Adornos kritische Theorie des Subjekts [2. ed.] 9783866748194, 9783866748193


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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Einleitung
1 Voraussetzungen eines kritischen Subjektbegriffs
1.1 Gesellschaftstheoretische Reflexion der Philosophie
1.1.1 Ausgang vom Idealismus
1.1.2 Vorrang des Objekts
1.1.2.1 Äquivokation im Subjektbegriff
1.1.2.2 Gesellschaftstheoretische Reflexion des Subjektbegriffs – das Subjekt als Leidendes
1.1.3 Zum Unterschied von Individuum und Subjekt – Mehrdeutigkeit des Subjektbegriffs
1.2 Gesellschaftliche Arbeit und Herrschaft – Die Genesis des Subjekts
1.2.1 Die Begründung des Fortschritts in der Distanz zur Natur aus dem Verhältnis Gattung Mensch – äußere Natur
1.2.2 Die Begründung des Fortschritts in der Distanz zur Natur aus gesellschaftlicher Herrschaft
1.2.3 Zum Verhältnis der beiden Varianten der Argumentation
1.2.4 Modelle für die unterschiedlichen Konsequenzen aus der doppelten Bestimmung der Genesis des Subjekts
1.2.4.1 Reproduktion der Ursprungsphilosophie: die Genese der Denkformen aus gesellschaftlicher Arbeit
1.2.4.2 Szientismus
1.2.4.3 Geschichtsphilosophie
1.2.5 Das historische Moment der Argumentation
1.3 Begriff der Versöhnung
2 Die Begründung eines kritischen Subjektbegriffs als Zwang zur Produktion von Mehrprodukt
2.1 Totalität als universaler Tauschzusammenhang
2.2 Totalität als gesellschaftliches Gesamtkapital
2.3 Tauschverhältnis und Kapitalverhältnis
2.4 Historische Momente in der Bestimmung des gesellschaftlichen Zwangszusammenhangs
2.4.1 Veränderung der ökonomischen Struktur?
2.4.1.1 Exkurs: Friedrich Pollock und das Verschwinden der Marktökonomie
2.4.1.2 Die »Liquidation des Individuums« als Subjekt in den 40er Jahren
2.4.1.3 Die »Liquidation des Individuums« nach dem Nationalsozialismus
2.4.2 Integration
3 Die Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft
3.1 Theoriegeschichtliche Voraussetzung: Max Horkheimer und die Bestimmung des Kitts der Gesellschaft
3.1.1 Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen
3.1.2 Bedürfnis und Gesellschaftsstruktur
3.1.3 Stummer Zwang und physische Gewalt
3.2 Systematische Voraussetzung: Der dialektische Begriff des Ichs
3.2.1 Die zweifache Bestimmung des Ichs im dialektischen Begriff des Ichs
3.2.2 Die doppelte Bestimmung des Ichs bei Freud und das Problem der Freiheit im Psychischen
3.2.3 Exkurs: Konsequenzen des dialektischen Begriffs des Ichs für die empirische Forschung – dargestellt an The Authoritarian Personality
3.3 Darstellung und Begründung des verinnerlichten Zwangs
3.3.1 Zum Verhältnis von autoritärer Charakterstruktur und narzißtischer Beschädigung in den Schriften Adornos
3.3.2 Freud und das Problem des Narzißmus
3.3.3 Die systematische Beziehung von gesellschaftlicher Herrschaft und ihrer Verinnerlichung: Erpreßter Narzißmus
3.4 Historische Momente der inneren Vergesellschaftung – die These von der zunehmenden Ich-Schwäche
3.4.1 Der charakterlose Charakter
3.4.2 Darstellung des Widerspruchs bei Adorno
3.4.3 Reaktionen in der Sekundärliteratur auf den Widerspruch
3.5 Auflösung des Widerspruchs
4 Die Wendung aufs Subjekt
4.1 Das historische Moment der Wendung aufs Subjekt
4.2 Das systematische Moment der Wendung aufs Subjekt
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
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Adornos kritische Theorie des Subjekts [2. ed.]
 9783866748194, 9783866748193

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Jan Weyand Adornos kritische Theorie des Subjekts

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Inhaltsverzeichnis

Danksagung ....................................................................................... 8

Einleitung ....................................................................................... 9 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.2

Voraussetzungen eines kritischen Subjektbegriffs

21 Gesellschaftstheoretische Reflexion der Philosophie....................... 22 Ausgang vom Idealismus ................................................................. 22 Vorrang des Objekts ......................................................................... 24 Zum Unterschied von Individuum und Subjekt – Mehrdeutigkeit des Subjektbegriffs ................................................. 30

1.2.5

Gesellschaftliche Arbeit und Herrschaft – Die Genesis des Subjekts ...................................................................................... 31 Die Begründung des Fortschritts in der Distanz zur Natur aus dem Verhältnis Gattung Mensch – äußere Natur ....................... 34 Die Begründung des Fortschritts in der Distanz zur Natur aus gesellschaftlicher Herrschaft...................................................... 41 Zum Verhältnis der beiden Varianten der Argumentation ................ 43 Modelle für die unterschiedlichen Konsequenzen aus der doppelten Bestimmung der Genesis des Subjekts ............... 44 Das historische Moment der Argumentation.................................... 54

1.3

Begriff der Versöhnung..................................................................... 57

2

Die Begründung eines kritischen Subjektbegriffs als Zwang zur Produktion von Mehrprodukt ..................... 63

2.1 2.2

Totalität als universaler Tauschzusammenhang............................... 65 Totalität als gesellschaftliches Gesamtkapital ................................. 69 Zur Begründung eines negativ bestimmten Subjektbegriffs ............ 75

2.3

Tauschverhältnis und Kapitalverhältnis........................................... 79

2.4

Historische Momente in der Bestimmung des gesellschaftlichen Zwangszusammenhangs ............................... 83 Veränderung der ökonomischen Struktur? ....................................... 83 Integration ........................................................................................ 94

1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4

2.4.1 2.4.2

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Die Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft ......... 101

3.1

Theoriegeschichtliche Voraussetzung: Max Horkheimer und die Bestimmung des Kitts der Gesellschaft ............................. 104

3.1.1

Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen .... 108

3.1.2

Bedürfnis und Gesellschaftsstruktur............................................... 110

3.1.3

Stummer Zwang und physische Gewalt ......................................... 111

3.2

Systematische Voraussetzung: Der dialektische Begriff des Ichs... 113

3.2.1

Die zweifache Bestimmung des Ichs im dialektischen Begriff des Ichs............................................................................... 117

3.2.2

Die doppelte Bestimmung des Ichs bei Freud und das Problem der Freiheit im Psychischen................................ 122

3.2.3

Exkurs: Konsequenzen des dialektischen Begriffs des Ichs für die empirische Forschung – dargestellt an The Authoritarian Personality................................................... 126

3.3

Darstellung und Begründung des verinnerlichten Zwangs............ 128

3.3.1

Zum Verhältnis von autoritärer Charakterstruktur und narzißtischer Beschädigung in den Schriften Adornos............ 130

3.3.2

Freud und das Problem des Narzißmus.......................................... 132

3.3.3

Die systematische Beziehung von gesellschaftlicher Herrschaft und ihrer Verinnerlichung: Erpreßter Narzißmus ........................... 134

3.4

Historische Momente der inneren Vergesellschaftung – die These von der zunehmenden Ich-Schwäche ............................. 140

3.4.1

Der charakterlose Charakter........................................................... 140

3.4.2

Darstellung des Widerspruchs bei Adorno ..................................... 142

3.4.3

Reaktionen in der Sekundärliteratur auf den Widerspruch ............ 145

3.5

Auflösung des Widerspruchs .......................................................... 147

4 4.1

Die Wendung aufs Subjekt..................................................... 151 Das historische Moment der Wendung aufs Subjekt ...................... 151

4.2

Das systematische Moment der Wendung aufs Subjekt .................. 156 Anmerkungen ................................................................................. 159 Literaturverzeichnis........................................................................ 211

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Danksagung Subjekt einer wissenschaftlichen Arbeit ist ihr Autor und ist nicht ihr Autor - ihr Autor, insofern er sie konzipiert und verfaßt, nicht ihr Autor, insofern er Konzeption und Inhalt nicht mit sich selbst, sondern mit anderen diskutiert. Ihnen möchte ich danken. Ohne die Freiheit von den finanziellen Sorgen und Nöten des alltäglichen Lebens, die mir durch ein Stipendium des Evangelischen Studienwerkes ermöglicht wurde, hätte ich diese Arbeit nicht schreiben können. Günther Mensching und Oskar Negt danke ich vor allem für ihre Geduld und Bereitschaft, den Gegenstand der Arbeit auch in schwierigen Phasen aus Sackgassen herauszuführen und auf ein bearbeitbares Gleis zu lenken; den Kolloquien bei beiden danke ich für die Diskussionen und Anregungen. Die detaillierte Kritik von Regina Becker-Schmidt, Gutachterin im Promotionsverfahren, hat mir manchen Hinweis zur Überarbeitung gegeben. Hans-Wilhelm Reuter ist mit der ihm eigenen Gründlichkeit dem Fehlerteufel zu Leibe gerückt. Werner Hofmann hat eine frühe Version, Hans-Georg Bensch und Michael Löbig haben Teile der Arbeit in verschiedenen Entwicklungsstadien kritisiert; Klaus Holz hat die ganze Arbeit mit mir mehrfach diskutiert. Was ich ihnen verdanke, ist schwer in Worte zu fassen: Man beginnt zu diskutieren, erhitzt, streitet und beruhigt sich, und irgendwie versteht man, was man vorher nicht verstanden hat. Hätte Regine Reuter in der Schlußphase der Arbeit nicht die Erziehung und Versorgung unseres Sohnes allein übernommen, wäre ich heute kaum fertig.

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Einleitung

Die Schriften Theodor W. Adornos werden gemeinhin der Subjektphilosophie zugerechnet. Über Subjekt gibt Adorno entgegen dieser Zurechnung eine verblüffende Auskunft: Es wurde »in weitem Maß zur Ideologie (..), den objektiven Funktionszusammenhang der Gesellschaft verdeckend und das Leiden der Subjekte unter ihr beschwichtigend.«1 Das bezeichnet Identität und Differenz zum modernen philosophischen Subjektbegriff: Der Subjektbegriff Adornos thematisiert, wie der philosophische, Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis und autonomer Willensbestimmung. Er unterscheidet sich von ihm durch seine gesellschaftstheoretische Reflexion.2 Die gesellschaftlichen Voraussetzungen von Subjekt gehen nicht undurchschaut in die Analyse ein, sondern werden als gesellschaftliche Zwänge begriffen, die Erkenntnis oder autonome Willensbestimmung behindern. Deshalb ist nach Adorno weder das »vorgeblich Evidenteste, das empirische Subjekt«3, noch ein gesellschaftliches Gesamtsubjekt4 als existent zu betrachten. Wegen dieser gesellschaftstheoretischen Reflexion des Subjektbegriffs erscheint eine fehlgeschlagene Subjektbildung nicht, wie etwa bei Kant, als individuelles Problem,5 sondern als gesellschaftliches. Ein Begriff von Subjekt, der wesentlich die heteronomen gesellschaftlichen Zwänge analysiert, denen es unterworfen ist, ist negativ. In diesem Fall ist das individuelle Subjekt beschädigt. Ein Subjektbegriff, der diese Beschädigung begründen kann, ist kritisch.

Gegenstand der Untersuchung Ein kritischer Subjektbegriff, so lautet die These, läßt sich aus den Schriften Adornos entwickeln. Dazu müssen drei Fragen beantwortet werden: Was ist Gegenstand der Kritik? Worin besteht der Maßstab der Kritik? Wer ist Subjekt gesellschaftlicher Veränderung? Gegenstand der Kritik, so wird sich im Verlauf der Untersuchung zeigen, ist gesellschaftliche Herrschaft. Sie wird von Adorno am ökonomischen Reproduktionsprozeß der Gesellschaft, dem Zwang zur Produktion von Mehrwert, festgemacht. Durch diesen Zwang werden die Subjekte in ihrer Autonomie beschädigt, weil sie auf bloße Mittel der Selbsterhaltung reduziert werden. Und sie werden durch die Verinnerlichung dieses Zwangs in der Fähigkeit zur Einsicht in ihre eigenen gesellschaftlichen Lebensbedingungen beschädigt. Darin bestehen die beiden Formen dessen, was Adorno »Leiden« nennt. Die Beschädigung der Autonomie der Subjekte durch den Zwang zur Produktion von Mehrprodukt ist zugleich eine Realisierung von Freiheit: Es wird mehr produ9

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ziert, als zur einfachen Reproduktion notwendig ist. Herrschaft ist demnach eine Form der Realisierung von Freiheit. Sie verfällt der Kritik. Maßstab dieser Kritik ist bei Adorno der Begriff der Versöhnung. Er charakterisiert einen herrschaftsfreien Zustand. Subjekt der Realisierung des versöhnten Zustands sind solidarisch verbundene Individuen. Das können sie nur sein, wenn sie sich kraft ihrer Subjektivität von gesellschaftlichen Zwängen emanzipieren können. Ein kritischer Subjektbegriff unterstellt also die Möglichkeit eines Subjekts, das nicht wesentlich durch gesellschaftliche Zwänge bestimmt ist. Anders gesagt: Ein Begriff von Heteronomie ist nur unter Voraussetzung eines Begriffs von Autonomie zu formulieren. Der kritische Subjektbegriff steht demnach nicht nur im Zentrum der theoretischen Anstrengung Adornos.6 Er ist ein Schnittpunkt philosophischer, gesellschaftstheoretischer, psychologischer und pädagogischer Überlegungen. Sie verweisen aufeinander und sind nicht voneinander zu trennen. Dem hat eine Arbeit über den kritischen Subjektbegriff bei der Untersuchung der gesellschaftlichen Zwänge, denen die Subjekte unterworfen sind, Rechnung zu tragen. Darin besteht zugleich ihre Grenze. Die erkenntnistheoretischen, von Adorno wesentlich an der Kritik des deutschen Idealismus gewonnenen Bestimmungen des Subjekts, etwa die mit der materialistischen Kritik an der traditionellen Erkenntnistheorie verbundene stärkere Betonung des Moments der Empfindung in der Erkenntnis,7 werden nur entwickelt, soweit sie für den Fortgang der Argumentation notwendig sind; die ästhetische Dimension des Subjektbegriffs ist nicht Gegenstand dieser Arbeit, ebensowenig die Debatte über den Zusammenhang von Subjektkonstitution und Geschlecht.8 Deshalb lautet ihr Titel: Adornos kritische Theorie des Subjekts, nicht: Adornos Theorie des Subjekts. Wenn die gesellschaftlichen Zwänge, denen die Subjekte unterworfen sind, nicht notwendig sind, ist die Erklärung dieser Zwänge zugleich deren Kritik, Gesellschaftstheorie »unabdingbar kritisch«9. Diese Einheit von Gesellschaftstheorie und Gesellschaftskritik stand und steht im Mittelpunkt der Kontroverse um die Gesellschaftstheorie Adornos. Zu ihrer Klärung kann eine immanente Untersuchung des Subjektbegriffs bei Adorno beitragen. Über die Frage, was Gegenstand der Kritik ist, herrscht keine Einigkeit (1). Daß Adorno einen Maßstab der Kritik ausweisen kann, ist vehement bestritten worden. Die Einwände waren so schwerwiegend, daß sie einigen Anlaß zur Revision der Kritischen Theorie, anderen Anlaß zu ihrer Verabschiedung boten (2). Unklar ist schließlich, wer das Subjekt emanzipatorischer gesellschaftlicher Veränderung ist (3). (1) Von einer Position wird die These vorgebracht, Kritische Theorie sei die »Theorie des ›totalitären Spätkapitalismus‹«10. Von einer anderen wird die Auffassung vertreten, Horkheimer und Adorno hätten eine »totalitär gewordene 10

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Vernunft« kritisiert. Für sie stelle »der Zivilisationsprozeß im ganzen (..) eine Form der sozialen Pathologie dar.«11 Eine weitere Position vertritt die Auffassung, Gegenstand der Kritik sei nicht der »Zivilisationsprozeß im ganzen«, sondern die »Struktur der abendländischen Vernunft schlechthin«12. Auch von einer »Kritik der neuzeitlichen Rationalität«13 ist die Rede. Über den Gegenstand der Kritik existieren also die unterschiedlichsten Auffassungen. Adorno hat der eigenen Auskunft nach eine »Kritik der Gesellschaft«14 formuliert. Eine Vernunftkritik ist aber ganz gewiß nicht identisch mit einer Zivilisationskritik, und beide fallen weder mit einer »Theorie des totalitären Spätkapitalismus« noch mit einer »Kritik der Gesellschaft« zusammen. (2) Die These, Kritische Theorie könne den Maßstab der Kritik nicht ausweisen, hat Albrecht Wellmer prägnant ausgedrückt:15 »Adorno hat diese Kritik [des »identifizierenden Denkens«, J. W.] (…) so tief angesetzt, daß vom Ansatzpunkt der Kritik her eine andere als eine ›schlechte‹ Vernunft eigentlich nicht mehr sich denken läßt.«16 Demnach ist die Kritische Theorie nicht kritisch, sondern skeptisch: Horkheimer und Adorno »haben sich (…) einer hemmungslosen Vernunftskepsis überlassen, statt die Gründe zu erwägen, die an dieser Skepsis zweifeln lassen.«17 Die Skepsis ist kritisch wie die Kritik. Aber die Skepsis hat im Unterschied zur Kritik den festen Boden unter den Füßen verloren, sie ist bodenlose Kritik, weil sie die Kritik nicht mehr begründen kann. »Die Kritik der instrumentellen Vernunft, die in der Negativen Dialektik auf ihren Begriff gebracht wird, dementiert, indem sie mit Mitteln der Theorie arbeitet, ihren theoretischen Anspruch.«18 Jürgen Habermas hat daraus die Konsequenz gezogen, die Kritische Theorie in ihren Grundlagen zu revidieren. Um einen kritischen Subjektbegriff zu begründen, muß Adorno einen Maßstab der Kritik ausweisen. Der Streit dreht sich hier nicht um die Frage, ob Adorno einen solchen Maßstab hat oder nicht, sondern ob er ihn begründen kann oder nicht. Gerade in diesem entscheidenden Punkt ist die Gegenposition, die an den gesellschaftstheoretischen Einsichten Adornos festhält, schwach. Das liegt nicht zuletzt daran, daß eine immanente Untersuchung, wie jener Maßstab bei Adorno begründet ist, bisher fehlt. So wird die Frage, ob eine Revision der Kritischen Theorie notwendig ist, häufig nicht an ihrem Ausgangspunkt entschieden, dem von Habermas diagnostizierten Mangel in der Begründung eines Maßstabs der Kritik bei Horkheimer und Adorno, sondern durch die Behauptung, die Revision sei unkritisch19 oder durch den Verweis darauf, daß die Gesellschaftstheorie Adornos eben kritisch sei.20 Manche gegen die Revision gerichteten Überlegungen schließlich geraten unter der Hand zu Argumenten für die Revision: »Die Gratwanderung zwischen Immanenz und Transzendenz macht es unmöglich, den Standort, den das kritische Subjekt bezieht, anzugeben und in eine klare Relation zum kritisierten Gegenstand zu setzen.«21 Wenn dies zutrifft, ist die Revision der Kritischen Theorie nicht nur zwingend, son11

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dern auch dringend: Gesellschaftskritik wird zu einer Frage des Glaubens,22 wenn der »Standort, den das kritische Subjekt bezieht«, nicht anzugeben ist. (3) Bezüglich des Subjekts gesellschaftlicher Veränderung in der Kritischen Theorie wird mehrheitlich die folgende Position vertreten: »Die These, daß die Totalisierung gesellschaftlicher Herrschaft durch Rationalisierung zugleich die soziale Unmöglichkeit erzeugt, Herrschaft als solche zu erfassen, ist der Kern der Gesellschaftsanalyse der Frankfurter Schule auch in der Nachkriegsperiode.«23 Demgemäß existiert kein Adressat der Kritik, kein Subjekt gesellschaftlicher Veränderung mehr, weil niemand mehr zur Einsicht in gesellschaftliche Herrschaft fähig ist. Diese Position geht also davon aus, daß die Kritische Theorie in einen »performativen Widerspruch«24 gerät, weil sie eine Erkenntnis formuliert, deren Inhalt die Möglichkeit bestreitet, eine solche Erkenntnis zu formulieren: Wenn Herrschaft unerkennbar ist, dann ist die These nicht zu formulieren, wenn Herrschaft nicht unerkennbar ist, dann hat die These keinen Sinn. Daß Adorno die These vom geschlossenen gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang durchgängig vertreten habe, wird hingegen von Autoren, die sich in der Tradition der Kritischen Theorie begreifen, bestritten.25 Der kurze Verweis auf unterschiedliche Positionen zu den Fragen nach dem Gegenstand und dem Maßstab der Kritik sowie dem Subjekt gesellschaftlicher Veränderung macht auf ein Problem und eine Lücke in der Debatte um die Kritische Theorie aufmerksam: Die Interpretation der Schriften Adornos gelangt zu unterschiedlichen, zum Teil einander diametral entgegengesetzten Auffassungen.26 Darin besteht das Problem. Es kann zwei Ursachen haben: Entweder ist ein Teil der Interpretationen falsch. Oder die Position Adornos selbst ist in sich nicht einheitlich, das heißt, bei Adorno lassen sich unterschiedliche Antworten auf die drei Fragen ausmachen. Worin also ist die Uneinheitlichkeit der Interpretation Adornos begründet? Eine Antwort darauf kann nur eine immanente Untersuchung der Argumentation Adornos geben. Diese Antwort steht bisher aus. Darin besteht die Lücke. Anstatt sie zu schließen, ist ein fortdauernder Streit ums Erbe entbrannt, in dem sich die miteinander nicht kompatiblen Positionen der Erbinnen und Erben gleichermaßen auf den Erblasser beziehen. Das bleibt nicht ohne Absurditäten. Nicht die geringste besteht darin, die theoretische Anstrengung von Jürgen Habermas mit der Behauptung abzuwehren, sie sei unkritisch oder ziehe der älteren Kritischen Theorie ihren »kritischen Stachel«. Die Theorie des kommunikativen Handelns ist nach Auskunft ihres Autors der »Anfang einer Gesellschaftstheorie, die sich bemüht, ihre kritischen Maßstäbe auszuweisen.«27 Dies tut sie, weil nach Habermas’ Auffassung die ältere Kritische Theorie daran gescheitert ist. Für die Kritische Theorie gilt nicht minder, was für die Gesellschaftstheorie gilt, und für die Gesellschaftstheorie gilt, was für alle Wissenschaft gilt: Ihre Sätze können wahr sein 12

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oder sie können falsch sein. Entsprechend sind die Einwände von Habermas gegen die ältere Kritische Theorie begründet oder nicht. Angenommen, sie sind es und die Theorie des kommunikativen Handelns ist konsistent aber unkritisch, dann ist die von Adorno postulierte Einheit von Gesellschaftskritik und Gesellschaftstheorie eben wissenschaftlich nicht zu halten. Eine Argumentation deshalb abzulehnen, weil sie unkritisch sei, unterstellt immer schon, was erst zu begründen wäre: daß wahr nur sein könne, was kritisch ist. Über dreißig Jahre nach Adornos Tod ist es an der Zeit, Grabenkämpfe zu beenden und den von Habermas begonnenen Streit um die Sache auszutragen. Eine Untersuchung der Begründung eines kritischen Subjektbegriffs bei Theodor W. Adorno kann in dessen Schriften unterschiedliche, manchmal einander entgegengesetzte Argumentationen nachweisen. Dementsprechend ist die These zu modifizieren: Aus den Schriften Adornos läßt sich zwar ein kritischer Subjektbegriff begründen, Adorno selbst formuliert seine Begründung aber nicht konsistent. Die Aufgabe der Interpretation besteht also darin, die unterschiedlichen Argumentationen bei Adorno zu untersuchen und daraus den kritischen Subjektbegriff zu entwickeln. Die unterschiedlichen Argumentationen, so wird zu zeigen sein, beziehen sich exakt auf die drei in der Sekundärliteratur strittigen Punkte: (1) auf die Begründung des Maßstabs der Kritik; (2) auf den Gegenstand der Kritik. Der gesellschaftliche Zwangszusammenhang wird von Adorno an einigen Stellen als universeller Tauschzusammenhang, an anderen als Kapitalverhältnis begriffen; (3) auf das Subjekt gesellschaftlicher Emanzipation. Adorno postuliert einerseits eine universale Ich-Schwäche: »Es bedürfte der lebendigen Menschen, um die verhärteten Zustände zu verändern, aber diese haben sich so tief in die lebendigen Menschen hinein, auf Kosten ihres Lebens und ihrer Individuation, fortgesetzt, daß sie jener Spontaneität kaum mehr fähig scheinen, von der alles abhinge.«28 Demnach ist das Individuum als Subjekt zerstört, weil es unfähig zur Einsicht in seine eigenen gesellschaftlichen Lebensbedingungen ist. Dagegen spricht Adorno in anderen Schriften von einer »Wendung aufs Subjekt«29. Darunter versteht er wesentlich die Aufklärung über die gesellschaftlichen und psychischen Voraussetzungen des Nationalsozialismus. Eine solche Aufklärung aber setzt voraus, daß der Zirkel nicht geschlossen ist, die Individuen zur Einsicht in die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Existenz fähig sind.

Verfahren der Untersuchung Die Frage nach den Ursachen der einander entgegengesetzten Argumentationen Adornos bei der Begründung eines kritischen Subjektbegriffs impliziert ein im13

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manentes Vorgehen, das die Argumentation Adornos und deren theoretische Voraussetzungen rekonstruiert. Entscheidend ist nicht, was über Adorno gesagt wird, sondern was Adorno selbst sagt. Das ist im übrigen auch wegen des uneinheitlichen Forschungsstandes geboten. Dieser kann umgekehrt an zentralen Punkten aus den einander entgegengesetzten Argumentationen Adornos erklärt werden. Ein immanentes Verfahren ist kritisch, wenn es nicht nur den Gedankengang Adornos darstellt, sondern nach seiner Begründung fragt und diese auf ihre Konsistenz untersucht. Kann eine solche Untersuchung die Inkonsistenzen in der Bestimmung des Subjektbegriffs bei Adorno darstellen und immanent auflösen, ist ein kritischer Subjektbegriff begründet und der Streit um die von Adorno postulierte Einheit von Gesellschaftstheorie und Gesellschaftskritik einer Lösung zugeführt. Adorno selbst hat ein methodisches Prinzip formuliert, dem die vorliegende Arbeit verpflichtet ist. Der Weg der Erkenntnis besteht darin, daß vom Resultat her nach seinen Voraussetzungen gefragt wird. Dieses Verfahren ist rekursiv. Es fragt nach den Bedingungen der Möglichkeit des Resultats. Das Resultat ist aber nicht aus seinen Voraussetzungen zu begründen. Ein solches Verfahren wäre genetisch. Adorno formuliert das methodische Prinzip in den Reflexionen zur Klassentheorie: »Von der jüngsten Gestalt des Unrechts fällt Licht stets auf das Ganze.«30 Das Prinzip ist ersichtlich an die Argumentation Walter Benjamins in der kleinen, von Adorno sehr geschätzten Schrift Über den Begriff der Geschichte angelehnt31 und geht auf Marx’Reflexion über die Methode der Kritik der politischen Ökonomie zurück.32 Mit dem methodischen Prinzip ist exakt die Differenz zu dem bezeichnet, was Adorno Ursprungsphilosophie nennt. Diese argumentiert genetisch. Die vorliegende Arbeit teilt nicht die häufig vertretene Auffassung, es gebe »die Theorie« Adornos und in derselben zu jedem Zeitpunkt dieselben Auffassungen.33 Sie kann das gerade Gegenteil an Adornoschen Texten nachweisen. Tatsächlich unterliegen aber nicht alle Positionen bezüglich des Subjektbegriffs einem Wandel. Damit entsteht die Frage nach der Ursache des Wandels. Dieser kann Resultat eines immanenten Erkenntnisfortschritts in der Bestimmung des Gegenstands oder Resultat einer Veränderung des Gegenstands selbst sein. So hat sich beispielsweise nach Auffassung Adornos der Kapitalismus zum Spätkapitalismus gewandelt. Trotzdem ist der Spätkapitalismus Kapitalismus. Dem liegt die Unterstellung zugrunde, daß sich geschichtliche Epochen als Epochen bestimmen lassen, daß es, mag sich auch innerhalb der Epoche des Kapitalismus seine Erscheinungsform verändern, doch möglich ist, diese Epoche wesentlich zu bestimmen. Die vorliegende Arbeit teilt diese Unterstellung und trägt ihr mit der Unterscheidung von historischen und systematischen Bestimmungen Rechnung. Unter dem Titel ›systematisch‹ werden Bestimmungen er14

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örtert, die auf die spezifisch kapitalistische Produktionsweise bezogen sind. Unter dem Titel ›historisch‹ werden Bestimmungen erörtert, die sich auf Veränderungen innerhalb der Produktionsweise beziehen. Diese Unterscheidung ist der Sache nicht ganz angemessen, weil es wesentliche Bestimmungen unabhängig von ihren Erscheinungsformen nicht gibt. Umgekehrt ist sie der Sache insofern angemessen, als das identische Moment etwa in der Unterscheidung zwischen frühem und spätem Kapitalismus auf diese Weise präzise dargestellt werden kann.

Aufbau der Untersuchung Am Anfang der Untersuchung steht der idealistische Subjektbegriff. Er bildet bei Adorno den Ausgangspunkt der Bestimmung eines kritischen Subjektbegriffs. Unter Subjekt wird im Idealismus wesentlich Subjekt der Erkenntnis verstanden. Das Subjekt der Erkenntnis ist allgemein. Um einen kritischen Subjektbegriff, der wesentlich bestimmt ist durch die gesellschaftlichen Zwänge, denen das individuelle Subjekt unterworfen ist, entwickeln zu können, muß Adorno zunächst den idealistischen Subjektbegriff einer gesellschaftstheoretischen Reflexion unterziehen, ohne dabei, wie das etwa der junge Marx in seiner Hegel-Kritik getan hat, dem Nominalismus zu verfallen.34 Das mündet bei Adorno in der Formulierung eines negativ bestimmten Subjektbegriffs. In diesem Zusammenhang müssen die unterschiedenen Bedeutungen von Subjekt bei Adorno erörtert sowie die Begriffe Subjekt und Individuum differenziert werden. Ein herrschaftsfreier Zustand, von Adorno als Versöhnung bezeichnet, bildet den Maßstab der Kritik. Das materielle Korrelat von Herrschaft ist das Mehrprodukt. Einer materialistischen Theorie stellt sich die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Versöhnung als Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit dieses Mehrprodukts. Die Untersuchung kann anhand der von Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung formulierten »Urgeschichte des Subjekts« zeigen, daß Adorno seit der Dialektik der Aufklärung zwei einander widersprechende Antworten gibt. Das wird für die nach der Dialektik der Aufklärung veröffentlichten Schriften anhand dreier Modelle belegt. Im Zentrum der einen Antwort steht die sogenannte »Theorie des Opfers«. Sie entwickelt das Mehrprodukt aus dem durch gesellschaftliche Arbeit vermittelten Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur. Dieser Antwort nach wird durch gesellschaftliche Arbeit immer schon mehr produziert, als zur einfachen Reproduktion notwendig ist. Die Produktion von Mehrprodukt wird hier aus einer okkulten Qualität der Arbeit erklärt. Gezeigt wird, daß unter dieser Voraussetzung der Maßstab der Kritik tatsächlich nicht mehr auszuweisen ist. Darauf bezieht sich die Revision der Kritischen Theorie durch Jürgen Habermas. In der Auseinandersetzung um die Gesellschaftskritik Adornos ist aber bisher nicht 15

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berücksichtigt worden, daß Adorno noch eine zweite Antwort auf die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Mehrprodukt gibt. Diese zweite Antwort erklärt das Mehrprodukt aus gesellschaftlicher Herrschaft. Unter dieser Voraussetzung läßt sich der Begriff der Versöhnung als Maßstab der Kritik begründen. Schließlich ist das moralphilosophische Moment des Begriffs der Versöhnung zu erörtern (Kapitel 1). Das zweite und das dritte Kapitel untersuchen die inhaltliche Bestimmung des kritischen Subjektbegriffs, d. h. die Zwänge, denen die Subjekte unterworfen sind. Für Adorno sind die Subjekte in zweifacher Weise beschädigt: durch gesellschaftliche Herrschaft und durch deren Verinnerlichung. Das zweite Kapitel analysiert, wie sich gesellschaftliche Herrschaft für Adorno darstellt, das dritte ihre Verinnerlichung. Gesellschaft wird von Adorno als antagonistische Totalität begriffen. Der Begriff der antagonistischen Totalität ist wesentlich auf die ökonomische Struktur der Gesellschaft bezogen. Gesellschaft ist Totalität, insofern die Selbsterhaltung aller Gesellschaftsmitglieder durch sie vermittelt ist. Antagonistisch ist die Totalität, weil durch die gesellschaftliche Organisation der Selbsterhaltung der Gesellschaftsmitglieder zugleich ein Herrschaftsverhältnis reproduziert wird. Die Bestimmung der Gesellschaft als antagonistische Totalität ist in den Schriften Adornos nicht einheitlich. Sie stellt sich in zweifacher Gestalt dar, einmal als universaler Tauschzusammenhang, einmal als Kapitalverhältnis. Im ersten Fall steht der Begriff der Ware, im zweiten der Begriff des Kapitals im Mittelpunkt der Analyse. Beide Bestimmungen werden hinsichtlich ihrer Erklärungskraft und Konsistenz untersucht. Nach Adorno folgt das Kapitalverhältnis aus der Warenform. Dagegen kann nachgewiesen werden, daß die Beziehung von Warenform und Kapitalverhältnis nur unter ursprungsphilosophischen Prämissen als Verhältnis von Grund und Folge zu begreifen ist. Dieser Nachweis betrifft nicht nur das Herzstück der gesellschaftstheoretischen Überlegungen Adornos, sondern ebenso die der engeren Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung, das Hauptwerk von Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein, und neuere, an die Kritische Theorie anschließende gesellschaftstheoretische Überlegungen, in denen die Warenform eine überragende Rolle spielt, etwa in der Erklärung des Antisemitismus bei Detlev Claussen. Weil sich beide Bestimmungen der antagonistischen Totalität, die als Tauschzusammenhang und die als Kapitalverhältnis, auf die Argumentation im Kapital von Karl Marx beziehen, hat ihre Untersuchung darauf zurückzugreifen. In diesem Zusammenhang kann ein negativ bestimmter Subjektbegriff als Zwang zur Produktion von Mehrprodukt begründet werden. Weiterhin ist zu zeigen, daß die zentrale Stellung des Tauschzusammenhangs bei Adorno, die theoriegeschichtlich auf Georg Lukács verweist, systematisch auf die im ersten Kapitel dargestellte doppelte Fassung der »Urgeschichte des Subjekts« zurückzuführen ist. 16

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Anschließend wird die historische Modifikation des kritischen Subjektbegriffs zu erörtern sein. Bei Adorno wird sie einmal auf Veränderungen in der ökonomischen Struktur der Gesellschaft, einmal auf Veränderungen innerhalb der Gesellschaft zurückgeführt. Die erste Variante führt zu dem Postulat einer zunehmenden Zerstörung des Individuums als Subjekt. Die zweite Variante diagnostiziert eine gesellschaftliche Entwicklung hin zu einer »verwalteten Welt«, d. h. eine zunehmende Vermittlung des individuellen Lebens durch gesellschaftliche Organisationen. Sie impliziert zunächst keine Zerstörung des Individuums als Subjekt, sondern eine Veränderung seiner gesellschaftlichen Eingriffsmöglichkeiten. Adorno charakterisiert diesen Prozeß als »Integration«. Er ist oft als Umformulierung der Rationalisierungsthese von Max Weber interpretiert worden.35 Die vorliegende Untersuchung kann aber zeigen, daß dieser Prozeß bei Adorno anders begründet ist und deshalb zu anderen Konsequenzen führt: Bei Weber ist das Resultat des Prozesses, der ›Genußmensch ohne Herz‹ und der ›Fachmensch ohne Geist‹, als unabänderliches Schicksal aufgefaßt, bei Adorno nicht (Kapitel 2). Die Diagnose einer zunehmend verwalteten Welt bildet die Grundlage der These von der zunehmenden Ich-Schwäche. Sie wird im dritten Kapitel erörtert. Die frühe Kritische Theorie unterscheidet sich wesentlich von der zeitgenössischen marxistischen Theoriebildung, weil gesellschaftliche Herrschaft nicht nur als ökonomisches Klassenverhältnis betrachtet wird, sondern deren Verinnerlichung durch die Individuen in den Blick der Theorie gerät. Max Horkheimer stellt dieselbe Frage wie Georg Lukács: Was verhindert die Revolution? Die Frage wird jedoch unterschiedlich beantwortet. Während nach Lukács dafür das verdinglichte Bewußtsein des Proletariats verantwortlich ist, erklärt Horkheimer das Ausbleiben der Revolution aus einer das »Bewußtsein verfälschenden Triebmotorik«. Die Begründung der Psychologie als »Hilfswissenschaft der Geschichte«36 durch Max Horkheimer führt jedoch auf theoretische Widersprüche. Adorno löst diese Widersprüche und gelangt so zu einer anderen Fragestellung: Nicht mehr das Ausbleiben der Revolution, sondern die massenhafte Verbreitung autoritärer gesellschaftspolitischer Meinungen bzw. Bewegungen soll mit Hilfe der Psychologie erklärt werden. Darin besteht ein bisher nicht beachteter theoretischer Fortschritt innerhalb der Kritischen Theorie. Adorno erklärt die subjektiven Voraussetzungen der Empfänglichkeit für jene Meinungen – und das sind allen voran die nationalistischen – aus einer fundamentalen libidinösen Konstellation. Diese stellt sich ihm zunächst als autoritäre Charakterstruktur, später als Einheit von narzißtischer Besetzung der eigenen Person und narzißtischer Kränkung derselben dar. Adorno begreift den Unterschied zwischen autoritärer Charakterstruktur und der narzißtischen Beschädigung als historischen Wandel und führt ihn auf Veränderungen der Familienstruktur zu17

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rück. Die Untersuchung kann indes zeigen, daß hier kein historischer Wandel vorliegt, sondern ein Erkenntnisfortschritt in der Bestimmung des verinnerlichten gesellschaftlichen Zwangs. Die mit der kapitalistischen Produktionsweise verbundene verinnerlichte Gestalt gesellschaftlicher Herrschaft ist die fundamentale libidinöse Konstellation von erzwungener narzißtischer Besetzung und narzißtischer Kränkung. Dadurch wird verständlich, warum sich die gesellschaftlich zentrale Erscheinungsform des beschädigten Narzißmus, der »kollektive Narzißmus«37 oder der Nationalismus, im Zuge der Entwicklung der modernen Gesellschaft so wenig verändert hat. Diese systematische Einsicht in das Verhältnis von gesellschaftlicher Herrschaft und ihrer Verinnerlichung macht die Aktualität des kritischen Subjektbegriffs aus. Dies gilt allerdings nur, wenn sich an den sozialpsychologischen Überlegungen Adornos selbst nachweisen läßt, daß sie nicht zwingend zu der These eines universellen, für die Individuen selbst nicht mehr erkennbaren Verblendungszusammenhangs führen. Vor diesem Problem steht nicht nur die Sozialpsychologie Adornos, sondern jede psychologische Erklärung: Indem davon ausgegangen wird, daß das Ich, die Instanz im Individuum, die auf die Ansprüche der Innenwelt und der Außenwelt reflektiert und beide reflexiv vermittelt, ihm selbst nicht bewußten Zwängen unterliegt, denen gemäß sich seine Handlungen oder Vorstellungen vollziehen, wird diesem Ich zugleich die Fähigkeit zur sachlich adäquaten Reflexion seiner eigenen Lebensbedingungen abgesprochen. Adorno löst dieses Problem mit dem dialektischen Begriff des Ichs. Der dialektische Begriff des Ichs ist bisher in der Debatte über die Gesellschaftskritik Adornos nicht berücksichtigt worden. Auch deshalb ist die erwähnte Interpretation, Adornos Gesellschaftskritik postuliere die Unerfaßbarkeit gesellschaftlicher Herrschaft, weithin akzeptiert. Tatsächlich interpretiert Adorno die historische Veränderung der inneren Zusammensetzung des Ichs, den Niedergang einer spezifischen Vergesellschaftungsform, nämlich des bürgerlichen Individuums der Jahrhundertwende, als zunehmende Ich-Schwäche, als Niedergang des Individuums als Subjekt. Demnach wäre eine Erkenntnis der Zwänge, denen die einzelnen unterworfen sind und die sie als Subjekte beschädigen, nicht mehr oder zunehmend weniger möglich. Dieser Überlegung widerstreitet jedoch der von Adorno selbst formulierte dialektische Begriff des Ichs. Unter seiner Voraussetzung läßt sich die These einer zunehmenden Ich-Schwäche oder eines sich schließenden Zirkels nicht halten. Deshalb spielt er bei der Begründung eines kritischen Subjektbegriffs aus den Schriften Adornos eine zentrale Rolle (Kapitel 3). Aus der Analyse der Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft folgt bei Adorno eine veränderte Bestimmung des Subjekts emanzipatorischen Handelns.38 Es gibt bei Adorno nicht, wie bei Lukács, ein identisches Subjekt-Objekt der Geschichte. Nicht das Proletariat, sondern mündige Individuen, die 18

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durch Solidarität verbunden sind, sind Subjekt emanzipatorischen Handelns. Mündig ist gemäß der Kantischen Bestimmung, an der Adorno festhält, wer sich seines eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen bedienen kann. Daraus ergibt sich eine Aporie, ein sachlich begründeter Widerspruch: Die gesellschaftlichen Bedingungen widerstreiten der Mündigkeit, die emanzipatorischem gesellschaftlichen Handeln vorausgesetzt ist. Der Widerspruch ist nicht theoretisch zu lösen. Die Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen von Mündigkeit ist keine theoretische, sondern eine praktische Frage. Aus der Aporie folgt, entgegen der gängigen Interpretation, bei Adorno kein Verzicht auf gesellschaftliche Praxis. Sie firmiert bei ihm unter dem Titel »Wendung aufs Subjekt« und ist abschließend zu erörtern (Kapitel 4).

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1 Voraussetzungen eines kritischen Subjektbegriffs

Das erste Kapitel untersucht drei Voraussetzungen des kritischen Subjektbegriffs bei Adorno. Den Ausgangspunkt der Bestimmung des Subjektbegriffs durch Adorno bildet das Resultat der idealistischen Philosophie. Aus der Kritik am ursprungsphilosophischen Subjektbegriff Hegels entwickelt Adorno den »Vorrang des Objekts« und die Beziehung des Subjektbegriffs auf individuelle Subjekte. Die nominalistische Konsequenz, der diese Überlegung zu verfallen droht, wird durch eine Äquivokation im Subjektbegriff vermieden. Die Äquivokation besteht darin, daß der Begriff des Subjekts sowohl auf das Individuum wie auf ein überindividuelles, allgemeines Subjekt der Erkenntnis bezogen ist. Zumindest die eine Seite der Äquivokation, das Individuum, ist endlich und auf Selbsterhaltung verwiesen. Subjekt der Selbsterhaltung ist die Gesellschaft. Das ist die dritte Bedeutung, in der der Subjektbegriff bei Adorno verwendet wird. Die gesellschaftstheoretische Reflexion des idealistischen Subjektbegriffs führt schließlich zu einem negativ bestimmten Begriff von Subjekt. Das individuelle Subjekt ist wesentlich bestimmt durch heteronome gesellschaftliche Zwänge. Inhaltlich werden diese Zwänge im zweiten und dritten Kapitel entwickelt. Hier werden sie nur benannt, um den Fortgang der Argumentation zu gewährleisten (1.1). Ein kritischer Subjektbegriff ist nur zu formulieren, wenn die Zwänge, denen die Subjekte unterworfen sind, als Zwänge bestimmt werden können, die gesellschaftlich nicht notwendig sind. Die Bestimmung solcher Zwänge setzt den Begriff eines gesellschaftlichen Zustands voraus, in dem die Individuen nicht durch diese Zwänge bestimmt sind. Dieser gesellschaftliche Zustand trägt bei Adorno den Titel Versöhnung. Er bildet den Maßstab der Kritik. Insbesondere von Vertreterinnen und Vertretern der »kommunikationstheoretischen Wende der Kritischen Theorie« ist bestritten worden, daß Adorno ihn begründen könne. Deshalb ist zu untersuchen, ob der Maßstab der Kritik zu begründen ist. Dazu ist die »Urgeschichte des Subjekts« zu interpretieren. Sie erklärt bei Adorno den Fortschritt in der Distanz zur Natur. Dieser Fortschritt ist eine Gestalt der Freiheit – es wird mehr produziert, als zu einfacher Reproduktion notwendig ist. Die Interpretation zeigt, daß sich bei Adorno zwei einander widersprechende Erklärungen dafür finden. Sie strukturieren seine Schriften seit der Dialektik der Aufklärung. Einer dieser Argumentationsstränge begründet das materielle Substrat des Maßstabs der Kritik als durch Herrschaft erzwungene Produktion von Mehrprodukt (1.2). Der Begriff der Versöhnung ist nicht nur auf ein materielles Substrat, das Mehrprodukt, bezogen. Er ist moralphilosophisch begründet. Im Zustand der 21

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Versöhnung wären die Gesellschaftsmitglieder nicht ein Mittel zur Produktion von Mehrprodukt. Umgekehrt: Der Zweck der ökonomischen Reproduktion bestünde in der individuellen Reproduktion der Gesellschaftsmitglieder (1.3).

1.1 Gesellschaftstheoretische Reflexion der Philosophie 1.1.1 Ausgang vom Idealismus Die Reflexion des Verhältnisses von Subjekt39 und Objekt in der Erkenntnistheorie hat gezeigt, daß sich das Objekt nur vermittelt durch das Subjekt erkennen läßt. Nach Kant ist es das Subjekt selbst, das die Allgemeinheit und Notwendigkeit von Erkenntnis garantiert. Hegel hat gegen die Kantische Philosophie schwerwiegende Einwände erhoben. Die transzendentale Einheit der Apperzeption, an der als dem »höchsten Punkt« die Transzendentalphilosophie haften soll, sei bloße Funktion. Als bloße Funktion, ohne Beziehung auf einen bestimmten Inhalt der Erkenntnis, sei sie leer. Umgekehrt sei die Erscheinung, das Material der Erkenntnis, in keiner Weise mit ihrem Substrat, dem Ding an sich, vermittelt. Dieses, die unbekannte Ursache der Erscheinungen, gerate daher zu einer Hinterwelt. Hegel hat das Ding an sich deshalb einen »von allem Inhalt abgeschiedenen Schatten«40 genannt. Der objektive Idealismus löst die Schattenwelt auf, indem er den Beweis führt, daß die Bewegung des Denkens die Bewegung der Sache sei – die Denkformen seien zugleich Formen des Seienden. »Ob nun schon die Kategorien dem Denken als solchem zukommen, so folgt daraus doch keineswegs, daß dieselben deshalb bloß ein Unsriges und nicht auch Bestimmungen der Gegenstände selbst wären.«41 Der späte Hegel hat daraus die Konsequenz gezogen und alle Bestimmungen, auch die Bestimmtheit des Objekts, aus dem Subjekt hervorgebracht. Subjekt bei Hegel ist Geist. Im Übergang von der Naturphilosophie zur Philosophie des Geistes in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften wird der Geist zum logisch und ontologisch Ersten, zum Absoluten erhoben. Als absoluter ist der Geist der Differenz zwischen sich und seinem anderen, der Natur, enthoben: »Der absolute Geist erfaßt sich als selber das Sein setzend, als selber sein Anderes, die Natur und den endlichen Geist hervorbringend, so daß dies Andere jeden Schein der Selbständigkeit gegen ihn verliert, vollkommen aufhört, eine Schranke für ihn zu sein, und nur als das Mittel erscheint, durch welches der Geist zum absoluten Fürsichsein, zur absoluten Einheit seines Ansichseins und seines Fürsichseins, seines Begriffs und seiner Wirklichkeit gelangt.«42 Konsequent wird der absolute Geist daher als der »selbstbewußte, unendlich schöpferische Geist«43 charakterisiert. Damit ist zwar die dualistische Struktur der Kantischen Philosophie überwunden und die von Kant postulierte Begrenzung der Erkenntnis auf Gegen22

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stände möglicher Erfahrung aufgehoben, aber um den Preis, daß die Differenz von Subjekt und Objekt ins Subjekt hineingezogen ist. Weil das Objekt schließlich doch Subjekt ist,44 wird von Hegel der äußere Stoff, der dem menschlichen Willen und dem Geist gegenübersteht, als »gleichgültig«45 aufgefaßt; die Unterschiede des Stoffs fallen ins Subjekt und geraten zu Momenten der Unterscheidung. Wenn der Geist als absoluter begriffen wird, ist dies auch konsequent. Absolut kann der Geist nur sein, wenn er das Ganze ist. Geist hat seinen Begriff aber gerade daran, daß er nicht das Ganze ist.46 Dieser Widerspruch, Geist ist das Ganze und ist nicht das Ganze, nötigt Hegel zu einer ursprungsphilosophischen Argumentation. In der Wissenschaft der Logik erschließt er die Differenz von Geist und Nicht-Geist nicht als Voraussetzung von Erkenntnis, sondern bringt sie aus Geist hervor. »Der Anfang der Hegelschen Logik gibt das Modell aller Argumentationen, die versuchen, das Besondere, überhaupt etwas Bestimmtes, aus dem Begriff des Allgemeinen zu entwickeln.«47 Das Besondere ergibt sich dann aus einem Mysterium, der Selbstentfaltung des Begriffs: »Dasein, Leben, Denken usf. bestimmt sich wesentlich zum Daseienden, Lebendigen, Denkenden (Ich) usf.«48 Dies sei deshalb der Fall, weil »der Begriff in seiner formellen Abstraktion sich als unvollendet zeigt.« Seinen Mangel schafft der Begriff selbst ab, indem er »durch die in ihm selbst gegründete Dialektik zur Realität so übergeht, daß er sie aus sich erzeugt.«49 Sein sei das »Allererste«50, das Absolute,51 bestimmtes Sein hingegen die Negation des Seins,52 also Resultat. Indem Hegel endliches Seiendes aus dem Begriff des Seins durch Negation der Negation hervorbringt, erscheint es als Resultat der Bewegung des Geistes, die Logik als Schöpfungstheorie.53 Exakt so ist auch die Geschichtsphilosophie konstruiert.54 Hegels Argumentation ist nicht schlüssig. Sie kann auf der Seite des Subjekts nicht erklären, wie das Subjekt Geist als bloßer Geist tätig sein können soll. Sie ist weiterhin auf der Seite des Objekts indifferent gegen den Unterschied von Einzelnem und Einzelheit, Besonderem und Besonderheit.55 Adornos Lösung der Probleme besteht in dem von ihm so genannten Vorrang des Objekts (1.1.2) und in einer Äquivokation im Subjektbegriff (1.1.2.1). Beides führt zu einer gesellschaftstheoretischen Präzisierung des Vorrangs des Objekts (1.1.2.2).

1.1.2 Vorrang des Objekts Adorno hält am »Ausgang vom Begriff«56, an der im Idealismus gewonnenen Einsicht, daß es keinen unmittelbaren oder unvermittelten Zugang der Erkenntnis zum Gegenstand der Erkenntnis geben kann, fest. Der Begriff des Subjekts sei Inbegriff der Vermittlung.57 Durch die Vermittlung des Objekts im Denken wird das Objekt aber ein anderes, als es ist.58 In der begrifflichen Vermittlung aller Erkenntnis bestehe eine Vorentscheidung »aller Philosophie (…) für den Idealismus. Denn sie muß mit Begriffen operieren, kann nicht Stoffe, 23

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Nichtbegriffliches, in ihre Texte kleben.«59 Diese »Vorentscheidung« sei notwendig. »Jede Bestimmung ist Identifikation.«60 Zur Kritik steht nicht diese Vorentscheidung. Adorno hat sie mit der Bemerkung, es sei vom Begriff auszugehen, selbst getroffen.61 Der Unterschied zwischen der Argumentation Adornos und der Hegels besteht zunächst in dem methodischen Prinzip, vom Resultat her nach den Voraussetzungen zu fragen, aber nicht das Resultat aus seinen Voraussetzungen zu erklären. »Kein Sein ohne Seiendes. Das Etwas als denknotwendiges Substrat des Begriffs, auch dessen vom Sein, ist die äußerste, durch keinen weiteren Denkprozeß abzuschaffende Abstraktion des mit Denken nicht identischen Sachhaltigen«62 – so beginnt der begriffliche und kategoriale Teil der Negativen Dialektik. Subjekt erschließt demnach die Differenz von Subjekt und Objekt als seine Voraussetzung. Das durchbricht die Ursprungsphilosophie, nach der »alles Sein und alles Seiende aus einem obersten Begriff sich deduzieren«63 läßt. Ursprungsphilosophie ist die letzte Reminiszenz der Moderne an eine Welt, der Natur und Gesellschaft als durch den menschlichen Willen unveränderbare Emanation Gottes erschienen. Ihr stellt sich alles Neue als Altes, als im Anfang immer schon angelegt, dar. Kein solcher Ursprung läßt sich schlüssig konstruieren. Wohl aber lassen sich Voraussetzungen von Subjekt erschließen. Nichts anderes heißt zunächst: Vorrang des Objekts.64 Entsprechend verfällt auch die auf Friedrich Engels zurückgehende materialistische Variante des Idealismus der Kritik Adornos. Engels behält die Struktur der ursprungsphilosophischen Argumentation bei und ersetzt nur den Begriff des Geistes durch den der Materie.65 Setzte bei Hegel der Geist die Materie aus sich heraus, so bei Engels die Materie den Geist. Die Entwicklung des Menschen lasse sich mit Hilfe der Evolutionstheorie – Engels hat hier die Theorie Darwins vor Augen – erklären. Am Anfang war »jene eine Zelle.«66 Daß zwar vom Resultat auf seine Voraussetzungen geschlossen werden kann, das Resultat selbst aber nicht aus den Voraussetzungen zu entwickeln ist, stellt sich in der Evolutionstheorie als Antinomie dar. Die Evolutionstheorie gibt eine genetische Erklärung des Klassifikationsschemas der Arten. Das Klassifikationsschema unterstellt die Konstanz der Arten, seine genetische Herleitung die Artvarianz.67 Das genetische Prinzip führt die unterschiedenen Arten auf ein UrEines zurück. Die Klassifikation unterstellt hingegen real unterschiedene Arten, die sich aus einem Ur-Einen nur dann herleiten lassen, wenn die Artvarianz zugleich als Emanation des Ur-Einen begriffen wird. Die Antinomie läßt sich also auch hier nur um den Preis einer Schöpfungstheorie beheben. Das ist der Preis, den Engels bezahlen muß. Reflexive Prozesse wie Leben und Denken müssen aus ihren Voraussetzungen begründet werden. Subjekt aber ist reflexiv. Weil Subjekt reflexiv ist, läßt es sich nicht aus seinen Voraussetzungen begründen.68 Engels entledigt sich der Unmöglichkeit, reflexive Prozesse aus anderem vollständig zu erklären, indem er Subjekt als notwendiges Resultat, Hegel ent24

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ledigt sich ihr, indem er Subjekt als Erstes auffaßt. Konsequent schlägt bei beiden eine zentrale aufklärerische Errungenschaft, die Freiheit des Individuums, in Unfreiheit um: Bei Hegel besteht ein Rest von Freiheit im bewußtlosen Handeln der »faulen Existenz« gegen die Zwecke des Weltgeistes, bei Engels verbleibt Freiheit in der Sphäre des Bewußtseins – Einsicht in die Notwendigkeit.69 Weil Ursprungsphilosophie nicht zu halten ist, zieht Adorno die Konsequenz, daß die »Kontroverse über die Priorität von Geist und Körper vordialektisch verfährt. Sie schleppt die Frage nach einem Ersten weiter.«70 Das methodische Prinzip, daß zwar vom Resultat dessen Voraussetzungen zu erschließen sind, nicht aber das Resultat aus den Voraussetzungen zu begründen ist, erweist die Frage als »falsch gestellt«71. Sie ist demnach richtig zu stellen: als Frage nach den zu erschließenden Voraussetzungen von Subjekt.72 Die Antwort, das Theorem vom Vorrang des Objekts, kann den traditionellen Gegensatz von Nominalismus und Realismus auflösen, indem die beiden Seiten des Gegensatzes miteinander vermittelt werden.73 »Hegels vermessen idealistische Präsupposition, das Subjekt könne darum dem Objekt, der Sache selbst, vorbehaltlos sich überlassen, weil jene Sache im Prozeß als das sich enthülle, was sie an sich schon sei, Subjekt, notiert wider den Idealismus ein Wahres über die denkende Verhaltensweise des Subjekts: es muß wirklich dem Objekt ›zusehen‹, weil es das Objekt nicht schafft, und die Maxime von Erkenntnis ist, dem beizustehen. Die postulierte Passivität des Subjekts mißt sich an der objektiven Bestimmtheit des Objekts.«74 Damit aber das Subjekt überhaupt eine Erkenntnis formulieren kann, reicht das »Zusehen« nicht hin. Der bloß kontemplative Geist ist ohnmächtig gegen den Naturzusammenhang. Um eine Erkenntnis formulieren zu können, muß er in den Naturzusammenhang eingreifen. »Als Galilei seine Kugeln die schiefe Fläche mit einer von ihm selbst gewählten Schwere herabrollen (…) ließ, (…) ging allen Naturforschern ein Licht auf.«75 Ist ohne den produktiven Eingriff in den Naturzusammenhang keine Naturerkenntnis möglich, »(erzwingt) der Übergang der Philosophie vom Geist zu dessen Anderem (..) immanent seine Bestimmung als Tätigkeit.«76 In der dritten Antinomie der Kritik der reinen Vernunft ist ausgedrückt,77 daß der produktive Eingriff in den Naturzusammenhang erkenntnistheoretisch zu erschließende Voraussetzungen sowohl auf Seiten des Objekts (1) wie des Subjekts (2) hat. (1) Wären die Gegenstände der Erkenntnis nicht an sich gesetzmäßig verfaßt, wären sie gar nicht zu bearbeiten, weil sie heute so und morgen anders wären.78 Das an sich bestimmte Objekt ist nicht einfach Gegenstand, sondern Exemplar einer Art. Umgekehrt wäre, wenn die Gegenstände der Erkenntnis vollständig an sich bestimmt und nicht auch bestimmbar wären, überhaupt kein tätiger Eingriff, also auch keine Erkenntnis der Gegenstände möglich.79 Das Er25

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kenntnisobjekt muß demnach an sich bestimmt und bestimmbar sein. Eine Position, die nur die Seite der An-sich-Bestimmtheit des Objekts betonte, fiele hinter die nominalistische Kritik am Universalienrealismus zurück und müßte eine bloß kontemplative Beziehung des Subjekts zur äußeren Welt behaupten. Eine Position, die ausschließlich die Seite der Bestimmbarkeit des Objekts betonte, verfiele den gegen den Nominalismus vorgebrachten Einwänden.80 Der »Vorrang des Objekts« enthält beide Positionen als Momente. »Soweit bedarf es eines ontologischen Moments, wie Ontologie kritisch dem Subjekt die bündig konstitutive Rolle aberkennt, ohne daß doch das Subjekt durchs Objekt gleichwie in zweiter Unmittelbarkeit substituiert würde.«81 (2) Bestimmt wird das Erkenntnisobjekt durch das Subjekt. Das ist nur möglich, wenn das Subjekt selbständig gegen den Naturzusammenhang ist. Damit das Subjekt »dem Naturstoff als Naturmacht«82 gegenübertreten kann, muß es das Moment der Autonomie und Spontaneität haben. Nur unter dieser Voraussetzung kann es seine Zwecke im Naturzusammenhang verwirklichen. Es muß aber zugleich auch durch diesen bestimmt, selbst ein Stück Natur sein. Ein produktiver Eingriff in den Naturzusammenhang ist nur selbst körperlichen Wesen, Individuen, möglich. Der Geist kann nicht produktiv tätig sein.83 »Aus Subjekt, gleichgültig, wie es bestimmt werde, läßt ein Seiendes nicht sich eskamotieren. Ist Subjekt nicht etwas – und »etwas« bezeichnet ein irreduzibel objektives Moment –, so ist es gar nichts.«84 Damit ist der Begriff des Subjekts auf den des Individuums verwiesen. Als Daseiendes ist Subjekt der »eigenen Beschaffenheit nach vorweg auch Objekt.«85 Mit dem Theorem vom Vorrang des Objekts begründet Adorno den Übergang zum Materialismus,86 denn es verweist den Begriff des Subjekts an ein auch nicht-subjektives, »somatisches Moment«87. Deshalb muß Adorno den Subjektbegriff äquivok bestimmen. 1.1.2.1 Äquivokation im Subjektbegriff Ist Subjekt auch gegenständlich, kann es nicht nur überindividuell sein.88 Von »keinem Subjektbegriff ist das Moment der Einzelmenschlichkeit (…) wegzudenken.«89 Die Individuen sind als Individuen endlich und voneinander unterschieden. Individuum ist eine gesellschaftliche Formbestimmung und daher selbst geschichtlich vermittelt. »Das endliche Subjekt ist (…) ein Stück Welt.«90 Der Begriff des Subjekts wird aber von Adorno nicht auf den Begriff des Individuums restringiert. Die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis seien »objektiv gültig; (...) soweit es Erkenntnis gibt, muß sie nach ihnen sich vollziehen«91. Als objektiv gültige übersteigen sie das Individuum. Der Begriff des Subjekts bezieht sich demnach sowohl »auf das einzelne Individuum (..) wie auf allgemeine Bestimmungen, nach der Sprache der Kantischen Prolegomena 26

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von ›Bewußtsein überhaupt‹«.92 Darin besteht die Äquivokation im Subjektbegriff.93 Die beiden Seiten der Unterscheidung zwischen erkennendem Individuum und den allgemeinen Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis sind demnach Momente von Erkenntnis.94 Die Vermittlung der beiden Seiten gewährleistet Adorno durch den Begriff der »individuellen Erfahrung«95. Deshalb ist »Erfahrung (..) der Schlüsselbegriff Adornos«96. Individuelle Erfahrung ist »in sich allgemein«, weil sie »durch ihre Teilhabe am diskursiven Medium (…) der eigenen Bestimmung nach immer zugleich mehr als nur individuell« 97 ist. Die Äquivokation im Subjektbegriff bezeichnet den Unterschied und zugleich den entscheidenden Fortschritt gegenüber der Hegelkritik des jungen Marx. Marx hatte gegen Hegel konsequent nominalistisch argumentiert und das Allgemeine auf eine bloße ausgedachte Abstraktion, einen Hauch der Stimme reduziert.98 Angetreten, die theoretischen Inkonsistenzen des Nominalismus zu lösen, hat der objektive Idealismus mit solchen Einwänden leichtes Spiel. Mit der äquivoken Bestimmung von Subjekt weist Adorno nach, daß die Kritik der Hegelschen Philosophie nicht hinter den dort erreichen Stand des Bewußtseins zurückfallen muß. Aus der Einsicht in die Vermittlung des überindividuellen Subjekts der Erkenntnis durch das individuelle Subjekt und die Vermittlung der Erfahrung des individuellen Subjekts durch Gesellschaft99 ergibt sich für Adorno eine Nötigung zur gesellschaftstheoretischen Reflexion des Subjektbegriffs.100 Sie führt zu einer gesellschaftstheoretischen Bestimmung des Vorrangs des Objekts und zu der dritten Bedeutung des Subjektbegriffs. 1.1.2.2 Gesellschaftstheoretische Reflexion des Subjektbegriffs – das Subjekt als Leidendes Das somatische, nicht in Geist aufgehende Moment von Subjekt – dessen Bindung ans Individuum oder der »leibhafte Aspekt«101 von Geist – firmiert bei Adorno unter dem Begriff des Leidens. »Das leibhafte Moment meldet der Erkenntnis an, daß Leiden nicht sein, daß es anders werden solle. – ›Weh spricht: vergeh‹.«102 Leiden bezeichnet in dieser ersten Bestimmung demnach die Empfindung der Lebensnot des endlichen Subjekts. Die Negation dieses Leidens ist bei Adorno als Moment von Glück bestimmt.103 Der Begriff des Glücks hat entsprechend ein handfest materielles, auf sinnliche Erfüllung abzielendes Moment.104 Glück »ist wesentlich ein Resultat. Es entfaltet sich am aufgehobenen Leid.«105 Ohne sinnliche Erfüllung ist demnach kein Glück, wie ohne die vorausgesetzte Empfindung des Mangels keines ist. Die Lebensnot, das naturale Moment von Subjekt, äußert sich als physisches Bedürfnis. Weil das Individuum Individuum nur in Gesellschaft ist, folgert 27

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Adorno, daß Bedürfnis eine »gesellschaftliche Kategorie« ist. »Jeder Trieb ist so gesellschaftlich vermittelt, daß sein Natürliches nie unmittelbar, sondern stets nur als durch die Gesellschaft produziertes zum Vorschein kommt.«106 Die gesellschaftliche Vermittlung dessen, was Adorno »somatisches Moment« oder »Trieb« nennt, stellt sich als Geschichte seiner Differenzierung und Sublimierung dar. »Zur Befriedigung des konkreten Hungers der Zivilisierten gehört, daß sie etwas zu essen bekommen, wovor sie sich nicht ekeln, und im Ekel und in seinem Gegenteil wird die ganze Geschichte reflektiert.«107 Deshalb sind Bedürfnisse auch nicht statisch, keine anthropologischen Invarianten.108 In den Individuen ist Gesellschaftliches sedimentiert; die Individuen sind Individuen überhaupt nur als solche Sedimente. In einem gesellschaftstheoretischen Sinn heißt Vorrang des Objekts daher »Primat der Gesellschaft über das Individuum«109. Daraus ergibt sich die dritte Bestimmung des Subjektbegriffs bei Adorno: Der Begriff des Subjekts ist auch gesellschaftstheoretisch, als Subjekt der Auseinandersetzung mit der Natur, bestimmt. Subjekt der Selbsterhaltung ist nicht das Individuum, sondern die Gattung. Vermittelt wird sie durch die je konkrete Gesellschaftsform.110 Bei der Gattung liege es daher auch, das Leiden zu mildern: »Die Abschaffung des Leidens, oder dessen Milderung hin bis zu einem Grad, der theoretisch nicht vorwegzunehmen, dem keine Grenze anzubefehlen ist, steht nicht bei dem Einzelnen, der das Leid empfindet, sondern allein bei der Gattung«111. Das Subjekt der Auseinandersetzung mit der Natur ist ebenso historisch vermittelt wie die Natur geformte Natur ist. Dadurch verändern beide ihre Natur. »Die Bildung der fünf Sinne ist eine Arbeit der ganzen bisherigen Weltgeschichte.«112 Diese Bildung, vermittelt durch die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Gegenständen der Reproduktion, verändert diese zugleich.113 Deshalb sei »Objektivität (..) auszumachen einzig dadurch, daß auf jeder geschichtlichen Stufe und jeder der Erkenntnis reflektiert wird sowohl auf das, was jeweils als Subjekt und Objekt sich darstellt, wie auf die Vermittlungen.«114 Die drei Bestimmungen von Subjekt verweisen wechselseitig aufeinander: Kein Subjekt der Erkenntnis ohne erkennende Subjekte, keine erkennenden Subjekte ohne Gesellschaft. Deshalb ist Adornos Begriff des Subjekts der in der Einleitung erwähnte interdisziplinäre Schnittpunkt. Weil die Subjekte allein in Gesellschaft ihre Selbsterhaltung garantieren können, bestimmt Adorno den Zweck der Gesellschaft zunächst nach der ökonomischen Seite als »Negation des physischen Leidens noch des letzten ihrer Mitglieder, und der inwendigen Reflexionsform jenes Leidens«115. Dieser Zweck werde nicht adäquat realisiert. Gesellschaft sei in der ganzen bisherigen Geschichte durch Herrschaft charakterisiert gewesen.116 Deshalb sei die »Einheit der Geschichte (…) der Inbegriff des Leidens.«117

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Ersichtlich wird der Begriff des Leidens hier in einer zweiten Bedeutung verwandt. Die Äquivokation im Begriff des Leidens besteht darin, daß er einmal ein gesellschaftlich vermitteltes naturales Moment, die kreatürliche Bedürftigkeit des Menschen, ausdrückt, deren adäquate Befriedigung als Glück charakterisiert wird. Auf der anderen Seite bezeichnet Leiden aber auch, was dem Anspruch der Subjekte auf Glück in der gesellschaftlichen Organisation der Selbsterhaltung entgegensteht. Der Äquivokation im Begriff des Leidens entspricht eine doppelte gesellschaftstheoretische Bestimmung des Vorrangs des Objekts: Wenn das Individuum ein in sich gesellschaftliches ist, dann ist es leidend nicht nur durch seine Bedürftigkeit, sondern auch durch das, was die adäquate Befriedigung der Bedürftigkeit gesellschaftlich verhindert. Dies, die herrschaftliche Organisation von Gesellschaft, nennt Adorno »die verkehrte Gestalt des Vorrangs von Objektivität.«118 Diese zweite Bestimmung des Begriffs des Leidens macht nicht nur den Kern des Adornoschen Subjektbegriffs aus, sondern den Kern der theoretischen Anstrengung Adornos. »Maß« der Erkenntnis sei, »was den Subjekten objektiv als ihr Leiden widerfährt.«119 Dieser Gedanke ist ein Schlüssel zum Subjektbegriff Adornos. Das theoretische Interesse ist demnach auf die Analyse der gesellschaftlichen Zwänge gerichtet, denen die Subjekte unterworfen sind.120 Im Mittelpunkt stehen dabei ökonomische und psychische Zwänge. Beide sind bei Adorno als Resultat gesellschaftlicher Herrschaft bestimmt. Diese wird im Anschluß an die Marxsche Theorie aus der ökonomischen Struktur der Gesellschaft erklärt. Weil die gesellschaftliche Organisation der Selbsterhaltung der Individuen nicht die Selbsterhaltung der Individuen zum Zweck habe, sondern diese ein bloßes Mittel der Produktion von Profit121 sei, würden die Individuen gesellschaftlich auf bloße Selbsterhaltung reduziert, ihre Bedürfnisse nur »beiher, als Sekundäres befriedigt«122. Das individuelle Subjekt werde in seiner Autonomie, Zwecke jenseits der Selbsterhaltung zu realisieren, beschädigt. Daher müsse es »eigentlich als ein noch gar nicht Existentes betrachtet werden.«123 Ebenso sei ein gesellschaftliches Gesamtsubjekt nicht real, sondern nur »Idee«124. Ein gesellschaftliches Gesamtsubjekt existierte dann, wenn die gesellschaftliche Organisation der Selbsterhaltung der Individuen deren Selbsterhaltung zum Zweck hätte. Das Subjekt der Selbsterhaltung der Individuen, Gesellschaft, sei in sich antagonistisch, durch ein ökonomisch vermitteltes Herrschaftsverhältnis charakterisiert. Daher sei das Subjekt der Selbsterhaltung der Gesellschaftsmitglieder eine antagonistische Totalität.125 Weil das Subjekt gesellschaftlicher Reproduktion, die Produktion um des Profits willen, den Subjekten als Zwangszusammenhang gegenübertrete, spricht Adorno vom »Subjekt als Feind des Subjekts.«126 Im Unterschied zur Marxschen Theorie wird die Einsicht in die psychische Vermittlung gesellschaftlicher Herrschaft zu einem integralen Bestandteil der 29

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Gesellschaftstheorie. Durch die Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft werde das individuelle Subjekt in der Erkenntnis der gesellschaftlichen Bedingungen seiner Selbsterhaltung beschädigt. Sie führe zu einem affirmativen Bewußtsein von Gesellschaft. Daraus ergibt sich die entscheidende Modifikation des Subjektbegriffs, durch die sich der Subjektbegriff Adornos von anderen Subjektbegriffen unterscheidet: Der Begriff des Subjekts ist bei Adorno wesentlich negativ, durch die gesellschaftlichen Zwänge, denen es unterworfen ist, bestimmt. Deshalb hat eine Interpretation des Subjektbegriffs bei Adorno wesentlich diese gesellschaftlichen Zwänge zum Gegenstand. Ihrer Untersuchung dienen die Kapitel zwei und drei. In diesem Kapitel werden unabdingbare Voraussetzungen der Formulierung eines kritischen Subjektbegriffs untersucht. Die erste dieser Voraussetzungen, die Kritik und gesellschaftstheoretische Reflexion des idealistischen Subjektbegriffs, wurde eben entwickelt. In diesem Zusammenhang haben sich neben einem Unterschied zwischen den Begriffen Individuum und Subjekt drei Bedeutungen des Subjektbegriffs bei Adorno herauskristallisiert. Zusammenfassend stelle ich sie kurz vor.

1.1.3 Zum Unterschied von Individuum und Subjekt – Mehrdeutigkeit des Subjektbegriffs Ältere wie neuere mit dem Werk Adornos beschäftigte Arbeiten unterscheiden oft nicht zwischen den Begriffen Individuum und Subjekt.127 Die Begriffe bezeichnen aber keineswegs dasselbe. Auch werden sie von Adorno in unterschiedenen Bedeutungen verwandt. Der Begriff Individuum ist zweideutig. Er bezeichnet bei Adorno entweder den einzelnen Menschen als selbstbewußtes, als vergesellschaftetes, aber von anderen unterschiedenes Individuum.128 Oder er bezeichnet eine spezifische Form der Vergesellschaftung, insbesondere repräsentiert durch den Bourgeois des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dessen gesellschaftliches Handeln ein Moment der Selbständigkeit gegen den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang hatte.129 Das Individuum in dieser zweiten Bedeutung werde durch die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise abgeschafft: »Der Prozeß der Verselbständigung des Individuums, Funktion der Tauschgesellschaft, terminiert in dessen Abschaffung durch Integration.«130 Subjekt in der ersten Bedeutung ist das Individuum als Erkennendes. Das erkennende Subjekt ist als Subjekt der Erkenntnis überindividuell. Darin besteht die zweite Bedeutung des Subjektbegriffs. Gültig Gedachtes ist objektiv, kann von anderen Individuen nachvollzogen werden. Deshalb ist der Subjektbegriff von Adorno äquivok gefaßt. In einer dritten Bedeutung bezeichnet Subjekt den gesellschaftlichen Zusammenhang der Individuen, sofern er deren Selbsterhaltung vermittelt. Diese dritte Bedeutung von Subjekt wird von Adorno in zweifacher Weise bestimmt: 30

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Ein gesellschaftliches Gesamtsubjekt wäre im Zustand der Versöhnung, der rationalen Organisation der Selbsterhaltung, gegeben. Der gesellschaftlichen Zusammenhang der Individuen, der diesen als Zwangszusammenhang gegenübersteht, ist zwar ebenfalls als Subjekt bestimmt, aber negativ gegen das gesellschaftliche Gesamtsubjekt als »antagonistische Totalität«.

1.2 Gesellschaftliche Arbeit und Herrschaft – Die Genesis des Subjekts Der kritische Subjektbegriff faßt die Subjekte als durch heteronome gesellschaftliche Zwänge beschädigt auf. Das ist nur möglich, wenn sich ein Maßstab der Kritik begründen läßt. Jürgen Habermas hat bestritten, daß Adorno ihn begründen könne. In Zentrum des Einwands steht das Verhältnis von instrumenteller Vernunft und deren Reflexion in der Dialektik der Aufklärung. Instrumentelle Vernunft bezieht sich auf das Verhältnis von Mitteln und Zwecken: sie sucht zu einem gegebenen Zweck die geeigneten Mittel. Die Reflexion instrumenteller Vernunft nennt Adorno »Selbstbesinnung«131. Sie reflektiert auf die Zwecke selbst. »Selbstbesinnung« gibt Antwort auf die Frage: »was soll ich tun?«, instrumentelle Vernunft gibt Antwort auf die Frage: »wie kann ich etwas tun?« »Versöhnung«, der Maßstab der Kritik bei Adorno, ist Resultat der Selbstbesinnung auf den Zweck gesellschaftlicher Reproduktion – Abschnitt 1.3 wird das näher entwickeln. Nach Habermas wird aber die Möglichkeit von Selbstbesinnung durch die Argumentation in der Dialektik der Aufklärung bestritten – mit dem Ergebnis, daß sich Horkheimer und Adorno »auf eine Vernunft vor der (von Anbeginn an instrumentellen) Vernunft stützen [müßten, J. W.], wenn sie jene Bestimmungen [eines versöhnten Zustands, J. W.] explizieren wollten, die nach ihrer eigenen Darstellung der instrumentellen Vernunft keinesfalls innewohnen können. Zum Statthalter dieser ursprünglichen, von der Intention auf Wahrheit abgelenkten Vernunft erklären Horkheimer und Adorno ein Vermögen, Mimesis, über das sie aber, im Banne der instrumentellen Vernunft, nur reden können wie über ein undurchschautes Stück Natur.«132 Stimmt der Befund, ist der Maßstab der Kritik nicht mehr auszuweisen. Ist der Maßstab der Kritik nicht auszuweisen, läßt sich auch kein kritischer Subjektbegriff begründen. Zur Klärung der Frage werde ich den Zusammenhang von Arbeit und Herrschaft in der von Adorno gemeinsam mit Max Horkheimer formulierten »Urgeschichte des Subjekts«133 in der Dialektik der Aufklärung untersuchen. An ihren Ergebnissen hält Adorno in den späteren Schriften fest. Die »Urgeschichte des Subjekts« ist eine Spekulation im strengen Sinne über den »Selbsterzeugungsakt der Menschengattung«134. Sie erklärt die Distanz des Subjekts zum Objekt, das heißt die Distanz zum Naturzusammenhang. Die Fra31

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ge nach der Genesis des Subjekts muß indes nicht nur Auskunft über die Genesis der Distanz des Subjekts zur Natur geben, sondern sie muß ebenso den Fortschritt in der Distanz des Subjekts zur Natur erklären. Dies jedenfalls ist der Anspruch der Dialektik der Aufklärung:135 Aufklärung wird von Horkheimer und Adorno als realer wie als geistesgeschichtlicher Prozeß fortschreitender Naturbeherrschung bestimmt.136 »Was die Menschen von der Natur lernen wollen, ist, sie anzuwenden, um sie und die Menschen vollends zu beherrschen.«137 Der reale Prozeß der Aufklärung erscheint darin, daß mehr produziert wird, als zur einfachen gesellschaftlichen Reproduktion notwendig ist. Das ist bei Marx im Begriff des Mehrprodukts ausgedrückt.138 Das Mehrprodukt kann vornehmlich der individuellen Konsumtion dienen. Man kann dann von einer weitgehend stationären gesellschaftlichen Reproduktion sprechen. Oder es kann vornehmlich in die Erweiterung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses eingehen. Das ist unter Bedingungen kapitalistischer Produktion der Fall.139 Darin besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einer kapitalistischen Produktionsweise und vorkapitalistischen Produktionsweisen. In beiden Fällen aber ist das Mehrprodukt eine Gestalt der Freiheit – es ist als nicht notwendig bestimmt. Zur Herstellung eines Mehrprodukts ist in dem Arbeitsprozeß, durch den dieses Mehrprodukt hergestellt wird, die Verausgabung von Mehrarbeit erfordert. Im Arbeitsprozeß drückt sich die Freiheit daher in der Differenz von notwendiger Arbeitszeit und Mehrarbeitszeit aus:140 es wird mehr Arbeit verausgabt, als zur einfachen Reproduktion notwendig ist. Die Frage nach der Genesis des Subjekts stellt sich somit als Frage nach der Existenz von Mehrprodukt. Weil die Produktion von Mehrprodukt ein Akt aus Freiheit ist, ist diese Frage Gegenstand philosophischer Spekulation. Sie unterstellt anthropologische oder naturale Bedingungen der Möglichkeit von Mehrprodukt als gegeben. Wenn das Mehrprodukt Resultat von Arbeit ist, muß beantwortet werden, warum Mehrarbeit vergegenständlicht worden ist. In der Formulierung der Frage ist das methodische Prinzip ausgedrückt, daß sich die Frage nur vom Resultat her stellt: Warum wird gesellschaftlich ein Mehrprodukt produziert? Adorno gibt auf diese Frage zwei Antworten. Die erste Antwort lautet: Der Fortschritt in der Distanz zur Natur gründet in der durch gesellschaftliche Arbeit vermittelten Beziehung der Gattung Mensch zur äußeren Natur. Diese Antwort begründet die Aktualisierung des menschlichen Vermögens, mehr zu produzieren als zur einfachen Reproduktion nötig ist, aus der Ohnmacht gegenüber dem Naturzusammenhang und reduziert dadurch Vernunft auf instrumentelle Vernunft. In ihrem Zentrum steht die Theorie des Opfers (1.2.1). Die zweite Antwort lautet: Der Fortschritt in der Distanz zur Natur gründet in einem gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnis. Demnach aktualisiert gesellschaftliche Herrschaft das menschliche Vermögen, ein Mehrprodukt zu pro32

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duzieren. Diese Antwort kann den Unterschied von Selbstbesinnung und instrumenteller Vernunft festhalten (1.2.2). Beide Antworten sind innerhalb des Adornoschen Werks von ungleichem Gewicht: Die zweite taucht explizit selten auf, einmal in der Dialektik der Aufklärung141 und zweimal in der Negativen Dialektik.142 Implizit ist sie den Passagen unterlegt, in denen die bisherige Geschichte des Subjekts als Herrschaftsgeschichte begriffen wird.143 Die erste Antwort wird häufiger gegeben. Sie findet sich etwa in der Dialektik der Aufklärung,144 der Negativen Dialektik,145 den Drei Studien zu Hegel,146 oder in Zu Subjekt und Objekt147. Der Unterschied zwischen beiden Antworten läßt sich an der Bestimmung des Verhältnisses von Naturbeherrschung und gesellschaftlicher Herrschaft in der Dialektik der Aufklärung entwickeln. Gemäß der ersten Antwort folgt aus Naturbeherrschung gesellschaftliche Herrschaft. Nach der zweiten Antwort existiert kein solches Verhältnis von Grund und Folge. An diesem für die Interpretation der Dialektik der Aufklärung wie der späteren Schriften Adornos zentralen Punkt kristallisiert sich auch die Sekundärliteratur (1.2.3). Die Widersprüche, in die die zweifache Bestimmung der Genesis des Subjekts führen, werde ich exemplarisch an drei Modellen aus den späteren Schriften Adornos darstellen (1.2.4). Abschließend wird auf das historische Moment der Dialektik der Aufklärung und seine Relevanz für deren Interpretation eingegangen (1.2.5).

1.2.1 Die Begründung des Fortschritts in der Distanz zur Natur aus dem Verhältnis Gattung Mensch – äußere Natur Die spekulative Erklärung der Genesis des Subjekts aus dem Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur geht davon aus, daß das Subjekt sich an der gegen die reale Übermacht der Natur zu vollziehenden Selbsterhaltung gebildet hat.148 Aufklärung wird in der Dialektik der Aufklärung deshalb früh, bei der Subjektkonstitution selbst,149 angesetzt und als fortschreitende Bemeisterung der äußeren Natur bestimmt. »Das System, das der Aufklärung im Sinne liegt, ist die Gestalt der Erkenntnis, die mit den Tatsachen am besten fertig wird, das Subjekt am wirksamsten bei der Naturbeherrschung unterstützt. Seine Prinzipien sind die der Selbsterhaltung.«150 Entsprechend beginnt das erste Kapitel der Dialektik der Aufklärung über den Begriff der Aufklärung mit dem Satz: »Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen.«151 Ursache des Fortschritts in der Distanz zur Natur, Motor der Aufklärung, sei die Angst des Menschen vor der realen Übermacht der Natur.152 Aus diesem Grund wird Aufklärung als »radikal gewordene, mythische Angst«153 bezeichnet. Der Fortschritt in der Distanz zur Natur ist demnach Resultat des Zwangs 33

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zur Selbsterhaltung der Gattung Mensch unter prekären Lebensbedingungen, Denken sein Instrument oder »Werkzeug«.154 Wenn die Genesis des Subjekts aus dem Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur erklärt und die Aneignung der Natur durch gesellschaftliche Arbeit vermittelt wird, muß der Arbeit immer schon die Qualität zugesprochen werden, mehr zu produzieren, als zur einfachen Reproduktion notwendig ist. Die Produktion von Mehrprodukt erscheint daher als eine »der menschlichen Arbeit eingeborene, okkulte Qualität.«155 Okkult ist die Qualität, weil die Gattung Mensch, hat sie sich einmal als Subjekt gegen die Natur gesetzt, qua eigener Natur etwas tut, wozu andere Lebewesen auf diesem Planeten nicht in der Lage sind, nämlich die Distanz zur Natur zu vergrößern, mehr zu arbeiten, als zur einfachen Reproduktion der Gattung notwendig wäre. Eine solche Argumentation kann die kategoriale Differenz zwischen notwendiger Arbeitszeit, der Zeit, die zur Realisierung der Selbsterhaltung erfordert ist, und Mehrarbeitszeit, die im Mehrprodukt vergegenständlicht wird, nicht mehr adäquat ausdrücken: Wenn Arbeit aus sich heraus immer schon mehr produziert, als zur einfachen Reproduktion notwendig ist, ist die Differenz eingezogen. Die Angst, Motor der erweiterten Reproduktion, setzt sich nicht einfach in Aufklärung um. Sie werde im Akt der Subjektkonstitution in List transformiert, die sich in der ursprünglich aufklärerischen Handlung, dem Opfer, als Betrug darstelle. »Subjektivität«, schreibt Adorno im ersten Exkurs zur Dialektik der Aufklärung, Odysseus oder Mythos und Aufklärung, sei eine »Transformation des Opfers«. Sie finde »im Zeichen jener List statt, die am Opfer stets schon Anteil hatte.«156 Das »Urbild« der List des Odysseus sei das »Moment des Betrugs im Opfer«157. Subjekt sei Odysseus, weil er dies Moment des Betrugs zum Selbstbewußtsein erhebe. In dem Betrug aber bestehe die ›historische Katastrophe‹158 der Subjektkonstitution. Das Subjekt setzt sich nach dieser Auffassung gegen den Naturzusammenhang durch den Akt des Opferns. Betrug sei dieser Akt, weil der Opfernde die Naturgottheit, der geopfert wird, durch das Opfer für seine Zwecke instrumentalisiere.159 Exakt darin besteht die »historische Katastrophe«, in der nach Adorno die Dialektik der Aufklärung gründet: die Subjektkonstitution vollzieht sich durch einen Akt instrumenteller Vernunft. Durch die Instrumentalisierung des Opfers werde zerschnitten, was durchs Opfer hergestellt werden solle, der ›flukturierende Zusammenhang mit der Natur‹.160 Der Opfernde verleugne durch das Opfer seine Natur. Diese Verleugnung sei der »Kern aller zivilisatorischen Rationalität«, die zugleich »Zelle der fortwuchernden Irrationalität [ist]: mit der Verleugnung der Natur im Menschen wird nicht bloß das Telos der auswendingen Naturbeherrschung sondern das Telos des eigenen Lebens verwirrt und undurchsichtig.«161 Die Geschichte der Zivilisation stelle sich als Geschichte fortschreitender Herrschaft über die innere und die äußere Natur dar: »verwilderte Selbsterhaltung«162. 34

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Daraus ergibt sich die Struktur der Argumentation in der Dialektik der Aufklärung: Weil die durch gesellschaftliche Arbeit vermittelte Beziehung des Gattungssubjekts zur äußeren Natur unter der Prämisse der Selbsterhaltung stehe und diese mit fortschreitender Naturbeherrschung zusammenfalle, werde alles irrelevant, was dafür nicht funktional ist. Das Subjekt realisiere seine Selbsterhaltung, indem es sich die Natur, das Material seiner Selbsterhaltung, unterwerfe. Die Freiheit des Subjekts wird restringiert auf die rationale Beziehung von Mitteln auf den gegebenen Zweck der Selbsterhaltung.163 Das dieser instrumentellen Beziehung korrespondierende Denken wolle nicht sagen, was etwas sei, sondern »worunter etwas fällt, wovon es Exemplar ist oder Repräsentant, was es also nicht selbst ist.«164 Unter dem Zwang zur Selbsterhaltung sei die Aufklärung daher auf die »Beherrschung der Natur«165 gerichtet. »Der Aufklärung wird zum Schein, was in Zahlen, zuletzt in der Eins, nicht aufgeht; (...) Einheit bleibt die Losung von Parmenides bis auf Russell. Beharrt wird auf der Zerstörung von Göttern und Qualitäten.«166 Diese Konstruktion zwingt Horkheimer und Adorno zur Identifikation von Vernunft und instrumenteller Vernunft über weite Strecken der Dialektik der Aufklärung.167 Weil alles unter der Prämisse der Selbsterhaltung stehe, werde »das Erwachen des Subjekts (…) erkauft durch die Anerkennung der Macht als des Prinzips aller Beziehungen.«168 Denken und Herrschaft erscheinen als Einheit, weil die Herrschaft über die Gegenstände der Selbsterhaltung sich im identifizierenden oder instrumentellen Denken nicht nur in den Inhalten des Gedachten, sondern in der Struktur des Denkens selbst reproduziert: Denken ist identifizieren. »Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen. Er kennt sie, insofern er sie manipulieren kann. Der Mann der Wissenschaft kennt die Dinge, insofern er sie machen kann. Dadurch wird ihr An sich Für ihn. In der Verwandlung enthüllt sich das Wesen der Dinge immer als je dasselbe, als Substrat von Herrschaft.«169 In den späteren Schriften Adornos firmiert der herrschaftliche Charakter des Denkens unter dem Titel »Identifikationsprinzip«170 oder »Identitätsprinzip«171. Gegen solche Aufklärung steht in der Dialektik der Aufklärung wie in den späteren Schriften Adornos die »Selbstbesinnung«. Selbstbesinnung sei das »Eingedenken der Natur im Subjekt.« Indem auf die Natur im Menschen, also den Zwang zur Selbsterhaltung reflektiert werde, könne »die Herrschaft bis ins Denken hinein als unversöhnte Natur« erkannt werden.172 Diese Erkenntnis reiche freilich zur Überschreitung der Grenzen der Aufklärung nicht aus. Nur »die ihrer selbst mächtige, zur Gewalt werdende Aufklärung selbst vermöchte die Grenzen der Aufklärung zu durchbrechen.«173 So lautet der Schlußsatz der Dialektik der Aufklärung. Die Grenze der Aufklärung, ihre unreflektierte Verstrickung in Naturbeherrschung, werde transzendiert durch eine gesellschaftliche Tat, die »vernünftige Einrichtung der Gesellschaft«174.

