Aeschylos Tragödien [Deutsche Nachdichtung. Reprint 2020 ed.] 9783112387924, 9783112387917


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German Pages 462 [464] Year 1883

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Aeschylos Tragödien [Deutsche Nachdichtung. Reprint 2020 ed.]
 9783112387924, 9783112387917

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Aeschylos Tragödien.

Deutsche Nachdichtung

von

Oswald Marbach.

Ktuttgart. G. I. Göschen'sche Verlaqshandlung. 1883.

Druck von 6. Lemppe nau in Stuttgart.

3ur Verständigung.

Nicht Worte, Verse und Vorstellungen, sondern Ge­

danken, Empfindungen und Charaktere habe ich treu wieder­ zugeben, ja

neu zu beleben mich bestrebt, um die noch

vorhandenen Werke

des erhabensten Dichters der antiken

Welt meinen Zeit- und Volksgenossen und ihren Kindern

und Kindeskindern ins Bewußtsein zu bringen und sie den Bedürsnisien derselben gemäß wieder unmittelbar fruchtbar zu machen für die Fortbildung des geistigen Lebens der

Menschheit.

Die Vergangenheit der Menschheit ist nicht eine wüste

Schädelstätte abgethanen Lebens, wie etwa die Knochen­ höhlen, in denen man haufenweise Überreste einer längst untergegangenen Thierwelt findet.

Die Menschheit erhebt

sich dadurch hoch über alle andern Kreaturen der Erde, daß sie eine in sich zusammenhängende Geschichte hat, die von

da an, wo Menschen zum Bewußtsein über sich selbst und über

ihre

gesellschaftliche Zusammengehörigkeit gekommen

find, als ein Entwickelungsproceß geistigen Lebens erscheint,

als Culturleben der Menschheit, das jeder Einzelne in sich aufs neue durchzumachen hat, welcher in die Gesellschaft der

Gebildeten eintreten und auf Ehre, Recht und Macht in der Welt Anspruch machen will. Im klassischen Alterthume

war die Entwickelung des

Culturlebens eine jugendkräftig rasche und gewaltige.

Es

war dieses Alterthum das Jünglingsalter der Menschheit,

IV die Zeit des freudigen Erwachens bewußten geistigen Lebens, die Zeit der Blüte

in

überschwänglicher Schönheit und

Herrlichkeit, die Zeit der schöpferischen Künste und der über­

müthig gegen alle Schranken gewaltsam anftürmenden Wissen­ schaften. Diese erste Phase des vollbewußten Culturlebens der Menschheit ging unter in Übermuth, zerstörender Ge­

waltthätigkeit

und frecher

Tas Christen­

Sittenlosigkeit.

thum, das Evangelium von der Heiligung der Gesinnung, brachte die Errettung der Menschheit aus dem Untergange der alten Welt, als deren Zeit erfüllt war.

Tie Mensch­

heit trat in ihr Mannesalter, der Ernst des Lebens in saurer Arbeit und Sorge um das Heil des seiner Unter*

gänglichkeit sich bewußtgewordenen Geistes kam über sie:

die Wisienschaften wurden schwerfällig und die Künste trüb­

selig; — die gesammte Entwickelung des Culturlebens ver­

langsamte sich, aber der Strom der Geistesbildung breitete

sich weiter aus und vertiefte sich zugleich.

Zuweilen schien

es als wollte er rückläufig werden, aber die Menschheit er­

innerte sich immer wieder ihrer heitern Jugendzeit,

und

raffte sich aus Träumereien zu thatkräftigem Leben auf, und dieses Leben theilte sich dem Strom in seiner ganzen Breite

und Tiefe, die er in Jahrtausenden erreicht hatte, mit. So führte die Regeneration, die Renaiffance, die Reformation, die Revolution, die Reaction der Neuzeit gegen das Mittel­

alter in diejenige dritte Phase des Culturlebens der Mensch­ heit, welche unsere Gegenwart darstellt.

Die Menschheit ist

aber nicht dem Greisenalter verfallen, geht nicht dem Tode

entgegen, wie viele unserer Väter wohl gefürchtet haben, viele wohl jetzt auch noch fürchten; — das Geistleben ist

nicht dem Naturgesetze unterworfen, welches alles Entstandene zum Tode verurtheilt, sondern es erhebt sich zu neuem Leben

__ y___

durch die Besinnung auf sich selbst. Jeder wahre Fortschritt

beginnt mit dem Rückblicke.

Tie Reaction hat den Gang

der Entwickelung der Menschheit wieder beschleunigt, der

Strom des Culturlebens braust jetzt, breit und tief wie er

ist, mächtig einher und die Menschheit macht wieder wie einst im klassischen Alterthume glorreiche Eroberungen in

raschester Aufeinanderfolge und mächtiger als je. In Jahr­

zehnten bringt sie jetzt zu Stande, was während des Mittel­ alters in Jahrhunderten nicht gelingen wollte.

Aber der

Strom hat eine andere Richtung genommen, als er in der Jugend der selbstbewußten Menschheit hatte.

Was damals

Atenschen Größtes und Herrlichstes schufen, gehörte vorzugs­ weise in das Gebiet der Künste; in den Wissenschaften kamen

die Menschen damals nur soweit sicher vorwärts, als die­

selben mit den Künsten Hand in Hand gingen; sie ver­ mochten nicht die Wissenschaften selbständig zu machen. Erst

die Neuzeit hat die selbständigen Wisienschaften hervor­ gebracht, indem sie nicht mehr mit Übermuth. sondern mit Besonnenheit dieselben wieder aufnahm. Die Wisienschaften

sind nunmehr so zu Macht gekommen, daß sie das gesammte menschliche Dasein, den Verkehr der Menschen unter ein­

ander und mit den natürlichen Dingen durchdringen und

diese selbst umgestalten. Ter Selbständigkeit fähig sind aber zunächst nur die sogenannten eracten Wisienschaften: die Mathematik und die Naturwisienschaften, während die histo­ rischen Wisienschaften über die vergleichenden Prüfungen der Überlieferungen, und die spekulativen Wissenschaften über die Ansprüche des Geist- und Seelenlebens» der Menschen

nicht hinauskommen. Tas Mittelalter hat sich vorzugsweise

mit

den historischen

und

spekulativen

Wisienschaften

be­

schäftigt und die Neuzeit seht diese Beschäftigung fort, jedoch

VI vorurteilsloser und gründlicher unter Anlehnung an die exacten Wissenschaften. sind so

Mathematik und Naturwisienschaft

sehr die tonangebenden geistigen Machte

in der

Gegenwart, daß andere Gebiete, auf denen der Menschengeist in seiner Entwickelung sich offenbart, namentlich Religion und

Kunst durch sie auf die Seite geschoben und verdrängt scheinen. Besonders auffallend ist dies bei den Naturwiffenschaften der

Fall, welche, weil sie mit der Sinnenwelt sich zu thun

machen, populärer sind, als die mit unsinnlichen Gedanken­ dingen verkehrende Mathematik.

Indeß fängt die Wiffen-

fchaftlichkeit der Naturkenntniß erst da an, wo die Popu­

larität aufhört.

Die Menschheit kann aber der Religion und der Künste, welche in innigster Verbindung stehen, ebenso wenig, ja

noch viel weniger entbehren, als der Wiffenschaften.

Ist

doch von jenen alles Culturleben ausgegangen, und sie ver­ leugnen heißt an der Himmelsleiter menschlicher Cultur die ersten Sprossen abschneiden, wodurch die ganze Leiter zu

Falle kommen und zu Boden stürzen muß.

Gewiß kann

der in die cultivirte Menschheit Eintritt suchende Einzelne nicht mit Hilfe einer Leiter zum Eingänge emporsteigen,

welcher die allernothwendigsten ersten Stufen fehlen.

Wie

die alte Welt unproduktiv war auf dem Gebiete der Wiffen­ schaften, so ist die Neuzeit unproductiv auf dem Gebiete der

Künste. Was die Neuzeit, seitdem sie sich ganz losgerungen

hat von dem Mittelalter, an Kunstwerken noch hervorbringt, ist zum größten Theil klägliches Surrogat, und der Ruhm

der Künstler steht im umgekehrten Verhältniffe zu ihren Verdiensten.

Man schätzt jetzt die Künste als die „melken­

den Kühe, welche mit Butter versorgen".

haftiges Kunstwerk eine hinreißende,

Weil ein wahr­

bewältigende Kraft

VII ausübt,

wird jedes Machwerk, welches von dem großen

Haufen angestaunt, beklascht und — bezahlt wird, für ein Kunstwerk ausgegeben.

Auf diesem Wege geht aber alle

Kunst ebenso wie alle Sittlichkeit und Religiosität unter, denn der große Haufe der Menschen ist ein brutales Ge­

misch von rohen, genußsüchtigen und lasterhaften Menschen aller Art, der Abfall und Abschaum von allen möglichen Bildungstufen der Menschheit. Auf dem Gebiete der Kunst, in der Pflege desien was schön ist, sind wir durch den ver­

derblichen Wahn, daß die Mehrzahl zu entscheiden habe, zum widerwärtigsten Barbarenthum herabgesunken, oder auf

demselben stehen geblieben.

Tas erste ist mehr bei den

Romanischen, das zweite mehr bei den Germanischen Völkern

der Fall.

Der nach Bildung strebende junge und der an

wahrer Bildung sich freuende, ihrer als geistiger Nahrung bedürfende ältere Mensch muß die Kunstwerke aus der Jugend des Culturlebens der Menschheit aufsuchen, um vor Ver­

bildung durch seelenverderbende Afterkunst sich zu behüten, seinen Geschmack zu läutern und sich zu künstlerischer Leistung

fähig zu machen, namentlich zu der jedem Menschen ob­

liegenden höchsten Kunstleistung: sich selbst aus einem natür­ lichen Menschen

in einen geistigen Menschen umzubilden.

Und die Kunst ist die Voraussetzung und der Schlüsiel zur

Wissenschaft; nämlich die wahre Kunst, nicht die Afterkunst;

— diese leitet ab von der Wissenschaft, anstatt in sie ein­

zuführen.

Der größte Irrthum

ist zu meinen: die Kunst

gehe umgekehrt aus der Wisienschast hervor; das Können, welches aus der Übung hervorgeht, führt zur Kunst, nicht aber das Wissen.

Da aller Kunst Mutter und erster Anfang die Nach­

ahmung ist, so wird auch die auf Abwege gerathene Kunst

VIII der Neuzeit auf den rechten Weg zurückzubringen sein durch Nachahmung und Nachbildung alter echter Kunstwerke, ob« schon solche durch den Rost des Alterthums unscheinbar, durch die Schicksale, die sie durchgemacht, verstümmelt oder verunziert und durch die Übergänge des Culturlebens von einem Bolle zu andern Böllern, die in Brauchen, Sprache und religiösen Vorstellungen von ihnen verschieden sind, mehr oder weniger unverständlich geworden sind. Solches Streben wird aber freilich nur dann von Erfolg sein, wenn es nicht auf Herstellung des Äußerlichen und Vergänglichen an dem Überlieferten gerichtet ist, sondern auf Hervorhebung und Geltendmachung des Wesentlichen und Ewigen, welches in demselben niedergelegt ist. Jenes mag Gegenstand cultur« und sprachwiflenschaftlicher Forschung sein, um festzustellen, wodurch eine frühere Entwickelungstufe von der gegenwärtigen sich unterscheidet, um jene in ihrer Eigenart im Zusammen­ hänge mit anderen gleichzeitigen Daseinsformen zu beur­ theilen, z. B. um die politischen und socialen Einrichtungen des altgriechischen Lebens zu würdigen, oder um die sprach­ lichen Eigenthümlichkeiten der Alten zu verstehen. Das Wesentliche und Ewige muß jedoch, um es wirksam zu machen als Factor des gegenwärtigen Geistlebens, von dem ihm anhaftenden Äußerlichen und.Vergänglichen so viel als möglich losgelöst und gereinigt, dafür aber durch die der Neuzeit entsprechenden, der Mitwelt voll verständlichen Mittel zum Ausdrucke gebracht werden. Das ist freilich eine schwie­ rige Aufgabe, die nur der zu lösen vermag, welcher die alten Formen (auch in corrumpirter Gestalt) versteht und dabei der modernen Formen mächtig ist, wie weit sie auch von den alten abweichen mögen. Wer diese Aufgabe zu lösen versucht, der muß sich bewußt sein, daß es nicht dar-

IX

auf ankommt Leser und Hörer in das Alterthum einzuführen, sondern daß es gilt, die reichen Eeistesschähe, welche das Alterthum hinterlaflen hat, den Mitlebenden zuzuführen, aufzuschließen und nutzbar zu machen. Mit dem Gesagten hängt zusammen, daß ich in meiner Nachdichtung solche Namen, (Kuriositäten und Anekdoten, welche ohne im innern (d. h. geistigen) Zusammenhänge mit dem Gedankeninhalte des Dichtwerkes zu stehen nur ein historisches, geographisches oder mythologisches, aber kein poetisches Interesse haben, fortgelassen habe, weil das Ganze durch sie mehr verdunkelt, als erleuchtet wird. Ich bin auch fest überzeugt, daß das meiste, was im griechischen Texte derartiges sich vorfindet, nicht von Aeschylos herrührt, sondern von gelehrten Abschreibern oder von applaussüch­ tigen Schauspielern, welche Einschaltungen gemacht haben, um denen zu gefallen, die (wie sie selbst) keinen Sinn für ewige Gedanken haben, aber an allerlei äußerlichen Notizen und Klatschgeschichten Wohlgefallen finden. Was von einem Kunstwerke wegbleiben kann, ohne daß das Ganze unver­ ständlich wird, gehört nicht hinein. — Ich habe aber nicht blos Weglassungen, sondern auch Zusätze mir erlaubt; je­ doch nur solche, die auf Thatsächliches sich beziehen, welches der antike Dichter als im Bewußtsein seiner Hörer lebendig voraussetzen konnte, während der moderne Leser an dasselbe erinnert werden muß, wenn ihm das Dichtwerk verständlich sein soll. So habe ich durch kurze Einschaltungen auf die Bedeutung griechischer Namen, und auf an diese sich an­ reihende Sagen hingewiesen. Was gelehrte Herausgeber des griechischen Textes in erklärenden Anmerkungen zur Erläuteruilg etwa zu sagen pflegen, habe ich in meine Nachdichtung poetisch ausgenommen um in leichter und gefälliger Weise

X wesentlich denselben Zweck zu erreichen.



Nur wenige

Stellen des griechischen Textes habe ich mich veranlaßt ge­ sehen so selbständig umzugestalten, daß ich das unverständ­ lich Überlieferte ganz fallen ließ und die vorhandene Lücke

in kunstgerechter Weise ausfüllte. — Um anzudeuten, wie

die vorkommenden griechischen Namen in die deutschen Accentverse von mir ausgenommen sind, habe ich die beim Lesen hervorzuhebenden Bocale mit Accenten, so gut es ging, ver­

sehen, was bei Diphthongen freilich nicht ausführbar ist. Jedem, der mit dem geistigen Gehalte des dramatischen Nachlasies des Aeschylos sich bekannt macht, wird auffallen,

welch großer Unterschied zwischen dem altgriechischen und dem modernen Drama besteht.

Was als wesentlich Ver­

schiedenes auf der modernen Bühne aufgeführt wird: reci-

tirendes Schauspiel, Oper und Ballet, ist im alten Theater

verbunden um eine Gesammtwirkung hervorzubringen. Erst in jüngster Zeit hat der geniale Richard Wagner die seit langer Zeit aus Armseligkeit getrennten Kunstarten wieder zu Hervorbringung einer Gesammtwirkung in seinen ^Musik-

Dramen" zu vereinigen unternommen und zwar mit groß­

artigstem Erfolg, indem er als von jeher wirksamstes und noch zeitgemüßestes Bindemittel der Musik sich bedient. Da­

mit ist denn auch die

Berechtigung des organischen Zu­

sammenhanges der dramatischen mit der epischen und lyri­

schen Poesie, welcher für das antike Drama charakteristisch ist, wieder zur Anerkennung gelangt; und endlich wird man

wohl auch dahin kommen eine ganze Reihe von für die theatrale Kunst verderblichen Vorurtheilen abzulegen,

von

denen allen das antike Drama nicht beeinflußt ist.

Ein

solches Vorurtheil ist die Meinung, daß im Drama das was die Augen sehen wichtiger sei als das was die Ohren

XI hören, und daß die Töne wichtiger seien als die Worte,

welche den Tönen untergelegt sind, während just das um­ gekehrte richtig ist, weil die Phantasie des Hörers reicher

und mächtiger ist, als alles, was vor Augen gestellt zu werden vermag ohne die Grenze der Schönheit zu über­ schreiten, die Phantasie aber nicht durch die Töne, sondern durch die verstandenen Worte angeregt, während sie durch

das Geschaute vielfach gestört, ja gelähmt wird.

Die Worte

sollen nicht den Tönen untergelegt sein, wie man sich bar­

barisch ausdrückt, sondern die Töne sollen den Worten bei­ gelegt sein, um diese ausdruckvoller zu machen.

Die musika­

lische Composition muß zur kunstgerechten Teclamation führen.

— Hiermit hängt zusammen, daß gewaltthätige, blutige

Thaten auf die Bühne zu bringen bei den Alten für un­ zulässig und gebildeter Menschen unwürdig galt, während die moderne Bühne solche Darstellungen nicht sich entgehen läßt. — Ein anderes Vorurtheil schlimmster Art ist die An­

sicht, daß die Handlung, welche das Drama vorführen soll, in dem bestehe, was mit Armen und Beinen, Mund und Augen und sonst wie gemacht und vollbracht wird, wäh­

rend sie doch die seelischen Vorgänge in den dargestellten Personen umfaßt, deren Entwickelung correct und verständ­ lich sein muß.

9to(fj endlich weise ich auf das barbarische

Voruriheil hin, daß das Drama Fremdes und Fernes mit möglichster Naturwahrheit und historischer Treue wiederzn-

geben habe (abgethane Gebräuche, veraltete Moden, das Räuspern und Spucken namhafter Persönlichkeiten, auch alte Bauwerke, schöne Gegenden, Portrait-Ähnlichkeiten u. dgl.), während die Poesie und überhaupt alle Kunst nur darauf ausgeht das geistige Dasein des Menschen und dessen Seelen­

zustände unter den verschiedensten Verhältnissen und Lebens-

XII bedingungen, also in allen vorgeführten Gestalten, positiv und negativ (handelnd und duldend) zur Geltung und Anfchauung zu bringen. Das Nur-Natürliche ist das der AufHebung nicht werthe Hinfällige, und die rohe Überlieferung ist Heuchelei und Verleumdung, Borurtheil und Dummheit; — die Poesie und ebenso die Kritik haben solche Über­ lieferung nicht wiederzugeben, sondern zu entlarven und zu widerlegen. — — Die Dramen des Aeschylos sind nicht, wie von un­ künstlerischen Leuten in Curs gesetzte landläufige Redefloskeln besagen: ,armselige Anfänge dramatischer Poesie ohne Hand­ lung und ohne Charakteristik der vorgeführten ^Personen*; sondern im Gegentheil: sür alle Zukunft des menschlichen Culturlebens mustergiltige dramatische Kunstwerke, welche erstens durch die innere Wahrheit der Schilderung seelischer Zustände und der nothwendigen Entwickelung derselben unter gegebenen Berhältnisien, d. h. durch die Einheit der drama­ tischen Handlung, sowie zweitens durch die Schärfe und Lebendigkeit der vorgeführten Charaktere, und endlich — was bei weitem die Hauptsache ist — drittens durch die klare, erhabene und hinreißende Aussprache der höchsten religiösen und sittlichen Jnteresien der zur Geistigkeit sich erhebenden Menschheit, die Ziele erkennen lasten, denen die dramatische Poesie nachzustreben hat um rechtschaffene Kunst­ werke zu Stande zu bringen. Von den großen dramatischen Dichtern der Neuzeit ist in erster Beziehung nur Goethe, in zweiter nur Shakspeare, in dritter nur Schiller mit Aeschylos zu vergleichen. Meine Nachdichtung der Tragödien des Aeschylos möge dieses Urtheil rechtfertigen. Hier will ich nur noch auf die tiefsinnige und hochgeistige Bedeutung der vorliegenden

XIII Tragödien und deren wunderbaren innern Zusammenhang Hinweisen.

Es wird sich zeigen, daß diese sieben Dramen

ein und denselben für die Entwickelung des menschlichen Kulturlebens wichtigsten Gedanken nach verschiedenen Seiten

hin zur anschaulichen Aussprache bringen und dadurch ihre Prototype Bedeutsamkeit beurkunden. —

Sobald der Mensch zum Selbstbewußtsein gelangt ist,

strebt er auch nach Selbstbestimmung, nach Freiheit.

Dabei

aber ist er noch ein sinnliches Wesen, d. h. eine dem un­ überwindlichen Naturgesetze unterworfene Kreatur.

Dies

ist ein unselig machender Widerspruch — der Kampf ums Dasein, welchen der Mensch, um als Geist sich zu behaupten, durchzumachen hat.

In diesem Kampfe drängt sich dem

Menschen durch die Erfahnmgen, die er im Leben macht, die Überzeugung auf, daß er nicht allein der harten Noth­

wendigkeit eines ausnahmelosen Gesetzes — dem Schicksale — gegenüberstehe, daß es auch außer dem Menschen noch

geistiges Wesen gebe, welches sich selbst bestimme und wohl im Stande sei, der Nothwendigkeit gegenüber sich zu be­

haupten.

Die als Schicksal aufgefaßte Nothwendigkeit ist

blind, sie beherrscht wohl unbedingt das Todte, aber das

Lebendige nur unter Bedingungen;

der Mensch macht die

Erfahrung, daß im Reiche der Lebendigen die Wahl, die Absicht, die Klugheit neben der Natrlrnothwendigkeit sich

als Macht erweist.

Der Vorstellung des Schicksals stellt

sich die Vorstellung der Vorsehung an die Seite; und der Vorstellung der Menschheit die der Gottheit als einer über­ menschlichen, aber auch geistigen Wesenheit. Da die Mensch­

heit in viele menschliche Individuen sich spaltet, so liegt für die Menschen die weitere Vorstellung nahe, daß auch die

Gottheit in viele Individualitäten sich zerlege,

oder zur

XIV Einheit aus vielen Individualitäten sich zusammenfasie. Tie Menschen in ihrer Schwäche und HilfsLedürstigkeit suchen Beistand und Rettung Lei der Gottheit als Ganzes, bei den Göttern als Einzelnen, auf Grund der geistigen Ver­ wandtschaft, der Gemeinsamkeit des Selbstbewußtseins und der einer unendlichen Entwickelung fähigen Geistigkeit. So kommen die Menschen zur Religion. Schicksal — Götter — Menschen in ihrem Verhallen zu einander — das ist das Räthsel, mit besten Lösung die Menschen sich beschäftigt haben, seit sie zu denken vermögen: ob Schicksal und Gott­ heit dasselbe — ob Götter wie Menschen dem Schicksal unterworfen sind — ob die Menschen vom Schicksal oder von den Göttern abhängen — ob die Götter es mit dem Schicksal oder mit den Menschen halten? — Die Entwick. lung des Menschengeistes erfolgt durch die Vertiefung in solche Fragen. Mit der Lösung desselben Räthsels beschäf­ tigen sich auch die sieben uns noch erhaltenen Tragödien des Aeschylos. In der Tragödie: Sieben vor Theben knüpft der Dichter an die Oidipus-Sage an, an das Räthsel, besten Lösung »der Menschs ist, an das Elend, welches über den Menschen kommt, sobald er mit seiner kurzsichtigen Klugheit den Kampf gegen das Schicksal aufnimmt: durch List die Nothwendigkeit zu besiegen sucht. Dies Elend ist das tra­ gische Pathos, in welchem des Lajos Sohn Oidipus und sein ganzes Haus zu Grunde gehen, — während dennoch der Mensch im Vollgefühle der Freiheit triumphirend über den Tod sich erhebt: die Söhne des Oidipus gehen freiwillig leidend und handelnd in den Tod, um die Sünde zu büßen, in welche ihre Väter verstrickt worden, weil sie mit List wider daS Schicksal sich aufgelehnt haben; — und von den

XV beiden übrig gebliebenen Töchtern des Oidipus beugt sich am Schlüsse der Tragödie die eine macht-

und willenlos

unter das Schicksal, während die andere der Stimme ihres liebevollen Herzens folgend freudig entschlossen dem Tode

entgegengeht, um zu thun, was sie als Liebespflicht erkennt und als den heiligen Willen der Gottheit.

So repräsen-

tiren diese beiden Schwestern der Katastrophe gegenüber, auf welche die Tragödie hinaus läuft, das menschliche Wesen

einerseits in seiner Schwäche und Hilflosigkeit und ander­ seits in seiner Stärke und Erhebung zur Freiheit über die Nothwendigkeit unter Anlehnung an den göttlichen Willen.

Der die Bolksstimme lyrisch aussprechende Chor folgt, in­ dem er sich spaltet, den nicht in der Gesinnung, wohl aber

in der That sich von einander scheidenden beiden Schwestern. In der Tragödie: Perser tritt die Spaltung mensch­

lichen Wesens im Verhalten der Urgewalt des Schicksals gegenüber, welche jene beiden Töchter des OidipuS anschau­

lich machten, als der Gegensatz von Freiheit und Knecht­

schaft auf, wie er im Völkerleben sich darstellt. Der große Culturkampf,

den die Griechen und Perser mit einander

geführt haben, bildet die geschichtliche Grundlage der Tra­

gödie, und wird mit gewaltigen Zügen — keiner zu viel und keiner zu wenig — vom Dichter gekennzeichnet. Das ist

eine historische Tragödie, wie sie sein muß, um kunstgerecht zu sein. Als die Wurzel, aus welcher daS tragische Pathos

erwächst, stellt sich auch hier die menschliche List dar, welche die Urgewalt des Schicksals zu besiegen

sich unterfangen

hat, indem sie mit der Massenhaftigkeit der Mittel, welche dem Despotismus zu Gebote steht, rücksichtlos sich umgiebt und selbst den elementaren Naturgewalten übermüthig zu

trotzen wagt. Aber der Gegensatz von Schwäche und Stärke

XVI im menschlichen Wesen hat sich nicht blos von einem in ihrem Thun sich trennenden Schwesternpaar erweitert zu zwei in Gesinnung und That einander feindlich entgegen­ tretenden Völkerschaften (— aus der Jsmene der „Sieben vor Theben* ist die Persia der „Perser", aus der Antigone die Hellas geworden, welche auch als zwei Schwestern, eine leidende und eine handelnde, gegenüber gestellt sind —) sondern dieser Zwiespalt ist aus dem Schluffe der einen Tragödie in den Anfang der andern Tragödie überge­ gangen — aus dem Resultate des einen Drama ist der Aus­ gangspunkt des andern geworden. Und wenn in den „Sieben vor Theben* der Triumph des im Vollgefühle der Freiheit über den Tod sich erhebenden Menschen eben nur angedeutet ist, so ist in den „Persern* der Sieg der Freiheit über die Knechtschaft bereits entschieden, und wir erfahren durch die Tragödie, wie dieser Sieg zu Stande gekommen ist und sich weiter noch vollenden wird. Dem Dichter fällt aber nicht ein den schwächlichen und lächerlichen Versuch machen zu wollen Kampf und Sieg den Augen der Theater­ besucher vorzuführen. Er läßt statt deffen die Perser selbst ihr Elend, ihre Schmach, ihren hoffnunglosen Untergang verkün­ den. Nicht nur einzelne Menschen, nicht nur ganze Herrscher­ familien, auch Völker und Staaten gehen zu Grunde, wenn sie mit menschlichem Witz und Übermuthe das Schicksal zu über­ listen und eigensüchtig auszubeuten suchen; aber durch Gott­ ergebenheit , sittliches Streben und Gesetzmäßigkeit werden auch Völker und Staaten gegründet und unwillkürlich vom Schicksal emporgehoben, denn dieses macht den Einfältigen weise, den Schwachen stark, den Unscheinbaren schön und herr­ lich. Mit seiner blinden Urgewalt übt das Schicksal einen erziehenden Einfluß aus auf die Menschheit, bewirkt deren

XVII geistige Entwickelung und Erhebung — wie das Wasser

das Schiff tragt und die Luft den Bogel emporhebt.

die knechtisch gesinnten Menschen Götter auf

in

das Schicksal

als

Für

(die Perser) gehen die deffen willenlose Voll­

strecker; für die freiheitlich denkenden Menschen (die Griechen)

sind die Götter Helfer und Erretter unter weiser Benutzung der Trag- und Hebkrast des Schicksals, indem sie die Freunde erleuchten und die Feinde täuschen und blenden.

Je weniger in den „Persern"

von den Göttern die

Rede ist, desto mehr ist dies in der Tragödie Prometheus

der Fall.

Sowohl das Verhältniß der Götter zu den

Menschen, wie das Verhältniß derselben zu dem Schicksal

wird näher festgestellt.

Sämmtliche Personen der Tragödie

sind nicht Menschen,

sondern

(Heroen —

Götter

unsterbliche Halbgötter).

und Götterkinder

Sterbliche kommen

nicht vor, aber es wird von ihnen gesprochen. Ter Gott Prometheus (die personificirte Vorsehung) erzählt, wie er

die Menschen erzogen und belehrt habe, um sie aus dem

thierischen Zustande zu erheben, sie gottühnlich zu machen und sie vor dem ihnen drohenden ewigen Tode zu behüten.

Und um der Menschen willen hat der Gott zu dulden, in­ dem der Vater aller Lebendigen (Zeus) ihn an den Felsen

anschmieden läßt zur Strafe dafür, daß er die Menschen gottähnlich gemacht hat. Damit ist vom Dichter ausge­ sprochen, daß er die Götter ebenso dem Schicksal unterworfen sich vorstellt, wie die Menschen. Sie haben nur den Willen,

die Freiheit und die Unsterblichkeit voraus vor den Men­ schen, und da der Mensch zur Gottühnlichkeit berufen ist, so ist

seine

geistige Entwickelung der Werdeproceß des

Willens, der Freiheit und der Unsterblichkeit.

Tie Gott­

heit ist in Vollkommenheit, was die Menschheit in UnvollMarbach, AeschyloS Tragödien.

H

XVIII kommenheit ist. Ter Wille aber ist als solcher, d. h. sei­ nem wesentlichen Inhalte nach, in Übereinstimmung mit dem Schicksal, und der Geist, welcher von sich selbst in dieser Übereinstimmung weiß, ist der sittliche Wille, wäh­

rend der unsittliche Wille nur inhaltloser, d. h. das geistige Wesen vernichtender Schein ist: die Wahl, die Willkür, welchem gegenüber das Schicksal die Form des Zufalls an­

nimmt, d. h.

auch als leerer Schein sich darstellt.

Schein hebt den Schein auf.

Der

Da die Menschheit der im

Werden begriffene Geist ist, so ist auch die menschliche Vor­ stellung von der Gottheit im Werden begriffen. Darum

stellt der Dichter,

der ja auch nur ein Mensch, nicht ein

Gott ist, und als Mensch den Menschen sich verständlich -u machen sucht, auch die Götter (Zeus, Prometheus u. s. w.)

als zwar unsterbliche, aber doch als werdende vor, die durch Überwindung der Zeit zur Ewigkeit gelangen. Der

sittliche Wille ist also mit dem Schicksale dem Inhalte nach Eins, aber der Form nach verschieden, indem er das Ewige

in der Zeit zur Erscheinung bringt.

So finden sich im

Elemente der Ewigkeit Schicksal, Gottheit und Menschheit zusammen.

Daß das Ewige den Inhalt alles Zeitlichen

ausmacht, zeigt sich in dem unaufhörlichen Entstehen und Vergehen der zeitlichen Dinge und Kreaturen, und da zu diesen auch der Mensch in seinem sinnlichen Dasein gehört, so ist auch diesem der irdische Tod beschieden, während er

in dem sittlichen Willen, zu dem

er sich entwickelt, die

Bürgschaft der Ewigkeit, d. h. unsterblichen Lebens hat. Die irdischen Kreaturen entstehen aus einander durch die natürliche Liebe.

Im Menschen verklärt sich

aber durch

den sittlichen Willen, welcher durch das Streben nach Frei­

heit herbeigeführt,

durch Heiligung der Gesinnung (Ver-

XIX geistigung deä sinnlichen Triebes) offenbar wird, die natür­

liche und darum zeitliche Liebe zur geistigen und als solche

ewigen Liebe.

Tie ewige Liebe unterscheidet sich von der

zeitlichen Liebe durch die Uneigensüchtigkeit, wie die Liebe des Prometheus zur Menschheit zeigt.

Damit stimmt auch

überein, daß die Erlösung des Prometheus davon abhängig gemacht wird, daß „ein Gott für ihn bürge und freiwillig in den Tod gehe, in die Hölle niederfahre". — Das ist der

Gedankeninhalt der Tragödie ^Prometheus-.

Da aber in

dieser nur Götter und Heroen vorkommen, so führt dieser Gedankeninhalt zu der Borstellung, daß der Repräsentant der Gottheit als Vater alles Lebens, Zeus, mit seiner

ewigen Weltherrschaft an die Bedingung der Verklärung

sinnlicher Liebe zu geistiger Liebe

hingewiesen

erscheint.

Tie Verbindung des göttlichen Wesens mit dem mensch­ lichen wird angedeutet nur durch den Repräsentanten der göttlichen Vorsehung (Prometheus) als Erzieher und Lehrer der Menschen und durch die aus sinnlicher Liebe zu Zeus

duldende Heroine Jo. Dieser sagt Prometheus das Ende ihrer

Oual voraus, sobald ihre Liebe sich vergeistigt haben werde, durch die Gnade der sich ihrer erbarmenden Gottheit. —

Wie man sieht giebt Aeschylos eine scharf treffende Kritik der Gotteslehre des antiken Heidenthums. In der Tragödie: Schutzflehende treten uns Nach­

kommen derselben Jo entgegen, deren Zeus sich erbarmt und

die er gesegnet hat, wie Prometheus vorausgesagt.

Die Urenkeltöchter

der

Jo

sind

die durchaus menschlich

geschilderten Nachkommen des Epaphos, Töchter des Da­

naos, Nichten des Aegyptos, und bilden den Chor der Tragödie. Dieselben sind aus Ägyptenland, wo sie ge­ boren worden, in die Heimath ihrer Mutter, gen Argos

XX vor

entflohen

dem Ehebunde

Menschen,

ihren

mit

Söhnen des Königs Aegyptos,

welche

den

denen es nur um Befriedigung eigensüchtiger

Triebe zu thun ist, geschildert werden. die

abscheuen

Bettern,

als roh sinnliche

Ehe

mit

den

sie

Die Mädchen ver­

verfolgenden Blutsver­

wandten, indem sie von der nur sinnlichen und irdischen

Liebe sich ab und der geistigen und himmlischen Liebe sich

zuwenden, als die, welche ihrer allein würdig sei und welche „am Thron des weltbeherrschenden Zeus und seiner Ge­

mahlin Hera heimisch walte in Begleitung der Genien der Eintracht,

der Anmuth

und des zärtlichen Verlangens^.

So zeigt sich in der Gesinnung von Göttern und Menschen

jene Wandelung bereits vollzogen, von der von Prometheus alles Heil, die Versöhnung von Schicksal, Gottheit und

Menschheit durch den wurde.

Der

walt, welche

sittliche

sittlichen Willen abhängig gemacht Wille

siegt

über

die

rohe Ge­

als Schicksal sich geltend zu machen sucht,

— das zeigt sich in der Abweisung der den Schuhflehenden nachsetzenden Ägyptier. — Nach Argos kehren die Nach­

kommen der Jo zurück, um des Schutzes der Götter theilhaft zu werden; — so erscheint das Hellenische Land wie

in den „Persern" als die Heimath des menschlichen Cultur­ lebens. Aber noch kommt es nicht zu einer Darstellung, wie dieses Culturleben im Volke organiflrend wirkt, indem es ein geordnetes Staatsleben hervorbringt, welches sich der

Gesittung als geltenden Rechtes bewußt ist, das über allen

Zufall und alle Willkür erhaben und keinem Wechsel der Zeiten unterworfen ist.

Diese Darstellung enthält die Oresteia des Aeschylos in den von ihr als Trilogie

umfaßten drei Tragödien:

Agamemnon — Choephoren — Eumeniden. —

XXI Der Übergang der sinnlichen Liebe in die geistige Liebe ge­ schieht durch das sittliche Institut der Ehe.

Zunächst wird

durch die Kindererzeugung aus der Eeschlechtöliebe die ge­ genseitige Liebe der Eltern zu den Kindern und der Fa­ milie.

Dadurch kommt aus natürlichem Wege zur Liebe die

Treue, welche unwillkürlich die ursprüngliche Natürlichkeit

mehr und mehr vergeistigt, bis das Bewußtsein der Heilig­

keit des Instituts der Ehe sich herausbildet. Diese Heraus­ bildung mit allen ihren

culturgeschichtlichen Folgerungen

stellt das große Tragödienwerk Oresteia vor Augen. — Die ersten Anfänge des Rechtsbewußtseins fallen noch mit der

Rache zusammen: Wer Unrecht leidet, will sich rächen.

Die

flagranteste Rechtsverletzung ist die gewaltsame Tödtung; die Rache aber kann nicht von dem Getödteten geübt, wer­ den, sondern fällt denen zu, welche durch natürliche Liebe

mit ihm

am nächsten verbunden sind.

Liebespflicht der Blutsverwandten.

Tie Rache wird

So etablirt sich ein

erster noch roher Rechtszustand in der Bolkssitte der Blut­

rache.

Mit der Borstellung des Rechts verbindet sich aber

sogleich die der Beständigkeit, der Ewigkeit, und ist Rache

Recht, so ist Blutrache eine ohne Aufhören forterbende, sich stets erneuernde Liebespflicht.

Kann der Vater die Rache

nicht vollziehen, so hat der Sohn sie zu üben.

Rache

aber so

vererbt sich

auch

die Schuld:

Wie die kann der

Mörder nicht getödtet werden, so wird der Sohn des Mör­

ders umgebracht. Der einzelne Mensch ist sterblich, die Rache unvergänglich; so überträgt sie sich von den sterblichen auf

die unsterblichen Geister, und es bildet sich die Vorstellung von den Rachegeistern, welche zu den urältesten Göttern,

den Schicksalsgöttern, gerechnet werden. sterbenden

Die Flüche der

Ermordeten wecken die Rachegeister

(Erinyen),

XXII und diese werden selbst auch Flüche (Arae) genannt.

Tie

Rachethat des Menschen wird zur That der Rachegötter, welche im Namen des Getödteten dessen Blutsverwandte anhalten, derselben als ihrer Werkzeuge sich bedienen.

Alles

dies bildet die Grundlage, auf welcher die Oresteia sich

aufbaut.

Mit dieser Grundlage ist auch der Widerspruch

der Rache als Recht gegeben: der Conflict der Pflichten, aus welchem das Pathos der auftretenden Personen erwächst.

Agamemnon hat seine und

seiner Gattin Klytamnestra

Tochter: Jphigeneia, den Göttern geopfert. will die getödtete Tochter am Vater rächen.

Die Mutter

Sie verbindet

sich mit Aegisthos, welcher eine einst von Atreus, dem ver­

storbenen Vater des Agamemnon, begangene Blutthat zu

rächen hat; sie wird zur Ehebrecherin und zur Gattenmör­ derin.

So weit geht die Tragödie: Agamemnon. Die Gattin ist nicht blutsverwandt mit dem Gatten; darin sucht Klytämnestra ihre Rechtfertigung.

Die Blutrache kommt aber

doch über Klytämnestra durch ihren und Agamemnons Sohn

Orestes.

Nachdem dieser ein Mann geworden, erschlägt er

die Mörder seines Vaters: den Aegisthos und die Klytäm­ nestra. Er ist also zum Muttermörder geworden; die Rache­

götter kommen nun über ihn, der aus Angst vor den Rache­ göttern die Mutter erschlagen hat.

Er wird wahnsinnig;

die Rachegötter verfolgen ihn; er flieht.

So weit geht die

Tragödie: Choephoren. Der Rechtswiderspruch, in welchem Orestes befangen

war, ist: als verpflichteter Bluträcher des Vaters hat er zum Muttermörder werden müssen. Hervorgerufen ist dieser

Conflict der Pflichten zunächst durch die Schandthat des ehebrecherischen Weibes.

Die Frage spitzt sich zu der Form

XXIII zu: geht die Pflicht der Blutrache über die Pflicht, welche

die Heiligkeit der Ehe auferlegt? oder umgekehrt: geht Ehe über Blutsverwandtschaft?

Die alten Götter (die Rache­

götter), welche, wie wir wiflen, Personificationen des Natur­

gesetzes sind, entscheiden sich zunächst selbstverständlich für die Blutpflicht gegen die Ehepflicht; dagegen erklären die

jungen Götter (Apollon, Athene) im Namen des Zeus und der Hera, welche (wie wir erfuhren) die sinnliche Liebe zur geistigen Liebe verklärt und diese neben sich auf den Thron

der Weltherrschaft eine göttliche,

und

gesetzt

haben,

die

sittliche Ehe als

heilige und über allen natürlichen Trieben

vermeintlichen Verpflichtungen stehende Verbindung,

den Gattenmord und Ehebruch aber für schandbarer, als selbst Kindes-, Mutter- und Vatermord; — weil von dem

Institute der sittlichen Ehe alle Entwickelung des Cultur­

lebens, und

zunächst

die Organisation des Staates als

Pflegers des Rechtes abhänge. Dies spricht Zeus Lieblings­

tochter, die Göttin ewiger Weisheit, Pallas-Athene, in der Tragödie: Eumeniden klar und bestimmt aus; jedoch nicht als Rechtsspruch, sondern als Gnade, die für Recht

ergehen soll, wo ein Conflict, wie der, unter welchem Orestes

leidet, eingetreten ist, und wo die Richter auf Grund des

Rechtes die Entscheidung über die StrafbarkeU einer Hand­ lung unmöglich finden.

Athene setzt, um die Blutrache als

Rechtsinstitut aufzuheben, einen höchsten Gerichtshof ein, welcher über sonst unter die Blutrache fallende Handlungen

richten soll.

Vor diesem Gerichtshöfe, in welchem Athene

präsidirt und die Berechtigung der Gnade auöübt, erscheinen die Rachegöttinnen als Ankläger, Apollon als Vertheidiger

des Angeklagten (des Orestes).

Durch den Schiedsspruch

der Athene werden die Rachegötter (die Erinyen) zu Schuh-

XXIV göttern (Eumeniden), die Fluchgötter zu Segensgöttern und werden die alten Götter von den neuen, die neuen von den alten anerkannt, d. h. es wird die Übereinstimmung des

sittlichen

Willens

mit

der

weltschöpferischen

Naturnoth­

wendigkeit ausgesprochen — es werden Menschen, Götter und Schicksal im harmonischen Einklänge begriffen. Man sieht, wie die sieben Tragödien des Aeschylos in

einem innersten Zusammenhänge stehen, durch ein sie durch­ ziehendes dialektisch ausgearbeitetes Gedankenband zusammen­

gehalten werden, welches ungesucht sich finden laßt. Aber diese sieben Tragödien sind nur ein Überrest, der uns (schein­ bar zufällig) erhalten worden, während die große Mehrzahl der Dichtungen des Aeschylos verloren gegangen ist bis auf

eine Anzahl von Titeln und wenigen abgeriffenen Stellen, die noch erhalten find.

Im Spiele des Zufalls birgt sich

ein tiefer Ernst, auf welchen der von mir aufgezeigte geistige Zusammenhang der sieben erhaltenen Tragödien hinweist,

der aber erst dann vollkommen sich begreifen ließe, wenn

alle Umstände, welche zu Erhaltung dieser Stücke beigetragen haben, bekannt wären. Zum Schluffe erlaube ich mir noch wenige Bemerkungen über die Architektur und Ökonomie des griechischen Theaters

und der griechischen Tragödie, um meine Nachdichtung an­ schaulicher zu machen und Wiederholungen bei den nöthigen

scenischen Schilderungen zu vermeiden. Das griechische Theater zerfiel räumlich in drei Theile:

den Zuschauerraum (das eigentliche Theater), die Orchestra

und die Bühne (Skene).

Während der Zuschauerraum,

welcher aus concenirisch terraffenförmig übereinander auf­ gebauten Reihen von Sitzplätzen bestand, stets fich gleich

XXV blieb, trugen Orchestra und Skene bei jedem zur Aufführung

gelangenden Drama ein anderes Gewand (Bekleidung, De­ korationen), durch welches der Ort der darzustellenden Hand­

lung charakterisirt wurde.

Es kam auch vor, datz in dem­

selben Drama diese Bekleidung verwandelt wurde, um eine

Veränderung des Ortes der darzustellenden Handlung anschau­

lich zu machen (z. B. in den .Eumeniden"). Eine solche Ver­ wandlung ließ sich sehr leicht ausführen. Die einzelnen Theile

der Bekleidung des Schauplatzes (die gemalten Tapeten) waren um vor dem Gemäuer stehende dreiseitige Prismen aufge­ hängt, und jedes dieser Prismen ließ sich um eine feststehende senkrechte Axe drehen. Außerdem hatten die griechischen Theater

Versenkungen, Hebwerke und Maschinen auf Rollen zum Aus-

und Einfahren von Versatzstücken und agirenden Personen. Der Zuschauerraum war oben offen, die Bühne aber über­

dacht.

Einen Schnürboden gab es nicht, weil er nicht nöthig

war, indem der ganze Mechanismus der Bühne nicht von oben

nach unten, sondern (was eben so leicht auszuführen) von unten nach oben arbeitete.

Die theatralen Vorstellungen fanden

bei Tage statt, künstliche Beleuchtung war also auch nicht

nöthig, während es doch sehr wohl möglich war, die natürliche

Beleuchtung (das Tageslicht) zu mehren und zu mindern, das

Licht abzuhalten

oder zuzulaffen.

Ebenso

durch Vorrichtungen die Zuschauer in dem

lag eä nahe,

oben offenen

Zuschauerraume vor den Unbilden des Wetters zu schützen. Endlich war dafür gesorgt, daß durch Thüren, Gänge und

Treppen der Zuschauerraum rasch, leicht und bequem ohne Gedränge geleert werden konnte — ähnlich wie in dem in

Baireuth nach Richard Wagners Anordnung ausgeführten Mustertheater. Taher kamen trotz der uns ungeheuer groß

erscheinenden Zuschauerräume der antiken Theater alle die

XXVI schauerlichen Unglücksfälle nicht vor, von denen die modernen

Theater heimgesucht werden. — Ter wichtigste Theil des

griechischen Theaters war die Orchestra, weil das griechische Drama hervorgegangen war aus gottesdienstlichen Handlun­ gen, mythologischen Darstellungen, welche von angemessen

mastirten Menschen mit Gesang, Musik und Tanz (pantomi­ mischen Bewegungen) aufgeführt wurden, nicht des Geldver­ dienstes wegen,

sondern aus religiöser Gesinnung.

maskirten Menschen

bildeten einen Chor,

Altar versammelt war.

der um

Diese

einen

Der Ort, wo diese Versammlung

stattfand, war die Orchestra (der Tanzplatz), in dessen Mitte ein Altar stand:

die Thymele (der Opferherd).'

Die Or­

chestra war in der Tragödie der gewöhnliche Aufenthaltsort

des Chores.

Im Hintergründe der Orchestra erhob sich die

Bühne (Skene), welche sich nöthig gemacht hatte durch das Bedürfniß die. Gesänge und Tänze der den Chor bildenden Menschen, der Choreuten, den Zuschauern zu erklären, zu

illustriren, erst nur durch Erzählungen, bald aber auch durch

Zwiegespräche und Handlungen der mit der Erllärung be­

auftragten Personen, der Schauspieler, welche daher von den Griechen Hypokriten (d. h. Ausleger, Deuter), oder Mimen (d. h. Nachahmer) genannt wurden.

Durch das, was die

Schauspieler sagten, durch Maske und Garderobe vorstellten und thaten,

wurden die Gesänge und Tänze des Chors

motivirt und verständlich gemacht.

Man nannte die Bühne

Skene (d. h. Laube), weil sie oberwärts bedeckt war, oder auch Logeion (d. h. Redeplatz), weil auf ihr das zur Erklä­

rung und Motivirung Nöthige ausgesprochen wurde. Orchestra und Bühne waren auf das Engste verbunden, sowohl geistig

durch die innigen Beziehungen der Reden und Handlungen der Schauspieler zu den Gesängen und Tänzen der Choreuten,

XXVII als auch äußerlich durch die übereinstimmenden Kostüme der

Schauspieler und Choreuten, und durch Tapeten und Tecorationen, so daß das. was den Zuschauern vor Augen

stand,

als ein senkrecht vor ihnen aufgebautes Bild mit

lebendigen Figuren sich darstellte, besten unterster Theil die in den Zuschauerraum übergehende Orchestra war.

Die Mimen

kamen vielfach von der Bühne zur Orchestra herab, und die Choreuten stiegen nicht selten zur Bühne hinauf.

Die Mi-

men deklamirten auch nicht blos, sondern sangen wohl auch abwechselnd mit dem Chore, und die Choreuten mischten sich

gesprächsweise in die auf der Bühne dargestellten Begeben­ heiten.

Die Bühne hatte nur eine geringe Tiefe, aber da­

für entschädigte der weite, horizontal sich ausbreitende Raum

der Orchestra, welcher auch zu Aufmärschen, Volksversamm­ lungen u. dergl. benutzt werden konnte, daher auch Konistra (d. h. Arena, Sandplatz) genannt wurde.

Die agirenden

Künstler wurden durch den Chor mit dem zuhörenden und

zuschauenden Volke in Verbindung gesetzt;

waren doch die

Choreuten nicht Berufsartisten, sondern Dilettanten (etwa wie noch jetzt die Oberammergauer Bauern in ihren her­

kömmlichen Passionsspielen), maskirte Volksgenosten, welche das Volk mehr oder weniger in den vorgeführten Hand­

lungen repräsentirten und daher auch die Zuschauer in Mitleidenheit zogen. Auf der untersten und vordersten . Reihe der Plätze im Zuschauerraume saßen die vornehmsten Bürger

als — Kampfspielrichter.

Anderseits waren die ersten Mi­

men die Dramendichter selbst, welche, sobald Gespräche und Handlungen aufgeführt werden sollten, sich Gehilfen zu suchen genöthigt waren, die also artistisch gebildete Mimen

sein mußten, denen ein volles Verständniß der vorzutragen­

den Dichtwerke beizubringen war.

XXVIII Tie

theatralen

Vorstellungen

waren

an

den

dem

Bakchos'Tionysos geweihten Festtagen stattfindende poetisch­

musikalische

und

orchestische

Wettkämpfe.

Tie

Dichter

kämpften mit Trilogien gegen einander, d. h. zu jedem voll­ ständigen dramatischen Dichtwerke gehörten drei Tragödien.

AlS populäre Zugabe, um dem Humor zu seinem Rechte zu verhelfen, kam noch ein Satyrspiel hinzu, durch welches

die Trilogie zur Tetralogie wurde.

Bon solchen Trilogien

sind überhaupt nur zwei erhalten: die Oresteia des Aeschylos, welche die drei Tragödien: Agamemnon, Choephoren und Eumeniden umfaßt, und die Oidipodeia des Sophokles, welche

die Tragödien: König Oidipus, Antigone und Oidipus auf Kolonos in sich begreift.

Keine Tetralogie ist uns erhalten;

wir wissen nur, daß zur Oresteia ein Satyrspiel Proteus gehörte, von welchem aber nur ein paar Worte erhalten

sind.

Nach den beiden erhaltenen Trilogien muß man an­

nehmen, daß die drei Tragödien, aus denen eine Tri­ logie bestand, auf ein und dieselbe Fabel (Sage) sich 'be­

zog, so daß also die drei Dramen ein in sich zusammen­

hängendes Kunstganzes ausmachten.

Die drei einzelnen

Dramen standen eben in dem Berhültnisie von Acten zu ein­

ander, wenn auch der Zusammenhang lockerer gewesen sein mag, als der zwischen den üblichen fünf Acten eines mo­

dernen Trauerspiels, weil jedes einzelne der drei Dramen einer Trilogie ohne Zweifel wieder ein in sich abgeschlossenes

Ganzes ausmachte, auch seinen besondern Titel hatte.

Der

Titel war dem Ursprünge der dramatischen Poesie gemäß

meist der durch die Maskirung angedeuteten Individualität

des Chors entnommen (Perser — Schutzflehende — Choe­ phoren — Eumeniden).

Das Satyrspiel Proteus, welches

zur Oresteia gehörte, stand, wie sich überzeugend nachweisen

XXIX läßt, mit der Fabel der drei Tragödien der Oresteia im

nächsten inneren Zusammenhänge.

Daraus läßt sich schlie­

ßen, daß auch das Satyrspiel nicht eine willkürliche possen­

hafte Zugabe zu drei hinter einander folgenden Tragödien Es ist auch zweifellos eine ästhetische For­

gewesen sei.

derung, daß nur Zusammengehöriges zu einem Kunstwerke vereinigt werden darf, — womit aber nicht ausgesprochen

sein soll, daß nicht in der spätern Zeit des Verfalles der

dramatischen Poesie auch Unzusammengehöriges äußerlich

an einander gereiht worden sein mag.

Sind doch auch zu

Zeiten Kunstregeln willkürlich aufgestellt und sogar befolgt worden, die aller Kunst zum Hohn und Verderben gereichen,

wie z. B. die aus einem groben Mißverständnisie hervor­ gegangene Lehre von den drei Einheiten, an welcher nichts

Wahres ist, als das Eine, was schon Aristoteles ausge­ sprochen hat, daß nichts im Drama fehlen soll, was hinein

gehört,

um den nothwendigen Zusammenhang der äußern

und innern Begebenheiten (die Entwickelung der Charak­ tere) anschaulich zu machen, und daß nichts im Drama vor­ kommen soll, was nicht zur Erreichung desselben Zweckes

nöthig ist.

Was die Schauspieler auf der Bühne sprechen,

soll zur Motivirung und zum Verständnisse der Chorgesänge dienen, und was der Chor auf der Orchestra singt und

lebendig darstellt, soll dem auf der Bühne Vorgetragenen

und Vorgestellten voll entsprechen, — aber weiter soll nichts

weder auf der Bühne noch auf der Orchestra gesagt werden oder vorgehen.

brachte,

Tie Griechen nannten das, was die Bühne

Epeisodien (d. h. Einschaltungen), weil es einge­

schaltet war, um die Chorgesänge zu motiviren; von dem, was man jetzt eine Episode nennt, (ein Auftritt, der eine

mehr oder weniger willkürliche Einschaltung ist, die nicht

XXX nothwendig zum Ganzen gehört), wußten sie nichts — als: daß er ein nicht zu ertragender Fehler sei.

Endlich weise ich noch darauf hin, daß ich im 1.1874

meine

Nachdichtung

mit einer

der

„Oresteia

des Aeschylos"

ausführlichen „Erklärung" zur

Rechtfertigung

meiner Auffasiung habe drucken lasten, nachdem ich zehn

Jahre früher schon ein selbständiges Drama „Proteus­ veröffentlicht hatte, welches ein Versuch ist das verlorenge­ gangene Satyrspiel des Aeschylos in der Gegenwart ent­

sprechender Weise, aber im innern Zusammenhänge mit der

Oresteia, herzustellen.

Im I. 1874 gab ich auch ein dra­

matisches Gedicht unter dem Titel „Shakspeare-Prometheus- heraus, zu welchem ich Motive aus Aeschylos

Prometheus benutzt habe und das aus dem Gedanken

hervorgegangen ist: daß jeder nach Gottäbnlichkeit ringende

Mensch ähnliche Qualen wie Prometheus in der Zeitlichkeit auf sich nehmen und dieselbe Zuversicht unsterblichen Lebens

haben müsse. — Man sieht wohl, daß ich lange, viel und eingehend mit Aeschylos Dichtungen mich beschäftigt habe.

Leipzig, im September 1882.

Oswald Marbach.

Inhalt. Leite

II M IV. V. VL VII.

I SiebenvorTheben ............................. Perser..................................................... 57 Prometheus.......................................... 107 Schuhflehende........................................ 165 Agamemnon oder DieRache.(Erstes Stück der Oresteia)................................................. 223 Choephoren oder DasTodtenopser.(Zweites Stück der Oresteia)................................ 309 Eumeniden oder Tie Sühne. (Drittes Stück der Oresteia)........................................ 373

1

I.

Sieben vor Theben.

Marbach, Aeschylos Tragödien.

1

Vie Sage. Kädmos, welcher als Kulturlebens gefeiert wird, meia genannten Burg und griechischen Lande Boiotien. Drachen erschlagen, welcher

einer der Begründer des griechischen war der Erbauer der nach ihm Kadder fiebenthorigen Stadt Theben im ES wird erzählt Kädmos habe einen ein Sohn deS Schlachtengottes Äres

gewesen sei und in der Nähe von Theben haupe. Nachdem Käd­ mos die Zähne des Drachen auSgesäet habe, seim aus der Erde bewaffnete Männer erwachsen, aus denen der Adel von Theken hervorgegangen: die Sparten (d. h. die Gesäeten). Einer der Nachkommen des KadmoS und ein Nachfolger desselben als König in Theben, war LajoS, Gemahl der Jokäste aus dem Geschlechte der Sparten. Dem Lajos ward durch ein Orakel empfohlen kin­ derlos zu bleiben, weil sein Sohn ihn verderben würde. Um die Erfüllung dieses Spruches zu vereiteln befahl Läjos den Sohn, welchen Jokaste ihm gebar, zu tödten. Das Kind wurde im Ge­ birge ausgesetzt, wo Hirten es fanden und seiner sich annahmen. Man hatte dem Kinde die Flechsen durchbohrt und eS aufgehängt; davon behielt es geschwollene Füße und wurde von seinen Pflegern Oidipus (Schwellfuß) genannt. Als OidipuS groß geworden war und ihm ein Hirte gesagt hatte, daß er ein Findling sei, zog er gen Delphoi um von dem Orakel seine Eltern zu erftagen. UnterwegeS begegnete er einem Manne, kam mit ihm in Händel und erschlug ihn. Weiter gelangte Oidipus nach Theben, wo ein Ungeheuer (halb Löwe, halb menschliches Weib) sich niederge­ laffen hatte und mit Mord die Bewohner von Theben heimsuchte:

4 die Sphinx. Sie gab ein Räthsel auf, das lautete: „Wer geht des Morgens auf Vieren, des Mittags auf Zweien, des Abends auf Dreien." Jeden, der das Räthsel nicht zu lösen vermochte, brachte das Ungeheuer um. OidipuS sagte die Lösung: „Der Mensch" und befreite damit Theben von der Plage der Sphinx. Zum Lohne wurde OidipuS, da König LäjoS todt und Jokaste also Witwe war, zum Könige von Theben und Gemahle der Jolaste er­ kiest. OidipuS zeugte mit Jokäste zwei Söhne: Eteokle'S und PolyneikeS, und zwei Töchter: Antigone und Jsmene. Später machte OidipuS die schreckliche Entdeckung, daß er ein Sohn des Läjos und der Jokäste, und daß jener Mann, den er auf dem Wege nach Thebm erschlagen hatte, der König von Theben Läjos gewesen sei: OidipuS war also der Mörder seines Vaters, der Gatte seiner leiblichen Mutter, der Stiefbruder seiner eigenen Kinder! AuS Entsetzen über diese schreckliche Entdeckung brachte Jokaste sich um und OidipuS riß sich die Augen auS. Bevor er starb, legte er noch auf die Häupter seiner Söhne die Verwünschung, daß sein Nach­ folger in der Herrschaft über Thebm derjenige sein solle, welcher seinen Bruder um Reich und Leben gebracht haben werde. Polyneikes wurde von seinem Bruder EteokleS auS Theben vertrieben. Er floh gm ÄrgoS im Peloponnes zu König Ädrastos. Dieser und seine Helden verbündeten sich mit Polyneikes um ihn zu rächen und als Herrscher von Theben einzusetzen. Die Tragödie stellt daS Ende dieses Kampfes dar. Eteottes und Polyneikes bringen einan­ der gegenseitig um. Die Verwünschung deS OidtpuS ist ebenso in Erfüllung gegangen, wie die Prophezeiung des Orakels, welche dereinst an Läjos ergangen war.

Personen. Eteokles, König von Theben. Ein Kundschafter.

Antigone. Jsmene.

Herold. Ehor: Frauen aus Theben.

Volk. Krieger. Die Bühne stellt die Burg von Theben vor (die Kadmeia), von der man auf Lie Stadt hinab schaut. Die Orchestra, weiche durch eine breite Treppe

mit der Bühne in Verbindung steht, zeigt einen Platz vor dem NönigSpalaste. Sie ist mit einem Altar auSgestattet (der Thymele), auf dem Götterbilder ftehem.

Morgen.

Versammeltes Volk (Alte und Zunge, Männer und Weiber) auf

der Orchestra und der zur Bühne hinaufführenden Treppe. — Eteokle) tm

königlichen Schmucke sitzt auf einem vor de» Palast errichteten Throne; recht-

und liitfS neben dem Throne steht in reichem Krieg-schmucke da- kriegerische

Gefolge de- König-.

Lteokles. O Volk von Theben!

Wer das Steuerruder

Des Staates lenkt, der darf nicht läßig sein! Er muß besonnen stets und wachsam bleiben Um zu gebieten, was geschehen soll, Bevor der rechte Augenblick entflieht.

Geht*s wohl dem Volke, preist es laut die Götter, Doch trifft's ein unversehnes Mißgeschick,

So tadelt's laut und schreiet Ach und Weh: Eteokles ist Schuld an aller Noth; Vor dem behüte Zeus die arme Stadt Um sich als Allbehüter zu bewahren! — Ihr Knaben, werdet alt! ihr Greise, jung!

Stärkt eure Leiber allzumal, auf daß Mit Kraft und Eifer jeder seine Pflicht Zu thun vermöge, um die Stadt zu schützen Und ihrer Götter Tempel zu behüten Vor Schimpf und Schande! Steht den Kindem bei

Und ihrer, so wie euer aller Mutter,

7 Der lieben Heimath mit den weichen Matten,

Auf denen ihr gespielt im Lenz des Lebens,

Der Mutter, die euch treu und liebevoll Gehegt, gepflegt und groß gezogen hat

Zu wackern Bürgern, sich zu Schutz und Trutz! Bisher hat gnädig uns ein Gott beschirmt;

Denn ob wir längst vom Feind belagert sind. Uns half der Götter Rath noch stets zum Siege.

Heut sagt der weise Priester unsrer Stadt,

Der nicht auf trügerische Flammenzeichen Sich zu verlassen pflegt, doch sich dafür Auf Vogelflug versteht und wohl mit Ohr

Und Geist zu deuten weiß, was kluge Vögel

Erzählen, daß — so sagt der kluge Meister —

Ein allgemeiner Sturm auf unsre Stadt Bei Nacht vom Feinde vorbereitet sei. — (Der König erhebt sich vom Throne und spricht stehend:)

Drum, Bürger! auf die Mauern! zu den Thoren!

In Wehr und Waffen eilet auf die Wälle! Besetzt die Thürme! hütet jeden Eingang! Seid unverzagt! die Götter stehn uns bei! —

Ich habe kluge Späher auSgeschickt, Die, hoff ich, mir Bericht erstatten werden,

Daß keine Hinterlist uns täuschen soll. — Jetzt geht und rüstet und dann sammelt euch,

Ein jeder an dem Ort, der ihm gewiesen! (Da-S Volk entfernt sich; der König bleibt mit seinem Gefolge zurück. — Sin Kundschafter eilt von der Stadt her auf die Bühne.)

_8_

LunLschafter. König von Theben, Fürst Eteokles!

Ich bringe sichre Kunde aus dem Lager

Der Feinde, was ich sah mit eignen Augen! — Die sieben Feldherm der Argeier brachten Stieropfer dar auf schwarz umsäumten Schilden.

Und stolz und hochgemuthct tauchte jeder

Die Hand' ins Opferblut und schwur beim Gotte Des Krieges, bei der Lenkerin der Schlachten Und bei des Schreckens mörderischem Dämon:

Die Mauern zu zerbrechen und die Stadt

In Staub und Asche zu verwandeln, oder Mit seinem eignen Blut das Land zu düngen. Drauf schmückten sie den Wagen Ädrastos Mit Angedenken für die Lieben, die

Daheim sie ließen, Thränen in den Augen, Doch ohne Klagelaut.

Sie glichen Löwen,

Die mit dem Tod im Auge um sich blicken Und deren Brust vor Kampfbegier sich hebt. — WaS ich gesagt, bestätigt sich sogleich!

Als ich von hinnen ging, da losten sie, Damit daö Glück entscheide, welches Thor Der Stadt ein jeder mit der Schaar, die ihm

Gchorcht, berenncn solle.

Drum, o Fürst

Wird nöthig sein alsbald zu allen Thoren

Erlesne Bürgerschaaren zu entsenden;

In voller Rüstung naht der Feinde Heer: Staub wirbelt auf; die Rosie schnauben wild

9

Und sprühen Flocken weißen Schaums umher! — Beschirm', o König, denn die Stadt, so wie Ein weiser Steuermann das Schiff verwahrt, Bevor der wilde Sturm der Schlacht erbraust! DeS Heeres Wogen überschwemmen schon Weithin das Land und wälzen sich heran. Es drängt der Augenblick! erfass ihn rasch! — Ich eile wieder fort, um zu erspähn, Was weiter sich begiebt. Was meine Augen Erblicken, sollen deine Ohren hören, Damit dich nichts unvorbereitet finde! (Der Kundschafter entfernt sich.)

Ltcokles. Zeus! Erde! Götter! dieser Stadt Beschützer! Und du auch Rachegeist des Vaterfluches! Reißt mit den Wurzeln aus dem Boden nicht Die Vaterstadt, daß sie verderben muß! Sie redet griechisch, ist der Väter Heimath, Der Freiheit hochberühmte Burg und Stätte; Soll nun sie Sklavenketten schimpflich tragen?! Nein! rettet! helft, ihr Götter! euer Schaden Wird sicher nicht es sein, denn nur ein Volk, Das glücklich, hält m Ehren seine Götter! (Der König zieht sich mit seinem Gefolge in den Palast zurück.

Bühne und Orchestra (leiben leer.)

10 Der Chor stürmt auf die Orchestra herein, einzeln, in großer Crregrsg.

Vir Shorculiaeo adwechsrlad. Sie kommen! Aus dem Lager bricht

Ein wilder Strom von Menschen dicht! —

ES stürmt ein Reiterstnrm voran; Staub wirbelt auf und zieht heran! — Ein Bote ist's, der ohne Mund,

Doch deutlich thut, was nahe, kund! — Das Feld von PferdeShufen Widerhall! Und Wagen rasseln! Kampfgeschrei ttschM! — ES rauscht und braust und tobt wie Wasserfall,

Der Fels erbebt vom wUden Wogenschwall! — (Geschrei durch einander:)

Ihr Götter und Göttinnen! Rettet uns!--------

Die Sturmflut hoch und höher schwillt! — Sie rücken näher — Schild an Schild! —

Wie Silber glänzt's im Morgenlicht! — Die Mut sich an den Mauern bricht! (Wirre- Geschrei:)

Rettung! Erbarmen! Götter, helft! —

Kniet nieder! — betet! — Wo denn da? —

Ihr Himmlischen, herniederschaut! — Umschlingt die Bilder! — betet an! —

In unsrer Angst versäumten wir

Das, was sich ziemt! — Ja, schmücket euch Mit Feierkleidem! — kränzet euch! —

Doch eilet euch! — 's ist höchste Zeit! —

11 Horcht! Lanzen raffeln! — Schwerter klirren!

Und Stimmen durch einander wirren! — (Die Thoreutinen haben sich am Altare gesammelt, die Bilder umschlun­ gen, sich auf die Kniee niedergeworfen, und erheben nun dm folgenden Bttt-

gesamg. Während desselben steht die C h o r f ü h r e r i n auf dm Stufen deS Altares um zu beobachten, was in und vor der Stadt vorgeht.)

Lhorgesavg. Urschutzherr! Starker Schlachtengott!

Mach nicht die Stadt zu Feindesspott! —

Im goldnen Helm hochheilige Maid,

Hilf heute wie in alter Zeit! — Ihr Heimathgötter allzumal,

Die ihr behütet Berg und Thal, Nehmt euch auch an der Mädchenschaar, Befteit aus Noth uns und Gefahr!

Lhorsührerrv.

Helmbüsche wallen! Feindesheer! — Hochbrandend braust ein wogend Meer

Gepeitscht vom wilden Sturm der Schlacht: Hei wie es brüllt und tobt und kracht! —

Behüt uns, Vater Zeus, in Gnaden!

Und wehre ab den wilden Feind!

Ach laß uns kommen nicht zu Schaden Durch ihn der's übel mit uns meint! — Schlachttosse knirrschen in die Ketten'

Es klingt wie lauter Mord und Tod!

Wer kommt das Leben uns zu retten? Wer macht ein Ende unsrer Noth? —

12

Es zogen aus der Fürsten sieben — Und sieben Thore hat die Stadt; — Von eigner Kampfeslust getrieben, Doch wie das Los bestimmt es hat!

Lhorgesang. Pallas, du Lenkerin der Schlacht! Steh bei der Stadt mit deiner Macht! — Und hoch zu Rosse, Poseidon! Den Dreizack schwing', vor dessen Drohn Die Wogen scheu sich niederlegen! Verhilf uns zu des Friedens Segen!

Lhorfuhreriu. Streitwagen rasseln draußen vor den Mauern! Die Achsen kreischen! Durch die Lüfte pfeifen Die Wurfgeschosse! Steine prasseln nieder Auf Mauerzinnen! Eherne Schilde krachen! Lhorgesang (in wilder Angst). Ha, welch ein Ende nimmt das noch! Verleih, o Zeus, den Sieg uns doch! Ihr Götter, die den Kampf ihr lenkt, Des Volkes, das euch ehret, denkt! Laßt euer Volk nicht unterliegen! Laßt nicht die ftemden Krieger siegen!

Schutzgötter all'! Den Reigen schlingt! Mit eurer Macht die Stadt umringt! Seid eingedenk der Frömmigkeit,

13 Die stets sich eurem Dienst geweiht

Mt Opfern, mit Gebet, mit Flehen:

Heut labt uns eure Liebe sehen! Der König tritt mit wenigen Begleitern auS dem Palaste.

Cteokles. Ihr unausstehlich Weibervolk! ich frage:

Was soll das heißen? und was hat die Stadt — Was hat das Heer im Angesicht des Feindes Davon, daß ihr vor diesen Götterbildern Euch auf dem Boden wälzt und schreit und heult?

Ein weiser Mann verachtet das.

Ich mag

Nichts wiffen von euch Weibern; nicht im Glück,

Noch auch im Unglück.

Denn im Glücke seid

Ihr stech und übermüthig, und im Unglück

Verzagt und feig, so daß es doppelt schwer. Feigheit steckt an! Mit eurem Angstgeschrei

Verderbt ihr mir das Volk und helft dem Feinde, Der vor den Thoren tobt, indessen wir

Hier in der Stadt uns selbst zu Grunde richten; Das haben wir euch Weibern zu verdanken! —

Ihr sollt gehorchen lernen! Wer nicht thut. Was ich befehle, soll getödtet werden —

Mann oder Weib, gleichviel — durch Steinigung! — Was draußen vorgeht, ist der Männer Sache;

Ihr, Weiber, aber hütet euch, daß ihr Hier drinnen nicht die Stadt in Schaden bringt! — Habt ihr^s gehört? — Sprach ich zu tauben Ohren?

14 Chorsührrrill (furchtsam, bescheiden).

Oidl'pus Sohn! — Wir hörten Wagen rasseln! Wir hörten Rader rollen, Achsen kreischen Und Ketten klirren am Gebiß der Pferde!

Lteokies. Was Der, Vom Sich

weiter! — Nun, ihr macht es wie der Schiffer, wenn der Sturm sein Schiff in Noch gebracht, Steuerruder fort zum Vordertheil flüchtet um dem Tode zu entgehn! Lhorführeriu.

