Abfindungsansprüche zur Ergänzung oder Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes [1 ed.] 9783428524648, 9783428124640

Seit Jahren sieht sich das arbeitsrechtliche Bestandsschutzprinzip massiver Kritik ausgesetzt: Arbeitgeber versuchten, K

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Abfindungsansprüche zur Ergänzung oder Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes [1 ed.]
 9783428524648, 9783428124640

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 262

Abfindungsansprüche zur Ergänzung oder Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes Von

René Weißflog

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

RENÉ WEISSFLOG

Abfindungsansprüche zur Ergänzung oder Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 262

Abfindungsansprüche zur Ergänzung oder Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes

Von

René Weißflog

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-12464-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Reform des Kündigungsschutzes ist einer der Dauerbrenner der rechtspolitischen Diskussion. Die anhaltende Debatte über eine Abkehr vom Prinzip des Bestandsschutzes hin zu gesetzlichen Abfindungsansprüchen bot mir in den vergangenen drei Jahren Gelegenheit für eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung. Das Ergebnis meiner Überlegungen wurde im April 2006 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Vor Drucklegung des Manuskripts wurde dieses auf den aktuellen Stand gebracht, bis zum 31.01.2007 erschienene Rechtsprechung und Literatur konnte dabei berücksichtigt werden. Danken möchte ich an dieser Stelle allen, die auf ihre Weise zum Gelingen dieser Dissertation beigetragen haben. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Hartmut Oetker, der diese Arbeit betreut hat. An dessen Jenaer Lehrstuhl durfte ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig sein und dort wertvolle Erfahrungen sammeln. Er weckte nicht nur mein Interesse am Arbeitsrecht, auch hat seine effiziente und gründliche Arbeitsweise auf mich einen nachhaltig prägenden Eindruck hinterlassen. Bedanken möchte ich mich ferner bei Herrn Prof. Dr. Dieter Reuter für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Die FAZIT-Stiftung hat die Veröffentlichung mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss gefördert. Auch dafür schulde ich aufrichtig Dank. Den entscheidenden Anteil am Erfolg dieser Arbeit hat jedoch meine Frau Carolin, die mir den nötigen Freiraum ließ und deren Unterstützung ich mir immer gewiss sein konnte. Ihr und meinen beiden Kindern Paul und David ist dieses Buch gewidmet.

Berlin, im März 2007

René Weißflog

Inhaltsübersicht

§1

Einleitung..............................................................................................................33 1. Teil Reform des Kündigungsschutzes – Aufgabe des Bestandsschutzes zugunsten von Abfindungsansprüchen

40

§2

Abfindungsansprüche des Arbeitnehmers im System des Kündigungsschutzrechts de lege lata.....................................................................40

§3

Die Kritik des geltenden Kündigungsschutzrechts – Wahrnehmung und Wirklichkeit ..........................................................................................................61

§4

Modelle einer Ergänzung oder Ablösung des Bestandsschutzes durch Abfindungsansprüche............................................................................................97

§5

Abfindungsansprüche im Kündigungsschutzrecht der EU-Mitgliedstaaten ........134 2. Teil Die Abfindung nach § 1a KSchG – Anfang vom Ende des Bestandsschutzprinzips?

222

§6

Normzweck und Rechtsnatur des Abfindungsanspruchs.....................................224

§7

Der Tatbestand des § 1a KSchG..........................................................................248

§8

Rechtsfolge: Anspruch auf Zahlung einer Abfindung.........................................337

§9

Die Stellung des § 1a KSchG im System des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes ...............................................................................................................374 3. Teil Abfindungsansprüche zur Ergänzung oder Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes im Lichte der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes

382

8

Inhaltsübersicht

§ 10 Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers und Mehrdimensionalität der Grundrechte..............................................................................................384 § 11 Die Multifunktionalität der Grundrechte – Einschlägige Grundrechtsfunktionen ...........................................................................................................400 § 12 Kündigungsschutz unter dem Einfluss grundrechtlicher Schutzpflichten und Abwehrrechte ...............................................................................................433 § 13 Kontrolle der Regelungsvorschläge zwischen Untermaß- und Übermaßverbot....................................................................................................465 4. Teil Abfindungen und Kündigungsschutz unter dem Einfluss supra- und internationalen Rechts

552

§ 14 Abfindungsansprüche im Kündigungsschutz unter dem Einfluss des Gemeinschafts- und Unionsrechts.......................................................................552 § 15 Internationalrechtliche Vorgaben für den nationalen Kündigungsschutz ............580 5. Teil Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Arbeit

585

Literaturverzeichnis ...................................................................................................596 Sachregister.................................................................................................................649

Inhaltsverzeichnis

§1

Einleitung..............................................................................................................33 1. Teil Reform des Kündigungsschutzes – Aufgabe des Bestandsschutzes zugunsten von Abfindungsansprüchen

§2

40

Abfindungsansprüche des Arbeitnehmers im System des Kündigungsschutzrechts de lege lata........................................................................................40 A. Abfindungsansprüche im Individualarbeitsrecht..............................................42 I.

Abfindung nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil des Gerichts, §§ 9, 10 KSchG...................................................................42

II. Erleichterte Auflösung des Arbeitsverhältnisses leitender Angestellter, § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG ...............................................................44 III. Rechtsgeschäftliche Abfindungsvereinbarungen ......................................45 1. Abfindungsanspruch als Bestandteil eines Prozessvergleichs..............46 2. Abfindung und Abwicklungsvertrag....................................................47 3. Anwendbarkeit rechtsgeschäftlicher Grundsätze .................................48 a) Vertragsschluss ...............................................................................49 b) Widerruf gemäß § 312 Abs. 1 S. 1 BGB?.......................................49 4. Zweck der Abfindungszahlungen ........................................................50 5. Der Einfluss des Arbeitsförderungsrechts auf die Verbreitung von Abfindungsvergleich und Abwicklungsvertrag.............................50 B. Abfindungsansprüche im gesetzlichen kollektiven Arbeitsrecht......................53 I.

Sozialplanabfindungen, § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG...................................53

II. Anspruch auf Nachteilsausgleich, § 113 Abs. 1, 3 BetrVG ......................56 III. Tarifliche Abfindungsansprüche...............................................................57 C. Zusammenfassung............................................................................................59

Inhaltsverzeichnis

10 §3

Die Kritik des geltenden Kündigungsschutzrechts – Wahrnehmung und Wirklichkeit ..........................................................................................................61 A. Die rechtspolitische Diskussion im rechtswissenschaftlichen Schrifttum – Argumente für eine Abkehr vom überkommenen Bestandsschutzprinzip des KSchG ...........................................................................................61 I.

Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Anforderungen an eine sozial gerechtfertigte Kündigung ........................................................................62

II. Der Abfindungsvergleich als Reaktion der Kündigungspraxis .................64 III. Negative Wirkungen am Arbeitsmarkt – Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis ...........................................................................66 IV. Schlussfolgerung: Abkehr vom Bestandsschutz hin zu einem Abfindungsschutz .....................................................................................68 V. Ziele der Reformbemühungen: Anpassung des Kündigungsrechts an die Kündigungspraxis und Belebung des Arbeitsmarktes ....................70 B. Kritik aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum – Zur ökonomischen Theorie des Kündigungsschutzes ...................................................71 C. Empirische Analyse des Kündigungsschutzes – Ergebnisse der Rechtstatsachenforschung...........................................................................................72 I.

Die Praxis des Kündigungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland ..............................................................................................74 1. Der Anteil der Arbeitgeberkündigungen, Klagequote und Dauer von Kündigungsschutzprozessen .........................................................75 2. Die Häufigkeit von Abfindungen bei den arbeitgeberseitig gekündigten Arbeitsverhältnissen............................................................79 3. Die Höhe der Abfindung......................................................................82

II. Kündigungsschutz und Arbeitsmarkt – Beschäftigungshemmnis und Ursachenfaktor der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit?..................85 1. Empirische Analysen auf länderübergreifender Ebene ........................85 a) Der Einfluss des Kündigungsschutzes auf die Arbeitslosenund Beschäftigungsquote................................................................85 b) Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Intensität des Kündigungsschutzes .......................................................................88 c) Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf die Struktur von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit ................................................90 d) Zwischenergebnis ...........................................................................91

Inhaltsverzeichnis

11

2. Empirische Untersuchungen zu den Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf den deutschen Arbeitsmarkt .........................92 D. Zusammenfassung............................................................................................94 §4

Modelle einer Ergänzung oder Ablösung des Bestandsschutzes durch Abfindungsansprüche............................................................................................97 A. Reformmodelle aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum ........................97 I.

Generelle Abfindungspflicht betriebsbedingter Kündigungen..................97 1. Regelungsmodelle................................................................................97 2. Regelungszweck ................................................................................100 3. Kritik..................................................................................................102

II. Abfindung anstelle Bestandsschutz ........................................................103 1. Regelungsmodelle..............................................................................103 2. Regelungszweck ................................................................................104 3. Kritik..................................................................................................105 III. Abfindung oder Bestandsschutz..............................................................106 1. Regelungsmodelle..............................................................................106 2. Das historische Vorbild: § 87 Abs. 1 BRG 1920 ...............................109 3. Regelungszweck ................................................................................110 4. Kritik..................................................................................................111 IV. Abfindung anstelle Kündigungsschutz ...................................................112 1. Regelungsmodelle..............................................................................112 2. Regelungszweck ................................................................................114 3. Kritik..................................................................................................115 V. Vereinbarter Vorausverzicht auf Kündigungsschutz gegen Abfindungszahlung.................................................................................116 1. Regelungsmodelle..............................................................................116 2. Regelungszweck ................................................................................118 VI. Reform des Sonderkündigungsschutzes..................................................118 B. Reformmodelle aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum...............119 I.

Kronberger Kreis: Vorausverzicht gegen Abfindung .............................119

Inhaltsverzeichnis

12

II. Sachverständigenrat: Vorausverzicht oder Ausschluss des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen gegen Abfindungszahlung ...................................................................................................120 III. Kritik.......................................................................................................122 IV. Jahn: Aufgabe des Bestandsschutzprinzips bei betriebsbedingten Kündigungen ..........................................................................................123 C. Reformvorschläge des Gesetzgebers ..............................................................126 I.

Kündigungsschutz im Spiegel der Bemühungen einer Kodifikation des gesamten Arbeitsrechts – die Entwürfe eines Arbeitsvertragsgesetzes...................................................................................................126

II. Aktuelle Reformvorschläge des Gesetzgebers ........................................127 1. Kündigungsschutz im „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Arbeitsrechts“ der Fraktion der CDU/CSU .......127 2. Kritik..................................................................................................129 3. § 1a KSchG: Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung .........................................................................................131 D. Zusammenfassung..........................................................................................131 §5

Abfindungsansprüche im Kündigungsschutzrecht der EU-Mitgliedstaaten ........134 A. Methodische Vorüberlegungen ......................................................................135 I.

Konzentration auf die Gestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen bei nachrangiger Berücksichtigung der jeweiligen Rechtspraxis ..........................................................................135

II. Rechtsquellen..........................................................................................137 B. Grundzüge des Kündigungsschutzrechts........................................................141 I.

Das Erfordernis der sachlich begründeten Kündigung............................141 1. Rechtsgrundlagen ..............................................................................141 a) Wirtschaftliche, personen- und verhaltensbedingte Kündigungsgründe........................................................................141 b) Schutz über Generalklauseln.........................................................143 2. Reichweite des Gebots der sachlichen Rechtfertigung ......................146

II. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich des Kündigungsschutzes – Beschäftigungsdauer und Unternehmensgröße.....................149 1. Wartezeit............................................................................................149

Inhaltsverzeichnis

13

2. Unternehmensgröße ...........................................................................150 III. Ordentliche und außerordentliche Kündigung ........................................151 IV. Formelle und verfahrensmäßige Anforderungen an die Kündigung .......153 V. Rechtsschutz gegen die Kündigung – gerichtliche Kontrolle ex post .........................................................................................................158 VI. Abdingbarkeit .........................................................................................161 C. Abfindungsansprüche bei rechtmäßiger Kündigung des Arbeitsverhältnisses ...................................................................................................162 I.

Abhängigkeit der Abfindung von einem bestimmten Kündigungssachverhalt ..............................................................................................162 1. Abfindungsansprüche ohne Rücksichtnahme auf den zugrunde liegenden Kündigungsgrund ..............................................................162 2. Abfindung bei Kündigungen aus personenbedingten und wirtschaftlichen Gründen...................................................................165 3. Abfindung bei Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen..................166 4. Kündigung ohne Abfindungspflicht...................................................168

II. Höhe des Abfindungsanspruchs..............................................................169 1. Koppelung der Abfindungshöhe an die Beschäftigungsdauer ...........169 2. Stufenweiser Anstieg der Abfindung.................................................172 III. Funktion der Abfindungsansprüche ........................................................174 IV. Zusammenfassung ..................................................................................176 D. Abfindung anstelle Kündigungsschutz...........................................................177 I.

Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung in Frankreich bei Neueinstellungen und Arbeitsverträgen mit Jugendlichen ...........................................................................................177 1. Beschränkung des Kündigungsschutzes bei Neueinstellungen („contrat nouvelles embauches“) .......................................................177 2. Beschränkung des Kündigungsschutzes im Ersteinstellungsvertrag („contrat première embauche) für jugendliche Arbeitnehmer bis zu 26 Jahren ..........................................................179

II. Gegenständlicher beschränkter Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung in Portugal, der Slowakei und Spanien ...................................................................................................181

Inhaltsverzeichnis

14

E. Rechtsfolgen ungerechtfertigter und rechtswidriger Kündigungen zwischen Abfindungs- und Bestandsschutz ...................................................183 I.

Terminologische Besonderheiten............................................................183

II. Kündigungsschutz als Abfindungsschutz – Entschädigung anstelle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ......................................................185 1. Dänemark...........................................................................................185 2. Belgien...............................................................................................186 3. Finnland.............................................................................................187 III. Kündigungsschutz als Bestandsschutz – Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses statt Entschädigungszahlung..................................188 IV. Kombination von Entschädigung und Fortsetzung .................................189 1. Gewährleistung von Kündigungsschutz primär als Abfindungsschutz – Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nur unter Beachtung zusätzlicher Voraussetzungen ..........................................189 a) Erfasste Rechtsordnungen.............................................................190 aa) England und Irland .................................................................190 bb) Frankreich und Luxemburg ....................................................193 cc) Malta.......................................................................................195 dd) Niederlande ............................................................................195 ee) Polen.......................................................................................196 ff) Spanien ...................................................................................197 b) Zweck der Entschädigungszahlungen ...........................................198 c) Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei der Verletzung von Kündigungsverboten oder bestimmten formellen Fehlern der Kündigung ....................................................................................198 aa) Frankreich und Luxemburg ....................................................199 bb) Malta.......................................................................................200 cc) Niederlande ............................................................................200 dd) Polen.......................................................................................201 ee) Spanien ...................................................................................202 d) Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitnehmers.........................................................................................203

Inhaltsverzeichnis

15

aa) England und Irland .................................................................203 bb) Frankreich und Luxemburg ....................................................204 cc) Malta.......................................................................................205 dd) Niederlande ............................................................................205 ee) Polen.......................................................................................205 ff) Spanien ...................................................................................206 e) Annahmeverzugslohn und Entschädigungszahlung......................206 f) Zusammenfassung ........................................................................207 2. Gewährleistung von Kündigungsschutz primär als Bestandsschutz...................................................................................208 a) Erfasste Rechtsordnungen.............................................................208 aa) Italien......................................................................................208 bb) Schweden................................................................................210 cc) Slowakei und Tschechien .......................................................210 b) Ausweichmöglichkeit auf eine Entschädigungszahlung ...............210 aa) Wahlrecht für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ........................211 (1) Schweden .........................................................................211 (2) Portugal, Slowakei und Ungarn........................................212 (3) Litauen und Slowenien.....................................................213 bb) Wahlrecht beschränkt auf den Arbeitgeber.............................214 cc) Wahlrecht beschränkt auf den Arbeitnehmer..........................215 c) Verpflichtung zur Zahlung von Annahmeverzugslohn .................217 d) Zusammenfassung ........................................................................217 F. Schlussfolgerungen auf die Rigidität des Kündigungsschutzes......................218 G. Ergebnis .........................................................................................................219 2. Teil Die Abfindung nach § 1a KSchG – Anfang vom Ende des Bestandsschutzprinzips? §6

222

Normzweck und Rechtsnatur des Abfindungsanspruchs.....................................224 A. Die Funktion des § 1a KSchG........................................................................224

Inhaltsverzeichnis

16 I.

Motivation des Gesetzgebers ..................................................................224

II. Normzweck.............................................................................................225 B. § 1a KSchG – ein gesetzlicher Abfindungsanspruch?....................................226 I.

Das Meinungsspektrum des rechtswissenschaftlichen Schrifttums zwischen gesetzlichem und rechtsgeschäftlichem Abfindungsanspruch..................................................................................................227

II. Der Unterschied zwischen Willenserklärung, rechtsgeschäftsähnlicher Handlung und Realakt.....................................228 III. Der „Hinweis“ des Arbeitgebers als rechtsgeschäftliches Angebot auf Abschluss einer qualifizierten Abfindungsvereinbarung ..................230 1. Grammatikalische Auslegung............................................................230 2. Systematische Auslegung ..................................................................231 3. Teleologische Auslegung...................................................................232 4. Historische Auslegung.......................................................................235 5. Ergebnis.............................................................................................235 IV. Verstreichenlassen der Klagefrist durch den Arbeitnehmer – die gesetzlich fingierte Annahmeerklärung.............................................236 1. Die Auffassung Preis’ .......................................................................236 2. Das Verstreichenlassen der Klagefrist als gesetzlich fingierte Annahmeerklärung des Arbeitnehmers..............................................238 V. Der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach Maßgabe des § 1a KSchG – ein gesetzlich qualifizierter, aber rechtsgeschäftlicher Anspruch ................................................................247 §7

Der Tatbestand des § 1a KSchG..........................................................................248 A. Anwendbarkeit des KSchG in sachlicher und persönlicher Hinsicht .............248 B. Ausspruch einer Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse, § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG i.V.m. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ..........250 I.

Ordentliche Beendigungskündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse......................................................................250

II. Außerordentliche Beendigungskündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse......................................................................254 1. Der Anwendungsbereich der außerordentlichen Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse mit sozialer Auslauffrist ........................................................................................254

Inhaltsverzeichnis

17

2. Analoge Anwendung des § 1a KSchG...............................................256 III. Abfindungsanspruch bei Ausspruch einer Änderungskündigung?..........258 1. Ordentliche Änderungskündigung .....................................................258 a) Die Besonderheiten der Änderungskündigung gegenüber einer Beendigungskündigung........................................................258 b) Anwendbarkeit des § 1a KSchG bei der ordentlichen Änderungskündigung....................................................................260 2. Außerordentliche Änderungskündigung ............................................263 C. Der Vertragsschluss – Zustandekommen der Abfindungsvereinbarung.........264 I.

Das Angebot des Arbeitgebers – Hinweis, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann, § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG..........................................264 1. Formelle Voraussetzungen des Angebots, § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG .....................................................................265 a) Kündigung und Abfindungsangebot als einheitlicher Tatbestand.....................................................................................265 b) Schriftform, § 623 BGB................................................................266 c) Hinweis des Arbeitgebers auf dringende betriebliche Erfordernisse.................................................................................268 2. Zugang des Angebots.........................................................................269

II. Die von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG gesetzlich fingierte Annahmeerklärung des Arbeitnehmers – Verstreichenlassen der Frist des § 4 S. 1 KSchG .......................................................................................272 1. Beginn der Klagefrist.........................................................................273 a) Zugangsvereitelung und Zugangsverhinderung ............................273 b) Nichtlauf der Klagefrist, § 4 S. 4 KSchG......................................275 2. Eintritt der Annahmefiktion...............................................................278 a) Ausdrückliche Annahme vor Fristablauf ......................................278 b) Ausdrückliche Ablehnung vor Fristablauf ....................................279 c) Eintritt der Annahmefiktion trotz Klageerhebung bei anschließender Klagerücknahme?.................................................280

Inhaltsverzeichnis

18

d) Abfindung trotz Klageerhebung über den Umweg eines auf die Verletzung von Auskunftspflichten gestützten Schadensersatzanspruchs ..............................................................283 D. Die Höhe der Abfindung, § 1a Abs. 2 KSchG ...............................................285 I.

Die Berechnung der Abfindung ..............................................................285 1. Bestand des Arbeitsverhältnisses .......................................................285 a) Der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses...........................286 b) Der ununterbrochene Bestand des Arbeitsverhältnisses................287 c) Auf- und Abrundung von Beschäftigungszeiten, § 1a Abs. 2 S. 3 KSchG ................................................................290 2. Höhe des Monatsverdienstes..............................................................291

II. Die von § 1a Abs. 2 KSchG abweichende Abfindung ............................294 1. Abweichung nach unten.....................................................................294 a) Bewusstes Unterschreiten der Vorgaben des § 1a Abs. 2 KSchG .......................................................................294 b) Unbewusstes Unterschreiten der Vorgaben des § 1a Abs. 2 KSchG .......................................................................295 2. Abweichung nach oben......................................................................296 E. Rechtliche Schritte des Arbeitnehmers gegen die Kündigung nach Eintritt der Annahmefiktion des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG – Auswirkungen auf den Abfindungsanspruch..................................................298 I.

Abfindungsanspruch trotz nachträglicher Klagezulassung nach § 5 KSchG?.............................................................................................298 1. Voraussetzungen eines erfolgreichen Antrags nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG im Lichte des § 1a KSchG – Fallgruppen der unverschuldeten Fristversäumnis.............................298 2. Auswirkungen des Zulassungsantrags auf die Abfindungsvereinbarung ......................................................................................302 a) Lösungswege ................................................................................303 b) Ergänzende Vertragsauslegung der Abfindungsvereinbarung ......304 c) Rückabwicklung der Abfindungsvereinbarung.............................309

II. Abfindungsanspruch und verlängerte Anrufungsfrist gemäß § 6 S. 1 KSchG .......................................................................................309

Inhaltsverzeichnis

19

1. § 6 S. 1 KSchG – eine Norm ohne Anwendungsbereich?..................310 2. Auswirkungen des § 6 S. 1 KSchG auf die Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG .........................................................312 III. Wiedereinstellungsanspruch und Abfindungsvereinbarung....................314 F. Stellvertretung und Willensmängel bei Vertragsschluss ................................320 I.

Der Hinweis des Arbeitgebers ................................................................320 1. Stellvertretung ...................................................................................320 a) Abfindungsangebot und Unwirksamkeit der Kündigung nach § 174 S. 1 BGB ....................................................................320 b) Abfindungsangebot und Unwirksamkeit der Kündigung nach § 180 S. 1 BGB ....................................................................324 2. Anfechtung ........................................................................................326 a) Erster Bezugspunkt der Anfechtung: der Kündigungsgrund.........326 b) Zweiter Bezugspunkt der Anfechtung: die Abfindungshöhe ........329

II. Die fingierte Annahmeerklärung des Arbeitnehmers..............................330 1. Anfechtung ........................................................................................330 a) Die gesetzlich fingierte Annahmeerklärung als tauglicher Anfechtungsgegenstand? ..............................................................331 b) Anfechtung wegen fehlenden Erklärungsbewusstseins analog § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB? .................................................332 c) Rechtsfolgenirrtum, § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB ..............................333 d) Arglistige Täuschung, § 123 Abs. 1 BGB.....................................333 e) Rechtsfolge einer erfolgreichen Anfechtung.................................336 2. Stellvertretung, § 180 S. 3 BGB ........................................................336 §8

Rechtsfolge: Anspruch auf Zahlung einer Abfindung.........................................337 A. Entstehen und Fälligkeit des Abfindungsanspruchs .......................................337 I.

§ 1a Abs. 1 S. 1 KSchG als Fälligkeitsregelung .....................................337

II. Außerordentliche Kündigung und andere Beendigungstatbestände vor und nach Ablauf der Klagefrist.........................................................339 B. Anwendbarkeit tariflicher und einzelvertraglich vereinbarter Ausschlussfristen auf den Abfindungsanspruch.............................................343 C. Pfändung, Aufrechnung, Abtretung ...............................................................345

Inhaltsverzeichnis

20

D. Verzug und Rücktritt wegen Nichtleistung ....................................................346 E. Widerruf gemäß § 312 Abs. 1 S. 1 BGB? ......................................................347 F. Insolvenz des Arbeitgebers ............................................................................349 G. Verhältnis zu Abfindungsansprüchen aus Sozialplänen, § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG, und Ansprüchen auf Nachteilsausgleich, § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG............................................................................350 I.

Wechselseitige Anrechung bei Aufeinandertreffen mehrerer Abfindungsansprüche?............................................................................350 1. Der Zweck der jeweiligen Abfindungsansprüche ..............................351 a) Sozialplanabfindungen..................................................................351 b) Nachteilsausgleich ........................................................................353 c) Abfindung nach § 1a KSchG ........................................................353 2. Ausschluss der Anrechnung...............................................................354

II. Erweiterung der Regelungsbefugnis der Betriebspartner bei der Aufstellung eines Sozialplans wegen § 1a KSchG?................................356 H. Auswirkungen des § 1a KSchG auf das Arbeitsförderungsrecht nach dem SGB III ...................................................................................................360 I.

Beitragspflicht ........................................................................................361

II. Abfindungsanspruch und Sperrzeit, § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III ..............................................................361 1. Der Lösungstatbestand in der Rechtsprechung des BSG zum Abwicklungsvertrag...........................................................................363 2. Abfindungsvereinbarung gemäß § 1a KSchG und Lösungstatbestand..............................................................................367 III. Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, § 143a Abs. 1 S. 2 SGB III .....................................................................370 IV. Erstattungspflicht des Arbeitgebers, § 147a Abs. 1 Satz 1 SGB III ........371 I. Steuerrechtliche Behandlung des Abfindungsanspruchs aus § 1a KSchG ....................................................................................................371 §9

Die Stellung des § 1a KSchG im System des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes.................................................................................................374 A. Ablösung oder Ergänzung des Bestandsschutzprinzips?................................374 B. § 1a KSchG im System rechtsgeschäftlicher Abfindungsansprüche ..............375

Inhaltsverzeichnis I.

21

Abfindungsvereinbarungen unter Nichtbeachtung der Voraussetzungen des § 1a KSchG ..........................................................376

II. Vorteile des von § 1a KSchG bereitgestellten Verfahrens ......................378 C. Reaktionen auf § 1a KSchG – Ausblick auf den weiteren Gang der Reformdebatte ................................................................................................380 3. Teil Abfindungsansprüche zur Ergänzung oder Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes im Lichte der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes

382

§ 10 Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers und Mehrdimensionalität der Grundrechte.................................................................384 A. Die Intensität der Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers ............384 B. Grundrechtsschutz gegen zwingende Rechtsnormen des Privatrechts mit gemeinschaftsrechtlichem Hintergrund....................................................388 I.

Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte des GG bei der Umsetzung von Richtlinien.....................................................................390

II. Spielräume des Gesetzgebers bei der Umsetzung von arbeitsrechtlichen Richtlinien .................................................................392 1. Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG ..............................................393 2. Europäische Betriebsräterichtlinie 94/45/EG, SERichtlinie 2001/86/EG, SCE-Richtlinie 2003/72/EG, Verschmelzungs-Richtlinie 2005/56/EG, KonsultationsRahmenrichtlinie 2002/14/EG ...........................................................394 3. Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG ...........................................396 4. Gleichbehandlungsrichtlinien 76/207/EWG bzw. 2006/54/EG, 2000/43/EG und 2000/78/EG ............................................................396 5. Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG....................................................397 6. Elternurlaubsrichtlinie 96/34/EG .......................................................398 7. Umsetzungsspielräume hinsichtlich der Sanktion von Richtlinienverstößen ..........................................................................398 § 11 Die Multifunktionalität der Grundrechte – Einschlägige Grundrechtsfunktionen........................................................................................400 A. Grundrechtliche Schutzpflichten im Privatrecht.............................................400

Inhaltsverzeichnis

22 I.

Begriffsbestimmung ...............................................................................400

II. Entwicklung grundrechtlicher Schutzpflichten im Spiegel der Rechtsprechung des BVerfG...................................................................401 III. Die Schutzpflichtdimension im System der Grundrechtsdogmatik – Begründungsansätze und Argumentationsstrukturen ...........................402 IV. Struktur grundrechtlicher Schutzpflichten – Tatbestand und Rechtsfolge .............................................................................................406 1. Ermittlung des einschlägigen Grundrechtsguts..................................407 2. Drohende Beeinträchtigung durch privates Handeln .........................407 3. Umfang und Ausmaß der Schutzpflicht.............................................408 a) Der Schutzauftrag als Konfliktschlichtungsauftrag an den Gesetzgeber ..................................................................................408 b) Umfang des Schutzauftrags ..........................................................410 aa) Prüfungsmaßstäbe des BVerfG...............................................410 bb) Kontrolle am Maßstab des Untermaßverbots..........................413 cc) Die Einbindung kollidierender Grundrechtsgüter in das Prüfungsprogramm .................................................................415 (1) Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zwischen Unter- und Übermaßverbot?.............................................415 (2) Multipolare Grundrechtskollisionen.................................417 c) Das Prüfungsprogramm des Untermaßverbots .............................418 B. Soziale Leistungsansprüche und Grundrechte................................................420 I.

Soziale Gestaltung durch den Gesetzgeber aufgrund sozialer Grundrechtsgehalte .................................................................................421

II. Sozialstaatsprinzip ..................................................................................423 C. Grundrechtliche Abwehrrechte im Kontext gesetzlicher Regelungen des Privatrechts ..............................................................................................424 I.

Schutzbereich des betroffenen Grundrechts............................................425

II. Hoheitlicher Eingriff in den Schutzbereich.............................................425 III. Rechtfertigung des Eingriffs ...................................................................429 D. Grundrechtliche Abwehrrechte gegen privatrechtliche Gesetze und deren Verhältnis zu den Schutzpflichten ........................................................431

Inhaltsverzeichnis

23

§ 12 Kündigungsschutz unter dem Einfluss grundrechtlicher Schutzpflichten und Abwehrrechte ...............................................................................................433 A. Allgemeiner Kündigungsschutz .....................................................................434 I.

Grundrechtspositionen des von einer Kündigung betroffenen Arbeitnehmers ........................................................................................434 1. Arbeitsplatzwahlfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG .....................................434 a) Das aus der Schutzpflichtendimension des Art. 12 Abs. 1 GG abgeleitete Gebot eines Mindestmaßes arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes ........................................434 b) Kritik.............................................................................................436 c) Ergebnis........................................................................................438 2. Eigentum am Arbeitsplatz, Art. 14 Abs. 1 GG ..................................439

II. Kollidierende Grundrechtspositionen des Arbeitgebers..........................440 1. Kündigungsfreiheit als Ausdruck der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Unternehmerfreiheit .......................................................440 2. Kündigungsfreiheit unter dem Schutz der Eigentumsfreiheit, Art. 14 Abs. 1 GG? ............................................................................441 III. Kündigungsschutz als Marktzutrittsschranke – Art. 12 Abs. 1 GG und der Schutz der Outsider....................................................................442 1. Eingriff in die Arbeitsplatzwahlfreiheit aufgrund der Besetzung von Arbeitsplätzen mit kündigungsgeschützten Arbeitnehmern........443 2. Einschränkung der Arbeitsplatzwahlfreiheit aufgrund einer generell einstellungshemmenden Wirkung des Kündigungsschutzes ..........................................................................444 a) Auswirkung von Einstellungshemmnissen auf das Schutzgut der Arbeitsplatzwahlfreiheit..........................................................445 b) Abwehrrecht des Arbeitsuchenden oder Schutzpflicht?................446 c) Eingriffsqualität des Kündigungsschutzes im Hinblick auf die Marktzutrittschancen Arbeitsuchender....................................447 IV. Zusammenfassung ..................................................................................448 B. Sonderkündigungsschutz................................................................................449 I.

Kündigungsschutz während der Schwangerschaft und nach der Entbindung, Art. 6 Abs. 4 GG ................................................................449 1. Schutz von Schwangeren und Müttern durch Art. 6 Abs. 4 GG ........449

Inhaltsverzeichnis

24

2. Kollidierende Interessen arbeitsuchender Frauen – das aus Art. 3 Abs. 2 GG folgende Gleichberechtigungsgebot.......................451 II. Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG..............................................................................454 1. Gleichstellungsgebot zugunsten behinderter Arbeitnehmer...............454 2. Kollidierende Interessen arbeitsuchender Schwerbehinderter – das aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG folgende Gleichberechtigungsgebot ..................................................................................................458 III. Kündigungsschutz betriebsverfassungsrechtlicher Mandatsträger..........459 1. Grundrechtliche Fundierung der Betriebsverfassung? .......................460 2. Betriebsverfassung als Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips ......462 3. Folgerungen für den Kündigungsschutz betriebsverfassungsrechtlicher Funktionsträger ................................................................463 IV. Zusammenfassung ..................................................................................464 C. Grundrechtsträger...........................................................................................464 § 13 Kontrolle der Regelungsvorschläge zwischen Untermaß- und Übermaßverbot....................................................................................................465 A. Gang der Untersuchung..................................................................................465 B. Grundrechtskontrolle einzelner kündigungsschutzrechtlicher Elemente in Beziehung zum Gesamtkonzept des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes.......................................................................................466 C. Abfindung anstelle Bestandsschutz................................................................467 I.

Das zugunsten des Arbeitnehmers eingreifende Untermaßverbot...........467 1. Grundrechtliche Interessen des Arbeitnehmers – Art. 12 Abs. 1 GG und das Recht auf Bestandsschutz .......................467 a) Die Auffassung des BVerfG .........................................................468 b) Die in der Literatur vertretenen Positionen ...................................469 c) Grundrechtliche Bewertung ..........................................................471 aa) Eignung eines Abfindungsschutzes im Hinblick auf die Anforderungen des Untermaßverbotes ...................................471 bb) Die in die Abwägung einzubeziehenden grundrechtlichen Interessen des Arbeitnehmers .....................472 2. Kollidierende grundrechtliche Rechtspositionen ...............................475

Inhaltsverzeichnis

25

a) Zur Bedeutung des vom BVerfG entwickelten StufenDogmas.........................................................................................475 b) Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers............................................479 c) Zugangsinteressen Arbeitsuchender..............................................479 3. Verbleib einer dem Arbeitnehmer zumutbaren Schutzlücke – Angemessener Ausgleich der gegenläufigen Grundrechtspositionen .......................................................................480 a) Einfluss der kollidierenden Grundrechtspositionen auf die durch das Untermaßverbot gezogene Grenze................................481 b) Das Ausmaß der durch einen Systemwechsel auftretenden Schutzlücke...................................................................................483 c) Höhe der Abfindung .....................................................................485 d) Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei verhaltens- und personenbedingten Kündigungen?................................................488 e) Abweichende Behandlung der außerordentlichen Kündigung......489 II. Verletzung des Übermaßverbots.............................................................493 1. Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers.................................................493 2. Besondere Berücksichtigung der Situation des Kleinunternehmer-Arbeitgebers .........................................................................495 3. Zugangsinteressen Arbeitsuchender...................................................497 III. Ergebnis..................................................................................................498 D. Abfindung oder Bestandsschutz.....................................................................499 E. Abfindung bei betriebsbedingter Kündigung .................................................500 I.

Verletzung des Untermaßverbots............................................................500

II. Verletzung des Untermaßverbots bei gleichzeitiger Absenkung der bei einer rechtswidrigen Kündigung zu zahlenden Abfindung ...............501 III. Verletzung des Übermaßverbots der gegenläufigen Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers..............................................503 IV. Ergebnis..................................................................................................506 F. Abfindung anstelle Sozialauswahl .................................................................507 I.

Verstoß gegen das Untermaßverbot........................................................507

Inhaltsverzeichnis

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1. Die Sozialauswahl als grundrechtlich garantierter Kernbestandteil des Kündigungsschutzes bei betriebsbedingten Kündigungen .....................................................................................508 a) Rechtsgrundlage des Gebots einer Auswahl nach sozialen Kriterien........................................................................................508 b) Konkretisierung und inhaltliche Ausformung des Gebots zur Sozialauswahl in Rechtsprechung und Literatur ...........................510 c) Würdigung ....................................................................................512 2. Umwandlung der Sozialauswahl in einen nach sozialen Kriterien bemessenen Abfindungsanspruch.......................................515 II. Verstoß gegen das Übermaßverbot .........................................................518 III. Ergebnis..................................................................................................519 G. Abfindung anstelle Kündigungsschutz...........................................................519 I.

Der zwingende Charakter des Kündigungsschutzes nach geltendem Recht .....................................................................................519

II. Gesetzlicher Ausschluss der gerichtlichen Kontrolle..............................520 1. Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers, Art. 12 Abs. 1 GG.......521 2. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Justizgewährungsanspruch.................................................................522 a) Grundlagen ...................................................................................522 b) Auswirkungen auf den Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Zahlung einer Abfindung ...................................................525 3. Ergebnis.............................................................................................526 III. Vertraglich vereinbarter Verzicht auf Kündigungsschutz.......................526 1. Verzicht auf den grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutz .................................................................527 a) Die Rechtsprechung des BAG zum Vorausverzicht auf die Befristungskontrollklage...............................................................528 b) Verzicht auf Grundrechtsschutz – die Grenzen der individuellen Verfügung über Grundrechtspositionen ..................528 2. Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage – Verzicht auf den Justizgewähranspruch? ...........................................534 3. Anforderungen an die Verzichtserklärung – von der Freiwilligkeit zum Erfordernis der materiellen Vertragsparität .........535

Inhaltsverzeichnis

27

4. Vertraglicher Vorausverzicht bei Abschluss des Arbeitsvertrages ............................................................................................537 5. Vertraglicher Verzicht während des Laufs des Arbeitsverhältnisses.......................................................................................543 6. Exkurs: § 1a KSchG ..........................................................................544 7. Ergebnis.............................................................................................545 H. Zusammenfassung..........................................................................................545 I. Abfindung und Sonderkündigungsschutz.......................................................546 I.

Schwangere und Mütter, Art. 6 Abs. 4 GG.............................................546

II. Schwerbehinderte Arbeitnehmer, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ........................548 III. Betriebsverfassungsrechtliche Funktionsträger.......................................550 IV. Zusammenfassung ..................................................................................551 4. Teil Abfindungen und Kündigungsschutz unter dem Einfluss supra- und internationalen Rechts

552

§ 14 Abfindungsansprüche im Kündigungsschutz unter dem Einfluss des Gemeinschafts- und Unionsrechts.......................................................................552 A. Der Einfluss des sekundären Gemeinschaftsrechts auf den Kündigungsschutz ..........................................................................................552 I.

Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zur Sanktion von Richtlinienverstößen ...............................................................................554 1. Abfindung anstelle Bestandsschutz ...................................................555 a) Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 2000/78/EG ......................555 b) Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG...............................................558 c) Konsultations-Rahmenrichtlinie 2002/14/EG ...............................559 d) Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG .........................................561 2. Verzicht auf Kündigungsschutz .........................................................563 a) Privatautonomer Verzicht bei Abschluss des Arbeitsverhältnisses ......................................................................564 b) Privatautonomer Verzicht während des bestehenden Arbeitsverhältnisses ......................................................................564

Inhaltsverzeichnis

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II. Rechtsschutz ...........................................................................................566 III. Ergebnis..................................................................................................566 B. Grundrechtsordnung der Europäischen Union ...............................................567 I.

Gemeinschaftsgrundrechte de lege lata...................................................567 1. Fundament der Gemeinschaftsgrundrechte........................................567 2. Schutzpflichtdimension der Gemeinschaftsgrundrechte ....................570 3. Bindung des nationalen Gesetzgebers an Gemeinschaftsgrundrechte im Rahmen des Kündigungsschutzes ......................................572 4. Ergebnis.............................................................................................575

II. Gemeinschaftsgrundrechte de lege ferenda – Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung durch Art. II-90 EU-Verf. .......................575 1. Gewährleistungsumfang ....................................................................576 2. Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte de lege ferenda...................................................................................578 § 15 Internationalrechtliche Vorgaben für den nationalen Kündigungsschutz ............580 A. Konvention zum Schutze der Menschenrecht und Grundfreiheiten (EMRK) .........................................................................................................580 B. Revidierte Europäische Sozialcharta (ESC) ...................................................580 C. Das Recht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)..............................581 I.

Allgemeiner Kündigungsschutz..............................................................581

II. Sonderkündigungsschutz ........................................................................582 D. Ergebnis .........................................................................................................584 5. Teil Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Arbeit

585

Literaturverzeichnis ...................................................................................................596 Sachregister.................................................................................................................649

Abkürzungsverzeichnis

AK ArbVG BBA

BKG

BMVG BR BW Cass. Ass. plén. Cass. Soc. CC CC CT CT DIHK DK Dl. DRdA Dr. soc. EA 2002 ECB

ȺıIJȚțȠȢ ȀȦįıƸĮȢ (Astikos Kodikas/Zivilgesetzbuch, Griechenland) Arbeitsverfassungsgesetz (Österreich) Buitengewoon Besluit Arbeidsverhoudingen (Außerordentliche Verordnung zur Regulierung der Arbeitsbeziehungen, Niederlande) Gesetz vom 13.03.2003 über die besonderen Grundzüge der betriebsbedingten Auflösung von Arbeitsverhältnisses und über die Änderung einiger Gesetzes (Ustawa z dnia 13 marca 2003 r. o szczególnych zasadach rozwiązywania z pracownikami stosunków pracy z przyczyn nie dotyczących pracowników, Polen) Betriebliches Mitarbeitervorsorgegesetz (Österreich) Lietuvos Respublikos Bedarbiǐ Rơmimo (Gesetz zur Unterstützung der Arbeitslosen, Litauen) Nieuwe Burgerlijk Wetboek (Bürgerliches Gesetzbuch, Niederlande) Cour de Cassation, Assemblée plénière (Plenarversammlung des Kassationsgerichtshofs, Frankreich) Cour de Cassation, Chambre Sociale (Sozialkammer des Kassationsgerichtshofs, Frankreich) Codice Civile (Zivilgesetzbuch, Italien) Convention Collective (Kollektivvereinbarung, Belgien) Código do Trabalho (Arbeitsgesetzbuch, Portugal) Code du Travail (Arbeitsgesetzbuch, Frankreich) Deutscher Industrie- und Handelskammertag Lietuvos Respublikos darbo kodeksas (Litauen) Darba likums (Arbeitsgesetz, Lettland) Das Recht der Arbeit (Zeitschrift, Österreich) Droit social (Zeitschrift, Frankreich) Employment Act 2002 (Gesetz über die Beschäftigung, Großbritannien) European Central Bank (Europäische Zentralbank)

30 EIRA

ERA 1996 ERA 1999 E.T. EU-Verf. Fl. IAB ICR ifo IJCLLIR IRLB IZA JBl. KP L LAS LCT LCT LDFE LEC LFE LLD LMFE

Abkürzungsverzeichnis Employment and Industrial Relations Act (Gesetz zur Regelung der Beschäftigung und der Arbeitsbeziehungen, Malta) Employment Rights Act 1996 (Gesetz über die Rechte der Arbeitnehmer, Großbritannien) Employment Relations Act 1999 (Gesetz über Beschäftigungsbeziehungen, Großbritannien) Estatuto de los Trabajadores (Arbeitnehmerstatut, Spanien) Vertrag über eine Verfassung für Europa Funktionærlov (Angestelltengesetz, Dänemark) Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Industrial Cases Report (Entscheidungssammlung, Großbritannien) ifo Institut für Wirtschaftsforschung International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations (Zeitschrift) Industrial Relations Law Bulletin (Zeitschrift, Großbritannien) Institut zur Zukunft der Arbeit Juristische Blätter (Zeitschrift, Österreich) Kodeks Pracy (Arbeitsgesetzbuch, Polen) Legge (Gesetz, Italien) Lagen om anställningsskydd (Arbeitsschutzgesetz, Schweden) Loi relative aux contrats de travail (Arbeitsvertragsgesetz, Belgien) Loi modifiée du 24 mai 1989 sur le contrat de travail (Arbeitsvertragsgesetz, Luxemburg) Loi portant des dispositions en faveur de l’emploi (Gesetz zur Förderung der Beschäftigung, Belgien) Loi pour l’égalité des chances (Gesetz zur Verwirklichung der Chancengleichheit, Frankreich) Loi relative aux fermetures d’entreprises (Gesetz betreffend Unternehmensstilllegungen, Belgien) Loi tendant à lutter contre la discrimination (Gesetz zur Bekämpfung der Diskriminierung, Belgien) Loi modifiée du 23 juillet 1993 portant diverses mesures en faveur de l’emploi (Gesetz betreffend verschiedene Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung, Luxemburg)

Abkürzungsverzeichnis LPT

Lyy MBL MIT Mt. OECD OGH PLN RPA 1967 SC Sem.Jur. SI TA TS TULR(C)A 1992

UDA 1977 UDA 1993 ZAR ZDR ZP

31

Loi du 1er août 2001 concernant la protection des travailleuses enceintes, accouchées et allaitantes (Gesetz zum Schutz schwangerer, im Mutterschutz befindlicher und stillender Arbeitnehmerinnen, Luxemburg) Laki yhteistoiminnasta yrityksissä (Gesetz über die Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens, Finnland) Medbestämmandelagen (Mitbestimmungsgesetz, Schweden) Massachusetts Institute of Technology Munka törvénykönyve (Arbeitsgesetzbuch, Ungarn) Organisation for Economic Co-operation and Development Oberster Gerichtshof (Österreich) polnische Złoty Redundancy Payments Act 1967 (Gesetz über Abfindungszahlungen bei Entfall des Arbeitsplatzes, Irland) Session Cases (Entscheidungssammlung, Großbritannien) La Semaine juridique (Zeitschrift, Frankreich) Statutory Instrument (Rechtsverordnung, Großbritannien) Työsopimuslaki Arbetsavtalslag (Arbeitsgesetzbuch, Finnland) Eesti Vabariigi Töölepingu seadus (Arbeitsvertragsgesetz, Estland) Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 (Gesetz über die Gewerkschaften und zur Regelung der Arbeitsbeziehungen, Großbritannien) Unfair Dismissals Act 1977 (Gesetz zum Schutz vor ungerechtfertigten Kündigungen, Irland) Unfair Dismissals Act 1993 (Gesetz zum Schutz vor ungerechtfertigten Kündigungen, Irland) Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung Zakon o delovnih rzmerjih (Gesetz über Arbeitsverhältnisse, Slowenien) Zákoník práce (Arbeitsgesetzbuch, Slowakei)

§ 1 Einleitung In Zeiten anhaltender Massenarbeitslosigkeit hat die Kritik an dem seit mehr als 50 Jahre geltenden Kündigungsschutzgesetz Hochkonjunktur: Der gesetzliche Kündigungsschutz sei „für die Unternehmen ebenso schädlich wie für die Arbeitsplätze“1 und erweise sich für kleinere und mittlere Unternehmen geradezu als „Schreckgespenst“2. Es entspreche der einhelligen Meinung in der Literatur, dass der in Deutschland bestehende weit reichende Kündigungsschutz ein Beschäftigungshemmnis darstellt.3 Allenfalls umfassende und tief greifende Reformen des Kündigungsschutzrechts könnten diese Misere beheben und zu einer Belebung des Arbeitsmarktes führen.4 Doch nicht nur die Schutzintensität, bereits das Schutzkonzept des KSchG sieht sich massiver Kritik ausgesetzt. Stellt ein Arbeitsgericht im Rahmen einer nach Maßgabe des § 4 S. 1 KSchG erhobenen Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers das Fehlen der sozialen Rechtfertigung der Kündigung fest, so ist diese unwirksam, § 1 Abs. 1 KSchG. Das KSchG schützt so unmittelbar den Bestand des Arbeitsverhältnisses, der Arbeitgeber ist verpflichtet, die arbeitsvertraglichen Beziehungen mit dem Arbeitnehmer fortzusetzen und schuldet gemäß § 615 S. 1 BGB Ersatz für den bis zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entstandenen Vergütungsausfall. Der Druck dieses im Hinblick auf die Prozessdauer und den Prozessausgang kaum kalkulierbaren Kostenrisikos fördere aber die arbeitgeberseitige Bereitschaft, die arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung über die Wirksamkeit der Kündigung frühzeitig durch einen Abfindungsvergleich zu beenden.5 Auch dem Arbeitnehmer sei regelmäßig nicht an einer Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses, sondern einer Abfindungszahlung gelegen.6 Gleichwohl zwinge ihn das geltende Recht zur Unehrlichkeit: Dieser müsse zunächst vor dem Arbeitsgericht auf seine Weiterbeschäftigung klagen, dann aber hoffen, dass ihm der Arbeitgeber eine Abfindung anbietet, um diese Rechtsfolge, wie beabsichtigt, zu vermeiden.7 Das rigi___________ 1

Schiefer, NZA 2002, 770. J.-H. Bauer, NZA 2002, 529. 3 So die Einschätzung Buschs, BB 2003, 470, 471. 4 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 531; Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 66; Heinze, in: 63. DJT, Bd. II/2, S. L 33, L 40; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 220. 5 Boecken/Topf, RdA 2004, 19, 20. 6 Neef, NZA 2000, 7, 9; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2280. 7 Pfarr/Ullmann, WSI-Mit. 2003, 207, 212; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2280. 2

34

§ 1 Einleitung

de Bestandsschutzregime des KSchG erweise sich so als ineffektiv und nicht interessengerecht. Der „Königsweg“ zur Beseitigung dieser Probleme führt dabei nach überwiegender Auffassung über gesetzliche Abfindungsansprüche, die vor allem bei betriebsbedingten Kündigungen entweder den auf Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses gerichteten Kündigungsschutz des KSchG ergänzen oder gleich ganz ersetzen sollen.8 Dabei ist der Blick nach vorn zugleich auch ein Blick zurück. Sowohl das BRG 1920 als auch das AOG von 1934 kannten keinen Zwang des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis mit dem gekündigten Arbeitnehmer nach einer Verurteilung aufgrund einer Einspruchs- oder Widerrufsklage fortzusetzen.9 § 87 Abs. 1 S. 1 BRG 1920 sowie § 57 Abs. 1 AOG räumten diesem ein Wahlrecht zwischen der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers und einer Entschädigungszahlung ein. Angesichts der für den Arbeitnehmer nicht durchsetzbaren Weiterbeschäftigung führte eine Verurteilung des Arbeitgebers regelmäßig nur zu einem Entschädigungsanspruch.10 Ziel dieser Arbeit ist es, Wege für eine Ergänzung oder Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes durch Abfindungsansprüche aufzuzeigen. Angesichts der Fülle der von der Literatur unterbreiteten unterschiedlichen Reformvorschläge steht dabei aber nicht deren rechtspolitische Würdigung oder die Entwicklung eines eigenständigen Reformkonzeptes im Vordergrund, sondern die möglichst konkrete Bestimmung des verfassungs- und europarechtlichen Rahmens für eine Ergänzung oder Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes durch Abfindungsansprüche. Der mit Wirkung zum 01.01.2004 als erste Reaktion auf die anhaltende Kritik des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes neu in das KSchG eingefügte § 1a KSchG bietet darüber hinaus die Gelegenheit, sowohl dessen Ausgestaltung und Wechselwirkungen im System des geltenden Kündigungsschutzes als auch die Auswirkungen dieses Abfindungsanspruchs auf das Prinzip des Bestandsschutzes näher zu beleuchten. Damit ist der Gang der in vier Teile gegliederten Arbeit vorgezeichnet: Während Teil 1 die Debatte um die Reform des Kündigungsschutzes aufgreift, die wesentlichen Alternativmodelle vorstellt und Teil 2 eine eingehende Untersuchung des § 1a KSchG anschließt, lotet Teil 3 die verfassungsrechtlichen Grenzen einer verstärkt an Abfindungsansprüchen orientierten Neukonzeption des gesetzlichen Kündigungsschutzes aus. Teil 4 schließlich erstreckt diese Prüfung auf das auch das Kündigungsschutzrecht zunehmend beeinflussende Europarecht sowie die einschlägigen internationalrechtlichen Verpflichtungen. ___________ 8

Vgl. dazu im Einzelnen unten unter § 4, S. 97 ff. So zu § 57 AOG Hueck/Nipperdey/Dietz, AOG, § 57 Rdnr. 4. 10 So zu § 87 BRG 1920 Flatow/Kahn-Freund, BRG, § 87 Rdnr. 4. 9

§ 1 Einleitung

35

Den Ausgangspunkt des ersten Teils der nachfolgenden Untersuchung markiert in § 2 eine überblicksartige Darstellung des abgesehen von § 1a KSchG bestehenden Systems von Abfindungsansprüchen, welche unmittelbar an die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses anknüpfen. Anders als die Gesetzesmaterialien dies vermuten lassen, hat sich der Gesetzgeber mit der Einführung des § 1a KSchG nämlich keinesfalls auf unbekanntes Terrain gewagt. Zahlreiche kollektiv- und individualrechtlichen Regelungen und Vereinbarungen verpflichten den Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung, kündigt dieser einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen: angefangen von den Sozialplanabfindungen nach Maßgabe der §§ 112, 112a BetrVG bis hin zu den einvernehmlich in einem Abwicklungsvertrag oder gerichtlichen Vergleich begründeten Abfindungsansprüchen. Nicht zuletzt zählen auch die §§ 9, 10 und 14 Abs. 2 S. 2 KSchG dazu, welche unter ausnahmsweiser Abkehr vom Prinzip des Bestandsschutzes eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung ermöglichen. Nach der Konzeption des Gesetzes bilden Abfindungsansprüche bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses jedoch die Ausnahme, was die Kündigungspraxis nicht nur verbreitet auf rechtsgeschäftliche Abfindungsvereinbarungen zurückgreifen lässt, sondern der vehementen Kritik am Bestandsschutzprinzip des KSchG eine breite Angriffsfläche bietet. § 3 bildet diese Kritik ab und bezieht dabei auch die angenommenen arbeitsmarktpolitischen Auswirkungen des Kündigungsschutzes aus rechts- wie auch wirtschaftswissenschaftlicher Sicht ein. Die Auseinandersetzung damit erfolgt unter Auswertung der von der Rechtstatsachenforschung gewonnenen empirischen Erkenntnisse sowohl zur Kündigungspraxis als auch der beschäftigungspolitischen Dimension des Kündigungsschutzes. Zwei aktuelle Forschungsprojekte widmen sich der Praxis des Kündigungsrechts: Die REGAMUntersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung sowie das maßgeblich von Höland verantwortete Projekt „Kündigungspraxis und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis“, dessen Forschungsdesign an die bislang umfangreichste repräsentative Untersuchung aus den Jahren 1978 bis 1981, „Kündigungspraxis und Kündigungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland“ des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg, anknüpft. Beide gelangen zu teils überraschenden Erkenntnissen, lassen aber auch das ganze Ausmaß der Verdrängung des Bestandsschutzprinzips durch gerichtliche Abfindungsvergleiche klar vor Augen treten. Die gefundenen Ergebnisse legen eine Neukonzeption des gesetzlichen Kündigungsschutzes mittels einer Ablösung oder zumindest Ergänzung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes durch Abfindungsansprüche nahe. Die rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Literatur hat dazu ebenso wie der parlamentarische Gesetzgeber in der Vergangenheit eine Vielzahl von Reformvorschlägen entwickelt, welche § 4 systematisiert und im Einzelnen vorstellt. § 5 schließlich rundet den ersten Teil der Arbeit mit einer rechtsver-

§ 1 Einleitung

36

gleichenden Untersuchung des gesetzlichen Kündigungsschutzes der EU-Mitgliedstaaten ab. Diese Rechtsordnungen erlangen nicht nur aufgrund des fortschreitenden Prozesses der europäischen Integration und Rechtsangleichung Bedeutung, sondern können auch wertvolle Hinweise für eine Änderung des deutschen Kündigungsschutzrechts liefern. Die zwischen Januar und April 2006 in Frankreich andauernden heftigen Proteste gegen eine von Premierminister de Villepin initiierte weit reichende Lockerung des Kündigungsschutzes für Berufseinsteiger zeigen, dass auch andere Länder die in Deutschland anhaltende Reformdebatte führen. Frankreich hat dabei mit den Regelungen des „Neu-“ ebenso wie mit dem kurze Zeit nach Inkrafttreten wieder zurückgenommenen „Ersteinstellungsvertrag“, die den Arbeitgebern einen zeitlich begrenzten Ausschluss des gesetzlichen Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung ermöglichen, einen radikalen Lösungsansatz gewählt, der auch im europaweiten Vergleich ohne Beispiel ist. Die rechtsvergleichende Untersuchung dieser Arbeit konzentriert sich auf die Rechtsfolgen von Kündigung und Kündigungsschutz. Sie geht dabei bereits der Frage nach, ob und in welchem Umfang Arbeitnehmer in den anderen EU-Mitgliedstaaten Anspruch auf eine Abfindung haben, die unabhängig von der Frage deren Rechtmäßigkeit allein an den Tatbestand des Ausspruchs der Kündigung anknüpft. Daran schließt sich eine Analyse des dem jeweiligen Kündigungsrecht zugrunde liegenden Schutzkonzepts zwischen den beiden gegenläufigen Polen Abfindungs- und Bestandsschutz an. Teil 2 der Arbeit kehrt dann zum deutschen Kündigungsschutzrecht zurück. Mit dem „Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt“ vom 24.12.200311 hat der Gesetzgeber „aus Gründen der Flexibilität und Praxisnähe“12 mit § 1a KSchG nunmehr eine gesetzliche Grundlage für einen Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung geschaffen. Bereits beim ersten Lesen der Vorschrift tauchen jedoch Unklarheiten bezüglich der Rechtsnatur des Abfindungsanspruchs auf: So gelangt dieser nach Maßgabe des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG nicht automatisch zur Entstehung, sondern setzt einen entsprechenden „Hinweis“ des Arbeitgebers voraus; der Arbeitnehmer kann die Abfindung nur dann beanspruchen, wenn er bis zum Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG keine Kündigungsschutzklage erhebt. Begründet § 1a KSchG damit einen gesetzlichen Abfindungsanspruch oder beschreibt diese Norm lediglich den rechtsgeschäftlichen Vorgang eines Vertragsschlusses? § 6 widmet sich dieser in der Literatur wohl am heftigsten umstrittenen Frage und nimmt eine dogmatisch präzise Erfassung der Rechtsnatur des in § 1a KSchG verankerten Abfindungsanspruchs vor. Auf dieser Grundlage erfolgt dann in § 7 eine Bestimmung dessen Entstehungsvoraussetzungen. Klärungsbedürftig ist dabei bereits im Ausgangs___________ 11 12

BGBl. I, 3002. BT-Drs. 15/1204, S. 2.

§ 1 Einleitung

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punkt, ob dafür, wie dies § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG nahe legt, tatsächlich dringende betriebliche Erfordernisse für die Kündigung vorliegen müssen oder allein die von § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG geforderte Bezeichnung der Kündigung durch den Arbeitgeber als betriebsbedingt ausreicht. Auch für einen aus dringenden betrieblichen Erfordernissen außerordentlich gekündigten oder von einer Änderungskündigung betroffenen Arbeitnehmer ist von Interesse, ob er nach einem entsprechenden Hinweis des Arbeitgebers ebenfalls eine Abfindung beanspruchen kann. Schließlich stellt sich auch die Frage nach dem Schicksal des Abfindungsanspruchs für den Fall, dass der Arbeitnehmer gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung stellt oder einen Wiedereinstellungsanspruch geltend macht. § 8 beleuchtet anschließend die Rechtsfolgen des § 1a KSchG. Wechselwirkungen ergeben sich dabei zum einen mit betriebsverfassungsrechtlichen Tatbeständen: Dies betrifft auf der einen Seite die Anrechenbarkeit des Abfindungsanspruchs bei einem Zusammentreffen mit Sozialplan- und Nachteilsausgleichsansprüchen, andererseits wirft § 1a KSchG aber auch die in der Literatur unter dem Stichwort „Turboprämie“ diskutierte Frage nach einer Erweiterung der Regelungsbefugnis der Betriebspartner auf, so dass diese eine Sozialplanabfindung ebenfalls an ein Verstreichenlassen der Klagefrist oder einen ausdrücklichen Verzicht des Arbeitnehmers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage binden können. Von ausschlaggebender Bedeutung für die Verbreitung des § 1a KSchG ist indes dessen Subsumtion unter den Sperrzeittatbestand des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III. Mit Urteil vom 18.12.2003 hatte das BSG zwar den Arbeitsvertragsparteien den Weg des Abwicklungsvertrages zur sperrzeitneutralen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung nach vorangegangener Kündigung versperrt13, erwägt nunmehr aber für den Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG eine Ausnahme.14 § 9 beleuchtet abschließend die Auswirkungen des Abfindungsanspruchs auf das Bestandsschutzprinzip des KSchG. Soll dieser nach dem Willen des Gesetzgebers den Arbeitsvertragsparteien einen einfachen, effizienten und kostengünstigen Weg zur außergerichtlichen Beilegung eines Streits über die Wirksamkeit einer Kündigung eröffnen,15 bietet sich darüber hinaus ein Vergleich zu den bisher von der Rechtspraxis dazu verwendeten Instrumenten – Abwicklungsvertrag und Abfindungsvergleich – an. Ein Ausblick auf den weiteren Gang der Debatte über die Reform des Kündigungsschutzes leitet schließlich auf den dritten und vierten Teil der Arbeit über. Teil 3 untersucht die aus dem Grundgesetz, namentlich den Grundrechten folgenden Vorgaben für eine Änderung des gesetzlichen Kündigungsschutzes unter Abkehr vom Prinzip des Bestandsschutzes de lege ferenda. § 10 analy___________ 13

BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 23. BSG vom 12.07.2006, NZA 2006, 1359, 1361. 15 BT-Drs. 15/1204, S. 12. 14

§ 1 Einleitung

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siert dazu die Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers, § 11 die einschlägigen Grundrechtsfunktionen, wobei sich dieser Abschnitt schwerpunktmäßig mit der Schutzdimension der Grundrechte und deren dogmatischer Konstruktion auseinandersetzt. Den Maßstab zur Ermittlung des Umfangs der dem Gesetzgeber auferlegten Schutzpflichten bildet dabei das maßgeblich von Canaris geprägte Untermaßverbot,16 das jedoch trotz zahlreicher Präzisierungsbemühungen noch keine scharfen dogmatischen Konturen aufweist. § 12 der Arbeit prüft, welche Grundrechte von einer Änderung des gesetzlichen Kündigungsschutzes betroffen sind. Zentrale Bedeutung für den allgemeinen Kündigungsschutz erlangt dabei das Grundrecht der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, aus dem das BVerfG in einer Serie von Entscheidungen konkrete Vorgaben für einen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz des Arbeitnehmers entwickelt hat.17 Eine allein auf Art. 12 Abs. 1 GG fokussierte Untersuchung bliebe jedoch unvollständig. Bei der Ermittlung der grundrechtlichen Grenzen einer Ergänzung oder Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes durch Abfindungsansprüche geraten auch die zahlreichen Sonderkündigungstatbestände in den Blick, die ihrerseits häufig auf einen besonderen Grundrechtsschutz der betroffenen Arbeitnehmer zurückzuführen sind. Ob dieser verstärkte Schutz auch eine Garantie des Bestandsschutzprinzips umfasst, ist für den Gesetzgeber bei einer möglichst einheitlichen Neukonzeption des gesetzlichen Kündigungsschutzes von besonderem Interesse. In § 13 folgt schließlich eine eingehende Untersuchung der Grundrechtskonformität einer derartigen Neugestaltung des Kündigungsschutzes durch Abfindungsansprüche. Auf dem Prüfstand stehen dabei die wesentlichen der im ersten Teil dieser Arbeit vorgestellten Reformvorschläge. Anders als etwa eine abstrakte Bestimmung des aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Mindestkündigungsschutzes bietet diese Vorgehensweise den Vorteil einer möglichst präzisen Ermittlung der grundrechtlichen Vorgaben, schließt diese doch eine Vielzahl von unterschiedlichen Regelungsmodellen zwischen den beiden Polen Abfindungs- und Bestandsschutz ein. Aus der Literatur liegen dazu inzwischen erste Stellungnahmen vor. Hervorzuheben ist an dieser Stelle insbesondere eine Arbeit von Kamanabrou,18 die sich vor allem der Ablösung des Kündigungsschutzes und der in § 1 Abs. 3 KSchG verankerten Verpflichtung zur Vornahme einer Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung durch Abfindungsansprüche widmet. ___________ 16

Canaris, AcP 184 (1984), 201, 228, später präzisierend ders., JuS 1989, 161, 163 f.; ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 86 ff. 17 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133 ff.; BVerfG vom 21.04.1994, EzA Nr. 32 zu Art. 20 Einigungsvertrag; BVerfG vom 21.02.1995, BVerfGE 92, 140 ff.; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169 ff.; BVerfG vom 30.07.2003, NJW 2003, 2815 f.; BVerfG vom 22.10.2004, NZA 2005, 41 ff.; BVerfG vom 25.11.2004, BB 2005, 1231 f. 18 Kamanabrou, RdA 2004, 333 ff.

§ 1 Einleitung

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Neben der Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechtsordnung des Grundgesetzes treten zunehmend supranationale und völkerrechtliche Verpflichtungen. Diesen widmet sich der vierte Teil der Arbeit. Bei der in § 14 vorgenommenen Analyse des Einflusses des Gemeinschaftsrechts auf den nationalen Kündigungsschutz steht das Sekundärrecht mit seinen zahlreichen einschlägigen Richtlinien an erster Stelle. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der nationale Gesetzgeber bei einer Umgestaltung des Kündigungsschutzrechts auch die Vorgaben der Gemeinschaftsgrundrechte sowie de lege ferenda der Unionsgrundrechte, wie sie der Europäische Verfassungsvertrag kodifiziert, zu beachten hat. In den Blick gerät dabei insbesondere Art. II-90 EU-Verf., der nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten jeden Arbeitnehmer vor ungerechtfertigter Entlassung schützt. § 15 schließt die Untersuchung mit einem kurzen Abriss über die aus der EMRK, der Revidierten Europäischen Sozialcharta sowie den aus mehreren Übereinkommen der ILO folgenden Verpflichtungen ab.

1. Teil

Reform des Kündigungsschutzes – Aufgabe des Bestandsschutzes zugunsten von Abfindungsansprüchen § 2 Abfindungsansprüche des Arbeitnehmers im System des Kündigungsschutzrechts de lege lata Das Kündigungsschutzgesetz ist ein „Bestandsschutzgesetz“ und kein „Abfindungsgesetz“.1 Diese in zahlreichen Urteilen wiederholte Aussage des BAG charakterisiert treffend das Schutzkonzept des KSchG. Nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer rechtsunwirksam, wenn diese sozial ungerechtfertigt ist. Erhebt der Arbeitnehmer innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG Kündigungsschutzklage und hat diese Erfolg, so besteht sein Arbeitsverhältnis ununterbrochen fort. Der Schutz des Gesetzes zielt damit unmittelbar auf die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses ab. Nur ausnahmsweise kann das Gericht auf Antrag einer der Arbeitsvertragsparteien das Arbeitsverhältnis trotz Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung auflösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung verpflichten, §§ 9, 10, 14 Abs. 2 S. 2 KSchG. Der Gesetzgeber des KSchG hat sich damit in bewusster Abkehr von den Schutzkonzepten des BRG 1920 sowie des AOG „als Ausdruck einer stärkeren Missbilligung derartiger Kündigungen“ zur Anordnung der Rechtsunwirksamkeit der sozial ungerechtfertigten Kündigung entschieden.2 In der Kündigungspraxis hat sich dieses Schutzkonzept gleichwohl nicht durchsetzen können. Die Mehrzahl der Arbeitnehmer strebt mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht die Durchsetzung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes an. Nach der von Höland, Kahl und Zeibig vorgenommenen ___________ 1

BAG vom 05.11.1964, AP Nr. 20 zu § 7 KSchG 1951 Bl. 3; BAG vom 30.09.1976, AP Nr. 3 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 2; BAG vom 18.12.1980, AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972 Bl. 7R; BAG vom 29.01.1981, AP Nr. 6 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 4R; BAG vom 26.11.1981, AP Nr. 8 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3R; BAG vom 07.05.1987, AP Nr. 19 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 2; BAG vom 14.01.1993, NZA 1994, 309, 311; BAG vom 07.03.2002, AP Nr. 42 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3 R; BAG vom 10.10.2002, AP Nr. 45 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3R; BAG vom 23.06.2005, AP Nr. 9 KSchG 1969 Bl. 2R. 2 BT-Drs. 1/2090, S. 11.

§ 2 Abfindungsansprüche de lege lata

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repräsentativen Untersuchung „Kündigungspraxis und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis“ endeten 2003 allenfalls 11 % aller Bestandsstreitigkeiten, davon zu 95,5 % Kündigungsschutzklagen, vor den Arbeitsgerichten mit einem streitigen Urteil.3 Der Anteil der vergleichsweisen Erledigung betrug demgegenüber 65 %, wobei allenfalls 4 % der Vergleiche eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bestimmten, die überwältigende Mehrheit von 75 % hingegen Abfindungszahlungen zugunsten der Arbeitnehmer vorsahen.4 Nach dem bereits 1981 erschienenen Forschungsbericht „Kündigungspraxis und Kündigungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland“ des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg erstritten damals nur 4,3 % der gegen eine Kündigung klagenden Arbeitnehmer in erster oder zweiter Instanz ein rechtskräftiges, stattgebendes Urteil, davon sind wiederum lediglich 40 % auch tatsächlich weiterbeschäftigt worden.5 So haben die Arbeitsvertragsparteien mit Unterstützung des rechtswissenschaftlichen Schrifttums zahlreiche Strategien entwickelt, um die als unbefriedigend empfundene Rechtsfolge des KSchG der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mittels Abfindungszahlungen zu vermeiden. Bereits aus der Statistik geht die große Bedeutung des Abfindungsvergleichs hervor. Als weitere Gestaltungsmöglichkeiten bieten sich außergerichtliche Vergleiche und Abwicklungsverträge an. Wie die Statistik belegt, spielt demgegenüber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung nach Maßgabe der §§ 9, 10 KSchG allenfalls eine untergeordnete Rolle. Doch auch der durch das KSchG vermittelte Bestandsschutz wirkt keineswegs absolut. Ist die Kündigung durch Gründe, die in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt, stehen einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses keine Hindernisse entgegen: Der Arbeitnehmer verliert seinen Arbeitsplatz ohne Anspruch auf eine Abfindungszahlung.6 Gerade bei der betriebsbedingten Kündigung greifen dann aber häufig kollektivrechtliche Regelungen ein, die auch bei einer wirksamen Kündigung des Arbeitsverhältnisses einen Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers begründen. ___________ 3

Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 42. Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 42, 45 f. 5 Falke/Höland/Rhode/Zimmermann, Kündigungspraxis und Kündigungsschutz, Bd. II, S. 859. 6 Eine eng begrenzte Ausnahme dazu findet sich in § 65 SeemG für eine spezielle Form der außerordentlichen Kündigung eines Heuerverhältnisses. Das Besatzungsmitglied hat in diesem Fall Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe von mindestens einer Monatsgrundheuer. Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift ist jedoch äußerst gering, vgl. dazu Bemm/Lindemann, SeemG, § 65 Rdnr. 3 f.; Weigand, in: KR, § 65 SeemG Rdnr. 128. 4

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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Der folgende Abschnitt bietet einen kurzen Überblick über die möglichen Rechtsgrundlagen eines Abfindungsanspruchs des Arbeitnehmers wegen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses im System des geltenden arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes.

A. Abfindungsansprüche im Individualarbeitsrecht I. Abfindung nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil des Gerichts, §§ 9, 10 KSchG Hat ein Arbeitsgericht die Sozialwidrigkeit einer Kündigung festgestellt, ermöglichen die §§ 9, 10 KSchG unter eingeschränkten Voraussetzungen eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung durch Urteil. § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG verlangt dazu einen entsprechenden Antrag des Arbeitnehmers sowie die Feststellung des Gerichts, dass diesem die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Zur Konkretisierung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs wendete das BAG ursprünglich die zu § 626 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze an7, hat mit Urteil vom 26.11.1981 seine Anforderungen aber reduziert: Danach reicht aus, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer auf unbestimmte Dauer zu unzuträglichen Bedingungen führt8. Einen Auflösungsantrag kann nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG auch der Arbeitgeber stellen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht erwarten lassen; das Gesetz verpflichtet ihn auch in diesem Fall zur Zahlung einer Abfindung. An den vom Arbeitgeber eingebrachten Auflösungsantrag stellt das BAG im Interesse eines wirksamen Bestandsschutzes aber strenge Anforderungen.9 Er kann sich dabei zwar auch auf Tatsachen berufen, ___________ 7

BAG vom 05.11.1964, AP Nr. 20 zu § 7 KSchG 1951 Bl. 3. BAG vom 26.11.1981, AP Nr. 8 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3 f.; BAG vom 24.09.1992, AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Bl. 3. Dem folgend Biebl, in: APS, § 9 KSchG Rdnr. 33; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 9 Rdnr. 32 f.; Kiel, in: ErfKomm, § 9 KSchG Rdnr. 13; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 141 Rdnr. 34; Spilger, in: KR, § 9 KSchG, Rdnr. 39; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1976; Zwanziger, in: KDZ, § 9 KSchG Rdnr. 10. 9 BAG vom 18.12.1980, AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972 Bl. 7R; BAG vom 14.05.1987, AP Nr. 18 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3; BAG vom 14.01.1993, NZA 1994, 309, 311; BAG vom 07.03.2002, AP Nr. 42 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3R; BAG vom 10.10.2002, AP Nr. 45 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3R; BAG vom 23.06.2005, AP Nr. 9 KSchG 1969 Bl. 2R. Ebenso Biebl, in: APS, § 9 KSchG Rdnr. 49; von HoyningenHuene/Linck, KSchG, § 9 Rdnr. 38; Spilger, in: KR § 9 KSchG Rdnr. 52; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1981; Zwanziger, in: KDZ, § 9 KSchG Rdnr. 18. 8

§ 2 Abfindungsansprüche de lege lata

43

mit denen er bereits zuvor erfolglos die ausgesprochene Kündigung begründet hat.10 Allein dieser Vortrag vermag nach der Rechtsprechung des BVerfG im Hinblick auf den von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz des Arbeitnehmers vor der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses den Antrag aber noch nicht zu begründen.11 Vielmehr ist der Arbeitgeber gehalten, zusätzliche greifbare Tatsachen dafür vorzutragen, dass der Kündigungssachverhalt, obwohl er die Kündigung nicht gerechtfertigt hat, gleichwohl so beschaffen ist, dass er eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien nicht erwarten lässt.12 Auflösungsgründe können demnach nur solche Umstände bilden, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitgeber, die Wertung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen.13 Ob der Auflösungsantrag auch dann zulässig ist, wenn die Kündigung nicht nur sozialwidrig, sondern noch aus anderen Gründen nichtig oder unwirksam ist, etwa gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG oder § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG, wird in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beurteilt. Das BAG differenziert hier zwischen dem Antrag des Arbeitnehmers und dem des Arbeitgebers und lässt letzteren nur unter der Voraussetzung zu, dass die Kündigung allein sozialwidrig ist.14 Den Umfang der zu leistenden Abfindung legt § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG i.V.m. § 10 KSchG fest. Gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG schuldet der Arbeitgeber eine angemessene Abfindung, die den Betrag von zwölf Monatsverdiensten nicht übersteigen darf, § 10 Abs. 1 KSchG, wobei diese Grenze in Abhängigkeit von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers auf bis zu 18 Mo___________ 10

BAG vom 30.09.1976, AP Nr. 3 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 2; von HoyningenHuene/Linck, KSchG, § 9 Rdnr. 37a; Spilger, in: KR, § 9 KSchG Rdnr. 58. 11 BVerfG vom 22.10.2004, NZA 2005, 41, 43. 12 BAG vom 30.09.1976, AP Nr. 3 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 2; BAG vom 18.12.1980, AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972 Bl. 7R f.; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 9 Rdnr. 37a; Spilger, in: KR, § 9 KSchG Rdnr. 58; Zwanziger, in: KDZ, § 9 KSchG Rdnr. 19. 13 BAG vom 14.05.1987, AP Nr. 18 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3; BAG vom 14.01.1993, NZA 1994, 309, 311; BAG vom 07.03.2002, AP Nr. 42 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 4R; BAG vom 10.10.2002, AP Nr. 45 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 4; BAG vom 23.06.2005, AP Nr. 9 KSchG 1969 Bl. 3R; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 141 Rdnr. 41; Spilger, in: KR § 9 KSchG Rdnr. 55. 14 BAG vom 09.10.1979, AP Nr. 4 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 1R; BAG vom 21.09.2000, AP Nr. 35 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 1R; BAG vom 27.09.2001, AP Nr. 6 zu § 14 KSchG 1969 Bl. 5R; BAG vom 10.10.2002, AP Nr. 45 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3. Dem folgend von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 9 Rdnr. 15; Kiel, in: ErfKomm, § 9 KSchG Rdnr. 18; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 141 Rdnr. 14; Zwanziger, in: KDZ, § 9 KSchG Rdnr. 6; aA Biebl, in: APS, § 9 KSchG Rdnr. 11; Spilger, in: KR, § 9 KSchG Rdnr. 27c; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1970.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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natsverdienste steigen kann, § 10 Abs. 2 S. 1 KSchG. Diese Bestimmungen räumen dem Gericht im Übrigen einen breiten Ermessenspielraum ein, welche Bemessungsfaktoren es im Einzelnen für bedeutsam erachtet.15 Dazu zählen etwa die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter des Arbeitnehmers und dessen Familienstand, dessen Aussicht auf eine neue Stelle, die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers, das Maß der Sozialwidrigkeit der Kündigung und die etwaige schuldhafte Herbeiführung des Auflösungsgrundes durch den Arbeitnehmer.16 Die Abfindung hat die Funktion, dem Arbeitnehmer einen pauschalen Ausgleich für die Vermögens- und Nichtvermögensschäden zu gewähren, die sich aus dem Verlust des Arbeitsplatzes ergeben; ihr kommt mithin eine Entschädigungsfunktion zu.17 Gleichzeitig soll sie das vertragswidrige Verhalten des Arbeitgebers sanktionieren18 sowie ihn und andere Arbeitgeber davon abhalten, einen Arbeitnehmer leichtfertig zu kündigen.19 Die praktische Bedeutung der §§ 9, 10 KSchG ist gleichwohl gering. Einer auf das Jahr 2003 bezogenen Untersuchung zufolge stellten Arbeitgeber oder Arbeitnehmer einen Auflösungsantrag lediglich in 6 % der Kündigungsstreitigkeiten erster Instanz, die durch streitiges Urteil erledigt wurden, wobei die Gerichte dem Antrag in 44 % der Fälle stattgegeben haben.20 II. Erleichterte Auflösung des Arbeitsverhältnisses leitender Angestellter, § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG Kündigt der Arbeitgeber einem leitenden Angestellten, der zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt ist und erhebt dieser eine Kündigungsschutzklage, so ermöglicht § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG dem Arbeitgeber eine gerichtliche Auflösung unter erleichterten Voraussetzungen: Danach braucht der Arbeitgeber seinen Auflösungsantrag, § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG,

___________ 15

BAG vom 26.08.1976, AP Nr. 68 zu § 626 BGB Bl. 3; von HoyningenHuene/Linck, KSchG, § 19 Rdnr. 10; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 46; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 2016. 16 Vgl. dazu die beispielhafte Aufzählung bei Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 2016. 17 BAG vom 09.11.1988, AP Nr. 6 zu § 10 KSchG 1969 Bl. 3; BAG vom 12.06.2003, AP Nr. 16 zu § 628 BGB Bl. 2; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 21; Kraus, Abfindungen, S. 39; Löwisch/Spinner, KSchG, § 9 Rdnr. 1; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 11; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 2005; Zwanziger, in: KDZ, § 10 KSchG Rdnr. 26. 18 BAG vom 15.02.1973, AP Nr. 2 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 2R; Kraus, Abfindungen, S. 39; Löwisch/Spinner, KSchG, § 9 Rdnr. 1. 19 Kraus, Abfindungen, S. 39; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 10. 20 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 42 f.

§ 2 Abfindungsansprüche de lege lata

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nicht zu begründen.21 Der Kündigungsschutz wird an dieser Stelle nicht als Bestands-, sondern als Abfindungsschutz gewährleistet.22 Damit trägt der Gesetzgeber dem zwischen Arbeitgeber und leitendem Angestellten bestehenden und erforderlichen besonderen Vertrauensverhältnis Rechnung.23 Nur der Arbeitgeber selbst kann entscheiden, ob diese Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit noch besteht oder entfallen ist.24 Das Gericht hat somit seinem Antrag auch dann stattzugeben, wenn es keinerlei Störung des Vertrauensverhältnisses erkennen kann.25 Voraussetzung ist aber auch hier die gerichtliche Feststellung der fehlenden sozialen Rechtfertigung der Kündigung.26 III. Rechtsgeschäftliche Abfindungsvereinbarungen Auf die überragende Bedeutung rechtsgeschäftlicher Abfindungsvereinbarungen in der Kündigungspraxis wurde bereits hingewiesen. 27 Dabei stehen vor allem zwei Vertragstypen im Mittelpunkt: der Prozessvergleich, der regelmäßig bereits das erstinstanzliche Verfahren beendet, § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, sowie der außergerichtlich abgeschlossene Abwicklungsvertrag.