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Wie aber ist die Reflexion auf die Verstrickung von Denken und Herrschaft, die Selbstbesinnung, überhaupt möglich? Nach Auskunft der Autoren der Dialektik der Aufklärung wird die Kritik der Aufklärung durch eben jene Denkformen hervorgebracht, die vorab noch Ausdruck »der undurchdringlichen Einheit von Gesellschaft und Herrschaft«175 sein sollten: »Denken, in dessen Zwangsmechanismus Natur sich reflektiert und fortsetzt, reflektiert eben vermöge seiner eigenen Konsequenz auch sich selber als ihrer selbst vergessene Natur, als Zwangsmechanismus.«176 Denken, als Mittel gesellschaftlicher Selbsterhaltung entstanden und auf diesen Zweck bezogen, soll aus sich selbst heraus in Selbstbesinnung umschlagen. Es reflektiere »eben vermöge seiner eigenen Konsequenz sich selber.« Konsequenz des Denkens ist aber nach Horkheimer und Adorno gerade der unreflektierte Fortschritt in der Naturbeherrschung. Diese Selbsttranszendierung des Denkens ist nicht plausibel. Um die Selbstbesinnung ausweisen und damit an der Möglichkeit von Versöhnung festhalten zu können, behauptet Adorno eine ursprüngliche Rationalität des Opfers (1) und stellt der Transformation der instrumentellen Vernunft durch sich selbst die Mimesis177 zur Seite (2). (1) Das Moment des Betrugs in der Theorie des Opfers, die »historische Katastrophe«, begründet die Dialektik der Aufklärung als Dialektik von Naturbeherrschung und Naturverfallenheit. Die Begriffe Opfer und Betrug verweisen wechselseitig aufeinander: mit dem Opfer ist der Betrug am Opfer gesetzt. Ist die List wirklich »nichts anderes als die subjektive Entfaltung solcher objektiven Unwahrheit des Opfers, das sie ablöst«178, gibt es kein Entkommen aus der Dialektik der Aufklärung. Wenn diese Möglichkeit festgehalten werden soll, kann das Opfer nicht nur Betrug, der Kern zivilisatorischer Rationalität nicht nur Verleugnung der Natur sein. Das Opfer muß einen in sich rationalen Kern haben. Tatsächlich führt Adorno diesen rationalen Kern direkt nach der These ein, jedes Opfer sei Betrug. »Vielleicht ist jene Unwahrheit nicht stets nur Unwahrheit gewesen.«179 In Zeiten »archaischen Mangels«180 habe das »Opfer eine Art blutige Rationalität besessen«181. Diese Überlegung entzieht allerdings dem Begriff des Opfers seine Substanz. Adorno bemerkt das.182 Trotzdem muß er am Opferbegriff festhalten. Denn nur unter dieser Voraussetzung läßt sich das Durchbrechen der Dialektik der Aufklärung als Möglichkeit bewahren. Das rationale Moment des existentiell notwendigen Opfers sei kein Betrug, sondern erst im Moment seiner Überflüssigkeit in Irrationalität umgeschlagen. Die List ist dann nicht einfach die Entfaltung der »Unwahrheit des Opfers«, sondern zugleich Transformation seiner Rationalität: »Es ist dieser Spalt zwischen Rationalität und Irrationalität des Opfers, den die List als Griff benutzt.«183 Diese Überlegung ist jedoch nicht kompatibel mit der vorher behaupteten Einheit von Opfer und Betrug. Das führt auf einen Widerspruch: Von der »blutigen Rationalität« des Opfers wird einerseits gesagt, sie weise über die Unwahrheit des Opfers, also den Betrug, hinaus, andererseits wird sie als »selber 36

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schon unwahre, nämlich partikulare rationale Notwendigkeit«184 bezeichnet. Der Widerspruch ist zwingend: Wenn die Dialektik der Aufklärung in der Einheit von Opfer und Betrug gründet und die Verleugnung der Natur des Opfernden durch das Opfer den Kern zivilisatorischer Rationalität ausmacht, ist kein Ausweg aus dieser Dialektik möglich. Wenn der Ausweg nicht verschlossen werden soll, kann die Dialektik der Aufklärung nicht in der Einheit von Opfer und Betrug gründen. (2) Im Begriff der Mimesis reproduziert sich das Problem. Er wird der instrumentellen Vernunft vorgeordnet und in eine Zeit zurückverlegt, zu der das Subjekt noch nicht war. Mimesis sei »organische Anschmiegung ans Andere«185. Das aber ist nun gerade nicht Selbstbesinnung. An anderer Stelle wird Mimesis als »bewußte Projektion«186 bestimmt, die im Unterschied zur pathischen Projektion durch Selbstreflexion charakterisiert sei.187 Dieses selbstreflexive Moment aber habe Denken »auf dem Weg von der Mythologie zur Logistik (…) verloren.«188 Der Begriff der Mimesis ist also widersprüchlich bestimmt – als »organische Anschmiegung ans Andere« wie als »bewußte Projektion«. Die Bestimmung der Mimesis als bewußter Projektion ist so nicht zu begründen. Damit ist ein immanenter Widerspruch formuliert, den Jürgen Habermas zu Recht aufgegriffen hat. Wenn die Genesis des Subjekts aus der durch Arbeit vermittelten Selbsterhaltung der Gattung gegen den Naturzusammenhang entwickelt wird, bleibt die Selbstaufklärung der Aufklärung unaufklärbar.189 Der normative Maßstab der Kritik ist nicht auszuweisen. »Wenn man vom Spätwerk Adornos auf die Intentionen zurückschaut, denen die Kritische Theorie anfänglich gefolgt ist, kann man den Preis ermessen, den die Kritik der instrumentellen Vernunft für ihre konsequent eingestandenen Aporien entrichten muß. Die Philosophie, die sich hinter die Linien des diskursiven Denkens aufs ›Eingedenken der Natur‹ zurückzieht, bezahlt für die erweckende Kraft ihres Exerzitiums mit der Abkehr vom Ziel theoretischer Erkenntnis.«190 Dieser Einwand ist weithin akzeptiert und hat zur Verabschiedung der älteren Kritischen Theorie geführt.191 Weil Horkheimer und Adorno die Selbstbesinnung, die Reflexion der instrumentellen Vernunft, nicht mehr ausweisen können, hat Habermas die Kritische Theorie revidiert. Die Revision wird in Erkenntnis und Interesse gegen Marx begründet. Habermas’Argumentation gegen Marx ist, wie sich gleich zeigen wird, nicht zwingend. Marx konnte die Reflexion instrumenteller Vernunft begründen. Der Sache nach ist die Argumentation von Habermas gegen Horkheimer und Adorno gerichtet. Die These von der »Selbsterzeugung der Menschengattung durch Arbeit« ist die von Horkheimer und Adorno, nicht die von Marx. Die Leserin bzw. der Leser möge daher an Stelle von »Marx« »Horkheimer/Adorno« setzen. 37

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Die von Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung vertretene Position wird zunächst zusammengefaßt: »Die Bedingungen instrumentalen Handelns sind in der natürlichen Evolution der Menschengattung kontingent entstanden; aber zugleich binden sie unsere Erkenntnis transzendental notwendig an das Interesse möglicher technischer Verfügung über Naturprozesse. (...) Das innerhalb des Rahmens instrumentalen Handelns erzeugte Wissen tritt als Produktivkraft ins äußere Dasein.«192 Daraus zieht Habermas zu Recht folgende Konsequenz: »Gleichwohl erweist sich die philosophische Grundlage dieses Materialismus als ungenügend, um eine vorbehaltlose phänomenologische Selbstreflexion der Erkenntnis zu etablieren und so der positivistischen Verkümmerung der Erkenntnistheorie vorzubeugen. Den Grund dafür sehe ich, immanent betrachtet, in der Reduktion des Selbsterzeugungsaktes der Menschengattung auf Arbeit.«193 Für die Argumentation Adornos heißt das: Die »philosophische Grundlage« der Dialektik der Aufklärung ist zu eng, weil in ihr das Gewicht ausschließlich auf den durch instrumentelle Vernunft vermittelten »Selbsterzeugungsakt der Menschengattung« durch Arbeit gelegt wird. Ergo folgt zwingend: »Die Marxsche Gesellschaftstheorie nimmt in ihren Ansatz neben den Produktivkräften, in denen sich das instrumentale Handeln sedimentiert, auch den institutionellen Rahmen auf, die Produktionsverhältnisse; sie unterschlägt an Praxis nicht den Zusammenhang symbolisch vermittelter Interaktion und die Rolle kultureller Überlieferung, aus denen Herrschaft und Ideologie allein zu begreifen sind. Aber in das philosophische Bezugssystem geht diese Seite der Praxis nicht ein. (...) In seinen inhaltlichen Analysen begreift Marx die Gattungsgeschichte unter Kategorien der materiellen Tätigkeit und der kritischen Aufhebung von Ideologien, des instrumentalen Handelns und der umwälzenden Praxis, der Arbeit und der Reflexion in einem; aber Marx interpretiert, was er tut, in dem beschränkteren Konzept einer Selbstkonstitution der Gattung allein durch Arbeit.«194 Materielle Tätigkeit, instrumentelles Handeln und Arbeit stünden also bei Marx wie Adorno dem kritischen Aufheben von Ideologien, der umwälzenden Praxis, der Reflexion gegenüber.195 Weil der normative Maßstab der Kritik nicht mehr auszuweisen sei, wenn der »Selbsterzeugungsakt der Menschengattung auf Arbeit« reduziert werde, müsse dieses »philosophische Bezugssystem« der bisherigen Kritischen Theorie überwunden werden. Die »Idee einer Erkenntnistheorie als Gesellschaftstheorie«196 ist nichts anderes als die Theorie kommunikativen Handelns. Sie schafft der Selbstreflexion der instrumentellen Beziehung auf die Gegenstände der Reproduktion ein Fundament im sozialen, selbst nicht als instrumentell begriffenen Lebenszusammenhang der Gesellschaft. Hier sei der Ort zwangloser, nichtinstrumenteller Kommunikation, der die Reflexion der instrumentellen Vernunft möglich mache.

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Zur Widerlegung des Einwands reicht das Argument, es sei unsinnig, Horkheimer und Adorno eine Reduktion von Vernunft auf instrumentelle Vernunft vorzuhalten, weil diese selbst zwischen beiden differenzieren würden, nicht aus. »Horkheimer hat nicht den Fehler begangen, der ihm in der neueren Diskussion, vor allem von Habermas, vorgeworfen wurde. Er hat keine ›totalisierende Vernunftkritik‹ konzipiert, die Ideologiekritik unmöglich machen würde, weil sie kein normatives Fundament, keinen positiven Maßstab der Kritik zurückbehält. Denn Horkheimers Kritik hat eine normative Voraussetzung.«197 Diese Verteidigung arbeitet mit einem Trick: Aus der Tatsache, daß die Argumentation Horkheimers wie auch Adornos eine normative Voraussetzung hat, wird geschlossen, Habermas müsse, um den Einwand überhaupt formulieren zu können, mit der Unterstellung arbeiten, die Autoren der Dialektik der Aufklärung würden nicht zwischen instrumenteller Vernunft und deren Reflexion unterscheiden. Der Einwand von Habermas behauptet aber nicht, Horkheimer und Adorno hätten nicht zwischen instrumenteller Vernunft und deren Reflexion, der Selbstbesinnung, unterschieden. Er besagt, daß die Erklärung der Genesis des Subjekts aus der durch Arbeit vermittelten Selbsterhaltung der Gattung gegen den Naturzusammenhang die Selbstbesinnung nicht mehr ausweisen kann. Das Problem ist auch nicht zu lösen, wenn der Habermassche Einwand zwar für die Dialektik der Aufklärung zugegeben, für die Negative Dialektik aber bestritten wird.198 Wie sich im Verlauf der weiteren Interpretation zeigen wird, reproduziert sich in der Negativen Dialektik das Problem. Die Dialektik der Aufklärung gelangt zu der von Habermas kritisierten Konsequenz, weil der Fortschritt in der Distanz zur Natur aus dem Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur erklärt wird. Wenn Arbeit als ausschließlich unter der Prämisse der Selbsterhaltung stehend aufgefaßt wird, erscheint die Produktion von Mehrprodukt als »okkulte Qualität« der Arbeit. Dadurch entsteht der Schein, gesellschaftliche Arbeit produziere immer schon ein Mehrprodukt, das dann durch Herrschaft angeeignet werde. Entsprechend wird gesellschaftliche Herrschaft als Folge der Genesis des Subjekts gegen die Übermacht der Natur begriffen. »Das Kulturgut steht zur kommandierten Arbeit in genauer Korrelation, und beide gründen im unentrinnbaren Zwang zur gesellschaftlichen Herrschaft über die Natur.«199 Demgemäß ist das Mehrprodukt, also die Mehrarbeit, Voraussetzung gesellschaftlicher Herrschaft. Eine analoge Passage findet sich in der Negativen Dialektik.200 Diese Konstruktion muß den Übergang zu gesellschaftlicher Herrschaft als Aneignung des Mehrprodukts auffassen. Die ursprüngliche Form der Aneignung erscheint entsprechend als Raub oder Betrug. Deshalb spielen im ersten Exkurs der Dialektik der Aufklärung, der Interpretation der Odyssee, die Begriffe List, Opfer, Betrug, Tausch eine zentrale Rolle. Anders denn als Aneig39

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nung kann die Verfügung über das immer schon produzierte Mehrprodukt nicht vorgestellt werden: »Die List als Mittel eines Tausches, wo alles mit rechten Dingen zugeht, wo der Vertrag erfüllt wird und dennoch der Partner betrogen, weist auf einen wirtschaftlichen Typus zurück, der, wenn nicht in der mythischen Vorzeit, zumindest doch in der frühen Antike auftritt: den uralten ›Gelegenheitstausch‹ zwischen geschlossenen Hauswirtschaften.«201 Bei Marx findet sich eine wesentlich andere Erklärung der Mehrarbeit. Das Mehrprodukt entspringt danach gerade nicht »einer der menschlichen Arbeit eingeborenen, okkulten Qualität«202. Wenn der Fortschritt in der Distanz zur Natur nicht eine okkulte Qualität der Arbeit selbst sein soll, kann die Produktion von Mehrprodukt nicht immanent, durch sich selbst aktualisiert werden. Dann kann das Mehrprodukt nicht aus dem Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur erklärt werden. Der Fortschritt in der Distanz zur Natur muß dementsprechend durch anderes aktualisiert worden sein.203 Deswegen sagt Marx an anderer Stelle: »Die Gunst der Naturbedingungen liefert immer nur die Möglichkeit, niemals die Wirklichkeit der Mehrarbeit, also des Mehrwerts oder des Mehrprodukts.«204 Arbeit produziert nicht aus sich selbst heraus ein Mehrprodukt. Damit »Mehrarbeit für fremde Personen« verausgabt wird, »ist äußerer Zwang erheischt.«205 Die Produktion von Mehrprodukt wird demnach aktualisiert durch Herrschaft. Der folgende Abschnitt wird eine derartige Argumentation auch bei Horkheimer und Adorno nachweisen.

1.2.2 Die Begründung des Fortschritts in der Distanz zur Natur aus gesellschaftlicher Herrschaft Adorno und Horkheimer fassen die kontingente gesellschaftliche Bedingung, die die Fähigkeit zur Produktion von Mehrprodukt aktualisiert, in einer Passage der Dialektik der Aufklärung als Herrschaft: »Die Distanz des Subjekts zum Objekt, Voraussetzung der Abstraktion, gründet in der Distanz zur Sache, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt.«206 Die Subjektkonstitution wird hier ebenfalls an die Produktion von Mehrprodukt gebunden. Grund der erweiterten Reproduktion ist aber nicht mehr die Angst vor der Übermacht der Natur, die sich als listiger Betrug im Opfer geltend macht. Grund der Subjektkonstitution ist ein kontingenter Akt der Gewalt: das Subjekt konstituiert sich als gesellschaftliches Verhältnis von Herr und Knecht. Der Unterschied zwischen einer Erklärung des Mehrprodukts aus einer »okkulten Qualität« der Arbeit und einer Argumentation, die es aus Herrschaft begründet, liegt scheinbar in einer Nuance, die tatsächlich einen Unterschied ums Ganze macht. Die erste Argumentation begreift die Produktion von Mehrprodukt aus dem durch gesellschaftliche Arbeit vermittelten Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur. Sie legt deshalb die Aktualisierung des Vermögens 40

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zur Mehrarbeit in das Vermögen selbst. Die zweite Argumentation legt die Aktualisierung des Vermögens zur Produktion von Mehrprodukt in eine kontingente gesellschaftliche Bedingung: Herrschaft. Daß die »Distanz des Subjekts zum Objekt (…) in der Distanz zur Sache, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt«, gründe, ist ersichtlich eine Anspielung auf die Erklärung der Genesis des Selbstbewußtseins in der Hegelschen Phänomenologie des Geistes. Dort tritt die Genesis des Subjekts aus dem Zwang zur Verausgabung von Mehrarbeit hervor. Das Moment der Kontingenz erscheint in der Voraussetzung des Kampfes auf Leben und Tod, dessen Resultat dann das Verhältnis von Herr und Knecht ist: Der Herr, so erweist sich vom Resultat her, hat das Leben gewagt, der Knecht nicht.207 Das berühmte Kapitel aus der Phänomenologie entwickelt also die Subjektkonstitution als gesellschaftliches Gewaltverhältnis. Eben das sagt die zitierte Passage aus der Dialektik der Aufklärung. Adornos Interpretation des Kapitels über Herr und Knecht an anderer Stelle, in ihr trete »das Wesen des Hegelschen produktiven Geistes als Arbeit hervor«208, stellt sich nun als Konsequenz der Interpretation der Genesis des Subjekts aus der durch gesellschaftliche Arbeit vermittelten Beziehung der Gattung Mensch zur äußeren Natur dar. Ich habe gezeigt, daß die Erklärung des Mehrprodukts aus dem Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur Horkheimer und Adorno dazu zwingt, die instrumentelle Vernunft der Selbstbesinnung entweder vorzuordnen oder die Selbstbesinnung in Gestalt der Mimesis rationaler Erklärung zu entziehen. Die Erklärung des Mehrprodukts aus Herrschaft, der Subjektkonstitution als gesellschaftliches Gewaltverhältnis, stellt instrumentelle Vernunft und Selbstbesinnung nicht in ein wie auch immer geartetes Rangverhältnis: die Mehrarbeit erscheint hier nicht als eine okkulte, immer schon aktualisierte Qualität der Arbeit, sondern als Resultat von Herrschaft. Wird die Mehrarbeit als erzwungen begriffen, ist mit ihr Freiheit gegen die unmittelbaren Zwecke der Selbsterhaltung, damit aber auch die Reflexion auf die instrumentelle Vernunft der Selbsterhaltung gesetzt.209 Die Selbsterhaltung des Herrn realisiert der Knecht durch die Verausgabung von Mehrarbeit. Die Freiheit des Herrn besteht darin, Zwecke jenseits der Selbsterhaltung setzen zu können. Das setzt auf Seiten des Knechts voraus, daß dieser die Selbsterhaltung des Herrn nicht nur realisieren kann, sondern auch realisiert. Die Freiheit des Knechts besteht also darin, ebenfalls Zwecke jenseits der Selbsterhaltung zu realisieren. Nur sind es eben nicht seine Zwecke, sondern die des Herrn. Die Heteronomie des Knechts ist also eine Gestalt der Freiheit. Deshalb ist der Knecht nicht nur Objekt. Er ist Subjekt in dem Sinne, daß er selbst, durch sein Tun, ihm fremde Zwecke realisiert. Darin, daß er Zwecke jenseits seiner Selbsterhaltung realisiert, ist notwendig gesetzt, daß er auch andere Zwecke realisieren kann. »Die Instrumente der Herrschaft, die alle erfassen sollen, Sprache, Waffen, schließlich Maschinen, müssen sich von allen er41

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fassen lassen. So setzt sich in der Herrschaft das Moment der Rationalität als ein von ihr auch verschiedenes durch.«210 Die Objektivierung des Subjekts in Arbeitsmitteln impliziert, weil diese Mittel universal verfügbar sind, Kritik an Herrschaft. Sie impliziert sie, weil in der Erklärung der Genesis des Subjekts aus Herrschaft beides enthalten ist, und zwar in der durch sie gesetzten Differenz von notwendiger Arbeit und Mehrarbeit: instrumentelle Vernunft und Selbstbesinnung als das Vermögen der Reflexion auf Zwecke. Deshalb muß diese Begründung der Genesis des Subjekts das Verhältnis von instrumenteller Vernunft und Selbstbesinnung nicht als zeitliche Folge begreifen. In dieser Argumentation lassen sich also Identität und Unterschied von instrumenteller Vernunft und Selbstbesinnung bestimmen.211 Die These von der zeitlichen Folge kann vielmehr als konsequenter Ausdruck einer Auffassung interpretiert werden, die aus den Zwängen der Selbsterhaltung selbst die Produktion von Mehrprodukt hervorgehen läßt. Diese Auffassung hat ein systematisches Problem mit dem Begriff der Freiheit. Weil sie den Fortschritt in der Distanz zur Natur aus den Zwängen der Selbsterhaltung erklärt, erscheinen ihr die Resultate des Fortschritts in der Distanz zur Natur nicht als Realisierung von Freiheit, sondern als Notwendigkeit. Die Erklärung der Genesis des Subjekts aus Herrschaft dagegen kann den Fortschritt in der Distanz zur Natur als Vergegenständlichung von Freiheit begreifen. Dieser zweite Argumentationsstrang, der sich in der Dialektik der Aufklärung nachweisen läßt, verfällt ersichtlich nicht mehr dem Habermasschen Einwand. Die durch Herrschaft realisierte Gestalt der Freiheit, das Mehrprodukt, ist das materielle Substrat des Maßstabs der Kritik.212 Ich werde das im zweiten Kapitel für die kapitalistische Produktionsweise begründen.

1.2.3 Zum Verhältnis der beiden Varianten der Argumentation Gezeigt wurde, daß der Fortschritt in der Distanz zur Natur von Adorno auf zwei unterschiedliche Weisen bestimmt wird. Das führt zu Problemen im Begriff der Herrschaft. Gemäß der Genesis des Subjekts aus dem Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur ist gesellschaftliche Herrschaft eine Folge von Naturbeherrschung und durch die Aneignung eines immer schon produzierten Mehrprodukts ausgezeichnet. Die Genesis des Subjekts aus dem gesellschaftlichen Verhältnis von Herr und Knecht zieht dieses Verhältnis von Grund und Folge ein und begreift gesellschaftliche Herrschaft als Zwang zur Produktion von Mehrprodukt. Weil diese Doppeldeutigkeit des Herrschaftsbegriffs bisher nicht auf die Doppelstruktur der Argumentation in der Dialektik der Aufklärung zurückgeführt wurde, ist in der Sekundärliteratur bisher entweder die Auffassung vertreten worden, daß das Verhältnis von Naturbeherrschung und gesellschaftlicher Herrschaft ungeklärt bleibe.213 Oder Adorno wird so verstanden, daß er 42

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gesellschaftliche Herrschaft als »eine Art Verlängerung der Naturherrschaft in den gesellschaftlichen Raum« auffasse.214 Es wird aber nicht gesehen, daß sich dahinter zwei unterschiedliche Argumentationen verbergen. Beide Varianten sind systematisch nicht miteinander kompatibel. Weil Adorno aber beide Varianten vertritt, opponiert er mal gegen die eine, mal gegen die andere Variante. Gemäß der Erklärung der Genesis des Subjekts aus dem Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur setzt sich Naturbeherrschung in der Herrschaft über Menschen fort, d. h. die Verfügung über die äußere Natur ist der Herrschaft über Menschen vorgeordnet. Also hätte die Ökonomie, nämlich in Gestalt der durch Arbeit vermittelten Selbsterhaltung der Gattung, den Primat vor der gesellschaftlichen Herrschaft. Die Konstruktion gelingt indes nur durch eine unausgewiesene Äquivokation im Begriff der Herrschaft. »Der kollektive Zwang zur gesellschaftlichen Selbsterhaltung übersetzt sich so fugenlos in den klassenspezifischen Zwang zur Herrschaftssicherung.«215 Die These vom Fortschritt von der Naturbeherrschung zur gesellschaftlichen Herrschaft unterstellt zwei unterschiedene Formen von Herrschaft.216 Gesellschaftliche Herrschaft ist wesentlich durch ein Verhältnis von Willen zueinander bestimmt. Der Beherrschte wird zur Produktion von Mehrprodukt gezwungen. Er muß seinen Willen dem herrschenden Willen unterordnen. Das gilt nicht in gleicher Weise für Naturgegenstände. Naturgegenstände haben keinen Willen. Der Preis für die These vom Fortschritt der Herrschaft über Natur zu der über Menschen besteht darin, daß Adorno diese Differenz begrifflich nicht mehr fassen kann. Wäre der Antagonismus im Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur selbst angelegt, wäre das Mehrprodukt nicht mehr als durch Herrschaft erzwungene Gestalt von Freiheit zu bestimmen. Dann wäre der Maßstab der Kritik nicht mehr auszuweisen und Adornos Rede von der Versöhnung wirklich das metaphysische Hirngespinst, als das es in der Sekundärliteratur oftmals interpretiert wurde.217 Gegen die Auffassung eines Fortschritts der Naturbeherrschung zu gesellschaftlicher Herrschaft argumentiert Adorno in der Negativen Dialektik. Dort wird sie Marx und Engels zugesprochen. Gegen sie wird eingewandt, daß der Antagonismus, die herrschaftliche Organisation der Gesellschaft,218 Resultat von »archaischen Willkürakten von Machtergreifung«219 sei. Ein Willkürakt ist aber ein Akt aus Freiheit, daher gerade kein Fortschritt von der »Herrschaft« über Natur zu gesellschaftlicher Herrschaft. Der Grund für die Inkompatibilität der beiden Varianten liegt in folgendem: Wird der Fortschritt in der Distanz zur Natur aus dem durch gesellschaftliche Arbeit vermittelten Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur erklärt, erscheint das Mehrprodukt nicht als Vergegenständlichung von Freiheit, sondern als notwendig in diesem Verhältnis angelegt. Die Erklärung des Fortschritts in der Distanz zur Natur aus gesellschaftlicher Herrschaft hingegen bestimmt das Subjekt als nicht nur dem Zwang zur Selbsterhaltung unterworfen, 43

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sondern als auch selbständig gegen den Naturzusammenhang. Diese Selbständigkeit erscheint, in der Hegelschen Terminologie gesprochen, in der Freiheit des Herrn, den Knecht zur Reproduktion seiner Existenz zu zwingen. Und sie erscheint im Zwang des Knechts, über seine Selbsterhaltung hinaus Zwecke des Herrn zu realisieren. Deshalb ist nur in dieser Argumentation das Mehrprodukt eine Vergegenständlichung von Freiheit, daher auch nur mit ihr der Maßstab der Kritik zu begründen.

1.2.4 Modelle für die unterschiedlichen Konsequenzen aus der doppelten Bestimmung der Genesis des Subjekts Adorno argumentiert konsequent. Deshalb nötigt ihn die doppelte Bestimmung der Genesis des Subjekts zu widersprüchlichen Argumentationen. Sie erklärt den immanent widersprüchlichen Charakter seiner Schriften nach der Dialektik der Aufklärung, der sich wiederum in einer Rezeptionsgeschichte ausdrückt, die zu einander kontradiktorisch entgegengesetzten Auffassungen gelangt. Daher ist es nicht nur geboten, sondern notwendig, die Konsequenzen der doppelten Bestimmung der Genesis des Subjekts in den nach der Dialektik der Aufklärung veröffentlichten Schriften vorzustellen. Das soll exemplarisch an drei Modellen geschehen. Erstes Modell ist die Interpretation des transzendentalen Subjekts bei Kant durch Adorno. Gezeigt wird, daß diese Interpretation Adorno zur Reproduktion der sonst kritisierten ursprungsphilosophischen Argumentation nötigt (1.2.4.1). Zweitens wird auf die These eingegangen, das aufklärerische, insbesondere das naturwissenschaftliche Denken selbst sei in sich herrschaftlich und deshalb durch die Ausschaltung von Qualitäten charakterisiert (1.2.4.2). Drittens wird der Widerspruch am Geschichtsbegriff dargestellt (1.2.4.3). 1.2.4.1 Reproduktion der Ursprungsphilosophie: die Genese der Denkformen aus gesellschaftlicher Arbeit Kant zog die volle Konsequenz aus der nominalistischen Kritik des Universalienrealismus220 und begründete die Objektivität der Erkenntnis durch den Nachweis von Erkenntnisbedingungen a priori im Subjekt. »Die Bedingungen a priori einer möglichen Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung.«221 Die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung sind nach Kant transzendental, d. h. nicht selbst aus Erfahrung herstammend, sondern als deren Voraussetzung erschlossen.222 Der »höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß,«223 sei die synthetische Einheit der Apperzeption. Diese besagt, daß das Bewußtsein als ein denkendes Bewußtsein aller Verknüpfung von Vorstellungen in einem empirischen 44

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Bewußtsein vorausgesetzt werden muß. ›Das Ich denke, das all meine Vorstellungen begleiten können muß‹224, ist nach Kant ein Akt der Spontaneität, eine ursprüngliche Apperzeption, die Transzendentalsubjekt225 heißt, weil es »dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, indem es die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle anderen muß begleiten können, und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiteren begleitet werden kann.«226 Die ursprüngliche Apperzeption garantiere die Objektivität der Erkenntnis, weil von ihr alle empirische Synthesis, also einzelwissenschaftliche Erkenntnis, abhänge.227 Das Transzendentalsubjekt wird von Kant auch als das »gemeinschaftliche Subjekt«228 bezeichnet. Gemeinschaftlich ist dieses Subjekt, weil es die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis enthält, die für alle empirischen Subjekte gleichermaßen gelten. Für Adorno sind die von Kant erschlossenen Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis nicht nur gesellschaftlich vermittelte, sondern auch gesellschaftlich entsprungene Bedingungen. Sie seien funktional notwendig »zum survival«229 und demnach gesellschaftstheoretisch zu erklären. Die gesellschaftstheoretische Reflexion des Transzendentalsubjekts bezeichnet Adorno als »Paradoxie«230. Die Paradoxie bestehe darin, daß »die konstitutiven Formanten gesellschaftlich entsprungen sind, andererseits jedoch, worauf die gängige Erkenntnistheorie pochen kann, objektiv gültig.«231 Paradox ist die gesellschaftstheoretische Herleitung der Denkformen, weil ihre Gültigkeit immer schon vorausgesetzt ist. Die Paradoxie hat ihren Grund in der Reflexivität des Subjekts: In der Reflexion auf das Verhältnis der Denkformen zur Gesellschaft bezieht sich das Denken auf sich selbst. Diese Beziehung ist reflexiv. Deshalb hat Denken das Moment der Selbständigkeit gegen seine Voraussetzungen. Als »gesellschaftlich entsprungenes« hat es dieses Moment der Selbständigkeit nicht. Weil Denken reflexiv ist, kann seine Genesis nicht vollständig aus seinen gesellschaftlichen Voraussetzungen erklärt werden. Deshalb läßt sich immer nur vom Resultat nach den Bedingungen seiner Möglichkeit fragen. Eben das tut Kant.232 Ich habe in der Einleitung darauf hingewiesen, daß darin auch das methodische Prinzip besteht, das Adorno für seine Argumentation in Anspruch nimmt. Kant argumentiert streng rekursiv: die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis werden erschlossen. Für Kant besteht kein Paradox, sondern ein erkenntnistheoretischer Zirkel: die Wirklichkeit von Erkenntnis wird der Reflexion auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit vorausgesetzt.233 Ein Paradox ergibt sich nur bei einer bestimmten Stellung der Frage, nämlich dann, wenn der Ursprung der »konstitutiven Formanten«, also der Kategorien und der Formen der Anschauung, erklärt werden soll. Diese Frage ist nach Adorno ursprungsphilosophisch. In Kapitel 1.1 wurde darauf hingewiesen, daß Adorno sie für eine falsch gestellte Frage hält. Adorno reproduziert sie infolge der Erklärung der Genesis des Subjekts aus der durch gesellschaftliche Arbeit ver45

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mittelten Selbsterhaltung der Gattung gegen den Naturzusammenhang. Denn danach ist Denken als »Instrument der Selbsterhaltung (…) entstanden«234. Adornos Interpretation des transzendentalen Subjekts bei Kant vollzieht sich in zwei Schritten, die im folgenden dargestellt werden. Ihr terminus ad quem besteht darin, die gesellschaftliche Genesis der Denkformen nachzuweisen. In einem ersten Schritt begreift Adorno das Transzendentalsubjekt als Abstraktion vom empirischen Subjekt. Damit wird eine Vorgängigkeit des individuellen Subjekts unterstellt, welche die Äquivokation im Subjektbegriff235 nach der Seite des individuellen Subjekts nominalistisch auflöst (1). In einem zweiten Schritt wird die Allgemeinheit der Denkformen wie deren notwendige Geltung in die Verwiesenheit der Individuen auf Gesellschaft übersetzt und aus dem Zwang zur Selbsterhaltung erklärt236 (2). (1) Kant hat das Transzendentalsubjekt als Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis empirischer Subjekte erschlossen. Adorno unterstellt Kant dagegen, daß dieser das transzendentale Subjekt nicht nur als logische, sondern auch als zeitliche Bedingung des empirischen Subjekts begreife: »Evident ist, daß der abstrakte Begriff des transzendentalen Subjekts, die Formen von Denken, voraussetzt, was er zu stiften verspricht: tatsächliche, lebendige Einzelwesen.«237 Kant unternehme es, ein Bedingtes, nämlich das Transzendentalsubjekt, als Unbedingtes auszuweisen.238 Das transzendentale Subjekt könnte das empirische Subjekt aber nur »stiften«, wenn es dessen Ursprung wäre. Mit der These, Kant habe das transzendentale Subjekt nicht als logische Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis, sondern als zeitliche Voraussetzung des empirischen Subjekts aufgefaßt, wird Kant also unterstellt, er argumentiere ursprungsphilosophisch. Adorno scheint sich dabei auf eine berühmte Passage aus der Kritik der reinen Vernunft zu berufen, in der Kant von »ursprünglicher Apperzeption« spricht.239 Übersetzt man »ursprünglich« in Ursprung, scheint es nur allzu berechtigt, wenn Adorno umstandslos den Begriff der Bedingung, in dem nicht notwendig eine Zeitfolge impliziert ist, und den Begriff des Ursprungs, in dem notwendig eine Zeitfolge impliziert ist, ineinander überführt: »Vielfach rekurrierten sie [die Nachfolger Kants, J. W.] auf das Aristotelische Motiv, das fürs Bewußtsein Erste – hier: das empirische Subjekt – sei nicht das an sich Erste und postuliere als seine Bedingung oder seinen Ursprung das transzendentale.«240 Kant dagegen begreift die »ursprüngliche Apperzeption« nicht als Ursprung, sondern als Bedingung der Möglichkeit, ohne die meine Vorstellungen nicht meine sind, weil sie nicht die eines Selbstbewußtseins sind.241 Adornos Übersetzung von »ursprünglich« und »Bedingung« in »Ursprung« steht also quer zur Kritik der reinen Vernunft. Kant hat keine Ursprungsphilosophie formuliert.242 Gegen das Ergebnis seiner Kantinterpretation stellt Adorno die gerade entgegengesetzte Überlegung: Das transzendentale Subjekt sei »seinerseits von lebendigen Menschen abstrahiert«243. Die Überlegung greift auf Adornos nicht eingereichte Habilitationsschrift zurück. Schon dort wird gesagt, daß der Be46

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griff des »Bewußtseins überhaupt« »seine Schrecken« verliere, »sobald man einsieht, daß er, wofern er überhaupt einen Sinn haben soll, nichts anderes als eine Abstraktion sein kann, die von einer Vielheit von Bewußtseinsverläufen deren gemeinsame Merkmale zusammenfaßt, aber die Analyse der einzelnen Bewußtseinsverläufe voraussetzt.«244 Die Gegenthese muß aus zwei Gründen erstaunen. Erstens löst sie die Äquivokation im Subjektbegriff nach der Seite des empirischen Subjekts nominalistisch auf.245 Der Zweck des äquivoken Subjektbegriffs bei Adorno bestand aber gerade darin, den Rückfall in den Nominalismus zu verhindern. Adornos Kantinterpretation verfällt damit den von ihm selbst gegen den nominalistisch argumentierenden Materialismus246 wie gegen den Nominalismus überhaupt vorgebrachten Einwänden.247 Zweitens behält Adorno die Hierarchie bei, die er Kant bezüglich des Verhältnisses von Transzendentalsubjekt und empirischem Subjekt unterstellt. Allein die Relata der Hierarchie werden vertauscht. Das Vorgängige bei Adorno ist nun nicht das Transzendentalsubjekt, sondern das empirische Subjekt. Adorno übersetzt also Kants rekursive Argumentation in eine ursprungsphilosophische und argumentiert dann ursprungsphilosophisch dagegen. Dem korrespondiert, daß Adorno die Umkehr der Hierarchie in Zu Subjekt und Objekt nicht begründet. Sie sei »evident«248. (2) Aus der Umkehr der Hierarchie folgert Adorno, daß das Subjekt qua Denkformen in sich gefangen sei – eine »Gefangenschaft«249, die nur die reale in Selbsterhaltung ausdrücke. Adorno interpretiert die Denkformen als »Gefangenschaft«, weil er die Genesis des Subjekts aus der Selbsterhaltung der Gattung Mensch gegen den Naturzusammenhang erklärt. Weil diese sich, wie gezeigt, Adorno als Herrschaft über Natur darstellt, reproduziert sich entsprechend in den Denkformen selbst ein herrschaftliches Moment. Daraus ergibt sich die gegen die philosophische Tradition gerichtete These, sie habe die Gefangenschaft in Freiheit umgebogen, den »Inbegriff des Zwangs als Freiheit«250 verklärt. Die »Identität des Geistes mit sich selber, die nachmalige synthetische Einheit der Apperzeption«251, sei von der philosophischen Tradition, weil sie den Zusammenhang jener Identität mit der Lebensnot verkannt habe, zunächst auf die Sache projiziert worden. »Das ist die Erbsünde der prima philosophia«252 – Erbsünde, weil die Erkenntnistheorie das nicht durchschaut, deshalb die Frage nach dem ersten Prinzip beibehalten und nur es selbst ausgewechselt habe. Erstes Prinzip sei nun Subjekt. »Die wissenschaftliche Gestalt der Ursprungsphilosophie war die Erkenntnistheorie. Sie wollte das absolut Erste zum absolut Gewissen erheben durch Reflexion auf das Subjekt, das aus keinem Begriff vom Ersten sich ausscheiden ließe.«253 Der Materialismus aber könne »dem Geist die Rechnung (präsentieren), indem er ihn seiner eigenen Naturwüchsigkeit überführt und schließlich den Ursprung des Geistes und noch seiner äußersten Sublimierungen in der Lebensnot sucht.«254 47

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Adorno muß demgemäß zeigen, daß das Denken der Selbsterhaltung der Gattung entsprungen ist. Die Abstraktion, »das Prinzip, wodurch das Subjekt zum Subjekt überhaupt wird«255, muß aus der Selbsterhaltung der Gattung begründet werden. Die »Rechnung«, die Adorno dem Idealismus präsentiert, ist ein Lehrstück ursprungsphilosophischer Argumentation: Nach Adorno werden die Menschen durch gesellschaftliche Arbeit zur Einheit verbunden.256 Es sei das Verdienst Alfred Sohn-Rethels, darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß in »der allgemeinen und notwendigen Tätigkeit des Geistes unabdingbar gesellschaftliche Arbeit sich birgt.«257 Entsprechend lautet Adornos Antwort auf die Frage nach der Genesis der Erkenntnisfunktion: »Die Allgemeinheit des transzendentalen Subjekts aber ist die des Funktionszusammenhangs der Gesellschaft«258. Und: »Die Bestimmung des Transzendentalen als des Notwendigen, die zu Funktionalität und Allgemeinheit sich gesellt, spricht das Prinzip der Selbsterhaltung der Gattung aus.«259 Weil Vergesellschaftung immer schon gegeben sei, könne sich deren Allgemeinheit in der Allgemeinheit der Denkformen niederschlagen. Weil der Zwang zur Selbsterhaltung immer schon gegeben sei, könne sich dessen Notwendigkeit in der Notwendigkeit der Denkformen niederschlagen. Um dem Paradox zu entkommen, daß die Gültigkeit der Denkformen ihrer Genesis vorausgesetzt ist, erklärt Adorno in seiner letzten Auskunft zum Problem, in Zu Subjekt und Objekt, Individuum, Gesellschaft, Denkformen aus einem Ursprung: gesellschaftlicher Arbeit. Weil die »Menschen soviel unausgerüsteter geboren (werden) als andere Lebewesen, (..) haben sie wohl überhaupt nur assoziiert, durch rudimentäre gesellschaftliche Arbeit am Leben sich erhalten können; das principium individuationis ist deren Sekundäres, hypothetischerweise eine Art biologische Arbeitsteilung. (...) Die Gattung mochte durch Mutation sich individuieren, um dann durch Individuation, in Individuen unter Anlehnung ans biologisch Singuläre sich zu reproduzieren. Der Mensch ist Resultat«.260 Die »rudimentäre gesellschaftliche Arbeit« wird so zum Konstituens von Individuum, Gesellschaft und Denkformen.261 Sie vermittelt den Übergang von nicht-menschlichen Lebensformen zu menschlichen. Die ursprungsphilosophische »Rechnung«, die Adorno dem Idealismus präsentiert, ist eine getreue Wiederholung der Engelsschen:262 die Vorform des Menschen wird durch »gesellschaftliche Arbeit« zum Menschen, »gesellschaftliche Arbeit« damit zum Konstituens der spezifischen Differenz. Das ist die zwingende Konsequenz einer Argumentation, die den Fortschritt in der Distanz des Subjekts zur Natur aus einer okkulten Qualität der Arbeit erklärt. Die »Rechnung« freilich zehrt von einem Trick, der »rudimentären gesellschaftlichen Arbeit«. Der Trick besteht in der Qualifizierung der gesellschaftlichen Arbeit als »rudimentär«. Der Begriff der Arbeit ist auf den Begriff des Zwecks, der Begriff des Zwecks auf den Begriff des Bewußtseins verwiesen. 48

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Gesellschaftliche Arbeit setzt also das zu Vermittelnde, Denken, schon voraus. Der Begriff der gesellschaftlichen Arbeit kann daher die Genesis des Denkens nicht erklären. Dieser Einwand, von Adorno selbst an jeder Stelle formuliert, die mit der Genesis des Denkens beschäftigt ist,263 muß also entkräftet werden, und er wird entkräftet durch einen Zusatz: »rudimentär«. Rudimentäre gesellschaftliche Arbeit ist qua des Zusatzes »rudimentär« als eine Vorform gesellschaftlicher Arbeit bestimmt. Als Vorform setzt sie Bewußtsein nicht voraus. Insofern sie Arbeit ist, setzt sie Bewußtsein voraus, insofern sie rudimentär ist, wird die Voraussetzung bestritten. Das ist der Trick. Der Geist ist nicht der Lebensnot und der Verwiesenheit auf andere bei der Bewältigung der Lebensnot entsprungen, sondern einem Trick Adornos. Diese Konstruktion hat Adorno nicht durchgehalten. Das verweist darauf, daß Adorno nur an den Stellen zur Reproduktion einer ursprungsphilosophischen Argumentation gezwungen wird, an denen er die Genesis des Subjekts auf das Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur zurückführt. Wo Adorno nicht genötigt ist, die Kantische Philosophie als Ursprungsphilosophie zu interpretieren und selbst ursprungsphilosophisch dagegen zu argumentieren, stellt sich ihm der Zusammenhang von Logischem und Zeitlichem anders dar. Das ist etwa der Fall bei der Begründung des Vorrangs des Objekts in der Negativen Dialektik. Dort ist die Argumentation rekursiv im strikten Sinne. Das aber ist nur möglich, weil in dieser Passage Denken gerade nicht als bloßes Mittel der Selbsterhaltung begriffen wird. Das logische ›Ich denke, das all meine Vorstellungen muß begleiten können‹, so die Argumentation in der Negativen Dialektik, hat »Zeitfolge zur Bedingung seiner Möglichkeit (..) und Zeitfolge ist nur als eine von Zeitlichem. Das ›meine‹ verweist auf ein Subjekt als Objekt unter Objekten, und ohne dies ›meine‹ wäre wiederum kein ›Ich denke‹.«264 Deshalb sei das seiende Ich »Sinnesimplikat«265 des logischen, das logische Ich nicht ohne es. Beide werden an dieser Stelle also nicht in ein hierarchisches Verhältnis gesetzt, sondern als wechselseitig aufeinander verwiesen aufgefaßt: Ohne vorausgesetzte Bewußtseinseinheit ist gar kein Bewußtsein, weil dessen Inhalte eben nicht die eines Bewußtseins, daher ohne Beziehung aufeinander wären. Unter dieser Voraussetzung wäre keinerlei Abstraktion möglich. Die Inhalte des Bewußtseins, deren Einheit das transzendentale Subjekt garantiert, stehen umgekehrt notwendig in einer Zeitreihe. Ohne diese in einer Zeitreihe stehenden Inhalte meines Bewußtseins gäbe es nichts zu synthetisieren. Mit dieser Überlegung kann der Kern dessen, was Adorno Paradoxie nennt, festgehalten werden. In ihr drückt sich nichts anderes aus als die Reflexivität des Denkens. Die Paradoxie besteht darin, daß das Transzendentalsubjekt eine Genesis haben muß, diese Genesis aber wegen der Reflexivität von Denken nicht vollständig aus anderem erklärbar ist. Deshalb ist das transzendentale 49

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Subjekt nicht auf gesellschaftliche Arbeit zurückzuführen. Das ist der objektive Grund, der Kant berechtigt, es als a priori zu begreifen. Trotzdem ist es geworden. Die Reflexivität des Denkens aber muß eine Argumentation mißachten, in der das Denken zum bloßen Mittel der Erfordernisse der Selbsterhaltung gerät. 1.2.4.2 Szientismus Das zweite Modell für den aus der doppelten Erklärung der Genesis des Subjekts resultierenden Widerspruch in der Argumentation Adornos besteht in seiner Interpretation des Szientismus. »Die szientifische Objektivierung neigt, einig mit der Quantifizierungstendenz aller Wissenschaft seit Descartes, dazu, die Qualitäten auszuschalten, in meßbare Bestimmungen zu verwandeln. Rationalität selbst wird in steigendem Maß more mathematico dem Vermögen der Quantifizierung gleichgesetzt. So genau das dem Primat der triumphierenden Naturwissenschaft Rechnung trägt, so wenig liegt es im Begriff der ratio an sich. Verblendet ist sie nicht zuletzt darin, daß sie gegen die qualitativen Momente als ein seinerseits vernünftig zu Denkendes sich sperrt.«266 Diese in der Negativen Dialektik geäußerte Auffassung über das Verfahren der Naturwissenschaften entspricht exakt der in der Dialektik der Aufklärung vertretenen.267 Sie ist eine konsequente Folge der Erklärung der Genesis des Subjekts aus der Selbsterhaltung der Gattung gegen den Naturzusammenhang. Sie nötigt Adorno, gegen eine Vorstellung von Naturwissenschaft zu argumentieren, die mit deren Verfahren kaum in Einklang zu bringen ist. Diese Vorstellung zehrt von der Unterstellung, »Quantifizierungstendenz« sei identisch mit einer Eliminierung von Qualitäten. Das ist nur möglich unter der Voraussetzung einer strikten Scheidung und Entgegensetzung von Quantität und Qualität. In der Dialektik der Aufklärung findet sie ihren konsequentesten Ausdruck in der Formulierung, jene Tendenz der neuzeitlichen Wissenschaft setze »Denken und Mathematik in eins.«268 Quantifizierungen sind aber immer Quantifizierungen von qualitativ Bestimmtem. In keiner Quantifizierung wird von der bestimmten Qualität abstrahiert. Der Fortschritt der naturwissenschaftlichen Erkenntnis wie ihrer technischen Anwendung besteht gerade darin, neue Qualitäten der Gegenstände zu entdecken. Weil die These von der Ausschaltung der Qualitäten mit dem naturwissenschaftlichen Verfahren nicht in Einklang zu bringen ist, argumentiert Adorno in der Negativen Dialektik widersprüchlich. Einerseits wird gesagt, die Quantifizierungstendenz der Wissenschaften neige dazu, »die Qualitäten auszuschalten«, andererseits heißt es: »Das Erkenntnisziel selbst von Statistik ist qualitativ, Quantifizierung einzig ihr Mittel.«269 Läßt sich eine Vorstellung vom naturwissenschaftlichen Verfahren, die es als Ausschaltung von Qualitäten begreift, nicht halten, so entbehrt sie doch nicht ei50

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nes Moments von Wahrheit: Hält man einmal fest, daß nur Qualitäten sich quantifizieren lassen, so ergibt sich unter der Prämisse der Selbsterhaltung eine Richtung der Beziehung des Subjekts auf Natur: Sie wird unter dem Gesichtspunkt ihrer Funktionalität für die Selbsterhaltung betrachtet. In dieser instrumentellen Beziehung steckt allerdings eine Eliminierung von Qualitäten – nämlich den dafür nicht funktionalen. Adorno muß statt dessen das naturwissenschaftliche Verfahren als eines fassen, in dem die Qualitäten dadurch ausgeschaltet werden, daß sie in meßbare Bestimmungen verwandelt werden: er ist infolge der Begründung der Genesis des Subjekts aus dem Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur genötigt, die Abstraktion, nach der oben zitierten Passage das, wodurch »Subjekt zum Subjekt überhaupt wird«, als Ausdruck des instrumentellen Charakters des Denkens zu begreifen. Deshalb stellt er ihr eine »zweite Reflexion«, die auf die Qualität reflektieren soll, zur Seite.270 In der Trennung von erster und zweiter Reflexion gelangt die zweifache Erklärung der Genesis des Subjekts zum Ausdruck: Weil die Begründung der Genesis des Subjekts aus Selbsterhaltung Vernunft auf instrumentelle Vernunft restringiert, kann die erste Reflexion nicht als eine auf die Qualität gefaßt werden. 1.2.4.3 Geschichtsphilosophie Das dritte Modell für den aus der doppelten Bestimmung der Genesis des Subjekts resultierenden Widerspruch in der Argumentation Adornos ist der Begriff der Geschichte. Im zweiten Modell negativer Dialektik, Weltgeist und Naturgeschichte, wird die philosophische Betrachtung der Geschichte thematisch. Der Abschnitt Universalgeschichte beginnt mit der Auskunft, daß deren Begriff problematisch geworden sei. Universalgeschichte heißt nichts anderes als bei Hegel Weltgeschichte. Diese hat zum Ausgangspunkt die Überzeugung, daß es in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei. Zum Inhalt hat sie die Darstellung des vernünftigen Gangs der Weltgeschichte. Problematisch ist dieser Begriff der Weltgeschichte aus einem historischen und einem systematischen Grund. Die Hegelsche Geschichtsphilosophie ist systematisch gezwungen, die Kontingenz der Gewalt als List der Vernunft zu interpretieren, d. h. die politischen Führer, die über die stärksten Armeen verfügen, als Geschäftsführer des Weltgeistes aufzufassen.271 Der historische Grund besteht in der geschichtlichen Entwicklung seit Hegel: »Die Behauptung eines in der Geschichte sich manifestierenden und sie zusammenfassenden Weltplans zum Besseren wäre nach den Katastrophen und im Angesicht der künftigen zynisch.«272 Trotzdem sei der Begriff der Universalgeschichte nicht aufzugeben. Wenn nämlich die Theorie nicht am Begriff der Weltgeschichte festhalte, beraube sie sich der Möglichkeit der Erkenntnis von Geschichte. Ohne ein Prinzip, nach dem Geschichte zu denken ist, bleibe völlig unklar, wie die mannigfachen geschichtlichen Erscheinungen miteinander zusammenhängen. Die Universal51

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geschichte »als Residuum metaphysischen Aberglaubens durchstreichen, würde geistig ebenso bloße Faktizität als das einzig zu Erkennende und darum zu Akzeptierende befestigen, wie vordem die Souveränität, welche die Fakten dem totalen Vormarsch des Einen Geistes einordnete, sie als dessen Äußerungen bestätigte.«273 Daraus schließt Adorno, daß Universalgeschichte sowohl zu konstruieren als auch zu leugnen sei274 – zu konstruieren, weil sich ohne einen Begriff von Geschichte die geschichtlichen Erscheinungen in keinen Zusammenhang bringen lassen, zu leugnen, weil die Geschichte nicht dem Hegelschen Prinzip, der Realisierung oder Auswickelung der Vernunft, genügt. Entsprechend konstruiert sie Adorno anders: »Nicht aber ist darum die Einheit der Geschichte zu verleugnen, welche die diskontinuierlichen, chaotisch zersplitterten Momente und Phasen der Geschichte zusammenschweißt, die von Naturbeherrschung, fortschreitend in die Herrschaft über Menschen und schließlich die über inwendige Natur. Keine Universalgeschichte führt vom Wilden zur Humanität, sehr wohl eine von der Steinschleuder zur Megabombe. Sie endet in der totalen Drohung der organisierten Menschheit gegen die organisierten Menschen, im Inbegriff von Diskontinuität. Hegel wird dadurch zum Entsetzen verifiziert und auf den Kopf gestellt. Verklärte jener die Totalität geschichtlichen Leidens zur Positivität des sich realisierenden Absoluten, so wäre das Eine und Ganze, das bis heute, mit Atempausen, sich fortwälzt, teleologisch das absolute Leiden. Geschichte ist die Einheit von Kontinuität und Diskontinuität.«275 Als solche Einheit ist Geschichte der »Inbegriff des Leidens. Im Bannkreis des Systems ist das Neue, der Fortschritt, Altem gleich als immer neues Unheil.«276 Die Einheit der Geschichte werde also nicht durch Vernunft, sondern durch Herrschaft gestiftet. Die diskontinuierlichen Momente der Geschichte sind demnach diskontinuierlich, weil das sich durchhaltende Prinzip, Herrschaft, dem Inhalt nach kontingent ist. Weil aber die Kontingenz der Herrschaft zugleich die Einheit der Geschichte ausmacht, ist die Diskontinuität kontinuierlich oder die Geschichte die Einheit von Kontinuität und Diskontinuität. Weil Adorno das Prinzip der Hegelschen Geschichtsphilosophie durch Herrschaft ersetzt, wird derselbe Einwand provoziert, den er gegen Hegel vorgebracht hatte. Wie Hegel genötigt ist, die diskontinuierlichen Momente der Geschichte schließlich als listige Objektivierungen der Vernunft zu begreifen, ist Adorno genötigt, den Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit als listige Objektivierung der Herrschaft zu begreifen. Adorno begegnet dem Einwand durch eine Äquivokation im Begriff der Geschichte. Geschichte zerfalle in Geschichte und Naturgeschichte.277 Naturgeschichte bezeichnet dabei nicht die Geschichte der Naturgegenstände, sondern die Geschichte der Menschen, sofern sie unter einem nicht begründbaren, also irrationalen Prinzip, der Herrschaft, steht. Weil alle bisherige Geschichte unter dem einheitsstiftenden Prinzip von Herrschaft stehe, sei sie Naturgeschichte. Der Fortschritt der Herrschaft stellt 52

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sich material dar als fortschreitende Distanz des Menschen vom Naturzusammenhang, als Steigerung der Produktivkraft der Arbeit. Darüber stellt Adorno einen Zusammenhang zwischen Naturgeschichte und Geschichte her. »Das impliziert auch das Versöhnende am Unversöhnlichen; weil es allein den Menschen zu leben erlaubt, wäre ohne es nicht einmal die Möglichkeit veränderten Lebens.«278 Erst im versöhnten Zustand wäre Geschichte nicht mehr Naturgeschichte. Deshalb lautet die Überschrift über diesem Modell negativer Dialektik nicht Weltgeist und Geschichte, sondern Weltgeist und Naturgeschichte. Die Äquivokation im Begriff der Geschichte setzt voraus, daß sich die bisherige Geschichte unter diesem einheitsstiftenden Prinzip darstellt, ohne sich zwingend weiter so darstellen zu müssen.279 Das ist nur möglich, wenn der die bisherige Geschichte durchziehende Antagonismus der Gesellschaft, ihre herrschaftliche Organisation, kontingent ist. Der Antwort auf die Frage nach der Kontingenz des Antagonismus dient der nächste Abschnitt in Weltgeist und Naturgeschichte. Er beginnt mit der Auskunft, daß die Spekulation keineswegs müßig sei, ob der Antagonismus »als Prinzip homo homini lupus ererbt oder erst (..) geworden sei; und ob er, wäre er schon entsprungen, aus den Notwendigkeiten des Überlebens der Gattung folgte und nicht gleichsam kontingent, aus archaischen Willkürakten von Machtergreifung«280. Würde der Antagonismus nicht als kontingent aufgefaßt, so wäre er notwendig. Wäre er notwendig, wäre Herrschaft mit dem Wesen des Menschen verbunden, daher nicht abzuschaffen.281 Entsprechend gibt Adorno am Schluß des Abschnitts die folgende Antwort: »Theorie vermag die unmäßige Last der historischen Nezessität zu bewegen allein, wenn diese als der zur Wirklichkeit gewordene Schein erkannt ist, die geschichtliche Determination als metaphysisch zufällig.«282 Dieser Antwort nach ist der Antagonismus kontingent. Die Antwort wurde aber von Adorno in der oben zitierten Passage gerade bestritten. Indem er nämlich die Herrschaft bei der »Naturbeherrschung, fortschreitend in die Herrschaft über Menschen«, angesetzt hat, hat er sie gerade nicht auf ›archaische Willkürakte von Machtergreifung‹, sondern auf die Selbsterhaltung der Gattung bezogen. Gemäß dieser Variante ist der Antagonismus nicht kontingent. Ist der Antagonismus nicht kontingent, ist die Möglichkeit einer nicht durch Herrschaft strukturierten Gesellschaft verschlossen. In dieser Passage in der Negativen Dialektik stehen die beiden Varianten der Genesis des Subjekts einander kraß gegenüber. Das mag der Grund sein, warum Adorno seine eigne Position, der Antagonismus sei Resultat der Zwänge der Selbsterhaltung der Gattung, als die Auffassung von Marx und Engels ausgibt und dann kritisiert.283

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1.2.5 Das historische Moment der Argumentation In den Kapiteln 1.2.1 bis 1.2.3 habe ich die zwei Erklärungen der Genesis des Subjekts in der Dialektik der Aufklärung entwickelt und ihre Konsequenzen dargestellt; in Kapitel 1.2.4 habe ich die beiden Erklärungen als Grundlage einander widersprechender Argumentationen in den späteren Schriften ausgewiesen. Die Dialektik der Aufklärung wird oft als »schwarzes Buch« charakterisiert, welches nur aus der zeitgeschichtlichen Situation heraus zu verstehen sei. Ich werde im folgenden zunächst das zeitgeschichtliche Moment vorstellen und anschließend prüfen, welchen Beitrag es zu einer Erklärung der Argumentation in der Dialektik der Aufklärung liefern kann. Das historische Moment der Argumentation in der Dialektik der Aufklärung ist allgemein bekannt und oft hervorgehoben worden. Ziel der Dialektik der Aufklärung ist die Erkenntnis, »warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt.«284 Die Erklärung der Selbstzerstörung der Aufklärung aus der von Anbeginn an instrumentellen Vernunft im Dienst der Selbsterhaltung ist nur verständlich durch den realen Eintritt in die Barbarei. Damit ist nicht nur – und dieses »nur« ist nun selbst ein Indiz dafür, daß die Sprache der Weltgeschichte hinterherhinkt, weil sie keine Steigerung des Begriffs Barbarei kennt – die von den Nationalsozialisten durchgeführte Vernichtung der Juden bezeichnet.285 Die kulturtheoretischen Schriften Freuds, auch die Lehre vom Todestrieb, wären ohne die Erfahrung des ersten Weltkriegs undenkbar gewesen. Der Bruch, der damit vollzogen war, zog sich durch alle kulturellen Gebiete. Die Novellen um Claudia, ein Jugendwerk Arnold Zweigs aus dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert, hätten im zwanzigsten nicht mehr geschrieben werden können, weil sich das Bewußtsein von der gesellschaftlichen Situation radikal verändert hat. Die Hoffnung auf eine bessere, menschenwürdigere Welt hatte ihre gesellschaftliche Basis verloren. Der vielleicht größte Kopf der deutschen Soziologie konnte dem Wunsch, nun in Uniform zu lesen, nicht widerstehen. Während dieses mehr ein allgemeines Charakteristikum einer Zeit darstellt, in welcher der nationalistische Wahn die Urteilskraft auch kritischer Geister wenigstens vorübergehend verwirrte,286 so war von entscheidender politischer Relevanz, daß die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiterklasse dem Gefühl ihrer Zugehörigkeit zum Vaterland gehörigen Ausdruck verschafften und sich nicht dagegen erhoben, daß Menschen, die sich nie gekannt, nie gesehen, einander nichts getan hatten, nun für das Vaterland, den Kaiser oder den König zum wechselseitigen Abschlachten aufeinander gehetzt wurden.287 Die programmatische Forderung, mit der das Kommunistische Mainfest schloß – Proletarier aller Länder, vereinigt euch! –288, war praktisch zur unzeitgemäßen Betrachtung, zum frommen Wunsch zweier Männer aus dem vorherigen Jahrhundert gemacht worden. 54

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Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg war eine Vorstellung, nach der ein unaufhaltsamer technischer Fortschritt schließlich auch zu einer unaufhaltsamen Verbesserung der Lebensbedingungen der Gesellschaftsmitglieder führe, nicht mehr zu halten.289 Dem Fortschritt in der Distanz der Menschen zur Natur korrespondierte offenbar ein Fortschritt zerstörerischer gesellschaftlicher Kräfte. Unterm Nationalsozialismus war dann das Ausmaß der Barbarei nochmals gesteigert worden. Die Steigerung besteht in der praktisch realisierten Gleichgültigkeit gegen das Individuum. »Daß in den Lagern nicht mehr das Individuum starb, sondern das Exemplar, muß das Sterben auch derer affizieren, die der Maßnahme entgingen. Der Völkermord ist die absolute Integration, die überall sich vorbereitet, wo Menschen gleichgemacht werden, geschliffen, wie man beim Militär es nannte, bis man sie, Abweichungen vom Begriff ihrer vollkommenen Nichtigkeit, buchstäblich austilgt.«290 Vollendet ist die Gleichgültigkeit, weil sich, im Unterschied etwa zu einem Krieg, mit dem identifizierbare Zwecke verfolgt werden, ein Zweck der Vernichtung jenseits der Vernichtung nicht ausmachen läßt. Auch in Kriegen ist der einzelne bloßer Repräsentant der jeweiligen Uniform, und entsprechend besteht der erste Schritt der Ausbildung von Soldaten darin, ihnen ihre Individualität auszutreiben, aus denkenden Menschen Befehlsempfänger zu machen. Kriege aber haben Zwecke jenseits des Krieges. Der Zweck der Vernichtung der Juden war ihre Vernichtung. In krassem Gegensatz zur Irrationalität des verfolgten Zwecks wurde die Vernichtung in den Lagern nach dem Modell industrieller Arbeitsprozesse durchgeführt. Eben darin, daß die instrumentelle Vernunft geschichtlich den Primat über objektive erlange, besteht die zentrale These der Dialektik der Aufklärung. Das erklärt die Argumentation Adornos in der Dialektik der Aufklärung historisch. Zur Antwort auf die Frage, warum sich zwei Argumentationsstränge in der Dialektik der Aufklärung finden, kann die historische Erklärung indes keinen Beitrag liefern. Wenn zudem ihre historische Erklärung dazu dient, ihren systematischen Anspruch zu mißachten, ist nichts gewonnen außer der eigenen Beruhigung. Diese besteht dann darin, sich der Auseinandersetzung mit den problematischen Theoremen Adornos zu entledigen, indem sie auf der Halde der geschichtlich ungültig gewordenen Theoreme entsorgt werden. Helmut Dubiel etwa hat anläßlich eines Vortrags auf der Frankfurter Adorno-Konferenz 1983 erklärt: »Ich möchte in meinem Vortrag zunächst deutlich machen, daß diese Inbeschlagnahme Adornos für eine verfallstheoretische Vernunftkritik einer unhistorischen Lesart seiner Theorie aufsitzt, weil sie verkennt, in welchem Maße diese auf die Bedingungen des faschistischen Spätkapitalismus bezogen war.«291 Ich habe dagegen oben nachgewiesen, daß sich auch in der Negativen Dialektik Elemente einer »verfallstheoretischen Vernunftkritik« finden. Die Negative Dialektik ist gewiß nicht unter »Bedingungen des faschistischen Spätkapitalismus« entstanden. 55

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Wenn die historische Relativierung zugegeben wird, läßt sich nur ein einziger Grund ausmachen, der eine Auseinandersetzung mit dem Werk Adornos rechtfertigt: die Tradierung der Theoriegeschichte. Exakt diese Konsequenz folgt bei Helmut Dubiel: Kritische Theorie »könnte eigentlich nur von denen falsifiziert werden, die sich dogmatisch an ihre philologische Gestalt klammern.«292 Dagegen wäre einzuwenden, daß die Erklärung des Mehrprodukts aus der Selbsterhaltung der Gattung Mensch gegen den Naturzusammenhang heute so problematisch ist wie vor dreißig Jahren und vor dreißig Jahren so problematisch war wie zu Adornos Lebzeiten. Wenn weiterhin die Gesellschaftstheorie der Frage nach ihrer Wahrheit oder Falschheit enthoben wird, dann bleibt bloß noch der Glaube als die adäquate Stellung des Gedankens zum Gegenstand. Deshalb hilft es nicht weiter, sich mit dem Verweis auf ein historisches Moment des problematischen Theorems zu entledigen. Der Verweis trägt, und hier hat er sein Recht, zu seinem Verständnis bei. Die Kenntnis des historischen Entstehungszusammenhangs einer Theorie kann die Analyse ihres Geltungsanspruchs jedoch nicht ersetzen. Die Frage nach der Genesis des Subjekts, so hat die bisherige Untersuchung gezeigt, stellt sich in der Dialektik der Aufklärung als Frage nach dem Fortschritt in der Distanz zur Natur, als Frage nach der Existenz von Mehrprodukt. Die Frage wird von Adorno auf zwei unterschiedliche Weisen beantwortet. Weil beide Varianten der Argumentation von Adorno vertreten werden, ist seine Argumentation immanent widersprüchlich. Aus der immanent widersprüchlichen Argumentation erklärt sich ihre widersprüchliche Rezeption. Die erste Variante erklärt das Mehrprodukt aus der Selbsterhaltung der Gattung gegen den Naturzusammenhang. Sie ist genötigt, der Arbeit die »okkulte Qualität« zuzusprechen, immer schon mehr zu produzieren, als zur einfachen Reproduktion notwendig ist. Unter dieser Voraussetzung ist der normative Maßstab der Kritik nicht mehr auszuweisen. Adorno hat, wie gezeigt, diese Variante der Erklärung in den späteren Schriften beibehalten. Neben diesem Strang der Argumentation steht ein anderer, der die Genesis des Subjekts nicht aus der Selbsterhaltung der Gattung, sondern aus gesellschaftlicher Herrschaft erklärt. Dieser Strang findet sich ebenfalls in der Dialektik der Aufklärung wie in den nachfolgenden Schriften. Die Erklärung des Fortschritts in der Distanz zur Natur oder des Mehrprodukts aus gesellschaftlicher Herrschaft, so konnte nachgewiesen werden, erlaubt es Adorno, das Mehrprodukt als durch Herrschaft aktualisierte Gestalt der Freiheit zu begreifen. Weil Freiheit historisch durch Herrschaft realisiert worden ist, ist, vom Resultat her betrachtet, Herrschaft eine historische Bedingung von Freiheit. Um den Begriff der Versöhnung als Maßstab der Kritik begründen zu können, reicht der Nachweis, daß das Mehrprodukt eine durch Herrschaft realisierte Gestalt der Freiheit ist, nicht hin. Wenn das Mehrprodukt als materielles Sub56

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strat des Maßstabs der Kritik begründet sein soll, muß Herrschaft als falsches Organisationsprinzip gesellschaftlicher Selbsterhaltung ausgewiesen und der Begriff eines gesellschaftlichen Zustands formuliert werden, der nicht durch Herrschaft charakterisiert ist. Dieser Zustand ist bei Adorno moralphilosophisch begründet.293 Er wird im folgenden zu erörtern sein.

1.3 Begriff der Versöhnung Mit dem Begriff »Versöhnung« bezeichnet Adorno einen möglichen zukünftigen gesellschaftlichen Zustand, der wesentlich durch Herrschaftsfreiheit charakterisiert ist. »An seiner rechten Stelle wäre, auch erkenntnistheoretisch, das Verhältnis von Subjekt und Objekt im verwirklichten Frieden sowohl zwischen den Menschen wie zwischen ihnen und ihrem Anderen. Friede ist der Stand eines Unterschiedenen ohne Herrschaft, in dem das Unterschiedene teilhat aneinander.« Adorno nennt das eine »Spekulation über den Stand der Versöhnung.«294 Obwohl der Begriff des versöhnten Zustands bei Adorno eine zentrale Rolle spielt, findet sich keine inhaltliche Konkretisierung desselben.295 Die konsequente, sich durch das gesamte Werk ziehende Weigerung Adornos, »Versöhnung« zu konkretisieren, ist oft mit dem jüdischen Bildverbot in Zusammenhang gebracht worden.296 Nicht zuletzt der religiöse Gehalt der Begriffe »Versöhnung« oder »Erlösung«297 legt das nahe. Adorno selbst hingegen begründet dies jenseits des repressiven Charakters des jüdischen Bildverbots: Wie ein Verein freier Menschen sich entscheide, welche konkrete gesellschaftliche Verfassung er sich gebe, sei im Stande der Unfreiheit nicht zu antizipieren. Die Subjekte seien unter Bedingungen der Heteronomie »des Moralischen unfähig, das gesellschaftlich gefordert ist, wirklich jedoch nur in einer befreiten Gesellschaft wäre.«298 Der Begriff der Versöhnung hat die Funktion einer regulativen Idee,299 weil dem Begriff kein Gegenstand möglicher Erfahrung korrespondiert, er aber trotzdem notwendig angenommen werden muß. Die regulative Idee der Versöhnung bestimmt die Argumentation Adornos in jeder seiner Schriften. Sie macht den Fluchtpunkt der Gesellschaftskritik aus, den Nagel sozusagen, an dem sie aufgehängt ist.300 Das ist der Grund, warum bei Adorno das Begreifen der Sache von einem »Spannungsfeld des Möglichen und des Wirklichen«301 zehrt. Entledige sich die Gesellschaftstheorie des Spannungsfelds – und darin besteht die Essenz der von Adorno gegen den Positivismus vorgebrachten Einwände –, werde sie zur bloßen Registratur dessen, was ist.302 Gesellschaftstheorie müsse »die Begriffe, die sie gleichsam von außen mitbringt, umsetzen in jene, welche die Sache von sich selber hat, in das, was die Sache von sich aus sein möchte, und es konfrontieren mit dem, was sie ist.«303 57

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Diese Überlegung sei an einem Modell erhellt: Das Bewußtsein, das die bürgerliche Gesellschaft von sich selbst hat, findet seinen Ausdruck in der Losung der großen Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Dieses Selbstbewußtsein ist keineswegs bloß ideell, sondern real, es hat Eingang gefunden etwa in das Rechtssystem der bürgerlichen Gesellschaft. Alle drei Begriffe sind dem Inhalt nach auf Vorbürgerliches bezogen. Freiheit ist wesentlich bezogen auf die Freiheit von unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnissen, Gleichheit darauf, daß kein Mensch sich seiner sozialen Stellung nach qua Geburt von anderen unterscheidet, Brüderlichkeit darauf, daß alle Menschen, nicht nur die jeweiligen Standeszugehörigen, wie solidarisch verbundene Brüder zusammenleben sollen. Mit der Französischen Revolution ist dann ein Prozeß in Gang gesetzt worden, in dessen Verlauf das unter den genannten Begriffen Befaßte einerseits in spezifischer Gestalt realisiert, andererseits negiert wurde. In allen modernen Demokratien wird Freiheit in Gestalt von Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit etc. durch die Verfassung garantiert; Unterschiede hinsichtlich der Religion, der Hautfarbe, des Geschlechts etc. sollen in der gesellschaftlichen Praxis, jedenfalls der Verfassung nach, mit keinerlei Nachteilen verbunden sein. Umgekehrt aber ist mit der bürgerlichen Realisierung der Losungen der Französischen Revolution Unfreiheit, Ungleichheit, Unbrüderlichkeit verbunden. Das Eigentum an Produktionsmitteln zwingt jene, denen es nicht qua Erbrecht zuteil wurde, zum lebenslänglichen Verkauf ihrer Arbeitskraft; politischer und rechtlicher Gleichheit steht eine wachsende ökonomische Ungleichheit gegenüber, und schließlich ist der emphatische Begriff der Brüderlichkeit durch seine reale Beschränkung auf die Staatsangehörigen eines partikularen Staates desavouiert worden. »Die Sache selbst«, die bestehende Gesellschaft, hat demnach einen anderen Begriff von Freiheit entwickelt, als sie realisiert. Der reale Stand der Freiheit, darauf wird im zweiten Kapitel näher eingegangen, ist dadurch gegeben, daß die Individuen ihre Selbsterhaltung nur durch Verausgabung von Mehrarbeit realisieren können. Der Zweck der gesellschaftlichen Organisation der Selbsterhaltung besteht nicht in der Selbsterhaltung der Individuen, sondern in der Produktion von Mehrprodukt. Das »Verhältnis von Leben und Produktion, das jenes real herabsetzt zur ephemeren Erscheinung von dieser, ist vollendet widersinnig. Mittel und Zweck werden vertauscht.«304 Die Selbsterhaltung, die für die Subjekte Selbstzweck ist, ist gesellschaftlich bloßes Mittel zur Produktion von Mehrprodukt. Der ideale Stand der Freiheit ist durch die Freiheit des einzelnen gegeben, unabhängig »von eines anderen nötigender Willkür« Zwecke jenseits der Selbsterhaltung zu realisieren, sofern dies »mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann.«305 Kant hat das als »dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht«306 charakterisiert. Das setzt die Einheit von besonderem Interesse der Selbsterhaltung und dem Zweck der gesellschaftlichen 58

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Organisation der Selbsterhaltung voraus. Diese Einheit ist im Begriff der Versöhnung ausgedrückt. Der Zweck der gesellschaftlichen Organisation der Selbsterhaltung wäre dann die individuelle Selbsterhaltung, das Leben nicht um der Produktion willen, sondern die Produktion um des Lebens willen da. Verbunden sind der reale und der ideale Stand der Freiheit durch die real durch Herrschaft erzwungene Realisierung von Freiheit im Mehrprodukt. Der Begriff der Versöhnung ist nicht einfach an den gegebenen Stand der Freiheit herangetragen, sondern sein Maß, weil der gegebene Stand den möglichen selbst materiell, in Gestalt des Mehrprodukts, in sich enthält. Der Begriff der Versöhnung bezeichnet also einen gesellschaftlichen Zustand, in dem die Subjekte nicht durch die gesellschaftliche Organisation ihrer Selbsterhaltung zu bloßen Mitteln der Selbsterhaltung erniedrigt und der Freiheit, Zwecke jenseits ihrer Selbsterhaltung zu realisieren, beraubt werden. Diese Überlegung ist, wie sich gleich zeigen wird,307 nichts anderes als das Resultat einer materialistischen Interpretation von Kants Moralphilosophie. Dessen Moralphilosophie ist der Gegenstand, an dem Adorno die seine entwickelt. So ist in den Vorlesungen über Probleme der Moralphilosophie eine Moralphilosophie, eben die Kantische, Gegenstand.308 Das Neue, der entscheidende Fortschritt der Kantischen Moralphilosophie gegenüber vorherigen moralphilosophischen Überlegungen besteht in der Insistenz auf der Autonomie des individuellen Subjekts: Die einzelnen sollen dem moralischen Gesetz nicht nur unterworfen sein. Nach Kant muß jeder einzelne Mensch kraft seiner Autonomie Subjekt dieses Gesetzes sein können, d. h. er muß es sich selbst als Gesetz seiner Handlungen geben können. Eine Formulierung des moralischen Gesetzes lautet:309 »Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.«310 Handlungen, die diese Absicht verfolgen, sind moralisch, weil sie die »Würde« des Menschen in der eigenen Person wie in der Person aller anderen achten. Unter »Würde« versteht Kant die Autonomie des Menschen, unter Autonomie, nicht Gesetzen unterworfen, sondern selbst gesetzgebend zu sein. Der kategorische Imperativ bestimmt in der zitierten Formulierung Moralität negativ: Moralisch ist, was die Autonomie nicht durch den Gebrauch seiner selbst oder eines anderen als eines bloßen Mittels verneint. Moralisch sind also Handlungen, in der die eigene Freiheit mit der Freiheit aller anderen zusammenstimmen kann. »Vermöge der Autonomie seiner [des Menschen, J. W.] Freiheit (...) ist jeder Wille, selbst jeder Person ihr eigener, auf sie selbst gerichteter Wille auf die Bedingung der Einstimmung mit der Autonomie des vernünftigen Wesens eingeschränkt, es nämlich keiner Absicht zu unterwerfen, die nicht nach einem Gesetze, welches aus dem Willen des leidenden Subjekts selbst entspringen könnte, möglich ist; also dieses niemals bloß als Mittel, sondern zugleich als Zweck an sich selbst zu gebrauchen.«311 59

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Entscheidend ist hier der Terminus »leidendes Subjekt«. Leidendes Subjekt ist der empirische Mensch. Wenn dieser Zweck an sich selbst ist – und nur unter dieser Voraussetzung ist ein Begriff von Autonomie, damit von Subjekt, möglich –, dann führt diese Bestimmung in einen Widerspruch, wenn sie nicht für alle Menschen Geltung beansprucht. Deshalb widerspricht Herrschaft dem Sittengesetz. In jedem Herrschaftsverhältnis wird der »Wille des leidenden Subjekts« einer Absicht unterworfen, die nicht aus seinem Willen selbst entsprungen sein kann. Denn der Beherrschte ist nicht Zweck an sich selbst, sondern Mittel für die Zwecke der Herrschaft. Die Negation seiner Autonomie kann ein vernünftiges Wesen nicht wollen. Das »leidende Subjekt« ist bei Kant doppelt bestimmt, als »vernünftiges Geschöpf« und als Sinnenwesen. Infolge dieser doppelten Bestimmung sind sittliche Handlungen nicht notwendig in Übereinstimmung mit dem individuellen Begehren der Handelnden. Wären sie notwendig in Übereinstimmung damit, bedürfte es keines Sittengesetzes. In der Kritik der praktischen Vernunft weist Kant, weil »der Mensch ein bedürftiges Wesen ist«, der Vernunft »einen nicht abzulehnenden Auftrag von Seiten der Sinnlichkeit«312 zu. Die Realisierung dieses Auftrags ist bestimmt als Glückseligkeit, nicht als Sittlichkeit. Glückseligkeit und Sittlichkeit sind einerseits gegensätzlich bestimmt: »Glückseligkeit ist die Befriedigung aller unserer Neigungen«313, der auf Glückseligkeit gerichtete Wille daher nicht frei. Das Sittengesetz hingegen abstrahiert von den empirischen Beweggründen der Glückseligkeit »und betrachtet nur die Freiheit eines vernünftigen Wesens überhaupt.«314 Andererseits sind Sittlichkeit und Glückseligkeit aufeinander verwiesen. Sittlichkeit ohne Glückseligkeit ist, weil der Mensch ein Sinnenwesen ist, unmöglich. Deshalb machen »Tugend und Glückseligkeit zusammen den Besitz des höchsten Guts in einer Person«315 aus. Dem gängigen Einwand, in der Kantischen Moralphilosophie sei das »Vernunftgesetz dem Zweck der Selbsterhaltung entgegengesetzt«316, ist daher zu widersprechen. Die Passagen bei Kant, in denen Sinnlichkeit und Sittlichkeit derart zueinander in Beziehung gesetzt werden, verweisen die Moralphilosophie an die Gesellschaftstheorie. Bei Kant ist diese Beziehung im Begriff des weltbürgerlichen Zustands angedeutet. Weil Kant Moralität ganz ins Reich des Intelligiblen zieht und daher ungeschichtlich faßt, bleibt der weltbürgerliche Zustand eine ewige Idee – »nur die Annäherung zu dieser Idee ist uns von der Natur auferlegt.«317 Darin besteht eine wesentliche Differenz zwischen dem Begriff der Versöhnung und dem des weltbürgerlichen Zustands. Der Begriff der Versöhnung ist die Idee des realisierten weltbürgerlichen Zustands.318 Er ist wie bei Kant charakterisiert durch die Einheit von Glückseligkeit und Sittlichkeit. Das materiale Moment der Versöhnung, bei Kant die Glückseligkeit, bei Adorno das Glück, ist bei Adorno selbst »geschichtlichen Wesens«319: Die Möglichkeit seiner Realisierung ist durch den Entwicklungsstand der Produktivkräfte gege60

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ben.320 Weil Adorno die Bedingungen des Glücks als selbst geschichtlich vermittelte begreift, bleibt Versöhnung keine Idee, an die sich bloß anzunähern wäre. »Nach dem Stand der technischen Produktivkräfte brauchte keiner auf der Erde mehr zu darben.«321 Unter dieser Voraussetzung ist »Herrschaft als Modell von Freiheit«322 geschichtlich überholt. Die Idee der »vernünftigen Einrichtung der Gesamtgesellschaft als Menschheit«323 ist die Idee einer Gesellschaft, in der unter »gesellschaftlichen Bedingungen entfesselter Güterfülle«324 individuelle Freiheit nicht als Zwang zur Produktion von Mehrprodukt, sondern als »Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür« realisiert ist – »die Idee einer Autonomie in der Sinnenwelt«325. Entsprechend begreift Adorno das Kantische »Princip der Menschheit als Zweck an sich selbst« als »Anweisung auf die Verwirklichung eines Begriffs vom Menschen, der als soziales, wenngleich verinnerlichtes Prinzip seinen Ort nur in jedem Einzelnen hat.«326 Das heißt: Versöhnung. In Abschnitt 1.2 habe ich gezeigt, daß die Idee einer »vernünftigen Einrichtung der Gesamtgesellschaft als Menschheit« nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern ein materielles Korrelat hat: das Mehrprodukt oder die durch Herrschaft realisierte Gestalt der Freiheit. In diesem Abschnitt habe ich den moralphilosophischen Gehalt des Begriffs der Versöhnung als Idee der bürgerlichen Gesellschaft von sich selbst an einem ihrer größten Philosophen, Immanuel Kant, ausgewiesen. Damit ist der Begriff der Versöhnung als regulative Idee, als Maßstab der Kritik, theoretisch begründet. Also ist das Verfahren, das Wirkliche mit dem Möglichen zu konfrontieren, begründet.327 Folglich fallen Gesellschaftstheorie und Gesellschaftskritik zusammen – Gesellschaftstheorie ist »unabdingbar kritisch«. Daher ist der Einwand, Adorno müsse eine »Begründung, warum das, was ist, eigentlich nicht sein soll, (…) schuldig bleiben,«328 nicht zu halten. Auch von einer »Unermeßlichkeit des Abstandes zwischen Wirklichkeit und Utopie«329 kann keine Rede sein.

