7 (1892) 89 f.; Brugman, KZ 25 (1881) 307; Borgeaud, IF 74 (1969) 142, der noch ai. gocara-, m., ["pasture ground for cattle", MW 364a], vergleicht; oder *¿*-k- dissimiliert < Υ-kf-, s. Gr. Gr. I 298. 5 Zu kelt. Nomina agentis mit diesem Suffix (in den bisher angeführten ir. und ky. Belegen allerdings mit der Variante *-üo-, > ir. -e, ky. -ydd) s. Kelly, Ériu 22 (1971) 192; Breatnach, Ériu~34 (1983) 194; McManus, Eriu 35 (1984) 147 mit Anm. 22; Russell, BBCS 36 (1989) 37 f. - Ein Vergleichspunkt zu kelt. You-k(v)olio- findet sich auf den ersten Blick möglicherweise im gr. PN Βουχολίων, falls dieser als -ων-Erweiterung eines Patronymikons *Βουχόλιος zu erklären ist (vgl. Risch 56 f.; zu Patronymika ebd. 112 (adjektivisch) und 118 (substantiviert; vgl. auch Solmsen 1901, 47-51); eine vergleichbare Substantivierung und Ableitung findet sich - nach freundlicher Mitteilung von E. Jung, Pfaffenhoffen - bei den ion.-att. Monatsnamen auf -ιών, gegenüber sonstigem -ιος (s. Gr. Gr. I 82). Βουχολίων kann allerdings auch mit bereits sekundär abgetrenntem -ίων direkt von βουχόλος abgeleitet sein (von Kamptz § 47 c 3; vgl. Debrunner 1917, 158 f.). Ein patronymisches *Βουχόλιος wäre jedoch angesichts der Produktivität von -io- im Gr. ohnehin am ehesten eine unabhängige innergriechische Bildung und somit ohne Zusammenhang mit der zufällig gleichlautenden kelt. Form, und außerdem könnte auch eine patronymische Funktion des Suffixes im Kelt, nur PN-Belege (im Ir. z.B. AU 745, 791;
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Keltische Suffixvarianten
Eine andere Erklärung der kelt. Formen findet sich allerdings bei Lohmann (1932, 51), der für búachail(l) und bugeil usw. einen kelt. mask. Γ-Stamm *boukalï- ansetzt und ai. rathJ("zum Wagen gehörig, Wagenlenker", zu rátha- "Wagen"; s. Ai. Gr. II 2, 408) vergleicht (mit dem ky. PI. bugefydd. entsprechend dem ai. Nom. Pl. rathîyah, d.h.Typus vrkîh; weitere Vergleiche 63 f., 69). § 3 Im folgenden soll diese Erklärung auf einige weitere ihrer Entstehung nach unklare air. /-Stämme oder /-stämmig aussehende Formen angewandt werden: a) Air. súil, i, f., "eye; hope, expectation" wird normalerweise auf einen /-Stamm *süli- zurückgeführt und weiter zum idg. Etymon für "Sonne" gestellt, s. IEW 881 (*säuel-,... sul-); LEIA S-201 f.; zum Etymon s. Hamp, BBCS 26 (1976) 97-102 (idg. *seHjuel- vs. Schwundstufe, besonders in Ableitungen, *suHJ-, u.a.); auch zum Brit., z.B. ky. haul "sun, ..." < *säul[zum Bait, und Slav, zu ergänzen: Vaillant, BSL 46 (1950) 4853]; ältere Literatur bei Szemerényi 1962, 191 Anm. 90); die für súil anzusetzende Schwundstufe erscheint z.B. auch in ai. sür(i)ya-, m., und süra-, m., "Sonne". Um die semantische Diskrepanz zwischen "Auge" und "Sonne" zu überbrücken, läßt sich zunächst typologisch auf Textstellen verweisen, in denen die Sonne als "Auge der Götter" o.ä. bezeichnet wird, z.B. süryam ... spásam vísvasya jágato "die Sonne ... Betrachter der ganzen Welt", RV 4, 13, 3; süräya visvácaksase "der allsehenden Sonne", 1, 50, 2; vgl. devänam cáksuh ... usäh "der Götter Auge ... die Morgenröte", 7, 77, 3; Ήέλίον... S-εών σκοπό ν ήδέ καί άνδρών "Helios [Sonne]... den Betrachter der Götter sowie der Menschen", h. Dem. 62; Ήέλιός δς πάντ' έφοράς xaì πάντ' έπαχουεις "und Helios, der du auf alles siehst und alles hörst", Γ 277 (vgl. λ 109); vgl. aarm. aregakn "Sonne", Kompositum aus arew "Sonne" und akn "Auge" (vgl. Solta 1960, 21, 407 f.; anders Schmitt 1981, 219: ursprünglich "Quelle der Sonne"). Hiergegen wendet Meid (TBF 3 180) ein,
CGH), nicht aber die appellativische Verwendung der Bildung erklären.
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daß diese Belege sämtlich die Metapher "Auge" -»· "Sonne" zeigen, während air. súil die umgekehrte Metapher "Sonne" "Auge" voraussetzt. Letztere ist jedoch ebf. möglich (s. Bammesberger, EC 19 (1982) 156 f.), vgl. ae. His heáfdes segl "his head's sun [the eye]" (Bosworth/Toller s.v. "heáfod", vgl. "sigel"), ferner à λύχνος του οώματός έστιν ό όφ&αλμός "das Auge ist des Leibes Leuchte", Matth. 6, 22, und ist als ursprünglich aus der ersten Metapher "Auge" "Sonne" übertragen vorstellbar, vgl. ai. süracaksas- "sonnengleich blickend", z.B. RV 1, 89, 7 von visve ...deväh "alle Götter" (Bedeutung und weitere Stellen bei Grassmann 1566). Mit air. súil formal am nächsten verwandt sind ai. sür(i)ya-, m., "Sonne" und sür(i)ya-, f., "Sonne ... als weiblich gedachte Gottheit" (Grassmann 1567 bzw. 1569). In Übereinstimmung damit läßt sich nach dem oben in § 2 vorgeschlagenen Muster für súil eine Vorform *süliä- oder *sülio- (im letzteren Fall mit noch zu erklärendem Übergang zum air. Fem.) ansetzen, anstelle eines nicht oder nur schwer erklärbaren *süli-.6
6
Vgl. eine Mutmaßung über mögliche analogische Herkunft eines solchen /-Stamms bei Hamp, BBCS 26 (1976) 99; an analogische Entstehung des Sg. súil aus einem ursprünglich konsonantstämmigen Dual súil denkt Bammesberger, EC 19 (1982) 157. Die Zugehörigkeit des abrit. GN Sul(i?)- (Nom. Sul, Gen. Sulis, Dat. Sul und Suli, Holder II 1661 f.), gleichgesetzt mit bzw. Beiname der römischen Minerva, ist ganz unklar (mit der Bedeutung "Auge" oder "Sicht" als GN? S. zu diesem Namen Jackson, Britannia 1 (1970) 68; Hamp, BBCS 26 (1976) 99; Lambert, EC 17 (1980) 176 f.). - Alternativetymologien für air. súil: a) *sokf-li-, zur Wurzel *seku- "sehen", nach Szemerényi (1962, 191; vgl. Meid, TBF3 180), wegen nicht erläuterter semantischer Bedenken gegen Zuordnung zum Etymon für "Sonne", wozu s. jedoch die oben zitierten Parallelen. Darüber hinaus ist eine Bildung *sok?-li- nirgendwo sonst belegt und "ne s'impose donc pas" (Bammesberger, EC 19 (1982) 156. b) *su-uli- "bonne vue" nach Lambert (EC 17 (1980) 177), morphologisch ad hoc: Das weiter verglichene ky. Hywel usw. "qui voit bien" < *su-uelo- zeigt eine andere Ablautstufe der Wurzel, und auch die /-Stammbildung wäre ganz unmotiviert (nicht "fréquente dans des composés", sondern nur in Bahuvrlhis wie dem ebenda angeführten air. sonairt < *so-nert-i- [nicht < *su-nrt-i-, das
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Keltische Suffixvarianten -gnaid "bekannt" oder "geboren" in airgnaid (= airgnae
"evident, well-known, famous"), érgnaid "discerning, clever, knowing", etargnaid "recognized, known, understood" (neben etargnad "known, recognized"; beide schon in air. Quellen), murgnaid "practised in seafaring?", sognaid "decorous" (vs. latinisiert PN Sognath-i, Mart. Tall. Oct. 21), PN Uargnaid (CGSH Nr. 706, 56; vgl. gall. Ogrigenus, KGP 250),7 gegenüber zu erwartendem Nom. -gnath/-d (vgl. oben etargnad, Sognath-i,
f e r n e r z.B. PN Failgnad, Thes. II 270, 44; Fidgnath,
R 151b24 (CGH); Lugnath, Mart. Tall. Dec. 23), zu gnáth, o, â, "customary,..." = ky. gnawd bzw. *gnáth "geboren", beide = gall. -gnatus/-a (s. K G P 218; G P N 207-9; < idg. *gneH3-tó-/-téH2- bzw. *gnH,-tó-/-téH¡- ). Die beiden im Kelt, gleichlautenden Formen sind ursprüngliche *-tó- Partizipien, und die Herkunft einer /-Stammbildung ( > air. -gnaid) wäre völlig unklar. Näher liegt daher eine Herleitung < *-gnätio-/ -tiä-, d.h. aus Ableitungen von ursprünglichen Bildungen auf *-gnäto-/-ä-, entsprechend (bzw. bei Nicht-PNN-Belegen jedenfalls formal vergleichbar mit) gall. PNN auf -gnatius (vier Belege, s. KGP 218; GPN 209, wo außerdem noch die Simplicia Gnatia, -ius angeführt werden). Analog läßt sich (Nom. Sg.) -chair, die häufige Variante neben -char8 "lieb(-
*sun(d)r(a)ith/-d ergeben hätte] sowie sekundär auch in präpositionalen Rektionskomposita, s.u. § 4). 7 Der Gen. Sg. - hier belegt nur von airgnaid, im Beinamen (.Augein) Aurgnaid : Irgnaith (DIL s.v.) und als PN: Airgnaid und Varianten, R 150a20, 151a24 (CGH) - gibt keinen Aufschluß über Herkunft oder Entwicklung der Flexionsweise derartiger Bildungen, da es sich um (ursprünglich) adj. /-Stämme handelt, die im Air. den Gen. Sg. ohnehin o-/ ríched mit palatalem ch. Die Bedeutung ist wörtlich "Reichs-/Herrschaftssitz", und zur religiösen Verwendung vgl. rige, "in religious poetry freq. a synonym for the Kingdom of Heaven" (DIL s.v.). Es ist allerdings darauf hinzuweisen, daß nicht alle Fälle mit dieser Oberflächenstruktur - h - oder /¿-stämmiges Simplex vs. oberflächlich i-stämmigem Kompositionsvorderglied - auch nach demselben Muster erklärt werden können: So lautet zu fine, iä, f., "a group of persons of the same family or kindred" das entsprechende Vorderglied ursprünglich fin-, z.B. in fingal "wounding or slaying a relative" und im PN Finchar (AU 920/FM 918 : Finncar, CS 919). Die genaue gall. Entsprechung zu diesem PN, Venicarus (Veno-,
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Das von Pokorny als Parallele (für /-Fuge eines Konsonantenstamms) angeführte gr. α'ιγί-βοτος erklärt sich nach Risch (219) als Zusammenrückung mit Kasusform (Dat./Lok. auf -i) im Vorderglied, άλι-πόρφυρος evtl. ebs. (Risch 220) oder durch Übertragung von den /-Stämmen (Frisk I 78 f.), beides Erscheinungen, die im Kelt, sonst nicht belegt sind. Der weitere Verweis auf Gr.2 II 1, 78 ff. bezieht sich lediglich (78) auf das hier nicht anwendbare Kompositions-/ nach dem Gesetz von Caland und Wackernagel (wozu s. Collinge 1985, 23-7; Risch 218 f., vgl. 65 ff.). Der gall. Superlativ (PN) Rigisamos schließlich weist keineswegs auf ein urkelt. Adj. *ñgis "königlich", da das Superlativsuffix (ital. und kelt.) *-ismmo- lautet (s. Cowgill 1966).