___________ 21

Eine ähnliche Regelung sieht auch das Sonderkündigungsrecht der bei den Stationierungsstreitkräften der NATO angestellten ortsansässigen Zivilbeschäftigten vor, vgl. dazu Art. 56 Abs. 2 lit. a NATO-ZusAbk. Diese Bestimmung erweitert dazu den Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG dergestalt, dass der Entsendestaat als Arbeitgeber einen Auflösungsantrag auch damit begründen kann, dass der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses besonders schutzwürdige militärische Interessen entgegenstehen. Dabei reicht aus, dass die oberste Dienstbehörde die besonders schutzwürdigen militärischen Interessen glaubhaft macht bzw. die oberste Dienstbehörde im Einvernehmen mit dem Chef des Bundeskanzleramtes eine entsprechende förmliche Erklärung abgibt. 22 Biebl, in: APS, § 14 KSchG Rdnr. 29; Hromadka, in: FS 50 Jahre BAG, S. 395; Rost, in: FS Wißmann, S. 61, 74. 23 Biebl, in: APS, § 14 KSchG Rdnr. 29; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 14 Rdnr. 28. Gleichwohl muss dieser Vertrauensgesichtspunkt, etwa bei einer betriebsbedingten Kündigung, nicht immer berührt sein, vgl. dazu Rost, in: FS Wißmann, S. 61, 69. 24 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 14 Rdnr. 28. 25 BSG vom 16.10.2003, NZS 2004, 495, 496; Rost, in: KR, § 14 KSchG Rdnr. 38; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1986; Zwanziger, in: KDZ, § 14 KSchG Rdnr. 25. 26 Kiel, in: ErfKomm, § 14 KSchG Rdnr. 17; Rost, in: FS Wißmann, S. 61, 75 f., der insoweit aber eine auch sozialwidrige Kündigung für ausreichend erachtet. 27 Vgl. dazu oben einleitend zu § 2, S. 40 f.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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1. Abfindungsanspruch als Bestandteil eines Prozessvergleichs 48,5 % aller arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten werden im Wege des Prozessvergleichs erledigt, häufig gegen Zahlung einer Abfindung. 28 Darauf zielt auch die erstinstanzliche Güteverhandlung des für den Kündigungsschutzprozess maßgeblichen Urteilsverfahrens ab, in welcher der Vorsitzende eine gütliche Einigung der Parteien anzuregen hat, § 54 Abs. 1 S. 1 ArbGG. Der Prozessvergleich führt unmittelbar zur Beendigung des Rechtsstreits.29 Der Abfindungsvergleich kann dabei wie ein Aufhebungsvertrag auch selbst unmittelbar zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen; stattdessen können die Arbeitsvertragsparteien jedoch ebenso vereinbaren, dass nicht dieser, sondern die vorangegangene arbeitgeberseitige Kündigung die Grundlage für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bilden soll.30 Wesentliches Merkmal des Prozessvergleichs ist nach hM dessen Doppelnatur: Er enthält einerseits eine Prozesshandlung, deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Verfahrensrechts bestimmt, stellt zugleich aber auch einen privatrechtlichen Vertrag dar, auf den § 779 BGB und alle übrigen einschlägigen Vorschriften des BGB Anwendung finden.31 Der gerichtliche Abfindungsvergleich unterliegt den Formerfordernissen des § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. § 495 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 160 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 5, 162 f. ZPO. Zur Bemessung der Abfindung orientieren sich die Parteien überwiegend an den Regelungen der §§ 9, 10 KSchG und vereinbaren für jedes Beschäftigungsjahr die Zahlung eines halben Bruttomonatsverdienstes, gegebenenfalls finden weitere Umstände wie der Grund, auf den die Kündigung gestützt wurde, die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers oder etwa ein neu aufgenommenes Beschäftigungsverhältnis durch den Arbeitnehmer Berücksichtigung.32 Haupt___________ 28

Vgl. dazu ausführlich unten unter § 3 C I 2, S. 79 ff. J.-H. Bauer, Aufhebungsverträge, I Rdnr. 119; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Anh § 307 Rdnr. 35; Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, § 794 Rdnr. 3; Stöber, in: Zöller, ZPO, § 794 Rdnr. 13. 30 BAG vom 16.09.1998, AP Nr. 48 zu § 794 ZPO Bl. 2; Burkardt, Aufhebungsvertrag, S. 353 f.; Butz, Abwicklungsvertrag, S. 29 f.; Hümmerich, NZA 1994, 200, 201; Waltermann, NZA 1992, 1136, 1137. 31 BGH vom 10.03.1955, BGHZ 16, 388, 390; BGH vom 03.12.1980, BGHZ 79, 71, 74; BGH vom 18.06.1999, BGHZ 142, 84, 88; J.-H. Bauer, Aufhebungsverträge, I Rdnr. 121; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Anh § 307 Rdnr. 4; Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, § 794 Rdnr. 6; I. Schmidt, in: APS, AufhebVtr Rdnr. 26; Stöber, in: Zöller, ZPO, § 794 Rdnr. 3. 32 Vgl. dazu insbesondere die rechtstatsächliche Untersuchung Hümmerichs, der in den Jahren 1997 und 1998 die deutschen Arbeitsgerichte aller Instanzen bzw. ortsansässige Fachanwälte für Arbeitsrecht zur Höhe der vom Gericht angeordneten oder vergleichsweise vereinbarten Abfindungszahlungen befragt hat, Hümmerich, NZA 1999, 29

§ 2 Abfindungsansprüche de lege lata

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zweck des Abfindungsvergleichs ist dessen Befriedungsfunktion: Er beendet den zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages bestehenden Streit über die Frage, ob das Arbeitverhältnis durch den Ausspruch der Arbeitgeberkündigung aufgelöst wurde und vermeidet so weitere zeit- und kostenaufwendige gerichtliche Auseinandersetzungen mit den damit verbundenen Prozessrisiken.33 Ein entscheidender Vorteil des Prozessvergleichs gegenüber anderen rechtsgeschäftlichen Abfindungsvereinbarungen ergibt sich unmittelbar aus § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, wonach der Vergleich einen Vollstreckungstitel darstellt, sofern dieser, wie dies bei einem Abfindungsvergleich stets der Fall ist, einen vollstreckbaren Inhalt aufweist. 2. Abfindung und Abwicklungsvertrag Eine erst in den letzten Jahren namentlich von Hümmerich entwickelte Rechtsgrundlage für einen Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers wegen einer arbeitgeberseitigen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses bildet der Abwicklungsvertrag. Darin verpflichtet sich der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung zu einem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage, währenddessen ihm der Arbeitgeber dafür im Gegenzug eine Abfindung verspricht.34 Dass ein Arbeitnehmer dabei nur dann eine Abfindung beanspruchen kann, wenn er sich auch mit dem Klageverzicht einverstanden erklärt, verstößt nach Auffassung des BAG weder gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz noch das Maßregelungsverbot des § 612a BGB.35 ___________ 342, 343. Dazu und zu weiteren rechtstatsächlichen Untersuchungen ausführlich unten unter § 3 C I 2, S. 79 ff. 33 Berkowsky, in: MünchArbR II, § 151 Rdnr. 5; Weber/Ehrich/Burmester, Aufhebungsverträge, Rdnr. 1. 34 Burkard, Abwicklungsvertrag, S. 11 ff.; Dollmann, BB 2005, 2297 f.; Gaul, BB 2003, 2457; Grunewald, NZA 1994, 441; Hümmerich, NZA 1994, 200 f., 204; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 122 Rdnr. 1; Nebeling/Schmid, NZA 2002, 1310, 1311; Raab, RdA 2005, 1; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 29. Alternativ kommt dazu auch ein Abrede in Betracht, mit welcher die Arbeitsvertragsparteien die Wirksamkeit der Kündigung bestätigen, vgl. dazu Gaul, BB 2003, 2457; Hümmerich, NZA 2001, 1280; Schmitt-Rolfes, NZA Beilage zu Heft 1/2005, 3, 6. Ausführlich zu den verschiedenen Spielarten von Abwicklungsverträgen Hümmerich, SAE 2005, 100, 101 f., zur Einordnung und Abgrenzung Butz, Abwicklungsvertrag, S. 31 ff. Angesichts der wachsenden Bedeutung des Arbeitsplatzes für den Arbeitnehmer schlägt Dollmann den Arbeitsvertragsparteien einen „Abwicklungsvertrag mit Neubegründungsangebot“ vor, der den Arbeitgeber innerhalb eines bestimmten Zeitraums zur bevorzugten Neueinstellung des gekündigten Arbeitnehmers verpflichtet, wobei dieser dann die Abfindung zumindest teilweise wieder zurückzahlen soll, vgl. Dollmann, BB 2005, 2297 ff. 35 BAG vom 15.02.2005, AP Nr. 15 zu § 612a BGB Bl. 5R ff.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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Anders als bei einem Aufhebungsvertrag führt beim Abwicklungsvertrag aber nicht die vertragliche Vereinbarung selbst, sondern bereits die vorausgegangene Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.36 Inhalt des Abwicklungsvertrages sind daher allein die Modalitäten der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa in Form von Freistellungsabreden, Zeugniserteilungsklauseln, Wettbewerbs- und Vertragsstrafenabreden.37 Damit unterliegt dieser auch nicht dem Schriftformerfordernis des § 623 BGB.38 J.-H. Bauer unterscheidet zusätzlich zwischen „echten“ und „unechten“ Abwicklungsverträgen:39 Gehe der Vereinbarung eine zwischen den Parteien nicht abgesprochene Kündigung voraus, handele es sich um einen echten Abwicklungsvertrag. Kennzeichnend für unechte Abwicklungsverträge sei dagegen eine bereits vor Ausspruch der Kündigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffene Absprache. Die Kündigung sei hier nur vorgeschoben, tatsächlich hätten die Arbeitsvertragsparteien das Arbeitsverhältnis bereits einvernehmlich durch Abschluss des Abwicklungsvertrages aufgelöst.40 3. Anwendbarkeit rechtsgeschäftlicher Grundsätze Abfindungsvergleich und Abwicklungsvertrag sind rechtsgeschäftliche Abfindungsvereinbarungen, so dass auf diese auch die allgemeinen Grundsätze der Rechtsgeschäftslehre Anwendung finden. Dies gilt namentlich in Bezug auf die ___________ 36

J.-H. Bauer, Aufhebungsverträge, I Rdnr. 20; Burkard, Abwicklungsvertrag, S. 11; Butz, Abwicklungsvertrag, S. 21; Gaul, BB 2003, 2457; Grunewald, NZA 1994, 441; Hümmerich, NZA 1994, 200; ders., AuR 1994, 256; ders., NJW 1996, 2081; ders., Brennpunkte des Arbeitsrechts 1996, S. 245; ders., BB 1999, 1868; ders., NZA 2001, 1280; ders., NJW 2004, 2921; ders., SAE 2005, 100, 101; Kern/Kreutzfeld, NJW 2004, 3081; Nebeling/Schmid, NZA 2002, 1310, 1311; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 29. 37 Gaul, BB 2003, 2457; Grunewald, NZA 1994, 441; Hümmerich, NZA 1994, 200; ders., AuR 1994, 256; ders., NJW 1996, 2081; ders., Brennpunkte des Arbeitsrechts 1996, S. 245; ders., BB 1999, 1868; ders., NZA 2001, 1280; ders., NJW 2004, 2921; ders., SAE 2005, 100; Kern/Kreutzfeld, NJW 2004, 3081; Nebeling/Schmid, NZA 2002, 1310, 1311; Schmitt-Rolfes, NZA Beilage zu Heft 1/2005, 3, 6. 38 J.-H. Bauer, NZA 2002, 169, 170; Müller-Glöge, in: ErfKomm, § 623 Rdnr. 14; Preis, in: APS, § 623 Rdnr. 9; Oetker, in: Staudinger, § 623 BGB Rdnr. 35; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 32; Spilger, in: KR, § 623 BGB Rdnr. 49; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 623 Rdnr. 5; aA Berscheid, ZInsO 2000, 208, 209; Richardi, NZA 2001, 57, 61; Sander/R. Siebert, AuR 2000, 330, 335; Schaub, NZA 2000, 344, 347. 39 J.-H. Bauer, Aufhebungsverträge, I Rdnr. 20; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2006, 306 f. 40 J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2006, 306, 307. Ebenso LAG Hamm vom 19.07.2002, NZA-RR 2002, 642 f.; Hümmerich, BB 1999, 1868; Burkard, Abwicklungsvertrag, S. 11 f. AA nunmehr ausdrücklich BAG vom 28.06.2005, AP Nr. 146 zu § 102 BetrVG 1972 Bl. 3 ff.

§ 2 Abfindungsansprüche de lege lata

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Regelungen zu Vertragsschluss, Geschäftsfähigkeit, Stellvertretung und Anfechtung. a) Vertragsschluss Regelmäßig kommen Abfindungsvergleich und Abwicklungsvertrag durch eine ausdrückliche Erklärung von Angebot und Annahme zustande, lediglich bei Abschluss eines Abwicklungsvertrages, der keinerlei Formvorschriften unterworfen ist, kommt auch eine Annahme nach Maßgabe des § 151 S. 1 BGB in Betracht. Diese Vorschrift sieht von dem für eine wirksame Annahmeerklärung gemäß §§ 130 Abs. 1 S. 1, 146 BGB geltendem Zugangserfordernis ab und lässt bereits die bloße Betätigung des Annahmewillens ausreichen, wenn der Antragende auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichtet hat oder dieser nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist.41 Damit sich eine Annahme überhaupt feststellen lässt, verlangt § 151 S. 1 BGB eine nach außen in Erscheinung tretende, wahrnehmbare Manifestation des Rechtsfolgewillens, der bloße innere, in der Außenwelt nicht erkennbare Annahmewille reicht dafür nicht aus.42 b) Widerruf gemäß § 312 Abs. 1 S. 1 BGB? Ein Widerrufsrecht gemäß § 312 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 355 Abs. 1 S. 1 BGB43, bei einem Prozessvergleich ohnehin undenkbar, kommt auch bei Abschluss eines Abwicklungsvertrages am Arbeitsplatz nicht in Betracht.44 Nach der Rechtsprechung des BAG findet die Norm aufgrund einer teleologischen Reduktion keine Anwendung auf arbeitsrechtliche Beendigungsvereinbarungen.45 Den in § 312 Abs. 1 BGB enumerativ aufgeführten Tatbeständen sei gemeinsam, dass die Vertragsanbahnung außerhalb öffentlich zugänglicher Verkaufs- und Ladenräume stattfindet und dem Verbraucher dabei in einer Überrumpelungs- und Überraschungssituation suggeriert werde, es handele sich um ___________ 41

BGH vom 14.10.2003, NJW 2004, 287; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 749; Brehmer, JuS 1994, 386, 387; Eckardt, BB 1995, 1945, 1948; H. Köhler, Allgemeiner Teil, § 8 Rdnr. 22; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 30 Rdnr. 14. 42 BGH vom 18.12.1985, NJW-RR 1985, 415; BGH vom 28.03.1990, BGHZ 111, 97, 101; BGH vom 12.10.1999, NJW 2000, 276, 277; BGH vom 14.10.2003, NJW 2004, 287; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 749; Brehmer, JuS 1994, 386, 387; Eckardt, BB 1995, 1945, 1946; H. Köhler, Allgemeiner Teil, § 8 Rdnr. 22; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 30 Rdnr. 7; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 382; aA Flume, Rechtsgeschäft, § 35 II 3 S. 655; dem folgend Schwarze, AcP 202 (2002), 607, 612 f. 43 Dazu ausführlich im Kontext des § 1a KSchG später unten unter § 8 E, S. 347 ff. 44 Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 131. 45 BAG vom 27.11.2003, AP Nr. 1 zu § 312 BGB Bl. 4R ff.; BAG vom 22.04.2004, AP Nr. 27 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 3R ff.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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ein beschränktes Angebot, das nur sofort angenommen werden könne.46 Für den Abschluss einer arbeitsrechtlichen Beendigungsvereinbarung sei demgegenüber gerade der Arbeitsplatz der Ort, an dem die das Arbeitsverhältnis betreffenden Fragen typischerweise besprochen und geregelt werden. 47 Eine dem Haustürgeschäft vergleichbare Situation sei bei Abschluss einer Beendigungsvereinbarung im Betrieb daher nicht gegeben, 48 es fehle das für Haustürgeschäfte situationstypische Überraschungsmoment.49 4. Zweck der Abfindungszahlungen Die Funktion der in rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen begründeten Abfindungsansprüche kann nicht allgemein bestimmt werden, sondern richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.50 Häufig ist den in Abfindungsvergleich und Abwicklungsvertrag vereinbarten Abfindungsansprüchen aber eine doppelte Zielsetzung gemeinsam: Sie weisen einerseits eine Entschädigungsfunktion auf, indem sie einen finanziellen Ausgleich für die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen wirtschaftlichen und immateriellen Nachteile vorsehen.51 Besonders deutlich tritt dies hervor, wenn sich die Abfindung in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers bemisst. Sollen aber der Abfindungsvergleich ebenso wie der Abwicklungsvertrag einen Streit über die Wirksamkeit einer Kündigung verhindern oder beenden, so ist die einvernehmlich vereinbarte Abfindung zugleich auch Gegenleistung für den Verzicht des Arbeitnehmers auf die gerichtliche Überprüfung der Kündigung.52 5. Der Einfluss des Arbeitsförderungsrechts auf die Verbreitung von Abfindungsvergleich und Abwicklungsvertrag Die weite Verbreitung53 rechtsgeschäftlicher Abfindungsvereinbarungen nach einer arbeitgeberseitigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist ganz wesentlich auf die Bestimmung des § 144 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 SGB III zurück___________ 46

BAG vom 27.11.2003, AP Nr. 1 zu § 312 BGB Bl. 6R. BAG vom 27.11.2003, AP Nr. 1 zu § 312 BGB Bl. 7. 48 BAG vom 22.04.2004, AP Nr. 27 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 4. 49 BAG vom 27.11.2003, AP Nr. 1 zu § 312 BGB Bl. 7. 50 Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 12. 51 BAG vom 25.06.1987, NZA 1988, 466, 467; Dollmann, BB 2005, 2297; Hümmerich, NZA 1999, 342, 347; Kraus, Abfindungen, S. 40; Kreßel, NZA 1997, 1138, 1140; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 12. 52 BAG vom 25.06.1987, NZA 1988, 466, 467; Kreßel, NZA 1997, 1138, 1140 f. 53 Hümmerich ging ursprünglich sogar so weit, den Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages als anwaltlichen Kunstfehler anzusehen, vgl. dazu Hümmerich, NZA 1994, 200. 47

§ 2 Abfindungsansprüche de lege lata

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zuführen. Danach tritt kraft Gesetzes eine zwölfwöchige Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für dieses Verhalten einen wichtigen Grund vorweisen zu können. Damit geht gleichzeitig auch eine Verkürzung der Bezugszeit für das Arbeitslosengeld einher, § 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mittels eines Aufhebungsvertrages führt folglich sofort zum Eintritt einer Sperrzeit.54 Weil bei der Vereinbarung eines Abwicklungsvertrages aber nicht dieser, sondern die vorangegangene Arbeitgeberkündigung das Arbeitsverhältnis beendet, glaubte man, den Sperrzeittatbestand zumindest mit Abschluss eines „echten Abwicklungsvertrags“ umgehen zu können.55 Dem ist das BSG jedoch mit seinem Urteil vom 18.12.2003 entgegen getreten und sieht nunmehr grundsätzlich bei jeder Vereinbarung eines Abwicklungsvertrages die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III als erfüllt an.56 Sinn und Zweck der Sperrzeitenregelung liege darin, den Arbeitnehmer von einer aktiven Beteiligung an der Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses abzuhalten.57 Unter Berücksichtigung des tatsächlichen Geschehensablaufs und der zu Grunde liegenden Interessen der Beteiligten bestehe aber kein Zweifel daran, dass der Arbeitnehmer auch durch den Abschluss eines Abwicklungsvertrages, in dem er ausdrücklich oder konkludent auf die Geltendmachung seines Klagerechts verzichtet, einen wesentlichen Beitrag zur Herbeiführung der Beschäftigungslosigkeit leistet. 58 Etwas anderes gel___________ 54

BSG vom 13.08.1986, SozR 4100 § 119 Nr. 28 S. 126; BSG vom 25.10.1988, SozR 4100 § 119 Nr. 33 S. 159; BSG vom 05.06.1997, SozR 3-1500 § 144 SGG Nr. 12 S. 25; BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 22; Gaul, BB 2003, 2457, 2459; Hümmerich, NZA 1994, 200, 201; ders., AuR 1994, 256; ders., BB 1999, 1868, 1869; ders., NZA 2001, 1280 f.; ders., NJW 2004, 2921, 2922; Nebeling/Schmid, NZA 2002, 1310, 1311; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 137; Schmitt-Rolfes, NZA Beilage zu Heft 1/2005, 3, 6. 55 So auch die ausdrückliche Intention der Literatur, vgl. dazu nur Gaul, BB 2003, 2457, 2459 f.; Grunewald, NZA 1994, 441; Hümmerich, NZA 1994, 200, 201; ders., AuR 1994, 256 f.; ders., NJW 1996, 2081; ders., Brennpunkte des Arbeitsrechts 1996, S. 245, 250; ders., BB 1999, 1868, 1869; ders., NZA 2001, 1280 f.; ders., NJW 2004, 2921; Nebeling/Schmid, NZA 2002, 1310, 1311. Kritisch dazu etwa Schwerdtner, Brennpunkte des Arbeitsrechts 1996, S. 261, 265 ff. 56 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 23. So bereits Geiger, NZA 2003, 838, 839; Schweiger, NZS 2001, 519, 521; Voelzke, in: KassHandbSGBIII, § 12 Rdnr. 285 (anders aber für Abwicklungsverträge mit Abfindungen in Höhe des § 1a Abs. 2 KSchG ders., NZS 2005, 281, 287 f.). Dem BSG widersprechen Boecken/Hümmerich, DB 2004, 2046, 2047 ff.; Kern/Kreutzfeld, NJW 2004, 3081 f.; Preis/Schneider, NZA 2006, 1297, 1303 sowie Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 150 ff. Kritisch im Hinblick auf § 1a KSchG auch Lilienfeld/Spellbrink, RdA 2005, 88, 96 f. 57 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 23. 58 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 23.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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te nur dann, wenn dem Abschluss des Abwicklungsvertrages eine objektiv rechtmäßige betriebsbedingte Arbeitnehmerkündigung vorangehe: In diesem Fall bestehe ein wichtiger Grund i.S.d § 144 Abs. 1 S. 1 SGB III, weshalb die Mitwirkung des Arbeitnehmers an der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses sanktionslos bleibe.59 Das BSG hat damit den gegenüber dem Aufhebungsvertrag entscheidenden Vorteil des Abwicklungsvertrages der sperrzeitneutralen einvernehmlichen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses beseitigt. Führt grundsätzlich jede Vereinbarung eines Klageverzichts gegen Abfindungszahlung zum Eintritt einer Sperrzeit, bleibt abzuwarten, ob sich die Arbeitnehmer angesichts des damit verbundenen finanziellen Nachteils weiterhin auf den Abschluss von Abwicklungsverträgen einlassen. Allerdings hat das BSG nunmehr in seinem Urteil vom 12.07.2006 eine Wende in seiner restriktiven Auslegung des Sperrzeittatbestandes angekündigt. Im Hinblick auf den zum 01.01.2004 in Kraft getretenen § 1a KSchG erwägt das Gericht, bei Abschluss eines Aufhebungs- bzw. Abwicklungsvertrages künftig einen wichtigen Grund bereits ohne Prüfung der Rechtmäßigkeit der (drohenden) Arbeitgeberkündigung anzuerkennen, wenn die gezahlte Abfindung den in § 1a Abs. 2 KSchG vorgesehenen Betrag nicht überschreitet.60 Keine Entscheidung hat das BSG bislang dazu getroffen, ob auch die Beendigung eines Kündigungsschutzprozesses mittels eines gerichtlichen Abfindungsvergleichs zum Eintritt einer Sperrzeit nach Maßgabe des § 144 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 SGB III führt. In seinem Urteil vom 18.12.2003 deutet das Gericht indes eine abweichende Beurteilung mit der Begründung an, dass den Arbeitnehmer nach dem Arbeitslosenversicherungsrecht keine Obliegenheit zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage treffe.61 Dies setze, so das BSG, aber voraus, dass der vergleichsweisen Beendigung des Kündigungsschutzprozesses keine Absprache der Arbeitsvertragsparteien voranginge.62

___________ 59

BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 25. BSG vom 12.07.2006, NZA 2006, 1359, 1361. Kritisch I. Wolff, in: KR, § 144 SGB III Rdnr. 18c. Einen anderen Ansatz verfolgen Preis/Schneider, NZA 2006, 1297, 1298 ff.: Nach deren Auffassung trete nur bei einem dem Arbeitnehmer vorwerfbaren Abschluss eines Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrages eine Sperrzeit ein. Dies sei bereits dann nicht mehr der Fall, wenn der Arbeitnehmer von der Rechtmäßigkeit der (drohenden) Kündigung ausgehen durfte. 61 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 24. 62 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 24. 60

§ 2 Abfindungsansprüche de lege lata

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B. Abfindungsansprüche im gesetzlichen kollektiven Arbeitsrecht I. Sozialplanabfindungen, § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG Eine kollektivrechtliche Grundlage für Abfindungszahlungen wegen betriebsbedingter Kündigung bildet der Sozialplan. Diesen definiert § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG als Einigung über den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge einer geplanten Betriebsänderung entstehen. Von seiner Rechtsnatur ist der Sozialplan eine Betriebsvereinbarung, worauf bereits die Bestimmung des § 112 Abs. 1 S. 3 BetrVG einen Hinweis gibt.63 Gemäß § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG gilt jedoch der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht, so dass die Betriebspartner einen Sozialplan auch dann abschließen können, wenn bereits ein tarifliches Rationalisierungsschutzabkommen im Geltungsbereich des Tarifvertrags besteht oder üblich ist. Als Mittel zum Ausgleich und der Milderung der infolge einer Entlassung eintretenden wirtschaftlichen Nachteile kommen in erster Linie Abfindungsansprüche in Betracht,64 aber etwa auch solche Maßnahmen, die der Vermittlung der gekündigten Arbeitnehmer in ein neues Arbeitsverhältnis dienen; diese werden von den Agenturen für Arbeit unter den Voraussetzungen der §§ 216a, 216b SGB III besonders gefördert.65 Höhe und Struktur der Abfindung können die Betriebspartner nach freiem Ermessen bestimmen: Berücksichtigung finden dabei regelmäßig Lebensalter und Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers, sie können aber auch weitere Kriterien wie dessen Fähigkeiten und Qualifikationen oder persönliche Umstände wie Unterhaltspflichten oder eine Behinderung einbeziehen.66 Sozialplanabfindungen weisen, anders als die Abfindungsansprüche ___________ 63

BAG vom 24.03.1981, AP Nr. 12 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 17.10.1989, AP Nr. 53 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R; BAG vom 30.11.1994, AP Nr. 89 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2; Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 171; Kania, in: ErfKomm, §§ 112, 112a BetrVG Rdnr. 13; Matthes, in: MünchArbR III, § 362 Rdnr. 47. Die Gegenansicht qualifiziert den Sozialplan als „Betriebsvereinbarung besonderer Art“, auf welche aber die Regelungen und Grundsätze zur Betriebsvereinbarung entsprechend anzuwenden sind, vgl. dazu BAG vom 27.08.1975, AP Nr. 2 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2; BAG vom 28.10.1992, AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2; BAG vom 16.03.1994, AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 1R; BAG vom 15.12.1998, AP Nr. 126 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; Oetker, in: GK-BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 114. 64 Fitting/Engels/I. Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 124; Kania, in: ErfKomm, §§ 112, 112a BetrVG Rdnr. 27; Matthes, in: MünchArbR III, § 362 Rdnr. 9; Oetker, in: GK-BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 97. 65 Vgl. zu diesen Transfersozialplänen etwa Fitting/Engels/I.Schmidt/Trebinger/ Linsenmaier, BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 132 ff.; Mengel/Ullrich, BB 2005, 1109 ff.; Moderegger, ArbRB 2005, 23 ff.; Oetker, in: GK-BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 370 ff. 66 Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 91; Däubler, in: DKK, §§ 112, 112a Rdnr. 95; Fitting/Engels/I. Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 124; U. Koch, in: Schaub, ArbRHdB, § 244 Rdnr. 48 ff.; Matthes, in: MünchArbR III, § 362 Rdnr. 9.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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nach Maßgabe der §§ 9, 10 KSchG, keinen Entschädigungscharakter auf. Zwar erfüllte der Sozialplan nach der ursprünglichen Auffassung des BAG auch eine Entschädigungsfunktion.67 Nunmehr verneint das Gericht jedoch diesen Entschädigungscharakter und hebt allein die Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion von Sozialplanansprüchen hervor.68 Anders als die Arbeitsvertragsparteien bei Abschluss eines Abwicklungsvertrages oder der Begründung eines Abfindungsanspruchs gemäß § 1a KSchG sind die Betriebspartner bei der Vereinbarung eines Sozialplans daran gehindert, Sozialplanabfindungen an den Verzicht eines Arbeitnehmers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage oder zumindest an das Verstreichenlassen der Frist des § 4 S. 1 KSchG zu binden (sog. „Turboprämie“). 69 Von einem Ausgleich oder einer Milderung wirtschaftlicher Nachteile kann keine Rede mehr sein, wenn Sozialplanleistungen von dem Verzicht des Arbeitnehmers auf die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes und damit von der Hinnahme auch rechtswidriger Maßnahmen des Arbeitgebers abhängig gemacht wer___________ 67

BAG GS vom 13.12.1978, AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 13. BAG vom 28.10.1992, AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 30.03.1994, AP Nr. 76 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 09.11.1994, AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R; BAG vom 05.10.2000, AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 5R; BAG vom 30.10.2001, AP Nr. 145 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R. Zustimmend Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 53 ff.; Däubler, in: DKK, §§ 112, 112a Rdnr. 41; U. Koch, in: Schaub, ArbRHdB, § 244 Rdnr. 45; aA Oetker, in: GK-BetrVG, § 112 Rdnr. 102, der dem Sozialplan auch eine Entschädigungsfunktion beimisst. Fitting/Engels/I. Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 103, weisen darauf hin, dass sich die theoretische Unterscheidung zwischen Entschädigung einerseits sowie Vorsorge und Überbrückung andererseits in der Praxis nicht sinnvoll durchhalten lässt. Zur Vereinbarkeit von ausschließlich in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit bemessenen Abfindungen mit der zukunftsbezogenen Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion des Sozialplans vgl. BAG vom 16.03.1994, AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 14.08.2001, AP Nr. 142 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2 f.; BAG vom 12.11.2002, AP Nr. 159 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R. 69 BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 1R; BAG vom 20.06.1985, AP Nr. 33 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3; BAG vom 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3 ff.; LAG Baden-Württemberg vom 19.09.1997, NZA-RR 1998, 358, 359; LAG Niedersachsen vom 16.08.2002, NZA-RR 2003, 579, 582; LAG Schleswig-Holstein vom 20.04.2004, NZA-RR 2005, 144; Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 112; Benecke, BB 2006, 938, 941; Däubler, in: DKK, §§ 112, 112a Rdnr. 43; Fitting/Engels/I. Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 106; Kania, in: ErfKomm, §§ 112, 112a BetrVG Rdnr. 23; Kraus, Abfindungen, S. 216; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 42; Matthes, in: MünchArbR III, § 362 Rdnr. 14; Oetker, in: GK-BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 279; Quecke, in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 21; aA Busch, BB 2004, 267, 269; Hanau, ZIP 2004, 1169, 1178; Kreutz, in: FS Wolf, 309, 313 f.; Merz, Abfindungsanspruch, S. 197 ff.; Raab, RdA 2005, 1, 10; Thüsing/Wege, DB 2005, 2634, 2636 f. (anders dann aber dies., JuS 2006, 97, 105). 68

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den könnten.70 Verstößt eine Sozialplanregelung gegen diese Zweckbestimmung, fehlt sowohl den Betriebspartnern als auch der Einigungsstelle die Befugnis zur Vereinbarung einer derartigen Regelung, weil sie ihre funktionelle Regelungsmacht überschreitet.71 Allerdings sind die Betriebspartner nach der Rechtsprechung des BAG befugt, in den Schranken des § 77 Abs. 3 BetrVG zusätzliche Abfindungszahlungen in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung, § 88 BetrVG, für den Fall zu vereinbaren, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch macht.72 Eine solche Betriebsvereinbarung verstoße weder gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG, noch gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB.73 Jedoch dürfe auf diese Weise nicht das Verbot umgangen werden, Sozialplanabfindungen an einen Klageverzicht zu binden.74 Dies sei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln, wobei eine Umgehung insbesondere dann vorliegen könne, wenn der Sozialplan keine angemessene Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile vorsehe oder Anhaltspunkte bestehen, dem an sich für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Finanzvolumen seien zum Nachteil der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer Mittel entzogen und funktionswidrig im „Bereinigungsinteresse“ des Arbeitgebers eingesetzt worden.75 Nicht jede Betriebsänderung, die zu einer Entlassung von Arbeitnehmern führt, ist auch automatisch sozialplanpflichtig. Besteht die Betriebsänderung allein in der Entlassung von Arbeitnehmern, so bestimmt § 112a Abs. 1 BetrVG Schwellenwerte, mit deren Überschreitung der Betriebsrat die Aufstellung eines Sozialplans erzwingen kann. Kommt keine Einigung der Betriebspartner über den Sozialplan zustande, ersetzt diese der Spruch der Einigungsstelle, § 112 Abs. 4 BetrVG. § 112 Abs. 5 BetrVG gibt dazu der Einigungsstelle bestimmte Richtlinien vor. Diese hat bei der Bemessung des Gesamtbetrags der Sozialplanleistungen darauf zu achten, dass der Fortbestand des Unternehmens ___________ 70

BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 1R f. BAG vom 20.12.1982, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 1R; BAG vom 20.06.1985, AP Nr. 33 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3; BAG vom 16.03.1994, AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 05.10.2000, AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 5R; Oetker, in: GK-BetrVG, §§ 112,112a Rdnr. 279. Neuerdings zweifelnd für den einvernehmlich vereinbarten Sozialplan BAG vom 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R f., das seine Entscheidung maßgeblich mit einen Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz begründet. 72 BAG 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 4. 73 BAG 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 4R. 74 BAG 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 6. 75 BAG 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 6. 71

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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oder die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden, § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG. § 112a Abs. 2 BetrVG normiert darüber hinaus weitere Ausnahmen von der Sozialplanpflicht. Die Nichterfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 112a BetrVG lässt aber die Kompetenz der Betriebspartner, freiwillig einen Sozialplan abzuschließen, unberührt.76 II. Anspruch auf Nachteilsausgleich, § 113 Abs. 1, 3 BetrVG Ein weiterer kollektivrechtlicher Abfindungsanspruch, der nach betriebsbedingter Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in Betracht kommt, ist der Anspruch auf Nachteilsausgleich, § 113 Abs. 1, 3 BetrVG. Dieser setzt voraus, dass der Unternehmer bei einer beteiligungspflichtigen Betriebsänderung, § 111 BetrVG, entweder ohne zwingenden Grund von dem mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleich abweicht, § 113 Abs. 1 BetrVG, oder die Betriebsänderung durchführt, ohne überhaupt einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, § 113 Abs. 3 BetrVG, und infolgedessen Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Hinsichtlich der Höhe der zu zahlenden Abfindung verweist § 113 Abs. 1 BetrVG aE auf die Regelung des § 10 KSchG. § 113 BetrVG verfolgt einen doppelten Zweck: Zum einen will der Nachteilsausgleichsanspruch die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bzw. die Einhaltung eines bereits abgeschlossenen Interessenausgleichs absichern, indem er dessen Missachtung durch den Arbeitgeber mit Abfindungsansprüchen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer sanktioniert.77 Ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers setzt diese Norm gleichwohl nicht voraus.78 Neben dieser Sanktionsfunktion bezweckt der Anspruch aber auch eine Kompensation der aus der betriebsverfassungswidrig durchgeführten Betriebsänderung für den einzelnen Arbeitnehmer folgenden Nachteile.79 Wie auch bereits die ___________ 76

Oetker, in: GK-BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 234; Richardi/Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112a Rdnr. 2. 77 BAG vom 29.11.1983, AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 13.06.1989, AP Nr. 19 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 4; BAG vom 10.12.1996, AP Nr. 32 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 3; BAG vom 19.01.1999, AP Nr. 37 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 3; BAG vom 20.11.2001, AP Nr. 39 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 3; Däubler, in: DKK, § 113 Rdnr. 1; Fitting/Engels/I. Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 113 Rdnr. 2; Kania, in: ErfKomm, § 113 BetrVG Rdnr. 1; U. Koch, in: Schaub, ArbRHdB, § 244 Rdnr. 78; Oetker, in: GK-BetrVG, § 113 Rdnr. 3; Richardi/Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 113 Rdnr. 2. 78 BAG vom 20.11.2001, AP Nr. 39 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 3; Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 113 Rdnr. 28; Fitting/Engels/I. Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 113 Rdnr. 16; Oetker, in: GK-BetrVG, § 113 Rdnr. 37. 79 BAG vom 29.11.1983, AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 13.06.1989, AP Nr. 19 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 4; BAG vom 20.11.2001, AP Nr. 39

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Sozialplanabfindung weist der Nachteilsausgleichsanspruch damit aber nicht einen vergangenheitsbezogenen Entschädigungscharakter, sondern eine in die Zukunft gerichtete Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion auf. III. Tarifliche Abfindungsansprüche Schließlich können auch Tarifnormen Abfindungsansprüche für gekündigte Arbeitnehmer vorsehen. Zwar steht aufgrund des einseitig zwingenden Charakters des KSchG80 der Bestandsschutz nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien, jedoch können diese Abfindungsansprüche vereinbaren, die den Arbeitnehmer bei einer rechtmäßigen Kündigung für den Verlust seines Arbeitsplatzes entschädigen sollen. Solche Regelungen finden sich vor allem in so gen. Rationalisierungsschutzabkommen.81 Dazu hat das BAG in einer Serie von Entscheidungen Grundsätze für die Auslegung der entsprechenden Tarifnormen entwickelt.82 Es handelt sich dabei um Rechtsnormen über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen, die § 1 Abs. 1 TVG ausdrücklich zu den zulässigen Inhalten eines Tarifvertrages zählt. Unmittelbar und zwingend gelten diese Beendigungsnormen aber nur zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen, § 4 Abs. 1 S. 1 TVG, also nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 TVG zwischen gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die entweder selbst Partei des einschlägigen Tarifvertrages oder aber Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes sind. Fehlt diese Tarifbindung, können Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Abfindungsanspruch mittels einer Bezugnahmeklausel auf den entsprechenden Tarifvertrag in den Arbeitsvertrag einbeziehen. Ob die Tarifpartner den Abfindungsanspruch an einen Verzicht des Arbeitnehmers auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage oder zumindest ein Verstreichenlassen der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG binden können, wird uneinheitlich beurteilt. Das LAG Baden-Württemberg hält eine ___________ zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 3; Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 113 Rdnr. 2; Däubler, in: DKK, § 113 Rdnr. 1; Fitting/Engels/I. Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 113 Rdnr. 2; Oetker, in: GK-BetrVG, § 113 Rdnr. 5. 80 Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1 KSchG Rdnr. 15; Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1 Rdnr. 12; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 31; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1253. 81 Wiedemann, in: ders., TVG, § 1 Rdnr. 405; Winter, in: Däubler, TVG, § 1 Rdnr. 389. 82 Vgl. dazu zuletzt BAG vom 15.06.2004, AP Nr. 10 zu Anlage I Kap. VIII Einigungsvertrag; BAG vom 23.02.2005, AP Nr. 42 zu § 4 TVG Rationalisierungsschutz; BAG vom 21.04.2005, AP Nr. 42 zu § 4 TVG Rationalisierungsschutz. Aus dem Schrifttum etwa Wiedemann, in: ders., TVG, § 1 Rdnr. 405. Zu den Rationalisierungstarifverträgen der Deutschen Telekom AG Hümmerich/Welslau, NZA 2005, 610 ff.

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derartige Regelung wegen Verstoßes gegen § 242 BGB und die guten Sitten, § 138 Abs. 1 BGB, für unwirksam: Diese räume dem Arbeitnehmer kein echtes Wahlrecht zwischen Klagerhebung und Abfindungszahlung ein, sondern bürde ihm in vollem Umfang das Risiko sowohl der Beurteilung der Frage, ob die Kündigung rechtswidrig ist, als auch der Prüfung, ob überhaupt eine nach dem einschlägigen Rationalisierungstarifvertrag entschädigungspflichtige Entlassung vorliegt, auf, obwohl der Arbeitnehmer im Gegensatz zum Arbeitgeber mangels näherer Kenntnis der die Kündigung bedingenden betrieblichen Verhältnisse regelmäßig nicht in der Lage sei, beide Fragen verlässlich zu beurteilen.83 Das BAG hat diese Frage zunächst offen gelassen,84 hält nunmehr eine derartige Regelung jedoch ausdrücklich für rechtmäßig.85 Weder verstoße diese gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, noch gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB.86 Zunehmend an Bedeutung gewinnen aber auch Abfindungsansprüche im Rahmen so gen. „Tarifsozialpläne“.87 Es handelt sich dabei um Tarifverträge, die – vergleichbar einem Sozialplan nach Maßgabe des § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG – Maßnahmen zur Milderung oder den Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile der von einer Betriebs- oder Betriebsteilschließung betroffenen Arbeitnehmer vorsehen, neben Abfindungszahlungen kommen dabei auch verlängerte Kündigungsfristen, Qualifizierungsmaßnahmen oder die Finanzierung einer Beschäftigungsgesellschaft in Betracht.88 Ob derartige Tarifsozialpläne unter Anwendung von Arbeitskampfmaßnahmen durchgesetzt werden können, ist, gerade dann, wenn parallel Sozialplan- und Tarifverhandlungen stattfinden, bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt.89 Stets stehen die Tarifauseinander___________ 83

LAG Baden-Württemberg vom 14.11.2003, Az. 5 Sa 11/03, veröffentlicht auf juris-online. 84 BAG vom 23.02.2005, AP Nr. 42 zu § 1 TVG Tarifverträge: Druckindustrie Bl. 5. 85 BAG vom 06.12.2006, Az. 4 AZR 798/05 – noch nicht veröffentlicht. 86 BAG vom 06.12.2006, Az. 4 AZR 798/05 – noch nicht veröffentlicht. 87 Ein aktuelles Beispiel liefert die am 28.02.2006 nach wochenlangen Streiks erzielte Einigung zwischen der IG Metall und Electrolux über einen Sozialtarifvertrag für die 1.700 Arbeitnehmer, die von der Betriebsschließung der AEG-Hausgerätefertigung in Nürnberg betroffen sind. 88 Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017, 1020; Nicolai, SAE 2004, 240; Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46. 89 Im Grundsatz bejahend LAG Schleswig-Holstein vom 14.03.2003, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 2 ff.; LAG Niedersachsen vom 02.06.2004, LAGE Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf S. 8 f.; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017, 1026 f.; Löwisch, DB 2005, 554, 556 ff.; Wolter, RdA 2002, 218, 226. Ablehnend LAG Hamm vom 31.05.2000, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 3 ff.; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019, 1021 ff.; Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214, 2217 f.; Nicolai, SAE 2004, 240, 241 ff.; dies., RdA 2006, 33, 37 ff.; Reichold, BB 2004, 2814, 2817 f.; Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46 ff. Kritisch Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410, 414 ff.

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setzungen im Verdacht, tatsächlich auf eine Standortsicherung und damit eine Verhinderung der Betriebsänderung abzuzielen.90 Die Literatur führt eine kontroverse Debatte insbesondere darüber, ob die §§ 111 ff. BetrVG eine Sperrwirkung zugunsten des von den Betriebspartnern vereinbarten Sozialplans entfalten und somit die Regelungsbefugnis der Tarifpartner zum Abschluss eines Tarifvertrages über Gegenstände, die regelmäßig den Gegenstand eines Sozialplans bilden, ausschließen.91

C. Zusammenfassung Das KSchG ist vom Prinzip des Bestandsschutzes geprägt. Abgesehen von der Ausnahmeregelung des § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG eröffnen die §§ 9, 10 KSchG den Arbeitsvertragsparteien nur in sehr eingeschränktem Umfang eine Auflösung des rechtswidrig gekündigten Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung. Diesem als unbefriedigend empfundenen Umstand begegnet die Kündigungspraxis mit Abfindungsvergleichen und Abwicklungsverträgen, um eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung zu erreichen. Kollektivrechtliche Abfindungsansprüche aus Anlass der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses lassen demgegenüber das Bestandsschutzprinzip des KSchG unangetastet. Sie setzen keine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kündigung voraus, knüpfen regelmäßig an eine Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen an und verfolgen dabei unterschiedliche Ziele: die Sozialplanabfindung eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion, der Nachteilsausgleichsanspruch zusätzlich eine Sanktionierung für die Missachtung von betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechten durch den Arbeitgeber. Bei den tariflichen Abfindungsansprüchen schließlich sind, je nach Ausgestaltung des zugrunde liegenden Rationali___________ 90

J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019, 1020; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017, 1020; Nicolai, SAE 2004, 240, 241; Rolfs/Clemens, NZA 2004, 410, 414; Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46. Mit der Begründung, die Standortsicherung sei kein tariflich regelbares Ziel, erklärte auch das LAG Hamm den streitgegenständlichen Arbeitskampf für unzulässig, LAG Hamm vom 31.05.2000, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 3R f. 91 Für eine Sperrwirkung LAG Hamm vom 31.05.2000, AP Nr. 158 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 4 f.; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 1019, 1022 f.; Nicolai, SAE 2004, 240, 248 ff.; dies., RdA 2006, 33, 34 ff.; Schiefer/Worzalla, DB 2006, 46, 47. Dagegen LAG Schleswig-Holstein vom 14.03.2003, AP Nr. 165 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Bl. 7R f.; LAG Niedersachsen vom 02.06.2004, LAGE Nr. 74 zu Art. 9 GG Arbeitskampf S. 6 ff.; Franzen, ZfA 2005, 315, 331 ff., 337; Kühling/Bertelsmann, NZA 2005, 1017, 1019 f.; Löwisch, DB 2005, 554, 557 f.; Wolter, RdA 2002, 218, 226. Zwischen der tariflichen Regelungsmacht und der Durchsetzung mittels Arbeitskampfmaßnahmen differenzierend Franzen, ZfA 2005, 315, 335 ff.; Hohenstatt/Schramm, DB 2004, 2214, 2217 f.; Reichold, BB 2004, 2814, 2817 f.

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sierungsschutzabkommens, verschiedene Ziele denkbar, und zwar sowohl eine vergangenheitsbezogene Entschädigung für den Verlust des mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen sozialen Besitzstandes als auch ein in die Zukunft gerichteter Ausgleich der mit der Kündigung eintretenden Nachteile. Diese überblicksartige Zusammenstellung offenbart aber auch die terminologische Unschärfe des Begriffs der „Abfindung“. Bereits das Gesetz verwendet diesen für vollkommen unterschiedliche Tatbestände, wie die Regelung des § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG – Abfindung wegen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung – einerseits und die des § 113 Abs. 1 BetrVG – Abfindung wegen Verletzung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats gemäß § 111 BetrVG – andererseits belegen. Damit erweisen sich nicht nur die dem jeweiligen Abfindungsanspruch zugewiesenen Funktionen als äußerst verschieden. Auch knüpft der Abfindungsbegriff nicht zwingend an die Rechtswidrigkeit einer Kündigung an, sondern umfasst auch Zahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer bei Ausspruch einer rechtmäßigen Kündigung, wie das Beispiel der Sozialplanabfindung belegt.

§ 3 Die Kritik des geltenden Kündigungsschutzrechts – Wahrnehmung und Wirklichkeit Der gesetzliche Kündigungsschutz sieht sich bereits seit Jahren massiver Kritik ausgesetzt. In besonderem Maße trifft diese das Bestandsschutzprinzip des KSchG, welches bereits seit Jahren auf Kritik stößt und in der Kündigungspraxis weitgehend von rechtsgeschäftlichen Abfindungsvereinbarungen wie Abfindungsvergleich und Abwicklungsvertrag verdrängt wurde, die im Anschluss an eine arbeitgeberseitige Kündigung zu einer einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung führen. Nur schwer lässt sich davon die ebenfalls verbreitete Kritik des stark richterrechtlich geprägten Tatbestands der Sozialwidrigkeit, § 1 Abs. 2 KSchG, trennen. Unvermindert wird in der Öffentlichkeit schließlich auch eine Debatte über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes und dessen Einfluss auf die anhaltende Massenarbeitslosigkeit geführt. Aus diesen Auseinandersetzungen mit dem arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz sind schließlich die zahlreichen Reformvorschläge hervorgegangen, die sich vor allem einer Ergänzung oder gar Ablösung des Bestandsschutzprinzips durch Abfindungsansprüche verschrieben haben. Auch der Gesetzgeber sah sich mit der Verabschiedung des „Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt“ vom 24.12.20031 und dem damit verbundenen Inkrafttreten des § 1a KSchG zu einer ersten Reaktion veranlasst. Bevor sich nun § 4 der Arbeit den einzelnen Reformvorschlägen widmet und der 2. Teil der Arbeit sodann umfassend den Abfindungsanspruch des § 1a KSchG untersucht, zeichnet der folgende Abschnitt zunächst die dafür ursächlichen Auseinandersetzungen um den Kündigungsschutz nach und unterzieht diese einer kritischen Würdigung.

A. Die rechtspolitische Diskussion im rechtswissenschaftlichen Schrifttum – Argumente für eine Abkehr vom überkommenen Bestandsschutzprinzip des KSchG Der geltende gesetzliche Kündigungsschutz steht unter massivem rechtspolitischen Druck. Kritiker beklagen die nahezu unüberwindlichen Hürden, die der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber entgegenstehen und ein selbst für Fachleute kaum mehr zu überblickendes Kündigungsschutz___________ 1

BGBl. I, 3002.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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recht.2 Den Hintergrund dafür bilde eine verfehlte Qualifizierung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis auf Lebenszeit, dessen Kündigung dem für die Privatrechtsordnung konstitutiven Grundsatz „pacta sunt servanda“ zuwiderlaufe. 3 Entschließe sich ein Arbeitgeber zu einer Kündigung, erwarte ihn angesichts des von starker Rechtsunsicherheit geprägten Kündigungsschutzrechts mit hoher Wahrscheinlichkeit eine teure gerichtliche Auseinandersetzung, deren Ausgang nicht prognostiziert werden könne.4 So sei die Kündigungspraxis von einer hohen Klagequote 5 sowie einer unzumutbar langen Verfahrensdauer der Kündigungsschutzklagen geprägt.6 I. Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Anforderungen an eine sozial gerechtfertigte Kündigung Entscheidend trügen dazu die inhaltliche Unbestimmtheit der den gesetzlichen Kündigungsschutz prägenden Prinzipien bei: das „Prognoseprinzip“, das „ultima-ratio-Prinzip“ sowie der „Grundsatz der umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall“.7 Mit diesen sei vor allem bei personen- und verhaltensbedingten Kündigungen die Vorhersehbarkeit von Kündigungsschutzprozessen nahezu beseitigt worden.8 Deshalb werde auch in der Praxis immer wieder nach Auswegen gesucht, statt einer verhaltens- eine betriebsbedingte Kündigung auszusprechen.9 Rüthers, der den Ursprung des Prognose- sowie des ultimaratio-Prinzips in der völkischen Rechtsordnung des Dritten Reiches verortet,

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Kraus, Abfindungen, S. 64; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1602; Schiefer, NZA 2002, 770, 777; Willemsen, NJW 2000, 2779. 3 Franz/Rüthers, RdA 1999, 32, 36; Picker, ZfA 2005, 353, 369 f.; Rüthers, NJW 1998, 1433, 1436; ders., NJW 2002, 1601, 1605; ders., NJW 2003, 546, 548. So bereits Reuter, RdA 1973, 345. 4 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529; ders., NZA 2005, 1046. 5 Rüthers, NJW 2002, 1601, 1602 f.; Schiefer, NZA 2002, 770. So bereits Becker/Rommelspacher, ZRP 1976, 40. Demgegenüber wies Rühle, DB 1991, 1378 im Jahr 1991 noch auf eine geringe Zahl von Klagen hin. 6 Buchner, NZA 2002, 533, 534; ders., DB 2003, 1510, 1515; Kraus, Abfindungen, S. 69. Busch, BB 2003, 470, 471 spricht in diesem Zusammenhang von einer „monatelangen oder gar jahrelangen Unsicherheit bezüglich der Wirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung“. Ebenso bereits Becker/Rommelspacher, ZRP 1976, 40 f.: „temporäre Justizverweigerung“. 7 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529; Kraus, Abfindungen, S. 64 f.; Reuter, in: FS Wiedemann, S. 449, 459 ff.; Rühle, DB 1991, 1378, 1380; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1602 f.; Schiefer, NZA 2002, 770, 775 f.; Stege, in: FS Hanau, S. 107, 114. 8 Stege, in: FS Hanau, S. 107, 114. Detailliert Schiefer, NZA 2002, 770, 775 f. 9 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529.

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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sieht darin gar nationalsozialistische Ideologien fortwirken.10 Stets sei ihnen die Gefahr immanent, dazu benutzt zu werden, weltanschaulich motivierte Rechtsänderungswünsche als scheinbar objektiven Gesetzesinhalt auszugeben. 11 Doch auch die Vornahme einer betriebsbedingten Kündigung, die ein Arbeitgeber ausspreche, um auf wirtschaftliche Schwierigkeiten angemessen reagieren zu können, werde diesem erschwert und so die Unternehmerfreiheit in erheblichem Umfang eingeschränkt.12 Die Kritik in diesem Bereich entzündet sich insbesondere an der von § 1 Abs. 3 KSchG statuierten Verpflichtung zur Vornahme einer Sozialauswahl, die zu einer weitgehenden Unkalkulierbarkeit der Kündigung führe.13 Der dem Arbeitgeber vom BAG eingeräumte Beurteilungsspielraum entlaste diesen nicht.14 Darüber hinaus erweise sich das Erfordernis der unternehmensbezogenen Prüfung einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den von einer Kündigung bedrohten Arbeitnehmer in Großunternehmen als unmöglich durchführbar.15 Schließlich beachteten die Instanzgerichte auch nicht die klaren Vorgaben des BAG zur Begrenzung der arbeitsgerichtlichen Prüfung der unternehmerischen Entscheidung auf eine Missbrauchskontrolle.16 Trotz des Bemühens der Rechtsprechung, verlässliche Prinzipien des Kündigungsschutzrechts herauszubilden, sei eine Prognose darüber, wie die Arbeitsgerichte im Einzelfall über die Rechtmäßigkeit einer Kündigung entscheiden, nur schwer möglich.17

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Rüthers, NJW 1998, 1433, 1437 ff. Kritisch dazu in seiner Erwiderung Preis, NJW 1998, 1889 ff., der seinerseits den Ursprung beider Prinzipien in der Zeit der Weimarer Republik nachweist, S. 1891. Es folgten Repliken von Rüthers, NJW 1998, 1895 sowie Hanau, NJW 1998, 1895 und ein Schlusswort von Preis, NJW 1998, 1895. Rüthers bekräftigt seine Ansicht auch noch später, vgl. Franz/Rüthers, RdA 1999, 32, 36; insbesondere aber Rüthers, NJW 2002, 1601, 1606. 11 Rüthers, NJW 1998, 1433, 1439. 12 Hromadka, AuA 2002, 261, 262; ders., ZfA 2002, 383, 388; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 12. 13 Buchner, NZA 2002, 533, 534; ders., DB 2003, 1510, 1515: „völlig unbeherrschbare Abwägungskriterien“. Ebenso Hromadka, AuA 2002, 261, 262; ders., ZfA 2002, 383, 389 f.; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 12 f.; Rühle, DB 1991, 1378, 1380; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1603; Schiefer, NZA 2002, 770, 774. 14 Buchner, NZA 2002, 533, 534; ders., DB 2003, 1510, 1515. 15 Hromadka, AuA 2002, 261, 262; ders., ZfA 2002, 383, 389; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 12. Auf entsprechende Schwierigkeiten weist auch Schiefer, NZA 2002, 770, 774 hin. 16 Buchner, NZA 2002, 533, 534. 17 Kraus, Abfindungen, S. 66; Preis, RdA 2003, 65, 66.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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II. Der Abfindungsvergleich als Reaktion der Kündigungspraxis Angesichts dieser Rechtsunsicherheit und des Risikos, dem Arbeitnehmer im Unterliegensfalle eine Lohnnachzahlung wegen Annahmeverzugs leisten zu müssen, neige der Arbeitgeber dazu, Streitigkeiten über die Wirksamkeit der Kündigung kurzfristig im Vergleichsweg mittels Zahlung einer Abfindung zu erledigen.18 Da auch der Arbeitnehmer dies wisse, seien in der Praxis Klagen mit dem zwar unausgesprochenen, aber durchsichtigen Ziel, eine Abfindung herauszuhandeln, weit verbreitet.19 Das geltende Recht zwinge den Arbeitnehmer dabei zur Unehrlichkeit: Dieser wolle eigentlich eine Abfindung erhalten, müsse aber vor dem Arbeitsgericht auf seine Weiterbeschäftigung klagen und dann hoffen, dass ihm der Arbeitgeber eine Abfindung anbietet, um diese Rechtsfolge zu vermeiden.20 Gelinge der Abschluss eines Prozessvergleiches, werde dieser, um den Nachteil einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III zu vermeiden, häufig zulasten der Arbeitslosenversicherung gestaltet, indem beide Parteien einmütig protokollierten, das Arbeitsverhältnis sei aus betriebsbedingten Gründen auf Veranlassung des Arbeitgebers beendet worden, auch wenn tatsächlich verhaltensbedingte Gründe den Ausschlag für die Kündigung gegeben hätten.21 Zwei weitere Ursachen werden für den Umstand benannt, dass auch dem gekündigten Arbeitnehmer das Interesse an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fehle. Zum einen habe der Arbeitgeber mit seiner Kündigung das für eine tägliche Zusammenarbeit unerlässliche Vertrauensverhältnis erschüttert.22 Außerdem nähmen im Laufe des Kündigungsschutzprozesses die Aussichten und das Interesse des Arbeitnehmers auf Weiterbeschäftigung rapide ab: Mit dessen Ausscheiden aus dem Betrieb lasse die Bindung zu diesem rasch nach, betriebliche Veränderungen würden nicht mehr miterlebt, alte Arbeitszusammenhänge

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Boecken, in: Becker u.a., Reformen, S. 89, 94; Boecken/Topf, RdA 2004, 19, 22; Hromadka, AuA 2002, 261, 264; ders., ZfA 2002, 383, 391; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 13 f.; Löwisch, in: FS 50 Jahre BAG, S. 423, 424; Preis, RdA 2003, 65, 66; Rieble/Klumpp, JZ 2004, 817, 818; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1603; Schiefer, NZA 2002, 770, 771; Wank, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 5; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2282. Ausführlich zum Annahmeverzugsrisiko Boecken, in: Becker u.a., Reformen, S. 89, 94 ff.; Boecken/Topf, RdA 2004, 19, 22 ff. 19 Kraus, Abfindungen, S. 67. 20 Kraus, Abfindungen, S. 67; Neef, NZA 2000, 7, 9; Pfarr/Ullmann, WSI-Mit. 2003, 207, 212; Preis/W. Bender, NZA 2005, 1321, 1323; Rühle, DB 1991, 1378, 1380; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2280. 21 Kraus, Abfindungen, S. 69; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2280. 22 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 238; Wolter, NZA 2003, 1068, 1071.

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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gingen verloren, möglicherweise sei auch der frühere Arbeitsplatz anderweitig besetzt oder entfallen, die Arbeitsaufgaben anders verteilt worden.23 Das Kündigungsschutzrecht zeige sich so weitgehend als ein bloßes Abfindungsrecht, kaum ein Arbeitgeber müsse damit rechnen, dass der Gekündigte tatsächlich an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt.24 Diese Einschätzung teilt auch das BVerfG, das in seinem „Kleinbetriebs-Beschluss“ vom 27.01.1998 ausführt, in einem Kündigungsschutzprozess werde weniger um die Fortführung des Arbeitsverhältnisses gestritten als über eine Abfindung verhandelt.25 Nach der Beobachtung des Sachverständigenrates erfahre der Arbeitnehmer dabei von einer „beachtlichen Kündigungsdienstleistungsbranche“, bestehend aus Anwälten und Rechtsschutzversicherern, Ermutigung und tatkräftige Unterstützung.26 Rüthers zufolge führten in der Praxis gar 90 % aller Arbeitgeberkündigungen zu einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Abfindungsvergleich.27 Nach den Beobachtungen Buchners werde bei der weit überwiegenden Zahl der Kündigungsschutzverfahren keine rechtliche Klärung herbeigeführt, sondern im Vergleichsweg die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung vereinbart.28 Hromadka schätzt, dass die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung die entschädigungslose Kündigung verdrängt hat.29

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Wolter, NZA 2003, 1068, 1071. Ebenso bereits Becker/Rommelspacher, ZRP 1976, 40, 41. 24 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529; Däubler, AiB 2002, 457, 458; von HoyningenHuene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 237; Löwisch, in: FS 50 Jahre BAG, S. 423, 424; Notter, DB 1976, 772 f.; Preis, NJW 1998, 1889, 1894; Rühle, DB 1991, 1378, 1381; Schiefer, NZA 2002, 770, 777; Schlachter/Alewell, in: Alewell, Arbeitslosigkeit, S. 151, 171. 25 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 179 f. 26 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000, Rdnr. 682. Ebenso Rüthers, NJW 2003, 546, 549. 27 Rüthers, NJW 2002, 1601, 1602. In diese Richtung auch J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, nach dessen Beobachtung „fast alle Kündigungsschutzverfahren früher oder später in Abfindungsvereinbarungen münden.“ 28 Buchner, NZA 2002, 533, 534. Ebenso Neef, NZA 2000, 7, 8 und Wank, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 4. 29 Hromadka, AuA 2002, 261; ders., ZfA 2002, 383; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11. Vergleichbare Einschätzungen finden sich auch im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum: Donges/Eekhoff/Franz/Möschel/Neumann, Flexibler Kündigungsschutz, S. 13 f.: Der weitaus größte Teil der Kündigungsschutzklagen werde nicht durch streitiges Urteil, sondern im Wege des Vergleichs gegen Abfindung erledigt. Eger, in: Sadowski/Walwei, Ökonomische Analyse, S. 45, 65: Kündigungsschutzprozesse führten praktisch stets zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, gestritten werde nur noch darüber, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer eine Abfindung erhalte. Vgl. auch Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000, Rdnr. 682.

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Neu ist diese Kritik dabei keineswegs: Die fehlende praktische Durchsetzung des Bestandsschutzprinzips stand bereits vor 30 Jahren im Mittelpunkt der rechtspolitischen Diskussion um das Kündigungsschutzrecht.30 III. Negative Wirkungen am Arbeitsmarkt – Kündigungsschutz als Beschäftigungshemmnis Diese Defizite des Kündigungsschutzrechts, doch auch der Kündigungsschutz als solcher, führten zu negativen Wirkungen am Arbeitsmarkt: Kleinere und mittlere Unternehmen übten erhebliche Zurückhaltung gegenüber Neueinstellungen,31 Großunternehmen griffen zu Rationalisierungsmaßnahmen, um Kündigungen zu vermeiden.32 Die Ausweichmöglichkeiten reichten dabei von Überstunden und flexibler Arbeitszeit über befristete Arbeitsverträge und Leiharbeitsverhältnisse bis hin zur Outsourcing und Selbständigkeit.33 Der Kündigungsschutz erweise sich dabei für die kleinen und mittleren Unternehmen geradezu als „Schreckgespenst“.34 Gleichwohl blieben diese ökonomischen Zusammenhänge von der Rechtswissenschaft häufig unbeachtet.35 Dabei ist besonders die Annahme einer einstellungshemmenden Wirkung des Kündigungsschutzes weit verbreitet36 und seit langem auch vom Gesetzge___________ 30

Vgl. dazu nur Zöllner, in: 52. DJT, Bd. I, S. D 134 ff. Rieble/Klumpp, JZ 2004, 817, 818; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1604; Stege, in: FS Hanau, S. 107, 114. 32 Reuter, in: FS 25 Jahre BAG, S. 405, 420; Stege, in: FS Hanau, S. 107, 114. 33 Hromadka, AuA 2002, 261; ders., ZfA 2002, 383; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1604; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2282. 34 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529. 35 Bachmann, ZfA 2003, 43; Franz/Rüthers, RdA 1999, 32; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1605. Freilich wird dieser Vorwurf auch umgekehrt hinsichtlich der Wahrnehmung des Rechts durch die Wirtschaftswissenschaften erhoben, dazu Hanau, NJW 2005, 1173 f.; Pfarr, WSI-Mit. 2003, 313, 315 f.; Sadowski, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 92, N 102. 36 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 47, 48; ders., NZA 2005, 1046; Braun, Kündigungsschutz, S. 43 f.; Buchner, DB 2003, 1510, 1512; Busch, BB 2003, 470, 471; Franz/Rüthers, RdA 1999, 32, 35; R. Fritz, ZRP 2003, 338; Höland, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 23, 38 f.; von HoyningenHuene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 219; Hromadka, AuA 2002, 261; ders., ZfA 2002, 383; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11; Klosterkemper, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 94, 96; Ladeur, DÖV 2007, 1, 4; Löwisch, JZ 2000, 806; Moll, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 9, N 32 ff.; Picker, ZfA 2005, 353, 371 f.; Rebhahn, ZfA 2003, 163, 187; Reuter, RdA 1973, 345, 353; ders., in: FS 25 Jahre BAG, S. 405, 419 f.; ders., ORDO 36 (1985), 51, 64; ders., in: FS Wiedemann, S. 449, 463; ders., RdA 2004, 161, 164; Rieble, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 90; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 471; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1604; ders., NJW 2003, 546, 549; Schiefer, NZA 2002, 770; Söllner, in: GS Heinze, S. 867, 876; Stege, in: FS Hanau, S. 107, 122; Wank, RdA 1992, 225, 228; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3; H. Wenzel, Reduktion des Kündigungsschutzes, S. 9 f. Aus der 31

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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ber anerkannt.37 Gleichzeitig, so die Kritiker, errichte der Kündigungsschutz eine Marktzutrittsschranke und erweise sich so als Einstellungsbarriere für Arbeitsuchende, indem dieser den Arbeitsplatz zugunsten des Arbeitsplatzinhabers gegen eine Verdrängung durch Outsider schütze.38 Der Schutz wirke damit auf Kosten von Personen, von denen völlig ungewiss sei, ob sie nicht genauso oder sogar noch mehr auf den Arbeitsplatz als Existenzgrundlage angewiesen sind als die Arbeitsplatzinhaber.39 Vereinzelt wird deshalb sogar die Auffassung vertreten, die vom KSchG vorgenommene Einschränkung des Rechts zur ordentlichen Kündigung sei verfassungswidrig.40 Jedenfalls aber seien die durch den gesetzlichen Kündigungsschutz errichteten institutionellen Barrieren zumindest eine Ursache für die nach wie vor herrschende Massenarbeitslosigkeit.41 In noch stärkerem Maße als der allgemeine bilde jedoch der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte, Schwangere sowie Arbeitnehmer wäh___________ älteren Literatur etwa Schwerdtner, ZfA 1977, 47, 77. AA wohl nur Däubler, in: 63. DJT, Bd. II/1, S. L 11, L12; ders., AiB 2002, 457, 458; ders., NJW 2002, 2292, 2293; G. Huber, NZA 2005, 1340; Kittner, AuR 1995, 385, 387 f.; Lakies, NJ 2004, 150; P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 4 sowie Wolter, NZA 2003, 1068, 1069. Kritisch aber auch Bayreuther, NZA 2006, 417; Preis, NZA 1997, 1073; ders., in: Reform der Arbeitsförderung, S. 71, 74 ff.; ders., in: FS Hanau, S. 53, 76; ders., RdA 2003, 65, 66 f. sowie Zachert, NJW 2003, 2134, 2135; ursprünglich auch Hanau, Deregulierung des Arbeitsrechts, S. 7 f.; anders dann aber ders., in: 63. DJT, Bd. I, S. C 31; ebenso Zöllner, in: 52. DJT, Bd. I, S. D 51 einerseits, ders., ZfA 1994, 423, 433 f. andererseits. 37 BT-Drs. 13/4612, S. 1, 8 (Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz); BT-Drs. BT-Drs. 15/1204, S. 1, 8 (Gesetz für Reformen am Arbeitsmarkt). 38 Erstmals Reuter, RdA 1973, 345, 353; ders., RdA 1978, 344, 349; ders. in: FS 25 Jahre BAG, S. 405, 418 f.; ders., ORDO 33 (1982), 145, 187 f.; ders., RdA 2004, 161, 163 f. Ebenso Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 664 ff.; Braun, Kündigungsschutz, S. 91; Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 15; Helle, Konzernbedingte Kündigungsschranken, S. 93 ff.; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 360; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 220; Kraus, Abfindungen, S. 63; Neuhausen, Verzicht auf Kündigungsschutz, S. 55; Oetker, Bestandsschutz, S. 46; ders., RdA 1997, 9, 20 f.; Papier, DVBl. 1984, 801, 813; ders., RdA 2000, 1, 4; Picker, ZfA 2005, 353, 371; Powietzka, Kündigungsschutz, S. 41 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 471 ff.; H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), 7, 30 f.; Scholz, ZfA 1981, 265, 281; Schwerdtner, ZfA 1977, 47, 79; Stahlhacke, in: FS Wiese, S. 513, 531 f.; Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 48 ff.; H. Wenzel, Reduktion des Kündigungsschutzes, S. 21; Wiedemann, in: FS 25 Jahre BAG, S. 635, 656; Worpenberg, Arbeitnehmerüberlassung, S. 244 ff.; Zöllner, in: 52. DJT, Bd. I, S. D 113 ff. 39 Reuter, in: FS Wiedemann, S. 449, 463. 40 Reuter, RdA 2004, 161, 164; H. Wenzel, Reduktion des Kündigungsschutzes, S. 23 ff. 41 So wohl Moll, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 9, N 35; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1604; ders., NJW 2003, 546; Schiefer, NZA 2002, 770 sowie bereits Reuter, ORDO 36 (1985), 51, 64.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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rend der Elternzeit eine Einstellungsbarriere.42 Neben dem besonderen Kündigungsschutzverfahren drohe dem Arbeitgeber auch ein Prozess vor den Verwaltungsgerichten bezüglich der behördlichen Zustimmung, die Gesamtdauer beider Verfahren könne schnell fünf bis acht Jahre betragen. 43 Von diesem Schutz profitierten – zulasten der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens – auch unproduktive Arbeitnehmer, mitunter „unerträgliche Drückeberger oder Störenfriede“.44 Dabei komme in mehr als 90 % aller Fälle das Integrationsamt nicht umhin, dem Kündigungsverlangen des Arbeitgebers seine Zustimmung doch zu erteilen, so dass der ganze bürokratische Aufwand nur zu einer zeitlichen Verzögerung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe.45 Der Arbeitgeber, der vor die Alternative gestellt sei, gleich- oder höherwertige Arbeitsleistung ohne ökonomische Sonderbelastung zu erhalten, werde daher die günstigere Alternative wählen und einen Arbeitnehmer einstellen, auf den der besondere Kündigungsschutz nicht anwendbar ist.46 Vor diesem Hintergrund erweise sich der Sonderkündigungsschutz als kontraproduktiv. 47 IV. Schlussfolgerung: Abkehr vom Bestandsschutz hin zu einem Abfindungsschutz Alle Kritik mündet schließlich in den Ruf, nicht nur die Voraussetzungen für eine rechtmäßige und sozial gerechtfertigte Arbeitgeberkündigung umfassend neu zu bestimmen,48 sondern auch die Rechtsfolge des Kündigungsschutzes bei ___________ 42

Bachmann, ZfA 2003, 43, 67; Kraus, Abfindungen, S. 63; Löwisch, in: FS 50 Jahre BAG, S. 423, 427; Preis, in: Reform der Arbeitsförderung, S. 71, 74; ders., NZA 1997, 1256, 1260 f.; ders., in: FS Hanau, S. 53, 77; ders., NJW 2000, 2304, 2311; ders., RdA 2003, 65, 67 f.; Reuter, in: FS Wiedemann, S. 449, 473; Rüthers, NJW 2003, 546, 549; Stege, in: FS Hanau, S. 107, 123; Zöllner, ZfA 1994, 423, 433. Kritisch auch Schiefer, NZA 2002, 770, 772 f. Für eine einstellungshemmende Wirkung des besonderen Kündigungsschutzes für schwerbehinderte Arbeitnehmer auch BVerfG vom 01.10.2004, NJW 2005, 737. 43 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 531. 44 Franz/Rüthers, RdA 1999, 32, 34. 45 Gravenhorst, NZA 2005, 803, 804. 46 Preis, in: Reform der Arbeitsförderung, S. 71, 74; ders., in: FS Hanau, S. 53, 77 f.; ders., RdA 2003, 65, 67. 47 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 531; Kraus, Abfindungen, S. 63; Preis, in: Reform der Arbeitsförderung, S. 71, 94 f.; ders., in: FS Hanau, S. 53, 77; ders., NJW 2000, 2304, 2311. 48 Dazu etwa J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530 ff.; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 47, 51; Bayreuther, NZA 2006, 417, 419 ff.; Buchner, DB 2003, 1510, 1516; Busch, BB 2003, 470, 472 ff.; Giesen, ZfA 2003, 467, 469 ff., 474 ff.; Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 31 ff., C 54 ff.; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 230 ff.; Hromadka, AuA 2002, 261, 264 f.; ders., NZA 2002, 783 f.; ders., ZfA 2002, 383, 393 ff., 397 ff.; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 15 ff., 19 ff.; Junker, in: 65. DJT, Bd. I, S. B 66 ff.; Preis, RdA 2003, 65, 72 ff., 76 ff.;

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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einer rechtswidrigen oder sozial ungerechtfertigten Kündigung von dem derzeit geltenden Bestandsschutz verstärkt hin zu einem Abfindungsschutz zu verändern.49 Damit würde die längst fällige Anpassung des Kündigungsschutzrechts an die Kündigungspraxis vollzogen.50 Die Palette der angebotenen Reparaturvorschläge für den allgemein für notwendig erachteten Kündigungsschutz ist allerdings bunt und reicht von einem Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz gegen Zahlung einer Abfindung über eine vollständige Aufgabe des Bestandsschutzprinzips zugunsten einer Abfindungszahlung bei gleichzeitiger Beibehaltung der gerichtlichen Kontrolle der Kündigung bis hin zu einer Kombination aus Abfindungs- und Bestandsschutz.51 Daneben findet sich auch die Forderung, den Arbeitgeber bei Ausspruch einer Kündigung unabhängig von deren sozialer Rechtfertigung zur Zahlung einer Abfindung zu verpflichten.52 Häufig wird dabei auf die Vorbild___________ ders., NZA 2003, 252 ff.; Reuter, in: FS Wiedemann, S. 449, 464 ff.; Schiefer, NZA 2002, 770, 774 f.; Wolter, NZA 2003, 1068, 1072 ff. Zur Diskussion um die Anhebung des in § 23 Abs. 1 KSchG normierten Schwellenwertes auf dem 65. Deutschen Juristentag Junker, in: 65. DJT, Bd. I, S. B 66 ff.; Moll, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 9, N 28 ff.; Pfarr, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 47, N 58 ff.; aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht Sadowski, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 93, N 95 ff. Zu dem entsprechenden Beschluss, den Schwellenwert auf 20 anzuheben vgl. 65. DJT, Bd. II/1, S. N 109, N 110 f. Vorsichtiger noch der Beschluss Nr. 13 lit. b des 63. DJT, Bd. II/1, S. L 59, L 61: Anhebung auf elf Arbeitnehmer. 49 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530, 533; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 47, 51; Bepler, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 122, 123; Buchner, NZA 2002, 533, 535; ders., DB 2003, 1510, 1515 f.; ders., Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 113, 119 f.; Busch, BB 2003, 470, 471 f.; DAV, Reform des Kündigungsschutzes, S. 3; Dieterich, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 114, 115; Eckert, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 125, 130 f.; Giesen, ZfA 2003, 467, 470 f., 477 ff.; Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 66; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 118, 119; Heinze, in: 63. DJT, Bd. II/2, S. L 33, L 39 f.; Henssler, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 89, 90; ders., AusschussDrs. 15(9)560, S. 76, 77; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 240 f.; Hromadka, AuA 2002, 261, 264 ff.; ders., NZA 2002, 783 f.; ders., ZfA 2002, 383, 393 f.; 397 f.; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 14 ff., 19 ff.; Kraus, Abfindungen, S. 70; Löwisch, JZ 2000, 806; Neef, NZA 2000, 7, 8; Oetker, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 137, 138 f.; Pfarr, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 47, N 59 f.; Preis, RdA 2003, 65, 72 f., 78 ff.; ders., NZA 2003, 252 ff.; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 110, 112; Rieble, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 90, 91; Rühle, DB 1991, 1378, 1379 ff.; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1609; ders., NJW 2003, 546, 549; Schiefer, NZA 2002, 770, 777; Söllner, in: GS Heinze, S. 867, 876 f.; P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 24, 26 ff.; Thüsing, NJW 2005, 3477; Wank, RdA 1992, 225, 229; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 4, 5 f.; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2783 ff. Aus dem älteren Schrifttum etwa Becker/Rommelspacher, ZRP 1976, 40, 43; Schwerdtner, ZIP 1984, 10, 21 f. sowie Zöllner, in: 52. DJT, Bd. I, S. D 147 f. Vgl. auch den Beschluss Nr. 6 lit. c des 65. DJT, Bd. II/1, S. N 109, N 111. 50 Willemsen, NJW 2000, 2779, 2280. 51 Vgl. dazu im Einzelnen später unten unter § 4 A, S. 103 ff. 52 Vgl. dazu im Einzelnen später unten unter § 4 A I, S. 97 ff.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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wirkung der Rechtsordnung anderer europäischer Nachbarländer hingewiesen.53 Anders als die scharfe Kritik dies vermuten lässt, bleibt der besondere Kündigungsschutz von den vorgestellten Regelungsmodellen weitgehend ausgespart. Lediglich J.-H. Bauer und Preis legen auch für diese Arbeitnehmergruppen Entwürfe für einen geänderten Kündigungsschutz vor, der sich ebenfalls verstärkt am Prinzip des Abfindungsschutzes orientieren soll.54 Geradezu exotisch muten demgegenüber die Vorschläge von Wolters, Boecken und Topf an, nicht die gängige Abfindungspraxis nachzuvollziehen und auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen, sondern dem Bestandsschutzprinzip des KSchG stärker als bislang zu seiner tatsächlichen Verwirklichung zu verhelfen: Nach der Auffassung Wolters’ soll dies mit einer tatbestandlichen Erweiterung des Weiterbeschäftigungsanspruchs während des Kündigungsschutzprozesses sowie einer massiven Ausweitung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats und des Wirtschaftsausschusses im Vorfeld betriebsbedingter Kündigungen realisiert werden.55 Boecken und Topf plädieren für einen Ausschluss des Annahmeverzugs nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. nach Zugang der außerordentlichen Kündigung.56 V. Ziele der Reformbemühungen: Anpassung des Kündigungsrechts an die Kündigungspraxis und Belebung des Arbeitsmarktes Erklärtes Ziel der Reformvorschläge des Schrifttums ist es, den Kündigungsschutz flexibler zu gestalten und damit insbesondere notwendige Kündigungen im Rahmen von Umstrukturierungsprozessen von unnötigen Kosten zu entlasten. Einige Autoren erhoffen sich von ihren Änderungsvorschlägen starke beschäftigungsfördernde Effekte und einen Abbau der Arbeitslosigkeit.57 Ein Abbau von Kündigungsschutz könne zusätzliche Arbeitsplätze schaffen und zugleich die Chancen der Arbeitslosen auf eine Rückkehr ins Arbeitsleben er___________ 53

J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530; Buchner, NZA 2002, 533, 534; ders., DB 2003, 1510, 1515; Busch, BB 2003, 470; Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 17 f.; von HoyningenHuene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 239; Neef, NZA 2000, 7, 8; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1605; ders., NJW 2003, 546, 549; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2281. 54 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 531; Preis, in: Reform der Arbeitsförderung, S. 71, 95; ders., NJW 2000, 2304, 2311. 55 Wolter, NZA 2003, 1068, 1071 ff. 56 Boecken, in: Becker u.a., Reformen, S. 89, 97 ff.; Boecken/Topf, RdA 2004, 19, 20, 24 ff. 57 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 531; Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 66; Heinze, in: 63. DJT, Bd. II/2, S. L 33, L 40; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 220. Davon geht auch der Gesetzgeber des „Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt“ aus, BT-Drs. 15/1204, S. 1.

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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höhen.58 Andere europäische Länder, etwa Spanien, die Niederlande, Großbritannien und Dänemark hätten mit einer Liberalisierung des Arbeitsrechts ebenfalls beachtliche Erfolge im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit erzielt.59

B. Kritik aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum – Zur ökonomischen Theorie des Kündigungsschutzes Das geltende Kündigungsschutzrecht steht nicht nur im zentralen Blickfeld der Arbeitsrechtswissenschaft, es beschäftigt auch die Arbeitsökonomen im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum, die sich mit den Wirkungen des Kündigungsschutzes am Arbeitsmarkt auseinandersetzen. Anders als die Überschrift dies suggerieren mag, existiert aber eine allgemein geteilte ökonomische Theorie des Kündigungsschutzes, die Gründe für oder gegen einen gesetzlichen Kündigungsschutz liefert, nicht.60 Anhänger der traditionellen neoklassischen Theorie auf der einen Seite fordern die weitgehende Abschaffung der Schutzrechte, während demgegenüber bei Vertretern neuer institutionenökonomischer Modelle zwar Einigkeit über die Notwendigkeit staatlicher Regulierungen herrscht, nicht aber die optimale Regulierungsintensität.61 Letztere schreiben dem Kündigungsschutz durchaus zahlreiche positive Wirkungen zu.62 Vor dem Hintergrund des in der ökonomischen Theorie dominanten neoklassischen Paradigmas sieht sich, vergleichbar den Stellungnahmen des rechtswissenschaftlichen Schrifttums, der Kündigungsschutz allerdings ebenfalls dem Verdacht ausgesetzt, zahlreiche negative Wirkungen nach sich zu ziehen63 und zu suboptimalen Ergebnissen auf dem Arbeitsmarkt zu führen. Die Kritik mündet dabei immer wieder in die folgende zentrale These: Die Kosten des Kündigungsschutzes in Gestalt von Weiterbeschäftigungs- und Lohnfortzahlungsverpflichtungen, Abfindungsansprüchen und Rechtsverfolgungskosten ___________ 58

von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 221. von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 220. 60 Janson, Ökonomische Theorie, S. 220. 61 Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 143. Einen Überblick über die verschiedenen wirtschaftswissenschaftlichen mikro- und makroökonomischen Theorien liefern etwa Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 144 ff., ausführlicher in: Ökonomische Theorie, S. 106 ff.; Eichhorst u.a., Benchmarking Deutschland, S. 162 ff. und Wagner/Jahn, Neue Arbeitsmarkttheorien, S. 293 ff. 62 Vgl. dazu die Darstellungen bei Eger, in: Sadowski/Walwei, Ökonomische Analyse, S. 45, 51 ff.; Janson, Ökonomische Theorie, S. 225 ff.; Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2005/06, BT-Drs. 16/65, Rdnr. 225; sowie Sadowski, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 93, N 99 f. 63 Ein Überblick findet sich etwa bei Janson, Ökonomische Theorie, S. 221 ff. und Walwei, in: Sadowski/Walwei, Ökonomische Analyse, S. 75, 80 ff. 59

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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führten zu einem regulierungsbedingten Beschäftigungsverlust, weil der ökonomisch rational handelnde Arbeitgeber diese Kosten bei der Entscheidung über die Einstellung eines Arbeitnehmers antizipiere und er somit in seinem Einstellungsverhalten zurückhaltender reagiere.64 Je strenger also die dem Arbeitgeber vom Rechtssystem auferlegten Maßstäbe zur Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sind, desto schwieriger und teurer werde diese Handlungsalternative für ihn. Steige der Arbeitskräftebedarf im Unternehmen, so weiche der Arbeitgeber auf andere Anpassungsvarianten wie befristete Einstellungen, Anordnung von Überstunden oder den Einsatz von Leiharbeitnehmern aus.65 Damit verschlechtere der Kündigungsschutz die Arbeitsmarktchancen potentieller Arbeitnehmer, der vom Kündigungsschutz bezweckte Schutz des sozial Schwächeren kehre sich so in sein Gegenteil.66 Die Schutzregelungen wendeten sich gegen Outsider und führten zur Verfestigung und Erhöhung der Arbeitslosigkeit, weil die Unternehmen angesichts des Kündigungsschutzes und der aus diesem Schutz folgenden Schwierigkeit, das Arbeitsverhältnis wieder aufzulösen, von vornherein darauf verzichteten, einem Arbeitslosen einen Arbeitsplatz anzubieten.67

C. Empirische Analyse des Kündigungsschutzes – Ergebnisse der Rechtstatsachenforschung Derart fundamentale und weit verbreitete Kritik am arbeitsrechtlichen Bestandsschutz sowohl aus dem rechts- als auch dem wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum bedarf zu ihrer Würdigung einer Überprüfung anhand der von der Rechtstatsachenforschung gefundenen Ergebnisse. Erforderlich ist dies gerade deshalb, weil die Debatte zur Reform des Kündigungsschutzes in den vergangenen Jahren weitgehend unbeachtet bereits gewonnener empirischer Er-

___________ 64

Berthold, Perspektiven der Wirtschaftspolitik Bd. 1 (2000), 229, 237 f.; Donges/Eekhoff/Franz/Möschel/Neumann, Flexibler Kündigungsschutz, S. 7, 16; Heine/Schild, in: Ott/Schäder, Ökonomische Analyse, S. 246, 271; Janson, Ökonomische Theorie, S. 221; Jerger, Wirtschaftsdienst 2003, 215, 217; von Klitzing, Ordnungsökonomische Analyse, S. 201; H. Siebert, Strategien für mehr Beschäftigung, S. 177 ff.; Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2005/06, BT-Drs. 16/65, Rdnr. 225; Schellhaaß, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 28, 31. Wohl auch Kleinhenz, in: 63. DJT, Bd. I, S. B 66. Kritisch dazu etwa Franz, ZfA 1994, 439, 447 ff. 65 Donges/Eekhoff/Franz/Möschel/Neumann, Flexibler Kündigungsschutz, S. 7, 16; Franz, Arbeitsmarktökonomik, S. 416. 66 Berthold, Perspektiven der Wirtschaftspolitik Bd. 1 (2000), 229, 238; Franz, Arbeitsmarktökonomik, S. 416; Jerger, Wirtschaftsdienst 2003, 215, 217. 67 Jerger, Wirtschaftsdienst 2003, 215, 217; Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000, Rdnr. 679; H. Siebert, Strategien für mehr Beschäftigung, S. 179 f.

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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kenntnisse verlaufen ist.68 Das betrifft sowohl die Annahmen zur Praxis des geltenden Kündigungsschutzes69 als auch die Wirkungen des Kündigungsrechts auf den Arbeitsmarkt.70 Besonderes Aufsehen erregen muss dabei ein Beschluss der Arbeitsrechtlichen Abteilung des 65. Deutschen Juristentages: Mit überwältigender Mehrheit71 hat diese die bereits durchgeführten repräsentativen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zu den tatsächlichen Auswirkungen des Kündigungsschutzes – gemeint war wohl die Untersuchung „Regulierung des Arbeitsmarktes“ (REGAM) des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) – ausdrücklich nicht „als einen maßgeblichen Beitrag zur Gewährleistung einer rationalen rechtspolitischen Diskussion“ anerkannt.72 Dabei existiert gerade hinsichtlich der beschäftigungspolitischen Dimension des Kündigungsschutzes bereits seit Jahren eine Fülle von empirischen Untersuchungen. Zu eindeutigen Ergebnissen gelangen diese freilich nicht immer, und auch hinsichtlich der Erfassung der Praxis des Kündigungsrechts bestehen trotz des breiten Ansatzes der REGAM-Untersuchung des WSI,73 das seit 2003 die Ergebnisse umfangreicher repräsentativer Erhebungen zur Praxis des Arbeitsrechts in Deutschland vorgestellt hat, noch auszufüllende Lücken. Die umfassendste Untersuchung zur Kündigungspraxis ist nach wie vor die vom damaligen Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Dr. Herbert Ehrenberg ___________ 68

Dazu besonders kritisch Pfarr, WSI-Mit. 2003, 313 sowie Pfarr/ Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 1 ff. 69 Ausnahmen hierzu bilden die Arbeiten von Höland, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 23, 28 ff., 38 ff.; Junker, in: 65. DJT, Bd. I, S. B 53 f.; Kittner, AuR 1995, 385, 387; Moll, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 9, N 23 f.; N 34 f.; Rühle, DB 1991, 1378; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1602 f.; Preis, in: Reform der Arbeitsförderung, S. 71, 75 f.; ders., RdA 2003, 65, 68 f.; P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 8 f. 70 Ausnahmen hierzu bilden die Arbeiten von Franz/Rüthers. RdA 1999, 32, 33; Höland, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 23, 41 ff., 45 ff.; Junker, in: 65. DJT, Bd. I, S. B 47 ff.; Kittner, AuA 1995, 385, 387; Moll, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 9, N 30 ff.; Preis, in: Reform der Arbeitsförderung, S. 71, 76; ders., RdA 2003, 65, 66 f.; P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 5, 7 und Wolter, NZA 2003, 1068, 1069. 71 55 zu 15 Stimmen bei 15 Stimmenthaltungen. 72 So der Beschluss Nr. 1 lit. b, 65. DJT, Bd. II/1, S. N 109. Der Beschluss Nr. 1 des 63. Deutschen Juristentages 2000, angenommen mit 131 Stimmen bei vier Enthaltungen und keiner Gegenstimme besagte noch, dass arbeitsrechtliche Regelungen zukünftig in stärkerem Maße arbeitsmarktpolitische Effekte berücksichtigen sollen, 63. DJT, Bd. II/1, S. L 59. 73 Vgl. dazu die Internetpräsenz des REGAM-Projektes, http://www.boeckler.de/cps/ rde/xchg/SID-3D0AB75D-107E7594/hbs/hs.xsl/projektlist_projekte_wsi_21948.html (28.02.2007), mit Hinweisen über das Ziel und die methodische Vorgehensweise sowie zahlreichen Veröffentlichungen zu bereits gewonnenen Erkenntnissen. Datengrundlage und Methodik erläutern auch Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 8 ff.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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1978 beim Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg in Auftrag gegebene empirische Untersuchung „Kündigungspraxis und Kündigungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland“. 74 An diese knüpft gegenwärtig das Forschungsprojekt „Kündigungspraxis und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis“ (KÜPRAX) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg unter der Leitung von Höland an.75 Das Fehlen eindeutiger Ergebnisse liegt nicht zuletzt an den unabweisbaren Schwierigkeiten, mittels multivariater Analysen den Einfluss des Kündigungsschutzrechts auf zentrale Arbeitsmarktindikatoren wie der Rate des JobTurnover, der Arbeitslosen- oder der Beschäftigungsquote aus einer Fülle arbeitsmarktbeeinflussender Variablen herauszulösen.76 Daraus aber die Schlussfolgerung zu ziehen, in komplexen Entscheidungssituation ließen sich einzelne Entscheidungsfaktoren nicht isolieren,77 empirische Studien seien gar ungeeignet, um in der Arbeitsrechtspolitik die Folgen gesetzlicher (Neu)Regelungen abzuschätzen,78 erscheint indes verfehlt, stellt sie doch die methodische Kompetenz sämtlicher rechtstatsächlicher Untersuchung auf der Grundlage multivariater Analysen in Abrede.79 I. Die Praxis des Kündigungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland Dabei zwingen diese Analysen gerade zu einer differenzierteren Kritik am gesetzlichen Kündigungsschutz. Dies trifft einerseits auf die Praxis des Kündigungsrechts zu, die im Mittelpunkt der aktuellen REGAM-Untersuchung sowie des KÜPRAX-Projektes steht.