Als wir vernahmen, wie die Thore krachten Vom Sturm der Wurfgeschosse, da befiel Uns Angst; wir flohen zu den BUdern hier Und flehten, daß die Götter helfen möchten. Eteokics. Betet die Mauern und die Thürme an, Daß Stand sie halten! Götter könnens nicht;

Doch ist die Stadt gefallen, ziehn sie fort! Chor. O daß nie wir mögen sehen, Wie von hinnen Götter gehen,

Wie als Sieger Feindeshaufen Durch die öden Gassen laufen,

Schwert und Fackel in den Händen

Tod uns und Verderben spenden!

15 Eteoklrs. Hört auf zu beten, denn es hilft zu nichts! Gehorsam hilft allein zu Glück und Heil Dem Volke! — Weiber, glaubt und merkt euch das!

Chor. Götter sind nicht Wahngebilde! — Groß an Macht und reich an Mllde Auf vom Staube sie uns heben, Richten uns empor zum Leben, Lassen nach der Nacht der Sorgen Leuchten schönrer Zukunft Morgen!

LteoKles. Gs ist der Männer Sache, naht ein Feind, Den Göttern Spend' und Opfer darzubringen; Ihr sollt im Hause bleiben um zu schweigens

Chor Der Götter Huld den Sieg verleiht Und giebt den Mauern Festigkeit! —

Also der Mund des Weisen spricht; Darum, o König, straf uns nicht!

EteoKles. Ich tadle nicht, daß ihr die Götter ehrt,

Doch sollt ihr nicht mit Ach- und Wehgeschrei Das Volk mir feig und widerspenstig machen.

Chor. Als draußen Kriegeslärm erscholl, Flohn her zur Burg wir sorgenvoll:

16 Wir suchen Schutz am sichern Ort, Denn unsre Götter thronen dort!

Eteokles. Nun gut! Doch bringt man Kunde her von Todten Und solchen, die verwundet worden, schreiet Dann euern Jammer nicht in alle Lüste! — DaS ist der Ärieg, der will sein Opfer haben.

Erste Choreutin. Man hört der Rosie wildes Schnauben schon!

Eteokles. Stopft euch die Ohren zu, so hört ihr nichts.

Zweite Choreutin. ES bebt die ganze Stadt vom Feind bestürmt!

Eteokles. Ich aber halte sie und das genügt.

Dritte Choreutin. Ha! immer lauter braust der wilde Sturm!

Eteokles. Schweig! willst hinunter in die Stadt du's schrein?

Vierte Choreutin. Erbarmet euch! ihr Götter unsrer Stadt!

Eteokles. Du bist des Todes, sprichst du noch ein Wort!

Fünfte Choreutin. Behütet, Götter, uns vor Sklaverei!

17 Lteokles. Du machst zu Schanden dich und mich, die Stadtl Sechste Lhorentiu. Allmächtiger! schleudre deinen Blitz herab! Lteokles. Allmächtiger! zu was erschufst du Weiber?!

Siebente Lhorentin. Um mit den Männern Noth und Tod zu dulden!

Lteokles. Ihr sollt nicht wieder zu den Göttern schrei'n. Ächte Lhorentin.

Die Furcht bewältigt uns: wir müssen schrei'n!

Lteokles. Nun denn, so will ich bitten euch — gewährt's!

Üenvte Lhorentin. Du — bitten? — König? — Sprich, es wird geschehn. Lteokles. Ich bitt euch: Schweigt und ängstet nicht das Volk!

Zehnte Lhorentin. Wir wollen schweigen, ja, und dulden still. Lteokles. Nun seid ihr endlich zu Vernunft gekommen! — Fort von den Götterbildern jetzt! Wir wollen Die Götter uns zu Bundgenossen machen! — Durch ein Gelübde werd' ich sie gewinnen; Marbach, AeschyloS Tragödien.

2

18 Dann lasset hören euren Festgesang,

Wie Sitt' und Brauch in Hellas mit sich bringt. Dem Volk zum Trost und zur Ermuthigung!-------„Götter des Lands, die ihr die Stadt bewachet, Die Felder hütet und den Markt beschützet, Die Flur berieselt und mit Waffer tränket!

Hiemtt gelob ich: wird uns Sieg zu theil

Und wird die Stadt Befreit, so werd' ich euch Ein reichlich Opfer bringen: Lämmerblut

Soll euren Herd benetzen und ein Stier Soll euch geschlachtet werden; von der Beute, Die wir gemacht, empfanget ihr sodann

Die Siegeszeichen, die zerbrochnen Waffen,

Um eure Tempel würdig auszuschmücken!" — In diesem Tone betet nun auch ihr! Doch nicht mit Händeringen und Geschrei; —

Was uns beschieden ist, erfüllt sich doch! —

Sechs meiner besten Helden will ich wählen Und als selbsiebenter mit ihnen dann

Die sieben Thore unsrer Stadt besetzen,

Bevor noch allerlei Geschwätz herein

Zu dringen wagt, das unsre Noth vermehrt. (Ter König begiebt sich mit seinen Begleitern in den Palast zurück.)

Lhorgesaug. (Leise beginnend, immer stärker anschwellend.)

Vergebens wir nach Faffung ringen;

Nicht läßt die Angst es uns gelingen.

19 Tie Sorge sitzt am Herzen Und peinigt es mit Schmerzen, Und fachet an die grimme Glut Der Furcht, die frißt der Seele Muth.

Die bösen Feinde uns umringen Um auf die Beute loszuspringen.

Wir aber gleich den Tauben Erbeben, daß uns rauben

Die Schlangen aus dem Nest die Brut, Die anvertraut ist unsrer Hut.

Hai schon zur Burg empor sie kletternl Gestein auf uns herab sie schmettem! Und immer neue Schaaren

Bedrohn uns mit Gefahren: Ihr, Götter! schirmet Burg und Stadt, Die Kädmos einst erbauet hat! Ihr, Götter, dürfet nicht entfliehen! Wo könntet hin ihr jemals ziehen, Wo grüner stehn die Auen Und lieblich anzuschauen, Wie hier? wo rauschet frisch und hell Und labt wie hier ein Silberquell?!

O werft hinab von Wall und Thürmen Die bösen Feinde, welche stürmen!

Daß wir im Heiligthume Bekränzen euch mit Ruhme;

20 Auf daß ihr auch in künftiger Zeit Noch thronet hier in Herrlichkeit!

Schmach und Schänd' in Ewigkeit Wär' es, wenn Argeierneid Stürzt' die Stadt des Ruhms,$ Höchsten Alterthums,

In das Reich der Nacht hiernieder Um sich nie zu heben wieder! Wenn die wilde Kriegerschaar Frauen sing' am Lockenhaar, Am zerrißnen Kleid Fort sie schleppte weit Hin zum fernen stemden Lande

Dort zu tragen Sklavenbande

Schmach und Schänd' in Ewigkeit Wär's, wenn jungftäuliche Maid Elend würde hier

Opfer wilder Gier! Besser wär' es früh zu sterben Als so kläglich zu verderben.

Fällt die Stadt in Feindeshand; Rasen Raub und Mord und Brand Auf der Gaffe, und im Haus Toben Angst, Geschrei und Graus;

21 —

Und der Götter heilige Stätte Wird des blutigen Elends Bette ♦ * * Krachend stürzt zusammen Mauerwerk und Thurm In die wilden Flammen Aufgepeitscht vom Sturm! Wildentmenschte Horden Schwarz gefärbt von Rauch Mann und Weib ermorden, Greis und Säugling auch! Eine Räuberrotte Fällt die andre an, Trägt mit rohem Spotte Fort die Beute dann. Andre sich gesellen Um auf Raub zu gehn Wie die wilden Wellen Bei des Sturmes Wehn. Wenn den Raub sie haben. So erwacht der Neid, Ter die gieren Raben Treibt zum wüsten Streit! Herbstes Erntesegen Liegt zerstreut im Staub, Wird auf schmutzigen Wegen Des Verderbens Raub!

22 Arme Maid beweinet

Unverdiente Schmach; Rettung erst erscheinet.

Wenn ihr Auge brach. Line Lhireutto.

Der Bote, der auf Kundschaft ausgegangen, Kam in die Stadt zurück und bringt, wie'S scheint,

Vom Feinde Neuigkeiten.

Seht wie eilig!

eint andere Chorentin.

Der König kommt entgegen um zu hören, Was jener Bote ihm zu melden hat; — Auch er beschleunigt hastig seinen Schritt! Der König tritt mit seinem kriegerischen Gefolge rasch aus dem Palaste,

nimmt Platz auf dem Throne und erwartet den aus der Stadt herbeieilenden

Kundschafter.

Snndschafter.

Ich komme um zu melden, was ich weiß Von Stand der Schlacht und Ordnung zum Gefechte:

Welch Thor der Führer jeder sich erlöst. —

ES tobt TydruS bereits am ProitoSthore; Doch hält ein Seher noch sein Volk zurück:

ES soll den JsmenöS nicht überschreiten, Weil sich das Opfer günstig nicht erwies. TydcuS, der brennt vor Wuth und Kampfbegier

Dem Drachen gleich, der schmort in MittagSglut, Beschimpft den Seher, nennt ihn feiger Hund

Und feiler Lügner, schüttelt wild des Helms

23 Dreifache Roßschweifmähne und den Schild Mit ehernen Schellen, die Entsetzen klirren.

Auf seinem Schilde prangt ein Wappenblld, Tas stellt den Himmel dar mit güldnen Sternen,

Und in der Mitte strahlt der lichte Vollmond Als schönster Stern und Aug' in finstrer Nacht. So prunkvoll ausgerüstet stampft Tydeus

TeS Flusses Ufer wie ein muthig Schlachtroß, Das am Gebisse knirscht und schäumt und hoch Aufbäumt, bis endlich schallt Drommetcnrus! —

Wen stellst du ihm entgegen, Fürst?

Wer schützt

Das Proitosthor, sobald es aufgethan?

Eteo Kler. Wer fürchtet fich vor Helm und Schild? — Ich nicht! —

Es können Bilder keine Wunden schlagen! Und Flederwisch und Schellen stechen nicht! — Doch jene Nacht auf seinem Schilde, die Mit ihren Sternen prahlt im Mondenschein,

Kann leicht verhängnißvoll dem Träger werden.

Wenn sich die Nacht des Todes niedersenkt Auf Menschenangeficht, dann ist's vorbei Mit aller Herrlichkeit von Sternenglanz

Und Mondeslicht.

Hochmuth zu Falle kommt!

Das ist der Wahrspruch dieses Wappenbildcs! — Dem Prahlhans stell' ich einen Mann entgegen,

Am Proitosthore, der von edler Art Bescheiden ist und Eitelkeit verachtet,

24 Der reich an Muth unb Tapferkeit, doch arm

An hohler Flunkerei mit Worten ist. Ich meine ihn, der stammt aus jener Saat, Die aus der Erde aufgegangen ist Aus Drachenzähnen, welche Kadmos säte, Um für sein Theben Helden einzuernten. — Menälipposl der Drach, aus dessen Zahne Hervorgegangen du, war Ares Sohn, Des Gotts des Kampfes! gehe hin und kämpfe Für deiner Mutter-Erde Heil und Ehre! (MenalippoS ab.)

Chor. Dem Helden Heil, der kühn zum Streite

Auszieht fürs theure Heimathland! Der Götter Segen ihn geleite Und stärke feine Heldenhand! O möchten nie wir ihn beweinen, Bleib er erhalten uns, den Seinen! Luudschaster.

Die Götter mögen ihm den Sieg verleihn! — Das Thor Elektra loste Käpaneus, Ein zweiter Riese, stärker als der erste, Der übermenschlich Gräßliches ersinnt, Und prahlt mit dem, was Gott verhüten möge. Er will die Stadt dem Untergange weihn, Gleichviel, ob Götter wollen oder nicht, Ja, ob der Zorn des Zeus es wehren wollte. Er achtet Blitz und Donnerkeil nicht höher,

25

Als Mittagswärme, wenn die Sonne scheint.

Sein Wappen ist ein nackter wilder Mann,

Der eine Fackel schwingt in seiner Hand Und drunter steht in Gold: „3dj bringe Brand." — Wer, König, soll mit dem den Kampf bestehn?

Wer kann dem Frechen dreist ins Antlitz schaun?

Lteoklee.

Des Feindes Frechheit hilft zum Siege uns; Den Kecken schlägt sein eigner Übermuth!

Wenn Kapanens mit seinem bösen Maul Die Götter höhnt in wilder Trunkenheit,

Berauscht von Größenwahn die Eintagsfliege

Mit ihrem Summen überdonnem will Den Donnrer Zeus, so dürfen wir vertrauen, Daß Zeus gewiß sich rührt und einen Strahl

Auf dieses Lästrers dummen Schädel schießt, Der etwas heißer brennt als Sonnenschein Zur Mittagzeit.

Uns ist das eben recht! —

Was meinst du, Polyphöntes, stolzer Recke? Maulheldenthum erschreckt dich sicher nicht,

Und alle Götter sind mit dir im Bunde! — (PolyphonteS ab.)

Fahr fort! ein andrer Feind! ein andres Thor!

Chor. Wie stolz und frech der Mensch auch prahle, Zeus folgt nur seinem eignen Rath!

Er trifft mit seinem Wetterstrahle

26 Den, welcher sinnt auf Miffethat. Nie mög' aus stiller Mädchenkammer

Uns reißen roher KnechtschastSjammer! Luadschafter.

Nun denn das dritte Thor — das dritte Los! — ES ward befchieden dem EteokloS

Aus ?"lrgoS, durch des Helmes Schwung und Wurf Das NkiSthor mit seiner Schaar zu nehmen. Er jagt zum Thore hin mit seinen wilden

Stteitwagenrossen über Stock und Stein: Die Rosie schnauben mit gespannten Rüstem

DeS innern Brandes Dampf und wiehem kreischend. Auf seinem Schilde glänzt ein buntes Bild: Ein Mann in Waffen steigt auf einer Leiter

An einer Burg empor.

Und ringe hemm

Ist eine goldne Inschrift, welche lautet: „Es schützt kein Gott die Burg, die ich ersteige!" — Schick ihm, o Fürst, den Helden, der vermag

Von uns das Joch der Knechtschaft abzuhaltcn!

Eteoliler. Auf, Megareus! — (MegareuS eb.)

Er ist schon unterwegs,

Der Sohn Kreons, der Sproß aus Drachcnsaat, Der seinen Ruhm in starken Händen trägt.

Er fürchtet nicht der wilden Rosie Toben Und zieht zum Thor hinaus um jede Schuld An seine Heimath sterbend abzuttagen,

27 Wenn nicht die beiden Männer sammt der Burg,

Die auf dem Schilde prangt, er fängt und heim Als Amte bringt zum Schmuck des Vaterlandes.

Shor. Der Sieg fei drin, du Hort der Ehre,

Der streitet für fein Heimathland, Damit der Feind eS nicht versehre,

Der es bedroht mit frecher Hand! Es sollen elend alle sterben. Die sinnen unsrer Stadt Verderben!

üuadschaftrr. Ein vierter Recke tobt mit wildem Grimme

Am Thor PalläS: der Riese Hippomcdon.

Als ich ihn schwingen sah den mächtigen Schild

Der Sonnenscheibe gleich, die sich erhebt. Da, muß ich sagen, bebte mir das Herz.

Ein wackrer Künstler hat den Schild geschaffen:

Man sieht Typhön, aus besten Rachen Feuer Und schwarzer Rauch entströmt und rings am Rande

Des hochgewölbten Schilds verschlungne Schlangen. —

Der Riese jauchzt und stürmet Tod im Auge Und trunken vor Begier ins Kampfgewühl!

Dem gegenüber gilt's Besonnenheit, Daß nicht sein Anblick schon durch Schrecken lähme. Eteokler.

Pallas, die Göttin der Besonnenheit, Die in der Nähe dieses Thores nistet,

28 Macht wohl den wilden Drachen zahm, daß er

Nicht ihre Brut beschädigt! — und ich stelle

Dem Recken einen Recken gegenüber, Der's mit ihm aufnimmt — dich Hyperbios!

Du wolltest ja im Kampfe dich erproben Und stehst an Seel' und Leib und auch an Rüstung

Euch beide hat

Nicht deinem Gegner nach.

Hermes der Todtenführer auserwählt

Als seine Kämpfer; denn er stellt dem Helden

Den Helden gegenüber und dem Gotte Den Gott, der feindlich ihm.

Hat Hippomedon

Auf seinem Schild Typhön den Feuerspeier;

So trägt HyperbioS auf seiner Tartsche Den Vater Zeus mitsammt dem Donnerkeile, Den, wie man sagt, noch Niemand übertrumpfte.

Wir halten's mit dem Sieger, unser Feind

Mit dem Besiegten, und so hat ein jeder Den richtigen Schutzpatron! Es wird sich zeigen,

Ob wahr ist, was die Leute sich erzählen: Es habe Zeus einst den Thyphön besiegt; — Dann muß Hypörbios der Sieger sein!

(Hyperbios ab.)

Chor. Der Freche, der in seinem Schilde Zeus wilden Widersacher führt,

Der hat mit seinem Wappenbilde Sich selber sichern Tod erkürt.

___ 29 _

Erliegend in des Kampfes Wettenr Wird er am Thor sein Haupt zerschmettern!

LnuLschafter.

So sei es! ja! — Nun kommt der fünfte Held! Am Norderthore, bei des zeuserzeugten

Amphions Grabe schwört ein junger Held

Bei seinem Spieße, den im Uebermuthe Er höher noch als eine Gottheit achtet,

Ter lieber ihm als seiner Augen Licht: Taß er des Kädmos Stadt erstürmen wolle

Tem ewigen Zeus zum Trotz! So jauchzet laut

Parthenopaos, Sohn der Atalänte, Ter schnellen Jägerin im Waldgebirge.

Ein kühner Degen! doch von Angesicht Ein Jüngling noch, holdselig anzuschaun, Tem erster Flaum um Kinn und Wangen sprießt.

Jungfräulich sanft — worauf sein Name deutet —

Tas ist er nicht: verwegen ist sein Sinn Und wild sein Blick; so steht er vor dem Thore

Und prunkt mit seinem hochgeschwungnen Schilde Auf dem das Ungeheuer, welches Theben

Mit seinem Räthsel einstens heimgesucht,

Die Sphinx zu schauen ist, die einen Mann Von Thebens Volk in ihren Pranken hält, Damit ihn treffe jedes Wurfgeschoß,

Das mit dem Schilde aufgefangen wird. Parthenopäos aus Arkadien,

30

Ter Argos sich zur zweiten Heimath wählte,

Zog in die weite Welt auf Abenteuer Für sich und Argos Ehre zu erbeuten; —

Mög er vor Theben Tod und Schande finden! Steoklcs.

Nun — haben Götter Ohren und Gewalt Die ftechen Prahler nach Verdienst zu strafen,

So müssen alle elend untergehn! — Ich habe meinen Mann für jenen Knaben

Vom Land Arkadien, der zurecht ihn peitscht: Den Äktor, Bruder des HypkrbioS.

Kein Held in Worten, doch ein Held in Thaten, Straft er den ungezognen Burschen ab

Und schickt ihn heim mitsammt dem Fratzenbilde Auf seinem tapfern Schilde; und die Sphinx, Zum zweitenmal von Theben fortgescheucht,

Wird wenden sich im Zorn — von uns zu ihm! (Aktor ab.)

Lhor.

Das freche Wort, als wir es hörten,

Schnitt tief hinein in unser Herz, Die Haare auf dem Haupt empörten

Vor Zorne sich und wildem Schmerz. Vertilgt, ihr Götter, diese Rotte,

Die euch verhöhnt mit frevlem Spotte! Lnudschaster. Den besten und den weisesten der Streiter

Nenn' ich als sechsten: Amphiaraos,

31 Den Seher, der am homolöischen Thor

Mit seinem Volke hält.

Er zürnt und schilt

Tydeus als Menschenschlachter, Stadtebrecher, Als Lehrer aller Laster, als Verderber Des Volks von Argos, als der Rachegeister Scharfrichterknecht, als gieren Bluthund, der Den König Ädrastos durch bösen Rath Verführt zum Unglückskriege wider Theben. Auch deinen Bruder Polyneikes klagt Der Seher an, indem er seines Namens Bedeutung rügt: „Streitsüchtig nennst du dich;

Streitsüchtig bist du auch!" Und weiter höhnt Mit bittern Worten Amphiäraos: „Wie rühmlich, wie den Göttern angenehm

Ist deine Heldenthat! Noch ferne Enkel Hören und nennen staunend deinen Namen:

Du hast die Stadt der Väter dein zerstört, Der Heimath-Götter Tempel umgestürzt, Mit fremdem Volk das Vaterland verwüstet! Der Mutter-Erde Quellen sind versiegt, Des Vaterlandes Boden ist verdorrt; Der Fluch der Knechtschaft macht zum Feind ihn dir! — Ich selber sind' in ihm ein ftühes Grab: Der Seher wird in Feindeserde ruhn! — Doch nun zum Kampf! zum ehrenvollen Tod!" — Der Seher sprach's und schwang den runden Schild, Der ohne Sinnbild, ohne Inschrift ist:

Es will sein Herr nicht scheinen, sondem sein,

32 In dessen tiefster Brust ein reicher Born

Der Weisheit quillt, die guten Rath ertheilt. —

Dem stell, o Fürst, den besten Mann als Kämpen,

Stark ist der Gegner, der die Götter ehtt! Cteoklcs. Es ist ein Unglück für den frommen Mann, Wenn er Gesell von Ungerechten ist:

Schlechte Gesellschaft bringt in Mißgeschick;

Und auf dem Feld der Sünde reist der Tod! — Ein braver Mann, der fährt im selben Schiffe Mit Bösewichtem, muß gewärtig sein, Daß er mit ihnen Raub der Wellen wird. Und wer zugleich mit Dieben und mit Mördern Gefangen wird, der wird wie sie gehenkt! — Was hat der weise Seher, ftomme Mann Und tapste Held, der weiß, was kommen muß, Zu schaffen mit dem frechen Raubgesindel,

Das wider diese weit entlegne Stadt Auf Abenteuer und auf Beute zog?! — Er wird gleich ihm — mit Gott — des Todes Raub! — Zwar weiß ich, daß er nicht das Thor berennt — Richt, weil ich ihn für feig und treulos hielte, Doch weil er weiß, daß ihm der Tod gewiß — Er ist ein Seher ja und kennt den Spruch: Apollon spricht die Wahrheit oder schweigt —; Ich will indeß ans Thor, vor dem er steht, Solch einen Pförtner stellen, der ein Greis

___ 33___

An Weisheit, ob ein Züngling noch an Jahren Und Jugendmuth, gar ein besondrer Held,

Der sich auf Schwert, so wie auf Schild versteht: Lasthe'neSl geh auf deinen Posten: Glück

Steht dem zur Seite, den die Götter lieben!

(Lastheneö ab.) Chor. Erhöret uns, ihr gnadenreichen

Erhabnen Götter! schirmt die Stadt;

Es muß vor euch im Tod erbleichen Der Feind, der euch getrotzet hat!

Ihn bringt der Blitz des Zeus zu Falle Und schleudert ihn hinab vom Walle!

Luudschaster.

Ein Thor noch fehlt, es ist das — siebente,

Und vor ihm steht — dein eigner Bruder! Fürst! — Vemimm den Fluch, mit dem er diese Stadt

Heimsucht und dich. — Es soll Posaunenhall Begleiten ihn, wenn er die Burg ersteigt —

Um dich zu treffen — um zu tobte« dich — Und selber tobt zu liegen neben btr; — Um, wenn er lebenb bich ergreift, an bir

Zu thun, wie bu zuvor an ihm gethan:

Er will dich stürzen unb ins Elenb jagen! — Mit biesem Felbgeschrei ist Polyneikes Heut ausgerückt: bie Heimathgötter ruft

Er an, baß sie zu seinem Recht ihm helfen. Auf seinem ehernen Schilbe blank unb neu, Marbach, AeschyloS Tragödien.

3

34 Erglänzt in Gold geprägt ein Doppelbild: Ein Weib, das einen Mann in voller Rüstung Führt an der Hand; und rings die Schrift besagt:

„Es führt Gerechtigkeit den Mann zurück In seiner großen Väter Heim und Reichl" — So denkt und spricht dein Bruder; — du, o Fürst!

Bedenke, wen du zum Empfange schickst?--------

Ich habe meine Botenpflicht gethan; Du, König, thu, was deines Amtes ist! (Der Kundschafter geht langsam von hinnen.)

Lteok les

(tief nachdenklich).

Stamm des Oidipus, den die Götter Haffen, Verblenden und verfolgen, jammervoll

Mußt du zu Grunde gehn! — Der Vaterfluch Geht in Erfüllung jetzt!-------- Fort! feige Klage, fort! Wer Thränen sät, der erntet nichts als Noth!

Es macht mein Bruder seinem Namen Ehre: Ein Kampfhahn heißt er, und ein Kampfhahn ist er! Bald zeigt sich, ob die Göttin heiligen Rechtes An seinem Hahnenschrei Gefallen findet!

Es wird sich zeigen, ob die goldne Inschrift Auf seinem Schilde ihm zu dem verhilft,

Was er sein Recht in tollem Wahne nennt.

Ja — ließ er von Gerechtigkeit sich leiten Bei allem, was er thut und sinnt, so wäre Vielleicht zu helfen ihm.

Doch damals schon,

Aks er geboren ward, als er ein Kind,

35 Als er ein Jüngling war, hat ernst unb traurig Gerechtigkeit von ihm sich abgewendet. Und jetzt, wo er fein Vaterland mit Krieg Verruchten Sinnes heimzusuchen wagt, Wird schwerlich sie die Hand zum Bund ihm reichen. Die Göttin hilft dem, welcher Unrecht leidet, Nicht dem, der Unrecht thut; ja, beffen Dasein Nichts weiter als ein sühneloses Unrecht! — Im Namen ewigen Rechts erheb ich mich Unb gehe hin zum Kampfe — wer hat mehr Als ich ein Recht zu biefem Kampf zu schreiten? Fürst gegen Fürst unb Bruder gegen Bruder, Feind gegen Feind — so tret ich ihm entgegen! Bringt Spieß und Schild und Harnisch mir! — Geschwind! — Lhorführeriu. Nein, großer König, Sohn Oidipns, nein! Du gleichst nicht jenem Frevler, der dich sucht. Es ist genug gethan, wenn Thebens Bürger Zum Kampfe ziehen gegen Argos Macht. Das Blut, das fließen wird in solchem Kampfe, Tas läßt sich sühnen; doch nicht Bruderblut, Vergossen wechselseitig; schauderhast Ist solche Frevelthat in Ewigkeit!

Ltcokles. Leid ohne Schande läßt ertragen sich, Das heilt der Tod. Doch Leid mit Schande, nein, Das ist nicht zu ertragen — fort damit!

36 Chor. Zahme dein stolzes Herzl

Laß nicht von Zorn und Schmerz, Trotzendem Heldensinn Reißen dich hinl Lteokles.

Es drangt ein Gott zum Ende ungestüm;

So fahr in ewige Nacht des Läjos Stamm, Vor dem der Sonne grauet ihn zu schaun.

Chor. Wehe! dein Feuergeist Fort in den Tod dich reißt:

Möchtest in Bruders Blut Löschen die Glut!

Lteokles. Ich sehe seines, meines Vaters Blld Mit thranenlosen, leeren Augenhöhlen Und höre seinen Fluch; — mein Trost ist Haß! Shor. Fort mit dem Wahngebild! Niemand als feig dich schilt, Weichst du dem Bruder aus. Dann aus dem Vaterhaus Weichet der Rachegeist!

Wenn du dich fromm erweist, Himmlischen Segens Glück Kehret zurück!

37

Lteoklrs. Es haben mein die Götter längst vergessen; Sie freun sich nur am Blut des Opfers noch; — Warum noch zaudem in den Tod zu gehn?!

Chor. Zaudre nur dießmal noch: Klärt sich der Himmel doch Nach der Gewittemacht! Wieder die Sonne lacht, Wonnige Winde wehn, Leben und Lust erstehn! Jetzt nur in Sturm und Graus Schüttert das Haus!

Cteokles. Oidipus Fluch geht in Erfüllung heut Sammt all den Traumgesichten, die ich schaute Vom blutigen Untergange seines Reiches.

Chorführerin. Ob du die Fraun verachtest, — hör auf sie!

Cteokles. Was wollt ihr, daß ich thue? — faß dich kurz!

Chorführerin. Geh nicht zum Thore — nicht zum siebenten! Cteokles. Ein schneidig Schwert wird nicht durch Worte stumpf.

38 Lhorsöhrrri«. Der beste Sieg wird ohne Blut erkämpft!

LteoKler. Ein gutes Wort, — nur gilt's für Krieger nicht!

Lhorfähreri«.

So willst du deines Bruders Blut vergießen? Lleolilcs. Er soll mir nicht entrinnen — will es Gott! (Eteokle«, der sich inzwischen rollständig bewaffnet hat, entfernt sich mit seinen noch übrigen kriegerischen Begleitern nach der Stadt zu.)

Lie Choreutinen gruppiren sich um den Altar auf der Orchestra.

LhorgFsang. Die Rachegöttin naht!

Das Schreckensbild mit bleichem Angesicht, Das streuet Todessaat, Wahnsinn im Auge wilde Flüche spricht, Und Bruderherzen auf einander hetzt: Oidipus Fluch erfüllt sich jetzt!

Erbarmungloser Stahl Theilt seine Lose an die Kämpfer aus; Da giebt es keine Wahl: Vom großen Reich erhält ein kleines Haus Ein jeder, wo er einsam wohnen mag Bis auf den allerletzten Tag!

39 O Herzeleid! o Jammersnoth! Der Bruder schlagt den Bruder todt!

Die Erde heiß von Racheglut Trinkt gierig rothes Menschenblut! Wer wäscht der Mörder Leichen rein? Wer wagt die Graber einzuweihn? Es klingt ein Spruch aus alter Zeit,

Der sich erfüllt durch Herzeleid Bis in des Stammes drittes Glied; Was langst verkündigt ward, geschieht: Blieb Läjos einstens kinderlos

So zog er nicht das Unheil groß! Bethört durch schlimmer Freunde Rath Hat er gesät Verderbenssaat; Sein Sohn Oidipus zog sie groß Aus seiner eignen Mutter Schoos; So ward gezeugt die böse Brut, Die raset nun in Wahnsinnswuth! Es wogt und wallt ein Sündenmeer Rings um die Stadt nun schwarz und schwer,

Das spült ein jedes Bollwerk fort Und übersttömt des Schiffes Bord; Die ganze Mannschaft wird ertränkt,

Das Schiff ins tiefe Meer versenkt!

*

*

*

40 Die Wogen wurden aufgewühlt Vom Sturm urallen Schicksalfluchs, Der alles hat hinweg gespült, Was hier von Menschenglück erwuchs.

Wie ward gepriesen hoch und laut Oidipus einst, als er befreit Die Stadt von jener Elendsbraut, Die sie gestürzt in Noth und Leid!

Der aller Räthsel Lösung sand, Der wußte von sich selber Nichts; Und als er selber sich erkannt, Beraubt' er sich des Augenlichts! Er mochte nicht das Elend schaun, Das über sich er selbst gebracht,

Und wandte sich hinweg mit Graun Von Lebenstag in Todesnacht!

Und legt' auf seiner Söhne Haupt

Den Fluch: daß Herrscher sei im Reich Nach ihm, wer seinem Bruder raubt Das Leben und das Reich zugleich!

Der Kundschafter ist auf der Bühne erschienen und spricht zum Chore.

Luudschasier. Faßt frischen Muth, ihr Mädchen allzumal, Die eurer Mütter schönster Schmuck ihr seid:

Theben ist steil Wir alle bleiben steil —

41

Danieder liegt der Feinde Übermuth! Tas Schiff des Staates fährt auf glatter See Heil und gesund, wie hoch die See auch ging: Tie Mauern hielten aus! die Thore stehn Bewacht von Helden und von derm Mannen! — Sechs Thore blieben völlig unversehrt, Und nur das siebente erwählte sich Der Fürst der heiligen Siebenzahl Apöllon: — Oidipus Söhne haben dort die Schuld Des Ältervaters Läjos abgetragen!

Lhorführeria. Ein neues Unheil traf die Vaterstadt! üundschafter. Die Männer fielen einer durch den andern!

Lhorsührerio. Wer fiel? durch wen? der Athem geht uns aus! Lundschafter. Faßt euch: Oidipus Söhne — beide todt!

Lhorführcrin. Ich hab es wohl gedacht! Ha, meine Ahnung —

ünndschafter. Ging in Erfüllung — beide sind sie todt! L h o r f ii h r e r i n. Entsetzlich! grausenhast! — Doch sprich: wie kam's?

42 Luu-schaster.

Der Bruder schlug den Bruder — beide starben.

Shorfuhrerill. Derselbe Dämon brachte beide um!

Lvu-schafter.

Der unheilvolle Stamm ward ausgerottet! Unheil und Heil besagt dasselbe Wort.

Gerettet ist die Stadt! — Doch ihre Fürsten ZerspMen ihre Herrschaft mit dem Schwert Und haben jeder ihr bescheiden Theil Errungen sich: ein Grab im Vaterlande! DeS Vaters Dämon hat sie umgebracht Und so die Stadt befteit, — der Brüder Blut Ward ausgegoffen als Versöhnungsopfer! (Der Kundschafter entfernt sich langsam.)

Dle Choreutinen bewegen sich während der folgenden Strophe ünlsilich durch einander und theilen sich schließlich in zwei Gruppen.

Shor.

Hochherrschender ZeuS! und ihr Himmlischen all', Die ihr hütet die Stadt und die Burg, die dereiust Held KädmoS erbaut, die Kadmeia! — WaS sollen wir thun? Lobpreisen und Dank Darbringen dem Retter der Stadt und des Volks Das erlöst er von drohender Knechtschaft? — Was sollen wir thun? Laut klagen um sie,

43 Die der Tod hinriß, um die Fürsten, die, ach,

Reich waren an Leid, reich waren an Schuld, Die kinderlos mußten verderben? (Sie eine der beiden Gruppen der Choreutinen hat sich rechts, die andere links vom Altar auf der Orchestra aufgestellt; die Chorführerin steht in

der Mitte auf den Stufen des Altars.)

Lhorgrsaag. Schreckensfluch, der sich erfüllte,

Den OidLpus einst gesollt, Als der Jammer sich enthMe, Der sein Dasein ihm vergM! Kalte Schauer durch die Glieder Rieseln, — singet Todtenlieder!

Grabgesänge lasst erschallen Zu den Thränen, die vergossen

Werden um die Schwertgenossen, Die durch Wechselmord gefallen! Nicht in leere Luft gesprochen

Hat gequältes Vaterherz: Lajos Frevel ward gerochen Und gesühnt durch wilden Schmerz. Lasset an die Brust uns schlagen, Lasset tönen laute Klagen: Göttersprüche sich erfüllen — Ungeheures ward begangen,

Ungeheures ward verhangen, Und die Räthsel sich enthüllen!

44 Lhorführrriu

(in die Ferne deutend).

Was UNS verkündet ward, erfüllt sich dort! (Die Choreuttnen wenden sich nach der Bühne zu.

Don der Stadt her

treten zwei Leichenzüge auf die Bühne; einer von rechts, der andere von lintS — Krieger tragen auf Bahren die Leichen des Poli-netreS und des EteotleS — die Bahren werden auf der Bühne niedergestellt.

Volk

drängt nach — gruppirt sich auf der Treppe, die von der Orchestra zur Bühne führt, zu beiden Seiten.

Der Chor ist in lebhafte Bewegung gerathen —

und stimmt endlich den nachfolgenden Chorgesang an.)

Die Lhoreutiueu

(vereinzelt).

Schaut hin! — Schaut hin! — Ja! beide! — Beide! seht! — Durch Brudermord gefallen! — Brudermörder! — Der eine wie der andre! — Schauderhaft! — Leid über Leid! — Fluch über Fluch! — O Qual!

Lhorgesaug. Nach dem Takt der Ruderschläge Ringt die Hande, Klageweiber! Grüßt auf ihrem letzten Wege Dieser Todten blutige Leiber!

Auf dem schwarz beflaggten Schiffe Fahren schon die bleichen Schatten; Charon lenkt mit sicherm Griffe Hin zum Reich dem Nimmersatten! Wo die Sonne niemals scheinet, Trauer nur und Sehnsucht hausen, Jedes Auge nur noch weinet, Jede Seele füllet Grausen! Nach dem Takt der Ruderschläge Ringt die Hände, Klageweiber!

45

Grüßt auf ihrem letzten Wege

Dieser Todten blutige Leiber! (AuS dem Palaste treten die beiden Schwestern, Antigone und ZSmene,

in Trauerlleider gehüllt.

Sie begeben sich zu den Leichen: Antigone zu

der des PolynetkeS, JSmene zu der deS EteokleS, — neigen sich

über sie — knien nieder — weinen.)

Chorfuhrerill

(leise).

Dort nahen die Schwestern der Todten im Gram

Und in Trauer versenkt, um der schmerzlichen Pflicht

Zu genügen mit Thränen und Jammer und Leid Aus der tiefaufwogenden ächzenden Brust: Antigone seht und Jsmene! — Wir wollen erheben den Rachegesang, Wie die Pflicht es verlangt, und dem Hades dann

Zusenden ein Lied des Entsetzens! (laut:)

Leidtragende Schwestern, die niedergebeugt Haarsträubendes Leid, wie noch nimmer ein Weib,

Jungfräulich gegürtet, erduldet eS hat,

Wir weinen mit euch! und wir theilen den Schmerz, Der euch peinigt, mit herzlichem Mitleid!

Chorgesang. Wehe allen, die verblendet Lieb in Haß verwandeln, Herz vom Herzen abgewendet Eigensüchtig handeln! —

Wir bergen euch mit wildem Jammer Nun tief in Todes düstre Kammer!

46 Wehe allen, welche jagen Nach dem Herrschetthume; Selber werden sie sich schlagen. Ach, wie arm an Ruhme! — Es macht des Vaters Fluch behende Unseligem Thun ein Schreckensende! * * * Das Schwert ist durch das Herz gedrungen, Des Bruders Schwert durch Bruders Herz! Ein Strom von Blut hat losgerungen Sich aus der Brust in Todesschmerz! — O seht, o seht! So ist erlegen Der eine hier, der andre dort! Das ist des Fluches Zaubersegen, Der grausig trieb zum Wechselmord!

Es hat der Blitz den Stamm zerspellet. Der diese beiden Zweige schlug; Nun liegt er da in Nichts zerschellet Wie eines bösen Traumes Trug. Nichts blieb als düstres Jammerstöhnen, Das durch die weite Stadt erschallt, Und Klagelieder, welche dröhnen Mit herzzereißender Gewalt.

Es klagen auch der Fürsten Mannen Mit uns, der schwachen Frauenschaar. .Wer tragt der Herrschaft Preis von dannen, Nachdem nun todt das Brüderpaar,

47 Das, ach, so wild um ihn gestritten, Daß es vergaß der Liebe ganz,

Und das so schwer nun hat gelitten Um den zerrißnen Siegeskranz!

Sie kämpften als des Vaters Erben; Nun hat jedweder, ach, sein Theil:

Sie mußten beide elend sterben Zu irgend eines Dritten Heil.

Der wird den Preis der Herrschaft haben

Und König sein an beider Statt. Wir können nichts, als sie begraben,

Tie uns der Fluch entrissen hat! Doch nicht allein um sie wir klagen; Wir denken aller derer auch,

Die ihre Eifersucht erschlagen,

Ob Freund, ob Feind, nach Krieges-Brauch. Wir denken auch des armen Weibes, Das dieser beiden Mutter war;

Die giftigen Früchte ihres Leibes In sündiger Ehe sie gebar! Es ward der eigne Sohn ihr Gatte, — Des Gatten Mörder ward ihr Mann, —

Und der sie so erworben hatte, Ward ihrer Kinder Bruder dann! —

Des Räthsels Lösung hat vernichtet

Das Weib, den Mann, die Söhne all; —

48 Nun ist der böse Streit geschlichtet, Der alle sie gebracht zu Fall. In Eintracht liegen sie beisammen, In Einem Sttome fließt ihr Blut; Erloschen sind der Zwietracht Flammen,

Das Blut ertränkte ihre Glut. So hat der Brudermord gesühnet Den Vaterfluch, der ihn erweckt; Ein Keim der Hoffnung wieher grünet, — Ein liebend Aug ihn wohl entdeckt! Es hat ein Jeder nun das Seine

Im unermeßnen Todtenreich! Vergeßt im Großen nun das Kleine, Ihr Brüder, denn nun seid ihr gleich! Der bösen Flüche wilde Lache

Bei eures Hauses Untergang Ist schon verstummt: den Geist der Rache Des Abgrunds Tiefe schon verschlang! Antigone und IS mene liegen noch niedergesunlen bet den Bahren über die Leichen die Arme breitend, schluchzend und weinend.

Antigone.

Er hat dich umgebracht, du ihn! 3sment. Du schlugest ihn, der dich erschlug!

Antigone.

Sein Schwert hat dich durchbohrt!

49

3« mtne. Sein Schwert hat dich gefällt! Antigone. Du schufest Leid um Leid! Du littest Weh um Weh! Antigone.

Fließt, Thränen, fließt!

3otnene. Schallt, Klagen, schallt! Antigone. Ein Leichnam — du!

3 s m e n e. Ein Mörder — du! Antigone.

O leidzcrrißnes Herz! 3 5 m e n c. O Seel' erstickt von Schmerz! Antigone. O mnaussprecklich Herzeleid! Irmene. Beklagenswerth in Ewigkeit! Antigone. Der dich geliebt gab dir den Tod! 3smtnt. Du liebtest ihn in Todrsnoth! Marbach, Aeschylo- Tragödien.

50 Zlltigoae.

Zwiefache Noth! Isment. Zwiefacher Tod! Antigone.

Und bei den Todten lebend wir! I s m e n e.

Die Schwestern bei den Brüdem hier! Lhor.

O nächtiges Verhängniß! Entsetzliches Begängniß! Oidipus heiliger Schatten! Dein Fluch ist ohn' Ermatten Schon wieder da! Noch immer nah! (Die beiden Schwestern erheben sich und stehen nun tief in ihre GwLndcr gehüllt hinter den Leichen)

Asmene.

Wie gräßlich war das Wiedersehn Im Vaterland euch beiden! Antigone.

Die Sieger nicht nach Hause gehn, Den Tod sie mußten leiden! Ismen e.

Der Todte hat den Tod gebracht, Der Lebende sein Leben!

51

Antigone. Was unterging in ewiger Nacht, Wird nie sich wieder heben! mene. Weh dir, o Stamm! Weh dir o Haus, Das untergeht in Grauen! Antigone. Es spricht kein Wort den Jammer aus, Das Elend hier zu schauen! Chor. O nächtiges Verhängniß! Entsetzliches Begängniß! Oidipus heiliger Schatten! Dein Fluch ist ohn' Ermatten Schon wieder da! Noch immer nah! (Die beiden Schwestern wechseln die Plätze, so daß Antigone zur Leiche be3 Eteokles, Ismene zur Leiche deS PolyneikeS kommt.)

Antigone. Wie war euch, als ihr saht einander wieder? — Wie war euch, als ihr sterbend sänket nieder? 3smene. Du kehrtest heim in deiner Väter Haus! — Du zum Empfang des Bruders gingst hinaus! Antigone. Das Schwert in Händen stehet ihr und starret Einander an — erfüllt von gleichem Muth!

52 Jsmtnt.

Zwei Leichen werden in Ein Grab verscharret! AuS beider Wunden fließt dasselbe Blut! Antigone.

Wer leidet so wie ich?

2 s m e n e. Die Schwester dein! Antigone.

Beklagenswerthe!

3omene. Arme Schwester mein! (Sie umarmen sich.)

Antigone (leise). Wo wollen unsre Brüder wir begraben? 3smene (leise). Dort, wo den Vater wir bestattet haben! Lon der Stadt her tritt auf der Bühne ein mit seiner vollen AmrStracht auSgesiatteter Herold auf.

Herold (feierlich). Der hohe Rath des Volks von Theben hat Beschloffen und beschließt, was ich verkünde: Eteokles hat um das Vaterland Sich wohl verdient gemacht; und darum wird Ein Grab in heimischer Erd' ihm zuerkannt. Er trat dem Feind entgegen und erlitt

53 Den Tod durch ihn zum Frommen für die Stadt; Er schützte die Altare heimischer Götter Und gab im Kampf sein junges Leben hin, So wie es ehrenvoll und löblich istl — Das soll, was ihn betrifft, verkünden ich. — Doch seines Bruders Polyneikes Leichnam Soll unbestattet auf dem Felde liegen Ein Fraß für Hunde und der Vögel Raub. Er zog in Waffen aus um Kädmos Reich Mit Krieg zu überziehn und zu verwüsten, Und hätt es ausgeführt, wenn nicht ein Gott Es ihm verwehrt und ihn entwaffnet hätte. Ihn trifft der Götter Fluch im Tode noch, Weil er verachtet sie und vor die Stadt Geworbnes Volk geführt sie einzunehmen. Raubgierige Vögel mögen ihn bestatten Ehrlos, so wie sein Thun auch ehrlos war. Doch keine Menschenhand soll finden sich, Die ihn beerdigt, und kein Grabgesang Soll ihm ertönen und beklagen ihn, Kein Freund in Ehren seiner je gedenken! — Also beschlossen hat der Rath von Theben.

Antigone (welche mit gespanntester Aufmerksamkeit zugehört und sich zur Leiche deS Polyneikes hinbegeben hat, tritt mit Entschiedenheit und Entschloffenheit vor).

Von meinetwegen sag dem Rath von Theben: Hilft Niemand diesen meinen Äruder hier

54 Ins Grab zu betten, werd ich ganz allein Bestatten ihn, wie sich geziemt.

Ich fürchte

Vor Niemand mich und bin entschloffen fest Gehorsam zu verweigern diesem Spruche Des Raths von Theben, den verkündet du. —

Ich thue meine Pflicht: dieselbe Mutter, Unglücklich, wie sie war, gab mir das Leben; Desselben fluchgetroffnen Vaters Blut

Rinnt in den Adern mir, wie ihm, den ich

Im Tode nicht verlasse, meinem Bruder. Ihn soll kein hungersüchtiger Wolf zerreißen;

Ich duld es nicht: mit diesen meinen Handen Will ich ein Grab ihm wühlen! Ob auch nur

Ein schwaches Weib ich bin; in allen Ehren

Werd ich bestatten ihn! Ich trag ihn fort

In diesem meinem Kleid, mit dem ich ihn Verhülle! Wer verwehrt es mir? Ich will's!

Ich führe muthig aus, das was ich will! (Sie hat ihr Oberkleid auSgezogen und über den Leichnam bei

PolyneikeS gebreitet.)

Herold. Ich rathe dir: o ttohe nicht der Stadt!

Ä n t i g o n e. Ich rathe dir: o fchwahe nicht umsonst! Herold.

Gewiß: ein streng Gericht erwartet dich! Antigone.

Gewiß: ein Grab erhält mein Bruder hier!

55

HcroiL. Tu vagst zu ehren ihn, den alle hassen! Antigone. Tie Götter nicht! Sie ehren jeden Todten.

HerolL. Toch niemals den, der Übelthat vollbracht. Antigone. Er bat mit Gleichem Gleiches nur vergolten. Herold. Er rächte Eines Schuld am ganzen Volke.

Antigone. Der Worte sind genug gewechselt; geh: Der Leichnam hier gehöret mir allein! Herold. Tu handelst eigenmächtig — ich verbiet es! (Herold ab. — Anttgone bleibt, die Hand auf den Leichnam des PolynetkeS gelegt, stehen.)

Chor. Ihr rächenden Geister aus ewiger Nacht, Zn den Abgrund stürzet ihr nieder den Stamm Des OidipuS mit Wurzeln und Zweigen zugleich, — Was sollen wir thun und ersinnen?!----(Ter eine Theil deS ChorS steigt zur Treppe hinauf zu dem Leichnam des

Eteokles, während der andere Theil zu PolynetkeS sich begiebt.)

56 Erster Halbchor. Unglücklicher Held! wir wollten so gern Dich beweinen und singen ein Grablied dir Und dich würdig bestatten in Ehren; Doch uns ziemt zu gehorchen dem Willen der Stadt, Und die Furcht uns beherrscht! — Nur dem Einen der Brüder wird Ehre zu theil Und ein festlich Gelett! — doch der andere soll Einsam und allein von der Schwester beklagt Daliegen im Staube und modern! — Iwciler Halbchor. Nein, muthig gewagt! Was werden auch mag: Ob bestrafe die Stadt, ob bestrafe sie nicht Den, welcher beweint Polyneikes; Wir machen uns auf und bestatten den Mann, Deß trauriges Los wir beklagen mit Recht, Weil zum Volk wir gehören, deß Fürst er war! Stets wechseln die Zeiten, und Unrecht heißt Heut das, was morgen als Recht gilt. — Erster Halbchor. Wir ehren den Fürsten, den ehret der Nath, Der zu rathen ein heiliges Recht hat, Mit der Himmlischen Schutz und der Ewigen Macht Hat die Feste der Väter behütet er treu, Daß die Sturmflut feindlichen Heeres sie nicht Fortschwemmte ins Meer der Vernichtung!

n.

Perser.

Die Geschichte «n- -ie Lage. Das altpersische Reich war ein unermeßlich großer despotisch regierter Staat, dessen Könige sich anmaßten die vom Schicksale be­ rufenen und eingesetzten Herren über ganz Asien zu sein, aber über diesen Erdtheil hinaus ihre Herrschaft auch über Afrika und Europa auszudehnen suchten. Sie strebten nach der Weltherrschaft, forderten mit brutaler Anmaßung, daß andere Völker ihre Herrschaft aner­ kennen sollten, und kamen durch solche Ansprüche endlich auch mit den freisinnigen und hochgebildeten Griechen in Streit. Kyros hatte die persische Dynastie hauptsächlich begründet (im 6ten Jahrh, v. Ehr.) und einer seiner Nachfolger, Dareios, hatte, nachdem die in Kleinasien und auf den vor der Küste dieser Halbinsel liegenden Inseln angestedelten Griechen der Perserherrschast bereits sich unter­ worfen hatten, durch seine Feldherren die ersten Versuche gemacht auch die europäischen Griechen gewaltsam zu zwingen ihn als Herrn anzuerkennen. In der Schlacht bei Marathon (490 vor der jetzigen Zeitrechnung) wurden aber die Feldherren des Dareios durch die Griechen, oder vielmehr durch die Bewohner Athens, der angesehen­ sten Stadt Griechenlands, glorreich geschlagen. Zehn Jahre später wollte der Perserkönig Lerxes, des Dareios Sohn und Nachfolger, die Niederlage der Perser bei Marathon rächen und zog mit einem gewaltigen Heere gegen Griechenland. Eine große Flotte und eine ungeheure Landarmee wurden aufgebracht. Xcrxes ließ eine Schiff­ brücke über die Meerenge, welche Europa und Asien trennt — ftüher der Hellespont, jetzt die Straße der Dardanellen genannt — schlagen. Über diese Brücke ging die Armee aus Asien nach Europa. Das

60 Landheer der Perser soll fünf Millionen Ltreiter gezählt, und deren Übergang auf der Brücke soll 7 Tage und 7 Nachte gewährt haben. Athen wurde, nachdem die Bewohner es verlaffen hatten, von XerxeS eingenommen und zerstört. Die waffenfähigen Athener hatten fich jedoch auf die schiffe begeben und schlugen die Perser in der See­ schlacht bei der Insel Salamis in der Nähe von Athen so, daß Grie­ chenland gerettet und die Übennacht der Perser für immer gebrochen wurde. Im unmittelbaren Zusammenhänge mit der Seeschlacht bei Salamis erlitten aber die Perser auch auf der in der Nähe befindlichen Insel Psyttäleia, also zu Lande, eine Niederlage, indem alle aus dieser Insel befindlichm Perser getödtet wurden. Xerxes floh nach der Niederlage und kehrte ohne Heer und Flotte in seine Heimath zurück. ES blieben aber noch eine ansehnliche persische Armee und eine viele schiffe zählende Flotte in und bei Griechenland zurück und verwüsteten das Land, bis im folgenden Jahre jene bei Platää ge­ schlagen, diese bei Mykäle verbrannt wurde. Griechenland war frei. Auf diese geschichtlichen Ereignisse bezieht fich Aeschylos Tra­ gödie: ^Die Perser". Der Dichter hatte selbst in den großm Schlach­ ten bei Marathon, Salamis und Platää mitgekämpst. Acht Jahre nach der Schlacht bei Salamis wurde die Tragödie in Athen auf­ geführt. Die Kümpfe der Griechen mit den Persern, welche mit der Niederlage dieser und der Befreiung jener endeten, haben eine große kulturgeschichtliche Bedeutung. Der große Dichter Aeschylos hat diese Bedeutung erkannt und in seiner Tragödie ausgesprochen, indem er die Perser, ein hochgewaltiges und üppiges, aber von knechtischer Gesinnung erfülltes und daher von gewaltthätigen Despoten will­ kürlich mißhandeltes Volk, der nach Gesittung und Freiheit ringen­ den Bevölkerung Griechenlands gegenüberstellt. Allen Sinnengenüffen ergeben, für geistige Erhebung unempfänglich, ohne Verständniß für liefere religiöse Vorstellungen, nur vor sinnlich wirksamen Naturmächten als Göttern fich beugend, sannen die Perser auf Ausbreitung ihrer barbarischen Herrschaft, welche sie durch habgierige und feile Satrapen ausübten, die als Herren im Namen des Königs in den

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Provinzen wirthschafteten; jagten nach verblendendem Glanze, nach Reichthümern aller Art, nach asiatischem (orientalischem) LuxuS, führ­ ten Krieg um der Beute willen und mitzbrauchten Künste und Wiffenschasten als Hilfsmittel zur Erhöhung deS Sinnengenuffes. Die Grie­ chen dagegen strebten rastlos nach sittlicher Veredelung, nach Be­ freiung von thierischer Leidenschaftlichkeit und Rohheit, nach geist­ reicher Verklärung und Vertiefung religiöser Vorstellungen, indem sie daS göttliche Wesen nicht mehr nur in der rohm Naturgewalt, sondern vorzüglich in der idealen Auffasiung frei sich selbst bestim­ mender und zur Beherrschung der Natur berufener menschähnlicher Wesenheit suchten, wetteiferten in kleinen selbständigen Gemeinwesen miteinander in weiser Gesetzgebung, in Ausbildung aller menschlichen Anlagen zu kräftiger Entfaltung, und in Verherrlichung geistigen Daseins durch die schönsten Werke der Künste und Wisienschasten, die, nachdem für des LeibeS Nothdurst gesorgt war, um ihrer selbstwillen gehegt und gepflegt wurden. Von den Griechen ist daher das mensch­ liche Culturleben selbstbewußt ausgegangen, welches bei den ihnen nachfolgenden Culturvölkern sich fortgesetzt hat. DaS von den Per­ sern vertretene Barbarenthum aber hat zwar bis auf die Gegmwart immer wieder ihm sich hingebende Völker gefunden, doch unter diesen Völkern ist kein innerer Zusammenhang, kein Fortschritt, keine Entwicke­ lung und Nachfolge zu entdecken. Die steiheitliche Entwickelung geht ihren gesetzmäßigen Gang durch die Geschichte der Menschheit, während die knechtische Gesinnung immer aufs Neue aus den thierischen Trieben des natürlichen Menschen erwachsend zum Abfalle vom Culturleben führt und dann gegen dasselbe gewaltthätig anstürmt in wechseln­ den Erscheinungsformen und zuweilen in beängstigender Weise. Wie die Perser durch die Griechen wird jedoch schließlich daS Barbaren­ thum immer wieder besiegt und niedergeworfen von den nach sitt­ lich religiöser Bildung strebenden Menschen, und bricht dann ohn­ mächtig in sich zusammen. Der geschichtliche Gegensatz zwischen Hellenen und Persern ist also derselbe wie der zwischen Culturleben und Barbarenthum, — zwischen sittlicher Veredelung und thierischer Rohheit, — zwischen be-

62 geisterter, d. h. uneigensüchtiger Pflege der Künste und Wiffenschaften und sinnlicher Genußsucht, — zwischen nach Gottähnlichkeit, d. h. nach Heiligung der Gesinnung strebender Religiosität, und in erbärm­ lichem Aberglauben und widerwärtigem Unglauben hin und her­ schwankendem Atheismus, — zwischen Ringen nach Freiheit und Versinken in Knechtschaft. Da diese Gegensätze auch jetzt noch nicht sich ausgeglichen haben sondern immer auss Neue sich geltend machen, so haben die „Perser des Aeschylos" auch noch für Gegenwart und Zukunft eine große, der allgemeinen Theilnahme würdige Bedeutung. Man wird bei Lesung der Tragödie unwillkürlich gemahnt an allermodernpe Erlebniffe, in denen dieselben Gegensätze vor Augen getreten sind, wie die, welche der griechische Dichter mit ebm so großer, jeder Über­

treibung sich enthaltmder Mäßigung als Tiefe der Auffasiung und darum in überzeugendster Weise dargestellt hat. Dadurch daß er die Siege der Griechm von Persern vor Persern schildern läßt, erreichte er nicht nur, daß einerseits die eitle Hoffart und hochmüthige Überhebung der Barbaren zum naiven Ausdrucke kommt, anderseits aber alle eitle Überhebung der Sieger und jeder Schein von Ruhm­

redigkeit und Verachtung des Besiegten ausgeschloffen wird, sondern er bringt auch in ungezwungenster Weise die höchste sittliche Be­ deutung des Sieges des Culturlebens ins Bewußtsein der Leser und Hörer des Dichtwerkes, indem er zeigt, wie das Barbarenthum zur es vernichtenden Selbsterkenntniß kommt und zur unwillkürlichen huldigenden Anerkennung des Culturlebens hingeriffen wird. Die Noth lehrt beten; lehrt die Gottheit in ihrer sittlichen Würde kennen; und der Sieg ist vollkommen, welcher nicht zur Rache einladet son­ dern zum ftiedlichen Einverständniffe des Besiegten mit dem Sieger, zur Demuth und Buße. Diese Reinigung der Seelen im barbari­ schen Volke wird in der Tragödie vermittelt durch die Gestalt des milden, gerechten und weisen Despoten, welcher vor der Katastro­ phe unter KergcS über Persien geherrscht hat, und deffen Geist auS dem Grabe von den Persern in ihrer tiefsten Noth und Verzweif­ lung herausbeschworen wird: durch die Gestalt des Königes Dareios.

63 Wie der Dichter die sittlichen Mängel der Perser nur in schonendster Weise angedeutet hat um nicht zu verletzen, sondern zu versöhnen, so hat er auch in Dareios die edle Gestalt eines wohlgesinnten und zur geistigen Verklärung im Tode gelangten Herrschers auf­ gestellt um eine Versöhnung zwischen Barbarenthum und Cultur­ leben anzubahnen. Wir haben die historische Berechtigung zu dem Bilde des Dareios, welches uns vorgeführt wird, nicht zu unter­ suchen, sondern lediglich an das Gegebene uns zu halten. Der Dich­ ter hat entsprechend den Vorstellungen, welche bei den Griechen über das Leben nach dem Tode verbreitet waren, angenommen, daß der vorlängst begrabene Dareios im Reiche der Schatten verweile, wo er von den irdischen Begebenheiten, die nach seinem Tode sich er­ eignet haben, nichts weiß, weil die Todten kein Jntereffe mehr haben für das, was vergänglich ist. Wohl aber weiß Dareios noch alles, was er selbst auf Erden erlebt hat, und — noch bester — welche göttliche Weissagungen über die Schicksale seines Volkes und der Menschheit ergangen sind. Daher läßt der Dichter den auf das inbrünstige Flehen seines unglücklichen Volkes wiedererschienenen Geist des Dareios das Verlangen aussprechen, daß ihm berichtet werde, was sich zugetragen hat, nach Beantwortung seiner Fragen aber denselben erklären, daß durch das Geschehene die uralten Weis­ sagungen sich erfüllt hätten, und daß nothwendig nunmehr auch noch das wenige, was zur vollständigen Erfüllung noch fehle, sich ereignen werde. Und so wird Dareios selbst zum Propheten der nach der Schlacht bei Salamis noch folgenden Schlachten bei PlatäS und Mykale, in denen die letzten Überreste der gewaltigen persi­ schen Kriegsmacht, welche Xerres gegen Griechenland aufgeboten hatte, vernichtet wurden.

Personen. Atössa,

Königin-Mutter; nachgelassene Gemahlin deS Königs

DareioS, Mutter des regierenden Königs LLrxeS.

Der Geist des Königs DareioS. XLrxeS, König der Perser.

Ein Bote. Chor: der Senat der Perser.

Frauen im Hosstaate der Königin.

Sklaven und Dienerinnen.

Die Bühne stellt im Hintergründe den Palast der Perserkinige in Susa

vor, von dem auS die Stadt überblickt wird.

Bühne befindet fich der Haupteingang de» Palastes.

eine breite Treppe vom Dorplatze de»

In der Bitte der

Qqi der Bühre führt

Palastes zur Orchestra herunter,

auf welcher — in der Mitte — das Grabmal des DareioS fvht (die Thymele).

Ter Chor, welcher den Senat de- Reiches, also den Rath der Alten, vorstellt, versammelt sich (auf der Orchestra) und stellt sich zu beiden Seiten deS Grabes des TaretoS (der Thymele) auf während deS folgenden MarfchliedeS.

Chorführer.

Als das persische Heer in das griechische Land Auf Eroberung zog, da blieben wir hier Zu behüten das Reich und den sttahlenden Thron, Wie uns XerxeS befohlen, Dareios Sohn, Als Gebieter und Herr. — Der erlauchteste Fürst Hat nach Mer und Stand Uns berufen der Lande zu pflegen.

Wann kehret er heim der erhabene Herr? Wann kehret es heim auch das herrliche Heer? — Ach es quälet im Busen das ahnende Herz Sich mit sorgender Pein! Fort zogen sie, fort — aufjauchzend vor Lust — Allasias Kinder, die Blüte des Volks: Nach Athen! Nach Athen!------Doch Niemand weder zu Fuß noch zu Roß Bringt Kunde von ihnen zur Heimath.

Ja: aus Nord und aus Süd, wie aus West und aus Ost, Und in Schaaren aus Städten und Landen daher, Marbach, AeschyloS Tragödien.

5

66 Gings fort! weit — weit! Auf Rossen und Schiffen wohl zogen sie hin, Viel andre zu Fuß,

Kerntruppen auf blutigem Schlachtfeld.

In dem Dienste des Königs der Könige Schaar, Feldherren von Heeren im Heere des Reichs, Auf den schäumenden Roffen in blitzender Wehr — Wie waren zu schauen sie schrecklich und hehr Mit vor Kampflust leuchtenden Augen! Von den Bergm herab, von den Thaten herauf, Von den Strömen daher, an den Küsten dahin Wlld wimmelt und wogte und walzt es sich fort, Auf Roffen und Wagen beladen mit Tod —

Fortbrauste der Sturm des Verderbens! Gen Hellas hin trugen der Knechtschaft Joch Die gewaltigen Krieger zu Meer und zu Land: Was zu schlagen, zu stechen, zu schießen vermag, Was den Pfeil und den Bogen zu brauchen gelernt, Ganz Asiens Volk, Stand auf beim Rufe des Kriegsherrn! Fort zog zum Kampfe die Blüte des Volks Und die Heimath Asia grämt sich um sie,

Und die Mutter, die Gattin in Sehnsuchtpein Bang zählen die schleichenden Tage.

67 Lhorgesaug. Fußvolk stampft im Sturmschritt schwer Um zu verheeren das Nachbarland Über das wild aufschäumende Meer, Über die Brücke vom Strand zum Strand. Balken mit Balken durch Taue verbunden Haben die ächzende See überwunden.

Sturmwindgleich treibet der Weltherrschaft Höchster Gebieter die Landheermacht, Stolz nur vertrauend der eigenen 5krast, Strahlend als Sonne in göttlicher Pracht, Über die Wogen wie über die Lande — Niederzutreten die hemmenden Bande.

*

*

*

Augen des Drachen wie Flammen glühn, Wenn er auf Beute lauemd wacht; Völker und Flotten wie Funken sprühn, Künden die männererwürgende Schlacht. Wer ist im Stande zu dämmen die Flut, Welche der Sturm wirft an den Strand?l Wer widerstehet dem SiegeSmuth All der Bestürmer von Griechenland?!

*

.

*

Ach kein Sterblicher entrinnt, Dem ein Gott Verderben sinnt! Lächelnd lockt der Gott ihn an,

68 Bis um ihn sein Netz er spann; WaS der Mensch dann mag beginnen,

Rettung wird er nicht gewinnen. Von des Schicksals ewiger Macht Ward uns Persern zugedacht: Hoch zu Rosse führend Krieg Zu erringen Sieg auf Sieg, Stolze Städte reich an Thürmen, Feste Burgen zu erstürmen. Doch wir wagten keck zu schaun Auf das Meer mit seinem Graun, Seinen Sttaßen tausendfalt,

Seiner Wogen Allgewalt, Wagten selbst uns zu vertrauen Schwanken Bretern, schwachen Tauen. *



*

Sorg im Herzen nagt und Pein, Was uns mag beschieden sein? Aber leise! unsre Klagen Dürfen nicht wir weiter sagen, In der Stadt, der männerlosen, Darf des Jammers Sturm nicht tosen.

Angsterfüllter Frauen Schrei'n Stimmt' in unsre Klagen ein, Durch des Königshauses Hallen

Würden wüste Lieder schallen

69 Und zerrissne Prachtgewande Flattern wild im Schmerzensbrande.

Ach! was Waffen konnte tragen, Ist zu Fuß, zu Roß, zu Wagen Wie ein Schwarm von fleißigen Bienen Mit dem König, ihm zu dienen,

Fort zum Kriege ausgezogen Über wilde Meereswogen,

Auf dem Floß vom Sttand zum Strande, Hin zum Krieg im Feindeslande.

Doch daheim in oben Kammern Die verlassnen Frauen jammern,

Weinen um die trauten Gatten, Die so lieb, so lieb sie hatten, Die ihr Stolz und Ruhm gewesen, Die vor Vielen sie erlesen, — Ach, — o Elend nicht zu fassen! — Und nun einsam sie gelassen! *

*

*

Chorführer. Nehmt Platz nun, ihr Perser, so wie euch gebührt, Vor dem Königspalaste!

Seid weise und treu:

Rath gilt es zu pflegen, wie Noth thut. (Die Senatoren setzen sich auf die zu beiden Seiten der Orchestra stehenden Sessel.)

Noch wissen wir nicht, wie dem König und Herm, Dem wir dienen, dem Xerxes, Dareios Sohn,

70 ES ergeht: ob im Stampfe der persische Pfeil, Ob die griechische Lanze gesiegt hat. —

Schaut auf! Die Gebieterin nahet im blendenden Glanz Wie ein Gott, der erscheint! Neigt huldigend nieder die Häupter zum Staub Und begrüßet die Königin-Mutter! (Die Senatoren knteen nieder und beugen die Häupter zu Boden.)

Ätoffa in Prachtgewanden, mit dem königlichen Diadem geschmückt, wird auf einem Throne fitzend and dem Palaste von Sklaven herausgetragen. Frauen in reichem Schmucke umgeben fie.

Chorführer

(nachdem die Senatoren

sich erhoben haben und vor

ihren Plätzen stehen).

Hehrste aller Perserinnent sei gegrüßt uns, Königin! Heil dir, Xerxes edle Mutter! Heil, Dareios Gattin, dir! Eines Persergotts Gemahlin! Mutter eines Persergotts! Mag das Glück, das altgewohnte, unser Heer verlassen nicht! Jlt0ffa (sich erhebend).

Das hat mich herausgetrieben aus dem goldgeschmückteri Haus, Aus den Zimmern, die Dareios friedlich einst mit mir bewohnt! Sorge quält mich tief im Herzen, Sorge um das eigne Heil: Ob das Glück uns tteuloS wurde und des Reichthums uns

beraubt, Den Dareios mit der Götter gnädigem Beistand aufgehäuft.

Doppelt groß ist meine Sorge, denn ich weiß nur allzuwohl: Unbewachte Schätze flößen nicht den Menschen Achttrng ein

71 Und die Macht beraubt des Reichthums wird verachtet und verlacht. Zwar uns fehlet nicht der Reichthum, doch das Auge, daS be­

wacht,

Und ich meine, daß des Hauses Herr des Hauses Auge sei. — Was mich ängstigt, sollt ihr hören, steht mir bei mit weisem

Rath, Edle Greise, treue Perser, wie bisher ihr schon gethan. Chorführer. Deines Winkes stets gewärtig, allbereit zu Wort und Werk,

Werden alles wir vollbringen, was nur unsre Kraft vermag, Denn wir sind, sowie du sagtest, dein allzeit getreuer Rath. Aloffa.

Allnächtlich werd ich heimgesucht von Träumen, Seitdem mein Sohn mit seinem Heere fort Gezogen gen Helläs es zu erobern. Doch niemals hab ich einen Traum gehabt So wunderbar wie jüngst vergangne Nacht. Zwei Frauen sah ich, beide groß und schön, Wie heut zu Tage nirgend wo zu finden: Die eine trug ein persisches Gewand,

Die andr' ein griechisches, doch waren sie Von gleichem Stamnr, obgleich Helläs die eine,

Persis die andr' als ihre Heimath pries. Die beiden Schwestern zeigte mir mein Traum In Zom und Haß entbrannt und kampfbereit. Da kam mein Sohn. Er bändigt sie und spannt

Vor seinen Wagen sie, und legt Ein Joch

72 Auf beider Nacken.

Willig fragte die eine

Und folgt dem Zügel, der ihr angelegt; Die andre aber, ungestüm und wild, Rast mit dem Wagen fort, zertrümmert ihn, Der Zügel reißt, das Joch zerbricht, mein Sohn Herabgeschleudert stürzt! — Da steht Dareios, Sein Vater, vor ihm ernst und kummervoll,

Xerxes erkennt ihn, schreit vor Jammer laut, Und reißt in wildem Schmerz sein Kleid in Stücken! — Das war mein Traum in letztverwichner Nacht. —

Ich stand von meinem Lager auf und tauchte Die Hand in Master, das dem Quell entrieselt; Dann trug ich Opferspenden zum Altar Den Göttern, welche Fluch in Segen wenden. Da — seh ich einen Adler, der sich flüchtet Hin zum Attar des Sonnengottes. Sprachlos, Von Angst betäubt, o Freunde, stand ich dort. Ein Habicht folgt und schießt herab von Oben Auf's Haupt des Aars und schlagt die scharfen Fänge Ihm ins Genick. Der Adler wehrt sich nicht, Er schmiegt in sein Gefieder sich und giebt Den Leib dem Feinde preis. — So Grausenhaftes Hab ich erlebt, wie ihr gehört es habt. Ihr aber wißt auch: kehrt mein Sohn als Sieger, So wird die Welt ihn preisen und bewundern; Und kommt besiegt er, doch gerettet heim,

So darf zur Rechenschaft ihn Niemand ziehn; Er bleibt, was er gewesen: Persiens König.

73

Chorführer. Mutter! möge unsre Rede nicht des Muths berauben dich; Noch dich übermüthig machen! — Wende an die Götter dich: Bete, daß zum Heil sie wenden alles Schlimme, was dir droht. Und erfüllen, was zum Segen dir und all den Deinen dient, Wie dem Reich und allen Treuen. Gieße Opferspenden aus Für die Erd und für die Todten. Flehe, daß dir zugethan Dein Gemahl DareioS bleibe, den im Traume du geschaut; Daß er Heil und Segen sende dir und deinem Sohne auch, Aber alles Unheil senke in die Nacht der Unterwelt. Dies mein Rath! Ich prophezeie, was mein eignes Herz mir sagt, lind die Gottheit mag vollenden, was wir hoffen, was wir flehn. ^tosfa. Wohlgesinnter erster Deuter meines düstern Traumgesichts, Mir und meinem Sohn und Hause hast du guten Rath ertheilt: Mag dein Segen sich erfüllen! Im Palaste will sogleich Ich den Göttern und den Freunden, die ich hab im Schattenreich, Gaben weihn, wie du empfohlen. — Aber sage Eines noch: Wo in aller Welt zu finden ist die Stadt Athen genannt?