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Vini-; "die Sippe liebend", KGP 289; vgl. GPN 165 mit Anm. 7, 278 mit Anm. 4, mit älteren Vorschlägen), erweist jedoch den /-Stamm des Vorderglieds als ursprünglich, von dem das Simplex air. fine < *uenüä- erst sekundär abgeleitet ist (Fälle mit dem Vorderglied fine- wie finechar "loving one's fine or kindred (?)" sind analogisch vom Simplex beeinflußt). § 4 Eine weitere Gruppe von Anwendungsbeispielen umfaßt Bildungen mit dem idg. Kompositionssuffix *-io-/-iä-. In dieser Verwendung ist *-io-/-iä- zunächst abzugrenzen von a) *-i- als Kompositionssuffix erscheint schon grundsprachlich fakultativ im Ausgang von Bahuvrlhikomposita und kann jeder anderen Stammklasse des zugehörigen Simplex gegenüberstehen, vgl. z.B. ai. su-gándh-i- "wohlriechend" : gandhá"Geruch", jav. PN Daßrä-maes-i- ("wenige Schafe besitzend") : maesa- "Schaf1, gr. αν-αλχ-ι-ς "kraftlos" : άλχ- (Dat. άλκί), άλχή "Kraft", aarm. an-gorc, Gen. Dat. Abi. PI. an-gorc-i-c, "untätig" : gore, Gen. Dat. Abi. Sg. gorc-oy, "Werk" (*n-uorg-i: *uorgo-), lat. in-erm-i-s (neben inermus) "waffenlos" : arma "Waffen", bi-corn-i-s "zweihörnig" : cornu "Horn"; s. Gr. 2 II 1, 112 f.; Ai. Gr. II 1, 105 f.; Gr. Gr. I 450; Meillet, MSL 11 (1900) 390 f.; Lat. Gr. I 346 f. Dieselbe Regel findet sich auch im Kelt., vgl. gall. z.B. (Dat.) Viro-tut-i (neben Virotouta-, KGP 297, vgl. 47 und 95 f. zu weiteren eventuellen Fällen). Air. Belege gibt GOI § 345, z.B. son(a)irt "strong" : nert "strength" (*so-nert-i- : *nerto-); vgl. auch Marstrander 1924, 47 f.11
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Wegen der ursprünglichen Beschränkung des *-i- auf Bahuvrlhikomposita (zum Auftreten bei präpositionalen Rektionskomposita s.u. b) ist die Herleitung von air. mifir "faint-hearted, downcast, despondent" (Abstraktum mifre, iä, f.) < *mis-uir-i- "unmanly" (O'Rahilly, Ériu 13 (1942) 159) abzulehnen. Sofern man die Etymologie in ihren lexikalischen Bestandteilen akzeptiert, ist vielmehr, mit den hier definierten lautlichen Bedingungen, *misuir-io- anzusetzen, d.h. eine adj. *ip-/iä-Ableitung von einem Subst. *mis-uiro- "Unmann, Feigling" (Kompositionstyp Tatpurusa), vgl. entsprechend ky. anwr "wretch, knave, coward" (*n-uiro-), davon mit Suffix abgeleitet anwrol "cowardly, timid, ...".
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Keltische Suffixvarianten
b) Demgegenüber erscheint bei präpositionalen Rektionskomposita (d.h. Zusammenrückungen aus präpositionalen Ausdrücken), sofern sie mit einem Kompositionssuffix erweitert sind, sowie bei sog. Ableitungskomposita12 meistens *-io/-iä-. So zeigt das Ved. kompositionelles -ya- am häufigsten bei präpositionalen Rektionskomposita, z.B. ádhi-gart-ya"auf dem Wagensitze (gárta-) befindlich" (daneben auch bei Bahuvrihis, z.B. su-hást-ya- neben su-hásta- "schönhändig", vgl. auch av. hu-rai&-ya- "auf schönem Wagen"; s. Ai. Gr. II 1, 106-8, 308). Auch im Gr. werden mit -ω- vor allem präpositionale Rektionskomposita und Ableitungskomposita gebildet, z.B. ειν-άλ-ιο-ς neben εν-αλ-ο-ς "im Meer (αλς) befindlich", παν-ημέρ-ιο-ς neben παν-ήμερ-ο-ς "ganztägig" : (ήμαρ / ήμέρη)" (s. Debrunner 1917, 27, 75 f.; Risch 113, 188, 228). Präpositionale Rektionskomposita mit *-io-/-iä- sind ferner lat. ë-greg-ius "[aus der Herde] herausragend" (: grex), sub~ iug-ia {lora) "Joch-(Riemen)" (: iugum) (oder /-Stamm?), ob— nox-ius "verfallen, unterworfen" (: noxa), prae-cord-ia (PL) "Zwerchfell" (: cor) (Lat. Gr. I 290, 402 f.; daneben -ius auch bei Bahuvrihis, jedoch vorwiegend nach gr. Vorbildern, s. ebd. 290, vgl. 265), lit. príe-galv-is "Kopfkissen; -ende", pa-galv-è, pagálv-is "Kopfkissen" (: galvà "Kopf), pa-jür-is "Seeküste" (: jüra, PL jürés, jürios "Meer"); vgl. zu -io- auch Brugmann, IF 18 (1905-6) 66; Gr.2 II 1, 112, 113; Gr? II 1, 119-24. c) Dieselbe Bildungsweise findet sich auch im Kelt., z.B. - air. ara (-ae), io [m.], "temple (of the forehead)" < *paraw-(i)io-, wörtlich "am/neben/vor dem Ohr" (zu air. ar "vor, ..." und ó (au-), s, n., "Ohr"; vgl. auch die synchrone Deutung ara .i. ar-áui .i. pia ó anair, Corm. Y 44), vgl. den gall. ON Arausio (Thurneysen, KZ 59 (1932) 13, der noch den ir. ON Arai Chliach anführt) und gr. παρειαί "Wangen" (äol. παραϋαί, hom. Sg. παρήϊον, myk. Dual pa-ra-wa-jo, < *πα-
u
= Suffixableitungen direkt von mehrgliedrigen (nicht-präpositionalen) Wendungen, z.B. gr. μεσονύκτιος "mitternächtlich" «- περί μέαας νύχτας oder μεσα( νύχτες "(um) Mitternacht", s. Risch, Museum Helveticum 2, 1 (1945) 15-27 (= Kleine Schriften 112-24).