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Falke/Höland/Rhode/Zimmermann, Kündigungspraxis und Kündigungsschutz, Bd. I und II. 75 Zum Forschungskonzept und der Erhebungsmethode vgl. Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 6 ff. Die Internetpräsenz des Projektes (http://www.kueprax.de (03.04.2006)) ist inzwischen offline, die gesamte Studie, veröffentlicht in der Reihe Schriften der Hans-Böckler-Stiftung im Nomos-Verlag, war bei Fertigstellung des Manuskripts noch nicht verfügbar. 76 Dazu Eichhorst u.a., Benchmarking Deutschland, S. 181 f.; Franz/Rüthers, RdA 1999, 32, 33; Junker, in: 65. DJT, Bd. I, S. B 51 f.; Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2005/06, BT-Drs. 16/65, Rdnr. 225. Zahlreiche Studien weisen bereits selbst auf diese Schwierigkeiten hin, vgl. etwa T. K. Bauer/S. Bender/Bonin, IZA Discussion Paper No. 1105 (2004), S. 9 f.; Blanchard/Wolfers, The Economic Journal Vol. 110 (2000), C 1, C 23; Lazear, The Quarterly Journal of Economics Vol. 105 (1990), 699, 720 f.; Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2003, 2286, 2289. 77 Junker, in: 65. DJT, Bd. I, S. B 52. 78 Junker, in: 65. DJT, Bd. I, S. B 53. 79 Kritisch auch Sadowski, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 93, N 102.

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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1. Der Anteil der Arbeitgeberkündigungen, Klagequote und Dauer von Kündigungsschutzprozessen Die Praxis des Kündigungsrechts, so die Kritik aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum, sei geprägt von einer hohen Klagequote sowie unzumutbar langen Verfahrensdauern.80 Dem liegt häufig die Annahme zugrunde, dass regelmäßig eine Arbeitgeberkündigung das Arbeitsverhältnis beendet. Einer repräsentativen Erhebung des WSI aus dem Jahr 2001 zufolge betrug der Anteil der Arbeitgeberkündigungen an den möglichen Beendigungstatbeständen eines Arbeitsverhältnisses in den Jahren 1999/2000 jedoch nur 32 %, in 10 % aller Fälle endete das Arbeitsverhältnis durch einvernehmliche Aufhebung.81 Überraschend bildete die arbeitnehmerseitige Kündigung mit 39 % den häufigsten Beendigungstatbestand, während sich der Anteil des Auslaufens einer Befristung auf 20 % belief.82 Kündigte der Arbeitgeber, so geschah dies in nahezu zwei Dritteln aller Fälle aus betriebsbedingten Gründen, personen- und verhaltensbedingte Gründe nahmen einen Anteil von nur 12 % ein, in 23 % der Fälle konnte keine eindeutige Zuordnung getroffen werden.83 Ähnliche Zahlen hat die REGAM-Untersuchung für den Zeitraum 2000 bis 2003 ergeben: Sie ermittelte einen Anteil der Arbeitgeberkündigungen von 27,5 %, 35,4 % entfielen auf Arbeitnehmerkündigungen, 6 % der Arbeitsverhältnisse endeten mittels einvernehmlicher Aufhebung, 11,3 % durch Auslaufen einer Befristung.84 Dabei sprachen die Arbeitgeber in kleineren Betriebsgrößenklassen deutlich häufiger eine Kündigung aus als in Großbetrieben.85 So lag der Anteil von Arbeitgeberkündigungen in Betrieben bis zu 10 Arbeitnehmern bei 36,4 %, sank aber auf 14,8 %, sobald die Arbeitgeber 250 und mehr Arbeitnehmer beschäftigen.86 Trotz dieses höheren Anteils der arbeitgeberseitigen Kündigungen an allen Beendigungen kamen solche Kündigungen im betrieblichen Alltag selten vor: Im ersten Halbjahr 2003 hatte das Risiko, in einem Betrieb mit bis zu fünf Beschäftigten arbeitgeberseitig gekündigt zu werden, bei 3,4 % gelegen, was ei-

___________ 80

Vgl. dazu oben einleitend zu § 3 A, S. 62. Bielenski/Hartmann/Pfarr/Seifert, AuR 2003, 81, 84 f. 82 Bielenski/Hartmann/Pfarr/Seifert, AuR 2003, 81, 84 f. 83 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106, 108; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 51. 84 Pfarr/Bothfeld/Bradtke/Kimmich/J. Schneider/Ullmann, RdA 2004, 193, 198. 85 Pfarr/Bothfeld/Bradtke/Kimmich/J. Schneider/Ullmann, RdA 2004, 193, 198. Zu den verschiedenen Untersuchungen und den Ursachen der teilweise abweichenden Ergebnisse ausführlich Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 45 ff. 86 Pfarr/Bothfeld/Bradtke/Kimmich/J. Schneider/Ullmann, RdA 2004, 193, 198. 81

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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nem Durchschnitt von zwei Kündigungen in drei Jahren entspricht.87 Pfarr, Ullmann, Bradtke, Schneider, Kimmich und Bothfeld weisen aber auch darauf hin, dass die Bedeutung der arbeitgeberseitigen Kündigung zwischen den Jahren 2000 und 2003 kontinuierlich zugenommen und ihr Anteil 2003 erstmals den der arbeitnehmerseitigen Kündigung überstiegen hat.88 Im Rahmen der REGAM-Untersuchung hat das WSI dann auf der Basis von Personenbefragungen eine durchschnittliche Klagequote zwischen 11,1 und 15,3 % ermittelt, die in Kleinstbetrieben (bis zu fünf Arbeitnehmer) mit 7 % unter diesem Wert lag und mit der Betriebsgröße anstieg.89 In Betrieben mit sechs bis 49 Arbeitnehmern betrug die Klagequote 17 % und erhöhte sich auf 23 %, sofern der Arbeitgeber dort 50 und mehr Arbeitnehmer beschäftigte. 90 Nicht nur die zunehmende Betriebsgröße, auch die Existenz eines Betriebsrats erhöhte die Klagebereitschaft der Arbeitnehmer.91 Eine Untersuchung des Einflusses der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Betriebs auf die Klagequote lieferte keine eindeutigen Ergebnisse.92 Kündigte der Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen, so fiel die Klagequote mit durchschnittlich 10 % geringer aus als bei Ausspruch einer personen- oder verhaltensbedingten Kündigung (12 %).93 Eine mit 16 % leicht höhere Klagequote weist der erste KÜPRAXZwischenbericht für das Jahr 2003 aus,94 was unter Berücksichtigung der REGAM-Ergebnisse auf einen Anstieg der Klagehäufigkeit hindeutet.

___________ 87

Pfarr/Bothfeld/Bradtke/Kimmich/J. Schneider/Ullmann, RdA 2004, 193, 198 f.; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 49 f. 88 Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 48 f. 89 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106 f., wobei die Autoren aber auch auf mögliche Ungenauigkeiten hinweisen und sich mit Erhebungen auseinandersetzen, die eine deutlich höhere Klagequote ermittelt haben. Den Anteil von 11,1 % hat eine vorangegangene repräsentative Erhebung des WSI ergeben, dazu Bielenski/Hartmann/Pfarr/Seifert, AuR 2003, 81, 87. Zu beiden Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 58 f. 90 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106; Pfarr/Ullmann/ Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 59. 91 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106, 107; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 64. 92 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106, 107 f.; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 63 f. 93 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106, 108, bezogen auf eine für die Jahre 1999/2000 ermittelte Klagequote von 11,1 %. 94 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 13.

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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Abweichende Erkenntnisse liefern Jahn und Schnabel auf der Grundlage der Statistik der Arbeitsgerichtsbarkeit hinsichtlich der anhängigen und erledigten Kündigungsschutzklagen sowie des IAB-Betriebspanels 2001, einer repräsentativen Befragung von 15.000 Betrieben aller Größenklassen.95 Sie haben eine nahezu doppelt so hohe Klagequote von annähernd 27 % ermittelt, indem sie die errechnete Anzahl von ca. 1 Mio. Arbeitgeberkündigungen für das Jahr 2001 mit der Zahl von 245.000 – 310.000 erledigter Kündigungsschutzklagen96 verglichen97. Diese Vorgehensweise sieht sich allerdings der Kritik hinsichtlich ihrer methodischen Vorgehensweise ausgesetzt:98 Zum eine falle ein deutlicher Widerspruch zu den für das Jahr 2001 erfassten 2,2 Mio. Arbeitslosmeldungen nach Arbeitgeberkündigung auf, zumal nur rund 80 % der Entlassenen sich beim Arbeitsamt arbeitslos meldeten, auch wenn diese Statistik möglicherweise einige Fälle von Arbeitsgeberkündigungen zweimal erfasse.99 Das IABBetriebspanel umfasse außerdem nur Personalabgänge aus noch bestehenden Betrieben, nicht jedoch solchen, die aus dem Markt gegangen sind.100 Schließlich beruhten die Daten des IAB-Betriebspanels auf einer ungenauen Hochrechnung vom ersten Halbjahr 2001 auf das Gesamtjahr, obwohl ein Vergleich mit der Statistik der Bundesagentur für Arbeit ergebe, dass auf diesen Zeitraum weniger als die Hälfte der Kündigungen für das Gesamtjahr entfalle.101 Zur Dauer der von den Arbeitnehmern geführten Kündigungsschutzprozesse gibt die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung veröffentlichte Statistik der Tätigkeit der Arbeitsgerichte für das Jahr 2003102 Aufschluss, die auch die Grundlage der KÜPRAX-Untersuchung bildet. Von den insgesamt 343.385 durch die Arbeitsgerichte erledigten Bestandsstreitigkeiten, zu denen 327.957 (95,5 %) Kündigungsschutzklagen zählen, wurde der weit überwiegende Teil von 219.233 Klagen (66,8 %) binnen drei Monaten erledigt. Etwa 16,1 % der Verfahren dauerten zwischen drei und sechs Monaten, 15,3 % über ___________ 95

Jahn/Schnabel, Wirtschaftsdienst 2003, 219 ff. Zahlen aus den Jahren 1997 bis 2002. 97 Jahn/Schnabel, Wirtschaftsdienst 2003, 219 f. 98 Ausführlich Bielenski/Ullmann, BArbBl. 10/2005, 4 ff., die sich auch mit dem Datenmaterial des WSI auseinandersetzen. 99 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106, 107; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 45. 100 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106, 107; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 45. 101 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106, 107; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 45. 102 Im Internet abzurufen auf der Homepage des BMAS, http://www.bmas.bund.de/ BMAS/Redaktion/Pdf/ergebnisse-der-statistik-der-arbeitsgerichtbarkeit-2003,property= pdf,bereich=bmas,sprache=de,rwb=true.pdf (28.02.2007). 96

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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sechs bis zwölf Monate, länger als ein Jahr waren lediglich 4,6 % der Klagen anhängig. Die Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten wiesen eine längere Dauer auf, was daran liegen könnte, dass sich auch der Anteil der durch streitiges Urteil beendeten Berufungsverfahren erhöhte.103 Im Jahr 2003 verzeichneten die Landesarbeitsgerichte insgesamt 10.999 Bestandsstreitigkeiten, von denen nur noch etwa 30,3 % innerhalb von drei Monaten erledigt wurden. Bei etwa 39,3 % betrug die Verfahrensdauer über drei bis zu sechs Monate, bei 26,6 % zwischen sieben und zwölf Monaten, 13,3 % der Berufungsverfahren dauerten länger als ein Jahr. Für das Revisionsverfahren vor dem BAG weist die Statistik die Bestandsstreitigkeiten nicht mehr gesondert aus. Der Vorwurf einer auf die Arbeitgeberkündigung bezogenen hohen Klagequote ist angesichts dieses Zahlenmaterials ebenso wenig zu rechtfertigen wie der einer generell unzumutbar langen Verfahrensdauer. Darüber hinaus ist zu beachten, dass lediglich knapp ein Drittel aller Arbeitsverhältnisse durch eine Kündigung des Arbeitgebers beendet werden. Mindestens 84 % aller Arbeitgeberkündigungen ziehen keine gerichtliche Auseinandersetzung nach sich. Die oft behauptete Rechtsunsicherheit bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses lässt sich nicht mit einer besonders hohen Klagefreudigkeit der Arbeitnehmer belegen. Kommt es doch zu einem Kündigungsschutzprozess, so werden nahezu zwei Drittel aller Bestandsstreitigkeiten innerhalb von drei Monaten erledigt, so dass sich das Risiko des Arbeitgebers, bei Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung einer hohen Annahmeverzugslohnforderung des Arbeitnehmers ausgesetzt zu sein, regelmäßig in Grenzen hält. Hat das Arbeitsverhältnis längere Zeit bestanden oder finden über den Rahmen des § 622 Abs. 2 BGB hinausgehende tarifliche Kündigungsfristen Anwendung, so laufen diese auch noch während des Kündigungsschutzverfahrens, der Arbeitgeber ist also ohnehin zur Lohnzahlung verpflichtet. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass Kündigungsstreitigkeiten in erster Instanz auch deshalb relativ zügig erledigt werden, weil nur ein verschwindend geringer Anteil davon mit einem streitigen Urteil endet.104 Und hinsichtlich der Klagequote ist, verglichen mit der Situation zwischen 1978 und 1981, außerdem ein starker Anstieg von damals durchschnittlich 7,9 %105 auf nunmehr 11,1 bis 15,3 % bzw. 16 % zu beobachten. Schließlich zeigt auch ein Blick in die europäischen Nachbarländer Dänemark und Österreich, dass andere Rechtsordnungen eine deutlich niedrigere Klagequote vorweisen können als die deutsche Kündigungspraxis.106 ___________ 103

Dazu sogleich unten im nächsten Abschnitt. Dazu sogleich unten im nächsten Abschnitt. 105 Falke/Höland/Rhode/Zimmermann, Kündigungspraxis und Kündigungsschutz, Bd. I, S. 367, Bd. II, S. 859. 106 Dazu unten unter § 5 B V, S. 160 f. 104

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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2. Die Häufigkeit von Abfindungen bei den arbeitgeberseitig gekündigten Arbeitsverhältnissen Die Annahme eines außerordentlich hohen Einflusses von Abfindungszahlungen auf die von Arbeitgebern gekündigten Arbeitsverhältnisse konnte die REGAM-Untersuchung ebenfalls nicht bestätigen. Endete das Arbeitsverhältnis mittels einvernehmlicher Aufhebung, erhielten zwar 34 % der davon betroffenen Arbeitnehmer eine Abfindung, hingegen verkleinerte sich diese Zahl deutlich auf 15 % bei den arbeitgeberseitigen Kündigungen.107 Darin enthalten sind bereits Sozialplanabfindungen, deren Anteil an der Gesamtheit der gezahlten Abfindungen 40 % betrug.108 Allerdings stieg die Wahrscheinlichkeit einer Abfindungszahlung mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage rapide an: 47 % aller klagenden Arbeitnehmer erhielten eine Abfindung.109 Arbeitnehmer, denen aus betriebsbedingten Gründen gekündigt wurde, erhielten häufiger eine Abfindung (etwa 17 %) als bei Ausspruch einer personen- oder verhaltensbedingten Kündigung (unter 10 %).110 Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung eine Abfindung zu erhalten, nahm auch die Betriebsgröße: Betrug diese in Betrieben mit bis zu fünf Arbeitnehmern lediglich 3 %, so stieg sie auf bis zu 38 % in Betrieben an, in denen der Arbeitgeber mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigte.111 Ebenso stieg diese mit der Beschäftigungsdauer: Nur 4 % aller Arbeitnehmer, die eine Betriebszugehörigkeit von weniger als zwei Jahren aufweisen konnten, erhielten eine Abfindung, während dieser Anteil bei einer Beschäftigungsdauer von 8 bis 12 Jahren auf 45 % anstieg.112 Dass damit der Abfindungsvergleichs zur Beendigung von Kündigungsschutzprozessen eine herausragende Bedeutung einnimmt, hat jüngst die KÜPRAX-Untersuchung bestätigt: Demzufolge wurden 2003 zwar durchschnittlich 11 % aller erstinstanzlichen Bestandsstreitigkeiten durch streitiges Urteil erledigt, von denen 29 % in die zweite Instanz gelangten, wo sich der ___________ 107

Bielenski/Hartmann/Pfarr/Seifert, AuR 2003, 81, 88; Pfarr/Ullmann/ Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 66. 108 Bielenski/Hartmann/Pfarr/Seifert, AuR 2003, 81, 88; Pfarr/Ullmann/Bradtke/ J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 67 f. 109 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106, 108; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 71. 110 Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 72, die aber auf die mangelnde Robustheit ihres Ergebnisses hinweisen. 111 Pfarr/Bothfeld/Bradtke/Kimmich/J. Schneider/Ullmann, RdA 2004, 193, 199; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 67. 112 Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 69.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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Anteil der streitigen Urteile sogar auf etwa 30 % belief.113 Am häufigsten wurden Bestandsstreitigkeiten jedoch mittels Abschlusses eines Prozessvergleichs beendet, und zwar mit einem Anteil von 65 % in erster sowie 51 % in zweiter Instanz.114 Beide Werte liegen sogar noch weit über dem durchschnittlichen Anteil des Prozessvergleichs an der Beendigung sämtlicher im Urteilsverfahren betriebenen Streitigkeiten, der sich ausweislich der Statistik der Arbeitsgerichtsbarkeit 2003 auf 47,1 % in erster Instanz sowie 35,6 % in zweiter Instanz belief. Dabei sahen 75 % der vor den Arbeitsgerichten sowie 79 % der vor den Landesarbeitsgerichten in Bestandsstreitigkeiten geschlossenen Vergleiche eine Abfindungszahlung zugunsten des Arbeitnehmers vor.115 Lediglich in 4 % der Fälle vereinbarten die Parteien eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. 116 Damit endeten durchschnittlich 49 % der in erster sowie 40 % der in zweiter Instanz vergleichsweise beigelegten Bestandsstreitigkeiten mit einem Abfindungsvergleich.117 Fielen die Betriebe der Arbeitgeber nicht in den Anwendungsbereich des KSchG, so zahlten diese allerdings erheblich seltener eine Abfindung: Lediglich 33 % der erstinstanzlichen sowie 58 % der in zweiter Instanz abgeschlossenen Vergleiche sahen Abfindungsansprüche des Arbeitnehmers vor.118 War demgegenüber der sachliche Anwendungsbereich des KSchG eröffnet, so enthielten jeweils 81 % der Vergleiche auch einen Abfindungsanspruch.119 Schließlich untersuchte die Studie auch den Einfluss des Kündigungsgrundes auf die Häufigkeit von Abfindungszahlungen: Beruhte die Kündigung auf betriebsbedingten Gründen, so begründeten 85 % der vor den Arbeitsgerichten geschlossenen Vergleiche einen Abfindungsanspruch; ähnliche Ergebnisse ergab die Analyse der auf personenbedingten Gründen beruhenden Vergleiche.120 Hatte der Arbeitgeber aus verhaltensbedingten Gründen – regelmäßig außerordentlich – gekündigt, so sahen in erster Instanz 58 % sowie in zweiter Instanz 73 % der Vergleiche Abfindungszahlungen zugunsten der Arbeitnehmer vor.121 Zu der Frage, wie viele der erhobenen Kündigungsschutzklagen tatsächlich zu einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers führen, existiert kein aktuelles Zahlenmaterial. Dem Forschungsbericht von 1981 zufolge erstritten jedoch nur 4,3 % der gegen eine Kündigung klagenden Arbeitnehmer in erster oder zwei___________ 113

Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 42. Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 42. 115 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 46. 116 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 45. 117 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 47. 118 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 46. 119 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 46. 120 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 48. 121 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 48. 114

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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ter Instanz ein rechtskräftiges, stattgebendes Urteil, 40 % davon (1,7 % absolut) sind auch tatsächlich weiterbeschäftigt worden, was einem Anteil von 0,13 % aller gekündigten Arbeitnehmer entsprach.122 Damals gaben auch mehr als die Hälfte aller gekündigten Arbeitnehmer ausdrücklich an, nicht in den Betrieb zurückkehren zu wollen, nur etwa 20 % wünschten eine Rückkehr ohne Einschränkungen.123 Besonders ausgeprägt trat die ablehnende Haltung bei denjenigen Arbeitnehmern auf, die eine Kündigungsschutzklage erhoben hatten.124 Die Arbeit von Grund gelangt hier aber ebenfalls zu abweichenden Ergebnissen.125 Dessen Untersuchung zufolge, die für den Zeitraum von 1991 bis 1998 auf den empirischen Erhebungen des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) aufbaut, einer repräsentativen Längsschnittstudie privater Haushalte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin, erhielten nicht 15 %, sondern 32,3 % aller von einer Arbeitgeberkündigung betroffenen Arbeitnehmer eine Abfindung.126 Außerdem hat er verschiedene Faktoren ermittelt, die darüber entscheiden, ob ein Arbeitnehmer eine Abfindung erhält: So steige die Bereitschaft des Arbeitgebers, eine Abfindung zu zahlen, mit der Größe des Unternehmens und der Dauer der Betriebszugehörigkeit an.127 Die Wahrscheinlichkeit, eine Abfindung bei einer Individualkündigung zu erhalten, sei außerdem für männliche Arbeitnehmer gleichsam geringer wie für ausländische; westdeutsche Arbeitnehmer erhielten eher eine Abfindung als ostdeutsche.128 Allerdings erfasst seine Arbeit nicht die Kündigung von Teilzeitarbeitsverhältnissen,129 wobei bereits die Teilzeitquote etwa im Frühjahr 2003 bei rund 22 % lag,130 was zumindest eine Erklärung für die Diskrepanz zu dem Ergebnis der REGAM-Untersuchung liefern könnte. Eine weitere Erklärung könnte darin zu suchen sein, dass seine Studie möglicherweise nicht nur Abfindungen bei Arbeitgeberkündigungen berücksichtigt, sondern auch Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen des Arbeitnehmers: So fasst etwa der für das SOEP 1997 verwendete Fragebogen beide Tatbestände zusammen.131 Ebenso differenziert ___________ 122

Falke/Höland/Rhode/Zimmermann, Kündigungspraxis und Kündigungsschutz, Bd. II, S. 859. 123 Falke/Höland/Rhode/Zimmermann, Kündigungspraxis und Kündigungsschutz, Bd. I, S. 450. 124 Falke/Höland/Rhode/Zimmermann, Kündigungspraxis und Kündigungsschutz, Bd. I, S. 452. 125 Grund, IZA Discussion Paper No. 875 (2003). 126 Grund, IZA Discussion Paper No. 875 (2003), S. 11. 127 Grund, IZA Discussion Paper No. 875 (2003), S. 18 f. 128 Grund, IZA Discussion Paper No. 875 (2003), S. 18. 129 Grund, IZA Discussion Paper No. 875 (2003), S. 11. 130 Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2003, S. 44. 131 Nr. 64 des Fragebogens fragt danach, auf welche Weise der Arbeitnehmer aus seiner Arbeitsstelle ausgeschieden sei und gibt als eine Antwortmöglichkeit vor: „Arbeit-

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

dieser Fragebogen auch bei einer Betriebsstilllegung bzw. Auflösung der Dienststelle nicht nach der Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Vermutung, 90 % der vom Arbeitgeber gekündigten Arbeitnehmer erhielten eine Abfindung,132 findet damit in der Rechtswirklichkeit ebenso wenig eine Entsprechung wie die Behauptung, die Abfindungsvereinbarung habe die entschädigungslose Arbeitgeberkündigung verdrängt.133 Lässt man die Untersuchung von Grund angesichts ihrer methodischen Unklarheiten beiseite und betrachtet die von der REGAM-Studie getroffenen Ergebnisse, so fällt auf, dass nur knapp jeder siebte von einer Arbeitgeberkündigung betroffene Arbeitnehmer überhaupt eine Abfindung erhält. Gleichwohl geht das Schutzkonzept des KSchG an der Rechtswirklichkeit vorbei: Der Bestandsschutz, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Anschluss an die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung, spielt in der Rechtspraxis nur eine unbedeutende Rolle. Lediglich 11 % aller Bestandsstreitigkeiten, zu 95,5 % Kündigungsschutzklagen, endeten 2003 in erster Instanz mit einem streitigen Urteil. Der Anteil der vergleichsweisen Erledigungen belief sich dagegen auf 65 %, wobei 75 % dieser Vergleiche einen Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers begründeten. 49 % aller Bestandsstreitigkeiten wurden folglich mittels eines Abfindungsvergleichs beendet. Diese Erkenntnisse sprechen eine deutliche Sprache. Erhält knapp die Hälfte aller gegen die Kündigung klagenden Arbeitnehmer eine Abfindung, so legt dies eine Neukonzeption des Kündigungsschutzes nahe, entweder durch dessen Neuausrichtung am Prinzip des Abfindungsschutzes oder durch Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für Abfindungszahlungen bei rechtmäßigen Kündigungen. In seiner tatsächlichen Anwendung wirkt der Kündigungsschutz schon längst nicht mehr bestands-, sondern abfindungsschützend. 3. Die Höhe der Abfindung Zur Höhe der tatsächlich gezahlten Abfindungen vermittelt die REGAMUntersuchung ein differenziertes Bild, wobei sich aber die Mehrheit der Abfindungen im Rahmen der sog „Faustformel“ – ein halbes Bruttomonatsgehalt

___________ geber hat mir gekündigt bzw. die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses nahe gelegt“. Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages ist hingegen an keiner Stelle des Fragebogens als mögliche Antwort vorgegeben. Im Internet abrufbar unter http://www.diw.de/deutsch/sop/service/fragen/fr1997/fr_personen.pdf (28.02.2007). 132 So Rüthers, NJW 2002, 1601, 1602. 133 So Hromadka, AuA 2002, 261; ders., ZfA 2002, 383; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11.

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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je Beschäftigungsjahr – bewegte.134 Absolut gesehen beliefen sich 58 % der gezahlten Abfindungen auf bis zu maximal sechs Monatseinkommen, 19 % überstiegen die Grenze von einem Jahresverdienst.135 Vor allem bei kürzeren Betriebszugehörigkeiten entsprachen die gezahlten Abfindungen aber nicht der „Faustformel“: Diejenigen Arbeitnehmer, deren Abfindung weniger als ein Monatsgehalt betrug, wiesen eine durchschnittliche Beschäftigungsdauer von 3,8 Jahren auf.136 Erst ab einer Höhe von mehr als sechs Monatsgehältern näherte sich die Abfindung der Faustformel an.137 Die Betriebsgröße hatte nicht nur Einfluss auf die Häufigkeit, sondern auch die Höhe der Abfindung: 42 % der Betriebe, die bis zu 49 Arbeitnehmer beschäftigten, leisteten Abfindungszahlungen von unter zwei Monatsgehältern.138 28 % der Abfindungen beliefen sich auf mehr als sechs Monatsgehälter, während dieser Anteil in Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern auf bis zu 59 % anstieg. 139 Nicht weit davon entfernt liegen in dieser Frage die von Grund gefundenen Ergebnisse. Dieser gelangt im Rahmen seiner Berechnungen ebenfalls zu einer durchschnittlichen Abfindungshöhe, die unterhalb der oft zitierten „Faustformel“ von einem halben Monatsentgelt für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit liegt, allerdings nicht wesentlich: Der von ihm ermittelte Faktor beträgt 0,42 für von einer Massenentlassung betroffene Arbeitnehmer sowie 0,49 bei Ausspruch einer Individualkündigung.140 Dieser Faktor stieg mit dem Verdienst des Arbeitnehmers, der Unternehmensgröße und der Beschäftigungsdauer, bei einer Massenentlassung lag der Faktor bei weiblichen im Vergleich zu männlichen Arbeitnehmern höher, generell traf dies auch auf in Westdeutschland beschäftigte Arbeitnehmer im Vergleich zu den in Ostdeutschland beschäftigten zu.141 Im Durchschnitt, so Grund, betrug die Abfindungszahlung bei Ausspruch einer Individualkündigung 7.200 Euro (West: 9.036 Euro, Ost: 5.418 Euro), bei einer Massenentlassung 8.700 Euro (West: 13.247 Euro, Ost: 5.143 Euro).142 ___________ 134

Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 74. 135 Bielenski/Hartmann/Pfarr/Seifert, AuR 2003, 81, 88. 136 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106, 108. 137 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106, 108; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 74. 138 Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 74. 139 Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 74. 140 Grund, IZA Discussion Paper No. 875 (2003), S. 24. 141 Grund, IZA Discussion Paper No. 875 (2003), S. 26 f. 142 Grund, IZA Discussion Paper No. 875 (2003), S. 23 f.

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Vergleichbare Ergebnisse hatte zuvor auch eine Untersuchung Hümmerichs, der in den Jahren 1997 und 1998 sämtliche Spruchkörper der Arbeitsgerichtsbarkeit auf die zur Erledigung von Kündigungsschutzverfahren angewendete Abfindungsformel hin befragt hatte,143 hervorgebracht. Zwar wendeten danach etwa 75 % der deutschen Arbeitsgerichte die „Faustformel“ an,144 doch weist die Untersuchung auch auf starke Differenzen hin. So sah etwa das LAG Sachsen eine Abfindung von einem halben Monatsverdienst generell als zu hoch an,145 während das LAG München oder das LAG Nürnberg regelmäßig Abfindungen zwischen 0,5 und einem Monatsverdienst zuerkannten. 146 Die Untersuchung offenbarte eine Abhängigkeit der Abfindungshöhe von zahlreichen unterschiedlichen Faktoren: Regionale Besonderheiten spielten ebenso eine Rolle wie die Art der Kündigung, die Sozialdaten des gekündigten Arbeitnehmers oder die finanzielle Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers. Leicht höhere Abfindungsbeträge weist der KÜPRAX-Zwischenbericht für die in gerichtlichen Abfindungsvergleichen vereinbarten Abfindungszahlungen aus. Im Rahmen der in erster Instanz abgeschlossenen Vergleiche beliefen diese sich auf durchschnittlich 0,56 Bruttomonatsverdienste pro Beschäftigungsjahr, der Abfindungsfaktor der vor den Landesarbeitsgerichten geschlossenen Vergleichen erhöhte sich sogar wesentlich auf 0,89, der durchschnittliche Abfindungsbetrag belief sich auf 9.324 bzw. 13.969 Euro.147 Die höchsten Abfindungen erhielten Arbeitnehmer, denen der Arbeitgeber verhaltensbedingt gekündigt hatte: Kündigte der Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen, erzielten die Arbeitnehmer vor den Arbeitsgerichten eine Abfindung von 0,5 Bruttomonatsverdiensten (2. Instanz: 0,8), für die personenbedingte Kündigung betrug dieser Faktor 0,52 bzw. 0,57.148 Beruhte der Vergleich auf einer verhaltensbedingten Kündigung, vereinbarten die Parteien jedoch Abfindungen von durchschnittlich 0,71 bzw. 1,14 Bruttomonatsverdiensten, wobei die Gerichte nach Auswertung der Akten die Mehrzahl dieser Kündigungen voraussichtlich für unwirksam erklärt hätten.149 Auch die Betriebsgröße nahm Einfluss auf die Höhe der Abfindungen: Diese beliefen sich bei Arbeitsverhältnissen, die nicht dem sachlichen Anwendungsbereich des KSchG unterfielen, auf durchschnittlich 0,35 Bruttomonatsverdienste in erster Instanz und stiegen bis auf 0,65 Bruttomonatsverdienste für Arbeitnehmer aus Großbetrieben mit mehr als 249 Ar___________ 143

Hümmerich, NZA 1999, 342 ff. Hümmerich, NZA 1999, 342, 346. 145 Hümmerich, NZA 1999, 342, 344. 146 Hümmerich, NZA 1999, 342, 348. 147 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 50. 148 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 51 f. 149 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 51. 144

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beitnehmern an.150 Ebenso differierte die Abfindung zwischen den unterschiedlichen Wirtschaftszweigen: Sie fielen im Baugewerbe mit dem Faktor 0,35 am niedrigsten aus, während sich die in den Bereichen Handel, Gastgewerbe und Verkehr vereinbarten Abfindungen auf durchschnittlich 0,67 Bruttomonatsverdienste je Beschäftigungsjahr beliefen.151 Schließlich weist die Untersuchung auch den bereits von Grund ermittelten Unterschied zwischen alten und neuen Bundesländern nach.152 II. Kündigungsschutz und Arbeitsmarkt – Beschäftigungshemmnis und Ursachenfaktor der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit? Zeichnet die empirische Analyse der Praxis des gesetzlichen Kündigungsschutzes ein im Vergleich zur überwältigenden Kritik des rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttums deutliche differenzierteres Bild, bedarf auch die weit verbreitete Annahme, Kündigungsschutz wirke sich negativ auf den Arbeitsmarkt aus, einer näheren Untersuchung. 1. Empirische Analysen auf länderübergreifender Ebene Zahlreiche intertemporal und unternational angelegte Studien beschäftigten sich in den zurückliegenden 15 Jahren mit dem Einfluss des Kündigungsschutzes auf das Einstellungsverhalten der Arbeitgeber und die Arbeitslosenquote.153 a) Der Einfluss des Kündigungsschutzes auf die Arbeitslosenund Beschäftigungsquote Weit überwiegend gelangten diese jedoch zu dem Ergebnis, dass – anders als vermutet und vorhergesagt – zwischen der Arbeitslosenquote und dem Niveau des Kündigungsschutzes kein Zusammenhang herzustellen ist: Auswirkungen einer strikten Regulierung des Kündigungsschutzes auf das globale Niveau der Arbeitslosigkeit ließen sich nicht nachweisen.154 Nur wenige führten zu dem ___________ 150

Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 52 f. Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 55 f. 152 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 57 f. 153 Vgl. dazu die Zusammenstellung von Addison/Teixeira, IZA Discussion Paper No. 381 (2001); Jahn, Ökonomische Theorie, S. 84 ff.; dies., ZAF 2005, 284, 295 ff.; OECD, Employment Outlook 2004, S. 82 ff. 154 Bertola, European Economic Review Vol. 34 (1990), S. 851, 864; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Beschäftigung in Europa 1993, S. 182; Jahn, Ökonomische Theorie, S. 183; Nickell, Journal of Economic Perspectives Vol. 11 Nr. 3 (1997), 55, 66; OECD, Employment-Outlook 1999, S. 77 ff. 151

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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Ergebnis, dass ein höheres Maß an Kündigungsschutz auch zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führte.155 Allerdings haben Blanchard und Wolfers selbst Zweifel an der Robustheit des von ihnen gefundenen Ergebnisses. 156 Auch Lazear warnt davor, die Ergebnisse seiner Analyse als Kausalbeweis zu interpretieren, da eine Untersuchung anderer Länder keine seiner Untersuchung vergleichbar eindeutige Ergebnisse hervorgebracht hatte.157 Außerdem sieht sich seine Analyse wegen ihrer groben und ungenauen Spezifikation auf Basis nur zweier Indikatoren (Kündigungsfrist und Höhe der bei Ausspruch einer Kündigung zu zahlenden Abfindung) fundamentaler methodischer Kritik ausgesetzt.158 Weisen einige Studien dem Kündigungsschutz negative Beschäftigungswirkungen nach, so traten diese nach Aussage ihrer Verfasser aber nicht flächendeckend, sondern vor allem in Ländern mit nur mittleren Graden der Abstimmung von Lohn- und Einkommenspolitik zwischen den Tarifparteien auf; in den von einem hohen Maß an Abstimmung der Tarifpartner geprägten so gen. stark korporatistischen Ländern, wozu die Autoren Deutschland, Österreich, Irland und die Niederlande zählen, konnten negative Wirkungen hingegen ebenso wenig nachgewiesen werden wie in Ländern, in denen die Lohnfindung zentralisiert bzw. vollständig dezentralisiert ablief.159 Uneinheitlich sind die Ergebnisse hinsichtlich der Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf das Beschäftigungsniveau.160 Flaig und Rottmann mahnen hier ebenfalls zur Vorsicht: ihre Ergebnisse sollen allenfalls als erster Schritt einer umfassenden Analyse der Einflussfaktoren auf die Beschäftigungsschwel-

___________ 155

Blanchard/Wolfers, The Economic Journal Vol. 110 (2000), C 1, C 20; Elmeskov/Martin/Scarpetta, Swedish Economic Policy Review, Vol. 5 (1998), 207, 217; Lazear, The Quarterly Journal of Economics Vol. 105 (1990), S. 699, 712, 725. 156 Blanchard/Wolfers, The Economic Journal Vol. 110 (2000), C 1, C 23. 157 Lazear, The Quarterly Journal of Economics Vol. 105 (1990), 699, 720 f. 158 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 87. 159 Elmeskov/Martin/Scarpetta, Swedish Economic Policy Review, Vol. 5 (1998), 207, 224 f. Zum positiven Einfluss eines kooperativen Verhältnisses der Tarifparteien auf die Arbeitslosenquote vgl. auch Blanchard/Philipon, MIT-Working Paper 04-25 (2004). 160 Keine nachweisbaren Auswirkungen: OECD, Employment-Outlook 1999, S. 79. Negative Auswirkungen: Lazear, The Quarterly Journal of Economics Vol. 105 (1990), S. 699, 709, 724 f. Wohl auch Flaig/Rottman, ifo-Schnelldienst 17/2004, 13, 16, nach deren Analyse ein rigiderer Kündigungsschutz mit einer höheren Beschäftigungsschwelle, also der Wachstumsrate des BIP, bei der sich die Beschäftigung nicht ändert, einhergeht. Walwei kommt mit einer eigenen Berechnung jedoch zu gegenteiligen Ergebnissen, vgl. dazu Walwei, in: Sadowski/Walwei, Ökonomische Analyse, S. 75, 92. Differenzierend Nickell, Journal of Economic Perspectives Vol. 11 No. 3 (1997), 55, 66 f., der zwar negative Wirkungen feststellt, nicht aber für männliche Arbeitnehmer zwischen 25 und 54 Jahren.

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le betrachtet werden, da deren Höhe sicherlich auch von anderen institutionellen Arbeitsmarktregelungen abhinge als dem Kündigungsschutz. 161 Näheren Aufschluss über mögliche beschäftigungshemmende Wirkungen des Kündigungsschutzes liefert eine Betrachtung der Rate des Job-Turnover. Der Job-Turnover gibt Auskunft über die Schließung und Schaffung von Stellen, die dem externen Arbeitsmarkt angeboten werden und misst damit die Fähigkeit einer Volkswirtschaft, sich an einen Strukturwandel anzupassen.162 Er errechnet sich aus der Summe der Stellengewinne wachsender und neu gegründeter Betriebe sowie der Stellenverluste in schrumpfenden und schließenden Betrieben.163 Bezieht man den Job-Turnover auf die Beschäftigung, erhält man die Job-Turnoverrate.164 Zu unterscheiden ist der Job-Turnover vom LabourTurnover. Der Labour-Turnover ist gleich der Summe aus Job-Turnover und dem Personalwechsel auf vorhandenen Stellen; tauschen zwei Arbeitskräfte ihre Stellen, so erscheint dieser Strom im Labour-, nicht aber im Jobturnover.165 Die Ergebnisse der Untersuchungen, die sich mit der Rate des Job-Turnover befassen, fallen ebenfalls uneinheitlich aus. Einige können keinen signifikanten Einfluss des Kündigungsschutzes nachweisen,166 andere Arbeiten deuten dagegen auf eine Absenkung der Rate des Job-Turnovers hin.167 Jahn, die im Rahmen ihrer Untersuchung ebenfalls einen negativen Einfluss nachweist, zeigt jedoch an anderer Stelle, dass die in vielen kontinentaleuropäischen Arbeitsmärkten vorherrschende, auf eine Egalisierung der Lohndifferentiale gerichtete Lohn- und Sozialpolitik zu einer Erhöhung der Rate des Job-Turnover führt und damit den negativen Effekt des Kündigungsschutzes wieder ausgleicht.168 Die Unternehmen, so die Schlussfolgerung Jahns, könnten sich damit trotz Kündigungsschutz mit ihrem Arbeitskräftebedarf anpassen,169 offensichtlich behindere die Gesetzgebung nicht die Gründung neuer und den Abbau bestehender ___________ 161

Flaig/Rottman, ifo-Schnelldienst 17/2004, 13, 16. Jahn, Ökonomische Theorie, S. 174. 163 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 175; Wagner/Jahn, Neue Arbeitsmarkttheorien, S. 53. 164 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 175. 165 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 175; Wagner/Jahn, Neue Arbeitsmarkttheorien, S. 55. 166 Bertola/Rogerson, European Economic Review Vol. 41 (1997), 1147, 1156; Boeri, European Economic Review Vol. 43 (1999), 65, 68 ff.; OECD, Employment Outlook 1999, S. 82 167 Blanchard/Portugal, American Economic Review Vol. 91 (2001), 167, 205; Gòmez-Salvador/Messina/Vallanti, ECB Discussion Paper No. 318 (2004), S. 27; Jahn, Ökonomische Theorie, S. 209. 168 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 207 ff. 169 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 181. 162

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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Stellen.170 In Ländern ohne staatlichen Kündigungsschutz glätteten hingegen hohe Lohndifferentiale und im Vergleich zu den kontinentaleuropäischen Ländern hohe Einstellungskosten den Job-Turnover.171 b) Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Intensität des Kündigungsschutzes Eine wesentliche Ursache der uneinheitlichen Ergebnisse ist darin zu suchen, dass die Arbeiten, allesamt vor die Herausforderung gestellt, die Schutzintensität des Kündigungsschutzes modellhaft abzubilden und zu quantifizieren, eine jeweils unterschiedliche Herangehensweise wählen. Eine erste Gruppe von Untersuchungen misst die Rigidität des Kündigungsschutzes anhand der bestehenden gesetzlichen Regelungen. 172 Auf der Basis besonders umfangreichen Materials arbeitet hier die OECD, die bei ihrer grundlegenden Analyse aus dem Jahr 1999 nicht weniger als 22 Indikatoren berücksichtigt und gewichtet: Verfahrensvorschriften, Kündigungsfristen, Abfindungsansprüche, die Anforderungen an die Rechtfertigung der Kündigung, die Dauer der Probezeit, die Höhe des Entschädigungsanspruchs des Arbeitnehmers im Falle einer rechtswidrigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie die Existenz einer Verpflichtung des Arbeitgebers zur Wiedereinstellung des Arbeitnehmers bei einer rechtswidrigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses werden dabei ebenso einbezogen wie die besonderen bei einer Massenentlassung zu beachtenden Vorschriften und die Bestimmungen zum Abschluss atypischer Arbeitsverträge (Befristungen, Leiharbeitsverhältnisse). Letztere deshalb, weil die Regulierungsdichte des Bestandsschutzes nicht nur von den Kündigungsschutzbestimmungen abhängt, sondern auch von funktionellen Äquivalenten.173 Je höher die zu erwartenden Entlassungskosten sind, desto eher sind Arbeitgeber geneigt, alternative Vertragsformen, die eine Anpassung an die Schwankungen der Konjunktur ermöglichen, zu nutzen.174 Je weniger atypische Beschäftigungsverhältnisse gesetzlichen Regelungen unterworfen sind, desto eher können sich die Arbeitgeber den Einschränkungen des gesetzlichen ___________ 170

Jahn, Ökonomische Theorie, S. 181. Jahn, Ökonomische Theorie, S. 208. 172 Lazear, The Quarterly Journal of Economics Vol. 105 (1990), 699, 707 f.; OECD, Employment Outlook 1999; dies., Employment Outlook 2004. Blanchard/Wolfers ziehen zu ihrer Untersuchung den OECD-Index heran, The Economic Journal Vol. 110 (2000), C1, C14. Ebenso Nickell, Journal of Economic Perspectives Vol. 11 No. 3 (1997), 55, 60. 173 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 67; OECD, Employment-Outlook 1999, S. 59. 174 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 67; OECD, Employment-Outlook 1999, S. 59. Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann haben diese These, beschränkt auf die Situation in Deutschland, in BB 2004, 602, 607 f., empirisch bestätigt. 171

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Kündigungsschutzes entziehen, indem sie den Abschluss anderer Vertragsformen ausdehnen.175 Gleichwohl ist die methodische Vorgehensweise dieser Untersuchung sowohl hinsichtlich der zutreffenden Ermittlung der Einzelindikatoren176 als auch generell wegen ihres zwangsläufig verallgemeinernden und damit ungenauen Ansatzes bei der Auswahl und Gewichtung der Indikatoren nicht unumstritten.177 Eine zweite Gruppe von Arbeiten nimmt daher von Rangordnungen auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen Abstand und gewichtet den Kündigungsschutz auf der Basis von Unternehmensbefragungen; den Ausschlag gibt dabei die subjektive Einschätzung der Arbeitgeber hinsichtlich der Regelungsintensität des Kündigungsschutzes.178 Doch ist auch dieser Ansatz nicht unproblematisch, da die Urteile der Unternehmen von einer Reihe anderer Faktoren determiniert sein können, die nicht mit dem Kündigungsschutz, dem Befristungsrecht oder der Rechtsprechung korrelieren:179 In Zeiten kräftigen Wirtschaftswachstums und hoher Beschäftigung seien die Arbeitsmärkte eng und viele Unternehmen auf der Suche nach neuem Personal, weshalb sie die Entlassungskosten kaum gewichteten.180 Ökonomische Krisen zwängen die Unternehmen jedoch, sich an die gesunkene Güternachfrage auch mit ihrer Beschäftigung quantitativ, zeitlich und intensitätsmäßig anzupassen, wobei diese Anpassungskosten als zusätzliche Last empfunden würden.181 Da die Konjunkturzyklen nicht in allen EU-Staaten parallel verliefen und nationale Schocks zu Schwankungen der Produktion führten, könnten die Befragungsergebnisse nicht miteinander verglichen werden.182

___________ 175

Jahn, Ökonomische Theorie, S. 67. Zur Kritik Jahn, Ökonomische Theorie, S. 67; Rebhahn, ZfA 2003, 163, 181 f. 177 Zur Kritik dazu T. K. Bauer/S. Bender/Bonin, IZA Discussion Paper No. 1105 (2004), S. 4; Jahn, Ökonomische Theorie, S. 78; von Klitzing, Ordnungsökonomische Analyse, S. 186; Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000, Rdnr. 679; Walwei, in: Sadowski/Walwei, Ökonomische Analyse, S. 75, 83. 178 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Beschäftigung in Europa 1993, S. 179. 179 Zur Kritik dieses Ansatzes umfassend Jahn, Ökonomische Theorie, S. 80 f. Vgl. auch Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 37 f. 180 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 80. 181 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 80. 182 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 80. 176

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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c) Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf die Struktur von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit Ist kein Einfluss des Kündigungsschutzes auf das globale Niveau der Arbeitslosigkeit nachzuweisen und werden die Auswirkungen auf die Beschäftigungsquote uneinheitlich bewertet, so belegen doch zahlreiche empirischer Untersuchungen einen Einfluss des Kündigungsschutzes auf die Struktur von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. So geht nach übereinstimmender Auffassung ein rigider Kündigungsschutz mit einem hohen Anteil stabiler Beschäftigungsverhältnisses einher und verwirklicht damit sein zentrales Anliegen, führt im Gegenzug aber auch dazu, dass die Dauer der Arbeitslosigkeit und damit der Anteil der Langzeitarbeitslosen183 steigt.184 Dementsprechend zeige etwa ein Vergleich kontinentaleuropäischer Arbeitsmärkte mit dem amerikanischen Arbeitsmarkt eine signifikant längere Beschäftigungsdauer europäischer Arbeitnehmer und einen im Vergleich zu den USA geringen Strom in den Pool der Erwerbslosen, während der US-amerikanische Arbeitsmarkt im Gegensatz zu den europäischen Arbeitsmärkte sehr hohe Abgänge aus der Arbeitslosigkeit vorweisen könne.185 Gerate ein Akteur jedoch einmal in die Arbeitslosigkeit, dann habe er bei niedrigen Abgangsraten kaum Chancen, bald wieder eine neue Stelle zu finden.186 Auf Arbeitsmärkten wie dem deutschen oder französischen wechsle ein relativ kleiner Teil der Erwerbstätigen fortlaufend zwischen Stellen mit einer kurzen Beschäftigungsdauer, während der Großteil der Arbeitskräfte ihre Arbeitsplätze dauerhaft besetzten.187 Selbst die strengsten Arbeitsmarktregulierungen könnten die Mobilität der Arbeitskräfte nicht verhindern, sind Arbeitnehmer jedoch einmal in den Pool der Erwerbslosen geraten, stehe nur eine geringe Anzahl laufender Stellen für die Rückkehr in die Erwerbstätigkeit bereit, weshalb sie Gefahr liefen, langzeitarbeitslos zu werden.188 Verfolge ein Staat jedoch mit einem Abbau von Kündigungsschutz die Strategie einer hohen quantitativen Flexibilität, führe dies zu einer Spaltung der Belegschaft in eine hoch qualifizierte und ständig weitergebildete Kerngruppe von Arbeitnehmern und eine gering qualifizierte Kohorte mit hohem Beschäftigungsrisiko. 189 ___________ 183

Erwerbslose, deren Arbeitslosigkeit mindestens ein Jahr andauert. Bertola, European Economic Review Vol. 34 (1990), 851, 867 f., 874; Boeri, European Economic Review Vol. 43 (1999), 65, 77, 84; Jahn, Ökonomische Theorie, S. 183, 210; Nickell, Journal of Economic Perspectives Vol. 11 No. 3 (1997), S. 55, 66; OECD, Employment Outlook 1999, S. 88; dies., Employment-Outlook 2004, S. 79. 185 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 210 f. 186 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 211 f. 187 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 212. 188 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 212. 189 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 210. 184

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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Die OECD hat daneben weitere strukturelle Auswirkungen ermittelt: Danach führe ein höheres Maß an Kündigungsschutz zu einer Verringerung der Arbeitslosigkeit von Männern „im besten Alter“190, dem Kündigungsschutz komme hier also eine positive makroökonomische Wirkung zu, allerdings steige dabei der Anteil der Jugendarbeitslosigkeit191.192 Dazu spiegelbildlich wirke der Kündigungsschutz auf Beschäftigungsstruktur und Beschäftigungschancen: Ein hohes Niveau an Kündigungsschutz verbessere die Beschäftigungschancen von Männern „im besten Alter“ und verschlechtert diejenigen von Jugendlichen, benachteiligt würden aber auch Frauen „im besten Alter“, deren Beschäftigungsaussichten ebenfalls abnähmen.193 d) Zwischenergebnis Die Wirkungsweise des Kündigungsschutzes auf den Arbeitsmarkt ist damit ambivalent. Während auf das globale Niveau von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung keine bzw. keine eindeutigen Auswirkungen ausgehen, führt der Kündigungsschutz zu einer Privilegierung bestimmter Personengruppen. Er bevorzugt die Insider, also diejenigen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, und sorgt für die Stabilität ihrer Arbeitsverhältnisse. Kündigungsschutz bevorzugt auch Männer „im besten Alter“, deren Arbeitslosenquote signifikant niedriger ausfällt, während gleichzeitig ihre Beschäftigungschancen höher liegen. Im Regelfall werden die Erwerbslosen, die Outsider, aber benachteiligt. Hat ein Arbeitnehmer seine Arbeit verloren, so steigt mit der Intensität des Kündigungsschutzes auch die Wahrscheinlichkeit langzeitarbeitslos zu werden. Kündigungsschutz verfestigt die Arbeitslosigkeit, gleiches trifft auch auf die Jugendarbeitslosigkeit zu. Und Kündigungsschutz benachteiligt noch eine weitere Personengruppe: Frauen „im besten Alter“, deren Beschäftigungsaussichten ebenso wie die von Jugendlichen geringer ausfallen. Nickell führt dies aber auch auf die gerade in südeuropäischen Ländern anzutreffende Tradition zurück, wonach hauptsächlich Männer den überwiegenden Teil des Familieneinkommens erwirtschafteten.194 ___________ 190

So gen. „prime age men“, diese weisen ein Alter von 25 bis 54 Jahren auf. Der Gruppe der Jugendlichen sind alle Arbeitnehmer zwischen 15 und 24 Jahren zuzuordnen. 192 OECD, Employment Outlook 1999, S. 77 f. Bezüglich der Verringerung der Arbeitslosigkeit von Männern “im besten Alter” auch Nickell, Journal of Economic Perspectives Vol. 11 No. 3 (1997), S. 55, 66 f. 193 OECD, Employment Outlook 2004, S. 85. Bezüglich der Beschäftigungsaussichten von Frauen „im besten Alter” auch Nickell, Journal of Economic Perspectives Vol. 11 No. 3 (1997), S. 55, 66 f. 194 Nickell, Journal of Economic Perspectives Vol. 11 No. 3 (1997), S. 55, 67. 191

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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Von einer generell einstellungshindernden Wirkung des Kündigungsschutzes kann indes keine Rede sein. Zahlreiche Untersuchungen können keinen Einfluss des Kündigungsschutzes auf den Job-Turnover belegen; Untersuchungen, die zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangen, weisen darauf hin, dass dieser Effekt anderweitig kompensiert werde. Die Arbeitgeber können also trotz Kündigungsschutz auf ökonomische Schocks und eine steigende Nachfrage mit betriebsbedingten Kündigungen oder Neueinstellungen reagieren. Eindrucksvoll belegt dies ein Blick auf die Stromgrößen des Arbeitsmarktes für das Jahr 2002. Diese verzeichneten 6,15 Mio. Zugänge in und 5,77 Mio. Abgänge aus der Arbeitslosigkeit, die Zahl neu begonnener sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse wird auf etwa 8 Mio. geschätzt. 195 Betrug damit der Anteil der neu begründeten Arbeitsverhältnisse an der Gesamtheit von 34,6 Mio. Arbeitsverhältnissen196 23,1 %, beansprucht die von Franz für den Zeitraum von 1990 bis 1992 mit einer Quote von 29,6 % gezogene Schlussfolgerung, von einem sklerotischen Arbeitsmarkt könne keine Rede sein,197 auch heute noch Geltung. 2. Empirische Untersuchungen zu den Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf den deutschen Arbeitsmarkt Noch deutlicher als internationale weisen die auf den deutschen Arbeitsmarkt beschränkten intertemporalen empirischen Untersuchungen darauf hin, dass zwischen der Rigidität des Kündigungsschutzes und der Beschäftigungsdynamik, also dem Einstellungs- und Kündigungsverhalten des Arbeitgebers, kein Zusammenhang herzustellen ist.198 T. K. Bauer, Bender und Bonin untersuchten in ihrer Arbeit die Auswirkungen der zum 01.10.1996 erfolgten Anhebung des Schwellenwerts des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG von sechs auf elf Arbeitnehmer199 hinsichtlich des Einstellungsverhaltens der Unternehmen, die mit der Gesetzesänderung aus dem Anwendungsbereich des KSchG heraus gefallen sind, konnten aber kein geän___________ 195 196

Rothe, IAB-Kurzbericht 18/2003, S. 1. Bach/Gaggermeier/Kettner/Rothe/Spitznagel/Wanger, IAB-Kurzbericht 17/2004,

S. 9. 197

Franz, ZfA 1994, 439, 447. T. K. Bauer/S. Bender/Bonin, IZA Discussion Paper No. 1105 (2004), S. 20; Friedrich/Hägele, Ökonomische Konsequenzen, S. 12; Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/ Peuker/Ullmann, BB 2003, 2286, 2288 f.; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 42; Verick, IZA Discussion Paper No. 991, S. 21 ff. 199 Arbeitsrechtliches Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 25.09.1996, BGBl. I, 1476. 198

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

93

dertes Verhalten nachweisen.200 Dabei geben die Autoren aber auch die kurze Geltungsdauer des erhöhten Schwellenwertes zu bedenken, der bereits zum 01.01.1999201 wieder rückgängig gemacht wurde, so dass dieser seine Wirkung möglicherweise nicht voll entfalten konnte.202 Verick, dessen Arbeit sich ebenfalls mit dieser Erhöhung des Schwellenwertes befasst, gelangt zu denselben Erkenntnissen wie die vorgenannten Autoren.203 Pfarr, Bothfeld, Kaiser, Kimmich, Peuker und Ullmann untersuchten im Rahmen des REGAM-Projektes das Einstellungsverhalten der Arbeitgeber unabhängig von diesen gesetzlichen Änderungen und gelangen zu dem Schluss, dass die durchschnittliche Zahl der Einstellungen mit der Betriebsgröße klar ansteigt, jedoch nicht belegt werden kann, dass Betriebe, die an der Schwelle des Geltungsbereichs des KSchG liegen, weniger Neueinstellungen vornähmen.204 Betriebe, die sechs Beschäftigte haben, zeigten kein anderes Einstellungsverhalten als diejenigen mit fünf Beschäftigten.205 Nicht die Betriebsgröße, sondern die wirtschaftliche Entwicklung erweise sich als ausschlaggebend dafür, ob ein Betrieb wachse.206 Lediglich der DIHK und das Institut der deutschen Wirtschaft Köln gelangen hier auf der Basis von im Jahr 2003 durchgeführten Unternehmensbefragungen, bei der die Arbeitgeber Auskunft zu geben hatten, ob der Kündigungsschutz eine Ausweitung des Personalbestands verhindert habe, zu einem abweichenden Ergebnis, ohne allerdings diese Aussagen anhand belastbaren Zahlenmaterials überprüft zu haben.207 Wie wenig robust dieses Ergebnis ungeachtet aller fundamentaler Kritik an der Verlässlichkeit des Auskunftsverhaltens der Arbeitgeber208 ist, zeigt ein weiteres Ergebnis des REGAM-Projektes: Vergleichbar den Auskünften dieser Unternehmensbefragungen nannten auch bei der vom WSI vorgenommenen Befragung 34 % aller erfassten Arbeitgeber den Kündigungs___________ 200

T. K. Bauer/S. Bender/Bonin, IZA Discussion Paper No. 1105 (2004), S. 13. Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998, BGBl. I, 3843. 202 T. K. Bauer/S. Bender/Bonin, IZA Discussion Paper No. 1105 (2004), S. 9 f. 203 Verick, IZA Discussion Paper No. 991, S. 21 ff. 204 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2003, 2286, 2288 sowie Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 42. In die gleiche Richtung geht auch die Analyse von Friedrich/Hägele, Ökonomische Konsequenzen, S. 12. 205 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2003, 2286, 2288. 206 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2003, 2286, 2288; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 42. 207 DIHK, Reformbedarf, S. 7 f.; Janßen, iw-trends 2/2004, 1, 7. 208 Vgl. dazu bereits oben unter § 3 C II 1 b), S. 89. 201

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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schutz als vordringlichstes Reformvorhaben,209 offenbarten gleichzeitig aber auch erhebliche Mängel an Rechtskenntnis hinsichtlich des geltenden Kündigungsschutzrechts: So nahmen knapp zwei Drittel aller Arbeitgeber, die bis zu fünf Arbeitnehmer beschäftigten, an, dass das KSchG für sie gelte, hingegen gingen 12 % der Arbeitgeber, die zwischen sechs und neun Arbeitnehmer beschäftigten, fälschlich davon aus, das KSchG sei nicht auf ihren Betrieb anwendbar; erst mit zunehmender Betriebsgröße stieg auch die zutreffende Einschätzung der Rechtslage hinsichtlich des Geltungsbereichs des KSchG.210

D. Zusammenfassung Offensichtlich werden damit in der rechtspolitischen Diskussion die makroökonomischen Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf den Arbeitsmarkt überschätzt.211 Lassen die empirischen Forschungsergebnisse weit überwiegend nicht den Schluss zu, ein rigider Kündigungsschutz gehe mit einer hohen Arbeitslosenquote, einer niedrigen Beschäftigungsquote sowie einer einstellungshemmenden Wirkung einher, so verliert das Argument, ein Abbau der Schutzintensität wirke beschäftigungsfördernd und liefere damit einen Beitrag zur Bewältigung des Problems der Massenarbeitslosigkeit, seine Überzeugungskraft.212 Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob eine Reform des Kündigungsschutzrechts die Arbeitslosenquote senken würde, lässt sich nicht finden;213 signifikante beschäftigungspolitische Resultate sind durch eine Änderung des allgemeinen Kündigungsschutzes jedenfalls nicht zu erwarten214. Zahlreiche der kritischen Beiträge, die den Kündigungsschutz als zentrales Kriterium für Beschäftigungsentscheidungen darstellen, lassen offensichtlich grundlegende betriebswirtschaftliche und organisationstheoretische Erkenntnisse über die Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns unberücksichtigt.215 Nicht der Kündigungsschutz, sondern vorrangig ökonomische Einflüsse wie die Auftragslage, die Kapazitätsauslastung und die Geschäftsentwicklung beeinflussen die Einstellungsentscheidung des Arbeitgebers.216 Auch hinsicht___________ 209

Bothfeld/Ullmann, WSI-Mit. 2004, 262, 267; Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 22. 210 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2003, 2061; Pfarr/Ullmann/ Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 28 f. 211 Kromphardt, in: Baßeler/Heintzen/Kruschwitz, Arbeitslosigkeit, S. 11, 20; Nickell/Layard, in: Ashenfelter/Card, Labor Economics, Vol. 3C, S. 3029. 212 Preis, RdA 2003, 65, 66. 213 Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 154. 214 Preis, RdA 2003, 65, 68. 215 Pfarr/Ullmann/Bradtke/J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 3. 216 Friedrich/Hägele, Ökonomische Konsequenzen, S. 24 f.; Pfarr/Ullmann/Bradtke/ J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 42.

§ 3 Kritik des Kündigungsschutzes

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lich des Problems der Massenarbeitslosigkeit lenken international angelegte empirische Untersuchungen den Blick auf andere Verursacherfaktoren: großzügige staatliche Alimentation Arbeitsloser, ein geringer Anteil aktivierender Förderung Arbeitsloser, unkoordinierte und unkooperative Lohntarifabschlüsse zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften, eine hohe Einkommens- und Unternehmensbesteuerung sowie ein niedriger Bildungsstandard gering qualifizierter Arbeitnehmer.217 Ungelöst bleibt damit aber die Problematik der Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf die Struktur von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung. Der Kündigungsschutz benachteiligt die Outsider. Empirische Untersuchungen weisen insofern einen positiven Einfluss auf die Dauer der Arbeitslosigkeit nach; ein strenger Kündigungsschutz geht mit einem hohen Anteil Langzeitarbeitsloser einher. Auch der deutsche Arbeitsmarkt hat ein Problem mit der Langzeitarbeitslosigkeit: Deren Anteil an der Gesamtzahl aller registrierten Erwerbslosen betrug 2003 50,0 %, in Dänemark und Großbritannien, die einen im Vergleich zu Deutschland weniger rigiden Kündigungsschutz aufweisen,218 belief sich dieser dagegen auf 19,9 und 23,0 %.219 Offensichtlich steigt mit der Rigidität des Kündigungsschutzes auch das Risiko bestimmter Personengruppen – ältere Arbeitnehmer und Jugendliche – arbeitslos zu werden. Spiegelbildlich sinken deren Beschäftigungschancen ebenso wie die der Frauen „im besten Alter“. Jahn hält angesichts der wachsenden Bedeutung der Langzeitarbeitslosigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine Neuordnung des Kündigungsschutzrechts im Sinne einer Deregulierung für unabdingbar.220 Diese Forderung liegt auch wegen der negativen Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf Frauen, Jugendliche und ältere Arbeitnehmer nahe. Dann aber geraten sofort die Interessen der Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, ins Blickfeld. Nachweislich wirkt sich der Kündigungsschutz positiv auf den Bestand deren Arbeitsverhältnisse aus und führt zu einem hohen Anteil stabiler Beschäftigungsverhältnisse. Deregulierung führte damit zu einem Zielkonflikt: Die Be___________ 217

Vgl. dazu Nickell, Journal of Economic Perspectives Vol. 11 Nr. 3 (1997), 55, 67 ff.; Nickell/Layard, in: Ashenfelter/Card, Labor Economics, Vol. 3C, S. 3029, 3057 ff. Ebenso Elmeskov/Martin/Scarpetta, Swedish Economic Policy Review, Vol. 5 (1998), 207, 215 ff. 218 Dazu später unten unter § 5, S. 134 ff. 219 OECD, Employment Outlook 2004, S. 315. Demgegenüber weist zwar der Arbeitsmarkt-Bericht der Bundesagentur für Arbeit unterschiedliche Quoten von 34,8 % für das Jahr 2003 bzw. 38,4 % für das Jahr 2004 nach, vgl. dazu Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt 2004, S. 61, im Internet abrufbar unter http://www.pub.arbeitsamt.de/ hst/services/statistik/000100/html/jahr/arbeitsmarkt_2004_gesamt.pdf (28.02.2007). Aufgrund des unterschiedlichen statistischen Ansatzes sind die Zahlen jedoch nicht miteinander vergleichbar. 220 Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 154.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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schäftigungschancen von Outsidern würden zulasten der Beschäftigungssicherheit von Insidern erhöht.221 Damit sind zwar ein rascherer Austausch zwischen den Arbeitslosen und den Arbeitnehmern ebenso zu erwarten wie eine Verringerung der Anzahl Langzeitarbeitsloser, nicht aber auch ein signifikanter Beschäftigungszuwachs.222 Hanau weist auf diesen Zusammenhang zutreffend in seinem Gutachten zum 63. Deutschen Juristentag 2000 in Leipzig hin und spricht insofern von der „hochtoxischen Medizin der leichteren Kündigung bestehender Arbeitsverhältnisse“.223 Dieser Zielkonflikt ist nicht zuletzt ein Konflikt grundrechtlich abgesicherter Rechtspositionen der Arbeitsmarktakteure, grundrechtliche Schutzpflichten zugunsten der Arbeitnehmer stehen den abwehrrechtlichen Grundrechtspositionen der Arbeitslosen und Arbeitgeber gegenüber.224 Zu dessen Auflösung liefern die gewonnenen empirischen Erkenntnisse einen wichtigen Beitrag. Allein die Tatsache aber, dass der Kündigungsschutz den freien Wettbewerb zwischen Arbeitnehmern und Arbeitslosen einschränkt, kann angesichts dieser Erkenntnisse nicht als Argument für eine Deregulierung des gesetzlichen Kündigungsschutzes herhalten.225 Regulierung und Deregulierung begünstigen und belasten gleichermaßen, je nach dem, wessen Perspektive man einnimmt. Rechtfertigen können allerdings die von der Rechtstatsachenforschung gefundenen Ergebnisse eine Abkehr von der auf Bestandsschutz ausgerichteten Rechtsfolge des KSchG hin zu einem Abfindungsschutz, was nicht notwendigerweise mit einer Absenkung des Schutzniveaus einhergehen muss. Kommt es bei einer rechtswidrigen Kündigung nur bei einem verschwindend geringen Prozentsatz zu einer tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers, so geht die Konzeption des KSchG offensichtlich an der Realität vorbei. Soweit die 1981 gewonnenen Umfrageergebnisse auch heute noch Geltung beanspruchen können, verfolgt die Mehrheit der klagenden Arbeitnehmer überhaupt nicht das Ziel, an ihren ehemaligen Arbeitsplatz zurückzukehren. Erhält gegenwärtig knapp die Hälfte aller klagenden Arbeitnehmer eine Abfindung, so liegt der Schluss nahe, diese Praxis in Gesetzesform zu gießen und den gesetzlichen Kündigungsschutz verstärkt am Prinzip des Abfindungsschutzes zu orientieren.

___________ 221

Walwei, in: Sadowski/Walwei, Ökonomische Analyse, S. 75, 89. Kromphardt, in: Baßeler/Heintzen/Kruschwitz, Arbeitslosigkeit, S. 11, 20. 223 Hanau, 63. DJT, Bd. I, S. C 25, wobei er bereits skeptisch ist, dass die Erleichterung späterer Kündigungen einen Arbeitgeber überhaupt zu Neueinstellungen veranlassen kann. 224 Dazu später unten unter § 12, S. 433 ff. 225 Preis, RdA 2003, 65, 66. 222

§ 4 Modelle einer Ergänzung oder Ablösung des Bestandsschutzes durch Abfindungsansprüche Für eine Ergänzung oder Ablösung des auf Bestandsschutz angelegten Regelungskonzepts des KSchG durch Abfindungsansprüche haben das rechts- ebenso wie das wirtschaftswissenschaftliche Schrifttum zahlreiche unterschiedliche und höchst differenzierte Regelungskonzepte entwickelt. Im Mittelpunkt steht dabei zwar die betriebsbedingte Kündigung, gleichwohl beziehen diese Modelle auch die personen- und die verhaltensbedingte Kündigung ein. Auch der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren – neben der Implementierung des in § 1a KSchG verankerten Abfindungsanspruchs bei betriebsbedingter Kündigung in das KSchG – mehrere Initiativen zur Veränderung des KSchG hin zu einem Abfindungsschutz vorangetrieben.

A. Reformmodelle aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum Besonders zahlreich und vehement trägt das rechtswissenschaftliche Schrifttum seine Reformüberlegungen an den Gesetzgeber heran. Umfangreiche Arbeiten, die sich sowohl mit den Anforderungen an eine rechtmäßige Kündigung als auch den Rechtsfolgen der rechtmäßigen wie rechtswidrigen Kündigung befassen und in einen ausformulierten Gesetzesentwurf münden, haben hier Bauer1, Hromadka2 und Preis3 vorgelegt. I. Generelle Abfindungspflicht betriebsbedingter Kündigungen 1. Regelungsmodelle Auf den ersten Blick scheinen sich dabei die Vorschläge, den Arbeitgeber generell bei jeder betriebsbedingten Kündigung zur Zahlung einer Abfindung zu verpflichten4, nicht auf das Bestandsschutzprinzip des KSchG auszuwirken. ___________ 1

J.-H. Bauer, NZA 2002, 529 ff. Hromadka, AuA 2002, 261 ff.; ders., NZA 2002, 783 f.; ders., ZfA 2002, 383 ff.; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11 ff. 3 Preis, RdA 2003, 65 ff.; ders., NZA 2003, 252 ff. 4 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530, 533; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 47, 51; ders., NZA 2005, 1046; Buchner, NZA 2002, 533, 535; Hromadka, AuA 2002, 261, 264; ders., NZA 2002, 783; ders., ZfA 2002, 383, 392, 397; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 14 f.; 19; Pfarr, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 47, N 59 f.; Rieble, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 90, 91; P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 26 f.; 2

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

Diese wollen keine unmittelbare Verknüpfung mit den Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitnehmers herstellen; der Abfindungsanspruch soll vielmehr unabhängig von der Frage der sozialen Rechtfertigung oder sonstigen Rechtmäßigkeit der Kündigung bestehen und der Arbeitnehmer auch bei Zahlung der Abfindung die Kündigung anfechten können.5 Unterschiedliche Vorstellungen bestehen darüber, welche Arbeitnehmer in den Genuss der Abfindung kommen sollen. Bauer etwa verlangt ein zum Zeitpunkt seiner Beendigung mindestens fünf Jahre bestehendes Arbeitsverhältnis und eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des KSchG auf Betriebe, in denen der Arbeitgeber in der Regel mindestens 21 Arbeitnehmer beschäftigt,6 Willemsen plädiert für eine Wartezeit von mindestens zwei Jahren, jedoch sollen die Abfindung sämtliche Arbeitnehmer unabhängig von der Betriebsgröße des Arbeitgebers beanspruchen können.7 P. Stein will die Abfindungspflicht auf kleine und mittlere Unternehmen, die bis zu 150 Arbeitnehmern beschäftigen, beschränken.8 Nach der Auffassung einzelner Autoren soll der Arbeitgeber sogar unabhängig von der Art des zugrunde liegenden Kündigungsgrundes zur Zahlung einer Abfindung verpflichtet sein,9 zumindest aber derjenige Arbeitnehmer, dem aus personenbedingten Gründen gekündigt wurde, in den Genuss der Abfindung gelangen.10 Zur Höhe der Abfindung schlägt P. Stein einen Betrag von einem halben Monatsverdienst für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit vor,11 Bauer erscheint diese Summe zu hoch.12 Willemsen zufolge soll sich die Abfindung auf höchstens ein Viertel des Monatsverdienstes bis hin zu maximal sechs Monatsverdienste belaufen und auf etwaige Sozialplanabfindungen angerechnet werden. 13 ___________ Wank, RdA 1992, 225, 229; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 6, 10; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784, 2785 f. Aus dem älteren Schrifttum etwa Becker/Rommelspacher, ZRP 1976, 40, 43; Notter, DB 1976, 772, 773; Schwerdtner, ZIP 1984, 10, 21 f.; und Zöllner, in: 52. DJT, Bd. I, S. D 147 f. 5 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530; Hromadka, AuA 2002, 261, 264; ders., ZfA 2002, 383, 393; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 15; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784, 2786. 6 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 533; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 47, 51. 7 Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784, 2785 f. 8 P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 26. 9 So wohl Neef, NZA 2000, 7, 9. 10 DAV, Reform des Kündigungsschutzes, S. 3; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784, 2785 f. 11 P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 27. 12 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530. In seinem Gesetzestext auf S. 533 kommt diese Begrenzung aber nicht mehr zum Ausdruck. 13 Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784, 2785 f.

§ 4 Reformmodelle

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In eine andere Richtung weist der Regelungsvorschlag Pfarrs. Danach soll sich der Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers nicht gegen den Arbeitgeber richten, sondern – vergleichbar dem österreichischen Abfertigungsrecht14 – gegen einen privatrechtlich organisierten Fonds.15 In diesen müsse der Arbeitgeber für jeden Arbeitnehmer monatlich einen bestimmten Prozentsatz des Entgelts einzahlen,16 hinsichtlich der Höhe dieser Beiträge schlägt Pfarr eine Orientierung an dem österreichischen Abfertigungsrecht – 1,53 % des monatlichen Bruttoentgelts – vor.17 Um den Arbeitgebern einen Anreiz zu liefern, Arbeitsverhältnisse nicht mehr als unbedingt erforderlich zu beenden, soll die Beitragshöhe aber entsprechend der Kündigungshäufigkeit differieren.18 Die aufgelaufenen Beträge könne der Arbeitnehmer dann mit der Beendigung des Arbeitvertrages von dem Fonds beanspruchen, und zwar unabhängig von dem konkreten Beendigungstatbestand.19 Alternativ komme eine Versicherungslösung in Betracht.20 Pfarr verfolgt damit einen über das Kündigungsschutzrecht hinausgehenden Ansatz: Sie sieht ihre Abfindungslösung als Bestandteil einer umfassenden Beschäftigungsversicherung, die einen flexiblen Wechsel zwischen den Erwerbsarten selbständige und abhängige Arbeit ermöglichen und so insgesamt die Arbeitsmarktdynamik fördern soll.21 Auf dem 65. Deutschen Juristentag ist dieser Vorschlag jedoch auf Ablehnung gestoßen.22 Ein ähnliches Abfindungsmodell hatte vorher bereits Neef unterbreitet, wobei nach dessen Vorstellung der Abfindungsanspruch primär in das System der betrieblichen Altersversorgung eingegliedert werden sollte.23 Eine Versicherungslösung favorisiert auch Rieble. Mittels eines gesetzlichen Abfindungsanspruchs solle der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bei einer betriebsbedingten Kündigung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit versichern, womit gleichzeitig die Leistungen der Arbeitslosenversicherung entfielen.24 Preis stellt mit seinem Modell eine Verknüpfung sowohl zu den in § 1 Abs. 3 KSchG geregelten Grundsätzen der Sozialauswahl als auch den ___________ 14

Vgl. dazu später unten unter § 5 C I 1, S. 164 f. Pfarr, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 47, N 59. 16 Pfarr, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 47, N 59. 17 Pfarr, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 47, N 60. 18 Pfarr, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 47, N 59. 19 Pfarr, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 47, N 59. 20 Pfarr, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 47, N 59. 21 Pfarr, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 47, N 60. 22 Abgelehnt mit 56 zu 16 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen, Beschluss Nr. 6 lit. c, 65. DJT, Bd. II/1, S. N 109, N 111. 23 Neef, NZA 2000, 7, 9. Mit dem Vorschlag Neefs sympathisiert auch Heinze, in: 63. DJT, Bd. II/1, S. L 33, L 39 f. 24 Rieble, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 90, 91. 15

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitnehmers her. Er befürwortet dabei ebenfalls einen bei jeder betriebsbedingten Kündigung entstehenden Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers.25 Seinem Regelungskonzept zufolge ist die Höhe der Abfindung zwischen den Arbeitsvertragsparteien frei verhandelbar, gelingt jedoch keine Einigung, kann der Arbeitnehmer sofort Klage auf Zahlung einer angemessen Abfindung erheben, die das Gericht dann unter Berücksichtigung der Dauer der Unternehmenszugehörigkeit, des Lebensalters und der Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers festsetzt.26 Diese nach sozialen Kriterien bemessene Abfindung tritt an die Stelle der Sozialauswahl, womit, so Preis, dem Arbeitgeber ein großes Rechtsrisiko genommen werde.27 Erhebt dieser Klage auf Zahlung der Abfindung, verzichtet er gleichzeitig auch auf den Kündigungsschutz.28 Nicht hervor geht dabei, ob dem Arbeitnehmer bei einer freiwilligen Zahlung der Abfindung ebenfalls die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Kündigung versperrt sind, allerdings deuten die Ausführungen Preis’, wonach im Prinzip an der Prüfung des Kündigungsgrundes – auch bei einer betriebsbedingten Kündigung – festgehalten werden soll, 29 nicht darauf hin. Ausgeschlossen ist der Abfindungsanspruch immer dann, wenn bereits ein Sozialplan eine Abfindungszahlung vorsieht oder der Arbeitnehmer ein von seinem Arbeitgeber vermitteltes neues Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber ohne sachlichen Grund ablehnt.30 Zur genauen Höhe der Abfindung trifft Preis keine Aussage, schlägt aber eine Obergrenze von zwölf bzw. 18 Monatsverdiensten vor.31 2. Regelungszweck Die Forderung nach einer generellen Abfindungspflicht der betriebsbedingten Kündigung verweist zu ihrer Begründung vor allem auf die als unbefriedigend empfundene geltende Rechtslage, wonach zwar häufig die im Rahmen einer Betriebsänderung, § 111 BetrVG, gekündigten Arbeitnehmer eine Sozialplanabfindung beanspruchen können, nicht aber die von einer betriebsbedingten Einzelkündigung Betroffenen.32 Dies sei sozialpolitisch umso weniger über___________ 25

Preis, RdA 2003, 65, 72, 78, 80; ders., NZA 2003, 252, 255, 258; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 110, 112. 26 Preis, RdA 2003, 65, 78; ders., NZA 2003, 252, 255, 258. 27 Preis, RdA 2003, 65, 72. 28 Preis, RdA 2003, 65, 72, 80; ders., NZA 2003, 252, 258. 29 Preis, RdA 2003, 65, 72. 30 Preis, RdA 2003, 65, 78; ders., NZA 2003, 252, 255. 31 Preis, RdA 2003, 65, 79; ders., NZA 2003, 252, 256. 32 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530; DAV, Reform des Kündigungsschutzes, S. 3; Neef, NZA 2000, 7, 8; Preis, RdA 2003, 65, 72; Schwerdtner, ZIP 1984, 10, 22; Wank, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 6; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2783.

§ 4 Reformmodelle

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zeugend, als im Rahmen von Sozialplänen selbst jüngere Arbeitnehmer mit relativ kurzen Betriebszugehörigkeiten „bedient“ würden, während bei einer Individualkündigung auch ältere Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit jedenfalls dann gegen den Willen des Arbeitgebers keine Chance auf eine Abfindung hätten, wenn der Wegfall ihres Arbeitsplatzes auf eine unangreifbare unternehmerische Entscheidung zurückzuführen und in dessen Betrieb keine vergleichbaren Arbeitnehmer sowie innerhalb des Unternehmens keine vergleichbaren Arbeitsplätze vorhanden seien.33 Schließlich treffe den Arbeitnehmer, der bei einer betriebsbedingten Kündigung seinen Arbeitsplatz entschädigungslos verliere, daran auch im weitesten Sinne kein Verschulden. 34 Nicht nur dass eine generelle Abfindungspflicht diesem Missstand abhelfe, auch sehen deren Befürworter die Arbeitsgerichte entlastet: Könne der Arbeitnehmer bei jeder betriebsbedingten Kündigung eine Abfindung beanspruchen, entfalle auch der nach heutigem Recht bestehende Anreiz zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage, um wenigstens über den Umweg eines Prozessvergleichs eine Abfindung zu erlangen.35 Damit sind bereits zwei Regelungszwecke angesprochen: Primär soll die Abfindung den Arbeitnehmer für den Verlust seines Arbeitsplatzes entschädigen; Zöllner sieht darin auch eines Kompensation für das von diesem erbrachte Opfer der teilweisen Überwälzung des Wirtschaftsrisikos.36 Soll die Abfindung den Arbeitnehmer jedoch auch von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhalten, so verfolgt diese zusätzlich eine Befriedungsfunktion. Gleichzeitig bezweckt sie damit auch eine Entlastung der Arbeitsgerichtsbarkeit, die Abfindung soll, wenn auch nicht unmittelbar, so doch mittelbar das Klageverhalten des Arbeitnehmers steuern und Streitigkeiten um die betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses verhindern.37 Schließlich soll der Abfindungsanspruch aufgrund der damit verbundenen Kostenbelastung den Arbeitgeber vom Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen abhalten und so mittelbar einen Beitrag zum Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse leisten.38 Andere Zwecke verfolgen die von Pfarr, Neef und Rieble favorisierten umlagefinanzierten Abfindungsmodelle oder Versicherungslösungen. Als Bausteine der betrieblichen Altersversorgung oder einer Beschäftigungsversicherung ___________ 33

J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530. Schwerdtner, ZIP 1984, 10, 21. 35 Wank, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 11. 36 Zöllner, in: 52. DJT, Bd. I, S. D 147 f. 37 Das Modell Preis’ erreicht dieses Ziel aufgrund der Verknüpfung der Abfindung mit den Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitnehmers gegen die Kündigung unmittelbar. 38 Zöllner, in: 52. DJT, Bd. I, S. D 150. 34

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

weisen diese nur einen geringen Bezug zum Kündigungsschutzrecht auf. Damit verliert die Abfindung auch ihre Steuerungsfunktion in Bezug auf die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers. 3. Kritik Gegen eine generelle Abfindungspflicht betriebsbedingter Kündigungen wird eingewandt, sie führe zu einer enormen finanziellen Belastung des Arbeitgebers und verteure betriebsbedingte Kündigungen über Gebühr.39 Ein Arbeitnehmer könne selbst dann noch eine Abfindung beanspruchen, wenn der Arbeitgeber mangels Beschäftigung ihn nicht mehr beschäftigen könne, er also nach geltendem Recht das Arbeitsverhältnis risikolos beenden darf.40 Auf eine möglicherweise höhere Kostenbelastung des Arbeitgebers weisen zwar auch die Befürworter hin,41 sehen diesen Nachteil jedoch durch die Steuerungswirkung der Abfindung auf das Klageverhalten des Arbeitnehmers und dem damit verbundenen Gewinn an Rechtssicherheit kompensiert.42 Besonders kritisch sieht Däubler die von Preis favorisierte Ablösung der Verpflichtung zur Sozialauswahl durch einen Abfindungsanspruch, welcher die Zwecksetzung der Sozialauswahl konterkariere: Gerade ältere Arbeitnehmer, die nach dem geltenden Recht nachrangig zu berücksichtigen sind, könnten schneller freigesetzt werden.43 Gleiches treffe auf gesundheitlich anfällige Arbeitnehmer sowie „Querdenker“ zu.44 Gegen die maßgeblich vergangenheitsbezogene Entschädigungsfunktion einer nach dem Kriterium der Betriebszugehörigkeit bemessenen Abfindung wendet sich Stindt und gibt zu bedenken, dass der Nachteil des Arbeitnehmers bei einer betriebsbedingten Kündigung in der Arbeitslosigkeit liege und so an die Stelle der vergangenheitsbezogenen Abfindung eine Überbrückungshilfe treten soll, welche die Chancen des Gekündigten auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt.45 ___________ 39

Däubler, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 75 f.; Düwell, ZTR 2004, 130, 131; Junker, in: 56. DJT, Bd. I, S. B 81. 40 Düwell, ZTR 2004, 130, 131. 41 Wank, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 10; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784. 42 Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784. 43 Däubler, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 75, 76. 44 Däubler, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 75, 76 f. 45 Stindt, in: 63. DJT, Bd. II/2, S. L 113, L 114; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 105, 107. Dies findet auch in dem Regelungsvorschlag Preis’ seinen Ausdruck, wonach die Abfindung entfallen soll, wenn der Arbeitgeber dem gekündigten Arbeitnehmer ein neues Arbeitsverhältnis vermittelt hat.