Chorführer. Fern von hier, da, wo die Sonne jeden Abend untergeht.

^tossa. Und doch hat mein Sohn begierig Jagd auf diese Stadt gemacht?

Chorführer. Weil das ganze Land der Griechen ihm dann würde Unterthan.

74 ätofsa. Ah — so hat sie viele Krieger — ein gewaltig großes Heer?

Chorführer.

Ja ein Heer, das vieles Schlimme schon den Persern angethan. Atofsa. Was ist Gutes dort zu holen? ist das Land an Schätzen reich?

Chorführer. Eine reiche Silberquelle soll in seinen Bergen sein.

^tossa. Führen jenes Landes Krieger Pfeil und Bogen auch im Streit?

Chorführer. Nein, sie tragen kurze Schwerter, Schild und Panzer im Gefecht.

Atosfa. Und wie nennt sich ihr Gebieter? wer beherrschet Volk und Heer?

Chorführer.

Sie sind keines Menschen Knechte, keinem Herren Unterthan. Ätofsa.

Doch wie sind sie dann im Stande einem Feind zu widerstehn? Chorführer.

Haben sie doch einst Dareios großes stolzes Heer zermalmt! Ätossa. Schrecklich Wort, das vieler Mütter sorgenvolle Herzen trifft!

Chorführer.

Bald wird dir Gewißheit werden, denn mir scheint — ich irre nicht —

75 Jener Mann dort — der uns nahet — ist ein Perser —

sicherlich: Kunde bringt er — sichre Kunde, ob sie gut nun oder schlimm! (A t o s s a verhüllt ihr Angesicht.)

Bote tritt auf der Bühne eUig auf; er «endet sich aber -unLchst an den Chor.

Lote. Weh über alle Städte Asiens! Weh über Persien, so stolz und reich; Mit Einem Schlage bist du bettelarm:

Die Blüte Persiens — sie ist verwelkt! —

Ein Trauerbote bin ich — traurig Amt! Und doch — ich muß — enthüllen all den Jammer: Hört! Perser, hört! — Das ganze Heer kam um!

Lhor. Entsetzlich! Entsetzlich! Gräßliches Weh uns erscheinet! Weinet, ihr Perser! oh weinet! flott. Ja Alle, Alle sind des Todes Beute! Ich selber nur — ich weiß nicht wie — entkam. Lhor. Zu lange! Zu lange Trugen wir Greise das Leben, Das uns dies Ende gegeben!

flott. Ich habe alles selber mit erduldet,

Was ich euch, Perser, zu berichten habe.

76 Chor.

Vergebens! Vergebens! Stolz bewehrt mit Pfeil und Bogen Ist das Perserheer gezogen Zu der Griechen fernem Lande,

Wo es Tod nur fand und Schande! Sote. Der Strand von Salamis ist überschwemmt

Mit Leichen, die das Meer dort ausgespien. Chor.

Vergebens! Vergebens! Unsre Söhne, unsre Lieben

Spiel der Wellen! fortgetrieben, Bis am Strande ihrer Leichen Letzte Überreste bleichen! Lote. Nicht halfen Pfeil und Bogen; durch der Schiffe Zusammenprallen ward das Heer zermalmt.

Chor. Arme Perser! Arme Perser! Alles, waS wir je errungen,

Hat das giere Meer verschlungen! Ach, was unser Heer vernichtet, Hat uns alle hingerichtet!

77 Lote. Verhaßter böser Name: Salamis!

Du Quelle blutiger Thränen, Stadt Athen!

Chor. Stadt der Trübsal! Stadt der Trübsal! Viele Thränen machst du rinnen!

Viele, viele Perserinnen Sitzen einsam in der Kammer, Denken dein in sttllem Jammer! Atossa

(das Angesicht enthüllend).

Ich stehe da und schweige. Mich betäubt Das Übermaß des Elends, das kein Wort, Unsagbar, unerfindbar, wie es ist, Ausspricht, und das der Mensch doch tragen muß, Weil es die Gottheit über ihn verhängt. — Du, Bote, fasse dich und sage Alles,

WaS du, wie sehr es schmerzt, zu melden hast. Wer ward verschont vom Tode, wer verfiel ihm Von denen, die den Feldherrnstab getragen? Wer ließ zurück die hirtenlose Schaar?

Lote

(vor der Königin ntederknieend).

Der König .^erxes lebt und schaut das Licht! Ätossa.

Das Licht, von dem du sprichst, beleuchtet hell

Dieß Haus wie Morgenlicht nach schwarzer Nacht!

78 Bote

(nachdem er sich erhoben).

Die meisten von den Perserfürsten fielen; Ich werde alle noch bei Namen nennen,

Von deren Tod ich sichre Kunde habe. Es war ein AMick, gräßlich anzusehn: Hier trug die Woge einen Reiterfürsten, Der nie so schaumend wildes Roß geritten; Dort schwamm der Leichnam eines edlen Prinzen, Den einer Lanze Stoß vom Schiff geschleudert; Drei fürstlich hohe Brüder sah ich liegen

Am Felsenstrande mit zerscheMen Stirnen. Und wo die Wellen an die Felswand branden, Da trieben sie ein fteches Spiel mit Leichen Von Königen, die jämmerlich verdarben! — Die meisten sind im Wasser umgekommen

Beim Aneinanderkrachen ihrer Schiffe, Die eins am andern sich zerschEen und Dann untergingen mit der vollen Ladung.

^tossa. Du sprichst von Noth und Tod, von Schmach und Schande, Von armer Perser jämmerlichem Schicksal; Doch fahre fort, nur sage mir zuvor: Wie viele Segel hat Helläs gestellt.

Daß es der Macht der Perser Widerstand Zu leisten wagen durfte in der Seeschlacht?

79

Sole. Wir mußten siegen nach der Zahl der Schiffe. Die Griechen hatten nur dreihundertdreißig Fahrzeuge aller Art und ein Geschwader Kriegsschiffe, zehn an Zahl, noch außerdem. Dagegen führte Xerxes tausend Segel, Ich weiß es sicher, und zweihundertsieben Schnellsegler noch, Kriegsschiffe erster Klaffe. So standen wir einander gegenüber. Nicht unsre Schwäche ward verderblich uns; O nein: es war ein Gott, der uns verderbt. Indem er unsere Schale an der Wage Des Glückes nieder in die Tiefe drückte. Die Götter retten einer Göttin Stadt l

Ätossa. Athen ist nicht dem Untergang geweiht? Sote. Nein! ihre Mannen leben, sie in ihnen. tAloffa. Sag an: wie kam es? wie begann die Schlacht? Wer wagte anzugreifen? war's der Übermuth Der Griechen? oder war es meines Sohnes Vertraun auf seiner Schiffe Überzahl? Sole. Gebieterin, das ganze Unheil kam Von einem Schurken oder bösen Dämon.

80 Ein Mann vom Athenaer-Heer erschien Und zeigte deinem Sohne Xerxes an: Die Griechen hielten länger nicht zusammen; Sobald es Nacht geworden, würden sie

Die Anker lichten und die Flucht ergreifen Um sich zu retten aus der Todesnoth. Der König, arglos wie er immer war, Ahnt nicht des Mannes Trug, der Götter Neid. Er giebt Befehl an seine Flottenführer:

Sobald die Sonne in das Meer gesunken,

Das Abendroth erlöscht in Finsterniß, Dann solle sich die Perserflotte theilen Und rings um Salamis sich also ordnen, Daß um die Insel eine Kette sich Von Schiffen dreifach schling und keine Ausfahrt Der Griechenschiffe, die bei Salamis Bor Anker lagen, unbehütet bleibe, Damit die Griechen nicht entweichen könnten, Und, wollten sie's, mit Leib und Leben büßten. So war der Schlachtplan, den der König Xerxes, Verblendet wie er war, entworfen hatte, Weil ihm der Götter Rath verborgen blieb. Die Perser — sie gehorchten wie sich ziemt. Sie kochten ab, dann legte jeder Schiffsknecht Den Riemen sich zurecht; und als die Sonne Zur Rüste war gegangen und die Nacht

Sich auf das Meer gelagert hatte, ging Ein jeder Ruderknecht und jeder Krieger

81 An seinen Ort. In jedem Schiff erschallt Commandoruf: die Schiffe fahren ab, Wie sie beordert werden, und so kreuzt Die ganze Nacht hindurch die Perserflotte. Vorüber ging die Nacht. Die Griechen machten Nicht Einen Fluchtversuch. Doch als der Tag Erwachte sonnenhell, da scholl von Ferne Ein feierlicher Sang zu uns herüber,

Den angestimmt die Krieger von Hellas Und den das Echo von dem Felseneiland Vertausendfachte. Schreck und Furcht ergriff Der Perser Herzen, die getäuscht sich sahn. Nicht rief der Griechen Lobgesang zur Flucht; Er rief zur Schlacht die wüthigen Männerherzen! Drein klang Drommeten-Schall und alsobald Rauschen die Ruder, nach des Bootsmanns Pfeife Schlagen im Takt die sprühenden Wellen sie — Und vor uns lag die Griechenflotte da —

Klar zum Gefechte und zur Schlacht geordnet: Voran der rechte Flügel, hinter ihm Die ganze Linie Schiff auf Schiff im Zuge. Und dazu klang es: „Auf Hellenensöhnel „Befreit das Vaterland! Befteiet Weib „Und Kind! Befteit der Götter Heiligthümer! „Befteit die Gräber eurer „Zur Schlacht! Es gilt! Entgegen scholl der Perser Wir hatten keine Zeit uns

Väter! Auf! Es muß entschieden sein!" Kriegsgeschrei; zu besinnen;

Marbach, AeschyloS Tragödien.

6

82 Schon krachte Schiff auf Schiff mit ehernem Schnabel,

Der in die Planken brach. Den ersten Stoß That ein hellenisch Schiff, es stürmte an Auf ein thyräisch Fahrzeug und zerbrach Den Spiegel ihm. Die andern folgten nach — Kiel wider Kiel. Die Perser widerstanden

Dem ersten Anprall, aber bald versackte Des Meeres enge Sttatze mehr und mehr sich.

Die Schiffe, welche wenden wollten, sei's Um beizustehen, sei's um auszuweichen, Die fuhren selber eins dem andern krachend Nun in die Rippen. Ruderbänke brachen; —

Die Griechen drängten nach von allen Seiten; — Die Schiffe schwankten, kenterten und warfen Die ganze Menschenladung über Bord; — Bald war die See nicht mehr zu sehen: Scheiter Und Leichen deckten sie bis hin zum Strande,

Wo sie an Klippen gräßlich hängen blieben. Da nun begann die Flucht: was übrig noch Von Schiffen und von Menschen suchte sich Zu retten aus dem Knäul des Untergangs. Die Griechen aber schlugen drein mit Spießen, Rudern und Schiffgebälk, mit allem was Beihanden war, als gelt' es Fische, die In dichten Bänken schwimmen, todtzuschlagen. Da hub sich ein Geheul und TodeSschrei'n, Daß das erbarmunglose Meer erbebte, —

Bis was noch übrig war die Nacht verbarg. —

_83_ Zehn Tage reichten nicht um auszusprechen DaS Übermaß von Elend, das uns traf. ES hat der Tod noch nie an Einem Tage So viele Menschenleben hingerafst!

Alossa. Ein Meer von Jammer hat uns überflutet — Das Reich der Perser und ganz Asiat

Lote. Ich sprach erst von der Hälfte kaum des Jammers; Ja: doppelt größer ist, was noch geschehn.

Ztoffa. Noch mehr? Noch mehr? — Unmöglich l — Aber rede: Was birgt der Abgrund dieses Elends noch?!

Sote. Die schönste Jugendblüte Persiens,

Des Reiches Adel, Stolz und Ritterthum, Des Königs Hofstaat, seine treuste Garde,

Ward schmachvoll hingerichtet, umgebracht!

Atossa. O wehe! wehe! schauderhaft! entsetzlich! Wie starben sie, die für unsterblich galten?

Sote. Es liegt ein Eiland nah bei Salamis,

Klein, schwer zugänglich, reich an üppiger Flur, Die rings des Meeres Brandung hoch umspült. Es ist dem Pan geweiht, dem Gott der Fluren,

84 Doch auch des wilden Schreckens in der Schlacht. Dort ließ der König jene edle Schaar; Sie sollte, wenn die Griechen auf der Flucht Dort Rettung suchten, sie vernichten und Den Unsern Beistand leisten bei der Landung. Doch anders kam es, als der König dachte. Nachdem ein Gott den Griechen Sieg bescheert,

Erschienen sie am selben Abend noch Auf ihren Schiffen; ihre Krieger sprangen Ans Land mit starker Rüstung wohl bewehrt, Besetzten rasch die felsige Küste rings

Und schloffen unsre jungen Helden ein. Die rathloS, hilflos sich gesammelt hatten. Bald kamen viele um durch wuchttge Steine, Welche die Griechen von den Felsenwanden Herniederschleuderten, und von den Pfeilen, Die durch die Lüste schwärmten hageldicht. Zuletzt ergoß ein Sttom von Griechen sich Durch eine Schlucht ins Thal und hieb zusammen, WaS noch bei Leben war — die ganze Schaar. — Zerfetzte Leichen lagen weit umher Auf grünem Rasen unter Blumen da. —

Als Xerxes sah, was dort geschah, da schrie Er laut vor Jammer.

Nah am Meeressttande

War ihm ein Thron errichtet, von dem aus

Die ganze Schlacht er übersehen konnte. Jetzt sprang er auf, riß sein Gewand entzwei

Und schrie vor Jammer: „Rette sich wer kann!" —

85 Er selber stürmte fort in hastiger Flucht.------Das war es, was ich noch zu melden hatte.

Atossa. Gott des Verderbens! Tu bethörtest uns! — Ha! Xerxes hat gerächt uns an Athen!

Nun steht es ruhmgekrönt! Das Perserblut, Das einst bei Marathon vergossen ward, Es war noch nicht genug. Das hat mein Sohn Gerächt: er nahm den Fluch des Untergangs Aufs eigne Haupt!----------Doch rede weiter — immer weiter — sage:

Was ward aus jenen Schiffen, die entflohn. Wo blieben sie? — Sag Alles was du weißt.

Sole. Die wenigen Schiffe, die entkommen waren, Verschwanden mit den Winden, denen sie Sich machtlos überließen. Was von Kriegern Zu Lande übrig war, das jagte Mchtig

Durch Griechenlands Provinzen, fort zur Heimath. Wir litten Durst und Hunger, viele starben Im Elend. Rastlos über Berg und Thal,

Durch Fluß und Sumpf, bei Wind und Welter weiter, Zuletzt durch Schnee und Eis, der Winter kam Vorzeitig. Wer an keinen Gott geglaubt, Der wurde fromm vor Angst, er flehte kläglich Die Erde und den Himmel an.

Der Trost,

Der einzige, des ganzen Heeres war

86 Inbrünstiges Gebet.

Dann wieder weiter!

Die Ströme waren ja mit Eis bedeckt; So kamen wir hinüber. Aber bald Ward's wieder anders. Vor der Sonne Glanz, Der wiederkehrte, schmolz das Eis zu Master. Die Sonne brannte heiß und niederstürzten

Die Menschen schaarenweise. Glücklich ward

Gepriesen, wem der Athem schnell verging. Ein kleiner kranker Haufe schleppte mühsam Sich weiter nach und nach der Heimath zu, Mo Sehnsucht unter Thränen seiner harrt.------Was ich gesagt, ist wahr; was ich verschwieg, Ist viel; doch MeS hat ein Gott verhängt!

Shor. Der unentrinnbar ist! — Er trat zu Boden In seinem Zorne Persiens Reich und Volk.

Atossa. Weh über meines Volkes Untergang! — Mein Traumgesicht hat schrecklich sich erfüllt; Nun weiß ich: eS bedeutet nichts als Gram. Ihr, weise Männer, habt eS schlecht verstanden, Doch was ihr mir gerathen, das war gut. So will ich denn der Götter Gnad' erflehn, Und will derr Todten und der Erde opfern,

Nicht abzuwenden — alles ist erfüllt —, Jedoch in Hoffnung einer bestem Zukunft. — Euch aber ziemt in dieser bösen Zeit

87 Euch zu bewähren durch getreuen Rath. Und kommt mein Sohn, bevor ich wiederkehre,

So grüßt ihn fteundlich, tröstet ihn und führet Ins Haus ihn------- daß nicht Leid auf Leid sich thürmet (Atossa läßt sich auf ihren Thronsefsel

nieder und nird in den Palast

zurückgetragen, von ihrem (Befolge begleitet.

Der Bote schließt den Ab­

gehenden sich an.)

Chor (in Bewegung).

Allmächtiger Zeus! Dein gewaltiger Arm Hat der Perser unzählbares prunkendes Heer

Von der Erde vertilgt. Und den nächtigen Schatten unsäglichen Grams Weit über die Lande gebreitet. Wohl reißet vom Haupte den Schleier nun ab

Manch blendende Hand, und von Thränen benetzt Wird der Busen der Braut, weil Jammer und Pein Ihr brachte die schreckliche Botschaft.

Manch jugendlich Weib um den Gatten sich härmt; Ach sie klaget so sanft um den süßen Gemahl, llnb der Schlummer entflieht von dem frostigen Bett, Wo sie einsam jammert um Jugend und Glück: „Es ist alles dahin — Nichts kehret zurück!" — So beklagen auch wir der Gefallenen Los

Und der ttostlos Trauernden Trübsal!

88 Chorgrsaaz

(in sich steigernder Erregung).

Ganz Asien von Männern leer,

In tiefer Trauer seufzet schwer: XerxeS mit stolzer HeereSmacht, Xerxes verlor die Völkerschlacht, XerxeS hat alle umgebracht, Gestürzt uns all' in Elends Nacht! Dareios war ein besirer Held, Denn Thron und Reich war wohlbestellt,

So lange als er Herrscher blieb, Drum hat noch jetzt das Volk ihn lieb. Landheer und Seewehr mußten fort

Weit über Meer an Schiffes Bord: Die Schiffe stießen hart und schwer, Die Schiffe aw verschlang das Meer, Die Schiffe sammt dem ganzen Heer Auf Nimmer-Nimmerwiederkehr. Der König selber kaum entkam,

Wie eben unser Ohr vernahm: Nach wilder Flucht durch Dünn und Dick Schleppt ihn nach Hause sein Geschick!

Unsre Thränen fließen allen,

Die bei Salamis gefallen; Aber die zuerst erschlagen Lasset uns zuerst beklagen:

89 Jammer soll gen Himmel tönen.

Bis die Wolken widerdröhnen. Leichen schwimmen dort auf Wogen, Fische kommen nachgezogm,

Beute wollen sie erjagen,

Stumm sie an den Leidem nagen! Um die Väter klagt, ihr Waisen! -Um die Söhne klagt, ihr Greisen! *

*

*

Zu Ende ist der Perser Macht!

Zu Ende Herrlichkeit und Pracht!

Kein Zins wird fürder dargebracht!

Das Herrscherthum wird ausgelacht! Wer betet einen Herrscher an, Der über Nichts gebieten kann! Die Zungen sind nun zügellos,

Der freie Mann allein ist groß. Er ist entwachsen nun dem Schooß, Dem er entsprangen nackt und bloß! Die Tyrannei — das ist gewiß — Verschlang das Meer bei SalamiS. Ateffo (auS dem Palaste tretend in Trauerkleidern, begleitet von wenigen

Opferspenden tragenden Dienerinnen).

SB er, meine Lieben, solche Botschaft hörte

Wi« wir, der weiß, daß, wenn ein Mißgeschick

90 Hereinbncht über Menschenkinder, sie In Furcht und Ängsten bebm fort und fort,

Wie wer im Glück sich wiegt, vertrauenvoll

Und sorglos in die fernste Zukunft blickt. Auch mich umgeben jetzt nur Schreckensbilder, In meinen Ohren schallen Jammertöne

Und lauter Angst erfüllt die Seele mir. Drum kehre ich zurück, nicht angethan Mit königlichem Schmuck und Prachtgewanden,

So wie zuvor; — ich bringe Opferspenden, Die auf das Grab des Vaters meines Sohnes

Zn frommer Andacht ich vergieße» will. Ich bringe lautre Milch und Honigseim; Ich bringe klares Wasser und da» Blut Der Rebe, unverfälschten Wein, zur Sühne Der Todten; dazu fügt' ich süße Früchte

Und Zweige auch des immergrünen Olbaums, So wie der Erde jüngstgeborne Kinder,

Zum frischen Kranz geflochtne, duftige Blumen. — Ihr, meine Freunde, stimmt ein Lied nun an Zu meinem Todtenopfer, und beschwört DareioS heiligen Schatten, während ich

Der Todesgötter Opfer fromm beschicke. Chorführer.

Hochherrlichel

Zierde des persischen Volks!

In die Kammer des Todten die Spend' ausgieß,

Und wir wollen mit Sang und Gebet anflehn

91 Um Gnade und Huld Die Geleiter der Todten da unten. (At o ssa steigt mit ihren Frauen die Treppe herab zum Grabmale des LareioS.)

Chorführer. Ihr, heilige Götter der Nacht und des Tods: Du Erde! und du, Hermes! und auch du.

Der ein König im Reiche der Schatten du bist, — Hört uns! Entsendet den Geist, der allein

Noch zu helfen vermag und zu sagen versteht, Wo des Elends Ende zu finden! (Atossa opfert am Grabmale deS DareioS.)

Chorgesang.

Hör uns! hör uns!

Seliger Geist!

König, der uns zu helfen du weißt, Höre der irdischen Heimath Laut,

Tön' er hinunter dir fteundlich und traut! Laß dich erwecken durch Klage und Jammer,

Herr, aus dem Schlummer in friedlicher Kammer! Erde!

Erde! Alle zumal,

Götter, die walten im nächtigen Thal! Schickt aus des Todes umschattetem Thor

Aller der Könige König empor, Welche in persischen Gräbem gebettet, Daß vom Verderben sein Volk er errettet.

92 Geliebter Fürst!

Geliebte- Grab!

Geliebtes HauS!

Entlaß ihn, Herr der Unterwelt; und tritt heraus, DareioS du! — erhör uns, sieh: wir beten fromm! DareioS du! — o unser guter König, komm! Du hast die Deinen nie in Noch und Tod gejagt!

Du warst ein weiser König, allzeit unverzagt! Der Götterfreund bei deinem Volke hießest dul

Der Götter Freund — erhebe dich aus Grabesruh!

Du Fürst aus starker Väter Zeit! Du Fürst in Zett und Ewigkeit!

Erhebe dich in Herrlichkeit!

Geschmückt mit Kron und KöuigSkleid! DareioS!

Vater, mlld und rein,

Erschein!

DareioS, komm! — Erschein!

D», aller Könige König du, Erhebe dich aus Todesruh!

Versinken wird dein Volk im Nu,

Es schreit in Noth und Angst dir zu:

Dareios! Vater, mild und rein, DareioS, komm! — Erschein! (Gewölk.

Ter König DareioS

entsteigt

Grabe — Erdbeben — Donner — Blitz.

Erschein! im vollen KönigSschmucke dem

Die Ehoreuten fallen auf die

Kniee und neigen die Häupter zu Boden.)

93 Da! da! — Ah! Ah! — Hah (stammelnd:)

O Melbeweinter — Vielgeliebter — ah! Das Ungeheure — all das Ungeheure — Zwiefacher Schlag — und dein — ja Alles dein —

Verloren — ach verloren — Heer und Flotte — Ja Alles — Alles — H ar Ci OS (auf der Höhe des Grabmales stehend).

Getteuste meiner Treuen! Jugendfreunde! Des Reichs Berather! sagt: was ist geschehn? Der Boden bebt! — ihr wankt — und tingt die Hände —

Und mein Gemahl — an meinem Grabe hier —

Ich dank ihr, daß sie liebreich mein gedacht! Ihr aber, meine Freunde, steht verzagt, Nachdem ihr flehentlich mich angerufen. Der Weg aus Nacht zum Licht ist steil und schwer;

Die Unterwelt eröffnet ihre Pforten Viel öfter zum Empfang als zum Entlaß. Doch bin auch dort als Fürst ich angesehn, Und habe drum alsbald mich aufgemacht, Damit ihr über mich euch nicht beklagt: Was wollt ihr nun? was hat euch heimgesucht?

Chorsührer.

Wir zittem und zagen dich anzuschauen! — Wir zittem und zagen mit heiligem Grauen! — Das Wort zu ergreifen wir nicht uns getrauen!

94

Darcios. Da gerührt von euren Klagen ich hieher gekommen bin,

Dürst ihr ohne Furcht und Grauen vor mir sprechen. Redet denn: Sagt mit wenig klaren Worten alles, was geschehen ist. Chorführer.

Wir scheuen zu sprechen, weil stumm wir verzagen! — Wir scheuen zu sprechen, weil nimmer wir wagen — Unsägliches dem, den wir lieben, zu sagen! vareioo. Nun! wenn altgewöhnte Ehrfurcht euren Muth befangen halt,

Rede du, getreue Gattin! greise edle Königin! Deinen Schmerz und deine Thränen unterdrück' und sage ftei.

Welche Sorgen dir am Herzen nagen. Qual ist Menschenlos! Und wer lange lebt auf Erdm, muß ertragen lange Qual: Über Lande, über Meere stürmt der Sorgen wildes Heer! atössa.

Erstgeborner Sohn des Glückes, dem das reichste Los bescheert! Denn so lang das Licht du schautest, wärest du beneidenswerth, Weil du unter deinem Volke lebtest einem Gotte gleich. Und nicht minder auch im Tode bist du noch beneidenswerth,

Weil den Tag du nicht erlebtest, den das Eine Wort besagt, Was ich nenne dir, Dareios: deines Volkes Untergang! Vareioo.

Ward das Volk von Pest geschlagen oder hat es sich empört? Ätossa.

Keins von beidem:

Unsre Krieger alle fielen vor Athen!

95

Karri»». Wer von meinen Söhnen führte dielen unglückseligen Krieg? Ät-ssa. Zke'rxes Ungestüm entführte alle Krieger aus dem Land. Karei»». Hat mit Landmacht oder Seemacht er den tollen Ikrieg gewagt? Ät-ssa. Beide waren sie vereinet wie ein Doppelangestcht. Kareior. Doch wie konnten Schiffe faffen dieser Landmacht große Zahl? Alefs«. Eine Brücke ließ er schlagen über Meer von Strand zu Strand. Karri»». Und er wagte ftech zu fesseln diesen Arm des Oceans? Ltossa. Jal ihm hatte, scheint's, ein Dämon den gesunden Sinn bethört. Karri»». Und das Heer, das ganze große, ward vom Feinde »mgebracht? Ätossa. Alle Lande stehn verwaiset! — Alle Straßen stehen leer! Karri»«. Schauderhaft! Der Schirm des Landes! und der Krone star­ ker Schutz! Ät»sfa. Knaben nur und Greise leben; alle Männer sanken hin.

96 vareior.

Traurig Los! Der weiten Lande JünglingSkrast dahingewelkt! ^tossa.

Xerxes ist allein, verlassen, mit geringem Überrest —

Da reios.

Wo und wie denn umgekommen? oder giebt es Rettung noch? Jltaffa. Auf der Brücke, die er baute über Meer von Sttand zu Sttand —

Darrios. Hat er heimwärts sich gerettet! Weißt du sicher, was du sagst?

Rtossa.

Ja, ich hörte seinen Boten, — welchem Niemand widersprach. Dareios.

MeS — alles ist vollendet, was dereinst vorausgesagt! ZeuS erfüllt an meinem Sohne der Verheißung Ende jetzt. — Ach, ich wähnt' in weiter Ferne läg' es nach der Götter Rath; Aber wenn's der Mensch beschleunigt, steht behend ein Gott ihm bei! Eine Quelle bittem Leides that sich all den Meinen auf, Und mein Sohn hat sie erschlossen mit der Jugend Übennuth: Hat dem heiligen?lrm des Meeres Sklavenketten angelegt, Hat die freie Wogenstraße umgewandelt durch Gewalt Zur gemeinen schmutzigen Gaffe für sein wüstes Äriegervolk!

Er, der Mensch, vermaß sich Götter zu bezwingen, frecher Wahn! Poseidön, den Gott der Wogen, dachte zu bewältigen er,

97 Der ein blinder Thor, nichts weiter! — All mein Reichthum, fürcht' ich, wird

Nun ein Raub des erstenbesten, der nach ihm die Hände streckt.

Atossa. Schlechter Männer schlimme Reden reizten meinen kühnen Sohn.

Denn sie sagten: reiche Schätze hättest einst du aufgehäust,

Tie im Kriege du erobert, aber er, ein feiger Mann, Spiele Krieg in seinem Hause nur und mehre nicht den Schatz,

Welchen du ihm hinterlassen.

All das ward ihm hinterbracht,

Drum beschloß er auszuziehen gegen Griechenland zum Krieg. vareios.

Und so vollzog sich dann des Schicksals Schluß: Die große unerhörte starke That, Die ihres Gleichen niemals noch gehabt, Seit Zeus allmächttg angeordnet hat, Daß über alle Lande Asias

Nur Einer herrsche mit dem Königscepter. So ward das Reich gegründet, und die Reihe

Der Herrscher angeordnet bis auf mich.

Ich freute mich des Loses, das mir fiel,

Und viele Kriege führt' tdjr, vieles Volk

Zog aus mit mir zum Kampfe, aber nie Hab ich mein Volk betrübt mit solchem Leid, Wie jetzt durch meinen Sohn es überkam. XerxeS, bethört durch Jugendübermuth

Und Leichtsinn, hat mein Beispiel nicht befolgt. Zhr, meine Zeitgenossen, werdet wissen, Marbach, AeschyloS Tragödien.

7

98 Daß alle Fürsten, die dieß Reich beherrscht, Nie solches Elend auf das D olk gehäuft.

Chorführer

(naJ6b20t er mit allen Choreutenfich erhoben hat).

Was willst du, daß geschehe, Fürst Daretosd Was sollen wir beginnen, um das Reich Aus dieser Noth noch einmal aufzu richtend Vareios. Nie führet wieder Krieg mit Griechenland, Und ob ein Heer ihr hattet, das noch größer

Als das des Xerxes wäre!

Wißt: daS Land

Der Griechen steht dem Volt der Griechen bei. Chorführer. Was willst du sagen mit dem Räthselworte?

Vareios.

Durch Hunger bringt das Land die Feinde um. Chorführer.

Wir müssen gut verpflegen unser Heer — Oareios. Es wird kein Perserheer aus Griechenland Lebendig zu der Heimath wiederkehren.

Chorführer. Wir sahen doch: ein ganzes Perserheer Zog über Meer hinüber nach Hellas.

Vareios. Doch kehret nur ein kleinster Theil zurück, Wenn Götterspruch nicht lügt, von dem soviel

Schon in ErfMung ging. Und Göttersprüche Erfüllen nie sich anders, als wie ganz. Ist dieß der Fall, so hat gewiß mein Sohn Ein auserlesnes Heer in Griechenland Zurückgelaffen noch in seinem Wahn. Verfallen ist dieß Heer dem schwersten Schicksal, Weil es in frechem Übermuth und Rohheit Zn Gn'echenland der Götter Heiligthümer Geschändet, Tempelraub verübt und Mord Und Brand gestiftet, ewiger Götter Sitze Bis in den Grund verwüstet und zerstört. Tie böse That vollbracht, die müssen nun Auch böse That erdulden: noch ist nicht Des Elends Quell gestopft, er strömt noch fort. Tie Griechen werden noch ein blutig Opfer Der Sühne bringen: noch ein Strom von Blut Wird ausgegossen werden; Leichenhügel Verkünden einst den Söhnen ihrer Vater Bis in das dritte Glied den weisen Spruch: Die Gottheit straft des Menschen Übermuth Und blüht die Hoffart, wird sie Früchte tragen, Die eingeheimst in Ach und Weh sich wandeln. Ihr, wenn ihr schauet dieses Gottesurtel, Das durch Athen und Griechenland ergeht, So hütet fürder euch nach ftemdem Gut Die Hände gierig auszustrecken und Das Glück, das ihr besitzt, aufs Spiel zu setzen. Die Gottheit straft den Sünder und sie rächt

100 Den, welcher dulden muß durch Missethat! — Ihr, meine Freunde, die ihr Weisheit lerntet, Lehrt meinen Sohn die Thorheit abzuthun, Der Rache abzusagen, Gott verttaun. — Du, liebe Gattin, XerxeS greise Mutter,

Geh, hole aus dem Hauf ein Prachtgewand Und trage deinem Sohne das entgegen. Er kommt in Kleidem, die in wildem Schmerz Er sich zerriß, so daß nur Lumpen ihm Um Brust und Nacken flattenu Tröste ihn Mit sanften mütterlichen Worten! Dir Allein, ich weiß, verschließt er nicht sein Ohr. — Ich geh hinunter in die Welt der Schatten; Lebt wohl, ihr Men! Freuet euch des Tages, So lang er währet, allem Gram zum Trotz, — Denn aller Reichthum nützt den Todten nichts. (DareioS verschwindet — unterirdischer Donner — Erdbeben.) (Alle Ehoreuten find in die Kniee gesunken, auch Atossa und ihre Be­

gleiterinnen.

Nach längerer Pause erheben fich alle wieder.)

Chorführer. Zu all dem Elend, das wir schon erlebt, Kommt all das Leid noch, das uns prophezeit So eben ward. Das muß das Herz uns brechen.

Atossa. O Gott! wie groß das Unglück, das mich traf; Dch schmerzt am meisten mich, daß meinen Sohn Im Bettlerkleide ich erblicken soll, Das schmachvoll seinen Leib verhüllt. Ich gehe Hinein ins Haus und Hof ein Prachtgewand

101 Und trag es ihm entgegen, denn ich darf Im Unglück doch mein Liebstes nicht verrathen« (Atossa begiebt sich mit ihren Begleiterinnen in den Palast.)

Chorgrsaug. Ach! wie so himmlische selige Tage,

Reich nur an Freuden und arm nur an Plage, Einstens wir sahn als zu Persiens Preise Uns noch beherrschte als König und Vater, Mächtig und rastlos, des Volkes Berather, Gleichend den Göttem Darcios der Weise. Mächtige Heere besiegten die Feinde, Starke Gesetze in jeder Gemeinde Hielten auf Ordnung; in ftöhlichen Schaaren

Kehrten zur Heimath die persischen Krieger,

Jubelnd empfangen als Helfer und Sieger, Glorreich gerettet aus Leibesgefahren. Niemals verlaffend die heimischen Lande Herrschte der König bis hin zu dem Strande Schützenden Meers, ihm gehorchten die Städte Innen im Reich und an fernen Gestaden, Zahllose Schiffe mit Schätzen beladen

Fuhren in Frieden zum heimischen Bette.

Griechische Inseln mit üppigen Auen, Leicht zu erreichen und lieblich zu schauen, Beugten sich folgsam dem schirmenden Willen Unsers Gebieters und brachten ihm Gaben, Willig und froh ihn zum Fürsten zu haben,

Weil sie gediehen in friedlicher Stille! —

102 Aber das alle-, ach, hat nun ein Ende,

Weil wir gegriffen in göMiche Hände, Die uns den Segen des Friedens gespendet; Weil wir die Ewigen stevelnd beleidigt, Welche die Herrschaft der Perser vertheidigt, Haben sie Glück nun in Elend gewendet!

Ferrer (auftretend auf der Orchestra mit wenigen Begleitern).

Weh mir! Aus der Höhe des Lichts in der Nacht Abgrund

Hemiedergeschmettert von feindlicher Macht Sammt alle» den Meinen in Noch und in Tod, — Wer stehet mir bei nun mit Rath und mit That? Ach es schwanken die Füße! es brechen die Kni»! — Dort stehen die Greise, die Väter des Staats —

Oh! hätte doch Zeus in den Tod mich gestürzt Mt den andem, die alle gefallen im Kampf

Da draußen in grausiger Seeschlacht! Chor

(in Bewegung).

Wir beklagen, o König, .das herrliche Heer, Und der Weltherrschaft unsterblichen Ruhm, Der die Helden geschmückt, Die ein Gott ins Verderben gestürzt hat. Laut jammert das Volk um die Jugend die fiel Durch Xerxes, der sie zur Schlachtbank trieb, Zu bevölkem des Todes verschlingendes Reich! Viel Leben erlosch r und die Blüte des Volks,

103 Die so herrlich geprcmget mit Waffen geschmückt, Unzählbar Volk, in den Tod ging.

Ferrer. Weh über mich! Wehe! mein herrliches Heer! Lhorföhrer (sich niederwerfend, die übrigenEhoreuten Ha! König des Landes! Allasia sinkt Von Entsetzen gepackt in die Kniee vor dir!

mtt ihm).

Ferres. Weh über mich! Weh, daß geboren ich ward Zum Verderben des Volks und zum Fluche des Lands!

Chorführer. Ach! des Jammers Geschrei als Empfangsgruß kreischt — Mißtönender Sang! Mißkrächzender Klang! — Und von Thränen erstickt Laut schluchzend ein Lied deS Erbarmens!

Ferres. Schreit laut!

Stöhnt herzzerbrechendes Leid!

Von den Göttern und Menschen verlaffen ich bin! Chorgesaag. Laßt uns weinen! trostlos weinen! Jeder klage um die Seinen,

Die in wilder See verdarben, Die auf blutiger Erde starben, — Ach, nach denen wir uns sehnen — Ach, das Lied erstickt in Thränen!

Ferres. Ja der wilde Gott der Schlachten, Den die Griechen freund sich machten,

104 Mähte mit dem Schwert, dem schweren, Seines Feldes stolze Ähren.

Lhorgesang. Wehe! Wehe! Gieb uns Kunde, Fürst, und sprich mit eignem Munde:

Wo sind deiner Freunde Schaaren, Die mit über See gefahren, Deine fürstlichen Begleiter, Kluge Feldherrn, kühne Reiter! ?

Xtrrrs. Ach, sie alle — ach, sie alle

Kamen jämmerlich zu Falle! Sah sie schwimmen auf den Wellen

Und am Felsenstrand zerschellen! Chor.

Rede weiter, sag: wo blieben

All die Deinen, all die Lieben, Deiner Jugend Spielgefährten,

Die von deinem Reichthum zehrten, Die zu diesem Krieg gerathen, Wo sind ihre Heldenthaten? Lerres. Ach, sie starben — ach, sie starben!

Elend alle sie verdarben! Alle sanken sie danieder Rie sich zu erheben wieder!

105 Chor. Noch das Eine sollst du melden:

Wo sind all die freudigm Helden, Die so tapfer sich gebrüstet, Die so herrlich ausgerüstet, Sich auf stolze Rosie schwangen Um als Sieger einst zu prangen!?

Ferrer.

Ach erschlagen! — ach erschlagen! All mein Leben muß ich klagen Um die Starken, um die Riesen,

Die so treu und brav sich wiesen! Chor (sich

erhebend).

Versunken ist in Nacht und Graus Das ganze Reich und Königshaus! Verspielt ist Herrlichkeit und Pracht

Sammt aller stolzen Königsmacht! Ferrer. Da sieh, was noch mir übrig blieb Von allem, was mir werth und lieb! Dahier: der Köcher leicht und leer, Zuvor von Pfeilen voll und schwer! — O habt Erbarmen! weint um mich;

Das allerschwerste trage ich. Chorführer.

Ja, König, ja! Wir stimmen ein In all dein schmerzlich Jammerschrei'n!

106 Ferres. Da seht: ich riß vor Herzeleid Entzwei mein goldgesticktes Kleid! Ich rauste aller Freuden baar

Mein reichgelocktes schwarzes Haar; Das ward mir vor Entsetzen grau — Bringt doch nicht meinen Gram zur Schau! Ich habe mir den Bart zerzaust,

Weil vor mir selber mir gegraust!

Lhor. Du brichst auch unsre Herzen noch;

So höre auf zu jammern doch!

Ferres

(die Treppe zur Bühne emporsteigend).

Ich geh den letzten schwersten Weg:

O führt mich hin den Jammersteg,

Der geht in meiner Väter Haus!

Da ist's mit allem Jammer aus! Einst war dieß Haus wohl stolz und reich, Nun ist eS einem Grabe gleich! Chor (folgend).

Wir gehen mit! — Der Weg ist schwer Wie jener, den dein Volk und Heer Voran uns ging in seiner Noth; Wir gehn selbander in den Tod, Der überall zu jeder Frist

Des Menschenelends Ende ist!

in. Prometheus.

Die Sage. An Stelle der Schöpfungsgeschichte im Men Testammt hatten die Griechen eine Göttergeschichte. Während das erste Buch Mose mit den Worten beginnt: ,Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde/ erzählt der griechische MythoS: die ältesten Götter seien Uranos (d. h. Himmey und Gäa (d. h. Erde) gewesen. Die Kin­ der und KindeSkinder dieser beiden waren die Titänen. Zu ihnen gehörten: OkeanöS (der große Urstrom, welcher das Meer durchflu­ tend um die Erde fich ergießt), welcher für den ältesten der Tita­ nen gilt, sammt seinen Töchtern, den Okeaniden (Wogen); — JapetöS (d. h. Geschick) und seine Gemahlin ThimiS (d. h. Satzung — Gesetz —Gerechtigkeit), deren Söhne Atlas (d.h. Geduld) und Prömetheus (d. h. Vorbedacht) waren. — Typhön (d. h. Hoffart — Rauch — Dampf): — Kronos (d. h. Zeit), welcher für den jüngsten der Söhne des UranöS und der Gäa gilt. Alle Titanen werden als ein übernrenschliches Riesengeschlecht geschildert, als unsterbliche Dämonen und Götter. — UranöS, der erste Weltherrscher, wurde auf Betrieb der Gäa von seinen Söhnen (den Titänen) gestürzt, worauf KrönoS die Herrschaft antrat — an Stelle deS „Himmels^ herrschte fortan die „Zeit" — daS ewige Naturgesetz mußte der vor­ übergehenden Erscheinung, dem Entstehen und Vergehen aller Krea­ turen weichen. Uranos wurde in den Abgrund gestürzt — nicht aber vernichtet, — daS Naturgesetz bestand fort, aber verschwand hinter den zeitlichen Erscheinungen. — Die Herrschaft deS KrönoS war daS Reich der Titanen. „Die Zeit frißt ihre Kinder" — das ist charakteristisch für das Regiment des KrönoS. Die Gemahlin des

110

Krönos war seine Schwester Rhea (b. h. Urquelle — Fluß beS Werbens). Diese reitete ihr jüngstes Kinb durch List vor ber Geftäßigkeit des DaterS. Dieß jüngste Kinb war Zeus (bet „Lebmbige", nachher ber Vater ber Götter und Menschen, b. h. aller mit bewußtem Leben begabten Kreaturen, gmannt), ber einzige Sohn beS Krönos ster^Kronibe), Welcher vor bem Verberben gerettet würbe unb also unsterblich war, wie seine Väter: Uranos und Krönos. Auf ihn setzten alle diejenigen Titanen, welche mit ber Herrschaft bes allvernichlenden, unersättlich gefräßigen Krönos mißzufrieben waren, ihre Hoffnung. Anbere Titänm aber hielten es mit KrönoS wiber Zeus. Unb so kam eS zum Kriege unb Kampfe, in welchem bie wilden Titanen wider einander kämpften: wer Herrscher sein sollte — ob KrönoS oder Zeus — ob Zett oder Leben — ob Ver­ gänglichkeit oder Unsterblichkeit. Die Titänm ÄtlaS und Typhön hielten eS mit Krönos wider ZeuS; — OkeanöS und PrömetheuS, sowie deffen Mutter Themis dagegen mit ZeuS wider Krönos. ZeuS siegte und bestrafte seine Widersacher, indem er sie mit dem entthronten Krönos in dem Abgrund ewiger Nacht begrub. Ät­ laS aber ward verurtheilt die Säulen zu tragen, welche Himmel und Erde auseinander halten, und Typhön ward vom Blitzstrahle, den ZeuS gegm ihn schleuderte, niedergeschmettert und der Ätna auf Sikelia (Sicilien) auf ihn gethürmt, in welchem seitdem der Feuergott HephästoS seine Schmiedewerkstatt hat. Nachdem Zeus mit dem Rathe des Prömetheus gesiegt, schuf er eine neue Weltordnung, indem er den Willen, die Selbstbestim­ mung des lebendigen Geistes an die Stelle der rohen Naturgewalt, die im fortgesetzten Strome des Entstehens und Vergehens sich offen­ bart, die Freiheit an die Stelle der Knechtschaft unter das Gesetz setzte. Da erhielt HephästoS, der ein Sohn des ZeuS war, sein göttliches Ehrenamt als Wächter, Hüter und Ppeger des Feuers und alles dessen, was mit diesem zusammenhängt. Dagegen kam der Rathgeber deS ZeuS, Prömetheus, sehr schlecht weg, indem er bei Zeus in Un­ gnade fiel wegen des Schutzesund der Förderung, die er der Mensch­ heit angedeihen ließ. Zeus war mit der Menschheit nicht zufrieden;

111 er hatte die Absicht sie zu vernichten und eine neue Kreatur an ihre Stelle zu setzm. Dem trat Prometheus entgegen. Um die Mmschheit aus dem thierühnlichen Zustande, in welchen sie verfallen oder in welchem sie fitzen geblieben war, zu erhebm, ihre geistige Entwicklung zu fördern, d. h. sie gottähnlicher zu machm, gab er ihr das Feuer und lehrte sie dasselbe gebrauchen. Damit hatte Prometheus einen Eingriff in das dem HephästoS zugewiesene Machtgebiet sich erlaubt, was als ein Vergehen gegen göttliches Wesen und den Willm des ZeuS anzusehen war. Für dieses Der» gehen strafte ZeuS den Prometheus, indem er ihn durch HephästoS und zwei andere untergeordnete Titanen (allegorische Figuren) Kratos und Bia (d. h. Gewalt und Stärke) gefeffelt an einem öden Felsen am Meeresstrande anschmieden ließ um hier vor Göttern und Menschen ein qualvolles Dasein zu führen, bis eS ZeuS gefallen würde ihn wieder freizugeben. Die Vollziehung der Bestrafung des Prometheus, seine Schuld, deren Bedeutung und deren Sühne, die Qual, und deren noch bevorstehende Steigerung, endlich die semliegende Bedingung und Hoffnung einstiger Erlösung bilden den Inhalt dieser Tragödie: „$)cr gefesselte PrömetheuS." Das Feuer als die Quelle von Licht und Wärme ist der Ur­ sprung des menschlichen Culturlebens. Mit Hilfe des FeuerS ver­ mag der Mensch die natürlichen Dinge umzugestaltm, um fie zur Befriedigung seiner fich fortwährend steigernden und vergeistigen­ den Bedürfniffe geschickt zu machen und durch fie daS ihm eigene geistige Wesen auszudrücken. Milder Beherrschung des Feuers beginnt die Befreiung des Menschen von der Knechtschaft unter die rohe Naturgewalt, der alle übrigen Kreaturen der Erde unbedingt ver­ fallen sind. Die Bereitung der Speisen, die Darstellung der Me­ talle und die Bearbeitung derselben um Waffen und Schmuck her^ zustellen, Werkzeuge zur Pflege des Ackerbaues und der Jagd, um den Kampf umS Dasein nicht blos (wie alle übrigen Kreaturen der Erde) blind und nothgedmngen, sondern mit Einsicht und Absicht, klug und des Erfolges sicher zu führen, den hemmenden und hin­ dernden Einflüffen der Tages- und Jahreszeiten fich zu entziehen,

_112_

die Nacht in Tag und den Winter in Sommer zu verwandeln. Zu all dem verhilft die Herrschaft über das Feuer.

Ist aber der

Mensch erst -u diesen Anfängen und Grundbedingungen geistiger Existmz gelangt, dann entwickelt diese aus

sich selbst sich immer

weiter. Der Mensch gelangt zu Sprache, Kunst und Wiffmschast, zu

immer richtigerm und würdigeren Vorstellungen über den Zusammmhang von Ursache und Wirkung in den natürlichen Dingen, und zur Vervollkommnung geistigen Wesens nach seiner schöpferischm, weltbezwingenden und ewigen Bedeutung.

Mit dieser aber

geht dem Mmschm die Erkmntnist des göttlichen Wesens und das Bewußtsein deS eigenen sittlichen Willens auf.

Der sittliche Wille

macht den Mmschm gottähnlich, fähig Und berechttgt ihn zur Herr­

schaft über alle irdischen Dinge und Kreaturm, und erhebt ihn schließlich über die Furcht vor dem Tode,

indem er ihm die Zu­

versicht unsterblichen Lebens giebt. —

Unser Drama spricht daS

alles klar

und bestimmt aus

als

das, was dem Mmschm mit dem Feuer gegebm ist.

Zugleich mit Prometheus hatte auch der älteste der Titanen,

OkmnöS, dem Zeus im Kampfe gegen KrönoS Beistand geleistet; daher

nahm

er

an

der fchrecklichm Heimsuchung seines Neffen

Prometheus den lebhaftesten Antheil.

Er hatte aber dazu noch

eine weitere Veranlaffung, denn Prömetheus hatte eine seiner vielen

Töchter (der Okeaniden) Hefiöne (d. h. Freude) zur Gattin genom­

men.

Die Okeaniden bilden den Chor der Tragödie.

Sie find

als Personisicationen der Meereswogen zu betrachten und demgemäß vom Dichter geschildert.

Sie kommen über daS Meer zu dem am

Felsengestade angeschmiedeten Prometheus um mit dem Dulder zu klagen und ihn zu trösten, der vor ihnm sein Herz auSschüttet.

Prö­

metheus, der die Zukunft denkend vorauSfieht und daher auch Pro­ phet (Doraussager) ist, weiß daß ein Tag kommen müffe, wo Zeus

seiner wieder bedürfen werde um sich als Herrscher behaupten zu können.

Dieß sagt Prömetheus den Okeaniden, aber weder wann

dieser Tag erscheinen werde, noch wer ZeuS zu stürzen suchen werde, und wodurch Zeus vor dem Untergange gerettet werden könne. ES

113 ist dies, wie er sagt, sein Geheimniß, welches er bewahren will, bis Zeus ihn befreit und sich mit ihm versöhnt haben werde. Seinen milleidigen Trösterinnen erzählt Prometheus, wie Zeus durch seinen Rath zur Herrschaft gelangt und wie er selbst durch seine Menschen­ liebe bei ZeuS in Ungnade gefallen sei. Da kommt auch der alte OkeanöS selbst um Prometheus wohlmeinend zu rathm und sich zur Fürbitte bei ZeuS anzubieten. Aber PrömetheuS lehnt den an­ gebotenen Beistand entschiedm ab; er will dulden, wie er muß nach Schicksalschluß gleich seinem Bruder ÄUaS und gleich dem Titanen Typhön. Nachdem OkeanöS sich wieder entfernt hat, fährt Prome­ theus in seinen Mittheilungen an die Okeaniden fort und prophe­ zeit zuletzt: er werde einst befreit werden, aber nicht um mit und neben ZeuS zu herrschen, sondern, nachdem er durch Noth und Elend gebrochen sein werde — daS sei vom Schicksal über ihn verhängt und von den unaufhaltbaren Rachegöttern. Diesen ist Prömetheus verfallen durch sein Thun. Von dem Geheimniß, an welches die Herrschaft deS wie er der Schicksalsmacht unterwor­ fenen ZeuS gebunden ist, fei, so sagt er, seine eigene Erlösung abhängig. In dem Chorgesange, welcher folgt, wird von den Okeaniden Lndirect die Schuld des Prometheus anerkannt, indem sie die schlichte gottergebene Frömmigkeit preisen, welche die Verheißung der Selig­ keit hat. Dabei weisen fie auf die Hinfälligkeit menschlichen Wesens hin und erinnern sich in Wehmuth der heitern Hochzeitlieder, welche fie einst bei der Vermählung des Prömetheus mit ihrer Schwester Hefiöne gesungen haben. Mit der PrömetheuS-Sage steht in tief mystischem Zusammen­ hänge die Sage von Jö, der Tochter des Jnachos, welcher dem Titänengeschlechte angehörte und für den ältesten König von ÄrgoS galt. Jnachos (d. h. Strom) war ursprünglich ein Flußgott, ein Sohn des OkeanöS, so daß also seine Tochter eine Nichte der Okeaniden war. Die Sage von Jö, wie AeschyloS sie benützt hat, in den beiden uns erhaltenen Tragödien „Prömetheus" und „Schutzstehende" ist folgende. Marbach, AeschyloS Tragödien.

8

114 Jö war Priesterin der Hera (b. h. ^himmlische Herrin"), der Gemahlin des Zeus. Sie erglühte in leidenschaftlicher Liebe zu ZeuS, welche sich bis zum Wahnsinn, ja bis zur Raserei steigerte. Sie bildete sich ein, die auf sie eifersüchtige Hera habe sie in eine Kuh verwandelt, verfolge sie und zwinge sie zum rastlosen Irren durch die Welt; eine Stechfliege (Bremse) stachle sie auf und laste sie nicht zur Ruhe kommen, und ein vieläugiger, stets und überall sie beobachtender Wächter, Argos (d. h. der ^behend-wachsame") genannt, verfolge sie, auch nachdem er getödtet worden, noch als Gespenst. Die Vorstellungen von einer gehörnten Kuh —, vom gehörnten Monde, welcher unter den Sternen der Nacht im schein­ bar irren Laus über die Meere und Lande schweife —, von der mit Hörnern am Haupte abgebildeten ägyptischen Göttin Isis, welche ihren Gatten Osiris suchend umherirrt — vermengen sich in der Jö-Sage. Jö kommt auf ihrer Irrfahrt zu dem Felsen am Meeres­ strande im öden Skythenlande, an welchem der gefesselte PrömeIheuS angeschmiedet ist und von den Okeanidm beklagt wird. Pro­ metheus erkennt sie und sagt ihr ferneres Schicksal voraus — : die wahnsinnige Jö werde nach langer schrecklicher Irrfahrt einst in Ägyptm Ruhe und Genesung finden durch den ihrer sich erbar­ menden Zeus, und werde einen Sohn EpaphoS (b. h. „Erlöser") ge­ bären, welcher als König bas Lanb am Nil (Ägypten) beherrschen werbe. Einer ber Nachkommen bieses EpaphoS werbe ben Prome­ theus —, so prophezeit bieser —, bermaleinst auS der von Zeus über ihn verhängten Qual befteien. Durch die Erscheinung der in Raserei fortstürmenden Jö er­ schüttert, preisen die Okeaniden daS Glück der Bescheidenheit, indem fie selbst Verzicht leisten auf Liebesbündniffe, durch welche sie in die Gesellschaft ewiger Götter sich eindrängen würden. Sie erkennen also selbst an, daß fie, obgleich Kinder von Göttern, doch nicht selbst Götter sind. Die Griechen nannten solche Wesen, die mitten inne stehen zwischen Göttern und Menschm, Heroen (die männlichen), Heroinen (die weiblichen), später auch Halbgötter. Wie aber die

115 Liebesbündnisse von Heroinen mit Göttern für jene verderblich find, so find fie es auch für diese. DaS spricht PrömetheuS anknüpfend an den Gesang der Okeaniden diesen gegenüber aus in Anwendung auf Zeus, und giebt dadurch eine weitere Hindeutung auf daS Ge­ heimniß, deffen Bewahrung die Bedingung seiner Befreiung ist. AuS einem seiner nicht würdigen Liebesbunde wird der hervorge­ hen, der Zeus stürzen wird von seinem Herrscherthrone. Wer dieser Sohn sein würde und wie Zeus gerettet würde vor dem Untergänge — darüber spricht PrömetheuS nicht fich auS, auch nicht dem Boten des Zeus, dem Götterherold Hermes (d. h. der „Fündige") gegenüber, welcher kommt um das Geheimniß des Pro­ metheus zu erpreffen. Dieser läßt fich nicht einschüchtern; er be­ hauptet sich als Gott allen Göttern gegenüber in Zuversicht unsterb­ lichen Lebms, versichert nochmals, daß er sein Geheimniß nicht ofsenbaren werde, als nachdem Zeus ihm die Freiheit wiedergegeben haben würde, und rüst als daS durch Hermes weiter angedrohte Unheil mit Gewalt über ihn hereinbricht, die urältesten Götter als Zeugen seiner Unschuld an. ES ist viel gerathen und gedeutet worden, worin wohl das Geheimniß des Prometheus bestanden haben möge. Da AeschyloS in dem, was von seinen Dichtungen uns erhalten ist, eben so wenig wie PrömetheuS dasselbe verrathen hat, so muß jedem Leser überlaffen bleiben über dieses Geheimniß nachzudenken. Gewiß ist nur, daß AeschyloS, wie wir auS dem, was uns von seinen Dichtwerken erhalten ist, ersehen, so unendlich hoch erhaben ist über die im Munde und in der Phantasie des gemeinen Haufens umgehenden Göttergeschichten, daß in diesen eine Deutung deS GeheimniffeS des PrömetheuS zu suchen gewiß ein vergebliches, auf Irrwege führendes Bestreben ist.

Personen. Starke und Gewalt, zwei Riesen. Hephästos, Gott des Feuers und der Schmiedekunst.

Prometheus, Gott »Vorbedacht-.

Okeanös, Gott des die Erde umflutenden Meerstromes. Jü, JnachoS Tochter.

Hermes, Gott der Weltklugheit, Herold und Bote des Zeus. Chor: die Okeaniden, Töchter des Okeanös. Die Bühne stellt ein unwirthbareS FelsengeLirge am Testade deS Meeres

vor. Die Orchestra bildet einen Theil des Strande-, welche sich fortsetzt. Recht- die brandende See.

nach link-

Don links treten auf: der Riefe Stärke, welcher den gebundenen Pro­

metheus führt,

dann HephästoS mit dem Hammer und Gewalt mit Ketten.

Starke. Da sind wir, wo die Welt ein Ende hat: Im rauhen unbewohnten Skythenlande. — He'phästos, thu, was deines Amtes ist Als Gott des Feuers und der Schmiedekunstl Du kennest Zeus Befehl: den Bösewicht Dahier mit Demantketten fest zu schmieden An steiler Felsenklippe. Stahl er dir

Dein wunderthätig leuchtend Feuer doch Und gab’8 den Menschen. Für die Frevelthat Soll nun er Sttafe leiden, daß er lerne Den Gott der Götter ehren und die Menschen Nicht höher achten, als für ihn sich ziemt.

Hephästs s. Gewalt und Stärket was euch Zeus befahl

Habt ihr vollbracht und seid entlasten nun. — Mir widerstrebt's den nah verwandten Gott Hier anzuschmieden an den wüsten Felsen.

Und dennoch muß ich thun, was der befiehlt,

Der unser aller Herr und Vater ist.------Du, hochgemuter Sohn der weisen Themis,

der Riese

118 Der Göttin der Gerechtigkeit! ich soll — Wie wenig bis 3 gefällt, wie wenig mir —

An diesen Stein dich schmieden, wo du nie Ein Menschenantlitz wieder schauen wirst, Und Menschenstimme nie du wieder hörst. Bei Tage, wenn im lautern Sonnenbrände Die Blüte deines Leibes welkt und dörrt, Verlangst du nach der Nacht mit ihren Schatten Und ihren Bildern; aber wenn bei Nacht Die Glieder dir in Frost und Eis erstarren,

Begehrst du, daß der Strahl der Morgensonne Dich doch erlöse: Pein bei Tag und Nacht! Pein ohne Ende — kein Erlöser lebt! — Das ist der Dank für deine Menschenliebe! Weil du, ein Gott, die Menschen göttergleich Zu machen dich vermaßest, bist du nun An diesen Stein als Wächter hingestellt. Hier sollst du aufrecht stehen, ungebeugt

Die Kniee, schlaflos schreien Ach und Weh, Jedoch vergebens! Zeus ist unerbittlich Wie jeder Fürst in neuem Regiment.

Gewalt. Was soll der Jammer! Greife zu und handle! Verfluche ihn, der all den andem Göttern Verhaßt, der dir dein Kleinod frech geraubt! Hephaftos.

Er ist mein Bruder, war von je mein Freund!

119 Gewalt.

Mag sein, doch dir geziemt gehorsamsein Dem Vater, dessen Willen du vernahmst.

Hephaftor.

Du kennest kein Erbarmen, kein Verschonen. Gewalt.

Das führt zu nichts! das ist nicht unsre Sache:

Was unvermeidlich ist, das thu getrost!

Hephaftos. Mir grauet vor dem Werke meiner Hände! Gewalt.

Was giebt es da zu grauen! Kurz und gut: Die Schmiedckunst hat nichts damit zu thun! Hephaftos.

Ich wollt, ein andrer übte diese Kunst! Gewalt.

Die Götter können viel, ja können Alles Doch Zeus allein ist frei und ist ihr Herr! Hephaftos.

Ich weiß es und ich sage nichts dagegen.

Gewalt. Nun rasch bei Handen: leg in Ketten ihn,

Daß Vater Zeus erkennt, du zögerst nicht. Hephaftos. Da sind die Ketten mit den Eisenbändern!

120 Gewalt. Die kommen um die Hände! — So — nun schlage — Mit deinem Hammer los! — verniete fest! Hephäsior. Es sitzt das Niet — und meine Arbeit halt! Gewalt.

Nun in den Fels! — nur tief hinein den Stift! — Der hier ist schlau, — der weiß zu helfen sich!

Hephaft-r. Der eine Arm ist angeschmiedet schon. Gewalt.

So kommt der zweite dran! — der kluge Wicht Soll merken: wider Zeus vermag er Nichts! Hephäst--.

Niemand soll schelten mich, als — dieser hier!

Gewalt. Des Demantkeils erbarmunglosen Zahn Nun mitten durch die Brust getrieben — fest!

Hephäst--. Ha, Prömetheus! Entsetzlich ist dein Los!

Gewalt. Du zögerst? du beklagst den Feind des Zeus? O daß du nicht noch um dich selber klagst! Hephäst--.

Da — stehe, was kein Aug ertragen kann!

121 Sewall. Ich seh verdienten Lohn für schlimme That. — Leg um die Hüften ihm den Eisengurt l

Hephaftor. Ich thu'S; doch nicht, weil du es mir befiehlst.

Sewall. Ja, ich befehle, du — gehorche nur: Hernieder steige, — fehle ihm die Beine!

Hephaftos. Das ist so schnell gethan, — wie schnell gesagt.

Sewall. Verniete gut die Ringe, — schlag sie fest! —

Der Herr, der deine Arbeit prüft, ist streng!

Hephaftos. Du sprichst so trotzig, wie du dich geberdest.

Sewall. Sei du ein Schwächling — aber tadle nicht, Daß meine Pflicht ich thue, wie sich ziemt.

Hephastos. Jetzt — laßt uns gehen — er ist angeschmiedet.

Starke. Nun, Prometheus! versuch's noch einmal hier: Trotze den Göttern! stech beraube sie,' Gieb ihre Heiligthümer deinen Menschen! Sieh zu, was die um dir zu helfen thun! Den Vorbedachten nennen: Prömetheus,

_ 12 2_

Die Götter dich: nun zeige, was du kannst, WaS du zu deiner Rettung vorbedacht! (HephäftoS, Stärke und Gewalt entfernen sich auf demselben Dege, auf welchem sie gekommen find.) Der gefesselte Prometheus spricht nach längerer Pause,

promttheo». Hochheiliger Äther! Sturmbewegte Wolken!

Lebendige Quellen! Heitres Wogrnspiel Im unermeßnea Meere! Mutter Erde! Allschauend Sonnenaug! ich ruf euch: Seht, Was ich, der Gott, von Göttern dulden muß!-------

* • * Seht her! Seht her! wie in Noth und in Pein Jahrtausende lang ich quälen mich soll

Zerbrochenen Leibs l — Tas that an mir, der zum Herm sich gemacht

In der Welt: Er hat mich beladen mit Schimpf Und gefesselt mit Schmach! Wehklag' ich um heut, Wehklag' ich um morgen, was kommen auch mag! Umsonst! umsonst! nie schau ich den Tag, Wo endet die quälende Trübsal!------* * * Was red' ich da: vor meinem Geiste liegt

Die ganze Zukunft ausgebreitet da; Ich weiß voraus, was alles kommen muß. Was über mich verhängt geduldig tragen, — Das ist das Los, das mir beschieden ist, Ob ich nun klage oder nicht — gleichviel! —

123 Zch machte menschlich Wesen Göttern gleich Und nahm damit der Menschheit Qual auf mich! — DeS heiligen Feuers einen Funken bracht' ich, Verborgen im Hollundermark als Lunte,

Den Menschm und erschloß damtt den Quell Jedweder Kunst, urewigen Lebens ihnen. Das ist, was ich verschuldet, was ich büße In schweren Ketten an die Lust gehängt!------* . * Was ficht mich an? — Was hör ich? — Was umwcht mich? — Ich athme unsichtbarm Dust —

Von Göttem — oder Menschen — Von göttergleichm Mmschen?! — Fühtt Neugier sie her? oder was sonst?------* * * Sehet! sehet mich in Banden, Mich, den unglückseligen Gott, Welchen ZmS gemacht 511 Schanden Und zu wilder Feinde Spott!

Seht mich, den die Ewigen Haffen, Stießen aus dem goldnen Saal, Weil ich ohne abzulaffen Mich erbarmt der Menschenqual — * Der Flügelschlag!

.

Ganz nahe! Wie das rauschet! Die Lüste wehen leis und lind.



124 Was bringen sie? — Mir graust vor allem, was da kommt! Die Dfeft niden, geflügelte Mädchen in fließenden Gewändern kommen über'Meer mit und auf den Wogen und umflattern — lidellenartig — den gefes­ selten Prometheus.

Dit DKcanidtN

(im Schwimmen und Schweben — im Wechselgesang).

Sei of)nt Scheu — Wir meinen's treu — Wir allzumal — Hie viel an Zahl — Uns führt daher — Weit über Meer — Wettflügelschlag — Wie schnell er mag — Uns trug der Wind — PfeUschnell geschwind — Zum öden Strand — Zur Felsenwand — Durch Wogenschwall — Drang Hammerschall — So ward uns Kund — Auf Meeresgrund — Im Grottenschloß — Wiß: OkeanöS — Deß Töchter wir — Schickt uns zu dir — Auf unser Flehn — Ließ er's geschehen — Wir eilten fort — Zum Schreckensort — Ob ohne Schuh — Ohn Rast und Ruh — Ob ohne Schutz — Der Furcht zum Trutz — Nun sind wir da — Sag: was geschah

Prometheus. Ihr freundlichen Kinder aus glücklichster Eh! Ihr Töchter des Okeanös, der rings Um die Erde sich schlingt, — o schauet mich an Wie mit Ketten gehängt an die Felswand hier, Ich Wache muß halten, — ich Dulder!

125 0k cattibcn (wie zuvor). Ja Prometheus — DaS that dir Zeus — Wir sehen dich — Wie schauerlich — Du dulden mußt — Nicht schuldbewußt —

Mit Angst und Graun — Dein Leid wir schaun — Ob Augenlicht — Durch Thränen bricht —

Mitleidend Herz — Auch stockt vor Schmerz — Zum Tode wund — Verstummt der Mund — Grausame Pein — Am Felsenstein —

Zum Fluch gemacht — Bei Tag und Nacht — Hart Eisenband — Um Fuß und Hand — Unlösbar fest — Nicht loS dich läßt — Uraltes Recht — Gilt nun für schlecht —

Zeus WM allein — Soll Recht nun sein — Das was die Welt — Zusammenhalt —

Ward abgeschafft — durch Willenskraft!

Prometheus. Oh — hätte mich Zeus, statt dies mir zu thun, In der Erd Abgrund kopfüber gestürzt,

Und mit Ketten beladen im Reiche des Tods Mich gefangen gehalten!

Daß nur kein Gott,

Kein lebendes Wesen verspotte mein Leid, Wenn den Stürmen ich diene zum Spielzeug!

0keaniden-Lhor. O nein! o nein! es treibt kein Gott

Mit deinem Leide frevlen Spott! Ein jeder tragt mit dir die Pein,

126 Die dir beschicken! — Zeus allein Sucht heim der Götter Urgeschlecht Mit seines freun Willens Recht, Zwingt nieder ihre Allgewalt, Bis einst er selber müd und alt Geworden, oder bis durch List Von seinem Thron verdrängt er ist. Prometheus. Es erscheinet der Tag, da er meiner bedarf, Den jetzt er verdammt und zum Fluche gemacht! Der Unsterblichen Herr muß hören von mir, Wie dem schnöden Verrath entrinnen er mag. Der ihn lauernd umschleicht und der Herrschaft ihn Zu berauben sich müht. Kein schmeichelndes Wort, Kein lächelnder Blick, kein grollendes Dräun, Kein flammender Zorn mein Geheimniß erpreßt! Erst muffen die Ketten gelöst, und die Schmach, Die erduldet ich habe, gesühnt sein!

Vkeauiden-Chor. Unbeugsam hart und stolz du bist, Ob Qual an deinem Leben frißt; Es thut dein übermüthiger Mund Verwegnen Herzens Tichten kund. Doch unsre Herzen beben bang: Willst du ein endlos Leben lang Erttagen diese harte Pein? Was wird dir noch beschieden sein?

127

Bedenk in deinem wilden Schmerz: Es hat auch Zeus ein strenges Herz! Prometheus. Ei ja! ich weiß: unerbittlich hart Ist der Wille des Zeus, der als Recht ihm gilt; Doch dereinst wird mild er gesinnt und es bricht Ihm das Herz und er bändigt den Zorn Und er reicht hold lächelnd die Hand mir! Lhorführeria. Theil dich uns mit und sag uns, welche That Begingst du, daß dich Zeus hat heimgesucht Mit solcher unerträglich harten Qual? Bringst du es über dich, so sprich es aus.

Prometheus. Zu sprechen wie zu schweigen fällt mir schwer; Eins wie das andre mehrt nur meine Qual! — Himmel und Erde waren Unterthan Dem Kronos sonst, dem wilden Gott der Zeit, Der seine eignen Kinder gierig fraß, Bis auf das jüngste: Zeus, den Gott des Lebens. Himmel und Erde sind das weite Reich Der alten Götter, jener starken Mächte, Die mit Gewalt urkräftig sich erwiesen In allen Dingen, allen Kreaturen. Titänen hießen sie, des Kronos Brüder, Wie er des Himmels und der Erde Kinder. In dieses Reiches tiefen Frieden, der

128 Auf düstern Schicksals ewiger Macht beruhte,

Begann'- zu gähre«, brach in lichten Flammen Zwietracht sich Bahn: die Einen zomentbrannt

Verbanden sich zu KrünoS Sturz und wollten.

Es solle Zeus den Herrscherstuhl besteigen; Die Andern mochten nicht, daß Zeus regiere: Hie blindes Schicksal, dort lebendiger Geist — Das war der Wahlspruch im Titänenkampfe. Ich selber ein Män, wie Kronos auch,

Und so wie dessen jüngster Sohn, wie Zeus, Ließ nicht an Rath «S fehlen; doch umsonst.

In Frieden, wollt' ich, solle Zeus regieren

Durch freie Wahl der Götter insgesammt. Dtänentrotz, gewöhnt an Urgewalt, Verschmähte meinen Rath und meinen Frieden.

Von meiner Mutter ThemiS, ewigeu Rechts Urweiser Göttin, wußt ich längst den Spruch,

Daß einst Gewalt erliegt und Weisheit siegt. Titänen wollten Nichts von Weisheit wissen;

Sie hörten nicht auf mich und meine Mutter.