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ρ(α)-αυσ-ια, -ων, Frisk II 474; vgl. IEW 785, LEIA A-82 f., Risch 128 mit Anm. 110); - air. formna, io, m., "shoulder(s)" vs. muin "the upper part of the back between the shoulders and below the neck" ( = ky. mwn "neck, ..."), d.h. *uor-mon-iio- (-moni-ip-Ί) "auf/über dem Hals" vs. *moni-\n - air. etarmaige "Zwischenfeld", falls ursprünglich "[Gebiet] zwischen (den) Feldern" (zu mag, s, n., "a piain ... a field ..."); - ky. gobennydd "pillow ..." < *uo-k?enn-iio-, wörtlich "unter dem Kopf; ähnlich ymennydd, m., "brain" < *en-lâenniio"im Kopf'; vgl. ako. PI. impinion gl. cerebrum (PECA 68), bret. empenn, m., "Gehirn". Zur letzteren Bildung lautet die ir. Entsprechung synchron /-stämmig inchinn, f., "the brain, brains" (vgl. VGKS I 130, II 12; in GOI § 345 ohne Unterscheidung von den dort behandelten i-stämmigen Bahuvrìhis mitangeführt). Wegen der brit. Vergleiche14 ist jedoch auch für das Ir. nicht von *eni-k?enn-i- (PECA 68), sondern von *eni-làtenn-io- (ursprüngliches Neutrum) auszugehen.15
13
Das in VGKS II 12 mit formna gleichgesetzte ky. gorfynydd "highland, hill country, ..." enthält wegen der Bedeutung eher zunächst mynydd "mountain,..." (< *monüo-, Ableitung von *moni-). 14 Bret. empenn kann lautlich außer auf *en-kienno- (de Bernardo Stempel 1991, 165 Anm. 89) ebensogut auf *en-kfenn-io(PECA 68), mit nicht mehr erkennbarem Umlaut, zurückgehen (vgl. LHEB 595 zur final /-affection von e im Bret.), was wegen der anderen brit. Belege vorzuziehen ist. 15 De Bernardo Stempel (1991, 164 f. mit Anm. 89) erwägt, für diese inselkelt. Ausdrücke für "Gehirn" (jeweils unabhängige) medizinische Lehnübersetzung aus gr. εγκέφαλος "Gehirn" [daneben auch vereinzelt mit Kompositionssuffix εγκεφάλων] anzunehmen, da sich die Bezeichnung des Gehirns als "im Kopf" idg. sonst nur im Gr. findet und weil darüber hinaus die vier kelt. Ausdrücke nur auf vier verschiedene Vorformen zurückführbar seien. Die Unterschiede in den Rekonstruktionen sind jedoch weit geringer als von de Bernardo Stempel angesetzt - bret. empenn < *en-kfenn4o-, nicht < *en-kfenno- (s. Anm. 14), und vom ky.-bret. Ansatz *en-k?enn-(i)io- unterscheidet sich die ko. Form nur durch ein zusätzliches Suffix (vgl. PECA 68, wonach ursprünglich Pl.); air. inchinn schließlich kann, unabhängig von der hier vorgeschlagenen Herleitung, nicht auf *en(i)-k)'ennö zurückgehen, da dieses *in-
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- Ein weiteres präpositionales Rektionskompositum ist ir. es(s)amain "fearless, bold, daring", wörtlich "außerhalb der Furcht seiend" (KGP 57; zu omurt, u, o, m., "fear, ..."), Gen. (PN) Essamna (R 137b38 (CGH); CGSH Nr. 2), Essamain (CGSH Nr. 200), (formal) =, mit Ableitungs- oder patronymischem -io-, lep. Esopnio(s) (Lep. 408), gall. Exomnius u.a. (KGP 213; GPN 202); vgl. ohne Suffix gall. Ex(s)obnus/-a, -omnus/-a (ebd.), mky. ehofyn u.a., nky. eo(f)n "fearless" (GPC 1225; vgl. 1185), mbret. eha(n)ffh u.a. "(?) hardi,..." (GIB2); s. WKS 26; LP 73, 262; Guyonvarc'h, Ogam 17 (1965) 144; vgl. Fleuriot, EC 20 (1983) 112 f. d) Es ist jedoch nicht zulässig, allein aus dem Umstand, daß ein präpositionales Rektionskompositum im Ir. als /-Stamm erscheint, schon auf einen zo-Stamm als unmittelbaren Vorläufer zu schließen, denn die ursprüngliche idg. Verteilung Bahuvrihi + Kompositionssuffix *-i- vs. Präpositionales Rektionskompositum + Kompositionssuffix *-io-/-iäkonnte durch die semantische Überschneidung dieser beiden Kompositionstypen (beide bilden mit subst. Hinterglied zunächst adj. Zusammensetzungen) bzw. von Bahuvrlhis und Ableitungskomposita schon früh verwischt werden: So kann nicht nur *-io-/-iä- auch an Bahuvrlhis angefügt werden (s. Ai. Gr. II 1,106,107; Lat. Gr. I 290 f.), sondern auch *-i- auf präpositionale Rektionskomposita übertragen werden, vgl. jav. avi-mi&r-i- "gegen Mi§ra sich wendend, N^rafeind" (Bartholomae 182); lat. ab-, ë-normis "der ab bzw. è norma ... ist", per-ennis "[das ganze Jahr hindurch] dauernd", u.a. (Lat. Gr. 1346). Entsprechend kann bei ursprünglichen präpositionalen
chiunn ergeben hätte, welches wegen seines neutral gefärbten -nn
kaum zum Fem. (vgl. auch nir. inchinn, f., nicht *incheann < *inchionn,
m.) hätte werden können; anzusetzen sind somit ir.
*eni-h*enn-ip- und brit. *en-kvenn-(i)io-, mit lautlicher Variation im Suffix und nach Sprachzweigen verschiedenen Varianten desselben Präfixes -, und die Bezeichnung des Gehirns als des "im Kopf' Befindlichen ist naheliegend genug, um im Kelt, und im Gr. unabhängig voneinander geprägt worden zu sein.
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Rektionskomposita, die im Ir. als /-Stämme auftreten 16 - z.B. airdirc "well-known, ..." (dercc "eye"; wörtlich "vor Augen"), díchéill "senseless" (cíall "sense, ..."; wörtlich "von Sinnen"; = ky. dibwyll, vgl. lat. dëmêns), imiithir "fit for sick-attendance" (DIL I 196, 58-62; zu othar "sickness, ...; ... sick-attendance";
u.a., s. Vendryes, RC 32 (1911) 476), énirt "without strength, ..." (nert "strength, ..."; zur Bildung vgl. oben es(s)amain) (vgl. auch die Sammlung von /-Stammbildungen, sowohl Bahuvrihis als auch präpositionale Rektionskomposita, bei Marstrander 1924, 47 f.) -, ohne außerirische Vergleichsformen nicht entschieden werden, ob als unmittelbare Vorstufe ein io-Stamm oder ein bereits analogisch gebildeter /-Stamm zugrunde liegt. § 5 Die Verteilung der hier auch für die Vorgeschichte des Altirischen angesetzten Varianten *-Cil· vs. *-Ci- wird sich ursprünglich nach dem Gesetz von Sievers und Edgerton (s. Collinge 1985, 159-74) gerichtet haben, sie ist jedoch in den hier besprochenen ir. Beispielen bereits verwischt, ebs. wie auch im Brit. (wo die Unterscheidung dieser Varianten unstrittig ist), vgl. z.B. ky. caredd < *kcuiiä- (s.o. § 1 c) oder trydydd "dritter" < *trtiio- mit -Cil· nach kurzer, andererseits bryn, m., "hill, ..." < ·brusnip- (LEIA B-105; vgl. L H E B 581, wo jedoch *-iä angesetzt wird), mit -Ci- nach langer Silbe, ferner, mit beiden Varianten in demselben Paradigma, bugeil < You-kOol-b-
16
vs. Pl. bugetydd
< You-k^ol-iñ
(s.o. §
Dem Komp.-Typ nach unklar sind die in VGKS II 12 angeführten gall, are-pennis (: penno- "Kopf; Ende") und ver-nemetis (: nemeto- "Heiligtum"): Arepennis (: ari-, ara-) "mesure de surface,..." (>Vfrz. arpent; Dottin 228) ist vielleicht als präpositionales Rektionskompositum zu deuten, vgl., jedoch mit anderen Bedd., air. airchenn "certain, fixed, definite, ... ; prominent, leading; leader, chief" und airchinn "narrow side of a rectangle, head, end" (beide < urspr. "am Kopf / an der Spitze / am Ende"?). Vernemetis wird übersetzt durch fanum ingens "gewaltig großes Heiligtum" (s. Dottin 298, 360) und ist von daher als Tatpurusa aufzufassen, bei dem ein /'-Stamm nicht motiviert wäre; es könnte im Kontext allerdings außer gall./lat. Nom. Sg. auch lat. Abi. PI. (eines o-Stamms) sein (ebd.; Holder III 218); vgl. zum o-Stamm die Belege für gall, vernemeto-/-ä- bei Holder III 218 f.
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1 c) (vgl. zur allmählichen Verwischung derselben Verteilung im Altindischen Ai. Gr. II 2, 779-81). Die (bei weitem häufigere) Variante -Cil· hat sich wie in den Handbüchern beschrieben (s.o. § 2 a.A. mit Literatur, s. hier besonders Greene) entwickelt, z.B. air. Nom.Sg. m. ail-e < *-eiah < *-üos, Gen. Sg. ail-i < *-/// < *-iiï. Dagegen führte -Ci- lediglich zur Palatalisierung des Konsonanten C, d.h. mit Apokope > -C", d.h., der Nom. und der Akk. Sg. fielen auf lautlichem Wege mit den entsprechenden Formen der /-Flexion zusammen, z.B. im Mask. air. cain < ursprünglichen *kanios, *kaniom wie flaith < *ulatis, *ulatim, ebs. im Fem. z.B. súil, falls < *süliä, *süliäm (s.o. § 3 a). Dieser Zusammenfall kann auf zwei zeitlichen Stufen erfolgt sein, nämlich entweder erst nach der Apokope, also im Archaischirischen, d.h. archir. *cain direkt < urir. *kaniah usw., mit nachfolgender Anpassung auch der übrigen Kasus an die /-Flexion, z.B. Gen. Sg. analogisch archir. *cano für lautges. *cain < urir. *kanü, oder schon vor der Apokope, also im Urir., d.h. urir. *kanih lautlich < *kaniah, und auch der Übergang des Restparadigmas in die /-Flexion hätte dann schon auf dieser Stufe vollzogen werden können, z.B. Gen. Sg. analogisch urir. *kanöh für ursprüngliches *kaniï. Die zweite Annahme ist dann notwendig, wenn die Deutung von Ogam DUCOVAROS, CIIC Nr.158, und QUNACANOS, Nr. 3, richtig ist, wonach diese als Hinterglieder die Vorläufer von air. coìr < *kom-uarìo- bzw. cain < *kanip- (s.o.) enthalten, denn in diesem Falle wäre hier bereits uririsches *-öh (oder früher *-ös) als Gen.-Endung von ursprünglichen io-Stämmen belegt.
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Bibliographie Hier nicht angeführte Abkürzungen (besonders für Zeitschriften und Ausgaben irischer Texte) finden sich in der Bibliographie linguistique (Utrecht / Bruxelles etc., 1939 -) und in DIL erklärt. Ai. Gr.: J. Wackernagel, Altindische Grammatik. I (Neudruck 1978): Introduction générale par L. Renou (1957), Lautlehre (1896), Nachträge von A. Debrunner (1957). II 1 (Neudruck 1985): Einleitung zur Wortlehre. Nominalkomposition (21957), Nachträge von A. Debrunner (1957). II 2 (Neudruck 1987): Die Nominalsuffixe von A. Debrunner (1954). III (Neudruck 1975): Nominalflexion - Zahlwort Pronomen von A. Debrunner und J. Wackernagel (1929 30). Register von R. Hauschild, Göttingen 1964 Bartholomae, C : Altiranisches Wörterbuch, Straßburg 1904, Berlin 21961 Bosworth, J./Toller, T. N.: An Anglo-Saxon dictionary, Oxford 1898, Supplement 1921 CGH: Corpus genealogiarum Hiberniae vol. 1. Ed. Μ. Α. O Brien, Dublin 1962, Nachdruck 1976 CGSH: Corpus genealogiarum sanctorum Hiberniae. Ed. Ρ. O Riain, Dublin 1985 CIIC: Corpus inscriptionum insularum Celticarum. 2 Bde. Ed. R. A. S. Macalister, Dublin 1945, 1949 Collinge, N. E., 1985: The laws of Indo-European, Amsterdam - Philadelphia Cowgill, W., 1966: Italic and Celtic superlatives and the dialects of Indo-European, in: Ancient Indo-European dialects. Ed. H. Birnbaum - J. Puhvel, Berkeley - Los Angeles, 113-53 de Bernardo Stempel, P., 1991: Sulla formazione delle parole nell antico comico, in: Studia linguistica amico et magistro oblata. Scritti di amici e allievi alla memoria di Enzo Evangelisti, Milano, 155-78 Debrunner, Α., 1917: Griechische Wortbildungslehre, Heidelberg DIL: Dictionary of the Irish language (und Contributions to a dictionary ...), Dublin 1913-75; compact edition 1983 Doc.2: M. Ventris - J. Chadwick, Documents in Mycenaean Greek, Cambridge 1956; second edition by J. Chadwick 1973.