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Auf Kritik stoßen schließlich auch die umlagefinanzierten Abfindungs- und Versicherungsmodelle. Diese würden lediglich neue bürokratische, organisatorische und verfahrensmäßige Lasten mit sich bringen, ohne den Kern der durch das KSchG verursachten Probleme zu erfassen.46 II. Abfindung anstelle Bestandsschutz 1. Regelungsmodelle Ein weiterer Ansatz führt zu einer vollständigen Ablösung des Bestandsschutzprinzips durch ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht: Erweist sich die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren als rechtswidrig, so erhält der Arbeitnehmer zwar eine Abfindung, kann aber nicht mehr die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses verlangen.47 Eine Kündigung löst damit das Arbeitsverhältnis stets auf, unabhängig davon, ob diese sozial gerechtfertigt ist oder nicht. Einige Autoren beschränken diese Ablösung des Bestandsschutzes auf betriebsbedingte Kündigungen,48 Neef will bei „schweren Mängeln“ der Kündigung an der Rechtsfolge der Unwirksamkeit festhalten,49 der DAV und Willemsen sehen eine derartige Ausnahme für willkürliche, sittenwidrige oder gegen besondere Schutzgesetze verstoßende Kündigungen vor.50 Häufig soll neben diesen Abfindungsschutz bei jeder betriebs- oder personenbedingten Kündigung noch ein gesetzlicher Abfindungsanspruch treten. Nach den Vorstellungen Willemsens und P. Steins erfüllt dieser die Funktion einer Grundabfindung, zu der sich bei gerichtlicher Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kündigung eine weitere Abfindungszahlung addiert.51 Willemsens Vorschlag zufolge richtet sich die Höhe der zusätzlichen Abfindung nach der bereits geltenden Regelung des § 10 KSchG, so dass dem Arbeitnehmer höchstens weitere 12, 15 bzw. 18 Monatsverdienste zustehen.52 Da die Zusatzabfindung auch Sanktionselemente enthalte, soll sie nur zur Hälfte auf eine eventuell ___________ 46

Moll, in: 65. DJT, Bd. II/1, S. N 9, N 28. Buchner, NZA 2002, 533, 535 f.; DAV, Reform des Kündigungsschutzes, S. 4; Neef, NZA 2000, 7, 9; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784, 2786. 48 Henssler, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 89, 90; P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 28; Wank, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 11. 49 Neef, NZA 2000, 7, 9. 50 DAV, Reform des Kündigungsschutzes, S. 4; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784 f. 51 P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 28; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784. Ebenso DAV, Reform des Kündigungsschutzes, S. 4 sowie Wank, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 11. 52 Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784. 47

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

parallel zu zahlende Sozialplanabfindung angerechnet werden.53 Außerdem müsse bei ihrer Berechnung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers angemessen berücksichtigt werden.54 Nach dem Modell P. Steins erhöht sich bei Feststellung der fehlenden sozialen Rechtfertigung der Kündigung die Grundabfindung um einen gesetzlich klar definierten Zuschlag von 25 %.55 Auch der Regelungsvorschlag Buchners sieht eine Kombination aus Grundund Zusatzabfindung vor. Danach löst zunächst jede Kündigung einen Abfindungsanspruch aus.56 Dessen Höhe soll sich an dem Kriterium der Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers orientieren und zwischen einem halben und einem Monatsverdienst für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit betragen.57 Stellt sich bei einer gerichtlichen Überprüfung der Kündigung im Rahmen eines Prozesses über die Höhe der Abfindung jedoch heraus, dass diese sozial gerechtfertigt ist, führt dies bei einer außerordentlichen oder verhaltensbedingten Kündigung zum Entfall, bei einer betriebs- oder personenbedingten Kündigung zu einer Minderung des Abfindungsanspruchs.58 Bei einer personenbedingten Kündigung ist dabei darauf abzustellen, wie weit der maßgebliche Umstand mehr aus der Sphäre des Arbeitnehmers, etwa bei mangelnder Fortbildungsbereitschaft, oder des Arbeitgebers, etwa bei einer betrieblichen Umstrukturierung ohne Qualifikationsangebot für den Arbeitnehmer, erwachse.59 Die Bemessung der bei einer betriebsbedingten Kündigung zu zahlenden Abfindung soll in Anlehnung an das geltende Sozialplanrecht auf die Leistungsfähigkeit des Betriebes, speziell auf die Sicherung anderer Arbeitsplätze, Rücksicht nehmen.60 Angebote anderweitiger Beschäftigung sind nach diesem Vorschlag ebenfalls abfindungsmindernd zu berücksichtigen.61 2. Regelungszweck Kann der Arbeitnehmer nach diesem Schutzkonzept mit einem Kündigungsschutzverfahren zwar nicht mehr seine Weiterbeschäftigung, sondern allenfalls eine Abfindung durchsetzen, können beide Arbeitsvertragsparteien das Prozess___________ 53

Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784. Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784. 55 P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 28 Fn. 99. 56 Buchner, NZA 2002, 533, 535; Neef, NZA 2000, 7, 9. Mit dem Vorschlag Neefs sympathisiert auch Heinze, in: 63. DJT, Bd. II/1, S. L 33, L 39 f. 57 Buchner, NZA 2002, 533, 535. 58 Buchner, NZA 2002, 533, 535. 59 Buchner, NZA 2002, 533, 535. 60 Buchner, NZA 2002, 533, 535. 61 Buchner, NZA 2002, 533, 536. 54

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risiko besser kalkulieren.62 Mit Ausspruch der Kündigung, so der DAV, bestehe Klarheit hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ein möglicher Rechtsstreit werde reduziert auf das, worum es den Parteien gehe, nämlich die Zahlung einer Abfindung und deren Höhe.63 Könne der Arbeitnehmer aber nur noch eine Abfindung erhalten, stiegen auch die Anzahl der außergerichtlichen Einigungen, die Arbeitsgerichte würden entlastet und könnten sich auf die wirklich schwierigen Fälle konzentrieren.64 Im Mittelpunkt dieses Konzeptes steht damit eine Sanktions- und Entschädigungsfunktion der Abfindung: Der Arbeitgeber soll für die rechtswidrige Kündigung sanktioniert, der Arbeitnehmer für den Verlust seines Arbeitsplatzes entschädigt werden. Aus der Sanktions- folgt wiederum auch eine Steuerungsfunktion hinsichtlich des Verhaltens des Arbeitgebers, die Aussicht, eine Abfindung zahlen zu müssen, soll diesen vom Ausspruch rechtswidriger Kündigungen abhalten. Für den Arbeitgeber bietet ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht Rechtssicherheit, da jede Kündigung das Arbeitsverhältnis auch tatsächlich beendet. Die vom DAV erwartete Entlastung der Arbeitsgerichte kann aber allenfalls am Rande eine Rolle spielen, da der Arbeitnehmer auf gerichtlichen Rechtsschutz angewiesen ist, um eine Abfindung zu erhalten. 3. Kritik Auf Kritik stößt vor allem der Fortbestand des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Kündigungen: Die gegenwärtig existenten materiellen Probleme des Kündigungsschutzrechts würden nicht beseitigt, sondern wiederum im Rahmen eines Abfindungsprozesses geprüft werden müssen, eine Entlastung der Gerichte finde so nicht statt.65 Gegen eine vollständige Abkehr vom Prinzip des Bestandsschutzes spreche auch, dass diese Neuorientierung einseitig zugunsten des Arbeitgebers ausfiele.66 Dieser könne sich, gleichgültig ob er rechtmäßig oder rechtswidrig kündige, stets von einem Arbeitnehmer trennen.67 Pfarr und Ullmann weisen außerdem auf die starke Symbolkraft des Kündigungsschutzes hin. So könne eine vollständige Ablösung der Rechtsfolge des Bestandsschutzes von den Arbeitnehmern nicht nur als tiefer Einschnitt in soziale Rechte wahrgenommen werden, sondern als Infragestellung von Gerechtig___________ 62

DAV, Reform des Kündigungsschutzes, S. 4 f.; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784. DAV, Reform des Kündigungsschutzes, S. 4. 64 DAV, Reform des Kündigungsschutzes, S. 5. 65 Bayreuther, NZA 2006, 417, 418; Däubler, AiB 2002, 457; Oetker, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 137, 139; Preis, RdA 2003, 65, 69 f.; P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 25. 66 Preis, RdA 2003, 65, 70; P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 25. 67 P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 25. 63

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

keit an sich.68 Verfüge ein Arbeitgeber nur über ausreichend finanziellen Spielraum, gelte für ihn keine vertragliche Bindung mehr, vielmehr könne er dem Arbeitnehmer, der seine soziale Existenz um seinen Arbeitsplatz herum aufgebaut habe, diese gegen Zahlung einiger Monatslöhne entziehen. 69 Doch vor allem bei einer verhaltensbedingten Kündigung müsse sich der Arbeitnehmer gegen die vom Arbeitgeber erhobenen Vorwürfe effektiv zur Wehr setzen können, was nur mit einem bestandsschützenden Kündigungsschutzrecht sicherzustellen sei.70 Schließlich geht von der vollständigen Ablösung des Bestandsschutzprinzips durch das Prinzip des Abfindungsschutzes eine Ausstrahlung aus, die über den arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz hinausreicht und die Frage nach einer Neukonzeption des Kündigungsrechts auch bei anderen Dauerschuldverhältnissen aufwirft. So schützt etwa auch das soziale Kündigungsrecht des Wohnraummietrechts, §§ 573 ff. BGB, unmittelbar den Bestand des Mietverhältnisses. Eine den Mietvertrag stets beendende rechtswidrige Kündigung seitens des Vermieters führte aber zu einer ungleich höheren existentiellen Belastung des Mieters als der Verlust eines Arbeitsplatzes: Kann der aus einem Arbeitsverhältnis ausgeschiedene Arbeitnehmer regelmäßig entweder Arbeitslosengeld, §§ 117 ff. SGB III, oder doch zumindest Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gemäß den §§ 19 ff. SGB II beanspruchen, greift bei Entzug einer Mietwohnung kein entsprechendes soziales Sicherungssystem. III. Abfindung oder Bestandsschutz 1. Regelungsmodelle Die wohl weiteste Verbreitung hat der Vorschlag gefunden, durch eine Änderung des § 9 Abs. 1 KSchG den Arbeitsvertragsparteien die Entscheidung zwischen Abfindungs- und Bestandsschutz zu überlassen: Hat eine Kündigungsschutzklage Erfolg, besteht ein Wahlrecht zwischen der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und dessen Auflösung gegen Zahlung einer Abfindung, das von keinen weiteren Voraussetzungen abhängt.71 Offen stehen soll dieser ___________ 68

Pfarr/Ullmann, WSI-Mit. 2003, 207, 211. Pfarr/Ullmann, WSI-Mit. 2003, 207, 211 f. 70 Pfarr/Ullmann, WSI-Mit. 2003, 207, 212. 71 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 47, 51; ders., NZA 2005, 1046; Bepler, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 122, 123; Busch, BB 2003, 470, 471 f.; Eckert, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 125, 130 f.; Giesen, ZfA 2003, 467, 469 f.; Hanau, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 118, 119; Henssler, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 76, 77; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 241; Hromadka, AuA 2002, 261, 265; ders., NZA 2002, 783, 784; ders., ZfA 2002, 383, 394, 398; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 69

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Weg entweder beiden Arbeitsvertragsparteien,72 oder aber auf den Arbeitnehmer73 bzw. Arbeitgeber74 beschränkt bleiben. So fordert etwa Hromadka ein unbeschränktes Wahlrecht lediglich für den Arbeitnehmer, für den Arbeitgeber nur dann, wenn dieser eine Kündigung wegen Leistungsmangels ausspricht, weil er sich in diesem wichtigen Fall „in fast unbehebbarer Beweisnot“ befinde.75 Auch Giesen will dem Arbeitnehmer stets ein voraussetzungsloses Wahlrecht einräumen, einen entsprechenden Antrag des Arbeitgebers aber dann ausschließen, wenn die Rechtswidrigkeit der Kündigung aus gesetzlichen Vorschriften zum personen- oder amtsbedingten Kündigungsschutz folgt oder gegen die guten Sitten verstößt.76 Im Ergebnis soll diese Ausnahme den Sonderkündigungsschutz etwa nach § 9 MuSchG oder § 18 BEEG, keinesfalls aber jede Kündigung aus personenbedingten Gründen betreffen.77 Eckert verweigert das Antragsrecht dem Arbeitgeber dann, wenn die Kündigung willkürlich ist, ihr also keinerlei sachliche Anhaltspunkte zugrunde liegen.78 Bauer räumt in seinem Regelungsvorschlag zwar grundsätzlich beiden Arbeitsvertragsparteien ein voraussetzungsloses Wahlrecht ein, behält dieses bei einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung aber allein dem Arbeitnehmer vor.79 Busch will das Recht, einen unbegründeten Auflösungsantrag nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG stellen zu können, dem Arbeitgeber vorbehalten, der in seinem Unternehmen nicht mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt oder der einem Arbeitnehmer kündigt, der bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das ___________ 16 f., 20 f.; P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 24; Wank, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 6. 72 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 47, 51; Bepler, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 122, 123; Hanau, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 118, 119; P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 24; Wank, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 6. 73 Eckert, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 125, 130 f.; Giesen, ZfA 2003, 467, 469 f.; Henssler, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 76, 77; Hromadka, AuA 2002, 261, 265; ders., NZA 2002, 783, 784; ders., ZfA 2002, 383, 394, 398; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 16 f., 20 f. 74 Busch, BB 2003, 470, 471 f. Ebenso von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 241, der aber auch mit einer Ausdehnung des Wahlrechts auf beide Arbeitsvertragsparteien sympathisiert. 75 Hromadka, AuA 2002, 261, 265; ders., NZA 2002, 783, 784; ders., ZfA 2002, 383, 394, 398; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 16 f., 20 f.. 76 Giesen, ZfA 2003, 467, 470 f. Vergleichbar auch Henssler, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 76, 77. 77 Giesen, ZfA 2003, 467, 478. 78 Eckert, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 125, 131. 79 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 533.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

52. Lebensjahr vollendet hat.80 Mit dieser Regelung könnten zum einen beschäftigungsfördernde Potentiale in mittelständischen Unternehmen geweckt werden, während die Erleichterung des Auflösungsantrags bei der Kündigung älterer Arbeitnehmer die vorgeschlagene Aufhebung der für europarechtswidrig erachteten81 zeitlichen Ausdehnung der sachgrundlosen Befristung durch § 14 Abs. 3 S. 4 TzBfG kompensieren soll.82 Auch will Busch die Höhe der Abfindung mittels einer entsprechenden Anwendung des § 615 S. 2 BGB in Abhängigkeit von einer Anschlussbeschäftigung des Arbeitnehmers begrenzen.83 Orientiere sich die Abfindung allein an der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, so führe dies immer wieder zu erheblichen Abfindungszahlungen, die weder aus wirtschaftlichen, noch aus sozialen oder arbeitsmarktpolitischen Gründen gerechtfertigt seien.84 Gehe ein Arbeitnehmer im unmittelbaren Anschluss an das Ende seines bisherigen Vertragsverhältnisses eine neue arbeitsvertragliche Bindung ein, erleide er keine wirtschaftlichen Einbußen.85 Nur wenige Autoren treffen eine Aussage zur Höhe der Abfindung, diese schlagen einen Betrag in Höhe eines halben Monatsverdienstes für jedes vollendete Jahr der Betriebs- oder Unternehmenszugehörigkeit 86 sowie eine Orientierung an den Vorgaben des § 10 KSchG87 vor. Für Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses das 58. Lebensjahr vollendet haben, will Bauer die Abfindung auf den Betrag der Bruttobezüge des Arbeitnehmers begrenzen, die dieser bei einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zur erstmaligen Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente erhalten hätte.88 Von Hoyningen-Huene gibt zu bedenken, dass die ausbezahlten Abfindungen den Arbeitnehmern auch effektiv zugute kommen müssten, weshalb eine Anrechnung auf Sozialleistungen zu vermeiden sei.89

___________ 80

Busch, BB 2003, 470, 471 f. So unlängst auch EuGH vom 22.11.2005, Slg. 2005, I-9981, 10035 ff. Rdnr. 55 ff. – Mangold. Mit dem vom Bundestag am 09.03.2005 verabschiedeten „Gesetz zur Verbesserung der Beschäftigungschancen älterer Menschen“, BT-Drs. 16/3793, 16/4578 tritt eine Neufassung des § 14 Abs. 3 TzBfG noch im Frühjahr 2007 in Kraft. 82 Busch, BB 2003, 470, 472. 83 Busch, BB 2003, 470, 474. 84 Busch, BB 2003, 470, 474. 85 Busch, BB 2003, 470, 474. 86 So J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 533. 87 von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 241. 88 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 533. 89 von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 243. 81

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2. Das historische Vorbild: § 87 Abs. 1 BRG 1920 Mit diesen Vorschlägen kehrt der gesetzliche Kündigungsschutz wieder zu seinen historischen Wurzeln zurück. Erstmalig sahen die §§ 84 – 89 des Betriebsrätegesetzes vom 04.02.192090 (BRG 1920) einen allgemeinen gesetzlichen Schutz des Arbeitnehmers vor sozialwidrigen Kündigungen vor.91 Kennzeichnend für diesen Kündigungsschutz war eine – heute noch in Österreich zu beobachtende – enge Verzahnung zwischen kollektiv- und individualrechtlichen Elementen: Nach der Konzeption des Gesetzes stellte der kein reines Individualrecht dar, sondern sollte auch die Belegschaft davor schützen, dass sich deren Zusammensetzung durch willkürliche Handlungen des Arbeitgebers änderte.92 Gemäß § 84 Abs. 1 BRG 1920 konnte ein Arbeitnehmer binnen fünf Tagen nach der Kündigung mittels Anrufung des Arbeiter- oder Angestelltenrates Einspruch erheben, wenn diese gegen eines der nachfolgend normierten Kündigungsverbote verstieß oder „sich als eine unbillige, nicht durch das Verhalten des Arbeitnehmers oder durch die Verhältnisse des Betriebs bedingte Härte“ erwies. Hielt der Arbeiter- oder Angestelltenrat die Kündigung für begründet, so hatte der Arbeitnehmer keine Möglichkeit mehr, gegen die Kündigung eine Klage zu erheben, das Gesetz räumte dem Arbeiter- oder Angestelltenrat insofern ein Sperrrecht ein. 93 Erachtete dieser dagegen den Einspruch für begründet, so verpflichtete ihn § 86 Abs. 1 S. 2 BRG 1920, durch Verhandlungen eine Verständigung mit dem Arbeitgeber herbeizuführen. Gelang diese Verständigung nicht, so konnte nach Maßgabe des § 86 Abs. 1 S. 3 BRG 1920 entweder der Arbeitnehmer oder der Arbeiter- und Angestelltenrat gegen die Kündigung Klage auf Feststellung erheben, dass der Einspruch des Arbeitnehmers gegen die Kündigung gerechtfertigt war. Im Erfolgsfall hatte das Arbeitsgericht gemäß § 87 Abs. 1 S. 1 BRG 1920 nach Wahl des Arbeitgebers auf Weiterbeschäftigung oder Entschädigung zu erkennen.94 Der Arbeitgeber musste sich dann innerhalb von drei Tagen nach der Zustellung des Urteils erklären, ob er die Weiterbeschäftigung oder die Entschädigung wählt, für den Fall des Schweigens stellte das Gesetz die unwiderlegbare Vermutung einer Entschei___________ 90

RGBl. S. 147. Zur historischen Entwicklung des Kündigungsschutzes vgl. nur Berkowsky, in: MünchArbR II, § 131 Rdnr. 8 ff.; Griebeling, in: KR, § 1 Rdnr. 1 ff.; von HoyningenHuene/Linck, KSchG, Einleitung Rdnr. 1 ff.; Preis, in: APS, Grundlagen A. Rdnr. 1 ff. 92 Flatow/Kahn-Freund, BRG, § 84 S. 443. 93 Flatow/Kahn-Freund, BRG, § 86 S. 497; Mansfeld, BRG, § 86 S. 444 f. 94 Flatow/Kahn-Freund, BRG, § 87 Rdnr. 3; aA Mansfeld, BRG, § 87 S. 456, 458 f., nach dessen Auffassung der Anspruch des Arbeitnehmers in erster Linie auf Weiterbeschäftigung zielte, von der sich der Arbeitgeber durch Zahlung einer Entschädigung „loskaufen“ konnte. 91

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

dung für die Entschädigung auf, § 87 Abs. 2 BRG 1920. Im Einzelnen war umstritten, ob es sich dabei um eine Wahlschuld des Arbeitgebers handelte.95 Entschied er sich für eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers, so galt die Kündigung kraft Gesetzes als zurückgenommen, eine Neubegründung des Arbeitsverhältnisses war nicht erforderlich.96 Angesichts der für den Arbeitnehmer nicht durchsetzbaren Weiterbeschäftigung stand damals die Entschädigungspflicht des Arbeitgebers im Mittelpunkt, Flatow und Kahn-Freund sprachen in ihrer Kommentierung insoweit vom „Entschädigungsprinzip“ des § 87 BRG 1920.97 Diese Entschädigung hatte sich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers zu richten und durfte die Höchstgrenze von einem Monatsverdienst für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit bis zu dem Gesamtbetrag von einem halben Jahresverdienst nicht überschreiten, § 87 Abs. 1 S. 2 BRG 1920. Der Zweck dieser Zahlung bestand in der Entschädigung des Arbeitnehmers für den ungerechtfertigten Verlust seines Arbeitsplatzes.98 Nach der Auffassung Mansfelds handelte es sich um einen „sozialrechtlichen, für die mit dem Ausscheiden aus der Betriebsgemeinschaft verbundenen Unannehmlichkeiten einen gewissen Ausgleich gewährenden Billigkeitsanspruch“, nicht aber um einen Schadensersatz, da der Arbeitgeber die Entschädigung auch dann zu zahlen hatte, wenn der Arbeitnehmer durch die Entlassung keinen Schaden erlitt.99 3. Regelungszweck In einem Wahlrecht zwischen Abfindungs- und Bestandsschutz sehen deren Befürworter zahlreiche Vorteile: Keine Partei wäre fortan mehr an ein Arbeitsverhältnis gebunden, an dem sie das Interesse verloren habe.100 Dem Arbeitgeber würde im Voraus eine betriebswirtschaftliche Planung ermöglicht, da er die Kosten der Kündigung genauer kalkulieren könne.101 Trotz des gewonnenen

___________ 95

Zum Streitstand Flatow/Kahn-Freund, BRG, § 87 Rdnr. 4; Mansfeld, BRG, § 87 S. 458 f. 96 Flatow/Kahn-Freund, BRG, § 87 Rdnr. 6; Mansfeld, BRG, § 87 S. 459. 97 Flatow/Kahn-Freund, BRG, § 87 Rdnr. 4. 98 Flatow/Kahn-Freund, BRG, § 87 Rdnr. 7. 99 Mansfeld, BRG, § 87 S. 460. 100 von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 241. 101 Busch, BB 2003, 470, 472; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 241.

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Zuwachses an Flexibilität bliebe aufgrund der drohenden Abfindungspflicht bei ungerechtfertigter Kündigung die Präventivwirkung des KSchG erhalten.102 Knüpft die Abfindung an eine sozial ungerechtfertigte oder sonst rechtswidrige Kündigung an, so steht auch hier die Sanktions- und Entschädigungsfunktion im Vordergrund. Darüber hinaus zielt die Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung darauf ab, den Arbeitgeber an der rechtswidrigen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses zu hindern. Rechtssicherheit in Form kalkulierbarerer Kündigungskosten kann diese Lösung für den Arbeitgeber nur dann bieten, wenn ihm das Gesetz ein unbeschränktes Wahlrecht einräumt. Damit aber ist gleichzeitig auch ein Verlust an Rechtssicherheit für den Arbeitnehmer verbunden, der sich nicht sicher sein kann, im Falle einer gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit das Arbeitsverhältnis fortsetzen zu können. 4. Kritik Auch gegen dieses Schutzkonzept richtet sich Kritik. Ein voraussetzungsloses Antragsrecht lasse die verbleibende vordergründige Ausrichtung des Kündigungsschutzes auf einen Bestandsschutz zur Farce verkommen, da von vornherein klar sei, dass das Arbeitsverhältnis nicht fortbestehen werde.103 Der Arbeitnehmer sei damit auch weiterhin gehalten, ein Interesse am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses vorzutäuschen, so dass diesem Vorschlag noch mehr als bei der gegenwärtigen Ausgestaltung des KSchG der Vorwurf des Auseinanderfallens von theoretischem Bestandsschutz und praktischem Abfindungsschutz treffe.104 Trotz des Auflösungsrechts des Arbeitgebers sei keine wesentliche Steigerung der Vergleichsbereitschaft des gekündigten Arbeitnehmers im erstinstanzlichen Verfahren zu erwarten, weil der Arbeitnehmer dann nur in geringerem Umfang von Annahmeverzugslohn profitiere.105 Stattdessen könne der Arbeitnehmer über zwei Instanzen auf Unwirksamkeit der Kündigung und Wiedereinstellung klagen, um das Prozessrisiko des Arbeitgebers in die Höhe zu treiben, wohl wissend, dass er am Ende immer noch ohne Begründung einen Auflösungsantrag stellen kann.106

___________ 102

von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215,

241. 103

Preis, RdA 2003, 65, 70. Preis, RdA 2003, 65, 70. 105 Preis, RdA 2003, 65, 70. 106 Willemsen, NJW 2000, 2779, 2783. 104

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

IV. Abfindung anstelle Kündigungsschutz 1. Regelungsmodelle Am weitesten jedoch reicht der Vorschlag Rühles, den Kündigungsschutz ebenso wie den Rechtsschutz gegen eine Kündigung gleich vollständig gegen Zahlung einer Abfindung abzuschaffen.107 Bei grob treuwidrigem Verhalten des Arbeitnehmers soll sogar diese Abfindung entfallen108. Einen konkreten Vorschlag zur Höhe der Abfindung, die mit der Dauer des Arbeitsverhältnisses ansteigen soll, unterbreitet Rühle zwar nicht, gibt aber zu bedenken, dass seine Lösung, verglichen mit dem geltenden gesetzlichen Kündigungsschutz, für den Arbeitgeber mit wesentlich höheren Kosten verbunden sei, so dass diese niedriger als die im Rahmen der bisherigen Kündigungsschutzprozesse gezahlten Abfindungen ausfallen müsse.109 Auch Oetker sympathisiert mit dieser Auffassung; seiner Ansicht nach soll die Abfindung jedoch – vergleichbar dem österreichischen Abfertigungsrecht 110 – mit Hilfe eines Umlageverfahrens finanziert werden.111 In eingeschränktem Umfang verfolgt diesen Ansatz auch Preis. Dessen Vorschlag zufolge kann ein Arbeitgeber, der in der Regel weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigt, das Arbeitsverhältnis stets unter Beachtung der Kündigungsfristen gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung kündigen. 112 Die Komplexität des geltenden Kündigungsschutzrechts, die Rechtsunsicherheit und das daraus resultierende Lohnrisiko aus Annahmeverzug erwiesen sich für Kleinunternehmen als besonders belastend.113 Die Reduzierung des Kündigungsschutzes auf einen Abfindungsanspruch stelle den Arbeitnehmer gleichwohl nicht schutzlos: Die Abfindungspflicht werde den Kleinunternehmer hinreichend vor willkürlichen Kündigungen zurückschrecken lassen, ihm andererseits aber auch die notwendige Rechtssicherheit bieten.114 Jedoch soll eine von Verfassungs wegen gebotene gerichtliche Willkürkontrolle bestehen bleiben,

___________ 107

Rühle, DB 1991, 1378, 1379 f. Rühle, DB 1991, 1378, 1380. 109 Rühle, DB 1991, 1378, 1380. 110 Dazu später unten unter § 5 C I 1, S. 164 f. 111 Oetker, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 137, 138 f. 112 Preis, RdA 2003, 65, 73, 79; ders., NZA 2003, 252, 256; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 110, 112. 113 Preis, RdA 2003, 65, 72 f. 114 Preis, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 110, 112. 108

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die Kündigung also dann unzulässig sein, wenn ihr keinerlei sachlicher Anhaltspunkt zugrunde liege.115 Rebhahn will dem Arbeitgeber – alternativ zu einer rechtsgeschäftlichen Verdrängung des Kündigungsschutzes116 – bei Ausspruch der Kündigung ein Gestaltungsrecht zur Verdrängung des gesetzlichen Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung einräumen.117 Die Höhe der Abfindung soll dabei deutlich über den nach Maßgabe der §§ 9, 10 KSchG geleisteten Beträge liegen, weil dem Arbeitgeber die Kosten und Risiken eines Kündigungsschutzprozesses erspart blieben.118 Andere Autoren wollen an der geltenden Konzeption des KSchG einer gerichtlichen ex-post Kontrolle für die Fälle der personen- und verhaltensbedingten Kündigungen festhalten, befürworten für betriebsbedingte Kündigungen aber ebenfalls eine Abschaffung des gesetzlichen Kündigungsschutzes zugunsten eines Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers.119 So ist etwa nach dem Entwurf Hromadkas eine betriebsbedingte Kündigung – er bezeichnet diese als Kündigung zum Zweck der Personalverringerung – stets wirksam, im Gegenzug für den Verlust der Anfechtungsmöglichkeit kann dieser jedoch eine Abfindung verlangen.120 Erhebt der Arbeitnehmer dennoch eine Kündigungsschutzklage, kann er sich ausschließlich darauf berufen, dass die Kündigung auf anderen als betriebsbedingten Gründen beruht, wofür er dann die Beweislast trägt.121 Die Abfindung berechnet sich dabei in Abhängigkeit der Parameter Lebensalter und Betriebs- bzw. Unternehmenszugehörigkeit, wobei Hromadka die Höhe des mit diesen Variablen zu multiplizierenden Faktors aber ausdrücklich offen lässt.122 Mittels Betriebsvereinbarung soll die Abfindung um die Hälfte reduziert werden können, wenn dringende betriebliche Erfordernisse

___________ 115

Preis, RdA 2003, 65, 79; ders., NZA 2003, 252, 256. Dazu sogleich unten im nächsten Abschnitt. 117 Rebhahn, RdA 2002, 272, 288 f. 118 Rebhahn, RdA 2002, 272, 289. 119 Hromadka, AuA 2002, 261, 264 f.; ders., NZA 2002, 783; ders., ZfA 2002, 383, 393 f., 397; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 14 f., 19; Rüthers, NJW 2003, 546, 549; Söllner, in: GS Heinze, S. 867, 876 f. Auch Rüthers will aber, entsprechend dem Vorschlag Preis’, an einer gerichtlichen Willkürkontrolle der Kündigung festhalten. 120 Hromadka, AuA 2002, 261, 264; ders., NZA 2002, 783; ders., ZfA 2002, 383, 393, 397; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 14 f., 19. Damit sympathisiert auch Dieterich, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 114, 115. 121 Hromadka, AuA 2002, 261, 264; ders., NZA 2002, 783; ders., ZfA 2002, 383, 393, 397; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 15, 19. 122 Hromadka, AuA 2002, 261, 265; ders., NZA 2002, 783; ders., ZfA 2002, 383, 394, 398; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 16, 20. 116

114

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

dies verlangten, bei einer Existenzgefährdung des Betriebs- oder Unternehmens entfällt die Abfindung ganz.123 2. Regelungszweck Die zumindest teilweise Abschaffung des Kündigungsschutzes, so ihre Befürworter, sei mit zahlreichen Vorteilen verbunden. Für den Arbeitgeber würden Kündigungen kalkulierbarer, die Arbeitsgerichte entlastet.124 Auch der Arbeitnehmer wisse sicher, was ihn bei der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erwartet, er müsse keine Scheinprozesse mit nicht ernst gemeinten Feststellungsanträgen führen.125 Damit bestehe Rechtssicherheit bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses.126 Die Abfindungszahlung verfolge dabei einen doppelten Zweck: Sie sei zum einen, ähnlich einer betrieblichen Altersversorgung, Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachte Arbeitsleistung und Betriebstreue, darüber hinaus aber auch Übergangshilfe und wirtschaftlicher Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes.127 An erster Stelle steht damit der Kompensationszweck, die Abfindung soll den Arbeitnehmer für den Verlust der gerichtlichen Kontrollmöglichkeit entschädigen. Eng damit verbunden ist eine Entlastungsfunktion der Abfindung, Bestandsstreitigkeiten sollen von der Arbeitsgerichtsbarkeit weitgehend fern gehalten werden. Wissen die Arbeitsvertragsparteien, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis in jedem Fall beendet und der Arbeitnehmer lediglich eine Abfindung beanspruchen kann, so verfolgt diese auch das Ziel, größtmögliche Rechtssicherheit zu gewährleisten. Da sich die Höhe der Abfindung nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses bemisst, bezweckt diese aber auch eine Entschädigung des Arbeitnehmers für den mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen sozialen Besitzstand. Schließlich wirkt die Abfindung auch auf die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers ein: Kann der Arbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis nur zu dem Preis einer Abfindungszahlung kündigen, so wirkt diese kündigungshemmend, wobei dieser Aspekt aber seine Bedeutung verliert, soweit die Abfindung im Wege eines Umlageverfahrens finanziert wird.

___________ 123

Hromadka, AuA 2002, 261, 265; ders., NZA 2002, 783; ders., ZfA 2002, 383, 394, 398; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 17, 20. 124 Hromadka, AuA 2002, 261, 264; ders., ZfA 2002, 383, 392; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 15; Rühle, DB 1991, 1378, 1380; Rüthers, NJW 2003, 546, 549. 125 Rühle, DB 1991, 1378, 1380. 126 Rühle, DB 1991, 1378, 1380. 127 Rühle, DB 1991, 1378, 1380.

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3. Kritik Weit überwiegend stößt die Abschaffung der gerichtlichen Kontrollmöglichkeit der Kündigung jedoch auf Ablehnung. So wird zunächst darauf hingewiesen, dass eine generelle Abfindungspflicht zu einer enormen finanziellen Belastung der Unternehmen führe.128 Vor allem aber würde die Präventivwirkung des KSchG, das dem rechtswidrig kündigenden Arbeitgeber Sanktionen auferlegt, aufgegeben.129 Zwar ginge auch von einer generellen Abfindungspflicht eine kündigungshemmende Wirkung aus, allerdings werde dem Arbeitgeber jede Kündigung in gleichem Maße erschwert, unabhängig davon, ob diese nach den Maßstäben des derzeit geltenden KSchG als gerechtfertigt anzusehen ist oder nicht.130 Gerade bei einer Kündigung aus Gründen in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers sei dies nicht hinzunehmen.131 Die Hemmschwelle des Arbeitgebers zur Kündigung erkrankter oder älterer Arbeitnehmer werde damit deutlich herabgesetzt.132 Ein Arbeitnehmer könne sich vor diesem Hintergrund auch keinen Widerspruch mehr gegen seinen Arbeitgeber erlauben.133 Die Abhängigkeit der Beschäftigten würde auf diesem Weg gesteigert, zugleich aber das Innovationspotential der Betriebe deutlich verringert.134 Die Freiheit des Arbeitsverhältnisses bestimme sich von dessen Ende her: Eine Krankheit auskurieren und ein offenes Wort sprechen könne nur, wer sich sicher sein kann, dass ihn das nicht den Arbeitsplatz kostet.135 Aus freiheitsschützenden Gründen bedürfe der Arbeitnehmer daher einer Möglichkeit, sich wehren und rehabilitieren zu können.136 Auch eine auf die betriebsbedingte Kündigung beschränkte Abschaffung des Kündigungsschutzes beseitige dieses Problem nicht: Trage nach dem Entwurf Hromadkas der Arbeitgeber die Beweislast bei der personen- und verhaltensbe___________ 128

Bayreuther, NZA 2006, 417, 418; Dorndorf, BB 2000, 1938, 1940; Henssler, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 89, 90; Höland, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 23, 52; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 239; Junker, in: 65. DJT, Bd. I, S. B 81. 129 Höland, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 23, 51; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 239. 130 von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 239. 131 Dieterich, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 114; Däubler, NJW 2002, 2292; Dorndorf, BB 2000, 1938, 1939 f.; Hromadka, AuA 2002, 261, 264; ders., ZfA 2002, 383, 393; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 15; Preis, RdA 2003, 65, 69 f. 132 Dorndorf, BB 2000, 1938, 1940. 133 Däubler, NJW 2002, 2292. 134 Däubler, NJW 2002, 2292. 135 Hromadka, AuA 2002, 261, 264; ders., ZfA 2002, 383, 393; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 15. 136 Dieterich, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 114.

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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dingten, nicht aber bei der betriebsbedingten Kündigung, so bestehe für ihn kein Grund, eine andere als eine betriebsbedingte Kündigung auszusprechen, da ihm der Arbeitnehmer erst einmal nachweisen müsse, er habe tatsächlich aus Gründen in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers gekündigt.137 V. Vereinbarter Vorausverzicht auf Kündigungsschutz gegen Abfindungszahlung Anstelle eines gesetzlichen Ausschlusses der gerichtlichen Überprüfbarkeit der Kündigung soll der Gesetzgeber schließlich nach der Auffassung weiterer Autoren den Arbeitsvertragsparteien bereits vor Ausspruch der Kündigung einen vertraglich vereinbarten Verzicht auf Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung gegen Zahlung einer Abfindung ermöglichen. 1. Regelungsmodelle Erste Überlegungen in diese Richtungen hat Hanau auf dem 63. Deutschen Juristentag 2000 in Leipzig geäußert. Seiner Auffassung nach sollen die Arbeitsvertrags- oder Tarifparteien den gesetzlichen Kündigungsschutz durch eine vertragliche Abfindungsregelung ersetzen können, die nicht zwischen rechtmäßiger und rechtswidriger Kündigung differenziert.138 Kündige der Arbeitgeber jedoch aus verhaltensbedingten Gründen, müsse eine Ausnahme eingreifen, weil bei diesen die Frage nach der Rechtswirksamkeit der Kündigung besonders bedeutsam sei.139 Gleiches habe auch für den Sonderkündigungsschutz sowie bei Verstößen gegen ein Diskriminierungsverbot zu gelten. 140 Ein detailliertes Regelungskonzept entwickelte Preis, nach dessen Auffassung der Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber, allerdings beschränkt auf die betriebsbedingte Kündigung, ebenfalls einen wirksamen Verzicht auf Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung vereinbaren können soll.141 Kündigt der Arbeitgeber dann später wegen dringender betrieblicher Erfordernisse, steht dem Arbeitnehmer eine Abfindung zu, die mit einem Monatsverdienst für jedes ___________ 137

Dorndorf, in: Blank, Kündigungsschutz, S. 86, 87 f. Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 66; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 118, 119. Zustimmend Löwisch, JZ 2000, 806, nach dessen Auffassung die Arbeitsvertragsparteien einen entsprechenden Verzicht bereit bei Abschluss des Arbeitsvertrages vereinbaren können sollen. Picker plädiert zwar auch für einen privatautonom gestalteten Kündigungsschutz, thematisiert aber nicht dessen Rechtsfolge (Abfindung oder Bestandsschutz), vgl. Picker, ZfA 2005, 353, 375 ff. 139 Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 66. 140 Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 66. 141 Preis, RdA 2003, 65, 72, 80; ders., NZA 2003, 252, 259. Dem folgend P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 32. 138

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vollendete Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses deutlich höher als die gegenwärtig durchschnittlich in einem Vergleich erzielten Abfindungsbeträge ausfallen soll.142 Höchstens kann die Abfindung einen Umfang von zwölf Monatsverdiensten erreichen; hat der Arbeitnehmer das 55. Lebensjahr vollendet und das Arbeitsverhältnis mindestens 20 Jahre bestanden, steigt diese Grenze auf 18 Monatsverdienste.143 Leistungen aus einem Sozialplan sowie Nachteilsausgleichansprüche sollen angerechnet werden.144 Damit der Arbeitnehmer aber auch tatsächlich seine Wahlfreiheit zwischen der Abfindung und einer späteren gerichtlichen Kontrolle der Kündigung wahrnehmen könne, dürfe nach Ansicht Preis’ ein solcher Verzicht erst dann erklärt werden, wenn der Arbeitnehmer bereits in den Genuss des Kündigungsschutzes gekommen sei.145 Eine wirksame Vereinbarung setze daher voraus, dass das Arbeitsverhältnis als unbefristetes mindestens ein Jahr ununterbrochen bestanden hat146. Am weitesten reicht der Vorschlag Rebhahns, der unabhängig vom Kündigungsgrund den Arbeitsvertragsparteien bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages einen vertraglichen Vorausverzicht auf Kündigungsschutz gegen eine nach der Beschäftigungsdauer bemessenen Abfindungszahlung ermöglichen will.147 Deren Bemessung solle der Gesetzgeber leicht unterhalb der gegenwärtig nach Maßgabe der §§ 9, 10 KSchG gezahlten Beträge orientieren, weil bei einer rechtsgeschäftlichen Verdrängung des Kündigungsschutzes der Arbeitnehmer auch bei einer rechtmäßigen Kündigung eine Abfindung beanspruchen könne.148 Zwischen der Vereinbarung und dem Ausspruch der Kündigung müsse jedoch eine Zeitspanne von zwölf Monaten liegen: Anderenfalls bestehe die Gefahr eines Informationsvorsprungs des Arbeitgebers, der bei Abschluss der für ihn günstigen Vereinbarung bereits die konkrete Absicht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses gefasst habe, während dem Arbeitnehmer diese für seine Verhandlungsposition entscheidende Kenntnis fehlt.149 Außerdem solle die Wirksamkeit des Vorausverzichts an die tatsächliche Zahlung der Abfindung durch den Arbeitgeber gebunden werden: Steht diese dem Arbeitnehmer nicht spätestens 10 Tage nach Ausspruch der Kündigung zur Verfügung, so lebt –

___________ 142

Preis, RdA 2003, 65, 71 f., 80; ders., NZA 2003, 252, 259. Preis, RdA 2003, 65, 79; ders., NZA 2003, 252, 256. 144 Preis, RdA 2003, 65, 79; ders., NZA 2003, 252, 256. 145 Preis, RdA 2003, 65, 71. 146 Preis, RdA 2003, 65, 80; ders., NZA 2003, 252, 259. Ebenso P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 33. 147 Rebhahn, RdA 2002, 272, 287 f. 148 Rebhahn, RdA 2002, 272, 288. 149 Rebhahn, RdA 2002, 272, 288. 143

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

abhängig vom Willen des Arbeitnehmers – der Kündigungsschutz wieder auf.150 Auch der 65. Deutsche Juristentag 2004 forderte mehrheitlich die Ermöglichung eines vertraglichen Verzichts auf Kündigungsschutz gegen Zahlung einer Abfindung, wobei Einzelheiten ausgespart blieben. 151 2. Regelungszweck Die mit diesen Vorschlägen verfolgten Regelungsziele stimmen im Wesentlichen mit denen des vorgenannten Schutzkonzeptes – Abfindung anstelle Kündigungsschutz – überein. Hier wie dort soll die Abfindung nach dem Willen ihrer Befürworter den Verlust der gerichtlichen Kontrollmöglichkeit kompensieren, die Arbeitsgerichtsbarkeit entlasten sowie Rechtssicherheit hinsichtlich der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gewährleisten. Auch bezweckt die Abfindung eine Entschädigung des Arbeitnehmers für den Verlust des mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen sozialen Besitzstandes. Ebenso kann die Abfindung auch hier eine kündigungshemmende Wirkung entfalten. Hinzu kommt aber noch eine weitere Zielrichtung: Steht der Verzicht im Belieben der Arbeitsvertragsparteien oder der Tarifpartner, soll damit auch die Privat- bzw. die Tarifautonomie gestärkt werden. VI. Reform des Sonderkündigungsschutzes Die Überlegungen für eine Reform des Sonderkündigungsschutzes beschränken sich im Wesentlichen auf die für schwerbehinderte Arbeitnehmer geltenden Regelungen der §§ 85 ff. SGB IX, wobei sich Ganz zwar für ein Festhalten am Prinzip des Bestandsschutzes ausspricht, allerdings eine Änderung des Zustimmungsverfahrens, §§ 85 ff. SGB IX, in ein Anhörungsverfahren nach dem Vorbild des § 102 BetrVG anregt.152 Bauer, Gravenhorst und Preis plädieren für eine ersatzlose Abschaffung des Sonderkündigungsschutzes.153 Ein anerkannter schwerbehinderter Arbeitnehmer, dessen Schwerbehinderung sich nicht auf die Arbeitsleistung auswirke, ___________ 150

Rebhahn, RdA 2002, 272, 288. Beschluss Nr. 6 lit. c, 65. DJT, Bd. II/1, S. N 109, N 111. Der 63. Deutsche Juristentag stand vier Jahre vorher demgegenüber einer Ersetzung des geltenden Kündigungsschutzrechts durch ein Abfindungsrecht noch ablehnend gegenüber; vgl. dazu Beschluss Nr. 14, 63. DJT, Bd. II/1, S. L 59, L 61. 152 Ganz, NZA 2006, 24, 25. 153 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 531; ders., NZA 2005, 1046, 1047; Gravenhorst, NZA 2005, 803, 804; Preis, in: Reform der Arbeitsförderung, S. 71, 95; ders., NJW 2000, 2304, 2311. 151

§ 4 Reformmodelle

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benötige diesen nicht.154 Die Rechtsprechung berücksichtige im Rahmen der Interessenabwägung bei einer personen- oder verhaltensbedingten Kündigung sowie bei der Sozialauswahl im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung die Schwerbehinderteneigenschaft bereits in ausreichendem Maße.155 Willemsen tritt demgegenüber lediglich für eine verstärkte Orientierung hin zu einem Abfindungsschutz ein. Seiner Auffassung nach soll es im Bereich des Sonderkündigungsschutzes für Betriebsratsmitglieder, Schwerbehinderte und werdende Mütter grundsätzlich bei der Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Kündigung verbleiben, wenn diese ungerechtfertigt oder sonst rechtswidrig ist, sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer müssten aber voraussetzungslos die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung verlangen können.156

B. Reformmodelle aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum Bei den Reformüberlegungen des wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttums, aus dem nachfolgend drei Regelungsmodelle vorgestellt werden, dominieren neben Abfindungsansprüchen anstelle des Bestandsschutzes individuelle Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und ihren Arbeitgebern über den Kündigungsschutz. I. Kronberger Kreis: Vorausverzicht gegen Abfindung So ermöglicht der Reformvorschlag des Kronberger Kreises157 den Arbeitsvertragsparteien, bei sämtlichen neu abgeschlossenen Arbeitsverhältnissen Abweichungen vom gesetzlichen Kündigungsschutz aushandeln zu können.158 Diese genießen Vorrang vor entgegenstehenden tarifvertraglichen Regelungen.159 So werde die individuelle Vertragfreiheit gestärkt und gleichzeitig Markteintritt und Marktaustritt offener gestaltet.160 ___________ 154

Preis, in: Reform der Arbeitsförderung, S. 71, 96; ders., NJW 2000, 2304, 2311. Preis, in: Reform der Arbeitsförderung, S. 71, 96; ders., NJW 2000, 2304, 2311. 156 Willemsen, NJW 2000, 2779, 2785, 2786. 157 Nach seiner Selbstauskunft handelt es sich dabei um den neoliberal geprägten wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Marktwirtschaft, ihm gehören sechs namhafte Wirtschaftswissenschaftler an. Vgl. dazu die Internetpräsenz unter http://frankfurterinstitut.de (28.02.2007). 158 Donges/Eekhoff/Franz/Möschel/Neumann, Flexibler Kündigungsschutz, S. 40 f. In die gleiche Richtung geht auch der Vorschlag von Berthold, Perspektiven der Wirtschaftspolitik Bd. 1 (2000), 229, 245. 159 Donges/Eekhoff/Franz/Möschel/Neumann, Flexibler Kündigungsschutz, S. 49. 160 Donges/Eekhoff/Franz/Möschel/Neumann, Flexibler Kündigungsschutz, S. 41. 155

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

Den Arbeitsvertragsparteien stehen dabei drei Optionen offen: Erstens kann sich der Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung verpflichten, die sich aus zurückzustellenden Anteilen vom Verdienst des Arbeitnehmers zusammensetzt, wenn der Arbeitnehmer im Gegenzug auf einen Kündigungsschutz jenseits der gesetzlichen Kündigungsfristen verzichtet.161 Zweitens besteht die Möglichkeit der Vereinbarung einer höheren Vergütung, um den freiwilligen und vollständigen Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz zu kompensieren. 162 Abfindung und Lohnzuschlag sollen auf Sozialplanabfindungen angerechnet werden, wobei die Sozialplanabfindungen den entlassenen Arbeitnehmer für dessen Mobilitätskosten entschädigen sollen, die diesem bei der Aufnahme einer Anschlussbeschäftigung entstehen. 163 Für eine dritte Gruppe von Arbeitnehmern, die aufgrund ihrer niedrigen Produktivität unter dem bestehenden Tariflohn keine Aussicht auf einen Arbeitsplatz haben, sieht der Vorschlag schließlich einen vollständigen Verzicht auf Kündigungsschutz ohne jegliche Kompensation vor; ein Arbeitsverhältnis ohne Kündigungsschutz sei der Arbeitslosigkeit allemal vorzuziehen.164 In allen drei Fällen soll der Kündigungsschutz jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden können, sondern stets ein Willkürschutz gemäß den §§ 138, 242 BGB bestehen bleiben und zur näheren Konkretisierung dieses Schutzes die Grundsätze des Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG herangezogen werden.165 II. Sachverständigenrat: Vorausverzicht oder Ausschluss des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen gegen Abfindungszahlung In dieselbe Richtung weisen auch die Reformvorschläge des Sachverständigenrates166. Zwar betont dieser, dass es ihm nicht um eine Radikalkur im Sinne einer Abschaffung des gesetzlichen Kündigungsschutzes gehe, sondern ein sorgfältiges Austarieren teilweise widerstreitender Interessen bei möglichst hoher Rechtssicherheit.167 Den Kern seiner Vorschläge bildet indes ebenfalls eine ___________ 161

Donges/Eekhoff/Franz/Möschel/Neumann, Flexibler Kündigungsschutz, S. 47. Donges/Eekhoff/Franz/Möschel/Neumann, Flexibler Kündigungsschutz, S. 47. 163 Donges/Eekhoff/Franz/Möschel/Neumann, Flexibler Kündigungsschutz, S. 54 f. 164 Donges/Eekhoff/Franz/Möschel/Neumann, Flexibler Kündigungsschutz, S. 48. 165 Donges/Eekhoff/Franz/Möschel/Neumann, Flexibler Kündigungsschutz, S. 45. 166 Der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ ist ein 1963 per Gesetz gegründetes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Dem gesetzlichen Auftrag folgend veröffentlich der Rat, dem derzeit fünf Wirtschaftswissenschaftler (Bofinger, Franz, Rürup, Weder di Mauro, Wiegard) angehören, jedes Jahr ein Jahresgutachten. Vgl. dazu auch die Internetpräsenz http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de (28.02.2007). 167 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000, Rdnr. 691. 162

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individualvertragliche Abdingbarkeit des gesetzlichen Kündigungsschutzes. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen nach Beendigung der Probezeit für den Fall einer späteren betriebsbedingten Kündigung einen Verzicht auf Kündigungsschutz gegen Zahlung einer Abfindung vereinbaren können.168 Die Beschränkung auf betriebsbedingte Kündigungen stelle sicher, dass bei personenund verhaltensbedingten und damit durch den Arbeitnehmer zu vertretenden Entlassungen keine Abfindung gezahlt werden müsse.169 Alternativ sieht dieses Konzept auch einen vollständigen vertraglichen Verzicht auf Kündigungsschutz nach Ablauf der Probezeit vor, wobei der Arbeitnehmer dann zur Kompensation eine höhere Vergütung erhält.170 Lasse der Gesetzgeber eine tarifvertragliche Vereinbarung über die Höhe der Abfindung bzw. die Höhe des Lohnzuschlags zu, so müsse diese unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Arbeitgebers gestellt werden.171 Daneben soll stets aber auch ein gesetzlicher Kündigungsschutz möglich sein, wenn der Arbeitnehmer keine der beiden Vereinbarungen wünsche.172 Dieser beziehe seine Rechtfertigung aus der besonderen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers, müsse aber – ohne aufwändigen Einsatz der Arbeitsgerichtsbarkeit – auf einen reinen Willkürschutz beschränkt werden.173 Im Jahresgutachten 2005/06 schlägt der Sachverständigenrat schließlich erstmalig noch eine dritte Option vor: die vollständige Aufhebung des Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen gegen Zahlung einer Abfindung.174 Der Arbeitnehmer kann diese erstmals nach einer Betriebszugehörigkeit von zwei Jahren beanspruchen, die Abfindung beträgt dabei einen halben Bruttomonatsverdienst je Beschäftigungsjahr.175 Zweck der Abfindungszahlung ist die Entschädigung des Arbeitnehmers für dessen infolge der Entlassung eintretenden ___________ 168

Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000, Rdnr. 694; Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2005/06, BT-Drs. 16/65, Rdnr. 316. So auch bereits Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/03, BT-Drs. 15/100, Rdnr. 471. 169 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2005/06, BT-Drs. 16/65, Rdnr. 316. 170 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000 Rdnr. 694. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2005/06, BT-Drs. 16/65, Rdnr. 316; ders., Jahresgutachten 2006/07, BT-Drs. 16/3450, Rdnr. 561: Möglichkeit der Vereinbarung bei Abschluss des Arbeitsvertrages. 171 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000 Rdnr. 696. 172 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000 Rdnr. 694; Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2005/06, BT-Drs. 16/65, Rdnr. 316. 173 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000 Rdnr. 685, 691. Zu den Vorschlägen hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen dieses Willkürschutzes und der Verteilung der Beweislast vgl. Rdnr. 695. 174 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2005/06, BT-Drs. 16/65, Rdnr. 317; ders., Jahresgutachten 2006/07, BT-Drs. 16/3450, Rdnr. 559. 175 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2005/06, BT-Drs. 16/65, Rdnr. 317; ders., Jahresgutachten 2006/07, BT-Drs. 16/3450, Rdnr. 559.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

finanziellen Einbußen.176 Der fortbestehende Schutz vor personen- und verhaltensbedingten Kündigungen sichere alle Arbeitnehmer vor der Umgehung des Abfindungsanspruchs durch den Arbeitgeber, der betriebsbedingte Kündigungen als personen- oder verhaltensbedingt deklariere. 177 III. Kritik Die Befürworter derartiger individualvertraglicher Vereinbarungen über den Kündigungsschutz verweisen auf zahlreiche Vorteile: Überließe man die Gestaltung von Arbeitsverträgen ausschließlich den individuellen Vertragsparteien, so ginge dies keineswegs mit einem ungezügelten „hire and fire“ einher. 178 Stabile Beschäftigungsverhältnisse entsprächen vielfach den Präferenzen von Unternehmen und Arbeitnehmern, insbesondere wenn beide Parteien in das betriebsspezifische Humankapital investierten oder sich die Effizienz der Arbeitsleistung erhöhe, wenn Arbeitnehmer vor Willkürmaßnahmen geschützt oder die Transaktionskosten der Neubesetzung eines Arbeitsplatzes hoch seien.179 Jedoch gibt der Sachverständigenrat auch zu bedenken, dass dies möglicherweise nur auf hoch qualifizierte Arbeitnehmer zutreffe, während gering qualifizierte Beschäftigte eher eine hohe Fluktuationsrate aufwiesen.180 Unternehmensspezifische Kündigungsabfindungen, wie sie der Kronberger Kreis und der Sachverständigenrat favorisieren, stoßen im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum aber auch auf Kritik. Nach Auffassung Schettkats offenbarten diese bereits im Einstellungsgespräch die zu erwartende Beschäftigungssicherheit: Die fehlende Bereitschaft eines Unternehmens, Kündigungsschutz zu gewähren und stattdessen eine hohe Abfindung zu zahlen werde von unvollständig informierten Arbeitnehmern als ein Signal unsicherer Beschäftigung interpretiert und führe zu entsprechender negativer Selbstselektion bei den Bewerbern.181 Die Rekrutierungs- und Lohnkosten stiegen, weil die produktiveren Arbeitnehmer entweder einen entsprechenden Lohnzuschlag forderten oder das Unternehmen mieden.182

___________ 176

Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2005/06, BT-Drs. 16/65, Rdnr. 317; ders., Jahresgutachten 2006/07, BT-Drs. 16/3450, Rdnr. 559. 177 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2005/06, BT-Drs. 16/65, Rdnr. 317; ders., Jahresgutachten 2006/07, BT-Drs. 16/3450, Rdnr. 559. 178 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000 Rdnr. 684. 179 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000, Rdnr. 684; ders., Jahresgutachten 2006/07, BT-Drs. 16/3450, Rdnr. 556. 180 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000, Rdnr. 684. 181 Schettkat, Wirtschaftsdienst 2003, 225, 229. 182 Schettkat, Wirtschaftsdienst 2003, 225, 229.

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Auch die häufig vorgeschlagenen privatautonomen Kündigungsschutzvereinbarungen sind im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum nicht unumstritten.183 Einige sehen bei Vereinbarung eines starken Kündigungsschutzes eine Gefahr, dass sich die Verhandlungsposition des Arbeitnehmers bei der Verteilung des Überschusses verbessere und das Unternehmen darüber hinaus einen überproportionalen Anteil von Arbeitskräften anziehe, die ihre Leistung so festlegten, dass sie gerade noch keinen Anlass zu einer begründeten Kündigung geben (so gen. talented shirkers).184 IV. Jahn: Aufgabe des Bestandsschutzprinzips bei betriebsbedingten Kündigungen Jahn plädiert daher für einen gesetzlichen Kündigungsschutz, der hinsichtlich seiner Rechtsfolgen zwischen exogenen Kündigungsgründen, die ihre Ursache in Nachfragezyklen und technischem Fortschritt haben und zum Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen führen, und aus dem Verhalten oder den persönlichen Eigenschaften des Arbeitnehmers resultierenden endogenen Kündigungsgründen.185 Ein gewinnmaximierendes Unternehmen verfolge das Ziel, seine Größe an exogene Schocks mittels betriebsbedingter Kündigungen anzupassen.186 Das Bestandsschutzprinzip des geltenden Kündigungsschutzrechts ziele demgegenüber auf eine Sicherung der Arbeitsplätze.187 Der Bestandsschutz erhöhe so die Kosten der quantitativen Anpassungsstrategie und gebe den Unternehmen einen Anreiz, in Zeiten steigender Nachfrage auf nicht regulierte Anpassungsstrategien, etwa der Anordnung von Überstunden, auszuweichen.188 Deshalb solle hier der Bestandsschutz zugunsten eines Abfindungsschutzes ersetzt werden.189 Abfindungen beeinflussten zwar ebenfalls die relativen Kosten der Nutzung der quantitativen und der zeitlichen Anpassungsstrategie zugunsten letzterer, trotzdem erwiesen sich Abfindungen als das flexiblere Instrument, welches den Unternehmen Planungs- und Rechtssicherheit in Bezug auf die Variation der Unternehmensgröße verschaffe.190 Kündigungen aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen zielten demgegenüber nicht auf eine Anpassung der Unternehmensgröße, sondern auf Er___________ 183

Zur Kritik etwa Eger, in: Sadowski/Walwei, Ökonomische Analyse, S. 45, 54 f.; Jahn, Ökonomische Theorie, S. 110. 184 Eger, in: Sadowski/Walwei, Ökonomische Analyse, S. 45, 54; Jahn, Ökonomische Theorie, S. 110. 185 Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 155 ff. 186 Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 155. 187 Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 155. 188 Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 155. 189 Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 155. 190 Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 155 f.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

satz eines Arbeitnehmers durch einen aus dem Blickwinkel der Geschäftführung besser geeigneten.191 Da bei diesen Kündigungen das Risiko opportunistischen Verhaltens des Arbeitgebers besonders groß sei, könne das Bestandsschutzprinzip den Arbeitnehmer vor willkürlichen Kündigungen möglicherweise besser schützen als das Abfindungsprinzip.192 Doch auch in diesen Fällen könne eine Abfindung ausreichend Schutz gewähren, wenn ihre Höhe so gewählt werde, dass gewinnmaximierende Unternehmen auf verhaltens- und personenbedingte Kündigungen verzichteten.193 Stets soll der Arbeitgeber die Wahl haben, den Arbeitnehmer ordentlich und ohne Pflicht zur Zahlung einer Abfindung zu kündigen, wobei dem Arbeitnehmer dann der Rechtsweg mit den eben beschriebenen Rechtsfolgen offen stünde, oder bei Ausspruch der Kündigung eine Abfindung zu zahlen, womit Begründungspflicht des Arbeitgebers und Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers entfielen.194 Die Höhe der Abfindung soll sich an dem tatsächlichen Kündigungsschaden195 orientieren, wobei Jahn zu bedenken gibt, dass unter Berücksichtigung von Informationsasymmetrien dessen Ermittlung mit Schwierigkeiten verbunden sei, zumal eine individuelle Aushandlung im Einzelfall hohe Verhandlungskosten verursache.196 Sie befürwortet daher die Einführung einer pauschalen Mindestkompensation, die aber ein halbes Monatsgehalt pro abgeschlossenes Jahr der Betriebszugehörigkeit keinesfalls überschreiten dürfe. 197 Bestandsschutz sei nicht das primäre Ziel eines ökonomisch effizienten Kündigungsschutzrechts.198 Ein ökonomisch effizientes Kündigungsschutzrecht liefere dem kündigenden Arbeitgeber und dem gekündigten Arbeitnehmer Anreize, ihr Anpassungsverhalten an exogene Nachfrage- und Technologieschocks so zu wählen, dass die Summe aus tatsächlichen Anpassungskosten ___________ 191

Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 156. Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 156. 193 Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 156. 194 Jahn/Schnabel, Wirtschaftsdienst 2003, 219, 221. Unklar noch Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 156. 195 Der Kündigungsschaden setzt sich aus der Abschreibung der Investition des Arbeitnehmers in sein betriebsspezifischen Humankapital, seinem Einkommensverlust, vermindert um die Leistungen der Arbeitslosenversicherung, sowie aus den Such- und Mobilitätskosten im Hinblick auf einen neuen Arbeitsplatz, soweit sich Arbeitslosenversicherung und der neue Arbeitgeber daran nicht beteiligen, zusammen; vgl. dazu Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/04, BT-Drs. 15/2000 Rdnr. 685. 196 Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 156 197 Jahn/Schnabel, Wirtschaftsdienst 2003, 219, 221. Unentschlossen zwischen einer pauschalen Abfindung von sechs Monatsverdiensten sowie einer Abfindung von einem Monatsverdienst pro Jahr der Betriebszugehörigkeit noch Jahn, Jahrbuch für Wirtschaftswissenschaften Bd. 53 (2002), 142, 156. 198 Jahn, Ökonomische Theorie, S. 305. 192

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und erwartetem Kündigungsschaden minimal ausfalle.199 Bestandsschutz sei vielmehr die erwünschte Nebenfolge eines ökonomisch effizienten Schutzrechts, die immer dann eintrete, wenn die Beteiligten die vom Gesetz normierten Rechtsfolgen ihrer Strategiewahl vorhersähen, und der Bestandsschutz die im Vergleich zu allen anderen Alternativen kostenminimale Anpassungsreaktion bilde.200 Ein auf einen Abfindungsschutz angelegter Kündigungsschutz wird demgegenüber im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum allgemein als vorteilhaft bewertet. Kündigungsabfindungen wiesen wohlfahrtsfördernde Effekte auf. 201 Seien Arbeitnehmer risikoscheu und biete sich ihnen keine Möglichkeit, sich privat gegen Arbeitslosigkeit zu versichern, die Unternehmen dagegen risikoneutral und mit uneingeschränktem Zugang zu den Kapitalmärkten, so lohne sich eine Verpflichtung zur Zahlung einer Kündigungsabfindung für beide Seiten.202 Der Arbeitgeber trete als Versicherungsunternehmen auf, während die Arbeitnehmer im Gegenzug für die Kündigungsabfindung geringere Löhne akzeptierten.203 Die Abfindung fange den kündigungsbedingten Einkommensverlust auf.204 Schellhaaß weist auch auf die kündigungshemmende Wirkung von Abfindungen hin, weil diese ausschließlich die Entlassung verteuerten.205 Mithilfe von Abfindungen könne sowohl das sozialpolitische als auch das arbeitsplatzerhaltende Ziel des Kündigungsschutzes voll realisiert werden.206 Außerdem könnten Abfindungen die unterschiedliche soziale Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer durch beliebig feine Abstufungen der Geldbeträge exakt widerspiegeln.207

___________ 199

Jahn, Ökonomische Theorie, S. 306. Jahn, Ökonomische Theorie, S. 306. 201 Pissarides, Labour Economics Vol. 8 (2001), S. 131 ff.; OECD, EmploymentOutlook 2004, S. 89. 202 OECD, Employment-Outlook 2004, S. 90. 203 OECD, Employment-Outlook 2004, S. 90. 204 OECD, Employment-Outlook 2004, S. 90. 205 Schellhaaß, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 28, 32. 206 Schellhaaß, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 28, 32. 207 Schellhaaß, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 28, 32. 200

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

C. Reformvorschläge des Gesetzgebers I. Kündigungsschutz im Spiegel der Bemühungen einer Kodifikation des gesamten Arbeitsrechts – die Entwürfe eines Arbeitsvertragsgesetzes Die Überarbeitung des geltenden Kündigungsschutzrechts spielte auch bei den bisherigen Bemühungen zur Kodifikation des gesamten Arbeitsrechts in einem Arbeitsgesetzbuch eine wesentliche Rolle. Anders als die Reformvorschläge der letzten zehn Jahre hielten diese jedoch am Bestandsschutzprinzip des KSchG fest. Sowohl der Entwurf der Arbeitsgesetzbuchkommission aus dem Jahr 1977 (ArbGB 1977)208 als auch der auf dem 59. Deutschen Juristentag 1992 vom Arbeitskreis Deutsche Rechtseinheit im Arbeitsrecht vorgestellte Diskussionsentwurf für ein Arbeitsvertragsgesetz (ArbVG 1992)209 bestimmten, dass die Kündigung bei gerichtlicher Feststellung der fehlenden sozialen Rechtfertigung oder der Rechtswidrigkeit unwirksam ist und ermöglichten den Arbeitsvertragsparteien eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter denselben eingeschränkten Voraussetzungen wie der geltende § 9 Abs. 1 KSchG.210 Gleiches trifft auch auf die Gesetzentwürfe Sachsens211 und Brandenburgs212 aus den Jahren 1995 und 1996 zu, die sich an den von der 71. Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder 1994 beschlossenen Eckpunkten für ein Arbeitsvertragsgesetz213 sowie dem ArbVG 1992 orientierten,214 vom Bundesrat aber nicht weiter vorangetrieben wurden. Während der Beratungen der Arbeitsgesetzbuchkommission wurde sogar erwogen, dem Arbeitgeber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mittels einer gerichtlichen Auflösungsklage zu ermöglichen. § 92a Abs. 1 S. 1 der Empfehlungen des Ausschusses zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses sah insofern die Unwirksamkeit der Kündigung vor, wenn Betriebsrat und Arbeitnehmer dieser innerhalb von zwei Wochen schriftlich widersprochen hatten; Abs. 2

___________ 208

Arbeitsgesetzbuchkommission, Entwurf eines Arbeitsgesetzbuches (ArbGB 1977). Arbeitskreis Rechtseinheit, in: 59. DJT, Bd. I, S. D 1 ff. (ArbVG 1992). 210 §§ 91 Abs. 1, 96 Abs. 1, 100 Abs. 1 ArbGB 1977; §§ 123 Abs. 1, 135, 138 Abs. 1 ArbVG 1992. 211 „Entwurf eines Arbeitsvertragsgesetzes“, BR-Drs. 293/95. 212 „Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Arbeitsrechts“, BR-Drs. 671/96. 213 Griese, NZA 1995, S. 300 ff. 214 BR-Drs. 293/95: §§ 123 Abs. 1, 135 Abs. 1, 138 Abs. 1 des Arbeitsvertragsgesetzes; BR-Drs. 671/96: §§ 123 Abs. 1, 135 Abs. 1, 138 Abs. 1 des Arbeitsvertragsgesetzes. 209

§ 4 Reformmodelle

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verwies den Arbeitgeber für diesen Fall auf den Klageweg, der dann Erfolg hatte, wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt war.215 II. Aktuelle Reformvorschläge des Gesetzgebers Dass die in der Literatur vielfach vorgebrachten Vorschläge einer Reform des Kündigungsschutzes im Sinne einer Abkehr vom Prinzip des unmittelbaren Bestandsschutzes hin zu einem Abfindungsschutz nicht nur die akademische Diskussion bewegen, sondern auch den Gesetzgeber erreicht haben, zeigen zahlreiche Anträge und Gesetzesentwürfe, mit denen sich Bundestag und Bundesrat in den vergangenen Jahren beschäftigten. 1. Kündigungsschutz im „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Arbeitsrechts“ der Fraktion der CDU/CSU Am weitesten ging bislang ein Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU vom 18.06.2003, der – vergleichbar den Forderungen des Sachverständigenrates216 – den Arbeitsvertragparteien vor Ausspruch der Kündigung die Möglichkeit eines Verzichts auf Kündigungsschutz gegen Zahlung einer Abfindung einräumen wollte.217 Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine derartige Vereinbarung getroffen, stellt § 1a Abs. 1 KSchG in der Fassung des Entwurfs (KSchG-E) die unwiderlegbare Vermutung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung auf.218 Nach Abs. 2 dieser Norm setzt ein wirksamer Verzicht eine vor Beginn des Arbeitsverhältnisses getroffene schriftliche Vereinbarung voraus, wonach der Arbeitnehmer bei Ausspruch einer ordentlichen Kündigung auf die „Geltendmachung von Kündigungsschutzgründen nach § 1 gegen die Zahlung einer Abfindung verzichtet“, wobei die Abfindung mindestens ein halbes Monatsentgelt für jedes vollendete Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses betragen muss.219 Nach § 1a Abs. 3 KSchG-E entfällt der Anspruch auf ___________ 215

Vergleichbar auch § 115 des DGB-Entwurfs, RdA 1977, 166, 176 f. Ein Alternativvorschlag des Ausschusses beschränkte dieses Wahlrecht auf Arbeitnehmer, die das vierzigste Lebensjahr vollendet und dem Unternehmen mindestens fünf Jahre ununterbrochen angehört haben. Überlegungen bezüglich einer Auflösungsklage zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurden im Schrifttum bereits früher geäußert, vgl. dazu etwa Notter, DB 1976, 772, 773. 216 Vgl. dazu oben unter § 4 B II, S. 120 ff. 217 BT-Drs. 15/1182, S. 7, 11 f., 15. Gleichlautend der Gesetzentwurf der Freistaaten Bayern und Sachsen vom 04.07.2003, BR-Drs. 464/03, S. 4, 6 f. Gleichlautend ebenfalls die entsprechenden Regelungen in dem Gesetzesantrag des Landes Niedersachsen für den „Entwurf eines Gesetzes für mehr Wachstum und Beschäftigung durch nachhaltige Reformen am Arbeitsmarkt“ vom 02.07.2003, BR-Drs. 456/03, S. 3, 4 f. 218 BT-Drs. 15/1182, S. 7. 219 BT-Drs. 15/1182, S. 7.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

die Abfindung allerdings dann, wenn die Kündigung durch verhaltens- oder personenbedingte Gründe gerechtfertigt ist oder der Arbeitgeber § 1 KSchG für die betriebsbedingte Kündigung für anwendbar erklärt hat, der Kündigungsschutz insoweit also fortbesteht.220 Eine Änderung des § 112a BetrVG soll dem Gesetzentwurf zufolge schließlich bewirken, dass Entlassungen von Arbeitnehmern, mit denen eine Vereinbarung nach § 1a KSchG-E besteht, nicht sozialplanpflichtig sind und diese Arbeitnehmer auch bei der Berechnung der Schwellenwerte des § 112a Abs. 1 BetrVG nicht mitzählen.221 Ansprüche aus Sozialplänen wirkten für die Arbeitnehmer, die mit dem Arbeitgeber eine Vereinbarung gemäß § 1a KSchG getroffen hätten, einstellungshindernd, da der Arbeitgeber dann gegebenenfalls eine höhere als die nach § 1a KSchG-E geschuldete Abfindung zahlen müsse.222 Eine vergleichbare Regelung hat auch die Fraktion der FDP in ihren Anträgen vom 12.02.2003223 und 12.03.2003224 vorgeschlagen. Alternativ zur Zahlung einer Abfindung soll nach dem Willen der FDP der Kündigungsschutz aber auch zugunsten einer Qualifizierungsmaßnahme mit dem Ziel des Abschlusses einer beruflichen Zusatzqualifikation abbedungen werden können. 225 Sie sieht darin Vorteile für beide Seiten: Der Arbeitnehmer erhalte eine Abfindung oder anstelle dieser eine auf Kosten des Arbeitgebers finanzierte betriebliche Zusatzausbildung, die seine Wettbewerbschancen auf dem Arbeitsmarkt verbesserten und so seine Arbeitsplatzsuche vereinfachten. 226 Der Arbeitgeber könne dagegen ein Arbeitsverhältnis rechtssicher und ohne weitere Kosten beenden, die so erreichte Kalkulierbarkeit der Kosten werde sich positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken.227 Ihren Ursprung haben alle diese Regelungsvorschläge in zwei Gesetzentwürfen der Freistaaten Bayern228 und Sachsen229. Der sächsische Entwurf sah indes noch zahlreiche Einschränkungen vor: Ein bei Abschluss oder während des laufenden Arbeitsverhältnisses vereinbarter Verzicht auf Kündigungsschutz sollte ___________ 220

BT-Drs. 15/1182, S. 7. BT-Drs. 15/1182, S. 6, 14. 222 BT-Drs. 15/1182, S. 14. So auch bereits die Begründung des Gesetzesentwurfs des Freistaats Sachsen, BR-Drs. 158/03, S. 19. 223 BT-Drs. 15/430, S. 2 f., 6 f. 224 BT-Drs. 15/430, S. 7; BT-Drs. 15/590, S. 12. 225 BT-Drs. 15/430, S. 7. 226 BT-Drs. 15/430, S. 7; BT-Drs. 15/590, S. 12. 227 BT-Drs. 15/590, S. 12. 228 Entwurf eines Gesetzes zur Flexibilisierung des Arbeitsrechts vom 22.11.2002, BR-Drs. 863/02. 229 Entwurf eines Gesetzes zum Abbau von Hemmnissen auf dem Arbeitsmarkt vom 06.03.2003, BR-Drs. 158/03. 221

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auf betriebsbedingte Kündigungen beschränkt bleiben und zudem nur in Betrieben mit Sitz in Bundesländern gelten, deren Arbeitslosenquote 50 % über dem Bundesdurchschnitt liegt.230 Die Abfindung fiel nach diesem Entwurf mit einem Mindestbetrag von einem halben Monatsentgelt, das sich für jedes volle Jahr der Beschäftigungsdauer um ein weiteres Monatsentgelt erhöht, jedoch höher aus.231 Diese bewusst über dem Betrag von 0,5 Monatsentgelten liegende Abfindung sollte nach der Auffassung der sächsischen Staatsregierung die Akzeptanz der Abfindungsvereinbarung durch die Arbeitnehmer erhöhen.232 Der zeitlich vorangehende Entwurf Bayerns, den der Bundesrat am 05.02.2003 in den Bundestag eingebracht hatte,233 knüpfte die wirksame Vereinbarung eines Klageverzichts an drei Voraussetzungen: Die Vereinbarung muss am Beginn des Arbeitsverhältnisses getroffen werden, der Arbeitnehmer dabei das 50. Lebensjahr vollendet haben und der Arbeitgeber eine Abfindung in Höhe mindestens eines Monatsverdienstes, die sich für jedes weitere vollendete Beschäftigungsjahr um ein zusätzliches Monatsentgelt erhöht, versprechen.234 War die spätere Kündigung dann durch verhaltensbedingte Gründe gerechtfertigt, räumte § 1a Abs. 2 des Entwurfes dem Arbeitgeber ein Leistungsverweigerungsrecht ein.235 Damit sollte der Arbeitgeber angeregt werden, gerade ältere Arbeitnehmer einzustellen.236 2. Kritik Gegen alle diese Vorschläge haben sich schon bald zahlreiche Einwände gerichtet. Diese finden sich zuerst in der Stellungnahme der Bundesregierung zu den Gesetzentwürfen des Bundesrates vom 05.02.2003 und 05.11.2003: Eine freiwillige Abfindungsvereinbarung sei nicht denkbar; angesichts des strukturellen Ungleichgewichts der Parteien in der Phase der Vertragsanbahnung habe der Arbeitnehmer lediglich die Wahl, auf das Angebot des Arbeitgebers einzugehen oder auf den Arbeitsplatz zu verzichten.237 Da der Arbeitnehmer die Abfindung akzeptieren müsse, würde er später seinen Arbeitsplatz auch dann verlieren, wenn die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist.238 Bei Arbeitslosigkeit ___________ 230

BR-Drs. 158/03, S. 1, 11. BR-Drs. 158/03, S. 1. 232 BR-Drs. 158/03, S. 12. 233 Entwurf eines Gesetzes zur Flexibilisierung des Arbeitsrechts vom 05.02.2003, BT-Drs. 15/406. 234 BR-Drs. 863/02, S. 7. 235 BR-Drs. 863/02, S. 7. 236 BR-Drs. 863/02, S. 13, 21. 237 BT-Drs. 15/406, S. 16; BT-Drs. 15/1889, S. 24. 238 BT-Drs. 15/406, S. 16; BT-Drs. 15/1889, S. 24. 231

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

könne ein Abfindungsanspruch die Folgen des Arbeitsplatzverlustes nur in den seltensten Fällen kompensieren. 239 Doch auch für den Arbeitgeber sei die Regelung nicht vorteilhaft, weil er zwischen Kündigungsschutz und Abfindungszusage zu einem Zeitpunkt wählen müsse, zu dem er die konkreten Gegebenheiten der späteren Kündigungssituation meist nicht beurteilen könne. 240 Da er die Abfindung bei Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung auch bei einer rechtmäßigen Kündigung zu zahlen verpflichtet ist, führe die Abfindungsoption für kleine und mittelständische Unternehmen vielmehr zu einer Be- statt zu einer Entlastung.241 Auch die Nichtberücksichtigung der Arbeitnehmer, die eine entsprechende Abfindungsvereinbarung geschlossen haben, bei der Aufstellung des Sozialplans sei nicht gerechtfertigt: Die individuelle Entscheidung eines Arbeitnehmers könne keinen Einfluss darauf haben, ob eine Betriebsänderung in Form eines reinen Personalabbaus sozialplanpflichtig sei.242 Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten es sonst in der Hand, die eigentlich bestehende Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplans zugunsten des Arbeitgebers und zulasten der übrigen Arbeitnehmer, die keine Abfindungsvereinbarung geschlossen oder keine angeboten bekommen haben, zu unterwandern.243 Auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum sind diese Gesetzentwürfe überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Den gravierendsten Nachteil sehen Dorndorf, Gneiting und Preis in dem Bestehen eines strukturellen Ungleichgewichts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Phase des Vertragsschlusses. 244 Kein älterer Arbeitnehmer oder Langzeitarbeitsloser könne es sich leisten, einen entsprechend gestalteten Arbeitsvertrag nicht zu unterschreiben,245 das Wahlrecht erweise sich als ein ausschließlich dem Arbeitgeber vorbehaltenes.246 Die Vereinbarung liefere nur eine Scheinlegitimation für einen Verzicht auf Kündigungsschutz und führe zum Verlust jeder Möglichkeit, sich auch gegen Willkürakte zur Wehr zu setzen.247 Auch lasse sich der Vorausverzicht nicht mit einem anerkanntermaßen zulässigen nachträglichen Verzicht auf Kündigungsschutz gleichsetzen.248 Es sei ein gewichtiger Unterschied, ob ein Arbeitnehmer letztlich keine andere Wahl habe, als auf den Kündigungsschutz ___________ 239

BT-Drs. 15/406, S. 16. BT-Drs. 15/1889, S. 24. 241 BT-Drs. 15/406, S. 16. 242 BT-Drs. 15/1889, S. 23. 243 BT-Drs. 15/1889, S. 23. 244 Dorndorf, BB 2000, 1938, 1939; Gneiting, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 106, 110; Preis, RdA 2003, 65, 71. Kritisch auch Buchner, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 113, 120. 245 Preis, RdA 2003, 65, 71. 246 Gneiting, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 106, 110. 247 Preis, RdA 2003, 65, 71. 248 Preis, RdA 2003, 65, 71. 240

§ 4 Reformmodelle

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zu verzichten, oder aber einen entsprechenden Verzicht in der Krise des Arbeitsverhältnisses, angesichts eines vielleicht attraktiven Abfindungsangebots, erkläre.249 3. § 1a KSchG: Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung § 1a KSchG, am 01.01.2004 mit dem von den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag verabschiedeten „Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt“ vom 24.12.2003250, schließlich markiert ein erstes Zwischenergebnis der anhaltenden Debatte über den arbeitsrechtlichen Bestandsschutz. Diese Regelung schafft eine gesetzliche Grundlage für einen Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung. Allerdings hängt dieser Abfindungsanspruch von zahlreichen Voraussetzungen ab: Er setzt einen „Hinweis“ des Arbeitsgebers in der Kündigungserklärung voraus, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist eine Abfindung beanspruchen kann, § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG. Diese beträgt 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Der Abfindungsanspruch stellt so unmittelbar eine Verknüpfung mit den Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitnehmers gegen die Kündigung her und befindet sich damit an der Schnittstelle zwischen Abfindungs- und Bestandsschutz. Als erster Gesetzeskraft erhaltener Reformvorschlag auf dem Weg zu einer Neuausrichtung des Schutzkonzeptes des allgemeinen Kündigungsschutzes bietet § 1a KSchG in Teil 2 dieser Arbeit die Gelegenheit einer vertieften Untersuchung über dessen Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen sowie einer Bestimmung der von dieser Norm ausgehenden Auswirkungen auf das Bestandsschutzprinzip des KSchG.

D. Zusammenfassung Für eine Neuordnung des Kündigungsrechts mittels einer Ergänzung oder Ablösung des Bestandsschutzes durch Abfindungsansprüche kann der Gesetzgeber aus einer breiten Palette von Regelungsvorschlägen wählen. Die Bandbreite reicht dabei von einer generellen Abfindungspflicht aller betriebsbedingten Kündigungen über eine vollständige Ablösung des Bestandsschutzes durch Abfindungsansprüche bis hin zu einem gesetzlichen oder vertraglichen Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung. Die Abfindung weist dabei je nach Regelungsmodell unterschiedliche Zielrichtungen auf, wobei das wirtschaftswissenschaftliche Schrifttum anders als das rechtswissen___________ 249 250

Preis, RdA 2003, 65, 71. BGBl. I, 3002.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

schaftliche dieser eher eine zukunftsbezogene Überbrückungs- und Vorsorgefunktion zumisst. Die unterschiedlichen Abfindungszwecke spiegeln sich mitunter auch in der Terminologie wieder: Während die einen den Begriff „Abfindung“ sowohl für den Anspruch des Arbeitnehmers nach festgestellter Rechtsoder Sozialwidrigkeit als auch denjenigen verwenden, der allein an die Kündigung des Arbeitsverhältnisses anknüpft, 251 wählen andere nur für letzteren Tatbestand die Bezeichnung „Abfindung“252 bzw. „Abfertigung“253; ersterer wird dagegen mit dem Begriff „Entschädigung“254 beschrieben, was einen deutlicheren Hinweis auf den Sanktionscharakter dieser Abfindung liefert.255 Die eingehende Untersuchung des am 01.01.2004 in Kraft getretenen § 1a KSchG bildet den Gegenstand des 2. Teils dieser Arbeit. Dessen Verabschiedung hat die Diskussion um eine Reform des Kündigungsschutzes indes keineswegs abreißen lassen.256 Als Diskussionsgrundlage für eine Neuordnung des Kündigungsrechts bedürfen die vorgestellten Regelungsvorschläge daher einer näheren Untersuchung. Überragende Bedeutung erlangen dabei die aus der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes folgenden Vorgaben, denen sich Teil 3 dieser Arbeit ausführlich widmet. Die Untersuchung wird sich insbesondere drei Regelungsmodellen zuwenden müssen: Zum einen betrifft dies die vollständige Aufgabe des Bestandsschutzes nach gerichtlicher Feststellung der fehlenden sozialen Rechtfertigung oder sonstigen Rechtswidrigkeit der Kündigung zugunsten von Abfindungsansprüchen. Hier stellt sich die Frage, ob ein derartiger Kündigungsschutz das grundrechtlich abgesicherte Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes noch in ausreichendem Maß zu gewährleisten imstande ist. In noch stärkerem Maße trifft dies auf die Möglichkeit eines vereinbarten Verzichts auf Kündigungsschutz zu. Dabei ist insbesondere dem Einwand eines bestehenden strukturellen Verhandlungsungleichgewichts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie den diesbezüglichen Vorgaben ___________ 251

So J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530, 533; ders., Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 47, 51; Busch, BB 2003, 470, 471 f.; Hromadka, AuA 2002, 261, 264 ff.; ders., NZA 2002, 783 f.; ders., ZfA 2002, 383, 393 f., 397 f.; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 14 f., 19 ff.; Neef, NZA 2000, 7, 9; Preis, RdA 2003, 72 f., 78 f.; ders., NZA 2003, 252, 255 f., 259; P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 24, 26 ff.; Wank, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 6, 10 f.; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784. 252 von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 239; Junker, in: 56. DJT, Bd. I, S. B 78. 253 Rebhahn, RdA 2002, 272, 286 ff. 254 von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 241; Junker, in: 56. DJT, Bd. I, S. B 78; Rebhahn, RdA 2002, 272, 286 ff. Uneinheitlich Buchner, NZA 2002, 533, 535 f., der alle drei Begriffe synonym verwendet. 255 Zur terminologischen Unschärfe des Abfindungsbegriffs vgl. bereits oben unter § 2 C, S. 60. 256 Vgl. dazu im Einzelnen später unten unter § 9 C, S. 380 f.