Ich hielt es mit der Weisheit und verband Aus freiem Willen mich mit Zeus, der auch Aus freiem Willen mir entgegenkam. Ich riech und Zeus befolgte meinen Rath:

Und tief im Abgrund ewiger Nacht begraben

Liegt nun der Gott der Zeit mit seinen Helfem! — Mir ward mein Lohn, den ich verdient: der Fluch, Der schwer auf jeder Art von Herrschaft lastet,

129 Mßtraun und Argwohn — Dank für Freundestreue! — Doch, was ihr wissen wollt: weßwegen Zeus Verstoßen mich, — das will ich nicht verschweigen. — Nachdem auf seines Vaters Thron er saß, Vcrtheilt er alle Ämter, alle Ehren An seine Helfer, schuf des Reiches Ordnung, Wie's ihm gefiel. Dabei vergaß er ganz Die arme Menscheit. Sie gefiel ihm nicht; Er wollte sie vertilgen und ein neu Geschlecht statt ihrer sich erschaffen. Memand Trat ihm entgegen, außer ich allein. Ich hab's gewagt: die Menschen danken mir, Daß sie dem ewigen Tod entgangen sind! Und ich — verdanke Zeus die grause Qual, Die ich erdulden und ihr sehen müßt! Weil ich der armen Menschen mich erbarmt, Ward ich erbarmungslos an diesen Felsen Von Zeus gekettet, mir und ihm zum Schimpf!

Lhorsührerin. Das muß ein Herz von Stein und Eisen sein, Was nicht von deinem Leid erschüttert wird. Ich wollt, ich hatte nie dies Weh geschaut; — Nun ich's erblickt, zerreißt es mir das Herz! Prometheus. Ja, meine Freunde klagen wohl um mich! Lhorsührerin. Du thatest weiter nichts, als was du sagtest? Marbach, AeschyloS Tragödien.

9

130 Prometheus.

Ich nahm die Todesfurcht dem Menschen ab.

Lhorführeriu. Durch welches Mittel ist dir das gelungen? Prometheus.

Indem ich Lebenszuversicht ihm gab. Lhorführeriu. Das war ein groß Geschenkt — wie kam's zu Stande?

Prometheus. Ich hab zum Herrn des Feuers ihn gemacht. Lhorführeriu. Es ist der Mensch der Flamme mächtig worden? Prometheus. Er wird durch sie Erfinder aller Künste.

Lhorführeriu. Und Zeus bestraft dich nun für solchen Frevel?

Prometheus. Mit Qualen ohne Maß und ohne Zahlt Lhorfü hrerin. Und ist kein Ende dieser Pein verheißen?

Prometheus. So lange Zeus es will, erduld ich sie.

Lhorführeriu. Wie lange noch?! Was hoffst du? Siehst du ein.

131 Daß du gefrevelt hast? — Jedoch ich will Dich tadeln nicht; nur sorge selbst dafür, Daß du erlöst aus diesem Elend wirst! Prometheus. Wer glücklich ist, der fteilich hat es leicht Zu warnen und zu rathen dem, der leidet. — Ich hatte Alles längst vorausgesehn Und that mit Vorbedacht, was ich vollbracht: Zum Heil der Menschheit ward zum Dulder ich! — Ich wußt, ich würde leiden, doch nicht wie; Einsam am Felsgestade hier zu schmachten, Das ist mein schrecklich Los! — Doch klaget nicht Um mich; — versammelt euch und lagert euch Rings um mich her; ihr sollt von mir vernehmen, Was kommen wird und muß, auf daß ihr sehet Des Ganzen Ordnung und Zusammenhang. Ich bitte, laßt euch nieder, — mir zu Liebe — Ihr seht, wie ich beladen bin mit Mühsal. Es flattert durch die weite Wett der Gram Und läßt bald hier, bald dort als Gast sich nieder.

Shor der vKeanidcu (Im Wechselgesang). Wir folgen gem — Rufst du von fern — Leicht schweben wir — Und nahn uns dir — Aus Ätherblau — Zum Felsen rauh — Wir sind bereit — Sag all dein Leid — Was wird geschehn — Wir wollen's sehn! (Tie Okeaniden — herbetflatternd — lagern sich auf den Felsen um Prometheus her.)

132 OkeanoS, ein bärtiger Greis, kommt auf einem geflügelten Rosse über daö

Meer geritten, steigt am Strande ab und tritt näher an den Fels.

VKeauos. Rastlos aus weitester Ferne daher

Hat zu dir, Prometheus, mein geflügeltes Roß

Mich getragen.

Der Zügel nicht lenkte es her;

Mein Wille allein hat den Weg ihm gezeigt,

Denn das Mitleid zog mit Gewalt mich zu dir. Wir sind ja Verwandte und mehr als dies:

Stets war ich von Herzen ergeben dir mehr Als sonst wem.

Bald wohl beweis ich dir das:

Kein Schwätzer und Schmeichler zu sein ich vermag.

Ich — Okeanos — ich stehe dir bei — Ich will mich als Freund dir bewähren!

Prometheus. Auch du? Auch du! — aus deinem tiefen Strom

Erhebst du dich, um meine Qual zu schauen?

Aus deinen stillen Grotten tauchst du auf Und kommst hieher, wo Fels und Eisen wächst!

Warum? Hat Mitgefühl dich hergeführt,

So sieh mich an: ich bin's — der Freund des Zeus, Der Rath ihm gab und ihn zum Herrn der Welt Gemacht! da fleh: wie Er dafür mir dankt!

VKeauos. Ich seh's — ja wohl — und bringe meinen Rath

Dir, Prometheus! Wie weise du auch bist, Erkenne nun dich selbst, bezwinge dich,

Und werde neugeboren, so wie Zeus

133 Ein neues Königthum gegründet hat Im Reich der Götter durch des Willens Kraft.

Bewältige deinen Zorn und Groll, behüte

Auch deine Zunge, denn wie hoch sein Thron, Zeus hört doch jedes Wort aus deinem Munde,

Und sucht dich heim mit seinem Strafgericht — Vielleicht noch schwerer als bereits geschehn.

Laß fahren, armer Dulder, deinen Trotz

Und denk allein noch an dein ewiges Heil. Altvätrisch klingt, was ich dir sage, wohl, Toch bleibt es ewig wahr das alte Wort:

Hoffärtig Wesen nimmt ein schlechtes Ende. Unbeugsam bist du, ttotzest aller Qual,

Und fügst dadurch zur alten neue Pein.

Ich mein es wohl; so höre meinen Rath: Wider den Stachel löse länger nicht!

Ein strenger König sitzt im Regiment; Ich werde zu ihm gehn und für dich bitten, Vielleicht gelingt es mir dich zu beftein. Tu aber, schweige! bändige deinen Zorn!

Du, aller Weisen Weisester, du weißt:

Der ist ein weiser Mann, der schweigen kann. Prometheus. Du bist beneidenswerth, weil frei von Schuld,

Qbschon du treu zu mir gehalten dich. Jetzt gieb mich auf und sorge nur für dich:

Zeus schenkt dir nicht Gehör, du rührst ihn nicht;

Drum bleib zu Hause, hüte dich vor Schaden!

134 Oktan 06. Du hast für andre immer guten Rath,

Doch nie für dich, das haft du schon erlebt. Mich hältst du nicht zurück mit deiner Warnung:

Ich weiß gewiß, daß Zeus mich wMg hört. Und, bitt ich, dich aus deiner Qual erlöst!

Prometheus. Du sollst zum Dank von mir gepriesen sein

In Ewigkeit; du meinst es gut mit mir. Jetzt gieb dir keine Müh; es ist umsonst! Denk einzig nur an dich und bleibe fern.

Ich dulde, was ich muß; doch wünsch ich nicht,

Daß drum auch andre dulden, so wie ich. Ich klag um meines Bruders hartes Los, Um Ätlas, der im fernen Westen steht

Und auf den Schultern trägt die schweren Säulen, Die Erd und Himmel auseinander halten. Ich klage um Typhön, den starken Riesen, Den Erdgebornen in Kilikiens Schluchten, Mit hundert Häuptern, der gebändigt ward.

Er stellte allen Göttern sich entgegen, Der grimme Recke.

Tod, Verderben zischte

Aus seinen Rüstern, Flammenblitze schossen Aus seinen Augen; zom- und wuthentbrannt Rang gegen Zeus und dessen Herrschaft er. Da traf ihn Zeus mit seinem Wetterstrahl,

Der aus den Wolken krachend niederfuhr

135

Und mittendurch das Herz des Helden spellte; Nun liegt der riesige Leichnam hingestreckt Am Strand von Sikelia, über ihm Thürmt sich der Ätna auf als Felsengrabmal. Hoch oben auf des Bergs umwöltten Gipfel Hat seine Schmiedewerkstatt HephästoS Da sprühen Funken jetzt; doch einst ergießen Sich Feuerströme von dort oben her Und überfluten all das blühende Land Mit Brand und Asche in Zerstörungswuth. Das ist der letzte Überrest Typhöns, Den längst der Blitz des Zeus zermalmt, verkohlt. — Dir rathen will ich nicht, du räthst dir selbst; Errette dicht Ich aber will mein Los Ertragen, bis der Zorn des Zeus verraucht.

DKeanos. Hast, Prometheus, du nie an dir erfahren, Daß gute Worte kranke Herzen heilen? Prometheus. Ja wohl! zur rechten Zeit! doch dann nicht mehr, Wenn krankes Herz in Fieberhitze rast. VKeauos. Was kann es schaden, wenn ein treuer Freund Es wagt ein gutes Wort für dich zu sprechen?

Prometheus. Daß er vergebens spricht und nichts erreicht.

136 Vkcaaos.

Das nehm ich über mich; wer wohl es meint, Der kann's ertragen, wenn verkannt er wird. Prometheus.

Mir wird als neue Schuld es angerechnet! GKeauos.

Ich seh, du willst: ich soll nach Hause gehn. Prometheus.

Sonst bringt mein Mißgeschick in Handel dich. OK eanos.

Mit wem? Du meinst den neuen Herrn der Welt? Prometheus.

Ja, geh ihm aus dem Wege! Hüte dich! VKeanos.

Dein Schicksal, Prometheus, ist Warnung mir. Prometheus.

So lebe wohl und bleibe stets du selbst. O k e a n o s.

Ich geh, ich geh; leb wohl! — Mein Flügelroß Regt seine Schwingen schon im leichten Äther, — Es sehnt nach Ruhe sich im warmen Stall! (O r e a n o S besteigt sein Flügelroß und entfernt sich auf demselben Dege, auf welchem er gekommen ist.)

137 Lhorgesauz Ler VkeaaiLcn.

Wir schauen, ach, dein elend Los, O Prometheus, mit Bangen,

Und Thränen perlen schwer und groß

Herab auf unsre Wangen. Vergebens unsre Klage schallt, Zeus kennet kein Erbarmen, Vor seines Willens Allgewalt

Vergehen, ach, wir Armen.

Die Völker stimmen weit und breit Wohl ein in unsre Klagen,

Denn eingedenk der großen Zeit Der Väter sie verzagen.

Die Völker müssen allzumal Zerknirrscht vor Zeus sich neigen,

Es ward die Welt ein Jammerthal, Auf dich sie weinend zeigen.

Wie Ätlas, der des Weltalls Last Ertragen muß und halten, Mußt nun auch du ohn Ruh und Rast

Ertragen Schicksals Walten.

Es rauscht das Meer ein Klagelied, Es stöhnt aus Abgrunds Tiefen, Ein Wehgeheul durch Wolken zieht Und Quellen Thränen triefen. (Längere Pause.)

138 Prometheus

(zu den Okeaniden).

O Wähnet nicht, daß Stolz und übermuth

Verstummen mich gemacht; — ich bin vertieft In stillem Grame, weil ich sehen muß, Was durch mein Thun ich, ach, verschuldet habe.

Wer gab den neuen Göttern ihre Macht?

Wer sonst, als ich! — Doch das ist euch bekannt. Ich sag euch, was den Menschen ich gethan:

Ihr Dasein war ein Traum, ein düstres Brüten; Ich habe sie erweckt zu Geist und Leben.

Ich klage nicht sie an; ich liebte sie, Weil ich gelehrig sie erfunden habe,

Und ihnen Wohlzuthun war meine Lust. — Sie hatten Augen, aber sahen nicht;

Sie hatten Ohren, aber hörten nicht; Im wirren Taumel schwantten sie umher

Und wußten nichts von Heim, von Haus und Herd; Ameisengleich in sonnenlosen Höhlen

Verkrochen hausten sie bei Tag und Nacht. Sie wußten nicht, wann Winter wieder werde,

Wann Lenz und Licht und Leben sich erneue, Wann Sommer Saaten, Herbst dann Ernten bringe. — Gleichgültig quälten sie sich Tag für Tag; —

Bis ich zu ihnen ttat und hin sie wies Auf aller Sterne Auf- und Niedergang,

Auf Sonn und Mond und deren Wiederkehr, Auf Zahl und Maß und aller Dinge Ordnung.

Auch lehrt ich Sprache sie und Schrift gebrauchen,

139 Und übte die En'nnerungSkrast in ihnen,

Aus welcher geistiges Wesen sich erhebt.

Dann unterjochte ich den wilden Stier Und spannt ihn vor den Pflug, auf daß der Mensch

Beihilfe habe zu der schwersten Arbeit. Und vor den Wagen schirrt' ich stolze Rosie, Die gern dem Zügel sich gehorsam zeigen,

Dem Reichthum dienstbar und dem Überfluß. Auch baut ich Schiffe mit geschwellten Segeln

Weit über See zu fahren pfeilgeschwind.

So wußt ich Rath in allen Dingen wohl Für meine Menschen; —- aber, ach, für mich

Bin rathloS ich, wie mir zu helfen sei

Aus diesem Elend, das mich beimgesucht.

Lhorsührerin. Voll Ungeduld und doch geduldig leidend Gleichst du dem Arzte, welcher krank sich fühlt,

Doch, weil er an sich selbst verzweifelt, nicht Das Mittel braucht, das ganz allein ihm hllft.

Prometheus. Ihr wundert euch noch mehr, vernehmt ihr weiter,

Was ich für Mittel um zu helfen fand.

Ich that das Größte! — Wurden Menschen krank So gab cs keine Salbe, kein Getränk

Und keine Speise, welche Heilung brachte; Sie kamen hilflos um; — bis ich sie lehrte, Was gut und heilsam sei, und wie's zu mischen

140 Um jeder bösen Krankheit Kraft zu brechen.

Ja mehr noch: ich gewöhnte sie den Blick

Der Zukunft zuzuwenden und zu schärfen. Ich lehrte Wahr und Falsch sie unterscheiden,

Der Töne tiefgeheimen Sinn verstehn Und sich zurechte finden in der Welt

Durch aller Dinge, aller Kreaturen

Genaue Kenntniß nach Gestalt und Wesen, Zusammenhang von Ursach und von Wirkung, Feindschaft und Freundschaft, Kost und Lebensweise.

Auch lehrt ich sie des Himmels Wunder kennen:

Wind, Regen, Schnee und Eis, auch Blitz und Donner, Sternschnuppen, Feuerkugeln, Nordscheinglanz,

Mondwechsel, Finsterniffe, Wandelsterne, —

Was all die Zeichen zu bedeuten haben, Die Menschen sonst mit Angst und Zagen sahn.

Und wieder! was des Menschen Herz erfreut: Die Schätze in der Erde Schooß verborgen, Wie Erze aller Art und Gold und Silber, — Ich habe sie entdeckt und nachgewiesen, Wie sie gewonnen werden, wie behandelt. —

Das Alles ist geschehn durch mich allein: Ich, Prometheus, ich habe alle Kunst

Und Wisienschast den Menschen beigebracht!

Lhorsuhrerin. Nun aber lasse ab von solchem Thun

Und denke an dich selbst; so wird dereinst,

141 Ich hoffe sicher, Zeus aus dieser Noth Erlösen dich, zu theilen seine Macht.

Prometheus. O nein; so lautet nicht des Schicksals Spruch! — Wohl werd ich einst befreit, doch nur, nachdem Durch Noth und Elend ich gebrochen bin! Das was nothwendig, ändert keine Kunst. Lhorfnh re rin. Wer aber weiß denn, was nothwendig ist?

Prometheus. Die Schicksalsgötter und die Rachegeister.

L h o r f ü h r e r i u. Doch Zeus? — bezwingt auch ihn Nothwendigkeit? Prometheus. Es kann auch Zeus dem Schicksal nicht entgehn.

Lhorsühreriu. Was wird aus Zeus, wenn er nicht Herrscher ist? Prometheus. Verschone mich mit solcher Frage! Schweige!

Lhorsühreriu. Schließt dir den Mund ein heiliges Geheimniß?

Prometheus. Laß ab! laß ab! — Es ist die Zeit noch nicht Erfüllt zu reden. — Im verschloßnen Herzen

142

Muß ich verwahren tief und treu das Wort; — Dann werd ich einst erlöst aus Qual und Banden!----(Prometheus versinkt in tiefes Schwtigen; — die Okeaniden stimmen

erst leise, dann lauter und bewegter den folgenden Sefang an.)

Lhorgrsaug -er GKrauidca. Möge nie in seiner Macht Zeus uns feindlich grollen; Seiner Herrlichkeit und Pracht Wir uns beugen wollen! Schwestern! lasset fort und fort Frommen Sinn uns hegen, Und in Demuth jedes Wort Andachtvoll erwägen.

Lieb und Treu in Ewigkeit Bleib in uns lebendig, Und uns macht kein Herzeleid Je uns ihm abwendig.

Seligkeit ist allzumal Uns von Zeus beschieden, Wenn wir ohne Zweifelsqual Ihm vertraun im Frieden. Aber wer wie Prömetheus Menschen höher achtet Als den willenstarken Zeus — Ach — in Elend schmachtet!

143 Sieh, o Freund! wie deine Liebe Menschen dir vergelten nun! Wie gehorchend reinstem Triebe Du vollbrachtest sündlich Thun!

Denn die Menschen sind und bleiben Blind und schwatzhaft, dumm und schlecht; Und wer stört ihr thöricht Treiben, Macht mit Nichts es ihnen recht.

Was du auch erwiesen ihnen, Jede Wohlthat sonnenklar, Tadeln sie mit frechen Mienen Naseweis und undankbar. Auf vom Staube, auf vom Truge Nie der Mensch empor sich rafft; Zu des Geistes Adlerfluge Fehlt Geschick ihm, Muth und Kraft! — Ach, in wie so andrer Weise Wurden unsre Lieder laut, Als du einst aus unsrem Kreise Führtest heim die holde Braut!

Damals schallten Jubellieder Bei der Liebe Sonnenschein Aus des Himmels Höhen nieder, Und die Menschheit stimmte ein.

Heute stöhnen Mitleidsklagen Aus der Tiefe unsrer Brust

144 Um die jammervollen Plagen,

Tie du, Edler, dulden mußt! Don [int» her tritt in vernachlässigter und ahgeriffener Gewandung Jo auf. (Sie spricht in tiefer Erregung, die abwechselnd zu Wahnsinn, ja zu Raserei

sich steigert.)

3 0. Wo bin ich denn? — Was ist das dort für Volk? Was sieht mein Aug an jener Felsenwand? —

Ein Mann in Ketten angeschmiedet hängt

Hoch oben, Beute wilder Stürme, dort! — Was hast du denn verbrochen, fremder Mann, Das dich in Noth und Tod gebracht? — O sprich,

Wohin ich annes Weib gerathen bin?

Ha! Ha! Es sticht! Es stachelt mich auf's neu!

Die giftige Fliege summt! Sie tobtet mich! — Zu Hilfe!

Das Gespenst des bösen Riesen,

Des Ärgos mit den tausend Augen, ist

Auch wieder da — es schleicht um mich herum

Und grinst mich tückisch an.

Mich schaudert — ha!

Der todte Riese liegt verscharrt im Boden,

Doch aus der Tiefe hebt sich sein Gespenst — Mich zu verfolgen, weiter mich zu jagen,

Verschmachtet wie ich bin, am öden Strande DeS wilden Meeres! — Ach, vergebens lockt Mit einem Schlummerliede — Flötenspiel!-------Wie süß — wie hold — wie sanft!--------------

Fort muß ich! fort! Wohin? Nur fort! nur fort! —

145 Du willst es, Zeus! Ich muß! — Was that ich dir, Daß du mit dieser Qual mich heimgesucht, Mit dieser Wahnsinnsangst!--------

Laß Feuer mich verzehren!

Sturze mich

Ins tiefe Meer dem gieren Hai zum Fraß! Laß mich verschlingen von der Erde Abgrund!

Erhöre mein Gebet, du starker Gott! —

Ich habe schwer gebüßt!

Mein gräßlich Irrsal

Läßt nie und nirgends Ruhe finden mich:

Erhöre, Herr, doch meinen Todesschrei!

Prometheus. Du Tochter Jnachos!

Wahnsinnig Kind!

Deß Herz in Liebe einst für Zeus entbrannt! Es peitscht das Scheusal Eifersucht dich fort

Zur rastlos wilden Flucht durch alle Welt.

3o. Du kennst mich?

Wer hat meinen Vater dir

Genannt, du Dulder?

Wer hat dir gesagt,

Daß ich auch dulde durch der Gottheit Zorn? Zn Wahnsinnsglut muß ohne Trank und Speise Ich fliehen vor der Himmelskönigin Und ihrer Eifersucht, ohn Rast und Ruh! Ich bin wohl gottverlassen — mehr als du!

Ich bin wohl hart gepeinigt — mehr als du!

Doch, wenn du's weißt, so sage du mir doch: Was steht mir noch bevor?

Wie nimmt's ein Ende?

Marbach, AeschyloL Tragödien.

10

146 Giebt's noch ein Heil für mich? O rede, rede! Ich trostlos irres Weib, ich bitte — rede!

Prometheus. Was du verlangest, will ich sagen dir. Nicht als Orakel, nein: in schlichter Rede. Es spricht ein Freund zu dir als einer Freundin: Mein Nam ist Prometheus, der Menschenfreund.

Jo.

Du bist es — du? Der Menschheit Heiland — du? Doch, Prometheus, weßwegen duldest du? Prometheus. Weil ich der Menschen Freund gewesen bin!

Jo.

Wer hat an diesen Stein dich angeschloffen? Prometheus.

Der Mund des Zeus — die Hand des Hephästos! Jo.

Nun sage: wann und wo und wie ein Ende Auf meiner irren Fahrt ich finden werde.

Prometheus.

Dir wäre besser, du erführest Nichts.

Jo.

Was mich erwartet, muß ich doch erfahren. Prometheus. Nun gut, so will ich sprechen.

Höre denn.

Lhorführcrin. Vergönn ein Wort zuvor auch uns! Sie möge Zuvor uns selber sagen, wie es kam, Daß in dies Elend sie verfallen ist; — Dann magst du sagen, was noch kommen wird.

Prometheus. Thu es, Zö! — Die Schwestern deines Vaters Sind's, die dich bitten, mitleidvolle Seelen, Die mit dir klagen, mit dir weinen werden: Aus deinen Worten wird dir Trost erwachsen! Jo. Ich weigre mich auch nicht. Was ihr begehrt, Sollt ihr erfahren alles klar und treu, Obschon verschämt ich zage auszusprechen, Wie dieses Ungewitter über mich Gekommen ist und so verderbt mich hat, Wie ich npn leider euch vor Augen stehe.----In meiner Kammer schwebten oft bei Nacht Gestalten, neigten über mich sich hin Und flüsterten mir Schmeichelreden zu: „Glückselig Weib! Was willst du länger noch „Jungfrau verbleibend werd ein selig Weib! — „Der höchste aller Götter, Zeus, hat dich „Erwählt zu seiner Braut; in Liebe will „Er dich zu sich erheben; gieb dich hin „An ihn, der dein begehrt. — O mach dich auf, „Geh hin zur grünen Lernawiese, wo

148 „Die Herden deines Vaters weiden; dort „Erwartet dich der Gott — sich dein zu freun!" —

Sie kamen immer wieder, Nacht für Nacht,

Die bösen Träume, die mich traurig machten; — Bis meinem Vater alles ich entdeckte. Der schickte Boten fort in alle Welt,

An all Orakel, die zu sagen wüßten, Was Götter wollen, daß geschehen solle.

Und seine Boten kamen wieder heim Und brachten Sprüche mit, geheimnißvolle,

Die nicht zu deuten waren.

Doch zuletzt

Erklang ein Spruch, der klar verständlich sagte:

„Es solle mich mein Vater Jnachos — „Erbarmunglos — aus Haus und Heimath stoben —

„Fort in die weite Welt — auf Wanderschaft! — „Und wenn mein Vater nicht gehorchte, würde „Ein Blitz herniederfahren aus den Wolken „Und seine Habe, Weib und Kind vertilgen." —

Das war der Götterspruch, der mich verderbt — Mein Vater hat in seiner Herzensangst; — Aus Furcht — mich — aus dem. Hause — fortgejagt! — Er blieb im Elend und ich ging ins Elend!--------

Ich wurde bald verwandelt ganz und gar

An Sinnen und Gestalt — da — seht mich an: Dem Rinde gleich ich, der gehörnten Kuh, Die sich von Hirt und Herde losgerissen,

Weil eine giftige Fliege sie gestochen, Und die entbrannt — in Brunft — in wildem Wahne

149 Durch Feld und Flur, durch Wald und Wiese rast.

Es jagt der böse Rinderhirt mir nach,

Mit tausend Augen sucht er mich; er will

Mich sangen, — doch er wurde todtgeschlagen — Er ist begraben längst. — Mich aber treibt Die Fliege fort, die Götterfluch geschickt.

Daß sie mich stechen sollt — Doch alles das

Ist nun vorüber, — sage du: was kommt!

Doch darfst du mich nicht täuschen, weil du mich Für trank erachtest, Mitleid mit mir hast; — Die schlimmste Krankheit, sag ich, ist die Lüge!

Chorgtsang -er Vkeaniden.

Halt eint Halt ein!

Kein Jammerschrei, kein Klagelaut Drang je in unsre Ohren ein,

Vor welchem so den Herzen graut,

Als der allein,

Den wir gehört aus deinem Mund. Verzweiflung, Qual, und Roth und Pein,

Angst und Verfolgung ward uns kund, Die Seele dein

Durchwühlet, ach, zweischneidig Schwert; — Mit grimmen Schmerzen tief hinein

Es auch in unsre Herzen fährt!

Prometheus. Laßt eure Klage noch; sie kommt zu früh!

150

Was ihr vernommen, ist der Anfang nur Von dieses armen Weibes Trauerlos!

Lhorsuhreriv. So sage, was noch folgt; wir sind gefaßt! — Der letzte Trost, der übrig bleibt, ist der: Zu wissen, was des Elends Ende ist. Prometheus. Du armes Kind, was ich dir sage noch, Verschließ in deinem Herzen still und treu. Du sollst erfahren, welches hohe Ziel Durch deine Irrfahrt einst du noch erreichst. — Noch hast du viel zu leiden; halte aus, Verzage nicht; dein schlimmer Bräutigam Ergießt ein Meer von Elend über dich! — Doch — weine nicht! — es stärkt den Geist — du lebst! 3o. Was soll das Leben mir! Es wäre besser, Ich stürzte mich hinab von diesem Felsen Ins tiefe Meer — zu enden alle Noth!

Prometheus. Nein! — Sieh mich an: ich leb und werde leben Der Qual zum Trotze! — Dir wie mir ist nicht Der Tod beschieden als Erlöser. Nur Die Zeit und alles das, was zeitlich ist, Wird Raub des Todes sein. Wir aber nicht; — Eh stürzet Zeus von seinem Herrscherthrone!

151

2o. Und wird er stürzen einst? Prometheus. Gefiel dir das? 3o. Ich bin von ihm verstoßen! Prometheus. Hör! Ich sage: Er würde stürzen — 3o. Doch durch wen? o sag's!

Prometheus. Nur durch sich selbst, wenn er sich selbst vergißt — Und kein Erlöser kommt, der mich befteit. 3o. Wer wird erlösen dich, wenn Zeus nicht will?

Prometheus. Aus deinem Schooße mein Erlöser kommt! 3 o. Du sagst — ein Sohn — von mir — wird dich befrein? Prometheus. Geschlechter kommen und Geschlechter gehen — Ein Glied aus deinem Stamm — ein Enkelsohn!

3 o. Was du verkündigst — ich versteh es nicht.

152 Prometheus.

Toch laß es Trost dir sein in deinem Leid. 3o. Du wolltest sagen, was mich noch erwartet.

Prometheus.

Du irrest weiter fort durch viele Lande

Und viele Völkerschaften, welche alle

Verschieden wie an Bildung und Gestalt, So auch an Sprachen, Sitten und Gebräuchen.

Tu irrest über Berge und durch Thäte,

Durch Wälder und durch Wiesen, über Sümpfe Und über Schnee und Eis, im Sonnenbrand,

In üppigen Fluren und in Wüsteneien; Du fliehst vor wilden Thieren, wüsten Menschen, Und allen Wettem bist du preisgegeben;

Tu leidest Durst und Hunger, stets verfolgt Von wilden Wahngebilden, wie bisher; —

Bis endlich du im fernen Land am Nil, Der durch Ägypten schlammige Wasser wälzt,

Die neue Heimath findest, wo du dann Mit deinen Kindern friedlich weilen magst. Dann ist das Ende deines Jrrsals nah! —

Da wo der Nilstrom sich ins Meer ergießt, Giebt dir des Lebens Herr und Vater, Zeus, Die volle Klarheit deines Geistes wieder.

Er wird sich dein erbarmen und dich segnen Mit seiner Hand; — du wirst ein Knäblein dann

153 Gebären, dessen Namen Epaphos, — Das heißet: Heiland, — fei, der Gottheit Sohn.

Er wird beherrschen alles Land am Nil. Aus seinem Samen kommt dereinst der Held, Der mich mit starker Hand erlösen wird.--------

Von meiner Mutter, der urewigen Gerechtigkeit vernahm ich alles dies,

Was ich gesagt dir. — Weiter frage nicht! 3o (in rasender Erregung).

Fort reißt es mich, fort! Wie's krampft in der Brust! wie's wirbelt im Haupt!

Und der Wahnsinn packt mich! es stachelt mich auf! Und int Herzen entlodert die tödtliche Qual! Und die Augen, sie rollen im Kreise mir wild! Ausschweifen die Sinne!

Der Zügel zerreißt!

Und der rasende Sturm mich ergreift: fort! fort! — Ich ersticke! — ich ringe nach Worten! — umsonst! — Ob ich kreische vor Wuth, viel lauter als ich,

Wild brüllen die Wogen des Unheils! (Jo rast von hinnen.)

(Pause.)

Chorgesang der vkeaniden. Heil dem Seher, welcher weise

Sprach das Wort, das immerdar

Wird bestehn zu seinem Preise,

Weil es klug und weil es wahr:

154

Wen zum Gatten du erlesen, Der sei deiner würdig ganz; Aber nicht nach höhrem Wesen Strebe, nicht nach Glück und Glanz. Gehn zu hoch des Lebens Wellen, So zertrümmern sie dein Haus; Wird sich Gleich zu Gleich gesellen, Bleibt der Segen selten aus. —

Nie sei uns das Los beschieden, Daß ein ewiger Gott uns freit; Lieber bleiben wir hienieden, Als in stolzer Ewigkeit. Seit dies Elend wir geschanet, Dieser Armen Schreckensbild, Vor der Götter Groll uns grauet, Den nicht Flehn noch Reue stillt.

Niemals wollen wir uns drängen In der ewigen Götter Kreis, Wollen nie die Schranken sprengen, Die das Schicksal schuf und weiß. Ach, es wird vergeblich ringen, Wer dem Gotte widerstrebt, Niemals wird er den bezwingen, Durch deß Willen nur er lebt! (Lange Pause.)

155 Prometheus (nachdenklich für sich). Gewiß — es kommt die Zeit dereinst, wo Zeus,

Wie hochgemuth ihm auch zu Sinnen ist,

Kleinmüthig wird, wenn einen Liebesbund Er schließt, der ihn von seinem Herrscherthron Herniederschleudert in Vergessenheit.

Und dann erfüllt sich jener Fluch, mit dem Sein Vater Kronos einst, der Gott der Zeit,

Vom Throne nieder in den Abgrund fuhr. — Wie dieses Fluchs Erfüllung abzuwenden, Das weiß von allen Göttern ich allein.

Drum mag er thronen jetzt in Herrlichkeit,

Die Luft erschüttem mit des Donners Hall Und Blitze schleudem mit gewaltigem Arm; —

Es kommt die Zeit, da er vergebens tobt Und schmachvoll, rettunglos zu Grunde geht.

Er selber zeugt den Helden, der ihn stürzt,

Den Wunderthäter, der ein flammend Schwert In Händen ttägt, das schärfer als der Blitz, Und der zum Kampfe ruft mit einer Stimme,

Die rauher, lauter dröhnt als Donnerhall.

Auch Poseidons gewalttger Dreizack, der Die wilden Meereswogen bändigt und

Die Erd erschüttert, wird von ihm zerschellt. Und ist die Zeit erMt, so wird sich zeigen

Der Unterschied von Freiheit und von Knechtschaft. Chorsührerin.

Du sagst nur, was du selber wünschen magst.

156

Prometheus. Ich sage das, was kommt und was ich wünsche. Chor führe rin. Wer mag den Allgewaltigen bezwingen? I Prometheus. Er leidet einst noch mehr, als ich erduldet. Lhorführcrin. Scheust du dich nicht vor solcher Frevelrede? Prometheus. Nichts scheut, wer nicht den Tod zu fürchten hat. Chorführeriu. Du selber duldest einst vielleicht noch mehr. Prometheus. Er möge kommen — ich erwarte ihn. Lhorsührerin. Der Weise ehrt, was unentrinnbar ist. Prometheus. Ja betet an und beugt euch vor dem Herrn! — Was geht denn mich der Gott der Rache an?! Ich laß ihn herrschen, wie es ihm gefällt! Vorüber geht die Zeit — dann ist's vorbei Mit aller Herrlichkeit — in Ewigkeit!----Da kommt sein pfeilgeschwinder Läufer schon, Des jungen Königs jugendlicher Bote, Der kommt mit Neuigkeiten schwer beladen! (Tie Oteaniden springen empor.)

157 Hermes kommt von Oben her (mit Flügelschuhen und beflügelter Aopfbedeckung, den Heroldstab in der Hand) geflogen und läßt Prometheus gegen­

über auf einen Felsen sich herab; — er spricht stehend.

Hermes

(zu Prometheus).

Tu Allerweisester und Grimmigster! Du Feind der Götter, der sich ftech vermessen

Den Menschen, welche Raub des Todes sind, Zu helfen durch das Licht, das du gestohlen!

Ter Vater Zeus befiehlt dir ohne Prahlen

Zu sagen, was du weißt vom Liebesbund Und dem, der kommen soll nm ihn zu stürzen.

Zweideutig nicht, mit räthselhaften Worten, Nein, klar und deutlich rede, denn du weißt:

Zeus läßt sich durch Geschwätz nicht irre machen

Prometheus. Du redest stolz und prahlest hochgemuth,

Recht wie sich schickt für einen Götterbotcn! Ihr neuen Herrscher wähnt, ihr säßet fest Im neuen Regiment, und brüstet euch; — Ich habe Uranös den Himmlischen, Ich habe Krönos auch den Zeitlichen

Hinunter in den Abgrund stürzen sehn,

Warum nicht Zeus den Lebenden als dritten, Und schneller noch und schmählicher al? jene!

Meinst du vielleicht: ich fürchte mich und zittre Vor euch, den neuen Göttern? — ei, du irrst!

Geh hm, woher du kamst: von alle dem,

Um was dn mich befragt, erfährst du Nichts!

158 Hermes.

Mit deinem Ubermuch und Eigensinn Hast du dir nichts, als bittre Pein ertrotzt! Prometheus.

Mein herbes Elend, wisse, geb ich nicht Für deinen Ehrendienst, denn lieber will An diesem harten Stein ich Wache stehn, Als Zeus allzeit gefälliger Bote sein. Trotz wider Trotz — denn ich bin eures Gleichen! Hermes.

Behaglich, wie es scheint, ist dir zu Muthe! Prometheus.

Behaglich? — solch Behagen gönne ich All meinen Feinden, deren einer du! Hermes.

Meinst du, ich wäre schuld an deiner Noth? Prometheus.

Mit Einem Wort: ich hasse jeden Gott, Der gute That mit bösem Lohn vergilt. Hermes.

Ich sehe, daß du elend bist und trank. Prometheus.

Ja — fraitf! wenn Feinde hassen Krankheit ist. Hermes.

Wärst du gesund, es wäre unerträglich!

159 Prometheus.

Ha! Hermes.

Stöhnest bu? Nie hörte Zeus dich stöhnen Prometheus.

Die Zeit wird alt; ich hab's von ihr gelernt. Hermes.

Du hattest Klugheit von ihr lernen sollen. Prometheus.

Ja — wär ich klug, so sprach ich nicht mit dir. Hermes.

Was Zeus befiehlt — du willst es sagen nicht? Prometheus.

Bin ich für seine Lieb ihm Liebe schuldig? Hermes.

Du spottest mein, als ob ein Kind ich wäre. Prometheus.

Das bist du auch; denn wärst du nicht ein Kind, Du wurdest hoffen nicht, daß mein Geheimniß Ich dir verrathen werde, welches Zens Mit keiner Qual und List von mir erzwingt, Bevor er diese meine Fesseln löst. Er schleudre auf mich nieder seinen Blitzstrahl Aus Sturm und Hagel, rüttle auf das Erdreich Mit seinen Donnerkeilen, stürze ein das Weltall In Nacht und Wirrsal, — dennoch sag ich nicht,

160 Was er von mir verlangt, daß ich es sage:

Wer seinem Herrscherthum ein Ende macht.

Hermes. Bedenke, was zu deinem Heile frommt!

Prometheus. Ich hab's bedacht, und hab's beschlossen längst.

Hermes. Entschließe endlich dich, bethörter Golt, Dir selber zu gestehn, wie schwer du leidest.

Prometheus. Verschone endlich mich mit leeren Worten

Und gieb die Hoffnung auf, ich werd aus Furcht

Vor Zeus und seiner Macht mich knechtisch beugen Und ihn, der mich verfolgt, um Gnade flehn Mit Weiberthränen und mit Händeringen:

Er möge mich befrein! — Tas thu ich nicht!

Hermes. Vergeblich freilich red ich vielzuviel;

Denn, wie ich bitten mag, dich rührt es nicht. Du bäumst empor dich wie ein wildes Roß,

Wenn es zum erstenmal den Zügel fühlt. Ohnmächtig bist du, dennoch übermüthig.

Das ist nicht weise, denn der Übermuth Bringt's ohne kluge Mäßigung zu nichte. —

Das Eine wisse und bedenke noch: Was dir geschieht, wenn du auf mich nicht hörst, —

161 Welch eine wilde Flut von Leid und Pein

Dich überstürmen und mißhandeln wird. Dich, der nicht widerstehn, noch flüchten kann. —

Es wird der Fels, an dem du angeschmiedet, Vom Blitz zerschmettert in die Tiefe stürzen, Und du zugleich mit ihm, denn seine Arme

Umklammern dich — und lange bange Zeit

Wirst eingemauert du im Grabe liegen. Doch, wenn ans Licht du endlich wieder steigst, —

Zeus wilder Adler fliegt herbei zu dir

-Als ungebetner Gast, der Tag für Tag Dir deinen Leib erbarmunglos zerfleischt

Und deine Leber frißt mit gierer Wuth. — Erlösung hoffe nicht aus dieser Qual, Als bis ein Gott, der für dich Bürge wird,

Freiwillig nieder zu den Todten fahrt, Ins grause, ewig finstre Reich der Hölle!--------

Nun — wähle! — Was ich sprach, ist bittrer Ernst,

Ich prahle nicht und Zeus verschmäht die Lüge, Sein Wort ist Wahrheit und erfüllt sich stets. —

Das überlege; halte nicht den Trotz

Des Eigensinnes für Besonnenheit!

Chorsuhrerin.

Tas war ein rechtes Wort zu rechter Zeit! — Hör auf Hermes! gieb auf den Eigensinn

Und halte fest dich an Besonnenheit!

Es schändet nie den Weisen recht zu thun! Marbach, Aeschylos Tragödien.

11

162 Prometheus.

Längst hab ich gewußt, was Hermes mir gesagt,

Und nicht schänden die feindlichen Thaten des Feinds! —

Fahr nieder auf mich aufflammender Strahl, Laut krachender Donner erschüttre die Lust, Wild brause der alles verhexende Sturm, Und die Erd erbeb, auffteige das Meer, Das im Wirbel empor zu den Stemen sich dreht, — Dann stürze mein Leib in des Abgrunds Nacht Zerschmettert hinab durch des Schicksals Straft; — Doch werd ich ewiglich leben! Hermes.

Wahnsinnige Tobsucht störet den Geist Und verfälschet das Wort — das Geschick sich erfüllt. — Ihr, Jungstaun, aber, die mitleidvoll Ihr sein Elend schaut und beweinet sein Los, Entfliehet von hinnen, bevor es zu spät,

Eh das Rollen des Donners euch schrecket. Lhorfüh rerin.

An Gehorsam gewöhnt wohl folgten wir gern; Doch schmachvoll wär's zu verlassen den Freund, Wie du räthst und verlangst. Wir bleiben ihm treu Im Unglück theilend sein schreckliches Los;

Denn es wäre Verrath, wenn feig wir entflöhn, Der die Seelen vergiftet; wir hassen Verrath Und verabscheun mehr noch als Gift ihn.

163 Hermes. Ihr habet gehört, was zuvor ich gesagt,

Drum dürst ihr nicht klagen, wenn jetzt ihr versinkt In dasselbe Verderben, was jenen ereilt!

Sagt nimmer: e8 habe die göttliche Macht Unerwartet in Noth und in Tod euch gestürzt; —

Das thatet ihr selbst — ihr habt es gewollt; Nicht Gewalt und nicht List,

Nur des eigenen Geistes Verblendung treibt

Euch hinein in der Götter Verhängniß! (Hermes erhebt sich in die Lüfte; — die Okeaniden gruppiren sich näher

um Prometheus.)

Unwetter: Sturm — Donner und Blitz — Wirbelwind — Trombe.

Prometheus. Schon wird zur That das prophetische Wort! — Es erbebet die Erde — es rollet und grollt

Dumpfhallender Donner — aus finstrem Gewölk —

Und ein Blitzstrahl zuckt — Vor geblendeten Augen vorüber — und zischt — Und die sausenden Winde allüberall her — Ziehn wider einander — zu rasender Schlacht — Und sie ringen — und wirren zum grausigen Knaul

Sich zusammen — sie reißen im wirbelndem Sturm

Was sie packen empor — wild schleudern sie's fort — Einander entgegen — bis Staub draus ward —

Nacht rings umher — aufbäumt sich das Meer —

164 Und rs langet die Wolke herunter — sie reißt — Nun stürzet zusammen das Weltall!-----Ich seh'S: Zeus halt sein Schreckensgericht — Mr gllt'Sl — Nur mir! — Entsetzen mich packt! — Oh, heilige Mutter, urewiges Recht! — Oh Äther! — Oh Urquell segnenden Lichts! — Oh schauet: ich bulbe in Unschulb! (Prometheus versinkt mit dem stürzenden Felsen und mit den Okeanide n

tn daS wild aufbrausende Meer.)

IV.

Schutzflehende.

Die Sage. In Aeschylos Tragödie „Prometheus" kcmmt Jö, die Tcchtcr des JnachoS, des Königs in Ärgos, vor, welche von Prc'metheus die Prophezeiung erhält, daß fie einen Schn, Cpaphos gcnennt, gebären werde, welcher zum König in Ägypten berufen sei. Aus dem Geschlechte dieses Epaphos, welcher ein Sohn des Hkchpcn unter den Göttern, des Zeus, sei, werde dann der hervorgehen, der Prometheus aus seiner Qual erlösen, ZeuS in seiner Welt­ herrschaft befestigen und mit Prometheus in Liebe versöhnen werde. Tie gegenwärtige Tragödie enthält die Erfüllung dieser Weissagung soweit, daß in ihr Jö, ihr Sohn Epaphos als Sohn des ZeuS und König in Ägypten und beider Ncchkcwmcn erwähnt, ja die letzteren zum Theil pers önlich ein- und vorgeführt werden. Es heißt, der göttlich verehrte Epophcs hake eine Tcchter, Lilya, erzeugt, welche Königin des gleichnamigen großen Reiches und Mutter eines Sohnes RamenS Belos geworden sei. Dieser Belos habe dann zwei Söhne: Tanacs und Aegyptos gehabt, von denen der erstere Daler vieler Töchter, der letztere Baker vieler Söhne wurde. Des AegyptoS Söhne wollten des DanaöS Töchter ehe­ lichen, um nach ägyptischer, gesetzlich anerkannter Sitte den Reich­ thum deS Stammes zusammcnzuhaltcn und dessen Mccht vor Zer­ splitterung zu behüten. Tie Töchter des DanacS, die Tanaidcn, haben aber Abscheu vor der Verehelichung mit ihren Vettern, weil sie eine solche Verbindung für unheilig (wider griechische Sitte und ewiges Recht) halten, weil fie in der Ehe nach ägyptischem Brauche nur eine schmachvolle Sklaverei erkennen und weil die Söhne des Aegyptos rohsinnliche, ihnen widerwärtige Menschen sind. Tanacs theilt den Widerwillen seiner Töchter und rettet dieselben vor den

168_

zudringlichen Verfolgungen ihrer ägyptischen Freier, indem er sie zu Schiffe nach dem griechischen Lande Argos bringt, welchem die Stammmutter Jo als Tochter des Jnachos ursprünglich ange­ hört hat. Im Lande Ärgos und nahe bei der alten Königstadt Argos spielt nun die Tragödie. Die Danaiden bilden den Chor der Tragödie. Sie ziehen begleitet von ihren Dienerinnen ein (in der Orchestra) mit einem Gesänge, in welchem sie die Götter des alten hellenischen Heimathlandes: die himmlischen und die unter­ irdischen, um fteundliche Aufnahme und Schutz anflehen. Schließ­ lich sammeln sie sich um einen (auf der Orchestra stehenden) mit GötterbUdern geschmückten Altar, welcher den schützenden, „im Kampfe rettenden" Gottheiten geweiht ist: dem Retter Zeus (dem Hort der Gerechten), dem Sonnengotte Phoibos-Apollon, dem das Meer mit dem Dreizacke (dem Symbole seiner Macht) beherr­ schenden Poseidon und dem Hermes (dem Götterherold und Seelen­ führer). Die Mädchen bitten die Götter des Landes, in welches sie, als Ägyptierinen gekleidet, aber als Griechinnen zu denken gewöhnt, sich geflüchtet haben, um Beistand, auf daß die Bewohner von Ärgos sie gastfreundlich aufnehmen, nicht etwa sie ausliefern an die sie verfolgenden Söhne des Aegyptos, sondern sie vielmehr gegen alle Anfeindungen vertheidigen. Der bald nach dem Chore, aber auf der Bühne, auftretende weise, stets besten Rath ertheilende Danaös belehrt seine Töchter, wie sie als Schutzsuchende und Schutz­ flehende im fremden Lande sich betragen sollen, um die freundliche Theilnahme, deren sie bedürfen, bei Göttern und Menschen zu finden. Bald erscheint auch der König des Landes mit einer Schaar von Bewaffneten um zu sehen, wer die ins Land gekommenen Fremdlinge seien. Er nennt sich Pelasgös, Sohn Palächthons. Von JnachoS, der einst König in Ärgos gewesen, und von deffen Nachkommen als Herren in Ärgos ist nicht die Rede, wohl aber kennt König Pelasgös die Sage von Jö sehr wohl. In Bezug auf sich und sein nach ihm Pelasger genanntes Volk erzählt Pe­ lasgös noch, daß vor Zetten ein Sohn Apöllons (von dem alles

169 Culturleben von den Griechen abgeleitet wird), Apis mit Namen, in diese Gegend, die nach ihm Apia genannt worden, gekommen sei und fie von Ungeheuern, die dort hausten, gesäubert habe. Die Danaiden sagm dagegen, daß fie zwar auS Ägypten kämen, aber aus Ärgos abstammten und bitten um Schutz. Zum Beweise der Wahrheit ihrer Behauptung erzählen sie die Geschichte der Jö (ganz in Übereinstimmung mit dem Inhalte der Tragödie Pro­ metheus, nur daß von ihnen ausdrücklicher Jö als ehemalige Prie­ sterin der Hera bezeichnet wird). Aus dem Gespräche zwischen dem Könige Pelasgös und den Danaiden geht hervor, daß ihm die Geschichte von der Jö und ihren Nachkommen sehr wohl bekannt ist, und da sein Wifien mit dem, was die Danaiden ihm zu ihrer Rechtfertigung erzählen, genau übereinstimmt, so kann er schließ­ lich nicht umhin die Danaiden als das, wofür fie fich ausgeben, anzuerkennen. Nur schwer aber vermag der König fich zu ent­ schließen den Frauen den Schutz zuzusagen, um welchen fie flehen, weil er voraussieht, daß ihn die Parteinahme für die Mädchen in einen Kamps oder Krieg verwickeln würde, den er vor seinem Volke nicht'zu verantworten vermöchte. Er verweist daher die Bittenden auf den gesetzlichen Weg, auf Brauch und Gesetz ihres Vaterlandes Ägypten. Die Mädchen dagegen weisen hin auf die sittlich-reli­ giöse Pflicht, und rufen dabei die rettenden Götter zu Zeugen an: dem zu helfen, welcher Unrecht leidet. Der König erkennt im har­ ten Conflict mit sich selbst als seine sittlich-religiöse Pflicht an, daß er zu hindern habe, daß „Blut von Blutsverwandten- vergossen werde. Aber die Danaiden sind die Blutsverwandten ihrer sie verfolgenden Freier. Also redet der König im Grunde zur Ver­ ständigung zwischen den Töchtern des Danaös mit den Söhnen des Aegyptos. Erft als die Mädchen sich fest entschlofien zeigen, lieber sich selbst den Tod zu geben, als den verhaßten Ehebund cinzugehen, giebt der König nach, beugt sich vor „Zeus, welcher die zu ihm Zuflucht nehmende Kreatur beschützt" und sagt den Danai­ den zu, daß er bereit sei, sie in Schutz zu nehmen — wenn das Volk von Ärgos seine Zustimmung dazu gebe.

170 Es ist von höchstem Interesse ;u sehen, wie das griechische Staatsbewußtsein schon vor 2400 Jahren die Bedeutung des Kö­ nigthums gegen die tyrannische (despotische) Willkürherrschaft einer­ seits und gegen das demokratische Princip der absoluten Gewalt der Majorität (des Parlamentarismus) anderseits scharf und ent­ schieden festgestellt habe. Dem König steht der Entschluß, die Rechtfertigung seines Entschlusses vor dem Volke und, nachdem er fich mit seinem Volke berathen und dieses die Rechtfertigung durch Majorität anerkannt hat, die Ausführung unter bleibender Ver­ antwortlichkeit vor den Göttern zu. Die Handlung der Tragödie läuft hinaus auf die Geltendmachung dieser staatsrechtlichen Auf­ fassung; — und so erscheint die Tragödie noch heute höchst zeit­ gemäß. Danaös wird in die Stadt vorausgeschickt, um die Bürger für die aus Ägypten zur uralten Heimath zurückgeflüchteten, um Schutz flehenden Ankömmlinge zu gewinnen. Dann begiebt sich König Pelasgös selbst in die Stadt zur VolkSberathung. Bald erfahren wir, daß der König in der Versammlung den Antrag gestellt und motivirt und daZ Volk den Antrag einstimmig ange­ nommen hat: die im Lande Eingewanderten auf und in Schutz zu nehmen gegen jede Kränkung und Gewalt. Danaös verkündigt dies seinen hocherfreuten und Land, Volk, und Fürst von Ärgos dankbar segnenden Töchtern; — meldet aber auch bald nachher, daß ein ägyptisches Geschwader zu See nahe und sich zur Lan­ dung anschicke, — um die Flüchtlinge einzufangen und mit Ge­ walt nach Ägypten zurückzuführen. In der That erscheinen bald vor den geängsteten Mädchen die gefürchteten Ägypter; nicht zwar die gehaßten Freier selbst, wohl aber deren Diener und Sklaven. Ein das Wort führender Herold spricht im Namen und Auftrage der Söhne des Aegyptos. Man sieht, daß die Mädchen alle Ursache haben vor der ägyptischen Rohheit sich zu entsetzen; zu rechter Zeit kommt ihnen aber König Pelasgös mit seinen be­ waffneten Bürgern zu Hilfe. Der ägyptische Herold und seine Begleiter ziehen sich nach kurzem Zwiegespräche mit dem Könige

171 vor der Übermacht zurück, ohne daß eS zum Kampfe kommt, wohl

aber zu Drohungen und Beschimpfungen.

Der König Pelasgös

ladet die Danaiden mit ihren Dienerinnen nunmehr in die Stadt,

in welche er vorauSeilt, einzuziehen, mit der Versicherung, daß sie dort gastliche Aufnahme und ausreichenden Schutz finden würden.

Der weise Danaös läßt es an guten Ermahnungen an seine Töchter nicht fehlen und der festliche Einzug in die Stadt erfolgt unter

dem Schutze der argeiischen Wächter, mit Segensliedern und feier­ lichem Gebete zu den Göttern, daß diese fie, die vor der Zukunft

bangenden

Mädchen,

auch

ferner in

gnädigen

Schutz nehmen

möchten.

Tas Vorstehende enthält die Danaös-Sage, wie sie und so­

weit sie Aeschylos in seiner Tragödie:

gefaßt und benutzt hat. Danaös

„die Schutzflehenden" auf-

Es fehlt freilich der Schluß: was

und seinen Töchtern endlich

noch geworden ist.

aus Man

wird sich aber wohl hüten müsien aus den Geschichten, die im Munde des Volkes umliefen, die Tragödie des Aeschylos zu erklä­ ren und zu ergänzen, da der große Dichter in unverkennbarer

Weise

aus eine geistige Vertiefung und Reinigung des Mythos

ausgegangen ist. Aeschylos tritt in den „Schutzflehenden"

als ein begeisterter

Prediger der Heiligkeit der sittlichen Ehe im Gegensatze gegen sinn­ liche Begier und eigensüchtigen Mißbrauch des Weibes auf.

Er

erblickt in der Ehe die Grundbedingung des Culturlebens, wie dieß auch in der „Oresteia" und namentlich in der dritten zu die­ ser Trilogie gehörigen Tragödie, in den „Eumeniden", der Fall ist.

Reben Zeus und Hera, den Stiftern und göttlichen Vorbildern

des Ehebundes, läßt der Dichter im letzten Chorgesange der „Schutz­

flehenden"

die himmlische Liebe thronen, welche die geistige Ver­

klärung der irdischen (sinnlichen) Liebe ist, — welche „irdische Triebe geistig verklärt."

Und die Genien der „Eintracht", der „Anmuth"

172 und des „zärtlichen Verlangens" umschweben den Thron, aus welchem die weltbeherrschmden Götter sich niedergelassen haben. Dieser Schluß stimmt so zusammen mit der im „Prometheus" enthaltenen Prophette von der fittlichen Reinigung der Gottes­ idee, welche in dem Ramen ZmS, des Vaters alles Lebens, ange­ deutet ist, daß ich mich der Vorstellung nicht erwehren kann: Die „Schutzflehenden" seien als zweites Stück einer Trilogie zu betrachten, zu welcher „der gefesselte Prometheus" als erstes und „der erlöste Prometheus" als drittes SMck gehören. Dieses dritte Stück würde dann dm Herakles als Rachkontmen der 36, als Erleger des die Leber des gefeflelten Prometheus fressenden Adlers und als Ver­ söhner des Prömethms mit Zeus, sowie des Zeus mit Hera, und damit endlich auch als Begründer der ewigen Weltherrschaft des Vaters alles Lebens durch die Verklärung der irdischen Liebe in himmlische Liebe, vor Augen gestellt haben.

Personen. Danaös.

Pelasgös, König der Argeier. Ein Herold der Ägypter. Chor: Die Danai den, Töchter des Danaös.

Die Magde der Danaiden. — Bürger von Argos. Bewaffnete. — Ägypter. Bühne: Am Strande von Argos. — Aussicht auf'- Meer (links) und auf die Stadt'ArgoS (rechtS). Auf der Orchestra, welche durch eine

Treppe mit der Bühne in Verbindung gesetzt ist, steht ein Altar (die Thymele) mit den Bildsäulen deS Zeus, deS Apollon, des HerrneS und mit dem

Dreizacke Poseidons (der „reitenden (BStter").

Die Danaiden (der aus zwölf Shoreuten bestehende Chor) ziehen ein mit dem folgenden Marschltede. weißer Wolle umwickelt) auf der Orchestra.

Sie tragen Btttzweige (grüne Olivenzweige mit

in den Händen.

Sie sammeln sich um die Thymele

Ihnen folgen ihre Mägde (in gleicher Zahl, also zwölf).—

Dan ao S, welcher mit seinen Töchtern zugleich aufgetreten ist,

begiebt sich

auf die Bühne und schaut spähend bald nach dem Meere, bald nach dem

Lande auS.

Linzugslied -er vauaideu. Der ein Hirt und ein Helfer der Flüchtigen du,

Zeus, schaue in Gnaden und stehe uns bei, Die wir flohen daher aus dem Heimathland

Von den schlammigen Ufern des Nilstroms! Aus dem heiligen Land Ägypten entflohn Wir zu Schiffe, doch nicht weil ein Urtheilspruch

Streng richtenden Volks uns verbannt und verjagt

Um frevelnde Thaten zu sühnen!

Nein! Scheu vor der Schande bewog uns zur Flucht Zu entgehn unwürdigem ehlichen Bund

Mit den Sippen, die stech uns umbuhlten.

Uns rieth

Und verhalf auch schließlich zur Flucht Danaös, Den als Vater wir lieben und ehren. Fort bracht er uns über die wogende See Zum Strande von Ärgos, von dem wir entstammt

Aus des Jnachos Tochter Jö, die dereinst Anhauchend die Gottheit begnadet.

175 Heim kehren wir, heim! Nehmt freundlich uns auf, Ihr Götter des heiligen Heimathlands, Die um Schutz wir flehn in Bedrängniß!

Ihr Himmlischen, die ihr beschirmet die Stadt Und das Land und die Quellen und ihr,

Tie ihr wohnt in der Tiefe und rächet die Schuld,

Erbarmt euch der flehenden Frauen! Du, Hort der Gerechten! Errettender Zeus!

Empfang uns in Gnaden und ende die Noth,

Die wir dulden: es setzen die Frechen uns nach, Vor dcuen wir flohen — o halte sie fern! Noch peitschen mit Rudern die Wogen sie wohl,

Wehr ihnen zu landen durch Regen und Sturm! Weg fege der Wirbel sie, Donner und Blitz Und die hochaufschäumende Sturmflut!

Laß nimmer geschehen, was Sitte und Recht

Verbieten den Frevlern: mit roher Gewalt Unheilige Ehen zu schließen!

Shorgesang. EpaphoS, du Gottessohn!

Preis sei dir gesungen, Der sich auf Ägyptens Thron Kühn empor geschwungen!

Gottes Hauch erzeugte dich,

Daß du wardst geboren Von der Jungfrau, die er sich

Gnadenvoll erkoren.

176

Aus Jö, der Mutter dein, Sind auch wir entsprungen; Keine Noth und keine Pein Haben sie bezwungen. Ach, entbrannt von Liebesglut Sich ihr Geist verwirrte, Daß in wilder Wahnsinnswuth Durch die Welt sie irrte. Bis sie in Ägyptenland Ruhe hat gefunden, Weil sie Zeus mit milder Hand Segnend ließ gesunden.

Unerhörtes wollen wir Allem Volk enthüllen: Der Verheißung Wort wird hier Glorreich sich erfüllen! * * * Ist ein Knab auf Vogelfang Hier zu Land gegangen, Und belauscht er unsern Sang Voller Sorg und Bangen; — Da tönt es ihm — wie Wiederhall Des süßen Sehnsuchlsangs der Nachtigall!

Habicht hat von Hain und Bach Fortgescheucht die Arme, Und sie klagt mit Weh und Ach

177 Nun in ihrem Harme:

Sie sehnt sich nach verlornem Glück, Nach Lebenslicht und Liebeslust — zurück!

So wie sie sind wir vertraut

Ach mit Leid und Klagen, Singen bangen Jammerlaut

Und vergehn in Zagen:

Vom düstern Land, dem wir entflohn,

Verfolgen feindlich freche Freier schon! Stammesgötter! schirmt das Recht!

Macht den Feind zu Schanden,

Über ihn das Urtheil sprecht! Uns erlöst aus Banden! Des Kampfesmüden, der der Schlacht entrann,

Und fromm um Frieden flehet, nehmt euch an!

*

*

*

Heil erwächst aus Gottes Rath, Ob der blinde Mensch ihn auch verkennet;

Gottes Wille wird zur That,

Nacht vergeht und heller Tag entbrennet. Will es Gott, so wird's geschehn,

Wird gelingen, wird zum Ziel gedeihen,

Mag der Weg durch Nebel gehn, Über Schlünde und durch Wüsteneien.

Nieder weht mit seinem Hauch

Gott der Thoren stolze Wunderwerke, Marbach, AeschyloS Tragödien.

12

178 Und es wird verzehrt ihr Rauch Von der Flamme ewiger Gottesstärke.

Ohne Schwert und ohne Schild Siegt der Herr, der thront im helligen Lichte, Alles wird, wie Er gewillt;

Doch was widerstrebt, das wird zunichte! — Schau, o Zeus, den Frevelmuth,

Jener Buben sündiges Verlangen, Die entbrannt von wilder Glut

Ausgezogen um uns cinzufangen!

O Jammerlosl o Herzenspein l Errett, o Herr, zu dem wir schrei'n

In höchster Angst, in tiefster Noth, Vor dem, was schlimmer ist als Tod! — Wir rufen dich, o Heimathland! Wir sind, ob fremd, dir wohlbekannt:

Vor Jammer — sieh — von eigner Hand Zerrissen Schleier und Gewand!

Den Göttern wollen Dank wir weihn.

Die uns aus Todesnoth befrein!

Geh auf, o Licht, in dunkler Nacht! Die Wellen haben uns gebracht! — Wir rufen dich, o Heimathland! Wir sind, ob fremd, dir wohlbekannt:

179

Vor Jammer — sieh — von eigner Hand Zerriflen Schleier und Gewand! *

*

*

Die Ruder führten uns daher, Geschwellte Segel über Meer; Sie trieb der Wind Geschwind! geschwind! Tank dir, o Gott, der Alles schaut Und dem wir ganz uns anvertraut; Nun mach ein End Behend! behend! — Hochedler Ahnen stolze Kinder flehn Verhaßtem Ehebunde zu entgehn!

Pallas, jungftäulich Gotteskind, Sei gnädig uns auch du gesinnt! O bring uns Heil In Eil! in Eil! Es kommt der böse Feind mit Macht, Der unsern Jammer frech verlacht; O mach uns frei! Herbei! herbei! — Hochedler Ahnen stolze Ander flehn Verhaßtem Ehebunde zu entgehn! *

*

*

Aber wenn die Himmlischen uns hassen Und nicht hören unser heißes Flehn,

180

Wollen rasch entschlossen wir uns fassen: Frei hinunter zu den Todten gehn; Allda werden der verstoßnen Armen

Sich die Unterirdischen erbarmen! — Sieh, Zeus, uns trifft dasselbe Leid, Tas einst Jö geschlagen: Uns treibt von hinnen Götterneid

Und sucht uns heim mit Plagen — Zu rasendem Beginnen

Reißt uns der Sturm von hinnen! Wer wird dir, o Zeus, noch je vertrauen,

Wenn des eignen Sohns du denkest nicht! Wer wird noch auf dich als Helfer schauen.

Wenn von uns du kehrst dein Angesicht! Der du thronest, Herr, in Glanz und Sttahlen, Vater! löse uns aus Zweifelsqualen! —

Sieh, Zeus, uns trifft dasselbe Leid, Das einst Jö geschlagen: Uns treibt von hinnen Götterneid Und sucht uns heim mit Plagen — Zu rasendem Beginnen

Reißt uns der Sturm von hinnen! ♦

^ *

*

Danaos (von der Bühne aus, zu dem Chor gewendet).

Besonnen, Kinder! so wie ich besonnen

Das Schiff regierte, das euch hergebracht! Zu Lande wie zu Waffer, überall

181 Geziemt Besonnenheit, das haltet fest! — Ich sehe Staub, der kündet an, es naht

Ein Trupp von Menschen; — Wagen hör ich rasseln, —

Da sind sie schon — gar stattlich anzuschaun — Mit Schilden und mit Lanzen wohlbewehrt —

Ein Zug von Kriegern — Wagen sind dabei Mit stolzen Rosien — pomphaft ausgeschmückt — Die bringen wohl des Landes Fürsten her,

9tachdem die Küstenwächter angezeigt,

Daß wir gelandet sind — man will uns sehn. Toch ob sie stiedlich oder feindlich kommen,

Gleichviel!

Am besten, meine Töchter, ist's,

Wenn ihr euch sammelt dort um den Altar Ter Götter, welche Schutz im Kampf verleihn.

Altäre sind ein beffrer Schutz als Wälle Und Schilde!

Macht euch auf und tragt in Händen

Als fromme bittende die Ölbaumzweige Mit weißen Wollenfäden, wie sich ziemt. —

Den fremden Männern müßt ihr Rede stehn — Bescheiden, sittsam, recht wie Gästen ziemt;

Sticht schwatzhaft, aber frei und offen sagt, Daß auf der Flucht ihr seid, doch rein von Schuld. Sprecht ohne Übermuth und Eitelkeit,

Und schauet um euch ernst, doch anspruchlos;

Zudringlich nicht, noch kriechend dürft ihr sein. Das eine wie das andre ist verhaßt.

Im fremden Lande, flüchtig, hilfsbedürftig, Müßt ihr der Demuth euch befleißigen.

182 Lhorführrrin. Wir wollen weise sein, wie Vater, du,

Und eingedenk der Lehren, die du uns Gegeben hast.

Die Götter stehn uns bei!

Danaos. Ja, betet zu den Göttem! wie sich ziemt.

Chore utiuen 1)

(einzeln).

Zeus lasse leuchten uns sein Angesicht! —

2)

Zeus führe alles an ein selig Ende! —

3)

Vor dir im Staube lieg ich, Vater Zeus! —

Danaos. Gedenkt auch dessen, der den Tag euch bringt!

Choreutinen

(einzeln).

4)

Dich ruf ich, Sonnengott, der Leben spendet! —

5)

Du kennst die Nacht; sie flieht vor deinem Blicke! —

6)

Errett uns, Herr des Lichts, aus Todesnacht! —

Da na os. Den Dreizack schauet, der das Meer beherrscht!

Choreutinen

(einzeln).

7)

Heil, Poseidon! der gnädig uns geführt! —

8)

Gieb uns, o Gott, ein neues Vaterland! —

9)

In unsrer Ahnfrau Heimath nimm uns auf! —

Danaos. Hermes, der Seelenführer! — seht sein Bild!

Choreutinen 10)

(einzeln).

Wir schmücken dich, Hermös, nach Griechenbrauch! —

183 11) Herold des Sieges! wir begrüßen dich! — 12) Führ, kluger Gott, den Weg zum Heile unS! —

Danaos.

Anbetend grüßt die heiligen Rettungsgötter

Am Hochaltar, der ihnen hier geweiht! Schmiegt euch ans reine Heiligthum wie Tauben,

Nach deren Blut die wilden Geier gieren. Die sind nicht rein, die stammverwandtes Blut Begehren!

Wer die Tochter, die sich sträubt,

Vom Herzen ihres Vaters, der sich sträubt, Hinweg zu reißen trachtet, ist nicht rein! Das darf nicht sein!

Im Todtenreiche selbst

Wird solcher Frevel ungestraft nicht bleiben!

Denn dort, wir wisien's, thront ein zweiter Zeus,

Der zieht dereinst die Sünder vor Gericht! — Habt Acht! Verlasiet nicht den heiligen Raum,

Bis ihr als Sieger könnt von hinnen gehn!

Der flönig Pelasgos tritt mit (Befolge und bewaffneten Bürgern — von der Stadt her — auf. flonig. Seltsame Schaar! Was wollen diese Frauen

In ftemder Tracht, in reichen Prunkgewändern, Wie nur Barbaren tragen? Solche Kleidung

Ist unbekannt in Ärgos, ja in allen Hellenischen Landen!-------- Wie begrüß ich euch, Die ihr hieher zu uns gekommen seid,

184 Unangemeldet, führerlos, von Niemand Gastlich empfangen, fürchtet ihr euch nicht? — Ich wundre mich — doch tragt ihr Olbaumzweige

Wie solche, die um Schutz und Hilfe flehn,

Und drängt euch um das Heiligthum der Götter, Die wir als Retter in Gefahr verehren. Das kann ein griechisch Auge wohl verstehn;

Und weiter könnt ich rathen; aber saget Mir selber, wer ihr seid und was ihr wollet?! Lho r süh rerin. Du hast an unsrer Tracht uns wohl erkannt! —

Doch, Herr, wie nenn ich dich? bist du ein Bürger Des Landes, oder Priester eines Tempels, Vielleicht sogar — der Fürst in diesem Reiche?

fionig.

Sprich ohne Furcht. — Ich bin der Fürst des Landes; Mein Nam ist Pelasgös, Palächthons Sohn.

Es nennt mein Volk nach mir sich Pelasger. Hier diese Gegend wird vom Volk Apia Genannt, von Äpis, einem Sohn Apollons.

Derselbe war ein Seher und ein Heiland, Und kam in dieses Land um es zu säubern Von Ungeheuern, giftgeschwollnen Drachen,

Die aus dem mord- und blutgedüngten Boden

Vor Alters her emporgewuchert waren. Wir denken sein noch jetzt in Dankbarkeit. —

Nun wißt ihr, wer ich bin und wo ihr seid;

185 Nun sagt auch ihr: wer seid ihr? woher kommt ihr?

Doch kurz; wir lieben lange Rede nicht. Lhorführerin.

Mt Einem Wort: aus Ärgos stammen wir. —

Wir sind die Enkel jener Frau, von der Es heißt, sie hab in eine Kuh verwandelt

Die Welt durchirrt, bis einem Sohn des Zeus Das Leben sie gegeben.

Wahrheit red ich.

Lönig.

Ihr fremden Frauen, was ihr sagt — daß ihr

Argeierinen wäret — klingt unglaublich. Ihr gleichet eher Frauen aus Libya Als hier gebornen.

Eher mögt am Nil

Ihr heimisch sein, denn eure Angesichter

Bezeugen, welchem Stamme ihr entsprossen. Vielleicht auch seid ihr Inder, die, so sagt man,

Auf Dromedaren durch die Wüste schweifen Tie Grenzen Äthiopiens entlang. Za, trügt ihr Pfeil und Bogen, würd ich meinen, Ihr wäret Amazonen, feind den Männern

Und tampfeslüstern.

So beweiset denn,

Daß ihr, so wie ihr sagt, aus Ärgos stammet. Chorsührerin.

Es melden alte Sagen, daß dereinst In Ärgos eine Priesterin der Hera

Gewesen, deren Namen war Jö.

186

fl finig. Ich weiß — es heißt, sie habe Zeus geliebt. Chorführer in. Und Hera habe sie dafür gestraft, Und habe sie in eine Kuh verwandelt, Und einen bösen Wächter ihr bestellt. £ o nig. Wie hieß der böse Wächter? C h o r f ü h r c r i u. Ärgos hieß er, Ein Sohn der Erde. Ihn erschlug Hermes. Honig. Und was geschah der Kuh darauf? Lhorführcrin. Es hat Sie eine wilde Fliege aufgestachelt Zur rastlos irren Flucht. Honig. Von Haus und Hof Und durch die weite Welt! Chor führe rin. Ja — wie du sagst! Honig. Bis sie nach Memphis kam und Kanobos. Lhorführcrin. Wo sie mit einem Sohn begnadet ward.

187 Honig.

Der Sohn des Zeus — von einer Kuh geboren! Chorführerin.

Ein Hort des Heiles — Epaphos genannt! Honig.

Und dessen Sprößling? Chorführe rin.

War Libya dann, Die Königin des weiten Reichs Libya. Honig.

Ward Mutter sie? C h o r f ü h r e r i n.

Ja, eines Sohnes — Belos, Der unser Ältervater war. Er hatte Zween Söhne, deren einer unser Vater. Honig.

Er hieß — dein Vater nennt sich? — C h o r f ü h r c r i n.