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2 Die Begründung eines kritischen Subjektbegriffs als Zwang zur Produktion von Mehrprodukt Weil ohne Maßstab der Kritik kein kritischer Subjektbegriff zu formulieren ist, habe ich ihn im ersten Kapitel ausgewiesen und begründet. In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, daß der »Vorrang des Objekts« gesellschaftstheoretisch den Primat der Gesellschaft übers Individuum bezeichnet, die »Unversöhntheit« beider seine »verkehrte Gestalt«330. Unter »Unversöhntheit« versteht Adorno die herrschaftliche Organisation der Gesellschaft. Sie wird wesentlich auf den ökonomischen Reproduktionsprozeß der Gesellschaft bezogen: die Subjekte werden »zu Mitteln ihres sese conservare erniedrigt«331, weil »durch den ökonomischen Prozeß hindurch«332 Herrschaft ausgeübt wird. Das zweite Kapitel untersucht, wie sich die »verkehrte Gestalt« des Vorrangs des Objekts bei Adorno darstellt und inwiefern dadurch die Individuen als Subjekte beschädigt werden. Gesellschaft wird von Adorno als »antagonistische Totalität«333 bzw. als »Totalität«334 bestimmt.335 Im Gesamtwerk lassen sich zwei Interpretationen des Begriffs der gesellschaftlichen Totalität ausmachen, die sich nicht spezifischen Phasen zuordnen lassen.336 Die erste Interpretation begreift gesellschaftliche Totalität als universalen Tauschzusammenhang.337 »Die universale Herrschaft des Tauschwerts über den Menschen versagt den Subjekten a priori, Subjekte zu sein.«338 Das Tauschverhältnis versage nicht nur den individuellen Subjekten, Subjekte zu sein, sondern wird selbst als Subjekt aufgefaßt: »Ihre eigene Vernunft, welche, bewußtlos wie das Transzendentalsubjekt, durch den Tausch Identität stiftet, bleibt den Subjekten inkommensurabel, die sie auf den gleichen Nenner bringt: Subjekt als Feind des Subjekts.«339 Im Zentrum dieser Interpretation von gesellschaftlicher Totalität steht der Tausch oder die Warenform der Gegenstände (2.1). Im Mittelpunkt der zweiten Interpretation von gesellschaftlicher Totalität steht nicht die Warenform, sondern das Kapitalverhältnis. Hier wird von der »Produktion als Selbstzweck«340 gesprochen. Im Rahmen einer Analyse dieser zweiten Interpretation von gesellschaftlicher Totalität kann der kritische Subjektbegriff als gesellschaftlicher Zwang zur Produktion von Mehrwert entwickelt werden (2.2). Wenn bei Adorno zwei unterschiedliche Bestimmungen341 von gesellschaftlicher Totalität nachgewiesen werden können, stellt sich die Frage nach ihrem Verhältnis. Adorno hält den Unterschied auf der einen Seite fest, auf der anderen begreift er das Verhältnis als Verhältnis von Grund und Folge: aus dem Tauschverhältnis folge das Kapitalverhältnis. Dann müßte im Tauschverhältnis das Kapitalverhältnis schon angelegt sein. Die doppelte Bestimmung des ge63

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sellschaftlichen Zwangszusammenhangs und die Interpretation des Verhältnisses als Grund und Folge läßt sich auf den im ersten Kapitel entwickelten Widerspruch in der Bestimmung der Genesis des Subjekts zurückführen (2.3). Eine genaue Untersuchung der beiden Interpretationen des ökonomischen Zwangs ist auch deshalb geboten, weil in der Sekundärliteratur für gewöhnlich nur von einer Interpretation gesprochen wird, dem Tauschzusammenhang als Zwangszusammenhang.342 Oft wird zwar konstatiert, daß der wesentliche »Grundsatz« bei Adorno »der vom Gesetz der Tausch-Rationalität ist, das alles in seinen Bann geschlagen hat.«343 Eine detaillierte Analyse, was genau es heißen kann, wenn vom Tauschzusammenhang als Totalität gesprochen wird, ist aber nicht vorhanden. Wo nicht konstatiert, sondern interpretiert wird, ist die Interpretation manchmal verwirrend.344 Nach Adornos Auffassung hat sich die ökonomische Struktur der Gesellschaft im Zuge der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise verändert. Das hat Konsequenzen für den kritischen Subjektbegriff. Aus der Veränderung begründet Adorno die These von der »Liquidierung des Individuums«345 und den Primat der Politik. Der Wandel der Produktionsverhältnisse wird wesentlich aus der ersten Bestimmung der gesellschaftlichen Totalität als universalem Tauschzusammenhang erklärt. Er firmiert unter den Termini »Verschwinden freien Wettbewerbs«346, »Verschwinden der Konkurrenz«347 oder »Ende des freien Tausches«348. Damit ist eine Veränderung im Charakter der Herrschaft bezeichnet. Sie wird von Adorno während des Nationalsozialismus anders erklärt als in den späteren Schriften. Insbesondere in der Dialektik der Aufklärung führt die Diagnose einer Veränderung in der Zirkulationssphäre zur These der Zerstörung des Individuums als Subjekt. Später wird diese These von Adorno modifiziert und die Zerstörung des Individuums als Subjekt als Tendenz begriffen: die Individuen stehen ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang zunehmend ohnmächtig gegenüber (2.4.1). Diese These wird von Adorno nicht durchgängig auf Veränderungen der ökonomischen Struktur der Gesellschaft zurückgeführt. Wo nicht das Tauschverhältnis, sondern das Kapitalverhältnis im Mittelpunkt des kritischen Subjektbegriffs steht, wird die Modifikation des kritischen Subjektbegriffs aus dem Begriff der Integration erklärt. Dieser Begriff ist nicht direkt auf Veränderungen der ökonomischen Struktur bezogen, sondern auf Veränderungen in der Gesellschaft: die zunehmende Vermittlung individuellen Lebens durch gesellschaftliche Organisationen. Damit ist der gleiche Prozeß bezeichnet, der von Max Weber als zunehmende Rationalisierung charakterisiert wird. Nur wird er bei Adorno anders erklärt (2.4.2). Weil Adorno sich in seiner Argumentation nicht nur auf die Marxsche Theorie bezieht, sondern die Kritische Theorie als deren Fortsetzung349 begreift, werde ich im folgenden auf sie zurückgreifen. Die These, Adorno habe sich mit ökonomischer Theorie überhaupt und der Marxschen im besonderen nicht aus64

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führlich beschäftigt, ist oft geäußert worden.350 Der Sache nach sind aber zentrale gesellschaftstheoretische Überlegungen aus der Rezeption der Marxschen Theorie entwickelt worden. Die für den kritischen Subjektbegriff zentrale Überlegung, die gesellschaftliche Organisation der materiellen Reproduktion reduziere die Subjekte auf bloße Mittel der Selbsterhaltung, verweist direkt auf sie.

2.1 Totalität als universaler Tauschzusammenhang »Die dem Subjekt heteronome Objektivität hinter dem, was es erfahren kann«,351 bestimmt Adorno als »Tauschgesetz«, das den Subjekten als Zwang gegenübertrete. Das Tauschgesetz, »die maßgebende Struktur der Gesellschaft«352, habe die Gestalt eines »totalen Zusammenhangs«, dem »alle (…) sich unterwerfen müssen«353. Der Tausch sei »das Gesetz, nach dem die Fatalität der Menschheit abrollt«354. Demgemäß liegt der Tausch am Grund des beschädigten Subjekts. Das »Tauschprinzip« sei dadurch charakterisiert, daß es »ein jegliches Sein als ein Für anderes«355 werte. Weil alles durch das »Tauschgesetz« auf ein Mittel für anderes heruntergebracht werde, sei die Welt nach dem »Diktat der Mittel«356 eingerichtet. Die »Tauschgesetzlichkeit« liege am Grunde »einer in den Mitteln, aber nicht den Zwecken rationalen Gesellschaft«357. Damit gehe eine Tendenz einher, nicht die Gebrauchswerte, sondern den Tauschwert selbst zum Gegenstand des Genusses zu machen.358 Solche »Übertragung vom Gebrauchswert der Konsumgüter auf ihren Tauschwert« könne als »Kitt der Warengesellschaft«359 aufgefaßt werden: »Die Erscheinung des Tauschwerts an den Waren hat eine spezifische Kittfunktion übernommen.«360 »Kitt« sei jene Substitution, weil sich die affektive Besetzung vom Gebrauchswert auf den Tauschwert verschiebe,361 daher das Tauschverhältnis selbst affirmiert werde. Vom universalen Tauschzusammenhang wird also gesagt, daß unter ihm alles auf ein Mittel für anderes reduziert werde und so die Menschen zugleich um die Gebrauchswerte betrogen würden. Das »Tauschprinzip« wäre demgemäß Totalität und Ursache der Beschädigung der Subjekte: Totalität, insofern es die ganze Welt umspannt, Ursache der Beschädigung, insofern es die Menschen in Tauschverhältnisse zwingt und sie dadurch selbst zu einem Mittel macht. Unklar ist bisher, wie daraus die Bestimmung der Gesellschaft als »antagonistischer Totalität« begründet werden kann und worin der irrationale gesellschaftliche Zweck besteht, dem die Subjekte als Mittel unterworfen sind. Zur Beantwortung der Fragen ist ein Rekurs auf die Analyse der Warenform wie auf den Status derselben im Marxschen Kapital erfordert. In den ersten Kapiteln des Kapitals geht die Argumentation von zwei Voraussetzungen aus: gesellschaftliche Arbeitsteilung und Privatproduktion.362 Diese 65

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beiden Voraussetzungen führen bei Marx zu dem Begriff der einfachen Warenproduktion. Zweck genau dieses Beginns der Argumentation im Kapital ist die logische Entfaltung des Wertbegriffs, historischer Grund die in der Nationalökonomie vorliegenden avanciertesten Gestalten der Werttheorie von Adam Smith und David Ricardo. Beide kannten die Unterscheidung zwischen konkret-nützlicher und abstrakt-menschlicher Arbeit nicht. Weil der Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit die Grundlage der ganzen weiteren Argumentation im Kapital abgibt, hat Marx sie als »Springpunkt, um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht«363, begriffen und an den Anfang der Argumentation im Kapital gestellt. Die sogenannte einfache Warenproduktion, die der Wertformanalyse unterstellt ist, abstrahiert von einer wesentlichen Voraussetzung kapitalistischer Warenproduktion, dem Vorhandensein der Arbeitskraft als Ware. Diese Abstraktion begründet, daß der Begriff der einfachen Warenproduktion ein logisches Konstrukt ist, dem kein historisches Korrelat entspricht.364 Er charakterisiert weder die kapitalistische Produktionsweise (1) noch eine historisch vergangene Produktionsweise (2). (1) Die Form der Privatproduktion, die dem Begriff der einfachen Warenproduktion unterstellt ist, impliziert keine Scheidung zwischen Produktionsmittelbesitzern und Lohnabhängigen, folglich auch keine Mehrwertproduktion, welche die Fortdauer jener Scheidung unter der Voraussetzung von Äquivalententausch erklären würde. Der Schluß auf die Ware Arbeitskraft als Bedingung der Möglichkeit der Produktion von Mehrwert ist Resultat der Entfaltung von Widersprüchen, die Marx anhand der Analyse einer spezifischen Zirkulationsform, G-W-G’ (Geld-Ware-mehr Geld), entwickelt.365 In den ersten drei Kapiteln des Kapitals spielt dieser Schluß keine Rolle, weil die Zirkulationsform G-W-G’ keine Rolle spielt. Grundlage der Argumentation ist die Zirkulationsform W-G-W (Ware-Geld-Ware): Eine Ware wird produziert und verkauft, um eine andere Ware zu kaufen. Entsprechend unterstellt das Konstrukt der einfachen Warenproduktion als Zweck der Produktion die Befriedigung zahlungskräftiger Bedürfnisse. In eben dieser Weise sind die Beispiele aus der Wertformanalyse366 wie die zur Darstellung der Warenmetamorphosen in der Zirkulation verfaßt.367 (2) Das Modell der einfachen Warenproduktion unterstellt lauter einzelne Privatproduzenten, die ihre eigene Reproduktion garantieren, indem sie Waren für andere produzieren, den Leinweber, den Schuster, den Schneider usw. Wollte man diese Voraussetzung des Modells historisch verstehen, so müßte man die Existenz einer Produktionsweise nachweisen, die erstens frei von Herrschaft ist. Denn der Voraussetzung gemäß stehen sich lauter einzelne Privatproduzenten gegenüber, die allesamt für sich arbeiten, indem sie Waren herstellen, die das zahlungskräftige Bedürfnis anderer Warenproduzenten befriedigen. Zweitens würde der Zweck der Produktion in der Befriedigung von Bedürfnissen beste66

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hen. Übersetzte man also die einfache Warenproduktion in einen historischen Zustand, so müßte man diesem zusprechen, was Adorno für alle historischen Zustände verneint, herrschaftsfreie Produktion zur Befriedigung von Bedürfnissen. Weil in einer arbeitsteiligen Produktion jeder Produzent seine Bedürfnisse nur befriedigen kann, indem er Gebrauchswerte für andere produziert und durch deren Verkauf die Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse durch Tausch erhält, läßt sich von einem System allseitiger Abhängigkeit sprechen – eben das macht exakt die Substanz des Hegelschen Begriffs der bürgerlichen Gesellschaft aus.368 Der Begriff der einfachen Warenproduktion begründet demnach die Rede von der Totalität, insofern die einzelnen Warenproduzenten als allseitig voneinander abhängig gedacht werden. Die Bedingungen der Reproduktion des einzelnen Warenproduzenten fallen in die Gesamtheit des gesellschaftlichen Zusammenhangs. Der Begriff der einfachen Warenproduktion begründet aber nicht die Rede von der antagonistischen Totalität – diese impliziert Herrschaft. Auch ist nicht ersichtlich, wie durch die Warenform der Gegenstände die Subjekte gehindert werden könnten, Subjekte zu sein. Das wäre der Fall, wenn aus der Warenform der Gegenstände begründet werden könnte, daß die Subjekte auf bloße Mittel ihrer Selbsterhaltung reduziert werden. Dazu wäre gemäß Adornos eigener Auskunft ein gesellschaftlicher Zweck erforderlich, dem die Subjekte als Mittel unterworfen sind. Das Tauschprinzip wäre als Grund des Zwangs, der die Menschen zu bloßen »Mitteln ihres sese conservare erniedrigt«, nur zureichend, wenn der Tausch selbst als Zweck gefaßt werden könnte (1) oder der Tausch gar kein Äquivalententausch wäre (2). (1) Wäre der Tausch Zweck, würde um des Tausches willen getauscht werden. In diesem Fall wäre es gleichgültig, was getauscht wird. Das aber widerspräche der Voraussetzung, Zweck des Tausches sei die Bedürfnisbefriedigung. Die Auffassung des Tausches als Zweck wäre plausibel, wenn der Gebrauchswert vollständig durch den Tauschwert ersetzt wäre. Das ist nicht möglich. Die Gebrauchswerte sind Träger des Tauschwerts.369 Ohne diesen Träger wird Tausch völlig sinnlos. Der Tausch ist daher, egal ob in der Kapitalzirkulation oder in der Warenzirkulation, kein Zweck, sondern ein Mittel, mit dem ein Zweck realisiert werden soll. (2) Würde gesagt, der Tausch sei gar kein Äquivalententausch, sondern in ihm sei ein Herrschaftsverhältnis verborgen,370 so kann damit nur ein bestimmter Tausch bezeichnet sein: Arbeitskraft gegen Lohn. Dieser Tausch wäre dann vom Äquivalenzprinzip ausgenommen. Die Ausnahme könnte zwar die Bestimmung der Gesellschaft als antagonistischer Totalität begründen. Die Spaltung der Gesellschaft in Klassen, durch welche nach Adorno die bisherige Geschichte charakterisiert ist,371 wäre erklärt. Dazu müßte aber für den Tausch Arbeitskraft gegen Lohn die Prämisse: Äquivalententausch bestritten werden. 67

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Beim Äquivalententausch ginge es demnach »mit rechten und doch nicht mit rechten Dingen«372 zu. Wenn die Prämisse, daß Äquivalente getauscht werden, bestritten wird, läßt sich aber nicht mehr sinnvoll von einem universellen »Tauschgesetz« sprechen. Denn die Rede von der universalen Herrschaft des Tauschgesetzes impliziert, daß universal Äquivalente getauscht werden. Wird der Tausch Arbeitskraft gegen Lohn vom Äquivalententausch ausgenommen, kann das Tauschgesetz nicht universal herrschen. In der Marxschen Argumentation stellt sich die Unmöglichkeit, aus der logischen Entfaltung der Wertformanalyse ein gesellschaftliches Gewaltverhältnis, die Produktion von Mehrwert, zu erklären, als Notwendigkeit dar, aus der logischen Entwicklung der Wertformanalyse herauszuspringen und ein historisches Faktum zu zitieren:373 »Neben dieser Form [W-G-W, J. W.] finden wir aber eine zweite, spezifisch unterschiedene vor, die Form G-W-G.«374 Die historischen Existenzbedingungen des Kapitals »sind durchaus nicht da mit der Waren- und Geldzirkulation. Es entsteht nur, wo der Besitzer von Produktionsund Lebensmitteln den freien Arbeiter als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt vorfindet, und diese eine historische Bedingung umschließt eine Weltgeschichte.«375 Warenproduktion und Warenzirkulation sind den verschiedensten ökonomischen Gesellschaftsformationen gemeinsam.376 Daß sie aber zur gesellschaftlich vorherrschenden Form ökonomischer Reproduktion werden, setzt eine historische Bedingung voraus, die Existenz des doppelt freien Lohnarbeiters. Diese historische Bedingung folgt nicht aus der begrifflichen Entfaltung der Wertform. Sie ist Resultat von Kontingentem, der gewaltförmigen ursprünglichen Akkumulation. Deren Darstellung verweist Marx auf ein späteres Kapitel.377 Marx kann, weil er aus der logischen Entfaltung der Wertformanalyse herausspringt, begründen, wie unter Voraussetzung des Tauschs von Äquivalenten Mehrwert produziert wird. Der spezifische Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft besteht eben darin, mehr Wert zu schaffen, als ihr Träger Wert ist. Wie bei jedem anderen Äquivalententausch kauft der Käufer der Ware ihren spezifischen Gebrauchswert und zahlt ihren Wert. Alles geht mit »rechten Dingen« zu. Trotzdem wird Mehrwert produziert, aber nicht, weil der Tausch der Ware Arbeitskraft gegen Lohn das Äquivalenzprinzip verletzt, sondern weil diesem Tausch ein historischer Gewaltakt, die Befreiung des Arbeiters von seinen materiellen Lebensbedingungen, vorausgeht. Ich werde bei der Analyse des Verhältnisses von Tauschverhältnis und Kapitalverhältnis bei Adorno näher auf diesen Punkt eingehen. Aus dem bisherigen folgt, daß die gesellschaftliche Formbestimmtheit der Gegenstände als Waren nicht Grund des den Subjekten widerfahrenden Zwangs sein kann. Daher kann auch ein kritischer Subjektbegriff nicht begründet wer68

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den, wenn der gesellschaftliche Zwangszusammenhang durch das »Tauschgesetz« bestimmt wird. Diese Bestimmung kann weder erklären, wodurch die Subjekte zu bloßen Mitteln der Selbsterhaltung reduziert werden noch, wie durch den Tauschzusammenhang gesellschaftliche Herrschaft vermittelt sein soll. Daß der Tausch nicht als Grund des Zwangs, der den Subjekten widerfährt, begriffen werden kann, spricht Adorno selbst an einer Stelle aus: »Kritik am Tauschprinzip als dem identifizierenden des Denkens will, daß das Ideal freien und gerechten Tauschs, bis heute bloß Vorwand, verwirklicht werde. Das allein transzendierte den Tausch.«378 Wenn mit der Realisierung jenes Ideals »rationale Identität«379, damit eine vernünftige Gesellschaft, erreicht ist, kann unmöglich der Tausch das Gesetz sein, »nach dem die Fatalität der Menschheit abrollt.« Wenn die bisher entwickelten Bestimmungen der Totalität der Gesellschaft als universalem Tauschzusammenhang die Bestimmung der Gesellschaft als antagonistischer Totalität oder als Zwangsverhältnis nicht begründen, muß die Rede von der Beherrschung des Menschen durch sein eigenes Machwerk anders begründet werden. Ich habe zu Anfang des Kapitels darauf hingewiesen, daß sich bei Adorno zwei Bestimmungen der gesellschaftlichen Totalität vorfinden. Neben der Bestimmung des Tauschverhältnisses als gesellschaftlicher Totalität steht die Bestimmung des Kapitalverhältnisses als gesellschaftlicher Totalität. Der folgende Abschnitt untersucht diese zweite Bestimmung.

2.2 Totalität als gesellschaftliches Gesamtkapital In der Negativen Dialektik bestimmt Adorno den Zweck der kapitalistischen Produktionsweise als »Produktion als Selbstzweck«380. Produktion als Selbstzweck heißt nichts anderes als »Produktion um der Produktion«381 willen. Der Prozeß der ökonomischen Reproduktion der Gesellschaft hat nun einen Zweck, der im Unterschied zur vorherigen Bestimmung nicht durch den Austausch erlischt, sondern sich durch ihn erhält. Wird um der Produktion willen produziert, ist der Tausch ein Mittel zur Realisierung dieses Zwecks. Weiterhin ist der Zweck als Selbstzweck bestimmt, insofern die Produktion um der Produktion willen geschieht. In diesem Fall hat das Resultat sich selbst zur Voraussetzung – »Produktion als Selbstzweck« charakterisiert einen reflexiven Prozeß. Wenn, wie Adorno sagt, um des Profits willen produziert wird – eine Formulierung, die, wie sich gleich zeigen wird, nur der werttheoretische Ausdruck der Formulierung Produktion um der Produktion willen ist –, ist damit zunächst gesagt, daß der Profit um seiner selbst willen produziert wird. Das ist ebenfalls nur als ein Prozeß vorstellbar, in dem das Resultat, der Profit, als Voraussetzung seiner selbst produziert wird. Bei Marx heißt eine solche Zirkulationsform Ka69

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pital. Die Kapitalzirkulation wird als »endlos«382, »maßlos«383, »Selbstzweck«384, schließlich als »automatisches Subjekt«385 bezeichnet. »Endlos« ist die Bewegung, insofern in der Zirkulation des Geldes als Kapital sich das Geld, die abstrakt-allgemeine Gestalt gesellschaftlichen Reichtums, auf sich selbst bezieht. Das Geld bildet den Ausgangs- wie den Endpunkt der Kapitalbewegung, der Endpunkt ihren erneuten Anfangspunkt. Unterschieden sind Ausgangs- und Endpunkt nicht der Qualität, sondern der Quantität nach. Weil die Bewegung des Geldes als Kapital nicht – wie in der einfachen Warenzirkulation – die Konsumtion, die Aneignung von Gebrauchswerten, zum Zweck hat, sondern die quantitative Differenz von Ausgangs- und Endpunkt, das »Δ G«386, den Mehrwert, ist sie maßlos. Insofern das Δ G die treibende Kraft der Bewegung ist, die gerade nicht mit dem Vollzug des Tausches erlischt, ist der Wert in seiner Bewegung als Kapital ein automatisches Subjekt. Die Bedingungen der Möglichkeit dieser Zirkulationsform sind ein Schlüssel zum Begriff der gesellschaftlichen Totalität wie zu einem negativ bestimmten Subjektbegriff. In Frage steht, unter welchen Bedingungen der Wert in der Bewegung als Kapital als Subjekt, als »sich selbst bewegende Substanz, für welche Ware und Geld beide bloße Formen«387 sind, auftreten kann und wie dadurch die Subjekte beschädigt werden. Um dies zu beantworten, werde ich den bei Marx zentralen Begriff des gesellschaftlichen Gesamtkapitals entwickeln. Der sich selbst verwertende Wert, das Kapital, existiert zunächst in Gestalt mannigfacher unterschiedener Einzelkapitale, die sich in unterschiedlicher technischer Zusammensetzung388 in unterschiedlichen Produktionszweigen verwerten. Für jedes Einzelkapital gilt, daß sein bestimmender Zweck die Selbstverwertung oder die Produktion und Realisierung von Mehrwert ist. Insofern ist es angemessen, von der Summe der Einzelkapitale als dem »gesellschaftlichen Gesamtkapital« zu sprechen. In eben dieser Weise wird der Begriff des »gesellschaftlichen Gesamtkapitals«389 im ersten Band des Kapitals eingeführt. Aus der Bewegung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, zunächst aufgefaßt als Summe seiner einzelnen Bestandteile, folgt allererst, daß die bloße Kontinuität des Verwertungsprozesses nicht nur die Reproduktion des einzelnen Kapitals garantiert, sondern das Kapitalverhältnis selbst reproduziert, indem seine Voraussetzungen, Eigentum an Produktionsmitteln auf der einen, Eigentum an nichts als der Ware Arbeitskraft auf der anderen Seite, reproduziert werden. »Der kapitalistische Produktionsprozeß reproduziert also durch seinen eigenen Vorgang die Scheidung zwischen Arbeitskraft und Arbeitsbedingungen. Er reproduziert und verewigt damit die Expolitationsbedingungen des Arbeiters. Er zwingt beständig den Arbeiter zum Verkauf seiner Arbeitskraft, um zu leben, und befähigt beständig den Kapitalisten zu ihrem Kauf (...). Der kapitalistische Produktionsprozeß, im Zusammenhang betrachtet oder als Reproduktionsprozeß, produziert also nicht nur Ware, nicht nur Mehrwert, sondern er 70

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produziert und reproduziert das Kapitalverhältnis selbst, auf der einen Seite den Kapitalisten, auf der anderen den Lohnarbeiter.«390 Eben das charakterisiert ihn als einen reflexiven Prozeß, d. h. als einen Prozeß, der seine eigenen gesellschaftlichen Voraussetzungen als Resultat produziert.391 Kein Einzelkapital kann sich verwerten, ohne Gebrauchswerte, Träger des Werts, zu produzieren. Der Wert einer Ware ist überhaupt nur zu realisieren, wenn nicht nur ein Bedürfnis, sondern ein zahlungskräftiges Bedürfnis nach ihrem Gebrauchswert besteht. Kein Einzelkapital kann weiterhin produzieren, wenn es nicht die für seine Produktion notwendigen Produktionsmittel, Rohstoffe und Arbeitskräfte auf dem Markt erwerben kann. Die Arbeitskraft lebt nicht von der Luft allein, sie muß zu ihrer Reproduktion selbst als Waren produzierte Lebensmittel vorfinden. Schließlich kommt kein sachliches Produktionsmittel, kaum ein Rohstoff einfach so zum Einzelkapital. Sie wollen produziert sein, und produziert werden sie von anderen Einzelkapitalen. Die einzelnen Kapitale sind also von den Resultaten der Produktion anderer Kapitale technisch abhängig, so wie sie selbst Waren produzieren, die technisch die Voraussetzung der Produktion anderer Kapitale bilden oder zur Reproduktion des Trägers der Ware Arbeitskraft und des Kapitalisten dienen. Durch die technische Abhängigkeit der Einzelkapitale verschiedener Produktionszweige sind diese Einzelkapitale arbeitsteilig oder affirmativ aufeinander bezogen. Durch Konkurrenz dagegen sind die Einzelkapitale eines Produktionszweigs negativ aufeinander bezogen.392 Die affirmative Beziehung der Kapitale aufeinander durch ihre technische Abhängigkeit voneinander begründet bei Marx die erste inhaltliche Bestimmung des Begriffs des gesellschaftlichen Gesamtkapitals: »Die Kreisläufe der individuellen Kapitale verschlingen sich aber ineinander, setzen sich voraus und bedingen einander und bilden gerade in dieser Verschlingung die Bewegung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals.«393 Das gesellschaftliche Gesamtkapital ist damit bestimmt als das, was die ökonomischen Bedingungen der Reproduktion aller Einzelkapitale beinhaltet. Das heißt, es bestimmt die Form aller gegenständlichen Bedingungen des Produktions- und Reproduktionsprozesses. Diese Bestimmung widerspricht nicht der vorherigen Summenbestimmung: »Daß das gesellschaftliche Gesamtkapital = der algebraischen Summe der Bewegungen der individuellen Kapitale ist, schließt in keiner Weise aus, daß diese Bewegung als Bewegung des vereinzelten individuellen Kapitals andre Phänomene darbietet, als dieselbe Bewegung, wenn sie unter dem Gesichtspunkt eines Teils der Gesamtbewegung des gesellschaftlichen Kapitals, also in ihrem Zusammenhang mit den Bewegungen seiner anderen Teile betrachtet wird, und daß sie zugleich Probleme löst, deren Lösung bei der Betrachtung des Kreislaufs eines einzelnen individuellen Kapitals vorausgesetzt werden muß, statt sich daraus zu ergeben.«394 Das gesellschaftliche Gesamtkapital muß, insofern 71

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es die ökonomischen Bedingungen der Reproduktion aller Einzelkapitale umfaßt, als Totalität begriffen werden. Dem Begriff des gesellschaftlichen Gesamtkapitals als Totalität der Bedingungen der Reproduktion der Einzelkapitale entspricht so ein gegenständliches Korrelat: Es bestimmt nicht nur die gesellschaftliche Form der Relationen von Einzelkapitalen, sondern es bestimmt auch in der arbeitsteiligen Beziehung der Einzelkapitale aufeinander deren Relationen zueinander dem Inhalt nach.395 Wie aber kann diese gegenständliche Totalität Einzelkapitale, der gegenständlichen Seite nach eine dem jeweiligen Produktionsprozeß gemäße Verbindung von Gebrauchswerten und Arbeitskraft, zwingen? Dies scheint in der Tat mehr als merkwürdig, denn die Totalität ist zwar als gegenständliche bestimmt, aber sie ist empirisch nicht faßbar. Die Totalität der Relationen der technisch voneinander abhängigen Einzelkapitale garantiert den Einzelkapitalen nicht nur die Bedingungen ihrer Reproduktion, sondern bestimmt nach Marx zugleich die Relationen der einzelnen Produktionszweige, damit die Relationen der in diesen Produktionszweigen tätigen Einzelkapitale zueinander. Diese Relationen sind nichts anderes als der Markt für die jeweils produzierten Waren, in dem sich erst die Konkurrenz von Einzelkapitalen eines Produktionszweigs abspielt. Das Einzelkapital, das in ihr unterliegt, meldet gemäß der Marxschen Theorie wesentlich deshalb Konkurs an, weil es nicht unter gesellschaftlich durchschnittlichen Bedingungen produziert. Daß aber überhaupt Einzelkapitale miteinander in Konkurrenz treten, folgt aus der durch das gesellschaftliche Gesamtkapital vermittelten Begrenzung des Markts bei gleichzeitigem Zwang zur Steigerung der Produktivkraft der Arbeit. In diesem Sinne ist das gesellschaftliche Gesamtkapital allerdings ein Zwangszusammenhang: Als Totalität der Bedingungen der Reproduktion aller Einzelkapitale zwingt es diese hinsichtlich ihrer arbeitsteiligen affirmativen Beziehung aufeinander in quantitativ und qualitativ bestimmte Relationen, hinsichtlich ihrer negativen Beziehung aufeinander in einen qualitativ bestimmten und quantitativ begrenzten Marktmagen. Der bisher entwickelte Begriff des gesellschaftlichen Gesamtkapitals als Totalität der Relationen der einzelnen Produktionszweige oder, was das gleiche besagt, als Totalität der Bedingungen der Reproduktion aller Einzelkapitale, gerät auf der Grundlage der Werttheorie unversehens in einen Widerspruch: Die Werttheorie unterstellt den Verkauf der Waren zu ihren Werten. Der von einem Einzelkapital produzierte Mehrwert steht in direkter Abhängigkeit von der Anzahl der von diesem Einzelkapital angewandten Arbeitskräfte. Demgemäß müßte in den Produktionszweigen niedriger organischer Zusammensetzung, in denen der Produktionsprozeß einen hohen Anteil an Arbeitskräften bei einem niedrigen Anteil an Produktionsmitteln erfordert, der meiste Mehrwert realisiert werden. Weil aber unterschiedliche Produktionszweige aufgrund unterschiedlicher technischer Produktionsbedingungen unterschiedliche organische Zu72

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sammensetzungen aufweisen, ergibt sich auf Grundlage der Werttheorie erstens, daß dem Kapitalismus eine Tendenz zur Steigerung der angewandten Arbeitskräfte im Verhältnis zu den angewandten Produktionsmitteln, eine Tendenz also zur Entwicklung in urzeitliche Zustände, immanent wäre. Zweitens bliebe völlig ungeklärt, wie verschiedene Produktionszweige mit derart unterschiedlichen Mehrwertmassen nebeneinander existieren können. Es »unterliegt (..) keinem Zweifel, daß in der Wirklichkeit, von unwesentlichen, zufälligen und sich ausgleichenden Unterschieden abgesehen, die Verschiedenheit der durchschnittlichen Profitraten für die verschiedenen Industriezweige nicht existiert und nicht existieren könnte, ohne das ganze System der kapitalistischen Produktion aufzuheben. Es scheint also, daß die Werttheorie hier unvereinbar ist mit der wirklichen Bewegung, unvereinbar mit den tatsächlichen Erscheinungen der Produktion und daß daher überhaupt darauf verzichtet werden muß, die letzteren zu begreifen.«396 Bei Marx findet dieser Widerspruch eine Lösung im Begriff der Durchschnittsprofitrate. Verkauft werden die Waren nicht zu Werten, sondern zu Produktionspreisen, die sich aus Kostpreis und Durchschnittsprofit zusammensetzen.397 Der Zusammenhang zur Werttheorie bleibt bei Marx gewahrt über die Totalität gesellschaftlicher Reproduktion, genauer durch zwei Gleichungen: Die Gesamtsumme der Werte ist gleich der Gesamtsumme der Produktionspreise398 und die Gesamtsumme des in einem bestimmten Zeitraum produzierten Profits ist gleich der Gesamtsumme des in diesem Zeitraum produzierten Mehrwerts.399 Der Durchschnittsprofit bzw. die Existenz einer Durchschnittsprofitrate ist eine Bedingung der Möglichkeit der kapitalistischen Produktionsweise – ohne Durchschnittsprofitrate keine adäquate Verteilung der Einzelkapitale auf die einzelnen Produktionssphären. Die Ausgleichung der besonderen Profitraten zur Durchschnittsprofitrate vollzieht sich durch Konkurrenz:400 Werden in einem Produktionszweig überdurchschnittlich hohe Profite realisiert, strömt Kapital in diesen Produktionszweig, bis die Konkurrenz dieser Kapitale untereinander die überdurchschnittlich hohe Profitrate wieder auf den Durchschnitt gedrückt hat. Existieren kann der Profit demnach nur als Durchschnittsprofit, dessen Begriff sich nur unter Voraussetzung des oben entwickelten Begriffs des gesellschaftlichen Gesamtkapitals ergibt. Das gesellschaftliche Gesamtkapital ist demnach nicht nur eine Determinante der Konkurrenz, sondern zugleich eine Determinante des Profits. Die Wahrheit der Bestimmung Adornos, es werde um des Profits willen produziert, ergibt sich also nur einer Reflexion auf den Begriff des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Daraus läßt sich die weitere Bestimmung Adornos, die Produktion sei Selbstzweck oder es werde um der Produktion willen produziert, erklären: In dem derart durch das gesellschaftliche Gesamtkapital vermittelten gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß kann sich die Produktion um des Profits willen nur vollziehen als Produktion um der Produktion willen oder als Produktion von akku73

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mulierbarem Mehrwert.401 Das folgt zwingend aus den sogenannten Reproduktionsschemata. In der Untersuchung der »Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals«402 werden zwei Schemata aufgeführt, das Schema einfacher Reproduktion und das Schema erweiterter Reproduktion.403 In beiden Schemata werden zwei Abteilungen der gesellschaftlichen Reproduktion unterschieden, eine Abteilung zur Produktion von Konsumtionsmitteln und eine Abteilung zur Produktion von Produktionsmitteln. Das Schema einfacher Reproduktion kann für eine Gesellschaft mit kapitalistischer Produktionsweise nicht gelten:404 Unterstellt, einfache Reproduktion finde unter Bedingungen kapitalistischer Produktion statt, dann ist mit der Prämisse gesetzt, daß aller Mehrwert in Konsumtionsmitteln verausgabt wird. Dazu ist nach Marx ein bestimmtes Verhältnis der beiden Abteilungen gesellschaftlicher Reproduktion erfordert.405 Befragt man nun dieses Verhältnis der beiden Abteilungen nach seinen Voraussetzungen, so erhält man sowohl der stofflichen Seite nach wie der Wertseite nach für den vorhergehenden Durchlauf das Gleiche. Das Schema einfacher Reproduktion unterstellt, daß eine Steigerung der Produktivkraft der Arbeit nicht stattfindet und im vorigen Durchlauf quantitativ und qualitativ die gleichen Waren produziert wurden. Die Frage nach der Voraussetzung des Schemas einfacher Reproduktion führt also in einen unendlichen Regreß. Das Kapitalverhältnis ist aber nicht immer schon da gewesen. Das heißt, das Schema einfacher Reproduktion unterstellt wenigstens eine Akkumulation. Akkumulation oder erweiterte Reproduktion unterstellt der Stoffseite wie der Wertseite nach die Ungültigkeit der Gleichgewichtsbedingung des Schemas einfacher Reproduktion.406 Daraus folgt zwingend, daß im nachfolgenden Durchlauf einfache Reproduktion nur stattfinden könnte, wenn ein Teil der Produktionsmitteleigentümer die in Produktionsmitteln vergegenständlichte Mehrarbeit individuell konsumiert. Das ist nicht möglich. Maschinen kann man nicht essen. Deshalb kann das Schema einfacher Reproduktion für Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise keine Gültigkeit beanspruchen.407 Marx kann also zwingend zeigen, daß in einer kapitalistischen Produktionsweise die Abteilung zur Produktion von Produktionsmitteln schneller wachsen muß als die Abteilung zur Produktion von Konsumtionsmitteln. Das heißt: Produktion um der Produktion willen. Der Zweck des gesellschaftlichen Gesamtkapitals stellt sich also als Produktion um des Profits willen dar, die sich der stofflichen Seite nach nur als Produktion von Produktionsmitteln darstellen kann. Die beiden von Adorno verwandten Termini zur Charakterisierung des Zwecks: Produktion um des Profits willen und Produktion um der Produktion willen oder Produktion als Selbstzweck hängen also in der Weise zusammen, daß eine Produktion um des Profits willen sich stofflich nur darstellen kann als Produktion von Produktionsmitteln, als Produktion um der Produktion willen. Produktion um der Produk74

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tion willen ist der präzise stoffliche Ausdruck der werttheoretischen Formulierung Produktion um des Profits willen. Zur Begründung eines negativ bestimmten Subjektbegriffs Aus der eben entfalteten Bestimmung der Totalität als gesellschaftliches Gesamtkapital läßt sich ein negativ bestimmter Subjektbegriff in der folgenden Weise begründen: Für die Subjekte ist ihre Selbsterhaltung Selbstzweck. Dieser Selbstzweck ist für sie aber nur realisierbar, wenn sie sich einem gesellschaftlichen Mechanismus unterwerfen, dem dieser Zweck ein Mittel ist. Zweck der gesellschaftlichen Reproduktion ist nicht die individuelle Reproduktion, sondern die Produktion um der Produktion willen. Das Mittel, die ökonomische Reproduktion der Gesellschaft, wird so zum Zweck, der Zweck, zunächst die individuelle Selbsterhaltung, zum Mittel. Das ist in dem schon zitierten Satz Adornos exakt ausgedrückt: »Das Verhältnis von Leben und Produktion, das jenes real herabsetzt zur ephemeren Erscheinung von dieser, ist vollendet widersinnig. Mittel und Zweck werden vertauscht.« Die Subjekte werden also zu einem bloßen Mittel der gesellschaftlichen Organisation ihrer materiellen Reproduktion herabgezwungen.408 Die ökonomische Reproduktion einer Gesellschaft, die einem solchen Zweck unterworfen ist, ist gemäß Marx und Adorno unvernünftig. Kein »gesellschaftliches Gesamtsubjekt« existiert, weil den einzelnen die ökonomische Reproduktion der Gesellschaft als Zwang zur Verausgabung von Mehrarbeit gegenübertritt. Der Zwang zur Vergegenständlichung von Mehrarbeit ist aber nichts anderes als eine Realisierung von Freiheit. Sie erscheint in Gestalt des Mehrprodukts, das sich unter Bedingungen kapitalistischer Produktion als Produktion von Produktionsmitteln darstellt. Die Freiheit der Subjekte, Zwecke jenseits ihrer Selbsterhaltung zu realisieren, verwandelt sich unter Bedingungen kapitalistischer Produktion in den Zwang, Mehrarbeit fürs Kapital zu vergegenständlichen. Darin besteht die »verkehrte Gestalt« des »Vorrangs des Objekts«. Die Subjekte sind daher als Subjekte beschädigt. Das begründet einen negativ bestimmten Subjektbegriff. Freiheit ist wirklich in Gestalt der gegenständlichen Resultate der Mehrarbeit, gesamtgesellschaftlich eben in der Produktion von Produktionsmitteln. Solche Gestalt von Freiheit ist aber Resultat von Zwang: Unter Bedingungen kapitalistischer Produktion ist die Verausgabung von notwendiger Arbeit an die Verausgabung von Mehrarbeit gebunden. Insofern ist Freiheit für die Subjekte unwirklich. Sie realisieren Freiheit in Gestalt des Mehrprodukts und reproduzieren dadurch ihre eigene Unfreiheit. Die Heteronomie ist also eine Gestalt der Autonomie, weil die Realität der Autonomie, die Produktion um der Produktion willen, sich als Zwang zur Verausgabung von Mehrarbeit darstellt. 75

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Weil dieser Prozeß reflexiv ist, er seine eignen gesellschaftlichen Voraussetzungen als Resultat produziert, ist die Marxsche Bestimmung des Kapitals als »automatisches Subjekt« wie die Adornos vom »Subjekt als Feind des Subjekts« begründet. Subjekt gesellschaftlicher Reproduktion ist nur eben nicht der Tausch, sondern das gesellschaftliche Gesamtkapital. »Antagonistische Totalität«409 ist das gesellschaftliche Gesamtkapital, weil es seine Bewegung nur durch den Antagonismus seiner Agenten, der Klassen, hindurch vollziehen kann. Produktionsmitteleigentümer und Lohnabhängige sind beide Agenten, der Bewegung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals unterworfen.410 Sie agieren als Vertreter von Funktionen, die ihnen innerhalb der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals zukommen, oder die »ökonomischen Charaktermasken der Personen sind nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse, als deren Träger sie sich gegenübertreten.«411 Diese Bestimmung wird im Kern nicht dadurch berührt, daß die Personifikation des Kapitals im Fabrikherrn des neunzehnten Jahrhunderts faktisch nicht mehr existiert, nachdem der personale Zusammenhang zwischen dem Eigentum an Produktionsmitteln und der Leitung des Produktionsprozesses durch die mit der Zentralisation des Kapitals verbundene Bildung von Aktiengesellschaften zerstört wurde. Sie wird im Gegenteil dadurch, daß auch die höheren Vorgesetzten Lohnabhängige sind, erst auf den Begriff gebracht: Alle agieren als Personifikationen ökonomischer Verhältnisse.412 Der Marxschen Auffassung von der »Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einem naturgeschichtlichen Prozeß«, für den nicht der einzelne verantwortlich ist, sondern die »Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag«413, korrespondiert die Adornos von der Gesellschaft als funktionaler Kategorie:414 »Das Ganze erhält sich nur vermöge der Einheit der von seinen Mitgliedern erfüllten Funktionen«,415 also nicht trotz des Gegensatzes der Klassen, sondern durch ihn.416 Dem korrespondiert, daß Adorno in allen Schriften am Gegensatz der Klassen festhält. In der Einleitung habe ich dargelegt, daß eine immanente Untersuchung der Begründung eines kritischen Subjektbegriffs bei Adorno nicht umhin kommt, auf die drei in der Sekundärliteratur strittigen Fragen nach dem Gegenstand der Gesellschaftskritik, ihrem Maßstab und dem Subjekt emanzipatorischer gesellschaftlicher Veränderung Antwort zu geben. Die Frage nach dem Gegenstand der Kritik ist immanent beantwortet: Gegenstand der Kritik ist der Zwang zur Produktion von Mehrprodukt, der die Subjekte auf Mittel der Kapitalverwertung reduziert und dadurch in ihrer Autonomie beschädigt. Diese Beschädigung besteht, wie gezeigt, in der durch die Bewegung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals erzwungenen Verausgabung von Mehrarbeit. Weil durch die Analyse, was genau unter dem Terminus »Pro76

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duktion um der Produktion willen« verstanden werden kann, die zentrale Bestimmung des ökonomischen Zwangs bei Adorno, Zweck der gesellschaftlichen Reproduktion sei nicht die Reproduktion der einzelnen, sondern die Produktion um der Produktion willen, begründet werden konnte, ist der negativ bestimmte Subjektbegriff immanent begründet. Die Frage nach dem Maßstab der Kritik bei Adorno habe ich in Kapitel 1 ebenfalls immanent beantwortet: Der moralphilosophisch bestimmte Begriff der Versöhnung ist nicht einfach an die bestehende Gesellschaft herangetragen, sondern hat ein materielles Substrat in dieser Gesellschaft, das durch Herrschaft erzwungene Mehrprodukt. Also ist der negativ bestimmte Subjektbegriff kritisch: Die theoretische Erklärung des gesellschaftlichen Zwangszusammenhangs ist zugleich seine Kritik. Mit anderen Worten: Der schon zitierte, der Sache nach umstrittenste Satz Adornos, Gesellschaftstheorie sei »unabdingbar kritisch«, ist immanent begründet. Die Frage nach dem Subjekt emanzipatorischer gesellschaftlicher Veränderung ist noch nicht beantwortet. Ich werde sie abschließend in Kapitel 4 beantworten. Ebenso ist noch unklar, ob sich Adornos These von der zunehmenden Ich-Schwäche zwingend aus seiner Argumentation ergibt. Diese Frage wird in Kapitel 3 untersucht. Aus der reflexiven Struktur des Kapitalverhältnisses lassen sich an dieser Stelle zwei Konsequenzen bezüglich seiner Reproduktion und seiner Erscheinung an der gesellschaftlichen Oberfläche ziehen, die für die endgültige Antwort auf beide Fragen entscheidend sein werden. (1) Wenn die Kapitalbewegung reflexiv ist, sie ihre eigenen gesellschaftlichen Voraussetzungen als Resultat produziert oder, wie Adorno sagt, sich durch den Klassengegensatz hindurch reproduziert, folgt, daß auch das Lohnarbeitsverhältnis reproduziert wird. Marx nennt das den »stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse«.417 Daß Marx, wie oft, auch von Adorno, unterstellt,418 die Revolution durch die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise selbst verbürgt gesehen habe, läßt sich fürs Kapital nicht durchgängig belegen. Dort findet sich eine Passage, die antizipiert, was Adorno zum Problem wird: »Im Fortgang der kapitalistischen Produktionsweise entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt. (...) Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch angewandt, aber nur ausnahmsweise. Für den gewöhnlichen Gang der Dinge kann der Arbeiter den »Naturgesetzen der Produktion« überlassen bleiben, d. h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst entspringenden, durch sie garantierten und verewigten Abhängigkeit vom Kapital.«419 Der »stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse« unterscheidet sich vom unmittelbaren Zwang dadurch, daß es eben keiner äußeren Gewalt bedarf, um 77

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die Individuen zur Mehrarbeit zu zwingen. »Es ist die Zwickmühle des Prozesses selbst, die den einen stets als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf den Warenmarkt zurückschleudert und sein eigenes Produkt stets in Kaufmittel des andren verwandelt.«420 Jede vorkapitalistische Produktionsweise ruht im Unterschied dazu auf unmittelbarem Zwang, weil das Herrschaftsverhältnis nicht durch den ökonomischen Prozeß selbst reproduziert wird. (2) Das Bewußtsein des durch den Gegensatz der Klassen vermittelten Reproduktionsprozesses des Kapitals ist Klassenbewußtsein. Adorno erklärt »den Mangel an Klassenbewußtsein«421 wesentlich aus zwei Gründen, der Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen und der Integration der Arbeiterklasse in die bürgerliche Gesellschaft.422 Es ist daher nicht so, daß der »Klassenantagonismus nicht theoretisch wirklich in die Bildung dieser Theorie eingeht.«423 Für den Mangel an Klassenbewußtsein läßt sich ein systematischer Grund angeben. Adorno selbst nennt ihn nicht explizit, aber er wird bei ihm thematisch, wo er Manifestationen des Antagonismus etwa im »privaten Bereich« untersucht.424 Der Klassengegensatz ist der Erfahrung der Individuen entzogen, d. h. die konkrete Gestalt der Herrschaft ist in der bestehenden Gesellschaft nicht der Erfahrung, sondern nur der Reflexion zugänglich. Die Unsichtbarkeit der Herrschaft unterm Kapital erklärt sich daraus, daß die Differenz zwischen notwendiger Arbeitszeit und Mehrarbeitszeit in der kapitalistischen Produktionsweise außerhalb der Erfahrung des Individuums liegt. In vorkapitalistischen Produktionsweisen war das anders: Herrschaft war der sinnlichen Erfahrung zugänglich. »Die Fronarbeit ist ebensogut durch die Zeit gemessen wie die Waren produzierende Arbeit, aber jeder Leibeigene weiß, daß es ein bestimmtes Quantum seiner persönlichen Arbeitskraft ist, die er im Dienst seines Herren verausgabt.«425 Die Zeit, in der Arbeit für den Herrn verausgabt werden muß, ist sinnlich von der Zeit, in der der Leibeigene für sich arbeitet, unterschieden. An der sinnlicher Erfahrung zugänglichen Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft hingegen »erscheint der Lohn des Arbeiters als Preis der Arbeit, ein bestimmtes Quantum Geld, das für ein bestimmtes Quantum Arbeit gezahlt wird.«426 In der Form des Arbeitslohns ist der Unterschied zwischen Mehrarbeit und notwendiger Arbeit erloschen. Der Lohn erscheint nicht als Äquivalent des Preises der Ware Arbeitskraft, sondern als Lohn für die vergegenständlichte Arbeit. »Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit.«427 Diesem Verschwinden der Herrschaft in der Erscheinung hat Marx »entscheidende Wichtigkeit« beigemessen: »Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und gerade sein Gegenteil zeigt, beruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle ihre Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie.«428 Folglich kann das Subjekt emanzipatorischen gesellschaftlichen Handelns ein Bewußtsein des »wirklichen Verhältnisses« nur reflexiv erlangen. Ich werde die Konsequenzen 78

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dieser Überlegung für die Bestimmung des Subjekts gesellschaftlicher Emanzipation später untersuchen. Zunächst ist das Verhältnis der beiden Bestimmungen des gesellschaftlichen Zwangszusammenhangs bei Adorno, Tauschverhältnis und Kapitalverhältnis, zu erörtern.

2.3 Tauschverhältnis und Kapitalverhältnis In den Kapiteln 2.1 und 2.2 wurde der Unterschied der beiden Bestimmungen des gesellschaftlichen Zwangszusammenhangs bei Adorno entwickelt und gezeigt, daß sich ein kritischer Subjektbegriff begründen läßt, wenn das Kapitalverhältnis als Grund des gesellschaftlichen Zwangszusammenhangs begriffen wird. Offen ist noch, warum Adorno zwei Bestimmungen gibt und wie sie sich zueinander verhalten. Nach Adorno lassen sich Warenform und Kapitalverhältnis als Grund und Folge begreifen: aus dem und auf das Tauschverhältnis folgt das Kapitalverhältnis. Demnach besteht zwischen beiden kein wesentlicher Unterschied. Das Kapitalverhältnis wäre ein entfaltetes Tauschverhältnis. Nach den Abschnitten 2.1 und 2.2 ist es das gerade nicht. Erklärt werden muß also, was Adorno nötigt, die spezifische Differenz zwischen Tauschverhältnis und Kapitalverhältnis zu negieren. Im folgenden werde ich zeigen, daß dafür die ursprungsphilosophische Variante der im ersten Kapitel entwickelten doppelten Bestimmung der Genesis des Subjekts verantwortlich ist. Die These, das Kapitalverhältnis sei Resultat der Entfaltung der Warenform, macht die Warenform oder das »Tauschprinzip« zu einem handelnden Subjekt: »Indem das Tauschprinzip kraft seiner immanenten Dynamik auf die lebendige Arbeit von Menschen sich ausdehnt, verkehrt es sich zwangvoll in objektive Ungleichheit, die der Klassen.«429 Der systematische Unterschied zwischen Warenform und Kapitalverhältnis verkehrt sich hier in eine historische Folge, die Warenform erscheint als historischer und logischer Grund des Kapitals. Max Horkheimer hat diese Auffassung wenigstens in den 40er Jahren geteilt: »Die Selbstbewegung des Begriffs der Ware führt zum Begriff des Staatskapitalismus wie bei Hegel die sinnliche Gewißheit zum absoluten Wissen.«430 Auch im Institut für Sozialforschung bestand darüber wenigstens in den 40er Jahren ein breiter Konsens.431 Wenn das Kapitalverhältnis aus der Entfaltung der Warenform resultieren soll, muß es in ihr immer schon angelegt sein. Enthält die Warenform in sich schon das Kapital, kann die kapitalistische Produktionsweise in die graue Vorzeit zurückverlegt, der Tausch als Ursprung des Übels konstruiert und dieses dann ursprungsphilosophisch aus ihm entwickelt werden. Genau das geschieht in der Dialektik der Aufklärung: »Mit der Ausbreitung der bürgerlichen Warenwirtschaft wird der dunkle Horizont des Mythos von der Sonne der kalkulierenden Vernunft aufgehellt, unter deren eisigen Strahlen die Saat der neuen 79

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Barbarei heranreift.«432 Die bürgerliche Warenwirtschaft wird zu einer Zeit angesetzt, in der die gesellschaftliche Reproduktion noch nicht wesentlich durch Tausch vermittelt war: der Odyssee. Odysseus sei das »Urbild« des Bürgers. »Der Held der Abenteuer erweist sich als Urbild eben des bürgerlichen Individuums, dessen Begriff in jener einheitlichen Selbstbehauptung entspringt, deren vorweltliches Muster der Umgetriebene abgibt.«433 Damit ist die spezifische Differenz zwischen vorkapitalistischen Vergesellschaftungsformen und einer kapitalistischen Gesellschaft bestritten.434 Auf diese Differenz legt Adorno an anderer Stelle größten Wert.435 Die Ambivalenz ist zwingend, weil Adorno beides vertritt: den Unterschied von Kapitalverhältnis und Warenform und die Begründung des Kapitalverhältnisses aus der Warenform. Wenn das Tauschprinzip sich wirklich »kraft seiner immanenten Dynamik« in die »objektive Ungleichheit« der Klassen »verkehrt«, müßte sich die Warenform der Arbeitskraft aus dem Tauschprinzip entfalten lassen. In eben dieser Weise interpretiert Adorno das Kapital: dort werde die »historische Notwendigkeit« aufgezeigt, »die den Kapitalismus zur Entfaltung brachte.«436 In Kapitel 2.1 wurde gezeigt, daß die Warenform der Arbeitskraft von Marx als eine historische Bedingung des Kapitalverhältnis erschlossen wird. Diese historische Bedingung, die ursprüngliche Akkumulation, ist kontingent und das gerade Gegenteil des Tauschprinzips: Resultat historischer Gewalt. Die Bedeutung der »ursprünglichen Akkumulation« für die Begründung der Kapitalbewegung als reflexivem Prozeß kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das systematische Problem, das Marx damit zu lösen unternimmt, besteht in folgendem: Die Akkumulation des Kapitals ist als reflexiver Prozeß bestimmt, der Kapital zur Voraussetzung wie zum Resultat hat. Weil die Akkumulation von Kapital immer schon akkumuliertes Kapital zur Voraussetzung hat, scheint »diese ganze Bewegung (..) sich (..) in einem fehlerhaften Kreislauf herumzudrehen, aus dem wir nur herauskommen, indem wir eine der kapitalistischen Akkumulation vorausgehende »ursprüngliche« Akkumulation (…) unterstellen, welche nicht das Resultat der kapitalistischen Produktionsweise ist, sondern ihr Ausgangspunkt.«437 Mit dem Begriff der »ursprünglichen Akkumulation« vermeidet Marx die Rückverlegung des Kapitalverhältnisses in graue Vorzeit. Die kapitalistische Akkumulation läßt sich überhaupt nur als reflexiver Prozeß bestimmen, wenn ihr Ausgangspunkt auf ein kontingentes Moment bezogen wird. Sonst müßte der reflexive Prozeß der Kapitalbewegung aus anderem erklärt werden. Dann aber wäre er eben nicht mehr reflexiv. Es müssen also kontingente Bedingungen der Möglichkeit zitiert werden, und eben in dieser Weise argumentiert Marx: Der kapitalistischen Akkumulation, deren Prinzip der Tausch von Äquivalenten ist und in der die Gewalt in Gestalt von Raub oder Betrug ausgeschlossen ist, geht ein Akt der Gewalt voran, die gewaltsame Scheidung des 80

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Arbeiters von seinen Arbeitsbedingungen auf der einen und die räuberische Anhäufung von Reichtum in Gestalt von Produktionsmitteln oder in Gestalt von Edelmetallen auf der anderen Seite. Von entscheidender Wichtigkeit ist dieser Zusammenhang, weil damit zugleich gezeigt ist, daß das Kapitalverhältnis nicht aus der einfachen Warenproduktion oder dem Tauschprinzip zu entwickeln ist. Deswegen spricht Marx vom Vorhandensein der Ware Arbeitskraft nicht, wie von Adorno unterstellt, als »historischer Notwendigkeit«, sondern als »historischer Bedingung«438. Die Differenz der Marxschen und der Adornoschen Argumentation liegt also darin, daß Adorno das Kapitalverhältnis wie die Universalität des Warentauschs als Resultat einer immanenten Dynamik des Tauschprinzips auffaßt, Marx hingegen die Universalität des Tauschverhältnisses als Resultat der Existenz der kapitalistischen Produktionsweise. Die These, die Warenform sei logischer und historischer Grund des Kapitals, geht theoriegeschichtlich auf die Marxinterpretation von Georg Lukács zurück.439 Sie ist aber durch diesen Verweis nicht erklärt. Sachlich gründet sie in der im ersten Kapitel dargestellten Erklärung der Genesis des Subjekts aus dem gesellschaftlichen Verhältnis der Gattung Mensch zur äußeren Natur. Dort wurde gezeigt, daß diese Erklärung der Genesis des Subjekts ursprungsphilosophisch argumentiert und die Dialektik der Aufklärung aus einer ursprünglichen Katastrophe begreift, die alle weiteren schon in sich enthält. Das uranfängliche Prinzip der Beziehung der Gattung Mensch auf äußere Naturgegenstände, das Identifikationsprinzip, und das Tauschprinzip müssen wegen der ursprungsphilosophischen Konstruktion zusammengeschlossen werden. Dies geschieht qua Analogie. Im Tausch wie im identifizierenden Denken werde von den besonderen Qualitäten der Gegenstände abstrahiert. In der Negativen Dialektik wird dieser Zusammenhang von Identifikationsprinzip und Tausch eindeutig formuliert: »Das Tauschprinzip, die Reduktion menschlicher Arbeit auf den abstrakten Allgemeinbegriff der durchschnittlichen Arbeitszeit, ist urverwandt mit dem Identifikationsprinzip. Am Tausch hat es sein gesellschaftliches Modell, und er wäre nicht ohne es; durch ihn werden nichtidentische Einzelwesen und Leistungen kommensurabel, identisch. Die Ausbreitung des Prinzips verhält die ganze Welt zum Identischen, zur Totalität.«440 Habermas betont zu Recht, daß Adorno »in dieser ›Urverwandtschaft‹ (…) das Bindeglied zwischen der Kritik des instrumentellen Geistes und der Theorie der bürgerlichen Gesellschaft gesehen«441 hat. Der Tausch tritt als Spezifikation des Identifikationsprinzips auf,442 weil gemäß der ursprungsphilosophischen Erklärung der Genesis des Subjekts aus Naturbeherrschung ein Prinzip, eben das Identifikationsprinzip, als Urgrund aller Geschichte begriffen wird. Spezifikation ist das Tauschprinzip, weil es nicht auf das Verhältnis zur äußeren Natur, sondern auf gesellschaftliche Verhältnisse bezogen ist. Entsprechend setze sich in ihm die Herrschaft über äußere Natur fort. Die im ersten Ka81

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pitel entwickelten immanenten Widersprüche dieser Annahme reproduzieren sich in der These, das Kapitalverhältnis sei aus dem Tauschverhältnis zu erklären: Wenn das Tauschverhältnis am Grunde des Kapitalverhältnisses liegen soll, muß der Äquivalententausch immer schon auch Tausch von Ungleichem sein. Exakt diese Konsequenz zieht Adorno: Der »Äquivalententausch bestand von alters her gerade darin, daß in seinem Namen Ungleiches getauscht, der Mehrwert der Arbeit appropriiert wurde.«443 Das Kapitalverhältnis kann nur Folge des einfachen Warentauschs sein, wenn der Tausch »von alters her« kein Tausch, sondern Aneignung von Mehrarbeit gewesen wäre. Dann aber ist der »Äquivalententausch« eben kein Äquivalententausch. Der Widerspruch ist zwingend, wenn das Kapitalverhältnis in die Anfänge der Menschheit verlegt und deren Geschichte nur als seine Entfaltung begriffen wird. Exakt diesen Typ von Ursprungsphilosophie hat Adorno mit dem Theorem vom »Vorrang des Objekts« an Hegel kritisiert: Vom Resultat wird der Beginn erschlossen, aus dem dann das Resultat entfaltet wird – nichts ist in der Welt, was der Anfang nicht schon enthält. Diese Auffassung des Zusammenhangs von Tausch und Kapitalverhältnis bei Adorno ist also analog der Kreisbewegung des Hegelschen Geistes zu verstehen. Die ursprungsphilosophische Variante der Genesis des Subjekts nötigt Adorno zu seiner Reproduktion. Bei Adorno erwies sich der Kreis jedoch als gebrochen: Es waren unterschiedene Bestimmungen des gesellschaftlichen Zwangszusammenhangs vorgefunden worden. Wenn Adorno von der Produktion um der Produktion willen spricht, so ist die Reflexivität des Kapitalverhältnisses betont. Dieser Argumentation stellt sich die Erklärung des Kapitalverhältnisses aus dem Warentausch, letztlich aus dem Identifikationsprinzip, als idealistische Subreption dar. Folglich können Tauschverhältnis und Kapitalverhältnis nicht in ein Verhältnis von Grund und Folge gesetzt werden, und ein negativ bestimmter Subjektbegriff läßt sich nur mit einer Argumentation begründen, die das Kapitalverhältnis nicht aus einer immanenten Dynamik der Warenform, sondern als reflexiven Prozeß erklärt.

2.4 Historische Momente in der Bestimmung des gesellschaftlichen Zwangszusammenhangs Nach Adorno hat sich der gesellschaftliche Zwang, dem die Gesellschaftsmitglieder unterworfen sind, im Zuge der Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise verändert. Wenn der kritische Subjektbegriff wesentlich durch diesen Zwang bestimmt ist, wird er durch dessen Veränderung modifiziert. Die Veränderung wird von Adorno in unterschiedlicher Weise bestimmt. Die Differenz läßt sich auf die zweifache Bestimmung des gesellschaftlichen Zwangs82

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zusammenhangs zurückführen. Wo der Tausch im Mittelpunkt der Argumentation steht, werden Veränderungen in der ökonomischen Struktur der Gesellschaft diagnostiziert. Wo nicht der Tauschzusammenhang im Zentrum steht, geraten Veränderungen nicht in der ökonomischen Struktur, sondern in der Gesellschaft in den Blick. Diese werden unter dem Titel Integration thematisch. Wegen der Unterschiede in den Begründungen der geschichtlichen Veränderung des gesellschaftlichen Zwangszusammenhangs werde ich sie getrennt untersuchen. Kapitel 2.4.1 analysiert die Begründung der Veränderung der ökonomischen Struktur. Kapitel 2.4.2 untersucht den Prozeß der Integration der Gesellschaftsmitglieder in die Gesellschaft. Sowohl die von Adorno diagnostizierte Veränderung in der ökonomischen Struktur der Gesellschaft wie der Prozeß der Integration hat ein psychisches Korrelat, die Ich-Schwäche. Ich untersuche hier nur die zugrundeliegenden ökonomischen bzw. gesellschaftlichen Veränderungen. Die These von der zunehmenden Ich-Schwäche, ihre Konsequenzen und die gegen sie erhobenen Einwände sind Gegenstand der Kapitel 3.4 und 3.5.

2.4.1 Veränderung der ökonomischen Struktur? Die Veränderung in der ökonomischen Struktur der Gesellschaft drückt Adorno in den 30er und 40er Jahren in der These vom »Übergang vom Konkurrenzzum Monopolkapitalismus«444, in den späteren Schriften in der These vom Übergang vom frühen zum späten Kapitalismus aus. Die Produktionsverhältnisse haben sich demnach gegenüber der Zeit von Marx gewandelt. Sie seien »durchlöchert«445 und nur durch politische Intervention aufrechtzuerhalten. Daraus ergebe sich eine Veränderung im Charakter der Herrschaft: der Primat der Politik. Unter ihm sei die »Möglichkeit von Zusammenschluß und Massenrevolution selber fragwürdig geworden.«446 Die Veränderung der ökonomischen Struktur der Gesellschaft und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Möglichkeit eines »Eingriffs in die Produktionsverhältnisse«447 werden in den 30er und 40er Jahren anders erklärt als in den späteren Schriften. In den 40er Jahren stellt Adorno die Veränderung als Zerstörung des Individuums als Subjekt dar (2.4.1.2). In den späteren Schriften wird die These modifiziert: die Zerstörung des Individuums als Subjekt wird nicht als Resultat, sondern als Tendenz begriffen (2.4.1.3). Die ökonomische Begründung der Differenz zwischen liberalem und monopolistischem bzw. später zwischen frühem und spätem Kapitalismus geht wesentlich auf die Analysen Friedrich Pollocks zurück.448 Daher wird in einem Exkurs auf dessen Begründung des ökonomischen Epochenwandels eingegangen. Vorab ist zu bemerken, daß die Auseinandersetzung mit Pollock nicht Veränderungen in der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise bestreiten will. Ihr geht es ausschließlich um die Erklärung dieser Veränderun83

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gen (2.4.1.1). Pollocks Aufsätze in der Zeitschrift für Sozialforschung waren innerhalb des engeren Mitarbeiterkreises des Instituts für Sozialforschung heftig umstritten, allerdings nicht wegen der darin vertretenen These eines epochalen Bruchs, sondern wegen der affirmativen Darstellung staatskapitalistischer Planung449 und der These, im Staatskapitalismus seien immanente Widersprüche erloschen.450 Indes hat Adorno, wie sich gleich zeigen wird, zentrale Elemente der Pollockschen Argumentation übernommen. Auch Max Horkheimer stand ihr wohlgesonnen gegenüber: Den Einwand Franz Neumanns, Pollocks Argumentation laufe auf »eine Ökonomie ohne Ökonomie«451 hinaus, kontert Horkheimer in dem 1940 geschriebenen und 1942 veröffentlichten Aufsatz Autoritärer Staat mit einer Zuspitzung Pollockscher Thesen: »Eine Periode mit eigener gesellschaftlicher Struktur hat die freie Wirtschaft abgelöst.«452 2.4.1.1 Exkurs: Friedrich Pollock und das Verschwinden der Marktökonomie An den Anfang seiner Betrachtungen über Die gegenwärtige Lage des Kapitalismus und die Aussichten einer planwirtschaftlichen Neuordnung stellt Pollock die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der dreißiger Jahre. Diese wird auf »dieselben Ursachen (…) wie ihre (…) Vorgänger« zurückgeführt.45 Als Ursachen werden exemplarisch genannt: eine Erschütterung des internationalen Finanzsystems, Folge von »Störungen der internationalen Arbeitsteilung«, Reparationszahlungen und die Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktionsmethoden.454 Dazu komme eine Gruppe von »Störungsfaktoren«, die »als dauernd wirksam angesehen werden müssen und das Funktionieren des Marktmechanismus dauernd bedrohen«455, weil sie »den normalen Gang des kapitalistischen Automatismus behindern«456. Aus der Analyse dieser Gruppe von »Störungsfaktoren« folgert Pollock eine Veränderung der kapitalistischen Produktionsweise, die zunächst unter dem Namen »gebundener Kapitalismus« oder »monopolistischer Kapitalismus«457, in den späteren Aufsätzen unter dem Namen »Staatskapitalismus« oder »Primat der Politik« firmiert. Der Prozeß der Zentralisation von Produktionsmitteln sei derart fortgeschritten, daß die frühere personelle Einheit von Produktionsmitteleigentum und Leitung des Produktionsprozesses auseinanderfalle.458 Die Eigentümer würden so zu Rentiers,459 die Leiter der Großbetriebe gewännen zunehmende ökonomische und politische Macht. Ökonomisch drücke sich die Macht der Großkonzerne darin aus, daß »die Preise vieler wichtiger Waren nicht mehr durch das ›freie Spiel der Kräfte‹ zustande kommen, sondern durch monopolistische Bindungen.«460 Politisch drücke sich die Macht erstens in dem Einfluß der Großkonzerne insbesondere auf die staatliche Zollpolitik aus, wodurch ausländische Konkurrenten am Verkauf ihrer Waren auf dem jeweiligen Binnenmarkt gehindert würden. Durch die Ausschaltung der Konkurrenz verliere der 84

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Markt seine Funktion bei der Preisbildung. Zweitens werde der »kapitalistische Automatismus« – bezeichnet ist damit der Konkurs von nicht konkurrenzfähigen Einzelkapitalen – durch staatliche Subvention o. ä. behindert, da infolge des Größenwachstums der Konzerne kein Staat deren Zusammenbruch mehr tatenlos zusehen könne. Drittens greife der Staat in das ökonomische Geschehen durch Preisfestsetzungen ein.461 »Der Nexus: wachsende Größe der Wirtschaftseinheiten – wachsende wirtschaftliche und politische Macht – Benutzung dieser Macht zur Bindung der Preise im Innern und Abschluß gegen die ausländische Konkurrenz – Unvermeidlichkeit der Staatshilfe, wenn wichtige Teile der Wirtschaft bedroht sind, schwächt oder vernichtet die Selbststeuerung der kapitalistischen Wirtschaft, führt zu Fehlinvestitionen größten Stils, verschärft die Disproportionalitäten zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen und zwingt zu einem immer heftigeren Kampf auf dem fortwährend weiter zusammenschrumpfenden Weltmarkt.«462 Der liberale Kapitalismus entwickelt sich demnach immanent zum gebundenen oder Staats-Kapitalismus, dieser wiederum sei nicht mehr mit der alten Erklärung des liberalen Kapitalismus zu begreifen, weil er durch eine Verschmelzung ökonomischer und politischer Macht, eben durch den Primat der Politik, gekennzeichnet sei.463 Die Preise seien nicht mehr durch Kostpreis plus Durchschnittsprofit, sondern politisch bestimmt. Wegen dieses Moments von Willkür in der Preisbestimmung sei eine objektive Werttheorie nicht mehr zu formulieren. Daher habe die Ökonomie als Wissenschaft ihren Gegenstand verloren.464 Unter dem Primat der Politik sei das »Profitmotiv« zwar weiterhin gültig,465 aber es könne im wesentlichen nur noch politisch realisiert werden. »Within the controlling group, however, the will to political power becomes the center of motivation.«466 Damit gehe die Zerstörung der automatischen Tätigkeit des Marktes einher.467 Dies führe in ein System der staatlichen Kontrolle der Produktion und Verteilung, dessen idealtypische468 Form auf der einen Seite die »totalitarian form«, auf der anderen die »democratic form«469 sei. Begründet wird der Übergang zum Staatskapitalismus aus der Veränderung eines Moments der Bewegung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, der Konkurrenz von Kapitalen innerhalb eines Produktionszweigs. Pollock begreift dieses Moment als Charakteristikum der kapitalistischen Produktionsweise. Die beiden zentralen Argumente, die Amalgamierung von politischer und ökonomischer Macht und die Zerstörung des Marktmechanismus, sind auf die Konkurrenz der Kapitale bezogen. Nur weil ein Moment der Bewegung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, die Zirkulationssphäre, zu der den Kapitalismus wesentlich kennzeichnenden Bestimmung gerät, kann Pollock den Phasenumschlag überhaupt konstruieren. Das führt auf immanente Widersprüche. Vier dieser Widersprüche werde ich kurz vorstellen. Sie beziehen sich auf die These von der politischen Preisbestimmung der Monopole (1), auf die Erklärung des technischen Fortschritts im Staatskapitalismus und die Dauerhaftigkeit von 85

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Monopolen (2), auf die These, die Schutzzollpolitik sei Indikator des Wandels (3) und auf die Verneinung politischer Intervention im sogenannten liberalen Kapitalismus (4). (1) Unterstellt, die Monopole hätten in den entscheidenden Produktionszweigen längeren Bestand, sie könnten Preise bestimmen und den Staat zwingen, diese Preise zu schützen, ergäben sich die von Pollock genannten Wirkungen, nämlich Fehlinvestitionen und, sofern nicht politisch verhindert, heftigere Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Eine entscheidende Wirkung nennt Pollock allerdings nicht. Der Monopolpreis erlaubt es dem Monopolisten, Profite über dem Durchschnittsprofit zu realisieren. Dieser höhere Durchschnittsprofit ist nichts anderes als ein größerer Anteil des Monopols am Gesamtprofit des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, er geht auf Kosten der anderen Kapitale. Wenn nun, wie Pollock unterstellt, die wesentlichen Zweige der Produktion schon monopolisiert sind und diese Monopole Resultat des normalen Gangs der kapitalistischen Produktion sind, müßten am Ende alle Zweige monopolisiert sein, daher alle überdurchschnittliche Profite realisieren. Der Monopolprofit wäre dann nichts anderes als ein wechselseitiger kolossaler Betrug der Kapitale, der Preisaufschlag, gesamtgesellschaftlich betrachtet, bloß nominell. Die ganze Konstruktion wäre so auf ihren Ausgangspunkt zurückgeworfen: den Tausch zu Produktionspreisen. (2) Mit dem Übergang zum Staatskapitalismus verschwindet die Konkurrenz, mit der Konkurrenz der Motor des technischen Fortschritts. Pollock sieht das Problem und sucht es durch Rekurs auf die militärische Konkurrenz der Staaten, welche unter Bedingungen des Staatskapitalismus Motor der technischen Entwicklung sei, zu lösen. Erst wenn »the whole world will be controlled by one totalitarian state (..), the problem of technological progress and capital expansion (will) come to the fore.«470 Pollock erklärt also den technischen Fortschritt nicht mehr aus dem ökonomischen System, sondern politisch. Nur unter dieser Voraussetzung läßt sich die Dauerhaftigkeit von Monopolen behaupten. Argumentierte Pollock mit einem Begriff des gesellschaftlichen Gesamtkapitals und nicht mit Veränderungen in der Zirkulationssphäre, wäre ein anderer Blick auf den technischen Fortschritt möglich: er erwiese sich als der Bewegung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals immanent.471 Dann aber müßte er zugestehen, daß technischer Fortschritt der These von der Monopolisierung entgegensteht: Jeder technische Fortschritt führt zu einer Veränderung der Beziehung der Kapitale der einzelnen Produktionssphären zueinander, neue Produktionszweige entstehen und alte Produktionszweige vergehen. Ein neuer Produktionszweig kommt zwar für gewöhnlich monopolisiert auf die Welt, bleibt es aber nicht wegen der Attraktionskraft des Monopolprofits auf andere Kapitale. Ein monopolisierter Produktionszweig ist daher kein endgültiger Zustand. (3) Pollocks Argument, die Weltmarktkonkurrenz werde durch Schutzzollpolitik gestört, besagt, daß Kapitale, die nicht auf dem durchschnittlichen Ni86

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veau produzieren, von Staats wegen vor Konkurrenz geschützt werden. Dies begreift er als Indikator für Übergang zum Staatskapitalismus. Daß ein Kapital – und zwar nicht irgendein Handwerkskapital, sondern ein Großkonzern – vor Konkurrenz geschützt werden muß, spricht aber nicht für »Veränderungen, die den normalen Gang des kapitalistischen Automatismus behindern«, sondern für die Macht dieses Automatismus. Pollocks Überlegung unterstellt also gerade, was sie widerlegen will.472 Daß durch Schutzzölle die Voraussetzungen der internationalen Arbeitsteilung wegfielen, läßt sich auch für den Nationalsozialismus nicht begründen.473 Internationale Arbeitsteilung, damit ein Weltmarkt, existiert zwingend, solange ein Staat nicht vollständig über die naturalen Bedingungen des Produktionsprozesses, seine Rohstoffe, verfügt. Zur Verfügung über die adäquaten technischen Produktionsbedingungen und über die naturalen Bedingungen der Produktion bedürfte es eines Weltstaates. Unter der Voraussetzung eines Weltstaates existierte aber keine internationale Arbeitsteilung, sondern nur noch gesellschaftliche. Folglich sind die Voraussetzungen einer internationalen Arbeitsteilung nicht, wie Pollock vermutet, weggefallen.474 (4) Schließlich unterstellt Pollock, daß ein politischer Einfluß einzelner Kapitalfraktionen in der liberalkapitalistischen Phase nicht bestanden hat. Das allerdings ist schon für das neunzehnte Jahrhundert nicht zu begründen. Nicht nur steht dem die protektionistische Zollpolitik des Deutschen Reichs ab 1879 wie die der anderen Großmächte entgegen.475 Auch läßt sich systematisch zeigen, daß sich eine kapitalistische Produktionsweise ohne Staatsintervention selbst vernichtet, weil sie ihre Voraussetzungen, die Erde und den Arbeiter, zerstört. Marx hat an der Fabrikgesetzgebung in England nachgewiesen, daß der Staatseingriff in die Produktionsweise notwendiges Moment ihrer Existenz ist.476 Pollock verneint dagegen den Staatseingriff in der von ihm als liberal bezeichneten Phase, um eine qualitative Differenz zwischen kapitalistischen Entwicklungsphasen konstruieren zu können.477 Der Irrtum Pollocks besteht darin, daß er Veränderungen im Verhältnis von Politik und Ökonomie als wesentliche Veränderung der kapitalistischen Produktionsweise begreift. Die aus seiner These eines Umschlags von einem Primat der Ökonomie in einen Primat der Politik entfalteten Widersprüche haben gezeigt, daß das, was Pollock als Primat der Politik erscheint, die ungebrochene Funktion der kapitalistischen Produktionsweise unterstellt.478 Deshalb ist Pollocks Begründung eines Primats der Politik, der durch die Ausschaltung der Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise charakterisiert sei, nicht stichhaltig. Weder läßt sich begründen, daß die Zirkulationssphäre zerstört wird. Noch ist eine Ausschaltung der Konkurrenz zu beweisen. Pollock kann zu der These von der Phasendifferenz nur gelangen, weil er die Konkurrenz mit der Zirkulationssphäre identifiziert und die Zirkulationssphäre zum wesentlichen 87

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Charakteristikum einer liberalkapitalistischen Phase erklärt. Gerät dagegen der Begriff des gesellschaftlichen Gesamtkapitals in den Blick, sinkt der Bereich der Zirkulation zu einem Moment von dessen Bewegung herab. Dann würden auch die marktvermittelten Relationen technisch voneinander abhängiger Kapitale in den Blick geraten können, die der These von einer »Liquidation der Zirkulationssphäre« entgegenstehen. Die Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise werden nicht, wie Pollock unterstellt, politisch außer Kraft gesetzt. Umgekehrt: Der Staatseingriff in die Ökonomie, etwa in Gestalt von Zollpolitik, Arbeitslosenversicherung etc., unterstellt die fortgesetzte erweiterte Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Adorno übernimmt Pollocks Argumentation im wesentlichen, vor allem die These von der »Liquidation der Zirkulationssphäre«. Sie dient ihm zur ökonomischen Begründung der in den musiksoziologischen Schriften aus der Zeit vor dem US-amerikanischen Exil schon angedeuteten »Liquidation des Individuums« als Subjekt und bildet die ökonomische Grundlage der racketTheorie. 2.4.1.2 Die »Liquidation des Individuums« als Subjekt in den 40er Jahren Unter Liquidation des Individuums als Subjekt versteht Adorno in den 30er und 40er Jahren die Auflösung autarker Motivationszusammenhänge im Individuum. »Realitätsgerechtigkeit, Anpassung an die Macht, ist nicht mehr Resultat eines dialektischen Prozesses zwischen Subjekt und Realität, sondern wird unmittelbar vom Räderwerk der Industrie hergestellt. Der Vorgang ist einer der Liquidation anstatt der Aufhebung, der formalen anstatt der bestimmten Negation. Nicht indem sie ihm die ganze Befriedigung gewährten, haben die losgelassenen Produktionskolosse das Individuum überwunden, sondern indem sie es als Subjekt auslöschten.«479 Ökonomisch begründet Adorno die Liquidation des Individuums in Anlehnung an Pollock durch einen Wandel der kapitalistischen Produktionsweise. Weil die Sphäre, in der es seinen Ort habe, die Sphäre der Zirkulation, zerstört werde, vergehe auch das Individuum. Autarker Motivationszusammenhänge im Individuum bedürfe es nach dem Übergang vom Konkurrenz- zum Monopolkapitalismus nicht mehr. »In der Ära der großen Konzerne und Weltkriege aber erweist sich die Vermittlung des Gesellschaftsprozesses durch die zahllosen Monaden hindurch als rückständig.«480 Dem korrespondiere eine politische Tendenz des monopolistischen Kapitalismus »zum Faschismus«481. In ihm stelle die Bourgeoisie keine einheitliche Klasse mehr dar, sondern die Stärksten, die rackets, kontrollierten die eigene Klasse wie das Proletariat durch eine ökonomische und politische »Cliquenherrschaft«482. Die Bourgeoisie sei nicht mehr, wie im Konkurrenzkapitalismus, durchs System beherrscht, sondern »sie herrscht durchs System und beherrscht 88

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es schließlich selber. Die modifizierenden Umstände stehen extraterritorial zum System der politischen Ökonomie, aber zentral in der Geschichte der Herrschaft. Im Prozeß der Liquidation der Ökonomie sind sie keine Modifikation sondern selber das Wesen.«483 Im Umschlag einer durch die Ökonomie vermittelten Herrschaft in eine unmittelbare besteht für Adorno der Primat der Politik.484 Auch das Proletariat sei in sich uneinheitlich, »die negative Einheit des Unterdrücktseins zerrissen.«485 In den Organisationen des Proletariats reproduziere sich die »Spaltung in Führer und Gefolge«486. So zerfalle etwa die Gewerkschaft in systemkonforme Gewerkschaftsbürokraten und Organisationsmitglieder. Konformität scheine rationaler als Solidarität, weil das Proletariat nicht verelendet, sondern sein Lebensstandard insgesamt verbessert sei.487 Die Unterdrückten könnten sich selbst nicht mehr als »Klasse erfahren«488, so daß die Klassen zwar nach wie vor bestünden, aber nicht mehr erschienen. An ihre Stelle trete an der gesellschaftlichen Oberfläche die »Massengesellschaft«489. Die Massen seien von den Machthabern durch die Verbesserung des Lebensstandards kontrollierbar. Im Resultat würden »alle Menschen (..) zu bloßen Verwaltungsobjekten der Monopole und ihrer Staaten, wie es zur Zeit des Liberalismus nur jene paupers waren, die man in der Hochzivilisation hat aussterben lassen.«490 Während früher die Elenden aus dem System herausgefallen seien, sei »heute ihr Elend (..), daß sie nicht mehr herauskönnen.«491 Das gelte nicht nur materiell, sondern auch für das durch Kulturindustrie manipulierte Bewußtsein der Gesellschaftsmitglieder.492 Unter diesen Bedingungen könne das Individuum nicht mehr selbstbestimmt handeln; es werde vollständig durch die Gesellschaft bestimmt. Exakt darin besteht der Sinn der These von der Auslöschung des Individuums als Subjekt. »Die Totalität der Gesellschaft bewährt sich daran, daß sie ihre Mitglieder nicht nur mit Haut und Haaren beschlagnahmt, sondern nach ihrem Ebenbild erschafft. (...) Dies sich Gleichmachen, Zivilisieren, Einfügen, verbraucht all die Energie, die es anders machen könnte, bis aus der bedingten Allmenschlichkeit die Barbarei hervortritt, die sie ist.«493 Die Vergesellschaftung ist demnach total geworden, die kapitalistische Produktionsweise »ohne Ausgang«494, weil die Individuen ausschließlich Personifikationen gesellschaftlicher Funktionen sind. Als ausschließliche Personifikationen von Funktionen wären die Individuen nicht als je Besondere voneinander unterschieden, sondern bloß numerisch, als Exemplare einer Art.495 Wenn die Gesellschaft ihre Mitglieder nach ihrem Ebenbild erschaffte, wäre die Reproduktion des Kapitalverhältnisses auf ewig festgeschrieben. Um diese Konsequenz zu verhindern, wiederholt Adorno am Ende der Reflexionen zur Klassentheorie den schon von Georg Lukács anvisierten Ausweg: Verdinglichung habe an den verdinglichten Menschen eine Grenze.496 Die These war schon bei Lukács nicht schlüssig: Daß ausgerechnet das Proletariat qua objektiver Stellung im Produktionsprozeß von der vollständigen 89

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Verdinglichung ausgenommen sei, während etwa ein Bürokrat das nicht sei,497 kann Lukács nur »versichern«498. Adorno zieht aus der Unbegründbarkeit der Ausnahmestellung des Proletariats die Konsequenz und unterstellt eine totale Vergesellschaftung, in der die Individuen bloße Personifikationen gesellschaftlicher Funktionen sind, reproduziert aber damit das Problem, die totale Vergesellschaftung gleichzeitig mit der These einer Grenze dieser totalen Vergesellschaftung in den Individuen bestreiten zu müssen. Dann ist die Vergesellschaftung gerade nicht total. Der Widerspruch resultiert daraus, daß eine Vergesellschaftung, die in dem Sinne total wäre, daß von den Individuen nicht mehr übrig bliebe als ihre gesellschaftliche Funktionsbestimmung, nicht denkbar ist. Die These von der Liquidation des Individuums als Subjekt ist ersichtlich auf den Nationalsozialismus bezogen. Sie tritt aber bei Adorno keineswegs nur als Erklärung nationalsozialistischer Herrschaft auf. Sie wird etwa auch in Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens formuliert.499 Das liegt daran, daß sie aus einem allgemeinen ökonomischen Prozeß, der Zerstörung der Zirkulationssphäre und dem damit verbundenen Übergang vom liberalen zum monopolistischen Kapitalismus, erklärt wird. Wenn nicht die Zirkulationssphäre, sondern die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise insgesamt betrachtet wird, läßt sich die »Liquidation des Individuums« als Zerstörung einer spezifischen Vergesellschaftungsform begründen. Schon Pollock hatte das Auseinanderfallen der vormaligen personellen Einheit von Produktionsmitteleigentum und Leitung des Produktionsprozesses als ein Charakteristikum der Phasendifferenz begriffen. Diese vormalige Einheit zerfällt mit der zunehmenden Zentralisation des Kapitals in Produktionsmitteleigentümer in Gestalt von Rentiers auf der einen, selbst lohnabhängige Leiter des Produktionsprozesses, Manager, auf der anderen Seite. Der Rentier wiederum verliert im Zuge dieser Entwicklung nicht nur den Einfluß auf die Leitung des Produktionsprozesses, sondern auch die Verfügungsgewalt über das angewandte Kapital, weil die Aktienmehrheit der großen Kapitalgesellschaften selbst wieder in Hand von Kapitalgesellschaften ist. Insofern existiert der klassische Bourgeois nicht mehr. Dieser Prozeß fällt zusammen mit der Zerstörung des mittleren Eigentums und wird in den Anfängen des Jahrhunderts auch literarisch reflektiert.500 Die Untersuchung der Begründung der Phasendifferenz bei Friedrich Pollock konnte nachweisen, daß dieser ein Moment an der Oberfläche der kapitalistischen Produktionsweise, die Konkurrenz, zu deren wesentlicher Bestimmung erklärt. Das ist bei Adorno nicht anders. Die These vom Verschwinden der Konkurrenz501 als Begründung der Phasendifferenz korrespondiert der oben entwickelten zentralen Stellung des Begriffs des Tausches bei Adorno. Weil Adorno ein Moment fürs Ganze nimmt, erscheint ihm die »Liquidation des In90

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dividuums« nicht als Auflösung einer spezifischen Vergesellschaftungsform, des Bourgeois des neunzehnten Jahrhunderts, sondern als Zerstörung des Individuums als Subjekt. In den Schriften nach dem Nationalsozialismus ist nicht mehr von einer Liquidation des Individuums als Subjekt, sondern von einer Tendenz dazu die Rede. Damit ist eine andere Bestimmung des Primats der Politik verbunden. Er wird ebenfalls als Tendenz aufgefaßt. 2.4.1.3 Die »Liquidation des Individuums« nach dem Nationalsozialismus In einer späten Schrift, Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, diagnostiziert Adorno ebenfalls Veränderungen in der kapitalistischen Produktionsweise. Die historische Differenz wird aber nicht mehr durch den Unterschied »Konkurrenzkapitalismus« versus »Monopolkapitalismus« bezeichnet, sondern im Terminus »Spätkapitalismus« ausgedrückt. Der Unterschied wird wie in den 40er Jahren an einer Veränderung der Produktionsverhältnisse festgemacht. »Diese sind nicht länger mehr allein solche des Eigentums, sondern der Administration, bis hinauf zu der Rolle des Staates als des Gesamtkapitalisten.«502 Die Veränderung in den Produktionsverhältnissen wird aber nicht mehr aus der Liquidation der Zirkulationssphäre erklärt. Im Mittelpunkt steht nun die Überlegung, die Produktionsverhältnisse würden »nicht mehr selbsttätig«503 funktionieren. Im Unterschied zur früheren Argumentation werden nun alle Gesellschaftsmitglieder als dem ökonomischen Prozeß unterworfen aufgefaßt. Alle, »nicht mehr nur die Massen, sondern auch die Verfügenden und ihr Anhang«,504 seien Objekte des ökonomischen Prozesses. Herrschaft wird also nicht mehr als unmittelbare Herrschaft von rackets, sondern als ökonomisch vermittelt dargestellt. Ökonomisch agieren die einzelnen als Personifikationen ihrer ökonomischen Funktion.505 Das aber können sie nach Adorno nur, weil die Produktionsverhältnisse durch politischen Interventionismus aufrechterhalten werden. Die Differenz zum frühen Kapitalismus, welche die Rede vom Spätkapitalismus begründen soll, wird demnach in einer im Spätkapitalismus notwendigen politisch-administrativen Absicherung der Produktionsverhältnisse gesehen. Im Spätkapitalismus seien im Unterschied zum Liberalismus, den Marx vor Augen gehabt habe, die »Produktionsverhältnisse (…) allerorten erkrankt, beschädigt, durchlöchert.« Adorno folgert daraus, daß »der wirtschaftliche Interventionismus (..) nicht, wie die ältere liberale Schule meint, systemfremd aufgepfropft, sondern systemimmanent«506 sei. Als systemfremd charakterisiert Adorno die politische Gewalt, weil sie nicht der Logik des Äquivalententausches gehorcht. Daß das Systemfremde dem System immanent sei, sei Indiz von dessen Dialektik.507 Der »Umschlag«508 der Phasen wird als Umschlag von 91

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Quantität in Qualität begriffen: Die quantitative Zunahme der Staatseingriffe in die Ökonomie begründe eine qualitative Differenz zwischen Phasen kapitalistischer Entwicklung. Die neue Qualität bestehe darin, daß die »nicht mehr« selbsttätig funktionierenden Produktionsverhältnisse nur noch durch »Systemfremdes«, die politische Gewalt, aufrechterhalten werden könnten, die sich dadurch »als Konstituens des Systems« enthülle. »Telos« des Prozesses sei »der Übergang zu Herrschaft unabhängig vom Marktmechanismus«509. In den 40er Jahren hatte Adorno diesen Prozeß als abgeschlossen, das Telos als schon realisiert aufgefaßt. Weil Adorno das Ziel jetzt als noch nicht realisiert begreift, ist auch die Zerstörung des Individuums als Subjekt noch nicht endgültig. Es bestehe aber eine Tendenz dazu. Die »Rückbildung des liberalen Kapitalismus hat ihr Korrelat an der Rückbildung des Bewußtseins.«510 Die Gültigkeit der Tendenz setzt die Gültigkeit der Begründung des Phasenumschlags voraus. Die Bestimmung der Phasendifferenz ist aber nicht konsistent. Dies wird an zwei Punkten deutlich: an der These, der späte Kapitalismus sei eine »Rückbildung« des frühen (1) und an dem empirischen Beispiel für die neue Qualität des politisch-administrativen Eingriffs in die Ökonomie (2). (1) Für Adorno ist der politische Eingriff in die Ökonomie im späten Kapitalismus Ausdruck einer »Rückbildung« des frühen. »Was von je an der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber der ratio des freien und gerechten Tauschs, und zwar infolge von seinen eigenen Implikationen, irrational: unfrei und ungerecht war, hat derart sich gesteigert, daß ihr Modell zerbröckelt.«511 Weil Akte politischer Gewalt nur konstatierbar sind, sei es »denkbar, daß die gegenwärtige Gesellschaft einer in sich kohärenten Theorie sich entwindet. Marx hatte es insofern leichter, als ihm in der Wissenschaft das durchgebildete System des Liberalismus vorlag. (...) Die Irrationalität der gegenwärtigen Gesellschaftsstruktur verhindert ihre rationale Entfaltung in der Theorie.«512 Demnach überwiegen im frühen Kapitalismus die rationalen Momente, der Äquivalententausch, gegenüber den irrationalen, der politischen Gewalt. »Rückbildung« ist der späte Kapitalismus also, weil sich das Verhältnis von rationalen und irrationalen Momenten sich in ihm zu Ungunsten der rationalen verschoben hat. Während früher die »ratio des freien und gerechten Tauschs« überwogen habe, überwiege heute die Kontingenz der politischen Gewalt. Die Unterstellung, daß es im frühen Kapitalismus rationaler zugegangen sei, ist nicht plausibel. Die »ratio des freien und gerechten Tauschs« ist eine Fiktion. Ich habe in Kapitel 2.2 gezeigt, daß dem Äquivalententausch in der kapitalistischen Produktionsweise Irrationales, ein gesellschaftliches Gewaltverhältnis, vorausgesetzt ist. Was sich »gesteigert« hat, ist nicht das irrationale Moment, sondern der gesellschaftliche Reichtum. Das Anwachsen des gesellschaftlichen Reichtums konnte Marx in den Reproduktionsschemata als stärkeres Wachstum der Abteilung zur Produktionsmittelproduktion im Vergleich zur Abteilung zur Konsumtionsmittelproduktion erklären. Unter dieser Voraus92

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setzung ist der gegenwärtige Kapitalismus keine »Rückbildung« des frühen, sondern seine konsequente Entfaltung. (2) Adorno illustriert die Durchlöcherung der Produktionsverhältnisse an einem empirischen Beispiel, der Produktion von Rüstungsgütern: »Die Produktionsverhältnisse könnten schwerlich ohne die apokalyptische Erschütterung erneuter Wirtschaftskrisen so hartnäckig sich behaupten, würde nicht ein unmäßig großer Teil des Sozialprodukts, der sonst keinen Markt mehr fände, für die Herstellung von Zerstörungsmitteln abgezweigt.«513 Deshalb bezeichnet Adorno den »wirtschaftlichen Interventionismus« auch als »Inbegriff von Selbstverteidigung«514. Das Beispiel gilt aber nur unter der Prämisse, daß zwar um des Profits willen, aber für zahlungskräftige Bedürfnisse der individuellen Konsumtion produziert wird. Genau das unterstellt Adorno.515 Unter dieser Prämisse scheint es tatsächlich so, als ob ein »großer Teil des Sozialprodukts« sonst keine Verwendung findet und daher Kapital etwa in die Produktion von Zerstörungsmitteln investiert werden muß. Die Voraussetzung unterstellt aber ein vom Begriff des einfachen Warentausches abgezogenes Modell kapitalistischer Produktion. Das Problem, daß ein »großer Teil des Sozialprodukts« keinen Markt mehr finde, stellt sich nur, wenn die Sphäre der individuellen Konsumtion als der für die kapitalistische Produktionsweise entscheidende Bereich aufgefaßt wird. Das ist Adornos Bestimmung des Zwecks kapitalistischer Produktion – Produktion um der Produktion willen – gerade entgegengesetzt. Um die Produktion um der Produktion willen als Zweck der kapitalistischen Produktion begründen zu können, habe ich den Begriff des gesellschaftlichen Gesamtkapitals bei Marx entwickelt. Im Zuge seiner Darstellung konnte die für den kritischen Subjektbegriff zentrale Bestimmung, die Reduktion der Subjekte auf bloße Mittel der Selbsterhaltung, begründet werden. Der Begriff des gesellschaftlichen Gesamtkapitals implizierte zwingend, daß die Produktionsmittelproduktion stärker wächst als die Konsumtionsmittelproduktion. Unter dieser Voraussetzung ist aber keine Durchlöcherung der Produktionsverhältnisse zu begründen. Die aus Steuermitteln finanzierte Rüstungsproduktion ist dann keine Reaktion auf durchlöcherte Produktionsverhältnisse, sondern eine durch den Staat vermittelte Umverteilung von Kapital, die nicht aus einer unzureichenden Funktion der Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise folgt. An den historischen Implikationen des Beispiels wird sein Widersinn offenbar: Schon der frühe Kapitalismus wäre eigentlich ein später, weil nach Adornos Begründung der Phasendifferenz auch die imperialistischen Militäraktionen der europäischen Staaten und die Aufrüstung vor dem Ersten Weltkrieg unter den Terminus Spätkapitalismus fallen müßten. Die Untersuchung der Begründung von Veränderungen in der ökonomischen Struktur der Gesellschaft bei Adorno und Pollock hat gezeigt, daß ein Primat 93

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der Politik, der die Geltung der Gesetze der kapitalistischen Warenproduktion bestreitet, nicht zu begründen ist. Das nährt die Vermutung, daß sich eine Phasenunterscheidung aus einer Veränderung der ökonomischen Struktur nicht begründen läßt. Damit verliert auch der Einwand von Adorno gegen Marx, er habe eine bestimmte Phase, nämlich die liberalkapitalistische, auf den Begriff gebracht, wovon die gegenwärtige ökonomische Struktur der Gesellschaft zu unterscheiden sei, seine Substanz. Bei Adorno findet sich jedoch noch eine weitere Argumentation, die von der Identität der ökonomischen Grundstruktur ausgeht und einen Phasenunterschied, damit eine historische Modifikation des kritischen Subjektbegriffs, über den Prozeß der Integration entwickelt. Diese Argumentation wird im folgenden untersucht.