§ 4 Reformmodelle

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der Grundrechte nachzugehen. Schließlich verlangt auch der Vorschlag, zumindest betriebsbedingte Kündigungen stets an einen gesetzlichen Abfindungsanspruch zu binden, vor dem Hintergrund der Kritik einer übermäßigen Kostenbelastung des Arbeitgebers nach einer intensiven Prüfung.

§ 5 Abfindungsansprüche im Kündigungsschutzrecht der EU-Mitgliedstaaten Zunächst jedoch soll im Rahmen einer grenzüberschreitenden Betrachtung des Kündigungsschutzrechts der EU-Mitgliedstaaten ermittelt werden, auf welche Weise diese zwischen den beiden gegenläufigen Konzepten des Abfindungs- und des Bestandsschutzes den Arbeitnehmern gesetzlichen Kündigungsschutz gewähren. Nicht nur geraten diese Rechtsordnungen im Zuge der fortschreitenden europäischen Rechtsangleichung auch bei der Anwendung nationalen Rechts stärker in den Blick. Verfehlt die am Prinzip des Bestandsschutzes orientierte Ausgestaltung des gesetzlichen Kündigungsschutzes in Deutschland die Kündigungspraxis bei weitem, so kann eine vergleichende Betrachtung abweichender Schutzkonzepte anderer Rechtsordnungen wertvolle Impulse für eine Neuausrichtung des Kündigungsschutzes liefern. Schließlich legt auch das die EU prägende Ziel der Herstellung einer Wirtschaftseinheit eine vergleichende Untersuchung der jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns, zu denen auch die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zählen, nahe, selbst wenn die Verschiedenheit der Kündigungsschutzregimes noch keine zuverlässige Erklärung für die höchst unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen EU-Mitgliedstaaten liefern kann.1 So verweisen auch zahlreiche Beiträge aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum auf die Vorzüge des Kündigungsschutzes anderer EUMitgliedstaaten. Nicht nur, dass einige davon selbst Deregulierungen des Kündigungsschutzes vorgenommen hätten, die sich positiv auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes auswirkten,2 wie die Beispiele Dänemarks und der Niederlanden dies demonstrierten.3 Besonders häufig wird darauf hingewiesen, dass die meisten EU-Staaten schon längst eine Abkehr von einem bestandsschutzorien___________ 1

Vgl. dazu oben unter § 3 C II, S. 85 ff. von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 220. In diese Richtung auch Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 17 f., C 42 ff., der aber auch auf umfassende Reformen in weiten Teilen des Arbeits- und Arbeitsförderungsrechts verweist. 3 Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 42 ff.; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 220. Kritisch aber Pfarr/Ullmann, WSI-Mit. 2003, 207, 208, die auf unberücksichtigte makroökonomische Faktoren hinweisen, die zeitgleich mit den Arbeitsmarktreformen in Kraft gesetzt wurden: in Dänemark ein massives Investitionsprogramm, in den Niederlanden die Abwertung des Gulden im Verhältnis zur D-Mark. 2

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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tierten Kündigungsschutz hin zu einem Abfindungsschutz vollzogen hätten und daher für eine entsprechende Reform des KSchG ein Vorbild abgeben könnten.4 Buchner zufolge sei der Kündigungsschutz in den EU-Mitgliedstaaten weit überwiegend nicht darauf gerichtet, die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses rechtlich, also durch Unwirksamerklärung der Kündigung und entsprechende verfahrensrechtliche Absicherung in einem Kündigungsschutzprozess, zu gewährleisten, vielmehr komme es zu einer nur faktischen Absicherung der Arbeitnehmer durch Auferlegung von Schadensersatzpflichten für die Fälle rechtswidriger Kündigungen oder von Abfindungszahlungen, wobei diese sowohl für rechtmäßige wie für rechtswidrige Kündigungen gewährt werden könnten.5 Nach der Beobachtung von Busch sei in anderen europäischen Ländern gar generell und nicht nur in Kleinbetrieben eine rechtswirksame ordentliche Kündigung unabhängig von der Existenz eines Kündigungsgrundes möglich, verbunden freilich mit der Zahlung einer Abfindung als Schadensersatz für den Verlust des Arbeitsplatzes.6

A. Methodische Vorüberlegungen I. Konzentration auf die Gestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen bei nachrangiger Berücksichtigung der jeweiligen Rechtspraxis Den nachfolgenden Ausführungen liegt bewusst ein breiter Ansatz unter Einbeziehung des Kündigungsschutzrechts sämtlicher EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Bulgariens, Rumäniens7 und Zyperns8 zugrunde.9 Ein zuverlässiger Eindruck über den in der EU geltenden Kündigungsschutz lässt sich nur mittels dieses umfassenden Ansatzes gewinnen, weil die Unterschiede zwischen den ___________ 4

J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530; Buchner, NZA 2002, 533, 534; ders., DB 2003, 1510, 1515 f.; Busch, BB 2003, 470; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 220; Neef, NZA 2000, 7, 8; Rüthers, NJW 2002, 1601, 1605; ders., NJW 2003, 546, 549; Willemsen, NJW 2000, 2779, 2281. 5 Buchner, NZA 2002, 533, 534; ders., DB 2003, 1510, 1516. 6 Busch, BB 2003, 470. 7 Aufgrund des erst am 01.01.2007 erfolgten Beitritts dieser beiden Länder zur EU konnten diese noch nicht berücksichtigt werden. 8 Hier fehlt der Zugang zu den einschlägigen Rechtsquellen. 9 Vgl. dazu auch bereits die Untersuchungen von Kutzki, FA 2005, 69 ff.; Mozet, NZA 1998, 128 ff.; Rebhahn, RdA 2002, 272, 278; ders., ZfA 2003, 163 ff.; Tschöpe, NZA-RR 2003, 393, 396 ff. und Zachert, Beendigungstatbestände, S. 12 ff., die allerdings auf die Mitgliedstaaten vor der EU-Osterweiterung begrenzt sind. Überblicksartige Darstellungen zum gesamten Arbeitsrecht zahlreicher EU-Mitgliedstaaten finden sich darüber hinaus bei Henssler/Braun (Hrsg.), Arbeitsrecht in Europa. Vornehmlich zu den Rechtsquellen arbeitsrechtlicher Regelungen sowie den wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen in den neuen EU-Mitgliedstaaten Höland, in: FS Wißmann, S. 558, 563 ff.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

jeweiligen Staaten beträchtlich sind und, anders als in anderen Bereichen des Privatrechts, eine Bildung von klaren Rechtsfamilien nicht möglich ist,10 lassen sich auch etwa zwischen den Rechtsordnungen Englands und Irlands bzw. Frankreichs und Luxemburgs im Bereich des gesetzlichen Kündigungsschutzes Gemeinsamkeiten feststellen. Im Vordergrund steht dabei weniger eine umfassende Analyse der Rechtspraxis als eine Darstellung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Zwar sollen die im Wege der Rechtsvergleichung gewonnen Erkenntnisse über fremde Rechtsordnungen grundsätzlich über das tatsächlich praktizierte und nicht nur das in den Gesetzbüchern geschriebene Recht informieren.11 Jedoch ist eine weitgehende Beschränkung auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen insbesondere dann, wenn die Zahl der einbezogenen Rechtsordnungen größer ausfällt und individualarbeitsrechtliche Fragestellungen den Untersuchungsgegenstand bilden, sinnvoll und notwendig, um die jeweiligen Schutzstandards definieren zu können.12 Anhand der gesetzlichen Rahmenbedingungen ist daher nachfolgend aufzuzeigen, ob und auf welche Weise die Länder den Kündigungsschutz als Abfindungsschutz gewährleisten, stattdessen ein dem KSchG vergleichbares Bestandsschutzrecht normieren oder diese beiden gegenläufigen Konzepte kombinieren. Auch wenn – zumindest zum Arbeitsrecht – eine fest gefügte Methodenlehre der Rechtsvergleichung bislang nicht existiert, 13 ist als methodisches Grundprinzip das der Funktionalität zu berücksichtigen: Jede Regel ist darauf zu befragen, welche Aufgabe ihr in ihrer Rechts- und Gesellschaftsordnung zukommt.14 So kann etwa eine Rechtsordnung die Aufgabe, eine Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen dort auszuschließen, wo die geltend gemachten Gründe wirtschaftlich nicht ganz besonders dringend sind, durch Erschweren der Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Kündigungsverfahren ebenso erfüllen wie durch die Belastung der Kündigung selbst mit weiteren Kosten: Im einen wie im anderen Fall schafft sie für den Arbeitgeber einen Anreiz, zu prüfen, ob die Wirtschaftlichkeit der Vertragsbeendigung diejenige der Vertragsfortführung tatsächlich übersteigt. 15 So relativiert die funktionale Betrachtungsweise auch gerade bei einem Vergleich arbeitsrechtlicher Bestandsschutzregelungen die theoretischen fundamentalen Unterschiede der Schutzkonzepte mit der strikten Unwirksamkeit der Kündigung auf der einen ___________ 10

Rebhahn, ZfA 2003, 163, 165. Rebhahn, ZEuP 2002, 436, 441; Schlachter, RdA 1999, 118, 119. 12 Rebhahn, ZEuP 2002, 436, 448. 13 Birk, ZVglRWiss 100 (2001), 48, 51; Rebhahn, ZEuP 2002, 436, 460; Schlachter, RdA 1999, 118. 14 Schlachter, RdA 1999, 118, 119. 15 Schlachter, RdA 1999, 118, 119. 11

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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sowie dem Grundsatz der prinzipiell bestehenden Kündigungsfreiheit bei gleichzeitiger Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung auf der anderen Seite.16 Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung sind die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten oder sonst rechtswidrigen ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Daneben soll auch der Frage nachgegangen werden, in welchen Ländern der Arbeitgeber bereits bei rechtmäßiger Kündigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung schuldet. Dies erfordert zunächst eine überblicksartige Darstellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes, bei der aber die jeweiligen gesetzlichen Regelungen zu den Kündigungsfristen ausgespart bleiben. Die Besonderheiten des Kündigungsschutzes im befristeten Arbeitsverhältnis bleiben ebenfalls vollständig außen vor, auf Tatbestände des besonderen Kündigungsschutzes, etwa wegen Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin, einer Massenentlassung aus betriebsbedingten Gründen oder eines Verstoßes gegen ein gesetzlich normiertes Diskriminierungsverbot soll nur am Rande und exemplarisch eingegangen werden. Die Reihenfolge der Darstellung folgt dabei jeweils der alphabetischen Ordnung der Mitgliedstaaten in deutscher Schreibweise, soweit nicht einige der Länder aufgrund von Rechtsähnlichkeiten zusammen behandelt werden. II. Rechtsquellen In den meisten EU-Staaten ist das Kündigungsschutzrecht Bestandteil eines zentralen Arbeitsgesetzbuches. Dazu zählen Belgien,17 Estland,18 Finnland,19

___________ 16

Schlachter, RdA 1999, 118, 119. „Loi relative aux contrats de travail“, im Folgenden LCT. Für den Kündigungsschutz relevante Bestimmungen enthalten auch das „Loi portant des dispositions en faveur de l’emploi“, im Folgenden LDFE, das „Loi tendant à lutter contre la discrimination“, im Folgenden LLD, das „Loi relative aux fermetures d’entreprises“ im Folgenden LFE, sowie die allgemeinverbindliche Kollektivvereinbarung (Convention Collective) Nr. 10 vom 08.05.1973, im Folgenden CC Nr. 10. 18 „Eesti Vabariigi Töölepingu seadus“, im Folgenden TS. Nachfolgend zitiert nach der amtlichen englischsprachigen Übersetzung des Estonian Legal Language Center (Eesti Õiguskeele Keskus), im Internet abrufbar unter: http://www.legaltext.ee/ text/en/X1056K10.htm (28.02.2007). 19 „Työsopimuslaki Arbetsavtalslag“, im Folgenden TA. Nachfolgend zitiert nach der vom finnischen Ministerium für Arbeit bereitgestellten inoffiziellen englischsprachigen Übersetzung, im Internet abrufbar unter: http://www.finlex.fi/en/laki/kaannokset/2001/ en20010055.pdf (28.02.2007). Die für eine Massenentlassung relevanten Bestimmungen regelt das „Laki yhteistoiminnasta yrityksissä“, im Folgenden Lyy. In einer inoffiziellen englischsprachigen Übersetzung im Internet abrufbar unter: http://www.finlex.fi/ en/laki/kaannokset/1978/en19780725.pdf (28.02.2007). 17

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

Frankreich,20 Lettland,21 Litauen,22 Luxemburg,23 Malta,24 Österreich,25 Polen,26 Portugal,27 die Slowakei,28 Slowenien,29 Spanien,30 Tschechien31 und Ungarn32. ___________ 20

„Code du Travail“, im Folgenden CT. „Darba likums“, im Folgenden Dl. Nachfolgend zitiert nach der vom lettischen Translation and Terminology Center (Tulkošanas un terminoloƧijas centrs) veröffentlichten englischsprachigen Übersetzung, im Internet abrufbar unter: http://www.ttc.lv/ New/lv/tulkojumi/E0223.doc (28.02.2007). 22 „Lietuvos Respublikos darbo kodeksas“, im Folgenden DK. Nachfolgend zitiert nach der auf der Homepage des litauischen Parlaments bereitgestellten englischsprachigen Übersetzung, im Internet abrufbar unter: http://www3.lrs.lt/c-bin/eng/preps2? Condition1=191770&Condition2 (28.02.2007). Reglungen zur Umsetzung der Massenentlassungsrichtlinie enthält das „Gesetz zur Unterstützung der Arbeitslosen“ („Lietuvos Respublikos Bedarbiǐ Rơmimo“, im Folgenden BR), im Internet in englischsprachiger Übersetzung abrufbar unter: http://www3.lrs.lt/c-bin/eng/preps2?Condition1=56458& Condition2 (28.02.2007). 23 „Loi modifiée du 24 mai 1989 sur le contrat de travail“, im Folgenden LCT. Das „Loi modifiée du 23 juillet 1993 portant diverses mesures en faveur de l’emploi“, im Folgenden LMFE, regelt die Massenentlassung aus betriebsbedingten Gründen; Kündigungsschutzbestimmungen für schwangere Arbeitnehmerinnen beinhaltet das „Loi du 1er août 2001 concernant la protection des travailleuses enceintes, accouchées et allaitantes“, im Folgenden LPT. 24 “Employment and Industrial Relations Act”, im Folgenden EIRA. Nachfolgend zitiert nach der auf der Homepage des maltesischen Justizministeriums veröffentliche englischsprachigen Fassung, http://docs.justice.gov.mt/lom/legislation/english/leg/vol_14/ chapt452.pdf (28.02.2007). 25 „Arbeitsverfassungsgesetz“, im Folgenden ArbVG. Das auch bei Kündigungen relevante Abfertigungsrecht regelt das „Betriebliche Mitarbeitervorsorgegesetz“, im Folgenden BMVG. 26 „Kodeks Pracy“, im Folgenden KP. Einige den Kündigungsschutz betreffende Bestimmungen finden sich in deutscher Übersetzung bei Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 261 ff. Spezielle Vorschriften für die betriebsbedingte Kündigung enthält das „Gesetz vom 13.03.2003 über die besonderen Grundzüge der betriebsbedingten Auflösung von Arbeitsverhältnisses und über die Änderung einiger Gesetzes“ („Ustawa z dnia 13 marca 2003 r. o szczególnych zasadach rozwiązywania z pracownikami stosunków pracy z przyczyn nie dotyczących pracowników“), im Folgenden BKG. Zitiert nach der vom polnischen Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit veröffentlichten englischsprachigen Übersetzung, http://www.mgip.gov.pl/NR/rdonlyres/082205E1-7F00-44C5-983F -ECEE54ABAB2B/0/ang_prawo_pracy_zwolnienia_grupowe.rtf (28.02.2007). 27 „Código do Trabalho“, im Folgenden CT. 28 „Zákonnik práce“, im Folgenden ZP. Nachfolgend zitiert nach der auf der Internetseite des slowakischen Ministeriums für Arbeit, Soziales und Familie bereitgestellten englischsprachigen Übersetzung, http://www.employment.gov.sk/new/index.php?id= 967 (28.02.2007). 29 „Zakon o delovnih rzmerjih“, im Folgenden ZDR. Nachfolgend zitiert nach der vom slowenischen Ministerium für Arbeit, Familie und Soziales im Internet veröffentlichten englischsprachigen Übersetzung, http://www.mddsz.gov.si/en/legislation/ veljavni_predpisi/employment_relationships_act/ (28.02.2007). 30 „Estatuto de los Trabajadores”, im Folgenden E.T. Nachfolgend zitiert nach Selenkewitsch, Spanisches Arbeitsrecht. 21

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In Schweden gilt ein spezielles Kündigungsschutzgesetz.33 In einer dritten Gruppe von Ländern ist schließlich das Kündigungsschutzrecht in einer Reihe von Einzelgesetzen verstreut, und zwar in Griechenland,34 Italien35 sowie den Niederlanden36. Die nachfolgenden Ausführungen zum britischen Kündigungsschutzrecht beziehen sich ausschließlich auf die in England und Wales geltende Rechtslage, Schottland und Nordirland verfügen über eigenständige Rechtssysteme.37 Zwar unterscheidet sich das englische Rechtssystem vom kontinentaleuropäischen grundsätzlich dadurch, dass die wichtigste Rechtsquelle das „common law“, aus Präzedenzurteilen gewonnene Rechtsgrundsätze, bildet. Insbesondere im Bereich des Kündigungsschutzrechts trifft diese Feststellung aber nur einge___________ 31

„Zákoník práce“, im Folgenden ZP. Dieses ist zum 01.01.2007 in Kraft getreten und ersetzt das in seinen Ursprüngen noch bis in das Jahr 1965 zurückreichende alte Arbeitsgesetzbuch. Nachfolgend zitiert nach der auf der Website des tschechischen Ministeriums für Arbeit und Soziale Angelegenheiten veröffentlichten englischsprachigen Übersetzung, http://www.mpsv.cz/files/clanky/3221/labour_code.pdf (28.02.2007). 32 „Munka törvénykönyve“, im Folgenden Mt. Zitiert nach der von der Budapester Anwaltskanzlei Balogh und Partner im Internet veröffentlichten deutschsprachigen Übersetzung, http://www.bplawoffice.hu/nemet/arbeitsgesetzbuch.pdf (28.02.2007). 33 „Lagen om anställningsskydd“, im Folgenden LAS. Zitiert nach der vom schwedischen Ministerium für Wirtschaft, Beschäftigung und Kommunikation veröffentlichten englischsprachigen Übersetzung, im Internet abrufbar unter: http://www.regeringen.se/ download/9916fa1e.pdf (15.07.2007). Weitere, den Kündigungsschutz betreffende Regelungen enthält das Mitbestimmungsgesetz („Medbestämmandelagen“, im Folgenden MBL), zitiert nach der im Internet veröffentlichten englischsprachigen Übersetzung, http://www.regeringen.se/download/fa571b47.pdf (28.02.2007). 34 Maßgeblich sind dort neben dem arbeitsrechtlichen Normenkomplex des Zivilgesetzbuches („ȺıIJȚțȠȢ ȀȦįıƸĮȢ“ (Astikos Kodikas), im Folgenden AK) vor allem die Gesetze Nr. 1387/1983, Nr. 318/1955 und das Gesetz Nr. 2112/1920, das auf Angestellte Anwendung findet. Dazu Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 99, 110. 35 Die wesentlichen den Kündigungsschutz betreffenden Regelungen befinden sich im „Codice Civile“ (CC) sowie dem Gesetz 604/1966 (L 604/1966), insbesondere aber dem Gesetz 300/1970 („Statuto dei Lavoratori“, im Folgenden L 300/1970) in der durch das Gesetz 108/1990 geänderten Fassung. Zur historischen Entwicklung Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 1 ff. 36 Einschlägig sind hier vor allem die Art. 7:677 ff. des „Nieuwe Burgerlijk Wetboek“ (im Folgenden BW), dem niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuch, dem „Buitengewoon Besluit Arbeidsverhoudingen“ (im Folgenden BBA) und dem „Ontslagbesluit“, einer vom Arbeitsminister erlassenen Ausführungsverordnung für die Arbeitsbehörden. 37 Harth/Taggart, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Großbritannien Rdnr. 1. Dabei finden aber auch wesentliche Bestimmungen des englischen Arbeitsrechts in Schottland und Nordirland Anwendung, vgl. dazu etwa Art. 244 Abs. 1 des Employment Rights Act 1996.

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schränkt zu. Das „Employment Rights Act 1996“,38 das „Employment Relations Act 1999“39 und das „Employment Act 2002“40 treffen alle diesbezüglich wesentlichen Regelungen. Ebenso wie in England räumte das „common law“ dem Arbeitgeber ursprünglich auch in Irland das im Grundsatz unbeschränkte Recht ein, jederzeit und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis zu beenden.41 Diese weitgehende Kündigungsfreiheit hat das irische Parlament, das „House of the Oireachtas“, mit der Verabschiedung des „Unfair Dismissals Act 1977 bzw. 199342“ aber zahlreichen Begrenzungen unterworfen. Daneben enthalten noch weitere Gesetze Bestimmungen zum allgemeinen Kündigungsschutz, von Bedeutung für die folgende Darstellung sind noch das „Redundancy Payments Act 1967“43 sowie das für Massenentlassungen einschlägige „Protection of Employment Act 1977“. Kündigungsschutz in Dänemark genießt ein Großteil der Arbeitnehmer erst durch entsprechende kollektivvertragliche Regelungen.44 Die größte Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem zwischen der Dänischen Gewerkschaftsvereinigung und dem Dänischen Arbeitgeberverband geschlossenen Manteltarifvertrag („Hovedaftal“) zu.45 Ein gesetzlicher Kündigungsschutz besteht lediglich für Angestellte.46

___________ 38

Im Folgenden ERA 1996. Im Folgenden ERA 1999. 40 Im Folgenden EA 2002. 41 Kamphoff, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Irland Rdnr. 78. 42 Im Folgenden UDA 1977 bzw. UDA 1993. 43 Im Folgenden „RPA 1967“. 44 P. A. Köhler, ZESAR 2007, 67, 68 f.; Steinrücke/Meurs-Gerken, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Dänemark Rdnr. 116. 45 Sigeman, in: Malmberg/Wahlgren, Nordic Labour Law, S. 257, 260. Im Internet als „Basic LO/DA Agreement“ in englischsprachiger Übersetzung auf den Webseiten des Arbeitgeberverbandes abrufbar unter: http://www.da.dk/SuperShowAttachment.asp? PID=20040405161538ILP (28.02.2007). 46 Dieser ist geregelt im „Funktionærlov“, im Folgenden Fl. Den nachfolgenden Ausführungen liegt eine von ilo-natlex zur Verfügung gestellte englischsprachige Übersetzung zugrunde, im Internet abrufbar unter: http://www.ilo.org/dyn/natlex/docs/ WEBTEXT/4230/64800/E96DNK02.htm (28.02.2007). 39

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B. Grundzüge des Kündigungsschutzrechts I. Das Erfordernis der sachlich begründeten Kündigung 1. Rechtsgrundlagen Allgemeinen Kündigungsschutz gewährt in Deutschland das KSchG mit dem in § 1 Abs. 1 aufgestellten Gebot der sozialen Rechtfertigung der Kündigung. Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG dann, „wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.“ Dieses Erfordernis der Rechtfertigung der Kündigung mittels eines sachlichen Grundes kennen auch sämtliche übrige Arbeitsrechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten. a) Wirtschaftliche, personen- und verhaltensbedingte Kündigungsgründe Die meisten differenzieren dabei in den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen zwischen wirtschaftlichen Gründen47 einerseits und den in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen48 andererseits, wobei letztere auch diejenigen Tatbestände erfassen, die an ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers anknüpfen.49 Die nachfolgende Darstellung bleibt bei der von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG bekannten Unterscheidung zwischen der personen- und der verhaltens___________ 47

Belgien: § 63 Abs. 1 LCT; England: § 98 Abs. 1, Abs. 2 lit. c ERA 1996; Estland: § 85 Nr. 1-3 TS; Finnland: Kap. 7 § 3 TA; Irland: § 6 Abs. 4 UDA 1977; Italien: Art. 3 L 604/1966; Lettland: § 101 Abs. 1 Nr. 9, 10 Dl.; Litauen: Art. 129 Abs. 2 S. 2 DK; Luxemburg: Art. 28 Abs. 1 S. 1 LCT; Malta: § 36 Abs. 3 S. 1 EIRA; Österreich: § 105 Abs. 3 Nr. 2 lit. b ArbVG; Portugal: Art. 397, 402 CT; Slowakei: § 63 Abs. 1 lit. a und b ZP; Slowenien: Art. 88 Abs. 1 ZDR; Spanien: Art. 51 Abs. 1, 52 lit. c E.T.; Tschechien: § 52 lit. a-c ZP; Ungarn: § 89 Abs. 3 Mt. 48 Belgien: § 63 Abs. 1 LCT; England: § 98 Abs. 1, Abs. 2 lit. a, b und d ERA 1996; Estland: § 85 Nr. 4-10 und 12 TS; Finnland: Kap. 7 § 2 TA; Irland: § 6 Abs. 4 UDA 1977; Italien: Art. 3 L 604/1966; Lettland: § 101 Abs. 1 Nr. 1-8 Dl.; Litauen: Art. 129 Abs. 2 S. 1 DK; Luxemburg: Art. 28 Abs. 1 S. 1 LCT; Malta: § 36 Abs. 14 EIRA; Österreich: § 105 Abs. 3 Nr. 2 lit. a ArbVG; Portugal: Art. 396 Abs. 1, 405 CT; Slowakei: § 63 Abs. 1 lit. c-e ZP; Slowenien: Art. 88 Abs. 1 ZDR; Spanien: Art. 52 lit. a, b und d, 54 Abs. 1 E.T.; Tschechien: § 52 lit. d-g ZP; Ungarn: § 89 Abs. 3 Mt. 49 Einige Rechtsordnungen verstehen unter den Gründen in der Person des Arbeitnehmers auch solche, die ihren Ursprung in dessen Verhalten haben, etwa in Frankreich, Österreich oder Polen. Zwischen wirtschaftlichen, personen- und verhaltensbedingten Kündigungsgründen differenzieren vergleichbar der Regelung des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG dagegen etwa Belgien und England, die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie auch Spanien.

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bedingten Kündigung, da im Ergebnis aufgrund unterschiedlicher Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen und Rechtsfolgen auch sämtliche Rechtsordnungen diese Differenzierung wieder aufgreifen. Die personenbedingte Kündigung erfasst dabei im Wesentlichen die Tatbestände des Fehlens von Eigenschaften, Qualifikationen und für die Ausübung der Arbeit erforderlichen behördlichen Erlaubnissen sowie der eingeschränkten oder fehlenden Leistungsfähigkeit, etwa infolge einer Krankheit. In Belgien ist die Vorschrift des Art. 63 LCT in ihrem Anwendungsbereich auf Arbeiter beschränkt, eine entsprechende Bestimmung bezüglich der Arbeitsverhältnisse der Angestellten kennt das Gesetz nicht. Allerdings sind auch diese vor missbräuchlichen Kündigungen geschützt, sie tragen dafür jedoch die volle Beweislast.50 In Dänemark existiert demgegenüber ein gesetzlicher Kündigungsschutz nur für Angestellte.51 Arbeitern gewährt § 4 Abs. 3 S. 1 Hovedaftal aber einen vergleichbaren Schutz auf tarifvertraglicher Grundlage: Die Norm bestimmt, dass der Arbeitgeber bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nicht willkürlich vorgehen darf und sieht bei Verletzung dieser Verpflichtung entweder eine Entschädigungszahlung an den Arbeitnehmer oder eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vor, § 4 Abs. 3 lit. e Hovedaftal. Der gesetzliche allgemeine Kündigungsschutz Österreichs differenziert zwischen der so gen. „verpönten Motivkündigung“, §§ 105 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 130 Abs. 4 ArbVG, einerseits und der sozialwidrigen Kündigung, § 105 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 ArbVG, andererseits. Schutz vor einer sozialwidrigen Kündigung gewährleistet § 105 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 ArbVG jedoch nur unter der einschränkenden Voraussetzung des Nachweises einer Beeinträchtigung wesentlicher sozialer Interessen des Arbeitnehmers. Wesentliche soziale Interessen des Arbeitnehmers sind – unter umfassender Würdigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls einschließlich der gesamten Lebensverhältnisse des Arbeitnehmers – beeinträchtigt, wenn es diesem nicht gelingt, innerhalb eines vertretbaren Zeitraumes einen vergleichbaren Arbeitsplatz zu erlangen und die durch die Kündigung bewirkte finanzielle Schlechterstellung ein solches Ausmaß erreicht, dass sie eine gewichtige Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage des Gekündigten zur Folge hat.52 Nach der Rechtsprechung des OGH ist dies noch ___________ 50

Matray/Hübinger, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Belgien Rdnr. 151 f. 51 § 2b Abs. 1 S. 1 Fl. 52 OGH vom 15.03.1989, DRdA 1989, 389, 393; OGH vom 16.06.1999, DRdA 1999, 492 f.; Ch. Fritz, Arbeitsrecht in Österreich, Rdnr. 392; Gerlach, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 42, 43; Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 478 f.; Pircher, JBl. 2001, 694; Reischauer, DRdA 1999, 93 f.; Schöninger, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Österreich Rdnr. 123; kritisch Karl, JBl. 1997, 702, 706 ff.; dies., Ungerechtfertigte Kündigung, S. 29 ff.

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nicht der Fall, wenn die Einkommensminderung im nachfolgenden Arbeitsverhältnis lediglich 12 % bis 15 % beträgt.53 Erst wenn der Arbeitnehmer den Nachweis der Interessenbeeinträchtigung erbracht hat, muss der Arbeitgeber die Kündigung entweder mit personen- oder verhaltensbedingten Gründen (§ 105 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. a ArbVG, so gen. subjektive Betriebsbedingtheit) oder mit betrieblichen Erfordernissen (lit. b, so gen. objektive Betriebsbedingtheit) rechtfertigen.54 Für die verpönte Motivkündigung gelten diese Einschränkungen nicht. Diese umfasst Tatbestände wie etwa die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen dessen Betätigung in einer Gewerkschaft, einer Bewerbung um eine Mitgliedschaft zum Betriebsrat oder einer offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. b) Schutz über Generalklauseln Einige Rechtsordnungen bestimmen lediglich generalklauselartig, dass jede Kündigung eines sachlichen Grundes bedarf, so die Länder Dänemark,55 Frankreich, Schweden, Griechenland und Polen. Voraussetzung der wirksamen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in Frankreich ist das Vorliegen eines tatsächlichen und gewichtigen Grundes („motif réel et sérieux“), Art. L 122-14-4 Abs. 1 S. 1 CT, ohne dass diese Vorschrift allerdings zwischen unterschiedlichen Tatbeständen differenziert. Die nähere Ausprägung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes ist damit im Wesentlichen der Rechtsprechung und Rechtslehre überantwortet,56 jedoch unterscheiden auch zahlreiche Bestimmungen des Code du Travail, etwa die des Art. L 321-1 Abs. 1 CT, zwischen Gründen in der Person des Arbeitnehmers („motif personel“) oder wirtschaftlichen Motiven („motif économique“) und unterwerfen die Kündigung jeweils unterschiedlichen Anforderungen und Rechtsfolgen. Vergleichbar ist die Rechtslage auch in Schweden, wo § 7 Abs. 1 LAS generalklauselartig bestimmt, dass jede Kündigung auf einem objektiven Grund beruhen muss. Doch auch dort differenzieren die §§ 7 Abs. IV, 30 Abs. 1 S. 1 ___________ 53

OGH vom 23.05.1997, DRdA 1997, 508. Grundlegend OGH vom 15.03.1989, DRdA 1989, 389, 392 f.; Grillberger, in: Floretta/Spielbüchler/Strasser, Individualarbeitsrecht, S. 389; Marhold, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 22, 27; Reischauer, DRdA 1999, 93. 55 P. A. Köhler, ZESAR 2007, 67, 69 f. 56 Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 49; Kufer, Kündigungsgrund, S. 72; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 505 f.; Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 423. 54

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LAS einerseits zwischen Gründen, welche die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers betreffen, und die §§ 7 Abs. 3 S. 2, 22 Abs. 1, 25 Abs. 1 S. 1 LAS andererseits bezüglich der Kündigung wegen Arbeitsmangels. Das griechische Arbeitsrecht kennt ebenfalls keinen Katalog gesetzlich normierter Kündigungsgründe, allerdings hat die Rechtssprechung der für das Arbeitsrecht zuständigen Zivilgerichte das an sich schrankenlose Kündigungsrecht des Arbeitgebers unter Zugrundelegung des in Art. 281 AK normierten Verbots des Rechtsmissbrauchs stark begrenzt. 57 Eine Kündigung darf danach weder treu- noch sittenwidrig sein und auch nicht dem sozialen und wirtschaftlichen Zweck des Kündigungsrechts entgegenstehen.58 Eine rechtmäßige Kündigung setzt deshalb auch in Griechenland einen objektiven Grund voraus, der in der Person des Arbeitnehmers, seinem Verhalten oder in der wirtschaftlichen Lage des Betriebs seinen Ursprung hat.59 Gemäß Art. 30 § 4, 38 § 1, 45 § 1 KP muss im Anwendungsbereich des polnischen Arbeitsrechts jede ordentliche Arbeitgeberkündigung auf einem sachlichen Kündigungsgrund beruhen, wobei das Gesetz auch hier von einer näheren Präzisierung absieht.60 Ein erschöpfender Katalog existiert nicht und die Bewertung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls.61 Rechtsprechung und Rechtslehre unterscheiden jedoch zwischen in der Person des Arbeitgebers sowie in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen.62 Kündigungsgründe in der Person des Arbeitgebers erfassen dabei betriebsbedingte Gründe, etwa wirtschaftliche Schwierigkeiten oder Umstrukturierungen des Betriebs oder Unternehmens.63 Neben dem Erfordernis des Vorliegens eines sachlichen Kündigungsgrundes unterliegt jede Kündigung zusätzlich den Beschränkungen der Generalklausel des Art. 8 KP, wonach die Grundsätze des gesellschaftlichen ___________ 57

Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 57; Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 102; Papadopoulou, in: Papagiannis, Griechisches Wirtschaftsrecht, 383, 412 f. 58 Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 102. 59 Karakatsanis, in: Kerameus/Kozyris, Greek Law, S. 247, 251; Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 102. 60 Florek, in: Richardi, Arbeitsrecht in Osteuropa, S. 23, 33; Franek, IWB 2000, Nr. 5, 255, 260; Mroczek/Freytag, ZESAR 2005, 270, 275; Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 142; Sieg/Prujszczyk, AuA 1997, 305; Zimoch-Tuchołka/MalinowskaHyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 113. 61 Mroczek/Freytag, ZESAR 2005, 270, 275; Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 142. 62 Franek, IWB 2000, Nr. 5, 255, 260; Mersmann, in: FAZ, Wirtschaftshandbuch Polen, Bd. 5, S. 40; Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 142. 63 Franek, IWB 2000, Nr. 5, 255, 260; Mersmann, in: FAZ, Wirtschaftshandbuch Polen, Bd. 5, S. 40; Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 142 f.; Zimoch-Tuchołka/ Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 114.

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Zusammenlebens beachtet werden müssen.64 Danach ist stets eine Abwägung der Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers vorzunehmen, so dass eine Kündigung in bestimmten Situationen auch dann als unbegründet anzusehen ist, wenn objektive, die Kündigung rechtfertigende Umstände vorliegen. 65 Beispielhaft erwähnt das Schrifttum eine schwierige familiäre Situation des Arbeitnehmers, etwa weil dieser allein erziehend oder Alleinversorger ist.66 Eine weitere Besonderheit ist schließlich im niederländischen Arbeitsrecht zu beachten. Dort setzt grundsätzlich jede ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber eine Einwilligung der zuständigen Arbeitsbehörde („Centrale organisatie Werk en Inkomen“) voraus, Art. 6 Abs. 1 BBA.67 Dabei kontrolliert die Arbeitsbehörde, ob die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit den Grundsätzen der Redlichkeit und Billigkeit in Einklang steht.68 Ihre Zustimmung zu der Kündigung erteilt die Behörde nach Überprüfung aller relevanten Umstände dann, wenn für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein ernsthafter Grund in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers vorliegt oder wirtschaftliche Umstände zum Wegfall eines Arbeitsplatzes führen.69 Alternativ zu diesem Genehmigungsverfahren kann der Arbeitgeber auch beim zuständigen Kantonsgericht eine Klage auf Beendigung des Arbeitsvertrages einreichen, Art. 7:685 BW.70 Die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses wird in der Regel sofort vollzogen, ohne dass der Arbeitgeber eine Kündigungsfrist einzuhalten braucht.71 Voraussetzung eines erfolgreichen Antrags ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes, worunter nach Art. 7:685 Abs. 2 Alt. 1 BW in erster Linie die Gründe zu verstehen sind, die den Arbeitgeber zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nach Art. 7:677 Abs. 1 BW berechtigt hätten.72 Der Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist gemäß Art. 7:685 Abs. 2 Alt. 2 BW aber auch dann begründet, wenn nach Abschluss des Arbeitsvertrages Veränderungen eingetreten sind, die eine sofortige oder jedenfalls baldige Beendigung des Arbeitsverhältnisses als billig erscheinen lassen.73 Dazu reichen bereits Veränderungen der ___________ 64

Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 141 f., 147 f. Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 148. 66 Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 148. 67 Jacobs, AuR 2003, 329; Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 132; Waas, Modell Holland, S. 47. 68 Waas, Modell Holland, S. 48. 69 Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 133 f.; Waas, Modell Holland, S. 49. 70 Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 142; Jacobs, AuR 2003, 329; Waas, Modell Holland, S. 57. 71 Jacobs, AuR 2003, 329, 330. 72 Waas, Modell Holland, S. 57. 73 Waas, Modell Holland, S. 58. 65

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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ökonomischen Rahmenbedingungen – also betriebsbedingte Gründe – oder eine Störung der Arbeitsbeziehung bzw. ein Vertrauensverlust aus, die einem Auflösungsantrag selbst dann Erfolg versprechen, wenn die Arbeitsbehörde die Zustimmung für die ordentliche Kündigung verweigert hat. 74 Angesichts der mit diesem Gestaltungsmittel verbundenen Aussicht auf eine schnelle Beendigung des Arbeitsverhältnisses, verliert die Kündigung mit behördlicher Genehmigung zunehmend an Bedeutung. 75 2. Reichweite des Gebots der sachlichen Rechtfertigung Dass unter den jeweiligen Mitgliedstaaten die Anforderungen an die Kündigungsgründe höchst unterschiedlich sind, versteht sich von selbst. 76 So gibt etwa in Spanien bereits das Gesetz einen detaillierten Prüfungsmaßstab für eine Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen vor. Gemäß Art. 52 lit. c E.T. muss der Arbeitgeber dem Gericht glaubhaft darlegen, dass eine solche Kündigung dazu beitragen soll, wirtschaftliche Verlustlagen zu überwinden; kündigt der Arbeitgeber aus technischen, organisatorischen oder produktionsbezogenen Gründen, so muss er dem Gericht glaubhaft machen, dass er mithilfe einer besseren Ausnutzung von Ressourcen Schwierigkeiten überwinden kann, die einer guten Positionierung des Unternehmens im Wettbewerb entgegenstehen. Liegen diese Voraussetzungen vor, braucht der Arbeitgeber zwar mit Ausnahme des in Art. 52 lit. c S. 3 E.T. normierten gesetzlichen Bleiberechts für Arbeitnehmervertreter keine Sozialauswahl vorzunehmen,77 sind jedoch in einem anderen Betrieb des Unternehmens freie Arbeitsplätze vorhanden, so hat der Arbeitgeber die zu kündigenden Arbeitnehmer vorrangig dorthin zu versetzen. 78 In Frankreich enthält Art. L 321-1 Abs. 1 CT eine gegenüber der entsprechenden spanischen Bestimmung weiter gefasste Definition der Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen,79 doch verlangt der Cour de Cassation bei der Vor___________ 74

Waas, Modell Holland, S. 58. Jacobs, AuR 2003, 329, 330; Waas, Modell Holland, S. 51. 76 Vgl. dazu Rebhahn, ZfA 2003, 163, 194 ff. 77 Flägel, RIW 1998, 445, 447; Weigand, EuroAS 2000, 10, 13. 78 Flägel, RIW 1998, 445, 447. 79 Eine Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen setzt danach den Entfall des Arbeitsplatzes, Änderungen der Arbeitsaufgaben oder die fehlende Zustimmung des Arbeitnehmers zur Änderung seines Arbeitsvertrages voraus, die insbesondere durch wirtschaftliche Schwierigkeiten oder der Einführung neuer Technologien bedingt wurden. Die ursprünglich geplanten weitergehenden gesetzlichen Beschränkungen durch das „Loi de modernisation sociale“ hat der Conseil Constitutionnel mit seiner Entscheidung vom 12.01.2001 für verfassungswidrig erklärt, Sem.Jur. 2002, 1096, 1097. Dazu Frik, RdA 2003, 39 ff.; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 601-1 sowie Zumfelde, NZA 2002, 1384 ff. 75

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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nahme von Kündigungen zum Zweck der Restrukturierung des Unternehmens von dem Arbeitgeber den Nachweis, dass diese Kündigungen tatsächlich notwendig sind, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern; kommen dafür auch andere Maßnahmen in Betracht, kann der Arbeitgeber aber frei wählen.80 Vor Ausspruch der Kündigung ist er verpflichtet, sich zum Erhalt des Arbeitsplatzes um eine Fortbildung des von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmers oder eine Anpassung dessen Arbeitsvertrages zu bemühen und nach einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem gleichwertigen oder mit geringeren Qualifikationsanforderungen versehenen Arbeitsplatz in allen Unternehmen des Konzernverbundes zu suchen, Art. L 321-1 Abs. 3 S. 1 CT.81 Außerdem muss er gemäß Art. L 321-1-1 Abs. 1 CT eine Sozialauswahl anhand der nicht abschließend aufgeführten Kriterien Familienstand, Dauer der Betriebszugehörigkeit, soziale Situation und berufliche Qualifikation vornehmen. Schließlich räumt Art. L 321-14 S. 1 CT dem gekündigten Arbeitnehmer für die Dauer von einem Jahr eine Wiedereinstellungsoption auf einem vergleichbaren Arbeitsplatz ein. In England ist die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers dagegen nur einer eingeschränkten richterlichen Kontrolle zugänglich. Zwar konkretisiert auch dort eine gesetzliche Bestimmung die Voraussetzungen einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen wegen Entfalls eines Arbeitsplatzes („redundancy“) näher. Gemäß § 139 Abs. 1 ERA 1996 muss der Wegfall des konkreten Arbeitsplatzes entweder auf eine Betriebsstilllegung bzw. -verlagerung, lit. a, oder einen Wegfall des betrieblichen Bedürfnisses für die Besetzung des Arbeitsplatzes, lit. b, zurückzuführen sein, wobei die dem Entfall des Arbeitsplatzes zugrunde liegende unternehmerische Entscheidung keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegt82. Zusätzlich zum abstrakten Vorliegen eines Kündigungsgrundes fordert § 98 Abs. 4 ERA 1996 vom Arbeitgeber die Einhaltung eines „fairen“ Verfahrens und eine umfassende Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben („equity“) sowie der wesentlichen Leistungen und Verdienste des Arbeitnehmers. Die Kündigung ist dabei nur dann „fair“, wenn eine anderweitige Beschäftigung für den Arbeitge-

___________ 80

Cass. Soc. 08.12.2000, Dr. soc. 2001, 126; Cass. Ass. plén. 08.12.2000, Dr. soc. 2001, 133; Cass. Soc. 17.12.2002, Dr. soc. 2003, 342 f.; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 610 f.; Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 479. Kritisch Couturier, Dr. soc. 2003, 342, 343. 81 Dazu im deutschen Schrifttum ausführlich Janssen, Gebot anderweitiger Beschäftigung, S. 74 ff. 82 Bennett, SLR 2002, 135, 138; Deakin/Morris, Labour Law, S. 533; Pitt, Employment Law, S. 227 f.; Smith/Thomas, Industrial Law, S. 402; Reber/K. Noack, EuroAS 1999, 158, 160.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

ber im Unternehmen fehlt.83 Auch hat der Arbeitgeber eine Sozialauswahl vorzunehmen, wobei ihm ein weiter Spielraum verbleibt, solange er den Kreis der potentiell zu entlassenden Arbeitnehmer anhand selbst gewählter, nachvollziehbarer Kriterien definiert und den Arbeitnehmer nach vernünftigen Gesichtspunkten auswählt.84 Die Arbeitsgerichte prüfen die Entscheidung des Arbeitgebers zur Kündigung ebenso wie die Einhaltung eines fairen Verfahrens, belassen ihm dabei jedoch einen weiten Beurteilungsspielraum, innerhalb dessen ihm mehrere Entscheidungsmöglichkeiten verbleiben; die Arbeitsgerichte selbst nehmen keine Wertungsentscheidungen vor (so gen. „’band of reasonable responses’ test“).85 Vergleichbar ist auch die Reichweites des Schutzes vor Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen in Irland. 86 Unterschiedlich weit reicht auch der Schutz des Arbeitnehmers vor einer Kündigung wegen Krankheit. So kann etwa in Estland eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers dessen Kündigung gemäß § 107 Abs. 1 TS nur dann rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer infolge dieser Krankheit mindestens an vier aufeinander folgenden Monaten oder an insgesamt fünf Monaten innerhalb eines Kalenderjahres arbeitsunfähig war; noch weiter reicht der Schutz des Arbeitnehmers in Luxemburg, wo Art. 35 Abs. 3 LCT ein Kündigungsverbot von bis zu 26 Wochen ab dem Tag des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit statuiert. Demgegenüber kennt etwa das österreichische wie auch das deutsche Arbeitsrecht keine derartigen absoluten Beschränkungen, vielmehr kommt es dort auf die Besonderheiten des Einzelfalls an. 87

___________ 83

Williams v Compare Maxam [1982] ICR 156, 162, 165; Polkey v AE Dayton Services Ltd [1987] ICR 142, 147; Lewis/Sargeant, Employment Law, S. 243; Lockton, Employment Law, S. 289 f.; Pitt, Employment Law, S. 207; Reber/K. Noack, EuroAS 1999, 158, 160; Smith/Thomas, Industrial Law, S. 415. Ausführlich Deakin/Morris, Labour Law, S. 533 ff. 84 Polkey v AE Dayton Services Ltd [1987] ICR 142, 149; King v Eaton Ltd [1996] SC 74, 76; Deakin/Morris, Labour Law, S. 546 ff.; Lewis/Sargeant, Employment Law, S. 243 f.; Lockton, Employment Law, S. 305; Pitt, Employment Law, S. 207; Reber/K. Noack, EuroAS 1999, 158, 161; Smith/Thomas, Industrial Law, S. 415, 418 ff. 85 Iceland Frozen Foods Ltd v Jones [1982] ICR 17, 24 f.; Foley v Post Office [2000] ICR 1283, 1287; Bennett, Statute Law Review Vol. 23 (2002), 135, 139 ff.; Lewis/Sargeant, Employment Law, S. 229; Lockton, Employment Law, S. 285 f.; McDonald, IRLB Vol. 708 (2003), 2; Smith/Thomas, Industrial Law, S. 402. Kritisch Deakin/Morris, Labour Law, S. 492 ff. 86 Vgl. dazu Byrne/Kennedy/Shannon/Longain, Employment Law, S. 133 ff. 87 Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 481.

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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II. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich des Kündigungsschutzes – Beschäftigungsdauer und Unternehmensgröße 1. Wartezeit In einigen Ländern greift der allgemeine Kündigungsschutz wie in Deutschland erst nach einer gewissen Dauer des Arbeitsverhältnisses ein. Eine Wartzeit von sechs Monaten sieht wie das deutsche KSchG auch das österreichische ArbVG vor,88 ein Jahr beträgt diese in Dänemark,89 England90 und Irland91. In Frankreich genießt der Arbeitnehmer gemäß Art. L 122-14-5 Abs. 1 CT ein höheres Schutzniveaus, wenn ihn der Arbeitgeber bereits seit zwei Jahren beschäftigt: Ist die Kündigung ungerechtfertigt, kann das Arbeitsgericht dessen Wiedereinstellung vorschlagen oder den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung von mindestens sechs Monatsverdiensten verurteilen, im Übrigen ist er nur zum Ersatz des tatsächlich nachgewiesenen Schadens verpflichtet. Darüber hinaus kommt unter bestimmten Voraussetzungen während der ersten beiden Jahre des Bestehens des Arbeitsverhältnisses ein vollständiger Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung in Betracht.92 In anderen Staaten ermöglichen die gesetzlichen Bestimmungen den Arbeitsvertragsparteien als Äquivalent zur Wartezeit die Vereinbarung einer in der Dauer begrenzten Probezeit, in welcher der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis unter erleichterten Voraussetzungen auflösen kann und ein allgemeiner Kündigungsschutz nur eingeschränkt oder überhaupt nicht besteht. Bis zu zwei Monate (für Akademiker sechs) beträgt diese Probezeit etwa in Spanien,93 drei Monate in Litauen,94 Polen,95 der Slowakei,96 Tschechien97 und Ungarn98, vier Monate in Estland99 und Finnland100 und sechs Monate in Italien,101 Schwe___________ 88

§ 105 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 ArbVG. Für Angestellte, § 2b Abs. 1 S. 1 Fl. 90 § 108 Abs. 1 ERA 1996. 91 § 2 Abs. 1 lit. a UDA 1977. 92 Zu den so gen. „contrats nouvelles embauches“ sowie den „contrats premières embauches“ vgl. später unten unter § 5 D I, S. 177 ff. 93 Cremades, Arbeitsrecht in Spanien, Rdnr. 104, 106. 94 Art. 105 ff. DK. 95 Art. 25 § 2 KP, vgl. dazu Habraschka, Einfluss des Arbeitsrechts, S. 28. 96 § 45 Abs. 1 ZP. 97 § 35 Abs. 1 S. 1 ZP. 98 § 81 Abs. 2 Mt. 99 §§ 33 f. TS. 100 Kap. 1 § 4 TA. 89

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

den102 und Slowenien103. In Frankreich bestimmt zwar Art. L 122-4 S. 2 CT, dass eine Kündigung während der Probezeit nicht den Bestimmungen des Kündigungsschutzes unterliegt, der Code du Travail trifft jedoch keine gesetzliche Regelung bezüglich deren Obergrenze. Nach der Rechtsprechung wird deren maximale Dauer in Abhängigkeit des Erprobungszwecks ermittelt.104 2. Unternehmensgröße Eine der „Kleinbetriebsklausel“ des § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG vergleichbare Abhängigkeit des Kündigungsschutzes von einer bestimmten Größe des Betriebs oder Unternehmens ist dagegen nur in wenigen Staaten zu beobachten, und zwar in Österreich, Frankreich, Italien und Slowenien. Kündigungsschutz besteht in Österreich nur in betriebsratspflichtigen Betrieben, also solchen, in denen der Arbeitgeber dauernd mindestens fünf stimmberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt, § 40 Abs. 1 S. 1 ArbVG. In Italien und Frankreich steigt ab einer bestimmten Betriebs- bzw. Unternehmensgröße die Intensität des Kündigungsschutzes: Die soeben für Frankreich erwähnte Einschränkung des Art. L 122-14-5 CT hinsichtlich der Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Kündigung gilt dort auch dann, wenn der Arbeitgeber gewöhnlich weniger als elf Arbeitnehmer beschäftigt. Beschäftigt der Arbeitgeber weniger als 20 Arbeitnehmer, ermöglicht ihm das Gesetz auch einen vollständigen Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung.105 In Italien bestimmen sich die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Kündigung ebenfalls nach der Größe des Betriebs oder Unternehmens. Nur wenn der Arbeitgeber in seinem Unternehmen mehr als 60 Arbeitnehmer bzw. mehr als 15 in einem einzelnen Betrieb oder in mehreren Betrieben innerhalb derselben Gemeinde beschäftigt, hat der Arbeitnehmer gemäß Art. 18 Abs. 1 L 300/1970 einen Anspruch auf Wiedereinstellung an seinem ursprünglichen Arbeitsplatz (so gen. „tutela reale“); in allen übrigen Fällen kann der Arbeitgeber zwischen Wiedereinstellung und Zahlung einer Entschädigung wählen, jedenfalls bewirkt die ungerechtfertigte Kündigung hier eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses (so gen. „tutela obbligatoria“), Art. 8 L 604/1960.106 Beschäftigt ein Arbeitgeber in ___________ 101

Art. 10 L 604/1966; Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 9, 13, 143 ff.; Bünger, EuroAS 1999, 187, 188; Nogler, AuR 2003, 321, 323; Runggaldier, DRdA 1999, 512, 514. 102 § 6 LAS. 103 Art. 125 ZDR. 104 Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 280; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 411. 105 Zum „contrat nouvelles embauches“ vgl. später unter § 5 D I 1, S. 177 ff. 106 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 4, 97; Nogler, AuR 2003, 321, 323 f.; Runggaldier, DRdA 1999, 512, 514.

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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Slowenien höchstens zehn Arbeitnehmer, erleichtert Art. 88 Abs. 4 S. 2 ZDR diesem eine Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen oder wegen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, indem diese Bestimmung den Arbeitgeber von der sonst bestehenden Verpflichtung zur Versetzung oder Umsetzung des Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz suspendiert. III. Ordentliche und außerordentliche Kündigung Einigen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten ist die vom deutschen Arbeitsrecht getroffene wesensmäßige Unterscheidung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung fremd, obwohl die meisten die Rechtsfigur der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund kennen, wenn auch die Gründe, die zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung führen können, unterschiedlich sind. Besonders deutlich wird dies am Beispiel Frankreichs. Dort besteht der Unterschied zwischen der ordentlichen und der außerordentlichen Kündigung darin, dass der Arbeitnehmer nur bei ersterer einen Anspruch auf Einhaltung einer Kündigungsfrist hat und der Arbeitgeber dann keine Kündigungsfrist einzuhalten braucht, wenn dem Arbeitnehmer ein schwerwiegendes Fehlverhalten („faute grave“) bzw. ein vorsätzlich schädigendes Verhalten („faute lourde“) nachzuweisen ist, Art. L 122-6 Abs. 1 CT.107 Die Unterscheidung zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung setzt also daran an, ob der gekündigte Arbeitnehmer Anspruch auf Einhaltung einer Kündigungsfrist hat, was die französischen Lehrbücher zum Arbeitsrecht systematisch in einem eigenständigen Kapitel nach der Abhandlung des Kündigungsverfahrens und der Kündigungsmotive behandeln.108 Da ein Anspruch auf Einhaltung einer Kündigungsfrist jedoch immer dann nicht besteht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund von Umständen entlassen wurde, die als „faute grave“ zu qualifzieren sind, kommt es im Ergebnis letztlich doch auf die Kündigungsmotive an, so dass die Arbeitsgerichte auch im Prozess nicht zwischen dem Vorliegen eines Kündigungsgrundes einerseits und den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Einhaltung einer Kündigungsfrist differenzieren.109 Bejaht das Gericht das Vorliegen einer „faute grave“, so liegt gleichzeitig auch eine „cause réelle et sérieuse“ vor, verneint es dies, so kann die Kündigung trotzdem gerechtfertigt sein, wenn die Pflichtverletzung des Arbeitnehmers jedenfalls als „faute sérieuse“ zu qualifizieren ist.110 Daraus erklärt sich, dass ein Arbeitnehmer in Frankreich ledig___________ 107

Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 104; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 541, 545; Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 488. 108 Vgl. dazu etwa Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 482 ff.; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 525 ff. 109 Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 104. 110 Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 105.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

lich eine Entschädigung in Höhe des während des Laufs der einschlägigen Kündigungsfrist zu zahlenden Verdienstes beanspruchen kann, wenn sein Fehlverhalten nicht den Tatbestand einer „faute grave“ erfüllt, Art. L 122-8 Abs. 1 CT („indemnité compensatrice de préavis“). Vergleichbar ist die Rechtslage auch in England. Kündigt ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer fristlos, ohne dass diesem ein schwerwiegendes Fehlverhalten („gross misconduct“) vorzuwerfen ist, so kann dieser Schadensersatz nach den Vorschriften der §§ 112 Abs. 4, 118 ff. ERA 1996 („unfair dismissal claim“) sowie – alternativ oder kumulativ – nach den Prinzipien des „common law“ („wrongful dismissal claim“) verlangen.111 Eine „wrongful dismissal claim“ ist erfolgreich, wenn der Arbeitnehmer nachweisen kann, dass der vom Arbeitgeber behauptete Grund nicht den Ausspruch einer Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu rechtfertigen vermag; der Arbeitgeber hat unter diesen Umständen – wie in Frankreich – grundsätzlich nur Schadensersatz in Höhe des während der einschlägigen Kündigungsfrist zu zahlenden Entgelts zu leisten.112 Einen Entschädigungsanspruch im Sinne einer Kündigungsfristentschädigung wie in Frankreich und England sehen ebenfalls die Rechtsordnungen Belgiens,113 Dänemarks,114 Irlands,115 Luxemburgs116 sowie Tschechiens117 vor. Andere Länder greifen dagegen die aus dem deutschen Arbeitsrecht bekannte wesensmäßige Unterscheidung zwischen der ordentlichen und der außerordentlichen Kündigung auf, so dass ein Arbeitnehmer die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses oder eine Entschädigung, die über eine reine Kündigungsfristentschädigung hinausgeht, beanspruchen kann, wenn für die Kündigung kein wichtiger Grund besteht. Das trifft etwa auf die Niederlande,118 Österreich,119 und Polen120 zu.

___________ 111

Smith/Thomas, Industrial Law, S. 330. Deakin/Morris, Labour Law, S. 396; Pitt, Employment Law, S. 176 ff.; Smith/Thomas, Industrial Law, S. 310 ff. 113 Art. 39 § 1 Abs. 1 LCT. 114 § 3 Abs. 1 und 2 Fl. (gilt nur für Angestellte). 115 § 15 Abs. 1 UDA 1977. 116 Art. 23 S. 1 LCT. 117 § 69 Abs. 2 lit. b ZP. 118 Jacobs, AuR 2003, 329, 330; Waas, ZfA 2003, 1, 33. 119 § 106 Abs. 2 ArbVG. 120 Mersmann, in: FAZ, Wirtschaftshandbuch Polen, Bd. 5, S. 43; Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 214 f.; Zimoch-Tuchołka/Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 149 f. 112

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In Estland hat der Arbeitgeber bei einer Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen stets die Wahl, eine Kündigungsfrist einzuhalten oder nicht, § 106 S. 2 TS. Gleiches gilt für Portugal121 und Spanien122, in Malta trifft dies sogar auf alle Fälle zu, in denen der Arbeitgeber die Kündigung nicht auf wirtschaftliche Gründe stützt, § 36 Abs. 14 EIRA. Auch das litauische Arbeitsgesetzbuch kennt keine fristlose Kündigung, sieht aber für die verhaltensbedingte Kündigung generell eine kurze Kündigungsfrist von nur zehn Tagen vor, § 103 Abs. 1 Nr. 2 Dl. Im griechischen Arbeitsrecht schließlich ist das im deutschen Recht bestehende Regel-Ausnahmeverhältnis von ordentlicher und außerordentlicher Kündigung umgekehrt. Zwar unterscheidet auch dieses zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung, setzt diese Unterscheidung allerdings bei der Klassifizierung der Arbeitnehmer als Arbeiter oder Angestellte an. Ordentlich, also mit einer Kündigungsfrist, sind nur Angestellte kündbar, während der Arbeitgeber Arbeiter außerordentlich mit oder ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen kann.123 Am häufigsten tritt in der Praxis die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung einer Frist auf.124 IV. Formelle und verfahrensmäßige Anforderungen an die Kündigung Flankierend zu dem Erfordernis der sachlichen Rechtfertigung der Kündigung mit einem objektiven Grund schützen alle Rechtsordnungen den Arbeitnehmer mit zusätzlichen Anforderungen an Verfahren und Formalia. So bedarf die Kündigungserklärung in den meisten EU-Staaten der Schriftform,125 häufig muss der Arbeitgeber darin eine detaillierte Aussage zu den maßgeblichen Kündigungsgründen treffen126 oder dem Arbeitnehmer diese zumindest auf ___________ 121

Art. 396 Abs. 1 CT. Flägel, RIW 1998, 445, 450. 123 Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 104; Papadopoulou, in: Papagiannis, Griechisches Wirtschaftsrecht, S. 383, 410. 124 Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 47. 125 Belgien: Art. 37 § 1 Abs. 4 LCT; Estland: §§ 72 Abs. 1, 87 Abs. 1 TS; Frankreich: Art. L 122-14-1 Abs. 1 CT; Griechenland: Art. 5 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 3198/1955; Lettland: § 101 Abs. 1 Dl.; Litauen: Art. 130 Abs. 1 DK; Luxemburg: Art. 20 Abs. 1 LCT; Polen: Art. 30 § 3 KP; Portugal: Art. 415 Abs. 2, 422 Abs. 2, 425 Abs. 1, 428 Abs. 1 CT; Schweden: § 8 S. 1 LAS; Slowakei: §§ 61 Abs. 1 S. 2, 70 S. 1 ZP; Slowenien: § 86 Abs. 1 ZDR; Spanien: Art. 53 Abs. 1 lit. a, 55 Abs. 1 S. 1 E.T.; Tschechien: § 50 Abs. 1 S. 2 ZP; Ungarn: § 87 Abs. 2 Mt. 126 Estland: §§ 73 Abs. 1, 87 Abs. 1¹ TS; Frankreich: Art. 122-14-2 CT; Lettland: § 102 Dl.; Litauen: Art. 130 Abs. 2 Nr. 1 DK; Polen: Art. 30 § 4 KP; Portugal: Art. 415 Abs. 3, 422 Abs. 1, 425 Abs. 1, 428 Abs. 1 CT; Slowakei: §§ 61 Abs. 2 S. 2, 70 S. 1 ZP; Slowenien: § 86 Abs. 2 ZDR; Spanien: Art. 53 Abs. 1 lit. a, 55 Abs. 1 S. 1 E.T.; Tschechien: § 50 Abs. 4 ZP; Ungarn: § 89 Abs. 2 Mt. 122

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

Verlangen später schriftlich übermitteln,127 in einigen Ländern hat der Arbeitgeber sogar eine Rechtsbehelfsbelehrung vorzunehmen.128 Besonders ausgeprägt sind die verfahrensrechtlichen Anforderungen in Frankreich. Den Auftakt bildet nach Maßgabe des Art. L 122-14 CT ein Vorgespräch („entretien préalable“), in welchem der Arbeitgeber seine Motive offen zu legen und dem zu kündigenden Arbeitnehmer, der als Beistand einen anderen unternehmensangehörigen Arbeitnehmer zu der Unterredung hinzuziehen kann, Gelegenheit zur Stellungnahme zu bieten hat. Die Kündigungserklärung hat der Arbeitgeber – ebenso wie die Einladung zum Vorgespräch – dem Arbeitnehmer mittels Einschreibebriefs mit Rückschein oder durch Übergabe gegen Quittung zuzustellen, Art. L 122-14-1 Abs. 1 CT; zwischen der Absendung und dem Vorgespräch muss gemäß Art. L 122-14-1 Abs. 2 CT mindestens ein Tag liegen, bei der Kündigung eines einzelnen Arbeitnehmers wegen wirtschaftlichen Gründen beträgt diese Zeitspanne sogar eine Woche, Art. L 122-14-1 Abs. 3 S. 1 CT. Art. 122-14-2 CT verpflichtet den Arbeitgeber zur Angabe aller relevanten Kündigungsgründe, nur diese können bei der Prüfung der Rechtfertigung Berücksichtigung finden. 129 Diese Regelungen bezwecken, die Kündigung nach Möglichkeit zu verhindern oder wenn diese bereits beschlossen ist, ein mögliches gerichtliches Verfahren gegen die Kündigung vorbereiten.130 Unangefochten ist dieses aufwändige und formalisierte Verfahren im französischen arbeitsrechtlichen Schrifttum freilich nicht: Anstelle der bezweckten beschäftigungssichernden Impulse, so Brunhes, bestünde dessen alleiniger Effekt in einer Verzögerung der unausweichlichen Kündigung. 131 Das in Luxemburg zu beachtende Kündigungsverfahren, Art. 18 LCT ff., ist dem französischen Recht angelehnt; ein vergleichbar detailliertes Kündigungsverfahren findet sich auch in Kapitel 9 des finnischen Arbeitsgesetzbuches. Einschneidende Änderungen des in England bei Ausspruch einer Kündigung zu beachtenden Verfahrens brachte das Employment Act 2002, welches von den Employment Act 2002 (Dispute Resolution) Regulations 2004132 näher ___________ 127

England: § 92 Abs. 1 ERA 1996; Finnland: Kap. 9 § 5 TA; Irland: § 14 Abs. 4 UDA 1977; Italien: Art. 2 L 604/1966; Luxemburg: Art. 22 Abs. 1 LCT; Niederlande: Art. 7:669 BW; Schweden: § 9 LAS. 128 Litauen: Art. 130 Abs. 2 Nr. 3 DK; Polen: Art. 30 § 5 KP; Schweden: § 8 S. 3 LAS; Slowenien: § 86 Abs. 2 ZDR. 129 Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 497 ff.; Nitzsche, FA 2005, 40, 41, 43; Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 414; Ranke, Arbeitsrecht in Frankreich, Rdnr. 265; Temin-Soccol/Combes, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Frankreich Rdnr. 133. 130 Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 490. 131 Brunhes, Dr. soc. 2003, 40. 132 Statutory Instrument 752/2004, im Folgenden SI 752/2004.

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konkretisiert wird.133 Inhaltlich sieht das Employment Act 2002 in seinem Anhang 2 ein dreistufiges Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung vor Ausspruch einer Kündigung vor. Dieses findet gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 SI 752/2004 auf alle Arbeitgeberkündigungen mit einigen Ausnahmen, etwa für Massenentlassungen oder Betriebsschließungen, Anwendung. Zuerst verpflichtet § 1 Abs. 1 Anhang 2 EA 2002 den Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer schriftlich die Ursachen, die zu der beabsichtigten Kündigung geführt haben, darzulegen und diesen zu einem Gespräch zu laden. Nach einer angemessenen Vorbereitungszeit findet nach Maßgabe des § 2 Anhang 2 EA 2002 das Treffen statt, zu welchem den Arbeitnehmer ein Gewerkschaftsbeauftragter oder ein anderer Arbeitnehmer des Unternehmens begleiten kann, § 14 Anhang 2 EA 2002. Beabsichtigt der Arbeitnehmer, gegen die Kündigung Rechtsmittel einzulegen, verpflichtet § 3 Anhang 2 EA 2002 den Arbeitgeber zu einem weiteren Treffen mit dem Ziel der gütlichen Einigung. Erst nach Abschluss dieses Verfahrens ist er zum Ausspruch der Kündigung berechtigt, § 3 Abs. 5 Anhang 2 EA 2002. Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen eines schwerwiegenden Fehlverhaltens mit oder ohne Kündigungsfrist gekündigt, findet gemäß § 3 Abs. 2 SI 752/2004 ein abgekürztes zweistufiges Verfahren Anwendung. Alle Länder haben Regelungen zur Umsetzung der EU-Massenentlassungsrichtlinie getroffen.134 Über die danach bei Vornahme einer Massenentlassung bestehende Verpflichtung zu Information und Beratung mit Arbeitnehmervertretern135 hinaus muss der Arbeitgeber in Estland,136 Litauen,137 Österreich,138 ___________ 133

Vgl. dazu Deakin/Morris, Labour Law, S. 495 ff. sowie im deutschen Schrifttum Detmers, FA 2005, 101 ff. 134 Vgl. dazu den Umsetzungsbericht der Kommission der Europäischen Union, der allerdings nicht die Mitgliedstaaten der EU-Osterweiterung umfasst, im Internet abrufbar unter: http://ec.europa.eu/employment_social/labour_law/docs/01_collectivereds_ implreport_de.pdf (28.02.2007). Für die neuen EU-Mitgliedstaaten vgl. für Estland: §§ 89¹ TS; Lettland: §§ 105 ff. Dl.; Litauen: Art. 130 Abs. 5 und 6 DK, Art. 10 BR; Malta: § 37 EIRA; Polen: Art. 1 ff. BKG; Slowakei: § 73 ZP; Slowenien: Art. 96 ff. ZDR; Tschechien: §§ 62 ff. ZP; Ungarn: §§ 94a ff. Mt. 135 Eine Verpflichtung zur Information und Konsultation von Arbeitnehmervertretern normiert darüber hinaus auch Art. 4 Abs. 2 lit. b der Konsultations-Rahmenrichtlinie 2002/14/EG, und zwar hinsichtlich „Beschäftigungssituation, Beschäftigungsstruktur und wahrscheinlicher Beschäftigungsentwicklung im Unternehmen oder Betrieb sowie zu geplanten antizipativen Maßnahmen, insbesondere bei einer Bedrohung für die Beschäftigung.“ Hinsichtlich der nationalen Umsetzungsgesetze vgl. die auf der Homepage der Kommission veröffentlichte Zusammenstellung: http://www.europa.eu.int/comm/ employment_social/labour_law/docs/ic-implementation_en.pdf (28.02.2007). 136 § 87 Abs. 3 TS, der aber keine Anwendung bei einer Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen findet. 137 Art. 130 Abs. 4 S. 1 DK, bei einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen. 138 Art. 105 Abs. 1 und 2 ArbVG.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

Polen,139 Portugal,140 Schweden,141 der Slowakei,142 Slowenien,143 Spanien144 und T schechien145 bei jeder Kündigung eine betriebliche oder gewerkschaftliche Inter essenvertretung der Arbeitnehmer beteiligen. In eingeschränktem Umfang trifft dies auch auf England zu, dort aber nur bei einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen, wenn der Arbeitgeber in seine m Unternehmen eine Gewerkschaft anerkannt hat, und eine Beteiligung unter Würdigung aller Umstände („’band of reasonable responses’ test“) erforderlich ist.146 Darüber hinaus können Arbeitnehmervertreter und Arbeitgeber in Unternehmen mit mindestens 100 Arbeitnehmern nach Maßgabe der Information und Consultation of Employees Regulations 2004147 generell eine Verpflichtung zur Information und Konsultation vor Ausspruch einer Kündigung vereinbaren. In Frankreich bestehen Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertreter („comité d’entreprise“ bzw. „délégués du personnel“) erst bei einer „kleinen“ Massenentlassung aus wirtschaftlichen Gründen, die innerhalb eines Zeitraumes von 30 Tagen mindestens zwei Arbeitnehmer betrifft. 148 Die Konsequenzen von Form- und Verfahrensverstößen fallen dabei höchst unterschiedlich aus: Beachtet etwa ein Arbeitgeber in Italien zwingende gesetzliche Verfahrensvorschriften wie die Regelungen zu Disziplinarmaßnahmen, Art. 7 L 300/1970, oder die Verpflichtung des Art. 2 L 604/1966, die Kündigung auf Verlangen des Arbeitnehmers fristgerecht zu begründen, nicht, finden, abhängig von der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer, entweder die Rechts___________ 139

Art. 38 § 1 und 2 KP, Art. 52 § 3 KP, 53 § 4 KP: bei jeder ordentlichen und außerordentlichen Kündigung, außer der Insolvenz oder Liquidation des Betriebes, Florek, in: Richardi, Arbeitsrecht in Osteuropa, S. 23, 34 f.; Franek, IWB 2000, Nr. 5, 255, 259 f.; Mersmann, in: FAZ, Wirtschaftshandbuch Polen, Bd. 5, S. 42; Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 146, 204 ff.; Walasek/Zalewska, RIW 2004, 124, 125; Zimoch-Tuchołka/Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 111. 140 Art. 411 ff.; 423 f.; 426 f. CT. 141 § 30 Abs. 1 LAS, § 29 LAS i.V.m. §§ 11 ff. MBL. 142 § 74 ZP. 143 Art. 84 f. ZDR, aber nur auf Verlangen des Arbeitnehmers und wenn dieser selbst Mitglied einer Gewerkschaft ist. 144 Art. 53 Abs. 1 lit. c, 55 Abs. 1 S. 4 E.T. 145 § 61 Abs. 1 ZP. 146 Williams v Compare Maxam [1982] ICR 156, 164 f., 166; Polkey v AE Dayton Services Ltd [1987] ICR 142, 147, 159; Deakin/Morris, Labour Law, S. 548; Lewis/Sargeant, Employment Law, S. 245 f.; Lockton, Employment Law, S. 305; McDonald, IRLB Vol. 708 (2003), 2, 3; Smith/Thomas, Industrial Law, S. 416. 147 Statutory Instrument 2004 No. 3426. Ab dem 06.04.2008 sinkt der Schwellenwert auf 50 Arbeitnehmer. Vgl. dazu im deutschen Schrifttum Lingscheid/Schmidt, RIW 2006, 424 ff. 148 Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 453.

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folgen des realen, Art. 18/1970, oder des obligatorischen Kündigungsschutzes, Art. 8 L 604/1966, Anwendung,149 die Kündigung wird so behandelt, als wäre sie nicht gerechtfertigt. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber das obligatorische Schriftformerfordernis nicht beachtet.150 In Frankreich verpflichtet Art. L 12214-4 Abs. 1 S. 1 HS 1 den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung, sofern der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bereits seit mindestens zwei Jahren und in seinem Unternehmen regelmäßig mindestens elf Arbeitnehmer beschäftigt, Art. 122-14-5 Abs. 1 CT, die allerdings den Betrag eines Monatsverdienstes nicht übersteigen darf und damit weit unter dem Mindestbetrag von sechs Monatsverdiensten liegt, den der Arbeitnehmer bei einer ungerechtfertigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses beanspruchen kann. Darüber hinaus können die Gerichte den Arbeitgeber auch verpflichten, das versäumte Verfahren nachzuholen.151 Liegt der formelle Mangel in der fehlenden oder unzureichenden Begründung der Kündigung, findet Art. 122-14-4 Abs. 1 S. 1 HS 1 CT allerdings keine Anwendung: Der Arbeitgeber kann sich in diesem Fall nur auf die angegebenen Kündigungsgründe berufen, sind diese unzureichend, ist die Kündigung ungerechtfertigt.152 Eine Verletzung des Art. 122-14-1 Abs. 1 S. 1 CT, der den Arbeitgeber verpflichtet, die Kündigung dem Arbeitgeber mittels eines Einschreibebriefs mit Empfangsbestätigung zukommen zu lassen, zieht angesichts der lediglich beweisrechtlichen Bedeutung dieser Formvorschrift für den Beginn der Kündigungsfrist keine Anspruch auf Schadensersatz wegen einer Verletzung des Kündigungsverfahrens nach sich; kündigt der Arbeitgeber allerdings nur mündlich, so fehlt der Kündigung auch die schriftliche Begründung und sie ist bereits aus diesem Grund ungerechtfertigt.153 In Spanien fallen die Rechtsfolgen einer Nichtbeachtung von Form- und Verfahrensvorschriften sogar abhängig vom zugrunde liegenden Kündigungsgrund unterschiedlich aus. Kündigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aus verhaltensbedingten Gründen und missachtet das Schriftform- oder Begründungserfordernis, so ist die Kündigung gemäß Art. 55 Abs. 4 S. 2 E.T. rechtswidrig („improcedente“); nach einem entsprechenden Urteil hat der Arbeitgeber die Wahl, den Arbeitnehmer wiedereinzustellen oder ihm eine Entschädigung zu zahlen, Art. 56 Abs. 1 E.T. Hat er diesen Formverstoß hingegen bei einer Kündigung aus wirtschaftlichen oder sonstigen personenbedingten Gründen begangen, so ist die Kündigung ___________ 149

Bezüglich des Begründungserfordernisses allerdings str., dazu Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 110, 129 ff.; Runggaldier, DRdA 1999, 512, 514. 150 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 110. 151 Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 502; Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 415. 152 Cass. Soc. 12.01.1994, Dr. soc. 1994, 271; Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 127; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 497 ff.; Nitzsche, FA 2005, 40, 41, 43; Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 417. 153 Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 125.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

nichtig („nula“), Art. 53 Abs. 4 S. 1 E.T., und der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer wiedereinzustellen und das Gehalt für die Verfahrensdauer nachzuzahlen, Art. 53 Abs. 5, 55 Abs. 6 E.T. Auch die in England mit dem Employment Act 2002 eingeführten Verfahrensvorschriften sind sanktionsbewehrt: Hält der Arbeitgeber diese ganz oder auch nur teilweise nicht ein, stellt § 98a Abs. 1 ERA 1996 zwar die unwiderlegbare Vermutung des Fehlens der sozialen Rechtfertigung der Kündigung auf. Außerdem erhöht sich jede Entschädigungszahlung pauschal um mindestens 10 %, höchstens jedoch um 50 %, § 31 Abs. 3 EA 2002, und die Grundabfindung („basic award“) beträgt stets mindestens vier Wochenentgelte, § 120 Abs. 1a ERA 1996. Allerdings erlaubt § 98a Abs. 2 ERA 1996 dem Arbeitgeber den Nachweis, dass er das Arbeitsverhältnis auch unter Beachtung sämtlicher Verfahrensvorschriften gekündigt hätte, was zur Beseitigung der Vermutungswirkung des Abs. 1 führt. 154 Unterschiedlich sind auch die Rechtsfolgen einer fehlenden Beachtung des Anhörungserfordernisses. Kommt etwa ein Arbeitgeber in Polen seiner Verpflichtung zur Anhörung nicht nach, so kann das Arbeitsgericht wie bei einer ungerechtfertigten Kündigung gemäß Art. 45 § 1 KP entweder die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers anordnen oder den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung verpflichten.155 Hat ein Arbeitgeber in Österreich die Kündigung vor Ablauf der dem Betriebsrat eingeräumten Frist zur Stellungnahme ausgesprochen, so ist die Kündigung gemäß Art. 105 Abs. 2 S. 2 ArbVG unwirksam, das Arbeitsverhältnis besteht ohne Unterbrechungen fort. Gleiches gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat überhaupt nicht informiert und angehört hat.156 Verstößt ein Arbeitgeber in Schweden gegen das Anhörungserfordernis des § 30 Abs. 1 LAS, berührt dies die Wirksamkeit der Kündigung nicht, der Arbeitnehmer kann allenfalls Zahlung einer Entschädigung verlangen.157 V. Rechtsschutz gegen die Kündigung – gerichtliche Kontrolle ex post Hat ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer gekündigt, so kann dieser in jedem EU-Mitgliedstaat vor dem jeweils zuständigen Arbeits- oder Zivilgericht Klage gegen die Kündigung erheben.

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Kritisch dazu Deakin/Morris, Labour Law, S. 513. Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 146; Walasek/Zalewska, RIW 2004, 124, 125; Zimoch-Tuchołka/Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 112. 156 Jabornegg/Resch/Strasser, Arbeitsrecht, Rdnr. 657; Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 472. 157 Gotthardt, Kündigungsschutz in Schweden, S. 242. 155

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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Nur eingeschränkt gilt dies allerdings für Österreich, da nach der Konzeption des ArbVG der materiellrechtliche Anspruch auf den allgemeinen Kündigungsschutz der Belegschaft und nicht dem einzelnen Arbeitnehmer zusteht158 und somit auch der Betriebsrat, zwar auf Verlangen des Arbeitnehmers, nicht aber der Arbeitnehmer selbst, den Kündigungsschutzprozess führt, §§ 105 Abs. 4 S. 2, 106 Abs. 2 S. 1, 3 ArbVG. Der Betriebsrat tritt dabei nicht als bevollmächtigter Interessenvertreter des Arbeitnehmers auf, er hat vielmehr die Interessen der Belegschaft zu wahren.159 Die im Rahmen des Anhörungsverfahrens abgegebene Stellungnahme des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitnehmers beeinflusst den Kündigungsschutz ganz wesentlich. Stimmt dieser nämlich der Kündigung zu, besteht gemäß § 105 Abs. 6 ArbVG keine Möglichkeit einer Anfechtung wegen fehlender sozialer Rechtfertigung, dem Betriebsrat steht ein so gen. Sperrrecht zu.160 Bei dem Recht zur Stellungnahme handelt es sich um eine autonome Ermessensentscheidung des Betriebsrats.161 Dieser ist dabei durchaus berechtigt, die Interessen des Gekündigten gegenüber den Interessen der Belegschaft hintanzustellen.162 Kein Sperrrecht besteht gemäß § 105 Abs. 4 S. 6, Abs. 6 ArbVG allerdings bei einer Anfechtung wegen verpönter Motivkündigung aus einem der in §§ 105 Abs. 3 Nr. 1, 130 Abs. 4 ArbVG genannten Gründe, etwa wegen einer offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Die Kündigung selbst anfechten kann der Arbeitnehmer nur in drei Fällen: wenn der Betriebsrat keine Stellungnahme zu der Kündigung abgegeben hat, § 105 Abs. 4 S. 4 ArbVG, der Betriebsrat dem Verlangen des Arbeitnehmers nicht nachkommt und die Kündigung nicht anficht, § 105 Abs. 4 S. 3 ArbVG, und schließlich dann, wenn in dem betriebsratspflichtigen Betrieb kein Betriebsrat errichtet wurde, § 107 ArbVG. Ist ein Arbeitnehmer in Schweden Mitglied einer Gewerkschaft und findet ein von dieser Gewerkschaft geschlossener Tarifvertrag auf den Betrieb des Arbeitnehmers Anwendung, so kann die Gewerkschaft vor dem zuständigen Arbeitsgericht für den Arbeitnehmer eine Klage wegen ungerechtfertigter Kündigung erheben, gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts findet keine Beru-

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Grillberger, in: Floretta/Spielbüchler/Strasser, Individualarbeitsrecht, S. 378; Jabornegg/Resch/Strasser, Arbeitsrecht, Rdnr. 656; Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 472. 159 Grillberger, in: Floretta/Spielbüchler/Strasser, Individualarbeitsrecht, S. 382. 160 Ch. Fritz, Arbeitsrecht in Österreich, Rdnr. 392; Jabornegg/Resch/Strasser, Arbeitsrecht, Rdnr. 658; Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 474; Schöninger, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Österreich Rdnr. 138. 161 Grillberger, in: Floretta/Spielbüchler/Strasser, Individualarbeitsrecht, S. 380. 162 Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 474.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

fung oder Revision statt.163 In den übrigen Fällen verbleibt die Klagebefugnis bei dem gekündigten Arbeitnehmer.164 In einigen Staaten ist dem Prozess um die Rechtmäßigkeit der Kündigung ein obligatorisches außergerichtliches Schlichtungsverfahren vorgeschaltet, etwa in Polen,165 Schweden166 und Ungarn167. Eine gewisse Ausnahme von der gerichtlichen ex-post Kontrolle der Kündigung bildet das Kündigungsschutzrecht der Niederlande. Holt der Arbeitgeber die zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung erforderliche Genehmigung der Arbeitsbehörde ein,168 so nimmt diese bereits vor Ausspruch der Kündigung eine Überprüfung deren sozialer Rechtfertigung vor. Die Behörde prüft, ob die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit den Grundsätzen der Redlichkeit und Billigkeit in Einklang steht und erteilt ihre Einwilligung, wenn ein ernsthafter Grund in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorliegt oder betriebsbedingte Umstände zum Wegfall eines Arbeitsplatzes führen.169 Dabei hat die Arbeitsbehörde sowohl den Arbeitgeber als auch den Arbeitnehmer anzuhören und eine Stellungnahme des zuständigen Beendigungsausschusses einzuholen, Art. 6 Abs. 4 BBA. 170 Das Verfahren vor der Centrale organisatie werk en inkomen wird schriftlich durchgeführt und dauert im Allgemeinen zwischen drei und vier Wochen, wobei dieses im Falle einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen auch verkürzt werden kann, wenn der Arbeitnehmer die Erforderlichkeit der Kündigung schriftlich anerkennt. 171 Gegen die Entscheidung der Arbeitsbehörde selbst gibt es kein Rechtsmittel, allerdings kann der Arbeitnehmer eine Klage wegen grob unfairer Kündigung erheben, Art. 7:681 BW, wobei das Gericht im Erfolgsfall dann entweder die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers anordnet oder auf eine Entschädigungszahlung erkennt.172 ___________ 163

Sigeman, in: Malmberg/Wahlgren, Nordic Labour Law, S. 257, 263 f. Sigeman, in: Malmberg/Wahlgren, Nordic Labour Law, S. 257, 264. 165 Art. 244 KP: auf Verlangen des Arbeitgebers, dazu Zimoch-Tuchołka/ Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 138. 166 Vgl. etwa Schweden: § 40 LAS i.V.m. §§ 10 ff. MBL: Verhandlungen mit der zuständigen Gewerkschaft auf Verlangen des Arbeitgebers oder der Gewerkschaft. 167 § 199a Mt.: nach kollektiv- oder einzelvertraglicher Vereinbarung. 168 Vgl. dazu bereits oben unter § 5 B I 1 b), S. 145. 169 Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 133 f.; Waas, Modell Holland, S. 48 f.. 170 Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 135; Waas, Modell Holland, S. 48. 171 Waas, Modell Holland, S. 51. 172 Jacobs, AuR 2003, 329. 164

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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Inwieweit es nach Ausspruch einer Kündigung aber tatsächlich zu einer gerichtlichen Kontrolle dieser Kündigung kommt, stellt sich in den jeweiligen EU-Staaten höchst unterschiedlich dar. Zwar existiert gegenwärtig kein belastbares vergleichendes Zahlenmaterial hinsichtlich der Klagequoten bezogen auf die Gesamtheit aller mittels einer Arbeitgeberkündigung beendeten Arbeitsverhältnisse. Bei Jahn findet sich jedoch eine auf Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Österreich und Spanien bezogene Gegenüberstellung der Anzahl der im Jahr 1995 pro Arbeitnehmer geführten Kündigungsschutzklagen.173 Danach reichte in Deutschland 1995 einer von 100 Arbeitnehmern, in Spanien und Frankreich einer von 200 Arbeitnehmern Klage gegen eine Kündigung ein, in allen drei Ländern lag dabei die Erfolgsquote bei über 70 %. Ein ganz anderes Bild boten dagegen Österreich und Dänemark, die 1995 eine Klagequote von 0,007 bzw. 0,004 % aufwiesen. Dazwischen lagen die Länder Großbritannien, Irland und Italien mit Quoten von 0,180, 0,110 und 0,050 % sowie einer Erfolgsquote von 38, 16 und 51 %. Der Klärungsbedarf hinsichtlich der Ursachen dieser unterschiedlichen Klagehäufigkeiten liegt auf der Hand. Besonders offensichtlich gilt dies bei eine Gegenüberstellung der für Deutschland ermittelten Klagequote mit der Österreichs, die letztere um das 143fache übersteigt,174 obwohl das Kündigungsschutzrecht in beiden Ländern dem Prinzip des Bestandsschutzes folgt und unter Zugrundelegung des von der OECD ermittelten Gesamtindikators – dieser weist für Deutschland einen Wert von 2,5, für Österreich einen Wert von 2,2 auf – auch bezüglich der Intensität zumindest annähernd vergleichbar ist.175 VI. Abdingbarkeit Soweit ersichtlich erlaubt keine der Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten vor Ausspruch der Kündigung einen Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz, die gesetzlichen Regelungen zum Schutz des Arbeitnehmers sind einseitig zwingend. Eine eng begrenzte Ausnahme findet sich jedoch im maltesischen Kündigungsschutzrecht. § 42 EIRA ermöglicht dem Arbeitgeber, ausnahmsweise eine arbeits- oder tarifvertragliche Reglung zu treffen, die das gesetzliche Niveau des Kündigungsschutzes unterschreitet, wenn es sich dabei um eine zeitlich begrenzte Maßnahme zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen handelt; diese bedarf der behördlichen Genehmigung. ___________ 173

Jahn, Ökonomische Theorie, S. 83. Angesichts des zum 01.01.2003 in Österreich in Kraft getretenen neuen Abfertigungsrechts nach dem BMVG bedarf es jedoch aktueller empirischer Erhebungen hinsichtlich dessen Auswirkung auf die Klagequote. 175 OECD, Employment Outlook 2004, S. 117. 174

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

C. Abfindungsansprüche bei rechtmäßiger Kündigung des Arbeitsverhältnisses Nach der überblicksartigen Darstellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzes in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten wenden sich die nun folgenden Ausführungen den Rechtsfolgen der Kündigung zu. Dabei soll zunächst der Frage nachgegangen werden, in welchen Ländern der Arbeitnehmer eine Abfindung beanspruchen kann, die, ohne eine gerichtliche Überprüfung deren Rechtmäßigkeit, allein an den Tatbestand der Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber anknüpft und dabei auch die Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitnehmers unangetastet lässt. Anders als das deutsche Kündigungsschutzrecht sehen zahlreiche Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten derartige gesetzliche Abfindungsansprüche vor. I. Abhängigkeit der Abfindung von einem bestimmten Kündigungssachverhalt 1. Abfindungsansprüche ohne Rücksichtnahme auf den zugrunde liegenden Kündigungsgrund In mehreren EU-Mitgliedstaaten ist ein Arbeitgeber bereits ohne Rücksicht auf den Kündigungsgrund zur Zahlung einer Abfindung verpflichtet, mitunter sogar bei Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Besonders bedeutsam ist diese Verpflichtung im griechischen Arbeitsrecht: Ohne Rücksicht auf den zugrunde liegenden Kündigungsgrund schuldet der Arbeitgeber dort bei jeder ordentlichen und außerordentlichen Kündigung eine Abfindung.176 Dies gilt sogar dann, wenn er das Arbeitsverhältnis aus Gründen in dem Verhalten des Arbeitnehmers gekündigt hat, etwa wegen unentschuldigten Fernbleibens von der Arbeit oder einer sonstigen Pflichtverletzung.177 Die Verpflichtung zur Zahlung der Abfindung entfällt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer eine strafbare Handlung begangen hat, diese staatsanwaltlich verfolgt wurde und dem Arbeitgeber deshalb eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.178 Auch eine Kündigung wegen arglistigen, vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers lässt den Abfindungsanspruch entfallen, wenn der Arbeitnehmer etwa in der Absicht, die Abfindung zu erlangen, durch sein Verhalten die Kün___________ 176

Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 47; Karakatsanis, in: Kerameus/Kozyris, Greek Law, S. 247, 250; Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 105 ff.. 177 Karakatsanis, in: Kerameus/Kozyris, Greek Law, S. 247, 250. 178 Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 52; Karakatsanis, in: Kerameus/Kozyris, Greek Law, S. 247, 250.