Danaös. Sein Bruder ist der Vater vieler Söhne. Honig.

Auch diesen Bruder nenne noch — er heißt — ? Chorführerin.

Aegyptos! — Fürst, wenn unsern Stamm du kennst So nimm uns auf denn als Argeierinen!

188

Lönig. ES scheint, daß Argos Volk von Mers her Euch stammverwandt. — Jedoch weßhalb verließet Ihr eurer Vater Haus? was trieb euch fort?

Lhorföhreriu. O edler König! vielgestaltig ist Menschliches Elend, und der Jammer flattert Mit immer neuem Fittig durch die Welt. Wer hätte je an diese Flucht gedacht, Die uns in dieses alte Heimathland, Gen Ärgos brachte, nur um uns zu retten Aus einem Ehebund, der uns ein Grauel!

Lönig. Doch warum fleht ihr hier an diesem Altar Der Götter, die im Kampfe Retter sind, Um Huld und Gnade? Lhorführerin. Es verfolgen uns Die Söhne Aegyptos um uns zu zwingen —

Lönig. Haßt ihr sie, oder haltet ihr für sündlich, Was sie von euch begehren?

Lhorführerin. Unsre Blutsverwandten Sind sie!

189 Lönig. Sie wollen mehren ihre Macht Durch euch! Lhorführeriv. Wir fliehn vor ihrer Frevelthat.

Honig. Was kann ich thun, um euch gerecht zu werden? Chor fuhrcrin. Nicht lieft uns aus, wenn sie uns haben wollen! Lönig. Soll ich Gewalt vertreiben mit Gewalt? Ihr fordert viel! Lhorführerin.

Nur was Gerechtigkeit, Die uns zur Seite steht, von dir verlangt! Lönig.

Wer bürgt für euer Recht. Lhorführerin. Die Götter hier, Zu deren Heiligthum wir uns geflüchtet! Lönig. Ich bin erschüttert hier euch anzutreffen.

Lhorführerin. Zeus schützet den, der ihn um Hilfe fleht, Und züchtigt den, der ihm zu trotzen wagt!

190 Lhorgcsang.

Fürst Pelasgös, Palächthons Sohn! O schau in Huld und Gnaden Uns zage Mägde, die wir stöhn Zu dir auf wilden Pfaden: Errettei errette!

So steht der weißen Lämmer Schaar Auf steilem Felsenhange Und ruft erzitternd vor Gefahr Nach ihrem Hirten bange: Errette! errette! Lönig.

Seltsamer Anblick! Fremder Frauen Schaar Belagert flehend euch, ihr Rettungsgötter! O steht uns bei und wendet ab den Streit, Der uns bedroht, behütet unsre Stadt Vor unversehner, unbedachter Fehde! Streit bleibe fern! das Volk verschmäht den Krieg! Lhorgcsang.

Gerechtigkeit, o steh uns bei, Du Kind des Zeus-Allvater! — Du edler Greis, der Kinder Schrei Sei deiner Weisheit Rather: Errette! errette! Wer sich erbarmt der Armen Noth, Dem geht es wohl auf Erden; llnd wer erfüllt, was Gott gebot,

191 Ter wird gesegnet werden: Errettet errette! Lönig. Nicht mir, dem Volk gehöret der AltarAn dem ihr fleht; drum hat auch nur das Volk Hier zu bestimmen, was geschehen soll: Ich kann euch nichts versprechen, eh ich nicht Mit meinem Volke mich berathen habe. Chor. Du bist das Volk! du bist der Staat! Du gehst mit dir allein zu Rath! Du bist der Priester am Altar! Du bist der Retter in Gefahr! Du führst den Herrscherstab allein! Du — halte dich von Blutschuld rein! Lönig. Blutschuld soll fallen auf der Feinde Haupt! — Was aber soll ich thun? — ich weiß es nicht! Steh ich euch bei, so drohet mir Gefahr; Weis ich euch ab, so klaget ihr mich an! Lhor. So schau empor und hol dir Rath Bei dem, der richtet Menschenthat; Bei dem, der jedem Schutz verleiht, Der flehet um Gerechtigkeit, Der höret deS Bedrängten Schrei Und will, daß ihm geholfen sei!

192

Löuig. Die Söhne Aegyptos verlangen euch Um nach dem Brauche ihres Heimathlandes Mt euch zu handeln, — kann ich ihnen wehren? Sucht Schutz bei eures Vaterlands Gesetzen; Beweist, daß jene keinen Anspruch haben. Chor. Frecher Manner Übermuth und Trutz Soll zur Sklaverei uns nimmer zwingen! Fliehend unter ewiger Sterne Schutz Wir vernlchtem Ehebund entgingen! Sei gerecht, o König, und verletze Nicht der Götter heilige Gesetze! üönig. Verschonet mich mit diesem Richteramt! Noch einmal sag ich euch: ich kann und will Euch nichts versprechen, eh mit meinem Volke Ich mich verständigt. Nimmt's ein schlechtes Ende, So soll mich Niemand tadeln: Fremden halfst du, Und ließest untergehn die Vaterstadt! Chor. Zeus, der mit gerechter Wage wägt, Hilft dem Schwachen, welcher Unrecht duldet, Doch den Starken seine Rechte schlägt. Der im Übermuthe sich verschuldet. Ahm, o König, nach dem heiligen Gotte, Mach nicht ihn und dich zum Feindesspotte!

193 Löuig. Vor einem Meer von- Sorgen steh ich da,

Bereit hineinzuspringen wie ein Taucher; Da gilt eS klaren Blick und kühnen Muth

Zu finden, was ich suche: Heil und Segen Zunächst für meine Stadt und dann für euch.

Wie kann ich Kampf vermeiden und zugleich Beschützen euch, die am Altar der Götter

Um Hilfe flehn, auf daß kein Rachegeist Mich hier und bei den Todten einst verfolge! —

Ich meine doch, das sei gerechte Sorge!

Chor. Sorg, o Fürst, was uns und dir

Mag zum Heil gerathen;

Deiner Hilfe harren wir,

Warten deiner Thaten: Der verstoßnen Armen Wirst du dich erbarmen!

Nein, o Herr, du duldest nicht Frevelhaft Beginnen,

Daß vor deinem Angesicht Man uns schleppt von hinnen:

Vor verruchtem Wüthen Wirst du uns behüten!

*

*

*

Von der Götter heiligem Herde Uns zu reißen sie verlangen, Marbach, Aeschi-loS Tragödien.

13

194 Wollen wie entlaufne Pferde

Uns in ihren Schlingen fangen, Faffen uns am Lockenbande

Und am flattemden Gewände l — Sorg und wähle, aber denke Auch an dich und all die Deinen:

Wohin deine Wahl sich lenke, Einstens wird ein Tag erscheinen, Wo gerechtes Urtel sprechen

Götter, die den Schwachen rächen! Löuig.

Ich hab's bedacht! — Wozu ich mich entschließe, Ich kann dem Kampfe nicht entgehn: er kommt!

Es rast der Sturm — es tobt das wilde Meer —

Mein Schiff ist segelfertig — fahret wohl! —

Wer Schiffbruch leidet, berge was er kann Ins Rettungsbot, und ist es wenig auch,

Was so erhalten wird, so kann doch Zeus Durch seine Gunst die Habe wieder mehren!

Und wenn der Zunge Pfeil ein Herz verletzt, So kann ein mildes Wort die Wunde, die

Das Wort geschlagen, wieder heilen, ob Sie noch so schmerzlich war.

Das Eine nur

Darf nie geschehn: das Blut der Blutsverwandten Soll nicht vergossen werden! Solchem Gräuel

Zu wehren soll man unverdrossen sein Und vielen Göttem reiche Opfer bringen.

195 Davor behüt ich mich! — Was dann geschieht, Das muß ertragen werden. — Möge besser Das Ende sein, als ich zu hoffen wage!

Shorführeriu. Nur noch Ein Wort venrimm, was ich vor dir In aller Demuth auszusprechen wage.

Lönig. Sprich ohne Furcht; ich schenke dir Gehör. Lhorfüh renn. Du siehst: wir tragen Gürtel, tragen Schnüre. —

Lönig. Nach Frauenart — ich seh's — als Kleiderzier. Lhorführerin. Als Waffe auch, zum Schutz, so wie zum Schmuck.

Lönig. Was hast du vor — ich weiß nicht, was du meinst. Lhorführerin. Wenn du den Schutz versagst, um den wir flehn — Lönig. Dann soll die Gürtelschnur euch Hilfe bringen?

Lhorführerin. Wir wollen diese Götterbilder schmücken — Lönig. Du sprichst in Räthseln, rede deutlicher!

196 Chorführer» n. Mit dieser Schnur — am Götterbild — erwürgt —

Löuig.

Gräßlich! Entsetzlich! Herzzerbrechend Wort!

Lhorführeriv. Du hast verstanden mich — du weißt es nun. Lönrg.

Des Leides Übermaß bestürmet mich!

Von allen Seiten braust der wilde Strom! Ein Meer von Unheil, unermeßlich tief,

Wogt rings umher! Kein Hafen ist zu fchaun! — Weil euren Wunsch ich nicht gewahren kann,

So drohet ihr mit grausenhaftem Gräuel, Der unabsehbar, unermeßlich ist.

Und käm es vor den Thoren dieser Stadt Durch mich zum Kampf mit euren Blutsverwandten,

Ein Opfer wär es, ein unseliges, Wenn ich um Weiber Männerblut vergöße! —

Und doch — ich bin besiegt — ich beuge mich

Vor Zeus, zu dem die Kreatur sich flüchtet, — Der Himmel und die Erde fürchten ihn!-------(Zu Danaos, der näher getreten.)

Du, greiser Vater dieser Mädchen, trage Ein paar von diesen Zweigen dort zur Stadt,

Zu den Altären unsrer Landesgötter,

Damit vor allen Bürgern dieser Stadt

197 Sie Kunde geben, daß ihr zu uns kämet Als Stammgenoflen, und ich mich hierauf

Berufen kann. — Es tadelt gern das Volk

Den Fürsten, aber wenn es mitleidvoll

Auf euch als seine Stammverwandten schaut, So wird es wohl empört vom Übermuth Der stechen Buben, welche euch verfolgen: Es nimmt das Volk sich gern des Schwächer» an.

Dauaos.

Gepriesen sei das Glück, das, edler Fürst, Dich zum Beschützer uns bescheert! Ich thue,

Was du verlangst, — doch gieb Begleiter mir,

Tie zu des Landes Göttern, Tempeln und Altären hin mich führen und behüten, Wenn durch die Stadt wir wandeln.

Bin ich doch

Dem Volke hier an Tracht und Sitten ftemd,

Weil ich aus fernem Lande hergekommen. So sorg in Gnaden denn, daß mein Verhoffen Getäuscht nicht werde; Mißverständniß hat

Gar manchen schon in Noth und Tod gebracht.

finnig

(zu Einigen aus seinem Gefolge).

Begleitet unsern edlen Gast; er sprach

Ein weises Wort.

Behütet ihn und führet

Zu den Altären unsrer Götter ihn.

Die Menge haltet fern, bedeutet sie,

Daß er als Gast der Götter zu uns komme. (DanaoS entfernt sich in Begleitung einiger Bürger).

198

Lhorsührerln.

Fürst! Unser Vater that, was du befohlen: Was sollen wir zu unserm Heile thun? Lövig. Die Zeugen eurer Noth, die Zweige legt Auf dem Altare nieder aus den Händen.

Shorführeriu. Wir thun, was du verlangst— da liegen sie! Löuig.

Zieht euch nunmchr zurück — ins freie Feld.

Chorführeriu. Ins ungeweihte Land? — was wird aus uns! Lonig. Ich lasse nicht den Geiern euch zum Raube!

Lhorführerin. Doch Feinden, welche schlimmer sind als Geier! Lönig. Vertrauet freundlich mir als eurem Freunde! Lhorführerin. Vergieb, o Herr, uns unsre Herzensangst! Lönig. Euch schirmt mein fürstlich Wort — was wollt ihr mehr?

Lhorführerin. Durch Wort und Werke richte uns empor!

199 Louig. Geduld! denn euer Vater kehrt zurück Zn kurzer Frist.

Ich selber will sogleich

Mit meinem Volke mich Herathen, will

Für euch es günstig stimmen, und ich lehre

Auch euren Vater, was er sagen soll. Ihr möget hier verweilen und die Götter In Demuth bitten, daß sie euch gewähren,

Was ihr verlangt.

Ich eile euch zu helfen

So gut ich kann: Beredsamkeit und Glück —

Sie werden — hoff ich — mir zur Seite stehn. (Der König entfernt sich mit seinen Begleitern.) (Tie Choreutinen umgeben den Altar und lnieen nieder.)

Lhorgesaug. Herr aller Herren! aller Götter Gott! Vor dessen heiligem Angesicht Des Frechen Trotz wird eitel Spott,

Des Starken Arm wie Rohr zerbricht, Erhör in Gnaden unser heißes Flehen. Empör im Zorn purpurne Meereswellen

Und laß durch sie das Schiff zu Grunde gehen, Auf dem verfolgen uns die Schandgesellen!

Gedenk, o Herr, an der Verheißung Wort, Gedenk des Weibs von dir erwählt, —

Es lebt ihr Stamm in uns noch fort Mit allem, was die Sag erzählt.

Jö's gedenk und hab ein mild Erbarmen

200 Mit uns, die wir durch sie dem Land entsprossen,

DaS uns empfangen wird mit offnen Armen, Das uns als neue Heimath wird erschlossen.

*

*

*

Hier sind die blumenreichen üppigen Auen, Auf denen unsre Ahnftau einst gegangen, Hier sind die grünen Wiesen noch zu schauen.

Auf denen, ach, ihr Elend angefangen, Von wo sie aufgescheucht durch Wahnsinnswuth

Fortirrte rastlos über Meer und Land, Durch Schnee und Eis, durch Sonnenschein und -glut

Bis hin zum fernen unbekannten Strand.

Die fremden Menschen packt ein wild Entsetzen, Als sie das unglückselige Weib entdecken: Ist es als Mensch, ist es als Thier zu schätzen?

Sie wiffen's nicht, doch schauen sie's mit Schrecken; Da kämest du, o Herr, erbarmungreich,

Und nähmest dich der Hartverstoßnen an! Du heiltest sie, daß wieder menschengleich

Sie ward und Ruh und Geisteskraft gewann.

*

^*

*

Herr von Ewigkeit in Ewigkeiten! Hobst empor die jungfräuliche Maid; Um ihr selige Wonne zu bereiten

Wehte fort dein Hauch ihr Seelenleid.

All ihr Leiden ist in Lust zergangen, Ihre Wangen glühn in holder Schaam,

201 Und in ihrem Schooß hat sie empfangen Mnttersegen, der von dir ihr kam.

Und der Heiland, den ihr Leib geboren, Ward begrüßt vom Volk im weiten Land: „$etl dir, Heil, den Gott sich auserkoren, Den als Boten er zu uns gesandt! Wer als Zeus hat Hera's Groll bezwungen? Wer als Zeus gab dir von seinem Geist? Und wir alle sind von Zeus entsprungen, Der als Vater sich an uns erweist!" *

*

*

(Boller einstimmiger Chorgesang).

Laßt unsern Gott uns preisen. Ihn loben stets aufs neu, Er mög an uns erweisen Sein Lieb und Vatertreu! Es rausche allzeit reich und hell Uns ewigen Heiles Gnadenquell! Mit seiner Allmacht Stärke Erschafft er seine Welt, Und seiner Weisheit Werke Sind, wie es ihm gefällt. Ja, sein ist Herrlichkeit und Pracht, Und was er denkt, das ist vollbracht!

202 DanaoS kehrt auf dem Wege vom Lande her zurlick.

vauaos. Erhebt euch, Kinder! Alles stehet gut:

Das Volk hat seinem König zugestimmt! (Alle Choreuten erheben sich und wenden sich zu DanaoS.)

Shorföhreriu. Gegrüßt, o Vater, der uns Freude bringt! — Was ward beschlossen? Sag uns, wozu hat

Das Volk entschieden sich mit Herz und Hand?

Danaos. Einstimmig hat das Volk Beschluß gefaßt! Mein greises Herz ward wieder jung und heiß,

Als tausende von Handen sich erhoben

Um beizustimmen seines Königs Spruche: „Wir sollen stank und frei im Lande wohnen,

Vor jedem Angriff sicher, unverletzlich;

Und kein Bewohner Ärgos und kein Fremder Soll uns vertreiben; wird Gewalt versucht,

So soll ein jeder Bürger dieses Landes

Uns helfen, aber wer sich weigert, soll Für ehrlos gelten und durch Volksbeschluß

Verstoßen werden aus dem Vaterlande." —

Fürst Pelasgös hat selbst zu unsern Gunsten Den Antrag so gestellt vor allem Volke,

Indem er mahnte, eingedenk zu sein, Daß Zeus Beschützer eines Jeden sei, Der Unrecht leidet und um Hilfe bittet.

203 Mit seinem Zorne würde Zeus die Stadt

Heimsuchen, wenn den Doppelgräul sie dulde,

Der draußen vor den Thoren sie bedroht Als unerschöpflich reicher Quell von Elend. — Des Königs Worte waren kaum verklungen,

Da hoben oKe schon unaufgefordert

Die Hand und riefen laut: „So soll es sein!" —

Der König hatte weis und gut gesprochen. Das Volk auf ihn gehört, und Zeus entschieden!

Lhorführerin. Preis, Segen und Heil, dem argeiischen Volk, Das gesegnet uns hat und das Heil uns bescheert! Du aber, o Zeus, der die Unschuld schirmt, Hör gnädig der Mchtlinge Segen und Dank

Und erfülle, was segnend wir bitten! (Die Choreutinen gnippiren sich wieder um den Altar.)

Lhorgesang. Götter, die aus Zeus geboren, Höret freundlich, was wir flehn Für die Stadt, zu deren Thoren Bald wir hoffen einzugehn! —

Suche nie der kampfesftohe Gott des Krieges heim die Stadt, Der an Blut und Flammenlohe Seine wilde Freude hat!

Und das Volk, das mit uns Armen,

Die im Namen Zeus genaht,

204 Müleid trägt und mild Erbarmen, Sei gepriesen früh und spat!

Es beschützet schwache Frauen Vor der Männer roher Macht, Weil es scheut mit Furcht und Grauen Nur den Gott, der uns bewacht.

Denn der Fluch der Gottheit lastet Schwer auf jedes Frevlers Haus; Aber wo ein Frommer rastet, Bleibt der Segen nimmer aus. ♦ * *

Du edles Volk, in Ehren Gedeihe allezeit: Nie möge dich versehren Krankheit und Herzeleid! Von Siegen schreit zu Siegen Im stets gerechten Streit; Nie sollst du unterliegen Vor Feindes Haß und Neid! Nie soll dein Land benetzen Der eignen Bürger Blut; Nie möge dich verletzen Der Frevel sündiger Glut!

Auf deinen Hochaltaren Soll brennen Opferbrand

205

Vor andachtvollen Schaaren, Zu schirmen Stadt und Land!

Stets soll in hohen Ehren Dein Herrscherstamm gedeihn, Und fröhlich sich vermehren In Glückes Sonnenschein! Stets bleibe Zwietracht ferne Und Bruder-Zwist und -Mord, Es sollen Friedenssterne Dir leuchten fort und fort!

Gesegnet sollen werden Mit Fmcht die Felder dein Und fröhlich deine Herden Auf grüner Trift gedeihn!

Die Stadt soll wiederhallen Von froher Menschen Sang! Die Lieder sollen schallen Aus reinstem Herzenödrang! * * * Ein freies Volk das seinen Fürsten ehrt, Läßt leiten sich von ihm vertrauensvoll, Es schaut den Fremdling ohne Haß und Groll Und duldet nicht, daß ihn sein Feind versehrt. Wer hie zu Lande lebt, soll jederzeit Die Väter ehren, thun, was fromm und recht, —

206 So will der dritte Spruch, den wahr und echt Auf eherne Tafeln schrieb Gerechtigkeit!

* Da na 05

.

*

(welcher während des Gesanges von der Bühne aus nach dem Meere geschaut hat).

In euren Segen, Kinder, stimm ich ein; —

Doch jetzt erschrecket nicht vor dem, was ich

Euch sagen muß als euer treuer Vater. — Von meiner Warte hier entdeck ich dort

Ein Schiff in See; — es ist mir wohlbekannt,

Ich irre leider nicht: das breite Segel, Das Takelwerk, der Schnabel grade aus Auf uns gerichtet, der dem Steuer leider

Nur allzu wohl gehorcht — ich weiß gewiß, Daß unser Feind es ist, den wir erwarteru Schon kann ich die Bemannung unterscheiden:

Aus weißen Mänteln tauchen dunkle Glieder!

Dem ersten Schiffe folgt ein ganz Geschwader

Fahrzeuge als Begleiter nach — nun refft Das Vorderschiff sein Segel, — und nun fliegt's

Mit vollem Ruderschlag dem Sttande zu. — Beherrschet eure Furcht und mäßigt euch —

Die Götter stehn uns bei. — Ich eile fort Und hole Beistand, hole Schutz für euch!

Erste Lhoreutin.

Es werden Schergen kommen, abgeschickt Um uns zu holen, um uns einznfangen!

207 Danaos. O nicht doch! nicht doch! fürchtet euch doch nicht!

Iweitc Lhoreutin. Bleib bei uns, Vater! Hilfe kommt zu spät! Die Heiligkeit des Orts beschütze uns!

Danaos. Bleibt ruhig, Kinder, denn zur rechten Zeit

Ereilt die Frevler Gottes Strafgericht!

Dritte Lhorentin. Wir sind verloren! Vater! Sieh die Schiffe —

Sie kommen — fliegen — naher — immer näher!

Vierte Lhorentin. Zitternd erbeb ich vor Schrecken und Bangen — Alles vergebens — sie werden uns fangen! —

Fünfte Lhorentin. Könnte ich fliehen noch einmal von hier! —

Aber die Glieder versagen mir!

D a n a o s. Die Bürger Ärgos schützen meine Kinder:

Ich Weitz gewiß, sie werden für uns kämpfen!

Sechste Lhorentin. Die Feinde sind von Gier und Wuth entbrannt, — Aegyptos Söhne, Vater, ach du weißt es!

Siebente Lhorentin. Über die wild aufschäumenden Wogen Sind auf den Schiffen uns nach sie geflogen. Rache nur peitschte sie über das Meer,

Schwärzlicher Männer ein zahllos Heer!

208

Da na os. Und sie erwartet hier ein tapfres Heer, Das so wie sie gestählt in Mittagsglut. Adjtc Lhorcntin. O laß uns, Vater, nicht allein! Du weißt: Ein schwaches Weib vermag sich nicht zu schützen! Neunte Chorcutin. Gierigen Blickes und schändlichen Sinnens, Rasende Freunde verruchten Beginnens, Reißet hinweg von der Götter Altar Uns die erbitterte Rabenschaar! Danaos. 9hir zu! nur zu! Dann kommt der Götter Zom Zugleich mit eurem Fluche über sie! Lehnte Choreutin. Sie scheuen nicht den Dreizack Poseidons, Roch andre Götter und sie packen uns! (Elfte Choreutin. Frechheit und Wahnsinn im scheußlichen Bunde, Toll vor Begierde wie lechzende Hunde, Höhnen verächtlich sie jeglichen Gott, Treiben mit allem was heilig Spott! Danaos. Ein Sprichwort sagt: der Leu bezwingt den Hund Und Korn verleiht der Kräfte mehr als Kraut! Lwolfte Choreutin. Ha! sie ermorden uns! Von Raserei Und Wuth ergriffen stürmen sie herbei!

209 Danaos. Es geht nicht gar so eilig, als ihr meinet, Mit ihrer Landung. Für die Taue will

Zuvor ein sichrer Halt zu finden sein; Der Ankergrund muß von den Schiffern erst Geprüft mit Vorsicht werden, denn kein Hafen Ist in der Nähe und die Dämmrung bricht

Bereits herein; die Nacht ist niemands Freund,

Zumal des Seemanns nicht; bevor das Schiff Auf sichrer Rehde liegt, ist nicht zu rathen Die Truppen auszuschiffen. Drum vertrauet

Den Göttern, fleht um Hilfe sie und fasset Euch in Geduld. Ich eile in die Stadt; Obschon ein Greis ant Leibe, bin ich jung

An Geist euch beizustehn mit gutem Wort.

Lhorgesang. Du heilig Hügelland von Ärgos, wo Verbirgst du uns? in welchem stillen Winkel Läßt du uns arme Mädchen Ruhe finden? O könnten wir als Rauch entfliehn!

Ms Wolken durch die Lüfte ziehn! Spurlos verschwinden

Entführt von Winden Als leichter Staub, Als loses Laub! Marbach, AeschyloS Tragödien.

14

210 Wir sollen ruhig bleiben; wer vermags? Die Herzen pochen uns in bangen Ängsten!

Es flößten Furcht uns ein des Vaters Worte! Wir gehen lieber in den Tod, Der uns befreit von aller Noth,

Eh uns berühren Und fort uns führen Mit ftecher Gier

Die Räuber hier! Wo ist ein Bergesgipfel hoch und frei, Auf dem die Nebel sich in Schnee verwandeln? Wo ist ein Felsen öd und stell zu finden, Vor dem der kecken Gemse graust, Auf dem der wilde Geier haust?

Wir Uns Von Ins

wollen springen loszuringen ihm hinab sichre Grab!

Wie wollen lieber Fraß der Wölfe sein, Wir wollen lieber Raub der Vögel werden, Eh dieser Ehe Schande wir ertragen! Erlöse uns o bittrer Tod, Beende alle unsre Noth: Ins Hochzeitbette,

Ins Grab uns rette,

O komm herbei

Und mach uns frei!

211 Empor zum Himmel wir um HUfe schreinl Erhör uns, Vater! Deiner Gnade Schein Auf uns sich wende! O mach ein Ende! Erhebe uns vom Staube Und laß uns nicht zum Raube

Dem Feind, der uns umstellt! Erheb uns, Herr der Welt!

Die böse Rotte naht; es hat uns hier Schon aufgespürt der brünstigen Jäger Gier, Mit wüstem Kreischen Das Wild fle heischen! — Was hilft des Menschen Klage?! Du, Vater, hältst die Wage, Dein Mund das Urtel spricht; So geh denn ins Gericht! (Wildes Jauchzen und Schreien der Aegypter vom Meere her.)

Die Lhorentinen 1)

Dort der Pirat! —

3)

Es werden ihrer mehr! —

5)

Labt uns entfliehn! —

Er ist ans Land gesprungen! —

2)

4) 6) 8)

Wir sind verloren! —

Es ist zu spät! — 7) Zu spät! -

Ha, wie sie toben! — 9)

10)

(einzeln).

Und nun auch hier! —

Unten bei den Schiffen! —

212 11) Zu Hilfe! — 12) König, hilf! Der Herold und eine Schaar mit Stöcken, Geißeln, Spießen und Beilen bewaffneter Aegypter stürmt auf die Bühne.

Herold.

Schleppt zu den Schiffen sie; und macht es kurz! — Was zaudert ihr? So greift doch zu! nur zu! Wenn sie nicht folgen, peitscht sie vor euch her! Und wehrt sich eine, schlagt den Kopf ihr ab! Wozu habt ihr die Beile?!------- Macht euch auf, Verrückte Weiber! zu den Schiffen! fort!

Salzwaffer sollt ihr haben, mehr als ihr Verlangt! Gehorchen müßt ihr euren Herrn,

Die auf den Spaß sich freun, wenn ihr nach Hause Zu ihnen wieder kommt. Doch folgt ihr nicht, So sollt ihr nach dem Takt der Ruderschläge Geprügelt werden, wie entlaufnen Sklaven Zukommt. Doch ziert euch langer nicht, und schüttelt Den Wahnsinn ab, der euch bmebelt hat! Thoreutiuen

(jammernd).

Weh über uns! — Weh über uns! Herold.

Steht auf und kommt! Die Schiffe bringen euch Zur heiligen Stadt, der ihr entlaufen seid!

Lhorfuhrerin.

Niemals wollen heim wir kehren Zu des Niles schlammigen Fluten,

213

Welche üppige Herden nähren, Doch zu thierisch rohen Gluten Männerherzen auch entzünden! Hier im Lande unsrer Ahnen Männer sich mit uns Verbünden, Die der Freiheit Weg uns bahnen! Herold. Ob ihr wollt, ob nicht, ist einerlei! — Fort zu Schiffe! sträubt euch länger nicht! Beugt euch vor Gewalt und hütet euch, Daß ihr unsre Fäuste nicht empfindet! Choreutin. Möge dich Gewalt ergreifen! Sturm und Wogen dich verschlingen! In der Wüste Sand dich schleifen! Elend dich ums Leben bringen! Herold. Schreit so viel ihr wollt und bettest auch Eure Götter an, es hilft euch Nichts! Müßt zu Schiffe allem Schrei'n zum Trotz! Choreutin. Waget nicht uns anzurühren! Feige Schergen! fort zum Nile! Zum Empfange nach Gebühren Warten euer — Krokodile! Herold. Fort! Das Schiff hat schon gewendet! Fort!

214

Macht euch auf den Weg sogleich. Wo nicht, Schleift man an den Haaren euch dahin! Lhorcutiv. Ha! wir können nicht entrinnen Vor der Schamlosfrechen Handen! — Sieh, o Zeus, die schwarzen Spinnen! Sieh! Dein Heiligthum sie schänden! Ver ganze Chor. Rett uns, Mutter, heilige Erde! Schütze uns am Götterherde!

Herold. Fremden Volkes ftemde Götter gehen Uns so wenig an, als jene wir. Lhoreutin. Ha! sie schleichen uns zu fangen Sich heran mit tückischen Schlingen, Und das Gist der bissigen Schlangen Wird durch Mark und Bein uns dringen!

ver ganze Chor. Rett uns, Mutter, heilige Erde! Schütze uns am Götterherde! Herold. Bursche! Packt sie an den Haaren fest! Reißt vom Leib die Kleider ihnen ab! (Die Sleggpter gehen auf die Frauen los.)

215 Chor

(durcheinander).

Hilfe! Hilfe! Eilt herbei, Fürst und Volk! und macht uns frei! Herold.

Fortgelaufne Sklaven bringen wir Ihren Herrn zurück, wie sich gehört! Ler König mit Gefolge und DanaoS mit einer Schaar Bewaffneter erscheinen auf der Bühne von der Stadt her.

Lönig (zu dem Herold).

Halt ein! — Was treibst du hier? — Wie kannst du wagen Hellenisch Land durch Menschenraub zu schänden? Meinst du in einer Weiberstadt zu sein? Barbar! Hellenen brechen deinen Trotz!

Wie frech du bist, so thöricht bist du auch!

Herold. Du schiltst mich stech? — ich thue nur was recht! — Lönig.

Was Völkerrecht verlangt, das weißt du nicht! Herold.

Ich fordre nur, was unser Eigenthum! Lönig.

Wer gab Erlaubniß dir ans Land zu kommen?

Herold. Hermes, der große Mittler und Spion! Lönig.

Kennst dn den Gott, auf den du dich berufft?

216 Herol-.

Die Götter kenn ich, die am Nil wir ehren. Lönig. Doch unsre Götter achtest du für nichts!

Herold. Du hinderst mich die Weiber fortzuführen?

Lönig. Berührst du sie, so ist's um dich geschehn! Herold. Des Gastes Recht zu achten scheint dir ftemd.

Lönig. Ich acht als Gast nicht einen Tempelschänder! Herold.

Aegyptos Söhne sind's, die du verklagst.

Lönig.

Sie gehen mich nichts an, wohl aber dich. Herold. Nun gut: ich bin ihr Diener, meine Pflicht Ist ihnen zu berichten, was ich weiß. Drum sage: wer du bist, mit welchem Recht Du mir verwehrest blutsverwandte Frauen

Dahin, von wo sie flohn, zurückzubringen? — Der Stteit, den du erhebest, ist kein Handel, Der sich mit Geld abmachen läßt und schlichten. Manch tapfter Mann wird Blut und Leben lassen, Bevor der böse Streit entschieden wird.

217 Lönig. Was soll mein Name dir. Du hörst ihn einst; Und du und deine Spießgesellen werden Dann wiflen, welches Amt und Recht ich habe. — Wenn du die Frauen hier bereden kannst Durch ehrbar Wort, daß sie dir folgen frei

Und gern, wohlan: so führe sie von hinnen! In feierlicher Volksversammlung hat Einstimmig Ärgos Bürgerschaft beschlossen: Daß diese Frauen hier auf keiner Macht

Begehren jemals ausgeliefert werden. Und dieser Volksbeschluß ist eingegraben In jedes Bürgers Brust und stehet fester, Als wenn in Erz er eingeschnitten wäre, Auf Pergament geschrieben und besiegelt. — Ich habe klar und deutlich ausgesprochen,

Was dir zu wissen nöthig.

Gehe nun.

Herold. Nur noch Ein Wort: du hast den Krieg gewollt, Und unsern Männern ist der Sieg gewiß. Lönig. Ihr werdet echte Männer kennen lernen

Bei uns, die nicht berauschten Sklaven gleichen. (Der Herold und die Aegypter entfernen sich.)

Ihr Frauen, zieht mit euren Dienerinnen Getrosten Muthes nun zur Stadt, die rings Von festen Wällen eingeschlossen ist Und deren Thore wohl behütet sind

218 Mit hohen Thürmen. Viele Häuser hat Die Stadt; ich selber wohne im Palast Bequem und reich. Ich find eS angenehm

Mit vielen lieben Gästen hauszuhalten. Doch, wenn euch mehr ein eignes Haus behagt, So steht auch das zu Diensten euch; es soll In ÄrgoS euch gefallen, wie ich hoffe.

Wählt, was ihr wollt. Ihr seid in meiner Hut, Und alle Bürger sind, wie sie beschlossen, Zu eurem Schutz bereit: ihr könnt fürwahr Euch beflre Freunde wünschen nicht, als uns.

Lhorführeriu.

Reich sei dir vergolten, o edelster Fürst, Was an uns du gethan! —

Doch erlaube dem Vater, der Tröster uns ist Und Begleiter, Berather und Führer, Daß bestimmen er möge und wählen das Haus,

Wo wohnen wir sollen bescheiden, so wie Sich geziemet für uns, die wir Fremdlinge sind. Mög Alles zum Segen gedeihen! üönig.

Zieht stöhlich hinein in die jubelnde Stadt, Die euch grüßet als Stammesgenossen! Ihr, Mägde der Töchter des Fürsts Danaös, Anschließt euch in Treuen, so wie sich gebührt, Jedwede folge der Herrin! (Der König mit seinem Gefolge entfernt sich; DanaoS mit den Bewaffneten bleibt zurück.)

219 Danaos. O meine Töchter!

Ärgos Bürger müßt

Ihr durch Gebet und Opfer dankbar ehren, Ms ob sie Götter wären, denn sie haben

Vom sichern Untergange euch gerettet. —

Als ich erzählte, wie im Übermuthe Die Vettem euch verfolgten, hörten sie

Entrüstet zu und gaben mir sodann

Hier diese Ehrenwache zum Geleit

Und Schutz für euch, die wackern Lanzenträger, Die uns vor Mördern und das Land vor Schande Behüten sollen.

Dafür müßt ihr dankbar

Und ehrerbietig euch der Stadt bewdisen! —

Ich gab euch manche gute Lehre schon, Schreibt zu den andern Sprüchen diesen noch:

Den neuen Freund bewähret erst die Zeit! — Wer Hilfe sucht, muß sich gefallen lasten,

Daß allerlei von ihm geredet wird.

Dmm, liebe Kinder, macht mir keine Schande, Da ihr nunmehr in einem Alter steht, Wo ihr der Menschen Blicke auf euch zieht.

Die reife Frucht am Baum ist schwer zu hüten Vor Menschen wie vor Thieren, die sie schaun. Was in den Lüften fliegt, im Staube kriecht,

Das trägt Verlangen nach der Süßigkeit

Der Frucht, die üppig schwillt im Sonnenschein. Jungftauen-Lieblichkeit entzückt die Herzen, Und Flammen strahlen aus der Männer Augen,

220 Die sie erblicken trunken vor Verlangen. Ihr aber bleibt auch ferner leusch und rein, So wie bisher, und duldet nicht die Schmach, Vor der so weit ihr über Meer geflohn, So große Angst und Sorge ausgestanden. Entgeht der Feinde Hohn, der eignen Schande! — Man bietet Wohnung uns, sowohl der König,

Als auch die Stadt, uns gasllich aufzunehmen. O das ist edelmüthig; aber denket An das, was euer Vater euch gelehrt: Keuschheit ist mehr als selbst das Leben werth! Lhorführerin. Der heiligen Götter Gnade steh uns bei! — Um unsre Jugend, Vater, sorge nicht; Wir werden einzig jene Pfade wandeln, Die uns die Götter führen, treu der Tugend. (Während des folgenden Gesanges ordnen sich die Frauen des LhoreS und

ihre ihnen nachfolgenden Mägde auf der Orchestra, nehmen die Bittzweige rom Altar und ziehen dann die Treppe hinauf und Über die Bühne nach der Stadt zu.)

Lhorgesavg. Lasset uns wandeln als Sieger und preisen

Ewige Götter als Hüter der Stadt! — Stimmet nun ein in die fröhlichen Weisen Ihr, die der Vater gegeben uns hat, Daß ihr uns folget in Liebe und Treue Jetzt in der Freude, wie früher im Leid; Preiset die Heimath, aber die neue, Aber nicht jene, die hinter uns weit!

221

Segnet die Bache mit kosenden Wellen, Welche ernähren die blühende Au; Segnet die fröhlichen rieselnden Quellen; Segnet den blumenerquickenden Thau! Segnet die Göttin des zierlichen Wildes, Welches sich tummelt im schattigen Wald! Segnet die Sänger des grünen Gefildes; Keuschester Liebe ihr Loblied schallt!

Denket der Göttin der himmlischen Liebe, Welche im trautesten Wonneverein, Geistig verklärend die irdischen Triebe, Thronet mit Zeus und der Gattin sein. Aber mit selig erröthenden Wangen Flüstern und kosen die heiligen Drei: Eintracht, Anmuth, zärtlich Verlangen, Um die durch Liebe geeinigten Zwei! —

Aber wir ahnen mit Zagen und Schrecken Drohenden Sturmwinds Grollen von fern! Ach, daß gelungen es uns zu entdecken Jenen, die ftech sich geberden als Herrn! — Was auch geschehe — wir wollen vertrauen Heiliger Gottheit Rathe allein: Zeus wird in Keuschheit kämpfenden Frauen Antheil eigenen Heiles verleihn!

222 Nimmer läßt ein Gott gelingen,

Daß zu Sklaven uns emiedem Jene, die uns wollen zwingen Frevle Lüste zu erwiedern! Zwar das Schicksal ist allmächtig Und eS läßt sich nicht ergründen; Doch es wird, ob trüb und nächtig, Nie der Bosheit sich verbünden! Wend, o Zeus, in Huld und Gnade Sündiger Ehe Mißgeschick, Wie du auf des Heiles Pfade Führtest einst Jö zurück. Wie von all den wüsten Wirren Ihre Seele du geheilt

Und nach langem bangem Irren Deinen Segen ihr ertheilt:

Laß nicht Schwachheit unterliegen Vor Gewalt und Frevelthat; Laß das Weib im Kampfe siegen, Wandelt's heiligen Rechtes Pfad!

V.

Agamemnon oder

Vie Nache. (Erstes Stücf der Dresse in.)

Die Zage. Tantalos, der Sohn des Zeus, eine Zeit lang der Liebling der Götter, dann aber von diesen wegen seines Übermuthes mit ewiger Höllenstrafe heimgesucht, war Gründer eines an Macht und Ehren, aber auch an Kämpfen und Verbrechen reichen Geschlechtes. Sein Sohn, Pelops, wurde König in Ärgos, aber er gewann sein Königthum durch eine Schandthat. König Oinömaos in Elis hatte seine einzige Tochter, Hippodämeia, demjenigen zur Gattin gelobt, der ihn im Wagenrennen besiegen würde. Pelops, der nach vielen andern, die dieses Wagniß mit dem Leben bezahlt hatten, als Freier auftrat, siegte im Kampfe durch die Beihilfe des von ihm mit Versprechungen gewonnenen Wagenlenkers des Königs Oinömaos, welcher Myrtilos hieß. Oinömaos kam bei dem Wagenrennen um, sein Wagenlenker Myrtilos aber ward von Pelops zum Lohne für seinen Beistand hinterlistig ins Meer gestürzt und also ermordet. Pelops zeugte mit Hippodämeia zwei Söhne, Thyestes und Atreus. Nach deS Vaters Tode stritten die Söhne um die Herrschaft in Ärgos. Thyestes, der des Atreus Gemahlin verführt hatte, unter­ lag und ward verbannt, kehrte aber nach einiger Zeit gen Ärgos zurück und bat seinen Bruder Atreus um Versöhnung. Dieser sicherte ihm Schonung seines Lebens zu, rächte sich aber dadurch an ihm, daß er ihm bei dem Versöhnungsmahle, welches er mit verstellter Freundlichkeit angerichtet, seine beiden ältern, noch im Kindesalter stehenden Söhne, nachdem er sie heimlich ermordet, als Speise vorsetzen ließ. Der unglückliche Vater floh hierauf mit seinem einzigen noch übrigen Kinde Aegisthos aus dem Lande. Zu Ärgos aber behaup­ tete sich Atreus und hinterließ endlich das Reich seinen beiden Söhnen, Agamemnon und Menelaos. Diese herrschten in Frieden gemein­ schaftlich und heiratheten zwei Schwestern, Klytämne'stra und HeMarbach, Aeschylos Tragödien.

15

226 lena, Töchter des Königs Tyndäreos in Sparta und der durch ihre Schönheit berühmten Leda, und Schwestern der hochberühmten Dios­ kuren. Klytämnestra gebar ihrem Gatten Agamemnon mehre Kin­ der, nammtlich zwei Töchter, Jphigeneia und Elektra, und einen Sohn, Orestes. Die Ehe des Mene'laos mit der schönen Helena war kinderlos. Als Helena noch Jungfrau war, hatte eine große Zahl griechischer Fürsten um sie geworben. Da sie aber doch nur Einem von ihnen zu Theil werden konnte, so gelobten diese Freier einander eidlich, daß den, welchen Helena wählen würde, alle Übrigen in dem Befitze des schönen Weibes schützen sollten. Helena wählte den MenelaoS. Einige Zeit nachher kam gen Ärgos Paris, oder, wie auch er hieß, Alexandros, ein Sohn des Königs Priamos von Troia oder Ilion. Er wurde gastfreundlich von Menelaos ausgenommm, verliebte sich aber in besten Gemahlin Helena und ent­ führte sie. Die Griechen (auch Hellenen, Danaer, Achäer, Argeier genannt) nahmen an, Päris habe die Helena gen Troia gebracht. Dies ward die Veranlaffung zu dem berühmten Troianischen Kriege, zu welchem ihrem Versprechen treu die griechischen Fürsten den Atreiden, dem Agamemnon und Menelaos, sich anschloffen. Der Anfang des Krieges war für die Griechen nicht glücklich. Die griechische Flotte wurde bei Aulis durch widrige Winde zurückgehalten. Der Seher KalchaS verkündete: eS geschehe dies, weil die göttliche Ärtemis zürne, und gab als Mittel die Göttin zu versöhnen an: Aga­ memnon müsse ihr seine Tochter Jphigeneia opfern. Obgleich mit widerstrebendem Herzen entschloß Agamemnon sich zu der blutigen That. Jphigeneia wurde ihrer Mutter Klytämnestra weggenommen und geopfert. Diese That verfeindete das Herz Klytämnestras gegen ihren Gemahl. Während der zehnjährigen Abwesenheit dessel­ ben vor Troia war Aegisthos, jener von Atreus mit seinem Vater vertriebene Sohn des ThyesteS, nach Ärgos zurückgekehrt und hatte die Stimmung der Klytämnestra gegen ihren Gemahl benutzend mit ihr ein ehebrecherisches Verhältniß angeknüpft. Es ist bekannt, durch welche List Troia endlich erobert ward. Die Griechen bauten ein riesiges Roß und verbreiteten die Nachricht, dies sei ein Denkmal

227 ihres als vergeblich von ihnen aufgegebenen Zuges. Darauf zogen sie scheinbar ab; aber sie halten ihre besten Krieger im Hauche des Rosies verborgen. Die Troier hatten nichts eiliger zu thun, als das Roß in ihre Stadt zu ziehen. Sie. riffen zu diesem Zweck einen Theil ihrer Mauern nieder. Da brachen zur Nacht die Krieger aus dem Bauche des RoffeS vor, auch die griechische Flotte kehrte zurück — und Troia fiel. Hier beginnt die Tragödie. Zehn Jahre find verflosien, seit die Griechen unter Agamemnons und MenelaoS Oberbefehl gen Troia gezogen. Da plötzlich verkünden die verabredeten Feuer auf den Bergen (Signalflammen von Berg zu Berg, über Land und Meer, von Troia bis Ärgos), daß Troia gefallen sei. So stellt es

Klytämnestra vor — die Wahrheit ist, daß Aegisthos im Einverftändniß mit Klytämnestra vom Arachnäon, einem Berge bei ÄrgoS, aus die Landung des heimkehrenden Griechenheeres beobachtet und durch ein Feuerfignal verkündet hat. Klytämnestra läßt sogleich feier­ liche Opfer darbringen und verkündigt dem Senate von Ärgos (dem Rathe der Alten — dem Hauptchore der Tragödie) die Siegesbot­ schaft. Ungläubig nehmen die Greise diese auf; da erscheint ein Herold vom Heere und bestätigt, daß Troia gefallen, indem er zu­ gleich die bevorstehende Ankunft des Agamemnon ankündigt. Alsbald kommt dieser auch wirklich mit seinem fiegreichen Heere. Auf seinem Wagen bringt er Kaffändra, die schöne Tochter des Priamos, eine berühmte Prophetin, als ihm vom Heere erlesene SiegeSbeute mit. Klytämnestra empfängt ihn mit erheuchelter Begeisterung und führt ihn in seinen Palast ein. Kasiändra bleibt zurück und prophezeit den Verrath, welchen die heimtückische Klytämnestra gegen Aga­ memnon spinnt und vollbringt, sowie ihren eigenen Tod, dem sie den Palast betretend muthig entgegengeht. Ihre Prophezeiungen gehen sogleich in Erfüllung. Klytämnestra unter dem Beirathe des Aegisthos hat den König Agamemnon ermordet. Sie triumphirt über seiner und Kaffändras Leiche und Aegisthos erklärt sich zum Gewaltherrscher in Ärgos.

Personen. Agamemnon. Klytamnestra.

Kassandra. Aegisthos.

Wächter. Herold. Erster Chor: Tie Ältesten der Gemeinde ÄrgoS. Zweiter Chor: Priester. Dritter Chor: Frauen, Begleiterinnen der Klytämncstra.

Krieger. — Kriegsgefangene troische Frauen.

Die Bühne stellt im Hintergründe den NönigSpalast zu Argos dar. der Ferne überragt denselben der Berggipfel deS ArachnLon.

links vor dem Eingänge des Palastes stehen steinerne Thronsessel.

Bühne sieht man zu beiden Seiten Altäre und Götterbilder.

Zn

Rechts und Auf der

Vor der Bühne

und mit dieser durch auf Leiden Seiten aufsteigende Wege verbunden breitet

sich die Orchestra aus, auf welcher ein dem Zeus gewidmeter Altar (die

Thymele) steht.

Sternenhelle Nacht.

Wächter (auf dem flachen Dache des Palastes). Ich wollte, daß die Götter dieser Plage

Ein Ende machten!

Schon ein ganzes Jahr

Lieg ich als Wächter hingestreckt hier oben Auf diesem Hause, der Atreiden Wohnung,

Recht wie ein treuer Hund.

Ich kenne langst

Das Heer der nächtigen Stern' und jene beiden,

Tie sttahlend herrschm hoch am Firmament Und Tag und Nacht und Frost und Hitze spenden.

Und immer laur ich auf die Flammenzeichen,

Die Feuerbrände, die vom Troierlande Die Siegesbotschaft uns verkünden sollen,

Auf welche meiner Herrin männlich Herz

Noch immer sicher rechnet.

Wenn ich hier

Auf feuchtem Stroh die lange Nacht durchwache

Und mich die Furcht beschleicht, es könnten mir Vor Müdigkeit die Augenlider sinken,

So brumm ich mir ein Lied, das wohl den Schlaf Verscheucht: ich jammre dann um dieses Haus,

Um das es nicht mehr so wie sonst bestellt ist. — Komm endlich! mach ein Ende meiner Plage, Bote des Heils! du Licht in Finsterniß!-------(Es verbreitet sich eine schnell zunehmende Helligkeit am nördlichen Theile deS Himmels.)

230

Ha — Wonne! Strahl der Nacht! sei mir gegrüßt!

Glorreichen Tag entzündest du! dir jubelt Tanzend entgegen alles Volk von Ärgos! Triumph! Triumph!

Der Gattin Agamemnons künd ich's an, Daß sie vom Lager springt und diesem Licht

Entgegenjauchzt mit lautem Schrei! Burg Ilion!

Es fiel

Da steht's mit Flammenschrift!

Den Reigen führ ich an, denn mir gelang Bei meiner Herrschaft Spiel der beste Wurf Auf meiner Wacht!

O wär es mir vergönnt

Mit dieser meiner Hand die liebe Hand

Des besten Herm zu fassen bei der Heimkehr! — Der Rest ist Schweigen! denn ein schwerer Finger Ist auf die Lippen mir gelegt; — dies Haus,

Bekam es eine Stimme, schrie zum Himmel! —

Wer wissend ist, der hört mich reden; doch

Keiner versteht mich, der nicht wissend ist. (Der Wächter steigt vom Dache nieder nach Innen in den Palast. Feuerschein im Norden erlischt allmühlig und

Der

dafür beginnt im Osten der

Morgen -u dämmern.)

Tie Weitesten der Gemeinde ArgoS versammeln sich auf der Orchestra

truppweise unter Gesang des folgenden MarschliedeS.

Chor -er Attesten.

Schon das zehnte der Jahre verrauschte bereits, Seit Pnamos Gegner Menelaos einst

Und der Fürst Agamemnon, beide von Zeus Mit dem Scepter geschmückt, mit dem Throne geehrt,

Auszogen, die Brüder, vereinigt zum Streit, An der Spitze des Heers Und mit tausend argeiischen Segeln.

Krieg schrieen sie: Krieg! aus der Tiefe der Brust, Wie die Geier, die flatternd umkreisen das Nest, Das verödet und leer an der Felswand ragt, Laut kreischen vor Zorn auf die frevelnde Hand, Die geraubt aus dem Neste die Jungen. Hoch oben im Lichte, da thronet ein Gott, Wie er heißen auch mag, ob Zeus, ob Pan, Ob Apollon, der höret der Jammemden Ruf, Der Gekrankten Geschrei und entsendet ob spat, Doch sicher die schleichende Rache.

So sendet auch Zeus, der das Gastrecht schirmt, Die Atreiden dem fliehmden Päris nach Und verhängt um das vielumbuhlete Weib Unablässigen Kampf und es brechen die Knie, Und es stieben im Felde die Lanzen umher: So läßt er die Danaer dulden! Doch die Troier nicht minder! Es geh wie*s geh: Es erfüllt sich zuletzt das Berhängniß stets. Nicht Opfergemch, nicht Spenden von Wein, Nicht Thränen versöhnen den Fluch, der da ruht Auf gottmißfälligem Opfer! Wir blieben daheim, denn der greifende Leib Hat des Feldzugs Ehren uns leider versagt.

232 Ach, wir richten wie Kinder am Stab uns empor! Ob sich Kindem im Herzen der Muth stolz regt,

So vermögen zu kämpfen sie dennoch nicht; Und der Greis, dem das Alter die Locken gebleicht, Schwankt mühsam einher, dreifüßigen Gangs,

Kraftlos wie das Kind, Ein bei Tag umirrendes Traumbild! Während deS vorstehenden ChorgesangS ist Klytümnestra auS dem Palast getreten in Begleitung von Frauen und Priestern. Dieselben bilden Grup­

pen um die Altäre, bekränzen sie, legen Opfergaben auf und entzünden sie.

Chorführer der Greise.

Klytämnestta, Fürstin, Tyndäreos Stint),

Was giebt's? was soll's? was hast du gehört? Und auf welches Gerücht dich verlaffend vertheilst

Du der Opfer so viel an die Götter der Stadt, Daß der obern sowohl, als der unteren auch,

Und der himmlischen sowie der irdischen all

Altäre von Gaben entlodern? All überall flackert zum Himmel empor Hellflammende Glut, die das heilige Ol

Mild schmeichelnd ernährt und das Weihegebäck Aus dem innersten Königsgemache. O, deute du uns, wie du kannst und darfst,

Das alles und lindre die schleichende Pein, Die uns ängstet, wie sehr sie der Hoffnungstrahl,

Der aus flammenden Opfern uns leuchtet und glüht.

Aus der Brust zu verscheuchen bestrebt ist.

233 (Wechselgesang der Priester und der Frauen auf der Bühne:)

Die Priester. Hebet ein Siegeslied an! Was mit den Göttern begann, Führen sie glorreich zu Ende. Noch ist die Zeit nicht erfüllt, Wo sich ihr Walten enthüllt,

Mer sie nahet behende. Als zu dem tröischen Land Wurden die Fürsten entsandt Rächend die Lanzen zu schwingen, Gaben die Götter so klar Zeichen dem fürstlichen Paar Deutend auf endlich Gelingen.

Rechts vom achäischen Heer Rauschet ein Adler daher, Schwarz wie die Nacht das Gefieder; Mit ihm ein anderer Aar, Weiß wie der Tag und so klar, Läßt aus den Wolken sich nieder.

Seht ihr dort fliehen das Reh, Daß es den Räubem entgeh; Aber sie fassen die Hinde! Wehe! sie machen behend Tragender Mutter ein End, Ihr und im Leibe dem Kinde.

234 Dit Frauen.

Schaudert euch? Schaudert euch? Sprecht: Recht bleibt ewiglich Recht! Mit.

Recht bleibt ewiglich Recht! Die Priester.

Kälchas, der Seher im Heer, Saget im Herzen sich wer Einzig den Adlern vergleichbar. Schauend das fürstliche Paar, Führer achäischer Schaar, Keinem an Ehren erreichbar.

Deutend er so prophezeit: „Einst, wenn vollendet die Zeit, Fallen wir Pn'amos Feste. All was sie trägt in dem Schooß Theilet ihr klägliches Los, Selber das edelste, beste." „Hüte dich, stürmender Held, Wenn du einst Troia gefällt, Lagernd dich niederzustrecken: Daß nicht der Ewigen Macht Rächend umhülle mit Nacht Dich und mit tödtlichem Schrecken!" „Artemis schaute dahier Grauenvoll enden das Thier,

235

Eh es die Frucht noch geboren; Heiligen Augen zur Qual Sah sie das grausige Mahl, Das sich die Adler erkoren." Dit Frauen. Schaudert euch? Schaudert euch? Sprecht: Recht^bleibt ewiglich Recht! MU.

Recht bleibt ewiglich Recht!

Die Priester. „Heilige Maid, die das Wild Schützet in Wald und Gefild, Hütet was hilflos geboren: Wende den Zorn und Gedeihn Spende dem Segen allein, Flehend um Gnade beschworen!" „Heiland Apollon, erschein Helfer dem Heere zu sein, Glückliche Fahrt zu bescheeren; Wende das Opfer, das droht, Rette vom gräßlichen Tod, Trockne der Sterbenden Zähren." „Wehe der ruchlosen That Streuend entsetzliche Saat, Nimmer sich endende SchmerzenRächet die Mutter ihr Kind,

236 Gräßliche Thaten sie sinnt, Birgt sie im blutenden Herzen." Also ertönte der Spruch Einstens des Sehers wie Much, Als er den Sieg uns verkündet; Weil vor dem Mahl ihm gegraut, Das er mit Augen geschaut, Dazu die Aare verbündet. Vie Frauen. Schaudert euch? Schaudert euch? Sprecht: Recht bleibt ewiglich Recht! AlU. Recht bleibt ewiglich Recht!

Gemeinsamer Gesang aller drei Lhörc. Namenloser! Wer du bist, Zeus genannt zu dieser Frist, Keiner ist als du zu finden, Der vom Herzen nimmt die Qual, Der zum Lichte führt den Blinden Durch des Todes dunkles Thal. Du, vor dem des Himmels Pracht Und der Zeit gewaltige Macht Sinkt in Nichts, du starker Krieger, Sei gepriesen hoch und hchr: Überall bist du der Sieger, Unsre Zuflucht, Hort und Wehr!

237 Ewiger Weisheit heiliger Quell, Sprudelnd immer frisch und hell:

Daß aus Qualen quillt das Leben

Für des Menschen sterblich Herz, Daß dem Sünder wird vergeben

Um der Reue bittern Schmerz! Voller Gnad und voller Huld Tilgen Götter Menschenschuld,

Heil dem Manne, dem sie spenden Wider Willen heiligen Zwang,

Denn mit ihren starken Händen Retten sie vom Untergang!

Dit Franen. Der König schwieg, als dort Der Seher sprach das Wort:

Er beugt sich unverdrossen

Vor dem, was Zeus beschlossen. Die Flotte ward gebannt

Vom Sturm am Heimathstrand; Es ward das Heer geschlagen Von Pest und Hungerplagen.

Es heult der Sturm, sein Spiel

Wird Segel, Steuer, Kiel, Die Roth will nimmer enden

Und sich zum Heile wenden. Da von der Göttin Groll

Spricht Kälchas grausenvoll,

Wie ihrem Zorn entrinnen Man mag, durch welch Beginnen.

Er spricht von einer That AIS tiefster Weisheit Rath, Die dünket die Atreiden Schlimmer als schlimmstes Leiden.

Sie stoßen in den Sand Die Stab in ihrer Hand, Können sich nicht erwehren Zu weinen bittre Zähren.

Es hebt der König an: „Ich hart geschlagner Mannt Was soll ich nun vollbringen Um mich empor zu ringen ?" „Weigri ich zu thun die That Wider der Götter Rath? — Soll ich mit eignen Handen Mich selber blutig schänden?" —

„O graufenhafte Wahl, Unnennbar bittre Qual! Soll ich mich selbst verachten — Mein Kind den Göttem schlachten? „Soll ich von hinnen fliehn, Beschimpft nach Hause ziehn? Das Heer verlangt die Rettung — Graunvolle Schicksalskettung!"

239

Die Priester. Geschehe denn, was Recht! Die Frauen. Stürmende Leidenschaft Hat ihn dahingerafft 1 All sein Trachten und Sinnen Geht auf wildes Beginnen.

Fort zu der blutigen That Treibt ihn des Wahnsinns Rath: Wider des Kindes Leben Wagt er die Hand zu erheben! Wehe! der Unschuld Blut Opfert die gierige Wuth Sündigen Weibes Verbrechen Blutig im Kriege zu rächen! Die Priester. Geschehe denn, was Recht! Die Frauen. Ob das Mägdlein um Erbarmen Vater! Vater! zärtlich fleht, Ob den Leib, den lebenswarmen Holder Jugend Reiz umweht, — Ungerührt von ihren Schmerzen Bleibt der Krieger trotziger Muth, Denn es dürsten ihre Herzen Nur nach Sieg und Krieg und Blut.

240

Als die Weihgebete schweigen, Wintt deS harten Vaters Hand; Und der Priester stolzer Reigen Naht geschmückt in Festgewand. Zu der blutigen Opferfeier Bringen sie die Todesbraut; Eingehüllt in weißen Schleier Naht sie sonder Klagelaut.

Ha — sie legten hart in Schlingen Ihren rosig holden Mund, Daß in ihrem Todesringen Racheschrei nicht werde kund. Also steht sie gleich dem Lamme Stumm vor ihrer Mörder Schaar, Ihrer holden Augen Flamme Schweift umher noch licht und klar. Gleich dem Pfeil so trifft ihr Leben Jeden mitten noch ins Herz, Ihrer Lippen zuckend Beben Kündet ihren Todesschmerz.

Holdes Bild I Von diesem Munde Schallten zag im Freundeskreis Lieder einst, die fteudig Kunde Gaben von der Väter Preis. Die Priester. Geschehe denn, waS Recht!

241

Chorführerin der Frauen. Was weiter noch geschehn — wir wisien's nicht; Doch stets geschieht, was Mund des Priesters spricht. Eins aber weiß ich: Recht verbleibet Recht, Und schaut's auch erst ein künftiges Geschlecht! Mich graut zu sehn, was einstens sich erfüllt, Was eines Tages Morgenlicht enthüllt; — Dann leucht uns Heil! — So wünscht auch dort, Der naht: deS Landes einzig treuer Hort. (Während der vorstehenden Gesänge ist die Sonne aufgegongen.)

Chorführer der Greise (näher heramretend). Wir beugen, Klytämnestta, ehrfurchtvoll Vor deiner Macht uns. Wenn des Königs Thron Verlassen steht, so ziemt sich Unterthan Zu sein der edlen Gatün des entfernten. Ist dir's genehm, so sag uns, welche Kunde Dir ward, die du so festlich hier begrübest; Doch schweigst du, werden gern wir uns bescheiden. Llytamnestra. Der ftohen Dtutter Kind, die Morgenstunde, Hat Gold im Munde, wie das Sprüchwort sagt; Vernehmet unverhoffte Freudenbotschaft: Die Griechen haben Ilion eingenommen! Chorführer. Du sagst — ich staune — Hab ich recht gehört? Llytamnestra. Die Griechen haben Troia! — Sprach ich deutlich? Marbach, AeschyloS Tragödien. 16

242 Chorführer.

Ha, Freudenthränen trüben mir die Augen! Llytamneftra. Ich sehe, daß du's ehrlich meinst, dir an.

Chorführer. Wer aber hat die Nachricht dir verbürgt? Llytamueftra.

Tauschen die Götter nicht, so ist's gewiß. Chorführer.

So war's ein Traumgestcht, das dir's gesagt?

Llytamueftra. Ich glaub an Traume nicht. Chorführer. Ward ein Gerücht

Dir hinterbracht?

Llytamueftra. Bin ich ein thöricht Kind? Chorführer.

Und wann geschah's?

Llytamueftra. In jüngst vergangner Nacht. Chorführer.

Wie heißt der Bote, der so eilig läuft? Llytamueftra.

Sein Nam' ist Feuer, Flamme, Brand und Lohet —

Im Troierlande thürmt der Jdaberg

Sich auf zum Himmel; dort zur Siegesfeier

Ward eine Flammensaul emporgerichtet, Tie weithin leuchtet über Land und Meer, Und bald erstrahlt von allen Bergesgipfeln. Die sich von Troia bis gen Griechenland Gleich einer Demantschnur Herüberziehn, Des ersten BrandeS Widerschein und trägt Die Freudenbotschaft fort in Flammenschrist. Denn Feuerzeichen folgt auf Feuerzeichen, Bis endlich auch die Warte dieser Stadt, Der Arachnaongipfel, leuchtend glüht, Und so der Feuerstrom, der Idas Gipfel Entsprungen ist, in der Atreiden Haus Sich siegverkündend, strahlend nun ergießt. — Nun kennst du meinen Bürgen, meinen Boten, Den mir aus Troia mein Gemahl gesandt. Lhorsuhrer. Ten Göttern wollen danken wir alsbald; Doch möcht ich wieder, immer wieder staunend Vernehmen, was du sagtest, theure Herrin!

Llytämnestra. Die Griechen haben Troia heut besetzt! — Zwiefach Geschrei erfüllt gewiß die Stadt: Gieß Öl und Waffer in denselben Krug, Sie werden nie sich mischen, nie sich einen; So wird sich scheiden dort des Siegers Ruf Und des Besiegten Schrei, wie beider Schicksal. Da jammem Weiber um erschlagne Männer,

244 Der Bnlder klagt bei seines Bruders Leichnam Und Kinder wimmern über greisen Vätern, —

Und alle die so klagen — Sklaven sind sie! Die Andem wild aufjauchzend schreien gierig

Nach Speis und Trank, die Arbeit dieser Nacht Hat hungrig sie gemacht; sie greifen zu

Nach allem, was ihr starker Arm erreicht;

Sie schwärmen zügellos dem Glücke nach Und suchen's in Palästen.

Statt der Wacht

Im freun Feld, in Reif und Regenschauer

Umfängt sie nun des Reichthums üppige Fülle. Die Glücklichen! wie werden nun sie ruhn

Nach wohlgethaner Arbeit! gleich den Göttem! Nun giebt's nicht Wachen mehr, noch Lärmtrompeten!

Und ehren sie die Götter der Besiegten, Und schirmen sie die Tempel dieser Götter,

Dann wird der Sieg den Siegern nicht verderblich.

Vielleicht! Sie mögen nicht die freche Hand Nach Unerlaubtem strecken — eingedenk, Daß sie die halbe Rennbahn erst durchmessen Und — ihrer Heimkehr noch gewärtig sind! Kehren sie heim mit Sünden schwer beladen,

So werden der Erschlagnen Rachegeister

Vom Schlummer sich erheben wider sie, Hat sie zuvor nicht Mißgeschick geschlagen! —

Das hat ein Weib, das habe — ich gesagt: Recht bleibe -Recht — es wird sich offenbaren! —

Um hohen Preis ersah ich mir dies Glück.

245 Chorführer.

Gebieterin, recht wie ein kluger Mann

Sprachst du ein gutes Wort.

Nun überzeugt

Von dem, was du verkündet, wollen wir

Den Göttern unsers Dankes Opfer bringen: Sie gaben reichen Lohn für harte Müh! (Während der folgenden ChorgesLnge zieht sich Klytämneftra mit ihren Begleitern in daS Innere deS Palastes zurück).

Shorgcfaag.

Gelobt sei Zeus, der König! Hochgepriesen Sei, Nacht, auch du, die freundlich sich bewiesen!

Tu warfst mit sichrer Allgewalt

Dein Netz um Troias Zinnen,

Und keiner, weder jung noch alt,

Vermochte zu entrinnen: Der Knechtschaft hartes Band umschlang

Das Volk geweiht dem Untergang. Gelobt sei Zeus, des Gastrechts treuer Hort!

Du hast erfüllet der Verheihnng Wort!

Du hieltest lang in fester Hand Den Bogen unverdrossen

Auf Pnams stevlen Sohn gespannt, Eh du ihn abgeschossen.

Und nicht zu ftüh und nicht zu spat Nahn» dann dein Pfeil den rechten Pfad.

246

Wohl mögen sie klagen Die Troier und sagen, Daß Zeus sie geschlagen; Was Er gedacht, Das hat Er vollbracht! Mancher sprach in seinem Herzen: Göttern macht es wenig Schmerzen, Ob der Mensch auch die Gesetze Ewigen Rechtes frech verletze. Doch er hat verrucht gesprochen: Missethat wird schwer gerochen! An der Väter Sünden tragen Kinder noch in späten Tagen; Frecher Trotz auf Kraft und Waffen Wird Verderben endlich schaffen, Und der Übermuth des Reichen Wird dem schmutzigen Elend weichen, — Heil dem Manne, der bescheiden! Frei von Kummer, frei von Leiden Wandelt er den Weg durch's Leben. Wer dem Recht zu widerstreben Wagt, der wird sich selbst vernichten: Nichts vermag ihn aufzurichten. Wohl mag es sich fiigen, Daß Sünder betrügen Sich selber mit Lügen;

247

Doch dem Gericht Entgehen sie nicht!

Nach der Rettung ihres Lebens Schrei'n die Sünder bald vergebens! Dauernd läßt sich's nicht verstecken: Aus der Nacht mit wildem Schrecken Bricht herein ein blendend Feuer — Des Verderbens Ungeheuer! Wie ein Vogel kommt's geflogen: Der ihm thöricht nachgezogen Wird als Sünder bald gerichtet! Wenn die Vaterstadt vernichtet Nun zusammenbricht in Trümmer, Wird entblößt von falschem Schimmer Sich als blindes schlechtes Eisen, WaS für Gold sich gab, erweisen. Also Paris! der dem frommen Gastfreund, der ihn ausgenommen, Wider Ehren und Gewissen Sein geliebtes Weib entrissen! *

^*

*

Es fleugt in Troias Burg hinein Ein Feuerball und hinterdrein Braust Schilderdröhnen, Speereprasseln Und Schiffgetöse, Kettenrasseln; Als Morgengabe bringt die Braut Wovor der Menschenseele graut:

248 Tie bittre Noth, Den harten Tod! Und die Propheten Troias stöhnen Und lasten düstre Sprüche tönen.

„Weh dir, o Haus! Weh dir, Geschlecht. Weh dir, zertretnes Eherecht! Nun gilt es ehrlos stumm zu schweigen, Wenn sich die stech Verrathnen zeigen! Als Herrin kam ins HauS daher Ein Wahngebilde über Meer, Das schuf die Brunst Nach Frauengunst! Bald aber wird der Trug zerrinnen. Graunhaster Wahrheit Tag beginnen." „Im tiefsten Herzen widert an Marmorner Schönheit Reiz den Mann; In seelenlose Augen schauen Verwandelt Liebe schnell in Grauen. Wie hold auch lächelt Traumgesicht, Der Sehnsucht Hand erfaßt es nicht! Der Täuschung Schmerz Nur fühlt das Herz — Das Bild entfleugt mit wildem Lachen, Dann folgt ein schauerlich Erwachen!" —

* Aus dem theuren Vaterlande Zogen fort die reisigen Schaaren;

249

Weißt du, ob vom fernen Strande Jemals sie zur Heimath fahren? Ach mit jammernder Geberde Sitzt die Angst an jedem Herdei Jeder weiß, was er gegeben, Keiner, was er wird empfangen; Kummer nagt an seinem Leben, Sorge bleicht ihm seine Wangen —: Statt der Helden, welche gingen, Wird man ihre Asche bringen. * ♦ Falscher Wechsler, schnöder Krieg! Prahlend stolz mit Ruhm und Sieg Weißt du jeden zu betrügen. Den verlocken deine Lügen! Leichen giebst für Seelen du, Wägst den Tod für Leben zu, Sendest heim den Mann den raschen Still im Krug, ein Häuflein Aschen. Preis dem Mann, der fiel als Held Auf des Ruhmes blutigem Feld; Aber Thränen dich verklagen, Ter ihn hinterrücks erschlagen. Mehr als jenes fremde Weib Galt des edlen Mannes Leib! — Also wächst aus Volkes Leiden Groll und Hader den Atreiden.

250

Mehr als Einer liegt im Sand Eingescharrt an Troias Strand, Und, daß auch sein Theil ihm werde, Deckt den Sieger — Feindeserde!

* Tiefgekränkten Volkes Grollen Dröhnt wie dumpfes Donnerrollen, Wird zum Fluche, schlägt als Blitz Zündend ein am Herrschersitz.

Ewiger Götter Augen schauen Blutiger Würger Werk mit Grauen, Und von heiligem Zom entbrannt Wird die Rache dann entsandt.

Wer durch Frevel sich gehoben. Wird herab gestürzt von oben Und versinkt in ewige Nacht, Der kein Morgen jemals lacht. Fürstenruhmeö stolzes Prahlen, Welchem flucht ein Volk in Qualen, Stürzt von Felsen schroff und steil Nieder Gottes Donnerkeil. Heil dem Manne, der bescheiden, Den die Götter nicht beneiden, Den der Lorber niemals schmückt, Nie der Knechtschaft Fessel drückt!

251 Es geht von Mund zu Munde Bereits im Volk die Kunde,

Die lichter Flamme Heller Strahl

Getragen über Berg und Thal. Wer aber weiß in Klarheit,

Ob sie gesagt die Wahrheit, Ob arge Täuschung nicht ein Gott

Gesendet uns zu Hohn und Spott. Sind Kinder wir, die singen

Ums Licht und ftöhlich springen,

Und die dann, bricht die Nacht herein. Vor Furcht und Ängsten kläglich schrei'n?

Das Glück im Voraus preisen

Heißt Weiberart beweisen,

Was Weiberzunge rasch wie Wind

Hat ansposaunt, verrauscht geschwind. Chorführer.