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Keltische Suffixvarianten
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Jürgen Uhlich
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Arndt Wigger, Wuppertal
STAND UND AUFGABEN DER IRISCHEN DIALEKTOLOGIE 0. Für den engen Rahmen dieses Überblicks muß eine ganz pragmatische Abgrenzung des Arbeitsgebiets "irische Dialektologie" genügen, die etwa dem Selbstverständnis der auf diesem Gebiet Tätigen entspricht: danach handelt es sich um die Erforschung sog. autochthoner, vor allem aber areal charakterisierter Varietäten des gesprochenen modernen Irischen, wobei eine primär geographische Abgrenzung zum Schottisch-Gälischen vorausgesetzt wird. Allerdings hat der schwache Realisierungsgrad einer homogenen modernen Schrift- bzw. Standardsprache zur Folge, daß der überwiegende (auch schriftliche) Gebrauch des Irischen heute sehr viel mit der ursprünglichen arealen Differenzierung zu tun hat; demnach sind Beiträge zur Erforschung des modernen Irischen überhaupt teilweise inhaltsgleich mit dialektologischen Untersuchungen. - In einem erweiterten Sinn, u.a. vermittelt über eine historisch oder soziologisch orientierte Sprachkontaktforschung, könnte man die ziemlich vernachlässigte Erforschung des Hiberno-Englischen einer "irischen Dialektologie" zuschlagen; auf dieses Forschungsgebiet werde ich hier jedoch nicht eingehen. 1. Auch wenn Quellen wie Neilsons Introduction to the Irish Language (1808: Co.Down) keinen geringen Wert haben für die Rekonstruktion der arealen Differenzierung des Irischen im 18. und 19. Jahrhundert, so können sie doch nicht als Bestandteile eines wissenschaftlichen Bemühens um diesen Gegenstand gelten. Erst mit der Spracherneuerungsbewegung um die letzte Jahrhundertwende hat sich neben der bereits damals etablierten historisch-philologischen Keltistik allmählich auch eine synchronisch orientierte irische Dialektforschung entwickelt. Dieser Forschungsbereich hat sich aber bis heute nicht zu einer gleichberechtigten und ebenso intensiv betriebenen Teildisziplin entwickelt. Neben sprachpolitischen und pädagogischen Motiven hat in diesem Bereich von Anfang an die Besorgnis um diese in ihrer Existenz (oder auch in
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ihrer "Reinheit") bedrohten Idiome das Interesse geleitet. Daher sind viele Bemühungen eher archivarischer Natur gewesen und haben sich weniger auf die Sprach(sub)systeme als ganze bezogen als vielmehr auf folkloristisch interessante Texte oder auf lexikalische Besonderheiten. Eine umfassende systematische Dialektologie ließ sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr als empirische Wissenschaft entwickeln, da die Sprache in weiten Landesteilen schon während des 18. und 19. Jahrhunderts außer Gebrauch geraten war und hier nur sehr bruchstückhaft und unzuverlässig dokumentiert war. Die erste ausführliche empirische Studie, d.h. systematische Analyse eines Ortsdialekts ist die Arbeit von F.N.Finck 1899 (Aran), die bis heute nicht durch modernere oder auf neuen und breiteren Daten beruhende Darstellungen überlagert worden ist. Dieser Arbeit folgten in längeren Abständen (und offenbar nicht ohne Bezug auf Finck) ähnliche Beiträge von Quiggin 1906 (Donegal), Sommerfeit 1922 (Donegal) sowie Sjcestedt(-Jonval) 1931 und 1938 (Kerry). Verstärkt sind jedoch erst nach Ende der Freistaat-Ara derartige monographische Studien in Angriff genommen worden, wobei die eben erwähnten Vorläufer zweifellos auch als Vorbilder gedient haben. Diese Arbeiten lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen: (1) die einheitlich konzipierten monographischen Darstellungen einzelner Dialektgebiete in Munster und Connacht, die seit den 40er Jahren vom Dublin Institute for Advanced Studies herausgegeben wurden. Hier lag der Schwerpunkt auf der Darstellung des Lautsystems auf der Grundlage der Jonesschen Phonemtheorie. Bei allen Beschränkungen, die mit dieser Einengung des Gegenstandes ebenso wie mit diesem Beschreibungskonzept verbunden sind - es sind eben keine Dialektgrammatiken bzw. -lexika - ist der Informationswert dieser Monographien zumindest insofern sehr hoch, als für alle darin erfaßten Dialektgebiete (Ring, Muskeriy; Cois Fhairrge, Tourmakeady, Erris) bis heute überhaupt keine anderen Beschreibungen vorliegen. Eine umfangreiche Beschreibung der Morphologie enthält lediglich der Zusatzband von de Bhaldraithe 1953 (Cois Fhairrge), in geringerem Umfang auch Mhac an Fhailigh (Erris). Etwas breiter angelegt
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und damit informativer als einige ältere Bände dieser Serie ist die Arbeit von de Búrca (Tourmakeady), die auch kurz auf silbenstrukturelle und prosodische Eigenschaften des Dialekts eingeht. (2) In den 50er Jahren führte Wagner seine umfangreichen Feldforschungen in sämtlichen irischen Dialektregionen durch, einschließlich einiger kleinerer Reliktgebiete. Die Ergebnisse sind im vierbändigen Linguistic Atlas and Survey of Irish Dialects (LASID) zusammengefaßt und stellen eine erhebliche Verbreiterung der empirischen Daten zur dialektalen Differenzierung des Irischen dar. Die Angaben sind hauptsächlich aufgrund onomasiologischer, z.T. aber auch nach grammatisch-strukturellen Vorüberlegungen strategisch ausgewählt und decken das gesamte damalige Sprachgebiet ab, wenn man von feineren Differenzierungen innerhalb der Dialektgebiete absieht. Problematisch erscheint allerdings die lokale Verallgemeinerbarkeit der phonetischen, morphologischen und lexikalischen Realisationen, die jeweils für einen Atlaspunkt angegeben werden, denn die Angaben beruhen jeweils nur auf wenigen Idiolekten, so daß soziale und situative Variation weitgehend ausgeschlossen sind. Überdies entstammen die Daten einer künstlichen Erhebungssituation (aufgrund der Fragebogentechnik) und sind unmittelbar nach Gehör transkribiert; die Notationsweise läßt sich als weite phonetische Transkription bezeichnen. (3) Weitere Monographien zu einzelnen nördlichen Lokaldialekten des Irischen (Donegal und Mayo) sind - abgesehen von Wagners Beschreibung der Mundart von Teileann - erst in neuerer Zeit im Umfeld des Institute for Irish Studies an der Queen's University Belfast entstanden (Hamilton, Lucas, Stockman). Diese Beiträge sind - anders als die DIAS-Serie (1) - ganz heterogen hinsichtlich ihrer Schwerpunkte: z.T. dominiert die Dokumentation phonetisch transkribierter Texte, z.T. die morphologische Inventarisierung. In diesen Arbeiten wurde - ebenso wie im oben erwähnten LASID - durchweg ein größeres Maß an phonetischem Realismus angestrebt, was allerdings zu Lasten der theoretisch-phonologischen Fundierung bzw. Analyse geht.
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Im Hinblick auf die reine Dokumentation irischer Dialekte müssen schließlich noch verschiedenartige Textsammlungen erwähnt werden, die in unterschiedlichem Aufbereitungsgrad und -Stil in sämtlichen im 20. Jh. zugänglichen Dialektgebieten zusammengetragen wurden. Hier liegen die Motive hauptsächlich im folkloristischen Bereich, was sich am Charakter dieser Texte ebenso zeigt wie an der literarisierenden Transkriptionsweise. Publiziert wurden solche Texte v.a. in der Zeitschrift Béaloideas, darüberhinaus auch in Sammlungen zu einzelnen Erzählerpersönlichkeiten oder zu engumgrenzten Regionen, so z.B. die Sammlungen von Mac Giollarnáth und Mac Coisdelbhaigh (aus Conamara) oder die Texte von Seán O Conaill (aus Kerry). Naturgemäß haben derartige Materialien nur begrenzte Aussagekraft für linguistische Interessen, zumindest soweit es um phonetisch-phonologische und z.T. auch morphologische Information geht. - Die Sammlung von Alltagsdialogen aus Conamara (aus dem 1964 von H. Hartmann initiierten Hamburger Projekt), deren Edition jetzt wiederaufgenommen wird, gehört ebenfalls in diesen Zusammenhang. Allerdings handelt es sich hier eben nicht um Texte aus der traditionellen Erzählkultur, und der große Umfang des Materials eröffnet weitergehende Perspektiven als dies bei anderen dialektalen Textpublikationen der Fall ist. Die lexikographische Erfassung des gesprochenen Irischen, soweit nicht in den für den Schriftgebrauch konzipierten allgemeinen Wörterbüchern von Dinneen, de Bhaldraithe und O Dónaill enthalten, ist Gegenstand einer langjährigen Arbeitsstelle am University College Dublin bzw. Royal Irish Academy, deren bisherige Ergebnisse nicht allgemein zugänglich sind. Publiziert liegen dagegen - neben den in den Monographien und im LASID enthaltenen Materialien - einzelne Lokal- oder Regionalglossare vor (wie z.B. für die Galway-Dialekte O Máille (Ros Mue) und de Bhaldraithe 1985; oder für West Cork: Breatnach (Baile Bhúirne). Thematische Darstellungen des dialektalen Wortschatzes finden sich sporadisch, wie etwa O Siadhails Studie zur Hausbauterminologie von Inis Meáin; ein größerer Entwurf in dieser Art ist O Mailles terminologisch sehr ergiebige Darstellung ländlicher Lebens- und Ausdrucksformen.