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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digung provoziert hat.179 Ist der Arbeitgeber aufgrund höherer Gewalt gezwungen, den Betrieb seines Unternehmens einzustellen, entfällt der Anspruch ebenfalls.180 Die Abfindung wird mit Übergabe der Kündigungserklärung fällig.181 Zahlt der Arbeitgeber nicht oder gerät er mit der Zahlung in Verzug, ist die Kündigung unwirksam.182 Abfindungsansprüche, die grundsätzlich ohne Rücksichtnahme auf einen bestimmten Kündigungsgrund fällig werden, sehen auch das dänische, französische, italienische, litauische, luxemburgische, österreichische sowie das ungarische Arbeitsrecht vor. In Dänemark besteht ein gesetzlicher Abfindungsanspruch nur für Angestellte mit einem seit mindestens zwölf Jahren bestehenden Arbeitsverhältnis, § 2 Abs. 1 Fl. Darüber hinaus enthalten jedoch auch zahlreiche Tarifverträge vergleichbare Regelungen.183 Art. L 122-9 S. 1 CT bestimmt in Frankreich eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung („indemnité de licenciement“), wenn dieser das Arbeitsverhältnis kündigt und den Arbeitnehmer bereits seit mindestens zwei Jahren beschäftigt; der Abfindungsanspruch entfällt nur im Falle einer fristlosen Kündigung wegen schwerwiegenden Fehlverhaltens („faute grave“ bzw. „faute lourde“). Vergleichbar ist die Rechtlage in Luxemburg. Auch dort hat jeder gekündigte Arbeitnehmer nach Art. 24 Abs. 1 S. 1 LCT Anspruch auf eine Abfindung („indemnité de départ“). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass ihn der Arbeitgeber seit mindestens fünf Jahren beschäftigt und der Arbeitnehmer noch keinen Anspruch auf Zahlung einer Altersrente hat. Der Anspruch besteht nach dieser Norm ebenfalls nicht, wenn der Kündigungsgrund den Arbeitgeber auch zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt hätte. Zusätzlich räumt Art. 24 Abs. 3 LCT einem Arbeitgeber, der weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigt, ein, anstelle der Zahlung der Abfindung die Kündigungsfrist des Arbeitnehmers zu verlängern. Auch in Ungarn zieht jede ordentliche Arbeitgeberkündigung einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung nach sich, § 95 Abs. 1 Mt. Voraussetzung ist hier ein mindestens drei Jahre bestehendes Arbeitsver___________ 179

Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 52. Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 53. 181 Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 51; Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 107. 182 Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 51; Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 100, 107; Papadopoulou, in: Papagiannis, Griechisches Wirtschaftsrecht, S. 383, 410. 183 P. A. Köhler, ZESAR 2007, 67, 70. 180

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

hältnis, § 95 Abs. 3, 4 lit. a Mt. Arbeitnehmer, die Anspruch auf eine Altersrente oder eine Rente nach einem Frühpensionierungsprogramm haben, können die Abfindung ebenfalls nicht beanspruchen, § 95 Abs. 3 Mt. In Litauen hat jeder ordentlich gekündigte Arbeitnehmer nach Maßgabe des Art. 140 Abs. 1 DK einen Abfindungsanspruch, es sei denn, die Kündigung beruht auf einem schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers. Noch weiter reichen die Einschränkungen im dänischen Arbeitsrecht. Dort normiert § 2a Abs. 1 S. 1 Fl. einen Abfindungsanspruch wegen einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung ausschließlich für Angestellte, die bei ihrem Arbeitgeber zudem bereits seit mindestens zwölf Jahren beschäftigt sein müssen. Eine Sonderstellung nehmen das italienische sowie das österreichische Arbeitsrecht ein. So verpflichtet Art. 2120 Abs. 1 S. 1 CC in Italien den Arbeitgeber bei jeder ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Zahlung einer Abfindung („trattamento di fine rapporto“), wobei der Arbeitgeber die einzelnen Anteile, aus denen sich der Abfindungsbetrag zusammensetzt, bereits jeweils mit Ablauf jeden Jahres des Bestehens des Arbeitsverhältnisses zurückzustellen hat.184 Anspruchsberechtigt ist der Arbeitnehmer aber nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis bereits seit mindestens acht Jahren besteht, Art. 2120 Abs. 6 CC.185 Eine am 23.11.2005 verabschiedete Gesetzesänderung ermöglicht in Zukunft eine stärkere Verknüpfung des Abfindungsrechts mit dem System der privaten Altervorsorge: Danach können die Arbeitnehmer den Arbeitgeber anweisen, die monatlich zurückzustellenden Anteile, aus denen sich die Abfindung zusammensetzt, in einen Pensionsfonds einzuzahlen.186 Allerdings treten diese Regelungen für größere Unternehmen erst zum 01.01.2008, für kleinere Unternehmen zum 01.01.2009, in Kraft.187 In Österreich entsteht nach jeder Kündigung durch den Arbeitgeber, ausgenommen der verschuldeten Entlassung, die der außerordentlichen Kündigung im deutschen Kündigungsschutzrecht entspricht, gemäß § 14 Abs. 1 BMVG ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung („Abfertigung“). Der Anspruch richtet sich allerdings nicht gegen den Arbeitgeber, sondern eine privatrechtlich organisierte Mitarbeitervorsorgekasse, und besteht nur dann, wenn der Arbeitnehmer zumindest drei Einzahlungsjahre seit Eintritt in das Erwerbsleben bzw. seit letztmaliger Auszahlung der Abfertigung vorweisen kann, § 14 Abs. 2 Nr. 4 BMVG. Wahlweise ermöglicht § 17 Abs. 1 BMVG dem Arbeitnehmer, anstelle der Auszahlung eines Kapitalbetrages die Abferti___________ 184

Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 174. Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 179. 186 Paparella/Santi, Italy: Reform of supplementary pensions system approved. 187 Paparella/Santi, Italy: Reform of supplementary pensions system approved. 185

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gung weiter in der Kasse zu veranlagen, an die Mitarbeitervorsorgekasse seines neuen Arbeitgebers zu übertragen oder sie in eine Lebensversicherung, einen Pensionsinvestmentfonds oder eine Pensionskasse zu investieren. Finanziert wird die Abfertigung gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 BMVG durch monatlich zu entrichtende Beitragszahlungen des Arbeitgebers an die Mitarbeitervorsorgekassen in Höhe von 1,53 % des monatlichen Entgelts und der regelmäßigen Sonderzahlungen. Anwendung findet das neue Abfertigungsrecht auf alle ab dem 01.01.2002 geschlossenen Arbeitsverhältnisse. 2. Abfindung bei Kündigungen aus personenbedingten und wirtschaftlichen Gründen Eine nächste Gruppe von Ländern beschränkt den Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers auf Kündigungen wegen wirtschaftlicher oder bestimmter personenbedingter Gründe, die allesamt nicht an ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers anknüpfen. Dazu zählen Estland, Lettland, Slowenien, Spanien und Tschechien, bezüglich bestimmter Tatbestände der personenbedingten Kündigung und der Insolvenz des Arbeitgebers auch Portugal. Bei jeder aus wirtschaftlichen oder personenbedingten Gründen erfolgten Kündigung schuldet der Arbeitgeber sowohl in Lettland, § 112 Dl., als auch in Spanien, Art. 51 Abs. 8, 53 Abs. 1 lit. b E.T., eine Abfindung. Gleiches gilt gemäß Art. 109 Abs. 1 S. 1 ZDR auch in Slowenien, allerdings unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass der Arbeitgeber den gekündigten Arbeitnehmer bereits mindestens ein Jahr beschäftigt. Unter weiteren Beschränkungen besteht ein derartiger Abfindungsanspruch auch in Estland. Gemäß § 90 Abs. 1 TS hat dort jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung einer Abfindung, wenn ihn der Arbeitgeber entweder aus wirtschaftlichen Gründen wegen Auflösung des Betriebs oder Unternehmens, wegen Entfalls des Arbeitsplatzes oder wegen fehlender Eignung personenbedingt kündigt. Im Falle einer Insolvenz des Arbeitgebers richtet sich der Anspruch nicht gegen diesen, sondern die Arbeitslosenversicherung, § 90 Abs. 2 TS. In Tschechien zieht jeder Ausspruch einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung nach sich, § 67 Abs. 1 S. 1 ZP. Für personenbedingte Kündigungen gilt dies nur dann, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder eines Überschreitens von Grenzwerten im Umgang mit gesundheitsschädlichen Stoffen arbeitsunfähig ist oder die Arbeitsunfähigkeit droht, § 67 Abs. 1 S. 2 ZP. Die Abfindung ist allerdings ganz oder teilweise zurückzuzahlen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Ablauf der Zeit, für welche die Abfindung gezahlt wird, erneut einstellt, § 68 Abs. 1 ZP.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

Neben der Abfindung, mit deren Inanspruchnahme der Arbeitnehmer gleichzeitig die Kündigung akzeptiert,188 sehen in Portugal die Art. 389 Abs. 4, 388 Abs. 2 CT auch einen Abfindungsanspruch ohne diese Einschränkung vor. Voraussetzung ist eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen vollständiger und endgültiger Unmöglichkeit der Erbringung oder Annahme der Arbeitsleistung, 387 lit. b CT. Dazu zählen die Fälle der Insolvenz des Arbeitgebers ebenso wie der unwiderrufliche Entzug einer für die Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer erforderlichen Berufskarte.189 3. Abfindung bei Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung, die auf die Fälle der Kündigung wegen wirtschaftlicher Gründe beschränkt ist, sehen die Arbeitsrechtsordnungen Englands, Irlands und Polens vor, unter eingeschränkten Voraussetzungen auch Belgien und Finnland. So zieht in England jeder Ausspruch einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen, § 139 ERA 1996, eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung („redundancy payment“) nach sich, § 135 Abs. 1 ERA 1996. Die Gerichte prüfen dabei jeweils sehr genau, ob einer der Tatbestände des § 139 Abs. 1 ERA 1996 erfüllt ist: Arbeitnehmer, die etwa im Wege der Sozialauswahl ihren Arbeitsplatz verlieren, können die Abfindung nicht beanspruchen, da ihre Tätigkeit nicht weggefallen ist, sondern von dem sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmer übernommen wurde.190 Arbeitnehmer, die eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz ohne triftigen Grund ablehnen, erhalten ebenfalls keine Abfindung, § 141 Abs. 1 ERA 1996. Jedenfalls aber verlangt § 155 ERA 1996 ein mindestens zweijährig ununterbrochen bestehendes Arbeitsverhältnis. Vergleichbar ist die Rechtslage in Irland. Dort normiert § 7 Abs. 1 RPA 1967 den Abfindungsanspruch. Dieser setzt jedoch gemäß § 7 Abs. 1, 5 Schedule 3 RPA 1967 zusätzlich voraus, dass der Arbeitnehmer mindestens 104 Wochen ununterbrochen bei demselben Arbeitgeber mit einem Arbeitszeitvolumen von mehr als acht Stunden pro Woche sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist. In Polen hat jeder von einer Massenentlassung betroffene Arbeitnehmer Anspruch auf eine gesetzliche Abfindung, Art. 8 Nr. 1 BKG. Gemäß Art. 10 Nr. 1 BKG gilt das auch bei einer Einzelkündigung aus wirtschaftlichen Gründen, in ___________ 188

Dazu sogleich unten unter § 5 D II, S. 182. E. Fedtke/Böhm-Amolly, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Portugal Rdnr. 87. 190 Church v West Lancashire NHS Trust [1998] ICR 423, 429 f. 189

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beiden Fällen besteht der Anspruch aber nur dann, wenn der Arbeitgeber in seinem Unternehmen mindestens 20 Arbeitnehmer beschäftigt. In einem sehr eingeschränkten Umfang sieht auch das belgische Arbeitsrecht einen Abfindungsanspruch vor und zwar dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Zuge einer Massenentlassung oder wegen einer Betriebsschließung gekündigt hat. In der erstgenannten Konstellation besteht für die Dauer von vier Monaten ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung in Höhe der Hälfte des Differenzbetrages zwischen dem NettoReferenzgehalt und dem Arbeitslosengeld bis zu einer Obergrenze von derzeit 2791,67 Euro pro Monat,191 Art. 6, 8 Abs. 1, 11 Abs. 1 CC Nr. 10. Die Dauer der Abfindungszahlung vermindert sich allerdings um die Zeit, um welche die Kündigungsfrist drei Monate übersteigt, Art. 11 Abs. 2 CC Nr. 10. Wird dem Arbeitnehmer wegen einer Betriebsstilllegung gekündigt, hat er ebenfalls einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung, der sich primär gegen den Arbeitgeber richtet, Art. 18 Abs. 1 LFE. Fällt dieser mit der Zahlung aus, übernimmt diese ein Fonds („Fonds de Fermeture des Entreprises“), Art. 33 LFE. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer dem Unternehmen bereits mindestens ein Jahr angehört, Art. 18 Abs. 1 LFE, und der Arbeitgeber in seinem Unternehmen regelmäßig mindestens 20 Arbeitnehmer beschäftigt, Art. 10 § 1 LFE. Im Grundsatz sieht zwar das finnische Arbeitsrecht keinen Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung bei Ausspruch einer rechtmäßigen Kündigung vor. Eine Ausnahme besteht aber für diejenigen Arbeitnehmer, die das 45. Lebensjahr vollendet haben, aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt werden und auf dem Arbeitsmarkt Schwierigkeiten haben, eine neue Anstellung zu finden: Diese können eine Abfindung beanspruchen, deren Höhe sich in Abhängigkeit von sozialen Gesichtspunkten des Arbeitnehmers und dessen Unternehmenszugehörigkeit errechnet.192 Allerdings ist dieser Abfindungsanspruch nicht in das System des Kündigungsschutzrechts, sondern das der sozialen Sicherung eingebunden und richtet sich gegen einen umlagefinanzierten Fonds.193

___________ 191

Conseil National du Travail, Evolution du plafond de salaire, S. 6, im Internet veröffentlicht unter: http://www.cnt-nar.be/Tabellen/Cao-bedragen/BEDRAGEN-200701.pdf (28.02.2007). 192 Saloheimo, National Labour Law Profile: Republic of Finland; Sigeman, in: Malmberg/Wahlgren, Nordic Labour Law, S. 257, 274. 193 Sigeman, in: Malmberg/Wahlgren, Nordic Labour Law, S. 257, 274.

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4. Kündigung ohne Abfindungspflicht Nur vier EU-Mitgliedstaaten kennen vergleichbar der Rechtslage in Deutschland keine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung wegen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses: Malta, die Niederlande, Schweden und die Slowakei. Ein anderes Bild zeichnet jedoch die Rechtspraxis. So sehen in Schweden zahlreiche Tarifverträge „Abfindungspläne“ vor, die dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung einräumen. 194 Vergleichbar zur Rechtslage in Finnland bezwecken diese Abfindungszahlungen aber ausschließlich, die mit einer Kündigung für bestimmte Arbeitnehmergruppen verbundenen besonderen sozialen Härten abzumildern, etwa die schwierigen Chancen älterer Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt, und sollen keinen Einfluss auf die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers ausüben.195 Ähnlich sieht wohl auch die Rechtspraxis in Malta aus. Vor allem bei einer Massenentlassung aus betriebsbedingten Gründen zahlt der Arbeitgeber, häufig auf Druck der Gewerkschaften, den gekündigten Arbeitnehmern eine Abfindung.196 Eine Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung kann auch bereits in einem Tarifvertrag verankert sein.197 In den Niederlanden bestehen für einen Abfindungsanspruch zwei verschiedene Anknüpfungspunkte: die behördliche Genehmigung der Kündigung und der gerichtliche Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Nach dem Gesetz ist der Arbeitgeber zunächst nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer bei einer rechtmäßigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung zu zahlen.198 Auch die Arbeitsbehörde kann ihn nicht zu einer Zahlung zwingen. 199 Dies geschieht allerdings häufig aus rein praktischen Gründen, da die Arbeitsbehörde bei Arbeitgeberkündigungen, die nicht auf einem schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers beruhen, nur sehr zögerlich eine Genehmigung erteilt, wenn dem Arbeitnehmer keine Abfindungszahlung angeboten wird.200 Stellt der Arbeitgeber bei einem Kantonsgericht einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses, kann dieses den Arbeitgeber selbst dann zur Zahlung einer Ab___________ 194

Berg, Redundancies and redundancy costs in Sweden; Nordlöf, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Schweden Rdnr. 140; Sigeman, in: Malmberg/Wahlgren, Nordic Labour Law, S. 257, 274. 195 Sigeman, in: Malmberg/Wahlgren, Nordic Labour Law, S. 257, 268. 196 Baldacchino/Bronstein, National Labour Law Profile: Malta. 197 Baldacchino/Bronstein, National Labour Law Profile: Malta. 198 Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 138. 199 Jacobs, AuR 2003, 329. 200 Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 138.

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findung verpflichten wenn für die Kündigung ein rechtfertigender Grund existiert, Art. 7:685 Abs. 8 BW.201 II. Höhe des Abfindungsanspruchs 1. Koppelung der Abfindungshöhe an die Beschäftigungsdauer In den meisten Ländern steigt die Abfindung linear mit der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses an, so in England, Frankreich, Irland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Portugal, Slowenien, Spanien und wohl auch in Finnland. Belgien nimmt eine Sonderstellung ein. Die Höhe der Abfindungszahlungen und damit auch die Einschätzung des Gesetzgebers bezüglich deren Angemessenheit differiert zwischen den einzelnen Ländern jedoch erheblich. Besonders hoch fallen die Abfindungsansprüche für Arbeitnehmer in Portugal, Italien, den Niederlanden sowie in Spanien aus. Der Anspruch beträgt in Portugal bei Ausspruch einer Individual- oder Kollektivkündigung aus wirtschaftlichen Gründen einen Monatsverdienst für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, mindestens aber drei Monatsverdienste, Art. 401 Abs. 1 und 3 CT ggf. i.V.m. Art. 404, 409. Bei Ausspruch einer Kündigung wegen Unmöglichkeit der Erbringung oder Annahme der Arbeitsleistung reduziert sich die Abfindungssumme auf einen Betrag zwischen zwölf und 24 Tagesverdiensten je Beschäftigungsjahr, Art. 389 Abs. 4, 388 Abs. 2 CT. Zur Ermittlung des Umfangs der in Italien bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu zahlenden Abfindung („trattamento di fine rapporto“) sieht Art. 2120 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 CC ein kompliziertes Berechnungsverfahren vor; im Ergebnis liegt hier der Abfindungsbetrag etwas unterhalb eines durchschnittlichen Monatsverdienstes pro Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses.202 Verpflichtet in den Niederlanden das Kantonsgericht den Arbeitgeber, der einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses stellt, zur Zahlung einer Abfindung, so räumt das Gesetz diesem bei der Bemessung einen weiten Ermessensspielraum ein, wobei die Gerichte eine Tabelle entwickelt haben, aus denen sich die Maßstäbe für die Festsetzung der Abfindung ergeben, das so gen. „kantonrechtersformule“.203 Danach ist in erster Linie auf die Beschäftigungsdauer und den Bruttomonatsverdienst abzustellen, wobei stets eine Korrektur erfolgt, bei der zu fragen ist, aus welcher Risikosphäre der Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ___________ 201

Jacobs, AuR 2003, 329; Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 146; Rebhahn, ZfA 2003, 163, 166 Fn. 7; Waas, Modell Holland, S. 59. 202 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 176. 203 Waas, Modell Holland, S. 59.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

stammt.204 Die Abfindung beträgt für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses ein Bruttomonatsentgelt, für die Beschäftigungsjahre nach Vollendung des 40. Lebensjahres erhöht sich dieser Faktor auf 1,5 sowie auf 2 für Beschäftigungsjahre nach Vollendung des 50. Lebensjahres.205 In Spanien umfasst die zu zahlende Abfindung 20 Tagesverdienste je Beschäftigungsjahr, maximal aber zwölf Monatsverdienste, Art. 51 Abs. 8, 53 Abs. 1 lit. b E.T. Ist diese im Rahmen einer Massenentlassung fällig und beschäftigt der Arbeitgeber in seinem Unternehmen weniger als 25 Arbeitnehmer, zahlt ein Fonds („Fondo de Garantía Salarial“) 40 % dieser Abfindung, sofern die ihr zugrunde gelegte Tagesvergütung nicht mehr als das doppelte des gesetzlichen Mindestlohns beträgt.206 In etwa dem Umfang der in Deutschland durchschnittlich gezahlten Abfindungsbeträge – ein halber Bruttomonatsverdienst je Beschäftigungsjahr – entspricht der Abfindungsanspruch in Irland. Nach den vom Redundancy Payments Act 2003 vorgenommenen Modifizierungen beträgt dieser nunmehr zwei Wochenverdienste für jedes Beschäftigungsjahr zuzüglich eines weiteren Wochenverdienstes unabhängig von Alter und Dauer des Arbeitsverhältnisses, Schedule 3 Nr. 1 RPA 1967. Allerdings ist der in die Berechnung einzustellende Verdienst der Höhe nach beschränkt: Die Höchstgrenze, die der Minister für Unternehmen, Handel und Beschäftigung per Rechtsverordnung festlegt, liegt gegenwärtig bei 600,00 Euro pro Woche.207 Zahlt der Arbeitgeber eine Abfindung, so werden ihm nach Maßgabe des § 29 RPA 1967 bis zu 65 % des Abfindungsbetrages von einem Fonds („Redundancy Fund“) erstattet, an den Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Form wöchentlicher Zahlungen Beiträge abführen, § 27 RPA 1967. Individual- und tarifvertragliche Vereinbarungen sehen häufig zusätzliche Abfindungszahlungen vor.208 Der Umfang des österreichischen Abfertigungsanspruchs bestimmt sich gemäß § 15 BMVG nach der Summe des angesammelten Kapitals abzüglich der Verwaltungskosten unter Berücksichtigung der Kapitalgarantie und der Veranlagungserträge. Unter dem Niveau der in Deutschland durchschnittlich geleisteten Abfindungen liegen die in England, Frankreich und Slowenien gezahlten Abfin___________ 204

Waas, Modell Holland, S. 59. Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 147. 206 Calle, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Spanien Rdnr. 135. Der Mindestlohn in Spanien beträgt gegenwärtig 19,02 Euro pro Tag bzw. 570,60 Euro pro Monat, Art. 1 Abs. 1 Real Decreto 1613/2005 vom 30.12.2005, im Internet veröffentlicht unter: http://www.boe.es/boe/dias/2006/12/30/pdfs/A46653-46654.pdf (28.02.2007). 207 Statutory Instrument No. 695 of 2004. 208 Byrne/Kennedy/Shannon/Longain, Employment Law, S. 140 f. 205

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dungsbeträge. Am unteren Ende bewegt sich dabei der Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers in Frankreich („indemnité de licenciement“) mit einem Betrag von grundsätzlich 1/10 eines Monatsverdienstes für jedes Beschäftigungsjahr, der sich bei einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen auf 2/10 verdoppelt, Art. R 122-2 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 CT. Beschäftigt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer seit mindestens 10 Jahren, steigt die Abfindung um 1/15 bzw. 2/15 bei einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen an, Art. R 122-2 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 2 CT. Auch in den Fällen der beruflich veranlassten körperlichen Arbeitsunfähigkeit verdoppelt sich die Abfindung und besteht außerdem unabhängig von der Beschäftigungsdauer, Art. L 122-32-6 Abs. 1 CT („indemnité spéciale de licenciement“). Dieses vom Gesetz vorgegebene Mindestmaß soll in der Praxis jedoch keine bedeutende Rolle spielen, da die Arbeits- oder Tarifverträge häufig günstigere Regelungen vorsehen.209 In England beträgt die Abfindung für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses für Arbeitnehmer bis einschließlich des 22. Lebensjahres die Hälfte eines Wochenverdienstes, § 162 Abs. 1, 2 lit. c ERA 1996. Für Zeiten nach Überschreitung dieser Altersgrenze steigt die Abfindung auf einen Wochenverdienst je Beschäftigungsjahr; ist der Arbeitnehmer mindestens 41 Jahre alt, erhöht sich dieser Betrag auf anderthalb Wochenverdienste, § 162 Abs. 1, 2 lit. a, b ERA 1996. Der Umfang des Abfindungsanspruchs ist dabei aber bestimmten Obergrenzen unterworfen: Die Höchstgrenze liegt derzeit bei 9.300,- ǧ für den Gesamtbetrag bzw. 310,- ǧ für den in die Berechnung einzustellenden Wochenverdienst,210 wobei dieser Betrag jährlich zu überprüfen und an den Einzelhandelskostenindex anzupassen ist, § 34 Abs. 2 ERA 1999. In Slowenien beträgt die Abfindung 1/5 eines durchschnittlichen Monatsverdienstes für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, wenn dieses zwischen einem und fünf Jahren andauerte, und erhöht sich auf 1/4 bzw. 1/3, wenn der Arbeitnehmer zwischen fünf und fünfzehn bzw. mehr als fünfzehn Jahre beschäftigt gewesen ist, Art. 109 Abs. 2 ZDR. Insgesamt darf die so zu ermittelnde Summe – vorbehaltlich einer abweichenden tariflichen Regelung – den Betrag von zehn Monatsverdiensten nicht überschreiten, Art. 109 Abs. 4 ZDR. In Finnland beträgt die Abfindung mindestens 670 Euro, durchschnittlich werden 1.500 Euro gezahlt.211 Eine Sonderstellung nimmt das belgische Abfindungsrecht ein. Wie bereits oben berichtet, beträgt dort die bei einer Kündigung im Zuge einer Massenentlassung fällige Abfindung für die Dauer von vier Monaten die Hälfte des Diffe___________ 209

Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 191; Temin-Soccol/Combes, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Frankreich Rdnr. 152. 210 Department of Trade and Industry, Limits on payments and awards, im Internet veröffentlicht unter: http://www.dti.gov.uk/employment/employment-legislation/ employment-guidance/page19310.html (28.02.2007). 211 Saloheimo, National Labour Law Profile: Republic of Finland.

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renzbetrages zwischen dem Netto-Referenzgehalt und dem Arbeitslosengeld bis zu einer Obergrenze von derzeit 2791,67 Euro pro Monat, Art. 6, 8 Abs. 1, 11 Abs. 1 CC Nr. 10,212 wobei sich die Bezugsdauer um die Zeit vermindert, welche die Kündigungsfrist von drei Monaten übersteigt, Art. 11 Abs. 2 CC Nr. 10. Wird dem Arbeitnehmer wegen einer Betriebsstilllegung gekündigt, hat er einen Anspruch in Höhe von derzeit 133,89 Euro für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses bis zu einer Obergrenze von 5.355,60 Euro, Art. 23 § 1 S. 1 LFE.213 Für jedes Jahr der Tätigkeit in dem Unternehmen, in dem der Arbeitnehmer bereits 45 Jahre alt gewesen ist, verdoppelt sich der Abfindungsbetrag und auch die Höchstabfindung, Art 23 § 1 S. 2 LFE. 2. Stufenweiser Anstieg der Abfindung Einen stufenweisen Anstieg der Abfindung sehen die gesetzlichen Bestimmungen in Dänemark, den drei baltischen Staaten, Griechenland, Luxemburg, Polen, Tschechien und Ungarn vor. An der Spitze in dieser Ländergruppe steht dabei Griechenland, allerdings nur bezüglich der Gruppe der Angestellten. Kündigt der Arbeitgeber einem Angestellten außerordentlich, so entspricht die Abfindung dem durchschnittlichen Gehalt, das der Angestellte während des Laufs der einschlägigen Kündigungsfrist erzielt hätte.214 Ist also der Angestellte bis zu einem Jahr beschäftigt gewesen, beträgt die Abfindung ein durchschnittliches Monatsgehalt und steigt auf zwei, drei, vier und fünf Monatsgehälter für Beschäftigungszeiten von einem bis vier, von vier bis sechs, von sechs bis acht sowie von acht bis zehn Jahren.215 Bei einer längeren Beschäftigungsdauer steigt auch die Abfindungssumme entsprechend, und zwar auf bis zu 24 Monatsverdienste bei einer Beschäftigungsdauer von 28 und mehr Jahren.216 Kündigt der Arbeitgeber dem Angestellten ordentlich, halbiert sich die Abfindung.217 Außerdem ist der An___________ 212

Conseil National du Travail, Evolution du plafond de salaire, S. 6, im Internet veröffentlicht unter: http://www.cnt-nar.be/Tabellen/Cao-bedragen/BEDRAGEN-200701.pdf (28.02.2007). 213 Office National de l’Emploi, Indexation à partir du 01.08.2005, im Internet veröffentlicht unter: http://www.onem.be/F_vergoeding/default.asp?MainDir=F_vergoeding &Language=FR&IndexDir=Indemnisations&Button=1 (28.02.2007). 214 Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 105. 215 Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 48; Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 105. 216 Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 48; Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 105. 217 Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 49; Karakatsanis, in: Kerameus/Kozyris, Greek Law, S. 247, 251; Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 105.

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spruch nach oben begrenzt. Der bei der Berechnung zugrunde zu legende durchschnittliche Monatsverdienst darf nicht das Achtfache des gesetzlichen Mindestlohns für Arbeiter von gegenwärtig rund 690,- Euro218 überschreiten, Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 3198/1955.219 Der Abfindungsanspruch des außerordentlich gekündigten Arbeiters liegt demgegenüber weit unter diesen Summen. Dieser beträgt fünf Tageslöhne für eine Beschäftigungsdauer von mehr als zwei Monaten bis zu einem Jahr und steigt auf sieben, 15, 30, und 60 Tageslöhne für Beschäftigungszeiten von einem bis zwei, von zwei bis fünf, von fünf bis zehn sowie von zehn bis 15 Jahren.220 Die höchste Abfindung erzielt der Arbeiter, den der Arbeitgeber bereits seit mindestens 30 Jahren beschäftigt, sie beträgt dann 150 Tageslöhne.221 Ob diese erhebliche Ungleichbehandlung zwischen Arbeitern und Angestellten auch in Zukunft noch aufrechterhalten werden kann, ist derzeit offen. Im September 2004 hat ein erstinstanzliches Zivilgericht in Athen diese vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung für verfassungswidrig erklärt.222 Eine vergleichbare, wenn auch nicht derart weit reichende Differenzierung nimmt auch das luxemburgische Arbeitsrecht vor. Bei der Kündigung eines Arbeiters beträgt die Abfindung dort einen Monatslohn und steigt auf zwei bzw. drei Monatslöhne, wenn der Arbeiter mindestens zehn bzw. 15 Jahre bei demselben Arbeitgeber beschäftigt gewesen ist, Art. 24 Abs. 1 S. 3 LCT. Bei der Kündigung eines Angestellten steigt die Abfindung darüber hinaus weiter auf sechs, neun und zwölf Monatsgehälter, wenn dieser eine Beschäftigungsdauer von mindestens 20, 25 bzw. 30 Jahren vorweisen kann. Kollektivvereinbarungen für den Versicherungs- und Bankensektor sehen im Fall der Massenentlassung eine höhere Abfindung für den Arbeitnehmer vor, die dieser zudem bereits mit einer Betriebszugehörigkeit von einem Jahr beanspruchen kann.223 Im oberen Bereich bewegen sich auch die in Ungarn gezahlten Abfindungen. Diese betragen gemäß § 95 Abs. 4 Mt. einen durchschnittlichen Monatsverdienst bei einem drei Jahre bestehenden Arbeitsverhältnis. Bei fünfjährigem Bestehen steigt die Abfindung auf zwei und dann aller fünf Jahre um einen weiteren Monatsverdienst auf bis zu sechs Monatsverdienste. Die so ermittelte Ab___________ 218

Eurostat, Mindestlöhne, im Internet veröffentlicht unter: http://epp.eurostat. ec.europa.eu (28.02.2007). 219 Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 49; Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 107. 220 Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 109. 221 Kerameos/Kerameus, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Griechenland Rdnr. 109. 222 Stamati, Harmonisation of severance pay. 223 Feyereisen, Redundancies and redundancy costs in Luxembourg.

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findungssumme erhöht sich noch einmal um jeweils drei Monatsverdienste, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer innerhalb von fünf Jahren vor Erwerb der Berechtigung zum Bezug von Altersrente kündigt, § 95 Abs. 5 Mt. Die übrigen Länder differieren nicht erheblich. In Dänemark beträgt die Abfindung für Angestellte zwischen einem und drei Monatsgehälter, § 2a Abs. 1 Fl. In Estland schuldet der Arbeitgeber eine Abfindung in Höhe von zwei bis vier Monatsverdiensten, § 90 Abs. 1 Nr. 1 TS, wenn er dem Arbeitnehmer aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt hat. Kündigt er aus personenbedingten Gründen wegen fehlender Eignung des Arbeitnehmers, beträgt diese einheitlich ein durchschnittliches Monatseinkommen, § 90 Abs. 1 Nr. 2 TS. In Lettland beträgt die Abfindung zwischen einem und vier, § 112 Dl., in Litauen von einem bis zu sechs Monatverdiensten, Art. 140 Abs. 1 DK. Zwischen einem und drei Monatsverdiensten schuldet auch der polnische Arbeitgeber, Art. 8 Nr. 1 BKG. Auf keinen Fall darf die Abfindung aber das 15fache des gesetzlichen Mindestlohns überschreiten, Art. 8 Nr. 4 BKG. Der Mindestlohn beträgt derzeit 936 PLN,224 so dass die Abfindung insgesamt den Betrag von umgerechnet etwa 3.600,- Euro225 nicht überschreiten darf. Die bei einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen in Tschechien fällige Abfindung beträgt stets drei, bei einer Kündigung aus bestimmten personenbedingten Gründen zwölf durchschnittliche Monatsverdienste, § 67 Abs. 1 ZP. III. Funktion der Abfindungsansprüche Nicht nur fallen die Abfindungsansprüche in ihrer Höhe sehr unterschiedlich aus, sie verfolgen auch teilweise unterschiedliche Zwecke. Uneinheitlich wird die Funktion der „indemnité de licenciement“ in Frankreich beurteilt. Der Cour de Cassation geht davon aus, es handele sich nicht um ein Arbeitsentgelt, sondern eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes.226 Gerade die Entschädigungsfunktion wird vom Schrifttum aber in Zweifel gezogen, weil die Abfindung unabhängig von einem tatsächlich erlittenen Schaden des Arbeitnehmers und einem schuldhaften Verhalten oder einer Vertragspflichtverletzung des Arbeitgebers fällig wird und der Anspruch zusätzlich zu dem Abfindungsanspruch227 besteht, welcher die rechtswidrige Kündi___________ 224

Ministry of Labour and Social Policy, Wynagrodzenia, im Internet veröffentlicht unter: http://www.mps.gov.pl/index.php?gid=439 (28.02.2007). 225 Unter Berücksichtigung eines Wechselkurses EUR Æ PLN von derzeit etwa 1 zu 3,9. 226 Cass. Soc. 04.05.1988, Dr. soc. 1989, 132; Cass. Soc. 20.10.1988, Dr. soc. 1989, 132. 227 Dazu sogleich unten unter § 5 E IV 1 a) aa), S. 193 f.

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gung des Arbeitsverhältnisses kompensieren soll.228 Nach der Auffassung von Teyssié verfolgt die Abfindung ein zweifaches Ziel: Zum einen wolle sie den Arbeitnehmer für den Verlust seines Arbeitsplatzes entschädigen, zum anderen aber auch den Arbeitgeber an der Kündigung des Arbeitsverhältnisses hindern, weil diese mit nicht unerheblichen finanziellen Verpflichtungen verbunden ist.229 Mazeaud misst ihr neben der Entschädigungsfunktion auch den Charakter einer Treueprämie zu.230 Uneinheitlich ist auch die Beurteilung der Zielrichtung des „redundancy payments“ im englischen Schrifttum. Als mögliche Zwecke werden dort die Förderung der Mobilität der Arbeitnehmer, der mittelbare Schutz des Bestands des Arbeitsverhältnisses, was auf eine kündigungshemmende Wirkung hinweist, sowie die Reduzierung der Streikhäufigkeit im Zusammenhang mit dem Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen ebenso angeführt wie eine Qualifizierung dieser Abfindung als Treueprämie.231 Eine Sonderstellung nehmen die Regelungen Österreichs und Italiens ein. So geht von dem Abfertigungsanspruch nach dem BMVG in Österreich – anders als von dem vor Inkrafttreten dieses Gesetzes maßgeblichen Abfertigungsrecht – nach der Auffassung des österreichischen Schrifttums kein auch nur mittelbarer Einfluss auf den Kündigungsschutz des Arbeitnehmers aus. Die „Abfertigung neu“ entfalte keine kündigungshemmende Wirkung232, sondern bilde nach ihrer Konzeption einen wesentlichen Bestandteil des Systems der Altersvorsorge.233 Das auslösende Moment bilde zwar ebenso wie bei der „Abfertigung alt“ die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, das BMVG habe aber den ursprünglich arbeitsrechtlichen Anspruch zu einem rein sozialrechtlichen umgewandelt.234 Dies ergebe sich zum einen daraus, dass der Arbeitnehmer nicht seinen Arbeitgeber, sondern die Mitarbeitervorsorgekasse mit dem Anspruch auf Auszahlung der Abfertigung konfrontiere. Zum anderen sei die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entrichtung der Beiträge an die Mitarbeitervorsorgekasse vom Ausspruch der Kündigung losgelöst und treffe diesen monatlich mit jeder Ent___________ 228

Zum Streitstand Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 188 f. Teyssié, Droit du travail I, Rdnr. 1275. Für eine kündigungshemmende Wirkung auch Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 189. 230 Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 533. 231 Vgl. dazu Deakin/Morris, Labour Law, S. 539; Smith/Thomas, Industrial Law, S. 449. 232 Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 577; Marhold, Sonderbeilage zu Heft 21/2003, 22; R. Schindler, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 38, 40. 233 Runggaldier, RdA 2002, 352, 352 f. 234 Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 576. Jabornegg, Resch und Strasser qualifizieren die Abfertigung als ein dem Arbeitnehmer aufgrund Gesetzes zustehendes außerordentliches Entgelt, vgl. Jabornegg/Resch/Strasser, Arbeitsrecht, Rdnr. 361. 229

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geltzahlung. Somit verliere die Abfertigung nach neuem Recht weitgehend ihren Charakter als Treueprämie, da die Anwartschaften auf die Abfertigung das einzelne Arbeitsverhältnis überdauerten.235 Beibehalten bleibe lediglich die Versorgungs- und Überbrückungsfunktion.236 Vergleichbar ist die Situation in Italien. Auch dort habe die bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses fällige Abfindung keinen auch nur entfernt kündigungsschützenden Charakter.237 Vielmehr handele es sich dabei um ein zurückgestelltes Arbeitsentgelt, das lediglich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mittels einer Arbeitgeberkündigung, aber auch bei jedem sonstigen Beendigungstatbestand fällig werde.238 Wie in Österreich setzt sich auch in Italien die Abfindung aus monatlich zurückzulegenden Teilbeträgen zusammen, 239 nur dass sich der Anspruch anders als in Österreich nicht gegen eine der Mitarbeitervorsorgekasse vergleichbare Einrichtung, sondern den Arbeitgeber richtet. Die „trattamento di fine rapporto“ sei mithin nichts anderes als eine Entlohnung aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.240 Keinen kündigungsschützenden Effekt hat die Abfindung wohl auch in Finnland. Der Abfindungsanspruch ist dort in das System der sozialen Sicherung eingebunden und richtet sich gegen einen Fonds, in den jeder Arbeitgeber Beiträge einzahlt.241 IV. Zusammenfassung Die Untersuchung der Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich einer gesetzlichen Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung, die allein an den Tatbestand der Kündigung des Arbeitsverhältnisses anknüpft, hat damit hinsichtlich deren jeweiliger Ausgestaltung, Höhe und Zweckrichtung ein äußerst vielgestaltiges Bild ergeben, das sich teilweise auch in den im deutschen Schrifttum geäußerten Reformvorschlägen widerspiegelt. Auffällig ist, dass die überwältigende Mehrzahl der EU-Staaten den „deutschen Weg“, nämlich dem Arbeitgeber bei einer rechtmäßigen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses keine gesetzliche Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung aufzuerlegen, nicht beschreitet. Zumindest bei einer betriebsbedingten ___________ 235

Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 577. Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 577. 237 Schivardi/Torrini, Temi di discussione n. 504 (2004), S. 30. 238 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 174; Bünger, EuroAS 1999, 187, 191; Schivardi/Torrini, Temi di discussione n. 504 (2004), S. 30. 239 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 174 f. 240 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 175. 241 Sigeman, in: Malmberg/Wahlgren, Nordic Labour Law, S. 257, 274. 236

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Kündigung kann ein Arbeitnehmer in der weit überwiegenden Zahl der EUStaaten eine Abfindung beanspruchen.

D. Abfindung anstelle Kündigungsschutz Die im deutschen Schrifttum diskutierten Vorschläge, vollständig auf eine gerichtliche ex-post Kontrolle der Kündigung zugunsten eines Abfindungsanspruchs des Arbeitnehmers zu verzichten,242 finden in den jeweiligen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten dagegen kein Vorbild. In sämtlichen Ländern kann der Arbeitnehmer die Kündigung mit einer Klage vor dem zuständigen Zivil- oder Arbeitsgericht angreifen. Gleichwohl führten in den letzten Jahren Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen einiger weniger Rechtsordnungen zumindest in eng umgrenzten Teilbereichen zu einem Entfall des Kündigungsschutzes, an dessen Stelle dann Abfindungszahlungen zugunsten der Arbeitnehmer getreten sind. I. Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung in Frankreich bei Neueinstellungen und Arbeitsverträgen mit Jugendlichen Insbesondere in Frankreich ist dabei der gesetzliche Kündigungsschutz in jüngster Zeit in Bewegung geraten. Eine erste Zäsur markierten die Regelungen zur Beschränkung des gesetzlichen Kündigungsschutzes für Neuverträge in kleineren Unternehmen („contrat nouvelles embauches“) vom 04.08.2005. Den vorläufigen Höhepunkt bildete das von Premier de Villepin initiierte „Gesetz zur Chancengleichheit“ („Loi pour l’égalité des chances“), das am 09.03.2006, begleitet von landesweiten heftigen Protesten, nach der Nationalversammlung auch den Senat passierte. Die Proteste richteten sich vor allem gegen eine durch das Gesetz eingeführte weitere Kategorie von Arbeitsverträgen („contrat première embauche“), bei denen der Kündigungsschutz für jugendliche Arbeitnehmer bis zu 26 Jahren bei Ersteinstellungen zwei Jahre lang ausgeschlossen werden sollte. Diese Regelungen wurden jedoch bereits kurze Zeit nach Inkrafttreten wieder aufgehoben. 1. Beschränkung des Kündigungsschutzes bei Neueinstellungen („contrat nouvelles embauches“) Grundlage der massiven Einschränkungen des Kündigungsschutzes für Neueinstellungsverträge („contrats nouvelles embauches“)243 ist eine gesetzesver___________ 242

Vgl. dazu oben unter § 4 A IV und V, S. 112 ff. Vgl. dazu im deutschen Schrifttum Kaufmann, ZESAR 2006, 192 ff.; le Friant, AuR 2006, 423, 426 ff.; Zumfelde, NZA 2005, 1398. Zur Kritik an der arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung im französischen Schrifttum vgl. Supiot, Dr. soc. 2005, 1087 ff. 243

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tretende Verordnung vom 04.08.2005.244 Art. 1 Abs. 1 Ordonnance 2005-893 ermächtigt private Arbeitgeber, sofern diese in ihren Unternehmen höchstens 20 Arbeitnehmer beschäftigen, bei der Neueinstellung eines Arbeitnehmers einen speziellen Arbeitsvertrag, den „contrat nouvelles embauches“, abzuschließen. Es handelt sich dabei um einen unbefristeten Vertrag, welcher zu seiner Wirksamkeit der Schriftform bedarf, Art. 2 Abs. 1 Ordonnance 2005-893, sonst aber – im Gegensatz etwa zu einem befristeten Arbeitsvertrag – keinerlei weiteren Voraussetzungen unterliegt.245 Innerhalb der ersten zwei Jahre des Bestehens des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dann ohne Angabe von Gründen per Einschreibebrief mit Rückschein kündigen, Art. 2 Abs. 3 Nr. 1 bis 3 Ordonnance 2005-893: Das Gesetz verpflichtet ihn lediglich zur Einhaltung einer Kündigungsfrist und – mit Ausnahme der Kündigung wegen höherer Gewalt oder eines schwerwiegenden Fehlverhaltens des Arbeitnehmers („faute grave“) – zur Zahlung einer Abfindung. Die Kündigungsfrist beläuft sich bei einer Beschäftigungsdauer von bis zu sechs Monaten auf zwei Wochen und steigt danach auf einen Monat. Art. 2 Abs. 3 Nr. 3 Ordonnance 2005-893 regelt die Höhe der Abfindung: Diese beträgt 8 % des während der Laufzeit des Arbeitsverhältnisses gezahlten Bruttoverdienstes zuzüglich pauschaler Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 2 % und entspricht damit etwa einem Monatsverdienst je Beschäftigungsjahr des Arbeitnehmers. Die Sozialabgaben sollen zweckgebunden für Wiedereingliederungsmaßnahmen zugunsten der gekündigten Arbeitnehmer verwendet werden. Weitere Abfindungsansprüche bestehen daneben nicht, insbesondere entfällt aufgrund der ausdrücklichen Anordnung des Art. 2 Abs. 2 Ordonnance 2005-893 der sonst bei grundsätzlich jeder personen-, verhaltens- oder durch wirtschaftliche Gründe bedingten Kündigung bestehende Anspruch aus Art. L 122-9 CT („indemnité de licenciement“).246 Nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitgeber erst nach einer Wartefrist von drei Monaten erneut einen „contrat nouvelles embauches“ mit dem Arbeitnehmer abschließen. Im Neueinstellungsvertrag hat die Abfindungszahlung damit innerhalb der ersten zwei Jahre des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses den Kündigungsschutz abgelöst. Die Regelungen der Ordonnance 2005-893 verfolgen dabei ein zweifaches Ziel: Der weitgehende Entfall des Kündigungsschutzes soll eine schnelle Anpassung des Arbeitgebers an den jeweiligen Arbeitskräftebedarf ermöglichen und so seine Einstellungsbereitschaft erhöhen, gleichzeitig will die Verordnung aber auch den Arbeitnehmern, welche in Kleinunternehmen bis___________ 244

Ordonnance n° 2005-893 vom 02.08.2005, in Kraft getreten am 04.08.2005, im Internet abrufbar unter: http://www.legifrance.gouv.fr (28.02.2007). 245 Roy-Loustaunau, Dr. soc. 2005, 1103, 1109. 246 Roy-Loustaunau, Dr. soc. 2005, 1103, 1113.

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lang häufig nur befristete Arbeitsverhältnisse angeboten bekamen,247 nach einer zweijährigen Bewährungszeit den nahtlosen Übergang in ein kündigungsgeschütztes unbefristetes Arbeitsverhältnis ermöglichen und so insgesamt den Abschluss und die Verbreitung unbefristeter Arbeitsverhältnisse fördern.248 Bereits in der Bewährungszeit bewirkt die Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung einen mittelbaren Schutz des Arbeitsverhältnisses, belastet sie doch den Ausspruch einer Kündigung mit zusätzlichen Kosten. Im Übrigen ist im „contrat nouvelles embauches“ der Kündigungsschutz auch nicht vollständig ausgeschlossen, sondern besteht zumindest in einigen Teilbereichen fort:249 So erklärt Art. 2 Abs. 5 Ordonnance 2005-893 das bei Massenentlassungen einschlägige Konsultationsverfahren für anwendbar, gemäß Art. 2 Abs. 6 Ordonnance 2005-893 bleibt auch der besondere Kündigungsschutz für Gewerkschafts- und Arbeitnehmervertreter aufrechterhalten. Gleiches gilt über den Verweis auf die Vorschriften des Code du travail etwa auch hinsichtlich der besonderen Kündigungsschutzbestimmungen für schwangere Arbeitnehmerinnen250 sowie hinsichtlich des bei einer Kündigung aus disziplinarischen Gründen zu beachtenden speziellen Verfahrens, Art. L 122-41 CT, das bei Nichtbeachtung unter bestimmten Voraussetzungen sogar zur Nichtigkeit der Kündigung führen kann.251 Ebenso greift auch weiterhin der durch Art. L 122-45 CT bewirkte und mit weit reichenden Beweiserleichterungen flankierte Diskriminierungsschutz des Arbeitnehmers, der im Erfolgsfall die Kündigung ebenfalls vernichtet.252 Anwendbar bleiben schließlich auch die Grundsätze des Verbots der rechtsmissbräuchlichen Kündigung.253 2. Beschränkung des Kündigungsschutzes im Ersteinstellungsvertrag („contrat première embauche“) für jugendliche Arbeitnehmer bis zu 26 Jahren Nur wenige Monate später hat die französische Regierung den Grundgedanken der Regelungen des „contrat nouvelles embauches“ wieder aufgegriffen ___________ 247

Die Voraussetzungen zum Abschluss eines befristeten Arbeitsverhältnisses („contrat à durée déterminée“) sind aber in Frankreich weitaus restriktiver als in Deutschland: Diese setzen stets das Bestehen eines sachlichen Grundes voraus und sind grundsätzlich auf höchstens 18 Monate zeitlich beschränkt, mit Auslaufen der Befristung kann der Arbeitnehmer zudem regelmäßig eine Abfindung beanspruchen („indemnité de précarité“). Vgl. dazu Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 466 ff.; Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 286 ff. 248 Roy-Loustaunau, Dr. soc. 2005, 1103, 1107. 249 Vgl. dazu auch le Friant, AuR 2006, 423, 426 f.; Zumfelde, NZA 2005, 1398. 250 Roy-Loustaunau, Dr. soc. 2005, 1103, 1116. 251 Roy-Loustaunau, Dr. soc. 2005, 1103, 1116. Ausführlich Savatier, Dr. soc. 2005, 957 ff. 252 Roy-Loustaunau, Dr. soc. 2005, 1103, 1118 f. 253 Roy-Loustaunau, Dr. soc. 2005, 1103, 1118; Savatier, Dr. soc. 2005, 957, 959.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

und mit dem „Gesetz zur Verwirklichung der Chancengleichheit“ („Loi pour l’égalité des chances“254), welches am 08.03.2006 ohne Aussprache die Nationalversammlung passierte und tags darauf vom Senat verabschiedet wurde,255 den Kündigungsschutz für Jugendliche nun unabhängig von der Unternehmensgröße ihres Arbeitgebers beschränkt.256 Dazu etablierte das Gesetz einen neuen Vertragstypus, den sog. Ersteinstellungsvertrag („contrat première embauche (CPE)“), auf den alle privaten Arbeitgeber, die in ihren Unternehmen 20 oder mehr Arbeitnehmer beschäftigen, bei der Neueinstellung eines bis zu 26 Jahre alten jugendlichen Arbeitnehmers zurückgreifen können sollten, Art. 8 Abs. 1 S. 1und 2 LEC. In seiner Ausgestaltung folgte der „contrat première embauche“ weitgehend dem „contrat nouvelles embauches“: Es handelte sich um einen unbefristeten Arbeitsvertrag, der zu seiner Wirksamkeit der Schriftform bedarf, Art. 8 Abs. 2 S. 1 und 2 LEC. Innerhalb der ersten beiden Jahre des Bestehens des Arbeitsverhältnisses konnte der Arbeitgeber dieses ohne Angaben von Gründen kündigen: Die Kündigung bedurfte dabei lediglich der Schriftform und musste den Arbeitnehmer per Einschreibebrief mit Rückschein erreichen; der Arbeitgeber hatte, außer bei höherer Gewalt oder einem schwerwiegenden Fehlverhalten des Arbeitnehmers („faute grave“) eine Kündigungsfrist von zwei Wochen einzuhalten, die sich auf einen Monat verlängerte, wenn das Arbeitsverhältnis bereits sechs Monate bestand; der Arbeitnehmer konnte eine Abfindung beanspruchen, Art. 8 Abs. 2 S. 4 LEC. Die Abfindung betrug, ebenso wie beim „contrat nouvelles embauches“, gemäß Art. 8 Abs. 2 S. 4 Nr. 3 LEC 8 % des gesamten während der Laufzeit des Arbeitsverhältnisses gezahlten Bruttoverdienstes zuzüglich pauschaler Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 2 %, welche für Maßnahmen der Arbeitsförderung zur Wiedereingliederung des Arbeitnehmers in den Arbeitsmarkt zweckgebunden waren. Doch auch im „contrat première embauche“ bestand der Kündigungsschutz zumindest partiell fort: Anwendbar blieben insbesondere die bei einer Massenentlassung zu beachtenden Verfahrensvorschriften, der besondere Kündigungsschutz für Gewerkschafts- und Arbeitnehmervertreter sowie durch den Verweis des Art. 8 Abs. 2 S. 2 LEC auf die Bestim___________ 254

Im Folgenden: LEC Die endgültige Fassung des verabschiedeten Gesetzes ist auf den Internetseiten des Senats abrufbar, vgl. http://ameli.senat.fr/publication_pl/2005-2006/242.html (28.02.2007). Zum Gesetzgebungsverfahren vgl. das entsprechende Dossier auf den Internetseiten der Nationalversammlung, http://www.assemblee-nationale.fr/12/dossiers/ egalite_chances.asp#ETAPE229985 (28.02.2007), die Regelungen für den „contrat premières embauches“ hat die Regierung am 24.01.2006 mit dem Änderungsantrag Nr. 3 (Amendement N° 3) in das Parlament eingebracht, vgl. http://www.assembleenationale.fr/12/amendements/2787/278700003.asp (28.02.2006). 256 Vgl. dazu im deutschen Schrifttum Kaufmann, ZESAR 2006, 192 ff.; le Friant, AuR 2006, 423 ff.; Zumfelde, NZA 2006, 906 f. 255

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mungen des Code du travail das besondere Verfahren einer Kündigung aus disziplinarischen Gründen und die Diskriminierungsschutzvorschriften. Nach dem anhaltenden öffentlichen Druck durch die sich landesweit ausbreitenden Proteste verlangte Staatspräsident Chirac am 31.03.2006 von der Regierung umfassende Modifikationen des Ersteinstellungsvertrages: eine Reduzierung der Bewährungszeit auf ein Jahr sowie eine Beseitigung des Rechts zur grundlosen Kündigung.257 Das Gesetz wurde dennoch zunächst am 02.04.2006 verkündet.258 Bereits am 12.04.2006 stimmte dann aber die Nationalversammlung mehrheitlich für eine ersatzlose Aufhebung des CPE zugunsten einer Ausweitung bestehender arbeitsmarktpolitischer Förderinstrumente.259 II. Gegenständlicher beschränkter Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung in Portugal, der Slowakei und Spanien Die Rechtsordnungen Portugals, der Slowakei und Spaniens sehen zwar im Gegensatz zu Frankreich keinen Ausschluss des Kündigungsschutzes vor, ermöglichen jedoch dem Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen einen Verzicht auf Kündigungsschutz gegen Abfindungszahlung. So verpflichten in Portugal die Art. 401 Abs. 1 und 3, 404, 409 CT den Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung bei Ausspruch einer Einzel- bzw. einer Kollektivkündigung aus wirtschaftlichen Gründen sowie bei einer personenbedingten Kündigung wegen fehlender Anpassung des Arbeitnehmers („inadaptação“). Nimmt der Arbeitnehmer die Abfindung an, akzeptiert er damit gleichzeitig die Kündigung, Art. 401 Abs. 4 CT. Eine ähnliche Regelung kennt seit dem 01.07.2003 auch das slowakische Arbeitsrecht. Sah bis zu diesem Zeitpunkt § 76 Abs. 2 ZP vergleichbar dem tschechischen Arbeitsrecht einen Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers bei jeder Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wirtschaftlichen Gründen oder ___________ 257

Siehe dazu die im Internet veröffentlichte Ansprache des Präsidenten vom 31.03.2006, http://www.elysee.fr/elysee/elysee.fr/francais/interventions/discours_et_declarations/2006/mars/declaration_de_m_jacques_chirac_president_de_la_republique.45 843.html (28.02.2007). Der französische Verfassungsrat hatte das Gesetz tags zuvor für verfassungskonform erklärt: Décision n° 2006-535 DC, auf den Internetseiten des Conseil constitutionnel im Volltext abrufbar, vgl. dazu http://www.conseilconstitutionnel.fr/decision/2006/2006535/2006535dc.pdf (28.02.2007). 258 Vgl. dazu die entsprechende Internet-Ausgabe des „Journal Officiel de la République Française“ unter http://www.legifrance.gouv.fr/WAspad/UnTexteDeJorf? numjo=SOCX0500298L# (28.02.2007). 259 Zum Gesetzgebungsverfahren: http://www.assemblee-nationale.fr/12/dossiers/ acces_jeunes_entreprise.asp (28.02.2007). Vorausgegangen war eine entsprechende Ankündigung des Premierministers de Villepin, vgl. dazu http://www.premierministre.gouv.fr/acteurs/interventions-premier-ministre_9/discours_498/allocutionpremier-ministre-matignon_55717.html (28.02.2007).

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wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vor, so setzt diese Norm nunmehr voraus, dass sich der Arbeitnehmer mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einverstanden erklärt, und zwar bereits vor Beginn der Kündigungsfrist. Am weitesten geht hier jedoch das spanische Kündigungsschutzrecht mit der Regelung des Art. 56 Abs. 2 E.T. Danach kann ein Arbeitgeber bereits ab Ausspruch der Kündigung bis zum Datum des Gütetermins diese ausdrücklich als rechtswidrig („improcedente“) anerkennen und dem Arbeitnehmer sofort eine Abfindung zahlen, die der Entschädigung entspricht, die er bei gerichtlicher Feststellung der Rechtswidrigkeit schulden würde. Das vorzeitige Abfindungsangebot bringt für den Arbeitgeber den Vorteil, dass dabei – anders als nach gerichtlicher Feststellung der Rechtswidrigkeit – kein Anspruch auf Annahmeverzugslohn entstehen kann. Bietet der Arbeitgeber die Abfindung an, ist der Arbeitnehmer indes nicht daran gehindert, das Angebot abzulehnen und eine Klage zu erheben. Allerdings kann er mit diesem Prozess jedenfalls bei einer rechtswidrigen Kündigung nicht mehr erreichen als die Zahlung einer Entschädigung in Höhe der vom Arbeitgeber angebotenen Abfindung zuzüglich einer Entgeltnachzahlung bis zum Tag des von dem Arbeitgeber unterbreiteten Entschädigungsangebots. Für die nichtige („nula“) Kündigung gilt diese Bestimmung nicht.260 Während dieser Abfindungsanspruch in der Slowakei mit einer Mindestsumme von zwei Monatsverdiensten, die mit einem mindestens fünfjährigen Bestehen des Arbeitsverhältnisses auf drei Monatsverdienste steigt, eher bescheiden ausfällt, beträgt die Abfindung in Portugal das Doppelte der in Deutschland durchschnittlich geleisteten Beträge: Der Arbeitgeber schuldet dort eine Abfindung in Höhe von einem Monatsverdienst je Beschäftigungsjahr, mindestens aber drei Monatsverdienste. Am umfangreichsten fällt die Abfindung in Spanien aus. Sie beträgt dort im Grundsatz 45 Tagesverdienste je Beschäftigungsjahr, maximal aber 42 Monatsverdienste, Art. 56 Abs. 1 lit. a E.T. Dabei ist die im Falle einer personen- oder betriebsbedingten Kündigung bereits gezahlte Abfindung zu verrechnen, Art. 53 Abs. 5 lit. b E.T. Allerdings ist die Abfindungshöhe bei einer Kündigung aus personen- oder betriebsbedingten Gründen nach den Bestimmungen des Real Decreto 5/2001 vom 02.03.2001, welches die Dekrete 8/1997 und 9/1997 vom 16.05.1997261 ersetzt und die dort enthaltenen Regelungen noch einmal verschärft, für einen bestimmten Arbeitnehmerkreis auf lediglich 33 Tagesverdienste je Beschäfti___________ 260

Zum Unterschied zwischen der rechtswidrigen und der nichtigen Kündigung vgl. später unten unter § 5 E IV 1 a) ff), S. 197 sowie § 5 E IV 1 e) cc), S. 202. 261 Zu diesen Alarcón, Spain: The 1997 labour reform in Spain: the April agreements; Marco/Alzaga, RIW 1997, 1015 ff.

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gungsjahr bei einem Maximalbetrag von 24 Monatsverdiensten begrenzt.262 Deren Bestimmungen, die auf alle seit Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse Anwendung finden, betreffen etwa Arbeitnehmer, die älter als 45 Jahre sind, junge Arbeitnehmer zwischen 16 und 30 Jahren, Langzeitarbeitslose mit einer Dauer der Arbeitslosigkeit von mindestens sechs Monaten sowie sämtliche Arbeitsverträge mit Frauen, die zwischen 16 und 45 Jahren alt sind.263 Ziel dieser Regelungen ist es, angesichts einer hohen Anzahl befristeter Arbeitsverhältnisse den Abschluss unbefristeter Arbeitsverträge zu fördern.264 Zu diesem Zweck räumen sie dem Arbeitgeber auch noch Vergünstigungen hinsichtlich der abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge in einem Umfang von 25 bis 60 % ein.265

E. Rechtsfolgen ungerechtfertigter und rechtswidriger Kündigungen zwischen Abfindungs- und Bestandsschutz Findet eine gerichtliche Kontrolle der Kündigung statt, so zeichnen die verschiedenen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten auch hinsichtlich der Rechtsfolgen eines erfolgreichen Kündigungsschutzprozesses ein äußerst vielgestaltiges Bild. I. Terminologische Besonderheiten Bereits im Rahmen der Vorstellung der Reformvorschläge zum deutschen Kündigungsschutzrecht wurde auf die uneinheitliche Terminologie hingewiesen:266 Gebrauchen einige Autoren den Begriff der Abfindung sowohl bezüglich der den Arbeitgeber bei einer rechtmäßigen Kündigung treffenden Zahlungspflicht als auch derjenigen, die ihm die Gerichte im Falle der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kündigung auferlegen, so unterscheiden andere angesichts der unterschiedlichen Zwecksetzungen zwischen dem Begriff der Abfindung einerseits und dem des Schadensersatzes bzw. der Entschädigung andererseits. Diese Unschärfe findet auch in den einzelnen Rechtsordnungen der EU-Staaten ihre Entsprechung. So differenziert das österreichische Kündigungsschutzrecht zwischen der „Abfertigung“, die der Arbeitnehmer bei jeder Kündigung ohne Rücksicht auf ihre Rechtmäßigkeit beanspruchen kann, einerseits und der „Kündigungsentschädigung“ nach gerichtlich festgestellter ___________ 262

Calle, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Spanien Rdnr. 76; Miguélez, Spain: Government introduces new labour market reform. 263 Calle, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Spanien Rdnr. 75; Miguélez, Spain: Government introduces new labour market reform. 264 Calle, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Spanien Rdnr. 75. 265 Calle, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Spanien Rdnr. 76. 266 Vgl. dazu oben unter § 4 D, S. 132.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

Rechtswidrigkeit der Kündigung andererseits. Gleiches trifft etwa auch auf das englische Kündigungsschutzrecht zu, das zwischen der Abfindung („severance pay“) und der Entschädigung („compensation“) unterscheidet. Diese Differenzierung tritt aber bereits im irischen Kündigungsschutzrecht nicht mehr auf, das für beide Tatbestände den Begriff der Zahlung („payment“) verwendet. Das französische Recht spricht einheitlich von einer Entschädigung („indemnité“). So verwenden auch die nachfolgenden Ausführungen für den Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers wegen gerichtlich festgestellter Rechtswidrigkeit der Kündigung die Begriffe Abfindung und Entschädigung synonym; sprechen die jeweiligen Gesetze ausdrücklich von Schadensersatz, so wird dieser Begriff verwendet. Ein vergleichbares Problem stellt sich für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis im Anschluss an die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit fortzusetzen ist. Dafür bieten sich verschiedene Regelungstechniken an: Zum einen kann das Gericht die Unwirksamkeit der Kündigung feststellen und das Arbeitsverhältnis deshalb ununterbrochen fortbestehen, wie dies etwa in Deutschland der Fall ist. In Österreich dagegen beendet zunächst auch die rechtswidrige Kündigung das Arbeitsverhältnis, jedoch wirkt das der Klage stattgebende Urteil auf den Ausspruch der Kündigung zurück und das Arbeitsverhältnis gilt als ununterbrochen wiederhergestellt, § 105 Abs. 7 ArbVG.267 Auch in England beendet die rechtswidrige Kündigung das Arbeitsverhältnis, ordnet das Gericht gemäß §§ 114 Abs. 1, 115 Abs. 1 ERA 1996 die Wiedereinstellung des Arbeitgebers auf seinen ursprünglichen Arbeitsplatz („reinstatement“) bzw. einem anderen Arbeitsplatz im Unternehmen („reengagement“) an, so müssen die Arbeitsvertragsparteien das Arbeitsverhältnis neu begründen, das im Falle einer Anordnung der „reinstatement“ freilich unter Aufrechterhaltung aller erworbener Rechte wie z.B. Entgelt oder Betriebszugehörigkeit so zu behandeln ist, als hätte es ununterbrochen fortbestanden.268 Frankreich schließlich kombiniert beide Ansätze. So können die Gerichte im Falle eines fehlerhaften Verfahrens bei der Aufstellung eines Sozialplans („plan de sauvegarde de l’emploi“, wörtlich: „Beschäftigungssicherungsplan“) und damit dessen Nichtigkeit auf Antrag des Arbeitnehmers auch die Nichtigkeit der Kündigung feststellen, das Arbeitsverhältnis ist daraufhin fortzusetzen, Art. L 122-14-4 Abs. 1 S. 3 CT. Besteht für die Kündigung hingegen kein rechtfertigender Grund („cause réelle et sérieuse“), kann das Gericht nach Maßgabe des Art. L 122-14-4 Abs. 1 S. 1 HS 2 CT den Arbeitsvertragsparteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nur vorschlagen, in diesem Fall ist das Arbeitsverhältnis neu zu begründen.269 ___________ 267

Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 485; Marhold, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 22, 24; Schöninger, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Österreich Rdnr. 144. 268 Deakin/Morris, Labour Law, S. 518 f.; Pitt, Employment Law, S. 214. 269 Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 521.

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Die folgenden Ausführungen differenzieren nicht danach, wie die einzelnen Rechtsordnungen den Anspruch des Arbeitnehmers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses rechtstechnisch umsetzen. Ist nachfolgend von einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses die Rede, so ist dies umfassend zu verstehen, ebenso bezieht sich der Terminus „Wiedereinstellung“ nicht ausschließlich auf eine Neubegründung des Arbeitsverhältnisses, sondern die tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb. II. Kündigungsschutz als Abfindungsschutz – Entschädigung anstelle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses Dabei ist zunächst den im deutschen Schrifttum verbreiteten Hinweisen nachzugehen, in zahlreichen EU-Staaten könne der Arbeitnehmer im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses lediglich eine Abfindung beanspruchen, nicht aber die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses.270 Als Belege für Rechtsordnungen, die im Falle einer ungerechtfertigten Kündigung die Rechtsfolge der Wiedereinstellung nicht kennen, tauchen regelmäßig Verweise auf Dänemark, Belgien und Finnland auf. 1. Dänemark Auf das dänische Kündigungsschutzrecht trifft dies zumindest im Grundsatz zu. Kündigt ein Arbeitgeber dort das Arbeitsverhältnis eines Angestellten, ohne dass dafür ein berechtigter Grund besteht, verpflichtet ihn § 2b Fl. zur Zahlung einer Entschädigung, deren Höhe von der Dauer des Arbeitsverhältnisses und anderen Umständen abhängt, jedoch maximal die Hälfte des während des Laufs der Kündigungsfrist zu zahlenden Entgelts und damit zwischen 0,5 und drei Monatsverdiensten beträgt, § 2b Abs. 1 S. 2 und 3 Fl. Nach zehn bzw. 15 Jahren Beschäftigungsdauer kann die Abfindung auf vier bzw. sechs Monatsverdienste steigen, § 2b Abs. 2 Fl. Spricht der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung aus, ohne dass ein wichtiger Grund vorliegt, hat er dem Arbeitnehmer gemäß § 3 Abs. 1 und 2 Fl. Schadensersatz in Höhe des während der regulären Kündigungsfrist zu zahlenden Entgelts zu leisten, zusätzlich ist der Arbeitnehmer berechtigt, den darüber hinausgehenden tatsächlich erlittenen Schaden ersetzt zu verlangen.271 Auch die Verletzung des für Arbeiter geltenden tarifvertraglichen Kündigungsschutzes führt zu einer pauschalierten Entschädigungspflicht des Arbeit___________ 270

Vgl. dazu oben einleitend zu § 5, S. 134 f. Steinrücke/Meurs-Gerken, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Dänemark Rdnr. 119. 271

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gebers, die je nach anwendbarem Kollektivvertrag erheblich differieren kann. 272 § 4 Abs. 3 lit. e Hovedaftal legt dafür einen Rahmen fest, wonach sich die Entschädigung primär an der Dauer des Arbeitsverhältnisses und anderen Begleitumständen orientieren soll, jedoch einen Betrag von 52 Wochenverdiensten nicht überschreiten darf. Außerdem ermöglicht diese Norm den Tarifvertragsparteien, anstelle der Entschädigungszahlung auch eine Wiedereinstellung des Arbeitnehmers vorzusehen. Jede Nichtbefolgung des bei Massenentlassungen zu beachtenden Verfahrens zieht ebenfalls eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung nach sich.273 Diese entspricht einem Betrag von 30 Tagesverdiensten, kündigt der Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer eines Betriebes mit mehr als 100 Arbeitnehmern, steigt die Entschädigung auf acht Wochenverdienste.274 2. Belgien Das belgische Kündigungsschutzrecht sieht im Grundsatz ebenfalls lediglich eine Entschädigungspflicht des Arbeitgebers vor. Auch wenn für die Kündigung kein rechtfertigender Grund besteht, führt diese dennoch zur rechtswirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.275 Stellt ein Gericht einen Verstoß der Kündigung eines Arbeiters gegen das in Art. 63 Abs. 1 LCT normierte Rechtsmissbrauchsverbot fest, verpflichtet Art. 63 Abs. 3 LCT den Arbeitgeber – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages – zur Zahlung einer Abfindung von sechs Monatsverdiensten. Bei der rechtsmissbräuchlichen Kündigung eines Angestellten kann dieser ebenfalls eine Entschädigung verlangen, und zwar in Höhe des tatsächlich erlittenen Schadens, für den der Angestellte darlegungs- und beweispflichtig ist.276 Besteht für die außerordentliche Kündigung kein wichtiger Grund, schuldet der Arbeitgeber eine Abfindung in Höhe des für den Lauf der einschlägigen Kündigungsfrist zu zahlenden Verdienstes, Art. 39 § 1 Abs. 1 LCT. Die zu zahlende Abfindung ist dabei für Arbeiter und Angestellte unterschiedlich, da für beide Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Kündigungsfristen einschlägig sind. Die bei der Kündigung eines Arbeiters einzuhaltende Kündigungsfrist be___________ 272

Steinrücke/Meurs-Gerken, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Dänemark Rdnr. 116. 273 Steinrücke/Meurs-Gerken, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Dänemark Rdnr. 117. 274 Steinrücke/Meurs-Gerken, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Dänemark Rdnr. 117. 275 Matray/Hübinger, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Belgien Rdnr. 154. 276 Matray/Hübinger, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Belgien Rdnr. 153.

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trägt mindestens 35 Kalendertage, wenn dieser eine Beschäftigungsdauer zwischen sechs Monaten und fünf Jahren aufweist und steigt auf bis zu 112 Kalendertage, wenn er bereits seit mehr als 20 Jahren beschäftigt ist.277 Bei der Ermittlung der Kündigungsfrist eines Angestellten ist in Abhängigkeit des Jahresverdienstes noch einmal zwischen oberen und unteren Angestellten zu differenzieren.278 Für die unteren Angestellten beträgt sie gemäß Art. 82 § 2 Abs. 1 LCT bei einer Dauer des Arbeitsverhältnisses von bis zu fünf Jahren mindestens drei Monate und steigt für jede weiteren angefangenen fünf Jahre um jeweils drei Monate an, Art. 82 § 2 Abs. 2 LCT. Arbeitgeber und obere Angestellte müssen eine Kündigungsfrist vereinbaren, die aber nicht unter der für untere Angestellte liegen darf, Art. 82 § 3 Abs. 1 und 2 LCT. So beträgt die im Falle einer rechtswidrigen außerordentlichen Kündigung zu zahlende Abfindung zwischen etwas mehr als einem Monatslohn bei einem Arbeiter, kann aber bis auf mehrere Jahresgehälter steigen, je nachdem welche Position der gekündigte Angestellte ausfüllte. Dennoch ist auch dem belgischen Kündigungsschutzrecht die Rechtsfolge der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht gänzlich unbekannt. Dies gilt zum einen dann, wenn der Arbeitgeber das bei Massenentlassungen zu beachtende Verfahren nicht befolgt hat. Ist eine auf diesen Tatbestand gestützte Klage des Arbeitnehmers begründet, so kann dieser von seinem Arbeitgeber Wiedereinstellung auf seinen Arbeitsplatz verlangen, Art. 69 § 1 LDFE. Freilich kann der Arbeitgeber auch diese Rechtsfolge gegen Zahlung einer Abfindung abwenden, Art. 69 § 2 LDFE. Daneben besteht ein Anspruch auf Wiedereinstellung auch dann, wenn der Arbeitgeber mit der Kündigung gegen ein Diskriminierungsverbot verstößt, Art. 21 § 3 LLD. Art. 21 § 4 dieses Gesetzes ermöglicht dem Arbeitgeber wiederum, die Rechtsfolge der Wiedereinstellung abzuwenden, und zwar gegen Ersatz des tatsächlich erlittenen Schadens oder der Zahlung einer Abfindung in Höhe von sechs Monatsverdiensten. 3. Finnland Tatsächlich fremd ist dem finnischen Arbeitsrecht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses; jede Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis und der Arbeitnehmer hat allenfalls Anspruch auf eine Abfindung.279 Die zentrale Bestimmung für Entschädigungsleistungen des Arbeitgebers wegen ungerechtfertigter Kündigung findet sich in Kap. 12 § 2 TA. Besteht für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses kein rechtfertigender Grund, ___________ 277

Matray/Hübinger, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Belgien Rdnr. 124. Matray/Hübinger, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Belgien Rdnr. 127. 279 Saloheimo, National Labour Law Profile: Republic of Finland; Sigeman, in: Malmberg/Wahlgren, Nordic Labour Law, S. 257, 268. 278

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ist der Arbeitgeber gemäß Abs. 1 S. 3 verpflichtet, eine Abfindung in Höhe von mindestens drei bis zu 24 Monatsentgelten zu zahlen. Bei einer ungerechtfertigten Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen kann die Abfindung auch geringer ausfallen, Kap. 12 § 2 Abs. 3 TA. Abs. 2 listet beispielhaft die zur Bemessung einschlägigen Faktoren auf: die voraussichtliche Dauer der Arbeitslosigkeit des gekündigten Arbeitnehmers und seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt, dessen Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit, die Vorgehensweise des Arbeitgebers bei Ausspruch der Kündigung, das Verhalten des Arbeitnehmers sowie die generellen Begleitumstände sowohl in der Person des Arbeitnehmers als auch des Arbeitgebers. Verletzt der Arbeitgeber bei einer Kollektivkündigung die Verpflichtung zur Verhandlung mit Arbeitnehmervertretern, schuldet er jedem einzelnen Arbeitnehmer eine Entschädigung bis zur Höhe von 20 Monatsentgelten, § 15a Abs. 1 Lyy. III. Kündigungsschutz als Bestandsschutz – Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses statt Entschädigungszahlung Dem gegenüber stehen die Rechtsordnungen, in denen ein Arbeitnehmer bei einer ungerechtfertigten oder sonst rechtswidrigen Kündigung vor Gericht ausschließlich die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses beantragen kann. Dazu zählt – neben dem deutschen – lediglich noch das österreichische Kündigungsschutzrecht, und auch dieses nicht ohne Ausnahmen. Aus der kollektivrechtlichen Natur280 des allgemeinen Kündigungsschutzes folgt eine im Vergleich zu den übrigen Mitgliedstaaten herausragende Besonderheit: In Österreich führt grundsätzlich der Betriebsrat auf Verlangen des Arbeitnehmers und nicht der von der Kündigung betroffene Arbeitnehmer den Prozess, §§ 105 Abs. 4 S. 2, 106 Abs. 2 S. 1, 3 ArbVG.281 Der Betriebsrat tritt dabei nicht als bevollmächtigter Vertreter des Arbeitnehmers auf, er hat vielmehr die Interessen der Belegschaft zu wahren. 282 Nur dann, wenn der Betriebsrat keine Stellungnahme zu der Kündigung abgegeben hat, kann der Arbeitnehmer die Kündigung gemäß § 105 Abs. 4 S. 3 ArbVG selbst anfechten. Das der Klage stattgebende Urteil wirkt auf den Ausspruch der Kündigung zurück, das Arbeitsverhältnis gilt als ununterbrochen wiederhergestellt, § 105 Abs. 7 ArbVG.283 In der Praxis führt eine Kündigungsanfechtung aber nur selten zu der gesetzlich vorgesehenen Wiedereinstellung. Die überwiegende Anzahl der ___________ 280

Dazu bereits oben unter § 5 B V, S. 158 f. Grillberger, in: Floretta/Spielbüchler/Strasser, Individualarbeitsrecht, S. 382; Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 472. 282 Grillberger, in: Floretta/Spielbüchler/Strasser, Individualarbeitsrecht, S. 382. 283 Jabornegg/Resch/Strasser, Arbeitsrecht, Rdnr. 677; Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 485; Marhold, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 22, 24; Schöninger, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Österreich Rdnr. 144. 281

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Kündigungsanfechtungsprozesse enden mit einem Prozessvergleich, in welchem die Parteien zusätzliche Abfindungszahlungen an den Arbeitnehmer vereinbaren.284 Eine gesetzliche Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung ist dem österreichischen Arbeitsrecht jedoch nicht gänzlich unbekannt. Im Falle einer unberechtigten vorzeitigen Entlassung, die der außerordentlichen Kündigung ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes in Deutschland entspricht, kann der Arbeitnehmer alternativ zum Anfechtungsrecht des Betriebsrats oder Arbeitnehmers, das gemäß § 106 Abs. 2 ArbVG im Wesentlichen den Regeln der Kündigungsanfechtung folgt, von seinem Arbeitgeber gemäß § 1162b S. 1 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs, § 29 Abs. 1 des Angestelltengesetzes, § 29 Abs. 1 S. 1 des Gutsangestelltengesetzes und § 40 Abs. 2 des Schauspielergesetzes auch die Zahlung einer so gen. Kündigungsentschädigung verlangen.285 Diese entspricht dem Entgelt, das der Arbeitgeber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist hätte zahlen müssen. Die Kündigungsentschädigung pauschaliert aber nur den Mindestschaden des Arbeitnehmers; dieser kann auch einen darüber hinausgehenden Schaden ersetzt verlangen.286 IV. Kombination von Entschädigung und Fortsetzung Das Kündigungsrecht des weit überwiegenden Teils der EU-Mitgliedstaaten kombiniert indes die beiden Konzepte Abfindungs- und Bestandsschutz. 1. Gewährleistung von Kündigungsschutz primär als Abfindungsschutz – Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nur unter Beachtung zusätzlicher Voraussetzungen In einer ersten Ländergruppe überwiegt das Prinzip des Abfindungsschutzes: Rechtsfolge eines erfolgreichen Kündigungsschutzprozesses ist vorrangig die Zahlung einer Entschädigung an den Arbeitnehmer. Einzuordnen sind in diese Gruppe alle diejenigen Länder, in denen eine Wiedereinstellung des Arbeitnehmers neben einem entsprechenden Antrag des Arbeitnehmers stets an zusätzliche Voraussetzungen, etwa einer Ermessensentscheidung des Gerichts, gebunden ist, die Rechtsfolge der Entschädigungsleistung hingegen ohne weitere Voraussetzungen lediglich an die festgestellte Rechtswidrigkeit der Kündi___________ 284

Gerlach, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 42, 43; Marhold, Sonderbeilage zu Heft 21/2003, 22, 25; R. Schindler, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 38, 40. 285 Grillberger, in: Floretta/Spielbüchler/Strasser, Individualarbeitsrecht, S. 419; Jabornegg/Resch/Strasser, Arbeitsrecht, Rdnr. 850; Karner, RdW 1998, 23; Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 539. 286 Grillberger, in: Floretta/Spielbüchler/Strasser, Individualarbeitsrecht, S. 418; Löschnigg, Arbeitsrecht, S. 535.