Nun wird sich zeigen, ob die Feuerpost

Der Fackelträger, Brand und Flammenboten

Die Wahrheit sagten, oder ob das Licht Mit Träumen schmeichelnd uns betrogen hat:

Dort, von der Küste, kommt ein Friedensbote, Geschmückt das Haupt mit grünen Ölbaumzweigen; Des Schmutzes Zwillingbruder Staub, der ihn

Begleitet, läßt erwarten, daß er stumm Nicht bleibt und nicht statt Worten Rauch und Flammen Gleich einem Feuerberge von sich speit.

252 Entweder wird sein Wort uns bessern Grund Zur Freude geben, oder — doch ich schweige! —

Recht bleibe Recht, und künftig so wie heut! Wer andern Segen hat für diese Stadt,

Ter ernte, was im Übermuth er sät. (Ein Herold tritt auf der Bühne von der Seite her auf).

Heroi-.

Heil dir, mein Vaterland, geliebtes Argos! Zehn Jahre war ich fern; nun bin ich da!

Wie viele, viele Hoffnungtaue rissen; Dies Eine hielt! Schon längst verzweifelt' ich

In deinem lieben Boden einst mein Grab Zu finden noch! Drum, theure Vatererde, Sei mir gegrüßt! Gegrüßt mir, Sonnenstrahl! Tu Hort des Landes, Zeus! und du, Apollon,

Ter ferner keinen Pfeil auf uns entsendet — Tu hast genug gethan am Skämandros — Sei wieder unser Retter, unser Heiland!

Euch Götter alle ruf ich an, die Schutz Ten Kriegern ihr verleiht, und dich, Hermes,

Mein Schutzpatron, geliebter Herold, Zier Und Ruhm des Heroldstandes! euch Heroen, Tic ihr das Heer entsandt! Empfangt in Gnaden Ten von dem Speer verschonten Überrest!

Heil dir, du Könighaus, geliebte Hallen,

Ehrwürdige Throne! Götter, die das Licht Der Morgensonne schmückt, empfanget strahlend

253 Wie je den König, welcher endlich heimkehrt;

Denn euch und diesen allen kommt, ein Licht

In Finsterniß: der König Agamemnon! (Zum Chor gewendet.)

Wohlauf! Empfanget denn, wie sich gebührt,

TroiaS Erobrer, ihn, den Rächer Zeus,

Der mit dem Donnerkeil das Land gepflügt! Der Götter Tempel und Altäre sind

Zerstört, des Landes Samen ganz vertilgt. Er, der in solche Fesseln Troia schlug,

Der königliche Sproß Atreus: der Held Des Glückes und der Ehren, hochgepriesen Vor allen, die da leben jetzt auf Erden,

Kehrt heim! Und nimmer wieder prahlet Paris Vor seiner Stadt: es wäre seine That

Doch größer als fein Leid; als Dieb und Räuber Venrrtheilt und besttaft, ward ihm entrissen Was er geraubt, sein Vaterland verwüstet, Sein Vaterhaus dem Boden gleich gemacht!

So büßten ihre That die Priamiden! Chorführer.

Herold des Griechenheeres, Heil dir, Heil! Herold.

Wohl wiederfuhr mir Heil — nun stcrb ich gern!

Chorführer. Befiel auch euch dies Weh so süß?

254 Herold.

Du meinst — Versteh ich dich?

Chorführer.

Ob Sehnsucht euch ergriffen Wie uns nach euch.

Herold.

So willst du, scheint es, sagen:

Es sehnte sich das Land nach seinem Heere, Wie dies nach ihm! ?

Chorführer. Gewiß! wir haben oft Geseufzt aus hartbedrängter Brust.

Herold.

Weshalb?

Warum bedrängt? Chorführer

(zurückhaltend).

Wir — haben längst gelernt. Daß unser einzig Mittel — Schweigen ist. Herold.

Wie so? Ihr fürchtet, seit die Fürsten fern, Vor irgend einem andern euch? Chorführer.

Ach ja — Ich sage so wie du — nun sterb ich gern 1 (Während der folgenden Rede de- Herolds tritt Nlytämnestra aus

dem Palaste.)

255 Herold. Za Recht bleibt Recht! In langen Jahren zwar

Tritt manch ein Wechsel ein von Leid und Lust

Wem lächelt stets der Himmel so wie Göttern!

Wenn ich erzählen wollte! Noth und Mühsal,

So lange wir zur See, nur selten Landung Und jämmerliche Rast — doch warum klagen?

So ging's ja täglich! Plackerei und Arbeit!

Und schlimmer als zur See noch war's zu Lande. Das Lager stieß an Troias Mauem an,

Vom Himmel fielen Thau und Regen nieder

Und aus dem feuchten Wiesengrunde stieg Ein Moderdunst empor, so gingen wir In nassen Kleidern stets, mit wilden Haaren. Was sag ich von dem Winter, von dem Schnee,

Den Idas Gipfel schickte, von dem Froste, Vor dem die Vögel aus den Lüften fielen; —

Und was vom Sommer, wenn das Meer sogar In Schlummer träumend sank bei Mittagsglut! Nein, wozu soll ich klagen? Alle Noth

Hat nun ein Ende, selbst für jene, die In ihren Gräbern ruhn und nicht sich wünschen, Daß sie zum zweitenmal lebendig würden. Was nützt dem Lebenden, was draufgegangen

Berechnen und bejammern den Verlust!

Wir wollen uns vergnügen am Gewinne, Denn was als Rest verblieb vom Griechenheere —

Das macht noch immer einen leidlichen Abschluß!

256 Und heimgeflogen über Land und Meer

Rühmen wir uns int Lichte dieses Tages:

»Das Griechenheer, das Troia eingenommen,

Weiht ehrfurchtvoll den Göttcnt Griechenlands

In ihren Tempeln diese Ehrengaben."

Und alle, die das hören, mögen preisen

DaS Heer und seine Führer.

Hochgelobt

Sei Zeus, durch deffen Gnaden alles dies Vollbracht ist worden! — So — nun wißt ihr alles 1

Chorführer. Besiegt von Worten widersprech ich nicht,

Denn Recht zu lernen ist man nie zu alt. Dies aber ist des Hauses und vor allen Hier Klytämnestra's Sorg, ich werde schon

Mein Theil von ihrem Reichthum abbekommen. Llytamnestra. Ich habe längst mein Siegeslied gesungen,

Als mir zu Nacht der erste Bote kam, Mein Flammenherold, welcher Ilions Fall Und Untergang mir meldete.

Da sagten

Gewisse Spötter: „Jrrlichtwahn bethört sie

Zu glauben Troia sei bereits erobert;

Ja Weiberherzen fangen eilig Feuer!" Nun, denen die so sprachen, schien ich thöricht, Und doch befahl ich Opfer darzubringen; Und wie das Weib gewollt, erscholl die Stadt

All überall von Jubelliedern, rings

Entbrannten weihrauchduftend die Altäre Der Götter! Was bedarf es noch des Breitern? Der König selbst wird bald mir alles sagen! Ich eile meinen würdigen Gatten, der Zur Heimath kehrt, aufs beste zu empfangen. Giebt's einen schönem Tag wohl für ein Weib Als den, wo sie dem Manne, den ein Gott Gerettet aus der Schlacht, den Weg bereitet X — So melde meinem Gatten: Sehnlich harre Die Stadt auf ihn, drum mög er eilig komme», Er find in seinem Haus ein Weib, das treu Ihm noch wie sonst, als einst er sie — verlassen, Dies Haus bewache, — hold und zugethan — Dem Feinde — feindlich — so wie längst sie war, Und das ihm alles, was ihm lieb — gewesen, Ganz wie er selbst behütet all die Zeit. Gewiß, von Lust und lästerlichem Umgang Weiß ich soviel wie — von der Lust zu todten! Dies Eigenlob, so voller Wahrheit ganz, — Ist eines edlen Weibes, mein' ich, würdig. (Nlytämneftra kehrt in den Palast zurück.)

Chorführer. Verstehe! Wörtlich trifft, was sie gesagt! Und wie sie sprach, so eben denkt sie auch! — Doch sage, Herold, ist Menelaos, Des Landes theurer Fürst, nicht auch mit euch Gesund und wohlbehalten heimgckehrt? Marbach, Aeschyloi Stogübleit.

258 Herold.

Ich kann nicht lügen, denn die Freude würde Nicht lange dauern. Chorführer. Künde Gutes nur, Was wahr zugleich und dauernd, wenn du kannst.

Herold. Menelaos verschwand vom Griechenheere,

Er selbst und auch sein Schiff.

Ich lüge nicht.

Chorführer. Ist er von Ilion mit euch abgesegelt? Hat unterweges euch der Sturm getrennt?

Herold. So ist's, wie du gesagt. Mit wenig Worten Hast du des Unglücks nur zu viel gesagt. Chorführer. Und habt ihr nicht gehört, was aus ihm ward? Vielleicht von fremden Schiffern?

Herold. Keiner wohl Vermag's zu sagen, als der Eine nur, Der Alles weiß! Chorführer.

Doch wie entstand der Sturm, Den Götterzorn gesandt, und wie verlief er?

259 Herold. Man soll den guten Tag mit böser Mär

Nicht schänden, wenn man gottesfürchtig ist. Den Boten, welcher nichts als Unheil meldet, Der düstern Angesichts von Wunden spricht, Von denen eine alles Volk gettoffen,

Und andre viele Bürger einzeln schlugen,

Der meldet, wie des unheilvollen Krieges

Zweischneidiges Schwert im Heer gewüthet hat, — Den Mann, der so beladen kommt mit Jammer, Soll man der Rachegötttn Herold nennen; — Ich bin ein Freudenbote, der verkündet

Der frohen Stadt: das Leid ist überstanden l Wie mach ich's, daß ich Heil zum Unheil mische,

Wenn ich erzähle von dem grausen Wetter, Das über uns der Groll der Götter schicktet —

Wasser und Feuer tödtlich sonst sich hassend

Hatten zusammen einen Bund geschlossen Das Heer der armen Griechen zu vertilgen.

Bei Nacht empörte sich das grimme Meer, Der Sturm brach los und hetzte Schiff auf Schiff, Daß sie bei Blitz und Donner, Regenguß Und Hagelschlag sich in die Rippen fuhren

Und eins das andre spießt' im tollen Treiben.

Als drauf das Tageslicht durch Wolken brach,

Ta sahn wir rings umher das weite Meer Besät mit Trümmern und mit Griechenleichen.

Uns aber sammt dem unverletzten Kiel,

260

Auf dem wir fuhren, hatte nicht ein Mensch, Vielmehr ein Gott daS Steuerruder lenkend ©errettet ober losgekauft.

Es saß

An Bord das Glück, und wehrte dort den Wogen, Daß sie das Schiff vom Ankerplätze nicht

Ins offne Meer hinauszuschleudern wagten, Noch an des Sttandes Klippen es zerschellten. Gerettet aus des Meeres Höllenschlund,

Obschon am lichten Tage, trauten wir Noch immer nicht dem Glücke ganz und starrten

Ins neue Mißgeschick des jammervollen Und nunmehr ganz zerstteuten Griechenheeres. —

Und lebt noch einer von den andern allen, So sagt von uns er, daß wir umgekommen,

Wie wir von ihm.

Natürlich! — Mögen Alles

Die Götter gnädig wenden.

Und zumeist

Dürfen wir hoffen, daß Menelaos

Ehstens zum Vorschein wieder kommt.

Denn wenn

Ein Sonnenstrahl ihn irgend wo noch schaut, Lebendig noch durch Zeus besondre Gnade, Der seinen Stamm noch nicht auSrotten will,

So dürfen wir der Hoffnung sein, er könne Deremstens noch zur Heimath wiederkehren. —

Was du gehört, das ist die schlichte Wahrheit. (Der Herold verläßt die Bühne, indem er sich in den Palast begiebt.)

Chorgrsang. Wer, Helena, Namen dir

Ahnungvoll gegeben,

261

Hat voraus geschaut, was wir Bebend heut erleben! Vielumstrittne, Schwertesbraut, Schiffender Verderben, Wer dein tödtlich Auge schaut, Muß verzweifelnd sterben.

Aus des Friedens sichrem Port, Aus dem Ehebette Trug ein wilder Sturm dich fort, Hin zur Unglückstatte. Und mit Schild und Schwert und Speer Suchten Jägerleute Deine Spur im weiten Meer Und dich selbst als Beute. Fern an Troias grünem Strand Sind sie ausgestiegen, Um die Stadt von Zorn entbrannt Blutig zu bekriegen.

Zorn der Götter wurde kund: Aus der Unglücksehe, Paris und Helena's Bund, Wuchsen Leid und Wehe. Weil die Troier unbedacht Hochzeitlieder sangen, Ist mit ihnen Göttermacht Ins Gericht gegangen.

262

Zeus, der jeden Frevel sieht, Hat sie so geschlagen, Daß ihr fteches Jubellied Schließt mit Schrei'n und Klagen.

Pn'am's alte Feste hallt Laut von Jammer wieder. Ruft auf Paris Ehe bald Schmach und Fluch hernieder.

Ach, der Bürger rothes Blut Fließt dahin in Bächen, Eh der Zorn der Götter ruht Schrecklich sich zu rächen! * * *

Es hatt' ein Mann den jungen Leu Der Mutterbrust entrissen Und pflegte sein im Hause treu Auf seidnen Ruhekissen. Der wuchs heran zu lauter Lust Den Alten wie den Jungen Und kam an eines jeden Brust, Der rief, herangesprungen.

Er wedelt, schmiegt sich schmeichelnd an, Blickt lüstern nach den Händen, Die mit ihm spielend dann und wann Ihm leckre Bissen spenden. —

263

Der junge Welf — er ward ein Len, Da brach heraus sein Wesen: Er hat sich sonder Furcht und Scheu Sein Fntter selbst erlesen. Die Herden fiel er an bei Nacht Blutgierig und verwegen, Bis daß er alles umgebracht, Des Hauses ganzen Segen.

Der ihn erzogen, jener Mann, Sah da mit Schreck und Grausen Den Leu, dem selbst er kaum entrann, Als Unthier blutig hausen! *

*

*

Helena kam gen Troia mild, Des glatten Meeres Ebenbild, Die tiefen Augen leuchten Dem Spiegel gleich dem feuchten; Die süßen Lippen wogen Von Lächeln hold umzogen Und thun den Schatz von Liebe kund, Der ruht auf ihres Herzens Grund. Doch plötzlich war sie wunderbar, Schrecklich verwandelt ganz und gar: Dem Hochzeitfest behende Macht sie ein gräßlich Ende. Zum Hautz der Priamiden

264

Treibt sie hinaus den Frieden; — Entsetzt erkennet, wer sie schaut, Den Rachegott — die Thränenbraut!

*

*

*

Es ist ein alt gepriesen Wort, Das erbt von Mnnd zu Munde fort: „Des Glückes Blütensegen Trägt Früchte allerwegen; Reichthum gelangt zu Jahren Erzeuget Kinderschaaren: Des Reichthums Kind ist bittre Noth, Des Glückes Frucht ist herber Tod!"

So aber steht es sicher nicht; Ein andrer Spruch die Wahrheit spricht: „Der Menschen böse Thaten Zum Fluche stets gerathen; Verbrechen zeugt Verbrechen, Eins muß das andre rächen; Doch eines frommen Mannes Stamm Trägt Kindersegen wundersam." * * ♦^ Die Sünde zeugt die Sünde, Die Mutter lebt im Kinde, So mehrt der Sünden frech Geschlecht Von Jahr zu Jahr sich ungeschwächt, Und spinnt ein Netz ums Haus umher,

265

Das ist so schwarz, so dicht und schwer, Daß nie der Sünder es zerreißt, Erscheint zuletzt der Rachegeist.

Die Tugend allerwegen Kehrt ein mit ihrem Segen In frommen Mannes stilles Haus. Sie fliehet zum Palast hinaus, In dem die freche Sünde haust, Vor deren falschem Prunk ihr graust; Sie giebt von ihrem Glück und Heil Jedwedem sein verdientes Theil. Agamemnon im Wagen, neben ihm Kassandra (als Priesterin des Apollon geschmückt mit Stab und Kranz),

vor und hinter dem Wagen Krieger und

eine Schaar krieg-gesangener troischer Frauen, erscheinen aus der Bühne.

Der Chor der Greise (Marschlied). Sei gegrüßt uns, o König, der Troia bezwang, Dir jubelt entgegen der feurigste Danki Nur was dir gebühret, das bringen wir dar, Und wir sagen nicht mehr und nicht minder als wahr, Denn wir hassen den Schein und die Lüge! Wohl mancher beklaget des Leidenden Schmerz Und doch schlägt ihm im Busen kein fühlendes Herz; Wohl mancher entgegen dem Glücklichen lacht, Der den Plan ihn zu stürzen schon längst sich erdacht; — Schau zu, daß dich keiner betrüge! Als du zogest zum Kriege Helena zu lieb, Da hab ich gewagt, wie die Seele mich trieb,

266 Dich zu tadeln, weil, ohne daß drängte die Noth, Du dich stürztest entgegen dem dräuenden Tod, Ja dich selbst und die reisigen Krieger! Laut jauchzend aus tiefster, aus treuester Brust,

So empfang ich dich heute des Sieges bewußt! Du, prüfe die Herzen, wie jedes gesinnt,

Und behüte vor dem dich, der Ränke dir spinnt,

Der begehrt zu besiegen den Sieger! (ter Wagen hält auf der Mitte der Bühne still; die Begleiter des Agamemnon

haben sich ring- umher gruppirt.)

Agamemnon

(vom Wagen aus>.

Zuerst begrüß ich Ärgos, wie sich ziemt,

Und all die Götter, die zur Wiederkehr Mir halfen und zu meinem Rechte, das

Von Pnams Stadt ich heischte.

Nicht durch Worte

Ward dieser Streit von ihnen beigelegt;

Sie stimmten förmlich ab und alle warfen Die blutig ernsten Todeslose Troias In der Verdammniß Urne; nur die Hoffnung

Erhob die Hände bei der andern Schaale Und fleht' um Gnade — doch es war vergebens. Nichts ist von Troia noch zu sehn als Qualm;

Nur des Verderbens Stürme brausen noch Und fachen an den Brand, der noch sich nährt

Vom letzten Rest des Reichthums dieser Stadt, Der niedersinkt ins Grab — in Glut und Asche. Den Göttern Dank, die gnädig uns da? Wild,

Das wir verfolgt, in unsre Schlingen trieben!

267 Um eines Weibes Willen ward die Stadt Zertreten! — Die Pleiäden gingen nieder,

Da warf das Roß sein Füllen: der Atreiden Verwegnes Heer — ein beutegieriger Leu —

Mit einem Satze war's in Trojas Mauern

Und leckte satt sich an Tyrannenblut! — Den Göttern also dank ich, wie gesagt; Was euch und euren Willkommgrub betrifft,

So bleib ich sein und eurer eingedenk —

Und sag dazu von ganzem Herzen: Ja! Nur wenige Menschen sind von edler Art,

Datz sie den Freund im Glücke nicht beneiden; Und wem der Mißgunst Gist im Herzen brennt,

Der krankt an einem Leid, das doppelt quält: Gr trägt an seinen eignen Wunden schwer

Und stöhnt beim Anblick von des andenr Heil. Ich sage, was ich weiß: ein Spiegelbild, Ein Schatten an der Wand, nichts weiter war

Bei Licht betrachtet all die Lieb und Huld,

Die mir vor Troia vorgeheuchelt ward. Nun: alles was die Stadt und was die Götter Betrifft, das wollen nächstens wir berathen.

Was sich als gut bewährt, das müssen wir Der Zukunft dauemd zu bewahren streben;

Doch wo Gebrechen sich und Krankheit zeigt, Da müssen wir mit Schneiden und mit Brennen Wohlmeinend helfen und zu heilen suchen.

Doch jetzt mein Haus bettetend will am Herde

268 Zuerst die Götter ich begrüßen, die Mich fortgeschickt und heimgeleitet haben; Sieg sei wie jetzt für immer mein Begleiter! (Indem Agamemnon sich anschickt von dem Wagen zu steigen, tritt rasch aus dem Palaste KlytLmnestra mit ihren Frauen.)

Llytamnestra. Mitbürger, edle Männer, vor euch allen Bekenn ich ohn Erröthen, daß die Liebe Mein Herz beherrscht, denn mit der Zeit verwelkt

Verschämte Sittsamkeit. Ich rede nicht Von andrem; einzig, was ich selbst erlebt, Will ich erzählen: wie ich elend lebte,'. So lang als dieser dort vor Ilion war. Schon daß ein Weib allein, getrennt vom Manne Im Hause sitzt, das ist ein großes Leid! Gerüchte hört sie, die sich widersprechen. Jetzt heißt's: er komme, jetzt: er bringe mit Was schlimmer ist als schlimm — so heißt's im Hause. Ja hätte dieser Mann so viele Wunden, Als man erzählt, er wäre wie ein Netz Durchlöchert; wär' so oft er umgekommen, Als man gesagt: ein dreigel^ibter Riese, Ein zweiter Geryön der Oberwelt — Denn von der Unterwelt will gern ich schweigen — Müßt' er bereits im dritten Leibe wandeln, Nachdem er zweie sterbend schon gewechselt.

Ha, mehr als einmal hab ich in Verzweiflung Bei solcher Botschaft Hand an mich gelegt,

269 Und hätt's vollendet, kam man nicht dazu. —

Drum — Agamemnon, — fehlt auch heut dein Sohn;

Er sollt' als unsrer Ehe theurer Sprößling

An meiner Seite stehn!

Sei unbesorgt:

Ströphios in Phokis, dein treuer Freund,

Erzieht ihn uns.

Er machte mich bedenklich,

WaS werden könnte, wenn vor Troia du

Erlägst und hier das Volk im wilden Aufnrhr Den Rath von Ärgos stürzte, denn es sei

Der Menschen angeborne Weise stets Gestürzte tiefer noch hinabzudrängen; —

So hab ich denn aus Vorsicht ihn entfernt. Mir ist der Thränen Quelle längst versiegt; Vom vielen Wachen ist mein Auge stumpf,

Nachdem sein Licht in Thränen unterging.

Du wußtest nichts von aller meiner Qual, Mich aber weckte, wenn ich träumend lag, Ter Flügelschlag der Mücke, daß empor

Ich ängstlich fuhr: ich hatte mehr gesehn

Von deinem Leid, als jene kurze Stunde, Die ich geschlummert, selbst umfassen konnte.

Jetzt, da ich alles dies erduldet habe, Möcht' ich den Mann begrüßen frohen Sinnes

Als Hüter dieser Schwell', als rettend Tau Des Schiffs, als hohen Daches Strebepfeiler

Als eines Vaters einzig Kind, als Land, Das Schiffern unverhofft vor Augen liegt, Als frischen Quell des wegemüden Wandrers!

270 Es ist so süß der Noth entfloh« zu sein,

Drum überhäuf ich dich mit solchen Grüßen. Neid bleibe fern, wir haben Leid genug

Zuvor ertragen! — Jetzt, o theures Haupt,

Geruh herabzusteigen; doch dein Fuß, Der Ilion zertreten, Herr, soll nicht

Gemeinen Staub berühren.

Mägde, kommt

Und überdeckt den Weg, wie ich befohlen, Mit Purpurdecken für den Unverhofften! Und ihm zur Seite geh — Gerechtigkeit!

Was sonst noch übrig, wird nach Recht und Pflicht Geschehn, wie ich's in schlummerlosen Nächten

Mir ausgesonnen, — mit der Götter Beistand! (Sklavinnen breiten Purpurdecken auf den Weg vom Wagen bis ;ur Thür des Palastes.)

Agamemnon.

O Tochter Leda's, die mein Haus behütet, Es zog sich deine Rede, sowie meine Abwesenheit, gewaltig in die Länge!

Und soll ein Lob zu guter Stunde tönen, Muß fremder Mund als Ehrenpreis es bringen. Und überdieß — du sollst mich nicht verzärteln,

Als ob ein Weib ich wäre, sollst mir nicht, Wie bei Barbaren Sitte, knechtisch nahn

Und huldigend vor mir im Staub ersterben; Noch mache mir den Weg beneidenswerth

Mit Ehren, die den Göttern nur gebühren. Ich, der ich nur ein sterblich Wesen bin,

271 Kann ohne Furcht nicht gehn auf Purpurdecken; Man soll als Mensch mich ehren, nicht als Gott! Auch ohne Teppich, ohne Prachtgewand Kann man gepriesen sein; die beste Gabe Der Gottheit ist: nicht bösen Sinn zu hegen. Und glücklich ist zu preisen, wer sein Leben In freundlichem Behagen schließen mag; Gelang' mir das, ich wäre Wohlgemuth.

Llytämnestra.

O sprich nicht so, als wär' ich andrer Meinung.

Agamemnon.

Und diese Meinung wisse, läßt mich nicht Zu Gnmde gehn. Ltytamnestra.

So thatst du ein Gelübde Den Göttern so zu handeln, weil du fürchtest Daß irgend wer — Agamemnon. Ich weiß am besten wohl, Weßhalb ich will, was ich gesagt.

ülytamnejlra.

Bedenke: Was hätte Priamos gethan, wenn er Den Sieg errungen?

Agamemnon. Ei gewiß: er wäre Auf Purpurdecken stolz einhergeschritten.

272

Llytamncstra. So scheu auch du der Menschen Lästern nicht. Agamemnon. Des Voltes Stimme ist der Götter Stimme. Llytärnnestra. Wer keinen Neider hat, dem fehlt's an Gluck. Agamemnon. Gi, Weiber sollen streiten nicht. Llytärnnestra. Doch soll Ter Glückliche sich gern besiegen lassen. Agamemnon. Drum wirst auch du dich gern besiegt bekennen In diesem Streite. Llytärnnestra. Gieb nur nach und gönne Freiwillig mir den Sieg. Agamemnon. Nun, wie du willst. — Komm einer her und löse mir die Sohlen, Die meiner Füße Diener sind; sie dürfen Die Prachtgewander nicht berühren, daß Die Götter nicht aus ihrem Himmel droben Mit neidischen Blicken auf mich niederschaun. Mir ist als bracht' ich mich um Haus und Hof, Indem ich schwer bezahlter Decken Reichthum

273 Mit Füßen trete.

Doch genug davon! —

Die Fremde hier empfange mUd und fteundlich;

Die Gottheit schaut mit Wohlgefallen nieder Auf einen milden Herrn, denn Niemand fügt Freiwillig sich und gem dem Sklavenjoche.

Sie ward aus vielen Schätzen als ein Kleinod Erlesen und vom Heere mir geschenkt. — Da ich vor deinem Willen mich gebeugt, So geh ich denn ins Haus auf Purpur tretend. (6r steigt vom Wagen herab.)

Llytämncstra.

Noch giebt's ein Meer — ein unerschöpflich Meer, Das Purpurschnecken nährt in reicher Fülle Kostbar zu färben stolze Prachtgewande; Und, Dank den Göttem! Herr, dein Haus ist reich An ihnen und den Mangel kennt es nicht! —

Gar viele Prachtgewänder hätt' ich gern Gelobt und zum Zertreten Preis gegeben Um ein geliebtes Leben loszukaufen, Wenn mir Orakel das gerathen hätten. Denn wenn die Wurzel lebt, so grünt das Haus Und Laub beschützt es vor der Sonne Brand. Und deine Wiederkehr zum Herd des Hauses Bedeutet warmen Sonnenschein im Winter.

Und kocht in herber Traube Zeus den Wein, So weht im Hause gleich ein kühler Hauch, Sobald der Mann vollendend es betritt. — Marbach,

AeschyloS Tragödien.

274 Vollender Zeus, vollende mein Gebet,

Dein ist die Macht und was du willst — vollende! (Agamemnon ist in bi3 HruS getreten, Algtfimn estra folgt ihm, das Gefolge entfernt sich. Nur St affandra bleibt auf dem Wagen zurück, und der Chor in der Orchestra.)

Shorgesang. Immer flattert mir im Stillen

Um die Seele dieses Bild Geisterhaft, und wider Willen

Tönt mein Lied prophetisch wild.

Thron* im Herzen doch als Richter,

Kühner ftischer Lebensmuth, Bann* hinweg die Traumgestchter,

Blinder Rache düstre Brutl

Langst vorüber sind die Zeiten, Wo das Heer am Heimathstrand

Über*s weite Meer zu gleiten

Einst die Segel ausgespannt. Meine eignen Augen schauen,

Wie zur Heimath kehrt das Heer,

Dennoch singt ein Lied voll Grauen

Meine Seele ahnungschwer. Rache, Rachel hör ich's schallen Und die Hoffnung fliehet bang;

Weh! und nicht vergebens hallen Hört das Herz den wilden Klang.

275

Ach ich wollte, all mein Schwanen Wär als eitel Trug enchM, Und der Seele düstres Ahnen Bliebe ewig unerfüllt!

Tief in des Lebens üppiger Blüte Birgt sich des Todes ftesiender Wurm; Ob sie noch gestern jugendlich glühte, Heut schon entblättert raubt sie der Sturm.

Über die klaren spiegelnden Wellen Gleitet behende segelnd das Schiff: Aber das Schicksal wird es zerschellen — Unter den Wogen lauert das Riff. Schleudert, ihr Schiffer, köstliche Waaren Muthig entschlossen über den Bord! Hofft zu entrinnen Todesgefahren, Treiben die Wogen rettend errch fort!

Zeus mit den reichen segnenden Händen Kann euch entreißen jeglicher Noth: Reichliche Ernten kann er euch spenden Und es verschwinden Hunger und Tod. Aber wenn einmal sterbliches Leben Niederzuwerfen blutig gelang, Wird es vom Staube wieder erheben Nimmer aufs neue Zaubergesang.

276 Den der verstanden Todte zu wecken, Eitte der ewige Zeus mit dem Blitz

Selber im Tode niederzustrecken, Well Er verachtet Sterblicher Witz! Götter vertheilen Wonnen und Schmerzen,

Jeglichem geben Maaß sie und Ziel;

Drum muß die Zunge scheu sich im Herzen Bergen, daß nicht sie künde zuviel.

Schatten des Todes rings mich verhüllen Ahnend der Zukunft Schreckensgebild!

Wie wird Verhangniß noch sich erfüllen? Innen im Herzen lodert es wild! Nlytämnestra tritt auS dem Palaste.

Llytämuestra. Tritt ein, auch du! ich meine dich, Kassändra!

Da Zeus dich einmal so begnadigt hat, Daß du am Tische dieses Hauses sitzen

Und seinem Herde nahen darfft, wie alle Die vielen andern Sklaven, steige nun Herab vom Wagen! Sei nicht übermüthig!

Hat, wie man sagt, doch auch Alkmenes Sohn Dereinst verkauft der lknechtschaft Los getragen. Wem aber dieses Los befchieden ist,

Der hat von Glück zu sagen, führt man ihn Zu einem Herm, der reich von Alters her.

Wer seinen Reichthum auf der Straße fand,

277 Ist seinen Sclaven stets ein harter Herr; Bei uns erhältst du alles, was dir zukommt.

Chorführer

(zu Aaffandra).

Was dich erwartet, ward dir klar gesagt. Und da du einmal nun ins Netz gerathen, So thust du wohl zu folgen; — willst du nicht? Llytamueftra. Wenn sie nur zwitschern wie die Schwalbe kann, Und nichts versteht als nur Barbarenlaute: So will ich eine Sprache mit ihr reden,

Die ohne Zweifel sie verstehen wird. Chorführer

(ZU Aassandra).

Du kannst nichts bessres thun als was sie will. Gehorche. Steig herab von deinem Sitze!

Llytamnestra.

4ch habe keine Zeit mich vor der Thür Herum zu treiben. An dem Hausaltare Eteht vor dem Feuer schon das Opferthier. Das giebt ein Fest, wie nimmer wir gehofft! Ko zögre denn nicht länger, wenn's gefällig. Doch wenn zu dumm du bist mich zu verstehn, Dann rede wie die Wilden mit den Händen. (Kassandra verneint durch Zeichen des Widerwillens.)

Chorführer (zu Klytämnestra).

Mn muß der Fremden, scheint es, deine Worte

Noch erst verständlich machen. Sie geberdet Sich wie ein eben eingefangnes Wild.

278 Llytamucftra.

Nein, rasend ist sie, voller Trotz und Bosheit. Sie kommt aus einer Stadt, die wir vor Kurzem Erobert, und sie hat noch nicht gelernt Den Zaum zu tragen, doch das wird sich geben, Wenn blutigen Schaum sie ausgegeifert hat. — Ich halt' es unter Würde mehr zu sagen. (Älgtfimneftra kehrt in den Palast zurück.

In dem folgenden Gespräche

sprechen die einzelnen Personen deS Chor- abwechselnd mit Kassandra.)

Chorführer.

Ich zürne nicht; ich habe Mitgefühl! — Steig nieder von dem Wagen, armes Weib: Der Noth gehorchend füge dich dem Zügel! Lassan-ra

(im Herabsteigen vom Wagen).

Apöllon! Apollon! Chorführer.

Was rufst in deinem Jammer du Apöllon? Er ist kein Gott, zu dem man klagend nist üassandra. Apöllon! Apöllon! Chorführer.

Wenn diesen Gott du rufst, beschimpfst du ihn! Er hat mit Klag und Jammer nichts zu thun! LassanLra.

Apöllon! Apöllon! Verderber ist dein Name! Zum zweitenmale willst du mich verderben!

279 Erster Lhorrut.

Sie fleht den Gott um Rath in ihrer Noth: Auch einem armen Sclaven Hilst die Gottheit!

Lassandra. Apollon! Apollon! Verderber ist dein Name!

Wo führest du mich hin? in welches Haus?

Zweiter Lhorrut. Zum Hause der Atreiden! Kennst du's nicht, So will ich's schildern, wie du'S finden wirst.

Lassandra.

Ein Gräuel ist's den Göttern! Mördergrube! Dolch! Strick und Schlachtbank! blutbefleckter Boden!

Dritter Lhorrut. Das ftemde Weib — so spürt der Hund des Jägers Und geht der Fährte nach — sie wittert Mord! L a s s a n d r a.

Ja wohl — ich habe sie — die Fährte — da! Die Kinder — wie sie schrei'n — nun sind sie todt — Geschlachtet — und gebraten — und verzehrt — Von ihrem eignen Vater!

Vierter Lhorrut.

Wir hörten wohl von deinem Seherrufe, Doch wir begehren nach Propheten nickt 1

280 Lassaud ra.

Ha! Wehe! Wehe! Was wird dort gebraut?

Welch neues Herzeleid? So groß! So groß! In diesem Hause! Unerträglich allen Den Seinen! Nie zu heilen! Nie zu sühnen! Und Hülfe steht so fern! Fünfter Lhorevt. Was jetzt sie prophezeit, versteh ich nicht; Das erste kenn ich — alle Welt ja weiß es!

Lassaudra.

Ha, unglückselig Weib! du thust es wirklich? Den Gatten, den in deinen Armen du Noch eben hieltst, den du gesalbt, gebadet, Den — mir versagt das Wort in meinem Munde! Doch bald, so ist's geschehn! Schon streckt die Hand Sie aus — die Hand greift zu! Sechster Lhoreut.

Ich weiß nicht, was sie will! Aus jenen Räthseln Vermag ich diese Sprüche nicht zu deuten. Lassandra.

Ha! Ha! O gräßlich! gräßlich! Was erblickt Mein Auge dort? des Todes Fangneh? Nein! Der eignen Ehgenoffin Jägergarn, Das ihr beim Morde hilft! Nun jauchzet laut, Ihr Nimmersatten Rachegeister, jauchzt! Das Opfer wird beschickt!

281 Siebenter Lhoreut.

Ha, welche Rachegeister rufst du da Herbei zu jubeln! Schaudernd hör' ich dich Achter Shorevt. Zum Herzen strömt erblassend mir das Blut, Wie wenn Gefallner Auge sterbend bricht! Es schreitet das Verhängniß schnell. Lassanbra.

Ah! Ah! Sieh da I Doch vor der Kuh! Umstrickt die starken Sie schlägt! — Er

Sieh da! Beschützt den Stier — Sie fängt ihn im Gewände, Glieder listig ihm! — taumelt! — sinkt zurück ins Bad!

Zns mordgetränkte Bad! Üeunter Lhoreat.

Scharfsinnig deuten die Orakelsprüche, Das kann ich nicht; doch ahn' ich böse That! Zehnter Lhoreat. Wann künden Seher Gutes je den Menschen? Zie machen Menschenherz in Furcht erbeben, Doch ihrer dunklen Sprüche wahre Deutung Bringt die Erfüllung erst.

Lassanbra.

Weh über mich und mein erbärmlich Los! Mein eignes Leid ist eingewebt in seines! Was hast du mich hierher geführt, mich Ärmste, Zu theilen deinen Tod?!

282 elfter Lhoreut. Beseffnes Weib! was klagst du sinnverwirrt Dein eignes Schicksal gleich der Nachtigall, Die täglich ihre Klagelieder singt,

Ihr nimmer endend Weh!

Lassav-ra. O nein! O nein! Glückselige Nachtigall, Du singst ein Freudenlied! Die Götter gaben Dir Schwingen und ein Leben voller Wonne!

Mein aber harrt das zwiegeschliffne Beil, Das meinen Leib zerstückt!

Zwölfter Lhoreut. Warum ergreift dich ahnungvoller Wahn

Begeisterungtrunken, daß du Jammerlaute Ausschreist im wilden Schmerz? Gespenster siehst du! Wo kommen sie dir her?

Lassandra. Wehe der Ehe! Päris Todesehe! — Fluß Skämandros! im süßen Vaterlande, Das du durchsttömst, verlebt' ich meiner Jugend

So blütenreiche Tage — ach, ich Ärmste!

Nun sing ich bald am Kökytos mein Lied In ewiger Finsterniß.

Erster Lhoreut. Nur zu verständlich klagst du nun dein Weh: Ein Kind begreist's! Und mir durchbohrt's das Herz,

283 Wenn ich dein Schicksal dich bejammern höre: Verwundert hör ich zu. Lassaudra. Wehe der Stadt geweiht dem Untergange! Vergebens brachte Schaaren weißer Lämmer

Der fromme Vater dar um sie zu retten. Das Opferblut — es floß umsonst! Sie fiel! Und mich verschlingt die Nacht! Zweiter Choreut.

Ha! deine Reden hangen wunderbar Zusammen! Welcher Rachegeist beherrscht

Dich allgewaltig, lenket deine Zunge, Daß du dies Todtenlied dir gräßlich singst?

Und rathlos steh ich da!

Lassaudra. Nicht länger wie die Braut am Hochzeittage

Blickt unter Schleiern vor der Seherspnlch;

Er braust daher im Sturm gen Sonnenaufgang, So daß zum Himmel auf die Woge bäumt,

Viel höher als mein eignes Unglück hier.

Nicht mehr in Räthseln sprech ich, selber sollt Ihr Zeugen sein, daß längst verübter Gräuel Blutspur ich folgen werde Schritt für Schritt. — In diesem Hause haust für alle Zeiten

Ein Sängerchor, der Lieder singt, einstimmig,

Doch ohne Wohllaut, denn sie tönen Fluch! Die Rachegötter halten hier Gelag

284 Und sitzen fest von Menschenblute trunken In diesem Hause, dem sie stammverwandt. Und Niemand treibt sie fort. Ein gräßlich Lied

Stimmt an der Chor von erster Freveltzat, Und flucht dem Manne, der des Bruders Bett Geschändet hat und den die Rache traf. — Hab ich verfehlt mein Ziel? Hab ich's getroffen? Und bin ich Lügenhexe? Gauklerin? Wo nicht, so schwöret, daß ich klar erkannt

Die alte Blutschuld dieses Hauses hier! Dritter Thoreot.

Was hülfe solch ein Schwur; er würde doch Das Übel nimmer bannen. — Doch ich staune, Daß du, die über Meer daher gekommen, Von dieser Stadt hier sprichst, als ob du selbst

Zugegen wärst gewesen. Lassandra. Von Apollon, Dem Seherfürsten, ward ich einst geweiht.

Vierter Lhoreut.

So fand an dir der Gott einst Wohlgefallen? LassauLra.

Sonst wehrte mir die Scham es zu gestehn. /ünftrr Lhoreut.

Das Glück macht übermüthig.

285 LassauLra. Liebe athmend

Warb er um mich. Sechster Lhoreut.

Und wurdest du sein Weib? Lassau-ra. Ich hatt' es ihm versprochen und betrog ihn. —

Siebenter Lhorent. Nachdem er dir verliehn die Sehergabe?

Lassau-ra. Ich hatte meiner Vaterstadt Verderben

Bereits geweissagt. Achter Lhoreut.

Ließ der Zom des Gottes

Dich ungestraft? Lassau-ra.

Seitdem ich dies verbrochen, Hat Niemand Glauben mir geschenkt. Neunter Lhoreut.

Doch uns Scheint alles glaublich, was du vorgebracht. Lassau-ra.

Weh über Wehe! Schauderhaft! — Aufs neue reißt und wirbelt mich empor Begeisterungqual! — Welch fürchterliches Vorspiel! —

286 Seht — vor der Thüre dort — da sitzen sie —

Die Kleinen — wie die Schatten — bleich und stumm — Zwei Shmben — sehen sie nicht aus, als hätte

Sie ihres Vaters Bruder umgebracht? — Sie halten Fleisch in ihren kleinen Handen: Ihr eignes Fleisch — ihr Herz — ihr Eingeweide —

Davon gegessen hat — ihr eigner Vater! — Doch — höret, was ich sage! — alles das,

Es wird gerochen werden! Wißt: es lauert Ein Tiger, der sich feig ins Bett verkrochen, Der stürzt auf meinen Herrn, sobald er kommt. Auf meinen Herrn, — denn seine Sclavin bin ich. —

Seekönig! du! Zerstörer Ilions! Du ahnest nicht das Schicksal, das die Hündin, Die dich beleckt mit frecher Zunge, dir

Bereitet hat! du gehst in dein Verhängniß!

Sie wagt's! Das Weib vergießt das Blut des Gatten!

Welch Ungeheuer leiht ihr seinen Namen? Du Krokodil! du Skylla, Tod der Schiffer

In Klippen lauernd! Du des Todes Mutter, Die Opfer schlachtet, die Verrath und Mord

Blutgierig schnaubt! Wie du gejubelt hast, Du Überfreche, wie im Siegestaumel

Der Schlacht, als Freude du geheuchelt hast Bei deines Gatten Wiederkehr und Rettung! — Und ob mir Niemand glaubt — mir gilt es gleich;

Es kommt zu Tage! Bald erblickt ihr'6 selbst,

Und nennt mich schluchzend Seherin der Wahrheit!

287 Behüter Lhsreut. Schaudernd erkannt' ich des ThyesteS Mahl Von seiner Kinder Fleisch; und Furcht ergreift mich Bei dem, was wahr und unzweideutig du Gesagt; das andre alles, was ich hörte, Raubt mir das Gleichgewicht, so daß mich schwindelt. Lassandra.

Ich künde dir den Tod des — Agamemnon. Elfter Ehoreul.

Unglücklich Weibl Das Gott verhüte! Schweig!

Lassaudra. Kein Heiland kommt und nimmt dies Wort zurück. Zwölfter Ehoreul. Sobald's erfüllt! doch nimmer soll's geschehn! Lassaudra.

Du betest hier — die drinnen aber — morden!

Erster Ehoreul. Wie heißt der Mann, der das sich unterfinge?

Lassa ndra. Was ich geweissagt, hast du schlecht verstanden. Zweiter Ehoreul. Wie heißt der Thater?

Lassaudra. Sprach ich griechisch nicht?

Zch dächte doch!

288 Dritter Lhorcut.

Du sprachst Orakelsprüche, Die, ob sie griechisch lauten, schwer zu deuten.

LassauLra.

Ahl Ah! Es brennt! Es überläuft mich! — Apüllon! Weh! Auch ich! auch ich! auch ich!

Ha, die zweibeinige Löwin, die beim Wolfe Gelegen, während fern der edle Leu, Wird mich ermorden auch, mich Unglückselige! Den Becher mischend fügt zum Haß auf ihn Sie noch den Groll um mich, und während sie Zum Mord das Messer wetzt, so prahlt sie laut:

Er sterbe, well er mich daher gebracht. — Was trag ich diesen Schmuck noch mir zum Hohne, Den Seherstab und um die Stirn die Kränze?! Zerbrich, bevor ich sterbe! — Fort mit euch! Verwelkt! — ich folg euch nach! — Geht hin und macht Ein andres Weib statt meiner reich an Fluch! — Sieh da, Apollon, selber ziehst du nun Mein Priesterkleid mir aus! Du ließest einst Mit Wohlgefallen deine Augen ruhn Auf mir in diesem Schmuck, in dem die Meinen

Mir feindlich abgeneigt mit Spott und Hohn So bitter mich gekränkt. Ich, Phoibos Braut, Ich ward mißhandelt wie die feile Hexe, Die elend betteln geht und Hungers stirbt! Jetzt treibst du, Seher, mich, die Seherin,

Die selber du erkorst, in Todesnoth! Statt des Altars im Vaterlande harrt Die Schlachtbank mein, die bald mein heißes Blut Purpurroth färben wird. — Wir sterben! doch die Götter rächen uns! Ja, wieder kommt ein Racher, unser Rächer! Ein irrer Flüchtling kommt zu diesem Land Er einst und krönt durch seine Schreckensthat Aller der Seinen gräßliche Verbrechen! Durch Götterschwur beschlossen ist's: ihn führt Des Vaters sterbend Händeringen heim!----Doch warum jammr' ich hier vor diesem Hause? Ich habe Ilion fallen sehn, wie's fiel, Ich habe seine Bürger sterben sehn, Wie Götter es verhängt; — es sei, ich geh! Ich will den Tod ertragen.----Psorten des Hades, euch begrüß ich jetzt: Ich fleh um nichts als um ein rasches Ende, So daß, indeß mein Blut zur Erde rinnt, Mein Auge, ohne daß ich zucke, bricht! Vierter Lhoreut. BejammernSwetthe! So bejammernswerth Als weisheitvoll: Du sprachest lange; doch Weßwegen eilst du jetzt, da du dein Los Dor Augen siehst, dem Opferthiere gleich Von einem Gott getrieben zum Mtare? üassandra. Ich habe keinen Anspruch mehr auf Zeit. Marbach, SleschyloS Tragödien.

290

Fünfter Lhoreot. Doch wer zuletzt erscheint, hat Zeit gewonnen. La ssan-ra.

Die Stund' ist da, ich kann ihr nicht entfliehn.

Sechster Lhoreut. ES führt dein kühner Muth ins Elend dich. Lassandra.

Rühmlich zu sterben ist des Menschen Vorzug. Siebenter Lhoreut.

Wer glücklich ist, versteht dich sicher nicht. Lassand ra (ist während der letzten Verse dem Palaste näher getreten, jetzt bleibt sie

plötzlich stehn und wendet sich schaudernd ab).

Hut Vater! Kinder meines Vaters! Hu! Achter Lhoreot.

Was hast du? Was befällt dich? Welches Grauen? LassanLra.

Weh! Weh! Neunter Lhoreut. Was soll dein Weheruf? wovor erbebst du? Lassanbra. Dies Haus — es athmet Blut und Mord!

Zehnter Lhoreut. Was willst du? Von den Altaren duftet Räucherwerk!

291__

LassaaLr a. Es riecht — so ähnlich — wie's aus Grabern dunstet! Elfter Ehoreut. Das wär' ein schlechter Schmuck des Könighauses! La ssan-ra. Und doch! — Ich geh hinein! — und drinnen will Ich mein und Agamemnons Los bejammern. Ich hab genug gelebt! — Ihr fremden Männer, Ich bin kein scheuer Vogel, der den Wald Umflattert mit Geschrei, das nichts bedeutet; Wann todt ich bin, so tretet auf als Zeugen, — Sobald ein Weib für mich, das Weib, einst stirbt, Und für den Mann ein Mann verrathen fällt! — Das sei das Gastgeschenk der Sterbenden! Iwölster Ehoreut. Mich jammert, Ärmste, dein geweissagt Los. Lassaadra. Nur noch ein Wort; — doch keine Klage weiter. — Dich fleh ich, Sonnengott, beim letzten Sttahle, Der mich bescheint: erwecke mir den Rächer, Der meine Mörder straft, die mich, die Sclavin Mit leichter Mühe schlachten.---------Wie jämmerlich ist dieses Menschenleben; Sein Glück ist nichts als nur ein Schattenriß; Sein Unglück aber gleicht dem nassen Schwamme, Der schnell das ganze Bild vertilgt. — Das ist Beklagenswerther als mein Einzelweh! (Kassandra schreitet rasch entschlossen in den Palast.)

292

Lhorgesaug. Unersättlich an Glück sind die Sterblichen all. Und vom Hause sogar, das von Reichthum strotzt, Das mit Fingern man zeigt, treibt keiner das Glück: Geh hin und besuche die Armen. Agamemnon kehrt von den Göttern geehrt Und als Sieger geschmückt, vor dem Ilion fiel, Zu der Heimath heim; und nun soll er die Schuld Abbüßen, die einst in vergangener Zeit Von den Vatern gehäuft, Tod leidend um Tod, Um zu sühnen die Sünden der Todten!

Wer kann auf das Glück von den Menschen noch baun, Der hört was wir eben vemommen!

Agamemnon (Stimme aus dem Innern des Palastes). Weh mir! Ich bin verwundet! Hilfe! Mörder! Chorführer. Schweigt! Wer erhob den Klageruf dadrinnen?

Agamemnon (wie zuvor). Wch mir! Zum zweitenmal! Ich bin des Todes Chorführer. Der König! Es geschah! Was nun beginnen? Erster Choreut. Ich meine: ruft die Bürger schnell herbei!

Zweiter Choreut. Nein! laßt hinein uns springen! zückt die Schwerter!

293 Dritter Lhoreut. So sag auch ich! gehandelt ohne Zögern!

Vierter Lhoreut. Das Vorspiel ist's zur Tyrannei der Stadt! Fünfter Lhoreut.

Wir zögem noch! Die greifen zu! Sechster Lhoreut. Unschlüssig mein' ich: guter Rath kommt nach.

Siebeuter Lhoreut. Ja wohl! Die Todten lassen nicht sich wecken!

Ächter Lhoreut. Sind wir zu feig das Königthum zu retten?

Neunter Lhoreut. Nein! frisch gewagt! Viel lieber todt, als Knecht!

Sehuter Lhoreut. Der Mann ist todt — das läßt sich prophezei'n.

Lister Lhoreut. Noch sehen nichts wir klar! das wartet ab!

Zwölfter Lhoreut. Ja laßt uns sehn. Was ward aus Agamemnon? (Die Pforten deS Palastes thun sich weit auf. Man sieht im Innern des Pa­ lastes den HauSaltar, davor die Leichen Agamemnons und KassandraS, zwischen ihnen /llytämnestra.)

Llytamnestra (zum Chor). Nachdem vorhin ich vielerlei gesprochen. Was eben an der Zeit, so scheu ich nun

__294_ Mich nicht das Gegentheil herauszusagen. Wie kann man Feinden, welche Freunde scheinen.

Feindlich begegnen, als indem ein Netz Man ihnen stellt, zu hoch zum Überspringen.

Zch habe diesen Kampf vorausgesehn Und längst erwartet: alter Haß gebar ihn. Nun ist's geschehn, — als Sieger steh ich hier Wo ich's vollbracht, den Todesstreich geführt, Und dies auch leugn' ich nicht: ich that es so, Daß weder fliehn er konnte noch sich wehren. Ich warf ein weites Prachtgewand ihm über, Gleich einem Netz, in dem man Fische fängt, Drauf schlug ich zweimal ihn, und zweimal schrie Er laut und brach zusammen. Als er lag, Versetzt ich ihm den dritten, letzten Schlag Zu Ehren und zu Lust des Todtengottes! —

Er sank und hauchte nun sein Leben aus; Da brach aus seinem Mund ein Strom von Blut

Und übersprühte mich mit Purpurttopfen, Die mich erquickten wie ein dürres Saatfeld, Auf das der Thau des Himmels niederträufelt. — So steht es, Greise, freut euch, wenn ihr wollt;

Ich aber jauchze laut! Ja wär es Sitte Für Todte Freudenopfer darzubringen, Hier wären sie am Ort. Und mehr als das! —

Den Becher, den er selbst mit Fluch gefüllt, Hat er nack Hause kehrend selbst geleert!

295 Chorführer. Staunend vernehm ich deine Frechheit, Weib:

Laß du, so wie du bist, den Mann und Helden So übermüthig zu beschimpfen wagst!

Llytamncftra.

Schmäht immerhin mich als ein sinnlos Weib, Ich sag euch kühnen Herzens, daß ihr's wißt, — Und ob ihr Lob mir oder Tadel spendet Ist einerlei: — Hier dieser, der da liegt, Ist Agamemnon, mein Gemahl, ein Leichnam,

Als solcher dieser meiner rechten Hand Gelungnes Meisterstück! — Ja wohl! so ist's! Chorführer. Hat dich, o Weib, das Meer mit Gist getränkt? Gab dir die Erde Wahnsinnskost als Speise? Daß du so rasend tobst und auf dein Haupt

Den Fluch des Volkes selbst herabbeschwörst? Verhaßtes Ungeheuer! fort mit dir! Du bist verworfen! fort aus Stadt und Land!

Llytamnepra.

So! mich verdammst du, giebst dem Haß und Fluche Des Volkes preis? — doch diesem gegenüber Hast du geschwiegen, als sein eignes Kind Er nahm, als wär's das erste beste Stück Aus einer seiner vielen Herden, fort

?lus meinem Schooße meinen Liebling riß lind ihn zu lieb den Winden — schlachtete!

Ihn mußtest du verbannen aus dem Lande Zur Strafe seiner Frevelthat, nicht mich. Kaum hörst du, was ich that, so bist du gleich Mt deinem Richterspruche bei der Hand. Ich sage dir: Versuch's — ich bin gerüstet! — Was einem recht, das ist dem andem billig: Befiegst du mich mit deiner Hand, so herrsche; Doch fügt ein Gott das Gegerüheil, so sollst du, Wenn auch zu spät, noch lernen klüger sein!

Chorführer. Wie hoch das Haupt du trägst und prahlend pochst, Well dir dein Mörderglück den Geist berauscht, Auf deiner Stime prangt ein Tropfen Bluts! Noch ist er ungerochen, aber einst Erscheint der Tag, wo ohne Freund und Retter Du bist und Blut mit Blut bezahlen wirst. Llytamneftra. Vernimm, wozu ich eidlich mich verbinde: Bei meines 5ttndeS nun erfülltem Rechte, Beim Schicksal, bei der ewigen Rache, der Ich diesen Mann hier, der mein Gatte hieß, Geopfert habe, schwör ich, und ich rufe Zu Zeugen sie: Nicht ein Gedanke soll Von Furcht beschleichen mich, so lange hier Das Feuer meines Herdes AegisthoS Wird schüren, mir in Liebe zugethan So wie bisher! Denn meiner Zuversicht

297 Gewaltiger Schild ist er.

Hier aber liegt

Der Ehebrecher, der sein Weib beschimpft, Der Troierweiber süße Augenweide!

Und neben ihm sein Siegerpreis, dies Weib, Die Zeichendeuterin, sein Bettgenoß,

Die auf dem Schiff ihm jüngst die Zeit vertrieben!

Sie haben ihren Lohn! Er selbst ist todt, Und sie, nachdem sie noch ihr Schwanenlied

Gesungen, liegt an ihres Buhlen Seite — Ein leckres Beigericht bei meinem Schmause. Lhorgesaag. Komm, o Tod, und mach ein Ende

Aller unsrer Qual und Pein,

Breite schnell und sanft die Hände Über uns und wieg uns ein! Lebend um ein Weib sich plagen

Mußte unser Hitt und Hort,

Und nun durch ein Weib erschlagen Liegt er eine Leiche dort!

*

^ *

*

Fluch dir, Helena, Frevlerin!

Du warfst, ein Weib, der Männer viel Im blutig ernsten Kriegesspiel

Vor Troia in den Sand dahin! Du hast den wilden Haß gesät

Hier in der Heimath so wie dort;

298 Nun trägt als Frucht er wilden Mord: — Die Rache kommt, ob trag und spät! Llytamneftra. Nicht wünschet euch den Tod, weil euch verdrießt. Was hier geschehn, noch schmähet auf Helena!

Lhorgesaug. Fluch, Dämon, dir, der Tantals Haus Verwüstet hat und uns zum Leid Die Weiberherzen füllt mit Neid

Sein Rachewerk zu führen aus.

Es tritt dies Weib auf Leichen dort Und krächzet wie ein Rabe laut Ein Lied, vor dem der Seele graut, Ein Siegeslied; das lautet Mord! Llytamnrstra. Da hast du recht! Ja wohl ein Dämon ist's. Der diesen Stamm verfolgt, von seinem Fleisch Sich nährt, an seinem Blute sich berauscht, Der, eh' die alte Wunde noch verharrscht,

Schon ftisches Blut aus neuer Wunde zapft. Chorgesang. Du preisest dieses Dämons Grimm, Der haust in diesem Hause hier: Dein Lob des Schicksals — wehe dir! — Des Nimmersatten, lautet schlimm!

299 Denn alles was geschehn, das that Der Eine Zeus, der Alles schafft! Nichts kann der Mensch aus eigner Kraft, Als was beschloffen Gottes Rath!

*

*

*

Herr und König! unsre Klagen Übermäßig Leid erstickt: Ach da liegst du todt, erschlagen, Von der Spinne Netz umstrickt!

Weh uns, Weh! daß so erlegen Schmachvoll wie ein Knecht du bist, Daß mit mörderischen Schlägen Dich gefällt die Hinterlist!

Llytamnestra. Du sagst: ich habe diese That vollbracht?

Ha, nenne Agamemnons Weib mich nicht! — Nein: in Gestalt des Weibes dieses Todten Erschien der Rachegeist, der einst Atreus Bei seinem Schaudermahl belauscht und brachte Den Mann als Opfer für die Kinder dar. Lhor.

Wer spricht dich los von dieser That? Verruchtes Weib! der Rachegeist, Der dies Geschlecht zum Abgrund reißt, War Helfer dir mit seinem Nath!

300 Durch dieses Haus hin fort mib fort Ergießet sich ein Strom von Blut, Der rächt mit nimmersatter Wuth Der beiden Kinder schnöden Mord. * Herr und König! unsre Klagen Übermäßig Leid erstickt:

Ach da liegst du todt, erschlagen, Von der Spinne Netz umstrickt!

Weh uns, Weh! daß so erlegen Schmachvoll wie ein Knecht du bist, Daß mit mörderischen Schlägen

Dich geMt die Hinterlist! Ll yt ämneftra.

Die Hinterlist? — Ja, die er selbst gesponnen Jphigeneien, mein- und seinem Kinde, Das ich beweint mit ach wie heißen Thränen. Für böse That empfing er bösen Lohn! Mcht darf er prahlen in der Unterwelt, Denn mit dem Schwerte ward er hingerichtet

Für ein Verbrechen, das er ftech begangen. Chorgesang. Wohin sollen wir uns wenden,

Rathlos blicken wir umher; Wann und wie wird endlich enden Dieses Schicksal hart und schwer?

301 Donner rollen, und hernieder Rauscht ein Strom von Blute jetzt, Während Rache, ach schon wieder, Frisch ihr Richterschwert sich weht.

Lägen wir im Schooß der Erde, Ehe todt wir ihn erblickt. Unter heißen Thränen werde Sein Begräbniß nun beschickt.

*

*

*

Wer soll es thun? Wer wagt's zu thun? — Du, seine Mörderin? O nein!

Du kannst ihm keine Thränen weihn! Du bist verhaßt ihm: laß ihn ruhn! —

Aus reinen Herzen mild und weich Soll ihm erschallen Grabgesang, Dem Helden, der sein Lebelang An Ehren einem Gotte gleich.

üly tämn estra.

Was geht euch dieses Manns Begräbniß an? Wir haben ihn getödtet und wir werden Ihn auch begraben. Und erschallen ihm Auch Seufzer nicht und Lieder; ei, dafür Wird ihn empfangen unten bei den Todten Jphigeneia, seine liebe Tochter! Wie's ihm gebührt, so wird sie ihn begrüßen Und sich an seinen Nacken zärtlich hängen!

-302-

Lhorgesaug. Stets folget Schimpf auf Schimpf zuletzt;

Drum, wenn du klug, so richte nicht, Denn selber giebt sich ins Gericht,

Wer rächend Schlag auf Schlag versetzt. Es steht, so lange Zeus besteht, Auf seinem Throne dieser Brauch: Stets mutz erdulden Böses auch

Der Mmsch, der böse That begeht.

Wer wirst des Hauses Sohn hinaus? Kann er vergessen sein Geschlecht? Er sucht sein angebornes Recht Und kchrt zurück zum Vaterhaus! Llytamneftra.

Dein Spruch ist wahr wie ein Orakel. Hier An diesem Todten ging er in Erfüllung!

Ich aber schwöre bei dem Rachegeist, Der dies Geschlecht verfolgt: ich will ertragen Das Gräßlichste, was über mich verhängt, Wenn dieser Rachegeist dies Haus verläßt Um eine andere Stätte heimzusuchen Mit seinen mörderischen Gräuelthaten. Was ich besitze: allen Glanz und Reichthum Geb ich dahin mit Freuden, wenn der Wahnsinn Des Wechselmordes dies Geschlecht verläßt. (AegtsthoS mit Trabanten kommt von der Seite her auf die Bühne und eilt zu Nlytämnestra.)

303

Äegifthos. O Freudenlicht am Tage des Gerichts! Nun geb ich zu, daß droben Götter wohnen,

Welche der Menschen Sünden schaun und richten,

Nachdem ich diesen Todten hier erblickt Bedeckt vom Schleier ewiger Rachegeister, Der seines Vaters Sünden sterbend büßte.

Vernehmt es, Männer: Agamemnons Vater, Atteus, der Herr und König dieses Landes,

Hat einstens meinen Vater, den Thyestes,

Der Thron und Herrschaft streitig ihm gemacht,

Verbannt aus Stadt und Land, den eignen Bruder. Thyestes kam zurück und hingestteckt

Am Vaterherde fleht' er um Vergebung. Sie ward gewahrt, sein Leben ward geschont; Doch Agamimnons Vater gab dem meinen

Ein gräßlich Gastgeschenk zum Wiedersehn: Er ließ ein ftöhlich Hochzeitfest bereiten,

Als trieb ihn nichts als Liebe, während Haß In seinem tückischen Herzen heimlich brannte:

Thyestes beide Söhne ließ er schlackten Und setzte sie dem Vater vor beim Schmause.

Zuunterst auf der Schüssel Boden lagen Der Knaben Zeh'n und Finger ausgebreitet, Und drüber war geschmortes Fleisch gelegt. So ward getäuscht mein unglückseliger Vater,

Und er genoß die schauderhafte Speise, Die dieses Hauses Fluch, — ihr seht's — geworden.

304 Mein Vater, als er inne ward der Schandthat, Sank stöhnend um, und spie hinweg den Mord Vermischt mit grausenhaften wilden Flüchen Wie dieses Mahl gelungen, möge grausam

Der Stamm der Pelopiden untergehn!

Da liegt der Mann, den dieser Fluch erschlug! — Ich war gerechter Mittler dieses Todes.

Als meines Vaters dritter Sohn, der noch

Ein Kind in Windeln lag, ward ich vertrieben Mit meinem armen Vater; doch ich kam, Als ich ein Mann geworden, an der Hand Urewiger Gerechtigkeit zurück.

Und vor der Thüre lauernd fing den Mann Ich ab: ich war's, der diese List ersann; — Nun sterb ich gern, nachdem ich ihn umsponnen

Vom Netz der Rache vor mir liegen seh.

Chorführer. Aegisth! Verächtlich ist in Sünden prahlen! — Du sagst: absichtlich hast du umgebracht

Den Mann und seinen Mord allein ersonnen; Ich sage dir: dir wird dein Recht geschehn, — Dich trifft des Volkes Fluch, du wirst — gesteinigt!

2lcgi|ll)os. Du Ruderknecht im Schiffe, wagst dies Wort Zu sprechen wider mich, den Steuermann 1

Nun wohl! so merke denn, wie sauer dir In deinen alten Tagen werden wird

305 Vernunft zu lernen! Ketten, Durst und Hunger Sind gute Mittelchen für jedermann, Und auch für alte Thoren! Bist du blind Mit offnen Augen? Wenn du unbedacht Wider den Stachel lökst, so sticht er dich!

Lhorfüh rer.

Erbärmlich Weib! Du schlichst dich in das Haus Des Helden, in sein Bett, um, wenn er heim

Vom Siege käm, ihn meuchlings umzubringen!

Aegisthos. Auch das noch? — Nun du wirst es noch beweinen! Orpheus und du — ihr seid verschiedne Leute! Wer jenes Sang vernahm, ward hingerisien; Doch du, indem du kindisch widerbellst, Reißest dich selber hin und Niemand sonst. Geduld! ich werde dich zu zähmen wissen! Chorführer. Du — willst Tyrann von Ärgos sein? — Du Wicht! Der du den Mordplan hämisch ausgeheckt, Jedoch zu feig ihn zu vollbringen warst!

Äegisthos.

Die List ist Weibeöwerk; ich war sein Feind Von Alters her und längst schon ihm verdächtig; Toch meinen Muth will ich an dir beweisen: Als Erbe seiner Schätze will das Volk Von Ärgos ich beherrschen. Wer mir nicht Gehorcht, der soll von mir beladen werden Marbach, AeschyloS Tragödien.

20

306 Mit solcher Last, daß ihn kein Hafer sticht: Mit Hunger will ich ihn in stUer Zelle

Bewirthen lassen, bis er mürbe wird! Chorführer. Warum hast du mit deiner feigen Seele Den Helden hier nicht selber umgebracht? Warum hat ihn ein Weib ermorden müssen,

Die dieses Landes Schandfleck und den Göttern Ein Grauel ist? — Orestes schaut das Licht! Er kommt dereinst geführt vom Glück und wird Das feige Mörderpaar glorreich vernichten 1

Aegifthos.

Ha, du wagst dich auch an Thaten, Nicht an Reden nur? — Wohlan — Auf denn, meine wackern Meger, Frisch ans Werk: es sei gethan!

Chorführer. Auf, ihr Greise! Schwert zu Handen! Jeder stehe kampfbereit!

2legifthos. Ja, das Schwert in Händen haltend Ist zu sterben mir nicht leid!

Chorführer.

Mir noch minder, wenn du stürbest! —

So entscheide Kampf und Streit!

307 Llytämueftra (zwischen die Arieger und den Chor tretend zu SlegisthoS).

Nein, du liebster aller Männer, Streuen nicht wir neue Saat; Eine allzureiche Ernte Blüht bereits auf unserm Pfad. — Reich genug sind wir an Jammer, Drum vergießt nicht neues Blut; Geht nach Hause, greise Männer, Eh ihr büßt den Übermuthl — Mes was hier ward begangen, Es geschah ja nur aus Zwang; Und wir selber, die es thaten. Sind von Leid und Kummer krank! Ach, mit seinem Zorn geschlagen Hat uns jener Rachegeist! — Dieß hat nur ein Weib gesprochen, Aber thuet, was es heißt!

Äegifthos.

Aber daß mit ftecher Zunge Sie mich anzuspei'n gewagt! Daß sie dieses Hauses Dämon Sich empörend angeklagt! Lhorführcr.

Einen schlechten Mann zu tadeln Wagt der Grieche unverzagt.

308 Hegisthos. Ha, eS kommen noch die Tage, Wo ich dir vergelten kann!

Chorführer.

Nein! eS kommt, geführt vom Damon Hier — Orestes einstens an! Aegifthos. Oh, ich weiß eS: leeres Hoffen Tröstet den, der weilt im Bann.

Chorführer. Schalt' und walte, schwelg' und schände Recht und Pflicht, du darfst eS itzt! Ziezisthoo.

Theuer sollst du mir bezahlen Jedes Wort, das mich geritzt! Chorführer. Krähe muthig gleich dem Hahne, Wenn die Henne vor ihm sitzt!

Llytamueftra (zu AeMhoS). Achte nicht was Greisenthorheit Ganz vergeblich widerbellt; Ich und du wir werden herrschen Hier im Hause, wie's gefällt!

VI.

Die Lhoephoren oder

Las Todtenopftr. (Zweites Stück der Ore st eia.)

Einleitung. Jahre find verflossen seit der Ermordung des Agamemnon; Aegifthos und KlytSmnestra haben ungestört die Gewaltherrschaft in Ärgos, die fie sich angemaßt, ausgeübt. Sie haben in WohNebm die Reichthümer des Hauses der Atreiden verpraßt und ihren Zorn und ihre Grausamkeit an den Anhängern des Ermordeten, zumal an dessen Tochter Elektra ausgelasien, die von ihnen gleich den troischen Frauen, welche als Kriegsgefangene im Geleite der Königstochter Kassandra gen Ärgos gekommen waren, zur Sklavin herabgewürdigt worden. Aber inzwischen ist Orestes, der einzige Sohn Agamemnons, den seine Mutter noch vor Rückkehr des Vaters aus dem Hause geschafft, zum Manne erwachsen. Bei einem Gastfreunde seines Vaters, Ströphios im Lande Phokis, ist er erzogen worden und in ein inniges Jreundschaftverhältniß mit defien Sohne Pylädes getreten. In dem Augenblicke, wo Orestes in Begleitung seines Freundes Pylädes zu feinem Vaterhause zurückkehrt, beginnt die zweite Tra­ gödie der Oresteia. Er kommt, um seinen Vater an dessen Mördern zu rächen: dazu ist er erzogen und dazu hat ihn der weissagende Gott Apollon bestimmt. Er betet und opfert eine Locke seines Haares an dem Grabmahle seines Vaters, als er Frauen in Trauerkleidern, welche Opfergaben tragen, aus dem Königspalaste treten fleht. Es sind die kriegsgefangenen troischen Frauen, welche den Chor der Tragödie bilden, und Elektra. Sie tragen ein Trankopser, welches sie im Auftrage der Klytämnestra auf dem Grabe Agamemnons darbringen sollen, nachdem diese in ihrer Gewissensangst durch ein

312 Traumgeficht während der eben verfloffenm Nacht erschreckt worden ist. — Weil sie dieS Opfer tragen, heißen die Frauen Choephören — Trankopferträgerinnen — und nach ihnen hat die Tragödie den Titel erhalten. — Orestes zieht sich, als die Frauen auftreten, mit seinem Freunde Pylädes zurück; nachdem aber das Opfer ge­ bracht, auch Elektra auS dem Anblicke der Locke auf dem Grabe des Vaters die Heimkehr deS Bruders geahnt hat, tritt er wieder vor und giebt sich seiner Schwester zu erkennen. Bruder und Schwe­ ster besprechen nun den Racheplan gegen die Mörder ihres Vaters und schreiten dann sofort zur Ausführung desselben. Nachdem fich auf kurze Zeit alle- zurückgezogen, tritt Orestes mit Pylädes in ftemdländischer Tracht auf, Nopst an die Pforte des Palastes und be­ gehrt den Herrn des Hauses zu sprechen. Klytämnestra empfängt ihn und fragt ihn nach seinem Begehren. Er sagt ihr, daß er aus dem Lande Phokis komme und eine Botschaft des Ströphios auszurichten habe, welcher den Eltern des Oristes anzeigen laste, daß dieser ihr Sohn gestorben sei. Klytämnestra läßt die ftemden Männer den Palast betreten und schickt nach dem auswärts ver­ weilenden Aegisthos. Dieser kommt und wird im Palaste von Orestes erschlagen; Klytämnestra eilt auf den SchreckenSruf von der Tödtung ihres Buhlen herbei, Orestes tritt ihr entgegen, schleppt fie zur Leiche des AegisthoS und tödtet fie. Als Sieger über die Mörder seines VaterS bei den Leichen derselben stehend wird Orestes von Grausen und Entsetzen über seine That ergriffen: der Rächer seines Vaters ist zum Muttermörder geworden, —. auS dem Blute der Mutter steigen vor feinen Augen die Rachegeister empor, die ihn von bannen Hetzen, er flieht um zu Delpho; im Tempel Apollons, auf desten Geheiß er die schreckliche That vollbracht hat, sein Heil zu suchen.