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Als Zwischenbilanz zum bisher skizzierten Profil der irischen Dialektologie läßt sich festhalten, daß für eine große Zahl phonologischer und morphologischer Gegebenheiten aus sämtlichen dialektalen Reliktgebieten des 20. Jahrhunderts zumindest ein grobes Raster vorgegeben ist - mit der großen Einschränkung, daß Fragen der Phonotaxe bzw. Silbenstruktur nur am Rande berücksichtigt wurden und daß suprasegmentale Eigenschaften (mit Ausnahme des Wortakzents) fast vollständig vernachlässigt wurden. Zur Syntax irischer Dialekte liegen, abgesehen von Hartmanns inhaltsbezogenen Deutungen grammatischer Kategorien anhand dialektalen Materials, nur zwei größere Arbeiten zu Donegal vor (O Searcaigh 1939, O Muirí 1982). Inwieweit an diesem relativen Mangel das Vorurteil von der syntaktischen Gleichförmigkeit des Irischen schuld ist oder eher das Fehlen geeigneter Beschreibungsformate, bleibt dahingestellt. In diesem Zusammenhang müssen allerdings neuere syntaktische Analysen mit eher zufälliger einzeldialektaler Orientierung wie die von McCloskey (überw. Donegal) sowie Stenson (Einzelinformanten aus Conamara) erwähnt werden. Während McCloskey seine Arbeit im theoretischen Rahmen einer Montague-Grammatik formuliert und die Analyse vorrangig allgemeinen modelltheoretischen Zielen verpflichtet ist, geht Stenson nach den Prinzipien der generativen Transformationsgrammatik (erweiterte Standardtheorie) vor; ihr Interesse besteht in der Anwendung dieses universalistischen Syntaxmodells auf eine syntaktischtypologisch von den meisten bisher analysierten abweichende Sprache. Hinsichtlich der behandelten Gegenstände überschneiden sich beide Arbeiten in größeren Teilen (Komplemente und -sätze, cleft sentences). McCloskey, der sich im übrigen auf Daten aus Donegal bezieht, setzt seinen Schwerpunkt bei Relativsätzen und Fragesätzen, da sich hier die ihn interessierenden theoretischen Fragen am deutlichsten stellen; Stenson bietet neue Ansichten zur häufig diskutierten Kopula sowie zum Passiv. Ihr Buch bietet darüberhinaus einen brauchbaren Überblick über die Syntax, z.T. auch die Morpho(phono)logie des Irischen (Conamara-Dialekt). Trotz der Vielseitigkeit der bearbeiteten Bereiche verstehen sich beide
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Arbeiten als ausschnitthafte und eher theoretisch motivierte Monographien. Einen breiten Überblick, verbunden mit dem Anspruch, die dialektale Differenzierung an entscheidenden Punkten zu erfassen, hat O Siadhail 1989 vorgelegt. Neben den oben erwähnten Abschnitten zur Phonologie und Morphologie liegt hiermit der erste Versuch einer vergleichenden Syntax der irischen Dialekte vor. Die Beschreibung ist eher traditionell ausgerichtet und bemüht sich mehr um nachvollziehbare Faktenpräsentation als um die Herausarbeitung grammatiktheoretischer Fragestellungen. O Siadhail verarbeitet eine Fülle auch neuen Materials und bietet zahlreiche neue Einsichten. Viele Detailfragen bleiben dennoch offen und sind weiteren Bemühungen um die Erforschung der irischen Grammatik vorbehalten. Aber auch einige grundlegende Bereiche der irischen Syntax sind bisher so gut wie unbearbeitet geblieben. So ist etwa die gesamte Frage der Verbvalenz noch offen, und das Aspektsystem ist allenfalls in Grundzügen herausgearbeitet worden. 2. Hinsichtlich der arealen Gesamtdifferenzierung besteht ein weitgehender Konsens hinsichtlich der Hauptmerkmale und des groben (stark interpolierten) Verlaufs der damit assoziierten Isoglossen (gespannte Konsonanten und ihr Verhältnis zu Vokallängen; Halbvokale; Wortakzent; phonetische Realisierung der palatalisierten Konsonanten; Anteil und Funktion synthetischer Verb-Endungen). Obwohl diese Dinge nie im Detail ausgearbeitet wurden - ein "Merkmalatlas" fehlt - lassen sich bei weitgehender Abstraktion grundlegende Nord-Süd-Kontraste konstruieren (mit Übergangsbereichen wie Clare, Aran, Süd-Conamara). In diesem Bereich, d.h. im Hinblick auf die Genese und Wandlung der dialektalen Differenzierung des Irischen, bleiben noch zahllose Fragen offen, die (wenn überhaupt) nur in der Zusammenarbeit von Philologen, Historikern und strukturellen Dialektologen einer Klärung nähergebracht werden können. Eine erste zusammenhängende Darstellung hat O'Rahilly 1932 veröffentlicht, gewissermaßen eine skizzierte historische Rekonstruktion des dialektalen Gesamtzusammenhangs, in die
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naturgemäß nur wenige deskriptive Details eingehen konnten, aber dennoch seither mit einigem Recht als Standardwerk rezipiert wurde. - Eine vergleichend-dialektologische Auswertung eines großen Teils der oben aufgeführten Quellen habe ich in Zusammenarbeit mit Μ. O Siadhail 1975 vorgelegt, um die disparaten Einzeldaten zur Phonologie und Morphologie des gesprochenen Irischen in einen auch theoretisch ausgewiesenen systematischen Zusammenhang zu bringen. Im Unterschied zu dem Buch von O'Rahilly ist diese Untersuchung nicht historisch gefaßt und folgt einem konsistenten und relativ rigiden Modell (dem klassisch-generativen, entsprechend dem Entwicklungsstand der Theorie in jenen Jahren). Die wichtigsten Ergebnisse unserer gemeinsamen Arbeit hat O Siadhail (diesmal in englischer Sprache) als 1. und 2. Kapitel seiner 1989 erschienenen dialektübergreifenden Grammatik neu vorgelegt; eine Überarbeitung im Lichte neuerer Entwicklungen der Phonologie steht aus. Eine weitere nicht-monographische Untersuchung, die eine Orientierung über die Dialekte der Provinz Ulster bietet, hat O Dochartaigh 1987 vorgelegt. Die Arbeit bezieht sich auf segmentalphonologische Kriterien und konstruiert aus den Daten des Atlas (LASID) sowie anderen Quellen eine rationale Systematik der ausgewählten Variablen. Einige Fragestellungen und methodische Ansätze dieser Arbeit könnten mit Gewinn auch auf andere Dialektregionen angewendet werden. Die seit einigen Jahren neu in Bewegung gekommene Diskussion über die phonologischen Grundlagen der irischen Standardsprache hat sich - z.T. in Anlehnung an strukturalistische Konzepte der vergleichenden Dialektologie - auf ein Reformkonzept zubewegt, das auf der Basis eines Vergleichs der drei Hauptdialektgruppen einen Kompromiß anstrebt (lárchanúint). Eine Beurteilung aus linguistischer wie aus sprachpolitischer Sicht muß an dieser Stelle unterbleiben. 3. Diese Forschungsergebnisse lassen sich in ihrer Mehrheit der klassischen Methodologie der europäischen Dialektologie zuordnen, die sich Ende des 19. Jahrhunderts herausgebildet und später teilweise strukturalistischen Prinzipien ange-
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nähert hat. Die jüngere Entwicklung dieser Disziplin (besonders in Anwendung auf die großen europäischen Nationalsprachen) ist in erster Linie durch die Aufnahme soziolinguistischer Impulse gekennzeichnet. Dies bedeutet, daß nicht mehr die bloße Inventarisierung bzw. Systematisierung von Laut-, Formen- und Wortbeständen von mehr oder weniger idealisierten Ortsmundarten oder Idiolekten Gegenstand von Untersuchungen war, sondern daß die soziale und situative Differenziertheit der gesprochenen Sprache überhaupt die Forschungsansätze bestimmte oder zumindest beeinflußte. Damit verlor das Kriterium der "Reinheit", das vorher im Rahmen einer historisch oder kulturkritisch-nostalgisch orientierten Mundartforschung eine führende Rolle gespielt hatte, jegliche Bedeutung, zugunsten eines soziologisch orientierten Empirismus. Auch begannen sich rigidere Formen von Wissenschaftlichkeit durchzusetzen, zum einen durch die direkte Übernahme soziologischer Kategorien (meist in Form von mehr oder weniger differenzierten Schichtenmodellen) als Korrelat zur vorgefundenen und beschriebenen linguistischen Variation, zum anderen durch die Anwendung strukturalistischer oder generativer Modelle für die Ordnung der linguistischen Daten selbst. Am deutlichsten ausgeprägt sind diese beiden Züge im Modell der Varietätengrammatik nach Labov, das jedoch aufgrund seiner engen Bindung an die klassische generative Grammatik und des damit verbundenen mentalistischen Regelbegriffs die Dialektologie nicht in dem zu erwartenden Umfang beeinflußt hat. In die Keltistik sind diese Entwicklungen bisher so gut wie überhaupt nicht eingedrungen; soziolinguistische Fragestellungen betreffen hier allenfalls die Minderheitensituation der heutigen keltischen Sprachen in demographischer und sprachpolitischer Hinsicht. Die Frage nach einer soziologisch interpretierbaren Binnendifferenzierung keltischer Dialekte ist noch nicht ernsthaft gestellt bzw. empirisch untersucht worden. Die Dialekte erscheinen als im Prinzip homogene Gebilde mit einer gewissen idiolektalen Toleranz, wobei sich allenfalls verschiedene Altersgruppen als Repräsentanten mehr oder weniger großer "Reinheit" bzw. unterschiedlicher Grade des "Verfalls" abheben. Offensichtlich steht aber der z.B. in
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Westirland zu beobachtende Sprachwandel nur in einem indirekten Verhältnis zu dem sich vollziehenden Sprachwechsel (zum Englischen), d.h. die gesprochene Sprache weist auch dort markante Variation auf, wo sie noch als vitale regionale Umgangssprache fungiert. Es liegt allerdings auf der Hand, daß für eine nicht bloß impressionistische Erfassung dieser Gegebenheiten größere Datenmengen erforderlich sind als sie die bisherige Dialektforschung zu handhaben imstande war. Nur so ist es möglich, die relevanten linguistischen Variablen genauer zu erfassen und zumindest probeweise einigen nichtsprachlichen Größen zuzuordnen; zumindest die areale Feindifferenzierung des Sprachgebietes, die ja noch nicht ausgearbeitet wurde, kann so erfaßt werden. Als untersuchenswerte Größen bieten sich z.B. für das Galway-Irische - beim gegenwärtigen Kenntnisstand - etwa folgende an: (a) Phonematische Gliederung des Subsystems der Liquiden und Nasale; (b) Distribution und Realisierungsgrad von nicht-initialem