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gung anknüpft. Zu dieser Gruppe zählen aber auch jene Rechtsordnungen, in denen das Gericht unter identischen Voraussetzungen entweder die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers oder die Zahlung einer Entschädigung anordnen kann. Die Beispiele Englands, Irlands, oder der Niederlande zeigen in diesem Zusammenhang, dass Verurteilungen zur Wiedereinstellung des Arbeitnehmers nur eine untergeordnete Rolle spielen.287 a) Erfasste Rechtsordnungen Primär auf Zahlung einer Entschädigung gerichtet ist der Kündigungsschutz in England, Frankreich, Irland, Luxemburg, Malta, den Niederlanden, Polen sowie Spanien. aa) England und Irland Ein vielschichtiges System von Entschädigungsansprüchen normiert dabei das englische Kündigungsschutzrecht. Jede ungerechtfertigte Kündigung zieht einen Entschädigungsanspruch („compensation“) des Arbeitnehmers nach sich, § 112 Abs. 4 ERA 1996. Dieser setzt sich gemäß § 118 Abs. 1 ERA 1996 aus zwei Elementen, der Grundabfindung („basic award“) und einer zusätzlichen ausgleichenden Entschädigung („compensatory award“), zusammen. Dem Umfang nach entspricht die Grundabfindung dem Abfindungsanspruch wegen betriebsbedingter Kündigung, § 119 Abs. 1, 2 ERA 1996. In bestimmten Fällen, etwa bei der ungerechtfertigten Kündigung eines Arbeitnehmervertreters erhöht sich diese auf einen Mindestbetrag von derzeit 4.200 ǧ288, § 120 Abs. 1 ERA 1996. Die §§ 122 Abs. 1, 2, 123 Abs. 6 ERA 1996 ermöglichen dem Richter jedoch auch eine Reduzierung der Grundabfindung nach eigenem Ermessen, wenn der Arbeitnehmer ein Angebot des Arbeitgebers auf Weiterbeschäftigung ausschlägt oder ein vertragswidriges Verhalten zum Ausspruch der Kündigung ___________ 287

Dazu sogleich unten unter § 5 E IV 1 d), S. 203 ff. Obwohl auch in Schweden ein Arbeitgeber nach einer erfolgreichen Kündigungsschutzklage des Arbeitsnehmers ohne weitere Voraussetzungen anstelle der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung zahlen kann, erfolgt eine Zuordnung nicht zu dieser, sondern der Ländergruppe, deren Kündigungsschutz primär vom Prinzip des Bestandsschutzes geprägt ist. Dies liegt darin begründet, dass die Abfindung mit mindestens 16 Monatsverdiensten auch im europäischen Vergleich sehr hoch ausfällt und damit gerade eine Durchsetzung des Bestandsschutzprinzips bezweckt; vgl. dazu Gotthardt, Kündigungsschutz in Schweden, S. 380. 288 Department of Trade and Industry, Limits on payments and awards, im Internet abrufbar unter: http://www.dti.gov.uk/employment/employment-legislation/employment-guidance/page19310.html (28.02.2007). Dieser Betrag wird jährlich überprüft und angepasst.

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geführt hat. Abfindungszahlungen wegen betriebsbedingter Kündigung („redundancy payment“) werden gemäß § 122 Abs. 4 ERA 1996 angerechnet; sofern diese Abfindung höher ausfällt als der „basic award“, wird der verbleibende Rest dem „compensatory award“ in Abzug gebracht, § 123 Abs. 7 ERA 1996. Den Umfang der ausgleichenden Entschädigung regelt § 123 Abs. 1 ERA 1996. Zweck dieses Anspruchs ist ausschließlich die Kompensation tatsächlich infolge der Kündigung erlittener Verluste, nicht eine Sanktionierung des Arbeitgebers.289 Sie bezieht sich daher in erster Linie auf den Verdienstausfall, der aus dem Verlust des Arbeitsplatzes bis zum üblichen Zeitpunkt einer Neubeschäftigung resultiert, § 123 Abs. 2 ERA 1996. Die Höchstsumme beträgt derzeit 60.600 ǧ,290 auch hier erfolgt eine jährliche Anpassung und Überprüfung. Nicht umfasst von diesem Ersatzanspruch ist aber eine Kompensation für Nichtvermögensschäden, wie das House of Lords 2004 entschieden hat.291 2003/04 umfasste der „compensatory award“ durchschnittlich 3.375 ǧ.292 Einen Schadensersatzanspruch wegen Diskriminierung anhand der Merkmale Religion und Weltanschauung ordnet § 30 Abs. 1 lit. b Employment Equality (Religion or Belief) Regulations 2003 an. Das Gesetz bestimmt dabei keine Obergrenze, auch schuldet der Arbeitgeber einen Ersatz des Nichtvermögensschadens („damages for injury to feelings“), § 31 Abs. 3 Employment Equality (Religion or Belief) Regulations 2003. § 126 Abs. 2 ERA 1996 verbietet aber eine doppelte Kompensation des Schadens sowohl nach den vorgenannten Bestimmungen als auch denen des ERA 1996. Missachtet der Arbeitgeber die bei Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung gesetzlich vorgeschriebenen kollektivrechtlichen Anhörungs- und Beratungsrechte, hat er eine zusätzliche Abfindung bis zur Höhe von 90 Tagesentgelten zu zahlen, § 189 Abs. 2, 4 TULR(C)A 1992.293 Führt der Arbeitgeber das im Employment Act 2002 vorgesehene außergerichtlicher Streitschlichtungsverfahren nicht durch, kann der Arbeitnehmer, sofern das Gericht seine Wiedereinstellung anordnet, zusätzlich eine Abfindung bis zur Höhe von vier Wochenentgelten verlangen, § 112 Abs. 5 ERA 1996. Außerdem erhöht sich jede Entschädigungszahlung pauschal um 10 bis 50 %, § 31 Abs. 3 EA 2002, und die Grundabfindung („basic award“) beträgt stets mindestens vier Wochen___________ 289

Deakin/Morris, Labour Law, S. 524; Lewis/Sargeant, Employment Law, S. 272; Smith/Thomas, Industrial Law, S. 437. 290 Department of Trade and Industry, Limits on payments and awards, im Internet abrufbar unter: http://www.dti.gov.uk/employment/employment-legislation/employment-guidance/page19310.html (28.02.2007). 291 Dunnachie v Kingston upon Hull City Council [2004] ICR 1052, 1060. 292 Deakin/Morris, Labour Law, S. 530. 293 Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992.

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entgelte, § 120 Abs. 1a ERA 1996. Ein Abfindungsanspruch bis zur Höhe zweier Wochenverdienste entsteht schließlich nach Maßgabe des § 93 Abs. 2 ERA 1996 auch dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die maßgeblichen Kündigungsgründe nicht schriftlich mitteilt. Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer außerordentlich gekündigt, so hat dieser die Wahl, Schadensersatz nach den eben genannten Vorschriften („unfair dismissal claim“) oder – alternativ oder kumulativ – nach den Prinzipien des common law („wrongful dismissal claim“) zu verlangen.294 Eine „wrongful dismissal claim“ ist erfolgreich, wenn der Arbeitnehmer nachweisen kann, dass der vom Arbeitgeber behauptete Grund nicht den Ausspruch einer Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu rechtfertigen vermag, der Arbeitgeber hat unter diesen Umständen grundsätzlich nur Schadensersatz in Höhe des während der einschlägigen Kündigungsfrist zu zahlenden Entgelts zu leisten. 295 Die Höhe der in Irland vom Arbeitgeber wegen einer ungerechtfertigten Kündigung zu zahlenden Entlassungsentschädigung hängt vom Umfang des vom Arbeitnehmer erlittenen Schadens ab. Hat dieser keine finanziellen Einbußen erlitten, ist der Arbeitgeber lediglich zur Zahlung einer angemessenen Abfindung bis zur Höhe von vier Wochenverdiensten verpflichtet, § 7 Abs. 1 lit. c UDA 1977. Im Übrigen kann der Umfang des Abfindungsanspruchs eine Höhe von bis zu 104 Wochenverdiensten erreichen, § 7 Abs. 1 lit. c UDA 1977. Abs. 2 zählt die maßgeblichen Faktoren zur Bemessung der Abfindung auf: Umfang der Verantwortlichkeit für den Ausspruch der Kündigung beider Arbeitsvertragsparteien, Anwendung oder Nichtanwendung von Maßnahmen zur sozialen Ausgestaltung der Kündigung bzw. die Befolgung oder Nichtbefolgung eines kollektivvertraglich vereinbarten Kündigungsverfahrens. Staatliche Sozialleistungen wegen Arbeitslosigkeit bleiben bei der Bestimmung des Umfangs der Entschädigungszahlung unberücksichtigt, § 7 Abs. 2a UDA 1977. Die bei jeder betriebsbedingten Kündigung fällige Abfindung kann der Arbeitnehmer stets daneben beanspruchen, lediglich in den Fällen der Wiedereinstellung des Arbeitnehmers verpflichtet ihn Art. 19 UDA 1977 zur Rückzahlung. Auch in den Fällen der Kündigung, die gegen ein Diskriminierungsverbot verstößt, beträgt die Obergrenze der Entschädigungszahlung 104 Wochenverdienste, § 82 Abs. 4 Employment Equality Act 1998. In diesen Fällen kann die Abfindungszahlung diese Grenze durchaus auch erreichen, wie eine Entscheidung des Equality Tribunals vom 29.11.2004 zeigt, welches einer unter Verlet-

___________ 294 295

Smith/Thomas, Industrial Law, S. 330. Pitt, Employment Law, S. 176 ff.; Smith/Thomas, Industrial Law, S. 310 ff.

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zung eines Diskriminierungsverbots gekündigten Arbeitnehmerin eine Entschädigungszahlung in Höhe von 21.000,- Euro zuerkannte.296 Alternativ zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage nach Maßgabe der Vorschriften des Unfair Dismissals Act 1977 kann der Arbeitnehmer bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung gemäß § 15 Abs. 1 UDA 1977 auch Zahlung einer Entschädigung wegen gesetzwidriger Kündigung („wrongful dismissal“) nach den Grundsätzen des common law verlangen. Betreibt er ein entsprechendes Verfahren, versperrt ihm aber Abs. 3 sämtliche Klagebegehren des § 7 Abs. 1 UDA 1977. bb) Frankreich und Luxemburg Ein besonders komplexes und differenziertes System von Entschädigungsansprüchen sieht neben dem englischen auch das französische Arbeitsrecht vor. Den Ausgangspunkt bildet hier die Bestimmung des Art. L 122-14-4 Abs. 1 S. 1 HS 2 CT. Besteht der vom Arbeitgeber behauptete tatsächliche und ernsthafte Kündigungsgrund nicht, verpflichtet ihn diese Norm zur Zahlung einer Entschädigung („indemnité“). Gemäß S. 2 der Vorschrift darf diese nicht weniger als das Einkommen der vergangenen sechs Monate betragen. Das gilt allerdings nur unter eingeschränkten Voraussetzungen: Gehörte der Arbeitnehmer dem Unternehmen für weniger als zwei Jahre an oder beschäftigt der Arbeitgeber in der Regel weniger als elf Arbeitnehmer, kann der Arbeitnehmer gemäß Art. L 122-14-5 Abs. 2 CT nur den Ersatz des nachgewiesenen Schadens verlangen.297 Der Entschädigungsanspruch besteht dabei neben dem Anspruch auf Zahlung der bei jeder Kündigung zu zahlenden Abfindung („indemnité de licenciement“), Art. L 122-14-5 Abs. 1 S. 2 CT. Bei der Festlegung der Höhe des Schadens, den der von einer grundlosen Kündigung betroffene Arbeitnehmer erleidet, berücksichtigen die Gerichte sowohl materielle als auch immaterielle Einbußen.298 In die Schadensberechnung werden somit beispielsweise ein möglicher Lohnverlust des Arbeitnehmers, die Dauer seiner Arbeitslosigkeit, eine mögliche Weiterbeschäftigung zu schlechteren Arbeitsbedingungen, Beein___________ 296

Ms. A vs A Contract Cleaning Company, DEC-E/2004/068, im Internet veröffentlicht auf der Homepage des Equality Tribunals, http://www.equalitytribunal.ie/ index.asp?locID=90&docID=870 (28.02.2007). 297 Art. L 122-14-5 Abs. 2 CT setzt dazu das Vorliegen einer missbräuchlichen Kündigung voraus („licenciement abusif“), was immer dann der Fall ist, wenn kein die Kündigung rechtfertigender Grund („cause réelle et sérieuse“) vorliegt; vgl. dazu Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 207; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 520. 298 Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 201; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 521.

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trächtigungen in der beruflichen Karriere und etwaige psychische Belastungen, die durch den Arbeitsplatzverlust hervorgerufen wurden, einbezogen.299 Für den Fall der ungerechtfertigten Kündigung von wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit arbeitsunfähigen Arbeitnehmers steigt die Summe der Entschädigungszahlung auf mindestens zwölf Monatsverdienste, Art. L 122-32-7 Abs. 1 CT. Auch dieser Anspruch besteht neben der „indemnité spéciale de licenciement“, Art. L 122-32-7 Abs. 1 S. 2 CT. Befolgt der Arbeitgeber nicht die in Art. L 321-1-1 CT festgelegten Regeln der Sozialauswahl, erhält der Arbeitnehmer den durch die Kündigung tatsächlich entstandenen Schaden ersetzt, Art. L 122-14-4 Abs. 1 CT findet keine Anwendung.300 Auch die Nichteinhaltung des Kündigungsverfahrens, wozu insbesondere die Verpflichtung zur Durchführung des Vorgesprächs („entretien préalable“) gehört, löst eine Verpflichtung zur Zahlung einer Entlassungsentschädigung bis zur Höhe eines Monatsentgelts selbst aber auch nur dann aus, wenn ein tatsächlicher und ernsthafter Kündigungsgrund vorliegt, Art. L 122-14-4 Abs. 1 S. 1 HS 1 CT. Dieser Anspruch kann hingegen nicht neben den Schadensersatzansprüchen aus Art. L 122-14-4 Abs. 1 S. 1 HS 2, L 122-32-7 Abs. 1 CT bestehen.301 Besteht für die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in Luxemburg kein verhaltens-, personen- oder betriebsbedingter Grund oder verletzt die Kündigung sonstige gesetzliche Vorschriften, so verurteilen die Arbeitsgerichte den Arbeitgeber primär zur Zahlung einer Entschädigung, die den durch die Kündigung tatsächlich erlittenen Schaden kompensieren soll, Art. 29 Abs. 1 LCT. Hat der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung lediglich eine formelle Voraussetzung wie etwa die aus Art. 19 Abs. 1 LCT folgende Verpflichtung zur Durchführung eines Vorgespräches („entretien préalable“) nicht beachtet, schuldet er ebenfalls Schadensersatz in Höhe des tatsächlich erlittenen Schadens, der jedoch den Betrag eines Monatsverdienstes nicht übersteigen darf, Art. 29 Abs. 1 und 3 LCT. Die fehlende Beachtung der Pflicht des Arbeitgebers zur Begründung der Kündigung führt allerdings nicht nur zur formellen Rechtswidrigkeit der Kündigung, sondern dazu, dass diese ungerechtfertigt ist, Art. 22 Abs. 2 S. 2, 27 Abs. 3 LCT, und damit auch die Rechtsfolge des Art. 29 Abs. 1 LCT nach sich zieht.

___________ 299

Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 201. Str., vgl. dazu Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 626; sowie im deutschen Schrifttum Kufer, RIW 1997, 1011, 1012 f. 301 Janssen, Gebot anderweitiger Beschäftigung, S. 45; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 502; Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 416. 300

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Neben der Entschädigungszahlung aus Art. 29 Abs. 1 S. 1 LCT ist der Arbeitgeber außerdem noch zur Zahlung der gemäß Art. 24 Abs. 1 S. 1 LCT bei jeder Kündigung fälligen Abfindung verpflichtet, Art. 24 Abs. 2 S. 2 LCT. Kündigt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer außerordentlich, ohne dass ein wichtiger Grund vorliegt, schuldet er diesem eine Entschädigung in Höhe des während des Laufs der Kündigungsfrist anfallenden Entgelts, Art. 23 S. 1 LCT. cc) Malta Rechtsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers wegen ungerechtfertigter Kündigung ist in Malta § 81 Abs. 2 lit. a EIRA. Zur Bemessung des Anspruchsumfangs sind nach Maßgabe dieser Norm sowohl der tatsächlich entstandene Schaden zu berücksichtigen als auch andere Umstände einschließlich des Alters und der Qualifikation des Arbeitnehmers, welche dessen Chancen auf dem Arbeitsmarkt beeinflussen. dd) Niederlande In den Niederlanden hat ein Arbeitnehmer gemäß Art. 7:681 Abs. 1 BW Anspruch auf Zahlung einer Entlassungsentschädigung, wenn die Kündigung offensichtlich unbillig ist.302 Offensichtlich unbillig ist die Kündigung dann, wenn der Arbeitgeber ohne Angabe von Gründen oder unter vorgeschobenen Gründen ordentlich oder außerordentlich gekündigt hat, Art. 7:681 Abs. 2 lit. a BW, oder aber die Kündigung in Anbetracht der Folgen völlig unverhältnismäßig ist, Art. 7:681 Abs. 2 lit. b BW.303 Bejahen die Gerichte das Vorliegen des ersteren Tatbestandes wegen des behördlichen Zustimmungserfordernisses für die ordentliche Kündigung eher selten, kommt es verhältnismäßig häufig vor, dass die Kündigung angesichts ihrer weit reichenden Konsequenzen für den Arbeitnehmer als unbillig beurteilt wird, weil der Arbeitgeber z.B. keine outplacement-Beratung geleistet oder dem Arbeitnehmer die Zahlung einer Abfindung verweigert hat.304 Die Zahlung einer Abfindung ist allerdings keine generelle Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Arbeitgeberkündigung.305 Stellt das Gericht die Unbilligkeit der Kündigung fest, verurteilt es den Arbeitgeber zur Zahlung von Schadensersatz, dessen Höhe es nach freiem Ermessen ___________ 302

Jacobs, AuR 2003, 329; Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 162; Waas, Modell Holland, S. 55. 303 Waas, Modell Holland, S. 55. 304 Waas, Modell Holland, S. 55. 305 Waas, Modell Holland, S. 55.

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bestimmt.306 Die Richter legen bei der Bemessung des Entschädigungsanspruchs aber Kriterien wie Lebensalter des Arbeitnehmers, die Anzahl seiner Beschäftigungsjahre oder den Grad der Unangemessenheit der Beendigung zugrunde307. Im Ergebnis können die zuerkannten Beträge weit auseinander fallen.308 ee) Polen Erweist sich in Polen die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses als unwirksam oder ungerechtfertigt, so kann der Arbeitnehmer gemäß Art. 45 § 1 KP die Zahlung einer Entschädigung verlangen. 309 Diese beträgt zwischen zwei Wochen- und drei Monatsverdiensten, mindestens jedoch die Höhe des für den Lauf der Kündigungsfrist anfallenden Arbeitsentgeltes, Art. 47 KP.310 Der Anspruch besteht unabhängig von der Höhe des tatsächlich erlittenen Schadens.311 Enthält die Kündigungserklärung des Arbeitgebers keine Aussage zu den maßgeblichen Kündigungsgründen, so stellt dies einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Kündigung von Arbeitsverträgen gemäß Art. 45 § 1 KP dar, welcher die dort genannten Rechtsfolgen der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bzw. der Zahlung einer Entschädigung nach sich zieht, 312 was wohl auch daran liegt, dass sich der Arbeitgeber in einem Prozess nur auf die in dem Kündigungsschreiben angegebenen Gründe berufen kann.313 Gleiches gilt dann, wenn der Arbeitgeber die aus Art. 38 § 1 KP resultierende Verpflichtung zur Unterrichtung der Gewerkschaft verletzt.314

___________ 306

Waas, Modell Holland, S. 55 f.; Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 162. 307 Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 162. 308 Waas, Modell Holland, S. 56. 309 Mersmann, in: FAZ, Wirtschaftshandbuch Polen, Bd. 5, S. 43; Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 163; Zimoch-Tuchołka/Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 141. 310 Franek, ZfRV 2000, 161, 167; Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 163 f.; Zimoch-Tuchołka/Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 145. 311 Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 164. 312 Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 138. 313 Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 142. 314 Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 146.

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Ist eine außerordentliche Kündigung ungerechtfertigt, beträgt die vom Arbeitnehmer gewählte Entschädigungszahlung das während der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist zu zahlende Arbeitsentgelt, Art. 58 KP.315 ff) Spanien Das spanische Kündigungsschutzrecht differenziert zwischen der rechtswidrigen sowie der nichtigen Kündigung. Erklärt das Gericht die Kündigung für nichtig („nula“), so ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer wieder einzustellen, Art. 53 Abs. 5, 55 Abs. 6 E.T. Erklärt das Gericht die Kündigung für rechtswidrig („improcedente“), so kann der Arbeitgeber gemäß Art. 56 Abs. 1 E.T. innerhalb von fünf Tagen ab Zustellung des Urteils wählen, ob er den Arbeitnehmer weiterbeschäftigt oder eine gesetzlich festgelegte Entschädigung zahlt. Rechtswidrig ist eine Kündigung immer dann, wenn für diese kein rechtfertigender Grund besteht316 oder der Arbeitgeber bei einer verhaltensbedingten Kündigung das Schriftform- oder das Begründungserfordernis nicht beachtet, Art. 55 Abs. 4 S. 2 E.T. Bietet der Arbeitgeber die Entschädigungszahlung an, so gilt gemäß Art. 56 Abs. 2 E.T. das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt der Kündigung als beendet. Trifft er keine Wahl, stellt Art. 56 Abs. 3 E.T. die unwiderlegbare Vermutung einer Entscheidung für die Wiedereinstellung auf. Die Entschädigung beträgt im Grundsatz 45 Tagesverdienste je Beschäftigungsjahr, maximal aber 42 Monatsverdienste, Art. 56 Abs. 1 lit. a E.T. Dabei ist die im Falle einer personenoder betriebsbedingten Kündigung bereits gezahlte Abfindung zu verrechnen, Art. 53 Abs. 5 lit. b E.T. Nach den Bestimmungen des Real Decreto 5/2001 ist die Entschädigung für einen bestimmten Arbeitnehmerkreis auf lediglich 33 Tagesverdienste je Beschäftigungsjahr bei einer Höchstabfindung von 24 Monatsverdiensten begrenzt.317 Das Real Decreto 5/2001 findet auf alle seit Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossenen Arbeitsverhältnisse Anwendung und betrifft etwa Arbeitnehmer, die älter als 45 Jahre sind, junge Arbeitnehmer zwischen 16 und 30 Jahren, Langzeitarbeitslose mit einer Dauer der Arbeitslosig-

___________ 315

Mersmann, in: FAZ, Wirtschaftshandbuch Polen, Bd. 5, S. 43; Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 215; Zimoch-Tuchołka/Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 151. 316 Flägel, RIW 1998, 445, 448. 317 Calle, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Spanien Rdnr. 76; Miguélez, Spain: Government introduces new labour market reform. Vgl. dazu auch bereits oben unter § 5 D II, S. 182 f.

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keit von mindestens sechs Monaten sowie sämtliche Arbeitsverträge mit Frauen, die zwischen 16 und 45 Jahren alt sind.318 b) Zweck der Entschädigungszahlungen Die Abfindungsansprüche differieren dabei nicht nur in ihrer Höhe, sondern auch hinsichtlich ihrer Zwecksetzung: Sehen einige Rechtsordnungen ausschließlich einen Ersatz des tatsächlich entstandenen Schadens vor, geht es diesen Bestimmungen auch ausschließlich um eine Kompensation erlittener und in der Zukunft noch eintretender materieller oder immaterieller Schäden.319 Schuldet der Arbeitgeber wie etwa in Frankreich jedoch unabhängig von der Höhe des tatsächlich erlittenen Schadens eine Mindestabfindung, tritt neben diese Kompensations- auch eine Sanktionsfunktion: Im französischen Schrifttum ist deshalb auch von einer „pénalité civil“, also einer Privatstrafe, die Rede,320 wobei die Entschädigungszahlung die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers bereits im Vorfeld beeinflussen und den Ausspruch der Kündigung verhindern soll.321 Steigt die Abfindungshöhe dabei linear mit der Beschäftigungsdauer, etwa vergleichbar dem „basic award“ in England, an, so erhält die Abfindung auch den Charakter einer Treueprämie oder Belohnung des Arbeitnehmers für seine langjährigen Dienste.322 c) Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei der Verletzung von Kündigungsverboten oder bestimmten formellen Fehlern der Kündigung Ist der Kündigungsschutz innerhalb dieser Ländergruppe auch primär auf eine Entschädigung des Arbeitnehmers gerichtet, so sehen doch einige Rechtsordnungen für bestimmte Tatbestände eine vorrangige Verpflichtung des Arbeitgebers zur Wiedereinstellung des Arbeitnehmers vor, und zwar Frankreich, Luxemburg, Malta und die Niederlande.

___________ 318

Calle, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Spanien Rdnr. 75; Miguélez, Spain: Government introduces new labour market reform. 319 So zur Funktion des “compensatory award” in England Deakin/Morris, Labour Law, S. 524; Lewis/Sargeant, Employment Law, S. 272; Smith/Thomas, Industrial Law, S. 437. Ebenso zur “indemnité” in Frankreich Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 521. 320 Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 201; Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 436; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 521. 321 Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 361. 322 So zur Funktion des “basic award” in England Deakin/Morris, Labour Law, S. 522; Smith/Thomas, Industrial Law, S. 435.

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aa) Frankreich und Luxemburg So erklärt Art. L 122-45 Abs. 5 CT in Frankreich die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses für nichtig, wenn diese gegen eines der in Abs. 1 ausgeformten Diskriminierungsverbote verstößt, etwa wegen der Merkmale Herkunft, Rasse, Geschlecht, Alter oder sexuelle Orientierung des Arbeitnehmers. Gleiches gilt gemäß Art. L 122-45-2 Abs. 1 S. 2 CT dann, wenn der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer allein wegen dessen Beteiligung an einem Verfahren über die Verletzung von Diskriminierungsschutzvorschriften kündigt. Jedoch hat der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer ein Wahlrecht eingeräumt: Wünscht dieser die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht, spricht ihm das Gericht eine Entschädigung von mindestens sechs Monatsverdiensten zu, Art. L 122-45-2 Abs. 2 S. 1 CT. Zusätzlich hat der Arbeitnehmer auch Anspruch auf die Kündigungsabfindung nach Maßgabe des Art. L 122-9 CT. Entsprechende Kündigungsverbote, die das Gesetz bei Zuwiderhandlung mit der Rechtsfolge der Nichtigkeit sanktioniert, normiert der Code du travail auch für die Tatbestände der sexuellen Belästigung („harcèlement sexuel“), Art. L 122-46 Abs. 3 CT, sowie der sonstigen würdebeeinträchtigenden Belästigung („harcèlement moral“), Art. L 122-49 Abs. 3 CT. Nichtig ist im Übrigen gemäß Art. L 122-25-2 Abs. 2 CT regelmäßig auch die Kündigung einer schwangeren oder im Mutterschutz befindlichen Arbeitnehmerin oder die eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers, wenn dessen Krankheit auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist, Art. L 122-32-2 Abs. 3 CT. Im Falle eines fehlerhaften Sozialplanverfahrens und damit der Nichtigkeit des Sozialplans kann das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers die Kündigung für nichtig erklären und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses anordnen, Art. L 122-14-4 Abs. 1 S. 3 CT. Gemäß Art. L 122-14-4 Abs. 1 S. 5 CT hat der Arbeitgeber in diesem Falle kein Recht, die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers gegen Zahlung einer Abfindung zu verweigern. Die Durchsetzbarkeit dieses Wiedereinstellungsanspruchs des Arbeitnehmers hat eine Gesetzesänderung vom 18.01.2005 jedoch erheblich eingeschränkt:323 Nicht nur führt seitdem ein fehlerhaftes Sozialplanverfahren nicht länger automatisch zur Unwirksamkeit der Kündigung, sondern setzt eine entsprechende Anordnung des Gerichts voraus.324 Eine Verurteilung zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses scheidet gemäß Art. L 122-14-4 Abs. 1 S. 5 CT aus, wenn diese unmöglich geworden ist, etwa aufgrund einer Stilllegung des Betriebs oder der Produktionsstätte oder der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keine Arbeit entsprechend dessen arbeits___________ 323

Vgl. dazu Couturier, Dr. soc. 2005, 403 ff.; Prétot, Dr. soc. 2005, 371 ff. Aus dem deutschen Schrifttum Kalb, RdA 2005, 385. 324 Prétot, Dr. soc. 2005, 371, 372.

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vertraglicher Verpflichtung anbieten kann. Scheidet eine Wiedereinstellung des Arbeitnehmers aus, beträgt die dann zu zahlende Entschädigung mindestens einen Jahresverdienst, Art. L 122-14-4 Abs. 1 S. 5 CT. Den über diesen Mindestbetrag hinausgehenden Schaden hat der Arbeitnehmer nachzuweisen, Verurteilungen zu mehr als 18 Monatsentgelten sind aber selten.325 Ist in Luxemburg die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nichtig, muss der Arbeitgeber dieses auf Verlangen des Arbeitnehmers fortsetzen, Art. 29 Abs. 4 S. 1 LCT. Nichtigkeit ordnet etwa Art. 21 Abs. 1 S. 3 LPT im Falle der ordentlichen Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin an, Art. 7 Abs. 8 S. 1 LMFE für den Fall einer Kündigung vor Abschluss der Sozialplanverhandlungen sowie Art. 5 Abs. 3 des Gesetzes vom 26.05.2000326 bei einer Kündigung, die den gesetzlich definierten Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllt. Der solchermaßen gekündigte Arbeitnehmer kann jedoch stattdessen auch die Zahlung einer Entschädigung nach Maßgabe des Art. 29 Abs. 1 S. 1 LCT verlangen.327 bb) Malta In einem begrenzten Ausnahmefall ist auch nach dem maltesischen Kündigungsschutzrecht der Arbeitnehmer vorrangig wieder einzustellen, und zwar dann, wenn diesen der Arbeitgeber wegen Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat, die von einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit herrührt, § 36 Abs. 16 EIRA. cc) Niederlande Kündigt in den Niederlanden der Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis, ohne dass dafür eine behördliche Genehmigung vorliegt, erklärt das Gericht die Kündigung für unwirksam, wenn sich der Arbeitnehmer innerhalb von sechs Monaten auf das Fehlen der Zustimmung beruft, Art. 9 Abs. 1, 3 BBA. 328 Dem gleichgestellt sind die Fälle der Nichtbeachtung einer bei einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen ausgesprochenen behördlichen Auflage.329 Das Ar___________ 325

Ranke, Arbeitsrecht in Frankreich, Rdnr. 279. Loi du 26 mai 2000 concernant la protection contre le harcèlement sexuel à l'occasion des relations de travail et portant modification de différentes autres lois. 327 Chambre des Metiers, Le contrat du travail, S. 25, im Internet veröffentlicht unter: http://www.entreprises.public.lu/publications/gestion_courante/contrat_travail/contrat_tr avail.pdf (28.02.2007). 328 Waas, Modell Holland, S. 47. 329 Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 136. 326

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beitsverhältnis ist dann fortzusetzen, allerdings kann das Gericht gemäß Art. 7:680a BW auch auf eine so gen. Minderung in der Zeit erkennen, wonach das Arbeitsverhältnis zu einem festgelegten Zeitpunkt in der Zukunft kraft Gesetzes endet.330 Voraussetzung dafür ist, dass die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers, insbesondere die damit verbundene Lohnnachzahlung, zu unerträglichen Folgen für den Arbeitgeber führt.331 Befindet das Gericht, eine vom Arbeitgeber ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei unbegründet, hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ebenfalls wieder einzustellen und das Entgelt für die Zeit der Nichtbeschäftigung nachzahlen.332 In diesem Fall kann das Gericht den Umfang des Anspruchs auf Nachzahlung des Entgelts bis auf einen Mindestbetrag von drei Monatsverdiensten kürzen, Art. 7:680a BW.333 Primär auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist der niederländische Kündigungsschutz schließlich auch dann, wenn die Kündigung gegen ein Kündigungsverbot verstößt. Kündigungsverbote bestehen etwa bei einer Krankheit des Arbeitnehmers, solange diese weniger als zwei Jahre andauert, Art. 7:670 Abs. 1 BW, und während der Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin, Art. 7:670 Abs. 2 BW.334 Gleiches gilt für eine Kündigung, die ein Diskriminierungsverbot verletzt oder eine Maßregelung des Arbeitnehmers darstellt, weil dieser einen Diskriminierungsschutzprozess gegen seinen Arbeitgeber führt.335 In diesen Fällen hat der Arbeitnehmer nicht die Wahl zwischen seiner Wiedereinstellung und einem Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung, eine Anfechtung der Kündigung kann im Erfolgsfall nur zu einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses führen.336 dd) Polen Seine Wiedereinstellung uneingeschränkt durchsetzen kann der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen auch in Polen. Gemäß Art. 45 § 2 KP kann sich der Arbeitgeber nicht auf eine Unmöglichkeit oder Unzweckmäßig___________ 330

Waas, Modell Holland, S. 52, 164. Waas, Modell Holland, S. 164. 332 Jacobs, AuR 2003, 329, 330; Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 165; Waas, ZfA 2003, 1, 33. 333 Jacobs, AuR 2003, 329, 330. 334 Jacobs, AuR 2003, 329, 331; Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 165; Waas, Modell Holland, S. 52. 335 Jacobs, AuR 2003, 329, 331; Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 165. 336 Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 168. 331

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keit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers berufen, wenn die Kündigung wegen eines Verstoßes gegen ein Kündigungsverbot unwirksam ist, es sei denn eine Wiedereinstellung ist aufgrund der in Art. 41 KP genannten Fälle – Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Liquidation – unmöglich.337 Ein Kündigungsverbot spricht Art. 39 KP für diejenigen Arbeitnehmer aus, die von der Arbeit berechtigt fernbleiben, etwa wegen Krankheit, Erholungsurlaubs oder der Betreuung eines Kindes, und solchen, denen nicht mehr als zwei Jahre zum Erreichen des Renteneintrittsalters fehlen.338 Gleiches gilt für Arbeitnehmerinnen während der Schwangerschaft, im Mutterschafts- oder Erziehungsurlaub. 339 Bei einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen ist dieser besondere Schutz aber eingeschränkt. Der Arbeitgeber kann in diesem Fall auch den besonders geschützten Arbeitnehmer kündigen, wenn die zuständige Gewerkschaft nicht binnen zwei Wochen nach Mitteilung der Kündigungsabsicht widerspricht, Art. 10 Nr. 2 BKG. ee) Spanien Erklärt ein Gericht in Spanien eine Kündigung für nichtig („nula“), so ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer wieder einzustellen, Art. 53 Abs. 5, 55 Abs. 6 E.T. Eine Kündigung aus personen- oder betriebsbedingten Gründen ist dabei nichtig, wenn der Arbeitgeber das Schriftform- und Begründungserfordernis nicht beachtet, die Abfindung nicht bei Aushändigung der Kündigung auszahlt, die Kündigung eine Verletzung gesetzlicher Diskriminierungsverbote, öffentlicher Freiheitsrechte oder Grundrechte des Arbeitnehmers darstellt oder wenn die Kündigung während einer Schwangerschaft oder des Erziehungsurlaubs erfolgt, Art. 53 Abs. 4 E.T. Stellt ein Gericht jedoch bei einer verhaltensbedingten Kündigung eine Verletzung des Schriftform- und Begründungserfordernisses fest, erklärt dieses die Kündigung für rechtswidrig („improcendente“), Art. 55 Abs. 4 S. 2 E.T., was dem Arbeitgeber die Wahl lässt, anstelle der Wiedereinstellung des Arbeitnehmers diesem eine Entschädigung zu zahlen. Nimmt der Arbeitgeber eine Massenentlassung vor, ohne dass er vorher eine

___________ 337

Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 163. Florek, in: Richardi, Arbeitsrecht in Osteuropa, S. 23, 33; Franek, IWB 2000, Nr. 5, 255, 261; Mersmann, in: FAZ, Wirtschaftshandbuch Polen, Bd. 5, S. 42; ZimochTuchołka/Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 118. 339 Mersmann, in: FAZ, Wirtschaftshandbuch Polen, Bd. 5, S. 42; ZimochTuchołka/Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 118. 338

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behördliche Genehmigung eingeholt hat, sind diese Kündigungen ebenfalls nichtig.340 d) Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitnehmers Ist die Kündigung ungerechtfertigt, so kann der Arbeitnehmer in sämtlichen Rechtsordnungen dieser Ländergruppe anstelle der Entschädigung auch seine Wiedereinstellung beantragen. Ein durchsetzbarer Anspruch ist damit aber – abgesehen von den soeben dargestellten Ausnahmen –nicht verbunden, so dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nur eine untergeordnete Rolle spielt.341 aa) England und Irland Von äußerst geringer Bedeutung ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in der Praxis des englischen Kündigungsschutzrechts. Zwar ermöglichen §§ 114 Abs. 1, 115 Abs. 1 ERA 1996 dem Arbeitnehmer, vor Gericht einen Antrag auf Wiedereinstellung an seinem alten Arbeitsplatz („reinstatement“) oder einem anderen Arbeitsplatz im Unternehmen („reengagement“) zu stellen, doch kommen entsprechende Anordnungen in der Praxis nur selten vor, zumal diese auch nicht vollstreckbar sind.342 Deakin und Morris sprechen etwa von einer Quote von ca. 1 % aller erhobenen bzw. 5 % aller erfolgreichen Kündigungsschutzklagen, in denen die Gerichte auf eine dieser Rechtfolgen erkennen, obwohl § 112 Abs. 2 ERA 1996 bei der Aufzählung der möglichen Rechtsfolgen diese an erster Stelle nennt.343 Kommt der Arbeitgeber der vom Arbeitsgericht ausgesprochenen Anordnung auf Wiedereinstellung nicht nach, verpflichtet ihn § 117 Abs. 3 lit. b ERA 1996 zur Zahlung einer zusätzlichen Abfindung („additional award“) in Höhe von 26 bis 52 Wochenverdiensten. Unter Zugrundelegung der jährlich neu festgelegten „pay limits“ beträgt diese Abfindung noch einmal maximal 15.080 ǧ. Dieser Anspruch entfällt aber dann, wenn etwa der Arbeitgeber das Gericht davon überzeugen kann, dass eine Fort___________ 340

T. Meyer, Betriebsbedingte Kündigung in Spanien, S. 219. So für England Pitt, Employment Law, S. 215; für Frankreich: Janssen, Gebot anderweitiger Beschäftigung, S. 40; für die Niederlande: Jacobs, AuR 2003, 329; Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 163; Waas, ZfA 2003, 1, 34; ders., Modell Holland, S. 56. 342 Deakin/Morris, Labour Law, S. 519 f.; Harth/Taggart, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Großbritannien Rdnr. 58; Pitt, Employment Law, S. 215 f.; Reber/K. Noack, EuroAS 1999, 158, 159; Smith/Thomas, Industrial Law, S. 430 f.; R. Stein, FA 2003, 362, 364. 343 Deakin/Morris, Labour Law, S. 521. 341

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setzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer nicht zweckmäßig ist, § 117 Abs. 4 lit. a ERA 1996. Auch in Irland kann das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers gemäß § 7 Abs. 1 UDA 1977 anstelle der Zahlung einer Entschädigung („payment“), lit. c, entweder die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers an seinem ursprünglichen Arbeitsplatz („re-instatement“), lit. a, oder auf einem vergleichbaren Arbeitsplatz („re-engagement“), lit. b, anordnen. Gleiches gilt im Übrigen auch für eine Kündigung, die gegen ein Diskriminierungs- oder Benachteiligungsverbot verstößt, § 82 Abs. 2 Employment Equality Act 1998. Das Gesetz gewährt keiner dieser drei Varianten einen ausdrücklichen Vorrang, jedoch spricht das Employment Appeals Tribunal in den weit überwiegenden Fällen den Arbeitnehmern die Kündigungsentschädigung zu. 344 Kommt der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Wiedereinstellung nicht nach, kann der Circuit Court auf einen entsprechenden Antrag des Arbeitnehmers den Arbeitgeber stattdessen zur Zahlung einer Kündigungsentschädigung nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 lit. c UDA 1977 verpflichten, § 11 Abs. 3 lit. a UDA 1993. bb) Frankreich und Luxemburg Die Arbeitsgerichte in Frankreich können eine Wiedereinstellung des Arbeitnehmers lediglich vorschlagen, der Arbeitgeber diesen Vorschlag gegen Zahlung einer Entschädigung ablehnen, Art. L 122-14-4 Abs. 1 S. 1 HS 2 CT. Hinzu kommt eine weitere Einschränkung: Ein Arbeitsgericht darf die Wiedereinstellung eines Arbeitnehmers nach Maßgabe dieser Vorschrift nur dann vorschlagen, wenn dessen Arbeitsverhältnis seit mindestens zwei Jahren besteht und der Arbeitgeber in seinem Unternehmen regelmäßig mindestens elf Arbeitnehmer beschäftigt. Lehnt der Arbeitnehmer den Vorschlag des Gerichts ab, verliert er den Anspruch auf die Entschädigungszahlung nicht.345 Vor diesem Hintergrund unterbreiten auch die Arbeitsgerichte nur selten einen entsprechenden Vorschlag,346 so dass eine tatsächliche Wiederaufnahme der arbeitsvertraglichen Beziehungen ist in der Praxis nur selten zu beobachten ist. 347 Ist in Luxemburg die Kündigung eines Arbeitnehmers ungerechtfertigt, können die Arbeitsgerichte auf Antrag des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber auch dessen Wiedereinstellung empfehlen, Art. 29 Abs. 2 S. 1 LCT. Folge zu leisten ___________ 344

Byrne/Kennedy/Shannon/Longain, Employment Law, S. 170; Kamphoff, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Irland Rdnr. 85. 345 Ahrendt, Kündigungsschutz in Frankreich, S. 200; Reinecke, ZIAS 2000, 17. 346 Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 434; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 521. 347 Janssen, Gebot anderweitiger Beschäftigung, S. 40.

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braucht der Arbeitgeber dieser Empfehlung freilich nicht; stellt dieser jedoch den Arbeitnehmer tatsächlich nicht ein, schuldet er eine zusätzliche Entschädigungszahlung in Höhe eines Monatsverdienstes, Art. 29 Abs. 2 S. 3 LCT. cc) Malta Im maltesischen Kündigungsschutzrecht ermöglicht § 81 Abs. 1 S. 1 EIRA dem Gericht eine Anordnung zur Wiedereinstellung des Arbeitnehmers, wenn dessen Kündigung ungerechtfertigt ist, allerdings nur unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass dies mit den Grundsätzen von Treu und Glauben im Einklang steht. Bei leitenden Angestellten kommt die Rechtsfolge der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses regelmäßig nicht in Betracht, § 81 Abs. 1 S. 2 EIRA. dd) Niederlande In den Niederlanden spielt die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers wegen Ausspruchs einer offensichtlich unbilligen Kündigung eine nur untergeordnete Bedeutung. Zwar ermöglicht Art. 7:682 Abs. 1 BW den Gerichten theoretisch auch eine entsprechende Verurteilung des Arbeitnehmers, doch hat diese Rechtsfolge keine praktische Bedeutung, zumal sich der Arbeitgeber einer solchen Anordnung des Gerichts ohne weitere Voraussetzungen gegen Zahlung einer Abfindung entziehen kann und der Anspruch auf Wiedereinstellung sich so in einen Entschädigungsanspruch wandelt.348 ee) Polen Ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in Polen ungerechtfertigt oder sonst rechtswidrig, kann ein Arbeitnehmer anstelle einer Entschädigungszahlung auch seine Wiedereinstellung beantragen, Art. 45 § 1 KP.349 Gelangt das Arbeitsgericht zu dem Entschluss, dass eine Wiedereinstellung unmöglich oder auch nur unzweckmäßig ist, kann er jedoch nur die Entschädigung beanspruchen, Art. 45 § 2 KP.350 Dasselbe gilt auch für eine außerordent___________ 348

Jacobs, AuR 2003, 329; Oosterbeek, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Niederlande Rdnr. 163; Waas, ZfA 2003, 1, 34; ders., Modell Holland, S. 56. 349 Mersmann, in: FAZ, Wirtschaftshandbuch Polen, Bd. 5, S. 43; Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 163; Zimoch-Tuchołka/Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 141. 350 Mersmann, in: FAZ, Wirtschaftshandbuch Polen, Bd. 5, S. 43; Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 163; Zimoch-Tuchołka/Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 142.

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liche Kündigung, für die kein gesetzlich festgelegter wichtiger Grund besteht oder bei deren Ausspruch der Arbeitgeber gegen andere gesetzliche Vorschriften verstoßen hat, Art. 56 § 1 und § 2 KP.351 ff) Spanien Erklärt ein Gericht in Spanien eine Arbeitgeberkündigung für rechtswidrig („improcedente“), weil für diese kein rechtfertigender Grund besteht, so kann der Arbeitgeber gemäß Art. 56 Abs. 1 E.T. innerhalb von fünf Tagen ab Zustellung des Urteils frei wählen, ob er den Arbeitnehmer weiterbeschäftigt oder eine gesetzlich festgelegte Entschädigungssumme zahlt. Trifft der Arbeitgeber keine Wahl, gilt dies als Entscheidung für die Wiedereinstellung, Art. 56 Abs. 3 E.T. Nur in den Fällen der Kündigung eines Betriebsratsmitglieds oder Gewerkschaftsvertreters steht auch dem Arbeitnehmer dieses Wahlrecht zu, Art. 56 Abs. 4 E.T. e) Annahmeverzugslohn und Entschädigungszahlung Hat in Deutschland ein Arbeitsgericht die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung rechtskräftig festgestellt, so ist der Arbeitnehmer nach Maßgabe der §§ 11 KSchG, 615 S. 1 BGB verpflichtet, Annahmeverzugslohn für den Zeitraum zwischen Ablauf der Kündigungsfrist und der tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu zahlen. Dies gilt auch dann, wenn das Gericht nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 S. 1 oder 2 KSchG das Arbeitsverhältnis auf Antrag einer Partei gegen Zahlung einer Abfindung auflöst, der Anspruch auf den Annahmeverzugslohn besteht dann freilich nur bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Neben der Entschädigungszahlung kann ein Arbeitnehmer in einem der EUMitgliedstaaten dieser Ländergruppe jedoch regelmäßig nicht auch noch das Arbeitsentgelt bzw. eine entsprechende Entschädigung für den Zeitraum zwischen Auslaufen der Kündigungsfrist und rechtskräftiger Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kündigung verlangen. Etwas anders gilt nur dann, wenn die Parteien aufgrund der gerichtlichen Entscheidung das Arbeitsverhältnis ausnahmsweise fortzusetzen haben, und zwar in England,352 Frankreich,353 Ir___________ 351

Mersmann, in: FAZ, Wirtschaftshandbuch Polen, Bd. 5, S. 43; Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 214 f.; Zimoch-Tuchołka/Malinowska-Hyla, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Polen Rdnr. 149 f. 352 §§ 114 Abs. 2 lit. a, 115 Abs. 2 lit. d ERA 1996. 353 Nur für den Fall der nichtigen Kündigung (Bsp.: Verstoß gegen ein Diskriminierungsverbot, nichtiger Sozialplan), nicht aber dann, wenn die Wiedereinstellung bei ei-

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land,354 Luxemburg,355 Malta,356 den Niederlanden357 sowie in Polen358. In Spanien besteht dieser Anspruch unabhängig von der gewählten Rechtsfolge des Kündigungsschutzes.359 Dabei trifft dieser den Arbeitgeber nur bis zum Ablauf des 60. Tages nach Erhebung der Kündigungsschutzklage, für alle darüber hinausgehenden Zahlungen ist nach Maßgabe des Art. 57 Abs. 1 E.T. der Staat ersatzpflichtig. f) Zusammenfassung In acht EU-Mitgliedstaaten orientiert sich der gesetzliche Kündigungsschutz am Prinzip des Abfindungsschutzes: Diese sehen zwar auch die Rechtsfolge der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vor, ein durchsetzbarer Anspruch ist damit für den Arbeitnehmer aber regelmäßig nicht verbunden. Durchbrochen wird dieser Grundsatz bei der Kündigung besonders schutzbedürftiger Arbeitnehmer, etwa der schwangeren oder im Mutterschutz befindlichen Frauen. Auch die Verletzung eines Diskriminierungsverbots zieht häufig eine Unwirksamkeit der Kündigung verbunden mit der Rechtsfolge der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach sich, in Frankreich und Spanien reichen dafür auch bestimmte Form- oder Verfahrensverstöße aus. In der Höhe differieren die jeweiligen Entschädigungszahlungen indes erheblich. An der Spitze steht dabei das spanische ebenso wie das französische Kündigungsschutzrecht: So beträgt die in Spanien bei einer rechtswidrigen Kündigung zu zahlende Abfindung mit grundsätzlich 45 Tagesverdiensten je Beschäftigungsjahr das Dreifache der in Deutschland durchschnittlich gezahl___________ ner Kündigung ohne tatsächlichen und ernsthaften Grund nach einem entsprechenden Vorschlag des Arbeitsgerichts erfolgt; vgl. dazu Pélissier/Supiot/Jeammaud, Droit du travail, Rdnr. 440; Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 521, 523. 354 Im Falle einer Anordnung zur „reinstatement“, § 7 Abs. 1 lit. 1 UDA 1977, nicht aber automatisch bei einer Einstellung des Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz innerhalb des Unternehmens („re-engagement“), Byrne/Kennedy/Shannon/ Longain, Employment Law, S. 170. 355 Art. 29 Abs. 4 S. 1 LCT, der wie in Frankreich bei einer nichtigen Kündigung den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses anordnet. 356 Wenn das Gericht von der in § 82 Abs. 2 lit. a EIRA verankerten Möglichkeit einer rückwirkenden Anordnung Gebrauch macht, gilt wohl aber nicht dann, wenn das Gericht von vornherein nur auf eine Entschädigung erkennt. 357 Im Falle einer rechtwidrigen ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung kann das Gericht jedoch auf eine Minderung in der Zeit erkennen und so den Anspruch auf Annahmeverzugslohn begrenzen, dazu Jacobs, AuR 2003, 329, 330; Waas, Modell Holland, S. 52, 164. 358 Dort allerdings nur beschränkt in Höhe eines, höchstens zweier Monatsverdienste, dazu Nacewicz, Polnisches Arbeitsrecht, S. 165. 359 Art. 53 Abs. 5, 55 Abs. 6, 56 Abs. 1 E.T.

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ten Abfindungsbeträge. In Frankreich kann ein Arbeitnehmer bei einer ungerechtfertigten Kündigung eine Abfindung in Höhe von mindestens sechs Monatsverdiensten beanspruchen, allerdings nur unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass der Arbeitgeber in der Regel mindestens 11 Arbeitnehmer beschäftigt und der gekündigte Arbeitnehmer bei diesem seit mindestens zwei Jahren beschäftigt ist. Auf mindestens zwölf Monatsverdienste steigt dieser Betrag dann, wenn der Sozialplan nichtig ist oder der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer wegen dessen Arbeitsunfähigkeit ungerechtfertigt kündigt und diese Arbeitsunfähigkeit auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit beruht. Stets addiert sich dazu noch die obligatorische Kündigungsabfindung in Höhe von mindestens 1/10 des Monatsverdienstes für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Nur den tatsächlichen Schaden ersetzen muss der Arbeitgeber dagegen in Luxemburg und Malta, wobei sich auch in Luxemburg wieder die Kündigungsabfindung in Höhe von einem bis zu zwölf Monatsverdiensten hinzuaddiert. 2. Gewährleistung von Kündigungsschutz primär als Bestandsschutz a) Erfasste Rechtsordnungen Nach der gesetzlichen Konzeption primär auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist der Kündigungsschutz in den drei baltischen Staaten Estland (§ 117 Abs. 1 TS), Lettland (§ 124 Abs. 2 Dl.) und Litauen (Art. 297 Abs. 3 DK), in Griechenland,360 Portugal (Art. 436 Abs. 1 CT), Schweden (§§ 34 Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 LAS), der Slowakei (§ 79 Abs. 1 S. 1 ZP), Slowenien361, Tschechien (§ 69 Abs. 1 S. 1 ZP) und Ungarn (§ 100 Abs. 1 Mt.). aa) Italien Italien nimmt eine Sonderstellung ein und lässt sich nicht eindeutig dieser oder der vorher behandelten Ländergruppe zuordnen. Die Rechtsfolgen, die eine ungerechtfertigte – ordentliche oder außerordentliche – Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in Italien nach sich zieht, richten sich nämlich nach der Größe des Betriebs oder Unternehmens. Beschäftigt der Arbeitgeber in seinem Unternehmen mehr als 60 Arbeitnehmer oder mehr als 15 in einem einzelnen Betrieb oder in mehreren Betrieben ___________ 360 361

Karakatsanis, in: Kerameus/Kozyris, Greek Law, S. 247, 251. Däubler, AuR 2003, 129, 130.

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innerhalb derselben Gemeinde, hat der Arbeitnehmer gemäß Art. 18 Abs. 1 L 300/1970 einen Wiedereinstellungsanspruch auf seinen ursprünglichen Arbeitsplatz. Ob dieser vollstreckbar ist, wird unterschiedlich beurteilt.362 Die ungerechtfertigte Kündigung löst in diesem Fall das Arbeitsverhältnis nicht auf, verbreitet ist daher von einem unmittelbaren Kündigungsschutz („tutela reale“) die Rede.363 Die Bestimmungen des realen Kündigungsschutzes sind darüber hinaus unabhängig von der Größe des Betriebs oder Unternehmens einschlägig, wenn der Arbeitgeber mit der Kündigung ein Diskriminierungsverbot verletzt, Art. 3 L 108/1990.364 Art. 18 L 300/1970 findet allerdings keine Anwendung auf ohne Gewinnerzielungsabsicht tätige Tendenzunternehmen, die politischen, gewerkschaftlichen, kulturellen, bildenden oder religiösen Tätigkeiten nachgehen, Art. 4 Abs. 1 L 108/1990. Diese unterliegen den Regelungen des obligatorischen Kündigungsschutzes.365 In den letztgenannten und allen übrigen Fällen greift der so gen. obligatorische Kündigungsschutz („tutela obbligatoria“) ein: Der Arbeitgeber kann zwischen Wiedereinstellung und Zahlung einer Entschädigung wählen, jedenfalls bewirkt die ungerechtfertigte Kündigung hier eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses, Art. 8 L 604/1960.366 Welcher der beiden Ansprüche erfüllt wird, richtet sich ausschließlich nach der Wahl des Arbeitgebers;367 der Arbeitnehmer hat damit keinen Anspruch auf Wiedereinstellung, sondern nur eine Aussicht. Die Wiedereinstellung kann nur mittels Begründung eines neuen Vertrags erfolgen, während im Anwendungsbereich des realen Kündigungsschutzes das Arbeitsverhältnis ununterbrochen fortbesteht.368 Missachtet der Arbeitgeber zwingende gesetzliche Verfahrensvorschriften wie die Regelungen zu Disziplinarmaßnahmen, Art. 7 L 300/1970, oder die Verpflichtung des Art. 2 L 604/1966, die Kündigung auf Verlangen des Arbeitnehmers fristgerecht zu begründen, finden ebenfalls, abhängig von der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer, entweder die Rechtsfolgen des realen, Art. 18 L 300/1970, oder des obligatorischen Kündigungsschutzes, Art. 8 L 604/1966, Anwendung.369 ___________ 362

Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 118 ff. Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 5, 97; Nogler, AuR 2003, 321, 324; Runggaldier, DRdA 1999, 512, 514. 364 Dazu Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 112 f. 365 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 127 f. 366 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 4, 97; Nogler, AuR 2003, 321, 323 f.; Runggaldier, DRdA 1999, 512, 514. 367 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 134. 368 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 113, 134. 369 Zumindest bezüglich des Begründungserfordernisses str., dazu Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 110, 129 ff.; Runggaldier, DRdA 1999, 512, 514. 363

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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bb) Schweden Ist in Schweden die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ungerechtfertigt, ordnen dort die §§ 34 Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 LAS ebenfalls die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers an. Gemäß § 34 Abs. 1 S. 2 LAS gilt aber dann eine Ausnahme, wenn der Arbeitgeber bei einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen lediglich die gesetzlichen Vorschriften über die Sozialauswahl nicht oder nicht ausreichend beachtet hat. In diesem Fall macht sich der Arbeitgeber nach Maßgabe des § 38 LAS schadensersatzpflichtig.370 cc) Slowakei und Tschechien Gibt ein slowakisches Gericht einer Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers statt, so besteht das Arbeitsverhältnis ohne Unterbrechung fort, § 79 Abs. 1 S. 1 ZP, wenn sich der Arbeitnehmer vor Erhebung der Klage mit seinem Wiedereinstellungsverlangen zusätzlich auch an seinen Arbeitgeber gewendet hat. Unterlässt er dies, fingiert § 79 Abs. 3 lit. a ZP eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, das mit Ablauf der vom Arbeitgeber angegebenen Kündigungsfrist endet. Das Gericht ordnet gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 ZP aber auch dann nicht die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers an, wenn es zu der Überzeugung gelangt, dass von dem Arbeitgeber nicht verlangt werden kann, den Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen. Unklar ist, ob in diesem Fall der Arbeitnehmer wenigstens Anspruch auf eine Entschädigung hat. In Tschechien ist die Rechtslage gemäß § 69 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 lit. a ZP vergleichbar. Eine Ermessensentscheidung des Gerichts, von der Wiedereinstellung des Arbeitnehmers gegen Abfindungszahlung abzusehen, ist dort allerdings nicht vorgesehen. b) Ausweichmöglichkeit auf eine Entschädigungszahlung Alle diese Länder bieten den Arbeitsvertragsparteien an, unter bestimmten Voraussetzungen auf eine Entschädigungszahlung auszuweichen.

___________ 370

Gotthardt, Kündigungsschutz in Schweden, S. 285.

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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aa) Wahlrecht für Arbeitgeber und Arbeitnehmer (1) Schweden Am ehesten möglich ist dies in Schweden: Ohne weitere Voraussetzungen beachten zu müssen, können dort Arbeitgeber und Arbeitnehmer anstelle der Wiedereinstellung die Rechtsfolge der Entschädigungszahlung wählen. § 39 Abs. 1 LAS räumt dem Arbeitgeber das Recht ein, das Arbeitsverhältnis nicht fortzusetzen, sondern gegen Zahlung einer Abfindung zu beenden. Das setzt voraus, dass die Kündigung durch ein Urteil rechtskräftig für unwirksam erklärt wurde und der Arbeitgeber sich weigert, diesem Urteil Folge zu leisten.371 Die Entschädigungszahlung steigt gemäß § 39 Abs. 1 S. 2 LAS mit zunehmender Unternehmenszugehörigkeit des Arbeitnehmers an, von mindestens 16 Monatsverdiensten bei einer Beschäftigungsdauer von bis zu fünf Jahren über 24 bis hin zu 32 Monatsverdiensten, sofern der Arbeitgeber den Arbeitnehmer länger als zehn Jahre beschäftigt hat. Ist der gekündigte Arbeitnehmer älter als 60 Jahre, erhöht sich die Entschädigungszahlung sogar auf bis zu 48 Monatsverdienste. Der Arbeitnehmer kann, alternativ zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage, die Kündigung hinnehmen und hat dann nach § 38 Abs. 1 S. 1 LAS Anspruch auf eine Entschädigungszahlung, wenn die Kündigung ungerechtfertigt ist.372 Der Anspruch setzt sich gemäß § 38 Abs. 2 LAS aus einem wirtschaftlichen Schadensersatz („ekonomiskt skadestånd“), gerichtet auf Ersatz des Vermögensschadens, und einem allgemeinen Schadensersatz („allmänt skadestånd“) zur Kompensation eines erlittenen immateriellen Schadens zusammen. Anders als der Ersatzanspruch nach § 39 LAS ist der Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers nur auf Ersatz des tatsächlich infolge der ungerechtfertigten Kündigung entstandenen Schadens gerichtet, der wirtschaftliche, nicht aber der allgemeine Schadensersatz darf nach Maßgabe des § 38 Abs. 2 S. 2 LAS zudem nicht die in § 39 Abs. 1 S. 1 LAS genannten Beträge übersteigen.373 § 38 Abs. 3 LAS ermöglicht dem Gericht außerdem, den Schadensersatzanspruch aus § 38 LAS herabzusetzen oder ganz entfallen zu lassen, wenn dies angemessen ist. In Betracht kommt dies etwa dann, wenn der Arbeitnehmer seiner Schadensminderungspflicht nicht nachkommt, indem er sich eine

___________ 371

Gotthardt, Kündigungsschutz in Schweden, S. 380. Gotthardt, Kündigungsschutz in Schweden, S. 382; Nordlöf, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Schweden Rdnr. 120; Sigeman, in: Malmberg/Wahlgren, Nordic Labour Law, S. 257, 267. 373 Gotthardt, Kündigungsschutz in Schweden, S. 383 f. 372

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

andere Arbeit sucht.374 Der Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers beträgt derzeit im Durchschnitt zwischen 6.000,- und 10.000,- Euro.375 (2) Portugal, Slowakei und Ungarn In Portugal, Ungarn und eingeschränkt auch in der Slowakei hat der Arbeitnehmer die freie Wahl, anstelle der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses von seinem Arbeitgeber eine Entschädigung zu verlangen. Der Arbeitgeber hat im Gegensatz dazu nur ein Antragsrecht, welches die Gerichte jedoch nicht bindet. Ist die Kündigungsschutzklage eines Arbeitnehmers in Portugal begründet, so kann dieser zwischen den beiden Rechtsfolgen Wiedereinstellung sowie Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Entschädigung wählen, Art. 438 Abs. 1, 439 Abs. 1 CT.376 Letzteres kann auch der Arbeitgeber beantragen, wobei das Gericht seinem Antrag gemäß Art. 438 Abs. 2 CT aber nur dann stattgibt, wenn dieser höchstens zehn Arbeitnehmer beschäftigt oder einem leitenden Angestellten gekündigt hat und eine Rückkehr des Arbeitnehmers die Interessen des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers schwerwiegend beeinträchtigt.377 Nach Auskunft der Deutsch-Portugiesischen Industrie- und Handelskammer führt die Erhebung einer Kündigungsschutzklage regelmäßig zur Zahlung einer Abfindung; nur in seltenen Fällen werde der Arbeitnehmer tatsächlich weiterbeschäftigt. Löst ein Gericht das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitnehmers auf und verurteilt den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung, so beträgt diese nach dem Ermessen des Gerichts zwischen 15 und 45 Tagesverdiensten je Beschäftigungsjahr, mindestens aber drei Monatsverdienste, Art. 439 Abs. 1 und 3 CT.378 Gibt das Gericht einem entsprechenden Antrag des Arbeitgebers statt, erhöht sich die Entschädigungszahlung auf einen Betrag zwischen 30 und 60 Tagesverdiensten je Beschäftigungsjahr, zumindest jedoch auf sechs Monatsverdienste, Art. 439 Abs. 4 und 5 CT. Auch in Ungarn besteht nach Maßgabe des § 100 Abs. 4 Mt. ein voraussetzungsloses Wahlrecht des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber kann zwar ebenfalls beantragen, von einer Wiedereinstellung gegen Zahlung einer Abfindung abzusehen, jedoch geben die Gerichte diesem Antrag nur dann statt, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber nicht erwartet werden ___________ 374

Gotthardt, Kündigungsschutz in Schweden, S. 385. Nordlöf, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Schweden Rdnr. 120. 376 E. Fedtke/Böhm-Amolly, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Portugal Rdnr. 96, 103. 377 Ferreira/Lopes, Portugal: Parliament approves Labour Code. 378 E. Fedtke/Böhm-Amolly, in: Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, Portugal Rdnr. 96, 100, 103. 375

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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kann, § 100 Abs. 2 Mt.379 Verurteilen diese den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung, so beträgt diese zwischen zwei und zwölf Monatsverdienste, § 100 Abs. 4 Mt. Das Arbeitsverhältnis endet mit Rechtskraft des Urteils, § 100 Abs. 5 Mt. Kein Antragsrecht besteht gemäß § 100 Abs. 3 Mt. aber dann, wenn die Kündigung gegen ein Diskriminierungsverbot verstößt oder ihr ein Kündigungsverbot während besonderer Schutzzeiten i.S.d. § 90 Abs. 1 Mt. entgegensteht, etwa während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, die von einem Arbeitsunfall herrührt oder während Schwangerschaft und Erziehungsurlaub einer Arbeitnehmerin. Bei einer rechtswidrigen außerordentlichen Kündigung erhöht sich die Abfindung um den Betrag der nach § 95 Abs. 4 Mt. zu zahlenden Kündigungsabfindung sowie einer Kündigungsfristentschädigung in Höhe des während des Laufs der einschlägigen Kündigungsfrist zu zahlenden E ntgelts, § 100 Abs. 7 Mt. Verlangt der Arbeitnehmer in der Slowakei von seinem Arbeitgeber vor Erhebung der Kündigungsschutzklage nicht seine Wiedereinstellung, sieht § 79 ZP keinen Entschädigungsanspruch vor, da das Gesetz insoweit eine einvernehmliche Beendigung fingiert. Etwas anderes gilt nur bei einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses, in diesem Fall schuldet der Arbeitgeber eine Entschädigung in Höhe von 2 Monatsverdiensten, § 79 Abs. 4 ZP. Gelangen die Gerichte zu der Überzeugung, dass dem Arbeitgeber eine Wiedereinstellung des Arbeitnehmers nicht zugemutet werden kann, sehen diese gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 ZP von einer Anordnung der Wiedereinstellung ab; an einen entsprechenden Antrag des Arbeitgebers sind sie dabei nicht gebunden. (3) Litauen und Slowenien In Litauen und Slowenien hängt der Erfolg eines Antrags des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers, anstelle der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses eine Entschädigung zu zahlen, stets zusätzlich von einer Ermessensentscheidung des Gerichts ab. Gelangt in Litauen das Arbeitsgericht zu der Überzeugung, dass eine Wiedereinstellung des Arbeitnehmers aus wirtschaftlichen, technologischen, organisatorischen oder sonstigen Gründen nicht möglich ist oder der Arbeitnehmer bei einer Rückkehr auf seinen Arbeitsplatz einem ungünstigen Arbeitsklima ausgesetzt sein würde, so kann es den Arbeitgeber stattdessen zur Zahlung einer Entlassungsentschädigung verpflichten, Art. 297 Abs. 4 S. 1 DK. Das Ar___________ 379

Zu der vorangegangenen – verfassungswidrigen – Regelung, die den Gerichten kein Ermessen einräumte, vgl. Pajor-Bytomski, NZA 1999, 464, 468 f.

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

beitsverhältnis endet in diesem Fall mit der Rechtskraft des Urteils, Art. 297 Abs. 4 S. 2 DK. Die Entschädigungszahlung entspricht dem Umfang nach der bei einer rechtmäßigen Kündigung zu zahlenden Abfindung, Art. 140 Abs. 1 DK, und beträgt damit zwischen einem und sechs Monatsverdienste in Abhängigkeit von der Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers, zuzüglich des durchschnittlichen Verdienstes, den der Arbeitnehmer seit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zu dem Zeitpunkt des rechtskräftigen Urteils erlangt hätte, Art. 297 Abs. 4 S. 1 DK. Gemäß Art. 118 Abs. 1 und 3 ZDR können auch in Slowenien sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Entschädigung beantragen; das Gericht hat bei seiner Entscheidung die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, sonstige aus dem Arbeitsverhältnisses erwachsende Rechte sowie die nach bürgerlichem Recht zu zahlende Entschädigung zu berücksichtigen. Diese Entscheidung kann das Gericht gemäß Art. 118 Abs. 2 ZDR auch ohne einen entsprechenden Antrag treffen, wenn es zu der Überzeugung gelangt, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angesichts aller Umstände und der Interessen beider Vertragsparteien unmöglich ist. Die Voraussetzungen für eine Auflösung sind in Slowenien enger gefasst als in Deutschland nach den §§ 9, 10 KSchG, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung bildet im slowenischen Kündigungsschutzrecht daher die Ausnahme.380 Bezüglich deren Höhe nimmt Art. 118 Abs. 1 ZDR auf die nach dem bürgerlichen Recht zu zahlende Entschädigung Bezug, die auf einen Ersatz des tatsächlich erlittenen Schadens gerichtet ist. 381 bb) Wahlrecht beschränkt auf den Arbeitgeber Ist in Italien der Regelungsbereich des obligatorischen Kündigungsschutzes („tutela obbligatoria“) eröffnet, kann der Arbeitgeber frei wählen, ob er den Arbeitnehmer wieder einstellt oder ihm stattdessen eine Entschädigung („indemnità riscatoria“) zahlt, wenn die Kündigung ungerechtfertigt ist oder er zwingende Verfahrens- bzw. Formvorschriften missachtet hat, Art. 8 L 604/1960.382 Welcher der beiden Ansprüche der Arbeitgeber erfüllt, steht in seinem freien Ermessen.383 ___________ 380

Däubler, AuR 2003, 129, 130. Däubler, AuR 2003, 129, 130. 382 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 4, 97; Nogler, AuR 2003, 321, 323 f.; Runggaldier, DRdA 1999, 512, 514. 383 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 134. 381

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Entscheidet sich der Arbeitgeber für die Entschädigungszahlung, so beträgt diese – unabhängig von der Höhe des tatsächlich erlittenen Schadens384 – zwischen zweieinhalb und sechs Monatsverdienste, Art. 8 S. 1 L 604/1966. Bemessungsgrundlage bilden die Anzahl der Beschäftigten in dem betreffenden Unternehmen, die Beschäftigungsdauer des gekündigten Arbeitnehmers sowie seine während des Bestands des Arbeitsverhältnisses erbrachten Leistungen und die wirtschaftlichen Lage der Parteien. Hat das Arbeitsverhältnis länger als zehn oder 20 Jahre bestanden, steigt die Höchstgrenze auf zehn bzw. 14 Monatsentgelte, vorausgesetzt der Arbeitgeber beschäftigt insgesamt mehr als 15 Arbeitnehmer, Art. 8 S. 2 L 604/1966. cc) Wahlrecht beschränkt auf den Arbeitnehmer Keine Ausweichmöglichkeit auf Entschädigungszahlung besteht für den Arbeitgeber in Estland, Tschechien sowie in Italien, sofern die Regelungen des realen Kündigungsschutzes einschlägig sind. Besonderheiten gelten in Griechenland und Lettland. Allerdings kann in allen diesen Ländern der Arbeitnehmer anstelle seiner Wiedereinstellung eine Entschädigungszahlung verlangen. So kann ein Arbeitnehmer in Estland gemäß § 117 Abs. 2 TS auf sein Recht zur Wiedereinstellung zugunsten einer Entschädigungszahlung verzichten. Diese beträgt pauschal sechs durchschnittliche Monatsverdienste, § 117 Abs. 2 TS. In Italien hat ein Arbeitnehmer nur dann ein Wahlrecht, anstelle seiner Wiedereinstellung eine Entlassungsentschädigung zu beanspruchen, wenn die Regelungen des realen Kündigungsschutzes Anwendung finden, also in größeren Betrieben und Unternehmen. Gesetzliche Grundlage ist Art. 18 Abs. 5 S. 1 L 300/1970, der dieses Wahlrecht ausschließlich dem Arbeitnehmer vorbehält.385 Die daraufhin zu zahlende Entlassungsentschädigung beträgt nach Maßgabe dieser Norm unabhängig von der Beschäftigungsdauer des Arbeitnehmers pauschal 15 Monatsverdienste. Dazu addiert sich ein Ersatzanspruch für den infolge der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers entgangenen Verdienst, Art. 18 Abs. 4 L 300/1970, der nicht weniger als fünf Monatsverdienste betragen darf.386 Schließlich hat der Arbeitgeber gemäß Art. 18 Abs. 4 L 300/1970 auch den darüber hinausgehenden materiellen387 wie immateriellen388 Schaden zu ersetzen, sofern der Arbeitnehmer einen solchen erlitten hat und nachweisen kann. Im Schnitt beträgt diese Entschädigungszahlung – inklu___________ 384

Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 123 f.; Nogler, AuR 2003, 321, 323. Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 116. 386 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 121 f.; Nogler, AuR 2003, 321, 324. 387 Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 123 ff.; Nogler, AuR 2003, 321, 324. 388 Nogler, AuR 2003, 321, 324. 385

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

sive des Ersatzanspruchs für den entgangenen Verdienst des Arbeitnehmers – 30 Monatsverdienste.389 Eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage setzt in Tschechien ebenso wie in der Slowakei neben der Rechtswidrigkeit der Kündigung voraus, dass sich der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber gegenüber auf die Unwirksamkeit der Kündigung beruft, § 69 Abs. 1 S. 1 ZP. Unterlässt er dies, fingiert § 69 Abs. 2 lit. a ZP eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, das mit Ablauf der vom Arbeitgeber angegebenen Kündigungsfrist endet. Ein gesetzlicher Anspruch auf Zahlung einer Entlassungsentschädigung besteht dann aber nur für den Fall einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses, § 69 Abs. 2 lit. b ZP, und zwar in Höhe des Verdienstes, den der Arbeitgeber bei einer ordentlichen Kündigung während des Laufs der Kündigungsfrist hätte zahlen müssen. Das griechische Arbeitsrecht kennt keine normierten Ansprüche des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Entlassungsentschädigung, wenn die Kündigung rechtswidrig ist, der Arbeitnehmer aber keine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wünscht. Erklärt das Arbeitsgericht auf eine Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers hin die Kündigung für unwirksam, so ist das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.390 Wünscht der Arbeitnehmer gleichwohl nicht seine Wiedereinstellung, so übernimmt die bei jeder Kündigung vom Arbeitgeber zu zahlende Kündigungsabfindung die Funktion einer Entlassungsentschädigung: Der Arbeitnehmer kann von einer Klageerhebung absehen, die Kündigung hinnehmen und behält damit auch den Abfindungsanspruch. 391 Nach Auskunft der Deutsch-Griechischen Industrie- und Handelskammer spielen Kündigungsschutzklagen und Verurteilungen des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers keine bedeutende Rolle. Regelmäßig akzeptierten die Arbeitnehmer die Kündigung und zeigten sich mit der Abfindungszahlung zufrieden. Ähnlich ist die Rechtslage in Lettland; auch das dortige Recht kennt keinen Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Entlassungsentschädigung. Besteht für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses kein rechtfertigender Grund oder hat der Arbeitgeber Verfahrensvorschriften im Zusammenhang mit dem Ausspruch der Kündigung nicht beachtet, erklärt das Gericht diese gemäß § 124 Abs. 1 Dl. für unwirksam und ordnet die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers an, § 124 Abs. 2 Dl. Nach Maßgabe des § 126 Abs. 1 S. 2 Dl. kann der Arbeitnehmer allerdings auch die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses beantragen, wobei der Arbeitgeber in diesem Fall lediglich die Zahlung des Annah___________ 389

Nogler, AuR 2003, 321, 324. Karakatsanis, in: Kerameus/Kozyris, Greek Law, S. 247, 251. 391 Funck, Griechisches Arbeitsrecht, S. 58; Papadopoulou, in: Papagiannis, Griechisches Wirtschaftsrecht, 383, 410. 390

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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meverzugslohnes für die Zeit vom Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses schuldet. Daneben besteht bei einer personenoder betriebsbedingten Kündigung lediglich noch der Anspruch auf die Kündigungsabfindung. c) Verpflichtung zur Zahlung von Annahmeverzugslohn Neben dem Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bzw. der Entschädigungszahlung kennen auch die Rechtsordnungen Estlands,392 Italiens,393 Lettlands,394 Litauens,395 Portugals,396 Schwedens,397 der Slowakei,398 Sloweniens399, Tschechiens400 und Ungarns401 dem deutschen Kündigungsschutzrecht vergleichbare Regelungen zur Zahlung von Annahmeverzugslohn. d) Zusammenfassung Ergibt die Untersuchung der gesetzlichen Grundlagen des Kündigungsschutzes in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten, dass dieser in zehn, unter Berücksichtigung der Besonderheiten Italiens gar in elf Staaten als primäres Rechtsschutzziel die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausweist, zeichnet bereits eine nähere Betrachtung der gesetzlichen Bestimmungen ein anderes Bild. So kann ein Arbeitgeber in Schweden generell sowie in Italien im Anwendungsbereich des obligatorischen Kündigungsschutzes bei Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kündigung die Rechtsfolge der Wiedereinstellung des Arbeitnehmers ohne weitere Voraussetzungen und ohne Begründung zugunsten einer Entschädigungszahlung abwenden. Diese fällt freilich in Schweden mit Min___________ 392

§ 117 Abs. 1 TS. Im Anwendungsbereich des realen Kündigungsschutzes, wobei dieser den Betrag von fünf Monatsverdiensten nicht unterschreiten darf, Art. 18 Abs. 4 L 300/1970, dazu Bovenberg, Kündigung in Italien, S. 120 ff.; Nogler, AuR 2003, 321, 324. 394 § 126 Abs. 1 S. 1 und 2 Dl. 395 Art. 297 Abs. 3 und 4 DK. 396 Art. 237 Abs. 1 CT. 397 § 34 Abs. 2 LAS, dazu Gotthardt, Kündigungsschutz in Schweden, S. 380. 398 Gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 ZP ab dem Zeitpunkt, zu dem sich der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber gegenüber auf die Unwirksamkeit der Kündigung beruft. Übersteigt der demnach zu zahlende Betrag mehr als 9 Monatsverdienste, kann das Gericht den Anspruch auf Antrag des Arbeitgebers reduzieren, § 79 Abs. 2 ZP. 399 Nach Däubler, AuR 2003, 129, 130, stellen die Gerichte die „Unwirksamkeit“ der Kündigung fest, wenn für diese ein rechtfertigender Grund fehlt. 400 § 69 Abs. 1 ZP. 401 § 100 Abs. 6 Mt. 393

1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

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destbeträgen zwischen 16 und 48 Monatsverdiensten sehr hoch aus, so dass fraglich ist, ob die Arbeitgeber von ihrem Wahlrecht in großem Umfang Gebrauch machen, zumal dieser Entschädigungsanspruch wegen der fehlenden Vollstreckbarkeit des Wiedereinstellungsanspruchs den Arbeitgeber gerade dazu bewegen soll, der gerichtlichen Anordnung zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses Folge zu leisten.402 Darüber hinaus kann der Arbeitgeber in fünf weiteren Staaten, und zwar in Litauen, Portugal, der Slowakei, Slowenien und Ungarn, im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses ebenfalls die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Entschädigung beantragen, wobei der Antrag jedoch an zusätzliche Voraussetzungen gebunden ist. Seine Wiedereinstellung uneingeschränkt durchsetzen kann der Arbeitnehmer lediglich in Estland, Griechenland, Italien, soweit dort die Regelungen des realen Kündigungsschutzes einschlägig sind, in Lettland und schließlich auch in Tschechien.

F. Schlussfolgerungen auf die Rigidität des Kündigungsschutzes Die im deutschen Schrifttum verbreiteten Reformüberlegungen, den Kündigungsschutz des KSchG verstärkt als Abfindungsschutz auszugestalten, sind nicht zuletzt auch von dem Gedanken getragen, damit die Intensität des Kündigungsschutzes zu verringern. Allein aus der Entscheidung der jeweiligen Gesetzgeber der EUMitgliedstaaten, den arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz vorrangig als Abfindungsschutz zu gewährleisten, lässt sich indes noch kein Schluss auf die Rigidität des Kündigungsschutzes ableiten. Zu viele Faktoren innerhalb des Systems des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes blieben unberücksichtigt: allen voran die Frage nach der Handhabung der Tatbestände des rechtfertigenden Grundes durch die Gerichte, die Länge der bei Ausspruch einer ordentlichen Kündigung einzuhaltenden Kündigungsfristen, das Ausmaß formeller und verfahrensrechtlicher Anforderungen, welche im europäischen Vergleich äußerst stark differieren, oder die Anzahl der tatsächlich geführten Kündigungsschutzprozesse bezogen auf die gekündigten Arbeitsverhältnisse. Darüber hinaus bliebe auch die gerade im Kündigungsschutzrecht enge Verzahnung mit dem Sozialrecht unberücksichtigt, etwa die Frage, ob der Arbeitgeber wie in Frankreich, Art. L 122-14-4 Abs. 2 CT, im Anschluss an die ungerechtfertigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Erstattung der von der Arbeitslosenversicherung an den Entlassenen gezahlte Arbeitslosenunterstützung verpflichtet ist.403 ___________ 402 403

Gotthardt, Kündigungsschutz in Schweden, S. 380. Vgl. dazu Mazeaud, Droit du travail, Rdnr. 522.

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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Unterzieht man allerdings die Mitgliedstaaten einem Vergleich anhand des von der OECD im Jahr 2004 aus nunmehr 18 Einzelindikatoren ermittelten Gesamtindikators, ergibt sich folgende Rangordnung, beginnend mit dem höchsten Kündigungsschutzniveau: Portugal 3,5; Spanien 3,1; Frankreich 2,9; Griechenland 2,9; Schweden 2,6; Belgien 2,5; Deutschland 2,5; Italien 2,4; Niederlande 2,3; Österreich 2,2; Finnland 2,1; Polen 2,1; Slowakei 2,0; Tschechien 1,9; Dänemark 1,8; Ungarn 1,7; Irland 1,3; England 1,1.404 Die übrigen Staaten hat die OECD nicht in ihre Untersuchung einbezogen. Zumindest auf den ersten Blick nicht zwingend ist damit der Schluss von einem bestandsschützenden Kündigungsrecht auf ein hohes Niveau des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes. Zwar trifft diese Bewertung etwa auf Portugal, Griechenland, Schweden und Deutschland zu, doch ist auch der Kündigungsschutz in der Slowakei, Tschechien und Ungarn primär auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichtet, der von der OECD für diese Länder ermittelte Gesamtindikator jedoch vergleichsweise niedrig. Dies lässt sich zum einen damit erklären, dass die OECD bereits die Rechtsfolge der Wiedereinstellung im Vergleich zur Entschädigung stets als rigider bewertet.405 Andererseits bedeutet auch eine Präferenz für einen Abfindungsschutz nicht zwingend ein niedriges Kündigungsschutzniveau, wie das zwar an den Beispielen England und Irland festzustellen ist, die im EU-Vergleich sogar die beiden niedrigsten Gesamtindikatoren aufweisen. Frankreich jedoch, das den Kündigungsschutz ebenfalls als Abfindungsschutz gewährleistet, ist der im EU-Vergleich dritthöchste Gesamtindikator zugeordnet. Allein die Ausrichtung des Kündigungsschutzes auf einen Bestands- oder einen Abfindungsschutz sagt damit noch nichts über das Schutzniveau aus.

G. Ergebnis Der Blick in die Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten zur Konzeption des gesetzlichen Kündigungsschutzes offenbart eine große Vielfalt an Regelungsmöglichkeiten und Regelungstechniken, an denen der deutsche Gesetzgeber eine Neuausrichtung des Kündigungsrechts orientieren kann. Die in der deutschen Reformdebatte vertretenen Radikalpositionen, entweder den Be___________ 404

OECD, Employment-Outlook 2004, S. 117. OECD, Employment-Outlook 2004, S. 103. Im Einzelnen zeigt der Wert 0 dieses Einzelindikators an, dass keine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung im Anschluss an eine ungerechtfertigte Entlassung besteht; der Wert 1 sagt aus, dass Wiedereinstellungen nach einer Kündigungsklage selten sind; der Wert 2 wird vergeben, wenn eine Wiedereinstellung möglich ist, und der Wert 3 schließlich dann, wenn der Arbeitnehmer das Recht hat, seine Wiedereinstellung zu erstreiten; vgl. dazu die Erläuterungen in OECD, Employment-Outlook 1999, S. 56. 405

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1. Teil: Reform des Kündigungsschutzes

standsschutz406 oder gleich den gesamten gesetzlichen Kündigungsschutz407 durch Abfindungsansprüche zu ersetzen, finden jedoch nur in eingeschränktem Umfang ein Vorbild in den EU-Mitgliedstaaten. Sämtliche Rechtsordnungen ermöglichen dem Arbeitnehmer eine gerichtliche Überprüfung der Kündigung, die der Arbeitgeber auch nicht gegen Zahlung einer Abfindung verhindern kann. Gleichwohl haben in der jüngsten Vergangenheit einige Länder einen Reformprozess in Gang gesetzt, der zumindest partiell zu einer Verdrängung des Kündigungsschutzes durch Abfindungsansprüche geführt hat oder einen Verzicht des Arbeitnehmers auf die gerichtliche Überprüfung der Kündigung mit einer Abfindungszahlung belohnt. An erster Stelle ist dabei der Neueinstellungsvertrag („contrat nouvelles embauches“) in Frankreich zu nennen, bei dem der gesetzliche Kündigungsschutz in den ersten beiden Jahren des Bestehens des unbefristeten Arbeitsverhältnisses weitgehend ausgeschlossen ist und zur Kompensation dieser Schutzlücke ein gesetzlicher Abfindungsanspruch besteht. Das portugiesische ebenso wie das slowakische Kündigungsrecht belohnt einen Verzicht des Arbeitnehmers auf gerichtliche Überprüfung einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen mit einem Abfindungsanspruch. In Spanien schließlich kann auch der Arbeitgeber Einfluss auf die Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitnehmers nehmen, indem er eine Kündigung ausdrücklich als rechtswidrig anerkennt und dem Arbeitnehmer hierfür eine Entschädigungszahlung anbietet. Der Arbeitnehmer kann dieses Angebot zwar ausschlagen und eine Kündigungsschutzklage erheben, damit aber regelmäßig nicht mehr erreichen als eben diese Entschädigung. Lediglich drei Länder – Belgien, Dänemark und Finnland – gewährleisten Kündigungsschutz nahezu ausschließlich über Abfindungsansprüche. Am weitesten trifft dies noch auf Finnland zu, während das belgische Kündigungsrecht den Arbeitgeber immer dann doch zu einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zwingt, wenn dieser entweder das bei einer Massenentlassung einzuhaltende Verfahren missachtet hat oder die Kündigung gegen ein gesetzliches Diskriminierungsverbot verstößt. Im Übrigen kann der Querschnittsvergleich allenfalls eine leichte Präferenz der Mehrzahl der Länder für ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht feststellen. Neben den bereits erwähnten Ländern Belgien, Dänemark und Finnland gewährleisten weitere acht Staaten den Kündigungsschutz primär mittels Abfindungsansprüchen, und zwar England, Frankreich, Irland, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Polen und Spanien. Lässt man diejenigen Rechtsordnungen unberücksichtigt, in denen der Arbeitgeber nach gerichtlicher Feststellung der ___________ 406 407

Siehe dazu oben unter § 4 A II, S. 103 ff. Siehe dazu oben unter § 4 A IV, S. 112 ff.