Personen. AegisthoS.

Klytamnestra. Elektra, Tochter KlytLmnestras und Agamemnons.

Orestes, Sohn KlytemnestraS und Agamemnons.

PylädeS, Freund und Begleiter des Orestes. Kilissa, Amme des Orestes.

Der Pförtner des Könighauses. Ein Knecht des AegisthoS.

Begleiter des Orestes. Chor: Kriegsgefangene Frauen (Troierinnen).

Die Bühne stellt den NönigSpalast der Pelopidm dar mit einet» HauptIhor in der Mitte des Haufes und der ganzen Bühne, und mit zwei Flügeln

rechts und links, welche eigene Eingänge haben, und von denen der eine

(rechts) In die Wohnung der Männer, der andre (links) in die Wohnung der Frauen führt. — Inder Mitte der Orchestra findet fich ein einfaches

Grabmahl — das Grab des Agamemnon.

Die Orchestra steht durch eine

breite Treppe mit der Bühne in Derbindung, so daß man über Liefe Treppe zu allen drei Zugängen des Palastes direkt gelangen kann. — Der Chor und Elektra erscheinen in tiefer Trauerkleidung: — in weiten schwarzen Ge­

wändern, mit schwarzen, langen, flatternden Schleiern.

Sonnenaufgang. Orestes und P^lad e S am Grabe Agamemnons.

Seitwärts recht- in der

Orchestra einige begleitende Sklaven.

Orestes. Der du die Todten führst zur Unterwelt,

Behüte mich, Hermes, und steh mir bei! — Zum Vaterlande kehr' ich aus der Fremde, Zu meines Vaters Grabe kehr ich heim. O höre, Vater, mich und meinen Schwur l Dein Sohn Orestes kommt um dich zu rächen!

Die Bosheit meiner Mutter jagte mich Hinaus ins Elend, doch ein treuer Freund Hat mich im fernen Lande groß gezogen Zum Rächer dir; und sieh — nun sendet mich Ein Spruch des räthselhaften Gotts Apollon: Nun ist die Zeit erfüllt — nun soll's geschehn! — Pylädes N edler Sohn des wackern Fürsten,

.Der in Phokis mein zweiter Vater war, Und dich zum Bruder mir gegeben hat: Sei Zeuge meiner Thränen, meiner Thaten! — An deinem Grabe, Vater, schwör' ich hier: Ich will der Rächer deines Blutes sein! — (Orestes schneidet mit seinem Schwerte eine Locle von seinem Harpte und hält sie empor.)

315 Nimm hin, was ich dir bringe: diese Locke — Von deines Sohnes Haupte — nimm sie hin — Ich habe weiter nichts dein Grab zu schmücken!------(Er legt die Locke auf da» Grabmahl und beugt sich über dasselbe. —

Während

Orestes

und

PyladeS in Andacht versunken an dem Grabe

stehen, öffnet sich die Thür der Frauenwohnung und

im feierlichen Zuge —

die Chorführerin voran — tritt der Chor heraus und — die letzte im Zuge Die Frauen tragen Opfergerät- — Urnen und Körbe mit Spenden — und schreiten im feierlichen Zuge von links über die ganze Bühne.

— Elektra.

Als der Zug eben aus der Thür getreten, bemerkt ihn Orestes.)

Drcstts.

Phlädes, schau! — was will die Frauenschaar? Schwarze Gewänder flattern um sie her —

Sie schreiten feierlich — was soll das heißen? Wer starb? Wem gilt's? — doch diesem Grabe nicht? Wär's möglich? — kamen sie zu meinem Vater? Um fromme Todtenopfer darzubringen? —

Und doch! ja, ja! — denn — siehst du! — jene dort —

Das ist — ich irre nicht — es ist Elektra; Ha — meine Schwester 1 — tief gebeugt von Kummer! O ewiger Zeus, laß meines Vaters Mord Mich rächen! steh mir bei, barmherziger Gott!-------

Pylades, komm, damit wir unbemerkt Belauschen, was der Trauerzug bedeute. (Orestes, P pl ad es und seine Begleiter entfernen sich eilig rechts von der Orchestra ohne vom Chore bemerkt zu sein.

Nachdem sich der Zug

über die ganze Bühne auSgebreitet, hebt er den folgenden Wechselgesang an, während dessen er die Treppe langsam herniedersteigend um das Grabmahl sich gruppirt. Elektra bleibt auf der Mitte der Bühne stehn, so daß sie also über dem Grabmahle erscheint.)

316 CH- r (einzelne Stimmen abwechselnd). Uns schickt heraus Das Könighaus

Ein Todtenopfer darzubringen Mit ThrLnenbLchen, Händeringen, Mü Klagelied und Jammerschrei.

Der Schleier riß entzwei 1 Das weite schwarze Trauerkleid

Verhüllet nichts als Herzeleid I

Von Furcht betäubt,

Das Haar gesträubt Fuhr aus dem Schlaf empor mit Graun Die Zeichendeuterin im Hause!

Ein Wehgeheul der Tief entquellt,

Daß all die Burg ergellt!

Das ist — wer's weiß — des Todten Groll, Ter seine Mörder schrecken soll I

Die Mörderin Des Rächers Sinn

Zu wenden schickt uns.

Mutter Erde!

Du trankst das Blut, das hier am Herde' Vergossen ward! O Jammerhaus,

Nur Nacht und Graus Schwebt unheilschwanger über dir,

Seit einst dein Herr gefallen hier!

317 Fliehend entkam Die keusche Schaam, Die einst bei Menschen segnend wohnte. In Ohr imb Herzen siegend thronte.

Der Menschen Gott ist nun die Lust; Doch all' der Dust Vergeht dereinst in Mittagpracht, Zn Dämmerlicht, in Mtternacht.

Allgemeiner Gesang. Wo Menschenblut die Erde netzt,

Erstartt'S zum Stein, der nie zerfließt. An dem ihr Schwert die Rache wetzt, Je geiler Saat der Sünde sprießt.

Wer heiliger Ehe Satzung bucht, Der kann auf Erden nicht gedeihn» Und Sttöme Wassers waschen nicht Des Mörders Hand vom Blute rein,

Lhorführrriu. Halt ein! Halt ein! Gehorchen ziemt allein Dem Sclaven, der verlor sein Vaterland, Den Gottes Zom in fremde Hand Mit Sein und Leben Dahingegeben. Wer unterlag der Schicksalsmacht, Muß selbst sein Herz in Fesseln schlagen: WaS sein Gebieter auch vollbracht,

_ 318—

Er darf es nicht zu tadeln wagen; Wollt ihr um euren König weinen, Verhüllt daS Angesicht, Und laßt im Gram das Herz versteinen. Bis stumm eS bricht! Elektra. Ihr kriegsgefangnen Frauen, dieses Hauses Getreue Schaffnerinnen, nun ihr mich Zu dieser Todtenfeier hergeleitet, So gebt mir denn auch Rath: wie ziemt es sich Zu reden, wenn ich diese Weihespende Darbring an diesem Grabe; und mit welchem Gebete soll ich meinem Vater nah'n? Sag ich: von meiner Mutter bring ich hier Ein LiebeSopfer dem geliebten Gatten? Das wag ich nicht. — Was dann? Etwa das Wort, Das Brauch und Sitte unter Menschen heischt: Er möge denen, die dies senden, lohnen, Wie sie's um ihn verdient----- durch ihr Verbrechen? Ha! Oder soll ich schweigend, hinterlistig, Sowie dereinst er selbst, mein Vater, fiel, Den Opfertrank ausschütten auf sein Grab Und abgewandten Blicks die Opferschale Dann von mir schleudernd scheu von hinnen fliehn? Freundinnen, rathet, rathet, was zu thun! Wir wurden ja mit gleichem Haß genährt In jenem Hause! Hehlet nicht vor mir Aus Furcht, was euch das Herz bewegt; ihr wißt:

319 DaS Schicksal trifft mit seinem Schlage gleich Den, welcher frei und den, der Sclave heißt.

Lhorfuhrerin. DaS Grab des Vaters ehr' ich als Altar, Drum sag ich, wie du willst, dir, was ich denke: Gieß aus den Trank und segne — seine Treuen!

LleKtra. Wer sind sie — seine Treuen? Lhorfuhrerio.

Nun — du selbst

Und alle — welchen Aegisthos verhaßt.

LleKira. So soll ich beten denn für mich und — euch?

Shorfuh reri n. Sprich dein Gebet so, wie dein Herz dich lehrt.

Elektra.

Und soll ich — keines Andern noch gedenken? Lhorführeri n.

Denk an — Orestes, ist er draußen auch. LleKira.

Vielsagend ist der Name, den du nennst. Lhorführeria.

Und — denkst du dann des Mordes und der Mörder — LleKira (lebhaft). WaS soll ich sagen? Sprich! Ich weiß es nicht.

32V _ Lhorsühreriv

(feierlich).

Erscheinen wird ein Gott einst oder Mensch — Llek tra.

Als Richter oder Rächer? — Lhorsühreriv.

Als Vergelter, Der Blut für Blut vergießt. Elektra. Doch — ziemt es sich Die Götter darum anzuflehn?

Lhorsühreriv.

Der Feind Soll Aug um Auge, Seel um Seele lasten. Elektra (steigt langsam die Treppe herab, so daß sie unmittelbar hinter da- Grabmahl -u stehen kommt, dann spricht sie mit erhobenen Händen betend).

Hermes, erhabner Herold, Götterbote Droben und drunten, trage mein Gebet

Hin zu des Schattenreiches düstern Geistern, Die meines Vaterhauses Hüter sind,

Und zu der Mutter Erde trag' es hin, Die, was da leibt und lebt aus ihrem Schooße Gebiert und auch begräbt in ihren Schooß!------Den Todten spend ich diesen Weihetrank!

Ich rufe, Vater, dich! erbarme mein,

Erbarme deines Sohns OristeS dich Und laß zurück ihn kehren in sein Haus!

Verrathen und verkauft von unsrer Mutter, Du siehst es, Vater, leben wir. Sie hat An ihren Mordgesellen Aegisthos

Sich weggeworfen, mich zur Magd entwürdigt, Orestes fortgejagt aus seinem Erbe, Und prasst mit ihrem Buhlen und vergeudet

Die Früchte deiner Arbeit. Schick Orestes! Und Glück sei sein Begleiter! Höre mich, Mein Vater: schaffe, daß ich beffer werde

Als meine Mutter, gieb ein reines Herz

Und reine Hände mir! Das fleh ich uns; Doch unsern Feinden wünsch ich, daß ein Rächer Erscheint und ins Gericht mit ihnen geht

Und — Vater! um dein Blut ihr Blut vergießt! In meinen Segen leg ich diesen Fluch! — Uns aber komm ein Heiland, der uns hebt Empor mit allen Göttem, mit der Erde, Und mit allsiegender Gerechttgkeit! — (Elektra nimmt eine Urne, die ihr eine der Frauen reicht, und gießt deren Inhalt feierlich über das Grabmahl auS.)

So betend gieß ich dieses Opfer auSl — Ihr aber, schmückt mit Thränen und mit Liebem Das Grab deS theuren Todten, wie sich ziemt. (Während der folgenden Wechselgesänge schmücken die Frauen deS ChorS daGrabmahl mit Gaben: mit Dolle, Zweigen, Bändern, Blumen. Elektra lehnt sich weinend und betend über das Grabmahl.)

Shor. Weinet dem Todten Tödtliche Thränen Marbach, Aesch>>l»» Tragödien.

21

322

Hin auf sein Grab mit dem Opferttank! Die ihn geboten — Nicht was fie wähnen. Sollen sie ernten als Liebesdank l — Erwach, o Herr, aus GrabeSruh! Vernimm uns, unser König, du! Wehe! Wehe! Wehe! Wehe! Endlich in Eile Komme gezogen, All uns erlösender Kampfesheld!

Klirrende Pfelle Leg auf den Bogen, Der sie entgegen dem Feinde schnellt.

Im Kampfe schwing das nackte Schwert, Bis deinem Feind ins Herz es fährt! Wehe! Wehe! Wehe! Wehe!

Elektra (hat während des Gesanges die Locke entdeckt, welche Orestes auf dem Grab mahle niedergelegt, sie mit Geb erden des Staunens aufgehoben und betrachret).

Der Vater hat nun seinen Weihetrunk,

Die Erde sog ihn ein. — Doch nun vernehmet, Was ich entdeckt! Lhorfuhrerin. Was ist's? mir stockt das Herz

Vor Furcht. Elektra

(die Locke emporhaltend).

Hier diese abgeschnittne Locke Fand ich auf diesem Grabe!

323 Lhorführcria. Wem gehört sie?

Llektra.

Das ist nicht schwer zu rathen. Chorführer io. Sage es denn!

Elektra. Es giebt nur Einen Menschen in der Welt, Der hier sein Haar als Opfer niederlegt Und der------- bin ich.

Chor führeria. Wer sonst es sollte thun, Der ist dem Todten feind. Elektra (mit innerster Bewegung).

Und dennoch gleicht Dies Haar so ganz —

Chorführerin. Nun? — wessen Haaren?

Elektra. Ganz------ meinen eignen —

Chorführerin. Hat vielleicht — Orestes Es heimlich hergebracht l Elektra

(sehr lebhaft).

Ja 1 seine Haare

Sind's ganz und gar 1

324 Chorführeriu. Doch wagte der hieher Zu kommen?

LleKtra. Aus dem fernen Lande hat Er feine Liebesgabe hergeschickt.

Chorführeriu. Ein schlimmer Trost, wenn nie Oristes Fuß Dies Land betritt. Elektra

(in höchster Erregung — schwankend).

Auch mir erbebt das Herz — Vom Wogenschlage wilden Hasses; mich Durchbohrt ein Pfeil; aus den versiegten Augen Stürzt wieder brandend sich ein Thränenstrom Beim Anblick dieser Haare! Niemand darf In diesem Lande solch ein Opfer wagen, Als einzig sie — die Mörderin; — und sie, Die meine Mutter heißt, doch ihre Kinder Mit Füßen tritt in frechem Übermuth, Sie hätte dieses Haar — ? nein! nimmermehr! Da — schleicht sich lächelnd mir ins Herz hinein

Die Hoffnung, daß den liebsten aller Menschen

Oristes diese Locke sonst geschmückt — Ah!------O daß sie sprechen könnt', ein Freudenbote, Um mich zu retten aus des Zweifels Schiffbruch; Und doch — als ich sie sah — ich hätte schaudernd

325 Sie fortgeschleudert, kam sie von dem Haupte Der Feindin; aber wenn sie mir verschwistert,

Durste sie steilich als ein würdiger Schmuck Des Grabes, als des Vaters Ehrendenkmal, Auch mit mir klagen, meinen Kummer theilen. (Während der folgenden Worte deS Chors begiebt sich Elektra um daS Grab­

mahl nach vorn herum; sinnend auf den Boden -lickend giebt sie neue Zeichen staunender Erregtheit.)

Lhorftthreriu. Wir wollen flehen zu den Wissenden,

Den Göttem, wie der Schiffer, den der Strudel Ergriffen hat. Ist Rettung ihm beschieden, So wird der Sttohhalm, den in seiner Noth Er faßt, zum starken Balken, der ihn tragt Llektra.

O seht! — ein neues Zeichen! diese Tritte — Sie gleichen ganz den meinen! Seht nur, seht! Zwei waren hier, er selbst und sein Begleiter! Hier diese Spur — vergleiche sie der meinen — Jst's nicht dieselbe Form — dieselbe Stellung Der Ferse? — ha! mir springt das Herz! mir schwindelt! (Sie hält sich erschöpft an das Grabmahl und neigt sich dann betend über das­

selbe. Währenddessen treten Oreste- und Pp lade - und deren Begleiter

von der rechten Seite der Orchestra vor, der Thor weicht Lei ihrem Erscheinen scheu zurück.)

Orestes

(zu Elektra sich hinneigend leise).

Sprich dein Gebet zu Ende, denn die Götter

Vemehmen's und Erfüllung naht.

326 Elektra

(emporgeschreckt ihn verwundert anstarrend).

Und was

Beschieden mir die Götter? Grestes.

Sieh: vor Augen Steht, was du längst begehrt. Elektra.

Was weißt denn — du, Was ich begehrt?! Orestes.

Ich weiß: Orestes heißt, Dem du entgegenschauerst. Elektra.

Mein Gebet —

Es wär — erfüllt?! Orestes.

Ich bin's, — was willst du mehr?! Elektra.

Du! ? — Fremder Mann — vielleicht — betrugst du mich! Orestes.

Betrög ich nicht mich selbst? Elektra.

Du lachst? Du lachst —

Verhöhnst mein Elend — Orestes. Dann verhöhn ich meins.

327 Llektra. Du — wärst Orestes — du, zu dem ich rede! ?

Orestes. Kennst du mich nicht, nun mich dein Auge schaut?

Und als vorhin du dieses Haar erblicktest,

Und meiner Füße Spur, da flog dein Herz

Empor, du wahntest mich zu schauen.

Nun:

Hier ist der Ort, wo jene Locke saß,

Du siehst den Schnitt; und deines Bruders Haar

Gleicht's nicht dem deinen? Sieh dieß Kleid dir an, Das deiner Hande Werk; du selber hast

Gewebt es und gestickt mit diesen Bildern!-------(Elektra ist in steigender freudiger Erregung den Worten de- Orestes gefolgt jetzt breitet sie nach Worten ringend die Arme zitternd nach ihm auS;

Orestes fährt fort:)

Wein — fasse dich! beherrsche deine Freude,

Du weißt es: — unsre Nächsten sind uns feind!

Elektra

(in freudigster wehmüthiger Erregung).

Du — liebes Sorgenkind des Vaterhauses!

Thränengenährter Hoffnungskeim der Rettung! Erobre siegreich deiner Ahnen Haus!

Orestes!! seliger Name! vierfach bin

Ich dein! Sei mir gegrüßt: du bist mir Vater! Du bist mir Mutter! denn du hast von ihr,

Die nichts um mich verdient als meinen Haß,

All meine Kindeszärtlichkeit geerbt!

328

Du bist mir Schwester — an der Stelle jener,

Die mitleidlos dahingeopfert ward! Du bist mir Bruder, der, an den ich glaube. Und der mich ehrt: — so helfe dir Gewalt

Und Recht und endlich Zeus, der Gott der Götter! Orestes Lin den Armen der Schwester).

Zeus! Zeus! sei Zeuge meines Seins und Thuns! Sieh meines Vaters, sich des Adlers Brut,

Der in der gifttgen Schlange Windungm Und Schlingen elend umgekommen ist!

Nüchterner Hunger quält die armen Waisen;

Noch nicht vermögen sie des Vaters Beute Zu Nest zu trogen.

Sieh, so stehn wir zwei,

Ich und Elettra, hier, die Vaterlosen, Die beid im selben Hause Zuflucht suchen! Elektra (in den Armen de- Bruders).

Vergiß des Vaters nicht, der dich geehrt

Und dir geopfert, Zeus! Wenn seine Kinder Du läßt verderben, wer wird künftig dir

Mit vollen Händen Opfergaben bringen? Wenn das Geschlecht der Adler untergeht,

Wen willst du künftighin als Boten senden An deine Menschheit, daß an dich sie glaubt?

Und läßt du diesen Herrscherstamm verdorren,

Wer feiert noch dein Fest am Hochaltar? O hebe, Zeus, empor dieß stolze Haus

Vom Staub, in den es brechend niedersank!

329 Lhorführeriv. O Kinder, Retter eures Vaterhauses,

Still! still, daß unbehorcht ihr bleibt, ihr Lieben! Geschäftige Zungen giebt es, die das alles Den Mächtigen hinterbringen — daß ich sie In qualmenden Peches Brand verderben säh!

vr-eftrs (nachdem er sich sanft auS Elektras Armen loSgemacht, so daß nun er rechts,

sie links vom Grabmahle steht).

Nicht zum Verräther wird Apollons Spruch, Der diesen Weg mich wandem hieß, der mich

Erweckt hat! Sturm und Eis — so sprach der Gott: Soll mir mein heißes Herz erstarren machen, Wenn ich des Vaters Mörder nicht verfolge Um sie zu todten, so wie sie getödtet. Nicht nur an Hab und Gut, — an meinem Leben — So sprach Apöllon: soll ich Schaden nehmen, Unnennbar Unerttägliches erdulden! Mißwuchs und Hunger sollen alles Volk Als Strafe treffen durch der Götter Zorn, Mich aber schwere Krankheit, ekler Aussatz,

Der meiner Jugend Mark und Straft verzehrt,

Und vor der Zeit mir meine Locken bleicht, Und andre Plagen, wilder Rachegeister Heimsuchung, würden aus des Vaters Blut,

Wenn ungesühnt es bliebe, mir erstehn, — So sprach der Gott, der seine Branen hebend Die Nacht durchschaut als wär sie lichter Tag. —

330 (Das Folgenge in steigender Erregung:)

Wen sich die Rachegötter ausersehn, Die der erschlagnen Väter Schrei geweckt,

Den treffen sie mit ihren nächttgen Waffen: Wahnsinn, Verzweiflung und Gespensterspuk!

Entsetzen peitscht ihn fort von Ort zu Ort Mit eherner Geißel — den Verfluchten. Ha! — Dergleichen Menschen labt kein Trank, kein Tropfen

Vom Opfertisch; es stößt des Vaters Fluch Sie vom Altar; Niemand erbarmt sich ihrer, Niemand entsündigt sie; verworfen und Verstoßen, elend, ausgemergelt welkt

Der jammerhaste Mensch langsam dahin------Prophetisch Wort muß gläubig man vernehmen; Und glaubt' ich's nicht: die That wird doch gethan! Zu Vieles treibt dazu: des Gottes Spruch,

Die Trauer um den Vater und mein Elend! Nein, meine Augen können's nicht ertragen, Daß dieses Volk, dies hochberühmte Volk, Das Troja glorreich überwunden hat, Nun von zwei Weibem sich beherrschen läßt. O das ist weibisch; — doch ich bin ein Mann!

Chor. Schicksalsgötter, kommt und endet, Wie's Gott will, mit eurer Macht, Und das Recht, das Niemand wendet, Werde nun von euch vollbracht.

331

Haß um Haß und Schänd um Schande! Also tönt das Schreckenswort, Wenn Gerechtigkeit im Lande Mahnend geht von Ort zu Ort. Wund um Wunde, Seel um Seele! Jeder Frevel wird gerächt! Buße heischen alle Fehle! — Tönt uralter Satzung Recht. (DrcßCS (niederknieend rechts am Grabmal).

Hart geprüfter Vater du! Was ersinn ich, Was beginn ich Dir zu schaffen süße Ruh? Tag ist hier und Nacht ist dort; Steigrn nieder Meine Lieder Preisend dich zum düstem Ort? Chor.

Sohn, er lebt, der dir gestorben! In der Flamme heißer Glut Ist der Geist ihm nicht verdorben, Bald ersteht sein Rachemuth. Lauter Jammer wird erschallen Bald um einen, welcher stirbt, Und einhergehn vor uns allen Wird, der strafend ihn verdirbt!

332 Denn der Zorn erschlagner Väter Hebt empor sich übers Grab Und entlarvt den Miffethäter, Faßt und schleudert ihn hinab. Elektra

(links am Grabmal nieberfnieenb).

Hör, o Vater, wie ich bang Meiner Thränen Tiefes Sehnen Misch in Bruders Klagesang. Gnadeflehend nahn wir dir, Deinem Grabe: Ohne Habe Ausgestoßen stehn wir Hierl Lhorsührerin

(welche hinter das Grabmal getreten).

GS erscheinet der Tag, den ein (§ott euch verheißt, Wo die Klagen am Grabe verhallen, Wo der Jubel des Volkes als Sieger euch preist, Die durchschreiten die heimischen Hallen! Grestes.

Vater, wärst im Troierlande Dn vor Feindesspeer erlegen, Sterbend hättest du den Deinen Hinterlassen RuhnieSsegen.

Hehres Vorbild deinen Kindern Ragte dir am fernen (Straube Hoch ein Denkmahl, und sie dächten Deiner stolz im Vaterlande.

333 Lhor. Freund bei Freunden, welche glorreich Fielen, würdest dann du wohnen Und im düstern Schattenreiche Als ein Fürst vor ihnen thronen.

Denn du warst ein stolzer König, Eh du fielest, einst im Leben,

Und der Stab, der Völker weidet, War in deine Hand gegeben. Elektra. Nein, o nein, vor Troias Mauern, Vater, durstest nicht du fallen, Durftest nicht vom Speer getroffen Sterben gleich den andern allen.

Deine Mörder mußten sterben! Übers Meer hinüberschweben Mußte düstre Todeskunde,

Denn ihr Sterben war dein Leben! Eh o rsührerin.

Ja, wär es geschehn! Kind! beffer als Gold Wär's: Glück, wie eS lächelt im Traume! Doch erwache! noch ist dir das Glück nicht hold, ES zerrinnet dein Traum dir zu Schaume. Noch regt sich der Geißel, der doppelten, Schlag: ES bedecket den Vater die Erde, Und die bluttgen Mörder, noch schaun sie den Tag; Nun — so schaffe, daß Abend eS werde!

334 Grefte» (aufspringend; auch Elektra erhebt sich).

Ha! durch das Ohr in das Herz

Trifft wie ein PfeU mich der Schmerz! Zeus! Zeus! endlich, o endlich nun sende Rächende Geister der Tiefe zum Licht! Daß sie den Mördern die blutigen Hände Binden! Nein, länger verschone sie nicht! Daß nicht der Mörder der Straf entflieh! Aber die Mutter? — nein! straf auch sie!

Chor.

Singen bei Fackelglanz, Springen im Jubel tanz,

Jauchzen vor Wonnegraus Wollt ich beim Leichenschmaus, Läg auf der Todtenbahr Vor mir das Mörderpaar! Schwellenden Hasses Flut, Lodernder Rache Glut Sprengt mir die Brust!

Fort feige Heimlichkeit! Laut aus der Seele schreit Grimmige Lust!

Vrtstes. Schmettre mit eherner Hand

Nieder sie, Zeus, in den Sand! Weh! Weh! spalte mit leuchtendem Blitze

335

Tödtlicher Zwietracht grinsendes Haupt! Wieder von deinem hochheiligen Sitze Gieb uns den Frieden, den jene geraubt! Unrecht erduld ich — helfet zum Recht, Herrscher der Tiefe! das Urtel sprecht! Lhorfuhreria. So lautet der Spmch: Wer Blut vergoß, Deß Blut wird wieder vergoffen! Und dem Blute, das nieder zum Boden floß, Mordrächende Geister entsprossen! Clcktra.

Wo^ Wo^ Herrscher der Unterwelt, Weilet ihr? Hörtet ihr nicht, Was euch gefleht einst der sterbende Held? Seht die verzagenden Kinder ihr nicht? Rathlos, hilflos flehn wir vergebens; Schau uns denn du, Zeus, Retter des Lebens Chor.

Wieder empört mein Herz, Tochter, dein Seelenschmerz! Lächelnde Hoffnung flieht, Hör' ich dein Klagelied, Und der Verzweiflung Nacht Faßt mich mit blinder Macht.

Aber erhebest du Muthig und ungehemmt Wieder das Haupt,

336 Fliehet von mir im Nu, Was mir die Bmst beklemmt, Athem mir raubt.

Elektra. Ach! Ach! Alle die Noth und Pein, Die wir erduldet, die Schmach, Möchten vergeben, vergessen sein; Aber das Eine nicht, was sie verbrach!

Grimmigen Wölfen gleich toben im Herzen Wider die Mutter wildrasende Schmerzen! Chor.

Jüngling, vernimm! Mit dem Beile zerstückt, So wie der Schlächter den Stier, Hat sie den Todten, mit Schande geschmückt Also dein Dasein auch dir!

Elend in Jammer und Schande verkommen Ist dir dein Vater — du hast es vernommen! Elektra. Weh dir! Weh! entsetzliches Weib, Das mich einst leider gebar! Ruchlos hast du des Königes Leib Jeglicher Feier und Ehre baar, Ohne Gesänge und Klagegeberde Herzlos verscharrt in der schmutzigen Erde!

Lhor.

Nur wir, die armen Klageweiber, Wir rausten unser wirres Haar,

337 Zerfleischten schreiend unsre Leiber,

Uns selbst vergessend ganz und gar Zn unsers wüsten Jammers wildem Schmerz!

Llektra. So war's! und ich, gejagt zum Stalle Und eingepfercht, ein bißiger Hund, Winselnd bei roher Lache Schalle,

Wand schluchzend mir die Hande wund! — Du hast's vernommen, — grab es in dein Herz!

Shor. Tief durch das Ohr in dein Herz wie ein Pfeil Bohre sich, Jüngling, dies Wort: Also geschah's! — Du, denk an dein Heil,

Was dir geziemt, vollbringe sofort! Aber unbeugsam mußt du vollenden, Was du beschlossen, mit ehernen Handen!

Greftes. Schande nur sprachst du; — aber gerächt Soll der Geschändete sein, Soweit reicht urewigeS Recht, Soweit reichen die Hände mein! Ist es geschehen und hab ich's vollendet, Trag ich mein Schicksal — wie es sich wendet! — Dich ruf ich, Vater, hilf den Deinen!

Elektra. Erhör uns Vater, sieh mein Weinen! Rarbach, ZleschyloS Tragödien.

22

338

Shorführrrio. Erhör unsl steigend auf zum Lichte Errett uns! mach den Feind zunichte! Vrefte». Mord folg auf Mord und Recht auf Recht!

Sleklra. Ihr Götter all, das Urtel sprecht! Lhorführerin. Was längst beschlossen, was wir flehn, Run endlich, Götter, laßt's geschehn! Shor. Gräßliches Unheil! Schreckliches Erbtheil! Weh! Ein schriller Mißlaut klingt — Die blutige Saite springt! Unerträglicher Jammer und Noth! Weh! Nimmer zu stillendes Elend und Tod! Weh! Eiternder Wnndschweer, Kommt er vom Blut her — Wch! Ihn heilt kein andrer Mann; Du selbst nur heilst ihn dann, -

339 Wenn aufs neu du vergießest Blut! Wehl lind ihn versengest mit freffenber Glut! Weh!

*

*

*

O erhöret, ihr Götter der Unterwelt, Das Gebet das wir gläubig euch bringen: Schaut huldvoll die Kinder, die zeugte der Held, Laßt herrlichen Sieg sie erringen! (Orestes und Elektra sind während dieses Gesanges am Grabmahle Aga­ memnons zu beiden Seiten desselben betend hingesunken).

Greftes (leise).

Unköniglich dahingesunkner Vater, Gieb deines Hauses Herrschaft mir zurück! SleKtra (ebenso). Ich bitte, Vater, laß entrinnen mich Und stürz in mein Verderben AegisthoS! Greftes. Erhörst du unser Flehn, so werden dein Zn Dankbarkeit die Sterblichen gedenken; Wo nicht, so wird beim großen Todtenfeste

Zm ganzen Lande kein Altar dir brennen.

Elektra.

Und ich gelobe fromme Spende dir An meinem Hochzeittage darzubringen Und deine Gruft zu schmücken jeden Tagt

340 Greftes.

Gieb, Erde, meinen Vater mir zurück, Damit er sehe, wie für ihn ich streite! Llektra.

Gieb, Königin der Unterwelt, uns Sieg, Der uns zu unsrem Rechte glorreich helfe. (DaS Folgende in steigender Erregung, aber immer leise)

Greftes.

Denk an das Bad, in dem du starbst, o Vater! Llektra.

Denk an das Netz, mit dem sie dich umgarnt! Greftes.

Sie fingen dich in hänfnen Banden, Vater! Llektra.

Ehrlos in listig aufgestellten Schlingen! Grestes.

Erweckt dich solche Schmach denn nicht, o Vater? Llektra.

Erhebst du nicht dein heiß geliebtes Haupt? Grestes.

So send als Helfer uns Gerechtigkeit! Und gieb zurück den Schlag, den du empfingst Willst du, Besiegter, wieder Sieger sein! Llektra.

Noch höre meinen letzten Ruf, o Vater: Sieh hier an deinem Grabe deine Kinder,

341 Die Tochter und den Sohn dahingesunken, Erbarm dich ihrer Thränen, ihrer Noth!

Laß Pelops Samen nicht zu Gninde gehn, Damit du lebst, ob du gestorben bist; Denn Kinder sind des todten Mannes Retter, Sein Ruhm, durch den er lebt, und fährt sein Schiff Auch auf dem Meer des Todes, spannt er doch Im Wind des Lebens seine Segel, sie!

Erhör uns Vater, denn wir flehn für dich! Was wir gebetet — thu's um deinetwillen!

CH orsuhrerin.

Wohlan! ihr thatet, was euch ziemt: das Grab, Das vielbeweinte, habt ihr hochgeehrt; Nun, Jüngling, geh ans Werk, das du beschlossen,

Damit sich zeige, ob der Geist dir hilft, Den du beschworen. Greste- (sich rasch erhebend; Elektra folgt seinem Beispiel). Ja, — es soll geschehn. Dazu gehört, daß du mir sagst, weshalb DaZ Weib im Hause dort euch hergeschickt Mit Opfergaben, und aus welchem Grunde Sie jetzt die alte Schuld zu sühnen sucht? WaS heißt es, daß dem mißgesinnten Todten Sie feige Gabe schickt, die nimmermehr Die Schuld abkauft, die sie begangen hat! Denn alte Satzung lautet: Blutschuld büßt

342

Nicht Geld noch Gut; es ist bergebne Müh. Doch sage, was du weißt. Lhorföhrerin. Ich weiß es, Sohn! Ich war zugegen ja. Geschreckt von Träumen Und Nachtgespenstern hat die Gottvergeßne Uns hergeschickt mit diesen Opfergaben. vrestes. Und hörtest du den Traum, von dem du sprichst? LhorsShrcrin. Sie selber hat mir diesen Traum erzählt: Es kam ihr vor, ein wilder Drache sei Von ihr zur Welt gebracht. Vrrftev. Ein Drache? Llrorführerin. Der In ihren Armen lag — ein Kind in Windeln. Orestes. Der junge Drache — sucht' er Atzung nicht? Lhorführerin. Sie selber gab im Traum ihm ihre Brust. Orestes. Nahm sie das Ungeheuer? biß es nicht? Lhorfüh rerin. Es sog geronnen Blut anstatt der Milch.

343 Vrcftes. Das ist kein leeres Traumgesicht; cs kommt

Von diesem Todten. Lhorführcrin. Aus dem Schlummer fuhr

Bebend sie auf und schrie; da brannten hell Im Schlafgemache wieder all die Lichter, Die wir zuvor gelöscht, als Nacht es ward. Drauf sandte sie dies Todienopfer her

Als Mittel wider Schaden, wie sie hofft. Grestes

(die rechte Hand auf das Denkmahl legend).

Ich aber bete hier bei diesem Boden, Bei diesem Grabe meines Vaters: mir

Sei dieses Traumgesicht verheißungvoll! Ich wittt' in alledem Zusammenhang: Wenn jener Wurm demselben Schooß entsproß, Dem ich entsprang, in meinen Windeln lag, Und an den Brüsten sog, die mich genährt, Und Blut für Milch aus diesen Brüsten sog, Daß vor Entsetzen laut das Weib geschrien; Dann muß dies Weib, das dieses Ungethüm

Geboren hat, gewaltsam sterben, ich Zum Drachen werden, der sie tödtet, wie Das Traumgesicht besagt. — Ich nehme dich Zum Zeugen, ob ich Träume deuten kann. Lhorführcrin.

Es sei so, wie du sagst.

Was schaffen wir?

344 Greftes. Ich habe wenig noch zu sagen. (Zu Elektra gewendet:)

Du,

Elektra, gehst ins Haus. (Zu PyladeS und feinen Begleitern:)

Euch sag ich, was Zu thun; (Zu den Frauen des ChorS:)

und euch, was ihr zu laffen habet.

Ich bitt euch: hütet euch, mich zu verrathen,

Daß jene, welche listig einst den Helden

Ermordet haben, in denselben Schlingen Nun listig eingefangen sterben, wie

Apüllon mir, der räthselhafte Gott, Der Seher ohne Falsch, verkündet hat. — Ich und mein Freund Pylädes kommen her Mit Sack und Pack als Reisende verkleidet,

Vor*s Thor des Hauses und ich gebe mich Für einen Gastfreund aus und KriegSkamraden.

Wir wollen fremder Mundart uns bedienen, Wie draußen wir's gelernt im Phokerlande.

Der Pförtner wird uns fteundlich nicht empfangen, Denn dieses Haus ist aller Bosheit voll;

So warten wir geduldig, bis ein Mensch Des Weges kommt, zu dem wir sagen: „Ist

Aegisthos nicht daheim, daß vor der Thür Er uns als Bettler schimpflich stehen läßt?"

345

Thut dann die Thür sich vor mir auf und find ich

Ihn, wie er sitzt auf meines Vaters Stuhl, Und kommt er mir entgegen dann und öffnet

Den Mund mich anzureden, schaut mick an; Dann — merkt es euch! — bevor er sagt: „Wer bist du?" Ist er ein Leichnam; — mit behendem Eisen Erschlag ich ihn! — (Nach einer Pause tiefbedeutungvoll:)

Die Rachegöttin trinkt, Tab nicht sie dürste, noch zum drittenmal Dann ungemischtes Blut!-------- Nun, Schwester, geh Und hüte mir das Haus, daß alles glückt.

Ihr aber hütet eure Zungen, schweiget,

Wo's nöthig ist, und sprecht, wo's frommen mag. Was sonst zu thun, das sag ich (auf PyladeS deutend:)

diesem hier,

Der dieses blutigen Waffenspieles Kampfwart. (Orestes, PyladeS und Ge folg e gehen nach recht-ab; Elektra be-

giebt sich in den Palast durch die Thür links. Der Chor allein bleibt [auf der Orchestra zurück.).

Shor.

Giftiger Würmer wüsten Gräuel

Birgt der Erde tiefer Schlund, Grauser Ungeheuer Knäuel

Tummeln sich auf Meeresgrund,

346 Feuerschnaubend stürzen Drachen Aus des Himmels Lustgefild: Blitze flammen, Donner krachen Und der Hagel prasselt wild; — Wo die Ungethüme Hausen,

Flieht, waS Leben hat, mit Grausen.

Aber all die wilden Schrecken Übertrifft des Mannes Wuth, Der es wagt die Hand zu sttecken Gegen fremdes Gut und Blut. Aber all die Ungeheuer Übersiegt ein schamlos Weib, Das, entbrannt von Wollustfeuer, Schändet seinen Menschenleib. Alle Ungeheuer weichen, Wo die zwei die Hand sich reichen.

Fluch der Mutter, die das Leben Ihrem eignen Kinde raubt; Fluch der Tochter, die zu heben Wagt die Hand auf Vaters Haupt;

Aber dreimal Fluch dem Weibe, Das gelobte Treue bricht An des Gatten heiligem Leibe Und ihm raubt des Lebens Licht: Götteraugen, die es schauen, Wenden sich hinweg mit Grauen!

347 Nach des Bösewichtes Herzen

Ist das Schwert bereits gezückt,

Das hinein mit grimmen Schmerzen Die Gerechtigkeit ihm drückt.

Ob der Götter Tempel alle Auch der Sturm der Zeit verweht, Doch geschützt vor jähem Falle

Ewigen Rechtes Säule steht.

Und das Schicksal ist der Richter, Der das Schwert in Händen trägt, Jedes Streites letzter Schlichter,

Der der Bosheit Haupt zerschlägt. Rachegeister sind die Schergen: Mag der Miffethäter fliehn,

Mag er listig sich verbergen — Endlich sahn sie dennoch ihn. (Die Frauen lassen sich auf den Stufen der von der Orchestra nach der Bühne

führenden Treppe nieder und verharren dort in unbewegter Stellung.

Die

Bühne verdunkelt sich. — Lange Pause.)

Abenddämmerung, die

allmählig

während

der folgenden Scene zu tiefer

Nacht wird. Orestes

komm»

mit PyladeS und einigen

Sclaven, welche Reise­

bündel tragen, auf die Bühne und begiebt sich zur Mittelthür des Palastes.

Orestes klopft wiederholt an die Thür. (!) r t st t S (mit fremder Aussprache).

Heda, wo steckst dn? Pförtner! hörst du nicht? — Ist Niemand da? Wie lange soll ich klopfen?-------

348 Macht auf! zum drittenmal« ruf ich schon — Hat Aegisthos das Gastrecht abgeschworen? Pförtner (durch ein Fenster neben der Thür blickend).

Gemach 1 Ich höre schon; wer bist du denn? Wo kommst du her?

(Dreßes.

Vermelde deinem Herrn: Ich brächte Neuigkeiten mit für ihn. Doch spute dich; der Abend bricht herein;

Der müde Wandrer sehnt nach Ruhe sich. Ich weiß nicht, wer hier zu befehlen hat — Ich kann vielleicht die Frau vom Hause sehn; Doch lieber sprach' ich mit dem Hausherrn selbst, Denn schöne Worte hab ich nicht gelernt; Spricht Mann zum Manne, geht es frisch vom Herzen. (Der Pförtner zieht sich zurück; nach einer Weile thut fich die Mittelthür

auf und Alytämnestra erscheint in derselben mit einem Gef-lge von

Knechten und dienenden Frauen. — Die Frauen deS ChorS belruschrn die Vorgänge auf der Bühne von der Orchestra aus.)

Llytamneßra.

Ihr fremden Männer, sagt, was ihr begehret? Was ihr erwarten dürft von diesem Hause, Steht euch zu Dienst: ein warmes Bad, ein Bett, Auf dem ihr aller Müh' und Noth vergesset, Und alles sonst, was Recht und Sitte heischt;

Doch wenn ihr Rath und That verlangt, das ist

Der Männer Sache, gern bericht ich's ihnen.

349 Grestes. Ich bin ein Daulier vom Land Phokis; In Sachen meiner Heimath bin hieher

Gen Ärgos ich zu Fuß gereist.

Da traf

Ich unterwegs mit einem Mann zusammen,

Den ich nicht kannte und der mich nicht kannte;

Doch hört' ich im Gespräch, daß Ströphios Sein Name sei; der fragte mich: wohin

Ich wandre, und ich sagt' es ihm. Da sprach er: ^Mein Freund, wenn einmal du nach Ärgos gehst. So sage doch den Eltern des Orestes,

Die du mit Leichtigkeit erfragen wirst, Ihr Sohn sei todt.

Ich bitte: denke dran.

Und kehrst du heim, so hinterbringe mir, Ob sie den Leichnam dort zu haben wünschen,

Ob er begraben hier im fremden Lande Für immer bleiben soll, denn eine Urne

Von Erz umschließt die Asche jetzt des Mannes,

Den mancher wohl beklagt."

So sprach der Fremde.

Ich sagte, was ich hörte; ob es dich

Was angeht, weiß ich nicht; doch muß sein Vater

Unfehlbar es erfahren. Llytämnestra.

Wehe mir! Mit deinen Worten trafst du mich aufs Haupt! —

O Fluch, der unentrinnbar dieses Haus

Verfolgt, was nahmst du schon zum Ziele dir!

350 Und was geborgen schien, erspähst du doch Und triffst mit deinem Pfeil es! Aller Freunde Hast du mich Unglückselige beraubt: Jetzt nimmst du mir den Sohn, der wohlberathen

Dem Sumpf des Untergangs entronnen schien. Des Hauses letzter Hoffnungsttahl der Rettung

Aus Sünd' und Elend — steht nun eingeschrieben Ins Buch des Todes.

(Dreßes. Lieber wär es mir,

Ich wär als Freudenbote hier erschienen

Um steuMich und als Freund begrüßt zu werden. Doch hab ich selbst die Pflicht mir auferlegt

Die volle Wahrheit kund zu thun, nachdem

Jch's einmal zugesagt, zumal die Thür So gastlich mir geöffnet ward.

Llytamnestra. Du sollst

Den Dank, den du verdienst, empfangen und Trotz deiner Trauerbotschaft gern gesehn

Im Hause sein; es brächte sie ja doch Ein andrer, wenn du nicht gekommen wärest. —

Doch jetzt ist hohe Zeit, daß wir Erquickung Den müden Wandrern schaffen.

Darum führt

Den Fremdling zu der Männerwohnung hin,

Und seine Diener und Gefährten auch, Damit sie Ruhe dort und Pflege finden.

351 (Zu einem der Knechte:)

Dir übergeb ich sie; du sorgst für sie. Ich selber will dem Herrn des Hauses sagen,

Was wir vernahmen, und mit unsern Freunden Das Mißgeschick erwägen, das uns traf. (Klytümnestra begiebtsich mit ihren Begleiterinnen links über die Bühne nach der Frauenwohvung.

Die Knechte

gehen

rechts über die

Bühne nach der Männerwohnung und laden Orestes und dessen Beglei­

ter durch Zeichen ein, ihnen zu folgen.

Die Rittelthür wird verschlossen.

Während alle Personen der Bühne fich hinweg in den Palast begeben, sam­

melt sich der Chor um daS lSrabmahl.)

Shor.

Thut auf nun, ihr Mägde des Hauses, den Mund, Für Orestes betet und singet 1 — Ehrwürdige Erd', ehrwürdiger Grund, Der den heiligen Leichnam umschlinget Des gewaltigen Herrschers auf brausender See, Agamemnons, des Königs im Lande, O erhöret uns, schaffet, daß endlich gescheh, Was wir sehnen zu rächen die Schande l Laßt siegen der Täuschung verblendende List, Und Hermes, den Begleiter der Todten; Ihn sendet zu enden den tödtlichen Zwist.

Ihn sendet, den nächtlichen Boten! AuS der Thür links — der Frauenwohnung — tritt Kilissa weinend und händeringend.

Shorführerin.

Schau! Schau! der fremde Mann hat mitgebracht, Was nicht gefällt! Dort kommt Orestes Amme

352 Zn Thränen ganz gebadet — Kiliffa! Wo willst du so betrübten Herzens hin?

Üiliss-

(die Stufen niedersteigend).

AegisthoS soll ich rufen, will die Herrin, Daß er den Fremdling vom Phokäerland

Begrüß' und Mann vom Manne deutlicher Vernehme, was sich zugetragen. Ach,

Mt düstern Mienen geht vor ihren Mägden Die Frau daher, doch auS den Augen strahlt Ihr nichts als Lachen; dieser Tod ist ihr Das höchste Glück, daS ihr begegnen konnte, Indeß das Haus in Jammer und in Elend Durch dieses Boten Spruch versunken ist.

Nur AegisthoS wird jubeln so wie sie, Wenn er's erfährt. — Ich armes Weib I wie oft Erlebt' ich schon, daß in dies alte Haus Das Wetter schlug und mir das Herz zerriß; Doch solchen Jammer hab ich nie erlebt Wie heut. Ich habe vieles ausgehalten; Doch daß mein Herzenskind Orestes — nein! —

Ich zog ihn groß von Kindesbeinen an, — Aus seiner Mutter Schooße hob ich ihn, — In meinen Armen wuchs er; — wenn er weinte, So stillt' ich ihn, und Nachts bewacht' ich ihn; — Und all die Plage, all die treue Sorge

Soll nun vergebens sein! Ein kleine- Kind, Das will gepflegt sein, denn eS denkt ja nicht,

353 S' ist nicht viel besser als ein Stückchen Vieh; Und sprechen kann es auch nicht; ob es hungert, Ob dürstet, ob es trocken liegt, ob naß, Das soll man alles rathen — ach wie oft Mutz man umsonst das kleine Bettchen säubern. Warten und waschen — immer eins ums andre, Das ist ein schwer Geschäft; ich hab's verrichtet, Damit Orestes wie sein Vater werde. — Nun ist er todt! — ich armes, armes Weib! Nun muß den Mann ich holen, der dies Haus Verwüstet hat, damit er jubilirt!

Chorführerin. Wie will sie, daß er kommen solle? Lilissa. Wie? Ich kann dich nicht verstehn. Was sagtest du? L h o r f ü h r e r i n. Soll er allein erscheinen, oder soll Er seine Wache mit sich bringen?

Lilissa. Za! Er soll mit seinen Lanzenknechten kommen.

Chorführerin. Tu — sage dem verhaßten Herrn das nicht! Geh lieber munter zu ihm hin und sprich: Er soll in aller Eile sonder Arg Marbach, Aesch^loS Tragödien.

23

354 Erscheinen, um die Manner anzuhören. Ost nützt dem Boten Schweigen mehr als Reden.

Lilissa. Freut meine Botschaft dich? Lhorfnhreri o. Es wendet Zeus Manch Weh in Wonne.

üilissa. Freilich; aber ach:

Orestes, unsre Hoffnung, ging von hinnen! Lhorführeri n.

O nein — das sieht sogar ein blinder Seher! Lilissa.

Was sagst du? Was? So habt ihr andre Kunde? Lhorführerin.

Geh hin als Bote; sage, was du sollst; Was sonst zu sorgen — ist der Götter Sorge. Lilissa. Ich geh und werde thun, was du verlangst;

Mögen's die Götter noch zum Guten wenden! (Äiliffa verläßt nach recht8 abgehend die Orchestra; die Frauen des Chors

knieen an dem Grabmahle des Agamemnon nieder.)

Lhorgesang. Göttervater Zeus, gewahre Jetzt, o jetzt nur unser Flehn; Heil und Rettung uns bescheere,

Laß als Sieger ihn uns sehn!

355 Was wir bitten, ist gerecht:

Herr, beschütze deinen Knecht! Seine Feinde leg zu Füßen Ihm, o Zeus, im Hause dort;

Zwiefach, dreifach laß sie büßen Ihren hinterlistigen Mord!

Götter, die ihr heimisch thronet

Auf des Hauses Weihaltar, Duldet nicht, daß länger wohnet Mit euch jenes Mörderpaar! Nehmt noch einmal Blut um Blut, Löscht für immer Racheglut! Strahlen laßt im Vaterhause Sohnesauge licht und klar, Daß die Nacht mit ihrem Grause Aus ihm weicht für immerdar! Majas Sohn, Hermes! geleite Durch die Nacht zum Morgenlicht; Doch der Täuschung Schleier breite Über Feindesangesicht,

Daß des nahen Morgens Graun

Ahnend nicht die Sünder schaun! Mit der Feinde schnödem Leben Weicht von uns die düstre Nacht Und ein neuer Tag wird heben Sich mit ungeahnter Pracht.

356 (Einzelne Stimmen:)

Ist der Rache Werk gelungen, Ist der stolze Sieg errungen; Soll durch des Palastes Hallen, Laut ein Sühnelied erschallen, Zu der Zither süßem Klang Tönen milder Frauensang. Über Stadt und Land ergießen Soll das Lied sich, niederfließen Als ein sanfter Sommerregen Voller Wonne, voller Segen: Der Atreiden wilder Fluch Ward gelöscht im Schicksalsbuch!

(Andere Stimmen:)

Zaudre nicht, ringender Held! Schreite zum Werke und gellt Dir in die Ohren ein Laut, Vor dem die Seele dir graut: Sohn! — o so merke, dein Vater spricht! Ende das Werk und verzage nicht!

Wende das Haupt wie der Held, Welcher Medusen gefällt, Daß du das Antlitz nicht schaust, Dor dem die Seele dir graust:

357

Thu was gebeut dir die Sohnespflicht, Schone die Mörder des Vaters nicht! (Luf einen Bin! der Chorführertn, welche in die Ferne spähend am

Grabmahle steht, erheben sich die Frauen und gruppiren sich auf der Treppe nachläßig hingclagerr — wie schlummernd.)

Nach einer langen Pause tritt AegisthoS von rechts her auf der Lrchestra

auf.

Ter Chor erhebt sich bei den folgenden Worten deS AegisthoS.

t g i ft h o s.

Ich komme nicht von selbst; man rief mich her; Es heißt, es wären ftemde Männer da Mit Neuigkeiten, doch mit traurigen: Orestes sei gestorben. Ist das wahr, So steht zu fürchten, schlecht verharrschte Wunde Wird aufgeriffen, alter Schmerz erneut. Was? Hab ich recht? — Vielleicht ist alles nur Geschwätz von abergläubischen Weibern, das Wie Rauch emporsteigt und wie Rauch verweht. Nan — rede! daß ich weiß, woran ich bin. Lhorführeri n.

Ich hab's gehört. Geh selbst hinein und sprich Den fremden Mann. An seiner Lüg erstickt Der Bote, dem ins Angesicht man blickt. äe giß 1)0 5.

Ei ja! Den Boten will ich sehn und hören, Ob er als Augenzeuge spricht, ob nur

358 Vom dunklen Hörensagen. Hat der Geist Die Augen offen, läßt er nicht sich täuschen. (AegifthoS steigt die Treppe hinauf und begiebt sich durch die Thür rechts

— zur MLnnenoohnung — in den Palast.

Der Chor fammeit sich, sobald

jener fort, wieder um daS Grabmahl.) (Während deS folgenden Gesanges bricht die Nacht völlig herein)

Lhorgcsaug.

Zeus! Zeus! wie beginn ich mein brünstiges Flehn Und was bet' ich vor allem: es möge geschehn, Und wie laß ich mein Herz dich erkennen und sehn, Daß eS klopfet in Lieb und in Treue.

Die Entscheidung naht: ob das mordende Schwert Noch das ganze Geschlecht Agamemnons verzehrt, Von der Erd es hinweg in den Abgrund kehrt, Daß der Mörder des Mordes sich freue; —-

Ob Orestes siegt und am Hausaltar Aufzündet ein loderndes Feuer, das klar Ankündigt den Bürgern, der jubelnden Schaar, Daß des Vaters Gewalt er erneue.

Für den Vater nun streitet der herrliche Held, Zween Feinden zum blutigen Kampfe gestellt, Gieb Zeus, daß er glorreich behaupte das Feld: Laß siegen die Liebe, die Treue! (Aus dem Innern des Hauses erschallt die Stimme des AegifthoS —, ein

furchtbarer Todesschrei:)

Ah! - Ahl — Ahl Ah:

359 (Die Chorführerin springt empor, alle Frauen folgen ihr und drängen die Treppe hinauf.)

LhorsShrtriv. O Hörl! O hört! — was ist geschehn? Wer schrie im Hause?------(Aampfgetöse im Innern deS Palastes.)

Hinweg! Hinweg! Man darf uns hier nicht finden. Damit man uns nicht dieser That verklagt — Der Kampf begann — und die Entscheidung naht! (Die Frauen des ChorS verlassen nach rechts und links fliehend die Orchestra,

sodaß Bühne und Orchestra eine Weile ganz leer stehen.)

TaS Aawpfgetümmel im Hause wird immer stärker, plötzlich öffnet sich die Thür der Männerwohnung, ein Knecht stürzt waffenlos heraus und eilt schreiend

über die Bühne nach der Frauenwohnung, an deren Thür er heftig pocht.

Lurcht.

Mordio! Mordio! Weh! unser Herr ist todt! — Zu Hilfe! — Mörder! Mörder! Mörder! Ha! — Aegisthos ward erschlagen! Macht doch auf! — Herbei! Herbei! Entriegelt doch die Thür! Nicht um dem Todten beizustehn, ihr Weiber! Nein, um euch selbst zu retten! öffnet schnell! — Seid taub ihr oder schlaft ihr? wachet auf! Rufet die Fürsttn! Klytämnestra ruft! Sie soll entfliehn, so schnell sie kann, schon fahrt Das Henkerschwert nach ihrem Nacken auch! (In der Männerwohnung ist eS inzwischen still geworden. Jetzt öffnet sich die

Thür

der

Frauenwohnung und Klptämnestra tritt im Nachtgewande

würdevoll heraus.

Fackeltragende Mägde drängen ihr nach.)

360 Llytamnestra. Was giebt's? Weßwegen schreist du aus dem Schlaf Uns auf? Lnccht.

Der Todte ward lebendig und Erwürgt die Lebenden! Llytamnestra.

Ha! ich verstehe Dein Räthsel: List besiegt die List! — Hol mir ein Beil, womit man Männer schlägt! (Der Knecht eilt in die Männerwohnung zurück )

Ob Sieger, ob besiegt — es wird sich zeigen!

So weit nun wär ich — aller Jammer endet! (Klytämnestra ist bis gegen die Mitte der Bühne vorgetreten; da thut

sich die Mittelthür des Palastes auf, der Glanz von vielen Fackeln, welche die Männer im Innern des Palastes tragen, erleuchtet die Bühne.

Im Eingänge

des HauptthorS liegt der Leichnam des AegisthoS auf einer Bahre. Orestes und PyladeS schreiten aus dem Thor auf die Bühne heraus, beide mit Schwertern bewaffnet.

Klytümnestra steht mit dem Gesichte zuu^ Grab­

mahl Agamemnons gewendet, so also, daß sie dem Thore deS Palastes den

Rücken zuwendet.

Die Mägde, als sie den Leichnam erblicken, fliehen in die

Frauenwohnung zurück und schließen h inter sich die Thür.

Orestes schreitet,

gefolgt von Py la des, auf K ly tämnestra zu — diese wendet sich halb zu ihm hin.)

Orestes

(Klytämnestra erkennend).

Dich eben such ich! — (rückwärtsdeutend)

Jener hat genug!

Llytamnestra (wendet sich und erblickt den Leichnam des AegisthoS).

Ha — AegisthoS — und todt — Geliebter — todt!?

361 Orestes.

Tu liebst den Mann — deßwegen sollst du nun Zm selben Grabe liegen und den Todten Wirst du ja nicht verrathen! (Er schwingt das Schwert gegen Älytämnestra.)

Llytamaeftra.

Halt!------ Mein Sohn!.! — Willst du die Brust durchbohren, die dich einst Mit Muttermilch genährt, die Brust an der Als Kind du einst geschlummert hast? Orestes! Orestes (bebt zurück und klammert sich an PyladeS).

Pylädes, sage mir: was soll ich thun?----Mir graust vor Muttermord. — pyla-es (tiefernst).

Gedenk des Schwures, Den du gethan! gedenke der Äerheißung^ Aus Göttermund! — ob alle Welt dir feind, Wenn du die Götter nur zu Freunden hast! Orestes.

Za, du hast recht — ich kenne meine Pflicht! — (Zu NlytLmnestra:)

Folg mir — ich will dich tobten — dort — bei jenem, Ten, als er lebte, heißer du geliebt Als meinen Vater, dem du Liebe schuldig. Komm — theile sterbend deines Buhlen Bett! (Er streckt die Linke nach ihr auS; Klytämnestra weicht zurück.)

__ 362 Llytamueftra.

Ich gab das Leben dir; nun gönne du Das Leben mir! Orestes. Dir? — Vatermörderin! Ll ytamuestra. Das Schicksal war's, das alles das verschuldet!

Orestes. Dasselbe Schicksal ist's, was dich erschlägt! Llytamoestra.

Mein Sohn! — erbebe vor der Mutter Fluch! Orestes.

Die mich geboren stieß mich aus — ins Elend! Llytamoestra. That dich in Freundes Haus, verstieß dich nicht! Orestes. Du hast — verkauft den Sohn des /freien Mannes!

Llytamoestra.

Verkauft? an wen? wofür? Grestes. Ha! Schaam verbietet Zu sprechen mir von meiner Mutter Schande!

Llytamoestra. O sprich — doch auch von deines Vaters Schande!

363 Orestes.

Er lag zu Felde, du daheim: was weißt du

Von meinem Vater ihn zu schelten? Llytamnestra. Kind, Der Männer Kränkung reizt die Frauen.

Greftes. Nein: Der Männer Arbeit nährt die Frau'n im Hause. (Er streckt abermals He Hand nach Ihr aus und schreitet vor; sie weicht weiter zurück.)

ülytamneftra.

Mich toiHft du tobten ? — deine Mutter? — Kind!

Grestes. Ich dich? O nein: du tobtest selber dich! Llytamvestra.

Bebe vor deiner Mutter Rachegeistern! Grestes. Vor meines Vaters Rachegeistern beb' ich! Meid ich die deinen, packen seine mich!

Llytamneftra (ist bis an den Rand der Bühne zurückgewichen. sodaß sie nunmehr gerade Über dem Grabmahle des Agamemnon steht).

Soll ich vergebens um mein Leben flehn An diesem Grabe? (Sie deutet auf das Grabmahl und beginnt die Stufen -u demselben herabzu-

steigen, da springt Oreste» rasch zu, saßt sie an dem auSgestreckten Arme,

reißt sie empor und zieht die Widerstrebende mit sich fort zu dem Thore

deS Palastes.)

364 Grestes.

Ha! aus diesem Grabe Erwächst dein Tod dir! Llytämneftra.

Wehe! welchen Drachen Hab ich geboren und genährt! Grestes.

Ja wohl! Gewissensangst gab dir dein Traumgesicht! — Verrucht hast du gethan — Verruchtes leide! (Lr schleudert sie vor sich her, sie taumelt auf den Leichnam des Aegisthos, ihn umklammernd, Orestes springt ihr nach, — er hebt daS Schwert, -Klytämn e st r a daS Haupt — das Thor schließt sich.)

Während dies alles geschah, sind die Frauen des ChorS einzeln neugierig und furchtsam auf die Orchestra hereingeschlüpft, sind die Stufen der Treppe

zum Theil hinaufgeeilt. AIS daS Thor sich schließt und in Folge dessen wieder tiefe Dunkelheit die Bühne verhüllt, wendet sich die auf der obersten Stufe stehende Chorführerin, schreitet feierlich die Treppe herab und spricht auf

das Grabmahl Agamemnons gelehnt.

Lhorfuhrerin.

Beweinet dieser beiden schrecklich Los! Und während jetzt Orestes all das Blut, Das hier vergossen ward, mit Blut abwäscht, Tas heißer glüht als all das andre Blut, Betet, daß dieses Hauses letzte Augen Nicht auch im Tode kläglich brechen noch. (Die Frauen des ChorS haben sich um das Grabmahl geordnet.)

365 Lhorgcsang. (Eine einzelne Stimme:)

Endlich für uns Priamiden

Kam der Tag der Rache schwer

Und im Hause der Atriden Geht des Kampfes Leu einher. — Heimgekehrt ins Vaterland, —

Denn ein Gott hat ihn gesandt, —

Geht der Flüchtling rasch zur That, Und ein Gott auch gab ihm Rath, (Llle:)

Jauchzet! Es hebt sich aus nächtlichem Graus

Wieder zum Lichte das fürstliche Haus, Deun es entwich nun das blutige Paar, Welches Verderben und Schande gebar. (Eine einzelne Stimme:)

Endlich listig und verkleidet

Schlich die Rache sich herein,

Doch Gerechtigkeit entscheidet, Wer im Kampf soll Sieger sein.

Gotteskind, Gerechtigkeit, Hochgepriescn allezeit,

Frecher Sünder Übermuth

Welkt in deines Zornes Glut! (Alle:)

Preiset Apöllon, welcher aus Nacht

Glorreich alles zu Tage gebracht,

366 WaS sich vollendet im strahlenden Licht: Sünder entrinnen dem strafenden nicht. *

*

*

(Allgemeiner Chorgesang:)

Die Gottheit überwindet, Drum scheuet ihr Gericht, Die Nacht der Lüge schwindet Und wieder scheint das Licht t Aufs neu empor gerichtet Zst nun das Vaterhaus, Die Feinde sind vernichtet, Es zieht der Fluch hinaus. Die Zeit, die alles wendet,

Wäscht bald von Sünden rein Das liebe Haus und sendet Tann wen sie will, herein. Es lächelt Glück und Frieden

Von jedem Angesicht, Dem hier zu ruhn beschieden — Und wieder scheint das Licht. Tie Mittelthür des Palastes thut sich wieder auf.

Durch dieselbe ganz im

Hintergründe sieht man den Herd des Hauses, aus ihm ein hoch und hell flackerndes Feuer. Lor ihm eine Bahre, aus welcher die Leichen deS Aeg ist h oS und

der Nlytümnestra neben einander liegen.

Recht- neben der Bahre

steht Orestes, leichenblaß, mit einemLorbeerkranzegeschmückt und einen mit weißer Wolle umschlungenen Oelbaumzweig in der Hand haltend, hinter ihm

Pylade».

Auf der linken Seite der Bahre steht Slektra ganz in ihren

schwarzen Schleier gehüllt. Auch die beiden andern Thüren de- Palastes thun sich auf, Frauen treten aus der einen, Männer aus der andern. Sie tragen

367 Fackln und betrachten mit staunendem Schreck, zager Unterwürfigkeit da- sich ihnen darbietende Schauspiel.

Die Frauen de- Chors steigen die Treppe

von der Orchestra zur Bühne empor, von den Seiten eindringendes Volk sammelt sich aus der Orchestra.

Im Innern des Hauses bei dem Herde stehn

die Begleiter des Orestes.

Greftes (seterlich).

Ta seht die Beiden, die das Land beschädigt, Die Vatermörder, die mein Haus verwüstet: — Wie lustig auf dem Throne sie beisammen Gesessen, liegen Hand in Hand sie hier!

Sie band ein Eid: gemeinsam wollten sie

Ten Vater morden und gemeinsam sterben. Nun ist ihr Eid erfüllt. — Doch schauet auch, Ihr Zeugen all der Schmach, die uns gekränkt,

Tas Fangnetz an, mit dem sie meinen Vater

Einfingen einst, mit dem sie Händ und Füße Listig umgarnten ihm und feffelten. (Zwei Sklaven, Begleiter des Orestes, welche zu Häupten der Leichen stehen,

heben einen prachtvollen weiten mit Purpurstreifen geschmückten Mantel auf und breiten ihn aus, so daß der Herd mit seinem Feuer verdeckt wird. Orestes spricht weiter mit steigender Erregung.)

Schlagtes auseinander — zeigt es rings umher:

Das ist das Netz, mit dem man Helden fängt! — Der Vater soll eS sehn — ich meine jenen, Der Alles schaut auf Erden, Helios, — Auch meiner Mutter Frevel soll er sehn, Damit er vor Gericht einst für mich zeugt, Daß Recht ich that, als ich die Mutter schlug. — Aegisthos war ein Mörder, ich sein Richter, Ich that an ihm, was das Gesetz verlangt.

368

Doch wer ist dieses Weib? wie nenn ich die? — Ihr Herz war Haß und ihr Gedanke Mord:

Dem Gatten, ihm, dem Manne, dessen Kinder Ihr Leib getragen, Kinder, die zuvor

Sie zärtlich liebte, spater tödtlich haßte, — Ha! meint ihr nicht, daß sie der giftigen Viper, Dem Wurme gleicht, von dem es heißt, daß jeder Verfault, der ihn berührt, auch wenn er nicht

Von ihm gebissen ward? so schlecht, so boshaft

War dieses Weib! O seht, was sie erfand! (Auf da- auSgebreitete Gewand deutend.)

Stoch hat es keinen Namen dieses Ding,

Der seiner würdig wäre: habt ihr Witz, Denkt einen aus, der seinen Sinn und Zweck Von fern audeutet: Netz für Edelwild,

Selbstwirkend Leichentuch, Mordhochzeitkleid,

Fußangelnd Todtenhemde, Königsklappe, Und Heldenfalle gut für Stegreifritter, Die an der Straß' ihr saubres Handwerk treiben,

Harmlose Wandrer tückisch niederwerfen, —

Ein Fund für Mörder um in Blut zu schwelgen! — Mögen die Götter jeden braven Mann

Vor solchem klugen Weibe gnädig schützen,

Und lieber unbeweibt und kinderlos Ihn leben lassen!------Chor (murmelnd).

Wehe! — Wehe! — Schreckensthat!

Gräßlich hingerichtet!

369

Wehe! — Ungeschlichtet! Neues Unheils blutige Saat!

Orestes (in mehr und mehr zum Wahnsinn sich steigernder Aufregung). Ob sie's gethan — ob nicht?----- da! — dieses Kleid, Das ist mein Zeuge, wie von Blut getrieft Aegisthos Schwert! Der Quell, den einst der Mörder Geschlagen, ist versiegt, doch viele Streifen Des Purpurmantels hat er weggebeizt.----Ich Narr! ich Narr! was steh ich hier und schwatze, Bald meiner That mich rühmend, bald in Jammer Ganz aufgelöst, des Vaters Todtenhemd Bettachtend — ha! mir graust vor meiner That, Bor meinem Elend, vor der ganzen Sippschaft, Zu der auch ich gehöre; — ha! daß ich Mit diesem Siege mich — besudelt habe! (Die Sklaven lasten das ausgebreitete Gewand fallen, das Feuer des Herdes

ist erloschen, der Hintergrund stellt sich als tiefe ganz finstere Halle dar.)

Chor. Keines, keines Menschen Herz Schlägt in stetem Frieden, Wechselnd folgt hienieden Qual auf Wonne, Lust auf Schmerz! Orestes (in krankhafter Unruhe, indem er von Zeit

zu Zeit seine Blicke

über die Leichen hinweg nach dem finstern Hintergründe flattern läßt).

Q nein! vernehmt: ich weiß es, wohinaus Tas will — die Rosse meines Geistes sind Mir durchgegangen und sie schleifen mich Gewaltsam fort. Entsetzen packt mein Herz! Ein wildes wüstes Lied ertönt in mir Marbach, AeschyloS Tragödien.

24

370 Und lockt zum Tanze mich — zur Raserei!---------

Noch weiß ich, wer ich bin — noch kann ich sprechen. Vernehmt mich, Freunde: diese meine Mutter —

Ich hab sie umgebracht, sie war verflucht, Sie hat mir meinen Vater todtgeschlagen!

Den Taumeltrank, der mich zu dieser That

Begeistert, hat Apollon mir gemischt Durch seinen Spruch: vollbracht ich dieses Werk, So sollt ich aller Schuld entsündigt werden; Doch that ich's nicht--------die Strafe sag ich nicht:

Es reicht kein Pfeil so weit wie diese Qual! —

Nun seht — mit diesem Ölbaumzweige hier.

Mit diesem Kranze geh ich nun von hinnen Apollon aufzusuchen, seinen Tempel,

In dem das ewige Feuer brennt; — ich darf,

So will's der Gott, an keinem andern Herde Sonst weilen, als wie dort. — Das Eine soll Bezeugen Ärgos Volk: ich hab's befreit!

Verstoßen, heimathlos, ein irrer Flüchtling

Flieh ich von hier; doch lebend oder todt Laß jenen meinen Ruhm ich hinter mir!

Chorfüh re rin. Was du gethan, war recht; drum strafe nicht

Durch Wort und That dich selbst.

Das Vaterland

Hast du befreit, als jenen beiden Drachen Du ritterlich die Häupter abgeschlagen. (Während der vorstehenden Rede der Chorführerin hat Orestes in den instern

Hintergrund des Hauses gestarrt, wo Rauchwolken von dem erloschenen Herde emporqualmen, — jetzt stößt er einen langen schrillen Angstschrei auS und deutet

sich abwendend nach dem Hintergründe.)

371 Orestes.

Ah !!!! Was sind denn das für wunderbare Weiber? GorgöncnartigZ — Schattenhaft! — Mit Nattern Im Haar — ich darf nicht länger bleiben — ich! (§r schreitet scheu rückwärts blickend bis in die Mitte der Bühne vor. Pyladeö bleibt fottwLhrend an seiner Seite ihn stützend und haltend, während

Orestes an denselben sich anllammert.)

Elektra

(dem Bruder nacheilend und ihn umschlingend).

Wovor erbebst du? Vaters liebster Sohn O bleibe! Was erschreckt dich Sieger denn? Grestes.

Wovor? — Cs ist kein leeres Traumgesicht — Cs sind----- die Rachegeister meiner Mutter! Elektra.

Roch klebt das stische Blut an deiner Hand; Tas ist's, was dich verwirrt. Ot esteS

(sich loSreißend und aufschrei^nd).

Ha! Fürst Apöllon! Cs werden mehr! — und mehr! — und schwarzes Blut Trieft ihnerr aus den Augen----- schauderhaft! pylades.

Du weißt, was dich entsündigt: wenn Apöllon Berührt du hast, so bist du frei von Qual! Grestes.

Ihr seht sie nicht — ich aber sehe sie! — Fort! — Fort! — ich darf nicht länger bleiben — ich! (Gr eilt — immer in Begleitung deS Pylades, während Elektrachände-

ringend zurttckbleidr — die Treppe herab nach der Orchestra — der Chor

372 sammelt sich um bad Grabmahl, die Cho rführerin sieht hinter demselben

bad Volk flieht vor Orestes — die Münner und Frauen auf ber Bühne

brängen sich in ber Mitte ber Bühne um Elektra zusammen,

sobaß diese

die Mitte der von Fackelträgern geblldeten Gruppe einnimmt.