2.4.2 Integration Der Prozeß der Integration der Gesellschaftsmitglieder in die Gesellschaft kennzeichnet nicht direkt Veränderungen in der ökonomischen Struktur der Gesellschaft. »Die ökonomischen Grundprozesse der Gesellschaft, die Klassen hervorbringen, haben aller Integration der Subjekte zum Trotz sich nicht geändert.«516 Der Prozeß der Integration charakterisiert vielmehr Veränderungen in der Gesellschaft, den »Übergang zur verwalteten Welt«517. »Verwaltete Welt« bezeichnet eine zunehmende Vermittlung des individuellen Lebens durch gesellschaftliche Organisationen. Daraus erklärt Adorno Veränderungen in den gesellschaftlichen Bedingungen der Möglichkeit einer bewußten, emanzipatorischen Veränderung der Gesellschaft. »Ohne daß die Massen, und zwar gerade wegen ihrer sozialen Integration, ihr gesellschaftliches Schicksal irgend mehr in den Händen hätten als vor 120 Jahren, entraten sie nicht nur der Klassensolidarität, sondern des vollen Bewußtseins dessen, daß sie Objekte, nicht Subjekte des gesellschaftlichen Prozesses sind, den sie doch als Subjekte in Gang halten.«518 Die geschichtliche Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise beinhaltet die Ausbreitung warenförmig vermittelter gesellschaftlicher Verhältnisse.519 Das heißt, diese Produktionsweise hat die Tendenz, sich nicht warenförmig vermittelte Sozialbeziehungen zu subsumieren, diese Bereiche der Kapitalverwertung zu erschließen. Die Beispiele dafür sind mannigfach; ich greife drei heraus. Reste vorkapitalistischer individueller Reproduktion, der Hintergarten, der in Deutschland beliebte Schrebergarten, die durch familiäre Bindung an dörfliche Lebenszusammenhänge im Notfall gesicherte individuelle Reproduktion etc., existieren zwar noch, aber nicht mehr als Teil der individuellen Reproduktion einer großen Zahl von Gesellschaftsmitgliedern, sondern als Enklave. Die warenförmige Vermittlung der individuellen Reproduktion wird mehr und mehr zur einzigen Form individueller Reproduktion. Das ermöglicht den Zu94

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griff des Produktionsapparates auf die Bedürfnisse. Sie können partiell gesteuert und hervorgebracht werden. Die Produktion gesellschaftlichen Bewußtseins etwa durch Zeitungen wird der Kapitalverwertung unterworfen;520 der technische Fortschritt erschließt neue Bereiche der Bewußtseinsproduktion, etwa die Filmindustrie. Die industrielle Produktion von durch Radio und Film vermitteltem gesellschaftlichen Bewußtsein greift in das Bewußtsein der Individuen ein, strukturiert ihre Phantasie521 und behindert dadurch eigenständiges Denken.522 Schließlich wird durch die fortschreitende Kapitalisierung der Landwirtschaft das Lohnarbeitsverhältnis universalisiert. Damit ist eine Zerstörung traditionaler sozialer Lebenszusammenhänge verbunden, mit der Verstädterung wiederum eine Ausdehnung der warenförmig vermittelten individuellen Reproduktion. Der Ausdehnung der warenförmigen Vermittlung der individuellen Reproduktion korrespondiert nach Adorno die zunehmende Vermittlung des individuellen Lebens durch gesellschaftliche Organisationen523, eine zunehmend »verwaltete Welt«. Z. B. fällt die Versorgung der Rentnerinnen und Rentner nicht mehr in den Aufgabenbereich der Familie, sondern ist, egal, wie diese Versorgung gesellschaftlich geregelt wird, durch Umlageverfahren oder durch Kapitaldeckungsverfahren, durch gesellschaftlichen Organisationen, Rentenversicherungsträger und privatwirtschaftliche, mit der Versorgung, Pflege, Unterbringung der Alten befaßte Betriebe oder Vereine, vermittelt. Diese Vermittlung entzieht zwar die Altenversorgung den Zufällen und der Willkür der familiären Lebensbedingungen und organisiert sie nach allgemeinen, rechtlich geregelten Prinzipien. Sie ist aber auch mit einer Veränderung des Charakters der Sozialbeziehungen verbunden: Die Unmittelbarkeit familiärer Sozialbeziehungen ist aufgelöst und in durch die Organisation vermittelte ersetzt. Folglich verstärkt sich die Abhängigkeit der einzelnen von Gesellschaft. Das ist nur ein Beispiel; es gibt heute kaum einen Lebensbereich, der nicht durch zweckrationale Organisationen und warenförmig vermittelt ist. Integration bezeichnet demnach die zunehmende Vergesellschaftung des individuellen Lebens durch Vergesellschaftung der Bedürfnisse und seine Organisation durch gesellschaftliche Zweckverbände. Integration verändert somit das Kräfteverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Ich werde darauf und auf die sich daraus ergebende Modifikation des kritischen Subjektbegriffs am Ende des Kapitels noch einmal zurückkommen. Der Prozeß der Integration ist von Max Weber als zunehmende Rationalisierung, von Emile Durkheim als Zunahme der organischen Solidarität gegenüber der mechanischen Solidarität begriffen worden. Strittig ist nicht der Prozeß selbst, sondern seine Erklärung. Weber, Durkheim und Adorno sind einig darin, daß er die Gesellschaftsmitglieder zunehmend zur Übernahme definierter Rollen zwingt. Die Erklärung des Prozesses unterscheidet sie aber. Dieser 95

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Unterschied ist wesentlich. Ich werde im folgenden das Spezifische an Adornos Erklärung herausstellen. Zu diesem Zweck werde ich sie insbesondere der Weberschen These von der zunehmenden Rationalisierung kontrastieren. Dies ist nicht zuletzt deshalb geboten, weil in der Sekundärliteratur die Auffassung vertreten wird, Adorno radikalisiere die Webersche These von der zunehmenden Rationalisierung, indem er »alle Ambiguität« des Prozesses »verschwinden«524 lasse. Tatsächlich radikalisiert Adorno Weber nicht, sondern erklärt den Prozeß anders. Bei Weber ist der Prozeß ausweglos. Bei Adorno ist er es nicht. Für Max Weber besteht der geschichtliche Prozeß in einer zunehmenden Rationalisierung.525 Ihm ist die »Fähigkeit und Disposition der Menschen zu bestimmten Arten praktisch-rationaler Lebensführung«526, der okzidentale Rationalismus, vorausgesetzt. Dieser handlungstheoretischen Argumentation korrespondiert eine handlungstheoretische Begründung der Soziologie. Soziologie sei die Wissenschaft vom »sozialen Handeln«527. Handelnde Kollektivgebilde gibt es in dieser Soziologie nicht. Während bei Marx und Adorno das Kapitalverhältnis den Einzelnen als eine anonyme Macht gegenübertritt, die sie als Charaktermasken ökonomischer Funktionen zu »sozialem Handeln« zwingt, ist bei Weber in den Soziologischen Grundbegriffen gesellschaftlicher Zwang in die mehr oder minder rationale Bestimmung des Willens der Individuen verflüchtigt. Der Prozeß der Rationalisierung stellt sich bei Weber wesentlich als funktionale Differenzierung von Ökonomie und Politik dar.528 Für Weber – wie auch für Adorno – ist die bürokratische Verwaltung in einer arbeitsteiligen Gesellschaft unverzichtbar.529 Weber erklärt ganz zu Recht, daß ohne Verwaltung die »moderne Existenzmöglichkeit« für alle, die nicht direkt über lebensnotwendige Versorgungsmittel verfügen, »aufhören« würde.530 Mit der funktionalen Differenzierung geht demnach eine zunehmende Verwaltung aller Lebensbereiche einher. Weber begreift das als »Schicksalhaftigkeit«531. Die Notwendigkeit bürokratischer Verwaltung der Gesellschaft sei unabhängig von der Form gesellschaftlicher Reproduktion. Auch der »rationale Sozialismus« komme nicht umhin, die Verwaltung ›einfach zu übernehmen‹532. Hier, an diesem Punkt, schlägt der Sache nach die Wissenschaft vom »sozialen Handeln« in eine Wissenschaft gesellschaftlichen Zwangs um. Der »okzidentale Rationalismus« selbst drängt unabwendbar zur bürokratischen Organisation der Gesellschaft. Die bürokratische Organisation der Gesellschaft aber integriert die Gesellschaftsmitglieder, indem sie diese zu der Organisation gemäßen Handlungen zwingt. Darin besteht die Dialektik des Rationalisierungsprozesses bei Weber: »Einer der konstitutiven Bestandteile des modernen kapitalistischen Geistes, und nicht nur dieses, sondern der modernen Kultur: die rationale Lebensführung auf der Grundlage der Berufsidee, ist (…) geboren aus dem Geist der christlichen Askese. (...) Der Puritaner wollte Berufsmensch sein, – wir müssen es sein. Denn indem die Askese aus den Mönchszellen heraus in das Be96

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rufsleben übertragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu beherrschen begann, half sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos der modernen, an die technischen und ökonomischen Voraussetzungen mechanisch-maschineller Produktion gebundenen, Wirtschaftsordnung zu erbauen, der heute den Lebensstil aller Einzelnen, die in dieses Triebwerk hineingeboren werden – nicht nur der direkt ökonomisch Erwerbstätigen –, mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist. Nur wie ›ein dünner Mantel, den man jederzeit abwerfen könnte‹, sollte nach BAXTERS Ansicht die Sorge um die äußeren Güter um die Schultern seiner Heiligen liegen. Aber aus dem Mantel ließ das Verhängnis ein stahlhartes Gehäuse werden.«533 Das »stahlharte Gehäuse« einer bürokratisch verwalteten »Wirtschaftsordnung« bringe »Fachmenschen ohne Geist, Genußmenschen ohne Herz«534 hervor. Die Diagnose eines »mächtigen Kosmos der modernen (…) Wirtschaftsordnung«, die den »Lebensstil aller Einzelnen (…) mit überwältigendem Zwang bestimmt«, steht freilich gegen die in den Soziologischen Grundbegriffen formulierte Ausgangsüberlegung, gesellschaftliche Gebilde seien »kollektive Gedankengebilde«535. Webers eigene Analyse hat ihn dazu geführt, Gesellschaft gerade nicht als »Gedankengebilde«, sondern als realen Zwangszusammenhang aufzufassen. Nach dieser Einsicht tritt der gesellschaftliche Zusammenhang der Menschen ihnen als verselbständigter Zwangszusammenhang gegenüber, der ihren »Lebensstil« in immer umfassenderen Maße bestimmt. Eben das, die »substantielle Auffassung« sozialer Gebilde, wollte die Begründung der Weberschen Soziologie vermeiden.536 Während Weber in diesen Passagen bei der Konstruktion der Gesellschaft als Zwangszusammenhang konsequent gegen seine nominalistische Grundposition argumentiert, hat Emile Durkheim von vornherein die Soziologie als Wissenschaft von der zwingenden Kraft der gesellschaftlichen Tatsachen begriffen. Webers Einsicht in das »stahlharte Gehäuse« ist exakt die Überlegung, die am Grunde der Soziologie Durkheims liegt. Hier findet sich in der Tat ein Berührungspunkt dieser beiden schulbildend gewordenen soziologischen Theorien. Im Unterschied zu Weber, für den gesellschaftliche Organisationen »Gedankengebilde« sind, sind für Durkheim die soziologischen Tatbestände solche, die »auf den Einzelnen einen äußeren Zwang« ausüben.537 Emile Durkheim ist der Prozeß zunehmender Vergesellschaftung in Über soziale Arbeitsteilung nicht unter dem Titel Rationalisierung, sondern unter dem Aspekt des gesellschaftlichen Zusammenhalts thematisch. Er unterscheidet zwei Arten von gesellschaftlicher Solidarität, mechanische und organische Solidarität. Mechanische Solidarität, das tradierte Kollektivbewußtsein, charakterisiert Durkheim als eine »Solidarität sui generis«, die das Individuum »direkt an die Gesellschaft bindet«538. Die mechanische Solidarität bezeichnet der Sache nach nichts anderes als der Begriff der Vergemeinschaftung bei Max We97

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ber oder der der Gemeinschaft bei Ferdinand Tönnies.539 Durkheim besteht aber auf dem Zwangscharakter der mechanischen Solidarität. Das überlieferte Kollektivbewußtsein wirke als realer Zwang auf die Gesellschaftsmitglieder. Nicht anders verhält es sich mit der organischen Solidarität: Sie zwingt die Individuen anders und machtvoller. Die organische Solidarität binde die Gesellschaftsmitglieder nicht durch ein tradiertes Kollektivbewußtsein, sondern durch Kooperation und Arbeitsteilung aneinander.540 Diese Bindung ist nicht direkt, sondern durch Tausch vermittelt. Sie wird von Durkheim konsequent als die festere begriffen, weil sie aus der allseitigen materiellen Abhängigkeit der Gesellschaftsmitglieder voneinander resultiert. Der geschichtliche Prozeß besteht nach Durkheim darin, daß die Arbeitsteilung die vormalige Rolle des Kollektivbewußtseins übernimmt.541 Im Unterschied zu Weber und Adorno ist für Durkheim der Fortschritt von der mechanischen zur organischen Solidarität zwar mit einer stärkeren Abhängigkeit der Individuen voneinander, zugleich aber einem Fortschritt der Individuierung verbunden.542 Deshalb wird er nicht als »Verhängnis« bezeichnet. In Webers Charakterisierung des »stahlharten Gehäuses« einer bürokratisch verwalteten kapitalistischen Wirtschaftsordnung und seiner Folgen für die Individuen als »Verhängnis«543 setzt sich ein irrationales Moment in der These von der zunehmenden Rationalisierung durch. Jürgen Habermas hat betont, daß »Adornos Formel von der ›verwalteten Welt‹ ein Äquivalent für Webers Vision des ›stahlharten Gehäuses‹ ist«544. Indes besteht zwischen dem »Verhängnis« des »stahlharten Gehäuses« und dem »Erschrecken« vor der »verwalteten Welt«545 ein wesentlicher Unterschied: Bei Weber gründet das »stahlharte Gehäuse« im Prozeß der Rationalisierung selbst. Eben deshalb ist es »Schicksal« oder »Verhängnis«. Für Adorno gründet die verwaltete Welt in gesellschaftlicher Herrschaft, in einer Produktionsweise, deren Zweck nicht in der Minderung der Lebensnot der Gesellschaftsmitglieder, sondern in der »Produktion um der Produktion willen« besteht.546 Gesellschaftliche Herrschaft ist kein »Schicksal«, sondern veränderbar. Deshalb begreift Adorno die verwaltete Welt auch nicht als »Schicksal«, sondern erschrickt vor ihr. Es ist daher gerade nicht so, daß Adorno die Webersche Diagnose radikalisiert. Umgekehrt: Adorno erklärt den Prozeß anders. Weil er ihn anders erklärt, ist er im Unterschied zu Weber nicht ausweglos. Bei Weber ist der »Fachmensch ohne Geist« bzw. der »Genußmensch ohne Herz« eine zwingende Konsequenz des Rationalisierungsprozesses. Weil sich für Adorno im Unterschied zu Weber die zunehmende Organisation der Gesellschaftsmitglieder unter der Bedingung gesellschaftlicher Herrschaft vollzieht, besteht für ihn das Problem gerade nicht in einer immanenten, unabwendbaren Tendenz des okzidentalen Rationalismus. »Organisation als solche ist weder böse noch gut, sie kann beides sein, und ihr Recht und ihr Wesen hängen ab von dem, in dessen Dienst sie steht.«547 Weil die Organisationen Teil des Herrschaftssystems sind, sind sie zwar zweckratio98

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nal, aber der gesellschaftliche Zweck, an dem sie partizipieren, ist irrational. Aus der Partizipation der rational strukturierten Organisationen an einem irrationalen gesellschaftlichen Zweck schließt Adorno auf den »Doppelcharakter« der Organisation.548 Dieser Doppelcharakter ist aber nicht einer der Organisation selbst, sondern entsteht unter Bedingungen gesellschaftlicher Herrschaft und ist daher prinzipiell veränderbar. Allerdings verändern sich die Bedingungen der Möglichkeit gesellschaftlicher Emanzipation durch Integration. Die zunehmende Vermittlung der Individuen und ihres Lebens durch Gesellschaft verstärkt ihre Abhängigkeit von Gesellschaft und verändert die Sozialisationsbedingungen. Wenn die These von der zunehmend warenförmigen und der dadurch bedingten zunehmenden Vermittlung des individuellen Lebens durch gesellschaftliche Organisationen richtig ist, »schrumpft« die gesellschaftliche Basis, auf der sich das Individuum entfaltet.549 Sie schrumpft, weil das, wodurch sich das Individuum als Besonderes von anderen Individuen unterscheidet, sein Charakter, seine Eigenheiten, sich nicht mehr dauerhaft ausbilden oder verfestigen können. Wenn sein Handeln zunehmend durch gesellschaftliche Rollen, die es einnehmen muß, vorbestimmt ist, so ist es abhängig von der Fähigkeit, diese Rollen einnehmen zu können. Das hat zur Voraussetzung, daß ihm sein eigener Charakter dabei nicht im Weg steht. Das heißt, das Individuum als spezifische Vergesellschaftungsform einer Gesellschaft mit kapitalistischer Produktionsweise zerfällt. »Die Menschen büßen ihre Eigenschaften ein, die sie nicht mehr brauchen und die sie nur behindern; der Kern von Individuation beginnt zu zerfallen.«550 Darin besteht der exakte Sinn der Rede von der Tendenz des Verschwindens des Individuums. An ihr läßt sich allerdings eine zwar nicht auf die ökonomische Struktur, aber auf die Gesellschaft bezogene Differenz zwischen einer frühen und einer späten Phase des Kapitalismus festmachen: Sie besteht in der Veränderung der Vergesellschaftungsform Individuum bzw. in den durch den Prozeß der Integration veränderten Eingriffsmöglichkeiten in den gesellschaftlichen Zusammenhang: Das Individuum ist nur als gesellschaftlich vermitteltes, es ist aber als selbständiges der Gesellschaft auch entgegengesetzt. Um als Subjekt handeln zu können, ist das Moment von Selbständigkeit gegen die Gesellschaft unabdingbar. Dieses Moment wird von Integration angegriffen. Deshalb modifiziert der Begriff der Integration den kritischen Subjektbegriff nicht hinsichtlich des gesellschaftlichen Zwangs zur Produktion von Mehrwert, dem die Subjekte unterworfen sind, sondern hinsichtlich der Möglichkeit des Eingriffs in den gesellschaftlichen Zusammenhang. Ob mit dem Prozeß der Integration nicht nur eine historische Veränderung der Eingriffsmöglichkeiten in Gesellschaft, sondern eine Tendenz zur Zerstörung des Individuums als Subjekt verbunden ist, kann erst im dritten Kapitel untersucht werden. Eine Tendenz zur Zerstörung des Individuums als Subjekt läßt sich aus der Diagnose zunehmender Integration allein nicht erklären. Sie 99

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hat psychische Voraussetzungen auf Seiten dieses Subjekts. Deshalb kann aus der Integration allein auch nicht auf eine Veränderung der subjektiven Bedingungen der Möglichkeit zum emanzipatorischen Eingriff in die Produktionsverhältnisse geschlossen werden. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, daß sich aus der Diagnose zunehmender Integration bei Adorno nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Veränderung der Individuationsbedingungen folgern läßt.

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3 Die Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft

Im zweiten Kapitel stellte sich gesellschaftliche Herrschaft als Zwang zur Verausgabung von Mehrarbeit dar. Dadurch wurde der negativ bestimmte Subjektbegriff begründet. Nach Adorno bleibt der gesellschaftliche Zwangszusammenhang den Individuen nicht äußerlich, sondern wird von ihnen verinnerlicht. In einer antagonistischen Gesellschaft seien »die einzelnen Subjekte auch in sich antagonistisch (..), frei und unfrei.«551 Die Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft stellt sich im Individuum als psychischer Konflikt dar. Dessen Verfestigung wird als Ursache einer »lädierten Fähigkeit zur Erfahrung«552 und damit einer verzerrten Auffassung gesellschaftlicher Wirklichkeit begriffen. Demnach ist das Individuum als Subjekt nicht nur hinsichtlich der autonomen Bestimmung seines Willens, sondern auch hinsichtlich seiner Fähigkeit zur Erkenntnis beschädigt. Die Psyche ist Gegenstand der Psychologie, nicht der Gesellschaftstheorie. Damit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der beiden Disziplinen. In dem Aufsatz Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie beantwortet sie Adorno vermittels eines apagogischen Beweises. Wären beide Disziplinen ineinander überführbar, müßte entweder von Psychologischem auf Gesellschaftliches oder von Gesellschaftlichem auf Psychologisches geschlossen werden können. Im ersten Fall wäre Gesellschaftstheorie angewandte Psychologie – eine Auffassung, die Sigmund Freud in späten Jahren vertreten hat.553 Danach wäre Gesellschaftliches aus individuellen Motiven zu erklären. Dann wäre die »individualistische Form der Vergesellschaftung (..) eine außergesellschaftliche, naturhafte Bestimmung des Individuums«554, Gesellschaft aus im eigentlichen Sinne psychischen, d. h. sich im einzelnen abspielenden Konflikten erklärbar. Das führt in einen Widerspruch. Ein sozialer Zusammenhang, der wesentlich durch unmittelbare Abhängigkeitsverhältnisse gekennzeichnet ist, kennt die Vergesellschaftungsform Individuum nicht. Also ist Individuum keine außergesellschaftliche Invariante, sondern selbst durch Gesellschaft vermittelt. Das verweist den Begriff des Individuums an den der Gesellschaft, damit die Psychologie an die Gesellschaftstheorie: Erst unter spezifischen gesellschaftlichen Verhältnissen läßt sich vom Individuum sprechen. Wäre umgekehrt aus Gesellschaftlichem auf die einzelne Psyche zu schließen, müßte entweder die Freiheit der Subjekte bestritten werden. Dann kämen, getreu der frühen behavioristischen Auffassung, unter identischen Bedingungen identische Reaktionen der einzelnen zum Vorschein. Dagegen wäre einzuwenden, daß »unter gleichen Bedingungen (..) manche so und manche ganz anders«555 werden. Oder man müßte irgend etwas Gesellschaftliches unterstellen, 101

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etwa eine Massenseele oder ein Massenbewußtsein, die oder das selbst jeder psychologischen Erklärung enthoben wäre. Damit wäre zwar die metabasis eis allo genos aufgehoben, aber um den Preis, gar nicht über Psychisches, sondern über Gesellschaftliches zu reden. Max Horkheimer hat das in einer seiner frühen Schriften erkannt.556 Wenn Gesellschaftstheorie und Psychologie nicht ineinander überführbar sind, muß doch zwischen beiden eine Beziehung bestehen, und diese Beziehung muß erklärbar sein. Denn die empirischen Menschen sind nicht einfach die Menschen, sondern bestimmte Menschen, die in einer historisch spezifischen Gesellschaftsform leben: Individuum ist eine gesellschaftliche Formbestimmung. Nichts anderes als die Entfaltung dieses Zusammenhangs soll bei Adorno die »volle Einsicht in den Zusammenhalt der gesellschaftlichen Totalität«557 ermöglichen. In der inhaltlichen Bestimmung des Verhältnisses von Psychologie und Gesellschaftstheorie besteht der herausragende Fortschritt in der an Marx orientierten Gesellschaftstheorie, den die Kritische Theorie vollzogen hat.558 Die konkrete Bestimmung des Verhältnisses ist von den frühen Schriften Horkheimers bis zu den späten Schriften Adornos Gegenstand theoretischer Anstrengung. Die Annahme, daß sie sich im Lauf der Zeit verändert hat, liegt daher auf der Hand. Vor allem die frühen, sachlich unter Erich Fromms Einfluß stehenden Aufsätze Max Horkheimers boten Anlaß zur Diskussion und Kritik. In der Auseinandersetzung mit dieser theoretischen Position hat sich Adornos Auffassung der Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft herausgebildet. Die Begründung der Psychologie als »Hilfswissenschaft der Geschichte« durch Max Horkheimer bildet eine theoriegeschichtliche Voraussetzung der Argumentation Adornos. Sie ist zuerst zu erörtern (3.1). Dabei läßt sich zeigen, daß Adornos Auffassung hinsichtlich der Erkenntnis der psychischen Vermittlung gesellschaftlicher Herrschaft einen theoretischen Fortschritt gegenüber der Auffassung Horkheimers darstellt, die deren Schwierigkeiten zum Teil explizit, zum Teil implizit behebt. Eine solche Interpretation gelangt zu wesentlich anderen Resultaten als eine, die aus »der Brüchigkeit der geschichtsphilosophischen Grundlagen« der Kritischen Theorie nach 1937 das Scheitern »einer in interdisziplinärer Form durchgeführten kritischen Gesellschaftstheorie«559 erklärt. Das kann nur gelingen, wenn die Dialektik der Aufklärung als Höhepunkt der Kritischen Theorie vorgestellt wird, auf den auch alle späteren Arbeiten Adornos bezogen werden.560 Im ersten Kapitel konnte dagegen gezeigt werden, daß diese Interpretation den Doppelcharakter der Argumentation in der Dialektik der Aufklärung wie in den späteren Schriften Adornos unterschlägt. Dadurch wird ein anderer Blick auf die Entwicklung der Argumentation Adornos möglich. Adornos Erklärung des verinnerlichten gesellschaftlichen Zwangs hat eine systematische Voraussetzung, den dialektischen Begriff des Ichs. Die Emp102

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fänglichkeit für nicht-rationale, insbesondere autoritäre Meinungen über Gesellschaft wird aus einer Beschädigung der Fähigkeit des Subjekts zur sachlich adäquaten Erkenntnis seiner Lebensbedingungen, zur Selbstreflexion, erklärt. »Wo das Subjekt die Kraft zur vernünftigen Synthesis nicht mehr hat oder sie, verzweifelnd vor Übermacht, verleugnet, dort nistet Meinung sich ein.«561 Hat das Subjekt »die Kraft zur vernünftigen Synthesis nicht mehr«, ist es unfähig zur sachlich adäquaten Einsicht in seine Lebensbedingungen. Eine solche Erklärung steht in Gefahr, die Fähigkeit des individuellen Subjekts zur Selbstreflexion und damit den Begriff des Subjekts zu bestreiten, wenn sie zu der These gelangt, daß das Individuum seine gesellschaftlichen Lebensbedingungen nicht mehr sachlich adäquat reflektieren kann. Eben das ist Adorno oft vorgehalten worden. Dagegen kann gezeigt werden, daß Adorno jene Gefahr mit dem dialektischen Begriff des Ichs abwendet (3.2). Für Adorno sind »Mechanismen und Schemata, die weder voll realitätsgerecht noch als neurotisch oder gar psychotisch zu fassen sind, (..) Gegenstand einer psychoanalytisch erfahrenen Soziologie.«562 Diese »Mechanismen und Schemata« sind nichts anderes als Systeme von Meinungen, in denen Gesellschaft gedeutet wird. Detlev Claussen, ein Vertreter der jüngeren Generation kritischer Theorie, nennt sie Alltagsreligion.563 Nach Adorno ist die »charakteristische Gestalt absurder Meinung heute (..) der Nationalismus.«564 Nationalismus ist keineswegs auf den politischen Bereich beschränkt, er ist ein Phänomen des Alltagslebens und wird von Adorno auch so gefaßt.565 Zwischen gesellschaftlicher Herrschaft und der Identifikation mit dem Kollektiv, Resultat der Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft, besteht eine systematische Beziehung. Adorno hält hier im wesentlichen zwei Erklärungen bereit, deren Verhältnis er als historische Folge begreift: die autoritäre Charakterstruktur und den beschädigten Narzißmus. Die Interpretation kann indes nachweisen, daß der beschädigte Narzißmus nicht historisch auf den autoritären Charakter folgt. Der Begriff des beschädigten Narzißmus löst vielmehr theoretische Probleme, die sich aus dem Begriff des autoritären Charakters ergeben. Deshalb stellt er einen Erkenntnisfortschritt Adornos in der Bestimmung der Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft dar (3.3). Danach ist die historische Veränderung in der inneren Zusammensetzung des Ichs zu entwickeln (3.4). Daraus ergibt sich Adornos These von der zunehmenden Ich-Schwäche. Sie führt in einen Widerspruch: die gesellschaftstheoretische Argumentation postuliert die Zerstörung des Subjekts oder wenigstens eine Tendenz zu seiner Zerstörung und muß zugleich diese Konsequenz bestreiten. Mit Hilfe des dialektischen Begriffs des Ichs kann der Widerspruch gelöst werden (3.5).

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3.1 Theoriegeschichtliche Voraussetzung: Max Horkheimer und die Bestimmung des Kitts der Gesellschaft Bevor Max Horkheimer sich um die Bestimmung des Verhältnisses von Psychoanalyse und einer an Marx geschulten Gesellschaftstheorie bemühte, waren, vor allem von Seiten der Psychoanalyse her, Verknüpfungsversuche unternommen worden, die an einer unzureichenden Kenntnis der Marxschen Theorie litten.566 Von marxistischer Seite wiederum waren Verbindungs- oder Distanzierungsversuche unternommen worden, die durch Eklektizismus oder Abwehr charakterisiert waren.567 Die historische Situation indes stellte die an Marx orientierte Gesellschaftstheorie vor ein Problem, das ohne Psychologie kaum zu lösen war: Der Theorie nach war die Zeit reif für eine Revolution. Allein die Revolution blieb aus. Statt dessen drängte der Faschismus an die Macht. In dieser Situation gab Max Horkheimer dem Institut für Sozialforschung, bisher renommiert durch Veröffentlichungen zu Fragen der Arbeiterbewegung, eine neue Aufgabenstellung: In Frage stand nun, was die Arbeiterklasse jenseits offener militärischer Exekutivgewalt an der Revolution hindert und warum sie zu Teilen zum Faschismus überläuft.568 Ihrer Untersuchung diente die empirische Forschungsarbeit des Instituts.569 Auch wegen dieser empirischen Forschungstätigkeit war das Vertrauen in das emanzipatorische Potential der Arbeiterklasse schon zu Anfang der Institutsarbeit gebrochen. »Angesichts des Stalinismus und des Faschismus sowie der weitgehenden Integration der Arbeiter« ist die »Hoffnung auf eine ›Emanzipation der Arbeiterklasse‹ durch eine genuine Revolution«570 aufgegeben worden. Schon 1932 spricht Horkheimer nicht von der Arbeiterklasse, sondern vom Handeln »numerisch bedeutender sozialer Schichten«571. 1936 hat die Bestimmung des Subjekts emanzipatorischen gesellschaftlichen Handelns den Bezug zur Arbeiterklasse vollständig verloren. Subjekt emanzipatorischen Handelns seien Gruppen, »bei welchen keine verfestigte psychische Struktur den Ausschlag gibt, sondern die Erkenntnis selbst zur Macht geworden ist.«572 In dem berühmtem Aufsatz Traditionelle und kritische Theorie sind Träger der Veränderung nur noch einzelne Subjekte: »Die Konstruktion der Gesellschaft unter dem Bilde einer radikalen Umwandlung, das die Probe seiner realen Möglichkeit noch gar nicht bestanden hat, ermangelt hingegen des Vorzugs, vielen Subjekten gemeinsam zu sein.«573 Das damals gängige Diktum des Marxismus, die Arbeiterklasse sei das Subjekt gesellschaftlicher Emanzipation, war damit aufgegeben. Das unterscheidet Horkheimer von Lukács. Der Sache nach geht die Differenz auf eine unterschiedliche Antwort auf dieselbe Frage zurück. Beide gehen von der gleichen theoretischen Voraussetzung aus: Gesellschaftliche Emanzipation sei an der Zeit, weil ein Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen bestehe.574 Unter dieser Voraussetzung stellt sich beiden dieselbe 104

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Frage: Was verhindert die Revolution? Horkheimers Antwort rekurriert auf die psychoanalytische Theorie. Die Antwort von Lukács tut das nicht. Deshalb gibt Horkheimer die Vorstellung, das Proletariat sei das Subjekt gesellschaftlicher Emanzipation, auf, Lukács nicht. Ich werde im folgenden zunächst den theoretischen Fortschritt von Lukács zu Horkheimer bei der Beantwortung der Frage entwickeln. Die Frage selbst fußt jedoch, wie sich anschließend zeigen wird, auf problematischen theoretischen Voraussetzungen. In der Neuformulierung der Frage besteht der theoretische Fortschritt von Horkheimer zu Adorno. Lukács versichert sich der Möglichkeit der Revolution durch die an Max Weber geschulte »Kategorie der objektiven Möglichkeit.« Sie stellt dem Theoretiker die Aufgabe, gesellschaftlichen Klassen eine bestimmte Gestalt des Bewußtseins zuzurechnen, nämlich die, welche »die Menschen in einer bestimmten Lebenslage haben würden, wenn sie diese Lage, die sich aus ihr heraus ergebenden Interessen sowohl in bezug auf das unmittelbare Handeln wie auf den – diesen Interessen gemäßen – Aufbau der ganzen Gesellschaft vollkommen zu erfassen fähig wären; die Gedanken usw. also, die ihrer objektiven Lage angemessen sind.«575 Über den Ausgang der Klassenkämpfe entscheide, »welche Klasse im gegebenen Augenblick über diese Fähigkeit, über dieses Klassenbewußtsein verfügt.«576 Im Proletariat bestehe aktuell eine Differenz zwischen empirisch vorfindlichem und objektiv möglichem Klassenbewußtsein – dem Klassenbewußtsein, das der objektiven Lage angemessen wäre. Diese Differenz ist bei Lukács verantwortlich für den Fortbestand der bestehenden Gesellschaft. Erklärt wird die Differenz mit »Hindernissen«, die sich »der Verwirklichung dieses Bewußtseins (…) entgegenstellen.«577 Als wesentliches Hindernis bestimmt Lukács die Verdinglichung des Bewußtseins, die er – wie Adorno – aus der Warenform begründet.578 Daher sei die »verdinglichte Bewußtseinsstruktur (..) Grundkategorie für die ganze Gesellschaft.«579 Der Kommunistischen Partei, die organisierte Form des Klassenbewußtseins, fällt die Aufgabe zu, dem Proletariat die Verdinglichung bewußt zu machen. Gelingt dies, »beginnen die fetischistischen Formen der Warenstruktur zu zerfallen.«580 Dann sei der »Kampf um das Bewußtsein«581 gewonnen und die Revolution trete ins Land, weil für das Klassenbewußtsein des Proletariats, das »identische Subjekt-Objekt der Geschichte«582, Theorie und Praxis zusammenfallen.583 Von psychologisch zu erklärenden Phänomenen will Lukács nicht wissen.584 Die Verdinglichung des Bewußtseins kann nur deshalb in den Mittelpunkt der Erklärung rücken, weil Lukács die Bewußtseinsbildung des Proletariers mit seiner Existenz als Lohnarbeiter beginnen läßt, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die in der individuellen Sozialisation gemachten Erfahrungen schon weitgehend verfestigt sind und selbst das Bewußtsein beeinflussen.585 Weil Lukács die außerhalb der Sphäre der Lohnarbeit liegenden, aber für die Bewußtseinsbil105

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dung konstitutiven Sozialisationsprozesse außer Acht läßt, gerät die diagnostizierte Differenz von empirischem Bewußtsein und Klassenbewußtsein zu einer Abstraktion. Anders Max Horkheimer: Er bestimmt die gegenwärtige Phase kapitalistischer Entwicklung wie Lukács als eine, in der eine bessere Gesellschaft infolge des entfalteten Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen möglich sei. Verhindert werde sie, weil die Kultur auf die ökonomische Entwicklung der Gesellschaft586 eine »hemmende Funktion«587 ausübe. Die Überlegung ergibt sich aus dem »dynamischen Begriff der Kultur«588. Er rekurriert auf die Ungleichzeitigkeit von ökonomischer und kultureller Entwicklung. Die Trägheit oder »Eigengesetzlichkeit«589 kultureller Institutionen, etwa der Familie, soll erklären, warum überholte Produktionsverhältnisse fortbestehen. Wenn die Kultur einen hemmenden Einfluß auf die geschichtliche Entwicklung ausübe, sei eine psychologische Erklärung nötig: »Soweit es sich um das Fortbestehen alter Gesellschaftsformen handelt, spielen aber nicht Einsichten, sondern menschliche Reaktionsweisen die Hauptrolle, die sich in Wechselwirkung mit einem System kultureller Einrichtungen auf der Basis des gesellschaftlichen Lebensprozesses verfestigt haben.«590 In solchen geschichtlichen Situationen, in denen das geschichtliche Handeln der Menschen nicht durch Erkenntnis bestimmt sei, werde Psychologie zur »Hilfswissenschaft der Geschichte«591. Der dynamische Kulturbegriff ist daher eine Schnittstelle zwischen Gesellschaftstheorie und Psychologie.592 Was bei Lukács systematisch ausgeblendet wurde, gerät also durch den dynamischen Kulturbegriff in den Blick: die Sozialisation. Entsprechend rückt nicht der Begriff der Verdinglichung, sondern die psychische Vermittlung von Gesellschaft in den Mittelpunkt des theoretischen Interesses: »Daß die Menschen ökonomische Verhältnisse, über die ihre Kräfte und Bedürfnisse hinausgewachsen sind, aufrecht erhalten, anstatt sie durch eine höhere und rationalere Organisationsform zu ersetzen, ist nur möglich, weil das Handeln numerisch bedeutender sozialer Schichten nicht durch die Erkenntnis, sondern durch eine das Bewußtsein verfälschende Triebmotorik bestimmt ist.«593 Diese in der Sozialisation ausgebildete Triebmotorik ist die Antwort auf die Frage nach den Ursachen der Empfänglichkeit der Massen für faschistische Propaganda. Sie sei ein »gleichsam geistiger Kitt der Gesellschaft«594. Inhaltlich wird der Kitt als »Verinnerlichung oder wenigstens Rationalisierung und Ergänzung des physischen Zwangs«595 bestimmt: die autoritäre Charakterstruktur. Im Kern besagt der Begriff des autoritären Charakters, daß sein Träger infolge einer spezifischen, psychisch verfestigten Ambivalenz zwischen Unterwerfung und Rebellion an der bestehenden Gesellschaftsordnung festhält, weil diese ihm die Möglichkeit eröffnet, die Ambivalenz in der Identifikation mit einer personal vorgestellten Herrschaft gegen identifizierbare schwächere Gruppen auszuagieren. Adorno und Horkheimer haben deshalb vom 106

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»Radfahrersyndrom« gesprochen. Die bei der Freudschen Massenpsychologie ihren Ausgangspunkt nehmende Erklärung besagt weiterhin, daß der autoritäre Charakter seine Aggressionen gegen Fremdgruppen richten muß596, weil er nicht in der Lage ist, sie gegen Autoritäten der eigenen Gruppe zu richten.597 Entscheidend ist der psychische Gewinn, den der Autoritäre daraus zieht: Die Projektion der eigenen innerpsychischen Konflikte auf das Verhältnis von eigener Gruppe und Fremdgruppe läßt ihm diese als bedrohlich erscheinen und setzt ihn in die Lage, den Haß auf die Autoritäten der eigenen Gruppe gegen die Fremdgruppe zu richten und sich zugleich ins Einverständnis mit der Autorität der eigenen Gruppe zu setzen. Dieser Mechanismus erklärt, warum der Autoritäre nur auftritt, wenn er sich des heimlichen oder ausgesprochenen Einverständnisses der Eigengruppe gewiß sein kann. Er rebelliert, aber er rebelliert konformistisch.598 Im Zentrum nicht Horkheimers, aber Fromms Argumentation steht der Begriff der Anpassung: »Die sozialpsychologischen Erscheinungen sind aufzufassen als Prozesse der aktiven und passiven Anpassung des Triebapparats an die sozialökonomische Situation.«599 Ihren Ausgangspunkt nimmt die Entwicklung des autoritären Charakters in der Familie. Sie gilt als die entscheidende Instanz, welche die Anpassung vermittelt. Fromm nennt sie daher auch »psychologische Agentur der Gesellschaft«600. »Die äussere in der Gesellschaft wirksame Gewalt tritt dem in der Familie aufwachsenden Kind in der Person der Eltern und in der patriarchalischen Kleinfamilie speziell in der des Vaters gegenüber.«601 Vermittels des psychischen Mechanismus der Identifizierung verinnerliche das Kind die elterliche Autorität in Gestalt des Über-Ichs.602 Weil aber die gesellschaftliche Stellung der Eltern, und zwar vor allem die des Vaters, sich im Zuge der Entfaltung des Kapitalismus verändert habe, bleibe das Über-Ich äußerlich.603 Die Überlegung zielt ihrem historischen Gehalt nach auf den Zerfall des mittleren Bürgertums. Systematisch, und insofern geht der in Autorität und Familie entfaltete Gedanke über das schon Gesagte hinaus, zehrt die Erklärung des autoritären Charakters von der mit der Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise zunehmenden ökonomischen Funktionslosigkeit der Familie. In vorkapitalistischen, vorwiegend agrarischen Produktionsweisen, die auf der Tradierung von lebensgeschichtlich erworbener Erfahrung beruhten, bedurfte die Familie erstens der Alten als Übermittler jener Erfahrung und zweitens der Kinder zur ökonomischen Reproduktion. Diese Notwendigkeit fällt mit der kapitalistischen Produktionsweise fort: die ökonomische Reproduktion der Gesellschaft beruht wesentlich auf der Anwendung wissenschaftlicher Kenntnisse, nicht auf lebensgeschichtlicher Erfahrung; die Kinder sind zur ökonomischen Reproduktion der Familie nicht mehr notwendig. Das führt zu einem veränderten Verhältnis sowohl gegenüber den Alten wie gegenüber den Kindern: die Alten sind objektiv nicht mehr Vermittler von zur Reproduktion notwendigem und aus Er107

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fahrung gewonnenem Wissen,604 die Kinder sind nicht minder nutzlos. Die Familienstruktur und die Weise der Erziehung verändern sich, im Mittelpunkt stehen nun Begriffe wie Liebe, Zuneigung etc.605 Mit der Veränderung der Produktionsweise und der Familienstruktur ist ein für den hier zu erörternden Zusammenhang entscheidender Funktionsverlust der Eltern verbunden: Wissen wird nicht mehr familial, sondern institutionell vermittelt. Das untergräbt die Stellung der Eltern als Autoritätspersonen. Weder deren ökonomische Stellung im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß noch erworbenes Wissen qualifizieren die Eltern zur Autorität, und so reduziert sich diese Autorität auf die faktische Hilflosigkeit der Kinder in den frühen Lebensjahren.606 Der mit Erziehung verbundene Zwang hat daher weder in der gesellschaftlichen noch in der familialen Stellung der Eltern ein Korrelat. Weil dieser Zwang, und das ist Horkheimers zentrales Argument, dem Kind durch selbst gesellschaftlich ohnmächtige Eltern vermittelt wird, produziert die Familie infolge ihrer gesellschaftlichen Funktion, in weitem Maß unabhängig vom Willen der Eltern, Charaktere mit veräußerlichtem Über-Ich, autoritäre Charaktere. 607 Das Über-Ich, die Instanz verinnerlichter Versagung, werde später auf die äußere Autorität projiziert. Die ambivalente Beziehung zur Autorität sei schwer durchschaubar, weil durch den »Akt der Projektion des Über-Ichs auf die Autoritäten (..) diese weitgehend der rationalen Kritik entzogen«608 würden.609 Damit schien eine Antwort auf die Ausgangsfrage gefunden, warum der nach Horkheimers Auffassung überholte gesellschaftliche Zustand aufrechterhalten wird. Die Begründung der Psychologie als »Hilfswissenschaft der Geschichte« fußt jedoch auf problematischen Voraussetzungen,610 deren immanente Kritik einen Erkenntnisfortschritt innerhalb der Kritische Theorie kennzeichnet. Dabei handelt es sich um drei Voraussetzungen: Erstens die These, daß eine geschichtliche Epoche fortschrittliche und hemmende Phasen durchlaufe (3.1.1), zweitens die These vom Gegensatz zwischen Bedürfnissen und Gesellschaftsstruktur (3.1.2) und drittens die These von der Aufrechterhaltung der bestehenden Produktionsweise durch »die Regierungskunst, die Machtorganisation des Staates, in letzter Linie die physische Gewalt«611 (3.1.3).

3.1.1 Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen Horkheimers Frage nach den Hinderungsgründen der Revolution stellt sich nur unter der Voraussetzung der These vom Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, die auf die Marxsche Theorie zurückgeht. Die Fassung des Widerspruchs ist bei Marx nicht einheitlich; er stellt sich im Kapital anders dar als in den Schriften vor dem Kapital.612 Die Differenz zwischen den beiden Formulierungen des Widerspruchs bei Marx ist wesentlich. In den Schriften vor dem Kapital wird eine durch die Pro108

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duktivkräfte vermittelte Relation zwischen Gesellschaftsepochen hergestellt. Die Entwicklung der Produktivkräfte gilt hier als geschichtliches Bewegungsprinzip und vermittelt den geschichtlichen Fortschritt der Produktionsweisen: Tritt die Entwicklung der Produktivkräfte in Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen, wird auf dieser Grundlage früher oder später eine neue Produktionsweise hergestellt. Im Kapital dagegen wird der Widerspruch nicht mehr als geschichtliches Bewegungsprinzip begriffen. Hier erklärt er die permanente Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Produktionsprozesses: Das Mittel der Selbstverwertung des Kapitals, die Steigerung der Produktivkraft der Arbeit, gerät in Widerspruch zu dieser Selbstverwertung. Damit wird gerade keine durch die Produktivkräfte vermittelte Relation zwischen Gesellschaftsepochen hergestellt, sondern eine Aussage über einen immanenten Widerspruch in der bestehenden Produktionsweise getroffen. Horkheimer argumentiert mit der ersten Variante des Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen und konstruiert daraus einen »Motor der Geschichte«613: »Wird durch das Wachstum der produktiven menschlichen Fähigkeiten eine neue Produktionsweise möglich, welche die Allgemeinheit besser versorgen könnte als die alte, so verhindert das Bestehen der gegebenen sozialen Struktur mit den ihr entsprechenden Institutionen und verfestigten menschlichen Dispositionen zunächst, daß sie sich als herrschende ausbreitet. Daraus ergeben sich die gesellschaftlichen Spannungen, welche in den geschichtlichen Kämpfen zum Ausdruck kommen und gleichsam das Grundthema der Weltgeschichte bilden.«614 Der »dynamische Kulturbegriff«, also die These von den fortschrittlichen und hemmenden Phasen der Kultur in einer Epoche, ist nichts anderes als die konsequente Entfaltung dieser Fassung des Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Fortschrittlich heißt nach Horkheimer eine Phase, in der sich die Produktivkräfte unter den vorherrschenden Produktionsverhältnissen entfalten können und so die Voraussetzungen einer neuen, vielleicht besseren, den menschlichen Bedürfnissen angemesseneren Produktionsweise bilden. Als hemmend wird dagegen eine Phase charakterisiert, in der die Herstellung neuer Produktionsverhältnisse überfällig ist, d. h. die Produktionsverhältnisse dem Stand der Produktivkräfte nicht mehr angemessen sind, aber trotzdem aufrechterhalten werden. Die Konstruktion führt auf zwei Schwierigkeiten, die schließlich zu ihrer Aufgabe nötigten.615 Wenn sich die Geschichte der Menschheit als Geschichte der Herrschaft von Menschen über Menschen darstellt, führt der dynamische Kulturbegriff erstens auf das Problem, dieselbe Herrschaft in einer geschichtlichen Epoche einmal als vernünftig, einmal als unvernünftig begreifen zu müssen – vernünftig in der fortschrittlichen Phase, unvernünftig in der hemmenden. »Durch ganze Zeitspannen hindurch lag Unterordnung im eigenen Interesse der Beherrschten wie die des Kindes unter eine gute Erziehung. Sie war eine Be109

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dingung für die Entwicklung menschlicher Fähigkeiten.«616 Für die Beherrschten aber ist Herrschaft prinzipiell nicht in ihrem Interesse. Indem Horkheimer den Zwang zur Produktion von Mehrprodukt einem geschichtlichen Prinzip, der »Entwicklung menschlicher Fähigkeiten«, subsumiert, kehrt zweitens durch die Hintertür zurück, was er am Hegelschen Begriff der Geschichte gerade kritisiert hatte: daß deren »Resultate (…) Zeugnis ablegen von der Macht der Vernunft.«617 Der Hegelsche Weltgeist ist nur durch die »Dialektik zwischen den verschiedenartigen in der Auseinandersetzung mit der Natur wachsenden Kräften und veralteten Gesellschaftsformen«618 ersetzt. Weil Horkheimer die Struktur der Hegelschen Argumentation beibehält, muß er den Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen zum Subjekt der Geschichte machen. So gerät die sozialpsychologische Erklärung der hemmenden Phasen zu einem Mittel, das der Geschichte hilft, ihr Ziel zu realisieren – Horkheimer spricht explizit von einer »den Bedürfnissen der Geschichte entgegenkommenden Sozialpsychologie«619. Das ist nicht zu halten. »Die Geschichte« hat kein Bedürfnis, die Psychologie ist daher auch keine »Hilfswissenschaft der Geschichte«. Adorno hat das Problem nicht, weil er Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte nicht nach Art des frühen Marx ins Verhältnis eines Widerspruchs setzt. Adorno kritisiert diese Fassung explizit.620 Bezogen auf das Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen vertritt Adorno den Marx des Kapital gegen Horkheimer. In der Negativen Dialektik ist von einem dialektischen Verhältnis von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen die Rede.621 Im Unterschied zu Horkheimer faßt Adorno das Verhältnis nicht als »Motor der Geschichte«. Dialektisch ist es, weil die Entfesselung der Produktivkräfte durch die Produktionsverhältnisse menschlichere Produktionsverhältnisse ermöglicht und zugleich verhindert, indem »der Triumph der technischen Produktivität dazu taugt vorzuspiegeln, die Utopie, unvereinbar mit den Produktionsverhältnissen, sei in deren Rahmen bereits verwirklicht.«622 Deshalb stellt sich bei Adorno die Frage nach der Psychologie anders. Sie soll nicht mehr das Ausbleiben der Revolution, sondern den Zusammenhalt einer herrschaftlich verfaßten Gesellschaft erklären.

3.1.2 Bedürfnis und Gesellschaftsstruktur Eine zweite Voraussetzung, die mit der Begründung der Psychologie als »Hilfswissenschaft der Geschichte« in der frühen Kritischen Theorie einhergeht, ist die These vom Gegensatz zwischen Bedürfnissen auf der einen und der Gesellschaftsstruktur auf der anderen Seite. Nach der oben zitierten zentralen Überlegung wird die bestehende Produktionsweise nur aufrechterhalten, weil die eigentlich darüber »hinausgewachsenen« »Kräfte und Bedürfnisse« der Menschen durch eine »das Bewußtsein verfälschende Triebmotorik«623 behin110

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dert werden. Die Notwendigkeit, den Begriff »Bedürfnis« objektiv zu bestimmen, führt auf eine Schwierigkeit: Wenn Bedürfnisse gesellschaftlich vermittelt, also geformt sind, impliziert eine Entgegensetzung von Bedürfnis und Gesellschaftsstruktur die Annahme von Bedürfnissen, die nicht gesellschaftlich geformt sind. Diese Konsequenz ist bei Horkheimer in der Überlegung angedeutet, die herrschenden Produktionsverhältnisse »stehen in argem Mißverhältnis (…) zu den wirklichen Bedürfnissen der Menschen«624. Was aber ist ein »wirkliches Bedürfnis« und wodurch unterscheidet es sich vom unwirklichen? Ersichtlich führt eine solche Argumentation auf die Distinktion zwischen echten, wirklichen oder wahren und unechten, unwirklichen oder falschen Bedürfnissen. Wenn Bedürfnisse gesellschaftlich vermittelt sind, so läßt sich das »wirkliche Bedürfnis« nur noch in der Menschennatur selbst als der gesellschaftlichen Vermittlung entzogenes verankern. Erich Fromm hat diese Konsequenz gezogen.625 Die These vom wirklichen Bedürfnis hat nach langen Diskussionen im Institut für Sozialforschung mit Adornos Aufsatz Thesen über Bedürfnis eine abschließende Kritik gefunden. Dessen erste These steht gegen eine Unterscheidung zwischen wirklichen und unwirklichen, wahren und falschen Bedürfnissen: »Bedürfnis ist eine gesellschaftliche Kategorie.«626

3.1.3 Stummer Zwang und physische Gewalt Neben die Begründung der Psychologie als »Hilfswissenschaft der Geschichte« durch die These von der produktiven und der hemmenden Funktion der Kultur in der gesellschaftlichen Entwicklung tritt in Autorität und Familie eine weitere: Nach Horkheimer genügt »der Zwang in seiner nackten Gestalt keineswegs (..), um zu erklären, warum die beherrschten Klassen auch in den Zeiten des Niedergangs einer Kultur, in denen die Eigentumsverhältnisse wie die bestehenden Lebensformen überhaupt offenkundig zur Fessel der gesellschaftlichen Kräfte geworden waren, und trotz der Reife des ökonomischen Apparats für eine bessere Produktionsweise das Joch so lange ertragen haben.«627 Die bestehende Produktionsweise wird demnach wesentlich aus zwei Gründen aufrechterhalten: wegen des physischen Zwangs und wegen dessen Verinnerlichung. Das ist die dritte Voraussetzung, auf der Horkheimers Begründung der Psychologie als »Hilfswissenschaft der Geschichte« ruht. Der »Zwang in seiner nackten Gestalt« spielt aber gar nicht die ihm von Horkheimer zugesprochene entscheidende Rolle bei der Reproduktion einer Gesellschaft mit kapitalistischer Produktionsweise. Nackter Zwang ist für die Herstellung der Voraussetzungen einer kapitalistischen Produktionsweise in der »ursprünglichen Akkumulation« unabdingbar, nicht aber für ihre Aufrechterhaltung. Im Mittelpunkt steht hier der »stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse«. Stummer Zwang der Verhältnisse heißt: Durch den Verkauf der 111

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Ware Arbeitskraft wird das Kapitalverhältnis, damit den Zwang, die Arbeitskraft zu verkaufen, reproduziert. Deshalb heißt es bei Marx: »Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch angewandt, aber nur ausnahmsweise.«628 Horkheimer, dem der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse nicht unbekannt war, ersetzt ihn durch außerökonomischen Zwang. Hätte er vom stummen Zwang der Verhältnisse, nicht vom drohenden Lärm der Gewehre gesprochen, wäre ihm zugleich die Begründung der Psychologie als »Hilfswissenschaft der Geschichte« zergangen. Auch diese dritte Voraussetzung der Begründung der Psychologie als Teil der Gesellschaftstheorie wurde aufgegeben. Die durch den stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse vermittelte Selbsterhaltung der Gesellschaftsmitglieder gilt Adorno gerade als Grund der Anpassung an diese.629 Der Erkenntnisfortschritt des frühen Horkheimer gegenüber Georg Lukács besteht darin, daß er auf die gleiche Frage: Was verhindert die Revolution?, eine Antwort gibt, in der die individuelle Sozialisation als wesentliches Moment der Subjektkonstitution begriffen werden kann. Deshalb kann Horkheimers Antwort auf psychologische Erklärungen zurückgreifen. Die eben dargestellten problematischen Voraussetzungen der Frage nach den Hinderungsgründen der Revolution stellen die Frage selbst zur Disposition. Eben darin, in der Neuformulierung der Frage, besteht der entscheidende immanente Fortschritt in der Kritischen Theorie. Auch Adorno geht davon aus, daß die psychische Verfassung der einzelnen wesentlich an der Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse beteiligt ist, aber er begründet diesen Zusammenhang anders. Zur Klärung steht nicht mehr, warum die Revolution ausbleibt, sondern eine gesellschaftliche Erscheinung, das massenhafte nicht-rationale gesellschaftliche Handeln der Gesellschaftsmitglieder. »Als Medium gesellschaftlicher Erkenntnis wird Psychologie relevant erst angesichts irrationaler Verhaltensweisen von Einzelnen und v. a. von Gruppen.«630 Auch diese Frage ist voraussetzungsvoll, aber sie ist es in anderer Weise. Sie unterstellt, daß der Unterschied zwischen rationalen und nichtrationalen Verhaltensweisen bestimmbar ist. Dieser Unterschied steht, wie sich gleich zeigen wird, im Zentrum des dialektischen Begriffs des Ichs. Sie hat aber nicht mehr das Problem, die Nichtexistenz von etwas, der Revolution, erklären zu müssen. Die Frage nach dem nicht-rationalen gesellschaftlichen Handeln muß so, wie sie von Adorno gestellt wird, weder einen Widerspruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen in der Version des frühen Horkheimer unterstellen noch den Begriff des Bedürfnisses ontologisieren, und schließlich muß sie nicht mehr den stummen Zwang der Verhältnisse in physische Gewalt übersetzen.

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3.2 Systematische Voraussetzung: Der dialektische Begriff des Ichs In Kapitel 3.1 habe ich die theoriegeschichtlichen Voraussetzungen der Erklärung der Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft durch Adorno dargestellt und anhand der Veränderung der Fragestellung den Erkenntnisfortschritt von Horkheimer zu Adorno entwickelt. Bevor untersucht werden kann, wie Adorno die Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft erklärt, ist eine systematische Voraussetzung dieser Erklärung zu erörtern: der dialektische Begriff des Ichs. Er soll ermöglichen, die Empfänglichkeit der Individuen für »kollektive Wahnvorstellungen«631 zu erklären, ohne rundheraus den Begriff des Subjekts zu bestreiten, d. h. ohne zugleich behaupten zu müssen, diese Individuen seien zur Selbstreflexion unfähig. Vor diesem Problem steht jede psychoanalytisch orientierte Erklärung nicht-rationaler Massenbewegungen oder Vorstellungen. Ich werde zuerst das Problem, dann die Lösung, die es im dialektischen Begriff des Ichs findet, entwickeln. Gegenstand der sozialpsychologischen Untersuchungen Adornos sind die subjektiven Voraussetzungen der massenhaften Verbreitung nicht-rationaler autoritärer Meinungen über Gesellschaft. Adorno charakterisiert solche massenhaft verbreiteten Meinungen als »Massenmedien«632. Bezeichnet werden damit insbesondere nationalistische, antisemitische, rassistische o. ä. Meinungen. Als Meinung charakterisiert Adorno ein »Bewußtsein, das seinen Gegenstand noch nicht hat.«633 »Pathisch«634 ist eine Meinung, die festgehalten wird. Hier schreitet das Individuum nicht zur Erkenntnis des Gegenstands fort, sondern beharrt auf der sachlich nicht adäquaten Bestimmung des Gegenstands. Jede Meinung tritt mit dem Anspruch auf Geltung auf. Nach Adorno entscheidet über die Geltung der mit Geltungsanspruch auftretenden Meinungen nicht die sachliche Einsicht, sondern die vorherrschende öffentliche Meinung.635 Deshalb kann die sachlich adäquate Auffassung als irrational, die sachlich falsche als rational erscheinen. Zum Beispiel ist die Rede von der »Wiedervereinigung« des deutschen Volkes in einem deutschen Staat gängiger Sprachgebrauch; fast kein öffentliches Medium, das sich zur »Wiedervereinigung« äußert, spricht nicht von ihr oder ihren Folgen so, als ob das deutsche Volk in einem Staat tatsächlich wieder vereinigt worden wäre. Durchgeführt wurde die »Wiedervereinigung« als Beitritt eines Staates, der DDR, zum Geltungsbereich des Gesetzes eines anderen Staates, der BRD. Ein gemeinsamer Staat hat aber nie bestanden. Es gibt daher keine Wiedervereinigung. Sie erscheint als Wiedervereinigung eines deutschen Volkes. Diese unterstellt eine nicht-rationale nationalistische Meinung: die durch Abstammung begründete »Identität« des deutschen Volkes. Im unreflektierten Gebrauch des Terminus Wiedervereinigung ist also ein nicht-rationales Moment der öffentlichen Meinung ausgedrückt, das den Geltungsanspruch der 113

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nationalistischen Meinung praktisch wahr macht; das Irrationale erscheint so normal und gewöhnlich. Gerade diesen normalen Meinungen wendet Adorno seine Aufmerksamkeit zu. Adornos sozialpsychologische Untersuchungen »gehen von der geschichtlichen Erfahrung aus, daß die politischen Erfolge, welche die autoritären Propheten des Untergangs erlangten, nie eine Frage des Randes der Gesellschaft waren, sondern immer das Zentrum betrafen.«636 Die Studien über die Authoritarian Personality haben gezeigt, daß Meinungen nicht isoliert auftreten, sondern als Teil eines Systems von Meinungen. Das zum System zusammengeschlossene Konglomerat von Meinungen, nicht die einzelne Meinung allein, bietet Erklärungen an, »durch die man die widerspruchsvolle Wirklichkeit widerspruchslos ordnen kann, ohne sich groß dabei anzustrengen.«637 Wegen der nicht-rationalen Momente solcher Meinungen638 wird das Beharren auf ihnen von Adorno wie schon von Horkheimer und Fromm aus der psychodynamischen Funktion, die sie für ihren Träger haben, erklärt. Entscheidend sei nicht die »politisch-ökonomische Überzeugung«, sondern die »Charakterstruktur«639. Eben wegen der psychodynamischen Funktion der Meinung sei ihr Träger unempfänglich für rationale Einwände. Die Überlegung ist aller Erfahrung nach berechtigt: Der Versuch, festgehaltenen Meinungen mit Argumenten zu begegnen, ist im normalen Fall aussichtslos. Schon vor über 100 Jahren hat Theodor Mommsen, als er gebeten wurde, sich zum Antisemitismus zu äußern, resigniert bemerkt: »Sie täuschen sich, wenn sie annehmen, daß überhaupt etwas durch Vernunft erreicht werden könnte.«640 Der Begriff des Charakters, der das Festhalten von Meinungssystemen erklären soll, ist bei Adorno dialektisch gefaßt. Charakter ist das Medium der Individuation, das, wodurch sich ein Individuum erst als ein besonderes von einem anderen Individuum unterscheidet.641 In einer antagonistischen Gesellschaft ist der Charakter zugleich »Beschädigung. (...) Man könnte ihn beinahe ein System von Narben nennen, die nur unter Leiden, nie ganz, integriert werden.«642 In dieser Bedeutung bezeichnet der Begriff des Charakters eine verfestigte psychische Struktur, »a more or less enduring organization of forces within the individual. These persisting forces help to determine response in various situations, and it is thus largely to them that consistency of behaviour – wether verbal or physical – is attributable.«643 Stabilität und Festigkeit des Charakters erlauben es, ihn als Determinante der Vorstellungsinhalte und Handlungen seines Trägers aufzufassen.644 Das ermöglicht der Theorie, eine inkonsistente und auf den ersten Blick zusammenhanglos nebeneinander bestehende Vielheit nicht-rationaler Meinungen als Momente eines Systems von Meinungen und dieses System als Ausdruck ein und derselben Charakterstruktur zu begreifen. So unterschiedliche Gebiete von Meinungen wie etwa Erziehungs- und Nationalitätenfragen werden wissenschaftlicher Erklärung zugänglich.645

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Ein zentrales Ergebnis der Authoritarian Personality war die Einsicht, »that individuals who show extreme susceptibility to fascist propaganda have a great deal in common. (They exhibit numerous characteristics that go together to form a ›syndrome‹ although typical variations within this major pattern can be distinguished.) Individuals who are extreme in the opposite direction are much more diverse.«646 Daraus erklärt sich die Homogenität autoritärer Meinungen über Gesellschaft wie die geringe Zahl gleichbleibender Stereotypen, mit denen autoritäre Propaganda auskommt.647 Deshalb wird die autoritäre Charakterstruktur als »basic libidinous constellation«648 begriffen. Die Beziehung zwischen der psychischen Innenwelt, dem Charakter, und der Außenwelt wird durch das Ich vermittelt. Das Ich eines autoritären Charakters wird als schwach bezeichnet, weil es aus psychischen Gründen nicht in der Lage ist, seine eigenen Lebensbedingungen sachlich richtig zu erkennen.649 Adorno bezeichnet diese Unfähigkeit auch, wie oben schon angemerkt, als »lädierte Fähigkeit zur Erfahrung«. Das Ich eines autoritären Charakters erfährt demnach in den unterschiedlichsten Situationen dasselbe. Seine gesellschaftlichen Lebensbedingungen stellen sich ihm gemäß eines im Charakter verfestigten Schemas psychischer Konflikte dar, auf die das Ich aber nicht reflektieren kann. »Das zwanghaft projizierende Selbst kann nichts projizieren als das eigene Unglück, von dessen ihm selbst einwohnenden Grund es doch in seiner Reflexionslosigkeit abgeschnitten ist.«650 Das schwache Ich ist demnach nicht zur sachlich angemessenen Reflexion seiner Lebensbedingungen fähig. Die beschädigte Fähigkeit zur Erfahrung wird von Adorno nicht anders als von Horkheimer als Resultat von Erfahrung begriffen und zwar gemäß der psychoanalytischen Theorie als Resultat der Verfestigung frühkindlicher Erfahrungen. »Die sedimentierte Totalität des Charakters (..) ist in Wahrheit das Resultat einer Verdinglichung von Erfahrungen.«651 Das schwache Ich des Autoritären unterscheidet sich der Struktur nach nicht vom schwachen Ich eines psychisch Kranken. Deshalb bezeichnet Adorno die Vorstellungen des Autoritären als »pathisch«. Wegen dieser strukturellen Gleichheit wird, insbesondere in der psychoanalytischen Literatur über den Antisemitismus, die antisemitische Meinung auch als »soziale Geisteskrankheit« begriffen.652 Adorno hat sich schon in The Authoritarian Personality gegen diese Auffassung gewehrt.653 Denn es ist die Gesellschaft, die definiert, was pathologisch ist und was nicht. Ich habe eben an einem Beispiel dargestellt, daß gesellschaftlich Irrationalismen »normal« sein können. Deshalb sind sie gerade nicht pathologisch. Adorno begreift die subjektiven Voraussetzungen der Empfänglichkeit für pathische Meinungen als »Mittel der Anpassung an eine verhärtete Gesellschaft.«654 Demgemäß wäre das schwache Ich eine gesellschaftliche Normalität. »Unterm Bann der zähen Irrationalität des Ganzen ist normal auch die Irrationalität der Menschen.«655 Die Begründung dieser Über-

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legung bei Adorno untersucht das Kapitel 3.3. In diesem Kapitel sind ihre theoretischen Voraussetzungen Gegenstand. Das starke Ich ist im Unterschied zum schwachen Ich durch »lebendige Erfahrung«656 charakterisiert. Darunter versteht Adorno wesentlich sachlich angemessene Reflexion.657 Rationalität, die Kraft des Ichs, besteht nur in ihrer Entäußerung. Ihre Entäußerung ist nichts anderes als der Fortschritt von der Meinung über Gesellschaft zur Erkenntnis der Gesellschaft. Das starke Ich ist also durch Selbstreflexion, sachlich angemessene Reflexion auf die eigenen Lebensbedingungen, ausgezeichnet. »Eigentlich besteht es [das richtige Bewußtsein, J. W.] nur in der Anstrengung, unermüdlich auf seine Aporien und auf sich selber zu reflektieren.«658 Das starke und das schwache Ich sind demnach, entgegen dem durch die Terminologie erweckten Schein, nicht quantitativ, sondern qualitativ unterschieden. Das starke Ich bezeichnet einen mündigen Menschen.659 Der mündige Mensch ist nicht nur psychologisch bestimmt. Mündig ist, wer ein sachlich angemessenes Bewußtsein von den Bedingungen hat, unter denen er lebt. Adorno bezeichnet den mündigen Menschen auch als »wirklich freien Menschen«: Diese Menschen sind »keineswegs einfach bloß die, welche kein Vorurteil haben, und schon gar nicht waren sie durch eine bestimmte Überzeugung zwangsläufig bestimmt. Vielmehr setzt Freiheit die bewußte Erkenntnis jener Prozesse voraus, welche zur Unfreiheit führen, und die Kraft des Widerstands, die weder vor diesen Prozessen romantisch in die Vergangenheit flüchtet, noch sich ihnen blindlings verschreibt.«660 Daraus folgt, daß der Begriff des Ichs doppelt bestimmt ist. Er hat ein psychologisches Moment und ein nicht-psychologisches Moment. Das psychologische Moment ist bezogen auf die Vermittlung der im Charakter verfestigten psychischen Innenwelt und der Außenwelt. Das nichtpsychologische Moment ist auf die sachlich angemessene Reflexion darauf, also auf die Selbstreflexion der eigenen Lebensbedingungen, bezogen. Die psychologische Deutung nicht-rationaler Meinungen spricht dem Ich, das ihnen anhängt, die Fähigkeit zur sachlich angemessenen Reflexion seiner Lebensbedingungen ab. Darin besteht das theoretische Problem, das in diesem Kapitel gelöst werden muß. Die psychologische Deutung erklärt festgehaltene nicht-rationale Meinungen aus aktuell nicht bewußten innerpsychischen Motiven ihres Trägers. Dieser Erklärung gemäß wäre das schwache Ich Objekt von in einer antagonistischen Welt erfahrenen Beschädigungen, die sich in seinem Charakter niederschlagen. Resultat der Anpassung an eine antagonistische Gesellschaft wäre ein Ich, daß zur Selbstreflexion, zur sachlich angemessenen Reflexion der eigenen Lebensbedingungen, unfähig wäre. Wenn in einer antagonistischen Gesellschaft das schwache Ich das typische Ich ist, müßte die Konsequenz gezogen werden, daß gesellschaftliche Emanzipation unmöglich sei. Die Individuen wären keine Subjekte, sondern »Gefangene ihres eigenen geschwächten Ichs, im tiefsten unfähig zu allem, was über das beschränkte ei116

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gene Interesse oder das ihrer Gruppe hinausgeht.«661 Max Horkheimer hat die Konsequenz einmal in aller Radikalität formuliert: Die Aussicht, »daß die Zahl der einzelnen wächst, deren Urteil nicht starr, sondern sinnvoller Entfaltung fähig ist (...), war schon immer verstellt.«662 Die theoretische Erklärung des schwachen Ichs hat zwei Möglichkeiten: Entweder behauptet man – wie Horkheimer in der zitierten Passage – eine universale Ich-Schwäche. Das würde politisch den Vorwurf einer »elitären Massenverachtung«663 rechtfertigen. Theoretisch führt »die These einer unmittelbaren Entsprechung zwischen den funktionalen Anforderungen des autoritären Spätkapitalismus und den dominanten Zügen des spätbürgerlichen Sozialcharakters« zum »Bild einer systemisch komplett integrierten Gesellschaft«664, d. h. zu der Behauptung, die Individuen seien keine Subjekte mehr, weil sie nicht auf ihre gesellschaftlichen Lebensbedingungen adäquat reflektieren können. Eine solche Überlegung ist aber nicht zu begründen. Sie unterstellt wenigstes für den, der sie formuliert, daß die »unmittelbare Entsprechung« nicht besteht. Eben das bezeichnet Jürgen Habermas als »performativen Widerspruch« der Kritischen Theorie. Oder der Begriff des Ichs wird so formuliert, daß er die Möglichkeit einer sachlich adäquaten Reflexion der eigenen Lebensbedingungen durch das schwache Ich nicht ausschließt. Darin besteht die zweite Möglichkeit. Adorno geht den zweiten Weg. Mit dem dialektische Begriff des Ichs können die Individuen in einem psychischen Sinn als unfrei begriffen werden, ohne ihnen prinzipiell die Möglichkeit zur Einsicht wie zur autonomen Willensbestimmung abzusprechen, ohne also den Begriff des Subjekts einzuziehen. Deshalb bildet der dialektische Begriff des Ichs eine systematische Voraussetzung der Erklärung der Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft (3.2.1). Der dialektische Begriff des Ichs läßt sich anhand der unterschiedlichen Bestimmung des Ichs in den Schriften Freuds zur psychoanalytischen Theorie und zur psychoanalytischen Therapie präzisieren (3.2.2). Den Abschluß des Unterkapitels bildet ein Exkurs zu einem Problem, das sich aus dem dialektischen Begriffs des Ichs für die empirische Untersuchung von Autoritarismus ergibt (3.2.3).