/V; (c)
Relexikalisierung von Vokallänge bei einigen Verbtypen (e.g. / m ' i L ' a N / vs. / m ' i : L ' a N / ) ; (d) Differenzierung des synthetischen Verbparadigmas (z.B. Präteritum: /v'irdar/ vs. /v'i: s'iad/); (e) Weiterhin ist zu prüfen, inwieweit syntaktische Eigenschaften zur Ausgrenzung von Subdialekten herangezogen werden können. Zu denken wäre hierbei etwa an das System und die Verwendung von Aspektperiphrasen, ferner auch an Grenzbereiche zwischen verbum substantivum und Kopula. Als Anmerkung sei noch hinzugefügt, daß wir so gut wie nichts wissen über medien- und institutionsspezifische Formen des Irischen sowie über Lernervarietäten, ebenso über Emigrantendialekte; "Irisch außerhalb der Gaeltacht" ist ein nahezu unberührtes Forschungsgebiet. 4. Man sollte nicht über irische (oder überhaupt keltische) Dialekte und ihre Erforschung reden, ohne den Aspekt der Zweisprachigkeit zumindest zu erwähnen. Generell ist zu sagen, daß die Perspektiven der empirischen Bilingualismus-
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forschung auf diese seit langer Zeit bilinguale Sprachgemeinschaft noch kaum angewendet worden sind, weder in soziolinguistischer noch in psycholinguistischer Hinsicht, ebenso wie die substantiellen Folgen des anhaltenden Sprachkontaktes einer ausführlichen Wertung bedürfen (dies betrifft natürlich analoge Interessen in der Anglistik in gleicher Weise; für Kontaktphänomene in Schottland bietet die Untersuchung von Sabban wertvolle Daten und Analysen). Zwar ist allen sprachpolitisch mit dieser Region befaßten Personen und Institutionen klar, daß die verschiedenen Förderungskonzepte solcher Informationen bedürfen, wie sie aus empirischen Untersuchungen zur Verteilung, Gewichtung, Verarbeitung und Entwicklung der Mehrsprachigkeit hervorgehen würden. Immerhin liegt seit 1975 eine soziologisch ausgewiesene Erhebung zu Spracheinstellungen in Irland vor (Committee ...), die die nachfolgende sprachpolitische Diskussion und Planung deutlich beeinflußt hat. Eine Mikroanalyse der Alltagskommunikation in der Gaeltacht ist noch nicht durchgeführt worden, abgesehen von einer Initiative von S. Ureland (Mannheim) bez. der Sprache von Schulkindern in Cois Fhairrge (m.W. noch nicht beendet bzw. veröffentlicht), sowie von den Befragungen und Beobachtungen, die der englische Soziologe R. Hindley seinem vielbeachteten Buch "The Death of the Irish Language" (1990) zugrundegelegt hat. Wichtige Vorarbeiten liegen mit den Studien von O Murchú und O Riagáin vor; von einer Anwendung weltweit gültiger und praktizierter Methoden der empirischen Bilingualismusforschung auf die irische Situation kann damit aber noch nicht die Rede sein. Neben der präzisen Erfassung der sprachlichen Variation wären in diesem Zusammenhang die Faktoren Migration bzw. Mobilität, Medienkonsum, Tourismus sowie Schulbildung zu berücksichtigen. 5. Seit den sechziger Jahren hat das Interesse an der Erforschung gesprochener Sprache deutlich zugenommen und sich - im Vergleich mit der Dialektologie etwa - völlig neuen Fragestellungen und Methoden zugewandt. Vorrangig wurde nun vor allem die Beschreibung und Analyse sprachlicher Interaktion, d.h. Dialogforschung betrieben, wobei wichtige Impul-
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se aus der Forschungsrichtung der nordamerikanischen "Ethnomethodologie" (Hymes, Gumperz u.a.) sowie aus der sich gleichzeitig entfaltenden linguistischen Pragmatik kamen. Die vorherrschende Arbeitsmethode ist strikt empiristisch in der Weise, daß Tonaufzeichnungen bzw. Transkriptionen realer Gesprächsabläufe die Grundlage für die Entfaltung deskriptiver und analytischer Kategorien darstellen. Untersucht werden Formen des Sprecherwechsels, thematische Verläufe und funktionale oder "stilistische" Merkmale unterschiedlicher Art; die situativ-soziale Einbettung von Dialogen wird ebenso gründlich berücksichtigt wie ihre phonetisch-prosodische Ausgestaltung. Abgesehen von einzelnen Vorarbeiten zu andèren, z.T. auch außereuropäischen Sprachen und Kulturen ist bei den vorliegenden konversationsanalytischen Untersuchungen ein deutliches Übergewicht weniger moderner europäischer Nationalsprachen wie v.a. Englisch und Deutsch festzustellen. Nur wenige Forscher auf diesem Gebiet haben sich überhaupt ländlich-traditionalen Gesellschaften zugewandt. Zum Irischen bzw. anderen keltischen Sprachen sind mir keinerlei konversationsanalytische Arbeiten oder Forschungsvorhaben bekannt. Vorläufige Beobachtungen des Redeverhaltens in Westirland bzw. anhand vorliegender Materialien lassen aber bereits in Umrissen erkennen, daß hier im Hinblick auf Konventionen des turn-taking und der thematischen Progression sowie auf Argumentationsstile von bekannten mitteleuropäischen Mustern abweichende Eigenheiten gegeben sind. Mit Bezug auf europäische Schriftsprachen sind in letzter Zeit verstärkt die syntaktischen Eigenschaften gesprochener Sprache ins Blickfeld gekommen (eine Nebenlinie z.B. der deutschen Mundartforschung wiederaufnehmend). Inwieweit sich die hier gesammelten Befunde verallgemeinern und etwa durch Daten zum gesprochenen Irischen sinnvoll ergänzen lassen, ist unklar; hierbei ist auch zu bedenken, daß das Irische in neuerer Zeit nicht in einem Spannungsverhältnis mündlich / schriftlich (bzw. real existierende Standardsprache vs. Umgangssprache) existiert, das sonst für die "großen" europäischen Sprachen kennzeichnend ist.
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6. Im Sinne eines interdisziplinären Ausblicks möchte ich daran erinnern, daß sich seit langem außer Keltologie bzw. Linguistik auch verschiedene benachbarte Wissenschaftszweige wie Sozialgeschichte und Ethnologie mit den gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnissen der westirischen Peripherie befaßt haben. So sind seit der letzten Jahrhundertwende angesichts der fortschreitenden Zerstörung dieser Reliktkultur intensive Bemühungen zur dokumentarischen Erfassung, teilweise auch zur Publikation und wissenschaftlichen Einordnung oraler Literatur zu verzeichnen. Auch sind verschiedene Aspekte des Brauchtums und der materiellen Kultur nach Methoden der Volkskunde erfaßt und beschrieben worden, die zum größten Teil heute nicht mehr lebendig sind. Die Musikkultur - von allen Komponenten der tradierten regionalen Lebenswelt bis heute die vitalste - ist zwar reichhaltig dokumentiert, aber in weit geringerem Umfang wissenschaftlich bearbeitet worden. Abgesehen von z.T. auch älteren Reiseberichten und allgemeineren Darstellungen sind auch einige Detailstudien zu verschiedenen Bereichen der politischen, Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte von Westirland erarbeitet worden. Mit dem Buch von O Conghaile 1988 liegt speziell für die Region Conamara (einschließlich Cois Fhairrge) sowie die Aran-Inseln, d.h. praktisch die gesamte Gaeltacht von Co. Galway, ein erster Überblick zur Sozialgeschichte der letzten 100 Jahre vor. - Daß die irische Dialektologie in intensiverer und breiterer Form wichtige Beiträge auch zu Fragestellungen liefern kann, die solchen nicht-linguistischen Wissenschaftszweigen zueigen sind, bedarf wohl keines aufwendigen Beweises. Sie hat mehr zu leisten als lediglich eine nahezu obsolete Sprache zu archivieren.
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Stefan Zimmer, Berlin
DAS PROJEKT EINES KELTISCHEN NAMENBUCHES Vor knapp 10 Jahren fand in Bonn eine von der UNESCO getragene Konferenz statt, die der Vorbereitung eines großen enzyklopädischen Sammelwerkes über Geschichte und Kultur der Kelten gewidmet war.1 Professor Schmidt erwähnte in seinem Eröffnungsvortrag die Namenforschung nur am Rande: "Questions of comparative linguistics, 'languages in contact' and onomastics must be included in this section." (S. 22). Sein Schlußsatz "The preparation of this encyclopaedia will take about 8-10 years." (S. 23) ist leider bis auf den heutigen Tag Programm geblieben. Über die Notwendigkeit eines keltischen Namenbuches besteht, beinahe ein Jahrhundert nach Alfred Holders bahnbrechendem Alt-Celtischem Sprachschatz (3 Bände, Leipzig 1896-1907), durchaus Einmütigkeit. 2 Was ich hier zur Diskussion stellen möchte, ist Ausrichtung, Umfang und Anlage eines Projekts, das auch unter günstigen Bedingungen einen wesentlich größeren Zeitraum als die genannten 8-10 Jahre in Anspruch nehmen dürfte. Zunächst ein Überblick über Material und Vorarbeiten: I. Festlandkeltisch 1. Gallisch: Der reiche Bestand an gallischen Personennamen, die uns antike Schriftsteller und epigraphische sowie numismatische Zeugnisse überliefern, ist in den den Standardwerken von Karl Horst Schmidt und Dafydd Ellis Evans vorbild-
1 Siehe die Akten: Geschichte und Kultur der Kelten. Vorbereitungskonferenz 25.-28.10.82 in Bonn. Vorträge, hrg. v. K.H. Schmidt u.M.v. R. Ködderitzsch, Heidelberg, Winter 1986. Vgl. dazu Kratylos 33.1988.113-117. 2 Vgl. auch D.E. Evans, BBCS 25/4 (1972), 417.