Orestes

verschwindet recht- von der Orchestra.)

LhorfÜhrerill

(feierlich).

So fahre wohl! barmherzig schau ein Gott

Auf dich herab und leite deinen Schritt! (Mit dem nachfolgenden Chorgesange schreitet der Chor die Stufen der Treppe hinauf, umwandelt die Bühne und stellt sich vor der Hauptthür auf, sodaß

der Anblick der Leichen den Zuschauern entzogen wird; die Chorführerin steht in der Mitte.

Tie letzten Worte singen die Frauen de- Chors mit gen

Himmel au-gestreckten Händen.)

Lhorgesang. Laut rauschet der Sturm um das fürstliche Haus:

Es erfüllt sich zum dritten mit wildem Gebraus Des gewaltigen Fluches Verhängnis!

Denn zum ersten —- geschlachteter Kinder Gebein, Das dem Vater sie tragen zum Vtahle herein,

Wild gräßliches Leichenbegängniß! Und zum zweiten — das Weib, das den Herrn und Gemahl Hinstürzt aus des Ruhm's hellleuchtendein Strahl In des düstersten Todes Gefängniß!

Und zum dritten — der Held, der ein Heiland schien, Den dahin als Verderber wir sehen entflieh»; —

Fort peitscht ihn der Seele Bedrängniß! —

Wann endet die Pein? — wo rastet die Noth? —

Wer löset befteiend von Jammer und Tod Des gewärtigen Fluches Verhäugniß?!

VII.

Eumeniden oder

Bit Sühne. (Drittes Stück der Oresteia.)

Die Sage. Orestes ist aus dem Vaterhause, wo er seine Mutter ermordet hat, von den Erinyen — den Rachegeistern — vertrieben, zum heili­ gen Tempel Apollons in Delphoi geflohen. Dort treffen wir ihn wieder, noch besudelt mit dem Blute der Erschlagenen, mit Schwert und Ölbaumzweig, vor den Rachegeistern Schutz und Erlösung suchend bei dem Gotte, der ihm befohlen hat den ermordeten Vater zu rächen. Die Rachegeister selbst und Apollon treten in leibhafter Gestalt auf. Die Rachegeiper find bei Verfolgung des Orestes in den Tempel gedrungen, welcher dem weissagenden Gotte geweiht ist. Hier wagen fie zwar den Unglücklichen nicht zu faffen, weil er sich hier im Schutze ApöllonS befindet; aber fie umlagern ihn und bewachen ihn. Doch der Gott hat fie in Schlaf versentt, und er­ scheint selbst dem Orestes und verfichert ihn seiner Huld, indem er ihm den Rath ertheilt vor den ihn verfolgenden Rachegeistern gen Athen zu fliehen, wo der Tempel der Pallas-Athene steht, der Göttin der Weisheit, der Staatengründerin, und wo ihn seine Richter er­ warten, vor denen Apollon selbst für ihn einstehen will. Orestes flieht, geleitet von Hermös, dem Bruder ApöllonS, dem Seelen führen­ den Gotte der Klugheit, während die Rachegeister noch vom Schlafe gefeffelt find. Aber das Gespenst Klylämnistras erweckt die Rachegeister und fordert fie auf, dem fliehenden Orestes nachzusetzen. Sie ermuntern fich und erinnern sich ihres schrecklichen Amtes; da er­ scheint vor ihnen Apöllon und verweist fie aus seinem Hause. In einem Zwiegespräche tritt der Widerspruch zu Tage: die Rache­ geister verfolgen den Mutlermörder; Apöllon nimmt den Mann in Schutz, welcher das Weib, das dem Gatten die Treue gebrochen

376 und ihn ermordet hat, mit der gebührenden Strafe heimgesucht hat.' Denn auf der Heiligkeit der Ehe beruht das Rechtsleben der Mensch­ heit. Athene, die Göttin der Weisheit, soll entscheiden zwischen Apollon und den Rachegeistern. Diese rasen von hinnen, dem Ore­ stes nach, und Apollon spricht den Entschluß aus des Dulders, welcher in die entsetzliche Lage gekommen ist, seine Mutter zu todten um seinen Vater zu rächen, stch zu erbarmen. Nach einer langen Irrfahrt, immer fliehend vor den ihn ver­ folgenden Rachegeistern, zugleich aber nach den Gebräuchen des heid­ nischen Cultus Sühne suchend für seine blutige That, gelangt Ore­ stes nach Athen zum Tempel der Palläs, wo er die endliche Er­ lösung von seiner Qual zu finden hofft nach der Verheißung Apüllons. Aber die Rachegeister find ihm auf den Fersen und umlagern ihn abermals, wie zuvor in Delphoi. Sie wollen seiner fich bemächtigen, indem fie ihm durch die Fürchterlichkeit ihrer Erscheinung und durch die entsetzlichsten Drohungen Schrecken einzujagen, ihn zur Ver­ zweiflung zu bringen suchen. Da eilt Pallas-Athene, die Orestes in seiner Noth angeruftn, herbei und ordnet das Gericht, welches über Orestes Recht sprechen soll: jenen höchsten Gerichtshof Athens, welcher unter dem Namen des Areiöpagos (weil er aus dem Äres­ Hügel bei Athen seinen Sitz hatte) berühmt war und den Beruf hatte Recht an die Stelle von Rache zu setzen und dadurch ein ge­ ordnetes Staatsleben zu begründen. Ein vollständiger Criminalproceß wird vorgeführt, in welchem Orestes als Angeklagter, die Erinyen als Kläger, Apollon als Zeuge, die erlesenen Bürger Athens als Richter, endlich PalläS-Athene als Präsident des höchsten Gerichts­ hofes, welcher bei Stimmengleichheit die entscheidende Stimme abgiebt, austreten. Orestes wird durch die Stimme AthineS freige­ sprochen, aber auch die Rachegeister erhalten ihr Recht, indem sie dem Staate als Wächterinnen der sittlichen Ordnung für immer einverleibt werden. So werden die Rachegötter zu SegenSgöttern: die Erinyen zu Eumeniden.

Personen. Pallas-Athene.

Phoibos-Apöllon. Hermes.

Orestes. Die Priesterin des Apollon (die Pythia).

Der Schatten der Klytämnestra. Erster Chor: Erinyen (Rachegeister).

Zweiter Chor: Frauen von Athen.

Dritter Chor: Priesterinnen der Palläs-Athene. Die zwölf Richter des hohen Gerichtshofes, genannt Areiöpagos

Volk von Athen. Bühne und Orchestra stellen zuerst den Apollon-Tempel zu Delphoi und

dessen Umgebung dar, dann den Tempel der Athene-PoliaS zu Athen und den Platz vor demselben.

Mitten auf derBühne erhebt sich, umgeben von Lorbeergebüsch, Pracht­ bauten und Statuen, überragt ringsum von den Bergen de- Gebirges Parnafotz. der dem weissagenden Apollon geweihte Tempel -u Delphoi. In dem durch eine Säulenreihe gebildeten Vorhause des Tempels stehen ein Altar des Posei­

don und Statuen des Zeus, des Apollon und der Moira. DcS Innere des Tempels ist durch einen Vorhang den Bilden der Zuschauer entzogen. Die

Orchestra stellt den Vorhof des Tempels dar. Sie ist umfaßt von Prachtbauten,

eine Treppe verbindet sie mit dem Tempel auf der Bühne.

Mitten auf der

Orchestra steht ein großer Altar, welche die Bilder der Sara (Erde), der Themis

(Recht), der Phoibe (reines Licht) und de- PhotboS Apollon trügt. SS ist früher Morgen; da tritt von der Seite her die Priesterin des Apollon (die Pythia)

im vollen priesterlichen Schmucke auf.

Ein Lorbeerkranz umgiebt ihr Haupt,

goldene Binden schmücken ihr Haar, ein langes fließendes Gewand hüllt sie

ein.

Sie nimmt vor dem Altar priesterliche Gebräuche vor und betet endlich

die in ihren Bildern sie umgebenden Gottheiten an.

Vie Priesterin.

Zuerst vor allen Götten: beug ich betend Mich vor der heiligen Erde, die zuerst Hier prophezeite; dann vor ihrem Kinde, Das nach ihr auf dem Seherherde saß, Dem heiligen Recht, und endlich noch zum dritten Vor ihr, der strahlenden Titänentochter, Die jene selbst zum Scheramt berief, Vor Phoibe, die, des heiligen Lichtes Göttin! Auch Phoibe war ein Kind der Mutter Erde; Und als Apollon nun geboren ward,

Ta gab ihm Phoibe dieses Heiligthum, Und Phoibos heißt er nun nach ihrem Namen. Von Delos kam der lichte Gott daher Über der Pällas schiffereiche Küste In dieses Land zum Berge Pärnasos. Des FeuergotteS kunstgeübte Söhne Schritten voraus ihm seinen Weg bereitend Und machten zahm und mild, was roh und wild. Und alles Volk begrüßt ihn huldigend, Delphös, der Fürst des Landes, nimmt ihn auf, Und Zeus erfüllt fein Herz mit Helliger Kunst Und setzt als vierten ihn auf diesen Stuhl: Des Vaters Zeus Prophet ist nun Apollon. Das sind die Götter, die zuerst ich preise; Doch ehr' ich betend auch Pallas-Athene, Der Weisheit hehre Göttin, und die Nymphen, Die hier in weiter Grotte heimisch Hausen, Wo Vögel nisten, Götter viel vesksshren. Gelobt sei Poseidon, der Gott der Meere, Und hochgelobt vor Allen Zeus-Vollender! — So schreit ich denn hinan zum Sehersitz, ApöllonS Priesterin! Mein Eingang sei Gesegnet heut wie stets, und heut noch mehr! — (Sie schreitet die Treppe zur Bühne hinan; angekommen an der Schwelle deS

Tempels wendet sie sich noch einmal um und ruft:)

Sind Griechen angekommen einen Spruch ApöllonS zu vernehmen — tretet ein, Der eine nach dem andern, wie das Los

380 Es ihm bescheidet, einzeln, um zu hören, Was ihm der Gott durch meinen Mund verkündigt! (Sie schreitet durch den in der Mitte getheilten Vorhang in den Tempel, kehrt aber nach kurzer Frist in ängstlicher Hast, zitternd, mit den Händen an Säulen

und Geländer der Treppe sich anklammernd zurück.

So gelangt sie bi» zum

Altar auf der Orchestra und spricht an diesen sich haltend die folgende Worte,

welche sie mühsam, athemloS vorbringt).

Ha! schauderhafter Anblick! den kein Mund

Beschreiben und kein Aug ertragen kann!-------Es treibt zurück mich aus ApöllonS Haus —

Ich kann nicht stehn — ich kann nicht gehn — ich schleppe

Mich mit den Handen fort, da mir die Füße Den Dienst versagen.

Hu — eS macht der Schreck

Die alte Frau zum Kinde, ja zum Nichts 1--------

Ich tret in das bekränzte Heiligthum — Was seh ich! — auf dem heiligen Steine sitzt

Ein Mann — ein Gottverhaßter — ein Verfluchter —

Blut trieft von seinen Handen — in der Rechten Hält er ein nacktes Schwert und in der Linken

Ein Ölbaumreis mit weißer Wolle rings

Umwunden. Ja so war's, so sah er aus. Doch — auf den Stühlen — rings um diesen Menschen — Hockt eine Schaar — von wunderbaren Weibern;

Nein Weiber nicht — Gorgonen sind's — und das

Auch nicht! Ich hab einmal ein Bild gesehen Von einem König, der von Ungeheuern Umflattert war, aus deren giftigen Leibern

Pesteiter niederttoff aus Speis und Trank, — So sahn sie aus, doch flügellos und schwarz —

381 Ein ekelhafter Anblick.

Schnarchend schnauben

Sic giftige Dünste von sich, aus den Augen

Trieft widerlicher Eiter, Alles was

Sie an sich tragen, ist dem Haus der Götter

Und jeder menschlichen Behausung Schimpf. Nie sah ich ihresgleichen unter Menschen; Tas Land, das solche Brut erzeugte, muß

Von fürchterlichem Fluch geschändet fein! — Apollon ist der Herr in seinem Hause, Ihm sci's befohlen, ist er doch ein Heiland

Und Zeichenschauer, der für Andrer Häuser

Entsühnung schafft von dem, was unrein ist. (Die Priesterin schwankt fort.)

Ter Vorhang, welcher das Innere des Tempels verhüllte, thut sich auseinan­ der.

In der Mitte des Tempels steht der „GrbnabeP, ein halbkugelför-

miger weißer Stein, auf welchem zwei goldene Adler sitzen, hinter ihm ein

hoher Dreifuß, rings herum Sesiel.

An dem Steine hingesunken, auf ihn

gestützt, liegt Orestes, ein Schwert in der Rechten, einen Oelbaumzweig in der

Linken haltend, zusammengebrochen. Hinter ihm am Dreifüße steht Apollons

erhabene Gestalt, etwas weiter zurück Hermes.

Auf den Sesieln sind die

schlafenden Rachegeister hingesunken: scheußliche alte, vertrocknete Weiber

mit triefenden Augen, blutigen Lefzen, Nattern in den wirren Haaren, in langen schwarzen Gewündern mit tlutrothen Gürteln.

Apollon Nein, ich verlaß dich nicht.

(zu Orestes).

Ob nah, ob fern,

Ich bin getreu und helfe dir in Noth.

Und deine Feinde sind auch meine Feinde. Auch jetzt — da liegen sie, die nimmer ruhn,

Von Schlaf gebändigt.

Unholdinnen sind's;

Kein Gott, kein Mensch, kein Thier hat je sich liebend

382 Ihnen genähert; um der Bosheit willen Sind sie geschaffen, und der Hölle Pfuhl

Ist ihre Wohnung.

Wie den Menschen sind

Den Göttern sie verhaßt, den himmlischen! Und dennoch flieh und werde nimmer laß,

Denn über weite Lande jagen sie Dir nach, wohin dein Fuß sich auch verirrt: Durch Meereswüsten, durch der Städte Lärm.

Nie darfst du ruhn und nirgends, um zu retten Dich vor der Qual, mit der sie dich verfolgen; Bis endlich in Athenes Stadt du kommst. Dort sinke vor der Göttin altes Bild, Umschling es hilfeflehend mit den Armen;

Denn dort erwarten deine Richter dich, Und eines milden Spruchs gewärtig finden

Das Mittel wir, das deine Qualen endet,

Weil ich es war, der dich getrieben hat

Zu tobten deiner Mutter leiblich Bild.

Orestes. Herrscher Apollon, ohne Sünde bist du!

Apollon. Wenn du das weißt, so lerne dulden denn.

Orestes.

Du bist mein Bürge, daß ich nicht erliege!

Äpollon. Deß sei gedenk, daß unverzagt dn bleibst! —

Hermes! mein Bruder, walte deines Amts:

383 Geleite diesen Mann, der Zuflucht nahm

Zu mir, behüt ihn mir.

Es machte ZeuS

Zu seinem Heiligen dich, als er gewollt,

Daß du die Sterblichen zum Heile führest. (Apollon verschwindet In einer ihn rrmdichtenden Wolke; Herme- ergreift

die Hand deS betäubten Oreste - und führt ihn hinweg.

Längere Pause.)

Ter Schatten der Nlytämnestra steigt in der Orchestra empor; sie erblickt die schlasenden Rachegöttinnen und spricht jammernd, händeringend.

Llytamurstra. Ihr schlaft?! O weh! Was hilft mir euer Schlaf!?

Warum beschimpft ihr mich vor all den Todten? — Des Mörders Schande tilgt kein Sterben aus,

Drum treib ich schmachbeladen mich umher. Ich sag euch: mir ward von den Todten allen

Die höchste Schmach zutheil, obschon ich, ach, So Gräßliches erduldet von den Meinen!

Kein Geist ereifert sich um meinetwillen,

Cb Muttermord mich hingeschlachtet hat! Ihr seht die Wunden, die mein Leib empfing.

Denn schlafend schaut der Geist mit Augen klar Der Sterblichen Geschick, das Tagesglanz Bor ihm verhüllt.

Gedenket all der Opfer,

Mit denen ich im Leben euch geehrt:

Des Trankes ohne Wein, den ich bereitet Für euch, der Mahle, die bei Nacht ich euch

Gehcimnißvoll beschickt, und die mit euch

Kein andrer Gott getheilt! Und alles das —

384

Es war umsonst — mit Füßen tretet ihr's! Der Mörder ist entflohn! der Hinde gleich Entspringt er eurem Netz und lacht und höhnt! Vernchmt: ich sprach um meiner Seele willen! Besinnt euch, Göttinnen der Unterwelt! Die mit euch spricht im Traum ist — Älytämnestra! (Die Stachegeister regen sich schlaftrunken und stöhnend.)

ÜLytamuestra. Ja, stöhnet nur! Entflohn ist euer Wild! Ihm fehlt's au Helfern nicht: ich — habe keinen! (Abermaliges Stöhnen der R a ch e g e i ft e r.)

LlytLmncstra. Ihr schlaft! Ihr schlaft! nicht weckt euch meine Qual! Orestes ist entflohn! Der Muttermörder! (Tie Rachegeister regen sich ringend und ächzend.)

Ltytamneftra. Ihr ächzet, aber schlafet! Rafft euch auf! Was habt ihr sonst zu thun, als Unheil schmieden! (Nochmalige- Lechzen der R a ch e g e i ft e r.)

Llytämnestra. Ha! Schlaf und Mühsal haben sich verschworen Um dieser Drachen wilde Wuth zu zähmen! Die Kachcgcistcr (imTraume). Fass'! Fass'! Fass'! Hab Acht! Llytamnestra. Im Traume jagt ihr euer Wild und bellt Wie faule Hunde vor Gewissensangst! —

385

Was schafft ihr? Auf! Laßt euer Mühsal nicht Besiegen euch! Laßt euch vom Schlafe nicht Betäuben! Peitscht euch selber auf und stachelt Euch zur Besinnung! Fort! Dem Mörder nach! Blutschnaufend stürmt ihm nach! und dörrt ihn aus Mit eurer glühenden Eingeweide Qualm! (Der Schatten der Klytämnestra verschwindet.)

Vie Lachegeiftcr (springen einzeln auf und rütteln eine die andre aus dem Schlafe, einzeln rufend).

Wach auf — Ich wecke dich; erwecke die! — Du schläfst? — Erwache! — Rüttle dich empor! — Laßt sehn, was wahr an diesem Gaukelspiel! Ver Thor der ach eg ei ft er (aufspringend, einzeln). 1) Hohi! Hohi! Wir sind betrogen. — 2) Verloren aller Eifer, alle Mühsal! 3) Durch schändlichen Betnrg betrogen! — 4) Ha unerträglich! — 5) Dem Netz entwischt! davon ist unser Wild! — 6) Im Schlaf bestohlen um unsre Beute! — 7) Haha! Zeus Sohn hat uns bestohlen! 8) Der Neuling überlistet alte Geister! 9) Er nimmt in Schutz den Gottvergessnen! 10) Den Fluchverfallnen! 11) Ein Gott und stiehlt den Muttermörder uns! 12) Wer wagt solch Treiben gerecht zu nennen?! Marbach, AeschyloS Tragödien. 25

386 (Alle.)

Ein Traumgesicht Hat mich erweckt, Zu meiner Pflicht Mich aufgeschreckt! Der Peitsche Hieb Traf mich ins Herz hinein! Der grimme Treiber trieb Den Stachel wilder Pein In mein Gebein!

Willkürlich setzt Ein neu Geschlecht Von Göttern jetzt Gewalt für Recht. Ha schmachbedeckt

Steht hier der heilige Stein, Den Menschenblut befleckt; Wer mag ihn wieder weihu Um rein zu sein?! (Einzeln:)

1) Du selber, Seher, hast dein Haus befleckt! — 2) Du selber den Altar mit Schmach bedeckt! — 3) Weil höher als der Götter Rath —

4) 5) 6) 7)

Du sterblich Blut und Wesen ehrst, — Uralter Schicksals-Götter That — Zu walten wie sich ziemt verwehrst. — Du hoffest uns und du bist uns verhaßt; —

387

8) 9) 10) 11) 12)

Tein Schützling aber wird von uns gefaßt! — Tu wirst uns nimmer ihn entziehn, — Den selbst die Hölle nicht uns raubt! — Wohin er flieht, wir finden ihn, — Dem Fluch verfallen ist sein Haupt!

(Der Hintergrund verdunkelt sich durch Wolken, auS ihnen tritt plötzlich

PhoiboS-Apollon mit Pfeil und Bogen.)

«Apollon. Hinaus! — Ich will's! — Aus diesem Hause fort! — Befreit das Heiligthum von eurer Nähe, Bevor von meines Bogens goldner Sehne Beflügelt euch ein Pfeil des Lichts ereilt, Und ihr in Schmerz euch krümmend blutigen Schaum Ausspeit von Menschenblut, das ihr geschlürft. (Die Rachegeister fliehen scheu von hinnen, sammeln sich aber auf der

Orchestra und grinsen von da dem Gotte entgegen).

Ties Haus ist rein; ihr dürft es nicht berühren; Aufs Hochgericht gehört ihr, wo man köpft Und spießt und schindet, wo man Menschenangen Attsbrennt in ihren Höhlen, Glied um Glied Abreißt von Leibern, die noch lebend zucken, Wo Wehgehenl nnd Todesschrei erschallt. Tas ist, was euch behagt; das ist die Lust, Tie allen Göttern euch zum Gräuel macht. Wer euch erblickt, der weiß auch, wer ihr seid! Blutgieriger Tieger Lagerstätte ziemt Zur Wohnung solcher Bmt, nicht dieses Haus.

388 Hinweg! verworfne, führerlose Schaar, Denn eurer nimmt kein Gott sich gnädig an! (Eine (Erinns (aus dem zusammengedrängten Haufen der Rachegeister).

Herrscher Apollon, hör auch mich nun an! (Eint zweite (Erinys.

Mitschuldig bist du nicht; o nein: du selbst Hast diese That gethan — selbstschuldig bist du! (Die Rachegeister wollen eiligst fliehen, bleiben aber auf den Zuruf

ApollonS stehen.)

Apollon.

Nein, steht! — So lange dürft ihr weilen noch, Bis ihr gesagt, weshalb ihr mich beschuldigt. Drift t (Erinys.

Dein Seherspruch gebot den Muttermord! Apollon.

Mein Seherspruch gebot des Vaters Mord Nach Fug und Recht zu strafen, — weiter Stichts. Vierte (Erinys.

Tann nahmst du frischvergossnes Blut auf dich. Apollon.

Dann hieß ich Schutz in meinem Hause suchen Den unglückseligen Mann, den ihr verfolgt.

389 Fünfte Lriuys. Und schmähst doch uns, die dir ihn hergebracht!

Apollon. Weil euch nicht ziemt dies Hans hier zu betreten.

Sechste Lriuys. Wir thun allein, was unsers Amtes ist.

Apollon. Welch Ehrenamt! welch rühmlicher Beruf!

Siebente Lrinys. Tie Muttermörder treiben wir von hinnen!

Apollon. Auch den, der einem Weib ihr Recht gethan, Das seinen Gatten meuchlings umgebracht?

Achte Lrinys. Das Blut, was sie vergoß, war ftemdes Blut.

Apollon. Durch dieses Wort wird Zeus und Hera's Stiftung, Der heilige Bund der Ehe frech geschmäht, Und Kypris auch, der Lieb und Anmuth Göttin,

Die doch der schönste Trost der Sterblichen! Der Bund der Ehe zwischen Mann und Weib Ist heiliger als Schwur und steht im Schutz Urcwigen Rechtes. Wenn den Gattenmord

390 Ihr nicht mit eurer Rache Wuth verfolgt, So dürst ihr auch Orestes nicht vertreiben!

Nehmt ihr der Mutter euch so eifrig an, Und denkt so wenig an des Gatten Heil?! — Nun, — wo das Recht in diesem Handel liegt, Palläs, der Weisheit Göttin, soll's entscheiden.

tttunlt Erivys. Von jenem Manne lasten nimmer wir!

Apollon. Verfolgt ihn, füllet seines Elends Maaß!

Zehute Crinys. Doch schmähe du nicht unser Ehrenamt!

Apollon. Dies Ehrenamt — ich würde sein mich schämen.

Lifte Crinys. Du stehst in Ehren, heißt's, am Throne Zeus!

Zwölfte Crinys. Wir aber — Mutterblut um Rache schreit! — Wir sind im Recht! Wir jagen unser Wild! (Die Rachegeister rasen von hinnen).

Äpolloa. Ich aber will des Dulders mich erbarmen. — Auf Göttern wie auf Menschen lastet schwer

391 Des Sünders Thräne, der um Gnade fleht Und sich verlaffen und verworfen sieht. (Der Haupt-Borhang fällt, sodaß sowohl die Orchestra al- die Bühne verdeckt

werden).

Nachdem sich der Vorhang wieder gehoben, stellt die Bühne das Innere des Tempels der Athene-PoliaS in Athen dar.

In der Mitte des Tempels sieht

man einen Altar, auf demselben daS aus Holz geschnitzte mit Prachtgewanden beneidete Blldniß der Göttin. Tempel dar.

Tie Orchestra stellt den Platz vor dem

Lie Dekorationen der Bühne und der Orchestra versinnlichen die

bekannten Umgebungen deS genannten Tempels.

Namentlich sieht man auf

der linken Seite der Orchestra den Hügel AreiopagoS.

Grestes (todtbleich, schmuck- und waffenlos, stürmt Über die Orchestra fliehend herein, eilt die Treppe zur Bühne hinauf, sinkt erschöpft nieder am Bilde der Athene und umklammert eS).

Herrin Athene! auf Befehl Apollons Komm ich! Erbarmen dem Geächteten! — Nicht mordbefleckt, nicht blutbesudelt mehr; Nein: müd und abgetrieben unter Menschen. Auf weiten Wegen über Land und Meer Hinfliehend, wie ApöllonS Spruch verlangt,

Nah' deinem Hause, deinem Bildnib ich Und harre des Gerichtes, der Entscheidung!

Chor Ler Uachegetster (nachsetzend, athemloS auf der Orchestra herumspürend. DaS folgende einzeln).

1) Nur zu! Nur zu! Wir haben seine Fährte! —

2) Der stumme Zeuge zeigt uns, wo er steckt! — 3) Es spürt der Hund das angcschoffne Wild! —

392 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12)

Blut trieft der Mörder und wir Witter« ihn! — Mehr als ein Mensch erträgt, erlitten wir! — Den Erdkreis haben wir nach ihm durchspürt! — Wir rannten ohne Flügel übers Meer! — Ans Schiff geklammert, das den Mörder trug! — Hier muß er sein, hier hat er sich versteckt! — Es lacht der Duft von Menschenblut mich an! — Schaut rechts! Schaut links! Schaut überall! — Daß nicht der Muttermörder uns entrinnt!

(Die Nachegeister entdecken den Oreste- und sprechen einzeln:)

1) 2) B) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12)

Seht doch! Seht! da ist er ja! — Wieder hat er Schutz gefunden! — Um der Göttin Bild gewunden Hat er seine Arme da! Lösen soll aus seinem Fluch Ihn Athenes Richterspruch! Nimmermehr! der Mutter Blut, Das zur Erde hingefloffen, Das des Mörders Hand vergaffen, Tilget keiner Sühne Flut! Was beschließe das Gericht; Erde giebt's zurücke nicht! (Alle:)

Blut um Blut sollst du geben, Mörder, uns; nicht dein Leben! Blut entsaugend deiner Brust Schwelgen wir in Rachelust! Lebend ziehn wir dann zum Schlunde

393

Dich hinab, zum Höllengrunde: Deiner Mutter Mord

Büße dort!

Lerne dann: Hochverräter Wider Gott, Miffethäter An des Gastes Recht und Gut, An der Eltern heiligem Blut — Die verruchten Bösewichter

Finden unten ihren Richter, Welcher Alles sah, Was geschah! Greftes.

Geschult in Leiden kenn ich manch ein Mittel, Das Lindrung schafft in Seelenqual. Ich weiß. Wo Reden ziemt, wo Schweigen, aber jetzt Gebeut ein weiser Lehrer mir zu sprechen. Das Blut an meiner Hand verblich, verschwand; Die Pest des Muttermordes ward hinweg Gespült vom Opfertrank am Hochaltar Phoibos-Apöllons. Mancher Ehrenmann Hat ungestraft die Hand mir schon gereicht. Die Zeit wird alt und alles altert mit. Drum darf ich jetzt mit reinen Lippen fromm Die Herrin dieses Lands, Athene, flehn Mir beizustehn. So wirbt sie sonder Schwert Mich selbst, mein Volk, und Ärgos ganzes Land

Für alle Zeit zum treuen Bundgenossen.

394 (Inbrünstig betend:)

Wo du verweilst, Athene, höre mich! Ob in der Heimath Flur du lächelnd schweifst, — Ob du durch rauher Manner Schlachten schreitest, Um Sieg zu spenden der gerechten Sache, — Ob du dein Reich als König überschaust, — Erschein! Erschein! du bist ein Gott und hörst! — Erlöse mich von meiner Qual, Athene! Die Dachegeister

(durcheinander sprechend).

Nicht wird Apollons, nicht Athenes Macht Dich retten, bis du hilflos und verlassen

Und freudebar in unsre Arme sinkst, — Der Rachegeister Opfer, blutentleert — Ein Schattenbild! Du schweigst? verstummst vor Angst t — Du bist für uns gestttert! uns geweiht! — Lebendig nährst du uns — geschlachtet nicht! — Hör an das Lied, das deine Seele bannt! Chorgesaug der Dachegeister (indem sie sich zum Reigentänze ordnen).

Auf! schlinget den Reihn! Auf! singet ein Lied, Das die Seelen erfüllet mit Grausen! Wie wir walten dahie, wie wir schalten allda, Wie bei sterblichen Menschen wir Hausen!

Wir hegen die Pflicht! Wir pflegen datz Recht! Wer in Unschuld wandelt hienieden, Den erfassen wir nicht und wir lassen ihm Ruh

Und wir gönnen ihm Freuden und Frieden.

395

Doch künden wir laut Mord-Sünden, die feig

Sich verkriechen, als Zeugen der Todten, Und wir hassen die Mörder und fassen sie fest. Als des Blutrechts gierige Boten 1

(Eine einzelne Stimme:)

O Nacht, die uns geboren, Vernimm uns gnadenreich:

Zum Rachedienst erkoren Im Licht- und Schattenreich —

Macht unser Amt und Recht zu Spott

Apüllon nun, der junge Gott, Und nimmt uns unsre Beute fort!

Er bringt uns um das Menschenblut, Das nährt der Rache heiße Glut

Für ftechen Muttermord! (Alle im wilden Reigentänze:)

Hör uns 1 — Hör uns 1 — Opferthier I

Was wir singen dir l ja dir l Rachegeister Festgesang

Ohne Harf und Flötenklang,

Geht durch Mark und Bein! Wahnsinn wirbelnd um dein Haupt

Klaren Sinnes dich beraubt! Rachegeister Festgesang

Ohne Harf und Flötenklang

Reißt ins Herz hinein!

396 (Einzelne Stimme:)

Des Schicksals heiliges Weben Schuf unser ernstes Amt

Und gab's mit unserm Leben Uns, die der Nacht entstammt: Den Menschen, welcher Blut vergießt. Das ihm in eignen Adern fließt, Blutig verletzt die Kindespflicht, Verfolgen wir mit Grimm und Wuth,

Bis ihn umfängt der Hölle Glut; Doch Tod befreit ihn nicht I (Alle im wildem Reigentänze:)

Hör uns 1 — Hör uns l — Opferthier l Was wir singen dir! ja dir! Rachegeister Festgesang Ohne Harf und Flötenklang Geht durch Mark und Bein! Wahnsinn wirbelnd um dein Haupt

Klaren Sinnes dich beraubt! Rachegeister Festgesang Ohne Harf und Flötenklang Reißt ins Herz hinein! (Einzelne Stimme:)

Das Los, das uns beschieden An unsrer Mutter Brust, Das gönnt uns keinen Frieden Und keiner Liebe Lust.

397

Tie Götter selber sind uns feind, Kein Freund, der mit uns lacht und weint Und mit uns theilet unser Mahl! Wir tragen nie ein Feierkleid, Ein schwarz Gewand in Ewigkeit, Und schaffen Nichts als Qual! (Alle im wilden Reigentänze:)

Deine Mutter schlugst du tobt! Schau das Blut — wie roth! wie roth! Fliehe! Fliehe, Bösewicht! Uns entrinnst du dennoch nicht! Ha! wir fassen dich! Stürmen nach im kecken Spnrng, Lechzen Blut zum Labetrunk! Fliehe! Fliehe, Bösewicht! Uns entrinnst du dennoch nicht! Ha! wir haben dich! (Einzelne Stimme:)

Kein Gott will uns entbinden Von unsrer bitten: Pflicht! Kein Gott läßt Ruh uns finden, Führt uns aus Nacht zum Licht! Wir fegen ja die weite Welt Von dem, was Göttern nicht gefällt, Vom eklen Schmutz der Sünde rein. Zeus selber treibt aus seinem Haus Die blutbefleckten Sünder aus, Drängt einer frech sich ein.

398 (Alle tm wilden Reigentanz«:)

Deine Mutter schlugst du todt! Schau das Blut — wie roth! wie roth! Fliehe! Fliehe, Bösewicht! Uns entrinnst du dennoch nicht! Ha! wir fassen dich! Stürmen nach im kecken Sprung, Lechzen Blut zum Labetrunk! Fliehe! Fliehe, Bösewicht!

Uns entrinnst du dennoch nicht! Ha! wir haben dich! (Einzelne Stimme:)

Der Mensch in stolzem Wahne Nimmt keck empor den Lauf, Schon pflanzt er seine Fahne Am Himmelsthore auf; — Da schleichen wir an ihn heran, Und blickt er auf, und blickt uns an, So sinkt er nieder in den Staub! Und fordert ihn bei Fackelglanz

Die schwarze Schaar zum Reigentanz, Bald ist er unser Raub! (Alle im wilden Reigentänze:)

Regst du dich? und wehrst dich noch?

Ei so ringe! ringe doch, Bis dein Leib zusammenbricht Nieder auf dein Angesicht! —

399 Ha! du bist gefallt! Dicker Nebel HM uns ein; Frisch ans Werk — ein heißer Schrein — Wenn dein Leib zusammenbricht Nieder auf dein Angesicht — Schrill und schaurig gellt! * * * Allgemeiner 6 cfang. Wir bleiben, die wir waren, Kein Mörder uns entrinnt; Nicht schrecken uns Gefahren, Was Mensch, was Gott ersinnt. Durch Nacht und Nebel ohne Steg Gehn wir gradaus den rechten Weg. Wir kennen kein Erbarmen, Uns rührt kein menschlich Flehn, Den Reichen wie den Armen Mit gleichem Blick wir sehn: Es kann kein Mensch ohn Furcht und Graun In unser finstres Antlitz fdjau’n.

Drum, ob wir auch verkehren, Wo nie geglänzt ein Licht; Doch soll kein Gott uns wehren Zu thun, was unsre Pflicht: Die höchste Macht der ganzen Welt, Das Schicksal ist's, das uns bestellt!

400 Wolken erfüllen den Hintergrund der Bühne: aus ihnen hervor tritt mU Schild, Speer und AegiS Athene.

Athene. Aus weiter Feme drang ein Hilferuf Zu mir, als ich in Troias Fluren schweifte, Im Lande, daS der Griechen edle Führer Von ihrer Siegesbeute mir geweiht,

Für alle Zeit als Erb und Eigenthum Dem Stamme des Theseus.

Von dort hieher

Bin ich im Sturm geeilt, anstatt der Flügel Die Aegis schwingend, jugendfrische Rosse

Vor meinem Wagen.

Nun erblick ich hier

In meiner Stadt, zwar nicht erschreckt, doch staunend.

Dies seltne Schauspiel.

Saget, wer ihr seid,

Ich mein' euch alle: dich, der hier mein Bild

Umschlungen hält, und euch, seltsam Geschlecht, Deß Bildung weder Göttern, weder Menschen

Vergleichbar! Toch wie fremd ihr mir auch seid,

Ich tadl' euch nicht, nachdem ihr mir- genaht; Das wäre gegen Recht und edlen Brauch. Die ttachrgeistcr

(einzeln).

1) Zeus Tochter! wenig Worte sagen alles: —

2) Wir sind die düstern Kinder ewiger Nacht, — 3) Und unser Name, den in unsrer Heimath

Wir unten führen, lautet: Rachegeister!

Athene. Nun weiß ich euren Stamm und euren Namen.

401 Vierter Kachegeist. Auch unser Ehrenamt erfahre noch. Athene.

Nun denn — ich höre. Fünfter Kachegeist. Mörder treiben wir Von Haus und Hof. Athene. Wo findet aber endlich Der Sünder seiner Flucht bestimmtes Ziel? Sechster Kachegeist. Da, wo es keine Freude giebt.

Athene. Den Mann, Den hier ich sehe, treibt ihr so zur Flucht? Siebenter Kachegeist. Ja, weil er seine Mutter umgebracht. Äthene. Weswegen that er das, wer trieb ihn an?

Ächter Kachegeist. Was gab' es, das zum Multermorde triebe?

Äthene. Nachdem den Kläger ich vernommen, gilt's Auch den Beklagten anzuhören.

Neunter Kachegeist. Hör ihn: Er möge schwören, daß er's nicht gethan. Marbach, AeschyloS Tragödien.

402 Ätheur. Nicht auf die Form, aufs Wesen kommt es an. Zehnter Üachegeift. Was willst du damit sagen? Ztheue. Niemals soll Durch einen Eid die ungerechte Sache Zum Sieg gelangen. Elfter Nachtgeist. So vernimm ihn denn Und sprich ein grades Urtel. Äthene. Also wollt ihr, Daß ich entscheiden soll in dieser Sache? Zwölfter Nach eg ei st. Warum denn nicht? denn sicher wirst du sprechen. Was einzig deiner Würde würdig ist. Äthene. Was hast du, fremder Mann, an deinem Theil Hiegegen vorzubringen? Sage mir, Wo du geboren bist, wie du dich nennst, Was du gethan, was du geduldet hast? Den Vorwurf, der dich traf, beseitige, Wenn du dem Recht vertrauend wagen darfst Mein Bildniß anzurühren und zu flehn An meinem Hochaltar. Nun, stehe Rede!

403

Grestes.

Herrin Athene l laß vor allem mich Dir sagen, daß ich nicht, wie du besorgst

Nach deinen Worten, noch besudelt bin Mit Blut; die Hand, die dies, dein Bild, berührt

3ft längst gereinigt, wie du hören wirst.

Was heiliger Brauch verlangt, das ist geschehn.

Nachdem die schauderhafte blutige That Vollbracht war, hab ich schweigend abgewartet

Bis Jemand nach den heiligen Bräuchen mich Durch lautres Opferblut gereinigt hat.

Vor mehr als einer Menschenwohnung ward Mir solche Reinigung bereits zutheil.

Auch wer ich bin, sei, Göttin, dir gesagt: Aus Ärgos bin ich, meinen Vater kennst du, Denn Agamemnon heißt er, und er war

Der Führer jener Flotte, welche dir

Gedient, um Troias Burg in Schult und Asche Niederzustürzen.

Als mein Vater heim

Gekehrt, da kam er elend um sein Leben.

Er ward von meiner Mutter umgebracht. Mit Hinterlist empfing den Gatten fie

Und gab im Bade tückisch ihm den Tod, Nachdem ein Netz um seine Glieder sie Geschlungen hatte, das ihn wehrlos machte.

Ich lebt' indeß verbannt vom Vaterhause, Und als ich heimgekehrt — ich leugne nicht: Erschlug ich meine Mutter, um an ihr

404 Des heißgeliebten Vaters Tod zu rächen.

Was ich gethan — mich trieb ein Gott dazu,

Der mir das Herz im Busen aufgestachelt: Apollon.

Grimme Qualen droht* er mir,

Wenn ungestraft der Tod des Vaters bliebe. —Du — richte: ob ich Recht, ob Unrecht that? — Ich beuge mich vor deinem Richterspmche.

Athene. Kein Sterblicher vermag in dieser Sache

Das Recht zu finden; doch auch mir gebührt Bei blutigem Morde nicht ein Richterspnrch.

Doch da du mir und meinem Hause nahst, Nachdem durch Weihen du gereinigt bist

Vom Blut, das du vergossen, darf ich dir

Den Zufluchtort nicht wehren, den du suchtest. Die Rachegeister aber darf ich nicht

Von hier vertreiben, weil ihr Amt sie schützt; Und gingen sie von hinnen nicht als Sieger,

So würde bald ihr Zorn auf dieses Land

Pest und Verderben schonunglos ergießen. Wofür ich mich entscheiden mag — für dich

Oder für jene — beides ist gleich sehr Verhängnißvoll. — Da nun es also steht, So kür und stift ich denn für alle Zeit

Hiemit ein Blutzericht geschworner Manner. Ihr aber, beide Theile, sorgt für Zeugen,

Die das auf ihren Eid bekunden, was

Euch euren Anspruch zu begründen dient,

405 Indeß ich aus den Bürgern meiner Stadt Die besten mir und edelsten erlese

Ilm diesen Streit zu schlichten, wie sich ziemt, lind ihrem Eide treu das Recht zu finden. (Athene verschwindet.)

Chor -er Lachegri-er.

Ein neu Gesetz verkehret Tie Ordnung jetzt der Welt, Wenn fürder unverwchret Der Mörder Recht behält.

Das wär ein Spruch, der ftecher Lust Zur Frevelthat die Waffe leiht, Die Kindeshand in Elternbrust Einbohrt in aller künftigen Zeit.

Ter Menschheit düstre Wächter, Wir hätten fortan Ruh, Dem Würgen blutiger Schlächter Sühn wir gelassen zu.

Dann kommt der Tag, da mancher klagt, Welch Leid sein eigen Fleisch und Blut Ihm angethan, wo keiner wagt Zu spenden Lebenstrost und Muth.

* * * Mancher ruft vergebens dann Uns zu seiner Rettung an: „Rachegeister schafft mir Recht!" Vaterherz mit Tode ringt,

Mutterbrust vor Jammer springt: „Ach auf Erden giebts kein Recht!" Weicht die Furcht, so flieht das Heil, Das deS Lebens bestes Theil; Und der Zwang gebiert das Recht. Scheut der Mensch die Frevelthat Nicht als bittrer Rache Saat, Dann auf Erden giebts kein Recht! *

*

*

Willkür nicht, noch Knechtessinn Ist der Menschheit Segen, Zwischen beiden mitten drin Ist das Heil gelegen. Und es ist ein weises Wort: Hochmuth kommt zu Falle; Gottesfurcht ist fort und fort Quell des Heils für 9llle. Und so bleibt's in Ewigkeit: Halte fest am Rechte, Weil doch endlich jederzeit Strafe trifft das Schlechte. Und das höchste ist und bleibt Vater, Mutter ehren, Und wen Schicksal zu dir treibtMcht dein Haus verwehren.

407

Heil dem Mann, der ungezwungen Frei dem Rechte sich geweiht; Schönster Sieg ist ihm gelungen, Überwunden alles Leid. Aber wer ins Meer der Sünde Fährt im kecken Übermuth, Dessen Segel reißt im Winde, Desien Steuer bricht die Flut. Und er schreit zu tauben Ohren, Denn es rettet ihn kein Gotts Mit dem eitlen Freiheitthoren Treiben Wind und Wasser Spott.

Schifflein wird zuletzt zerschellen An des Rechtes Felsensttand, Schiffer wird ein Raub der Wellen Unbeweint und unbekannt. Ein Zug von zwölf Greisen (die erwählten Richter) schreitet über die Bühne.

Die Greise nehmen Platz auf Sesieln links.

Athene tritt auf, gefolgt von

Priesterinnen, welche zwei Urnen auf den Altar setzen und dann hinter demselben sich aufstellen.

Äthcnr. Herold! laß deinen Heroldruf erschallen Und rufe mir mein Volk! Der Schlachtdrommete Eherne Lunge fülle Menschenodem, Daß jedes Haus in meiner Stadt Athen Von ihrer Stimme Widerhall erdröhne! (Trompeten erschallen in langgedehnten Fanfaren. Der Chor der Rach eg ei ste r stellt sich auf der Treppe, welche die Orchestra mit der Bühne verbindet, eng-

geschaart auf.

Die ganze Orchestra füllt sich mit Menschen.)

408 Ätheor. Die ganze Malstatt ist von Volk erfüllt; — Herold, gebiete Schweigen! — Jedermann

Vernehme meine Stiftung, die von nun In aller Zukunst Tagen gelten soll Das Recht zu finden jetzt und fürderhin! (Lrompetenschall.

Apollon erscheint recht- auf der Bühne.)

Erster Lachegeist. Herrscher Apollon! walt' in deinem Reiche; Was hast du hier zu schaffen? Apollon. Zeuge sein Will ich für diesen Mann, der Zuflucht nahm Zu meinem Haus, an meinem Herde saß, Und den ich selbst von Mord gereinigt habe; —

Und selbst mit ihm mich dem Gerichte stellen, Denn ich bin Ursach dieses Muttermordes. — Eröffne, Göttin, nun nach deiner Weisheit Das Blutgericht und ordne diesen Streit. Athene.

Kläger beginne — und eröffnet sei So das Gericht — denn also lernen wir Von Anbeginn der Sache Stand und Wesen. Zweiter Lachegeist.

So viele wir auch sind, so wenig Motte Genügen uns. — Beklagter, stehe Rede: Spttch — hast du deine Mutter umgebracht?

409 Greftes. Ich that cs: ja! Ich leugne nicht die That. Dritter ttachegeift. Daß du die That vollbracht, ist erstens klar. Greftes. Und doch vergebens rühmst du dich des Sieges!

Vierter Üachegeift. Nun sage zweitens: wie du sie vollbracht.

Greftes. Auch das: mein Schwert hat ihren Hals durchschnitten. Jünfltr Lachegeist. Und drittens noch: was trieb zur That dich an? Wer gab dir Rath? Grestes. Der Seherspruch des Gottes, Der als mein Zeuge hier erschienen ist.

Sechster Lachegeist. Es trieb der Gott zum Muttermord dich an?*

Grestes. Es war mein Los — ich wag es nicht zu schelten. Siebenter Lachegeist. Du redest anders, ist der Spruch gefällt! Grestes. Ans meines Vaters Grabe kommt mir Rettung. — Achter ttachegeist. Du — Mutternlörder! — hoffest auf die Todten?

—410

Orestes. Ich straft' an ihr ein doppeltes Verbrechen! Ueunter Nachegeist. Wieso? beweise deinen Richtern das. Grestes. Den Gatten schlug sie todt und meinen Vater. Zehnter Uachegeist. Dich soll das retten? — sie nur hat ihr Tod Von ihrer Schuld befreit. Orestes. Doch als sie lebte, Warum verfolgtet ihr sie nicht? Elfter vachegeist. Sie war Dem Manne, den sie schlug, nicht blutverwandt. Orestes. Ich aber hätte meiner Mutter Blut? Zwölfter Nachegeift. Du — Mörder! gingst hervor aus ihrem Leibe; Wagst du zu fluchen deiner Mutter Blute? Orestes» Nunmehr, Apollon, zeuge du für mich: Sprich, ob ich Recht gethan, als ich getödtet? Daß ich's vollbracht — ich kann es leugnen nicht! Doch ob ich Recht gethan, ob Unrecht, als Ich Blut um Blut vergoß — entscheide du

411 Nach deiner Weisheit.

Wie du mich bescheidest.

So werd ich diesen hier auch Antwort geben.

Äpollon. Ich spreche, wie Gerechtigkeit verlangt, Vor euch, Athenes hoher Rathsversammlung; Ich bin ein Seher und ich rede Wahrheit. Wenn ich auf meinem Seherihrone saß. Hab ich zu Mann und Weib, zu Stadt und Land Gesprochen, was mein Vater Zeus im Himmel Zu sagen mir befahl. Bedenket wohl:

Was hier das Recht erheischt und was mein Vater Verlangt, denn höher gilt kein Eid als wie

Der heilige Wille Zeus, des Gotts der Götter! Erster Nachegeist. Du sagst: dich habe Zeus den Spruch gelehrt,

Ter den Orestes trieb des Vaters Tod Zu rächen ohne Scheu vor seiner Mutter?

Apollon. Nicht ist's dasselbe, wenn ein edler Mann,

Der aus der Götter Hand das Königscepter Empfangen hat, im Tod erliegt, und wenn Ein Weib ihn mordet, nicht in offner Schlacht Als Amazone mit ihm kämpfend — nein — Palläs vernimm's, vernehmt auch ihr es, die Bei diesem Streit das Urtel sprechen sollet: Als ans der Schlacht, mit Beute reich beladen,

412 Der König kehrte, da begrüßt das Weib Ihn heuchlerisch und ladet ihn zum Mahl, Und macht ein Bad für ihn zurecht, doch dann

Umschlingt sie seinen Leib mit einem Mantel, Wickelt das endloSweite Kleid um ihn Und schlägt ihn tobt! — So starb der hohe Fürst, Der aller Griechen Heer vor Troia führte. Und so war jenes Weib! — Ergrimmt, ihr Männer, Die Recht zu sprechen ihr berufen seid! Jwtitcr Üachegeifl.

Ha! Und Den Ihr

Sagst du nicht, eS ehre Zeus den Vater? selber band er seinen greisen Vater, Kronos, einst! Wie widersprichst du dir! Männer, ihr vernehmt es; zeugt für uns! Apollon.

Verhaßte Ungeheuer! Grau'n der Götter! Für Banden giebt es Lösung, Mittel giebt's Den Schmerz zu lindern, Fesieln abzustreifen;

Jedoch den Mann, deß Blut zur Erde rann, Den richtet nichts empor zum Auferstehn. Wider den Tod erschuf kein Zaubermittel Mein Vater, der sonst Alles auf und nieder Im Kreise wirbelt ohne auszuathmen. Dritter bis sechster ttachegeist. 3) Sieh zu, wie diesen Mann du hier befteist! — 4) Soll er, der seiner Mutter Blut vergoß, In Ärgos wohnen nun im Vaterhause ? —

413

5) Wo steht der Altar, dem er nahen darf? — 6) Wo lebt das Volk, das ihn den Seinen nennt?

Apoll on.

Noch (Lins vernehmt, was ich zu sagen habe: Nicht ist's die Mutter, die das Kind erzeugt,

Das sie das ihre nennt, und das sie pflegt Als einen jungen frischen Lebenskeim; Ter Vater zeugt das Stint); im Mutterschooße

Ruht's dann, ein heilig anverttautes Gut,

Und wohl bewahrt, wenn nicht ein Gott es schädigt. Und daß dem also, will ich euch beweisen.

Es kann auch Kinder ohne Mutter geben:

Seht hier, die Tochter Zeus des Himmlischen! Aus keines Mutterschooßes Dunkel ging

Hervor sie, die so herrlich anzuschaun, Wie keine Göttin noch ein Kind gebar. —

Palläs! Ich mehre, wo ich weiß und kann, Stets deiner Stadt und deines Volkes Macht; Drum hab ich diesen Mann dir auch geschickt, Damit er treu dir sei, so lang er lebt, Und daß mit ihm du seinen ganzen Stamm

Zum Bundgenoffen habest, denn es soll

Dies Bündniß noch die fernsten Enkel segnen. Al heue. Nun, auserwahlte Männer meiner Stadt!

Gebt eure Stimmen überzeugungtteu Nach Recht und Pflicht; es ist genug gesprochen.

414

Siebenter und achter Uachegeist. 7) All' unsre Pfeile schossen wir hinaus. — 8) Wir bleiben des Entscheides noch gewärtig. Ätheae. Wollt ihr noch etwas, was geschehen soll, Damit von euch kein Tadel je mich trifft? Neunter Nachegeift. Was ihr gehört, ihr Männer, hörtet ihr; Mn stimmet ab und — denket eures Eides! Athene. Ihr Männer von Athen, vemehmet nun Die Stiftung, die wir gründen, und sodann Waltet zum erstenmal des Blutgerichts! — In aller Zukunft soll im Volk Athens Hier dieser richterliche hohe Rath Bestehn zur Ehre dieses Hügels hier, Auf dem dereinst der Amazonen Heer Gelagert war, als sie Theseus bekämpften, Und wider seine hochgethürmte Stadt Aufthürmten eine neue zweite Stadt, Die sie dem Äres weihten, wovon noch Der Äreshügel dieser Berg genannt ist. — Ich sage: meiner Bürger frommer Sinn, Vereint mit Scheu vor ungerechtem Thun, Soll hier bei Tag und Nacht die Wache halten; Und Niemand soll verändern dies Gebot, Stets eingedenk des Spruchs: wer klares Waffer

415 Mit Schlamme trübt, verdirbt sich selbst den Trunk. Ich will, daß meine Bürger weder je Ter Knechtschaft, noch der Willkür sich ergeben. Und nicht die Furcht vertreiben aus der Stadt. Wo keine Furcht, da giebt es auch kein Recht. Mit frommer Scheu bewahrt dies Heiligthum, So werdet ihr in ihm für Stadt und Land Eill festes Bollwerk haben jederzeit. Wie sonst kein Volk auf Erden noch besitzt. Ich will, daß unbestechlich, unerbittlich, Ehrfurchtgebietend dieser hohe Rath Das Land behüte, daß in seinem Schutze Zeder Gerechte ruhig schlafen mag. Das ist die Mahnung, deren meine Bürger Für immer eingedenk verbleiben mögen.----Erhebt euch, gebet eure Stimmen ab, Damit das Recht gefunden werde, doch Seid eures Schwures eingedenk. —- Genug l

Zehnter Nachegeist. Hört meinen Rath: verachtet als beschwerlich Nicht unsern Aufenthalt in eurem Lande 1

Apollon. Ich rath euch: ehret meine Sehersprüche Und Zeus, auf daß ihr uns nicht Lügen strafet! (Die erwählten Richter gehen einzeln zum Altar, nehmen au ü der einen Urne

je einen Stimmstein und lasten ihn in die andere Urne fallen. dieser Handlung herrscht feierliche Stille.)

Während

416 Jl t b t n t. Mir steht es zu, das letzte Wort zu sprechen. Und für Orestes wähl ich meinen Stein. (Sie nimmt einen Stein au- der ersten Urne und behält ihn in derHanL.)

Kein Weib hat mich geboren und kein Mann

Soll je sich mir vermahlen, doch ich achte Mannhaften Sinn, mannhaftes Thun, denn völlig

Bin meinem Vater Zeus ich zugeihan. Drum werd ich nimmer mich geneigt erzeigen Dem Weibe, das den Gatten umgebracht, Der seines Hauses Herr und Wächter ist.

Drum siegt Orestes dann auch, wenn die Zahl Ter Stimmen gleich nach beiden Seiten fiel. — Nun schüttet aus die Urne, IHM die Lose! Bestallte Richter, wartet eures Amtes! (Zwei Priesterinnen leeren die Urne und scheiden die Steine.)

Orestes.

O Phoib-Apöllon! welcher Spruch ertönt?!

Elfter Üachegeist.

O finstre Mutter Nacht! du siehst auch dies! Orestes.

Erwürgt nun werd ich oder schaue Licht! Iwölft er Nachtgeist.

Verschollen sind wir oder hoch in Ehren!

Apollon. Ihr Männer, zählt gewiffenhaft die Lose, Und scheidet sie, behütet euch vor Irrthum.

417 Ein Los zu wenig ist ein großes Unheil,

Ein einziger Stein erhebt ein ganzes Hansl Athene

(mit erhobener Stimme).

Der Angeklagte ward vom Blutgerichte

Ledig und losgesprochen, denn die Zahl Der Stimmen steht auf beiden Seiten gleich. (Apollon verschwindet.)

Greste-

(in freudigster Bewegung).

Athene! meines Hauses Retterin! Du führst den Mchtling heim ins Vaterland! Ein Grieche sagt's dem andern: „Heimgekehrt

In seiner Väter Haus ist der Argeier!

Pallas-Athene, und Apollon und Der Mvollender, Merretter Zeus

Sind gnädig ihm gewesen: aus Erbarmen Mit seines Vaters Mord beschirmten sie Vor seiner Mutter Rachegeistern ihn!" — Ich schwöre diesem Lande, deinem Volke

Für aller Zukunft fernste Tage Treue!

Ich geh nach Hause nun — es soll kein Fürst Von Ärgos einen Mann mit Schwert und Speer

In dieses Land je schicken.

Aus dem Grabe

Verfolg ich den, der meinen Schwur verletzt, Mit unentrinnbar schwerem Ungemach,

Mit schlimmen Zeichen, Kummer und Verdruß, Bis daß er selbst sein böses Thun bereut; Doch wer erfüllen hilft,' was ich verheißen, Marbach, Aeschylo? Tragödien.

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418

Wer treuen Beistand leistet dieser Stadt Athenes, soll durch mich gesegnet sein! Heil dir, Athene! dir und deinem Volke! Kein Feind entrinne deiner Feldherrnkunst Und immer helfe dir dein siegreich Schwert! (Orestes ab.)

Chor der ttachtgtifter.

Wehe! Junger Götter neu Geschlecht Tritt mit Füßen altes Recht Und entreisst es unsern Händen! Wehe! Wehe! Ehrlos, elend und verhaßt, Aufgepackt der Schande Last, Will man höhnend heim uns senden! Wehe! Wehe! Wehe!

Wilder Rache wüsten Brand Sprühn wir über dieses Land: Jeder Lebenskeim verdirbt! Was noch Odem hat, das stirbt! Moder frißt des Baumes Laub! Jede Blüt ist hohl und taub! Jede Frucht zerfällt in Staub! Auf den Feldern wüst und kahl Steht der Seuche Todtenmahl! Handelt! und lastet das Zagen und Klager! Zeigt euch in Macht und in grimmiger Pracht

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Eilet die Feinde mit Plagen zu schlagen! — Ha! ihr verachteten Töchter der Nacht!

Äthene. Vertrauet mir und endet eure Klage: Ihr wurdet nicht besiegt — die Stimmen stehn l — Und euer Recht verblieb euch ungekränkt. Zeus selber legt' ein großes Zeugniß ab, Daß seinen Spruch Orestes ausgeführt, Als er die That vollbracht, und schuldlos sei. Drum schleudert keinen Fluch auf dieses Land, Ergrimmet nicht, und tobtet nicht die Frucht, Indem ihr fressend Gift auf Saaten streut. Denn wie das Recht verlangt, verheiß ich euch, Daß euch ein Ehrensitz und Heiligthum Verliehen auf geweihtem Boden sei, Wo meine Bürger euch verehren sollen. Lhor. Wehet Junger Götter neu Geschlecht Tritt mit Füßen altes Recht Und entreißt es unsern Händen! Wehe! Wehe! Ehrlos, elend und verhaßt, Aufgepackt der Schande Last, Will man höhnend heim uns senden! Wehe! Wehe! Wehe!

420 Wilder Rache wüsten Brand Sprühn wir über dieses Land: Jeder Lebenskeim verdirbt! Was noch Odem hat, das stirbt! Moder frißt des Baumes Laub!

Jede Blüt ist hohl und taub! Jede Frucht zerfällt in Staub! Auf den Feldern wüst und kahl Steht der Seuche Todtenmahl!

Handelt! und lasset das Zagen und Klagen! Zeigt euch in Macht und in grimmiger Pracht! Eilet, die Feinde mit Plagen zu schlagen! — Ha! ihr verachteten Töchter der Nacht!

Äthene.

Nicht seid entehrt ihr! Darum, Götttnnen! Beherrschet euren Zorn und wandelt nicht Dies Land den Sterblichen zur Wildniß um! Ich kenne Zeus — und soll ich's sagen denn — Im Haus der Götter weiß kein Gott als ich Den Schlüssel, der den Wetterstrahl verschließt! —

Doch deß bedarf's ja nicht — ihr hört auf mich, Und was im Zorn ihr spracht, vollbringt ihr nicht! Laßt euren Zorn verrauschen, neben mir Sollt ihr fortan in hohen Ehren thronen. Dereinst, wenn dieses Landes Erstlingfrüchte Geweiht euch werden für der Kinder Segen

421 Und für der Ehe Glück Zahr aus Jahr ein,

Dann werdet ihr lobpreisen, was ich sagte. Shor.

O Leiden über Leiden! Weh! Verschmäht von hinnen scheiden!

Weh! Weh! Uralter Weisheit Zeugen Zum Abgrund niedersteigen

Voll ungestillter Racheglut! Wch! Weh! Weh! Es frißt an unsern Herzen Mit namenlosen Schmerzen

Das ungerochne Mutterblut.

Weh! Weh! Weh! Hör' unser Schrein, o Mutter Nacht! Uns hat der Götter List und Macht Um unser Recht und Amt gebracht 1

Äthene.

Ich trage euren Zonr — ich bin die jungte; Doch ob ihr weiser wohl als ich erscheint, Auch mir hat Zeus die Klugheit nicht versagt. Wenn ihr von hinnen zieht zum fernen Ort,

So sehnt ihr euch zurück in dieses Land; Das prophezei ich euch! In kurzer Frist Wird meinem Volk ein herrlich Los zutheil;

422 Und bleibt ihr hier, so sollt ihr hochgepricsen Von Mann und Weib bei meiner Königsburg In solchen Ehren wohnen, wie kein Land Auf Erden irgend sonst euch zollen wird. Doch dürft ihr nimmer mir in meiner Stadt Zum Wahnsinn stacheln jugendliche Herzen, Daß ohne Wein in trunkner Wuth sie rasen, Kampfhähnen gleich sich auf einander stürzen Und stammverwandter Bürger Blut vergießen. Krieg bleibe draußen; dort mag Ruhmbegier Wetteifernd werben um der Ehre Preis; Haushähne, mein' ich, liefern keine Schlachten! — Das ist, was ich euch biete, Göttinnen: An Gnaden reich, an Dank, an Ehren reich, Mein gottgeliebtes Land mit mir zu theilen! Chor. O Leiden über Leiden! Weh! Verschmäht von hinnen scheiden! Weh! Weh! Uralter Weisheit Zeugen Zum Abgrund niedersteigen Voll ungestillter Racheglut' Weh! Weh! Weh!

Es frißt an unserm Herzen Mit namenlosen Schmerzen

423 Das ungerochne Mutterblut! Wehl Weh! Weh!

Hör unser Schrein, o Mutter Nacht! Uns hat der Götter List und Macht

Um unser Recht und Amt gebracht! Äthene. Ich will nicht müde werden, gute Worte

An euch zu richten, daß ihr nimmer sagt: Von mir der jüngern und von meinem Volke

Sei Schmach euch greifen Göttern angethan, Wir hätten aus dem Land euch ausgestoßen. Nein, wenn der Überredung milder Balsam

Auf meinen Lippen wohnt und meinen Trost Ihr eure wunden Herzen nicht verschließt, Dann bleibt ihr bei uns.

Wenn ihr dennoch geht,

So soll der Grund euch fehlen dieses Land Mit eurem Groll und Hasse heimzusuchen.

Denn seht: es steht euch frei nach Fug und Recht Von Grund und Boden, den wir fteundlich bieten,

Als eurem Eigenthum Besitz zu nehmen lind hoch in Ehren unter uns zu wohnen.

(Lange Pause.) Erster ttachegeist.

Herrin Athene! welchen Ort hast du Für uns bestimmt?

424 Athene. Es ist ein Friedensort'

O nehmt ihn an!

Zweiter üachegeist. Und wenn wir nun ihn nahmen, Was würd' aus unserm Ehrenamt? Äthene. Es soll

Kein Haus ohn euch gedeihn!

Dritter Lachegeift. Du willst bewirken,

Daß solche Macht wir haben d Athene.

Wer euch ehrt, Der soll von uns gesegnet werden. Vierter Nachegeist. Giebst Du Bürgschaft uns für alle Zeit?

Athene. Ich darf — Ich kann nicht lügen — denn mein Wort ist Wahrheit.

Fünfter Nachegeist. Wir sind erweicht, so scheint's, und unser Zom Beginnt zu schwinden.

425 Zthenr. Dieses Land bewohnend Werdet ihr treue Freunde bald gewinnen!

Sechster ttachcgeift. Mit welchem Segen grüßen wir dies Land?

Äthene. Mit allem, was zu schönem Siege hilft! Was Erde giebt, was Meer bescheert, was Himmel Herniedersendet: kühler Winde Wehn Äei Sonnenschein auf Wies' und Flur, Wo Herden weiden und sich stöhlich tummeln, Auf daß mein Volk gedeihe mir zur Lust Und aller Mütter Schooß gesegnet fei! Die Frevler aber treibt aus meinem Lande! Denn einem Gärtner gleich bin ich besorgt, Daß Unkraut nicht die gute Saat ersticke. Das sei nun euer Amt. Ich aber will Wetteifem glorreich mit dem Gott des Krieges Emporzuheben meine Stadt des Sieges. Lhorgtsang (der sechs übrigen Rachegeister). Ja wir wollen wohnen In Athenes Land, Wo die Götter thronen; Und mit starker Hand Schützen ihre Feste,

Ihren Hochaltar!

Bringen wir als Gäste Unsern Segen dar!

426 Gesang -er ttachegeistcr

(einzeln).

1.

Aus der Erde soll ein Quell

Lautern Glückes sprießen Und zur Sonne warm und hell

Fröhlich aufwärts schießen. Äthene. Für des Volkes Gedeihn bin ich liebend bedacht,

Und so sühnt' ich die schwer zu versöhnende Macht, Daß sie friedlich im Volke nun wohne!

Denn die Rache beherrschet der Sterblichen Los

Und gar mancher schon dünkte sich mächtig und groß, Bis ihn stürzte die Rache vom Throne.

Forterbet vom Vater zum Sohne die Schuld,

Bis die Rache umschleichend mit Schlangengeduld

Ihn vernichtet mit grimmigem Hohne! Gesang -er Nachegciftcr

(einzeln).

2.

Nimmer soll ein böser Hauch

Laub des Baumes schänden; Brand und Dürre nimmer auch Pflanzenauge blenden! 3.

Nie mit Krankheit, Pest und Schwen

Sei das Land geschlagen;

Schafe sollen wohlgenährt Zwillinglämmer tragen!

427 4.

Reich an Glück und reich an Macht Soll das Volk sich regen, Und aus tiefem Bergesschacht Schöpfen goldnen Segen! Äthcue. Nun vernehmet, ihr Vater der Stadt, welch Heil Durch der Geister Gewalt euch werde zutheil. Wenn bei Nacht und bei Tage sie schalten. Und sie spenden den Menschen zu jeglicher Zeit Bald Freudengesang, bald schmerzliches Leid; Doch immer gerecht ist ihr Walten. Gesang drr ttachtgcistcr

(einzeln).

5.

Wimmer soll in frühern Tod Jünglingskraft verderben, Holdes Mägdlein frisch und roth Unvermahlt nicht sterben! 0.

Schicksalsgötter! Mutter Nacht! Wohnt in jeder Hütte! Zu der Menschen Heile wacht Über jedem Schritte! 7.

Stets beschirmend heilig Recht, Stets von gleichem Muthe,

428 Fegt hinaus, was faul und schlecht, Hegt und pflegt das Gute! Äthene.

Mir erquicket das Herz, was ihr Mund uns verheift, Und ich danke dem Vater, der lehrte den Geist Und die Zunge mir lenkte zum Siegen. Zeusl Sieger bist du! der Versammlungen Hort! Und du lenkest zum Segen ein jegliches Wort, Wo sich Redliche ehrlich bekriegen.

Gesang der Nachegeifter (einzeln). 8.

Stimmer möge Bürgerkrieg Diese Stadt verheeren, Nimmer der Parteien Sieg Landes Mart verzehren! 9.

Wechselmord und Rachewuth Sollen ferne bleiben; Nimmer fließend Bürgerblut Bürgerglück vertreiben! 10. Eins im Lieben, eins im Zom Sollen Alle leben, Eintracht suchen sei der Sporn Edlem Vorwärtsstreben!

429 Athene. Ha! schauet ihr grausiges Leichengesicht,

Wie es leuchtet in goldener Zukunst Licht! Was sie künden ist seliger Frieden! Seid steundlich gesinnet den Freundlichen ihr, Hochhaltend in Achtung und Ehren sie hier, So wird Segen und Glück euch beschieden! Gesang -er Lachegeister

(einzeln).

11. Heil dir, Volk, der Götter Lust,

Heil dir, Stadt der Ehren! Weisen Sinn in stolzer Brust Wird dir Zeus bescheeren!

12. Schirmt Palläs, sein liebes Kind,

Dich mit ihrem Schilde, Schaut der Vater holdgesinnt Dich in Gnad und Milde! Athene.

Heil! Heil! auch euch! — Doch nun folget mir nach, Euch zu zeigen das schattige Friedensgemach

Bei der Fackeln strahlendem Lichte! Hoch dampfet das Opfer der Sühne den Bund Zu besiegeln! Nun steiget hernieder zum Grund, Zu der Schicksalsgötter Gerichte! Daß den Fluch sie dort fesseln, den Hader, den Krieg

430 Und dem Lolke verleihen den herrlichen Sieg,

Ter die grimmigen Feinde vernichte! Auf, Bürger der Stadt! gebt festlich Geleit

Nun den LandeSgenoffen, daß freundlich bereit Euch zu helfen sie Liebe verpflichte! Allgemeiner Chorgesang -er Nachegeister. Heil dir, Volk! Noch einmal: Heil! Glück und Wohlgefallen Werd in dieser Stadt zutheil Menschen, Göttem, allen!

Unsre Landgenoflenschaft Sollt ihr nie bereuen! Nur der Bosheit wüste Kraft Soll vor uns sich scheuen! Athene. Ich will vergelten euren Segenswunsch! — Ihr, Priesterinnen, meinem Dienst geweiht, Laßt Fackelglanz entlodern sonnenhell Und leuchtet vor uns her zur süllen Grotte, Die niederführt ins düstre Schattenreich! Ihr Mädchen, Frauen und Matronen all, Ehrt sie mit Prachtgewanden, HMt sie ganz In Purpur! zündet Freudenfeuer an! Mitbürgerinnen sind sie uns geworden,

Drum müßt ihr ehren sie, daß euch sie segnen Mit treuen Gatten, wohlgerathnen Söhnen!

431 (Während des folgenden SefangeS und desien Wiederholung werden die RachegeiPer mit Festgewanden geschmückt — Fackeln entzündet—der Festzug geordnet.)

Chor der Segleiterrnoen. Ihr kinderlosen Kinder ewiger Nacht, An Ehren reich und groß an Macht 1 So wandelt denn in Herrlichkeit und Pracht

Zum heiligen Ort euch zngedacht!

Shor der Priesterinnen. Schweiget in Andacht, ihr Bürger der Stadt! Chor der Legleiterinaen.

Durch euch geweihter Grotte kühlen Schlund Steigt nieder in der Erde Grund! Anbetung feiert unsern Friedensbund; Ihr — öffnet segnend nur den Mund!

Chor der Priesterinnen. Schweiget in Andacht, ihr Alle ringsum! (Ter Zug hat sich geordnet und setzt sich in Bewegung nach dem AreiopagoS

hinr voran der Chor der sackeltragendrn Priesterinnen; dann Athene;

danm der Chor der Rachegeister; dann die Richter; dann der Chor der Begleiterinnen; zuletzt Volk.)

Shor der Legleiterinnrn.

Wandelt in Frieden, Den ihr beschieden! Gnädig uns seid! Fakeln erglänzen Festlichen Tänzen, Die euch geweiht.

432 Chor -er Priesterinnen.

Jauchzet, ihr Männer! Jubelt, ihr Frauen!

Chor -er Legteiterivnen. Opfernde Hande Kerzen und Spende Immer euch weihn! Zeus euch behüte! Ewige Güte Laß uns gedeihn! Chor -er Priesterinnen.

Jauchzet, ihr Männer! Jubelt, ihr Frauen! Alle -rei Chöre und alles Volk.

Zeus euch behüte! Ewige Güte Laß uns gedeihn!