3.2.1 Die zweifache Bestimmung des Ichs im dialektischen Begriff des Ichs »Das Ich fällt als Organisationsform aller seelischen Regungen, als das Identitätsprinzip, welches Individualität überhaupt erst konstituiert, auch in die Psychologie. Aber das ›realitätsprüfende‹ Ich grenzt nicht bloß an ein Nichtpsychologisches, (…) sondern konstituiert sich überhaupt durch objektive (…) Momente, die Angemessenheit seiner Urteile an Sachverhalte. Obwohl selber ein ursprünglich Seelisches, soll es dem seelischen Kräftespiel Einhalt gebieten und es kontrollieren an der Realität: das ist das Hauptkriterium seiner ›Ge117

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sundheit‹. Der Begriff des Ichs ist dialektisch, (…) ein Stück Libido und Repräsentant der Welt.«665 Der Begriff der Seele ist traditionell gleichbedeutend mit dem Begriff der Psyche und umfaßt drei nicht aufeinander reduzierbare Vermögen, das Erkenntnisvermögen, das Begehrungsvermögen und das Gefühl der Lust und Unlust. Während Adorno in der zitierten Passage den Begriff der Seele und den der Psyche gleichbedeutend verwendet, unterscheidet er sie an anderer Stelle. Der »Begriff des Psychologischen (...) hat einzig am Gegensatz der Irrationalität zum Rationalen als einem Außerpsychologischen seine Substanz.«666 Dieser Unterscheidung nach ist der Begriff des Psychologischen auf die Äußerung eines bestimmten Seelenvermögens, das der Lust und Unlust, bezogen. Es umfaßt die affektive Besetzung von Vorstellungen oder Handlungen. Die affektive Besetzung von Vorstellungen oder Handlungen läßt sich nicht nach dem Kriterium wahr bzw. falsch differenzieren. Im Bereich der Irrationalität hat Wahrheit keinen Ort. Den Gegensatz dazu bildet bei Adorno das Rationale, d. h. die Angemessenheit von Urteilen an Sachverhalte. Den Sachverhalten angemessene Urteile sind wahr, ihnen unangemessene falsch. Das Vermögen des Ichs, zwischen wahren und falschen Urteilen zu differenzieren, ist das Erkenntnisvermögen. Dieser Gegensatz zwischen der psychologischen und der nicht-psychologischen Bestimmung des Ichs macht den dialektischen Begriff des Ichs aus. Das Ich ist eines, aber es ist ein anderes nach der Seite der Erkenntnis als nach der psychischen Seite. Das Erkenntnisvermögen erlaubt dem Ich, sein Verhältnis zur Außenwelt wie zur Innenwelt sachlich adäquat zu reflektieren. Diese Reflexion ist Selbstreflexion. Das reflexive Ich hat das Moment der Selbständigkeit gegen die Außen- und die Innenwelt. Diese Selbständigkeit kommt auch dem psychologischen Ich zu, aber sie kommt ihm in anderer Weise zu. Für das psychologische Ich ist der Unterschied zwischen wahr und falsch irrelevant. Sein Problem ist nicht, warum Ansprüche der Innen- und Außenwelt bestehen, sondern daß sie bestehen. Das psychologische Ich ist nicht die Instanz der Reflexion auf Ansprüche der Innen- und der Außenwelt. Der dialektische Begriff des Ichs besteht also darin, daß der Begriff des Ichs in den Bereich des Psychischen fällt, als dessen reflexive »Organisationsform« aber nicht in den Bereich des Psychischen fällt. Als Vermittler zwischen Innen- und Außenwelt fällt das Ich in den Bereich des Psychischen. Insofern es auf diese Vermittlung reflektiert, fällt es nicht in den Bereich des Psychischen. Die beiden Seiten des dialektischen Begriffs des Ich sind von ungleichem Gewicht: Jedes Ich ist psychologisch und hat daher »drei gestrengen Herren«, der »Außenwelt«, dem »Über-Ich« und dem »Es«, zu »dienen«667. Um diesen Dienst zu leisten, muß es zwischen den Ansprüchen seiner »Herren« vermitteln. Aber nicht jedes Ich muß die gesellschaftlichen Bedingungen der Vermittlung reflektieren. Selbstreflexion ist ein Akt aus Freiheit, das heißt, sie ist 118

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spontan. Weil Selbstreflexion spontan ist, kann sie nicht auf anderes zurückgeführt werden. Das Ich ist aber ein Ich, d. h. ihm kommen die beiden Seiten des dialektischen Begriffs des Ichs zu. Das nötigt zur Frage, wie das identische Moment bei Adorno bestimmt ist. In der Dialektik der Aufklärung wird das identische Moment anhand des Begriffs der Projektion entfaltet. Projektion heißt die sinnlich vermittelte Wahrnehmung eines äußeren Gegenstands, die, wenn sie mehr sein soll als ein bloßes »Dies da«, ein begriffliches Moment enthält.668 Projektiv ist die äußere Wahrnehmung, weil sie fürs Subjekt überhaupt nur als sinnlich und begrifflich vermittelte ist.669 Es ist das Subjekt, das die Vermittlung von Sinnesdatum und Begriff zuwege bringt, ohne die es keine Vorstellung vom Ding hat.670 Daß es sie zuwege bringt, hat nicht psychologisch, sondern erkenntnistheoretisch zu bestimmende Voraussetzungen, etwa die synthetische Einheit der Apperzeption oder die spezifisch menschliche, daher geschichtlich vermittelte Verfaßtheit der Sinne.671 Nur unter diesen Voraussetzungen ist es überhaupt möglich, den Unterschied zwischen wahren und falschen Urteilen objektiv zu bestimmen. Erschlossen sind jene Voraussetzungen vom empirischen Subjekt, welches sich in diesem Schluß als Allgemeines, als Subjekt der Erkenntnis weiß. Das machte den äquivoken Begriff des Subjekts aus.672 Die Leistung des empirischen Subjekts, die Vermittlung von Sinnesdatum und Begriff wie die Reflexion darauf, wird von Adorno und Horkheimer bewußte Projektion genannt. Bewußte Projektion heißt: Reflexion auf die Relation von Subjekt und Objekt durch das Subjekt.673 Bewußte Projektion ist also nichts anderes als Selbstreflexion. Fällt die Selbstreflexion, fällt für das Subjekt die Differenz zwischen Innen und Außen. »Die Störung liegt in der mangelnden Unterscheidung des Subjekts zwischen dem eigenen und dem fremden Material.«674 Weil Erkenntnis nicht anders als durch Projektion zu haben ist, niste in deren konstitutiven Voraussetzungen das Potential zur Wahrheit wie zum Wahn.675 Dementsprechend wird die Paranoia als »der Schatten der Erkenntnis«676 bestimmt, als Gegengift die bewußte Projektion, »die ihrer selbst bewußte Arbeit des Gedankens.«677 Das identische Moment der beiden Seiten des dialektischen Begriffs des Ichs – seiner psychologischen und seiner nicht-psychologischen Seite – liegt demnach in der Projektion. Projektion ist in beiden Fällen eine Leistung des Ichs. Die Möglichkeit der Reflexion der Projektion ist daher im Begriff der Projektion enthalten. Wenn die Reflexion ausfällt, wird die Projektion »pathisch«678. In den späteren Schriften Adornos werden die beiden Seiten des dialektischen Begriffs des Ichs durch den Begriff der Rationalisierung vermittelt. Er umfaßt »alle die Aussagen, die unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt Funktionen im seelischen Haushalt des Redenden erfüllen, meist solche der Abwehr unbewußter Tendenzen. (...) Die gleiche Aussage kann wahr oder falsch sein, 119

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je nachdem, ob sie an der Realität oder an ihrem psychodynamischen Stellenwert gemessen wird. (...) In der Rationalisierung, die beides ist, ratio und Manifestation von Irrationalem, hört das psychologische Subjekt auf, bloß psychologisch zu sein.«679 Hier ist im Begriff der Rationalisierung beides, die immanent psychologische Bestimmung des Ichs und die Fähigkeit zur Selbstreflexion, enthalten: Mit der Rationalisierung ist ratio, die Möglichkeit der Reflexion auf die Rationalisierung, gesetzt.680 Der dialektische Begriff des Ichs läßt sich in den Termini Genesis und Geltung präzise fassen: Die Psychologie als »Medium gesellschaftlicher Erkenntnis« muß zwischen psychodynamischer Genesis und sachlicher Geltung unterscheiden. Die psychologische Deutung kommt genau dann in Betracht, wenn das Gegengift gegen die Rationalisierung, die bewußte Projektion, ausfällt, wenn also falsche Vorstellungen festgehalten werden. Die sachliche Geltung einer Aussage fällt allein und ausschließlich in den Bereich des Ichs, der psychologischer Bestimmung entzogen ist. Würde die sachliche Geltung in psychodynamische Genesis aufgelöst, verfiele solche Auflösung in den Widerspruch, daß sie für sich selbst Geltung beanspruchen muß und nicht in Genesis aufgelöst werden kann.681 Bei Adorno firmiert diese Auflösung der Geltung in Genesis unter dem Titel »Psychologismus«.682 Die Bestimmung des Unterschieds zwischen Genesis und Geltung von Aussagen besagt nicht, daß sich nichts über die Genesis sachlich richtiger Aussagen sagen ließe. Jede Aussage hat eine Genesis. Jedoch kann »der Nachweis der Genesis eines Gedankens, ob geistesgeschichtlich, sozialgeschichtlich, psychologisch (…) erbracht, (..) seinen Anspruch auf Wahrheit nicht berühren.«683 Umgekehrt zieht die Verabsolutierung der Geltung gegen die Genesis jene von ihren konkreten Entstehungsbedingungen ab und verkennt damit die Abhängigkeit der Geltung von den Entstehungsbedingungen – im Jahr 1600 hätte eine psychoanalytische Theorie schlechterdings nicht formuliert werden können. Wenn auch keine der beiden Seiten ohne die andere sein kann, so bleibt die eben dargestellte Differenz doch unüberbrückbar. Das ist in dem Satz ausgedrückt: Genesis und Geltung seien »in ihrer Einheit und Differenz zugleich zu denken.«684 Die beiden Seiten des dialektischen Begriffs des Ich lassen sich demnach nicht ineinander überführen. Jedem Ich kommen beide Seiten, die psychologische und die nicht-psychologische, zu. Eben das macht seine dialektische Bestimmung aus. Sie wird von Adorno explizit nicht auf ein starkes Ich, sondern auf das Ich bezogen. Wenn vom schwachen Ich gesagt wird, seine Vorstellungen oder Handlungen seien durch ihm unbewußte Kräfte bestimmt, die dialektische Bestimmung des Ichs aber auch für das schwache Ich gelten soll, folgt, daß es Selbstreflexion, die sachlich adäquate Reflexion der eigenen inneren und äußeren Lebensbedingungen, als Potenz enthält. Das schwache Ich unterscheidet sich vom starken Ich also dadurch, daß es aktuell nicht zur Selbstreflexion fähig ist. Es 120

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enthält die Fähigkeit zur sachlich adäquaten Reflexion seiner inneren und äußeren Lebensbedingungen potentiell. Deshalb bestreitet eine theoretische Erklärung nicht-rationaler autoritärer Meinungen eines schwachen Ichs, die sie auf im Charakter verfestigte Dispositionen zurückführt, nicht prinzipiell die Möglichkeit, daß dieses schwache Ich zur Selbstreflexion fähig ist. Ich habe oben darauf hingewiesen, daß Selbstreflexion nur als spontaner Akt gedacht werden kann, weil reflexive Beziehungen nicht vollständig aus ihren Voraussetzungen erklärbar sind. Ein spontaner Akt ist ein Akt aus Freiheit und kann daher stattfinden oder eben nicht stattfinden. Weil die Selbstreflexion auf die eigenen Lebensbedingungen ein Akt aus Freiheit ist, ist die oben zitierte These Max Horkheimers, die Aussicht, »daß die Zahl der einzelnen wächst, deren Urteil nicht starr, sondern sinnvoller Entfaltung fähig ist«, sei »schon immer verstellt« gewesen, nicht zu halten. Der von Adorno formulierte dialektische Begriff des Ichs steht auch einer Interpretation seiner sozialpsychologischen Schriften entgegen, die davon ausgeht, gesellschaftliche Herrschaft sei von den Individuen nicht mehr zu erfassen. Die Aussage, das schwache Ich reflektiere nicht sachlich adäquat auf seine gesellschaftlichen Lebensbedingungen, heißt gerade nicht, daß es nicht darauf reflektieren könne. Daraus folgt schon an dieser Stelle, daß der später näher zu erläuternde Einwand, Adorno formuliere eine »Theorie der Nichtansprechbarkeit des enteigneten Bewußtseins«685, wenn er von einer universalen IchSchwäche rede, zumindest mit dem dialektischen Begriff des Ichs nicht vereinbar ist. Denn der dialektische Begriff des Ichs unterstellt die Möglichkeit sachlich richtiger Selbstreflexion, und indem er sie unterstellt, begreift er das Ich nicht als »unansprechbar«, sondern als ansprechbar. Der dialektische Begriff des Ichs kann anhand der unterschiedlichen Bestimmung des Ichs in der psychoanalytischen Theorie und Therapie bei Sigmund Freud näher bestimmt werden. Freud steht der Sache nach vor exakt demselben Problem: Ziel der psychoanalytischen Therapie ist das mündige Individuum, also ein Individuum, das seine eigenen Lebensbedingungen sachlich adäquat reflektieren kann. Gegenstand der psychoanalytischen Theorie ist das unmündige Individuum. Die unterschiedliche Bestimmung des Ichs in der psychoanalytischen Theorie und der psychoanalytischen Therapie ist auch deshalb zur Erläuterung des dialektischen Begriffs des Ichs geeignet, weil, wie weiter oben erläutert, das schwache Ich eines autoritären Charakters sich nicht strukturell von dem eines psychisch Kranken unterscheidet.

3.2.2 Die doppelte Bestimmung des Ichs bei Freud und das Problem der Freiheit im Psychischen Gemäß Adorno ist der Begriff des Ichs dialektisch, weil er psychische und nichtpsychische Momente umfaßt. Das Ich ist eines, aber es stellt sich nach der Sei121

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te der Erkenntnis oder der autonomen Willensbestimmung anders dar als nach der Seite des Gefühls der Lust und Unlust. Bei Freud erscheint diese Dialektik in der unterschiedlichen Bestimmung des Ichs in der psychoanalytischen Therapie und der psychoanalytischen Theorie. In Erkenntnis und Interesse hat Jürgen Habermas auf die unterschiedliche Bestimmung des Ichs in der psychoanalytischen Theorie und in der psychoanalytischen Therapie hingewiesen und gezeigt, daß die »psychoanalytische Erkenntnis zum Typus der Selbstreflexion gehört.«686 Das Ziel der psychoanalytischen Therapie ist das selbstreflexive Ich. »Wir haben als unsere ärztliche Aufgabe formuliert, den neurotisch Kranken zur Kenntnis der in ihm bestehenden unbewußten, verdrängten Regungen zu bringen und zu diesem Zwecke die Widerstände aufzudecken, die sich in ihm gegen solche Erweiterungen seines Wissens von der eigenen Person sträuben.«687 Darin besteht ihr emanzipatorischer Charakter. Die psychoanalytische Therapie ist dem Anspruch nach radikale Selbstaufklärung. Gelingt die Therapie, so hat der »Analysand die Funktionen des Analytikers übernommen (..), das heißt, er hat sich mit der Funktion der Analyse identifiziert.«688 Dieses Gelingen ist identisch mit dem Begriff des »wirklich freien« oder »mündigen« Menschen bei Adorno. Er ist mündig, weil er sich selbst und seine Lebensbedingungen versteht. Dieses selbstreflexive Ich muß das Moment der Selbständigkeit gegen »die Ansprüche seiner drei Abhängigkeiten von der Realität, dem Es und dem Über-Ich«689 haben, wenn es wahre und falsche Urteile über sich und seine gesellschaftlichen Lebensbedingungen fällen können soll. Das Ich der psychoanalytischen Therapie ist also dialektisch, psychologisch und nicht-psychologisch, bestimmt. In der psychoanalytischen Theorie hingegen ist das Ich nicht dialektisch, sondern immanent psychologisch bestimmt. Das Ich der psychoanalytischen Theorie ist ein Ich, das sich selbst nicht versteht. Seine Vorstellungen und Handlungen gehorchen nicht ihm, sondern seiner ihm selbst nicht bewußten Innenwelt. Es übt »die Funktionen der intelligenten Anpassung und der Triebzensur aus, aber die spezifische Leistung, von der die Abwehrleistung nur das Negativ ist, fehlt: Selbstreflexion.«690 Die Aufgabe der psychoanalytischen Theorie besteht darin, »einen psychischen Vorgang nach seinen dynamischen, topischen und ökonomischen Beziehungen zu beschreiben.«691 Gelingt das, so ist der psychische Vorgang durch Deutung erklärt, d. h. sein psychischer Sinn ist entschlüsselt. Deutung heißt: Aufzeigen des verborgenen Sinns.692 Wenn Psychoanalyse als Wissenschaft möglich sein soll, muß die Deutung als Möglichkeit für jeden psychischen Vorgang unterstellt werden. »Während man in der Bewußtseins-Psychologie nie über jene lückenhaften, offenbar von anderswo abhängigen Reihen hinauskam, hat die andere Auffassung, das Psychische sei an sich unbewußt, gestattet, die Psychologie zu einer Naturwissenschaft wie jede andere auszugestalten. (...) Wir stellen so gleichsam eine bewußte Ergänzungsreihe zum unbewußten Psychischen her. Auf der Verbind122

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lichkeit dieser Schlüsse ruht die relative Sicherheit unserer psychischen Wissenschaft.«693 Eine konsistente psychoanalytische Theorie ist demnach nur zu formulieren, wenn Freiheit im Psychischen eine »Illusion«694 ist. Die psychoanalytische Theorie muß die für Selbstreflexion konstitutive Spontaneität bestreiten. Täte sie das nicht, wäre jene »Ergänzungsreihe« durchbrochen und damit die »Verbindlichkeit« der Schlüsse der »psychischen Wissenschaft« systematisch in Zweifel gezogen. Die nur immanent psychologische Bestimmung des Ichs in der psychoanalytischen Theorie ist also notwendig. Selbstreflexion kann in der psychoanalytischen Theorie keinen Ort haben. Darin besteht der Grund für die unterschiedliche Bestimmung des Ichs in der psychoanalytischen Therapie und Theorie. Die von der psychoanalytischen Theorie bestrittene nicht immanent psychologische Bestimmung des Ichs stellt sich in ihr als Bruch dar. Ich stelle ihn exemplarisch am Begriff der Sublimierung (1) und am Begriff des Charakters (2) vor. (1) In der psychoanalytischen Theorie erscheint die spontane Leistung der Selbstreflexion als psychologisch erklärbarer Vorgang unter dem Titel Sublimierung. Darunter versteht Freud geistige und künstlerische Tätigkeit.695 Es gibt aber keine Theorie der Sublimierung. »Das Fehlen einer zusammenhängenden Theorie der Sublimierung bleibt eine der Lücken im psychoanalytischen Denken.«696 Weil Selbstreflexion das Moment der Spontaneität hat, ein Akt aus Freiheit ist, kann es keine Theorie der Sublimierung geben: Die »Lücke« ist notwendig, der Begriff der Sublimierung eine Chiffre für die von der psychoanalytischen Theorie bestrittene Dialektik des Ichs. (2) Könnte die psychoanalytische Theorie ihrem Anspruch gerecht werden, müßte sie eine genetische Theorie der Charakterentwicklung formulieren können.697 Bisher ist das aber nicht gelungen.698 Schon bei den Klassikern, etwa Freud und Fenichel, herrscht ein buntes Durcheinander von genetisch und deskriptiv bestimmten Charakterzügen.699 Das hängt nicht nur mit der Schwierigkeit zusammen, genau zu bestimmen, was der Begriff des Charakters eigentlich bezeichnen soll.700 Das Durcheinander von genetisch und deskriptiv bestimmten Charakterzügen ist notwendig. In ihm drückt sich der Doppelcharakter des Ichs aus, abhängig von inneren und äußeren Ansprüchen und selbständig gegen sie zu sein. Die Selbständigkeit ist das von der psychoanalytischen Theorie geleugnete Moment von Subjektivität in der Subjektkonstitution, das über den Niederschlag seiner Objektbeziehungen hinausweist. Freiheit im Psychischen, von Freud in der psychoanalytischen Theorie als »Illusion« charakterisiert, ist nichts anderes als die Grundlage der nicht immanent psychologischen Bestimmung des Ichs, seiner Fähigkeit zur sachlich adäquaten Reflexion seiner Innen- und Außenwelt. Deshalb bildet sie den Ausgangspunkt der psychoanalytischen Therapie. Für die Therapie ist Freiheit kei123

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ne Illusion, sondern konstitutiv. Die Therapie hat zwei Voraussetzungen auf der Seite des Patienten: den Leidensdruck und das »Interesse an Selbsterkenntnis«701. Sie unterstellt ein Ich, das in der Lage ist, den Zwangscharakter seiner Vorstellungen bzw. seines Tuns zu durchbrechen. Das Ich, das den Zwangscharakter seiner Handlungen und Vorstellungen durchbrechen kann, mag zwar aktuell nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sein, seine inneren und äußeren Lebensbedingungen sachlich adäquat zu reflektieren, aber es ist potentiell dazu in der Lage. Der Gegensatz zwischen dem illusionären und dem konstitutiven Charakter der Freiheit findet in der oft falsch zitierten und in dieser falschen Zitation berühmt gewordenen Aussage Freuds: »Wo Es ist, soll Ich werden« einen prägnanten Ausdruck. Freud hat nicht gesagt: »Wo Es ist, soll Ich werden«702, sondern er hat gesagt: »Wo Es war, soll Ich werden.«703 Wo aber Es war, ist Ich. Sinn macht die Formulierung nur in der falschen Zitation, was wahrscheinlich auch deren Ursache ist. Indem Freud aber sinnleer formuliert, spricht er exakt die unterschiedliche Bestimmung des Ichs in der Theorie und Therapie aus. Der Weg vom Ich zum Es, die Bewußtmachung des Es, ist ein Prozeß, der nicht ohne den nicht ausschließlich immanent psychologisch zu bestimmenden Willen zur Selbsterkenntnis in Gang gesetzt und aufrechterhalten wird. Der Doppelcharakter des Ichs, ausführendes Organ innerpsychischer Konflikte und Instanz der sachlich richtigen Reflexion auf diese Konflikte zu sein, drückt sich auch in der Darstellung des therapeutischen Verfahrens bei Freud selbst aus: Der Kranke solle »selbständig seine Entscheidungen«704 treffen; das Mittel dazu sei die »Übersetzung des Unbewußten in Bewußtes«705. Dazu reiche es nicht hin, den Kranken aufzuklären. Diese von Freud ursprünglich gehegte Auffassung wurde durch therapeutische Erfahrung widerlegt.706 »Wenn wir ihm unser Wissen mitteilen, so hat er es nicht an Stelle seines Unbewußten, sondern neben demselben, und es ist sehr wenig geändert«707. Weil der Mechanismus, der das Unbewußte unbewußt halte, nicht beseitigt sei, bedürfe es der »Beseitigung des Widerstandes, welcher diese Verdrängung aufrechterhält«708. Die Analyse habe sich daher wesentlich auf diese Widerstände zu richten.709 Die Widerstände werden also als Hinderungsgründe der Einsicht aufgefaßt. Mittel zu ihrer Überwindung ist die Analyse der Übertragung, in der sich gemäß der psychoanalytischen Auffassung die psychischen Konflikte des Patienten im Verhältnis zum Analytiker reproduzieren.710 »Wir überwinden die Übertragung, indem wir dem Kranken nachweisen, daß seine Gefühle nicht aus der gegenwärtigen Situation stammen und nicht der Person des Arztes gelten, sondern daß sie wiederholen, was bei ihm bereits früher einmal vorgefallen ist«. Dadurch werde der Patient genötigt, »seine Wiederholung in Erinnerung zu verwandeln«711. Wie aber kann das gelingen? In den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse gibt Freud zwei Antworten: durch die Einsicht des Patienten und durch die Autorität des Analy124

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tikers. Der Deutung des Analytikers schenke der Patient kraft der »Übertragung von positivem Vorzeichen«712 Glauben. Die Irrationalität dieser Überredungskunst, die für das Gelingen der Therapie verantwortlich sein soll, bindet Freud in der darauffolgenden Vorlesung an die Einsicht. Darin besteht die zweite Antwort: »Die Lösung seiner [des Patienten, J. W.] Konflikte und die Überwindung seiner Widerstände glückt doch nur, wenn man ihm solche Erwartungsvorstellungen gegeben hat, die mit der Wirklichkeit in ihm übereinstimmen«713. Der Doppelcharakter der psychologischen und nicht-psychologischen Bestimmung des Ichs drückt sich also in rationalen und irrationalen Momenten der Bestimmung des therapeutischen Verfahrens aus. Dem korrespondiert, daß eine allgemeingültige psychoanalytische Behandlungstechnik nicht existiert und niemals existiert hat.714 Die Technik der psychoanalytischen Therapie kann es nicht geben. Sie setzte einen vollständig bestimmten Gegenstand voraus – eine Voraussetzung, die durch den dialektischen Begriff des Ichs gerade bestritten wird. Aus dem bisherigen folgt, daß der Unterschied in der Bestimmung des Ichs in der psychoanalytischen Theorie und der psychoanalytischen Therapie notwendig ist. Die Psychoanalyse muß für jede ihrer theoretischen Aussagen Determination im Psychischen unterstellen und kann sie für keine ihrer therapeutischen Aussagen unterstellen, weil die Fähigkeit des Ichs, auf die Ansprüche seiner drei Abhängigkeiten sachlich adäquat zu reflektieren, nicht selbst als psychisch determiniert aufgefaßt werden kann. Das Ich, das sie erkennt, ist reflexiv: Es bezieht sich auf sich, indem es auf die Ansprüche seiner Abhängigkeiten reflektiert. Adorno hat in Der Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre den Versuch unternommen, das Problem der Freiheit im Psychischen mit der psychoanalytischen Theorie in Einklang zu bringen. Unter Determinismus wird dort nicht die Erklärung von bewußten Phänomenen aus vormals unbewußten Ursachen dieser Phänomene verstanden, sondern die »notwendige und alleinige Bezogenheit unserer Erlebnisse auf das Ganze unseres Bewusstseinsverlaufs.«715 Jedes neue Erlebnis sei durch die Totalität der vergangenen Erlebnisse vermittelt.716 Folglich könne kein »Erlebnis als kontingent betrachtet«717 werden. Damit ist die Voraussetzung der psychoanalytischen Therapie bestritten. Diese muß unterstellen, daß nicht jedes Erlebnis eine »Färbung«718 durch die Totalität der vergangenen Erlebnisse erhält. Ohne diese Unterstellung wäre keine erfolgreiche Therapie möglich. Daß Adorno das Problem der Freiheit im Psychischen in dieser frühen Schrift nicht löst, führt zu einem Widerspruch: Die Psychoanalyse habe »vor der Tatsache der Willenshandlung (..) halt zu machen.«719 Willenshandlungen sind bewußte Handlungen. Entweder ist das Bewußtsein durch die Totalität der Erlebnisse bestimmt, dann ist es auch die Willenshandlung. Folglich wäre die Möglichkeit freier Handlungen bestritten. Oder das Bewußtsein ist nicht in dieser 125

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Weise bestimmt, dann kippt die Absicht der Schrift, die Psychoanalyse als Wissenschaft zu begründen.720 Das Problem löst erst die dialektische Bestimmung des Ichs. Darin besteht ein Erkenntnisfortschritt von der frühen Auffassung Adornos zur späteren.

3.2.3 Exkurs: Konsequenzen des dialektischen Begriffs des Ichs für die empirische Forschung – dargestellt an The Authoritarian Personality Aus der zweifachen Bestimmung des Ichs im dialektischen Begriff des Ichs ergibt sich eine ernste Schwierigkeit für die empirische Untersuchung von Autoritarismus. Ich werde sie exemplarisch an den Studien zur Authoritarian Personality entwickeln.721 Die unter Mitwirkung Adornos entstandenen Studien zur Authoritarian Personality untersuchen Struktur und Verbreitung von für faschistische Propaganda besonders anfälligen Individuen. Dabei waren nicht die erklärten Faschisten von Interesse, sondern jene, die potentiell für faschistische Propaganda empfänglich sind. Die Authoritarian Personality hat die schon in Autorität und Familie entfaltete Überlegung bestätigt, daß die Neigung, autoritären politischen Parolen anzuhängen, wesentlich von zwei Faktoren abhängt, dem »kulturellen Klima«722 und der Charakterstruktur. Der Begriff des kulturellen Klimas gibt gemäß Adorno Auskunft über die »formale Beschaffenheiten des (..) vorherrschenden Denkens überhaupt«723. Im kulturellen Klima »kommuniziert« »die gesellschaftliche Objektivität mit psychologischen Determinanten.«724 Die Authoritarian Personality untersucht den zweiten Faktor, die Charakterstruktur. Der autoritäre Charakter ist begrifflich nur durch die Relation auf sein Gegenteil, den nicht-autoritären Charakter, zu bestimmen. In der Authoritarian Personality ist dieser Typ der »genuin Liberale«725. Er soll im Unterschied zum Autoritären in der Lage sein, sachgerechte Urteile zu fällen. So jedenfalls wird der Unterschied zwischen beiden in der Einleitung zur Authoritarian Personality bestimmt. Das konsistente – verbale oder physische – Verhalten des schwachen Ich wird als durch seine Charakterstruktur determiniert aufgefaßt.726 Das starke Ich des »genuin Liberalen« ist demgegenüber als die Instanz bestimmt, welche »becomes aware of and takes responsibility for nonrational forces operating within the personality.«727 Der Typus des »genuin Liberalen« »may be conceived in terms of the balance between superego, ego, and id which Freud deemed ideal.«728 Während das Ich des »genuin Liberalen« zur sachlich adäquaten Reflexion auf die eigenen Lebensbedingungen fähig sein soll, wird das Ich des autoritären Charakters als aktuell unfähig dazu aufgefaßt. Das Ich des »genuin Liberalen« wird demnach dialektisch, das Ich des autoritären Charakters immanent psychologisch begriffen.

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Um Rückschlüsse auf die Charakterstruktur der Befragten ziehen zu können, werden Fragen gestellt, die so konstruiert sind, daß sie zur Projektion verdrängter Triebwünsche der Befragten dienen können. »Indeed, in one sense most of the items of the F scale are projective: they involve the assumption that judgements and interpretations of fact are distorted by psychological urges.«729 Die Antworten auf die Fragen sollen zwischen dem schwachen Ich des Autoritären und dem starken Ich des mündigen Menschen differenzieren. Tatsächlich differenzieren sie beide aber ausschließlich psychologisch. Die Fähigkeit des Ichs, den projektiven Gehalt seiner Aussagen zu reflektieren, ist gemäß dem dialektischen Begriff des Ichs nicht ausschließlich immanent psychologisch zu bestimmen. Um diese Fähigkeit bestimmen zu können, müßten den Untersuchten Sätze vorgelegt werden, die sich ihrem sachlichen Gehalt nach beurteilen lassen. Das war aber nicht Gegenstand der Authoritarian Personality. Sie will ja gerade Auskunft über den Zusammenhang von Meinungen und Charakterstruktur geben. Deshalb lassen sich die Sätze der verwendeten Skalen nicht nach wahr und falsch differenzieren. Weil die Skalensätze Auskunft über verdrängte Triebwünsche geben sollen, lassen sie sich nicht mit ja oder nein, sondern nur dem Grad der Zustimmung oder Ablehnung nach beantworten. Entsprechendes gilt für die anderen in der Studie angewandten Untersuchungsinstrumente, den Thematic Apprehension Test und die Interviews. Die in The Authoritarian Personality verwandten Untersuchungsinstrumente zielen nicht auf die Unterscheidung zwischen wahr und falsch, die in die nicht-psychologisch bestimmte Seite des Ichs fällt. Untersucht wird also nicht die Rationalität der Befragten, sondern der Grad ihrer Irrationalität. Die Untersuchung schlägt sich der Anlage nach auf die Seite des Psychischen. Deshalb ist sie gezwungen, die andere Seite des dialektischen Begriffs des Ichs zu mißachten. Das ist nicht mangelnder Reflexion geschuldet, sondern der dialektischen Bestimmung des Ichs. Weil aber die ausschließlich psychologische Bestimmung des Vorurteilslosen nicht hinreicht, um ihn zum freien oder mündigen Subjekt zu qualifizieren, bleibt die Bestimmung des »genuin Liberalen« in The Authoritarian Personality zweideutig. Modell für den Typus des »genuin Liberalen« ist eine 21-jährige College-Studentin, deren Interview den Code F 515 trägt. An der Interpretation des Interviews durch Adorno kann die Zweideutigkeit dargestellt werden. F 515 weist, entgegen Adornos Bemerkung,730 narzißtische Züge auf.731 Weiterhin ist die vom Interviewer gegebene und von Adorno übernommene Einschätzung, F 515 sei »politisch naiv«732, eine freundliche Umschreibung für Konfusion und Personalisierung.733 Schließlich ist kaum zu entscheiden, ob das von F 515 reproduzierte Stereotyp von der jüdischen Machtbesessenheit und Aggressivität tatsächlich »a joke«734 ist. Gegen diese Auffassung spricht wenigstens, daß F 515 zwar die Individualität jedes Menschen unabhängig von 127

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Gruppenzuschreibungen betont, diese Betonung aber mit der typisch nationalistischen Distinktion ›wir und die anderen‹ in Konflikt steht.735 Die mögliche andere Interpretation des Interviews hat ihren Grund in der ausschließlich psychologischen Bestimmung des »genuin Liberalen«. Die Authoritarian Personality kann systematisch ihren eigenen Anspruch, autoritäre Charaktere und mündige Menschen zu differenzieren, nicht einlösen. Das Bewußtsein des Mündigen wird zwar als »the view of the world which a reasonable man, with some understanding of the role of such determinants as those discussed above, and with complete access to the necessary facts«736 hat, begriffen, der Anlage der Untersuchung nach wird ein solches Bewußtsein aber gerade nicht untersucht. Über den »genuin Liberalen« läßt sich psychologisch nur sagen, daß er im Unterschied zum Autoritären in der Lage ist, Antworten auf gesellschaftspolitische Fragen nicht nach dem Modell autoritärer Triebkonflikte formen zu müssen, weil er diese Konflikte nicht hat. Das psychologisch bestimmte »ideale Gleichgewicht« zwischen Es, Ich und Über-Ich, durch das der »genuin Liberale« charakterisiert sein soll, träfe auch auf einen an sich verändernde gesellschaftliche Bedingungen unbeschränkt Anpassungsfähigen zu. Diesen bezeichnet Adorno in einer anderen Schrift gerade nicht als mündig, sondern als »subjektloses Subjekt«737.

3.3 Darstellung und Begründung des verinnerlichten Zwangs Der dialektische Begriff des Ichs, so wurde gezeigt, bildet eine systematische Voraussetzung der Erklärung der Empfänglichkeit von Individuen für autoritäre politische Propaganda: Das Problem einer psychologischen Erklärung jener Empfänglichkeit besteht in der Gefahr, den Begriff des Subjekts durch die Behauptung einzuziehen, der autoritäre Charakter könne infolge seiner Charakterstruktur seine eigenen gesellschaftlichen Lebensbedingungen gar nicht adäquat reflektieren. Der dialektische Begriff des Ichs löst das Problem, weil er das Ich als prinzipiell dialektisch begreift und dem schwachen Ich des autoritären Charakters die Selbstreflexion daher nicht abspricht, sondern als Möglichkeit zuspricht. Auf dieser Grundlage kann nun untersucht werden, wie sich die Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft bei Adorno darstellt. Nach Adorno kann das Ich in der bestehenden Gesellschaft seine Funktion, sich in der Realität zu behaupten, nur durch Aufrichtung unbewußter Verbote erfüllen. »Insofern es die libidinösen Bedürfnisse ebenso wie die mit diesen unvereinbaren der realen Selbsterhaltung zu vertreten hat, ist es unablässig überfordert.«738 Die Analyse hat demnach eine Schnittstelle zwischen Psychologie und Gesellschaftstheorie inhaltlich zu bestimmen. Aus der Argumentation Adornos lassen sich zwei Schnittstellen entwickeln: die autoritäre Charakterstruktur 128

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und die narzißtische Beschädigung. Beide stehen für gesellschaftlich vorherrschende Formen der Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft und werden als Formen der Beschädigung einer sachlich adäquaten Reflexion der gesellschaftlichen Lebensbedingungen begriffen. Die erste dieser Schnittstellen wird wesentlich in den Studien zur Authoritarian Personality, in den damit verwandten Schriften zum Vorurteil und in den musiksoziologischen Schriften aus den 30er und 40er Jahren entfaltet, die zweite gewinnt in den psychologisch und pädagogisch orientierten Schriften nach 1950 an Gewicht. Das wirft die Frage nach ihrem Verhältnis auf. Adorno selbst hat es als historische Folge begriffen. Die These einer Veränderung der typischen Form verinnerlichter gesellschaftlicher Herrschaft vom autoritären Charakter zur narzißtischen Beschädigung rekurriert auf Veränderungen der Sozialisationsbedingungen. Adorno trägt dem in Kapitel 3.1 entwickelten Funktionsverlust der Familie Rechnung, indem er den beschädigten Narzißmus nicht wesentlich aus der Vermittlung gesellschaftlicher Herrschaft durch die Familie, sondern aus der gesellschaftlichen Ohnmacht der Individuen erklärt: Zum »kollektiven Narzißmus«, der Reaktion auf den beschädigten individuellen Narzißmus, seien die einzelnen unter gesellschaftlichen Bedingungen verurteilt, die »sie real so sehr zur Ohnmacht verdammen.«739 Die Diagnose einer Veränderung der Charakterstrukturen wird in Kapitel 3.4 erhärtet. Allein das charakteristische Erscheinungsbild verinnerlichter Herrschaft, der Nationalismus, hat sich der Struktur nach nicht gewandelt. Der »kollektive Narzißmus«, der sich im Nationalismus Ausdruck verschafft, ist der Geschichte seit weit über 100 Jahren als Blutspur eingezeichnet. Das legt die Vermutung nahe, daß eine Erklärung der subjektiven Voraussetzungen des kollektiven Narzißmus auf identische Momente in der Gesellschaftsstruktur zurückgreifen muß. Die Vermutung wird durch eine Analyse des Verhältnisses der beiden Formen psychischer Beschädigung in Adornos Schriften gestützt. Sie zeigt, daß der Umschlag der autoritären Charakterstruktur in beschädigten Narzißmus von Adorno an verschiedenen historischen Zeitpunkten festgemacht wird (3.3.1). Eine Untersuchung der Einführung des Begriffs des Narzißmus in den Schriften Freuds lenkt den Blick auf einen strukturell identischen Konflikt in den beiden von Adorno unterschiedenen Formen der Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft (3.3.2). Dieses identische Moment740 kann anschließend als fundamentale libidinöse Konstellation entwickelt und mit dem im zweiten Kapitel untersuchten »stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse« in ein systematisches Verhältnis gesetzt werden. Damit wird auch die in der Lehre vom autoritären Charakter offen gebliebene Frage beantwortet, warum bestimmte Charakterstrukturen aufrechterhalten werden. Deren Konstanz wird regelmäßig mit dem Verweis auf ihre Entstehung in der frühen Kindheit beantwortet. Daran ist nicht zu zweifeln. Indes muß beantwortet werden, welches Zusammen129

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spiel psychischer und gesellschaftlicher Mechanismen ermöglicht, daß jene aufrechterhalten werden. Dazu reicht die Bemerkung, daß eine Gesellschaft ihr gemäße psychische Typen hervorbringe,741 nicht hin. Die Typen mögen in der frühen Kindheit hervorgebracht werden, aber sie würden kaum aufrechterhalten werden, wenn sie nicht eine fortgesetzte psychische Befriedigung erfahren würden. Mit anderen Worten: Für den Kern des autoritären Syndroms, die konformistische Rebellion, muß etwas gefunden werden, was den einzelnen die Aufgabe dieses Kerns so schwer macht (3.3.3).

3.3.1 Zum Verhältnis von autoritärer Charakterstruktur und narzißtischer Beschädigung in den Schriften Adornos Das Charakteristikum des autoritären Charakters ist ein Ambivalenzkonflikt zwischen autoritärer Unterwürfigkeit und autoritärer Aggression, seine gesellschaftlich zentrale Erscheinungsform ist der Nationalismus. Nationalismus ist eine Form narzißtischer Befriedigung. Die Verwiesenheit des autoritären Charakters auf den Narzißmus ist in keiner Schrift Adornos entwickelt oder inhaltlich näher bestimmt worden. Diese Merkwürdigkeit erklärt sich aus der unterschiedlichen Erklärung von autoritärem Charakter und Narzißmus (1) und der These, beides seien historisch aufeinanderfolgende Formen psychischer Beschädigung (2). Ich werde die beiden Punkte exemplarisch vorstellen. (1) In Die revidierte Psychoanalyse tauchen beide Begriffe auf, aber mit wesentlichem Unterschied. Der Begriff des Charakters wird genetisch aufgefaßt, d. h. gemäß der psychoanalytischen Theorie als Verfestigung von Libido, deren Fixierung wesentlich in der frühen Kindheit erfolge. Der Begriff des Narzißmus hingegen findet keine genetische Herleitung, sondern eine gesellschaftstheoretische Erklärung. Der Narzißmus stellt sich als Versuch des Individuums dar, »wenigstens zum Teil das Unrecht zu kompensieren, daß in der Gesellschaft des universalen Tauschs keiner je auf seine Kosten kommt.« Seine gesellschaftliche »Wurzel« habe er in »fast unüberwindlichen Schwierigkeiten, die sich jeglicher spontanen und direkten Beziehung zwischen Menschen heute in den Weg stellen.«742 Das Verhältnis von autoritärer Charakterstruktur und Narzißmus bleibt unerörtert.743 (2) Nach Adorno fallen narzißtische Konflikte heute mehr auf »als vor 60 Jahren«744. Nicht mehr die autoritäre Charakterstruktur, sondern der Narzißmus sei vorherrschend. »Vielleicht war es kein Zufall, daß Freud sich nach dem ersten Weltkrieg mit dem Narzißmus und den Ichproblemen im engeren Sinne zu beschäftigen begann. Offenbar spielen die dazugehörigen seelischen Mechanismen und Triebkonflikte heute in zunehmendem Maß eine Rolle.«745 Demnach hat sich die gesellschaftlich vorherrschende Form psychischer Beschädigung verändert. Diese auf den ersten Blick plausible Zeitdiagnose wird von Adorno selbst erschüttert. Der Zeitpunkt, an dem Narzißmus den autori130

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tären Charakter abgelöst haben soll, liegt in der zitierten Passage aus Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie in den 50ern. In Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda fällt der Wendepunkt in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Zudem wird in dieser Schrift die »Veräußerlichung des Über-Ichs«746 als Charakteristikum des »neuen Typus seelischer Erkrankung«747 bezeichnet – also exakt das, was den autoritären Charakter auszeichnet.748 Die zeitliche Differenz in der Bestimmung des Wendepunktes vom autoritären Typus zum narzißtischen und die terminologische Ungenauigkeit in der Bestimmung des Unterschieds zwischen beiden sind ein Indiz für ein sachliches Problem. Mittels einer Analyse der Einführung des Narzißmus bei Freud kann es einer Klärung zugeführt werden. Dadurch kann zugleich Axel Honneths bisher unwidersprochenem Einwand gegen »die Sozialpsychologie Adornos« begegnet werden. Danach sei es »unter rein immanenten Gesichtspunkten nicht sehr befriedigend«, daß »die insgesamt leitende Annahme einer Dekomposition des Über-Ichs mit der These einer narzißtischen Regression des Ichs verkoppelt wird«749, weil das »Phänomen des väterlichen Autoritätsverlustes« empirisch »unzureichend« belegt sei,750 und die »narzißtische Regression« durch »psychoanalytische Beobachtungen« zwar empirisch belegt, von Adorno aber nicht begründet sei.751 Die Erklärung der narzißtischen Kränkung aus dem ständigen Mißerfolg, »den Ansprüchen des eigenen Ichs zu genügen«,752 trete nämlich in Widerspruch zur These von der »Dekomposition« des Über-Ichs: »Wie aber soll das Individuum eigene anspruchsvolle Ich-Ideale, an deren biographischer Realisierung es scheitern könnte, überhaupt ausbilden lernen, wenn doch der innerpsychische Prozeß der Gewissensbildung selbst nachhaltig gestört ist?«753 Der Widerspruch verweise erstens auf eine »Unklarheit« Adornos bezüglich des Begriffs der Internalisierung,754 zweitens auf ein »tieferliegendes Ungenügen seiner Aneignung der Psychoanalyse«,755 drittens auf eine ungenügende Berücksichtigung des ›spezifisch Sozialen‹.756 Demgegenüber wird die folgende Interpretation nicht nur zeigen, daß die narzißtische Beschädigung bei Adorno begründet ist. Sie wird zudem nachweisen, daß diese Begründung nicht in Widerspruch zur These von der Außenverlagerung des Über-Ichs tritt.

3.3.2 Freud und das Problem des Narzißmus Bei der folgenden Darlegung kommt es mir nur auf einen – für das hier zu Entfaltende allerdings zentralen – Punkt an, den Zusammenhang der Entdeckung des Narzißmus mit dem Fortschritt zur sogenannten zweiten Theorie des psychischen Apparats bei Freud. Daß der Terminus Narzißmus bei Freud selbst in 131

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verschiedener Bedeutung verwandt wird – er bezeichnet eine Weise der Objektbeziehung, eine Weise der Objektwahl, eine frühe Stufe der psychischen Entwicklung wie verschiedene Aspekte der Ichidealbildung – ist für das hier zu Erörternde nicht von Relevanz. Das gilt ebenso für den Wandel der Freudschen Auffassung des Verhältnisses von Narzißmus und Ichentwicklung.757 Während Adorno den kollektiven Narzißmus in Beziehung zu einem gesellschaftlichen Wandel setzt, der wesentlich durch die Zerstörung des psychischen Substrats des Individuums, nämlich einer einigermaßen gelungenen Verknüpfung der Ansprüche des Es, des Über-Ichs und der Außenwelt gekennzeichnet sei, sieht sich Freud durch die Einführung des Narzißmus in die psychoanalytische Theorie genötigt, sowohl die Triebtheorie zu modifizieren als auch das topische Modell von Es, Ich und Über-Ich einzuführen. Der Unterschied ist also dieser: Adorno erklärt den Wandel vom autoritären zum narzißtischen Typus wesentlich aus dem Niedergang des bürgerlichen Individuums. Bei Freud ist die adäquate psychologische Darstellung eben dieses Individuums Resultat der Reflexion auf Probleme, die sich aus der Einführung des Narzißmus in die psychoanalytische Theorie ergeben. Freud führt den Narzißmus mit der Bemerkung ein, der psychoanalytischen Beobachtung sei aufgefallen, daß die Rolle des Narzißmus bisher unterschätzt worden sei.758 Bestimmt wird er zunächst als »die libidinöse Ergänzung zum Egoismus des Selbsterhaltungstriebes, von dem jedem Lebewesen mit Recht ein Stück zugeschrieben wird.«759 Diese Überlegung stellt die psychoanalytische Theorie vor ein gravierendes Problem: sie ist mit den bisherigen triebtheoretischen Annahmen nicht zu vereinbaren. Bisher hatte Freud zwischen nicht-sexuellen Ichtrieben und sexuellen Objekttrieben unterschieden. Hintergrund der Differenzierung war der Unterschied von Selbsterhaltung und Arterhaltung.760 Die Sexualfunktion wurde als »einzige Funktion des lebenden Organismus, welche über das Ich hinausgeht und seine Anknüpfung an die Gattung besorgt«761, begriffen, die Ichtriebe hingegen als das, was die Selbsterhaltung jenes Organismus vermittelt.762 Mit der Entdeckung der libidinösen Besetzung des Ichs ist diese Unterscheidung nicht mehr zu halten. Die dualistische Triebtheorie droht in eine monistische umzuschlagen. Das ist in der Unterscheidung zwischen Ichlibido und Objektlibido oder, in einer etwas späteren Formulierung, in der Scheidung zwischen Ichtrieben und Sexualtrieben763 angedeutet. Um an der dualistischen Triebtheorie festhalten zu können, ohne die Einsicht in die libidinöse Besetzung des Ichs aufgeben zu müssen, differenziert Freud zunächst zwischen dem Selbsterhaltungstrieb und der narzißtischen Libido. In der 26. Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse unternimmt er mehrere Versuche, den Narzißmus mit dem ursprünglichen Konzept der Triebtheorie in Einklang zu bringen: durch die Differenzierung zwischen Interesse und Libido,764 die Abgrenzung des Narzißmus vom Egoismus,765 schließlich, 132

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entnervt durch das wiederholte Scheitern, durchs Dekret: Libido bleibe Libido, »ob sie nun auf Objekte oder auf das eigene Ich gewendet wird, und sich niemals in egoistische Interessen umsetzt und ebenso das Umgekehrte.«766 Damit wäre der Fortschritt in der Erkenntnis geradewegs wieder preisgegeben. Das Dekret muß Freud selbst mißtrauisch gestimmt haben – er verweist das Problem am Ende der Vorlesung an die weitere Forschung.767 Tatsächlich führt er es in einer späteren Schrift einer Lösung zu: Dem durch die Einführung der Narzißmus erzwungenen Umschlag in den triebtheoretischen Monismus wird in Jenseits des Lustprinzips durch die Einführung des Todestriebs begegnet. Nicht nur die Triebtheorie, sondern auch das topische Modell des psychischen Apparats wird durch die Einführung des Narzißmus affiziert: Freud ist genötigt, eine neue Instanz im Ich einzuführen, das Idealich, später Über-Ich genannt und als Instanz der Gesellschaft im Individuum charakterisiert.768 Topisch läßt sich der Narzißmus in der Unterscheidung bewußt-vorbewußt-unbewußt nicht greifen. In der zweiten Theorie des psychischen Apparats stellt er sich als Konflikt zwischen Ichideal und Ich dar. Narzißtische Konflikte entstehen wesentlich in der Spannung zwischen einem Teil des Über-Ichs, dem Ichideal, und dem Ich: Ihr Zusammenfallen heißt narzißtische Befriedigung, ihr Auseinanderfallen narzißtische Kränkung. Man kann also sagen, daß die Entdeckung des Narzißmus konstitutiv für den Fortschritt der psychoanalytischen Theoriebildung war, und es ist kaum zu weit hergeholt, den Zeitpunkt seiner Entdeckung auf ein gesellschaftliches Phänomen, den um sich greifenden Nationalismus, zurückzuführen. Schon in Zur Einführung des Narzissmus verweist Freud darauf, daß »vom Ichideal (…) ein bedeutsamer Weg zum Verständnis der Massenpsychologie«769 führt, ohne ihn dort allerdings zu beschreiten. Das geschieht in Massenpsychologie und IchAnalyse. Das Ichideal wird dort für die Massenbildung verantwortlich gemacht. Seine wenig weit fortgeschrittene »Sonderung vom Ich«770 ermögliche den einzelnen in der Masse durch die Identifikation mit einem Führer, der »oft nur die typischen Eigenschaften dieser Individuen in besonders scharfer und reiner Ausprägung«771 besitze, eine narzißtische Befriedigung. Indem die einzelnen sich mit dem Führer dadurch identifizieren, daß sie ihn anstelle ihres Ichideals setzen, erheben sie sich durch kollektiven Narzißmus. Der einzelne, der wenig oder nichts ist, wird es in der Masse: Wir sind wer. Von diesem Punkt führt ein Weg zur systematischen Verknüpfung von Narzißmus und autoritärer Charakterstruktur. Wesentliches Kennzeichen der letzteren ist das veräußerlichte Über-Ich.772 Wäre es nicht veräußerlicht, so wäre das schwache Ich nicht anfällig für die »Identifikation mit der Macht und der Herrlichkeit des Kollektivs.«773 In der Delegation lockt die narzißtische Prämie: Wir sind wer. Diese Überlegung macht überhaupt erst verständlich, warum der autoritäre Charakter, sei es real, sei es psychisch, zur Massenbildung neigt. Es ist der beschädigte Narzißmus, der zum »wir« drängt und sich so der 133

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individuellen Ohnmacht entledigt; die Verknüpfung von autoritärer Aggression und autoritärer Unterwürfigkeit stellt sich nun dar als Einheit von narzißtischer Beschädigung, einer Voraussetzung der Teilhabe am kollektiven Narzißmus, und narzißtischer Befriedigung durch die kollektive Identifikation von Schuldigen. Paul Parin hat darauf aufmerksam gemacht.774 Demgemäß wäre der Narzißmus konstitutiv für den als autoritären Charakter bezeichneten Typ, der von Adorno beobachtete Wandel kein Wandel der vorherrschenden Typen, sondern ein immanenter Erkenntnisfortschritt. Was Adorno als zwei unterschiedliche Formen psychischer Beschädigung begreift, drückt eine fundamentale libidinöse Konstellation aus.

3.3.3 Die systematische Beziehung von gesellschaftlicher Herrschaft und ihrer Verinnerlichung: Erpreßter Narzißmus Wenn die fundamentale libidinöse Konstellation Resultat der Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft ist, muß sie in eine systematische Beziehung zu der Struktur der Gesellschaft gestellt werden können. Damit verschiebt sich das Gewicht der Erklärung von der Individual- zur Sozialpsychologie. Diese Gewichtsverschiebung gibt die von Adorno festgehaltene Einsicht Freuds, Gegenstand der Psychologie sei der einzelne, nicht auf. Sie besagt nur, daß sich strukturell identische Konflikte in den einzelnen nachweisen lassen: »Die Gründe dafür, daß diese Prozesse [die Manipulation psychischer Mechanismen, J. W.], obzwar sie die Individuen zum Schauplatz haben und von individuellen Triebenergien gespeist werden, so unheilvoll uniform verlaufen, sind der analytischen Sozialpsychologie selbst bekannt. Der Form nach harmonieren die individuellen Prozesse mit dem allgemeinen gesellschaftlichen Zug nur allzu gut.«775 Adorno führt das auf zwei Ursachen zurück: Erstens die »vorindividuelle, undifferenzierte Beschaffenheit des Unbewußten eines jeden.« Zweitens auf typische Konflikte zwischen dem Individuum in der Frühphase seiner Entwicklung und »gesellschaftlichen Agenturen wie der Familie (…). Deswegen ist der Begriff der Sozialpsychologie nicht so abwegig, wie das geklitterte Wort und sein Allerweltsgebrauch es vermuten läßt. Der Primat der Gesellschaft wird, rückwirkend, von jenen typischen psychologischen Prozessen verstärkt.«776 Die Genesis dieser typischen psychischen Konflikte in der Sozialisation777 wird von Adorno nicht untersucht, das heißt, er geht zwar davon aus, daß sie in der Sozialisation erworben werden, läßt aber die Frage unbeantwortet, wie sie erworben werden. Dies liegt nicht, wie Honneth unterstellt, an »Unklarheiten« bezüglich des Begriffs Internalisierung, sondern an einem Erkenntnisinteresse, in dessen Mittelpunkt die Frage steht, welche gesellschaftlichen Prozesse die Internalisierung gesellschaftlicher Herrschaft erzwingen und wie sich diese darstellt. Im folgenden werde ich aus zwei Gründen die Frage nach dem wie eben134

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falls nicht stellen: Erstens, weil sie über den Gegenstand der Arbeit, die Begründung eines kritischen Subjektbegriffs aus den Schriften Adornos, hinausgeht und zweitens, weil dies Hinausgehen in das Gebiet der Sozialisationsforschung nur in einer weitergehenden eigenständigen Arbeit zu leisten wäre. Die systematische Beziehung zwischen gesellschaftlicher Herrschaft und narzißtischer Beschädigung werde ich in zwei Schritten entwickeln: In einem ersten Schritt wird diese Beziehung begründet (1). In einem zweiten Schritt wird die gesellschaftliche Normalität des erpreßten Narzißmus entfaltet (2). (1) In Kapitel 2.2 habe ich darauf hingewiesen, daß der gesellschaftliche Zwang zur Verausgabung von Mehrarbeit nicht sinnlich erfahrbar ist. Im Unterschied zu vorkapitalistischen Produktionsweisen ist in einer kapitalistischen Produktionsweise der Unterschied zwischen notwendiger Arbeit und Mehrarbeit in der Lohnform erloschen; der Lohn erscheint als Preis der Arbeit. Der sinnlicher Erfahrung unzugängliche Unterschied erschließt sich erst der Reflexion auf die gesellschaftlichen Lebensbedingungen. Im Alltagsleben stellt sich die Vermittlung der individuellen Selbsterhaltung durch ein gesellschaftliches Herrschaftsverhältnis nicht als Zwang zur Mehrarbeit, sondern als Unsicherheit der Bedingungen dieser Selbsterhaltung dar. Weil die Steigerung der Produktivkraft der Arbeit, damit die Revolutionierung der Arbeitsbedingungen immanentes Gesetz der kapitalistischen Produktionsweise ist, sind die Bedingungen des kontinuierlichen Verkaufs der Arbeitskraft dauernd prekär. Dies ist nur eine Ursache der prekären Selbsterhaltung. Daneben stehen andere, etwa, daß mit dem Untergang eines Betriebs in der Konkurrenz zugleich auch die Arbeitsplätze der dort Beschäftigten verloren gehen, diese damit ihrer Existenzbedingung beraubt und auf öffentliche Alimentierung angewiesen sind oder daß die Produktion einer relativen Übervölkerung notwendige Konsequenz der Kapitalakkumulation ist.778 Die Verantwortung für das Gelingen der individuellen Reproduktion liegt bei den einzelnen. Die Selbsterhaltung ist aber gar nicht adäquat zu realisieren, weil sie durch ein irrationales System gesellschaftlicher Reproduktion vermittelt und daher für den einzelnen zufällig ist. Weil dem einzelnen die gesellschaftlichen Bedingungen seiner Selbsterhaltung äußerlich, quasi als Schicksal, gegenübertreten, kann das Ich »in einer irrationalen Gesellschaft (…) seine ihm selbst von dieser Gesellschaft zugewiesene Funktion gar nicht adäquat erfüllen.«779 Um unter solchen Bedingungen die individuelle Selbsterhaltung realisieren zu können, sind die einzelnen zu einer übermäßigen narzißtischen Besetzung der eigenen Person genötigt. Alle Selbsterhaltung, egal in welcher Gesellschaftsform, erfordert eine narzißische Besetzung der eigenen Person – ohne den Trieb, sich selbst zu erhalten, stirbt der einzelne. Unter gesellschaftlichen Bedingungen, in denen die individuelle Selbsterhaltung dauernder Unsicherheit ausgesetzt ist, muß die narzißtische Besetzung der eigenen Person verstärkt werden. Damit ist ein wesentliches Moment dessen bezeichnet, was Adorno unter dem Terminus »Kälte des bürgerlichen Subjekts« befaßt. Sie ist wesentlich 135

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das Resultat des Zwangs, Triebenergie auf sich und nicht auf andere oder anderes zu richten. Weil der Zwang universal ist, begreift Adorno auch die Kälte als universal.780 Verbunden ist damit ein zweckrationales oder instrumentelles Verhältnis zu Gegenständen und Lebewesen. Die Unmöglichkeit, die Bedingungen der eigenen Existenz zu kontrollieren, weil diese in der bestehenden Gesellschaft nicht von den Subjekten, sondern in einer in jedem Einzelfall undurchschaubaren Weise von einem ihnen fremden gesellschaftlichen Zusammenhang abhängen, erzeugt Angst, Existenzangst.781 Mit ihr geht die reale Erfahrung der Ohnmacht einher, die sich in das Gefühl der Ohnmacht übersetzt und so in Widerspruch zur narzißtischen Besetzung der eigenen Person tritt. Die Erfordernisse der Selbsterhaltung erzwingen demnach eine übermäßige narzißtische Besetzung der eigenen Person,782 die Unsicherheit der gesellschaftlichen Bedingungen der Selbsterhaltung setzt sie permanenter Kränkung aus. »Das Ich erfährt (…) seine reale Ohnmacht als narzißtische Kränkung.«783 Darin besteht die Dialektik des Narzißmus: die Irrationalität der gesellschaftlichen Bedingungen der Selbsterhaltung nötigt zur narzißtischen Besetzung der eigenen Person und beschädigt diese zugleich. Die Dialektik des Narzißmus impliziert eine Frage inklusive Antwort. Die Frage lautet: wer ist schuld? Die Antwort lautet: ich nicht. Bin nicht ich schuld, sind es andere. Die Kollision von narzißtischer Besetzung der eigenen Person und narzißtischer Beschädigung hat eine giftige Konsequenz: der beschädigte Narzißmus drängt zur Identifikation von Schuldigen wie zur Befriedigung. Die Entgegensetzung von Ich und Anderen führt aber selbst in ein narzißtisches Problem: das Ich ist real ohnmächtig. Mächtig wird es im Kollektiv. Nach der Einsicht der Freudschen Massenpsychologie gelingt die Kollektivierung des Ichs durch gemeinsame Identifikation. Befriedigung wie Schuldige findet der beschädigte Narzißmus im kollektiven Narzißmus784 der nationalen Glaubensgemeinschaft, in der sich noch der größte Taugenichts, ohne irgend etwas dafür tun zu müssen, von der verkrachten Existenz zum Mitglied eines geschichtsmächtigen Kollektivs erhebt. Den Schuldigen liefert der Gegner dieser Glaubensgemeinschaft, ohne den sie sich nicht konstituieren kann. Deshalb besteht in der Kollision von narzißtischer Beschädigung und narzißtischer Besetzung der eigenen Person die psychische Grundlage der Empfänglichkeit für autoritäre Meinungen. »Die Menschen, mit denen er [der Führer, J. W.] zu rechnen hat, befinden sich in der Regel in dem charakteristischen modernen Konflikt zwischen einer sehr entwickelten, auf Selbsterhaltung eingestellten Ich-Instanz und dem ständigen Mißerfolg, den Ansprüchen des eigenen Ichs zu genügen.«785 Charakteristisch ist der Konflikt, weil er erstens in einer Gesellschaft mit kapitalistischer Produktionsweise strukturell angelegt und zweitens kontinuierlich ist, d. h. die einzelnen lebensgeschichtlich begleitet.

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Dieser Überlegung stellt sich erstens das autoritäre Syndrom, die konformistische Rebellion, als Einheit von narzißtischer Beschädigung und narzißtischer Befriedigung im kollektiven Narzißmus dar. Zweitens erklärt sie, was in der Lehre vom autoritären Charakter dunkel geblieben war, warum nämlich der Autoritäre, sei es psychisch im vorgestellten »wir«, sei es real in der Massenbewegung, seine autoritäre Aggression mit dem kollektiven Narzißmus verknüpft: Als Einzelner bleibt er immer ohnmächtig; der beschädigte Narzißmus ist nur kollektiv zu befriedigen. In der Kollision von narzißtischer Besetzung und narzißtischer Beschädigung besteht demnach eine fundamentale libidinöse Konstellation der beschädigten Subjekte in einer Gesellschaft mit kapitalistischer Produktionsweise. »Die Instinkte, die über den falschen Zustand hinausdrängen, stauen sich tendenziell auf den Narzißmus zurück, der im falschen Zustand sich befriedigt. Das ist ein Scharnier im Mechanismus des Bösen: Schwäche, die sich als Stärke verkennt.«786 Das »Scharnier«, die systematische Beziehung zwischen gesellschaftlicher Herrschaft und ihrer Verinnerlichung, stellt sich psychisch dar als gesellschaftlich erzwungene Kollision von narzißtischer Besetzung der eigenen Person mit ihrer permanenten Beschädigung. Es erklärt, warum der bestehenden Gesellschaft eine Tendenz zur Barbarei immanent ist. Denn das »Scharnier« erklärt, warum die konformistische Rebellion, die wesentliche Struktur jeden Typs des autoritären Charakters, im kollektiven Narzißmus eine adäquate, und das heißt normale, gesellschaftlich akzeptierte Form der Befriedigung narzißtischer Beschädigung findet. Nun wird auch verständlich, warum die Struktur nationalistischer Meinungen sich so wenig verändert hat. Klaus Holz hat in Nationaler Antisemitismus die strukturelle Identität nationalistischer Meinungen über Gesellschaft anhand einer Interpretation von Texten aus dem Bereich des nationalistischen Antisemitismus nachgewiesen.787 Die Resultate der Interpretation von Texten aus der Zeit des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts bis heute weisen derart frappierende Übereinstimmungen auf, daß hier eine fundamentale libidinöse Konstellation unterstellt werden muß. (2) Weil die individuelle Selbsterhaltung gesellschaftlich nur möglich ist durch die Verausgabung von Mehrarbeit fürs Kapital, werden gemäß Adorno von den einzelnen Verdrängungsleistungen gefordert, die rational nicht begründbar sind. Rational begründbar wäre ein Triebverzicht oder -aufschub, wenn der Zweck der ökonomischen Reproduktion der Gesellschaft in der Reproduktion der einzelnen bestünde,788 im Zustand der Versöhnung. Weil »der dem Individuum gesellschaftlich zugemutete Triebverzicht sich weder objektiv in seiner Wahrheit und Notwendigkeit legitimiert noch dem Subjekt das vertagte Triebziel später verschafft«789, steht das Ich vor der permanenten Schwierigkeit, seine libidinösen Bedürfnisse mit den Erfordernissen der Selbsterhaltung zu vermitteln. »Überfordert« ist es damit, weil es die Vermittlung nicht 137

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durch Einsicht zuwege bringen kann. »Um in der Realität sich behaupten zu können, muß das Ich diese erkennen und bewußt fungieren. Damit aber das Individuum die ihm aufgezwungenen, vielfach unsinnigen Verbote zuwege bringt, muß das Ich unbewußte Verbote aufrichten und selber weithin sich im Unbewußten halten.«790 Das Ich kann zwar, sofern es auf die Vermittlung zwischen Innen- und Außenwelt reflektiert, begreifen, daß es mit der Vermittlung überfordert ist, aber es kann sich dieser Überforderung nicht entziehen: Sie ist nicht durch seine Innenwelt, sondern gesellschaftlich erzwungen. Die Zwangsinstanz im Individuum ist nach der psychoanalytischen Terminologie das Über-Ich. Das Über-Ich ist nicht nur die Repräsentanz der zunächst elterlichen Autorität, ihrer Forderungen und Gebote.791 Diese Forderungen und Gebote sind selbst gesellschaftlich vermittelt. Daher repräsentiert das Über-Ich wesentlich gesellschaftliche Verhaltensnormen;792 es ist die Instanz der Gesellschaft in der Psyche des Individuums.793 In der individuellen Lebensgeschichte ist die Einsicht in die gesellschaftlichen Gründe der Verinnerlichung gesellschaftlicher Zwänge der Verinnerlichung zeitlich nachgeordnet – die nachwachsende Generation verinnerlicht gesellschaftliche Zwänge, bevor sie diese Zwänge erkennen kann. Für den Heranwachsenden ist die Frage, »ob eine Institution oder eine Handlungsnorm wert ist, im Interesse aller Betroffenen anerkannt zu werden, (...) bereits affirmativ beantwortet, bevor sie sich ihm als eine Frage stellen kann.«794 Demnach werden die Gesellschaftsmitglieder, um überhaupt Gesellschaftsmitglieder werden zu können, zur Errichtung einer psychischen Zwangsinstanz im Individuum, dem Über-Ich, verhalten, die entwicklungsgeschichtlich vor der Reflexion auf sie liegt. Daß die Reflexion stattfindet, jene Frage sich als Frage stellt, ist nicht zwingend zu begründen: Selbstreflexion ist ein Akt aus Freiheit. Das erklärt die Normalität der Irrationalität, in Adornos Worten: »die Überzeugung, Rationalität sei das Normale, ist falsch.«795 Folglich ist das Ich in einer Gesellschaft mit kapitalistischer Produktionsweise strukturell schwach, weil es die permanent miteinander in Konflikt stehenden libidinösen Ansprüche und die der Selbsterhaltung nicht rational vermitteln kann. Die Einsicht in den Konflikt hebt ihn ins Bewußtsein, beseitigt ihn aber nicht. Der psychoanalytischen Theorie zufolge ist die Einsicht in die Ursachen der Verdrängung ein Mittel zur Emanzipation des Ichs von ihm unbewußten psychischen Zwängen. Die Einsicht in gesellschaftlich erzwungene Verdrängungsleistungen ändert aber nichts an der Notwendigkeit der Verdrängung. Die durch gesellschaftliche Herrschaft erzwungene strukturelle Schwäche des Ichs affiziert auch den Begriff des starken Ichs. Ich habe in Kapitel 3.2.2 gezeigt, daß in ihm, dem starken Ich, das aufklärerische Ideal der psychoanalytischen Therapie und das zur Erkenntnis fähige Subjekt zusammenfallen. Die Stärke des starken Ichs, nämlich die Fähigkeit, Projektionen innerer Konflikte 138

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auf die Außenwelt zu erkennen und zurückzunehmen, die Fähigkeit zur sachlich adäquaten Reflexion der eigenen gesellschaftlichen Lebensbedingungen, entpuppt sich unter irrationalen gesellschaftlichen Bedingungen als Schwäche. Das im emphatischen Sinn starke Ich leidet an dem Mangel der Unangepaßtheit. Adorno drückt das in einem Widerspruch im Ziel der psychoanalytischen Therapie aus: »Die gesellschaftlich irrationale Konsequenz wird auch individuell irrational (...). Noch die gelungene Kur trägt das Stigma des Beschädigten, der vergeblichen und sich pathisch übertreibenden Anpassung. Indem der Geheilte dem irren Ganzen sich anähnelt, wird er erst recht krank, ohne daß doch der, dem die Heilung mißlingt, darum gesünder würde.«796 Das schwache Ich erweist sich umgekehrt dann als stark, wenn es die ihm auferlegten Versagungen in einer gesellschaftlich akzeptierten Weise ausagieren kann. »Ichschwäche heute ist höchst realitätsgerecht: daher ihre bestürzende Gewalt.«797 Die Verkehrung von starkem und schwachem Ich, die darin besteht, daß unter irrationalen gesellschaftlichen Verhältnissen sich das starke Ich als triebökonomisch irrational darstellt, das schwache Ich hingegen als triebökonomisch rational, ist demnach eine objektive, gesellschaftlich vermittelte Verkehrung. Trotzdem bestreitet diese Erklärung nicht die Fähigkeit des individuellen Subjekts zur Selbstreflexion. Gezeigt werden konnte, daß der Einsicht in verinnerlichte Zwänge deren Verinnerlichung vorhergeht. Während diese notwendig ist, ist die Einsicht in den Zwang nicht notwendig, sondern möglich. Eben das war das Resultat der Interpretation des dialektischen Begriffs des Ichs bei Adorno. Wo die Einsicht praktisch wird, werden »Spuren« gesellschaftlicher Emanzipation »sichtbar: Widerstand gegen blinde Anpassung, Freiheit zu rational gewählten Zielen«798. Wenn die fundamentale libidinöse Konstellation: beschädigter Narzißmus die typische Gestalt verinnerlichter gesellschaftlicher Herrschaft ist, stellt sich die Frage nach der historischen Veränderung des verinnerlichten Zwangs wieder neu. Die Behauptung, die gesellschaftlich vorherrschenden Charakterstrukturen hätten sich nicht verändert, wäre unsinnig. Sie stünde auch gegen den Adornoschen Text. Demnach müssen sich neben identischen Momenten Unterschiede bestimmen lassen.

3.4 Historische Momente der inneren Vergesellschaftung – die These von der zunehmenden Ich-Schwäche In Kapitel 3.3 habe ich den erpreßten Narzißmus als verinnerlichte Gestalt gesellschaftlicher Herrschaft bei Adorno ausgewiesen. Dadurch werden die Subjekte in der Erkenntnis ihrer eigenen gesellschaftlichen Lebensbedingungen beschädigt. Damit ist auch die zweite Gestalt der Beschädigung der Subjekte und 139

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deshalb der Subjektbegriff Adornos als kritischer Subjektbegriff begründet. Offen sind noch zwei Fragen: Die Frage nach der Veränderung der Individuationsbedingungen im Zuge der Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise und die Frage nach dem Subjekt gesellschaftlicher Veränderung. Ich werde zunächst die erste Frage beantworten. Bei Adorno stellt sich die Veränderung der Individuationsbedingungen als eine Tendenz zu universaler Ich-Schwäche dar (3.4.1). Demnach sind die Individuen kaum mehr in der Lage, den gesellschaftlichen Herrschaftszusammenhang sachlich adäquat zu erkennen. Das führt in einen Widerspruch: Diese Tendenz ist nur von einem Ich zu formulieren, das von der Tendenz ausgenommen ist. Dann ist der universelle Anspruch der Aussage nicht zu halten. Dieser Widerspruch ist von dem in Kapitel 3.2 entwickelten unterschieden. Dort war mit dem dialektischen Begriff des Ichs dem Problem einer psychologischen Deutung nicht-rationaler Meinungen begegnet worden: der These, das schwache Ich sei zur Reflexion seiner eigenen gesellschaftlichen Lebensbedingungen unfähig. Hier handelt es sich nicht um ein Problem psychologischer Deutung, sondern um eine von Adorno unterstellte historische Tendenz gesellschaftlicher Entwicklung (3.4.2). Der Widerspruch ist bisher immanent, in der Argumentation Adornos selbst, nicht gelöst. Das wird in einer exemplarischen Darstellung von Reaktionen auf ihn in der Sekundärliteratur deutlich (3.4.3). Wenn sich die These von der zunehmenden IchSchwäche tatsächlich zwingend aus der Analyse der gesellschaftlichen Zwänge, denen die Subjekte unterworfen sind, ergibt, so ist die Revision unumgänglich. Zeichnet sich ein kritischer Subjektbegriff dadurch aus, daß er die gesellschaftlichen Zwänge bestimmt, die die Subjekte beschädigen, so ist er nicht kritisch, sondern skeptisch, wenn aus der Analyse der Zwänge die These folgt, die Individuen seien als Subjekte zerstört. Mit Hilfe des dialektischen Begriffs des Ichs läßt sich der Widerspruch lösen (3.5).

3.4.1 Der charakterlose Charakter Eine Veränderung der Individuationsbedingungen ergibt sich aus der zunehmend warenförmig vermittelten individuellen Reproduktion und der zunehmenden Vermittlung individuellen Lebens durch gesellschaftliche Organisationen. Ich habe diesen Prozeß in Kapitel 2.4.2 unter dem Titel Integration dargestellt und rekapituliere hier kurz die Ergebnisse, die zur Erörterung seines psychischen Korrelats nötig sind. Die individuelle Sozialisation ist zunehmend außerfamiliär vermittelt. Ein Medium der Vermittlung sind Massenkommunikationsmittel. Charakteristisch für die Integration der individuellen Sozialisation in das System gesellschaftlicher Reproduktion ist nach Adorno die damit verbundene Zerstörung des Freiraums, in dem »Besinnung«799, Nachdenken möglich ist. Der zunehmend warenförmigen Vermittlung der individuellen Reproduktion korrespondiert deren 140

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zunehmende Vereinheitlichung und eine Auflösung traditionaler Lebensformen. Imbißketten umspannen die ganze Welt, Kinofilme werden für den Weltmarkt produziert etc. Daraus ergibt sich eine Tendenz zur Homogenisierung individueller Erfahrung. Die »traditionalen Elemente des Familienverhältnisses (werden) allmählich von ›rationalen‹ verdrängt.«800 Der Transformation traditionaler Lebenszusammenhänge in warenförmig vermittelte Beziehungen korrespondiert eine Funktionalisierung der Sozialbeziehungen. Daraus folgt bei Adorno eine Tendenz zu zunehmender bürgerlicher Kälte.801 Max Horkheimer hat die Konsequenz des Prozesses der Integration prägnant formuliert: »Wir sind zu der Überzeugung gelangt, daß die Gesellschaft sich zu einer total verwalteten Welt entwickeln wird. (...) Es gilt (..), dasjenige, was positiv zu bewerten ist, wie zum Beispiel die Autonomie der einzelnen Person, die Bedeutung des einzelnen, seine differenzierte Psychologie, gewisse Momente der Kultur zu bewahren, ohne den Fortschritt aufzuhalten.«802 Die »Autonomie der einzelnen Person« soll bewahrt werden, weil sie durch den Prozeß der Integration bedroht wird. Eine Gesellschaft, die den einzelnen in immer umfassenderem Maße Funktionen zuweist, macht die Individuen zu Charaktermasken dieser Funktionen. Sie werden zu Trägern von Rollen und bestimmen sich selbst durch diese Rollen.803 »Im Zeitalter wahrhaft beispielloser sozialer Integration fällt es schwer, überhaupt auszumachen, was an den Menschen anders wäre als funktionsbestimmt.«804 Das setzt auf Seiten der Individuen die Fähigkeit voraus, sich in sie einpassen, gesellschaftlich definierte und wechselnde Rollen übernehmen zu können. Für diese Einpassung sind festgefügte Charakterstrukturen dysfunktional. Die alte Vergesellschaftungsform Individuum, wie sie Horkheimer und Adorno vor Augen steht, ist die Form der Vergesellschaftung aus einer Zeit, die unwiederbringlich vergangen ist: ein Mensch mit einem festgefügten Charakter.805 Man kann daher sagen, daß der Entwicklung der bestehenden Gesellschaft eine Tendenz zur Verflüssigung des Charakters immanent ist. Die Verflüssigung des Charakters ist Resultat wie subjektive Voraussetzung des Fortschritts der Vergesellschaftung. An die Stelle des Individuums tritt die Funktion. In einer Funktion ist das Individuum normalerweise ersetzbar.806 Adorno nennt das eine »Kräfteverschiebung zwischen Gesellschaft und einzelnen. Die gesellschaftliche Macht bedarf kaum mehr der vermittelnden Agenturen von Ich und Individualität.«807 In der Verflüssigung vormals festgefügter Charakterstrukturen besteht demnach das historische Moment der inneren Vergesellschaftung. Die Veränderung in der inneren Zusammensetzung des Individuums, die Tendenz zum charakterlosen Charakter, ist das psychische Korrelat des Prozesses fortschreitender Integration.808 Herbert Marcuse hat daraus ein »Veralten der Psychoanalyse« abgeleitet.809 Sie veralte, weil ihr Gegenstand, das gegen den gesellschaftlichen Zusammenhang selbständige und in sich verfestigte Individuum, schwinde. Für Adorno gewinnt aus diesem Grund die »Psychoanalyse in ihrer authentischen 141

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und geschichtlich überholten Gestalt (..) ihre Wahrheit als Bericht von den Mächten der Zerstörung, die inmitten des zerstörenden Allgemeinen im Besonderen wuchern.«810 Adorno begreift den Prozeß zunehmender Vergesellschaftung aber nicht nur als Veränderung der Vergesellschaftungsform, sondern zugleich als »Schwächung der inneren Zusammensetzung des Ichs«811. Deshalb muß er eine Tendenz zur Zerstörung des Individuums als Subjekt annehmen: »Die Kraft des Ichs, die verlorenzugehen droht (…), ist die des Bewußtseins, der Rationalität. Ihr obliegt wesentlich die Realitätsprüfung. Sie vertritt im Einzelnen die Realität, das Nicht-Ich, ebensogut wie den Einzelnen selbst.«812 Wenn die »Kraft des Ichs«, sachlich adäquat auf seine gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu reflektieren, verloren geht, wird gesellschaftliche Herrschaft unerkennbar, Emanzipation daher unmöglich. Strittig ist diese Konsequenz, nicht die Diagnose des Prozesses der Verflüssigung von Charakterstrukturen – seine gesellschaftliche Grundlage, die Integration, erscheint etwa bei Habermas unter dem Titel »Kolonisierung der Lebenswelt«813.

3.4.2 Darstellung des Widerspruchs bei Adorno Wenn das psychische Korrelat des Prozesses der Integration eine zunehmende Zerstörung des Individuums als Subjekt ist, schließt sich der »Zirkel (…). Es bedürfte der lebendigen Menschen, um die verhärteten Zustände zu verändern, aber diese haben sich so tief in die lebendigen Menschen hinein, auf Kosten ihres Lebens und ihrer Individuation, fortgesetzt, daß sie jener Spontaneität kaum mehr fähig scheinen, von der alles abhinge.«814 Schlösse sich der Zirkel aber, hätte Kritische Theorie keinen Adressaten mehr und sie stünde zudem vor dem logischen Problem, eine Erkenntnis zu formulieren, deren Inhalt durch eben diese Erkenntnis bestritten würde.815 Gegen diese Diagnose steht die »Wendung aufs Subjekt«816. Darunter versteht Adorno wesentlich Aufklärung über den Nationalsozialismus.817 Ziel solcher Aufklärung ist das mündige Individuum. »Mündig ist der, der für sich selbst spricht, weil er für sich selbst gedacht hat und nicht bloß nachredet; der nicht bevormundet wird.«818 Das mündige Individuum denkt. Das denkende Individuum ist Subjekt. Eben deshalb spricht Adorno von einer »Wendung aufs Subjekt«. Die Wendung wird aber torpediert durch die Resultate der gesellschaftstheoretischen Analyse. Es finden sich also zwei einander widersprechende Positionen bei Adorno vor. Einerseits wird von einer Zerstörung des Subjekts, andererseits von einer Wendung aufs Subjekt gesprochen. Der Widerspruch, in den sich die Konsequenz der gesellschaftstheoretischen Analyse Adornos verstrickt, durchzieht nicht nur seine Schriften; er hat auch die Möglichkeit der Individuen zur Reflexion ihrer eigenen gesellschaftlichen Lebensbedingungen wie die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Emanzipation 142

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im Zuge seiner theoretischen Entwicklung zunehmend verschlossen. Das wird nirgends deutlicher als am Wandel der Interpretation der elften Feuerbachthese von Marx: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.«819 In Adornos Antrittsvorlesung steht noch geschrieben: »Wenn Marx den Philosophen vorwarf, sie hätten die Welt verschieden interpretiert, und ihnen entgegenhielt, es käme darauf an, sie zu verändern, so ist der Satz nicht bloß aus der politischen Praxis, sondern ebensowohl aus der philosophischen Theorie legitimiert. In der Vernichtung der Frage bewährt sich erst die Echtheit der philosophischen Deutung und reines Denken vermag sie von sich aus nicht zu vollziehen: darum zwingt sie Praxis herbei.«820 Auf die »Vernichtung der Frage« ist eine bestimmte Praxis gerichtet, und exakt die ist auch gemeint: die revolutionäre Praxis. 30 Jahre später schreibt Adorno in dem kleinen, ursprünglich als Rundfunkvortrag gehaltenen Aufsatz Wozu noch Philosophie: »Wer noch philosophiert, kann es nur, wenn er die Marxische These vom Überholtsein der Besinnung verneint. Sie dachte die Möglichkeit der Veränderung der Welt von Grund auf als jetzt und hier gegenwärtig. Bloß Sturheit aber könnte diese Möglichkeit noch so unterstellen wie Marx. Das Proletariat, an das er sich wandte, war noch nicht integriert: es verelendete zusehends, während andererseits die gesellschaftliche Macht nicht über die Mittel verfügte, im Ernstfall mit überwältigender Chance sich zu behaupten.«821 Die »Veränderung der Welt von Grund auf« sei nicht mehr gegenwärtig, die elfte Feuerbachthese daher so nicht mehr zu halten. Deshalb gewänne die Besinnung, das Denken, neues Gewicht. Weil das Gewicht dieser Besinnung aber ein historisches Resultat ist, die Reflexion auf den Prozeß, der das Resultat hervorbringt, nicht mehr als ihre eigene zunehmende Ohnmacht diagnostizieren kann, bleibt tatsächlich eine selbst individuell kaum lösbare Aufgabe als Konsequenz: »Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.«822 Die nicht einfach resignative, sondern der theoretischen Konstruktion nach konsequente Interpretation der elften Feuerbachthese legt zwar den geschlossenen Zirkel nahe, schließt ihn aber nicht wirklich. Die »Möglichkeit der Veränderung der Welt« könne nicht mehr so unterstellt werden, wie das noch Marx getan habe. Verändert haben sich demnach die historischen Bedingungen der Möglichkeit, nicht die Möglichkeit selbst. Wenn aber irgend sinnvoll vom Fortbestand der Möglichkeit geredet werden können soll, muß sich ein Träger ausmachen lassen, der sie potentiell realisieren kann. Eben dieser Träger sei aber im Verschwinden begriffen. Vom Institut für Sozialforschung durchgeführte empirische Untersuchungen hätten gezeigt, daß die »Integration von Bewußtsein und Freizeit offenbar doch noch nicht ganz gelungen ist. Die realen Interessen der Einzelnen sind immer noch stark genug, um, in Grenzen, der totalen Erfassung zu widerstehen. Das würde zusammenstimmen mit der gesellschaftlichen 143

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Prognose, daß eine Gesellschaft, deren tragende Widersprüche ungemindert fortbestehen, auch im Bewußtsein nicht total integriert werden kann.«823 »Noch« ist eine zeitliche Bestimmung, der geschlossene Systemzirkel daher eine Frage der Zeit. Der Widerspruch stellt sich also auf der Seite der Subjekte so dar, daß von ihnen einerseits gesagt wird, sie seien noch nicht ganz integriert, andererseits aber gesagt wird, ihr Bewußtsein sei nicht vollständig zu integrieren. Struktur und Grund des Widerspruchs sind nun klar zutage getreten: Der gesellschaftstheoretischen Argumentation nach wird das Individuum als Subjekt zerstört. Adorno erklärt die Zerstörung aus einer zunehmenden Ich-Schwäche, die zunehmende Ich-Schwäche aus der zunehmenden Integration der einzelnen in die Gesellschaft, die zunehmende Integration aus einer Ausdehnung der kapitalistischen Warenproduktion. Adornos Rede von der »Wendung aufs Subjekt« unterstellt umgekehrt, daß das Individuum als Subjekt nicht zerstört wird. Im ersten Kapitel konnte der sachliche Ausgangspunkt der kommunikationstheoretischen Wende der Kritischen Theorie, die These, Adorno könne den normativen Maßstab der Kritik nicht begründen, widerlegt werden: Eine Analyse der Erklärung der Genesis des Subjekts bei Adorno wies zwei miteinander nicht kompatible Argumentationsstränge in der Dialektik der Aufklärung wie in den späteren Schriften nach. Der eine Strang der Argumentation, die Erklärung der Genesis des Subjekts aus der durch Arbeit vermittelten Selbsterhaltung der Gattung, führte zwingend auf die Habermassche Revision. Durch den zweiten Strang der Argumentation hingegen, der Erklärung der Genesis des Subjekts aus gesellschaftlicher Herrschaft, konnte der normative Maßstab der Kritik begründet werden. Nun stellt sich das Problem neu, als Resultat der Analyse der Zwänge, die gemäß Adorno das individuelle Subjekt beschädigen. Adorno hat für den Widerspruch keine Lösung formuliert. Seine beiden Seiten stehen nebeneinander. Deshalb kristallisiert sich an diesem Punkt die Sekundärliteratur.824

3.4.3 Reaktionen in der Sekundärliteratur auf den Widerspruch Die Reaktion der Sekundärliteratur auf den Widerspruch ist, wo er nicht nur diagnostiziert wird,825 im wesentlichen durch vier Positionen charakterisiert: Die Revision im Rahmen der kommunikationstheoretischen Wende der Kritischen Theorie (1). Vor allem von pädagogischer Seite wird der Widerspruch ignoriert (2). Eine dritte Position radikalisiert die These von der zunehmenden Ich-Schwäche (3). Die am wenigsten einheitliche Position hält an der Kritischen Theorie fest und versucht, den Widerspruch auf unterschiedliche Weise zu lösen (4). (1) Die Revision geht davon aus, daß »mit der Annahme, daß durch die gesellschaftliche Rationalisierung Krisen und Konflikttendenzen innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen beseitigt wurden und daß die kulturelle Rationa144

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lisierung zur Zerstörung der autonomen Persönlichkeit führt, (..) die Kritische Theorie den Horizont zukünftiger Veränderung aus den Augen (verliert).«826 Diese Position wäre zwingend, wenn sie erklären könnte, warum diese Konsequenz von Adorno nicht durchgängig vertreten wird. Das kann sie aber nicht. Deshalb wird die »Wendung aufs Subjekt« ignoriert. Die Ignoranz gegenüber der Revision entgegenstehenden Passagen erwies sich schon im ersten Kapitel als der entscheidende Schwachpunkt dieser Auffassung. (2) Die pädagogisch orientierte Sekundärliteratur verhält sich oft in der genau umgekehrten Weise: Um die Schriften Adornos für die Pädagogik fruchtbar zu machen, blendet sie die Konsequenzen der gesellschaftstheoretischen Argumentation aus.827 Fritz H. Paffrath hat die »Wendung aufs Subjekt« untersucht. Seiner Auffassung nach kulminieren in ihr schon in früheren Schriften Adornos angelegte pädagogische Absichten.828 Paffrath betont an zentralen Stellen, daß Adorno die Möglichkeiten, durch Erziehung in die gesellschaftliche Gesamtverfassung einzugreifen, als ausgesprochen gering angesehen habe. »Die Veränderung objektiver Strukturen erweist sich unter der Signatur der verwalteten Welt zunehmend versperrt und aussichtslos. Deshalb verschiebt sich der Akzent auf den Bereich, in dem – der Intention Kritischer Theorie gemäß – Eingreifen noch möglich scheint.«829 Dies sei im Bereich »des Konstitutionsprozesses des Subjekts«830 der Fall. Gerade die Veränderungen im »Konstitutionsprozeß des Subjekts« führen bei Adorno aber zu der These von der zunehmenden Ich-Schwäche. Weil Paffrath diesen Zusammenhang nicht reflektiert, ist er schließlich genötigt, die pädagogisch orientierten Überlegungen Adornos in persönliche Motivationen zu übersetzen.831 Die Übersetzung von sachlichen Problemen in persönliche Motivationen führt zwingend zu einer Gegenüberstellung miteinander konkurrierender Motivationen, in der Konsequenz zu einer psychologisierenden Interpretation: »Er [Adorno, J.W.] will den Prozeß [der zunehmenden Ohnmacht der einzelnen, J. W.] nicht wahrhaben, muß ihn verdrängen und sich einreden, daß es nicht so sei, um den Rest utopischer Hoffnung zu bewahren.«832 Schließlich wird die Diagnose konkurrierender individueller Motive bei Adorno durch die Verleihung des Titels »dialektisch« in den Adelsstand erhoben und weiterer Reflexion entzogen: »Die Auseinandersetzung Adornos mit pädagogischen Fragen und Problemen« sei »auf dem Hintergrund seiner ›Wendung aufs Subjekt‹ dialektisch zu begreifen (..): als Versuch, aktiv einzugreifen, sowie als Ausdruck tiefster Resignation.«833 Damit ist das ungelöste sachliche Problem, der Widerspruch in der Argumentation Adornos, zum Ausdruck widerstreitender Motive und damit sachlich unlösbar geworden. (3) Eine dritte Position radikalisiert Adornos These von der zunehmenden Ich-Schwäche. Sie gelangt zu der Auffassung, daß die Individuen, würden sie ihre gesellschaftlichen Lebensbedingungen erkennen, wahnsinnig werden müßten.834 Weil die Autoren dieser These ihre Gültigkeit für sich selbst bestreiten müssen, ist sie widersinnig und führt ein Schattendasein. 145

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(4) Die Position derer, die sich mit dem Widerspruch in der Argumentation Adornos auseinandersetzen und an ihr festhalten, ist uneinheitlich und daher schwer zu referieren. Ich will im folgenden die Auffassung eines ihrer stärksten Vertreter und einen typischen Rettungsversuch vorstellen. Detlev Claussen hat mit dem Verweis auf unterschiedliche Argumentationen in Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie und in dem elf Jahre später verfaßten Postscriptum den Widerspruch zu lösen versucht. Im Postscriptum fasse Adorno das noch im Aufsatz als Resultat formulierte Verschwinden des Individuums als Tendenz.835 Indem das Individuum nicht mehr als verschwundenes, sondern als tendenziell verschwindendes aufgefaßt werde, bleibe es dem »psychoanalytisch-gesellschaftskritischen Denken« möglich, »die Ungleichzeitigkeit [von geschichtlicher und lebensgeschichtlicher Entwicklung, J. W.] als Quelle subjektiven Widerstands« zu »erschließen«.836 Claussen gelten entsprechend die Passagen bei Adorno, in denen das Verschwinden des Individuums zum Resultat erklärt wird, als »Schwachstelle« der Kritischen Theorie, aus der Habermas »die Legitimation seiner Revision«837 beziehe. Deren »Legitimation« entfalle mithin durch den Nachweis, daß das Verschwinden des Individuums nicht als Resultat, sondern als Tendenz zu begreifen sei. Weil diese Auffassung immanent aus der Argumentation Adornos entfaltet ist, zwingt sie weder zu deren Revision noch hat sie auf den ersten Blick ein theoretisches Problem mit der »Wendung aufs Subjekt«. Indes ist auch sie vor eine Schwierigkeit gestellt: Der Begriff der Tendenz bezeichnet kein Statisches, sondern ein Dynamisches. Das nötigt Claussen zu der Formulierung: »Gesellschaftliche Tendenzen begünstigen tatsächlich die Auflösung des in sich widersprüchlichen Individuums.«838 Damit aber ist der sich schließende »Zirkel« nicht aufgehoben, sondern nur verschoben. Ein anderer Rettungsversuch besteht darin, eine bestimmte Erfahrung anzunehmen, die nicht integriert wird. »Wäre das Subjekt völlig zur warenförmigen Monade deformiert, (..) wäre genuine Erfahrung nicht mehr möglich.«839 Der »erfahrungskritische Ansatz« Adornos subsumiert nach dieser Auffassung »keineswegs jede Art von Erfahrung unterschiedslos ihrem Verfallsprozeß.«840 Die Erfahrung des Leidens sei davon ausgenommen.841 »Wer leidet, ist nicht restlos integriert«; die Erfahrung des Leides berge daher einen »genuin kritischen Gehalt«842. Dies gelte jedoch nur, wenn »es zu der Leiderfahrung überhaupt noch kommt, was im Hinblick auf Adornos Reflexionen über traumatisierende Leiderlebnisse, die genuine Erfahrung gerade ausschließen, nicht in jedem Fall mehr angenommen werden dürfte.«843 Von der Erfahrung des Leidens wird also gesagt, sie könne die Erfahrung des Leidens verunmöglichen. Folglich birgt die Erfahrung des Leidens weder einen »genuin kritischen Gehalt« noch ist sie vom »Verfallsprozeß« ausgenommen. Also kann auch dieser Versuch den Widerspruch bei Adorno nicht lösen.