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Namenbuch-Projekt
lieh erschlossen.3 Für ein Onomastikon wären die Namen allerdings, ggf. um Neufunde vermehrt, anders anzuordnen. Neu zu bearbeiten bleiben die geographischen Namen: Orts-, Fluß-, Berg- und Ländernamen. Bei den Flußnamen kann teilweise auf Arbeiten von Hans Krähe und seinen Schülern zurückgegriffen werden. 2. Keltiberisch: Die Interpretation der Bronze von Botorrita, um nur die bedeutendste der Inschriften zu nennen, steht noch mitten in der durch Beiträge zahlreicher Gelehrter (zuletzt v.a. Joseph Eska4 und Heiner Eichner5) neu angefachten Diskussion.6 Die Unterscheidung zwischen Personen- und Ortsnamen, zwischen Theonym und Anthroponym, ganz zu schweigen von der etymologischen Bedeutung, ist zur Zeit als vorläufig anzusehen. Der entsprechende Teil des Namenbuches sollte späteren Jahren vorbehalten werden. 3. Sonstiges Festlandkeltisch: Das spärliche Originalmaterial wird in geringem Maße laufend durch Neufunde ergänzt. Einige Orts-, Fluß- und Bergnamen sind aus späteren Namenformen erschließbar; ebenso wie bei Münzlegenden beruht die Zuweisung zum Keltischen oftmals auf nichtlinguistischen Kriterien. Der entsprechende Faszikel sollte in enger Zusammenarbeit mit Archäologen erstellt werden. - Es bleiben
3 K.H. Schmidt, Die Komposition in gallischen Personennamen, ZCP 26.1957.33-301 (auch als Separatdruck erschienen); D.E. Evans, Gaulish Personal Names, Oxford 1967. Damit ist C.W. Glück, Die bei C.I. Caesar vorkommenden keltischen Namen..., München 1857, weitgehend überholt. 4 Toward an interpretation of the Hispano-Celtic inscription of Botorrita (= Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft 59), Innsbruck 1989. 5 Damals und heute: Probleme der Erschließung des Altkeltischen zu Zeußens Zeit und in der Gegenwart, in: Erlanger Gedenkfeier für Johann Kaspar Zeuß, hrg. v. B. Forssmann (= Erlanger Forschungen, Reihe A, Bd. 49), Erlangen 1990, 9-56. 6 Vgl. die reichhaltige Bibliographie von A. Tovar in der in Anm. 1 genannten Publikation S. 97-101. W. Meid hat eine Studie in Aussicht gestellt.
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4. Sonstige altkeltische Namen: Nebenüberlieferung in Nachbarsprachen, keltoide Namen bei Nachbarvölkern, strittige Fälle, durch Rekonstruktion aus modernen Namen zu erschließende geographische Namen usw. - ein offenes, schwer abzugrenzendes Feld. Die Trennung von Original-Uberlieferung und Nebenüberlieferung sollte m.E. für jede Sprache neu erwogen werden: für das Festlandkeltische scheint sie nicht sinnvoll, da der weitaus überwiegende Teil der Belege der Nebenüberlieferung zuzuordnen wäre und die wenigen original überlieferten Namen gar nicht ohne Bezug auf den in lateinischen Quellen überlieferten Namenschatz zu interpretieren sind. Es kommt hinzu, daß z.B. im Falle von verkürzten Münzaufschriften die Frage nach Original- oder Nebenüberlieferung im Einzelfall unbeantwortbar sein kann. Sinnvoller scheint mir eine Unterscheidung zwischen belegten und (aus modernen, nichtkeltischen Namen) erschlossenen Namen zu sein, die v.a. bei den geographischen Namen wichtige Aufschlüsse geben mag. II. Inselkeltisch A. Gälisch Die Namen der Ogam-Inschriften, gewöhnlich als uririsch bezeichnet, könnten als voreinzelsprachliches Gälisch aus der geographisch benannten Gruppe der drei gälischen Sprachen herausgenommen werden, zumal ja auch Ogaminschriften aus Britannien bekannt sind. Das Studium der Ogam-Inschriften hat in jüngster Zeit neue Impulse erhalten, v.a. durch verbesserte Lesungen aufgrund neuartiger Abklatsche (Damian McManus); ob eine angekündigte Neuausgabe7 zustande kommt, bleibt einstweilen abzuwarten. 1. Irisch: Es gibt außer Hogans Onomasticon Goedelicum Locorum et Tribuum Hiberniae et Scotiae von 1910 bislang keinerlei spezielle Sammlungen von Namen. Die Bearbeitung
7
Vgl. J. Gippert, Präliminarien zu einer Neuausgabe der Ogaminschriften, in: Britain 400-600: Language and History, ed. by. Α. Bammesberger & Α. Wollmann, Heidelberg 1990, 291-304.
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ist sinnvollerweise nach chronologisch und thematisch geordneten Textgruppen vorzunehmen: Inschriften, Glossen, Heiligenviten, Genealogien, Heldensagen usw. Eine Fortführung bis in die Gegenwart ist notwendig; sie könnte vielfältigen soziolinguistischen Untersuchungen den Boden bereiten. Bei 2. Schottisch und 3. Manx verhält es sich ebenso; der geringere Umfang des Materials wird erlauben, bei den Namen von Man auf eine feinere Untergliederung zu verzichten. B. Britannisch: Hier gibt es bereits ein voreinzelsprachliches Corpus, nämlich die sog. altbritischen Namen, die bei antiken Schriftstellern überliefert bzw. in frühen Inschriften bezeugt sind. Der Übergang zum Altkymrischen ist fließend; ich komme auf den Punkt zurück. Die wenigen piktischen Namen werden dzt. neu bearbeitet (Ph.D.-diss.-Projekt von K. Forsythe, Havard) und könnten anhangsweise behandelt werden. 1. Kymrisch: Die untere Grenze des Altkymrischen ist nicht ohne weiteres abzugrenzen (vgl. John Kochs Definition von "Archaic Neo-Brittonic"); auf Einzelheiten komme ich im Anschluß an den Überblick zu sprechen. Als obere Grenze bietet sich jedenfalls das Ende des 11. Jh. an, so daß die Namen aus dem Buch von Llandaf noch eingeschlossen sind. Für die mittelkymrische Periode kann auf vorliegende Textausgaben zurückgegriffen werden; daneben müssen weitgehend ungedruckte Archivmaterialien sowie die sonstige Nebenüberlieferung in lateinischer, französischer und englischer Sprache berücksichtigt werden. Ahnliches gilt für die moderne Sprache: hier wird eine Auswahl aus der Fülle des Materials notwendig sein, die neben literarischen Gesichtspunkten auch dialektgeographischen und historisch-soziologischen Aspekten Rechnung tragen sollte.
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2. Bretonisch: die bei Fleuriot8 verzeichneten altbretonischen Quellen (Heiligenviten, Urkunden, Register, Glossen) müssen erschöpfend behandelt werden; neben den mittelbretonischen Literaturdenkmälern, die durchweg in brauchbaren Ausgaben vorliegen, sind nichtliterarische Materialien (v.a. Kirchenbücher) wichtig. Die neubretonische Namenwelt müßte vermutlich zum größten Teil erst vor Ort gesammelt werden;' die Mikrotoponymie ist vielleicht schon weitgehend unwiederbringlich verloren. 3. Kornisch: Oliver Padel hat die Ortsnamen in vorbildlicher Weise behandelt;10 die wenigen Personennamen und sonstigen geographischen Namen sind den spärlichen Texten und v.a. der Nebenüberlieferung zu entnehmen. Diese im Ganzen sicher noch recht unausgewogene Übersicht hat bereits eine Reihe von Punkten erwähnt, die den Umfang und die Anlage des geplanten Unternehmens betreffen. Planungsvorgaben sollten stets "so streng wie nötig, und so locker wie möglich" sein, um nicht nur die durchgehende Beachtung derzeit als wesentlich betrachteter Aspekte sicherzustellen, sondern auch alle Chancen für später evtl. als notwendig erscheinende Änderungen offenzuhalten. Was bedeutet das für ein Keltisches Namenbuch? Alle Faszikel müssen voneinander unabhängig zu benutzen sein, jedoch einem gemeinsamen Schema in der Anlage folgen; Materialsammlung und Sicherung sollte deutlich von der linguistischen und historischen Auswertung abgehoben, jedoch räumlich nicht allzuweit getrennt sein.
8 Léon Fleuriot, Dictionnaire des gloses en vieux breton, Paris 1964, S. 4 ff. (Ergänzungen von Jackson, HPB 2 A.2); die 2. (englische) Auflage habe ich noch nicht sehen können. 9 Siehe die vielversprechenden Ansätze in: F. Falc'hun avec la collaboration de Β. Tanguy, Les noms de lieux celtiques, première série Vallées et Plaines, Rennes 1966; deuxième série Problèmes de doctrine et de méthode, Noms de Hauteurs, Rennes 1970. 10 Oliver J. Padel, Cornish Place-Name Elements (= English Place-Name Society, vol. 56/57), Nottingham 1985.