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Das Problem ist nur zu lösen, wenn ein Ausweg aus dem Zirkel gefunden werden kann.844 Dieser Ausweg muß sich immanent aus der Argumentation Adornos ergeben. Ergibt er sich nicht, ist die Revision zwingend.

3.5 Auflösung des Widerspruchs Ich habe gezeigt, daß die Besonderheit des Adornoschen Subjektbegriffs darin besteht, daß er das individuelle Subjekt als beschädigt auffaßt. Die Beschädigungen firmieren bei Adorno unter dem Begriff des Leidens. Die prominente Stellung des Begriffs des Leidens bei Adorno wurde dargestellt,845 der Maßstab der Kritik, der Begriff der Versöhnung, begründet.846 Dadurch wurde die erste der in der Einleitung genannten drei widersprüchlichen Argumentationen, die sich bei Adorno im Zusammenhang mit der Begründung eines kritischen Subjektbegriffs vorfinden, immanent gelöst. Das Leiden wurde anschließend als Resultat gesellschaftlicher Herrschaft ausgewiesen. Die Analyse der gesellschaftlichen Zwänge wurde in zwei Schritten vorgenommen. Erstens wurde dargestellt, daß die Selbsterhaltung der einzelnen nicht durch ein gesellschaftliches Gesamtsubjekt, sondern durch das Kapitalverhältnis vermittelt ist. Der Begriff des gesellschaftlichen Gesamtsubjekts ist mit dem des einzelnen Subjekts bei Adorno durch den Begriff des Zwecks verbunden. Ein gesellschaftliches Gesamtsubjekt existierte dann, wenn die ökonomische Reproduktion der Gesellschaft die ökonomische Reproduktion der Gesellschaftsmitglieder zum Zweck hätte. Unterm Kapital hingegen sind die Gesellschaftsmitglieder Mittel der ökonomischen Reproduktion der Gesellschaft. Im Rahmen einer Analyse der beiden Bestimmungen der gesellschaftlichen Totalität als universellem Tauschzusammenhang und als Kapitalverhältnis habe ich gezeigt, daß die Verkehrung von Mittel und Zweck sich nur aus dem Kapitalverhältnis begründen läßt. So wurde die zweite der in der Einleitung genannten widersprüchlichen Argumentationen immanent aufgelöst. Die im Kapitalverhältnis versachlichte Gestalt von Herrschaft tritt den Gesellschaftsmitgliedern als Beschädigung ihrer Autonomie, als Zwang zur Verausgabung von Mehrarbeit, gegenüber. Da das individuelle Subjekt sich selbst nur unter der Voraussetzung der Verausgabung von Mehrarbeit erhalten kann, diese Voraussetzung aber durch den Prozeß der kapitalistischen Produktion fortwährend als Resultat produziert wird, härtet es die unsichtbare Kette, die es ans Kapitalverhältnis schmiedet. Dadurch wurde der kritische Subjektbegriff begründet: Die Autonomie des individuellen Subjekts verkehrt sich in den Zwang zur Produktion von Mehrprodukt. Das immanente Gesetz des Zwangszusammenhangs, die »Produktion um der Produktion willen«, erwies sich zugleich als Bedingung der Möglichkeit der Freiheit der Subjekte: Das Mehrprodukt ist eine durch

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Herrschaft realisierte Gestalt der Freiheit.847 Darin besteht das materielle Substrat der Versöhnung. Zweitens wurde gezeigt, daß nicht nur die autonome Bestimmung des Willens, sondern auch die Erkenntnis der Hinderungsgründe der autonomen Willensbestimmung beschädigt wird. Die Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft drückt sich gesellschaftlich in der Empfänglichkeit der Gesellschaftsmitglieder für autoritäre politische Meinungen aus. Aus der unter den bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen notwendig prekären Selbsterhaltung der einzelnen ergibt sich eine fundamentale libidinöse Konstellation, die Nötigung zur narzißtischen Besetzung der eigenen Person, die durch die prekäre Selbsterhaltung fortgesetzter Kränkung ausgesetzt ist. Aus der Dialektik des Narzißmus konnte erklärt werden, warum der kollektive Narzißmus eine nach wie vor gesellschaftlich normale Form der Lösung jener Konstellation darstellt.848 Das historische Moment der inneren Vergesellschaftung bestand in einer Tendenz zur Verflüssigung des Charakters. Sie ist für Adorno mit einer zunehmenden Unfähigkeit des Ichs zur Reflexion seiner gesellschaftlichen Lebensbedingungen gleichbedeutend. Dieser Schluß von der Veränderung der inneren Zusammensetzung des Ichs auf dessen Schwächung ist unzulässig. Die Erörterung des dialektischen Begriffs des Ichs hat ergeben, daß das Ich immanent psychologisch bestimmt werden muß, aber nicht vollständig immanent psychologisch bestimmt werden kann. Adorno schließt mit der These von der zunehmenden Ich-Schwäche oder vom sich schließenden Zirkel von der immanent psychologischen Bestimmung des Ichs auf seine nicht immanent psychologische Bestimmung. Die nicht immanent psychologische Bestimmung des Ichs ist auf dessen Mündigkeit bezogen. Mündig ist, wer ein adäquates Bewußtsein von den gesellschaftlichen Bedingungen hat, unter denen er lebt. Ich habe in Kapitel 3.2 nachgewiesen, daß die Reflexion auf die eigenen gesellschaftlichen Lebensbedingungen einen spontanen Akt, einen Akt aus Freiheit, voraussetzt. Dieser Akt ist deshalb psychologischer Bestimmung entzogen. Jede Erkenntnis, jede Willensbestimmung ist ein Akt aus Freiheit. Ein Akt aus Freiheit, das ist im Begriff der Freiheit enthalten, läßt sich nicht aus anderem begründen. Er kann stattfinden oder auch nicht stattfinden. Dies war der Grund, warum die beiden Seiten des dialektischen Begriffs des Ichs nicht ineinander überführbar sind. Bezüglich der im Zusammenhang mit der Interpretation der elften Feuerbachthese zitierten »Möglichkeit der Veränderung der Welt von Grund auf« ist damit gesagt, daß sie stattfinden kann oder auch nicht. Unter den gegenwärtigen historischen Bedingungen ist sie unwahrscheinlich, deshalb aber nicht auf alle Zeit unmöglich.849 Daraus folgt zwingend, daß die Abwesenheit der befreienden Tat oder der Einsicht in gesellschaftliche und psychische Zwänge so wenig im strengen Sinne erklärbar ist wie ihr Vollzug, daß also die Frage nach ihren Hinderungsgründen nicht vollständig beantwortbar ist. »Zu erklären, warum etwas nicht 148

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der Fall sei, ist stets mit großen erkenntnistheoretischen Problemen verknüpft.«850 Diese Einsicht habe ich als den entscheidenden Fortschritt Adornos bei der Bestimmung des Verhältnisses von Gesellschaftstheorie und Psychologie gegenüber dem frühen Horkheimer aufgefaßt.851 Ihr unterliegt der dialektische Begriff des Ichs und damit eine Einsicht, die für die Begründung der Psychologie als Teil der Gesellschaftstheorie eine wesentliche Rolle spielt: Sie ist nicht über die Abwesenheit rationaler, mündiger Menschen, sondern nur über die Existenz von irrationalem Verhalten zu begründen. Die Existenz irrationaler Massenbewegungen oder Meinungen über Gesellschaft unterstellt psychologisch zu bestimmende Determinanten auf Seiten ihrer Anhänger, die mit Hilfe des dialektischen Begriffs des Ichs erhellt werden können, ohne in einen Determinismus, die Behauptung, jene könnten nicht anders handeln, verfallen zu müssen.852 Der von Adorno selbst formulierte dialektische Begriff des Ichs steht also gegen die Rede vom sich schließenden Zirkel oder von einer zunehmenden Ichschwäche. Das, wenn man so will, alte Individuum war nicht mehr noch weniger mündig als das neue. Auch das Ich des alten Individuums war dialektisch bestimmt. Für das alte wie für das neue Individuum gilt: Mündigkeit bezieht sich auf die psychologischer Bestimmung entzogene Seite des Ichs. Sie ist ein Akt aus Freiheit. Nur weil Adorno entgegen den Implikationen des von ihm selbst formulierten dialektischen Begriffs des Ichs von der immanent psychologischen Bestimmung des Ichs auf die nicht immanent psychologische schließt, kann er die Veränderung der inneren Zusammensetzung des Ichs als Tendenz zur Zerstörung des Individuums als Subjekt interpretieren. Deshalb stellt sich seine Argumentation widersprüchlich dar. An dem Widerspruch ist nun nichts Mysteriöses mehr. Die dritte der in der Einleitung genannten widersprüchlichen Argumentationen Adornos bezüglich des kritischen Subjektbegriffs ist damit ebenfalls immanent gelöst. Also ist der kritische Subjektbegriff immanent aus der Argumentation Adornos begründet. Auf dieser Grundlage ist es möglich, den sachlichen Gehalt des in diesem Kapitel entfalteten Widerspruchs zwischen dem Theorem der Ich-Schwäche und der Wendung aufs Subjekt zu entwickeln. Tatsächlich gelangt die Analyse der Beschädigungen der Subjekte zur Formulierung eines Widerspruchs. Dieser Widerspruch aber ist begründbar, er hat einen Grund in der Sache: Emanzipatorisches Handeln setzt Mündigkeit voraus. Diese Mündigkeit aber wird unter gesellschaftlichen Bedingungen, welche die einzelnen zur Unmündigkeit verhalten, torpediert. Der Widerspruch stellt sich daher als Aporie dar: dem aufklärerischen Ziel Kritischer Theorie, das mündige Individuum oder, was dasselbe sagt, das Individuum als Subjekt, widerstreiten die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen es existiert. Die Aporie findet ihren Ausdruck in der 149

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»Wendung aufs Subjekt«. Sie ist abschließend zu erörtern. Dabei kann auch die Frage, wer Subjekt emanzipatorischer gesellschaftlicher Veränderung ist, beantwortet werden.

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4 Die Wendung aufs Subjekt

Nach Adorno hat die Realität der Barbarei im nationalsozialistischen Herrschaftssystem der Menschheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgenötigt, alles zu tun, damit sich Vergleichbares nicht noch einmal vollzieht. Weil die objektiven gesellschaftlichen Voraussetzungen der Barbarei aktuell nicht veränderbar seien, müsse dort eingegriffen werden, wo praktischer Einriff überhaupt noch möglich sei, bei den Subjekten. »Da die Möglichkeit, die objektiven, nämlich gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen, die solche Ereignisse ausbrüten, zu verändern, heute aufs äußerste beschränkt ist, sind Versuche, der Wiederholung entgegenzuarbeiten, notwendig auf die subjektive Seite abgedrängt.«853 Dadurch könne zwar nicht die Fortexistenz der gesellschaftlichen Voraussetzungen der Barbarei verändert werden, wohl aber ihrem erneuten Eintritt entgegengewirkt werden. Dies Entgegenwirken, die Wendung aufs Subjekt, könne das Selbstbewußtsein und das Selbst der Subjekte stärken.854 Ersichtlich sind in der »Wendung aufs Subjekt« historische und systematische Momente verschränkt. Historische Voraussetzung ist der Nationalsozialismus, systematische Voraussetzung die Unterstellung, die Individuen seien Aufklärung zugänglich. Das historische Moment der Argumentation ist zuerst zu entfalten. In diesem Zusammenhang wird auch auf die oben erwähnte Aporie und auf das Subjekt emanzipatorischer gesellschaftlicher Veränderung einzugehen sein (4.1). Anschließend wird das systematische Moment entwickelt (4.2).

4.1 Das historische Moment der Wendung aufs Subjekt Die Wendung aufs Subjekt hat eine explizit historische Voraussetzung, den »Rückfall«855 in die Barbarei. Sie findet bei Adorno auch ausschließlich in diesem Zusammenhang Erwähnung. »Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe.«856 Der »neue kategorische Imperativ« sei der Begründung entzogen; er sei »widerspenstig« gegen sie, und daher sei es ein »Frevel«, »ihn diskursiv zu behandeln.«857 Der »neue kategorische Imperativ« ist eine Reaktion auf die Resultate nationalsozialistischer Herrschaft. »Widerspenstig« gegen Begründung ist er zunächst in dem Sinne, daß er aus sich selbst evident ist: Die Forderung, unschuldige Menschen nicht einfach umzubringen, versteht sich von selbst.858 Zu dem historischen Moment tritt jedoch ein systematisches hinzu, das diskursiver Erörterung zugänglich ist. Die Realisierung des Imperativs 151

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ist wesentlich die »Wendung aufs Subjekt.« Ihr Telos ist der mündige Einzelne, das Mittel seiner Realisierung eine »demokratische Pädagogik«859. Sie habe einem Vergessen entgegenzuarbeiten, »das nur allzuleicht mit der Rechtfertigung des Vergessenen zusammenstimmt.«860 Der Nationalsozialismus ist nicht psychologisch zu erklären, aber er ist auch nicht ohne Psychologie zu erklären.861 »Die Massen ließen kaum von plumper und augenzwinkernd unwahrer Propaganda sich einfangen, wenn nicht in ihnen selbst etwas den Botschaften von Opfer und gefährlichem Leben entgegenkäme.«862 Nur durch die Aufdeckung der psychischen Mechanismen, die der Empfänglichkeit für irrationale Parolen zugrunde liegen, seien geschichtsmächtige irrationale Massenbewegungen zu verstehen.863 Erst die Kenntnis der psychischen Mechanismen, die die einzelnen für irrationale Propaganda empfänglich werden lassen, erlaube es, sie ins Bewußtsein zu heben und so ihrer Macht zu entkleiden. »Vielmehr sollte man die Argumentation auf die Subjekte wenden, zu denen man redet. Ihnen wären die Mechanismen bewußt zu machen, die in ihnen selbst das Rassevorurteil verursachen.«864 Die Erziehung der Subjekte könne einen Beitrag zu deren Mündigkeit, damit zur Resistenz gegen das Mitmachen bei irrationalen politischen Bewegungen, leisten. Das direktem und planbarem gesellschaftlichem Einfluß unterworfene Moment der Erziehung der nachwachsenden Generation ist die Schulausbildung. Daher formuliert Adorno, daß der Schlüssel zu solch eingeschränkter, aber immerhin möglicher »eingreifender Veränderung in der Gesellschaft und ihrem Verhältnis zur Schule liegt.«865 Das führt ihn auf das alte Problem, wer die Erzieher erzieht.866 Ort der Lehrerausbildung ist die Pädagogische Hochschule bzw. die Universität. In seiner Funktion als Hochschullehrer, in der er auch mit der Lehrerausbildung befaßt war, ist Adorno die Erziehung der nachwachsenden Generation mittelbar zugänglich gewesen. Neben praktischen Vorschlägen im Fachausschuß für Soziologie der Bildung und Erziehung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie867 unternimmt es Adorno in einer Reihe von Aufsätzen und vor allem Vorträgen vor Lehrern, einen Beitrag zur Aufklärung der Lehrer zu liefern. Der »demokratischen Pädagogik« seien indes enge Grenzen gesetzt: Erstens hat sie keinen Einfluß auf die gesellschaftlichen Voraussetzungen von Faschismus, sondern nur auf das Bewußtsein der einzelnen. Selbst wenn die ökonomischen Grundlagen, auf denen totalitäre Herrschaft erwächst, fortbestehen, so sind die Bedingungen, unter denen faschistische Herrschaft zu erwachsen droht, nicht dasselbe wie die Existenz faschistischer Herrschaft. Zwischen einer demokratischen politischen Form und einer faschistischen bestehen auch unter der Voraussetzung im wesentlichen identischer ökonomischer Bedingungen868 nicht unwesentliche Unterschiede. Auf diese Unterschiede zielt die »Wendung aufs Subjekt«. Unter der Voraussetzung aktueller Unveränderbarkeit des ökonomischen Zusammenhangs der Gesellschaft ist die Demokra152

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tie allemal eine adäquatere Realisierung der Freiheit. Sie zu verteidigen, unternimmt die »Wendung aufs Subjekt«. Vieles spreche dafür, daß die »Demokratie die Menschen tiefer ergreift als in der Weimarer Zeit.«869 Weiterhin seien die verbesserten materiellen Lebensbedingungen der Bevölkerung »auch sozialpsychologisch relevant.«870 Daher sei eine »Aufarbeitung der Vergangenheit« nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Zweitens bezieht sich die Erziehung nach Auschwitz auf »zwei Bereiche: einmal Erziehung in der Kindheit, zumal der frühen; dann allgemeine gesellschaftliche Aufklärung, die ein geistiges, kulturelles und gesellschaftliches Klima schafft, das eine Wiederholung nicht zuläßt, ein Klima also, in dem die Motive, die zu dem Grauen geführt haben, einigermaßen bewußt werden.«871 Die Konzentration auf die frühe Kindheit zehrt von der psychoanalytischen, durch die Child-Study im Rahmen der Studies in Prejudice bestätigten Einsicht, daß die psychischen Voraussetzungen der Empfänglichkeit für irrationale Propaganda im wesentlichen in der frühen Kindheit geschaffen werden.872 Daher hat »Erziehung, welche die Wiederholung verhindern will, auf die frühe Kindheit sich zu konzentrieren.«873 Die Konzentration auf die frühe Kindheit indes bleibt aus zwei Gründen notwendig bloße Forderung: Zum einen ist die familiäre Erziehung in wenigstens einem Bereich pädagogischen Eingriffen entzogen: »Affekt kann man nicht predigen.«874 Zum anderen sind Veränderungen in der Erziehungsweise von objektiven gesellschaftlichen Prozessen abhängig. »Das spezifische Moment der Versagung, das heute die Individuen verstümmelt und sie an der Individuation hindert, ist kaum mehr das familiale Verbot, sondern die Kälte, die zunimmt, je löchriger die Familie wird.«875 Weil der Bereich der frühkindlichen Erziehung dem Einfluß einer aufklärerischen Erziehung faktisch entzogen ist, folgt auch für den Bereich der Schulerziehung eine Einschränkung der Möglichkeit, mittels »demokratischer Pädagogik« Einfluß zu nehmen: Sie erreiche »ohnehin wohl meist nur die, welche dafür offen und eben darum für den Faschismus kaum anfällig sind.«876 Abseits der Grenzen »demokratischer Pädagogik« erhofft sich Adorno von der innerhalb dieser Grenzen möglichen Aufklärung durch Erziehung wie durch die Stärkung von für faschistische Parolen unempfänglichen Gruppen die Bildung von »so etwas wie Kaders (..), deren Wirken in den verschiedenen Bereichen dann doch das Ganze erreicht.«877 Beabsichtigt ist eine Beeinflussung dessen, was Adorno das »kulturelle Klima« genannt und neben den psychischen Determinanten als zweite Bedingung der Aktualisierung faschistischer Tendenzen begriffen hat. Der Begriff ist schwer zu fassen: Er bezeichnet nicht nur die öffentliche, sondern auch die nichtöffentliche Meinung,878 und eigentlich nicht nur den Bereich der Meinungen, sondern ebenso den der Stimmungen. Das kulturelle Klima kann eher autoritär oder eher demokratisch sein; unter Voraussetzung demokratischer politischer Verhältnisse ist es in Grenzen beeinflußbar. Zwar ist das kulturelle Klima nicht der Durchschnitt aller Meinungen, 153

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sondern wesentlich durch die an ökonomische und politische Voraussetzungen gebundene Fähigkeit, Meinungen öffentlich zu machen, ihnen Gehör zu verschaffen etc. bestimmt,879 aber es ist dies doch ein Feld, das dem Eingriff zugänglich ist, und es ist kein unwesentliches: Die Eigenheit des autoritären Syndroms, egal in welcher Gestalt es auftritt, besteht darin, daß sein Träger nur konformistisch rebellieren kann. Folglich ist das Ausmaß konformistischer Rebellion abhängig vom kulturelle Klima. Wenn die gesellschaftlichen Voraussetzungen des latenten Faschismus schon nicht verändert werden können, läßt er sich so wenigstens kleinhalten. Somit ist die oft vorgetragene These von der mangelnden Praxis Adornos bzw. von der durch die Kritische Theorie nahegelegten Abwendung von ihr irreführend.880 Tatsächlich geht es bei dem Einwand normalerweise um eine ganz bestimmte Praxis, die revolutionäre, deren Träger, wie bei Giacomo Marramao, angeblich das Proletariat sein soll.881 Es ist bezeichnend für diesen Typ von Einwänden, daß er die Bezugnahme aufs Proletariat einfordert und anschließend die Mißachtung der Forderung kritisiert. Warum ausgerechnet das Proletariat Träger gesellschaftlicher Emanzipation sein soll, ist aber nicht zu begründen. Einer der substantiellen Fortschritte der Kritischen Theorie gegenüber der marxistischen Theoriebildung besteht gerade darin, daß sie gesellschaftliche Emanzipation nicht mehr an eine Klasse, sondern an Mündigkeit bindet. Mündig kann nur ein Individuum sein. Gesellschaftliche Emanzipation kann daher nur das Resultat des Handelns von Individuen sein, die sich »als solidarische Subjekte wissen«882. Die solidarischen Subjekte sind das Subjekt gesellschaftlicher Emanzipation. Weil jeder Mensch gemäß des dialektischen Begriffs des Ichs der Möglichkeit nach Subjekt ist, folgt eine einfache Antwort auf die Frage nach dem Adressaten der Gesellschaftskritik: Adressat ist jeder Mensch. »Was triftig gedacht wurde, muß woanders, von anderen gedacht werden«883 und kann, kraft der jedem Menschen eigenen Subjektivität, von jedem gedacht werden. Die Realisierung des neuen kategorischen Imperativs ist vor empfindliche Schwierigkeiten gestellt; sie ist kein wesentlich durch Erziehung zu lösendes Problem.884 In jedem Aufsatz, in jedem Vortrag zu Erziehungsfragen betont Adorno, daß der neue kategorische Imperativ nur verwirklicht werden könne durch die »vernünftige Einrichtung der Gesamtgesellschaft als Menschheit.«885 Die aber ist nicht absehbar. In der ökonomischen Verfassung der bestehenden Gesellschaft jedoch bestehen die konstitutiven Voraussetzungen des Faschismus fort: »Die ökonomische Ordnung und, nach ihrem Modell, weithin auch die ökonomische Organisation verhält nach wie vor die Majorität zur Abhängigkeit von Gegebenheiten, über die sie nichts vermag, und zur Unmündigkeit. Wenn sie leben wollen, bleibt ihnen nichts übrig, als dem Gegebenen sich anzupassen, sich zu fügen; sie müssen eben jene autonome Subjektivität 154

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durchstreichen, an welche die Idee von Demokratie apelliert, können sich selbst erhalten nur, wenn sie auf ihr Selbst verzichten. (...) Die Notwendigkeit solcher Anpassung, die zur Identifikation mit Bestehendem, Gegebenem, mit Macht als solcher, schafft das totalitäre Potential.«886 Exakt darin besteht die Aporie, der in der herrschaftlichen Verfaßtheit der Gesellschaft gründende Widerspruch: Die Realisierung des Zustands der Versöhnung setzt mündige Einzelne, Subjekte, voraus. Der kritische Subjektbegriff erbringt den Nachweis, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse der Mündigkeit widerstreiten. Die Vergangenheit wäre »erst dann [aufgearbeitet], wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären. Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen.«887 Der Widerspruch ist also eine Aporie, weil er nicht theoretisch, sondern nur praktisch zu lösen ist. Bei Adorno erscheint die Aporie als Bruch in der Argumentation. Der Aufsatz Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit hebt an mit der Bemerkung: »Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.«888 Jenes Nachleben wird dann entwickelt und resümiert in der oft zitierten Bemerkung: »Daß der Faschismus nachlebt; daß die vielzitierte Aufarbeitung der Vergangenheit bis heute nicht gelang und zu ihrem Zerrbild, dem leeren und kalten Vergessen ausartete, rührt daher, daß die objektiven gesellschaftlichen Voraussetzungen fortbestehen, die den Faschismus zeitigten.«889 Der gesellschaftstheoretischen Analyse nach werden die Subjekte in der bestehenden Gesellschaft beschädigt. Dadurch wird ein autoritäres Potential produziert. Umgekehrt sind dessen objektive Voraussetzungen nicht ohne Eingriff auf Seiten der Subjekte zu verändern. Der Übergang von der einen zur anderen Seite führt zu dem argumentativen Bruch. »Ich habe das Düstere übertrieben, der Maxime folgend, daß heute überhaupt nur Übertreibung das Medium von Wahrheit sei.«890 Mit dieser Bemerkung wird die auf die Analyse der gesellschaftstheoretischen Voraussetzungen des Faschismus folgende »Wendung aufs Subjekt« eingeleitet. Der Bruch ist notwendig, weil Adorno die Nötigung zur »Wendung aufs Subjekt« aus denselben Bedingungen erklären muß, die der Mündigkeit entgegenstehen. Die Aporie ist der Grund, daß sich der argumentative Bruch, der explizit von Adorno nur noch in der Theorie der Halbbildung formuliert wird,891 in jeder der pädagogisch orientierten Schriften nachweisen läßt. Dem korrespondiert, daß kein einziger ursprünglich als Aufsatz verfaßter Text von Adorno zur »demokratischen Pädagogik« existiert. Alle näheren Bestimmungen der »Wendung aufs Subjekt« entstammen Vorträgen oder im Rundfunk ausgestrahlten Diskussionen.

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4.2 Das systematische Moment der Wendung aufs Subjekt Ich habe in Kapitel 4.1 dargestellt, daß die historische Voraussetzung der »Wendung aufs Subjekt« bei Adorno der »neue kategorische Imperativ« ist, welcher der Menschheit durch den Nationalsozialismus aufgezwungen wurde. Mit ihm verbunden ist die Annahme, daß die gesellschaftlichen Voraussetzungen irrationaler Massenbewegungen absehbar bestehen bleiben. Unter dieser Voraussetzung ist die »Wendung aufs Subjekt« vollzogen worden; sie erwies sich Adorno als einzige Möglichkeit, dem »neuen kategorischen Imperativ« gemäß zu handeln. Das systematische Moment der Wendung besteht in der Unterstellung, daß dem neuen kategorischen Imperativ gemäß gehandelt werden kann, die Individuen der Aufklärung zugänglich sind. Die »Unfähigkeit zur Identifikation«, das, was Adorno Kälte nennt und für »die wichtigste psychologische Bedingung«892 der Vernichtung der Juden hält, sei durch Bewußtmachung ihrer Ursachen zu bekämpfen.893 Diese »Bewußtmachung« hat zwei Seiten: Aufklärung der psychischen Voraussetzungen der Empfänglichkeit für Propaganda auf Seiten des Subjekts und Aufklärung der gesellschaftlichen Bedingungen, die solcher Empfänglichkeit vorausgesetzt sind. Als Ziel der »Wendung aufs Subjekt«, so war gesagt worden, bestimmt Adorno die Mündigkeit. Dem entspricht exakt die Kantische Antwort auf die Frage, was Aufklärung sei: Ausgang aus der Unmündigkeit.894 Diese Rückkehr zum Programm Kants ist bei Adorno durch Einsichten der psychoanalytischen Therapie vermittelt. Die Vermittlung bezieht sich auf den Ausgangspunkt, an den die Aufklärung anzuknüpfen habe. Psychoanalytische Erfahrung hat nach Freud gezeigt, daß Aufklärung über das Unbewußte allein nicht zur Einsicht in dasselbe führt, weil der Einsicht Widerstände entgegenstehen.895 Deren Überwindung werde dadurch eingeleitet, »daß der Arzt den vom Analysierten niemals erkannten Widerstand aufdeckt und ihn dem Patienten mitteilt.«896 Überwunden werde der Widerstand, indem der Analytiker »dem Kranken die Zeit lasse, sich in den ihm nun bekannten Widerstand zu vertiefen, ihn durchzuarbeiten, indem er [der Analytiker, J. W.] ihm zum Trotze die Arbeit nach der analytischen Grundregel fortsetzt.«897 Erst wenn der Widerstand überwunden sei, werde das Unbewußte dem Analysierten so zugänglich, daß er fortan selbst entscheiden könne, ob und in welcher Weise er seine Bedürfnisse realisiere. »Man hat darum auch mit Recht gesagt, die psychoanalytische Behandlung sei eine Art von Nacherziehung.«898 Die Erziehung zur Mündigkeit ist keine psychoanalytische Behandlung und will es auch nicht sein. Sie verfährt aber in analoger Weise: Aufklärung über die Vergangenheit als Verstärkung des Selbstbewußtseins ist Aufklärung auch über die Propagandatricks und die psychischen Mechanismen, die für sie empfänglich machen. Die Weise der Agitation – die sich bis heute nicht wesentlich verändert hat – ist der Gesellschaftstheorie bekannt, die Bekanntmachung ihrer 156

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Standardtricks könne daher als eine »Art von Schutzimpfung«899 verwendet werden; die psychischen Mechanismen, die ihrer Wirkung zugrunde liegen, können durch Aufklärung ins Bewußtsein gehoben werden.900 Aufklärung sollte daher, und darin besteht das Moment der Analogie im Anknüpfungspunkt, nicht nur Wissen vermitteln, sondern das Wissen an den alltäglichen Lebenszusammenhang anknüpfen.901 Sinnvoller als eine Lehrstunde über die Gesetze und Wirkungsweisen etwa der Kulturindustrie sei exemplarisches Lernen. »Anzuknüpfen wäre an das, was man in Amerika sale’s resistance nennt, den Widerwillen dagegen, sich übers Ohr hauen zu lassen, den Dummen zu spielen. Eine Schulklasse, der man einmal vorm Apparat vorgeführt hat, was so eine en suite sich produzierende Fernsehfamilie bedeutet, würde wohl weniger anfällig.«902 Das Bewußtsein jener Mechanismen ist ihre Erkenntnis. Ihre Erkenntnis fällt nicht auf die psychologisch zu bestimmende Seite des Ichs: das Ich reflektiert auf sich, auf die Relation zwischen dem Ich und den Zwängen, denen es unterliegt. Es ist dieses reflexive Moment des Denkens, welches das Ich psychologischer Bestimmung entzieht. Seine Urteile können nicht mehr als psychisch determiniert aufgefaßt werden; sie sind entweder wahr oder falsch. Träger solcher Erkenntnis ist das denkende, deshalb mündige Individuum. Es erweist sich gemäß Adorno am »Widerstand gegen vorgegeben Meinungen (…). Solcher Widerstand, als Vermögen der Unterscheidung des Erkannten und des bloß konventionell oder unter Autoritätszwang Hingenommenen, ist eins mit Kritik, deren Begriff ja vom griechischen krino, Entscheiden, herrührt. Wenig übertreibt, wer den neuzeitlichen Begriff der Vernunft mit Kritik gleichsetzt.«903 Ich habe die Einheit von Gesellschaftstheorie und Gesellschaftskritik anhand des kritischen Subjektbegriffs bei Adorno in den vorgegangenen Kapiteln begründet. In der Erkenntnis der gesellschaftlichen Lebensbedingungen fallen das Ziel der Erziehung, die »sinnvoll überhaupt nur als eine zu kritischer Selbstreflexion (wäre)«904, und das Ziel gesellschaftstheoretischer Anstrengung zusammen.905 Die »Wendung aufs Subjekt« stellt sich so als dessen Restitution dar: Das erkennende Individuum ist Subjekt der Erkenntnis. Die praktische Gestalt der Selbstreflexion ist das durch einen autonomen Willen bestimmte, am Telos der Versöhnung orientierte gesellschaftliche Handeln von Mündigen. »Soviel Freiheit des Willens war, wie Menschen sich befreien wollten.«906

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Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, in: ders., Gesammelte Schriften (GS), Frankfurt a. M. (1971 ff.), Bd. 6, S. 74. Die Schriften Adornos werden wie folgt zitiert: Titel, Nummer des Bandes in den Gesammelten Schriften, in der der Titel enthalten ist, Seitenzahl. Ausgenommen davon ist die gemeinsam mit Max Horkheimer verfaßte Dialektik der Aufklärung. Sie wird nach den Gesammelten Schriften Max Horkheimers zitiert, weil nur diese Ausgabe die von Horkheimer und Adorno vorgenommenen späteren Eingriffe in den Text kenntlich macht. Die nicht in den Gesammelten Schriften enthaltenen zitierten Schriften Adornos werden wie die verwandte Sekundärliteratur zitiert: Autorin bzw. Autor, Titel, Seitenzahl, Erscheinungsort, Erscheinungsjahr bei der ersten Verwendung. Jede weitere Verwendung gibt nur noch die Verfasserin bzw. den Verfasser und, wenn mehrere Titel zitiert werden, zusätzlich den zitierten Titel an. »Soziologie ist deshalb nicht etwas, was man dem Adornoschen Denken hinzufügen könnte oder was unter Umständen auch wegzulassen wäre.« Oskar Negt, Adornos Begriff der Erfahrung, S. 170, in: Gerhard Schweppenhäuser, Mirko Wischke (Hrsg.), Impuls und Negativität, S. 169-180. Hamburg (1995). Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 745. Vgl. exemplarisch Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 369. Kant nennt zwei »Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen (…), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben«: Faulheit und Feigheit. Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, S. 53, in: ders., Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik I, S. 51-61. Frankfurt a. M. (1977). »Das Bedürfnis, Leiden beredet werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit. Denn Leiden ist Objektivität, die auf dem Subjekt lastet«. Negative Dialektik, GS 6, S. 29. Vgl. exemplarisch Negative Dialektik, GS 6, S. 193 f. Vgl. dazu exemplarisch Regina Becker-Schmidt, Identitätslogik und Gewalt. Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Feminismus, in: Joachim Müller-Warden, Harald Welzer (Hrsg.), Fragmente Kritischer Theorie, S. 59-77. Tübingen (1991); dies, Von Jungen, die keine Mädchen und von Mädchen, die gerne Jungen sein wollten. Geschlechtsspezifische Umwege auf der Suche nach Identität, in: dies., Gundrun-Axeli Knapp (Hrsg.), Das Geschlecht als Gegenstand der Sozialwissenschaften, S. 200-246. Frankfurt a. M./New York (1995). Soziologie und empirische Forschung, GS 8, S. 197. So auch Max Horkheimer in seinem programmatischen Aufsatz Traditionelle und kritische Theorie: »Die kritische Anerkennung der das gesellschaftliche Leben beherrschenden Kategorien enthält zugleich seine Verurteilung.« Max Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie, S. 182, in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften (GS), Frankfurt a. M. (1987 ff.), Bd. 4, S. 162-216. Helmut Dubiel, Die Aktualität der Gesellschaftstheorie Adornos, S. 302, in: Ludwig v. Friedeburg, Jürgen Habermas (Hrsg.), Adorno-Konferenz 1983, S. 293-313. Frankfurt a. M. (1983). Axel Honneth, Pathologien des Sozialen. Tradition und Aktualität der Sozialphilosophie, S. 44, in: ders. (Hrsg.), Pathologien des Sozialen, S. 9-70. Frankfurt a. M. (1994). Seyla Benhabib, Die Moderne und die Aporien der Kritischen Theorie, S. 140 (Hervorhebung J. W.), in: Wolfgang Bonß, Axel Honneth (Hrsg.), Sozialforschung als Kritik, S. 127-178. Frankfurt a. M. (1983). Heidrun Hesse, Vernunft und Selbstbehauptung, S. 10. Frankfurt a. M. (1984). Kritik, GS 10.2, S. 793.

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15 Diese Auffassung wird auch von Autoren vertreten, die nicht im weitesten Sinne der sogenannten »kommunikationstheoretischen Wende der Kritischen Theorie« zuzurechnen sind. Vgl. exemplarisch Michael Theunissen, Negativität bei Adorno, S. 41 ff., in: Ludwig v. Friedeburg, Jürgen Habermas, a. a. O., S. 41-65. 16 Albrecht Wellmer, Adorno, Anwalt des Nicht-Identischen. Eine Einführung, S. 155 f., in: ders., Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne: Vernunftkritik nach Adorno, S. 135-167. Frankfurt a. M. (1985). 17 Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 156. Frankfurt a. M. (1988). 18 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, S. 518. Frankfurt a. M. (1988). Vgl. auch Axel Honneth, Von Adorno zu Habermas. Zum Gestaltwandel kritischer Gesellschaftstheorie, a. a. O., S. 97. 19 Vgl. exemplarisch Gerhard Bolte, Einleitung, S. 14, in: ders. (Hrsg.), Unkritische Theorie, S. 7-20 Lüneburg (1989): »Die Attraktivität der ›kommunikationstheoretischen Wendung‹ der kritischen Theorie besteht in ihrer psychischen und moralischen Entlastung der Subjekte. Sie kommt jenen Intellektuellen entgegen, die aus pragmatischen Erwägungen die wissenschaftliche Karriere eingeschlagen haben, ohne sich noch um eine an ihren Einsichten geschärfte, kompromißlos kritische Praxis zu bemühen, die ihnen den Verlust wissenschaftlicher Reputation und materieller Sicherheit, wenn nicht soziale Ächtung und Isolation bis hin zur Verfolgung eintragen könnte.« Vgl. etwa auch Claudia Rademacher, Versöhnung oder Verständigung?, S. 109. Lüneburg (1993): »Gerade mit seinem programmatischen Anspruch, die Grundideen Adornos durch den Paradigmenwechsel zur Kommunikationstheorie ›theoriefähig‹ zu machen und so zu ›retten‹, zieht Habermas (…) Kritischer Theorie ihren gesellschaftskritischen Stachel.« 20 »Muß man Sätze wie ›Dialektik ist das Selbstbewußtsein des objektiven Verblendungszusammenhangs, nicht bereits diesem entronnen‹ noch ausdrücklich zitieren? Daß für Adorno die geistige Durchdringung der bestehenden Gesellschaft nicht ihre Umwälzung zur Humanität, sondern nur deren Bedingung sein kann, nicht die Freiheit selbst, sondern nur deren Unterpfand – wie oft soll man das noch wiederholen?« Christoph Türcke, Befreiung der Philosophie von der Gesellschaft, S. 150, in: Michael Löbig, Gerhard Schweppenhäuser (Hrsg.), Hamburger Adorno-Symposion, S. 148-152. Lüneburg (1984). Der von Türcke zitierte Satz Adornos stammt aus der Negativen Dialektik, GS 6, S. 398. 21 Gerhard Schweppenhäuser, Theodor W. Adorno zur Einführung, S. 52 f. Hamburg (1996). 22 Auch diese Position wird vertreten. Hier wird das Werk Adornos zu einer heiligen Schrift erhoben und dadurch gegen Kritik immunisiert. Es erscheint dann als das Schrift gewordene Wort eines Unfehlbaren, die Kritik daran als Sakrileg. »Das Werk Adornos [ist] frei von solcher Sorge um die akademische Zukunft, es ist keine Bedienungsanleitung für ein von kommenden Generationen zu vollendendes Langzeitforschungsprogramm, sondern es ist das letzte Wort des kritischen Denkens seiner Epoche, weder erweiterungsfähig noch ergänzungsbedürftig, und deshalb tauchten nicht erst seit Adornos Tod dieselben Schwierigkeiten auf, mit denen schon die Zeitgenossen und mehr noch die Nachfolger von Marx konfrontiert gewesen waren. (...) Zusammengenommen beweisen alle Bücher über Marx immer nur den vergeblichen Fleiß seiner Anhänger und Gegner und die Unerreichbarkeit des Meisters. (...) Wie sich Marx zum Marxismus verhält, so verhalten sich die mit dem Institut für Sozialforschung verbunden gewesenen Autoren – Horkheimer, Adorno, Marcuse – zur Frankfurter Schule oder zur Kritischen Theorie«. Wolfgang Pohrt, Der Staatsfeind auf dem Lehrstuhl, S. 48 f., in: Michael Löbig, Gerhard Schweppenhäuser, a. a. O., S. 47-56. 23 Seyla Benhabib, Die Moderne und die Aporien der Kritischen Theorie, a. a. O., S. 140. 24 Jürgen Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, a. a. O., S. 144. 25 Vgl. Detlev Claussen, Unterm Konformitätszwang, S. 24 f. Bremen (1988). 26 Ein einheitlicher Forschungsstand existiert in kaum einer Frage, die Gegenstände des Werks Adornos betrifft. Über die Negative Dialektik wird etwa gesagt, sie sei als »Theorie der Er-

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fahrung zu rekonstruieren.« Anke Thyen, Negative Dialektik und Erfahrung: zur Rationalität des Nichtidentischen bei Adorno, S. 13. Frankfurt a. M. (1989). Eine andere Position ist der Auffassung, die Negative Dialektik könne als »kritische Ontologie gelesen werden«. Christian Többicke, Negative Dialektik und Kritische Ontologie, S. 9. Würzburg (1992). Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, a. a. O., Bd. 1, S. 7. Gesellschaft, GS 8, S. 18. Vgl. exemplarisch Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 571. Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 374. Die von Adorno selbst nicht zur Veröffentlichung bestimmten Schriften werden mit drei Ausnahmen, den Reflexionen zur Klassentheorie, den Thesen über Bedürfnis und Der Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre, nur herbeigezogen, wo sie eine auch in den veröffentlichten Texten vorfindliche Position prägnant ausdrücken. Die Reflexionen zur Klassentheorie geben präzise Auskunft über Adornos gesellschaftstheoretische Auffassungen in den frühen 40ern und sind der Sache nach kompatibel mit der Dialektik der Aufklärung. Die Thesen über Bedürfnis beenden eine Debatte im Institut für Sozialforschung über den Begriff des Bedürfnisses und enthalten die ausführlichste Erörterung dieses Begriffs bei Adorno. Der Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre stellt die ausführlichste philosophische Auseinandersetzung Adornos mit der Psychoanalyse dar und entwickelt Positionen, die später aufgegeben werden. »Vergangenes historisch zu artikulieren heißt (…) sich der Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick der Gefahr [bezeichnet ist der Faschismus, J. W.] aufblitzt. Dem historischen Materialismus geht es darum, ein Bild der Vergangenheit festzuhalten, wie es sich im Augenblick der Gefahr dem historischen Subjekt unversehens einstellt.« Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, S. 253, in: ders., Illuminationen, S. 251-261. Frankfurt a. M. (1977). »Die Anatomie des Menschen ist ein Schlüssel zur Anatomie des Affen. Die Andeutungen auf Höheres können dagegen nur verstanden werden, wenn das Höhere selbst schon bekannt ist.« Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, S. 39, in: Marx-Engels-Werke (MEW), Berlin (Ost) (1956 ff.), Bd. 42. Vgl. exemplarisch Helga Gripp, Theodor W. Adorno. Erkenntnisdimensionen Negativer Dialektik, S. 20. Paderborn (1986); Christel Beier, Zum Verhältnis von Gesellschaftstheorie und Erkenntnistheorie: Untersuchungen zum Totalitätsbegriff in der kritischen Theorie Adornos, S. 7. Frankfurt a. M. (1977); zuerst wohl Friedemann Grenz, Adornos Philosophie in Grundbegriffen, S. 12 f. Frankfurt a. M. (1974). Vgl. dazu Günther Mensching, Nominalistische und realistische Momente des Marxschen Arbeitsbegriffs, in: Gerhard Schweppenhäuser (Hrsg.), Krise und Kritik, S. 58-76. Lüneburg (19872). Vgl. exemplarisch Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, a. a. O., Bd. 1, S. 489. Max Horkheimer, Geschichte und Psychologie, S. 59, GS, a. a. O., Bd. 3, S. 48-69. Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 589. Emanzipatorisch ist für Adorno ein gesellschaftliches Handeln, das auf »die vernünftige Einrichtung der Gesamtgesellschaft als Menschheit« (Fortschritt, GS 10.2, S. 618) abzielt. Vgl. dazu Kapitel 1.3. Der Begriff des Subjekts wird von Adorno in modernem Sinne verwendet. Er bezeichnet nicht das Zugrundeliegende, subiectum, sondern das, was darauf als sein Objekt reflektiert, das erkennende Subjekt. Vgl. zur Begriffsgeschichte von Objekt: Joachim Ritter, Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.6, S. 1026-1052. Darmstadt (1984). Zu der von Subjekt: A. a. O., Bd. 10, S. 373-400. Darmstadt (1998). G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik I, in: Werke, Frankfurt a. M. (1986), Bd. 5, S. 41. G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften II, in: Werke, a. a. O., Bd. 9, S. 119.

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42 G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III, Werke, a. a. O., Bd. 10, S. 31. 43 Ebd. 44 Vgl. a. a. O., S. 17. 45 A. a. O., S. 23. 46 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 199. 47 Peter Bulthaup, Idealistische und materialistische Dialektik, S. 139, in: ders., Das Gesetz der Befreiung, S. 129-146. Lüneburg (1998). 48 G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik I, a. a. O., S. 123. 49 G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik II, Werke, a. a. O., Bd. 6, S. 264. »Die Negativität des Ersten verneint, indem sie dessen Negation bewirkt, zugleich sich selber: sie negiert sich zu einem Sein, das aus dem Unterschied herkommt und ›konkretes Dasein‹ wird. Das ist Hegels dialektische creatio ex nihilo.« Karl-Heinz Haag, Der Fortschritt in der Philosophie, S. 92. Frankfurt a. M. (1983). 50 G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, Werke, a. a. O., Bd. 8, S. 184. 51 Vgl. a. a. O., S. 183. 52 G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik I, a. a. O., S. 106. 53 Bei Kuno Fischer wird dies explizit so formuliert: »Die Entwicklungsreihe wird durch ein und dasselbe Subjekt gebildet, welches sich selbst in der Reihenfolge der Glieder mehr und mehr hervorbringt, (...) die höhere resultirt aus der niederen, oder die niedere bringt aus sich die höhere hervor.« Kuno Fischer, Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre, S. 49. Heidelberg (1998) [Reprint der Ausgabe Stuttgart (1852)]. 54 Der Geist, Subjekt der geschichtlichen Bewegung, ist Voraussetzung und Resultat, die Hegelsche Philosophie ein Kreis, in der durch die geschichtliche Bewegung der Geist zu sich selber kommt, aber immer so, daß in dieser Bewegung das Resultat am Anfang schon beschlossen ist. Deshalb muß Hegel die Kontingenz der Gewalt in der menschlichen Geschichte in die List der Vernunft übersetzen und die Freiheit der individuellen Subjekte zum bloßen Mittel des Weltgeistes degradieren. Grund des Handelns der individuellen Subjekte seien ihre Leidenschaften (vgl. G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Werke, a. a. O., Bd. 12, S. 34). Indem sie das Ihrige tun, seien sie entweder »Mittel und Werkzeuge eines Höheren und Weiteren« (a. a. O., S. 40) oder »faule Existenz« (a. a. O., S. 53). Das ist wörtlich zu nehmen – eine philosophische Verklärung des protestantischen Ideals arbeitsamen Lebens. Das Leben der »Geschäftsführer des Weltgeistes«, der »welthistorischen Individuen«, ist dementsprechend durch Arbeit und Mühe charakterisiert (a. a. O., S. 47). 55 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 175. Die Indifferenz gegen den Unterschied läßt sich für die ganze Logik nachweisen. Vgl. exemplarisch G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik II, a. a. O., S. 446. 56 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 156 ff. 57 Vgl. Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 746. 58 »Dadurch, daß wir die Dinge denken, machen wir sie zu etwas Allgemeinem; die Dinge sind aber einzelne, und der Löwe überhaupt existiert nicht. (...) Wir machen sie [die Natur, J. W.], die ein Anderes ist als wir, zu einem Anderen, als sie ist.« G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften II, a. a. O., S. 16 f. 59 Negative Dialektik, GS 6, S. 531; vgl. auch S. 23. Der Begriff des Idealismus taucht bei Adorno in verschiedener Bedeutung auf. Er kann den deutschen Idealismus bezeichnen, er kann aber auch – und in diesem Sinne ist er in dem Zitat verwandt – eine Auffassung charakterisieren, der »das Geistige als das wahrhaft Wirkliche und das Sinnliche, der sinnliche Gegenstand der Erfahrung als demgegenüber das Unwirklichere (…) erscheint.« Theodor W. Adorno, Metaphysik. Begriff und Probleme, S. 97. Nachgelassene Schriften, Bd. 14. Frankfurt a. M. (1993). Adorno übernimmt diesen weiteren Begriff des Idealismus von Hegel, bezieht sich aber nicht

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– wie Hegel – affirmativ auf ihn. Vgl. G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik I, a. a. O., Bd. 5, S. 172. Negative Dialektik, GS 6, S. 152. Das Denken, das notwendig begrifflich ist, ist bezogen auf ein nichtbegriffliches Substrat des Gedachten. Adorno nennt es das Nichtidentische. Der Begriff des Nichtidentischen ist deshalb aporetisch; er ist wesentlich Platzhalter für das, was auf der Seite des Gegenstands der Erkenntnis vorausgesetzt ist. Herbert Schnädelbach hat ihn einmal als »Chiffre« charakterisiert. Herbert Schnädelbach, Dialektik als Vernunftkritik. Zur Konstruktion des Rationalen bei Adorno, S. 68, in: Ludwig v. Friedeburg, Jürgen Habermas, a. a. O., S. 66-93. Vgl. zu den unterschiedlichen Dimensionen des Begriffs Jürgen Ritsert, Das Nichtidentische bei Adorno, in: Zeitschrift für kritische Theorie, Heft 4, S. 29-51. Lüneburg (1997). Negative Dialektik, GS 6, S. 139. Theodor W. Adorno, Philosophische Terminologie, Bd. 1, S. 76. Frankfurt a. M. (19824). Weil Adorno streng rekursiv argumentiert, ist es ein Mißverständnis, den Vorrang des Objekts als »naturalistischen Evolutionismus« aufzufassen. Carl Braun, Kritische Theorie versus Kritizismus, S. 246. Berlin/New York (1983). Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 184 ff. Mauro Bozetti, Hegel und Adorno, S. 56. Freiburg i. Br./München (1996), begreift den Vorrang des Objekts als wesentlich gegen den Hegelschen Vorrang des Subjekts gerichtet. Materialismus bei Adorno ist für Bozetti aber ein ausschließlich philosophisches »Korrektiv des Idealismus« (a. a. O., S. 74). Die Kritische Theorie »hat nicht in erster Linie mit dem durch Marx umgekehrten Hegel zu tun, sondern mit seinem [Hegels, J. W.] genuinen System« (a. a. O., S. 127). Damit hat der Autor sich allen gesellschaftstheoretischen Reflexionen Adornos, die aus der Kritik des Hegelschen Subjektbegriffs begründet sind, entzogen. Dem korrespondiert die Absicht des Buches, eine »Metakritik von Hegel an Adorno« (a. a. O., S. 77). Vgl. Friedrich Engels, Anti-Dühring, S. 23, in: MEW, a. a. O., Bd. 20, S. 5-203. Friedrich Engels, Dialektik der Natur, S. 468, in: MEW, a. a. O., Bd. 20, S. 307-572. »Jene Zelle« ist nach Engels selbst wieder aus unorganischer Natur hervorgegangen; ein Prozeß, der erklärt werden könne, sobald die Chemie in der Lage sei, Eiweiße aus unorganischen Stoffen herzustellen (vgl. a. a. O., S. 468 f.). »Da der strenge Monismus, den Engels propagiert, bei der Begründung der Differenzierung der Lebewesen im naturgeschichtlichen Prozeß nicht haltmachen kann, sondern die Entstehung von Lebewesen aus den anorganischen Stoffen und deren Entstehung aus der Materie und ihren Bewegungsgesetzen erklären muß, bliebe am Ende die Materie als ein hylozoistisches, sich selbst differenzierendes Prinzip übrig, und der Materialismus unterschiede sich einzig durch eine andere Bezeichnung dieses Prinzips vom Idealismus.« Peter Bulthaup, Idealistische und materialistische Dialektik, a. a. O., S. 138. Vgl. Peter Bulthaup, Idealistische und materialistische Dialektik, a. a. O., S. 137. Klassisches Modell für reflexive Prozesse ist der lebende Organismus: Die zweckmäßige Beziehung der einzelnen Bestandteile selbst des einfachsten Organismus aufeinander folgt nicht aus diesen Bestandteilen selbst. Die Bestandteile sind für sich genommen etwas anderes als in ihrer Beziehung in einem Organismus. Etwas Neues, das nicht schon in den Voraussetzungen angelegt ist, muß hinzukommen, damit der Organismus sich durch die Beziehung auf anderes, das Material seiner Reproduktion, auf sich beziehen kann. Vgl. Friedrich Engels, Anti-Dühring, a. a. O., S. 106. Negative Dialektik, GS 6, S. 202. Theodor W. Adorno, Kants »Kritik der reinen Vernunft«, S. 24. Nachgelassene Schriften, Bd. 4. Frankfurt a. M. (1995); vgl. auch ders., Philosophische Terminologie, a. a. O., Bd. 1, S. 54. Hier ist der Ansatzpunkt der negativen Metaphysik bei Karl-Heinz Haag. »Metaphysische Welterklärung (kann) nur eine negative sein. Positiv bestimmbar an stofflichen Dingen ist einzig ihr funktionales Verhalten – aber nicht das, worin sie ontologisch gründen: das Prinzip ihrer Genesis.« Karl-Heinz Haag, Der Fortschritt in der Philosophie, a. a. O., S. 11.

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72 Deshalb sind geistige Gebilde nicht aus den materiellen Lebensverhältnissen der Gesellschaft zu entwickeln, sondern diese finden ihren Ausdruck in jenen. Adorno »hat in subtilen, zunächst werkimmanenten Analysen versucht, im Inneren der geistigen Gebilde selbst die antagonistische Struktur der Gesellschaft aufzuspüren.« Alfred Schmidt, Begriff des Materialismus bei Adorno, S. 26, in: Ludwig von Friedeburg, Jürgen Habermas, a. a. O., S. 14-34. 73 Thorsten Bonacker, Die normative Kraft der Kontingenz, S. 156. Frankfurt a. M. (2000), hat darauf hingewiesen, daß Adorno sich nicht auf eine der beiden Seiten schlägt, sondern beide vermittelt. 74 Negative Dialektik, GS 6, S. 189. 75 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, B XIII. Hamburg (1956). 76 Negative Dialektik, GS 6, S. 201; vgl. auch S. 199. 77 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, a. a. O., B 472 ff. 78 »Denn es läßt sich neben einem solchen gesetzlosen Vermögen der Freiheit, kaum mehr Natur Denken; weil die Gesetze der letzteren durch die Einflüsse der ersteren unaufhörlich abgeändert, und das Spiel der Erscheinungen, welches nach der bloßen Natur regelmäßig und gleichförmig sein würde, dadurch verwirrt und unzusammenhängend gemacht wird.« Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, a. a. O., B 480. 79 Vgl. a. a. O., B 476 f. 80 Vgl. exemplarisch Karl-Heinz Haag, Philosophischer Idealismus, S. 11. Frankfurt a. M. (1967). 81 Negative Dialektik, GS 6, S. 186. 82 Karl Marx, Das Kapital I, in: MEW, a. a. O., Bd. 23, S. 192. 83 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 226. 84 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 747; vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 139 f. 85 A. a. O., S. 184. Vgl. auch Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 754. 86 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 193 ff. 87 A. a. O., S. 194. 88 Daß der Einwand gegen den Hegelschen Subjektbegriff ihn an das individuelle Subjekt bindet, wird betont von Anke Thyen, a. a. O., S. 165; Joachim Stahl, Kritische Philosophie und Theorie der Gesellschaft, S. 220. Frankfurt a. M./Bern/New York/Paris (1991). 89 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 741. 90 Drei Studien zu Hegel, GS 5, S. 262. 91 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 757. 92 A. a. O., S. 741. 93 Vgl. Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 741. 94 Vgl. Theodor W. Adorno, Vorlesungen zur Erkenntnistheorie, S. 281. O. O. (o. J.). Deshalb ist die Äquivokation nicht »einfach durch terminologische Klärung wegzuräumen.« Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 741. 95 Negative Dialektik, GS 6, S. 56. 96 Oskar Negt, Adornos Begriff der Erfahrung, a. a. O., S. 169. Vgl. auch ders., Der Soziologe Adorno, S. 3, in: Gerhard Schweppenhäuser (Hrsg.), Soziologie im Spätkapitalismus, a. a. O., S. 3-26. 97 Negative Dialektik, GS 6, S. 56. 98 »Sobald ich einen Gegenstand habe, hat dieser Gegenstand mich zum Gegenstand. Aber ein ungegenständliches Wesen ist ein unwirkliches, unsinnliches, nur gedachtes, d. h. nur eingebildetes Wesen, ein Wesen der Abstraktion.« Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, S. 579, in: MEW, a. a. O., Ergänzungsband I, S. 465-590. Demnach wäre Gesellschaft, was sie nach der Bestimmung Adornos gerade nicht ist, ein flatus vocis. Marx hat die nominalistische Position spätestens im Kapital aufgegeben: unter nominalistischen Prämissen ist nur ein subjektiver, kein objektiver Wertbegriff zu formulieren. Günther Mensching hat die Re-

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vision der nominalistischen Position beim späten Marx anhand des Arbeitsbegriffs nachgewiesen. Vgl. Günther Mensching, Nominalistische und realistische Momente des Marxschen Arbeitsbegriffs, a. a. O., S. 60 ff. 99 Vgl. Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 748. 100 »Überprüfung des gesellschaftlichen Gehalts der Philosophie und des philosophischen Gehalts der Soziologie bezeichnet eine durchgehende Reflexionsebene, aus der einzelne Teile schwerlich herausgebrochen werden können, ohne das Ganze dieses Denkansatzes in Frage zu stellen.« Oskar Negt, Adornos Begriff der Erfahrung, a. a. O., S. 170. 101 Negative Dialektik, GS 6, S. 203. 102 Negative Dialektik, GS 6, S. 203. Die Auffassung des leibhaften Moments als Leiden steht in der abendländischen Tradition. Gott sprach, nachdem der Apfel gegessen war, dem Menschen die Augen aufgetan waren und er sich so aus der öden Langeweile des Paradieses befreit hatte: »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.« 1. Moses 3, 19. 103 Damit steht Adorno in der Tradition materialistischer Theoriebildung. Alfred Schmidt hat die Verknüpfung von Glück und Sinnlichkeit in einer Untersuchung über den Begriff des Glücks in der materialistischen Philosophie gezeigt. »So tendieren die meisten Materialisten dazu, sinnliches Glück dem der Einsicht – ohne es zu bestreiten – voranzustellen, Leiden primär als physisches Leiden zu bestimmen. Jeder Materialismus hat, ausgesprochen oder nicht, eine triebnaturalistisch-sensualistische Basis.« Alfred Schmidt, Zum Begriff des Glücks in der materialistischen Philosophie, S. 139, in: ders., Drei Studien über Materialismus, S. 135-195. Frankfurt a. M./Berlin/Wien (1979). 104 Vgl. zum Begriff des Glücks bei Adorno Gerhard Schweppenhäuser, Ethik nach Auschwitz. Adornos negative Moralphilosophie, S. 195 ff. Hamburg (1993). 105 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 86 f. 106 Thesen über Bedürfnis, GS 8, S. 392. 107 Ebd. Weil Adorno Bedürfnis als gesellschaftlich vermittelt begreift, kann er sich von der gängigen abstrakten Unterscheidung zwischen richtigen und falschen Bedürfnissen distanzieren: Jedes Bedürfnis sei ein »Konglomerat des Wahren und Falschen.« Negative Dialektik, GS 6, S. 100. Adorno zieht daraus in den 1942 formulierten Thesen über Bedürfnis die Konsequenz, daß die »Frage nach Sofortbefriedigung des Bedürfnisses (..) nicht unter den Aspekten gesellschaftlich und natürlich, primär und sekundär, richtig und falsch zu stellen (ist), sie fällt zusammen mit der Frage nach dem Leiden der gewaltigen Mehrheit aller Menschen auf der Erde.« Thesen über Bedürfnis, GS 8, S. 395. 108 Vgl. a. a. O., S. 394. 109 Institut für Sozialforschung, Soziologische Exkurse, S. 45. Frankfurt a. M. (1983). 110 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 203. »Das Subjekt von Selbsterhaltung ist im konkreten Fall gesellschaftliches Subjekt.« Ute Guzzoni, Selbsterhaltung und Anderssein, S. 326 f., in: Hans Ebeling (Hrsg.), Subjektivität und Selbsterhaltung, S. 314-344. Frankfurt a. M. (1978). 111 Negative Dialektik, GS 6, S. 203. 112 Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, a. a. O., S. 541 f. 113 »Übrigens ist diese der menschlichen Geschichte vorhergehende Natur ja nicht die Natur, in der Feuerbach lebt, nicht die Natur, die heutzutage, ausgenommen etwa auf einzelnen australischen Koralleninseln neueren Ursprungs, nirgends mehr existiert, also auch für Feuerbach nicht existiert.« Karl Marx, Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, S. 44, in: MEW, a. a. O., Bd. 3, S. 9-530. 114 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 751. 115 Negative Dialektik, GS 6, S. 203. »Ohne einen solchen Zweck wäre, inhaltlich betrachtet, der Begriff der Gesellschaft wahrhaft das, was die Wiener Positivisten sinnleer zu nennen pflegten.« Einleitung zum »Positivismusstreit in der deutschen Soziologie«, GS 8, S. 309. 116 Vgl. Marginalien zu Theorie und Praxis, GS 10.2, S. 776.

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117 Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 375. 118 Negative Dialektik, GS 6, S. 194. 119 Negative Dialektik, GS 6, S. 172. Adorno bindet die Fähigkeit zur Erkenntnis des Leidens an ein nicht der Erkenntnis entstammendes Moment. »Das Bedürfnis, Leiden beredet werden zu lassen, ist Bedingung aller Wahrheit.« Negative Dialektik, GS 6, S. 29. Das Argument dafür findet sich an anderer Stelle, in der Ästhetischen Theorie: Zwar reiche die »diskursive Erkenntnis an die Realität heran, auch an ihre Irrationalitäten, die ihrerseits ihrem Bewegungsgesetz entspringen«, doch sei »etwas an ihr spröde gegen rationale Erkenntnis. Dieser ist das Leiden fremd, sie kann es subsumierend bestimmen, Mittel zur Linderung beistellen; kaum durch seine Erfahrung ausdrücken: eben das hieße ihr irrational.« Ästhetische Theorie, GS 7, S. 35. Der Gedanke geht auf Max Horkheimer zurück, der in Materialismus und Moral politisches Handeln und Mitleid als aktuell adäquate Ausdrucksformen des moralischen Gefühls begreift. Vgl. Max Horkheimer Materialismus und Moral, S. 135 ff., in: GS, a. a. O., Bd. 3, S. 111-149. 120 Das ist ein erstes Indiz gegen die These, daß Adorno »die Existenz einer intermediären Sphäre sozialen Handelns gesellschaftstheoretisch ignorieren muß«. Axel Honneth, Kritik der Macht, S. 68 (Hervorhebung J. W.). Frankfurt a. M. (1989). Durch eine besondere Richtung des Erkenntnisinteresses wird nicht impliziert, daß gesellschaftliche Arbeit die einzige Bedingung von geistiger Tätigkeit, von Vergesellschaftung überhaupt ist. In den Vorlesungen zur Erkenntnistheorie verweist Adorno selbst auf Sprache als unabdingbare Voraussetzung von Erkenntnis. Vgl. Theodor W. Adorno, Vorlesungen zur Erkenntnistheorie, a. a. O., S. 266. Vor allem die Vertreter der »kommunikationstheoretischen Wende der Kritischen Theorie« interpretieren die Tatsache, daß die Folgen gesellschaftlicher Herrschaft für die Subjekte im Zentrum des Erkenntnisinteresses Adornos stehen, als Verkürzung. Diese These ruht auf einer Fehlinterpretation. Ich werde das in Kapitel 1.2 zeigen. 121 Vgl. Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 361. 122 Gesellschaft, GS 8, S. 13. 123 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 745. 124 Einleitung zum »Positivismusstreit in der deutschen Soziologie«, GS 8, S. 317. 125 Vgl. exemplarisch Drei Studien zu Hegel, GS 5, S. 317. 126 Negative Dialektik, GS 6, S. 22. 127 Vgl. etwa Stefan Müller-Doohm, Die Soziologie Theodor W. Adornos, S. 273. Frankfurt a. M./New York (1996). Hier wird im Sachverzeichnis unter dem Stichwort Individuum auf das Stichwort Subjekt verwiesen. Dem korrespondiert, daß die Arbeit beide Begriffe wechselseitig durcheinander ersetzt. Vgl. exemplarisch S. 102 f. So auch bei Guomn Tong, Dialektik der Freiheit als Negation bei Adorno, S. 139. Münster (1995); Otwin Massing, Adorno und die Folgen, S. 14. Berlin (1970); Michael T. Koltan, Adorno, gegen seine Liebhaber verteidigt, S. 21 f., in: jour-fixe-initiative Berlin (Hrsg.), Kritische Theorie und Poststrukturalismus, S. 14-29. Hamburg (1999); Jürgen Belgrad, Das nötige Pochen aufs Nichtidentische, S. 78, in: Gerhard Gamm (Hrsg.), Angesichts objektiver Verblendung, S. 70-114. Tübingen (1985); Jürgen Ritsert, a. a. O., S. 44 f. Es sei an dieser Stelle darauf verwiesen, daß in der Zueignung der Minima Moralia, GS 4, S. 14, der Terminus »Subjekt« im Sinne von »Individuum« verwandt wird. 128 Vgl. etwa Negative Dialektik, GS 6, S. 56. 129 Vgl. Institut für Sozialforschung, a. a. O., S. 47; dazu hier, Kapitel 2.4. 130 Negative Dialektik, GS 6, S. 259. Vgl. ausführlich zum Begriff des Individuums bei Adorno: Thorsten Bonacker, Ohne Angst verschieden sein können. Indvidualität in der integralen Gesellschaft, in: Dirk Auer, Thorsten Bonacker, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.), Die Gesellschaftstheorie Adornos, S. 117-144. Darmstadt (1998). 131 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 64; vgl. für die späteren Schriften exemplarisch Negative Dialektik, GS 6, S. 56. »Selbstbesinnung« wird von Adorno auch »zweite Reflexion« (a. a. O., S. 54) genannt. Bei Max Horkheimer heißt instrumentelle Vernunft auch »instrumentelles Den-

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ken« oder subjektive Vernunft (vgl. Max Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, S. 27, in: GS, a. a. O., Bd. 6, S. 21-186), die Reflexion darauf auch »objektive Vernunft« (vgl. a. a. O., S. 39). 132 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, a. a. O., Bd. 1, S. 512. 133 Negative Dialektik, GS 6, S. 186. 134 Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 58. Frankfurt a. M. (1988). 135 Auf das Ziel der Dialektik der Aufklärung, die »Erkenntnis, warum die Menschheit (…) in eine neue Art von Barbarei« (Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 16), den Nationalsozialismus, versinkt, wird in Abschnitt 1.2.5 näher eingegangen. 136 Vgl. Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 19. 137 A. a. O., S. 26. 138 Vgl. Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 537. 139 Die Gründe dafür werden im zweiten Kapitel entwickelt. 140 Die Begriffe notwendige Arbeitszeit und Mehrarbeitszeit werden hier im Marxschen Sinne verwandt. Notwendige Arbeitszeit ist die Arbeitszeit, in welcher der Wert der Ware Arbeitskraft reproduziert wird, Mehrarbeitszeit ist die Arbeitszeit, die darüber hinaus verausgabt werden muß. Notwendige Arbeitszeit und Mehrarbeitszeit zusammen ergeben die Gesamtarbeitszeit. 141 Vgl. Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 36. 142 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 179. 143 Vgl. exemplarisch Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 373 ff. 144 Vgl. Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 44. 145 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 180 f. 146 Vgl. Drei Studien zu Hegel, GS 5, S. 265 ff. 147 Vgl. Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 750. 148 Vgl. Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 31 f., für die späteren Schriften exemplarisch Marginalien zu Theorie und Praxis, GS 10.2, S. 775. 149 »Schon der Mythos ist Aufklärung«. Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 21. Deshalb fungiert »der Terminus »Aufklärung« (..) bei Adorno fast synonym mit ›Subjektivierung‹.« Lothar Stresisus, Theodor W. Adornos Negative Dialektik, S. 58. Frankfurt a. M. (1982). 150 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 106. 151 A. a. O., S. 25. 152 Vgl. a. a. O., S. 37. 153 A. a. O., S. 38. 154 »Gleich dem Ding, dem materiellen Werkzeug, das in verschiedenen Situationen als dasselbe festgehalten wird und so die Welt als das Chaotische, Vielseitige, Disparate vom Bekannten Einen, Identischen scheidet, ist der Begriff das ideelle Werkzeug, das in die Stelle an allen Dingen paßt, wo man sie packen kann.« Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 63; vgl. für die späteren Schriften exemplarisch Marginalien zu Theorie und Praxis, GS 10.2, S. 775. 155 Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 538. 156 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 80. 157 A. a. O., S. 73. 158 A. a. O., S. 75. 159 »Alle menschliche Opferhandlungen, planmäßig betrieben, betrügen den Gott, dem sie gelten: sie unterstellen ihn dem Primat der menschlichen Zwecke, lösen seine Macht auf.« A. a. O., S. 74. 160 A. a. O., S. 75. 161 A. a. O., S. 78. 162 Negative Dialektik, GS 6, S. 285. »Die Geschichte der Zivilisation entspringt dann aber einem Akt der Gewalt, der Menschen und Natur gleichermaßen widerfährt.« Jürgen Habermas, Urgeschichte der Subjektivität und verwilderte Selbstbehauptung, S. 168, in: ders., Philosophisch-politische Profile, S. 167-179. Frankfurt a. M. (1991).

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163 Die Differenzierung zwischen einer subjektiven, auf Mittel ausgerichteten Vernunft und einer auf die Zwecke selbst bezogenen ist Signatur der Reflexion auf die bürgerliche Gesellschaft. Schon Kant hatte die technisch-praktische Vernunft von der moralisch-praktischen, der Reflexion auf die Zwecke, geschieden. Vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, A XXIII ff. Frankfurt a. M. (1974). Die Bestimmung des Verhältnisses der beiden Seiten hat sich allerdings mit der Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise verändert. Bei Kant noch gebührt der moralisch-praktischen Vernunft gegenüber der technisch-praktischen der Vorrang (vgl. a. a. O., A XIV f.). Max Weber etwa hat dann die moralisch-praktische Vernunft dem Typus der wertrationalen Handlung zugeordnet und damit das Urteil über die Zwecke einer Handlung der Vernunft entzogen und dem Glauben zugeschlagen. Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 1, S. 17. Tübingen (1956). 164 Negative Dialektik, GS 6, S. 152. 165 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 55; vgl. auch Theodor W. Adorno, Philosophische Terminologie, Bd. 2, S. 82. Frankfurt a. M. (1974). 166 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 30. 167 Daran hat oft eine generelle Vernunftskepsis angeschlossen. Exemplarisch sei auf Heidrun Hesse verwiesen: »Obwohl seine Aufsätze zu einer Kritik der neuzeitlichen Rationalität wesentlich zu dem Nachweis führen, daß es der subjektiven Vernunft der Aufklärung unmöglich ist, Zwecke allgemeingültig zu bestimmen, klammert sich noch der gealterte Horkheimer immer wieder an die allzu naive Vorstellung, dem ganzen Betrieb fehle bloß das emphatisch richtige Ziel.« Heidrun Hesse, Widersprüche der Moderne, S. 258 f., in: Gerhard Gamm (Hrsg.), a. a. O., S. 252-281. Dieser Einwand wird radikalisiert und auch gegen Habermas gewendet: Habermas wolle »den bewußtseinsphilosophischen Dualismus von Sein und Sollen, empirischer und intellektueller Welt überwinden, ohne das universalistische Begründungsprojekt der europäischen Aufklärung zu überwinden« (a. a. O., S. 274 f.). Dagegen stellt Hesse »das mächtige Begehren nach Anerkennung«, welches »keine gerechte Erfüllung in irgendeinem ruhigen Reich der Vernunft« (a. a. O., S. 276) finde, weil der Anspruch der objektiven Vernunft, über die Rationalität von Zwecken verbindlich zu urteilen, eine »Prozedur der Ausgrenzung« (a. a. O., S. 254) denen gegenüber sei, »die von unseren moralischen Erwägungen nichts wissen wollen« (a. a. O., S. 257). Konsequent folgert die Autorin: »Jede Unterscheidung von wahr und falsch, gut und böse, die als verbindlich auftritt, aktualisiert aber mehr oder weniger sublime Mechanismen der Repression« (a. a. O., S. 258). Der logische Einwand dagegen ist zwar alt, aber darum nicht falsch: Die These vom repressiven Charakter der Unterscheidung zwischen wahr und falsch muß mit dem Anspruch auf Wahrheit auftreten und wäre daher nicht minder repressiv. Dann aber wäre alles und jedes repressiv und das Wort verlöre jeden Sinn. 168 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 31 (Hervorhebung J. W.). 169 Ebd. 170 Negative Dialektik, GS 6, S. 149. 171 A. a. O., S. 314. 172 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 64. 173 A. a. O., S. 238. 174 Marginalien zu Theorie und Praxis, GS 10.2, S. 775. Nach der zitierten Passage aus der Dialektik der Aufklärung geschieht dies durch einen revolutionären Akt. Das läßt sich durch andere Passagen bei Adorno stützen. Diese Auffassung vertritt auch Christoph Türcke, Praxis und Praxisverweigerung nach Adorno, S. 51, in: Frithjof Hager, Hermann Pfütze (Hrsg.), Das unerhört Moderne, S. 48-62. Lüneburg (1990). 175 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 44. 176 A. a. O., S. 62. 177 Josef Früchtel will den »Irrationalismusverdacht«, dem der Begriff der Mimesis ausgesetzt sei, »auf das ihm zustehende Minimum« (Josef Früchtel, Mimesis. Konstellationen eines Zentralbegriffs bei Adorno, S. 2. Würzburg (1986).) reduzieren. Bei der Interpretation der Urge-

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schichte des Subjekts reproduziert sich aber das Problem, weil Mimesis und Rationalität hier einerseits als wechselseitig aufeinander verwiesen verstanden werden, andererseits aber Mimesis als vorgängig aufgefaßt wird (vgl. a. a. O., S. 30 ff.). In der Negativen Dialektik hat der Begriff der Mimesis wesentlich eine erkenntnistheoretische Funktion: Er steht für eine Voraussetzung von Erkenntnis, der Angemessenheit der Gegenstände der Erkenntnis dem Erkenntnisvermögen. Vgl. a. a. O., S. 245 ff.; Negative Dialektik, GS 6, S. 153. 178 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 75. 179 Ebd. 180 A. a. O., S. 76. 181 A. a. O., S. 75 f. 182 »Menschenopfer und Kannibalismus« lassen sich »kaum scheiden«. A. a. O., S. 76. 183 A. a. O., S. 77. 184 Ebd. 185 A. a. O., S. 210. 186 A. a. O., S. 219. 187 Die sechste Antisemitismusthese beginnt mit der Entgegensetzung von falscher Projektion und Mimesis. Im Fortgang der These ist dann aber nicht mehr von Mimesis, sondern von bewußter Projektion die Rede. Vgl. Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 217 ff. 188 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 60. 189 Zu dieser Konsequenz gelangt auch Martin Traine, »Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen«: Die Frankfurter Schule und Lateinamerika, S. 54. Aachen (1994): »Gegenüber der so ernst genommenen Naturverfallenheit hat die Dialektik der Aufklärung keine Abwehrstrategie entwickeln können.« Ebenso Frank Hartmann, Max Horkheimers materialistischer Skeptizismus, S. 229. Frankfurt a. M./New York (1990). Michael Theunissen hat exakt daraus folgende Konsequenz gezogen: Weil der Maßstab der Kritik nicht auszuweisen sei, sei »die einzig ernstzunehmende Alternative zu einer kritischen Theorie (…) dann in unserer historischen Situation der ›kritische Rationalismus‹, der (…) kritisches Verhalten auf die Verantwortlichkeit subjektiver Sinngebung einschränkt.« Michael Theunissen, Gesellschaft und Geschichte, S. 40. Berlin (1969). 190 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, a. a. O., Bd. 1, S. 516. Vgl. auch Albrecht Wellmer, Die Bedeutung der Frankfurter Schule heute, S. 28 f., in: Axel Honneth, Albrecht Wellmer (Hrsg.), Die Frankfurter Schule und die Folgen, S. 25-34. Berlin/New York (1986). 191 Hans Ebeling sieht in der Dialektik der Aufklärung eine »Inkonsistenz, in der Verzweiflung an der Vernunft dann doch immer noch auf sie zu setzen.« Hans Ebeling, Das Subjekt in der Moderne, S. 101. Hamburg (1993). Adorno und Horkheimer reduzierten die »Subjekttheorie auf eine falsche Selbsterhaltungs- und Selbstvernichtungstheorie bloß instrumenteller Vernunft«, was das Subjekt »kopflos« (a. a. O., S. 86) mache. Daher sei diese Auffassung aufgrund ihrer inneren Inkonsistenz aufzugeben. Ebenso Axel Honneth, Von Adorno zu Habermas, a. a. O., S. 96; Seyla Benhabib, Die Moderne und die Aporien der Kritischen Theorie, a. a. O., S. 140; Traugott Koch, Klaus-Michael Kodalle, Negativität und Versöhnung, S. 16, in: dies. (Hrsg.), Negative Dialektik und die Idee der Versöhnung, S. 7-54. Stuttgart (1973): »Diese rigoristische Konzeption erlaubt keine Ausflüchte; die Möglichkeit zum Beispiel, eine Differenz zwischen instrumentaler und emanzipatorischer Vernunft zu bestimmen, ist ausgeschlossen.« Die Autoren untersuchen nach der Erörterung dieses Strangs der Argumentation den anderen (vgl. a. a. O., S. 32 ff.; dazu hier, Kapitel 1.2.2). Hermann Schweppenhäuser hat in seiner Widerrede gegen Koch und Kodalle auf die zitierte Passage bezug genommen und erklärt: »Daß zu ihr [einer ›historisch relevanten Praxis, die im Ernst die Dinge wendet‹, J. W.] das fundamentum in re sich nicht findet, macht eine Distinktion zwischen instrumentaler und emanzipatorischer Vernunft so ohnmächtig wie die verzweifelte Anstrengung solcher, die im Namen emanzipatorischer die Vorhut der Revolution simulieren, der aber das Gros und die Nachhut fehlen, und

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die ungewollt die Konsolidierung der instrumentalen fördern.« Hermann Schweppenhäuser, Negativität und Intransigenz, S. 69, in: Traugott Koch, Klaus-Michael Kodalle, a. a. O., S. 55-90. Der Einwand besagt also: Koch und Kodalle übersehen, daß Adorno nur einen verkehrten gesellschaftlichen Zustand in Begriffe faßt. Schweppenhäuser beantwortet allerdings die Frage nicht, warum Adorno auch in der Negativen Dialektik dann, wenn er das Denken auf die Selbsterhaltung der Gattung zurückbezieht, systematisch die Selbstbesinnung nicht mehr ausweisen kann. Das kann nicht nur daran liegen, daß die Aussicht auf eine im Sinne Schweppenhäusers gesellschaftsverändernde Praxis zu Adornos Zeiten so fern war wie heute. 192 Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, a. a. O., S. 49 f. 193 A. a. O., S. 58. 194 A. a. O., S. 58 f. 195 Hans-Jürgen Krahl hat darauf hingewiesen, daß die Gegenüberstellung: materielle Tätigkeit, instrumentales Handeln, Arbeit versus kritische Aufhebung von Ideologie, umwälzende Praxis, Reflexion, bei Habermas dazu führt, daß »Arbeit (…) als Negativ-Kategorie von Reflexion abgeschnitten« wird. Heinrich Brinkmann (Hrsg.), Sinnlichkeit und Abstraktion, S. 231. Gießen (19782). 196 Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, a. a. O., S. 59. 197 Gerhard Schweppenhäuser, Vernunft und Moralkritik. Horkheimer und der Universalismus, S. 81, in: Manfred Gangl, Gérard Raulet (Hrsg.), Jenseits instrumenteller Vernunft. Kritische Studien zur Dialektik der Aufklärung, S. 74-90. Frankfurt a. M./Berlin/Bern/New York/ Paris/Wien (1998). So auch Alex Demiroviç, Der nonkonformistische Intellektuelle, Frankfurt a. M. (1999): Adorno übertrage »eben nicht« (a. a. O., S. 628) die Kritik instrumenteller Vernunft auf »Vernunft insgesamt«, denn »die in der Dialektik der Aufklärung eingeklagte reflexive Selbstbezüglichkeit der Vernunft wird von den Autoren mit ihrem Text bereits vorgeführt« (a. a. O., S. 68). Das ist kein Einwand gegen Habermas’ Argument, daß der Inhalt der Dialektik der Aufklärung diese Möglichkeit bestreite. Das Problem ist auch nicht durch die Erklärung zu lösen, daß »das Problem der ›normativen Fundierung der Kritik‹ – das Kardinalthema von Habermas – (..) nicht das Problem der Autoren der Dialektik der Aufklärung« sei. Wolfram Stender, Kritik und Vernunft. Studien zu Horkheimer, Habermas und Freud, S. 95. Lüneburg (1996). Wenn der normative Maßstab der Kritik nicht mehr auszuweisen ist, wird allerdings die Gültigkeit der in der Dialektik der Aufklärung formulierten Gesellschaftskritik affiziert. 198 Anke Thyen stimmt dem Einwand von Habermas und anderen, die Reduktion der Vernunft auf instrumentelle Vernunft führe in einen Widerspruch, für die Dialektik der Aufklärung zu, bestreitet das aber für die Negative Dialektik. Vgl. Anke Thyen, Negative Dialektik und Erfahrung, a. a. O., S. 226 und S. 267. Thyen führt auch Adornos Interpretation der Odyssee auf einen immanenten Widerspruch (vgl. a. a. O., S. 98 ff.). Die Interpretation verkennt allerdings den spekulativen Charakter der Überlegung Horkheimers und Adornos. Deshalb weist Thyen die These, daß nicht alle »Handlungen und Denkweisen, die sich auf die Natur richten, (..) instrumentell-naturbeherrschende« (a. a. O., S. 91) sind, an empirischen Beispielen, der Höhlenkunst des Paläolithikums, nach (vgl. a. a. O., S. 92 f.). Das Problem besteht aber nicht darin, daß Vernunft nicht beides, instrumentelle Vernunft und Selbstbesinnung, wäre, sondern darin, daß der letzteren in der Dialektik der Aufklärung der Boden entzogen wird. 199 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 57. Vgl. auch S. 221: »Eine philosophische Konstruktion der Weltgeschichte hätte zu zeigen, wie sich trotz aller Umwege und Widerstände die konsequente Naturherrschaft immer entschiedener durchsetzt und alles Innermenschliche integriert. Aus diesem Gesichtspunkt wären auch Formen der Wirtschaft, der Herrschaft, der Kultur abzuleiten.« 200 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 314; dazu hier, Kapitel 1.2.4.3. 201 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 84. 202 Deshalb ist der Einwand, den Habermas gegen Marx formuliert, falsch. Marx geht nicht von einer »Selbstkonstitution der Gattung allein durch Arbeit« aus. Diese ist bei Marx vermittelt durch Herrschaft. Herrschaft unterstellt sprachlich vermittelte Kommunikation als Bedingung.

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Damit hat sich Marx nicht beschäftigt, aber nicht, weil die »philosophische Grundlage« zu eng wäre. Die von Habermas unterstellte Trennung von Arbeit und instrumentellem Handeln auf der einen und Reflexion und umwälzender Praxis auf der anderen Seite existiert bei Marx nicht, weil er den »Selbsterzeugungsakt der Menschengattung«, die Aktualisierung der Fähigkeit, die Distanz zur Natur zu vergrößern, durch gesellschaftliche Herrschaft begründet. 203 Vgl. für den Zusammenhang von Arbeitsbegriff und Herrschaft bei Marx Hans-Georg Bensch, Vom Reichtum der Gesellschaften, S. 12 ff. Lüneburg (1995). 204 Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 537 (Hervorhebung J. W.). 205 A. a. O., S. 538. 206 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 36 (Hervorhebung J. W). 207 Vgl. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 131. Hamburg (1988). So auch Hans-Georg Bensch, a. a. O., S. 22. 208 Drei Studien zu Hegel, GS 5, S. 271. 209 »Wenn so auch das Weberschiffchen von selber webte und der Zitherschlägel von selber spielte, dann brauchten allerdings die Meister keine Gesellen und die Herren keine Sklaven.« Aristoteles, Politik, 1253 b. Hamburg (1981). 210 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 60. 211 So etwa in Fortschritt, GS 10.2, S. 627 f.: »Dialektisch, im strengen Sinne, ist der Begriff des Fortschritts darin, daß sein Organon, die Vernunft, Eine ist; daß nicht in ihr eine naturbeherrschende und eine versöhnende Schicht nebeneinander sind, sondern beide all ihre Bestimmungen teilen. Das eine Moment schlägt nur dadurch in sein anderes um, daß es buchstäblich sich reflektiert, daß Vernunft auf sich Vernunft anwendet.« 212 »Der Maßstab der Kritik der kapitalistischen Produktionsweise ist dann nicht irgendein Ideal von Freiheit, sondern die real im Verwertungsprozeß des Kapitals fungierende Freiheit, mehr zu produzieren, als zur einfachen Reproduktion notwendig ist.« Peter Bulthaup, Die Metaphysik von Δ G, S. 28, in: Gesellschaftswissenschaftliches Institut Hannover (Hrsg.), Das Automatische Subjekt bei Marx, S. 25-28. Lüneburg (1998). 213 Vgl. exemplarisch Martin Traine, a. a. O., S. 58; Joseph F. Schmucker, Adorno-Logik des Zerfalls, S. 38-40. Stuttgart/Bad Canstatt (1977). Schmucker schließt seine Erörterung entsprechend resignativ: »Wie es auch immer um die Einheit der beiden Momente des genaueren bestellt sein mag – Adorno gibt hier keine weiteren Auskünfte –, fest steht jedenfalls für Adorno ein struktureller Zusammenhang zwischen menschlicher Herrschaft über die Natur und gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen.« A. a. O., S. 40. 214 Manfred Gangl, Gérard Raulet, Einleitung, S. 13, in: dies., a. a. O., S. 7-28. Das führt konsequent in das Problem des Verhältnisses von instrumenteller Vernunft und Selbstbesinnung. Die Stellung der Autoren bleibt ambivalent: »In diesem Band wird nichts derartiges [im Sinne eines Auswegs aus der kapitalistischen Produktionsweise, J. W.] behauptet. Ja, man mag den Eindruck haben, daß es keinem der Beiträge wirklich gelingt, die hie und da angedeuteten Hoffnungsschimmer durchzuhalten, und daß sie letzten Endes alle in den Bann der Aporie moderner Rationalisierung zurückfallen« (a. a. O., S. 22). Carl-Friedrich Geyer, Aporien des Metaphysik- und Geschichtsbegriffs der kritischen Theorie, S. 39. Darmstadt (1980), Friedemann Grenz, a. a. O., S. 49 f., Rainer Wagner, Die Unterordnung der Erkenntnis unter die Kritik, S. 39 ff. Düsseldorf (1981), Gerhard Schweppenhäuser, Ethik nach Auschwitz. Adornos negative Moralphilosophie, a. a. O., S. 82, Dirk Auer, Daß die Naturbefangenheit nicht das letzte Wort behalte. Fortschritt, Vernunft und Aufklärung, S. 29, in: ders., Thorsten Bonacker, Stefan Müller-Doohm, a. a. O., S. 21-40, gehen ebenfalls davon aus, daß sich bei Adorno Herrschaft über Natur in gesellschaftliche Herrschaft fortsetze. Für Karsten Fischer, Verwilderte Selbsterhaltung. Berlin (1999), besteht bei Adorno der »Zusammenhang zwischen Herrschaft über die äußere Natur und sozialer Herrschaft unbedingt« (a. a. O., S. 125), weil vermittels »Grausamkeiten am (..) Mitmenschen« die »gewaltsame Naturbeherrschung« legitimiert werde. Daher erscheinen bei Fischer gesellschaftliche Konflikte als Ausdrucksformen eines urgeschichtlichen Legitimationsproblems, »als die entscheidenden Ausdrucksformen der urge-

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schichtlichen Katastrophe, als die sich die ideologisch legitimierte Naturbeherrschung für Adorno herausgestellt hat« (a. a. O., S. 147). Alfons Söllner vertritt beide Thesen: »Herrschaft als Vermittlungskategorie zwischen Subjekt und Natur wird gleich ursprünglich auch auf Gesellschaft bezogen. (...) Wieso folgt aus der Unausweichlichkeit der instrumentellen Aneignung von Natur die Unausweichlichkeit von gesellschaftlicher Herrschaft?« Alfons Söllner, Geschichte und Herrschaft, S. 195 f. Frankfurt a. M. (1979). Carl Braun stellt in einem Absatz beide Varianten unkommentiert nebeneinander. Vgl. Carl Braun, Zentrale philosophiegeschichtliche Voraussetzungen der Philosophie Theodor W. Adornos, S. 33, in: Jürgen Naeher (Hrsg.), Die Negative Dialektik Adornos, S. 31-58. Opladen (1984). Alex Demiroviç, a. a. O., S. 57 f. hat auf die Existenz beider Varianten hingewiesen. Alo Allkemper macht die Seite der Argumentation Adornos stark, dergemäß sich Herrschaft über Natur in gesellschaftliche Herrschaft fortsetze. Vgl. Alo Allkemper, Rettung und Utopie, S. 60. Paderborn/München/Wien/Zürich (1981). Er gelangt daher zu der These von der absoluten Geschlossenheit des gesellschaftlichen Zusammenhangs. Diese sei aber eine »Übertreibung«. Die »Übertreibung« sei aber nicht nur »Übertreibung«, sondern habe selbst eine Wahrheit: »Die Wahrheit der Übertreibung ist die Wahrheit der Unwahrheit des Bestehenden um der ganzen Wahrheit, der Utopie willen« (a. a. O., S. 116). Die Übertreibung ist demnach nur eine halbe Wahrheit, welche halb um einer »ganzen Wahrheit (…) willen« sei. Nachdem die Wahrheit erst einmal säuberlich zerteilt ist, wird sie schattiert: »Die negierende Übertreibung verdunkelt das Dunkel der Welt um des Lichts der Wahrheit willen; doch die übertreibende Verdunkelung des Dunkels hat ihrerseits zur Voraussetzung, daß – negativ gesagt – die Finsternis der Welt nicht total ist« (ebd.). Sicher kann die Finsternis nicht total sein, denn sonst wäre das Dunkel ja nicht mehr zu verdunkeln. Gesagt ist also: Die Kritik der Gesellschaft hängt ab von einer moralphilosophischen Prämisse, die hier unter dem Titel Utopie auftritt. Das ist bei Adorno der Zustand der Versöhnung (vgl. dazu hier, Kapitel 1.3). Seine Charakterisierung als »ganze Wahrheit« im Schlußsatz von Adornos zweiter Studie zu Hegel zehrt von einem Wortspiel, nämlich von der in dem Satz »Das Ganze ist das Unwahre« zugespitzten Differenz zu Hegel. Der Satz wiederum zehrt ebenfalls von einem Wortspiel, der Verkehrung des Satzes von Hegel, »Das Wahre ist das Ganze«. Der polemisch von Adorno dagegen gestellte Satz »Das Ganze ist das Unwahre« hat eine Umstellung vorgenommen. Vgl. dazu Bruno Liebrucks, Reflexionen über den Satz Hegels »Das Wahre ist das Ganze«, S. 74 f., in: Max Horkheimer (Hrsg.), Zeugnisse, S. 74-114. Frankfurt a. M. (1963). Es ist also in der Tat bei Adorno nicht von einem Verdunkeln des Dunkels oder ähnlichem die Rede. Reinhard Kager übernimmt die Vorstellung vom dunklen Dunkel, spricht es nun aber nicht, wie Allkemper, der »Welt«, sondern der Philosophie zu: »Um die Finsternis der Welt klarer ins Auge fassen zu können, muß Philosophie ihr Dunkel noch mehr verdunkeln.« Reinhard Kager, Herrschaft und Versöhnung, S. 178. Frankfurt a. M./New York (1998). 215 Axel Honneth, Kritik der Macht, a. a. O., S. 68. 216 »Ich denke, daß der Begriff der ›Herrschaft‹, um eine spezifische Bedeutung annehmen zu können, zunächst im Kontext interpersonaler Beziehungen präzisiert werden muß.« Seyla Benhabib, Kritik, Norm und Utopie, S. 142. Frankfurt a. M. (1992). 217 Vgl. exemplarisch Christel Beier, a. a. O., S. 55 f. 218 Für Mauro Bozetti macht der Antagonismus bei Adorno »die Gesellschaft lebendig und dialektisch«. Mauro Bozetti, a. a. O., S. 210 f. Dies ist eine notwendige Konsequenz seiner oben vorgestellten Auffassung, Adornos Hegelkritik impliziere keine gesellschaftstheoretische Reflexion der Philosophie. 219 Negative Dialektik, GS 6, S. 315. 220 Vgl. zum Universalienstreit Günther Mensching, Das Allgemeine und das Besondere, insbes. S. 59 ff. Stuttgart (1992). 221 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, a. a. O., A 111. 222 Vgl. a. a. O., B 140. 223 A. a. O., B 134.

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224 A. a. O., B 131. 225 A. a. O., B 404. 226 A. a. O., B 132. 227 Vgl. a. a. O., B 164 f. 228 A. a. O., A 350. 229 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 750. 230 A. a. O., S. 757. 231 Ebd. (Hervorhebung J. W.). 232 Die sich auf Kant beziehende Entwicklungspsychologie Jean Piagets hat die Genese der kognitiven Entwicklung in den Individuen untersucht. Die dabei aufgefundenen Stadien kognitiver Entwicklung sind allesamt vom Resultat her konstruiert: das vorherige Stadium ist notwendige Voraussetzung des späteren, das spätere aber nicht notwendige Folge des früheren. Vgl. Jean Piaget, Meine Theorie der geistigen Entwicklung, S. 40 f. Frankfurt a. M. (1983). 233 Vgl. dazu Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, a. a. O., S. 15 ff. 234 Marginalien zu Theorie und Praxis, GS 10.2, S. 775 (Hervorhebung J. W.). 235 Vgl. hier, Kapitel 1.1.2.1. 236 Ulrich Müller hat dagegen eingewandt, daß die Geltung der Denkformen nicht gesellschaftstheoretisch zu begründen sei. Vgl. Ulrich Müller, Erkenntniskritik und Negative Metaphysik bei Adorno, S. 176 f. Frankfurt a. M. (1988). Nach Müller liegt dem Versuch einer solchen Begründung ein »simplifizierender Gebrauch einer wenig differenzierten und kaum ausgearbeiteten Gesellschaftstheorie« (a. a. O., S. 9) bei Adorno zugrunde. Diese These begründet Müller nicht, sondern unterstellt sie durch den Verweis auf Christel Beier als bewiesen (vgl. a. a. O., S. 9, FN). Christel Beier will beweisen, »daß das für die Konzeptualisierung gesellschaftlichen Zusammenhangs verwendete analytische Instrumentarium [bei Adorno, J. W.] seiner philosophischen Herkunft wegen eine genuin sozialwissenschaftliche Thematisierung systematisch verfehlt.« Christel Beier, a. a. O., S. 7. Adorno verfalle einer Aporie, weil er »mit den Mitteln philosophischer Reflexion philosophische Denkformen zu relativieren« (a. a. O., S. 45) suche. Als Beispiel für eine Denkform nennt sie das »logische Schließen« (ebd.). Bei Adorno findet sich aber an keiner Stelle eine Relativierung der Schlußformen. Trotzdem gelangt Beier zu dem Ergebnis, daß Adorno diese Relativierung nicht gelungen sei, weil ihm »entgangen« sei, »daß Ideologiekritik eben kein Modus philosophischen Denkens ist, sondern als Theorie eines Zusammenhangs von Arbeits-, Erfahrungs- und Bewußtseinsformen aufgefaßt werden müßte« (ebd.). Adorno habe also nicht gesehen, daß Alles irgendwie mit Allem in Zusammenhang stehe. Das kann nicht als Nachweis einer »kaum ausgearbeiteten Gesellschaftstheorie« bei Adorno gelten. 237 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 744 (Hervorhebung J. W.). 238 Vgl. ebd. 239 Alles »Mannigfaltige der Anschauung (hat) eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird. Diese Vorstellung aber ist ein Aktus der Spontaneität, d. i. sie kann nicht als zur Sinnlichkeit gehörig angesehen werden. Ich nenne sie die reine Apperzeption, um sie von der empirischen zu unterscheiden, oder auch die ursprüngliche Apperzeption, weil sie dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, indem es die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle anderen muß begleiten können, und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiteren begleitet werden kann.« Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, a. a. O., B 132. 240 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 744 (Hervorhebung J. W.). 241 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, a. a. O., B 132. 242 »Problematisch aber wird die Kritik Adornos, wenn er die Transzendentalphilosophie ebenfalls mit dem Prinzip von ›erster‹ Philosophie in Zusammenhang bringt.« Lothar Düver, Theodor W. Adorno, S. 79. Bonn (1978). Vgl. auch Joachim Stahl, a. a. O., S. 195. 243 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 744.

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244 Der Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre, GS 1, S. 165. 245 Günther Mensching hat diesen nominalistischen Zug auch für die Urgeschichte des Subjekts in der Dialektik der Aufklärung nachgewiesen. Vgl. Günther Mensching, Antinomien einer »Vorgeschichte des Subjekts« – Variationen über ein Thema von Adorno, S. 8-11. [Manuskript, unveröff.]. 246 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 199. 247 In den Vorlesungen zur Einleitung in die Soziologie etwa findet sich eine lange Passage, in der Adorno an der nominalistisch konstruierten Herrschaftssoziologie Max Webers nachweist, wie sich dort ganz entgegen der nominalistischen Begriffsbildung die realen Veränderungen im Charakter der Herrschaft durchsetzen. Vgl. Theodor W. Adorno, Einleitung in die Soziologie, S. 199 ff. Nachgelassene Schriften, Bd. 15. Frankfurt a. M. (1993). 248 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 744. Hermann Mörchen, Macht und Herrschaft im Denken Heideggers und Adornos, S. 118. Stuttgart (1980), hat die Reproduktion der ursprungsphilosophischen Fragestellung in Zusammenhang mit der Analyse des Begriffs der Herrschaft bei Adorno gesehen. 249 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 749 f. 250 Drei Studien zu Hegel, GS 5, S. 273. 251 Zur Metakritik der Erkenntnistheorie, GS 5, S. 18. 252 Ebd. 253 A. a. O., S. 30. 254 Theodor W. Adorno, Philosophische Terminologie, a. a. O., Bd. 2, S. 173 (Hervorhebung J. W.). 255 Negative Dialektik, GS 6, S. 182. 256 Vgl. Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 757; Negative Dialektik, GS 6, S. 178; Drei Studien zu Hegel, GS 5, S. 265. 257 Negative Dialektik, GS 6, S. 178. Tatsächlich hat Alfred Sohn-Rethel gegen diese Formulierung schwere Einwände erhoben. Sohn-Rethel wendet ein, ihm habe sich »zu keinem Zeitpunkt (…) Kants ›transzendentales Subjekt‹ dadurch empfohlen, daß es die gesellschaftliche Arbeit birgt.« Alfred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche Arbeit, S. 69, FN. O. O. (o. J.). Er habe dagegen das Transzendentalsubjekt als »Fetischbegriff der Kapitalfunktion des Geldes« (ebd.) charakterisiert. In der Tat argumentiert Sohn-Rethel anders. Auf den Unterschied sei an dieser Stelle kurz hingewiesen. Alfred Sohn-Rethel hat den Beweis zu führen unternommen, »daß das Denken genau in demselben Sinne gesellschaftlich bedingt und geschichtlich entstanden ist, in dem der Idealismus seine Apriorität gegenüber dem Sein und seine Transzendentalität behauptet.« Ders., Warenform und Denkform, S. 27. Frankfurt a. M. (1978). Diesen Beweis nennt er ›die materialistische Erklärung rationalen Denkens‹ (ebd.). Die Überlegungen Sohn-Rethels nehmen ihren Ausgangspunkt bei der Marxschen wie der Kantischen Theorie. Vgl. dazu auch Oskar Negt, Alfred Sohn-Rethel, S. 13 f. Bremen (1988). Durchgeführt wird die ›materialistische Erklärung rationalen Denkens‹ als Verknüpfung der Kantischen Erkenntnistheorie mit der Marxschen Wertformanalyse. In der Warenform selbst, so lautet die zentrale These Sohn-Rethels, sei »das Transzendentalsubjekt zu finden.« Alfred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche Arbeit, a. a. O., S. 9. Dazu müssen die Denkformen als aus der Warenform »entsprungen« (ders., Warenform und Denkform, a. a. O., S. 37) ausgewiesen werden. Der Zusammenhang von Warenform und Denkform wird von Sohn-Rethel durch eine Analogisierung hergestellt: Im Warentausch habe eine »Realabstraktion« statt. Die Realabstraktion bestehe darin, daß im Tausch, ohne daß die Tauschenden davon wüßten, von der Gebrauchshandlung abstrahiert werde. Vgl. ders., Materialistische Erkenntniskritik und Vergesellschaftung der Arbeit, S. 19 ff. Berlin (o. J.). Damit gehe in einem gesellschaftlichen Vorgang eine Abstraktion von Raum und Zeit einher – eben deshalb nennt Sohn-Rethel die Abstraktion Realabstraktion –, auf deren Grundlage sich dann das begriffliche Denken entwickelt habe.

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Dieses nämlich, und darin besteht die Analogie, sei ebenfalls durch Abstraktion gekennzeichnet. Die Analogie wird nun von Sohn-Rethel als Verhältnis von Grund und Folge interpretiert. Grund sei die Tauschabstraktion, Folge das abstrakte Denken. Wenn das Denken aus der Warenform ableitbar sein, d. h. auf eine außerhalb des Denkens liegende Bedingung zurückgeführt werden soll, so muß diese Bedingung hinreichend sein: wenn Warenform, dann begriffliches Denken. Eben diese systematische Überlegung stellt Sohn-Rethel dann auch an: »Es ist also naheliegend und in meinen Augen von zwingender Überzeugungskraft, daß das gemünzte Geld dadurch, daß es das den Postulaten der Geldabstraktion konforme Ding ist, das gesuchte Verbindungsstück darstellt, durch welches die Tauschabstraktion aus dem gesellschaftlichen Sein zum Bewußtsein drängt und zur Begriffsabstraktion zu werden vermag. Jedermann, der Münzen in der Tasche trägt und ihren funktionellen Gebrauch versteht, muß ganz bestimmte begriffliche Abstraktionen im Kopf haben, ob er sich dessen bewußt ist oder nicht« (a. a. O., S. 29). An dieser Überlegung läßt sich darstellen, warum Sohn-Rethel entgegen dem eigenen Anspruch nicht über eine Analogisierung von Warenform und Denkform hinausgelangt. Das Ziel der Überlegung besteht darin, »das rationale Denken als gesellschaftlich notwendig bedingtes Denken« zu erklären, und zwar »so, daß seine gesellschaftliche Bedingtheit sich als Grund seines Geltens erweist.« Ders., Warenform und Denkform, a. a. O., S. 74. Die Gültigkeit der als gesellschaftlich bedingt auszuweisenden Denkformen ist dem Ausweis ihrer Bedingtheit aber immer schon vorausgesetzt. Wenn die Geltung der Denkformen ihrer Ableitung vorausgesetzt ist, kann ihr Geltungsgrund nicht auf ihre gesellschaftliche Bedingtheit zurückgeführt werden. Eben das hat Sohn-Rethel in der oben zitierten Passage selbst zugestanden. Die Tauschabstraktion soll einesteils ›zu Bewußtsein drängen‹. Andernteils wird gesagt, daß »bestimmte begriffliche Abstraktionen im Kopf« zum »funktionellen Gebrauch« des Geldes notwendig seien. Damit ist aber genau das Gegenteil von dem gezeigt, was bewiesen werden sollte. Darzustellen war die Ableitung der Denkabstraktion aus der Tauschabstraktion. Gezeigt wird, daß die Denkabstraktion der Tauschabstraktion vorausgesetzt ist. Die wesentliche Differenz zur Argumentation Adornos besteht darin, daß dieser erstens das Paradox selbst formuliert, das Verhältnis daher auch nicht als Ableitungsverhältnis begreift, zweitens die durch gesellschaftliche Arbeit vermittelte Selbsterhaltung der Gattung, nicht den Warentausch als Grund der Denkformen auffaßt und drittens sich bei ihm noch andere, quer zu dieser Argumentation stehende Überlegungen finden. Max Horkheimer hat das einmal in einem Brief an Adorno prägnant zum Ausdruck gebracht: »Ihre Absicht, die notwendige und immanente Bezogenheit des idealistischen Subjektbegriffs auf Materielles nachzuweisen, mag mit Sohn Rethels Postulat einer Materialisierung des idealistischen Erkenntnisbegriffs zusammentreffen, aber solche formalen Übereinstimmungen können sie unter Umständen auch zwischen uns und unseren ärgsten Gegnern feststellen.« Christoph Gödde (Hrsg.), Theodor W. Adorno und Alfred Sohn-Rethel. Briefwechsel 1936-1969, S. 39 [Brief von Max Horkheimer an Theodor W. Adorno vom 8.12.1936]. München (1991). 258 Negative Dialektik, GS 6, S. 180; vgl. Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 745 f. 259 Negative Dialektik, GS 6, S. 180; vgl. Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 750. 260 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 757 f. 261 Christoph Demmerling, Sprache und Verdinglichung, S. 145 f., Frankfurt a. M. (1994), sieht, daß bei Adorno »nicht allein der Tausch« für die Denkformen konstitutiv ist. Er sieht aber nicht, daß an die Stelle des Tausches die Arbeit tritt und spricht deshalb unbestimmt vom konstitutiven Charakter einer »Fülle weiterer gesellschaftlicher Praktiken.« 262 Vgl. Friedrich Engels, Dialektik der Natur, a. a. O., S. 444 f.; dazu hier, Kapitel 1.1.2. 263 Vgl. Drei Studien zu Hegel, GS 5, S. 266 ff.; Negative Dialektik, GS 6, S. 182 f.; Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 757 f. 264 Negative Dialektik, GS 6, S. 185 (Hervorhebung J. W.). 265 A. a. O., S. 184. 266 A. a. O., S. 53.

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267 Vgl. hier, Kapitel 1.2.1. 268 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 47. 269 Negative Dialektik, GS 6, S. 54. 270 »Rationaler Operation ist gleichsam als Moment des Gegengifts in zweiter Reflexion die Qualität gesellt, welche die beschränkte erste Reflexion der Wissenschaft in der ihr hörigen und fremden Philosophie unterschlug.« Negative Dialektik, GS 6, S. 54. 271 Vgl. hier, Kapitel 1.1.1, FN 54. 272 Negative Dialektik, GS 6, S. 314. 273 Ebd. 274 Vgl. ebd. 275 Ebd. (Hervorhebung J. W.). 276 Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 375. 277 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 347 ff. 278 A. a. O., S. 314. 279 Das entspricht der Auffassung Walter Benjamins in Über den Begriff der Geschichte, a. a. O., S. 251 f. 280 Negative Dialektik, GS 6, S. 315. 281 So auch Traugott Koch, Klaus-Michael Kodalle, a. a. O., S. 13 f. 282 Negative Dialektik, GS 6, S. 317 (Hervorhebung J. W.). 283 Vgl. a. a. O., S. 315 f. 284 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 16. Für Günther Mensching zählt die Dialektik der Aufklärung daher zu »jenen philosophischen Texten, deren objektive Intention gegen ihre Ausführung zu verteidigen ist.« Günther Mensching, Zu den historischen Voraussetzungen der »Dialektik der Aufklärung«, S. 25, in: Michael Löbig, Gerhard Schweppenhäuser, a. a. O., S. 25-46. 285 »Karl Kraus tat recht daran, sein Stück ›Die letzten Tage der Menschheit‹ zu nennen. Was heute geschieht, müsste ›Nach Weltuntergang‹ heißen.« Minima Moralia, GS 4, S. 61. 286 Freud beginnt seinen Essay Zeitgemäßes über Krieg und Tod, geschrieben ungefähr sechs Monate nach Kriegsausbruch – ein Wort, das Krieg mehr mit einem Naturereignis, etwa einem Vulkanausbruch, verknüpft, und daher besser durch Kriegsbeginn zu ersetzen wäre –, mit der Bemerkung: »Von dem Wirbel dieser Kriegszeit gepackt, einseitig unterrichtet, ohne Distanz zu den großen Veränderungen, die sich bereits vollzogen haben oder zu vollziehen beginnen, und ohne Witterung der sich gestaltenden Zukunft, werden wir selbst irre an der Bedeutung der Eindrücke, die sich uns aufdrängen, und an dem Werte der Urteile, die wir bilden. Es will uns scheinen, als hätte noch niemals ein Ereignis so viel kostbares Gemeingut der Menschheit zerstört, so viele der klarsten Intelligenzen verwirrt, so gründlich das Hohe erniedrigt. Selbst die Wissenschaft hat ihre leidenschaftslose Unparteilichkeit verloren«. Sigmund Freud, Zeitgemäßes über Krieg und Tod, S. 35, in: ders., Studienausgabe, Frankfurt a. M. (1982 ff.), Bd. 9, S. 33-60. 287 Gemeinhin wird der Umschlag für die deutsche Sozialdemokratie an der Bewilligung der Kriegskredite festgemacht. Tatsächlich hatte die sozialdemokratische Reichstagsfraktion schon 1913 einer Änderung der Steuergesetze zugestimmt, die eine Erhöhung des Militärhaushalts ermöglichte. Vgl. dazu Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 134 ff. München (1970). 288 Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der kommunistischen Partei, S. 493, in: MEW, a. a. O., Bd. 4, S. 459-493. 289 Vgl. exemplarisch Walter Benjamin, a. a. O., S. 256 f. 290 Negative Dialektik, GS 6, S. 355. 291 Helmut Dubiel, Die Aktualität der Gesellschaftstheorie Adornos, a. a. O., S. 294. »Alle thematisch noch so disparaten Argumentationsstränge Adornos bleiben in einer geschichtsphilo-

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sophischen Theorie eingebettet, die den historischen Erfahrungsgehalt des Faschismus in der Konstruktion der Geschichte als ›rückläufiger Anthropologie‹ verarbeitet.« Axel Honneth, Von Adorno zu Habermas, a. a. O., S. 89; vgl. auch S. 91. 292 Helmut Dubiel, Die Aktualität der Gesellschaftstheorie Adornos, a. a. O., S. 300. 293 Auf die normative Konnotation des Subjektbegriffs hat Jürgen Ritsert, a. a. O., S. 46 f., hingewiesen. 294 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 743. 295 Die antizipierende Darstellung des versöhnten Zustands gelinge in Kunstwerken. Der Bereich der Kunst wird von Adorno wesentlich nicht nach der Seite der subjektiven Wirkung aufgefaßt, sondern nach der ihres objektiven Gehalts. »Aus den Kunstwerken, auch den sog. individuellen, (spricht) ein Wir und kein Ich.« Ästhetische Theorie, GS 7, S. 250. Indem Adorno ästhetische Produktionen nach der Seite ihres objektiven Gehalts auffaßt, konvergiert ihr Wahrheitsgehalt mit dem der Philosophie. Vgl. Wozu noch Philosophie, GS 10.2, S. 470. Die Weise der Darstellung unterscheidet sie indes – darin besteht übrigens ein sachlicher Anlaß zur Ästhetischen Theorie. Der Kunst komme ob ihrer nicht-begrifflichen Darstellung ein Moment der Antizipation des versöhnten Zustands zu, dessen die begriffliche Darstellung entraten müsse: »Paradox hat sie das Unversöhnte zu bezeugen und gleichwohl tendenziell zu versöhnen; möglich ist das nur ihrer nicht-diskursiven Sprache. In jenem Prozeß allein konkretisiert sich ihr Wir.« Ästhetische Theorie, GS 7, S. 251. 296 Vgl. exemplarisch Reinhard Kager, a. a. O., S. 169. 297 Beide Begriffe gehen dem Inhalt nach auf dasselbe. Vgl. exemplarisch Negative Dialektik, GS 6, S. 346; Fortschritt, GS 10.2, S. 620. Der Begriff der Versöhnung betont stärker das Moment des Zustands der Herrschaftsfreiheit, der Begriff der Erlösung stärker das der Abschaffung von Herrschaft. Vgl. Fortschritt, GS 10.2, S. 623. 298 Negative Dialektik, GS 6, S. 294. 299 Thorsten Bonacker, Die normative Kraft der Kontingenz, a. a. O., S.230, spricht von einer »negativen regulativen Idee«. Bonackers Arbeit zielt in ihrem zweiten Teil auf den Nachweis, daß die »normative Position Adornos (…) weniger unbegründbar ist als gemeinhin angenommen« (a. a. O., S. 130). Allerdings interpretiert auch er Versöhnung als »das absolut Gute« (a. a. O., S. 231) und stellt anschließend zu Recht fest, daß es dies nicht geben kann. Damit wird Versöhnung zu einer zwar theoretisch notwendigen, empirisch aber unmöglichen »kontrafaktischen Unterstellung.« Diese Konsequenz ist zwingend, folgt aber nicht aus dem Begriff der Versöhnung bei Adorno, sondern aus dessen Interpretation bei Bonacker: Vom »absolut Guten« ist bei Adorno nirgends die Rede. Der Begriff eines »absolut Guten« ist unsinnig, weil »das Gute« nur in der Differenz zu »dem Bösen« zu haben ist, das »absolut Gute« die der Bestimmung des Guten vorausgesetze Differenz zum Bösen aber gerade einzieht. 300 Daß diese Voraussetzung von Adorno das ganze Werk hindurch beibehalten wird, ist einer der wenigen Punkte, über die in der Sekundärliteratur Einigkeit herrscht. Vgl. exemplarisch Iring Fetscher, Zur kritischen Theorie der Sozialwissenschaften in Adornos »Minima Moralia«, S. 226, in: Axel Honneth, Albrecht Wellmer (Hrsg.), a. a. O., S. 223-245. 301 Soziologie und empirische Forschung, GS 8, S. 197. 302 Vgl. exemplarisch Negative Dialektik, GS 6, S. 172. 303 Soziologie und empirische Forschung, GS 8, S. 197. 304 Minima Moralia, GS 4, S. 13. 305 Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 345. Frankfurt a. M. (19919). 306 Ebd. 307 Es geht mir im folgenden um das identische Moment der Argumentation bei Kant und Adorno. Deshalb kann die Kritik Adornos an der Kantischen Moralphilosophie hier unberücksichtigt bleiben. Vgl. dazu Anke Thyen, Es gibt darum in der verwalteten Welt auch keine Ethik, in: Dirk Auer, Thorsten Bonnacker, Stefan Müller-Doohm (Hrsg.), a. a. O., S. 165-185.

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308 Vgl. Theodor W. Adorno, Probleme der Moralphilosophie. Nachgelassene Schriften, Bd. 10. Frankfurt a. M. (1996). 309 Das Sittengesetz ist von Kant in unterschiedlicher Weise formuliert worden. Entscheidend ist der Unterschied zwischen der formalen und der inhaltlichen Formulierung. Adornos Begriff der Versöhnung bezieht sich auf die letztere. In der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten werden beide entwickelt. Nach Kants eigener Auffassung sind sie ineinander überführbar (vgl. Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 69 ff. (A 80 ff.), in: Werkausgabe, Bd. VII, S. 7-102. Frankfurt a. M. (1974). Diese These ist allerdings mit seiner vorherigen Argumentation nicht kompatibel. Die formale Variante des kategorischen Imperativs (»Handle nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie jederzeit ein allgemeines Gesetz werde«) wird durch eine Unterscheidung zwischen hypothetischen und kategorischen Imperativen eingeführt, nach der im Unterschied zu hypothetischen Imperativen bei kategorischen von jeder Zweckbestimmung des Willens zu abstrahieren sei (vgl. a. a. O., S. 41-51 (A 37-A 52)). Kant stellt sich etwas später dann die Frage, warum ein Imperativ gelten soll, der von jeder Zweckbestimmung des Willens abstrahieren, die bloße Form des Willens bestimmen soll. Die Argumentation hebt dann neu an. Grundlage des kategorischen Imperativs ist nun nicht mehr die Abstraktion von jeder Zweckbestimmung, sondern ein Zweck mit »absolutem Wert« (a. a. O., S. 59 (A 64)), ein Selbstweck. Dieser Selbstzweck ist die Freiheit des Menschen, seine Fähigkeit, seinen Willen autonom zu bestimmen. Daraus ergibt sich die inhaltliche Formulierung des kategorischen Imperativs (vgl. dazu im Text). Nur unter dieser Voraussetzung ist die von Kant behauptete Identität von freiem Willen und sittlich bestimmtem Willen zu halten (vgl. a. a. O., S. 82 (A 98)). Die formale Formulierung des kategorischen Imperativs steht in den moralphilosophischen Schriften Kants im Vordergrund. Indes bildet die inhaltliche Formulierung die Grundlage für die Argumentation in den politisch und pädagogisch orientierten Schriften. Vgl. exemplarisch ders., Über Pädagogik, S. 704, in: Werkausgabe, Bd. XII, S. 691-761. Frankfurt a. M. (1977). 310 Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, a. a. O., S. 61 (A 66f.). 311 Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, a. a. O., S. 102 (A 87). 312 A. a. O., S. 72 (A 61). 313 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, a. a. O., B 834. 314 Ebd. 315 Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, a. a. O., S. 128 (A 110). 316 Seyla Benhabib, Max Horkheimers frühe Moralphilosophie, S. 131, in: Axel Honneth, Albrecht Wellmer, a. a. O., S. 128-138. Benhabibs Widerrede zielt auf den frühen Horkheimer, der in seiner Kantrezeption einer »Subjektphilosophie« verhaftet bleibe, die in dem »Glauben« (a. a. O., S. 136) bestehe, »daß eine Klasse die gesellschaftliche Allgemeinheit als solche vertreten kann« (ebd.). Das ist für den frühen Horkheimer schwerlich zu belegen. In Materialismus und Moral sagt Horkheimer, »notwendige Konsequenz« des Kategorischen Imperativs sei »die Veränderung dieser Gesellschaft. (...)Wenn die Menschen so handeln wollen, daß ihre Maxime zum allgemeinen Gesetz taugt, müssen sie eine Welt herbeiführen«, in der das möglich ist. Max Horkheimer, Materialismus und Moral, a. a. O., S. 122. Horkheimer spricht also von »Menschen«, nicht von »einer Klasse«. 317 Immanuel Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 12, in: ders., Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie Ethik und Politik, S. 3-20. Hamburg (1973). 318 In dem Aufsatz Fortschritt verweist Adorno explizit auf den weltbürgerlichen Zustand bei Kant: »Der Begriff von Geschichte, in dem Fortschritt seinen Ort hätte, ist emphatisch, der Kantische allgemeine oder weltbürgerliche, keiner von partikularen Lebenssphären.« Fortschritt, GS 10.2, S. 618. 319 Negative Dialektik, GS 6, S. 217. 320 Vgl. Fortschritt, GS 10.2, S. 630.

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321 A. a. O., S. 618. 322 Negative Dialektik, GS 6, S. 220 (Hervorhebung J. W.). Ulrich Gmünder, Kritische Theorie, S. 83. Stuttgart (1985), hat gegen Herbert Marcuse, der die gleiche Position vertritt, eingewandt, sie »zu keinem Zeitpunkt auf einer konkreten – national-ökonomischen – Ebene detailliert ausgeführt« zu haben. Marcuse versichere bloß, daß auf dem gegebenen Stand der Produktivkräfte eine »höhere Stufe der Rationalität (…) real verwirklichbar wäre.« Aus der hier im zweiten Kapitel entwickelten Beweisführung wird sich dagegen ergeben, daß diese Überlegung gar nicht empirisch, sondern nur spekulativ zu begründen ist. 323 Fortschritt, GS 10.2, S. 618; vgl. auch Vernunft und Offenbarung, GS 10.2, S. 611. 324 Negative Dialektik, GS 6, S. 218. Entsprechend wird der »Fluchtpunkt des historischen Materialismus« als »die Befreiung des Geistes vom Primat der materiellen Bedürfnisse im Stand ihrer Erfüllung« bestimmt. A. a. O., S. 207; vgl. auch Drei Studien zu Hegel, GS 5, S. 288. »Dieser utopische Hedonismus ist eines der faszinierendsten, aber auch irritierendsten Theoreme, vor die uns sein [Adornos, J. W.] Werk stellt. Ich halte ihn für den wahren Grund des irrationalistischen Sogs, der für viele von Adornos Denken ausgeht.« Herbert Schnädelbach, a. a. O., S. 91. Der »utopische Hedonismus« ist bei Adorno die materiale Bestimmung des Begriffs der Versöhnung, daher nicht ein Theorem unter anderen, sondern das Theorem, das den Maßstab der Kritik ausmacht. Den rationalen Gehalt des Begriffs habe ich eben nachgewiesen. 325 Hauke Brunkhorst, Theodor W. Adorno, S. 100. München (1990). Brunkhorst hält fest, daß Adornos Denken seit den Anfängen um »die Autonomie des Subjekts« kreise. Vgl. a. a. O., S. 25. 326 Negative Dialektik, GS 6, S. 255. 327 Alfred Schmidt gehört zu den wenigen, die am Telos der vernünftigen Einrichtung der Gesellschaft festhalten. Albrecht Wellmer, um einen Vertreter der Gegenposition zu nennen, hat dafür – und das ist charakteristisch für die Gegenposition – nur noch Hohn und Spott übrig; er nennt jenes Telos einen »messianischen Fluchtpunkt«. Albrecht Wellmer, Die Bedeutung der Frankfurter Schule heute, a. a. O., S. 28. Ohne das Telos aber wird Kritische Theorie schlechterdings unverständlich. Wellmer ist es so sehr ein Dorn im Auge, daß er in diesem Zusammenhang dem bekannten Satz von Botho Strauß zustimmt, man denke ohne Dialektik auf Anhieb dümmer, aber das müsse sein (vgl. a. a. O., S. 29). 328 Rüdiger Bubner, Adornos Negative Dialektik, S. 38, in: Ludwig v. Friedeburg, Jürgen Habermas, a. a. O., S. 35-40. So auch Hans-Christoph Koller, Bildung und Widerstreit, S. 17. München (1999). 329 Albrecht Wellmer, Wahrheit, Schein, Versöhnung. Adornos ästhetische Rettung der Modernität, S. 149, in: Ludwig v. Friedeburg, Jürgen Habermas, a. a. O., S. 138-176. 330 Vgl. hier, Kapitel 1.1.2.2. 331 Negative Dialektik, GS 6, S. 169. 332 Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 360. 333 Drei Studien zu Hegel, GS 5, S. 274. 334 Vgl. exemplarisch Gesellschaft, GS 8, S. 10. 335 Der Begriff der gesellschaftlichen Totalität geht, wie sich am Ende dieses Kapitels und im dritten Kapitel zeigen wird, nicht in der gesellschaftlichen Organisation der Selbsterhaltung auf. Gesellschaft wird von Adorno nicht auf deren ökonomische Struktur reduziert, sondern als durch sie wesentlich bestimmt aufgefaßt. 336 Daraus wie aus der Tatsache, daß sich die im folgenden zu untersuchenden ökonomischen Bestimmungen des frühen Adorno im Kern nicht von denen des späten unterscheiden, ziehe ich in 2.1-2.3 die Konsequenz, ohne Rücksicht auf das Entstehungsdatum der jeweiligen Schrift zu zitieren. Die beiden von Adorno explizit an ökonomischen Bestimmungen orientierten Schriften, Reflexionen zur Klassentheorie und Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, werden in Abschnitt 2.4 thematisch.

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337 Daß der Tauschzusammenhang oder die Warenform am Grunde des Begriffs der gesellschaftlichen Totalität liegt, wird schon in der Antrittsvorlesung Adornos mit Vorsicht formuliert: »(…) gesetzt, es sei möglich, die Elemente einer gesellschaftlichen Analyse derart zu gruppieren, daß ihr Zusammenhang eine Figur ausmacht, in der jedes einzelne Moment aufgehoben ist; eine Figur, die freilich nicht organisch vorliegt, sondern die erst hergestellt werden muß: die Warenform.« Die Aktualität der Philosophie, GS 1, S. 337. 338 Negative Dialektik, GS 6, S. 180; vgl. auch S. 57. 339 A. a. O., S. 22. 340 A. a. O., S. 302. 341 Giacomo Marramao hat in Zum Verhältnis von Politischer Ökonomie und Kritischer Theorie, S. 90, in: Ästhetik und Kommunikation, Heft 11, S. 79-83. Frankfurt a. M. (1973), wenngleich verschlüsselt, auf die Differenz hingewiesen. 342 Vgl. exemplarisch Alfred Schmidt, Adorno, ein Philosoph des realen Humanismus, S. 57, in: Hermann Schweppenhäuser, Theodor W. Adorno zum Gedächtnis, S. 52-75. Frankfurt a. M. (1971); Gerd Kimmerle, Der eingebildete Zeuge, S. 61, in: Gerhard Gamm (Hrsg.), a. a. O., S. 11-69. 343 Gerhard Gamm, Sur-realität und Vernunft, S. 160, in: ders., a. a. O., S. 115-191. Vgl. auch Hermann Mörchen, a. a. O., S. 110 ff. 344 Christel Beier wendet gegen Adorno unter anderem ein, daß er den Tausch »zum Paradigma von Gesellschaft« (Christel Beier, a. a. O., S. 93) erhebe, dadurch aber »gerade die spezifische Voraussetzung kapitalistischer Vergesellschaftung« (a. a. O., S. 94) vernachlässige. Diese bestehe im Tausch »zwischen Nicht-Äquivalenten«, der von Christel Beier näher bestimmt wird als Tausch »von Kapital und Arbeit« (a. a. O., S. 95). So auch Norbert Rath, Adornos Kritische Theorie: Vermittlungen und Vermittlungsschwierigkeiten, S. 53 f. Paderborn/München/ Wien/Zürich (1982): »Es stellt sich ja schon bei Marx immanent die Frage, welche Bedingungen es ermöglichen, daß beim Äquivalententausch von einer Seite mehr eingetauscht wird als das Äquivalent.« Der Begriff des Äquivalententauschs besagt aber gerade, daß Äquivalente getauscht werden. Bei Marx wird nicht Arbeit, sondern die Ware Arbeitskraft getauscht. Diese tauscht sich nicht gegen Kapital, sondern gegen den Arbeitslohn, welcher ein Äquivalent ihres Wertes darstellt. Marx hat im Kapital gezeigt, wie unter der Voraussetzung von Äquivalententausch Mehrwert produziert werden kann. Nach Allkemper ist für Adorno die »Abstraktheit des Tauschwerts nicht neutral, sondern in ihr ist, als Grund der Ungleichheit, gesellschaftliche Herrschaft (…) versteckt. Versteckt, weil vor der fetischistischen Dominanz das gesellschaftliche Verhältnis menschlicher Arbeit zugunsten eines Verhältnissen von Sachen vergessen wurde, so daß der Schein einer wirklichen Äquivalenz sich seiner Dechiffrierung sperrt, da er als Schein wirklich war und ist.« Alo Allkemper, a. a. O., S. 83. Die »Abstraktheit des Tauschwerts« soll also »versteckt« ein Herrschaftsverhältnis enthalten, das aber »vergessen« worden sei. Deshalb sperre sich der »Schein wirklicher Äquivalenz seiner Dechiffrierung.« Herrschaft ist aber real und keine Fiktion im Kopf des Theoretikers. Nach Thomas Link werden bei Adorno »die Waren (..) vom ökonomischen Apparat schon vor der totalen Planung mit den Werten ausgestattet, die das Verhalten der Menschen bestimmen.« Thomas Link, Zum Begriff der Natur in der Gesellschaftstheorie Theodor W. Adornos, S. 29. Köln (1986). Wert ist vergegenständlichte menschliche Arbeit. Könnte der »ökonomische Apparat« Waren mit Werten »ausstatten«, wäre eine objektive Werttheorie nicht zu formulieren. Adorno hat aber an der Marxschen Theorie – einer objektiven Werttheorie – zeit seines Lebens festgehalten. Nach Carsten Schlüter, Adornos Kritik der apologetischen Vernunft. Würzburg (1987), S. 630, ist der Marxsche Begriff des Tauschwerts »geschichtlich überholt«, weil der Wert »nicht mehr bzw. nicht mehr vornehmlich der lebendigen Arbeit entspringt« (a. a. O., S. 629 f.), sondern politisch »am ›Leben‹ erhalten« werde. Dies führt in einen Widerspruch: »Obwohl das Wertgesetz ›objektiv‹ nicht mehr gilt, setzt es sich durch« (a. a. O., S. 630). 345 Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens, GS 14, S. 21. 346 Aberglaube aus zweiter Hand, GS 8, S. 164.

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347 Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 379. 348 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 51. 349 Vgl. exemplarisch Negative Dialektik, GS 6, S. 150. Gleiches gilt auch für Horkheimer. Vgl. exemplarisch Max Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie, a. a. O., S. 200. 350 Iring Fetscher hat in Zur kritischen Theorie der Sozialwissenschaften in Adornos »Minima Moralia«, a. a. O., S. 224, auf die »periphere Rolle« hingewiesen, welche die Auseinandersetzung mit der Marxschen Theorie bei Adorno gespielt hat. Vgl. auch Martin Jay, Dialektische Phantasie, S. 185. Frankfurt a. M. (1981); Rolf Johannes, Das ausgesparte Zentrum. Adornos Verhältnis zur Ökonomie, S. 51 ff., in: Gerhard Schweppenhäuser (Hrsg.), Soziologie im Spätkapitalismus, a. a. O., S. 41-67. 351 Negative Dialektik, GS 6, S. 172. 352 Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 745. 353 Gesellschaft, GS 8, S. 14. 354 Soziologie und empirische Forschung, GS 8, S. 209. 355 Einleitung in die Musiksoziologie, GS 14, S. 370; vgl. auch Ästhetische Theorie, GS 7, S. 335. 356 Theorie der Halbbildung, GS 8, S. 98. 357 Gesellschaft, GS 8, S. 14. 358 Diese Überlegung zieht sich von den frühen bis zu den späten Schriften durch: »Je unerbittlicher das Prinzip des Tauschwerts die Menschen um die Gebrauchswerte bringt, um so dichter vermummt sich der Tauschwert selbst als Gegenstand des Genusses.« Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens, GS 14, S. 25. »Im Bereich des nicht zur nackten Lebenserhaltung Notwendigen werden tendenziell die Tauschwerte als solche, abgelöst, genossen.« Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 362. 359 Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens, GS 14, S. 25. 360 A. a. O., S. 25 f. Der Zusammenhang, in dem vom Kitt die Rede ist, weist sie als Kritik an Horkheimers Begriff des Kitts aus. Horkheimers Begründung des Kitts zielte gerade auf Psychologisches. Vgl. dazu Kapitel 3.1. Im Unterschied zu Horkheimer wird bei Adorno in den 30er Jahren dem psychologisch zu erklärenden Kitt ein gesellschaftstheoretisch zu bestimmender vorausgesetzt: »Von solcher gesellschaftlichen Substitution [des Gebrauchswerts durch den Tauschwert, J. W.] hängt alle spätere ›psychologische‹, alle Ersatzbefriedigung ab.« A. a. O., S. 25. 361 Vgl. a. a. O., S. 26. 362 »Nur Produkte selbständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Ware gegenüber.« Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 57. 363 A. a. O., S. 56. 364 Vgl. auch Klaus Holz, Die Historisierung der Gesellschaftstheorie, S. 111. Pfaffenweiler (1993). 365 Vgl. Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 170-181. 366 Vgl. a. a. O., S. 63 ff. 367 Vgl. a. a. O., S. 119 ff. 368 »In der bürgerlichen Gesellschaft ist jeder sich Zweck, alles andere ist ihm nichts. Aber ohne Beziehung auf andere kann er den Umfang seiner Zwecke nicht erreichen.« G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke, a. a. O., Bd. 7, S. 339. 369 Vgl. Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 50. 370 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 150. 371 Vgl. Gesellschaft, GS 8, S. 15. 372 Soziologie und empirische Forschung, GS 8, S. 209. Vgl. auch Einleitung zum »Positivismusstreit in der deutschen Soziologie«, GS 8, S. 307. 373 Vgl. dazu Frank Kuhne, Begriff und Zitat bei Marx, S. 45 ff. Lüneburg (1995). 374 Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 162 (Hervorhebung J. W.).

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375 A. a. O., S. 184 (Hervorhebung J. W.). 376 Ebd. 377 »Die Frage, warum dieser freie Arbeiter ihm [dem Kapitalisten, J. W.] in der Zirkulationssphäre gegenübertritt, interessiert den Geldbesitzer nicht (…). Und einstweilen interessiert sie uns ebensowenig.« A. a. O., S. 183. 378 Negative Dialektik, GS 6, S. 150. 379 Ebd. 380 A. a. O., S. 302. Vgl. auch Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 366; Marginalien zu Theorie und Praxis, GS 10.2, S. 776; Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, GS 6, S. 435 f. 381 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 301. 382 Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 164. 383 A. a. O., S. 168. 384 A. a. O., S. 167. 385 A. a. O., S. 169. 386 A. a. O., S. 165. 387 A. a. O., S. 169 (Hervorhebung J. W.). 388 Der Begriff »technische Zusammensetzung« bezeichnet bei Marx die stoffliche Zusammensetzung des Kapitals, der Begriff »Wertzusammensetzung« seine Zusammensetzung dem Wert der Produktionsmittel und dem Wert der angewandten Arbeitskraft nach. Der Zusammenhang beider Bestimmungen ist im Begriff »organische Zusammensetzung« ausgedrückt. Vgl. a. a. O., S. 640. 389 A. a. O., S. 606, auch S. 640, S. 641, S. 653 u. öfter. 390 Vgl. a. a. O., S. 603 f. (Hervorhebung J. W.). 391 Produzieren heißt nicht: aus dem Nichts erschaffen. Der Begriff des Produzierens ist auf etwas, das produziert wird, verwiesen. Das Kapital erschafft nicht die gegenständlichen Voraussetzungen seiner Reproduktion, die Natur und den Arbeiter. Das ist der Grund des Marxschen Einwands gegen die im Gothaer Programm formulierte These, die Arbeit sei Quelle allen Reichtums. Vgl. Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, S. 15 f., in: MEW, a. a. O., Bd. 19, S. 11-32. 392 Unterstellt ist dieser Betrachtung die Existenz einer internationalen Arbeitsteilung. Die Unterstellung bedarf in Zeiten der »Globalisierung«, der internationalen Konzentration von Kapital, in denen allerorten über die daraus resultierende Beschränkung der Handlungsfähigkeit von Staaten nachgedacht wird, keiner weiteren Begründung. Daneben sind alle Einzelkapitale durch Konkurrenz um Anteile am gesamtgesellschaftlich produzierten Mehrwert negativ aufeinander bezogen. Vgl. Karl Marx, Das Kapital III, MEW, a. a. O., Bd. 25, S. 207. Die Bestimmung ist von entscheidender Wichtigkeit für den Begriff der Klasse, auf ihrer Grundlage ergibt sich der »Doppelcharakter der Klasse. Er besteht darin, daß ihre formale Gleichheit die Funktion sowohl der Unterdrückung der anderen Klasse hat wie der Kontrolle der eigenen durch die Stärksten.« Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 379. Für das Folgende indes spielt sie keine Rolle. 393 Karl Marx, Das Kapital II, MEW, a. a. O., Bd. 24, S. 353 f. 394 A. a. O., S. 101 (Hervorhebung J. W.). 395 Vgl. Frank Kuhne, a. a. O., S. 55 f. 396 Karl Marx, Das Kapital III, a. a. O., S. 162. 397 Weder der Begriff des Kostpreises noch der des Produktionspreises lassen sich in werttheoretische Bestimmungen auflösen, weil im Kostpreis einer Ware immer schon der Durchschnittsprofit enthalten ist. Aus diesem Grund ist es auch falsch, einzelne Produktionspreise in Werte zurückzuübersetzen. »Aus der Verwandlung der Mehrwertsrate in die Profitrate ist die Verwandlung des Mehrwerts in Profit abzuleiten, nicht umgekehrt.« A. a. O., S. 53. 398 Vgl. a. a. O., S. 175.

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399 Vgl. a. a. O., S. 227. 400 Die Bestimmungen, die im dritten Band des Kapitals zum Verhältnis von Durchschnittsprofitrate und besonderer Profitrate gegeben werden, sind uneinheitlich. Das verweist auf die reflexive Struktur der Kapitalbewegung. So erklärt Marx an einigen Stellen, der Durchschnittsprofit werde hervorgebracht durch die Konkurrenz, an anderen, er sei ihr vorausgesetzt. Vgl. exemplarisch: »Die Konkurrenz der Kapitale in den verschiedenen Sphären aber bringt erst (..) hervor den Produktionspreis, der die Profitraten zwischen den verschiedenen Sphären egalisiert.« A. a. O., S. 190. An anderer Stelle hingegen ist die Durchschnittsprofitrate als Voraussetzung der Produktionspreise bestimmt: »Ihre [der Produktionspreise, J. W.] Voraussetzung ist die Existenz einer allgemeinen Profitrate.« A. a. O., S. 167. Die Durchschnittsprofitrate ist Voraussetzung und, als stets wieder hergestellte, Resultat der kapitalistischen Produktionsweise. 401 Vgl. zum Begriff des akkumulierbaren Mehrwerts Hans-Georg Bensch, a. a. O., S. 51 f. 402 Vgl. Karl Marx, Das Kapital II, a. a. O., S. 351 ff. 403 Das Schema einfacher Reproduktion charakterisiert einen Zustand stationärer gesellschaftlicher Reproduktion. Das Schema erweiterter Reproduktion charakterisiert einen gesellschaftlichen Zustand, in dem der gegenständlichen Reichtum anwächst. 404 Das Schema einfacher Reproduktion kann für überhaupt keine Gesellschaft Geltung beanspruchen, weil es unterstellt, daß die gesamte gesellschaftlich verausgabte Mehrarbeit in die Konsumtion fließt. Jede gesellschaftliche Reproduktion ist aber auf endliche naturale Bedingungen der Produktion angewiesen, deren Erschöpfung entweder größeren Aufwand bei deren Förderung oder die Umstellung auf andere endliche Produktionsbedingungen erforderlich macht. 405 Die Bedingung lautet: I (v+m)=II (c). Vgl. Karl Marx, Das Kapital II, a. a. O., S. 397 ff. I steht für die Abteilung, in der Produktionsmittel produziert werden, II für die Abteilung, in der Konsumtionsmittel produziert werden. V bezeichnet das variable, in Arbeitskraft ausgelegte Kapital, m den von den Arbeitskräften produzierten Mehrwert. C bezeichnet das in konstante, in Produktionsmittel ausgelegte Kapital. 406 I (v+m) > II (c). 407 Vgl. dazu Hans-Georg Bensch, a. a. O., S. 33 ff., insbes. S 46 f. 408 Entsprechend faßt Adorno in Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 359, nicht die Wertformanalyse, sondern die Mehrwerttheorie als Kernstück der Marxschen Theorie auf. Diese Bestimmung ist nicht im ganzen Werk einheitlich: In den Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 378, wird die Klassentheorie als »Zentrum« gefaßt. Beide Bestimmungen sind insofern kompatibel, als die Klassentheorie sich nur unter Voraussetzung der Mehrwerttheorie formulieren läßt. 409 Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute, GS 8, S. 187 (Hervorhebung J. W.). 410 Dem korrespondiert Adornos Bestimmung der Herrschaft der »Gesellschaft über ihre Zwangsmitglieder«. Gesellschaft, GS 8, S. 14. Friedemann Grenz hat das gesehen: »Adorno ist auf eine Strukturanalyse aus, die auch die Herrschenden als vom System Beherrschte ausweist.« Friedemann Grenz, a. a. O., S. 26. 411 Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 100. 412 Adorno folgert daraus, daß »der Fabrikant der ›Weber‹ nicht mehr« existiert, der Unternehmer den Arbeitern nicht mehr als »leibhafte Verkörperung der Kapitalinteressen« (Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute, GS 8, S. 187) entgegentritt, eine Verschiebung des sozialen Konflikts. »Der Konflikt, unsichtbar unter der Oberfläche des Partnertums, äußert sich in gesellschaftlichen Randphänomenen.« A. a. O., S. 188. Zu den von Adorno diagnostizierten Veränderungen im Kapitalverhältnis vgl. Kapitel 2.4. 413 Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., Vorwort zur ersten Auflage, S. 16. 414 Vgl. exemplarisch Gesellschaft, GS 8, S. 10.

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415 Ebd. Gesellschaftstheorie habe daher fortzuschreiten zu der Erkenntnis des Grundes, »warum die Menschen immer noch auf Rollen vereidigt sind. Der Marxsche Begriff der Charaktermaske, der jene Kategorie nicht nur antezipiert, sondern gesellschaftlich deduziert, hat das tendenziell geleistet.« A. a. O., S. 13. 416 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 314; Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute, GS 8, S. 183. 417 Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 765. 418 »Allzu optimistisch war die Erwartung von Marx, geschichtlich sei ein Primat der Produktivkräfte gewiß, der notwendig die Produktionsverhältnisse sprenge.« Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 363. 419 Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 765. 420 A. a. O., S. 603. 421 Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 358. 422 Vgl. ebd. Zur »Integration« vgl. hier, Kapitel 2.4.2. 423 Hans-Jürgen Krahl, Kritische Theorie und Praxis, S. 294, in: ders., Konstitution und Klassenkampf, S. 289-297. Frankfurt a. M. (19854). Giacomo Marramaos Argumentation zielt ebenfalls auf den Nachweis, daß die Kritische Theorie unfähig zur »kritischen Aneignung der realen antagonistischen Totalität« (Giacomo Marramao, a. a. O., S. 89) sei, weil sie den Klassenantagonismus nicht als Klassenkampf begreife (vgl. a. a. O., S. 89 f.). Die These ist zwar aus der damaligen gesellschaftspolitischen Situation in Italien verständlich. Sie ist aber der Argumentation Adornos insofern äußerlich, als für diesen gesellschaftliche Emanzipation nicht an eine spezifische Klasse gebunden ist. Vgl. dazu Kapitel 4. 424 Vgl. Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute, GS 8, S. 184 ff. 425 Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 91. 426 A. a. O., S. 557. 427 A. a. O., S. 562. 428 Ebd. (Hervorhebung J. W.). Dem korrespondiert, daß revolutionäre Erhebungen historisch mit der Verwandlung der Landbevölkerung in Lohnarbeiter, mit der Durchsetzung der durch einen sozialstrukturellen Bruch vermittelten Integration der Landbevölkerung in die kapitalistische Produktionsweise verbunden waren. Das Proletariat bestand in der »Zeit der industriellen Revolution und den ersten Dezennien danach aus enteigneten Handwerkern und Bauern, die ihren gesellschaftlichen Ort verloren hatten, gleichsam aus Exterritorialen.« Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute, GS 8, S. 183. Helga Grebing hat das für das Handwerk am Beispiel des Bergbauhandwerks im Ruhrgebiet gezeigt. Vgl. Helga Grebing, Arbeiterbewegung. Sozialer Protest und kollektive Interessenvertretung bis 1914, S. 9 ff. München (1985). 429 Einleitung zum »Positivismusstreit in der deutschen Soziologie«, GS 8, S. 307 (Hervorhebung J. W.). Dies wird in Teilen der Sekundärliteratur unhinterfragt übernommen und manchmal radikalisiert: Bei Ulrich Enderwitz etwa wird die Wertform zum handelnden Subjekt. Vgl. Ulrich Enderwitz, Der Ideologiekritiker Adorno und seine Grenzen, S. 101; S. 107, in: Frithjof Hager, Hermann Pfütze, a. a. O., S. 99-110. Bei Norbert Rath, a. a. O., S. 53 und Michael T. Koltan, a. a. O., S. 28 wird der Tausch zum handelnden Subjekt. So auch bei Frank Böckelmann, Über Marx und Adorno, S. 57. Frankfurt a. M. (1972): »Die Tauschverhältnisse, erstmals in der Geschichte in einem Zusammenhang, (können) nicht zu sich selbst kommen.« Von ›den Tauschverhältnissen‹ wird weiter gesagt, sie seien von sich selbst »entfremdet« und müßten ihr »Fortbestehen mit dem eigenen Untergang bezahlen« (ebd.). Das »verbürgt die Akkumulation des Proletariats« (ebd.). Während bei Enderwitz die Wertform, bei Rath und Koltan der Tausch nicht als Ausdruck, sondern als Stifter eines universellen Zusammenhangs von Warenproduzenten erscheint, gerät bei Böckelmann der Tausch, ein gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen, zu einem Verhältnis, das sich von sich entfremdet. Das ist weder für Marx noch für Adorno zu halten. Zudem verbürgt bei Adorno das Proletariat gar nichts. Adornos These vom Subjektcharakter der Warenform hat die Marxrezeption Anfang der 70er nicht unwesentlich beeinflußt. Um ein exemplarisches Beispiel zu nennen: In dem damals be-

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kannten Aufsatz von Hans-Georg Backhaus, Zur Dialektik der Wertform, in: Alfred Schmidt (Hrsg.), Beiträge zur marxistischen Erkenntnistheorie, S. 128-152. Frankfurt a. M. (1970), wird der Wert zum Subjekt. Vgl. S. 130 f., S. 144. Vgl. dazu Klaus Holz, Die Historisierung der Gesellschaftstheorie, a. a. O., S. 158 ff. 430 Max Horkheimer, Autoritärer Staat, S. 308, in: GS, a. a. O., Bd. 5, S. 293-319. Vgl. auch Traditionelle und kritische Theorie, a. a. O., S. 200 f. Das Argument ist allerdings nicht nur fürs Kapital, sondern auch für die Phänomenologie des Geistes problematisch. Nicht die sinnliche Gewißheit selbst geht dort zugrunde, sondern der Reflexion auf die sinnliche Gewißheit geht die sinnliche Gewißheit zugrunde. Ort der Reflexion auf die sinnliche Gewißheit ist das absolute Wissen. Ein paar Zeilen weiter schreibt Horkheimer: »Daß die menschliche Gesellschaft wirklich alle Phasen durchläuft, die als Umschlag des freien und gerechten Tausches in Unfreiheit und Ungerechtigkeit aus seinem eigenen Begriff zu entfalten sind, enttäuscht ihn [den Idealisten, J. W.], wenn es wirklich so kommt.« Autoritärer Staat, a. a. O., S. 308 (Hervorhebung J. W.). 431 Das ergibt sich aus einem vermutlich von Herbert Marcuse verfaßten Protokoll einer Seminardiskussion über die Marxsche Werttheorie, an der Erich Fromm, Herbert Marcuse, Friedrich Pollock, Julian Gumperz, Franz L. Neumann und Max Horkheimer teilgenommen haben: »Die logischen Voraussetzungen der Marxschen Methode bezeichnen zugleich die historischen Voraussetzungen des Gegenstands. Einfache Warenproduktion ist nicht bloß eine begriffliche Vereinfachung, sondern auch eine geschichtliche Vorstufe. Marx beansprucht, mit der Vollendung seines ökonomischen Systems zugleich eine adäquate Analyse einer historischen Epoche zu geben. Diese Durchdringung logischer und historischer Kategorien ist ein wichtiges Charakteristikum der dialektischen Methode.« Max Horkheimer, Diskussionsprotokolle, GS, a. a. O., Bd. 12, S. 400. 432 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 55. 433 A. a. O., S. 67. 434 So auch Hans-Jürgen Krahl, Kritische Theorie und Praxis, a. a. O., S. 291. 435 Vgl. etwa die Kritik am Terminus »arbeitsteilige Gesellschaft« in Soziologie und empirische Forschung, GS 8, S. 198. 436 Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 373. 437 Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 741 (Hervorhebung J. W.). 438 A. a. O., S. 184. 439 Georg Lukács hält den Beginn des Marxschen Kapitals mit der Wertformanalyse für »keineswegs zufällig (...). Denn es gibt kein Problem dieser Entwicklungsstufe der Menschheit (…), dessen Lösung nicht in der Lösung des Rätsels der Warenstruktur gesucht werden müßte.« Georg Lukács, a. a. O., S. 170. Lukács erklärt deshalb, daß das »Kapitel über den Fetischcharakter der Ware den ganzen historischen Materialismus (…) in sich birgt.« A. a. O., S. 297 f. 440 Negative Dialektik, GS 6, S. 149 (Hervorhebung J. W.). 441 Jürgen Habermas, Theodor W. Adorno wäre 66 Jahre alt geworden, S. 37, in: Hermann Schweppenhäuser (Hrsg.), a. a. O., S. 26-38. 442 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 149. 443 A. a. O., S. 150 (Hervorhebung J. W.). 444 Zur gesellschaftlichen Lage der Musik, GS 18, S. 755. 445 Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 359. 446 Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 384. 447 Einleitung zum »Positivismusstreit in der deutschen Soziologie«, GS 8, S. 347. 448 Die Bedeutung Pollocks für die ökonomischen Auffassungen Horkheimers und Adornos ist in der Sekundärliteratur mehrfach herausgearbeitet worden. Vgl. exemplarisch Moishe Postone, Barbara Brick, Kritischer Pessimismus und die Grenzen des traditionellen Marxismus, in: Wolfgang Bonß, Axel Honneth, a. a. O., S. 179-239; Rolf Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, S. 314 ff. Frankfurt a. M. (1988). Manfred Gangl, Staatskapitalismus und Dialektik

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der Aufklärung, S. 165 ff., in: Manfred Gangl, Gérald Raulet, a. a. O., S. 158-186, weist die Bezugnahme von Horkheimer und Adorno auf Pollock im einzelnen nach. Giacomo Marramao, a. a. O., und Rolf Johannes, a. a. O., betonen neben dem Einfluß Pollocks den Henryk Großmanns. 449 »Kafka hat die Hierarchie des Büros als Hölle dargestellt. Hier verwandelt sich die Hölle in eine Hierarchie von Büros.« Brief von Adorno an Horkheimer, 8.6.1941, zit. nach Rolf Wiggershaus, a. a. O., S. 316. 450 Vgl. dazu Moishe Postone, Barbara Brick, a. a. O., S. 189 ff.; Martin Jay, Dialektische Phantasie, a. a. O., S. 185 ff. 451 Franz Neumann, Behemoth, S. 273. Frankfurt a. M. (1984). 452 Max Horkheimer, Autoritärer Staat, a. a. O., S. 295. 453 Friedrich Pollock, Die gegenwärtige Lage des Kapitalismus und die Aussichten einer planwirtschaftlichen Neuordnung, S. 10, in: Max Horkheimer (Hrsg.), Zeitschrift für Sozialforschung, Jahrgang 1 (1932), S. 8-27. München (1980). Vgl. die analoge Argumentation in Friedrich Pollock, Bemerkungen zur Wirtschaftskrise, S. 322 ff., in: Max Horkheimer (Hrsg.), Zeitschrift für Sozialforschung, Jahrgang 2 (1933), S. 321-354. München (1980). 454 Friedrich Pollock, Die gegenwärtige Lage des Kapitalismus und die Aussichten einer planwirtschaftlichen Neuordnung, a. a. O., S. 11. 455 Ebd. 456 A. a. O., S. 10. 457 A. a. O., S. 16. 458 Vgl. Friedrich Pollock, State Capitalism, S. 210, in: Max Horkheimer (Hrsg.), Zeitschrift für Sozialforschung, Jahrgang 9 (1941), S. 200-225. München (1980). 459 Ebd. 460 Friedrich Pollock, Die gegenwärtige Lage des Kapitalismus und die Aussichten einer planwirtschaftlichen Neuordnung, a. a. O., S. 12. 461 Vgl. a. a. O., S. 13. 462 A. a. O., S. 14. 463 Vgl. Friedrich Pollock, State Capitalism, a. a. O., S. 207. 464 Vgl. a. a. O., S. 217. 465 Vgl. a. a. O., S. 201. 466 A. a. O., S. 210. 467 »In the last decades administerd prices have contributed much toward destroying the market automatism without creating new devices for taking over its ›necessary‹ functions. They served to secure monopoly profits at the expense of the non-monopolistic market prices. Under state capitalism they are used as a supplementary device for incorporating production and consumption into the general plan.« A. a. O., S. 205. 468 Pollock verweist bezüglich der Begriffsbildung explizit auf Max Weber: »The term ›model‹ is used here in the sense of Max Weber’s »ideal type«« A. a. O., S. 200. Der Verweis ist irreführend: Pollock unternimmt es, eine gesellschaftliche Erscheinung auf den Begriff zu bringen. Bei Weber werden die Idealtypen strikt nominalistisch als bloß ausgedachte Ordnungsschemata vorgestellt. Vgl. exemplarisch Max Weber, Die »Objektivität« sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, S. 205, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, S. 146-214. Tübingen (19887). 469 Friedrich Pollock, State Capitalism, a. a. O., S. 200. 470 Vgl. a. a. O., S. 216. 471 »Der technologische Wandel geht zweifellos aus der kapitalistischen Konkurrenz hervor, aus der Notwendigkeit für jeden Wettbewerber, beständig zu expandieren, will er nicht stagnieren oder untergehen. Die kapitalistische Ökonomie ist also keineswegs zu einer bloßen Routineangelegenheit oder Verwaltungstechnik geworden; ihre ursprünglichen Triebkräfte sind nach

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wie vor wirksam.« Franz Neumann, a. a. O., S. 334. Neumann hat das für den Nationalsozialismus auf den vorherigen Seiten nachgewiesen. 472 So auch Rolf Johannes, a. a. O., S. 52 f. 473 Vgl. dazu Franz Neumann, a. a. O., S. 386 ff. 474 Friedrich Pollock, Die gegenwärtige Lage des Kapitalismus und die Aussichten einer planwirtschaftlichen Neuordnung, a. a. O., S. 14. 475 Vgl. Hans Jaeger, Geschichte der Wirtschaftsordnung in Deutschland, S. 111 f. Frankfurt a. M. (1988). Jaeger sieht darin eine wesentliche Voraussetzung der Kartell- und Monopolbildung. Vgl. auch Arkadij R. L. Gurland, Wirtschaft und Gesellschaft im Übergang zum Zeitalter der Industrie, S. 324 ff., in: Golo Mann (Hrsg.), Propyläen Weltgeschichte, Bd. 8, S. 279-336. Frankfurt a. M./Berlin (1960). 476 Vgl. Karl Marx, Das Kapital 1, a. a. O., S. 504. 477 Der Staat habe »bereits Geburtshelferdienste in der Frühzeit des Kapitalismus erwiesen, wurde dann beiseite geschoben und kommt ihm heute bei seinen wachsenden Schwierigkeiten wieder zu Hilfe.« Friedrich Pollock, Bemerkungen zur Wirtschaftskrise, a. a. O., S. 346. Weil das Argument empirisch nicht haltbar ist, modifiziert es Pollock auf der folgenden Seite und spricht von einer »neuen Intensität« staatlicher Eingriffe. Vgl. a. a. O., S. 347. 478 Alfred Sohn-Rethel etwa hat in Zur Interessenlage der deutschen Industrie in der Krise, in: ders., Industrie und Nationalsozialismus, S. 49-64. Berlin (1992), dargelegt, daß die Unterstützung der NSDAP wesentlich von den Fraktionen des Industriekapitals, insbesondere Eisen- und Stahlindustrie, ausging, die sich in der internationalen Konkurrenz ökonomisch nicht durchsetzen konnten. 479 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 236 (Hervorhebung J. W.). 480 A. a. O., S. 234. 481 Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 376. 482 A. a. O., S. 383. 483 A. a. O., S. 385. 484 Die These, daß sich die einzelnen nicht mehr als Warenbesitzer, sondern als Führer und Gefolgsleute gegenüberstünden, hat Adorno direkt von Pollock übernommen. »The leader and follower principle flourished long before it was promulgated as the basic principle of society.« Friedrich Pollock, State Capitalism, a. a. O., S. 222 (Hervorhebung J. W.). 485 Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 377. 486 A. a. O., S. 380. 487 Vgl. ebd. 488 Ebd. 489 A. a. O., S. 376. 490 A. a. O., S. 386. 491 A. a. O., S. 391. 492 »In der Tat ist es der Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschießt.« Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 145. 493 Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 390. In der Minima Moralia, GS 4, S. 151, radikalisiert Adorno diese These: »Daß das Individuum mit Haut und Haaren liquidiert werde, ist noch zu optimistisch gedacht.« 494 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 52. 495 Diese Konsequenz ziehen Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 59 f.: »Durch die Vermittlung der totalen, alle Beziehungen und Regungen erfassenden Gesellschaft hindurch werden die Menschen zu eben dem wieder gemacht, wogegen sich das Entwicklungsgesetz der Gesellschaft, das Prinzip des Selbst gekehrt hatte: zu bloßen Gattungswesen, einander gleich durch Isolierung in der zwanghaft gelenkten Kollektivität.«

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496 Vgl. Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 391; Georg Lukács, a. a. O., S. 195; S. 292. Für Adorno läßt sich daher nicht durchgängig nachweisen, er bestreite »den Satz von Lukács, daß die scheinbar restlose Rationalisierung ihre Grenze an dem formellen Charakter ihrer eigenen Rationalität findet.« Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, a. a. O., Bd. 1, S. 505. 497 »Dieser objektiven Verstecktheit der Warenform entspricht subjektiv, daß der Verdinglichungsprozeß, das Zur-Ware-Werden des Arbeiters ihn – solange er sich nicht bewußtseinsmäßig dagegen auflehnt – zwar annulliert, seine »Seele« verkümmert und verkrüppelt, jedoch gerade sein menschlich-seelisches Wesen nicht zur Ware verwandelt. Er kann sich also objektiv gegen dies sein Dasein innerlich vollkommen objektivieren, während der in der Bureaukratie usw. verdinglichte Mensch auch in jenen seinen Organen verdinglicht, mechanisiert, zur Ware wird, die die einzigen Träger seiner Auflehnung gegen diese Verdinglichung sein könnten.« Georg Lukács, a. a. O., S. 300. Ich habe oben gezeigt, daß im Unterschied zu Lukács bei Adorno die Warenform nicht durchgängig im Zentrum der Kritik steht. Dem entspricht, daß Adorno die in den Schriften in den 40er Jahren zentrale Stellung des Begriffs der Verdinglichung in der Negativen Dialektik relativiert. Vgl. GS 6, S. 191. 498 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, a. a. O., Bd. 1, S. 492. 499 Vgl. GS 14, S. 21. 500 Vgl. exemplarisch Die Buddenbrooks von Thomas Mann. Hier ist der Niedergang des bürgerlichen Individuums in Gestalt des Niedergangs der Firma Buddenbrook thematisch. Die Zerstörung des kleinen Eigentums in den 30ern und 40ern unter den Nationalsozialisten ist bei Arnold Zweig in Das Beil von Wandsbek thematisch: Das Unglück des Schlachtermeisters Albert Teetjen nimmt seinen Anfang, als er sich aus finanzieller Not als Henker verdingt. 501 Reflexionen zur Klassentheorie, GS 8, S. 379. 502 Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 363. 503 A. a. O., S. 367 (Hervorhebung J. W.). 504 A. a. O., S. 360. 505 Entsprechend verweist Adorno anschließend auf Marx: »Der alten Theorie gemäß wurden sie [die »Massen« wie die »Verfügenden«, J. W.] weithin zu Funktionen ihres eigenen Produktionsapparats.« Ebd. 506 A. a. O., S. 367. 507 Vgl. ebd. 508 A. a. O., S. 368. 509 Ebd. 510 Ebd. 511 Ebd. 512 A. a. O., S. 359. 513 A. a. O., S. 366. 514 A. a. O., S. 367. 515 Vgl. a. a. O., S. 355, S. 361, S. 366. Die Beispiele Adornos für warenförmig zu befriedigende Bedürfnisse sind grundsätzlich aus der Sphäre der individuellen Konsumtion entnommen. 516 Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute, GS 8, S. 184. Vgl. auch Theorie der Halbbildung, GS 8, S. 100. 517 Dialektik der Aufklärung, Vorwort zur Neuausgabe, a. a. O., S. 13. 518 Ebd. (Hervorhebung J. W.). 519 »Ausbreitung« ist eine quantitative Bestimmung. Sie kann sich auf die Zahl der Individuen beziehen, die ihre Reproduktion warenförmig vermitteln, oder sie kann sich auf das Ausmaß beziehen, in dem die individuelle Reproduktion warenförmig vermittelt wird. Hier bezieht sich der Terminus »Ausbreitung« auf beides.

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520 Balzac hat die Veränderung der Tätigkeit des Literaten durch seine Lohnabhängigkeit schon 1830 reflektiert. Vgl. Honoré de Balzac, Verlorene Illusionen, S. 270 ff. Hamburg (1977). 521 Die Analyse der Kulturindustrie in der Dialektik der Aufklärung hat die schon in Der Fetischcharakter der Musik und die Regression des Hörens entwickelte These bestätigt, daß die überwiegende Mehrzahl der kulturindustriellen Produktionen mit einer bescheidenen Zahl von Stereotypen auskommt, die beständig wiederholt werden. Diese Überlegung wie die Einsicht, daß kulturindustriell hergestellte Waren normalerweise durch eine Vorherrschaft des Effekts gegenüber dem Werk charakterisiert sind, haben nichts an Aktualität verloren. 522 Vgl. Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 170. »Automatisch wie planvoll sind die Subjekte daran verhindert, sich als Subjekte zu wissen. Das Warenangebot, das sie überflutet, trägt dazu ebenso bei wie die Kulturindustrie und ungezählte direkte und indirekte Mechanismen geistiger Kontrolle. Die Kulturindustrie ging aus der Verwertungstendenz des Kapitals hervor.« Gesellschaft, GS 8, S. 17. 523 Als Organisation bezeichnet Adorno einen bewußt geschaffenen und gesteuerten Zweckverband. Vgl. Individuum und Organisation, GS 8, S. 441. Wie bei Max Weber wird sie unterschieden von auf Tradition oder Affekten beruhenden »naturwüchsigen Gruppen« (ebd.). Auch wird sie als wesentlich zweckrational charakterisiert. »In der Organisation sind die menschlichen Beziehungen durch den Zweck vermittelt, nicht unmittelbar« (ebd.). 524 Seyla Benhabib, Die Moderne und die Aporien der Kritischen Theorie, a. a. O., S. 137. 525 Entsprechend faßt er als den »Gegner« dieses Prozesses den Traditionalismus: »Der Gegner, mit welchem der ›Geist‹ des Kapitalismus im Sinne eines bestimmten, im Gewande einer ›Ethik‹ auftretenden, normgebundenen Lebensstils in erster Linie zu ringen hatte, blieb jene Art des Empfindens und der Gebarung, die man als Traditionalismus bezeichnen kann.« Max Weber, Die protestantische Ethik, Bd. 1, S. 49. Tübingen (19816). 526 A. a. O., S. 20 f. 527 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, a. a. O., Bd. 1, S. 3. 528 Vgl. dazu ausführlich Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, a. a. O., Bd. 1, S. 262 ff. 529 Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, a. a. O., Bd. 1, S. 162 f.; Individuum und Organisation, GS 8, S. 445. 530 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, a. a. O., S. 165. 531 Ebd. 532 Ebd. 533 Max Weber, Die protestantische Ethik, a. a. O., Bd. 1, S. 187 f. 534 A. a. O., S. 189. 535 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, a. a. O., Bd. 1, S. 10 (Hervorhebung J. W.). 536 A. a. O., S. 16. Vgl. dazu Werner Hofmann, Anmerkungen zur klassischen Soziologie, S. 52, in: Gesellschaftswissenschaftliches Institut Hannover e. V. (Hrsg.), Traditionell kritische Theorie, S. 45-54. Würzburg (1995). 537 Emile Durkheim, Regeln der soziologischen Methode, S. 114. Frankfurt a. M. (1984). Dementsprechend bestimmt er als »die erste und grundlegendste Regel [zur Betrachtung der soziologischen Tatbestände, J. W.] (…), die soziologischen Tatbestände wie Dinge zu betrachten« (a. a. O., S. 115). 538 Emile Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, S. 156. Frankfurt a. M. (1992). 539 Ferdinand Tönnies begreift den Prozeß zunehmender Vergesellschaftung unter dem Gegensatzpaar Gemeinschaft und Gesellschaft. Im Unterschied allerdings zu seinen Zeitgenossen Weber oder Durkheim hat die Argumentation von Tönnies einen politisch reaktionären Einschlag: Gemeinschaft ist gut, Gesellschaft ist schlecht. Gesellschaft wird von Tönnies als Verfall der Gemeinschaft begriffen: »Großstadt und gesellschaftlicher Zustand überhaupt [sind, J. W.] das Verderben und der Tod des Volkes.« Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, S. 215. Darmstadt (19913). Ich habe die theoretischen Gründe für das von Tönnies kon-

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struierte Rangverhältnis zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft im einzelnen entwickelt. Vgl. Jan Weyand, Der Gesellschaftsbegriff bei Ferdinand Tönnies, unveröff. Magisterarbeit. Hannover (1995). Die reaktionäre Implikation hat seinem Werk zwischen 1887 und 1935 zu acht Auflagen verholfen. Unabhängig von den politischen Implikationen seines Werks hat Tönnies sich gegen die Nationalsozialisten zur Wehr gesetzt. So ist er 1931 in die SPD eingetreten und hat gegen die NSDAP gerichtete Wahlaufrufe verfaßt. Darum haben ihn die Nazis ohne Bezüge in den Ruhestand versetzt. 540 Vgl. Emile Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, a. a. O., S. 183. 541 Vgl. a. a. O., S. 228. Durkheim begründet den Übergang von der vorwiegend mechanischen zur vorwiegend organischen Solidarität getreu dem damals kurrenten Sozialdarwinismus aus der Dichte der Gesellschaft. Vgl. a. a. O., S. 321. Damit ist gemeint, daß sich der Überlebenskampf bei mehr Individuen auf gleichem Raum verschärfe. Vgl. zur Kritik Einleitung zu Emile Durkheim, »Soziologie und Philosophie«, GS 8, S. 250 f. 542 Vgl. Emile Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung, a. a. O., S. 474. Dieses Resultat folgt bei Durkheim, weil er den Fortschritt der Arbeitsteilung selbst für das Anwachsen der organischen Solidarität verantwortlich macht und das Kapitalverhältnis als movens dieses Fortschritts konsequent mißachtet. 543 Max Weber, Die protestantische Ethik, a. a. O., Bd. 1, S. 188. 544 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, a. a. O., Bd. 1, S. 469. 545 Individuum und Organisation, GS 8, S. 442. 546 Die Irrationalität dieses Zwecks erscheint bei Weber im Unterschied zwischen traditioneller und moderner Arbeitsgesinnung: Arbeit zum Zweck der Selbsterhaltung, »um zu leben«, charakterisiert er als »Traditionalismus« (Die protestantische Ethik, a. a. O., Bd. 1, S. 50), eine Gesinnung, die Arbeit als Selbstzweck – Arbeit um der Arbeit willen – begreift, finde hingegen ihren adäquaten Ausdruck in der »kapitalistischen Unternehmung« (a. a. O., S. 54). Für Weber ist Arbeit als Selbstzweck allerdings nicht irrational, sondern rational. 547 Individuum und Organisation, GS 8, S. 446. 548 A. a. O., S. 447. Er besteht etwa im Fall bürokratischer Organisationen darin, daß sie das Individuum ohne Ansehen der Person, nicht willkürlich, sondern nach Regeln, eben deshalb aber gerade nicht als Individuum, sondern als Exemplar behandeln. 549 Vgl. a. a. O., S. 453. 550 Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 368. 551 Negative Dialektik, GS 6, S. 290. 552 Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 590. 553 »Denn auch die Soziologie, die vom Verhalten der Menschen in der Gesellschaft handelt, kann nichts anderes sein als angewandte Psychologie.« Sigmund Freud, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 606, in: ders., Studienausgabe, a. a. O., Bd. 1, S. 448-608. 554 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 56. 555 Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 685. 556 »Bei der Analyse einer bestimmten Geschichtsepoche kommt es besonders darauf an, die psychischen Kräfte und Dispositionen, den Charakter und die Wandlungsfähigkeit der Angehörigen der verschiedenen sozialen Gruppen zu erkennen. Doch wird die Psychologie darum keineswegs zur Massenpsychologie, sondern gewinnt ihre Einsichten aus der Erforschung von Individuen. (...) Es gibt weder eine Massenseele noch ein Massenbewußtsein.« Max Horkheimer, Geschichte und Psychologie, a. a. O., S. 60. Detlev Claussen bemerkt dazu: »Es ist das Verdienst Horkheimers, 1932 auf der Basis der Freudschen Theorie die Conditio sine qua non einer gesellschaftstheoretisch reflektierten Sozialpsychologie festgeschrieben zu haben.« Detlev Claussen, Konformistische Identität. Zur Rolle der Sozialpsychologie in der kritischen Theorie, S. 37, in: Gerhard Schweppenhäuser (Hrsg.), Soziologie im Spätkapitalismus, a. a. O., S. 27-40. 557 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 42.