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Unter den mir dzt. bekannten Namenbüchern bietet sich das von Manfred Mayrhofer konzipierte und von ihm, anfänglich allein, dann zusammen mit Rüdiger Schmitt, herausgegebene Iranische Personennamenbuch, Wien 1977 ff., als Vorbild an. Die Iranische Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat die Trägerschaft übernommen, was dem Unternehmen den nötigen organisatorischen langen Atem und v.a. den erforderlichen finanziellen Rückhalt sichert. Mir schwebt vor, der ebendort bestehenden Keltischen Kommission das hier vorgestellte Projekt anzutragen, wenn einerseits der Plan, nicht zuletzt durch hier oder später vorgebrachte Kritik und Vorschläge der Fachgenossen, eine allseits akzeptable Form angenommen hat, und andererseits mein Pilotprojekt, auf das ich noch eingehen werde, die Durchführbarkeit verdeutlicht hat. Die Grundstruktur eines einzelnen Lemmas in IPNB sieht so aus, daß mittels den Textzeilen vorgesetzten Sigeln (Β, P, D) jeweils unterschieden wird zwischen Belegstellenangabe, Prosopographie und sprachlicher Deutung. Zweifelhafte Lemmata stehen in eckigen Klammern [...]. Die durchgehende Numerierung der Lemmata ermöglicht einfaches Verweisen innerhalb des Gesamtwerkes.v Gleichnamige Personen werden durch Indexziffern unterschieden: das könnte einfacher nur im Abschnitt Ρ geschehen, so daß nicht für jede ein eigens Lemma erforderlich wird. Die Beschränkung auf Personennamen ist so streng, daß sogar Namen von Gottheiten, auch wenn es sich klar um erst sekundär vergottete Heroen handelt, ausgeschlossen bleiben: so sucht man im Fasz. 1/1 unter den avestischen Namen vergebens sowohl nach Varaeraynaals auch nach Nairiiö.sarjha-. Demgegenüber scheint es mir angemessener, alle Personennamen unabhängig vom historischen oder mythologischen Status der betreffenden Person aufzunehmen. Damit werden Diskussionen überflüssig, die ihren Platz in Literaturwissenschaft und Religionsgeschichte, nicht aber in der Namenkunde haben: Namen von Gottheiten sind prinzipiell nicht anders gebaut als Menschennamen. Ebenso sollten m.E. Individualnamen von Tieren, soweit sie ausreichend alt belegt sind, aufge-
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nommen werden (es gibt sogar Eigennamen für Dinge, z.B. heißt der Bischofsstab des Hl. Padarn Cyrwen)11. Ihre geringe Anzahl widerrät der Anlage eigener Faszikel. Dagegen sind für geographische Namen eigene Bände vorzusehen. M.E. empfiehlt es sich, sie in der Systematik als eigene Reihe aufzuführen, nicht als Parallelbände zu den sprachlich-zeitlich und ggf. nach literarischen Genera geordneten Personennamen. Das entscheidende Argument dafür dürfte die geringere Erneuerungsrate topographischer Namen sein. Solche Namen bleiben überdies in vielen Fällen erhalten, wenn die Anthroponymie aufgrund von Bevölkerungs- oder Sprachwechsel einschneidenden Änderungen unterzogen wird. Im Anschluß an die eingangs gegebene Übersicht und den Werkplan von IPNB ließe sich etwa folgender Werkplan für das vorgeschlagene KNB aufstellen: I. Abteilung: Personennamen (einschl. Völkernamen· Theonvme und Theronvmei Abschnitt 1:
Festlandkeltische Personennamen
Teil 1: Teil 2: Teil 3:
Gallische Namen Keltiberische Namen Lepontische, galatische und sonstige festlandkeltische Namen
Abschnitt 2:
Gälische Namen
Teil 1: Teil 2: Faszikel 1: Faszikel 2: Faszikel 3: Teil 3: Teil 4: Teil 5:
Namen in Ogam-Inschriften Alt- und mittelirische Namen Namen aus Texten in irischer Sprache Namen aus Texten in lateinischer Sprache Namen aus Texten in anderen Sprachen Neuirische Namen Schottische Namen Manxische Namen
11
Vgl. dazu I. Williams, The Beginnings of Welsh Poetry, Cardiff 1972, 181-189 (= National Library of Wales Journal 11.1941, 69-75).
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Britannische Namen
Teil 1: Faszikel Faszikel Faszikel Teil 2: Faszikel Faszikel Faszikel Teil 3: Faszikel Faszikel Faszikel Teil 4: Faszikel Faszikel Faszikel Teil 5: Teil 6:
Altbritische Namen epigraphisch überlieferte Namen literarisch überlieferte Namen piktische Namen Altkymrische Namen Namen aus Genealogien und Urkunden Namen aus literarischen Texten Namen aus Texten in anderen Sprachen Mittel- und neukymrische Namen Namen aus Genealogien und Urkunden Namen aus literarischen Texten Namen aus Texten in anderen Sprachen Alt- und mittelbretonische Namen Namen aus Genealogien und Urkunden Namen aus literarischen Texten Namen aus Texten in anderen Sprachen Neubretonische Namen Kornische Namen
1 2 3 1 2 3 1. 23: 1: 2: 3:
II: Abteilung: Flußnamen Abschnitt 1:
Festlandkeltische Namen
Teil Teil Teil Teil Teil Teil
Iberische Halbinsel Frankreich Deutschland und Alpenraum Appeninenhalbinsel Balkan Kleinasien
1: 2: 3: 4: 5: 6:
Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt
2: 3: 4: 5: 6: 7: 8:
Namen Namen Namen Namen Namen Namen Namen
aus aus aus aus aus aus aus
Irland Schottland Man England (außer Devon und Cornwall) Wales12 Cornwall (einschließlich Devon) der Bretagne
jeweils unterteilt in A. Belegte Namen B. Erschließbare Namen
u
S. v.a. R.J. Thomas, Enwau afonydd a nentydd Cymru, Caerdydd 1938. Über Ortsnamen hat besonders Melville Richards gearbeitet; er hat ein großes, bisher nicht publiziertes Archiv hinterlassen, das in der UB Bangor liegt.
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III. Abteilung: Ortsnamen. Bergnamen und Flurnamen (Unterteilung wie II.)
Zur Strukturierung des einzelnen Lemmas kann auf das IPNB-Schema zurückgegriffen werden: Β = Belegstellenangabe, Ρ = Prosopographie und D = sprachlicher Deutung, jedoch sollte Ρ durch historische Einordnung und Erläuterung ergänzt werden; das kann auch nachträglich durch gesonderte Bearbeitung geschehen. Bei den geographischen Namen sind die nötigen Bestimmungen anzugeben. Zur sprachlichen Deutung D gehört neben der Übersetzung (ggf. nur der Namensbestandteile) die sprachwissenschaftliche Klassifizierung als Simplex, Kompositum oder Ableitung mit der Zuweisung zu linguistisch definierten Bildetypen, und evtl. weiterhin die historische bzw. sprachsoziologische Auswertung der Namen; auch dies könnte gesonderter Behandlung vorbehalten bleiben. Bei geographischen Namen ist eine geographische Deutung des Benennungsmotivs anzustreben. Jeder Faszikel, jeder Teil und jeder Band muß vollständige Indizes umfassen; die Abteilungen II und III zusätzlich Landkarten. Als Arbeitssprachen dieses internationalen Projekts bieten sich Deutsch, Englisch und Französisch an; die Wahl soll dem jeweiligen Bearbeiter überlassen bleiben. Materialsammlungen sollten in maschinenlesbarer Form angelegt werden, um allfällige Ergänzungen, den gegenseitigen Austausch der beteiligten Autoren und Institutionen sowie spätere Auswertungen linguistischer, historischer und soziologischer Art (usw.) zu erleichtern. Ich beabsichtige, als Pilotprojekt zunächst die altkymrischen Personennamen zu bearbeiten. Wie bereits bemerkt, ist die Abgrenzung zwischen altbritischen, bei Caesar, Tacitus und anderen antiken Schriftstellern genannten und den im engeren Sinne bereits kymrischen Namen unscharf, da die einheimischen Quellen epigraphischer
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und literarischer Art unmittelbar an das Ende der römischen Zeit anschließen. Es wird sich daher empfehlen, wenigstens vorläufig beide Gruppen zusammen zu nehmen, da sie sich gegenseitig erhellen. Durch die Arbeiten von John Koch ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden, wieviel Altes, auf die römische Zeit Zurückgehendes, im Hengerdd enthalten ist. Ob es sich dabei um historische Erinnerung oder literarische Tradition handelt, soll hier nicht weiter erörtert werden. Sollte sich später die Möglichkeit einer glatten Trennung zwischen altbritischem und altkymrischem Namenschatz ergeben, könnten sie jedenfalls leicht auf zwei Faszikel verteilt werden. Die Inschriften hat V.E. Nash-Williams, The Early Christian Monuments of Wales, Cardiff 1950, gesammelt; die meisten einschlägigen Arbeiten von Ifor Williams sind bequem in The Beginnings of Welsh Poetry, ed. R. Bromwich, Cardiff 1972, zugänglich. Neben den im eigentlichen Sinne literarischen Texten, den Werken der Cynfeirdd Aneirin, Taliesin und Llywarch Hen, sind v.a. historische Werke (v.a. Gildas, De excidio et conquestu Britanniae; Nennius, Historia Brittonum; Beda, Historia eccesiastica gentis Anglorum), Heiligenviten (cf. A.W. Wade-Evans, Vitae Sanctorum Britanniae et Genealogiae, Cardiff 1944), Urkundensammlungen wie das Buch von Llandaf und die umfangreichen Genealogien wichtig. Die kleineren literarischen Texte und die in altkymrischer Sprache abgefaßten Urkunden hat Henry Lewis, Detholion Hen Gymraeg, Abertawe 21951, abgedruckt (leider ohne jede bibliographische Beigabe). Peter Bartrums monumentale Sammlung Welsh Genealogies AD 300-1400, 8 Bände, [Cardiff] 1974, gibt in dem Index der von etwa 300 bis 985 geborenen Personen (Bd. 5, S. 61-86) ca. 1000 Männernamen (i.d.R. mit Vatersnamen) und etwa 120 Frauennamen, meist mit Vatersnamen und Namen des Ehemanns. Wendy Davies, The Llandaff Charters, Aberystwyth 1979, hat auf 54 Seiten die Eigennamen aus dem Buch von Llandaf zusammengestellt. 13 Das
13 Für die Situation der deutschen Keltologie mag es bezeichnend sein, daß dieses längst vergriffene Buch in keiner Berliner
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Verständnis der altkymrischen Sprache ist in jüngster Zeit durch John Koch's A Grammar of Old Welsh (im Druck), die mir durch die Güte des Verfassers (teilweise) als Ms. vorliegt, entscheidend gefördert worden. Über die kymrische Nominalkomposition und Suffixableitung habe ich selbst ausführlich gearbeitet; 14 und ebenso habe ich Erfahrung in der linguistischen Analyse von Eigennamen gesammelt. 15 Nach Abschluß des Pilotprojekts möchte ich, falls sich ein Träger für das Unternehmen findet, eine Konferenz derjenigen Wissenschaftler organisieren, die für eine Mitarbeit gewonnen werden können, um weitere Einzelheiten zu regeln und genaue Absprachen zu treffen. Vorerst aber bitte ich um Ihre Kritik, Hinweise und Anregungen. 16
Bibliothek vorhanden ist und auch per Fernleihe offenbar nicht zu erhalten ist. 14 Siehe Komposition und Ableitung im Kymrischen. unpubl. Habil.-Schrift FU Berlin 1989; Studies in Welsh Word Formation, Dublin Institute of Advanced Studies (forthcoming). 15 Vgl. Zur sprachlichen Analyse sasanidischer Personennamen, AOF 18/1.1991.109-150. 16 Der Text des Vortrages ist hier, abgesehen von den getilgten Hinweisen auf das Handout, unverändert abgedruckt.