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558 In der Sekundärliteratur wird dies – neben der Formulierung eines interdisziplinären Forschungsprogramms – durchgängig auch so aufgefaßt. Vgl. exemplarisch Iring Fetscher, Zur aktuellen Bedeutung der Frankfurter Schule, S. 3 f., in: Axel Honneth, Albrecht Wellmer, a. a. O., S. 3-7. 559 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, a. a. O., Bd. 2, S. 561. 560 Vgl. a. a. O., S. 490-533. 561 Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 591. 562 Aberglaube aus zweiter Hand, GS 8, S. 147. 563 Der von Detlev Claussen verwandte Terminus (vgl. exemplarisch Detlev Claussen, Was heißt Rassismus?, S. 18. Darmstadt (1994)) ist der Marxschen Rede von der Religion des Alltagslebens nachgebildet. Vgl. Karl Marx, Das Kapital III, a. a. O., S. 838. Thomas Leithäuser nennt diese Systeme von Meinungen Alltagsbewußtsein und unterscheidet sie – wie Claussen – vom Begriff der Ideologie durch die Beimischung von irrationalen Momenten. Vgl. Thomas Leithäuser, Kapitalistische Produktion und Vergesellschaftung des Alltags, S. 60 f., in: Thomas Leithäuser, Walter R. Heinz (Hrsg.), Produktion, Arbeit, Sozialisation, S. 48-68. Frankfurt a. M. (1976). 564 Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 588. 565 »Wird eine Fußballweltmeisterschaft vom Radio übertragen, (…) so mögen selbst spektakulär verschlampte Gammler und wohlsituierte Bürger in ihren Sakkos einträchtig um Kofferradios auf dem Bürgersteig sich scharen. Für zwei Stunden schweißt der große Anlaß die gesteuerte und kommerzialisierte Solidarität der Fußballinteressenten zur Volksgemeinschaft zusammen. Der kaum verdeckte Nationalismus solcher scheinbar unpolitischen Anlässe von Integration verstärkt den Verdacht ihres destruktiven Wesens.« Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute, GS 8, S. 189. 566 Vgl. dazu Helmut Dahmer, Libido und Gesellschaft, S. 239 ff. Frankfurt a. M. (1982); Wolfgang Bonß, Kritische Theorie und empirische Sozialforschung, S. 12 ff., in: Erich Fromm, Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches, S. 7-46. München (1983). Aus der Vielzahl der Verknüpfungsversuche ragt der von Wilhelm Reich heraus. Abseits seiner späteren Schriften und der bekannten Einwände gegen den Idealtyp des genitalen Charakters – ein Begriff, der den Gegenbegriff zum sadomasochistischen Charakter bildet und daher nicht dem Inhalt nach, wohl aber der Funktion und der Struktur nach dem Frommschen Begriff des revolutionären Charakters wie dem Adornoschen des genuin Liberalen entspricht – formuliert er scharfsichtige Bemerkungen über den Gegenstand einer psychoanalytisch orientierten Gesellschaftstheorie: »Wir halten daran fest, dass das Grundproblem einer korrekten Psychologie nicht ist, weshalb ein Hungernder stiehlt, sondern gerade umgekehrt, weshalb er nicht stiehlt« (Ernst Parell [=Wilhelm Reich], Was ist Klassenbewußtsein?, S. 17. Amsterdam (1968)) und über die Verschiedenheit der Gegenstandsbereiche von Psychoanalyse und Historischem Materialismus (vgl. Wilhelm Reich, Zur Anwendung der Psychoanalyse in der Geschichtsforschung, S. 181, in: Helmut Dahmer (Hrsg.), Analytische Sozialpsychologie, Bd. 1, S. 181-195. Frankfurt a. M. (1980)). Wie Horkheimer erkennt Reich die Vorrangigkeit der Gesellschaftstheorie (a. a. O., S. 191 ff.) und die von der historischen Situation abhängige Bedeutung der Psychoanalyse für die Gesellschaftstheorie (a. a. O., S. 193). Von den meisten anderen Analytikern unterscheidet er sich durch die Einsicht, daß Gesellschaft nicht nur, wie Freud dachte, die Summe der Gesellschaftsmitglieder ist (a. a. O., S. 188) – eine Bemerkung, die explizit gegen Fromm gerichtet ist, der diese Auffassung in Über Methode und Aufgabe einer analytischen Sozialpsychologie, S. 32, in: Max Horkheimer (Hrsg.), Zeitschrift für Sozialforschung, Heft 1, a. a. O., S. 28-54, vertritt. Auch unterläßt er es im Gegensatz zu Fromm, das Bedürfnis zur gemeinsamen Basis von Psychoanalyse und Historischem Materialismus zu erklären (vgl. a. a. O., S. 33). 567 Vgl. Wolfgang Bonß, Kritische Theorie und empirische Sozialforschung, a. a. O., S. 10 ff. Vgl. auch ders., Psychoanalyse als Wissenschaft und Kritik, S. 369 ff., in: Wolfgang Bonß, Axel Honneth, a. a. O., S. 367-425.

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568 Vgl. Max Horkheimer, Vorwort [zu den Studien über Autorität und Familie], S. 330 ff., in: GS, a. a. O., Bd. 3, S. 329-335. 569 Dabei konnte auf Erich Fromms 1929 begonnene Angestelltenstudie zurückgegriffen werden. Vgl. Max Horkheimer, Die gegenwärtige Lage der Sozialphilosophie und die Aufgaben eines Instituts für Sozialforschung, S. 33, in: GS, a. a. O., Bd. 3, S. 20-35; Wolfgang Bonß, Kritische Theorie und empirische Sozialforschung, a. a. O., S 8 f.; Rolf Wiggershaus, a. a. O., S. 73. 570 Iring Fetscher, Zur kritischen Theorie der Sozialwissenschaften in Adornos »Minima Moralia«, a. a. O., S. 225. Das war 1925 noch nicht so. Vgl. Max Horkheimer, Dämmerung, S. 373 ff., in: GS, a. a. O., Bd. 2, S. 312-452. 571 Max Horkheimer, Geschichte und Psychologie, a. a. O., S. 59. 572 Max Horkheimer, Autorität und Familie, S. 357, in: GS, a. a. O., Bd. 3, S. 336-420. 573 Max Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie, a. a. O., S. 214. Im Nachtrag findet sich dann eine Reflexion, die Herbert Marcuse im Vorwort zum eindimensionalen Menschen fast 30 Jahre später wieder aufgenommen hat: Der kritische Gedanke habe keinen Träger mehr als den kritischen Theoretiker, Kritische Theorie sei daher ohnmächtig, ihre Begriffe klängen eitel oder abstrakt: »Aber wenn seine Begriffe, die gesellschaftlichen Bewegungen entstammen, heute eitel klingen, weil nicht viel mehr hinter ihm [dem kritischen Theoretiker, J. W.] steht als seine Verfolger, so wird sich die Wahrheit doch herausstellen.« Max Horkheimer, Nachtrag, S. 224, in: GS, a. a. O., Bd. 4, S. 217-225. »Da es an nachweisbaren Trägern und Triebkräften gesellschaftlichen Wandels fehlt, wird die Kritik auf ein hohes Abstraktionsniveau zurückgeworfen. Es gibt keinen Boden, auf dem Theorie und Praxis, Denken und Handeln zusammenkommen.« Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch, S. 15. Darmstadt/Neuwied (1987). Beide Bestimmungen entstammen unterschiedlichen Zeiten: der Herrschaft der NSDAP in Deutschland und der des demokratischen Präsidenten Johnson in den USA. Ihr identische Moment verweist auf Prozesse, die sich in der Gesellschaftsstruktur selbst zutragen und bei Adorno, Horkheimer und Marcuse unter dem Terminus »Integration« firmieren. Sie wurden in Kapitel 2.4.2 erörtert; ihre Konsequenzen für die Subjekte werden in Kapitel 3.4.1 entwickelt. 574 Georg Lukács, a. a. O., S. 72. Zu Horkheimers Fassung des Widerspruchs vgl. hier, Kapitel 3.1.1. 575 A. a. O., S. 126. 576 A. a. O., S. 129. 577 A. a. O., S. 155. 578 A. a. O., S. 170 ff. 579 A. a. O., S. 193. 580 A. a. O., S. 295; vgl. auch S. 339. 581 A. a. O., S. 151. 582 A. a. O., S. 264. 583 Vgl. a. a. O., S. 153. Über die Frage des Ausgangs des »Kampfes um das Bewußtsein« ist Lukács sich keineswegs sicher; deswegen betont er an einigen Stellen nicht die subjektive Seite des Klassenbewußtseins, sondern die objektive des Prozesses, der das Proletariat naturwüchsig zum Klassenbewußtsein dränge: Das Proletariat treibe, »einerlei, was es darüber [über seine ökonomische Lage, J. W.] denken mag« (a. a. O., S. 153), objektiv der Revolution zu. Vgl. auch a. a. O., S. 163. 584 Vgl. a. a. O., S. 168. 585 Vgl. Oskar Negt, Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung, S. 420. Frankfurt a. M. (19786). 586 Der frühe Horkheimer betont die Vorrangigkeit der Ökonomie für die Entwicklung der Gesellschaft. Vgl. Max Horkheimer, Geschichte und Psychologie, a. a. O., S. 65; Autorität und Familie, a. a. O., S. 343. 587 Max Horkheimer, Autorität und Familie, a. a. O., S. 354; vgl. Geschichte und Psychologie, a. a. O., S. 59.

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588 Max Horkheimer, Autorität und Familie, a. a. O., S. 345. 589 A. a. O., S. 346. 590 Max Horkheimer, Autorität und Familie, a. a. O., S. 357. 591 Max Horkheimer, Geschichte und Psychologie, a. a. O., S. 59. »Je mehr das geschichtliche Handeln von Menschen und Menschengruppen durch Erkenntnis motiviert ist, um so weniger braucht der Historiker auf psychologische Erklärungen zurückzugreifen.« Ebd. Vgl. auch Autorität und Familie, a. a. O., S. 349. 592 Vgl. Helmut Dubiel, Die Aufhebung des Überbaus, S. 466, in: Wolfgang Bonß, Axel Honneth, a. a. O., S. 456-481. 593 Max Horkheimer, Geschichte und Psychologie, a. a. O., S. 59. 594 Max Horkheimer, Autorität und Familie, a. a. O., S. 345. 595 Ebd. 596 Vgl. Theodor W. Adorno, Else Frenkel Brunswik, Daniel J. Levinson, Robert N. Sanford, The Authoritarian Personality, Part 1, S. 233. New York (1964). 597 Auf die psychischen Mechanismen, die dabei eine Rolle spielen, kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. 598 Fromm nennt den autoritären Charakter daher auch sadomasochistischen Charakter (vgl. Erich Fromm, Sozialpsychologischer Teil, S. 115, in: Max Horkheimer (Hrsg.), Studien über Autorität und Familie, S. 77-135. Lüneburg (1987)), charakterisiert durch die »Lust am Gehorchen« (a. a. O., S. 112) und »Aggression gegen den Wehrlosen« (a. a. O., S. 115). Daß diese Struktur nach wie vor nationalistischen o. ä. Äußerungen und Taten zugrundeliegt, verweist auf identische Momente in der Gesellschaftsstruktur. Vgl. dazu Kapitel 3.3. 599 Erich Fromm, Über Methode und Aufgabe einer analytischen Sozialpsychologie, a. a. O., S. 39 f. Die These, die psychische Entwicklung sei wesentlich Anpassung an gesellschaftliche Verhältnisse, nötigt Fromm später, das emanzipatorische Handeln in den Trieben selbst zu verankern. Vgl. hier, FN 625. Horkheimer hat dagegen auf den dialektischen Charakter der Anpassung hingewiesen. Anpassung als Einheit von Anpassung und Widerstand gegen Unterdrückung sieht er 1936 wesentlich in der proletarischen Familie bzw. der Rolle der Mutter gegeben. Elf Jahre später ist weder davon die Rede, daß in der proletarischen Familie »auch andere Beziehungen angelegt« (Max Horkheimer, Autorität und Familie, a. a. O., S. 413) seien noch davon, daß die »mütterliche Sorge« für die »Ahnung eines besseren menschlichen Zustands« (a. a. O., S. 404) stehe. »Die Mutter hört auf, ein beschwichtigender Mittler zwischen dem Kind und der harten Realität zu sein, sie wird selbst noch deren Sprachrohr.« Max Horkheimer, Autorität und Familie in der Gegenwart, S. 386, in: GS, a. a. O., Bd. 5, S. 377-395. Die Familie sei daher »zum Übungsplatz für Autorität schlechthin« (a. a. O., S. 384) geworden. 600 Erich Fromm, Über Methode und Aufgabe einer analytischen Sozialpsychologie, a. a. O., S. 35; vgl. auch Sozialpsychologischer Teil, a. a. O., S. 84. 601 Erich Fromm, Sozialpsychologischer Teil, a. a. O., S. 84. 602 Gemäß der psychoanalytischen Theorie spielt bei der Errichtung des Über-Ichs der ödipale Konflikt eine wesentliche Rolle. Die auf die Mutter gerichteten sexuellen Wünsche erfahren eine Versagung durch die väterliche Kastrationsdrohung. Aus dem Zusammenspiel heterosexueller, auf die Mutter gerichteter und homosexueller, auf den Vater gerichteter Wünsche bildet sich der Ambivalenzkonflikt aus, in dem das männliche Kind fortan mit der Autorität steht. Für das weibliche Kind gilt das entsprechend Umgekehrte, der Ödipus-Komplex heißt hier Elektra-Komplex. Er spielt aber bei Freud praktisch keine Rolle. Daraus läßt sich der psychoanalytischen Theorie Freuds der Vorwurf machen, sie sei patriarchal. Der Vorwurf ist richtig und falsch zugleich. Richtig, insofern sie die patriarchale Struktur der Gesellschaft theoretisch reproduziert (Phallus als Symbol der Macht, Penisneid etc.), falsch, insofern sich darin die tatsächliche patriarchale Struktur gesellschaftlicher Institutionen wie der Familie ausdrückt.

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603 »Die sozial bedingte Schwäche des Vaters, die durch gelegentliche Ausbrüche von Männlichkeit nicht widerlegt wird, verwehrt dem Kind, sich wahrhaft mit ihm zu identifizieren.« Max Horkheimer, Autorität und Familie in der Gegenwart, a. a. O., S. 384. 604 Vgl. Max Horkheimer, Autorität und Familie, a. a. O., S. 350. 605 Horkheimer hat in diesem Zusammenhang Überlegungen angestellt, deren Gehalt erst heute, 50 Jahre später, offen zutage tritt. Er bemerkt einen Wandel in der Mutterrolle, eine Verdinglichung der Beziehung zum Kind: »Ihre gesamte Einstellung zum Kind wird rational; selbst die Liebe wird gehandhabt wie ein Bestandteil pädagogischer Hygiene.« Max Horkheimer, Autorität und Familie in der Gegenwart, a. a. O., S. 385. Wer sich einmal Einblick in den Markt der Literatur zur Kleinkinderziehung verschafft hat, wird erschlagen von wohlgemeinten Ratschlägen, daß Zuneigung für Kleinkinder etwas sehr Wichtiges sei. Diese Ratschläge werden aber nicht selten nach Art von Bedienungsanleitungen für technische Geräte gegeben. 606 Vgl. Max Horkheimer, Autorität und Familie, a. a. O., S. 390 ff. 607 Vgl. a. a. O., S. 401. 608 Erich Fromm, Sozialpsychologischer Teil, a. a. O., S. 84. 609 »Autorität und Über-Ich sind voneinander überhaupt nicht zu trennen. Das Über-Ich ist die verinnerlichte äußere Gewalt, die äußere Gewalt wird so wirksam, weil sie Über-Ich-Qualitäten erhält.« A. a. O., S. 85. 610 Es sei betont, daß das Folgende nur für die Begründung der Psychologie als »Hilfswissenschaft der Geschichte« gilt. Die frühe Phase der Kritischen Theorie hat in der Sekundärliteratur zu Recht ein breites, keineswegs auf die Verknüpfung von Gesellschaftstheorie und Psychologie beschränktes Interesse gefunden, etwa in der ausführlich geführten Debatte über den interdisziplinären Materialismus. Zur Geschichte der frühen kritischen Theorie vgl. exemplarisch Alfred Schmidt, Die ursprüngliche Konzeption der Kritischen Theorie, in: Albrecht Wellmer, Axel Honneth, a. a. O., S. 89-112. 611 Max Horkheimer, Autorität und Familie, a. a. O., S. 344. 612 Die berühmteste Formulierung in den Schriften vor dem Kapital lautet: »Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. (...) Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsbedingungen treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann«. Karl Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie, S. 9, in: MEW, a. a. O., Bd. 13, S. 3-160. Im Kapital erhält der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen eine vollständig andere Gestalt: Im ersten Band desselben taucht er gar nicht auf, und im dritten steht er in Zusammenhang mit dem tendenziellen Fall der Profitrate. Die Formulierung des Widerspruchs lautet hier: »Das Mittel – die unbedingte Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivkräfte – gerät in fortwährenden Konflikt mit dem beschränkten Zweck, der Verwertung des vorhandenen Kapitals.« Karl Marx, Das Kapital III, a. a. O., S. 260. 613 Max Horkheimer, Geschichte und Psychologie, a. a. O., S. 55. 614 A. a. O., S. 56. 615 Es ist nicht ganz leicht zu bestimmen, wann genau die Vorstellung von Horkheimer aufgegeben wurde – von Adorno wurde sie zeit seines Lebens nicht geteilt. Man kann aber mit Bestimmtheit sagen, daß die Aufgabe der Unterscheidung zwischen progressiven und hemmenden Phasen kultureller Entwicklung mit der Dialektik der Aufklärung explizit vollzogen ist. In ihr ist das, was der frühe Horkheimer der produktiven Funktion der Kultur zurechnet, in den Herrschaftszusammenhang hineingezogen.

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616 Max Horkheimer, Autorität und Familie, a. a. O., S. 360. Horkheimer fährt zwar fort mit der Bemerkung, daß dies mit Versagungen verbunden gewesen sei. Sie würden aber erst zum Problem in »Perioden der Stagnation und des Rückgangs« (ebd.). 617 Max Horkheimer, Geschichte und Psychologie, a. a. O., S. 53. 618 A. a. O., S. 55. 619 Max Horkheimer, Vorwort, S. II, in: ders. (Hrsg.), Zeitschrift für Sozialforschung, Heft 1, a. a. O., S. I-IV. 620 »Perioden des mit dem Weltgeist Seins, substantielleres Glück als das individuelle, möchte man der Entfesselung der Produktivkräfte assoziieren, während die Last des Weltgeistes die Menschen zu erdrücken droht, sobald der Konflikt zwischen den gesellschaftlichen Formen, unter denen sie existieren, und ihren Kräften flagrant wird. Aber auch dieses Schema ist zu simpel, die Rede vom aufsteigenden Bürgertum tönern. Entfaltung und Entfesselung der Produktivkräfte sind nicht Gegensätze derart, daß ihnen wechselnde Phasen zuzuordnen wären, sondern wahrhaft dialektisch.« Negative Dialektik, GS 6, S. 301. Vgl. auch Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 363. 621 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 205. Zu Adornos Bestimmung des Verhältnisses vgl. auch Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 361-364. 622 Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 362. 623 Max Horkheimer, Geschichte und Psychologie, a. a. O., S. 59. 624 Max Horkheimer, Bemerkungen über Wissenschaft und Krise, S. 41, in: GS, a. a. O., Bd. 3, S. 40-47. 625 »Das Fehlen von solchen Strebungen, die in der Natur des Menschen selbst ihren Ursprung haben, muß als Zeichen von Verdinglichung oder als Zeichen einer schweren gesellschaftlichen Erkrankung angesehen werden. Solche Strebungen sind zum Beispiel das Verlangen nach Freiheit, nach Solidarität und nach Liebe.« Erich Fromm, Sigmund Freuds Psychoanalyse – Größe und Grenzen, S. 83 f. Stuttgart (1979). 626 Thesen über Bedürfnis, GS 8, S. 392. Zu Adornos Begriff des Bedürfnisses vgl. hier, Kapitel 1.1.2.2. 627 Max Horkheimer, Autorität und Familie, a. a. O., S. 347. 628 Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 765. Vgl. dazu hier, Kapitel 2.2. 629 Vgl. Gesellschaft, GS 8, S. 18. 630 Postscriptum, GS 8, S. 86. 631 Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 566. 632 Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute, GS 20.1, S. 366. 633 Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 578. 634 A. a. O., S. 574. 635 Vgl. a. a. O., S. 578. 636 Oskar Negt, Adornos Begriff der Erfahrung, a. a. O., S. 180. 637 Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 580. 638 »To be sure, its goal [des Antisemitismus, J. W.] is not ›rational‹, for it makes no attempt to convince people, and it always remains on a non-argumentative level.« Anti-Semitism and Fascist Propaganda, GS 8, S. 401. 639 Vorurteil und Charakter, GS 9.2, S. 365. Der Aufsatz wurde von Adorno und Horkheimer gemeinsam verfaßt. 640 Zit. nach Max Horkheimer, Über das Vorurteil, S. 199, in: GS, a. a. O., Bd. 8, S. 194-200. 641 Vgl. Negative Dialektik, GS 6, S. 216; Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 68. 642 Die revidierte Psychoanalyse, GS 8, S. 24. Adorno hält grundsätzlich an der Freudschen Auffassung fest, daß sich Psychisches triebenergetisch ausdrücken lasse. So werden die Charaktertypen in Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 685, als »Typen der Verteilung psychischer

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Energie« begriffen. Bei Freud ist diese Auffassung Resultat des Versuchs, die Psychoanalyse als Naturwissenschaft zu begründen. Vgl. Sigmund Freud, Abriß der Psychoanalyse, S. 18 f. Frankfurt a. M. (1990). Inwieweit sie haltbar ist, wird in der psychoanalytischen Diskussion kontrovers diskutiert. Ich gehe darauf hier nicht weiter ein. Ob Psychisches sich triebenergetisch ausdrücken läßt oder nicht, ist für das hier zu verhandelnde Problem von sekundärer Bedeutung. 643 The Authoritarian Personality, a. a. O., Part 1, S. 5. 644 »Since it will be granted that opinions, attitudes, and values depend upon human needs, and since personality is essentially an organization of needs, then personality may be regarded as a determinant of ideological preferences.« The Authoritarian Personality, a. a. O., Part 1, S. 5. 645 In der Überlegung, daß sich hinter affektiv besetzten Meinungen über unterschiedliche Gegenstände eine zu erschließende Charakterstruktur verbirgt, besteht der Ausgangspunkt der Konstruktion der Faschismusskala in der Authoritarian Personality. Diese fragt nicht direkt Vorurteile ab, sondern indirekt, d. h. es wird aus den Antworten zu kulturellen Fragen, Fragen nach persönlichen Wertvorstellungen etc. auf eine Empfänglichkeit für faschistische Propaganda geschlossen. 646 The Authoritarian Personality, a. a. O., Part 1, S. 1. 647 Zur Analyse dieser Stereotypen vgl. Leo Löwenthal, Norbert Guterman, Falsche Propheten. Studien zur faschistischen Agitation, in: Leo Löwenthal, Schriften 3, S. 11-159. Frankfurt a. M. (1982). 648 The Authoritarian Personality, a. a. O., Part 2, S. 750 (Hervorhebung J. W.). 649 Horkheimer und Adorno verweisen in den Soziologischen Exkursen bezüglich der Unterscheidung zwischen schwachem und starkem Ich nicht auf Erich Fromm, sondern auf Hermann Nunberg. Vgl. Institut für Sozialforschung, Soziologische Exkurse, a. a. O., S. 157, FN 12. Tatsächlich stammt der Aufsatz von Nunberg aus dem Jahr 1939, während die Unterscheidung zwischen starkem und schwachem Ich schon in dem von Erich Fromm verfaßten und 1936 veröffentlichten sozialpsychologischen Teil von Autorität und Familie eine zentrale Rolle spielt. Daß Nunberg und nicht Fromm zitiert wird, mag mit der Trennung des Instituts von Fromm zusammenhängen. Das Begriffspaar starkes-schwaches Ich taucht schon bei Freud auf, steht dort aber nicht im Zentrum. Vgl. Sigmund Freud, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, a. a. O., S. 524. 650 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 222. 651 Die revidierte Psychoanalyse, GS 8, S. 25. 652 Der Psychoanalytiker Ernst Simmel versteht den Antisemitismus als »Massenpsychose«, weil er »nicht nur eine Flucht vor der Realität, sondern auch vor dem individuellen Wahnsinn« sei. Vgl. Ernst Simmel, Antisemitismus und Massen-Psychopathologie, S. 73, in: ders. (Hrsg.), Antisemitismus, S. 58-100. Frankfurt a. M. (1993). Rudolph M. Loewenstein versteht in Psychoanalyse des Antisemitismus, Frankfurt a. M. (1968), den Antisemitismus als »soziale Geisteskrankheit«, Bernhard Berliner in Einige religiöse Motive des Antisemitismus, in: Ernst Simmel, a. a. O., S. 101-107, als »gesellschaftliche Neurose«. 653 »Psychological ›treatment‹ of prejudiced persons is problematic because of their large number as well as because they are by no means ›ill,‹ in the usual sense, and, as we have seen, at least on the surface level are often better ›adjusted‹ than the non-prejudiced ones.« The Authoritarian Personality, a. a. O., Part 2, S. 748. 654 Bemerkungen über Politik und Neurose, GS 8, S. 439. 655 Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 587. 656 A. a. O., S. 577. 657 »Das aber, was eigentlich Bewußtsein ausmacht, ist Denken in bezug auf Realität, auf Inhalt: die Beziehung zwischen den Denkformen und Strukturen des Subjekts und dem, was es nicht selber ist. Dieser tiefere Sinn von Bewußtsein oder Denkfähigkeit (…) stimmt wörtlich mit der Fähigkeit, Erfahrungen zu machen, überein.« Theodor W. Adorno, Erziehung – wozu?, S. 116,

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in: ders.: Erziehung zur Mündigkeit, S. 105-119. Frankfurt a. M. (1971). Das psychologische Äquivalent ist die Fähigkeit zur »Kathexis«, die Fähigkeit, ein Objekt im Denken affektiv zu besetzen. Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 578. 658 Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 592. 659 Zum Begriff der Mündigkeit vgl. hier, Kapitel 4. 660 Vorurteil und Charakter, GS 9.2, S. 372. In den Gesammelten Schriften Horkheimers hat sich ein sinnentstellender Druckfehler eingeschlichen. Dort steht statt »kein Vorurteil« »ein Vorurteil«. Vgl. Max Horkheimer, Vorurteil und Charakter, S. 75, GS, a. a. O., Bd. 8, S. 64-76. 661 Vorurteil und Charakter, GS 9.2, S. 369. 662 Max Horkheimer, Über das Vorurteil, a. a. O., S. 199 (Hervorhebung J. W.). 663 Gerd Kimmerle, a. a. O., S. 19. 664 Helmut Dubiel, Die Aktualität der Gesellschaftstheorie Adornos, a. a. O., S. 303. 665 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 70 (Hervorhebung J. W.). 666 A. a. O., S. 53. 667 Sigmund Freud, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, a. a. O., S. 514. 668 Schon das »Dies da« enthält ein begriffliches Moment. Vgl. G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, a. a. O., S. 71. Die Bezeichnung einer sinnlichen Wahrnehmung ohne begriffliches Moment wäre die nicht sprachlich vermittelte, das Zeigen. 669 Vgl. Dialektik der Aufklärung, GS 5, S. 218. 670 Das Subjekt nimmt etwas, den Gegenstand, in bestimmter Hinsicht, nämlich der seiner Wahrheit. Indem es das tut, setzt es ihm etwas hinzu, sonst wäre Täuschung nicht möglich. Im Begriff des Wahrnehmens ist so Subjektivität schon enthalten. 671 Die »Urgeschichte des Subjekts«, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, besteht dann in der Entwicklung des mit sich identischen Ich. Infolge der Reflexivität des identischen Ich ist jene Urgeschichte nicht aus ihren Voraussetzungen, dem Nicht-Ich, zu entfalten – Reflexives läßt sich nicht aus anderem vollständig begründen. Deshalb ist die Bemerkung von Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung über die Genese des Ichs problematisch: »Das Subjekt schafft die Welt außer ihm noch einmal aus den Spuren, die sie in seinen Sinnen zurückläßt: die Einheit des Dinges in seinen mannigfaltigen Eigenschaften und Zuständen; und es konstituiert damit rückwirkend das Ich, indem es nicht bloß den äußeren sondern auch den von diesen allmählich sich sondernden inneren Eindrücken synthetische Einheit zu verleihen lernt. Das identische Ich ist das späteste konstante Projektionsprodukt.« Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 218 f. »Die Einheit des Dinges« erscheint hier als Voraussetzung, die Einheit des Ichs als Folge. Logisch indes setzen sich die »Einheit des Dings« und die Einheit des Ichs wechselseitig voraus, denn das Ding kann nur von einem Ich als eines erkannt werden, das selbst nicht vieles, sondern eines ist. Wäre das Ich nicht eines, wäre es das Ding auch nicht, weil es kein Ich gäbe, von dem es als eines bestimmt werden könnte. Diese Argumentation von Horkheimer und Adorno folgt aus der im ersten Kapitel entwickelten Genesis des Subjekts aus der Selbsterhaltung der Gattung. Vgl. hier, Kapitel 1.2. 672 Vgl. hier, Kapitel 1.1.2.1. 673 »Daher vollzieht sich jenes Reflektieren, das Leben der Vernunft, als bewußte Projektion.« Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 219. 674 A. a. O., S. 217. 675 Eine identische Argumentation stellt Adorno in Meinung Wahn Gesellschaft am Begriff der Meinung vor. »Alles Denken ist Übertreibung, insofern als jeder Gedanke, der überhaupt einer ist, über seine Einlösung durch gegebene Tatsachen hinausschießt. In dieser Differenz zwischen Gedanken und Einlösung nistet aber wie das Potential der Wahrheit so auch das des Wahns.« Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 577. 676 Dialektik der Aufklärung, a. a. O., S. 225. 677 A. a. O., S. 224.

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678 A. a. O., S. 219. 679 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 63 f. 680 Bei Hermann Nunberg, der explizit keinen dialektischen Begriff des Ichs entwickelt, erscheint dessen Dialektik im »Bedürfnis nach Kausalität« (Hermann Nunberg, Allgemeine Neurosenlehre, S. 178. Bern (19754)), das der Rationalisierung zugrunde liege und Ausdruck der synthetischen Funktion des Ichs sei. 681 Die Wissenssoziologie Mannheimerscher Provenienz kann hier als Modell dienen. Sie substituiert zwar nicht die Geltung durch die psychodynamische Genesis, wohl aber durch soziale Genesis. Karl Mannheim hat den Marxschen Ideologiebegriff radikalisiert und einen totalen Ideologiebegriff formuliert, der die Standpunktabhängigkeit jeder Aussage betont. Vgl. Karl Mannheim, Ideologie und Utopie, S. 53 ff. Frankfurt a. M. (19857). Wenn der totale Ideologiebegriff gelten soll, kann dessen Formulierung selbst nicht standpunktabhängig sein, und das begründet bei Mannheim die Rede von der freischwebenden Intelligenz. Ihr Absturz ist notwendig. In dem Moment, in dem Mannheim reklamiert, daß die Überlegung auch von den standpunktgebundenen Individuen eingesehen werden kann – und das muß er reklamieren, will er die Sozialwissenschaft nicht auf eine esoterische Geheimsprache unter Bodenlosen verpflichten –, gerät die Konstruktion in Widerspruch zur Ausgangsüberlegung. Vgl. dazu die Analyse des Ideologiebegriffs bei Mannheim von Kurt Lenk, Marx in der Wissenssoziologie, S. 86-98. Lüneburg (19862). 682 »Der konsequente Psychologismus, der die Genese des Gedankens für dessen Wahrheit substituiert, wird zur Sabotage an der Wahrheit«. Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 80. 683 Friedrich-Wilhelm Pohl, Positivität Kritischer Theorie?, S. 63, in: Michael Löbig, Gerhard Schweppenhäuser, a. a. O., S. 57-66. Eine häufige Variante der Identifikation von Genesis und Geltung ist die These, das, was ein Autor an Erkenntnis ausspreche, müsse sich auch in seinem Privatleben ausdrücken. Gerd Kimmerle, a. a. O., S. 56, etwa hält Adorno vor, daß er die Reflexion mit der Hoffnung auf Autonomie verknüpfe. Deren Realisierung werde vorgestellt als eine Verklärung des Bürgerlichen, weshalb Adorno in einen »zähen und beharrlichen Widerstand gegen alle Versuche, mit neuen Lebensformen zu experimentieren« (a. a. O., S. 57) verfallen sei. Der Psychologismus setzt sich fort (vgl. a. a. O., S. 60). 684 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 80 (Hervorhebung J. W.). 685 Gerd Kimmerle, a. a. O., S. 14. 686 Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, a. a. O., S. 280. 687 Sigmund Freud, Wege der psychoanalytischen Therapie, S. 241, Studienausgabe, a. a. O., Ergänzungsband, S. 239-249. 688 Paul Parin, Das Ende der endlichen Analyse, S. 45, in: Paul Parin, Goldy Parin-Matthèy, Subjekt im Widerspruch, S. 43-60. Frankfurt a. M. (1988). 689 Sigmund Freud, Abriß der Psychoanalyse, a. a. O., S. 31. 690 Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, a. a. O., S. 300. Habermas führt das auf ein »szientistisches Selbstmißverständnis« der Freudschen Psychoanalyse zurück. Es bestehe in dem Versuch Freuds, die Psychoanalyse als Naturwissenschaft zu begründen, d. h. in dessen Annahme, den psychischen Vorgängen würden somatische korrespondieren. Habermas hat am Übergang von der Technik der Hypnose zur Technik der freien Assoziation in der psychoanalytischen Therapie immanent gezeigt, daß letztere gegen eine Begründung der Psychoanalyse als Naturwissenschaft steht. Vgl. a. a. O., S. 300 ff. 691 Sigmund Freud, Das Unbewußte, S. 140, in: Studienausgabe, a. a. O., Bd. 3, S. 119-174. Unter dynamischem Gesichtspunkt steht der einer psychischen Erscheinung zugrundeliegende Konflikt im Mittelpunkt, unter topischem ihr Ort (bewußt-vorbewußt-unbewußt bzw. nach dem späteren Modell: Ich-Es-Über-Ich), unter ökonomischem ihr triebenergetischer Aspekt. 692 Vgl. Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, a. a. O., S. 59. 693 Sigmund Freud, Abriß der Psychoanalyse, a. a. O., S. 19 f.

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694 Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 70, in: ders., Studienausgabe, a. a. O., Bd. 1, S. 34-445. 695 Vgl. Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, S. 211, in: Studienausgabe, a. a. O., Bd. 9, S. 191-270. 696 J. Laplanche, J.-B. Pontalis, Das Vokabular der Psychoanalyse, S. 481. Frankfurt a. M. (19899). 697 Der Begriff des Charakters bezeichnet bei Freud im weitesten Sinn die Verfestigung psychischer Strukturen. Um ein Beispiel zu geben: Der anale Charakterzug, ausgezeichnet durch Sparsamkeit, Ordentlichkeit und Eigensinn, wird von Freud entweder als Sublimierung von oder als Reaktionsbildung gegen die Analerotik aufgefaßt. Vgl. Sigmund Freud, Charakter und Analerotik, in: ders., Studienausgabe, a. a. O., Bd. 7, S. 23-30. 698 Die »Charakter-Theorien« sind in der Psychoanalyse »schon immer eine Art ›missing link‹ gewesen.« Berthold Rothschild, Der neue Narzißmus – Theorie oder Ideologie?, S. 49, in: Psychoanalytisches Seminar Zürich (Hrsg.), a. a. O., S. 31-68. 699 Bei Otto Fenichel findet sich neben einer durch Freud grundgelegten, weitgehend genetischen Erklärung des analen Charakterzugs in der Psychoanalytischen Neurosenlehre, Bd. 2, S. 123 ff. Olten (19813), eine überwiegend deskriptive Beschreibung von Charaktertypen im dritten Band, S. 26 ff. 700 »Eine einheitliche Auffassung dessen, was die Psychoanalyse Charakter nennt, gibt es nicht und wird es auch nicht geben.« Sven O. Hoffmann, Charakter und Neurose, S. 15. Frankfurt a. M. (1979). Die Unklarheit über die Frage, was Charakter eigentlich sei, ist schon bei Freud, der sich nur an wenigen Stellen zum Charakter und seiner Bildung äußert, angelegt. Einmal wird er bezeichnet als »jenes schwer Definierbare« (Sigmund Freud, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, a. a. O., S. 525), ein andermal werden »Charakterbilder« libidinöser Typen erstellt. Vgl. Sigmund Freud, Über libidinöse Typen, in: Studienausgabe, a. a. O., Bd. 5, S. 267-272. 701 Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, a. a. O., S. 287. 702 So auch Postscriptum, GS 8, S. 89. 703 Sigmund Freud, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, a. a. O, S. 516. 704 Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, a. a. O., S. 417. 705 A. a. O., S. 418. 706 Vgl. Sigmund Freud, Zur Einleitung der Behandlung, S. 200, in: ders., Studienausgabe, a. a. O., Ergänzungsband, S. 181-204. 707 Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, a. a. O., S. 420. 708 Ebd. 709 Vgl. Sigmund Freud, Zur Einleitung der Behandlung, a. a. O., S. 203. 710 Vgl. Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, a. a. O., S. 427. 711 Ebd. 712 A. a. O., S. 428. 713 A. a. O., S. 435. 714 Johannes Cremerius verweist in anderem Zusammenhang darauf. Vgl. Johannes Cremerius, Kohuts Behandlungstechnik. Eine kritische Analyse, S. 86 f., in: Psychoanalytisches Seminar Zürich (Hrsg.), Die neuen Narzißmustheorien: zurück ins Paradies, S. 83-124. Frankfurt a. M. (1983). 715 Der Begriff des Unbewußten in der transzendentalen Seelenlehre, GS 1, S. 298. 716 Vgl. a. a. O., S. 299. 717 Ebd. 718 Den Terminus »Färbung« übernimmt Adornos von seinem Lehrer Cornelius. 719 A. a. O., S. 298. 720 Vgl. a. a. O., S. 104.

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721 Die Studien zur Authoritarian Personality haben über Jahrzehnte ein breites Interesse in der sozialwissenschaftlichen Vorurteilsforschung gefunden. Die schon früh geäußerte methodische Kritik (vgl. exemplarisch Herbert H. Hyman, Paul B. Sheatsley, »The Authoritarian Personality« – A Methodological Critique, in: Richard Christie, Marie Jahoda (Hrsg.), Studies in the Scope and Method of »The Authoritarian Personality«, S. 50-122. Glencoe (1954)) hat die Evidenz der Ergebnisse nicht erschüttert. Nach wie vor werden mit dem gleichen oder einem nur geringfügig veränderten methodischen Instrumentarium Studien in aller Welt durchgeführt. In Deutschland zuletzt Wolfgang Pohrt, Der Weg zur inneren Einheit. Hamburg (1991). Am Frankfurter Institut für Sozialforschung wurde die Auseinandersetzung über die Authoritarian Personality fortgeführt. Ursula Jaerisch, eine Schülerin Adornos, etwa hat eine Studie vorgelegt, die die Abhängigkeit autoritärer Meinungen von der Klassenlage nachzuweisen sucht und damit die eine der zentralen Voraussetzungen der Authoritarian Personality, die weitgehende Unabhängigkeit autoritärer Meinungen von der Klassenzugehörigkeit, in Zweifel gezogen: Die verschiedenen Autoritarismus-Skalen messen nach Jaerisch in Wirklichkeit eher schichtspezifisch »dominierende Normen und Vorstellungen denn im psychologischen, geschweige politischen Sinn eindeutig bestimmbares autoritätsgebundenes, beziehungsweise demokratisches Denken und Verhalten.« Ursula Jaerisch, Sind Arbeiter autoritär?, S. 13. Frankfurt a. M./Köln (1975). Mir geht es im folgenden weder um eine methodische noch um eine inhaltliche Kritik, sondern ausschließlich um ein bisher nicht beachtetes theoretisches Problem, das sich aus dem dialektischen Begriff des Ichs ergibt. 722 Vgl. The Authoritarian Personality, a. a. O., Part 2, S. 655 ff. 723 Vorurteil und Charakter, GS 9.2, S. 370. Tatsächlich ist der Begriff auch deshalb schwer zu fassen, weil das kulturelle Klima mit den verschiedensten Einflüssen in Wechselwirkung steht, etwa, um nur einige Einflußfaktoren zu nennen, dem aufklärerischen Gehalt der in den Schulen verwandten Lehrpläne, dem Verhalten staatlicher und öffentlicher Institutionen gegenüber im weitesten Sinne irrationaler politischer Propaganda, welche Gestalten solcher Propaganda tabuisiert, welche als normal angesehen werden, wie die öffentliche Meinung auf Tabuverstöße reagiert etc. 724 Starrheit und Integration, GS 9.2, S. 376. Vgl. auch The Authoritarian Personality, a. a. O., Part 2, S. 752. Zum Beispiel findet die Neigung zur Personalisierung politischer Konflikte in der in den Medien oft personalisierten Darstellung dieser Konflikte Bestätigung und Nahrung, so etwa im letzten Bundestagswahlkampf, der von den beteiligten Parteien bzw. den Medien fast nach Art eines Ringkampfes von Personen dargestellt wurde. 725 The Authoritarian Personality, a. a. O., Part 2, S. 781 ff. 726 Vgl. a. a. O., Part 1, S. 5. 727 A. a. O., S. 11. 728 A. a. O., Part 2, S. 771. 729 A. a. O., Part 1, S. 240. F-Skala ist die Abkürzung für Faschismusskala. Der projektive Charakter der Sätze gilt nicht minder für die Sätze der Ethnozentrismus (E)-, der Antisemitismusskala (AS), der Skala zur Messung des politisch-ökonomischen Bewußtseins (PEC-Skala) und für die dort angewandten qualitativen Methoden. Die Sätze, die den Befragten vorgelegt werden, sind abhängig vom kulturellen Klima und müssen so verfaßt sein, daß sie ihm nicht entgegenstehen. Zum Beispiel würde dem Satz »Negroes have their rights, but it is best to keep them in their own districts and schools to prevent too much contact with the whites« (a. a. O., S. 124) heute wahrscheinlich nur noch erklärte Rassisten zustimmen, so daß er ungeeignet zu Erforschung eines latenten Rassismus wäre. 730 A. a. O., S. 781 f. 731 Das Interview mit F 515 befindet sich im Archiv des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt a. M. 732 The Authoritarian Personality, a. a. O., Part 2, S. 782. 733 Vgl. Interview mit F 515, S. 3 f.

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734 The Authoritarian Personality, a. a. O., Part 2, S. 782. 735 Vgl. Interview mit F 515, S. 3. 736 The Authoritarian Personality, a. a. O., Part 1, S. 10 f. 737 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 68. 738 A. a. O., S. 71. 739 Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 589. 740 Alfons Söllner hat gesehen, daß dem »autoritären Charakter (..) selbst narzißtische Züge attestiert« werden. Alfons Söllner, Angst und Politik. Zur Aktualität Adornos im Spannungsfeld von Politikwissenschaft und Sozialpsychologie, S. 344, in: Ludwig v. Friedeburg, Jürgen Habermas, a. a. O., S. 338-349. Söllner betont auch, daß Adorno als »einer der ersten die steigende historische Signifikanz der Freudschen Narzißmus-Theorie erkannt hat« (ebd.). Über das Verhältnis des autoritären Charakters zur narzißtischen Beschädigung äußert sich Söllner nicht weiter; er sieht aber »die gegenwärtige Bedeutung Adornos für die Gesellschaftstheorie vor allem in seinen Ausführungen zum kollektiven Narzißmus« (a. a. O., S. 345). 741 Vgl. Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 74. 742 Die revidierte Psychoanalyse, GS 8, S. 33. 743 Das gilt auch für die Bemerkungen über Politik und Neurose, GS 8, S. 434 ff. 744 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 74. 745 Theodor W. Adorno, Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda, S. 37, in: ders., Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, S. 34-66. Frankfurt a. M. (1971). 746 A. a. O., S. 44, FN. 747 A. a. O., S. 38. 748 In Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute, GS 20.1, S. 373, ist nicht vom Narzißmus, sondern von einem Wandel in der vorherrschenden Gestalt des autoritären Charakters, nämlich vom autoritären zum manipulativen Charakter, die Rede. Der »manipulative Typus« wiederum wird in der Authoritarian Personality, a. a. O., Part 2, S. 768, vom autoritären Charakter durch »the simultaneity of extreme narcissim and a certain emptideness and shallowness« unterschieden. 749 Axel Honneth, Kritik der Macht, a. a. O., S. 101. Die »These einer narzißtischen Regression« leitet Honneth aus einem längeren Zitat Adornos ab, in dem von Regression nicht die Rede ist. Tatsächlich spricht Adorno in der von Honneth zitierten Passage vom »Sieg des Es über das Ich« (Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 83). Über die Identifikation mit dem faschistischen Führer schreibt Adorno: »We may call this act of indentification a phenomenon of collective retrogression. It ist not simply the reversion to older, primitive emotions but rather the reversion toward a ritualistic attitude in which the expression of emotions is sanctioned by an agency of social control.« Anti-Semitism and Fascist Propaganda, GS 8, S. 403. Honneth unterstellt Adorno eine Überlegung Freuds, der das Ichideal als »Ersatz für den verlorenen Narzißmus« der Kindheit (Sigmund Freud, Zur Einführung des Narzissmus, S. 60, in: Studienausgabe, Bd. 3, S. 37-68) faßt. 750 Axel Honneth, Kritik der Macht, a. a. O., S. 101. 751 A. a. O., S. 102. 752 Theodor W. Adorno, Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda, a. a. O., S. 48. 753 Axel Honneth, Kritik der Macht, a. a. O., S. 102. 754 A. a. O., S. 103. Der Begriff der Internalisierung bleibt in der vorliegenden Arbeit unerörtert. Jessica Benjamin hält den Begriff der Internalisierung für die Beantwortung der Frage Horkheimers und Adornos, wie Herrschaft in die Psyche der Beherrschten einwandert, zu Recht für zentral. Weil sie aber den dialektischen Begriff des Ichs konsequent ignoriert, schlägt sie das Ich ausschließlich auf die Seite der Psychologie und folgert daraus, daß mit der These von der Außenverlagerung des Über-Ichs »jenes Maß an Autonomie ausgelöscht (ist), das aus der An-

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eignung von und der Reflexion über Autorität resultiert.« Jessica Benjamin, Die Antinomien des patriarchalischen Denkens, S. 430, in: Wolfgang Bonß, Axel Honneth, a. a. O., S. 426-455. 755 Axel Honneth, Kritik der Macht, a. a. O., S. 103. Damit ist das sachliche Problem in ein Problem des individuellen Studiums Adornos verwandelt. 756 Weil Honneth den Standardeinwand auch hier erhebt, muß er Adorno unterstellen, er erkläre die Über-Ich-Bildung aus dem Verhältnis Gesellschaft – äußere Natur: Die Gewissensbildung sei bei Adorno als »als eine Verinnerlichung von Fähigkeiten der Umweltkontrolle, eben als einen nach innen gerichteten Akt der Naturbeherrschung, zu deuten; das heranwachsende Individuum ist, so gesehen, nur der einen objektiven Welt natürlicher Gegenstände konfrontiert, die es im Laufe seiner Sozialisation zu kontrollieren lernt.« A. a. O., S. 104. Eine analoge Überlegung findet sich bei Jessica Benjamin, Die Antinomien des patriarchalischen Denkens, a. a. O., S. 429. Das steht explizit gegen den Adornoschen Text: Das Über-Ich ist bei Adorno »Verinnerlichung gesellschaftlichen Zwangs« (Negative Dialektik, GS 6, S. 271). Deshalb bezeichnet Adorno das Gewissen als »das Schandmal der unfreien Gesellschaft« (a. a. O., S. 272). 757 Vgl. dazu Judith Valk, Der Narzißmus in der psychoanalytischen Theorie, in: Psychoanalytisches Seminar Zürich (Hrsg.), a. a. O., S. 13-30. Auch die innerhalb der psychoanalytischen Theoriebildung geführte Diskussion, inwiefern der Begriff des Selbst von dem des Ich zu unterscheiden sei und ob nicht Freud den Begriff des Ichs in verschiedener Hinsicht verwende, spielt hier keine Rolle. Schließlich wird auch nicht auf die Einführung der Psychologie des Selbst durch Heinz Kohut und den anschließenden Aufschwung des Begriffs, der in Deutschland im Begriff des »Neuen Sozialisationstypus« von Thomas Ziehe gipfelte, eingegangen. 758 Vgl. Sigmund Freud, Zur Einführung des Narzissmus, a. a. O., S. 41. 759 Ebd. 760 »Diese begriffliche Scheidung entspricht (..) der populär so geläufigen Trennung von Hunger und Liebe.« A. a. O., S. 45. 761 Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, a. a. O., S. 399. 762 Vgl. ebd. 763 Vgl. a. a. O., S. 398 f. 764 Vgl. a. a. O., S. 400. 765 »Wenn man von Egoismus spricht, hat man nur den Nutzen für das Individuum ins Auge gefaßt; sagt man Narzißmus, so zieht man auch seine libidinöse Befriedigung in Betracht.« A. a. O., S. 402. Damit aber ist die vorherige Differenzierung zwischen Interesse und Libido schon wieder eingezogen. 766 Vgl. a. a. O., S. 405. 767 Vgl. a. a. O., S. 412 f. 768 Vgl. Sigmund Freud, Zur Einführung des Narzissmus, a. a. O., S. 62. Der Fortschritt zum Begriff des Über-Ich ist kontinuierlich und läßt sich an der langsamen Veränderung der Terminologie ablesen: Während Freud hier noch von »Idealich« (a. a. O., S. 60) spricht, so zwei Jahre später von »Ideal-Ich« (Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, a. a. O., S. 413), 1921 vom Ichideal (Sigmund Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse, S. 106, in: Studienausgabe, a. a. O., Bd. 9, S. 61-134), 1923 vom Über-Ich (Sigmund Freud, Das Ich und das Es, S. 301, Studienausgabe, a. a. O., Bd. 3, S. 273-330). 769 Sigmund Freud, Zur Einführung des Narzissmus, a. a. O., S. 68. 770 Sigmund Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse, a. a. O., S. 120. 771 Ebd. 772 »When this synthesis [zwischen Ich, Es und Über-Ich, J. W.] is not achieved, the super-ego has somewhat the role of a foreign body within the personality, and it exhibits those rigid, automatic, and unstable aspects discussed above.« The Authoritarian Personality, a. a. O., Part 1, S. 234. In der deutschen Übersetzung ist fälschlicherweise vom Ich anstatt vom Über-Ich die Rede: Kommt die Synthese zwischen Ich, Es und Über-Ich »nicht zustande, dann spielt das [Über-]Ich mehr oder weniger die Rolle eines Fremdkörpers in der Charakterstruktur und ent-

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faltet die erwähnten rigiden, automatischen und unsicheren Aspekte.« Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, S. 53. Frankfurt a. M. (1973). 773 Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 580. 774 »Seit Jahren habe ich immer wieder männliche und weibliche Analysanden aus der Schweiz, der Bundesrepublik, aus Österreich, Frankreich und Italien behandelt, deren sozialer und Familienhintergrund genau dem entsprach, was Theodor. W. Adorno und seine Mitarbeiter (1950) in ihrer großangelegten Untersuchung als charakteristisch für die »authoritarian personality« bezeichnet haben. Es zeigte sich jedoch, daß nur ein Teil dieser Analysanden die typischen Züge der »authoritarian personality« entwickelt hatten, andere nicht. Ein Faktor vor allem schien dafür verantwortlich zu sein. Da, wo die narzißtische Besetzung des Selbst während der Kindheit und Adoleszenz mangelhaft und schweren Störungen unterworfen war, hatten sich regelmäßig sekundäre Identifikationen mit autoritätsgebundenen Strukturen, insbesondere sekundäre Identifikationen mit einem aggressiv-repressiven Über-Ich eingestellt und konnten nicht rückgängig gemacht werden, ohne die Funktionstüchtigkeit des Ich und die psychische Homöostase aufs schwerste zu erschüttern. Diese Personen wiesen eine »authoritarian personality« auf.« Paul Parin, Das Mikroskop der vergleichenden Psychoanalyse und die Makrosozietät, S. 72 f., in: ders., Der Widerspruch im Subjekt, S. 55-77. Hamburg (1992). 775 Postscriptum, GS 8, S. 87. 776 Ebd. 777 Regina Becker-Schmidt hat darauf aufmerksam gemacht, daß der Begriff »innere Vergesellschaftung« den Sachverhalt adäquater ausdrückt: »Das Begriffspaar ›Vergesellschaftung – innere Vergesellschaftung‹ drückt mehr aus als der Begriff ›Sozialisation‹. Es zielt auf die Übermacht, die die Gesellschaft sowohl über die Sozialisationsagenturen als auch über die Individuen hat.« Regina Becker-Schmidt, Individuum, Klasse und Geschlecht aus der Perspektive der Kritischen Theorie, S. 388, in: Wolfgang Zapf (Hrsg.), Die Modernisierung moderner Gesellschaften, Frankfurt a. M./New York (1991). 778 Vgl. Karl Marx, Das Kapital I, a. a. O., S. 657 ff. Der Begriff »relative Übervölkerung«, ist auf die Verwertungsbedürfnisse des Kapitals bezogen und bezeichnet für den Verwertungsprozeß Unbrauchbare, z. B. Arbeitslose. 779 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 70. 780 »Wer sich einbildet, er sei, als Produkt dieser Gesellschaft, von der bürgerlichen Kälte frei, hegt Illusionen wie über die Welt, so über sich selbst; ohne jene Kälte könnte keiner mehr leben.« Marginalien zu Theorie und Praxis, GS 10.2, S. 778. Vgl. auch Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 687 ff. 781 Vgl. Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 46 f. 782 Vgl. Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 576 ff. 783 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 72. Birgit Volmerg, Die Vergesellschaftung psychopathologischer Strukturen im Produktionsprozeß, S. 131 f., in: Thomas Leithäuser, Walter R. Heinz, a. a. O., S. 128-145, hat darauf hingewiesen, daß narzißtische Beschädigungen nicht unbedingt aus der familialen Sozialisation zu erklären sind: »Demgegenüber ziehen wir die Möglichkeit in Betracht, daß narzißtische Störungen nicht unmittelbar das Resultat einer bereits vorhandenen individuell-abgesonderten, familial erzeugten Pathologie sein müssen, sondern primär Folge pathologischer Anpassungszwänge an die Bedingungen enthumanisierender und fragmentierender Arbeit sind.« Klaus Horn und Johann Schülein, Interaktionsformen im organisierten Kapitalismus und ihre politische Bedeutung, S. 98, in: Thomas Leithäuser, Walter R. Heinz, a. a. O., S. 82-104, sehen in dem ›vorwiegend aufgrund sozialer Ängste verhaltensgesteuerten Typus‹ einen neuen Persönlichkeitstypus, für den ein »verinnerlichtes Bezugssystem« weniger verhaltensbestimmend sei. »Das ist eine entscheidende Modifikation der liberalen Mechanik zwischen Individuum und Gesellschaft.« 784 Auf ihn hat schon Freud in einigen Passagen hingewiesen. Vgl. Sigmund Freud, Die Zukunft einer Illusion, S. 147, in: ders., Studienausgabe, a. a. O., Bd. 9, S. 135-190; Massenpsychologie und Ich-Analyse, a. a. O., S. 95; Das Unbehagen in der Kultur, a. a. O., S. 243.

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785 Theodor W. Adorno, Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda, a. a. O., S. 48. »Es ist der falsche Wunsch nach Allmacht, der aus Ohnmacht geboren war und der nun zur Erfüllung drängt. Die psychische soll über die materielle Realität siegen. Dieser Wunsch nach Allmacht vergiftet alle Verhältnisse.« Detlev Claussen, Grenzen der Aufklärung, S. 145. Frankfurt a. M. (1987). 786 Negative Dialektik, GS 6, S. 293 (Hervorhebung J. W.). Vgl. zum Narzißmus bzw. seiner kollektiven Befriedigung Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 563; Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 589; Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 72. 787 Klaus Holz, Nationaler Antisemitismus. Hamburg (2001). 788 In Erkenntnis und Interesse, a. a. O., S. 80, bezeichnet Habermas deshalb die »Differenz zwischen dem tatsächlichen Grad der institutionell geforderten und dem Grad der auf einem gegebenem Stand der Produktivkräfte notwendigen Repression« als »ein Maß für Herrschaft«. 789 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 68. 790 A. a. O., S. 71. 791 Freud hat das Über-Ich als Erbe des Ödipus-Komplexes begriffen. Adorno hat an dieser Genese des Über-Ichs bei der Interpretation der typischen Formen des autoritären Charakters in der Authoritarian Personality, a. a. O., Part 2, S. 759 ff., festgehalten. Die Genese des ÜberIchs aus dem Ödipus-Komplex ist in der psychoanalytischen Diskussion umstritten. Schon Freud hält in Das Unbehagen in der Kultur, a. a. O., S. 262, das Schuldgefühl für früher als das eigentliche Über-Ich. Die Frage, ob die Über-Ich-Genese nun präödipal oder ödipal zu begreifen ist, spielt für das hier zu erörternde Problem keine Rolle. 792 Deswegen spricht Freud auch von einem »Kultur-Über-Ich«, in dem »beide Vorgänge, der kulturelle Entwicklungsprozeß der Menge und der eigene des Individuums regelmäßig miteinander verklebt sind.« Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, a. a. O., S. 267. 793 Das begründet bei Freud entwicklungsgeschichtlich das Unbehagen in der Kultur. Es besteht darin, »daß der Preis für den Kulturfortschritt in der Glückseinbuße durch die Erhöhung des Schuldgefühls bezahlt wird.« A. a. O., S. 260. Für Adorno ist, wie gezeigt, dieser Prozeß nicht mit Kulturfortschritt überhaupt, sondern mit gesellschaftlicher Herrschaft verbunden. 794 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, a. a. O., Bd. 2, S. 64. 795 Meinung Wahn Gesellschaft, GS 10.2, S. 587. 796 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 57. 797 Kann das Publikum wollen?, GS 20.1, S. 344. 798 Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, GS 8, S. 368. 799 Theorie der Halbbildung, GS 8, S. 119. 800 Zum Problem der Familie, GS 20.1, S. 308. 801 »Die Gesellschaft in ihrer gegenwärtigen Gestalt (…) beruht nicht (…) auf Anziehung, auf Attraktion, sondern auf der Verfolgung des je eigenen Interesses gegen die Interessen aller anderen. Das hat im Charakter der Menschen bis in ihr Innerstes hinein sich niedergeschlagen. Was dem widerspricht, der Herdentrieb der (…) einsamen Menge, ist eine Reaktion darauf, ein SichZusammenrotten von Erkalteten, die die eigene Kälte nicht ertragen, aber auch nicht ändern können.« Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 687. 802 Max Horkheimer, Kritische Theorie gestern und heute, S. 165 f., in: ders., Gesellschaft im Übergang, S. 162-175. Frankfurt a. M. (1972). 803 Deutlich wird das z. B. bei einer Durchsicht von Kontaktanzeigen, in denen normalerweise das Individuum in verschiedene Rollen (Lehrer, Sportler, Raucher, Zuschreibungen emotionaler Verhaltensweisen etc.) zerlegt wird. 804 Freizeit, GS 10.2, S. 645. 805 Vgl. Glosse über Persönlichkeit, GS 10.2, S. 642. 806 Das wiederum verträgt sich schlecht mit der gesellschaftlich erzwungenen narzißtischen Besetzung der eigenen Person. Das erklärt den gewaltigen Wunsch nach ›Individualität‹, das Be-

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streben der einzelnen, irgend etwas zu finden, worin sie sich von anderen unverwechselbar unterscheiden. Der gesellschaftliche Prozeß zerstört diese Unverwechselbarkeit. 807 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 83. 808 Bei Thomas Leithäuser, a. a. O., S. 63, stellt sich der Prozeß als Dominanz des Alltagsbewußtseins über das ideologische Bewußtsein dar. »Das Alltagsbewußtsein drückt die nachideologische Befangenheit des Bewußtseins in dem allgemeinen gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang aus.« Bei Horn und Schülein, a. a. O., S. 95, erscheint er in »Interaktionsformen, deren unmittelbare Abhängigkeit von sozialstrukturellen Momenten, gemessen an bürgerlichen Vorstellungen, enorm zugenommen hat.« 809 Herbert Marcuse, Das Veralten der Psychoanalyse, S. 60, in: ders., Schriften, Bd. 8, S. 60-78. Frankfurt a. M. (1984). 810 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 83. 811 Vernunft und Offenbarung, GS 10.2, S. 612. 812 Glosse über Persönlichkeit, GS 10.2, S. 644. 813 Vgl. Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, a. a. O., Bd. 2, S. 470 ff. 814 Gesellschaft, GS 8, S. 18. 815 »Aus dem negativ konstruierten Systemzirkel (…) ist so umstandslos nicht wieder herauszukommen.« Otwin Massing, a. a. O., S. 31. Als Folge des Zirkels seien die Texte »wie Palimpseste zu lesen« (a. a. O., S. 36). 816 Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 571; Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 676. Vgl. dazu hier, Kapitel 4. 817 Vgl. Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 571. 818 Kritik, GS 10.2, S. 785. 819 Karl Marx, Thesen über Feuerbach, S. 535, in: MEW, a. a. O., Bd. 3, S. 533-535. 820 Die Aktualität der Philosophie, GS 1, S. 338 f. 821 Wozu noch Philosophie, GS 10.2, S. 469. Sieben Jahre später, unter dem Eindruck einer Studentenbewegung, in der einem nicht unbeträchtlichen Teil das Mittel, politische Aktion, zum Zweck geriet, formuliert er einen Einwand gegen das »nur« im ersten Satz der Feuerbachthese: »Man klammert sich an Aktionen um der Unmöglichkeit der Aktion willen. Schon bei Marx verbirgt sich da eine Wunde. Er mochte die elfte Feuerbachthese so autoritär vortragen, weil er ihrer sich nicht ganz sicher wußte.« Resignation, GS 10.2, S. 795. 822 Minima Moralia, GS 4, S. 62. Der Aphorismus, dem das Zitat entstammt, handelt von falschen Einschätzungen des Nationalsozialismus seitens der Emigranten. Der zitierte Schlußsatz aber ist nicht allein darauf bezogen, sondern tritt mit systematischem Anspruch auf. Das wird am Wechsel des tempus im Übergang zu ihm deutlich: »Die in Formen der freien, distanzierten, desinteressierten Beurteilung Denkenden waren unfähig, in jene Formen die Erfahrung der Gewalt aufzunehmen, welche real solches Denken außer Kraft setzt. Die fast unlösbare Aufgabe besteht (…)« (ebd., Hervorhebung J. W.). Bei Adorno findet sich die Formulierung solcher Konsequenzen nicht nur in der zitierten Passage, vgl. exemplarisch Negative Dialektik, GS 6, S. 294. 823 Freizeit, GS 10.2, S. 655 (Hervorhebung J. W.). 824 Vorab ist anzumerken, daß nicht immer eindeutig zu entscheiden ist, ob die Reaktion der Sekundärliteratur auf die Konsequenz der gesellschaftstheoretischen Argumentation Adornos erfolgt oder auf die in Kapitel 1.2 erörterte These von der Genesis des Subjekts gegen den Naturzusammenhang. Im folgenden werden nur Positionen exemplarisch vorgestellt, die eindeutig auf die These von der zunehmenden Ich-Schwäche bezogen sind. 825 So etwa Joseph F. Schmucker, a. a. O., S. 147: »Allein die Tatsache jedoch, daß die ›Negative Dialektik‹ vorliegt, ist schon ein Beweis gegen ihre Negativität.« Vgl. auch Joseph G. Fracchia, Die Marxsche Aufhebung der Philosophie und der philosophische Marxismus, S. 350. New York/Bern/Frankfurt a M./Paris (1987): »Sie [Adorno und Horkheimer, J. W.] haben die bürgerliche Gesellschaft als ›eine antagonistische Totalität‹ richtig erkannt, aber sie haben sie

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auch als eine geschlossene, wenn auch falsche Totalität analysiert. Hätten sie an der Bezeichnung ›antagonistische Totalität‹ festgehalten, dann hätten sie das Potential der bürgerlichen Strukturen als das erkennen müssen, was es ist: Potential, eine Möglichkeit, die sich vielleicht auch zum Teil durchgesetzt hat.« Dieser Einwand strukturiert den ganzen Text, deshalb taucht die Wendung aufs Subjekt auch konsequent nicht auf. Der Widerspruch ist auch dort konstitutiv für die Rezeption, wo seine Behandlung explizit ausgeschlossen wird: Christian Többicke befaßt unter den »geschichtsphilosophischen Voraussetzungen« der Negativen Dialektik die Zerstörung des Subjekts, hält das für »nur begrenzt plausibel« (Christian Többicke, a. a. O., S. 34), gelangt aber zu der Auffassung, daß jene »geschichtsphilosophischen Voraussetzungen« für seinen Gegenstand nicht weiter zu untersuchen seien. Er kommt jedoch an zentralen Stellen immer wieder darauf zurück, um die Erklärung anzuschließen, daß vorab ja gesagt worden sei, daß die »Problematik einer Gegenwartsdiagnose (…) nicht weiter diskutiert« (a. a. O., S. 63) werde. Vgl. a. a. O., S. 86, S. 104, S. 113, S. 115 f., S. 120, S. 124. Schließlich wird das Problem unabweisbar: Többicke stößt »an eine Grundaporie der Philosophie Adornos« (a. a. O., S. 127), die aber von der Interpretation »hinzunehmen« (a. a. O., S. 128) sei. 826 Seyla Benhabib, Die Moderne und die Aporien der Kritischen Theorie, a. a. O., S. 147. 827 Vgl. exemplarisch Berndt Hermann, Theodor W. Adorno: seine Gesellschaftstheorie als ungeschriebene Erziehungslehre. Bonn (1978). Der Autor behandelt zwar die pädagogischen Überlegungen Adornos in Zusammenhang mit erkenntnistheoretischen und gesellschaftstheoretischen, der Widerspruch aber wird nicht an einer Stelle thematisch. 828 Vgl. Fritz H. Paffrath, Die Wendung aufs Subjekt, S. 15. Weinheim (1992). 829 A. a. O., S. 45. Nach Thomas Fritzsche, einem Schüler Paffraths, könne Adorno einen Beitrag zur kritischen Pädagogik liefern. Ein Zitat aus Wozu noch Philosophie soll belegen, daß Adornos »Konzept für die Philosophie nach dem Weltuntergang (..) die Mutmaßung, Adornos Denken münde in Ausweglosigkeit und Fatalismus« widerlege. Thomas Fritzsche, Halbierte Wirklichkeit, S. 146. Weinheim (1996). Ich habe oben anderslautende Passagen zitiert, die das Gegenteil belegen. Entsprechend kann auch die gegenteilige These, die pädagogischen Äußerungen Adornos seien inkompatibel mit der gesellschaftstheoretischen Analyse, vertreten werden. Sie wird formuliert von Andreas Gruschka, der die auf praktische Erziehungsfragen gerichteten Äußerungen Adornos als »Verstoß« gegen seine theoretische Position auffaßt. »Adorno hatte in jenem Gespräch [mit Hellmut Becker: Erziehung zur Mündigkeit, J. W.] gegen seine eigenen theoretischen Skrupel verstoßen, er war dort in die Rolle des ›Volksschullehrers‹ geschlüpft, er agierte dort als Pädagoge.« Andreas Gruschka, Negative Pädagogik, S. 53. Münster (1988). Entsprechend scharf ist die Polemik sowohl Paffraths als auch Fritzsches gegen ihn. Vgl. Fritz H. Paffrath, a. a. O., S. 14 f.; Thomas Fritzsche, a. a. O., S. 150 f. Die Debatte über das Werk Adornos kommt aber keinen Schritt weiter, solange die eigene These durch Verweis auf entsprechende Passagen bei Adorno belegt wird. Weil sich dort einander widersprechende Passagen finden lassen, haben beide Seiten gegeneinander immer Recht. Gruschka hat allerdings den Inhalt der pädagogisch orientierten Schriften Adornos in einem späteren Aufsatz auf den Begriff gebracht: »Adornos Texte zur Pädagogik enthalten neben einem Plädoyer für Mündigkeit vor allem Hinweise darauf, warum die Pädagogik, wie sie ist, diese sabotiert.« Andreas Gruschka, Adornos Relevanz für die Pädagogik, S. 95, in: Gerhard Schweppenhäuser (Hrsg.), Soziologie im Spätkapitalismus, a. a. O., S. 88-116. 830 Fritz H. Paffrath, a. a. O., S. 45, FN 11. 831 Vgl. a. a. O., S. 15. 832 A. a. O., S. 45. 833 A. a. O., S. 15. Wenn auch unterschiedliche persönliche Motivationen als dialektisch aufgefaßt werden, so dient der Terminus dazu, theoretische Probleme zu verbergen. Mit der Funktionalisierung von Dialektik als Deckmantel für Inkonsistenzen steht Paffrath nicht allein. Vgl. exemplarisch Carsten Schlüter, Praxisverzicht und Kritik der Praxis, in: Frithjof Hager, Hermann Pfütze, a. a. O., S. 63-87: Schlüter erläutert die »Grund-Figur der Dialektik« an der von Adorno in der Minima Moralia vorgestellten These von der wachsenden organischen Zu-

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sammensetzung des Menschen. Sie stellt dem Inhalt nach eine andere Formulierung der These von der zunehmenden Zerstörung des Individuums als Subjekt dar. »Die These von der wachsenden organischen Zusammensetzung der Menschen führt nach alter Lehre [gemeint ist die Marxsche Lehre vom tendenziellen Fall der Profitrate, der durch denselben Prozeß hervorgebracht wird, der auch die ihm entgegenwirkenden Ursachen hervorbringt, J. W.] ihr Gegenteil bereits in sich. – Denn Gesellschaftstheorie konfrontiert die Idee des Subjekts seinen Zurüstungen. Die These ist damit selbst ihre eigene Antithese zur totalen Einebnung des Denkens« (a. a. O., S. 71). Dialektik besteht demgemäß darin, eine Behauptung aufzustellen, die ihren Inhalt bestreitet. Das ist in den meisten Fällen unsinnig, z. B. der Satz: Ich bin tot. Dies gilt auch für Schlüters Interpretation: »Die tendenzielle Liquidation des Subjekts aufgrund der wachsenden organischen Zusammensetzung der Menschen zielt inhaltlich nun aber auf die Liquidation des Potentials solchen Denkens, das diese These denkt.« (a. a. O., S. 71 f.) Die »wachsende organische Zusammensetzung des Menschen« soll also nicht nur »ihre eigene Antithese« in sich enthalten, sie soll diese Antithese auch noch »liquidieren«. Das ist nicht dialektisch, sondern unverständlich. 834 »In regressiven Formen der "Sinngebung"« seien »dekompensationsprophylaktische Anstrengungen des Subjekts zu sehen .., das Ich-Selbst festzuhalten, das sonst zerfiele.« Daher werde der »Mangel an Objektivität in den Sinnsurrogaten für die Individuen ›bestandserhaltend‹: sähen sie sich und die Welt, wie sie ist, müßten sie wahnsinnig werden.« Thomas Krauß, Die vergesellschaftete Subjektivität und ihre Deutungsmuster, S. 244. Frankfurt a. M./New York (1985). So auch Ralph Merten, Adorno. Individuum und Geschichte, S. 98 f. Essen (1985). 835 Detlev Claussen, Unterm Konformitätszwang, a. a. O., S. 28; vgl. auch ders., Fortzusetzen, S. 139, in: Frithjof Hager, Hermann Pfütze, a. a. O., S. 134-150. 836 Detlev Claussen, Unterm Konformitätszwang, a. a. O., S. 44. 837 A. a. O., S. 30. 838 A. a. O., S. 24. 839 Ulrich Kohlmann, Dialektik der Moral, S. 179. Lüneburg (1997). Ähnlich argumentiert Gerhard Gamm: »Wenn die Kritik Adornos heute eher abgestanden und schaal [im Original so, J. W.] schmeckt, so muß das nicht unbedingt am wahrnehmenden Subjekt, an dessen Erfahrungsverlust liegen. Der Grund könnte auch in der Ruine liegen, in die Erfahrung gebannt werden soll: Kritisches Bewußtsein und Handeln ist nicht notwendig gebunden an den Autonomieanspruch des bürgerlichen Subjekts, sondern an das Aufbegehren sinnlichen Unbehagens in der verwalteten Welt.« Gerhard Gamm, Sur-realität und Vernunft, a. a. O., S. 161. Der Gedanke ist eine unausgewiesene Modifikation einer Überlegung von Hans-Jürgen Krahl, der in Der politische Widerspruch in der Kritischen Theorie Adornos, S. 294, in: ders., Konstitution und Klassenkampf, a. a. O., S. 285-288, erklärt hat: »Es scheint, als sei Adorno durch die schneidende Kritik am ideologischen Dasein des bürgerlichen Individuums hindurch unwiderstehlich in dessen Ruine gebannt.« Krahl spricht allerdings nicht, wie Gamm, von einem »sinnlichen Unbehagen«, welches »aufbegehren« können soll. Eine nähere Bestimmung, was darunter zu verstehen sei, findet sich bei Gamm nicht. 840 Ulrich Kohlmann, a. a. O., S. 180. 841 Vgl. a. a. O., S. 182. 842 A. a. O., S. 183. 843 A. a. O., S. 182, FN 563. 844 Der Versuch von Friedhelm Lövenich, das Problem mittels einer Verbindung der Schriften Adornos und ihrer Habermasschen Revision durch eine »integrative Theorie des Imaginären« zu lösen, gelingt nicht. Lövenich unterstellt der Theorie des kommunikativen Handelns, sie könne »nicht auf die Möglichkeit (reflektieren), daß die Lebenswelt (…) bereits unterwandert ist von Unvernunft, die letztlich auf die Verabsolutierung instrumenteller Vernunft (…) zurückgeht.« Friedhelm Lövenich, Paradigmawechsel, S. 188. Würzburg (1990). Wenn auch die Revision dem »Dilemma eines kritischen Bewußtseins in einer Welt universaler Verblendung

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verfällt« (a. a. O., S. 116), ist das Problem nur auf die Theorie des kommunikativen Handelns, die von Habermas explizit zur Lösung des Problems entwickelt wurde, ausgedehnt. 845 Vgl. hier, Kapitel 1.1. Es ist daher falsch, wenn Gerd Kimmerle, a. a. O., S. 54 f., von einer »brutalen Desinteressiertheit an der Situation der Unterdrückten« bei Adorno spricht. 846 Vgl. hier, Kapitel 1.2-1.3. 847 Vgl. hier, Kapitel 2.2. 848 Vgl. hier, Kapitel 3.3. 849 Das setzt gemäß Adorno reformerische Politik ins Recht. Vgl. Vorbemerkung zu Eingriffe, GS 10.2, S. 458. 850 Tabus über dem Lehrerberuf, GS 10.2, S. 660. 851 Vgl. hier, Kapitel 3.1. 852 Vgl. hier, Kapitel 3.2. 853 Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 675 f. 854 Vgl. Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 571. 855 Marginalien zu Theorie und Praxis, GS 10.2, S. 769. Die Rede vom Rückfall ist irreführend. Der Menschheitsgeschichte war bis dato kein industriell durchgeführter Massenmord ohne Zweck bekannt. Selbst dem Kannibalen, dem heutigen Sinnbild für wenig menschenfreundliche Zeiten, wird nicht unterstellt, er töte ohne Zweck. Daher muß vom Eintritt der Barbarei gesprochen werden. 856 Negative Dialektik, GS 6, S. 358. 857 Ebd.; vgl. Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 674. 858 So auch Gerhard Schweppenhäuser, Ethik nach Auschwitz. Adornos negative Moralphilosophie, a. a. O., S. 187: »›Frevel‹ (…) bedeutet: Eine diskursive Begründung wäre möglich; aber angesichts der offen zutage liegenden Unsäglichkeit des von Menschen produzierten Leidens wäre es vermessen, zu verlangen, daß wir die Forderung nach seiner Abschaffung erst eigens (…) legitimieren müßten.« 859 Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 568. 860 Ebd. 861 Vgl. Theodor W. Adorno, Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda, a. a. O., S. 62 f. 862 Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie, GS 8, S. 42. 863 Vgl. ebd. 864 Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 571. 865 Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 672. 866 Vgl. Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 569. 867 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Fritz H. Paffrath, a. a. O., S. 107 ff. 868 Vgl. Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 674. 869 Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 568; vgl. auch Zur Demokratisierung der deutschen Universitäten, GS 20.1, S. 334. 870 Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 568. 871 Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 677. 872 Adorno bezieht sich mehrfach auf die von Else Frenkel-Brunswik und ihm durchgeführte, aber nicht vollendete Studie, allerdings aus anderen Gründen. Die Child-Study hat ein von den Beteiligten unerwartetes Ergebnis zu Tage gefördert: »Gerade die ›braven‹, also konventionellen Kinder dürften die von Aggression, einem der wesentlichsten Aspekte der autoritätsgebundenen Persönlichkeit, freieren sein, und umgekehrt« (Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, GS 10.2, S. 731). Dies Resultat dient Adorno in den Aufsätzen zum Verhältnis von Gesellschaftstheorie und empirischer Sozialforschung als Beleg für »die Legitimität und Notwendigkeit empirischer Forschung, die theoretische Fragen wirklich beantwortet« (ebd.). Das Ergebnis der Child-Study wurde in der an die Authoritarian Personality anschließenden em-

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pirischen Forschungsarbeit häufig bestätigt. In jüngerer Zeit ist insbesondere von Mario Erdheim, Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit, S. 39. Frankfurt a. M. (1990), die Adoleszenz als eine »entscheidende Lebensphase, (…) die die Strukturen der Unbewußtheit festlegt«, begriffen worden. 873 Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S 676. 874 Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute, GS 20.1, S. 373. 875 Zum Problem der Familie, GS 20.1, S. 307. Vgl. dazu hier, Kapitel 3.1 und 3.4.1. 876 Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 568. 877 A. a. O., S. 569; vgl. auch Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 680. 878 Vgl. zum Begriff der öffentlichen Meinung Öffentliche Meinung und Meinungsforschung, GS 20.1, S. 293 ff. 879 Adorno verweist häufig darauf, vgl. exemplarisch Soziologie und empirische Forschung, GS 8, S. 200. 880 Vgl. den Einwand exemplarisch bei Pavel Petr, Dialektik in Frankfurt, Prag und Moskau, S. 165, in: Axel Honneth, Albrecht Wellmer, a. a. O., S. 151-166. 881 Vgl. Giacomo Marramao, a. a. O., S. 89. 882 Individuum und Organisation, GS 8, S. 452. 883 Resignation, GS 10.2, S. 798. 884 »Nachdrücklich ist hervorzuheben, daß Erziehung nach Auschwitz gelingen könnte nur in einer Gesamtverfassung, welche nicht länger die Verhältnisse und die Menschen hervorbringt, die an Auschwitz die Schuld tragen. Jene Gesamtverfassung hat noch nicht sich geändert.« Vorbemerkung zu Stichworte, GS 10.2, S. 598. 885 Fortschritt, GS 10.2, S. 618. 886 Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 567. 887 A. a. O., S. 572. 888 A. a. O., S. 556. 889 A. a. O., S. 566. 890 A. a. O., S. 567. 891 Vgl. Theorie der Halbbildung, GS 8, S. 101. 892 Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 687. 893 Vgl. a. a. O., S. 688 f. 894 An Kants Antwort hält Adorno fest. Vgl. Vgl. Theodor W. Adorno, Erziehung zur Mündigkeit, S. 133, in: ders., Erziehung zur Mündigkeit, S. 133-147. Frankfurt a. M. (1971). 895 Vgl. hier, Kapitel 3.2.2. 896 Sigmund Freud, Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten, a. a. O., S. 214. 897 Ebd. 898 Sigmund Freud, Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, a. a. O., S. 433. 899 Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, GS 10.2, S. 571. 900 Vgl. Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 676. 901 »Anknüpfen ließe sich an das Leiden, das die Kollektive zunächst allen Individuen, die in sie aufgenommen werden, zufügen.« Auf die Frage: Was ist deutsch, GS 10.2, S. 682; vgl. auch Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 690. 902 Kann das Publikum wollen?, GS 20.1, S. 347. »Nicht mit der Gebärde der ›Umerziehung‹, sondern durch denkende gemeinsame Arbeit nur läßt das Verhärtete sich lösen.« Aktualität der Erwachsenenbildung, GS 20.1, S. 330. Oskar Negt hat in Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen, Frankfurt a. M. (19693), die Methode exemplarischen Lernens für die Arbeiterbildung fruchtbar gemacht. 903 Kritik, GS 10.2, S. 785 f. (Hervorhebung J. W.). Dem entspricht die auch auf den Willen bezogene Bestimmung der »einzig wahrhaften Kraft gegen das Prinzip von Auschwitz«: Es ist

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die »Autonomie, wenn ich den Kantischen Ausdruck verwenden darf; die Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen.« Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 679. 904 Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 676. 905 Hermann Schweppenhäuser, Kritik und Rettung, S. 79, in: ders. (Hrsg.), a. a. O., S. 76-81, hat diesen Zusammenhang gesehen: »Die Intensität seines [Adornos, J. W.] Gedankens schuf unablässig an der Herstellung des Subjekts als urteilsfähigem, mündigem.« Vgl. auch Hauke Brunkhorst, a. a. O., S. 130. 906 Negative Dialektik, GS 6, S. 262 (Hervorhebung J. W. ).

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Freizeit, GS 10.2, S. 645-655. Tabus über dem Lehrerberuf, GS 10.2, S. 656-673. Erziehung nach Auschwitz, GS 10.2, S. 674-690. Auf die Frage: Was ist deutsch, GS 10.2, S. 691-700. Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika, GS 10.2, S. 702-740. Zu Subjekt und Objekt, GS 10.2, S. 741-758. Marginalien zu Theorie und Praxis, GS 10.2, S. 759-784. Kritik, GS 10.2, S. 785-793. Resignation, GS 10.2, S. 794-802. Versuch, das Endspiel zu verstehen, GS 11, S. 281-321. Über den Fetischcharakter der Musik und die Regression des Hörens, GS 14, S. 14-50. Einleitung in die Musiksoziologie, GS 14, S. 169-421. Zur gesellschaftlichen Lage der Musik, GS 18, S. 729-777. Öffentliche Meinung und Meinungsforschung, GS 20.1, S. 293-301. Zum Problem der Familie, GS 20.1, S. 302-309. Aktualität der Erwachsenenbildung, GS 20.1, S. 327-331. Zur Demokratisierung der deutschen Universitäten, GS 20.1, S. 332-338. Kann das Publikum wollen?, GS 20.1, S. 342-347. Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute, GS 20.1, S. 360-383. Studien zum autoritären Charakter. Frankfurt a. M. (1973). Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda, in: ders.: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, S. 34-66. Frankfurt a. M. (1971). – Erziehung zur Mündigkeit, in: ders.: Erziehung zur Mündigkeit, S. 133-147. Frankfurt a. M. (1971). – Erziehung wozu?, in: ders.: Erziehung zur Mündigkeit, S. 105-119. Frankfurt a. M. (1971). – Philosophische Terminologie, Bd. 1. Frankfurt a. M. (19824). – Philosophische Terminologie, Bd. 2. Frankfurt a. M. (1974). – Kants »Kritik der reinen Vernunft«, Nachgelassene Schriften, Bd. 4. Frankfurt a. M. (1995). – Probleme der Moralphilosophie, Nachgelassene Schriften, Bd. 10. Frankfurt a. M. (1996). – Metaphysik. Begriff und Probleme, Nachgelassene Schriften, Bd. 14. Frankfurt a. M. (1993). – Einleitung in die Soziologie, Nachgelassene Schriften, Bd. 15. Frankfurt a. M. (1993). – Vorlesungen zur Erkenntnistheorie. o. O., o. J. – und Horkheimer, Max: Dialektik der Aufklärung, in: Horkheimer, Max: Gesammelte Schriften, Bd. 5, S. 13-290. Frankfurt a. M. (1987). – Vorurteil und Charakter, GS 9.2, S. 360-373. – und Frenkel-Brunswik, Else; Levinson, Daniel J.; Sanford, Robert N.: The Authoritarian Personality (2 Bde.). New York (1964). Allkemper, Alo: Rettung und Utopie: Studien zu Adorno. Paderborn/ München/ Wien/ Zürich (1981).

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– Adorno, Anwalt des Nicht-Identischen. Eine Einführung, in: ders. (Hrsg.): Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, S. 135-167. Frankfurt a. M. (1985). – Wahrheit, Schein, Versöhnung. Adornos ästhetische Rettung der Modernität, in: Friedeburg, Ludwig v.; Habermas, Jürgen (Hrsg.): Adorno-Konferenz 1983, S. 138-176. Frankfurt a. M. (1983). Weyand, Jan: Der Gesellschaftsbegriff bei Ferdinand Tönnies, unveröff. Magisterarbeit. Hannover (1995). Wiggershaus, Rolf: Die Frankfurter Schule. Frankfurt a. M. (1988). Zweig, Arnold: Das Beil von Wandsbek. Berlin (1994). – Novellen um Claudia. Berlin (1991).

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