§ 5 Abfindungsansprüche in den EU-Mitgliedstaaten

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Rechtswidrigkeit der Kündigung die Wiedereinstellung des Arbeitnehmers gegen Zahlung einer Abfindung verweigern kann, ohne dafür weitere Voraussetzungen beachten zu müssen – Schweden sowie eingeschränkt auch Italien –, so verbleiben auf der anderen Seite zehn EU-Mitgliedstaaten, die den Kündigungsschutz primär oder ausschließlich als Bestandsschutz gewährleisten. An dieser Stelle muss allerdings offen bleiben, ob sich das Bestandschutzprinzip auch in der Kündigungspraxis durchsetzen kann oder die Arbeitsvertragparteien Mittel und Wege finden, gerichtliche Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit der Kündigung mithilfe von Abfindungsansprüchen zu beenden oder gleich gar zu vermeiden. Dabei drängt sich insbesondere eine nähere Untersuchung der Kündigungspraxis in Österreich geradezu auf: Offensichtlich kann auch ein bestandsschützendes Kündigungsschutzrecht ein effizientes sein, wie ein Vergleich der Klagequoten Deutschlands und Österreich nahe legt.408 Mehrheitlich präferieren die EU-Mitgliedstaaten jedoch Abfindungsansprüche, die ohne Rücksicht auf deren Rechtswidrigkeit allein an die Kündigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfen. Außer in Belgien, Finnland, Malta, Portugal, Schweden und der Slowakei hat der Arbeitnehmer bei Aufrechterhaltung der Möglichkeit zur Anfechtung der Kündigung in sämtlichen EU-Mitgliedstaaten einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung, wenn ihm aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt wird, der freilich häufig an zusätzliche Voraussetzungen, etwa einer bestimmten Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, gebunden ist. Dass von diesem Befund ein starker Impuls auf das deutsche Kündigungsschutzrecht ausgeht, lässt sich bereits daran ablesen, dass dieser Gedanke in zahlreiche Reformüberlegungen Eingang gefunden hat. Nicht zuletzt mag darin auch eine Ursache für die im Vergleich zu Deutschland geringe Klagequote in Österreich zu suchen sein, weil der Arbeitnehmer dort bei Kündigung seines Arbeitsverhältnisses bereits kraft Gesetzes eine Abfindung beanspruchen kann und nicht erst auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage angewiesen ist, um wenigstens eine Aussicht auf eine Abfindungszahlung zu erlangen. Freilich sind dort die Auswirkungen der „Abfertigung neu“ noch nicht erforscht; sollte deren Einführung jedoch nicht zu einem signifikanten Anstieg der Klagehäufigkeit geführt haben, so bietet sich de lege ferenda eine Übertragung des Abfertigungssystems in das deutsche Recht an. Wahlweise eingebunden in das System der betrieblichen Altersversorgung leistete dieses auch einen Beitrag zu der immer stärker an Bedeutung zunehmenden privaten Altersvorsorge. Auch Italien hat diesen Schritt jüngst vollzogen.

___________ 408

Vgl. dazu oben unter § 5 B V, S. 161.

2. Teil

Die Abfindung nach § 1a KSchG – Anfang vom Ende des Bestandsschutzprinzips? In Deutschland hat die Debatte um eine Neuorientierung des Kündigungsschutzes am Prinzip des Abfindungsschutzes mit der im Zuge des „Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt“ vom 30.12.20031 erfolgten Ergänzung des KSchG um den § 1a mit dem Titel „Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung“ den Gesetzgeber zu einer ersten Reaktion veranlasst. Danach hat ein wegen dringender betrieblicher Erfordernisse gekündigter Arbeitnehmer Anspruch auf eine Abfindung in Höhe von 0,5 Monatsverdiensten für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, wenn ihn der Arbeitgeber bereits in der Kündigungserklärung darauf hinweist, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann. Die ersten konkreten Hinweise auf § 1a KSchG lieferte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung vom 14.03.2003,2 in welcher er Reformen am Arbeitsmarkt als einen wesentlichen Baustein seines Regierungsprogramms „Agenda 2010“ vorzunehmen versprach und ankündigte, eine „wahlweise Abfindungsregelung bei betriebsbedingten Kündigungen“ einführen zu wollen.3 Sowohl der dann am 06.06.2003 folgende „Referentenentwurf eines Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit als auch der entsprechende Regierungsentwurf vom 19.06.20034 enthielten bereits die Regelung § 1a KSchG in der heute geltenden Fassung. Die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens geäußerten zahlreichen kritischen Stimmen haben kein Gehör gefunden:5 Der Bundestag hat ___________ 1

BGBl. I, 3002. 32. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 14.03.2003, Pl.Pr. 15/32, S. 2479(B) – 2493(C). 3 Pl.-Prot. 15/32, S. 2485(D). 4 BR-Drs. 421/03. Im Folgenden wird ausschließlich auf den identischen Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN vom 24.06.2003, BT-Drs. 15/1204, Bezug genommen. 5 Vgl. dazu aus dem Gesetzgebungsverfahren die Stellungnahme des Bundesrates vom 11.07.2003, BR-Drs. 421/03(B), S. 2 mit Gegenäußerung der Bundesregierung vom 02.09.2003, BT-Drs. 15/1509, S. 10 sowie die Stellungnahmen der geladenen Sachverständigen und Verbände im Rahmen der vom Bundestagsausschuss für Wirt2

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

223

das Gesetz nach Durchführung eines Vermittlungsverfahrens,6 in dem § 1a KSchG aber nicht mehr zur Disposition stand, am 19.12.2003 verabschiedet, so dass dieses am 01.01.2004 in Kraft treten konnte. Unterdessen hat § 1a KSchG ein gewaltiges Echo im arbeitsrechtlichen Schrifttum ausgelöst und eine geradezu unüberschaubare Flut von Aufsätzen, Kommentierungen und Stellungnahmen hervorgebracht. Die Vorschrift ist inzwischen auch in der Rechtspraxis angekommen, erste instanzgerichtliche Urteile liegen vor,7 sogar das BAG hatte sich, wenn auch nur beiläufig, bereits mit den Auswirkungen des § 1a KSchG zu befassen.8 § 1a KSchG steht auch im Mittelpunkt der nachfolgenden Untersuchung. Die Vorschrift bietet Gelegenheit, sich erstmals auch mit den konkreten Auswirkungen der begonnenen Hinwendung des gesetzlichen Kündigungsschutzes zu Abfindungsansprüchen zu beschäftigen. Ausgehend von der dogmatisch präzisen Erfassung der Rechtsnatur des in § 1a KSchG verankerten Abfindungsanspruchs, welche grundlegende Fragestellungen der Rechtsgeschäftslehre aufwirft, sollen nachfolgend dessen Einordnung in das System des gesetzlichen Kündigungsschutzes, aber auch die Wechselwirkungen mit den insolvenz-, steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen näher beleuchtet werden. Abschließend lässt sich dann zuverlässig ermitteln, ob und wie weit § 1a KSchG auch zu einer Verdrängung des Bestandsschutzprinzips geführt hat.

___________ schaft und Arbeit am 08.09.2003 durchgeführten öffentlichen Anhörung, BT-Drs. 15(9)560. 6 BT-Drs. 15/2245. 7 LAG Kiel vom 20.04.2004, NZA-RR 2005, 30 ff.; LAG Hamm vom 07.06.2005, LAGE Nr. 1 zu § 1a KSchG; LAG Sachsen-Anhalt vom 28.09.2005. LAGE Nr. 2 zu § 1a KSchG; LAG Hamm vom 08.11.2005, LAGE Nr. 3 zu § 1a KSchG; LAG BadenWürttemberg vom 26.06.2006, LAGE Nr. 4 zu § 1a KSchG; ArbG Halberstadt vom 02.11.2004, AuA 2005, 567; ArbG Siegen vom 09.06.2005, NZA 2005, 935 f. 8 BAG vom 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972.

§ 6 Normzweck und Rechtsnatur des Abfindungsanspruchs A. Die Funktion des § 1a KSchG I. Motivation des Gesetzgebers Den Gesetzgeber haben „Gründe der Flexibilität und Praxisnähe“ bewogen, die bestehenden Regelungen des Kündigungsschutzes bei betriebsbedingter Kündigung um einen gesetzlichen Abfindungsanspruch zu ergänzen. 1 In der arbeitsrechtlichen Praxis endeten zahlreiche Kündigungsschutzklagen vor Gericht mit einem Vergleich, in dem das Arbeitsverhältnis gegen Abfindungszahlung zum Kündigungstermin beendet wird; nur in seltenen Fällen komme es zu einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.2 Die öffentliche Diskussion bewerte daher den Kündigungsschutz, der die wirklichen Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vielfach ignoriere, als realitätsfremd. 3 § 1a KSchG soll dem Abhilfe schaffen, indem er dem Arbeitnehmer eine Wahlmöglichkeit eröffnet, entweder gegen eine betriebsbedingte Kündigung gerichtlich vorzugehen oder stattdessen eine gesetzlich festgelegte Abfindung zu beanspruchen. 4 Der Arbeitnehmer müsse so nicht mehr den Umweg des Kündigungsschutzprozesses wählen, um eine Abfindung zu erhalten; für den Arbeitgeber werde das Kündigungsrecht transparenter und kalkulierbarer.5 Die Arbeitsvertragsparteien bräuchten keine Einbußen ihrer bisherigen Rechtsposition zu befürchten: Dem Arbeitnehmer bleibe unbenommen, den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend zu machen und der Arbeitgeber werde auch künftig nicht verpflichtet, bei betriebsbedingten Kündigungen stets eine Abfindung zu zahlen.6 Der Abfindungsanspruch schaffe demzufolge eine einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess. 7 § 1a KSchG werde, so die Gesetzesbegründung, zusammen mit den weiteren Änderungen des „Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt“ am Kündigungs___________ 1

BT-Drs. 15/1204, S. 2. BT-Drs. 15/1204, S. 9. 3 BT-Drs. 15/1204, S. 9. 4 BT-Drs. 15/1204, S. 2. 5 BT-Drs. 15/1204, S. 9. 6 BT-Drs. 15/1204, S. 9. 7 BT-Drs. 15/1204, S. 12. 2

§ 6 Normzweck und Rechtsnatur

225

schutz- und Befristungsrecht zu mehr Beschäftigung führen.8 Zusätzliche Beschäftigung aber lasse eine Entlastung der Arbeitslosenversicherung, höhere Beitragseinnahmen der Sozialversicherungen und Steuermehreinnahmen „in nicht zu quantifizierender Höhe“ erwarten.9 II. Normzweck § 1a KSchG bietet den Arbeitsvertragsparteien neben dem Abwicklungsvertrag ein zusätzliches Verfahren zur erleichterten außergerichtlichen Klärung der infolge einer Kündigung eingetretenen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.10 Die Regelung bezweckt damit, sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber von den Prozessrisiken eines Rechtsstreits um die Wirksamkeit der Kündigung zu befreien und Kosten zu ersparen, die diese zur Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen aufwenden müssten.11 Sie erfüllt damit auch eine Befriedungsfunktion. Der Gesetzgeber ist dabei der Auffassung, mit § 1a KSchG hierfür einen einfachen, effizienten und kostengünstigen Weg eröffnet zu haben,12 ein standardisiertes Verfahren, das einen fairen Interessenausgleich ermögliche, ohne die Arbeitsgerichte anrufen zu müssen.13 Der Vereinfachung dient die Regelung des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG, wonach der Abfindungsanspruch keine ausdrückliche Erklärung des Arbeitnehmers voraussetzt, sondern allein das Verstreichenlassen der Klagefrist. Für eine Standardisierung sorgt die von § 1a Abs. 2 KSchG getroffene Festlegung der Abfindungshöhe auf 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, so dass sich die Arbeitsvertragsparteien nicht stets erneut auf eine konkrete Abfindungssumme einigen müssen. Einen Sanktionscharakter weist der Abfindungsanspruch aber ebenso wenig auf wie eine der Sozialplanabfindung entsprechende zukunftsbezogene Vorsorge- und Überbrückungsfunktion. Der Sanktionszweck muss bereits deshalb ausscheiden, weil der Anspruch nicht an die Rechtswidrigkeit der Kündigung anknüpft, sondern auch dann entsteht, wenn diese tatsächlich sozial gerechtfertigt und rechtmäßig ist.14 Die Abfindung bildet vielmehr eine Gegenleistung des Arbeitgebers dafür, dass der Arbeitnehmer die Kündigung keiner gerichtli___________ 8

BT-Drs. 15/1204, S. 15. BT-Drs. 15/1204, S. 15. 10 BT-Drs. 15/1204, S. 12; Kraus, Abfindungen, S. 89; Quecke, RdA 2004, 86, 94; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 1. 11 BT-Drs. 15/1204, S. 9; Preis, DB 2004, 70, 75. 12 BT-Drs. 15/1204, S. 12. 13 BT-Drs. 15/1204, S. 9. 14 Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 145. 9

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

226

chen Kontrolle unterzieht.15 In ihr drücken sich eine pauschalierte Teilung des Prozessrisikos16 sowie die Vorstellung des Gesetzgebers von einem angemessenen und fairen Interessenausgleich für eine außergerichtliche Beilegung von Kündigungsstreitigkeiten aus. Bemisst sich die Höhe der Abfindung gemäß § 1a Abs. 2 S. 1 KSchG in Abhängigkeit von Monatsverdienst und Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, so bezweckt diese nicht nur eine Entschädigung für den Verzicht des Arbeitnehmers auf die richterliche Überprüfung der Kündigung, sondern auch eine Kompensation für den Verlust des mit dem Arbeitsplatz verbundenen sozialen Besitzstandes.17 Da sich die Abfindung ausschließlich in Abhängigkeit des Bestehens des Arbeitsverhältnisses errechnet, ist dieser nicht eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungs-, sondern ausschließlich eine vergangenheitsbezogene Entschädigungsfunktion immanent; sie umfasst einen umso höheren Betrag, je länger das Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit bestanden hat. Ob die vom Gesetzgeber prognostizierte Entlastung der Arbeitsgerichte ebenso wie die erhoffte Senkung der Transaktionskosten der Unternehmen, insbesondere für Rechtsberatung und Durchführung gerichtlicher Verfahren,18 eintreten, hängt letztlich entscheidend davon ab, dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer die Regelung des § 1a KSchG auch tatsächlich in Anspruch nehmen. Dies ist nur dann zu erwarten, wenn § 1a KSchG in seiner rechtstechnischen Gestaltung tatsächlich das vom Gesetzgeber beabsichtigte praxisnahe, einfache und effiziente Verfahren bereithält, das sowohl den Interessen des Arbeitgebers als auch denen des Arbeitnehmers einen angemessenen Ausgleich verschafft.

B. § 1a KSchG – ein gesetzlicher Abfindungsanspruch? Erste Schwierigkeiten treten indes bereits bei der Bestimmung der Rechtsnatur des Abfindungsanspruchs auf. Für Unklarheit sorgen die von § 1a Abs. 1 KSchG beschriebenen Verhaltensweisen der Arbeitsvertragsparteien, welche die Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs bilden: Der „Hinweis“ des Arbeitgebers in der Kündigungserklärung, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann, § 1a Abs. 1 S. 2

___________ 15

Kraus, Abfindungen, S. 38; Merz, Abfindungsanspruch, S. 192; Rolfs, ZIP 2004, 333, 342. 16 Rolfs, ZIP 2004, 333, 342. 17 Kraus, Abfindungen, S. 38; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 291. 18 BT-Drs. 15/1204, S. 15.

§ 6 Normzweck und Rechtsnatur

227

KSchG, sowie das Verstreichenlassen der Klagefrist durch den Arbeitnehmer, § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG. I. Das Meinungsspektrum des rechtswissenschaftlichen Schrifttums zwischen gesetzlichem und rechtsgeschäftlichem Abfindungsanspruch Die weit überwiegende Auffassung in der Literatur qualifiziert den „Hinweis“ des Arbeitgebers als Willenserklärung.19 Andere sehen darin eine geschäftsähnliche Handlung.20 Dem hat sich jüngst auch das LAG Hamm angeschlossen.21 Willemsen und Annuß schließlich ordnen den Hinweis des Arbeitgebers als rein tatsächliche Handlung, als Realakt ein.22 Noch breiter gefächert ist das Spektrum der Erklärungsversuche zu dem von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG geforderten Verstreichenlassen der Klagefrist durch den Arbeitnehmer. Die Bandbreite der Qualifizierungsvorschläge in der Literatur reicht dabei von „Willenserklärung“23 über „fingierte Willenserklärung“24 oder „rechtsge___________ 19

Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 5; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 4; Backmeister, in: Backmeister/Trittin/Mayer, KSchG, § 1a KSchG Rdnr. 1; Bader, NZA 2004, 65, 70; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 5; J.-H. Bauer, Sonderbeilage zu NZA Heft 18/2004, 39, 44; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Boemke/Danko, DB 2006, 2461, 2465; Däubler, NZA 2004, 177, 180; Düwell, ZTR 2004, 130, 131; Elz, BuW 2004, 388; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 2, 9; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185; Grobys, DB 2003, 2174; Kraus, Abfindungen, S. 89 ff., 102 ff.; Lakies, NJ 2004, 150, 153; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 62; Löwisch, NZA 2003, 689, 694; ders., BB 2004, 154, 157; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 4 ff.; Merz, Abfindungsanspruch, S. 77 ff.; Preis, DB 2004, 70, 71 f.; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167f; Raab, RdA 2005, 1, 3, 4; Rolfs, ZIP 2004, 333, 335; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 163 f.; von SteinauSteinrück/Hurek, ZIP 2004, 1486, 1488; Thüsing, NJW 2003, 1989, 1990; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 231; A. Wolff, BB 2004, 378; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 2. Wohl auch Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 10. 20 Hanau, ZIP 2004, 1169, 1176; Lilienfeld/Spellbrink, RdA 2005, 88, 94; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 10; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 37; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 98. Wohl auch Quecke, RdA 2004, 86, 96 („zumindest geschäftsähnliche Handlung“); ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 5, 10; ebenso Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 29. 21 LAG Hamm vom 07.06.2005, LAGE Nr. 1 zu § 1a KSchG S. 4. 22 Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182. 23 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 5; Däubler, NJW 2004, 177, 180; Elz, BuW 2004, 388, 389; Kraus, Abfindungen, S. 89 ff.; 104 ff.; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Löwisch, NZA 2003, 689, 694; ders., BB 2004, 154, 157; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 4 ff.; Merz, Abfindungsanspruch, S. 101 ff.; Preis, DB 2004, 70, 71 f.; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167g; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 163 ff.; von Steinau-Steinrück/Hurek, ZIP 2004, 1486, 1488; A. Wolff, BB 2004, 378; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 2. Wohl auch Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 4; Backmeister in: Backmeister/Trittin/Mayer, KSchG, § 1a KSchG Rdnr. 1, 6 und Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 231.

228

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

schäftsähnliche Handlung“25 bis hin zu einer Einordnung als Realakt26. Nach der Auffassung von Giesen und Besgen soll dem Verstreichenlassen der Klagefrist schließlich überhaupt kein Bedeutungsgehalt zukommen, es handele sich schlicht um „nichts“.27 Eine herrschende Meinung hat sich bislang nicht herausbilden können, der rechtsgeschäftlichen Deutung des § 1a KSchG steht die Qualifizierung als gesetzlicher Abfindungsanspruch gleichgewichtig gegenüber. Angesichts dieser Meinungsvielfalt liegt es nahe, den Streit um die dogmatische Einordnung des Abfindungsanspruchs als Glasperlenspiel abzutun und sich stattdessen den einzelnen Tatbestandsmerkmalen zuzuwenden. Doch stellen sich mit der Bestimmung der Rechtsnatur des Abfindungsanspruchs entscheidende Weichen. Viele Auslegungsfragen lassen sich nur dann zutreffend beantworten, wenn Klarheit darüber geschaffen ist, ob auf den Abfindungsanspruch die Regelungen der Rechtsgeschäftslehre Anwendung finden oder nicht. II. Der Unterschied zwischen Willenserklärung, rechtsgeschäftsähnlicher Handlung und Realakt Unter einem Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand zu verstehen, der mindestens eine Willenserklärung enthält und dessen Zweck es ist, eine privatrechtliche Rechtsfolge herbeizuführen.28 Die mit dem Rechtsgeschäft angestrebte Rechtsfolge tritt in erster Linie nicht deshalb ein, weil die Rechtsordnung dies so vorsieht, sondern weil derjenige, der das Rechtsgeschäft vornimmt, die Rechtsfolge herbeiführen will.29 Das Gesetz ordnet zwar die Geltung der Rechtsfolge an, ___________ 24

Boemke/Danko, DB 2006, 2461, 2465; Düwell, ZTR 2004, 130, 132; Rolfs, ZIP 2004, 333, 337. Wohl auch J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77, anders aber J.-H. Bauer, Sonderbeilage zu NZA Heft 18/2004, 39, 44 („analoge Anwendung des § 151 S. 1 BGB“). Unklar Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 62, der das Verstreichenlassen der Klagefrist sowohl als Annahme gemäß § 151 BGB qualifiziert, im gleichen Atemzug aber ausführt, das Untätigbleiben des Arbeitnehmers werde von Gesetzes wegen als Annahmeerklärung behandelt. 25 Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 31. 26 Bader, NZA 2004, 65, 70; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 5; S. Fiebig, in: HaKoKSchG, § 1a Rdnr.13; Grobys, DB 2003, 2174; Hanau, ZIP 2004, 1169, 1176; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 28; Lilienfeld/Spellbrink, RdA 2005, 88, 94; Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 5; Raab, RdA 2005, 1, 4; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 37; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182. So wohl auch Altenburg/Reufels/Leister, NZA 2006, 71, 73; Hümmerich, NJW 2004, 2921, 2922; ders., SAE 2005, 100; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 99. 27 Giesen/Besgen, NJW 2004, 185. 28 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 395, 398; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 96; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 22 Rdnr. 3. 29 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 395; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 22 Rdnr. 3; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 195.

§ 6 Normzweck und Rechtsnatur

229

aber es ordnet sie beim Rechtsgeschäft deshalb und mit dem Inhalt an, wie diese vom Erklärenden gewollt ist.30 Da die mit dem Rechtsgeschäft bezweckte Rechtsfolge an den Willen eines Rechtssubjekts anknüpft, bildet zumindest eine Willenserklärung die notwendige Voraussetzung für ein Rechtsgeschäft.31 Die Willenserklärung ihrerseits setzt sich aus zwei Elementen zusammen: dem von einer Person gebildeten und auf eine bestimmte Rechtsfolge gerichteten Willen und der Kundgabe dieses Willens in der Erklärung gegenüber dem Empfänger.32 Damit lässt sich die Frage, ob § 1a KSchG das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts beschreibt und der in dieser Norm verankerte Abfindungsanspruch ein rechtsgeschäftlicher ist, positiv beantworten, wenn sowohl der „Hinweis“ des Arbeitgebers als auch das in § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG beschriebene Verstreichenlassen der Klagefrist durch den Arbeitnehmer Willenserklärungen der Arbeitsvertragsparteien sind. Geschäftsähnliche Handlungen unterscheiden sich demgegenüber von Rechtsgeschäften dadurch, dass bei ihnen die Rechtsfolgen unabhängig von einem darauf gerichteten Willen eintreten.33 Sie sind Erklärungen, in denen sich ein Wille manifestiert, der zwar rechtserheblich, nicht aber auf die Rechtsfolgen gerichtet ist, die das Gesetz an die betreffende Rechtshandlung knüpft.34 Die von Gesetzes wegen vorgesehene Rechtsfolge tritt damit auch dann ein, wenn sie nicht gewollt ist, das Gewollte braucht mit der Rechtsfolge, die kraft Gesetzes eintritt, nicht überein zu stimmen.35 Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Mahnung, § 286 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Gläubiger bezweckt mit dieser regelmäßig, den Schuldner zur Erbringung der ihm obliegenden Leistung zu veranlassen, nicht aber richtet sich sein Wille stets auch auf die Herbeiführung der Verzugsfolgen wie den Ersatz des Verzögerungsschadens oder die Zahlung von Verzugszinsen; die mit dem Verzug eintretenden Rechtsfolgen treffen den Schuldner unabhängig vom Vorhandensein eines entsprechenden Willens des Gläubigers.36 ___________ 30

Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 22 Rdnr. 3. Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 398; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 96; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 244. 32 Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 83; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 24 Rdnr. 1. 33 Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 95; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 22 Rdnr. 14; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 197. 34 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 412. 35 Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 95; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 22 Rdnr. 14. 36 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 413; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 95; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 22 Rdnr. 15. 31

230

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Realakte schließlich sind Handlungen, die ohne Mitteilungs- und Kundgabezweck vorgenommen werden und an die das Gesetz eine Rechtsfolge ohne Rücksicht auf das Gewollte knüpft.37 Derartige Handlungen haben bereits äußerlich keine Ähnlichkeit mit Rechtsgeschäften, da sie nicht durch eine Erklärung oder Willensäußerung vorgenommen werden. 38 Von Willenserklärungen unterscheiden sie sich folglich durch die Bedeutungslosigkeit des Rechtsfolgewillens, von geschäftsähnlichen Handlungen durch den fehlenden Erklärungsund Kundgabezweck.39 III. Der „Hinweis“ des Arbeitgebers als rechtsgeschäftliches Angebot auf Abschluss einer qualifizierten Abfindungsvereinbarung 1. Grammatikalische Auslegung Erste Hinweise zur dogmatischen Erfassung des „Hinweises“ des Arbeitgebers liefert bereits die grammatikalische Auslegung des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG. Diese hat nach der Bedeutung eines Ausdrucks oder einer Wortverbindung im allgemeinen Sprachgebrauch zu forschen.40 Der allgemeine Sprachgebrauch verwendet die Begriffe „Hinweis“ und „Mitteilung“ synonym. Diese deuten zwar auf einen vom Willen des Mitteilenden bzw. Hinweisenden unabhängigen und feststehenden Sachverhalts hin, zwingend ist dieses Verständnis der fehlenden Beeinflussbarkeit durch eine eigene Willensentscheidung aber nicht. Ein Hinweis kann nach konventionellem Sprachsinn auch eine Androhung von Konsequenzen enthalten, die allein vom Willen des Erklärenden abhängen. Die grammatikalische Auslegung hat aber nicht nur den Wortsinn eines einzelnen Begriffs, sondern auch den syntaktischen Zusammenhang, in dem die einzelnen Wörter eines Rechtssatzes zueinander stehen, zu berücksichtigen.41 Dabei deutet die von § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG vorgenommene Verknüpfung von Hinweis und Kündigungserklärung für sich noch nicht auf einen rechtsgeschäftlichen Charakter des Hinweises hin:42 Zwar sind beide Bestandteil einer einheitlichen Urkunde, sie lösen jedoch jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen aus. Gleichwohl legt bereits der syntaktische Zusammenhang dieser Vorschrift ein ___________ 37

Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 407; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 94; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 22 Rdnr. 20. 38 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 407; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 95; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 196. 39 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 22 Rdnr. 20. 40 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 141. 41 Zippelius, Methodenlehre, S. 45. 42 So aber Kraus, Abfindungen, S. 91 f.

§ 6 Normzweck und Rechtsnatur

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rechtsgeschäftliches Verständnis des Hinweises nah, bildet dieser doch nach dem unmissverständlichen Wortlaut der Norm die Voraussetzung für das Entstehen des Abfindungsanspruchs. § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG lässt dem Arbeitgeber auch die Freiheit, den Hinweis zu unterlassen und so das Entstehen des Abfindungsanspruchs zu verhindern. Steht damit aber das Willensmoment der als „Hinweis“ deklarierten Erklärung des Arbeitgebers als konstitutives Element einer Willenserklärung derart im Vordergrund und ist dieser Wille gerade auf die Zahlung einer Abfindung gerichtet, so deutet bereits die grammatikalische Auslegung des Terminus „Hinweis“ in die rechtsgeschäftliche Kategorie der Willenserklärung. Die von § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG vorausgesetzte Verbindung des Hinweises mit der Kündigungserklärung, die ihrerseits gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 BGB erst mit dem Zugang beim Arbeitnehmer wirksam wird, verlangt schließlich auch eine Übermittlung des Hinweises an den Arbeitnehmer. Damit aber sind mit dem Willens- und dem Kundgabeelement sämtliche konstitutiven Voraussetzungen einer Willenserklärung erfüllt. Bereits an dieser Stelle muss daher ein Verständnis des Hinweises als Realakt ausscheiden. 2. Systematische Auslegung Die systematische Auslegung des von § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG verwendeten Begriffs „Hinweis“ hat diesen in den Sinnzusammenhang des Gesetzes und der gesamten Rechtsordnung zu stellen43. Dabei fällt auf, dass das Gesetz diesen Erklärungstatbestand, vorrangig im Verbraucherschutzrecht des BGB, an mehreren Stellen verwendet44, ihm jedoch unterschiedliche Bedeutungen zuerkennt. Gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist der Hinweis des Unternehmers auf seine allgemeinen Geschäftsbedingungen Voraussetzung für deren Einbeziehung in den Vertrag und damit Bestandteil seiner Willenserklärung. Demgegenüber ist der Hinweis des Unternehmers bei Abschluss eines Haustürgeschäfts auf die infolge der Ausübung des Widerrufs- oder Rückgaberechts eintretenden Rechtsfolgen des § 357 Abs. 1 und 3 BGB, geregelt in § 312 Abs. 2 BGB, keine Willenserklärung. Die Rechtsfolgen des § 357 Abs. 1 und 3 BGB treten unabhängig vom Willen des Unternehmers kraft Gesetzes ein, die des § 357 Abs. 1 BGB sogar dann, wenn der Hinweis unterbleibt. Angesichts der unterschiedlichen Bedeutung des Begriffs „Hinweis“ im Gesamtzusammenhang des Gesetzes liefert die systematische Auslegung kein eindeutiges Ergebnis.

___________ 43

Zippelius, Methodenlehre, S. 52. Vgl. dazu §§ 305 Abs. 2 Nr. 1, 312 Abs. 2, 355 Abs. 2 S. 1, 358 Abs. 5, 477 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 484 Abs. 1 S. 3, 568 Abs. 2 BGB. 44

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

3. Teleologische Auslegung Die teleologische Auslegung des § 1a KSchG gebietet jedoch eine Qualifizierung des Arbeitgeberhinweises gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG als Willenserklärung. § 1a KSchG stellt den Arbeitsvertragsparteien ein zusätzliches Verfahren zur erleichterten außergerichtlichen Streitbeilegung bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus dringenden betrieblichen Erfordernissen zur Verfügung.45 Weder bezweckt diese Regelung eine Einschränkung des Rechtsschutzes für den Arbeitnehmer, noch will sie den Arbeitgeber bei jeder betriebsbedingten Kündigung zur Zahlung einer Abfindung verpflichten. Der Abfindungsanspruch setzt nach Maßgabe des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG einen ausdrücklichen Hinweis des Arbeitgebers voraus, fehlt dieser, kann der Arbeitnehmer auch keine Abfindung beanspruchen. Der Hinweis aber setzt seinerseits eine Willensentscheidung des Arbeitgebers voraus; ohne oder gar wider den Willen des Arbeitgebers entsteht kein Abfindungsanspruch. 46 Hätte der Hinweis rein deklaratorischen Charakter, gelangte der Anspruch also unabhängig vom Willen des Arbeitgebers zur Entstehung, erwiese sich die Regelung des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG als überflüssig. Der Hinweis des Arbeitgebers verkörpert dessen Willensentscheidung, eine Abfindung in der von § 1a Abs. 2 KSchG bestimmten Höhe zu zahlen. Er ist deshalb auch keine geschäftsähnliche Handlung, sondern ein vertragliches Angebot an den Arbeitnehmer auf Zahlung einer Abfindung, wenn dieser die Frist des § 4 S. 1 KSchG verstreichen lässt. Das für rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen typische Auseinanderfallen von gewillkürter und gesetzlich vorgesehener Rechtsfolge tritt im Rahmen des § 1a KSchG nicht ein und kann auch nicht eintreten: Weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG darauf hin, dass dieser bei Verstreichenlassen der Klagefrist eine Abfindung beanspruchen könne, dann zielt sein Wille eben gerade und ausschließlich darauf, bei Ablauf der Klagefrist eine Abfindung zahlen zu wollen. Auch der Einwand, der Arbeitgeber bezwecke mit dem Hinweis auf den Abfindungsanspruch primär, den Arbeitnehmer zum Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu bewegen, so dass sich die Abfindungszahlung lediglich als „unerwünschte“ gesetzliche Nebenfolge darstellte, kann nicht durchgreifen. Zum einen beinhaltet die Erklärung des Arbeitgebers explizit die Rechtsfolge der Abfindungszahlung. Zum anderen stehen dem Arbeitgeber, um das Ziel ei___________ 45

BT-Drs. 15/1204, S. 12; Kraus, Abfindungen, S. 89; Quecke, RdA 2004, 86, 94; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 1. 46 Kraus, Abfindungen, S. 102 f.; Rolfs, ZIP 2004, 333, 335; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 34; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 228. Die entgegengesetzte Auffassung des ArbG Halberstadt im Urteil vom 02.11.2004, AuA 2005, 567, lässt sich daher nicht mit dem Gesetz vereinbaren; zu Recht aufgehoben von LAG Sachsen-Anhalt, LAGE Nr. 2 zu § 1a KSchG.

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nes Klageverzichtes zu erreichen, andere und vor allem effizientere Lösungswege als der in § 1a KSchG vorgesehene offen. So könnte er dem Arbeitnehmer beispielsweise den Abschluss eines unbedingten Abwicklungsvertrages anbieten, der ihm, anders als der Hinweis gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG, bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Gewissheit gibt, dass der Arbeitnehmer auch tatsächlich keine Kündigungsschutzklage erhebt. Schon gar nicht ist der „Hinweis“ des Arbeitgebers der „Mitteilung“, einer Unterkategorie rechtsgeschäftsähnlicher Handlungen, vergleichbar.47 Mit einer Anzeige oder Mitteilung, geregelt etwa in den §§ 149 S. 1, 170, 171 Abs. 1, 409, 415 Abs. 1 S. 2 BGB, erklärt eine Person ein Wissen oder eine Tatsache.48 Diese Voraussetzungen erfüllt der Hinweis des Arbeitgebers gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG nicht. Der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung ist keine feststehende Tatsache, sondern auf eine Willensentscheidung des Arbeitgebers zurückzuführen. Qualifizierte man den „Hinweis“ des Arbeitgebers als rechtsgeschäftsähnliche Handlung, führte dies schließlich auch dazu, dass jede Vereinbarung, die dem Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist eines Abfindung verspricht, einen Abfindungsanspruch in dem von § 1a Abs. 2 KSchG bestimmten Umfang nach sich zöge. Indes enthält § 1a KSchG an keiner Stelle einen Anhaltspunkt, nach der abweichende Vereinbarungen ausgeschlossen sind, sei es auch nur für die von der Norm geregelte Konstellation, dass der Arbeitgeber Abfindungsangebot und Kündigungserklärung in einem Schreiben zusammenfasst. Auch § 1a Abs. 2 KSchG, der eine Regelung zur Höhe der Abfindung trifft, gebietet keine Qualifizierung des Hinweises als geschäftsähnliche Handlung. Die Tatsache, dass diese Norm die Rechtsfolge der Erklärung des Arbeitgebers nach § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG inhaltlich ausgestaltet, steht dem nicht entgegen.49 Ausnahmslos alle denkbaren gewillkürten Rechtsfolgen eines Rechtsgeschäfts werden durch gesetzliche Regelungen ausgestaltet und begrenzt. Der einseitige oder übereinstimmende auf Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtete Wille der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten bildet zwar die notwendige, nicht aber auch die hinreichende Voraussetzung dafür, dass die beabsichtigte Rechtsfolge tatsächlich eintritt. Stets muss die Rechtsordnung diese Rechtsfolge auch anerkennen. Auch wenn der Gesetzgeber im Privatrecht dem Bürger einen breiten Gestaltungsspielraum zur selbstverantwortlichen Ordnung seiner Rechtsverhältnisse eröffnet, so müssen die privatautonomen Regelungen doch mit den Zielen und Wertungen des Gesetzes vereinbar sein und sich in die Gesamt___________ 47

So aber Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 38. Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 197. 49 So aber Maschmann, AuA 10/2003, 6, 10; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 38. Wie hier Kraus, Abfindungen, S. 103. 48

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

rechtsordnung einfügen.50 Derartige, die Vertragsfreiheit einschränkende Bestimmungen kennt das Privatrecht in einer großen Anzahl. Detaillierte Inhaltsschranken stellen etwa die Klauselverbote der §§ 308, 309 BGB bei der Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen auf. Sämtliche Rechtsgeschäfte müssen sich an den §§ 134, 138 Abs. 1 BGB messen lassen, welche Rechtsfolgen untersagen, die entweder gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen oder dem Verdikt der Sittenwidrigkeit unterliegen. Diese allgemein gehaltenen Beschränkungen zwingen die vom Erklärenden gesetzte Rechtsfolge mitunter in enge Grenzen: So schreibt der BGH etwa dem Gläubiger eines Darlehensvertrages unter Anwendung des § 138 Abs. 1 und 2 BGB detailliert vor, welche Höhe der angebotene Zinssatz keinesfalls überschreiten darf.51 In eine ähnliche Richtung weist auch die Regelung des § 1a Abs. 2 KSchG. Dieser Norm lässt sich zumindest das Verbot entnehmen, einen niedrigeren als den dort vorgesehenen Abfindungsbetrag zu zahlen. Neben diesen allgemeinen Beschränkungen kennt die Rechtsordnung Regelungen, die bei bestimmten Rechtsgeschäften tief in das aus Leistung und Gegenleistung bestehende Austauschverhältnis der Vertragspartner eingreifen. So setzen etwa bei Abschluss eines Mietvertrages über preisgebundenen Wohnraum die Vorschriften des WoBindG52, der NMV53 und der 2. BerechnungsVO54 den Mietzins als wesentlichen Bestandteil des Vertrages auf die Kostenmiete fest, ohne dem Vermieter einen Verhandlungsspielraum zu eröffnen. Gleichwohl bleibt auch im Anwendungsbereich dieser Vorschriften das Angebot des Vermieters zum Abschluss eines Mietvertrages eines rechtsgeschäftliches, auch wenn die Höhe der vom Mieter zu erbringenden Gegenleistung per Gesetz und Rechtsverordnung festegelegt ist. Ebenso wie bei den geschäftsähnlichen Handlungen kann damit auch ein Rechtsgeschäft gesetzlich vorgegebene Folgen bewirken. 55 Gesetzliche Einschränkungen der Rechtsfolgen nehmen den zugrunde liegenden Willenserklärungen nicht ihren rechtsgeschäftlichen Charakter. § 1a Abs. 2 KSchG steht damit einer Qualifizierung des Hinweises in § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG als Willenserklärung nicht entgegen. Die Beschränkung des § 1a Abs. 2 KSchG trifft ___________ 50

Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 34 Rdnr. 1. Exemplarisch BGH vom 30.01.1995, NJW 1995, 1146 ff. 52 Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen (Wohnungsbindungsgesetz), neu gefasst durch Bekanntmachung vom 13.09.2001, BGBl. I, 2404. 53 Verordnung über die Ermittlung der zulässigen Miete für preisgebundene Wohnungen (Neubaumietenverordnung 1970), neu gefasst durch Bekanntmachung vom 12.10.1990, BGBl. I, 2203. 54 Verordnung über wohnungswirtschaftliche Berechnungen nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz (Zweite Berechnungsverordnung) vom 12.10.1990, BGBl. I, 2178. 55 Rolfs, ZIP 2004, 333, 335; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 162. 51

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lediglich die inhaltliche Ausgestaltung der Rechtsfolge, überlässt aber die Entscheidung, dem Arbeitnehmer überhaupt eine Abfindung gewähren zu wollen, dem freien Willen des Arbeitgebers. Steht die Willensentscheidung des Arbeitgebers aber derart im Vordergrund des Abfindungsanspruchs, so kann dieser seine Grundlage auch nur in einem Rechtsgeschäft finden. Schließlich enthält das Angebot des Arbeitgebers auch sämtliche essentialia negotii, insbesondere auch eine Aussage zur Höhe der Abfindung. 56 Selbst wenn sich der Arbeitgeber in seinem Hinweis auf die Erklärung beschränken sollte, der Arbeitnehmer könne eine Abfindung „nach Maßgabe des § 1a KSchG“ beanspruchen, lässt sich durch diesen Ver weis auf § 1a Abs. 2 KSchG eindeutig und zweifelsfrei entnehmen, dass sich sein Angebot auf die Zahlung einer Abfind ung in Höhe von einem halben Monatsverdienst für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses bezieht. 4. Historische Auslegung Die historische Auslegung vermag diese rechtsgeschäftliche Deutung des in § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG geregelten Hinweises zwar nicht eindeutig zu unterstützen, steht ihr aber auch nicht entgegen. Zwar spricht der Entwurf der Regierungsfraktionen an mehreren Stellen von einem „gesetzlichen Abfindungsanspruch“ ,57 stellt aber in diesem Zusammenhang auch fest, dass es sich bei dem Hinweis des Arbeitgebers um eine „Erklärung“ handele und der Anspruch von dessen Bereitschaft zur Zahlung der Abfindung abhänge,58 was den Schluss nahe legt, der Gesetzgeber wollte den „Hinweis“ des Arbeitgebers wohl doch als Willenserklärung verstanden wissen. 5. Ergebnis Der Hinweis des Arbeitgebers, § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG, ist folglich eine Willenserklärung. Sie ist an den Arbeitnehmer adressiert und bringt den Willen des Arbeitgebers zum Ausdruck, eine Abfindung in dem von § 1a Abs. 2 KSchG bestimmten Umfang zahlen zu wollen. Die Rechtsfolge des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG – Zahlung einer Abfindung – tritt nicht ipso iure ein, sondern allein deshalb, weil der Arbeitgeber diese herbeiführen will.

___________ 56

AA Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 38. BT-Drs. 15/1204, S. 2, 9, 12. 58 BT-Drs. 15/1204, S. 12. 57

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

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IV. Verstreichenlassen der Klagefrist durch den Arbeitnehmer – die gesetzlich fingierte Annahmeerklärung Ist der von § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG vorausgesetzte Hinweis des Arbeitgebers ein Angebot auf Abschluss einer durch § 1a Abs. 2 KSchG qualifizierten Abfindungsvereinbarung gemeint, so liegt der Schluss nahe, das Verstreichenlassen der Klagefrist durch den Arbeitnehmer als korrespondierende Annahmeerklärung zu verstehen. Der Wortlaut des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG liefert dafür aber nur wenige Anhaltspunkte. Das von dieser Norm beschriebene Verhalten des Verstreichenlassens der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG beschreibt von seinem Wortsinn her allein die Untätigkeit und das Schweigen des Arbeitnehmers, ohne diesem Verhalten eine zusätzliche, rechtsgeschäftliche Bedeutung zuzuerkennen. Gleichwohl deutet bereits der vom Gesetzgeber gewählte Terminus des „Verstreichenlassens“ anders als der des „Verstreichens“ auf eine reflektierte Untätigkeit des Arbeitnehmers und damit eine Willensentscheidung hin.59 Aber auch hier ist, ausgehend vom natürlichen Wortsinn, ein rein objektives Verständnis möglich, das nicht nach den Motiven oder einer bewussten Entscheidung des Arbeitnehmers für das Verstreichenlassen fragt. 60 Näheren Aufschluss liefert der Bedeutungszusammenhang des Gesetzes. Hierbei ist zu untersuchen, wie das Gesetz an anderer Stelle eine Untätigkeit bzw. ein Schweigen behandelt. Zunächst ist dabei aber festzustellen, dass das Gesetz dem einem Vertragsangebot nachfolgenden Schweigen im Grundsatz keinerlei Erklärungswert beimisst; dieses kann nach allgemeinen vertrauenstheoretischen Grundsätzen nur dann als Annahme gewertet werden, wenn der Offerent bei vernünftiger Überlegung aller Umstände aus dem Schweigen auf die Zustimmung des Erklärungsempfängers schließen konnte oder er nach Treu und Glauben einen Widerspruch erwarten durfte, falls dieser mit dem Angebot nicht einverstanden war.61 1. Die Auffassung Preis’ Ausführlich setzt sich Preis mit der Frage der Rechtsnatur des von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG beschriebenen Verhaltens des Arbeitnehmers auseinander.62 Er wendet die Regelung des § 151 S. 1 BGB an und kommt darüber zu dem ___________ 59

Kraus, Abfindungen, S. 92. So auch Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 98. 61 BGH vom 14.02.1995, NJW 1995, 1281; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 575; Kramer, in: MünchKomm-BGB, § 151 Rdnr. 6; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 72. 62 Preis, DB 2004, 70, 71 f. 60

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Schluss, dass der Arbeitgeber mit der Erklärung eines Angebots nach Maßgabe des § 1a Abs. 1 S. 2, Abs. 2 KSchG stets auch auf den Zugang der korrespondierenden Annahmeerklärung des Arbeitnehmers verzichte.63 Sodann stelle sich die Frage der von § 151 S. 1 BGB geforderten Betätigung des Annahmewillens durch den Arbeitnehmer. Ein rein passives Schweigen könne dann als Annahme gewertet werden, wenn dieses Schweigen in der konkreten Situation für den Annahmewillen hinreichend konkludent sei.64 Nach ständiger Rechtsprechung des BAG aber sei ein Schweigen des Arbeitnehmers insbesondere dann als Annahme zu werten, wenn der Arbeitgeber nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der Besonderheiten des Einzelfalls annehmen konnte, der Arbeitnehmer werde seinem Angebot widersprechen, wenn er diesem nicht zustimmen wolle.65 Diese Voraussetzung erfülle das von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG beschriebene Verhalten des Arbeitnehmers: Erhebe der keine Kündigungsschutzklage, verhalte er sich gerade so, wie vom Arbeitgebers vorausgesetzt, so dass in dem Nichterheben der Kündigungsschutzklage zugleich eine konkludente Betätigung seines Annahmewillens erblickt werden könne.66 Das wichtigste Indiz für diese Auslegung des Schweigens des Arbeitnehmers liefere jedoch die Tatsache, dass der angebotene Vertrag für ihn lediglich rechtlich vorteilhaft sei.67 Ein rechtlicher Nachteil liege jedenfalls nicht in dem Verlust der gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Kündigung, da Kündigung und Abfindungsvereinbarung zwei getrennt voneinander zu beurteilende Rechtsgeschäfte bildeten.68 Das Abfindungsangebot des Arbeitgebers hänge nicht von einer Gegenleistung des Arbeitnehmers ab, sondern allein von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und ziele auf eine Besserstellung des Arbeitnehmers gegenüber einer abfindungslosen Kündigung.69 Ein rechtlicher Nachteil liege nur dann vor, wenn die Abfindung eine Sperrzeit nach Maßgabe ___________ 63

Preis, DB 2004, 70, 71. Dem folgend Kraus, Abfindungen, S. 104; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Merz, Abfindungsanspruch, S. 102 ff.; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 164 ff.; A. Wolff, BB 2004, 378; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 2. 64 Preis, DB 2004, 70, 71 unter Bezugnahme auf Kramer, in: MünchKomm-BGB, § 151 Rdnr. 4. 65 Preis, DB 2004, 70, 72 unter Verweis auf BAG vom 30.07.1985, AP Nr. 13 zu § 65 HGB; BAG vom 14.08.1996, AP Nr. 47 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG vom 26.03.1997, AP Nr. 50 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG vom 04.05.1999, AP Nr. 55 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG vom 27.06.2001, EzA Nr. 44 zu § 242 BGB Betriebliche Übung. 66 Preis, DB 2004, 70, 72. Ebenso Merz, Abfindungsanspruch, S. 104. 67 Preis, DB 2004, 70, 72. Ebenso Kraus, Abfindungen, S. 108, 110 ff.; Merz, Abfindungsanspruch, S. 106; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 166. 68 Preis, DB 2004, 70, 72. Ebenso Kraus, Abfindungen, S. 110 f.; Merz, Abfindungsanspruch, S. 106; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 166. 69 Preis, DB 2004, 70, 72.

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

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des § 144 SGB III auslöst, was aber nicht der Fall sei.70 Preis gelangt so zu dem Ergebnis, dass § 1a Abs. 1 KSchG lediglich rein deklaratorisch einen rechtsgeschäftlichen Vorgang beschreibt.71 2. Das Verstreichenlassen der Klagefrist als gesetzlich fingierte Annahmeerklärung des Arbeitnehmers Im Rahmen der systematische Auslegung des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG im Kontext der Rechtsordnung des Privatrechts geraten neben der Bestimmung des § 151 S. 1 BGB weitere Bestimmungen ins Blickfeld, die eine scharfe Grenzziehung zwischen der konkludenten Annahmeerklärung nach § 151 S. 1 BGB und gesetzlich fingierten Willenserklärungen verlangt. Gesetzlich fingierte Willenserklärungen kennt das Gesetz an zahlreichen Stellen, zu deren bekanntesten wohl die §§ 108 Abs. 2 S. 1, 177 Abs. 2 S. 1 BGB zählen. Gesetzlich fingierte Annahmeerklärungen, die das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts bewirken, sind dagegen weit weniger häufig zu finden. § 516 Abs. 2 S. 2 BGB etwa begründet einen wirksamen Schenkungsvertrag durch Schweigen des Beschenkten, nachdem der Schenker diesen unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung über die Annahme aufgefordert hat. § 362 Abs. 1 S. 1 HGB fingiert72 für den Fall des Schweigens eines Kaufmanns, dessen Gewerbebetrieb die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringt, eine Annahmeerklärung, wenn diesem ein Antrag über eine Geschäftsbesorgung von einer Person zugeht, mit welcher der Kaufmann in Geschäftsverbindung steht, und er nicht unverzüglich auf das Angebot antwortet. § 5 Abs. 3 S. 1 PflVG schließlich regelt einen weiteren Fall der fingierten Annahmeerklärung. Nach dieser Vorschrift gilt der Antrag auf Abschluss eines Haftpflichtversicherungsvertrages für bestimmte Kraftfahrzeuge als angenommen, wenn der Versicherer ihn nicht innerhalb einer Frist von zwei Wochen vom Eingang des Antrags an schriftlich ablehnt oder ein abweichendes schriftliches Angebot unterbreitet. Das Schweigen hat in all diesen Fällen unabhängig davon, wie es im einzelnen Fall gemeint und zu verstehen ist, aufgrund der Anordnung des Gesetzes die Rechtsfolgen, die eine Willenserklärung entsprechenden Inhalts haben würde.73 ___________ 70

Preis, DB 2004, 70, 72. Ebenso Kraus, Abfindungen, S. 116. Preis, DB 2004, 70, 72. 72 Die dogmatische Einordnung als gesetzliche Fiktion einer Annahmeerklärung ist umstritten, dafür etwa Eckert, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 362 Rdnr. 1; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 613; Horn, in: Heymann, HGB, § 362 Rdnr. 3 f.; W.-H. Roth, in: Koller/Roth/Morck, HGB, § 362 Rdnr. 4; Welter, in: MünchKomm-HGB, § 362 Rdnr. 15; aA Canaris, Handelsrecht, § 23 Rdnr. 1 ff.; ders., in: Staub, HGB, § 362 Rdnr. 4; Oetker, Handelsrecht, § 7 Rdnr. 23 f.; Wagner, in: Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, § 362 Rdnr. 3; welche die Vorschrift der Rechtsscheinhaftung zurechnen. 73 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 77. 71

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Ein Erklärungsbewusstsein ist nicht erforderlich, das Gesetz knüpft die Rechtsfolge allein an die Tatsache des Schweigens. Daher kann der Schweigende die Rechtsfolgen der gesetzlich fingierten Willenserklärung auch nicht mittels Anfechtung mit der Begründung beseitigen, er habe sich über die rechtsgeschäftliche Bedeutung des Schweigens geirrt oder eine Erklärung dieses Inhaltes nicht abgeben wollen.74 Während eine gesetzliche Annahmefiktion dem Schweigen des Angebotsempfängers kraft gesetzlicher Anordnung die Rechtsnatur einer Willenserklärung zumisst, ist der Ursprung der Annahme eines Vertragsangebots durch Schweigen über § 151 S. 1 BGB wiederum ein rechtsgeschäftlicher. § 151 S. 1 BGB sieht von dem für eine wirksame Annahmeerklärung durch §§ 130 Abs. 1 S. 1, 146 BGB vorgeschriebenen Zugangserfordernis ab und lässt bereits die bloße Betätigung des Annahmewillens ausreichen, wenn der Antragende auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichtet hat oder dieser nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist.75 Die Rechtsnatur der Annahme eines Vertragsangebots nach Maßgabe des § 151 S. 1 BGB ist damit die einer gewöhnlichen, nur nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung.76 Damit sich eine Annahme überhaupt feststellen lässt, verlangt § 151 S. 1 BGB eine nach außen in Erscheinung tretende, wahrnehmbare Manifestation des Rechtsfolgewillens, der bloße innere, in der Außenwelt nicht erkennbare Annahmewille reicht dafür nicht aus.77 Das Verhalten muss sich, ausgehend vom Standpunkt eines objek___________ 74

Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 77. Vgl. dazu auch später unten unter § 7 F II 1, S. 331 f. 75 BGH vom 14.10.2003, NJW 2004, 287; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 749; Brehmer, JuS 1994, 386, 387; Eckardt, BB 1995, 1945, 1948; H. Köhler, Allgemeiner Teil, § 8 Rdnr. 22; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 30 Rdnr. 14. 76 Brehmer, JuS 1994, 386, 387 f.; Eckardt, BB 1995, 1945, 1947; H. Köhler, Allgemeiner Teil, § 8 Rdnr. 22; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 30 Rdnr. 14. Unentschlossen BGH vom 14.10.2003, NJW 2004, 287, der zwar ausdrücklich feststellt, § 151 S. 1 BGB verzichte nicht auf die Annahme als solche, sondern erfordere eine „Willensbetätigung“, ohne sich aber zu deren Rechtsnatur zu äußeren. Ebenso bereits BGH vom 18.12.1985, NJW-RR 1985, 415; BGH vom 28.03.1990, BGHZ 111, 97, 101; BGH vom 12.10.1999, NJW 2000, 276, 277. Unentschlossen auch Bork, Allgemeiner Teil, der in Rdnr. 749 davon spricht, es handele sich bei § 151 S. 1 BGB um eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung, später aber ausführt, erforderlich sei allenfalls eine Willensbetätigung, die nicht den Anforderungen einer empfangsbedürftigen Willenserklärung genügen müsse. Ebenfalls von einer bloßen „Willensbetätigung“, allerdings in Abgrenzung zur Willenserklärung, sprechen Bydlinski, JuS 1988, 36, 37 und Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 382. Ausführlich zum Streitstand Repgen, AcP 200 (2000), 533, 534, 551 ff. 77 BGH vom 18.12.1985, NJW-RR 1985, 415; BGH vom 28.03.1990, BGHZ 111, 97, 101; BGH vom 12.10.1999, NJW 2000, 276, 277; BGH vom 14.10.2003, NJW 2004, 287; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 749; Brehmer, JuS 1994, 386, 387; Eckardt, BB 1995, 1945, 1946; H. Köhler, Allgemeiner Teil, § 8 Rdnr. 22; Larenz/Wolf, Allge-

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

tiven Beobachters, eindeutig als Ausdruck des Annahmewillens verstehen lassen.78 Auch durch Schweigen kann die Annahme eines Angebots erklärt werden, sofern dieses Schweigen in der konkreten Situation für den Annahmewillen, betrachtet vom Horizont des Antragenden, ausreichend konkludent war.79 Ein derartiges Konkludenzindiz liegt etwa dann vor, wenn aufgrund einer vorangehenden Vereinbarung der Parteien das Schweigen des Antragsempfängers als Zustimmung gelten sollte.80 Auch die Tatsache, dass der angebotene Vertrag für den Schweigenden lediglich rechtlich vorteilhaft ist, spricht für eine Betätigung des Annahmewillens durch Schweigen. 81 Lässt man unter diesen Voraussetzungen das Schweigen des Angebotsempfängers für eine wirksame Annahmeerklärung ausreichen, liegt zumindest in der letztgenannten Konstellation freilich auch eine Abkehr von dem herrschenden Dogma der objektiven Manifestation des Annahmewillens: Der Schweigende gibt objektiv gerade nichts zu erkennen, was auf eine Annahmeerklärung schlussfolgern lässt. Im Unterschied zur gesetzlich fingierten Willenserklärung kommt dem Schweigen des Angebotsempfängers im Anwendungsbereich des § 151 S. 1 BGB damit nicht bereits kraft gesetzlicher Anordnung die Rechtsnatur einer Willenserklärung zu. Diese Anordnung beruht vielmehr entweder auf einer ausdrücklichen bzw. konkludenten Vereinbarung der Vertragsparteien oder ist aus den Umständen des Rechtsgeschäfts zu ermitteln. Der Wortlaut des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG indes eröffnet beide Lösungswege. Anders als in den Fällen gesetzlich fingierter Annahmeerklärungen, §§ 516 Abs. 2 S. 2 BGB, 362 Abs. 1 S. 1 HGB, 5 Abs. 3 S. 1 PflVG, muss gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG bereits das rechtsgeschäftliche Angebot des Arbeitgebers die Erklärung enthalten, dass dieser allein durch das Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann, was für eine Annahmeerklärung nach Maßgabe des § 151 S. 1 BGB spricht. Doch anders als bei den von § 151 S. 1 BGB erfassten Fällen enthält § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG auch bereits eine eindeutige gesetzliche Bestimmung, wonach der Arbeitnehmer die Abfindung dann beanspruchen kann, wenn er die Klagefrist verstreichen lässt, er also ___________ meiner Teil, § 30 Rdnr. 7; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 382; aA Flume, Rechtsgeschäft, § 35 II 3 S. 655; dem folgend Schwarze, AcP 202 (2002), 607, 612 f. 78 BGH vom 18.12.1985, NJW-RR 1985, 415; BGH vom 28.03.1990, BGHZ 111, 97, 101; Brehmer, JuS 1994, 386, 388; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 749; H. Köhler, Allgemeiner Teil, § 8 Rdnr. 22; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 30 Rdnr. 7. 79 Kramer, in: MünchKomm-BGB, § 151 Rdnr. 4. 80 Kramer, in: MünchKomm-BGB, § 151 Rdnr. 5; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 70; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 393. 81 BGH vom 06.05.1997, NJW 1997, 2233; BGH vom 12.10.1999, NJW 2000, 276, 277; H. Köhler, Allgemeiner Teil, § 8 Rdnr. 22; Kramer, in: MünchKomm-BGB, § 151 Rdnr. 5; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 30 Rdnr. 13.

§ 6 Normzweck und Rechtsnatur

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schweigt und untätig bleibt, was wiederum ein Verständnis als gesetzlich fingierte Annahmeerklärung nahe legt. Entscheidend für die Regelung einer gesetzlichen Annahmefiktion durch § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG spricht, dass dem Schweigen des Arbeitnehmers auf das Abfindungsangebot des Arbeitgebers die von § 151 S. 1 KSchG geforderten Konkludenzindizien fehlen. So treffen die Arbeitsvertragsparteien im Rahmen des § 1a KSchG keine Vereinbarung des Inhalts, der Arbeitnehmer könne das vorangegangene Angebot des Arbeitgebers allein durch Schweigen annehmen, allenfalls kann dem Angebot nach § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG eine entsprechende einseitige Anordnung des Arbeitgebers entnommen werden. Die Tatsache, dass sich der Arbeitnehmer an diese Anordnung hält, kann entgegen der Auffassung von Preis82 jedoch kein hinreichendes Konkludenzindiz für eine Betätigung des Annahmewillens durch den Arbeitnehmer bieten. Allein die einseitige Anordnung des Offerenten, durch Schweigen komme ein Vertrag zustande, kann diese Rechtsfolge nicht herbeiführen.83 Es reicht damit entgegen Kraus auch nicht aus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit der Verknüpfung von Kündigung und Abfindungsangebot unter „Zugzwang“ setzt und ihm das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis mit einer Abfindung „versüßt“.84 Schon gar nicht muss ein objektiver Beobachter aus dem Schweigen des Arbeitnehmers geradezu zwangsläufig den Schluss ziehen, dieser nehme das Angebot an. Insbesondere vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Abfindungszahlung auf Leistungen der Bundesagentur für Arbeit nach dem SGB III kann dem Schweigen des Arbeitnehmers durchaus der Erklärungsgehalt entnommen werden, zwar die Kündigung hinzunehmen, nicht aber auch das zusätzliche Abfindungsangebot akzeptieren zu wollen, um nicht den Nachteil einer Sperrzeit, § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III, oder den des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld gemäß § 143a Abs. 1 S. 1 SGB III in Kauf nehmen zu müssen. Dass ein Schweigen auf ein lediglich rechtlich vorteilhaftes Vertragsangebot als Annahme zu werten ist, hat das BAG bereits mit Urteil vom 03.08.1961 festgestellt.85 In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt unterbreitete ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer das Angebot einer Option auf Abschluss eines unbefristeten Anstellungsvertrages nach Ablauf des zu der Zeit noch bestehenden befristeten Arbeitsverhältnisses. Es sei zu vermuten, so führt ___________ 82

Preis, DB 2004, 70, 72. Bork, in: Staudinger, § 146 Rdnr. 5, 10; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 393. Widersprüchlich Kraus, Abfindungen, S. 106 f. 84 So Kraus, Abfindungen, S. 107. 85 BAG vom 03.08.1961, AP Nr. 19 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. Aus der Rechtsprechung des BGH vgl. nur BGH vom 14.04.1999, NJW 1999, 2179; BGH vom 12.10.1999, NJW 2000, 276, 277. 83

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

das BAG aus, dass jemand, dem rein ein Rechtsvorteil angeboten werde, damit einverstanden sei.86 So erkläre sich die Regelung des § 516 Abs. 2 S. 2 BGB, deren Gedanke nicht auf den unmittelbaren Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt bleibe, sondern allgemein bei der Gewährung von Rechtsvorteilen zu gelten habe.87 Auch in den neueren von Preis88 aufgeführten Entscheidungen89 stützt sich das Gericht auf diese Erwägung, wenn auch bei den diesen Urteilen zugrunde liegenden Sachverhalten nicht unmittelbar ein Schweigen auf ein lediglich rechtlich vorteilhaftes Vertragsangebot des Arbeitgebers streitgegenständlich war. Folgt man dieser Rechtsprechung, stellt sich die Frage, ob das vom Arbeitgeber nach Maßgabe des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG ausgesprochene Angebot auf Zahlung einer Abfindung für den Arbeitnehmer tatsächlich lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Eine Willenserklärung ist dann lediglich rechtlich vorteilhaft, wenn das zu schließende Rechtsgeschäft die Rechtsstellung des Erklärenden ausschließlich verbessert.90 Rechtlich nachteilig sind demgegenüber alle Geschäfte, die zu einer Verminderung von Rechten oder einer Vermehrung von Pflichten führen.91 Nun trifft den Arbeitnehmer nicht bereits deshalb ein Nachteil, weil er sich etwa zu einem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verpflichtet: Die Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG enthält keine derartige Verpflichtung,92 das Abfindungsangebot des Arbeitgebers lässt das Recht des Arbeitnehmers, innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG Kündigungsschutzklage zu erheben, unberührt. Allerdings lässt sich auch die Feststellung, die Gewährung einer Abfindung nach Maßgabe des § 1a KSchG führe nicht zur Verhängung einer Sperrzeit gemäß § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III durch die Bundesagentur für Arbeit, nicht ohne eine differenzierende Betrachtung aufrechterhalten. Es sind im Rahmen des § 1a KSchG durchaus Fallgestaltungen denkbar, ___________ 86

BAG vom 03.08.1961, AP Nr. 19 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag Bl. 5. BAG vom 03.08.1961, AP Nr. 19 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag Bl. 5 unter Bezugnahme auf RG vom 10.11.1910, JW 1911, 87; RG vom 25.03.1930, JW 1931, 1353, 1354. 88 Preis, DB 2004, 70, 72. 89 BAG vom 30.07.1985, AP Nr. 13 zu § 65 HGB; BAG vom 14.08.1996, AP Nr. 47 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG vom 26.03.1997, AP Nr. 50 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG vom 04.05.1999, AP Nr. 55 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG vom 27.06.2001, EzA Nr. 44 zu § 242 BGB Betriebliche Übung. 90 Schmitt, in: MünchKomm-BGB, § 107 Rdnr. 29. 91 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 998; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 25 Rdnr. 19. 92 Kraus, Abfindungen, S. 111; A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 3; aA Löwisch, BB 2004, 154, 158; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 4 f. Trotz einer solchermaßen angenommenen vertraglichen Verpflichtung gehen diese davon aus, das Angebot des Arbeitgebers sei für den Arbeitnehmer lediglich rechtlich vorteilhaft, Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 7. 87

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die den Tatbestand des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III erfüllen.93 Auch die Vorschrift des § 143a Abs. 1 S. 1 SGB III kann nicht ohne Beachtung bleiben, die zu rechtlich nachteiligen Konsequenzen für den Arbeitnehmer führt, wenn der Arbeitgeber kündigt, ohne die einschlägige Kündigungsfrist zu beachten.94 Jedenfalls aber führt der mit dem Verstreichenlassen der Frist des § 4 S. 1 KSchG verbundene Verlust der gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Kündigung zum Eintreten eines unmittelbaren rechtlichen Nachteils für den Arbeitnehmer. Nach Ablauf der Klagefrist kann der Arbeitnehmer nämlich nicht nur eine Abfindung in dem von § 1a Abs. 2 KSchG bestimmten Umfang beanspruchen, gleichzeitig tritt auch die Rechtsfolge des § 7 KSchG ein, der die Wirksamkeit der Kündigung unwiderlegbar vermutet. Diese Wirksamkeitsvermutung kann zwar auch unabhängig von einem Abfindungsangebot des Arbeitgebers eintreten, § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG verbindet jedoch diese beiden Rechtsfolgen untrennbar miteinander: Der Arbeitnehmer kann die Abfindung nur dann beanspruchen, wenn auch die Kündigung gemäß § 7 KSchG wirksam ist, der Zweck des Abfindungsanspruchs besteht gerade auch darin, den Arbeitnehmer für den Verlust der gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Kündigung zu entschädigen.95 Ohne den gleichzeitigen faktischen Verzicht des Arbeitnehmers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage erwirbt der Arbeitnehmer keinen Abfindungsanspruch. Das Angebot des Arbeitgebers ist damit nicht lediglich rechtlich vorteilhaft, sondern für den Arbeitnehmer unmittelbar mit dem Nachteil des Verlustes der gerichtlichen Kontrolle der Kündigung verbunden. Das Abfindungsangebot kann nicht isoliert von dem Verlust der arbeitsgerichtlichen Nachprüfbarkeit betrachtet werden, da eine wirksame Annahme dieses Angebots nur nach Eintreten der Rechtsfolge der §§ 7, 4 S. 1 KSchG möglich ist. Dass dabei der Arbeitnehmer keine vertragliche Verpflichtung eines Verzichts auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage eingeht, vermag dieses Ergebnis nicht zu revidieren. Dieser Umstand ist allein der gesetzgeberischen Zielsetzung geschuldet, den Arbeitsvertragsparteien ein einfach zu handhabendes und unbürokratisches Instrumentarium zur Verfügung stellen zu wollen,96 weshalb der Arbeitnehmer keine weitere Erklärung abgeben muss, um die Abfindung beanspruchen zu können. Alternativ könnte der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer auch einen Abwicklungsvertrag schließen, der allerdings einen Erklärungstatbestand des Arbeitnehmers erforderte, wonach dieser sich im Gegenzug zur Zahlung einer Abfindung verpflichtet, auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu verzichten. Im Ergebnis besteht zwischen diesen beiden ___________ 93

Näher dazu unten unter § 8 H II, S. 361 ff. Näher dazu unten unter § 8 H III, S. 370 f. 95 Rolfs, ZIP 2004, 333, 342. 96 BT-Drs. 15/1204, S. 12. 94

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Vorgehensweisen kein Unterschied, beide sind mit dem rechtlichen Nachteil des Verlusts der gerichtliche Überprüfbarkeit der Kündigung verbunden. Fehlen damit aber jegliche Indizien, die einen Schluss von dem Schweigen des Arbeitnehmers auf seinen Annahmewillen zulassen, so scheidet eine Annahme gemäß § 151 S. 1 BGB aus. Jedoch beinhaltet die Bestimmung des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG die gesetzliche Fiktion einer Annahmeerklärung. Damit der Abfindungsanspruch zur Entstehung gelangt, bedarf das rechtsgeschäftliche Angebot des Arbeitgebers einer korrespondierenden Annahmeerklärung. Diese Annahmeerklärung fingiert § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG mit Verstreichenlassen der Frist des § 4 S. 1 KSchG. Die klare Anordnung des Gesetzes, mit dem Verstreichenlassen der Klagefrist könne der Arbeitnehmer eine Abfindung beanspruchen, lässt, ausgehend vom Standpunkt eines objektiven Betrachters in der Position des Arbeitgebers keine andere Interpretation des Schweigens des Arbeitnehmers zu.97 Der Eintritt dieser Annahmefiktion hängt im Übrigen auch nicht von der Kenntnis des Arbeitnehmers von Kündigung und Abfindungsangebot des Arbeitgebers ab,98 ausreichend ist bereits die abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme des Angebots, sobald dieses in seinen Machtbereich gelangt ist, § 130 Abs. 1 S. 1 BGB. 99 Die teleologische ebenso wie die historische Auslegung stützen die hier vertretene Auffassung. Zweck des § 1a KSchG und Intention des Gesetzgebers ist es, den Arbeitsvertragsparteien ein Verfahren zur erleichterten außergerichtlichen Beilegung von Kündigungsstreitigkeiten an die Hand zu geben. 100 Diese Zielsetzung aber lässt sich am weitesten mit einer Qualifikation des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG als Annahmefiktion erreichen, welche das Zustandekommen der Abfindungsvereinbarung allein an den Tatbestand des Verstreichenlassen der Klagefrist durch den Arbeitnehmer knüpft, ohne das die im Rahmen des § 151 S. 1 BGB zusätzlich zu beachtenden Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Die Argumentation von Grobys für die von ihm vorgenommene Einordnung des Schweigens des Arbeitnehmers in die Kategorie des Realakts, diesem Ver___________ 97

Rolfs, ZIP 2004, 333, 337. Rolfs, ZIP 2004, 333, 337. AA aber Kraus, Abfindungen, S. 108, 117 ff.; Löwisch, BB 2004, 154, 157 sowie Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 7, die das Verstreichenlassen der Klagefrist allerdings auch nicht als gesetzlich fingierte Willenserklärung verstehen. Zur Anfechtung der fingierten Annahmeerklärung wegen fehlender Kenntnis von dem Angebot vgl. später unten unter § 7 F II 1 b), S. 332 f., zur nachträglichen Klagezulassung wegen einer durch Ortsabwesenheit bedingten Unkenntnis unten unter § 7 E I 1, S. 299. 99 Vgl. dazu später unten unter § 7 C I 2, S. 270. 100 BT-Drs. 15/1204, S. 12; Kraus, Abfindungen, S. 89; Quecke, RdA 2004, 86, 94; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 1. 98

§ 6 Normzweck und Rechtsnatur

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halten könne kein rechtsgeschäftlicher Erklärungsgehalt anhaften, weil die Rechtsfolge des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG auch dann eintrete, wenn der Arbeitnehmer die Frist infolge höherer Gewalt versäume,101 vermag nicht zu überzeugen, stützt sie doch gerade die hier vertretene Auffassung: Auch die gesetzliche Fiktion einer Willenserklärung tritt unabhängig von einer tatsächlich vorhandenen oder abwesenden Willensäußerung ein. Die Feststellung, dass es völlig ohne Bedeutung bleibe, ob der Arbeitnehmer die Klagefrist willentlich oder versehentlich verstreichen lässt, kennzeichnet deshalb nicht nur „entscheidend“ das Wesen eines Realaktes,102 sondern trifft in gleichem Umfang auch auf gesetzlich fingierte Willenserklärungen zu. Und auch die Tatsache, dass einem Antrag des Arbeitnehmers auf nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG nicht erst eine Anfechtung der Annahmeerklärung des Inhalts, er wolle keine Kündigungsschutzklage erheben, vorangehen muss,103 gibt keinen Hinweis auf einen Realakt: Eine derartige Erklärung hat der Arbeitnehmer weder konkludent abgegeben104 noch fingiert § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG eine solche, so dass sich die Frage nach der Beseitigung nicht stellt. Die gesetzliche Fiktion betrifft ausschließlich die Annahme des Abfindungsangebots, während der Verlust der Anfechtbarkeit der Kündigung allein Folge der in § 7 KSchG gesetzlich angeordneten materiellen Präklusion ist. Schließlich fehlt es dem Ansatz einer gesetzlichen Deutung des Abfindungsanspruchs an Konsequenz:105 Zahlreiche Vertreter, nach deren Auffassung das Schweigen des Arbeitnehmers auf ein den Anforderungen des § 1a KSchG folgendes Angebot des Arbeitnehmers lediglich Realakt sei, sehen in ebendiesem Verhalten eine rechtsgeschäftliche Annahmeerklärung gemäß § 151 S. 1 BGB, wenn nur das Angebot des Arbeitgebers von den Voraussetzungen des § 1a KSchG abweicht.106

___________ 101

Grobys, DB 2003, 2174; ebenso S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 13. So die Begründung von Quecke, RdA 2004, 86, 95, das Schweigen des Arbeitnehmers sei lediglich Realakt. 103 Nach der Auffassung von Quecke, RdA 2004, 86, 95 und Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 39, spricht dieser Umstand ebenfalls zugunsten einer Einordnung als Realakt. 104 Kraus, Abfindungen, S. 111 f. 105 So zutreffend auch Däubler, NZA 2004, 177, 179; Kraus, Abfindungen, S. 119 ff. 106 Bader, NZA 2004, 65, 72; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 22; S. Fiebig, in: HaKoKSchG, § 1a Rdnr. 19; Grobys, DB 2003, 2174, 2176; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 30; Lilienfeld/Spellbrink, RdA 2005, 88, 96; Quecke, RdA 2004, 86, 94; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 3, 13; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 102. Vorsichtiger Raab, RdA 2005, 1, 4, nach dessen Auffassung das Verstreichenlassen der Klagefrist zumindest nicht ohne weiteres eine Annahme darstellt. 102

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Ebenso wenig überzeugt die von Raab gezogene Parallele zur Auslobung.107 Nach dessen Auffassung stellt der Hinweis des Arbeitgebers auf die Abfindung eine Willenserklärung dar, das Verstreichenlassen der Klagefrist durch den Arbeitnehmer jedoch nur ein tatsächliches Verhalten. 108 Das von § 1a KSchG geregelte Versprechen des Arbeitgebers auf die Abfindung für das rein tatsächliche Verhalten des Arbeitnehmers bilde damit ebenso wie § 657 BGB eine gesetzliche Ausnahme vom Vertragsprinzip des § 311 Abs. 1 BGB.109 Zwischen § 1a KSchG und der Auslobung bestehen jedoch strukturelle Unterschiede, die einer entsprechenden Interpretation des § 1a KSchG im Wege der systematischen Auslegung entgegenstehen. Die Auslobung richtet sich an einen unbestimmten Personenkreis110 und setzt daher gemäß § 657 BGB eine öffentliche Bekanntmachung der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung111 des Versprechenden voraus. Demgegenüber ist der Hinweis des Arbeitgebers nach § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG eine an einen individuellen Arbeitnehmer gerichtete empfangsbedürftige Willenserklärung. Auch das von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG geforderte Untätigbleiben ist der Auslobung fremd. Vielmehr ist diese gemäß § 567 BGB auf die Vornahme einer Handlung, die Herbeiführung eines Erfolgs gerichtet.112 Schließlich lässt sich die von Raab gezogene Konsequenz einer entsprechenden Anwendung des § 658 BGB, wonach der Arbeitgeber sein Abfindungsangebot bis zum Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG gezogenen Frist widerrufen könne,113 nicht mit dem Normzweck des § 1a KSchG in Einklang bringen.114 § 1a KSchG böte nicht länger ein rechtssicheres Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung, wenn der Arbeitnehmer selbst unmittelbar vor Ablauf der Klagefrist noch damit rechnen muss, nun doch keine Abfindung zu erhalten und sodann auf eine nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 KSchG angewiesen ist.

___________ 107

Raab, RdA 2005, 1, 4. Raab, RdA 2005, 1, 4. 109 Raab, RdA 2005, 1, 4. Zur Ausnahmestellung des § 657 BGB im Hinblick auf das Vertragsprinzip Seiler, in: MünchKomm-BGB, § 657 Rdnr. 4. 110 Kotzian-Marggraf, in: Bamberger/Roth, BGB, § 657 Rdnr. 3. 111 Kotzian-Marggraf, in: Bamberger/Roth, BGB, § 657 Rdnr. 2; Seiler, in: MünchKomm-BGB, § 657 Rdnr. 4. 112 Vgl. dazu die Beispiele bei Kotzian-Marggraf, in: Bamberger/Roth, BGB, § 657 Rdnr. 1; Seiler, in: MünchKomm-BGB, § 657 Rdnr. 18 f. 113 Raab, RdA 2005, 1, 7. 114 So auch Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 99. 108

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V. Der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach Maßgabe des § 1a KSchG – ein gesetzlich qualifizierter, aber rechtsgeschäftlicher Anspruch Damit ist der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach Maßgabe des § 1a KSchG kein gesetzlicher, sondern ein rechtsgeschäftlicher. Während der Hinweis des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer könne nach dem Verstreichenlassen der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG eine Abfindung verlangen, das entsprechende Angebot bildet, fingiert § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG mit Ablauf der Klagefrist die korrespondierende Annahmeerklärung des Arbeitnehmers. Dieser rechtsgeschäftliche Anspruch ist allerdings in mehrerer Hinsicht gesetzlich qualifiziert.115 Zum einen durch § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG, der bestimmte formale Anforderungen an das Vorliegen eines wirksamen Angebots des Arbeitgebers stellt, zum anderen durch § 1a Abs. 2 KSchG mit seiner detaillierten Regelung hinsichtlich der Höhe der Abfindung. Deutlich hervorgetreten ist bereits an dieser Stelle die Nähe des § 1a KSchG zu dem von der Rechtspraxis entwickelten Abwicklungsvertrag. Anders als dieser enthält die Vereinbarung gemäß § 1a KSchG zwar keine Regelung über einen Klageverzicht des Arbeitnehmers, führt aber zu demselben Ergebnis, fingiert § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG die Annahmeerklärung des Arbeitnehmers erst mit Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG. § 1a KSchG begründet keinen gesetzlichen Anspruch, sondern beschreibt das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer,116 ohne dabei jedoch auf eine rein deklaratorische Beschreibung des Vertragsschlusses beschränkt zu sein.117 Vielmehr ermöglicht § 1a KSchG den Arbeitsvertragsparteien den Abschluss eines Abwicklungsvertrages unter erleichterten Voraussetzungen.

___________ 115

So auch A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 3. Preis, DB 2004, 70, 71; A. Wolff, BB 2004, 378; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 2. 117 So aber Preis, DB 2004, 70, 72. 116

§ 7 Der Tatbestand des § 1a KSchG A. Anwendbarkeit des KSchG in sachlicher und persönlicher Hinsicht Der Abschluss einer Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG setzt zunächst die Anwendbarkeit des KSchG in sachlicher und persönlicher Hinsicht voraus.1 Das bedeutet zum einen, dass gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG in dem Betrieb oder Unternehmen, in welchem der zu kündigende Arbeitnehmer beschäftigt ist, in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt sein müssen. Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31.12.2003 begonnen hat, eröffnet § 23 Abs. 1 S. 3 HS 1 KSchG den sachlichen Anwendungsbereich des KSchG einschränkend erst dann, wenn der Arbeitgeber in seinem Betrieb regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt. Diese nach dem 31.12.2003 eingestellten Arbeitnehmer sind im Übrigen auch bei der Berechnung des Schwellenwertes nach S. 2 nicht zu berücksichtigen, § 23 Abs. 1 S. 3 HS 2 KSchG. In persönlicher Hinsicht verlangt § 1 Abs. 1 KSchG ein länger als sechs Monate ununterbrochen bestehendes Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen, in welchem der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beschäftigt ist. Erst wenn beide Voraussetzungen vorliegen, kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Angebot auf Zahlung einer Abfindung nach Maßgabe des § 1a KSchG unterbreiten. Dieses aus der systematischen Stellung des § 1a im KSchG abgeleitete Ergebnis2 ist jedoch nicht unwidersprochen geblieben. Nach der Auffassung von A. Wolff spiele es keine Rolle, ob der betriebliche oder persönliche Anwendungsbereich des KSchG eröffnet ist.3 Die Regelung ziele gerade darauf ab, ge___________ 1

Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 4; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 3; Däubler, NZA 2004, 177, 178; Elz, BuW 2004, 388, 390; Grobys, DB 2003, 2174; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 8; Kraus, Abfindungen, S. 127; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 7; Merz, Abfindungsanspruch, S. 30; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167b; Quecke, RdA 2004, 86, 95; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 7; Raab, RdA 2005, 1, 4 f.; Rolfs, ZIP 2004, 333, 334; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 100. 2 So auch Kraus, Abfindungen, S. 127. 3 A. Wolff, BB 2004, 378, 379; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 4. Dem folgend Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 62.

§ 7 Tatbestand

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richtliche Streitigkeiten auch über die Anwendbarkeit des KSchG zu vermeiden.4 Giesen und Besgen differenzieren ebenso wie Weyand nach sachlichem und persönlichem Anwendungsbereich: Während die Voraussetzungen an die Betriebsgröße nach § 23 Abs. 1 KSchG tatsächlich erfüllt sein müssten, sei unerheblich, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich bereits sechs Monate beschäftigt habe.5 § 1a KSchG ginge es darum, gerade die mit dieser Frage verbundene Rechtsunsicherheit zu vermeiden.6 Beide abweichende Auffassungen lassen sich nicht mit dem Gesetz vereinbaren. Zwar gibt der Wortlaut des § 1a KSchG keinen Anhaltspunkt, doch verbietet die systematische Stellung des § 1a im KSchG eine über den persönlichen und sachlichen Geltungsbereich des KSchG hinausgehende Anwendung. § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG nimmt explizit auf § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG Bezug. Diese Vorschrift formt ihrerseits die Regelung des § 1 Abs. 1 KSchG näher aus, welche ausdrücklich bestimmt, dass das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers nur dann dem Schutz des § 1 KSchG vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen unterliegt, wenn dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterberechung länger als sechs Monate bestanden hat. Jegliche Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse außerhalb des persönlichen Geltungsbereichs des KSchG ist gerade keine nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ausgesprochene. § 1a KSchG ergänzt den Schutz des Arbeitnehmers im Falle des Ausspruchs einer Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG, beide Vorschriften stehen mithin in einem untrennbaren Zusammenhang. Dem steht auch nicht entgegen, dass § 4 KSchG auch auf Kleinbetriebe Anwendung findet.7 Diese Vorschrift ist allgemeiner, nicht ausschließlich auf das KSchG bezogener Natur, der Gesetzgeber hätte sie auch in einem anderen Gesetz platzieren können.8 Ein weiteres systematisches Argument liefert § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG, der zwar die Anwendung des § 4 S. 1 KSchG ohne Rücksicht auf die Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer im Unternehmen anordnet, ___________ 4

Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 62; A. Wolff, BB 2004, 378, 379; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 4. 5 Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 235, 243. 6 Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186. 7 Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 8; Kraus, Abfindungen, S. 128; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 7. Zur Anwendung des § 4 S. 1 KSchG ohne Rücksicht auf die Einschränkungen der §§ 1 Abs. 1 S. 1, 23 Abs. 1 KSchG vgl. nur Ascheid, in: APS, § 4 KSchG Rdnr. 14; Bader, NZA 2004, 65, 68; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 11a; Gallner, in: HaKo-KSchG, § 4 Rdnr. 2b; Kiel, in: ErfKomm, § 4 KSchG Rdnr. 1; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 136 Rdnr. 3 f.; Preis, DB 2004, 70, 77; Raab, RdA 2004, 321, 332. 8 Kraus, Abfindungen, S. 128 f.; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 7.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

§ 1a KSchG dabei jedoch nicht erwähnt. Auch der Normzweck des § 1a KSchG liefert keine Anhaltspunkte für eine über den sachlichen und persönlichen Geltungsbereich des KSchG hinausgehende Anwendung des § 1a KSchG. Diese Norm beabsichtigt, der aufgrund der Anforderungen des § 1 KSchG bestehenden Rechtsunsicherheit bei Vornahme einer betriebsbedingten Kündigung mittels Bereitstellung eines Verfahrens der außergerichtlichen Streitbeilegung zu begegnen und ist damit auf den Geltungsbereich des KSchG begrenzt. Schließlich liefern auch die Gesetzgebungsmaterialien keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber mit § 1a KSchG die Schaffung eines allgemeinen, für alle Arbeitsverhältnisse geltenden Abfindungsanspruchs bezweckte.9 Im Übrigen besteht auch kein praktisches Bedürfnis einer extensiven Anwendung des § 1a KSchG. § 1a KSchG hindert den Arbeitgeber nicht, dem Arbeitnehmer außerhalb des Anwendungsbereichs der Norm den Abschluss eines Abwicklungsvertrages anzutragen.

B. Ausspruch einer Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse, § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG i.V.m. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG setzt zum Abschluss der Abfindungsvereinbarung den Ausspruch einer Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse durch den Arbeitgeber voraus. Kündigungen aus Gründen in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers können demzufolge keinen Anspruch auf eine Abfindung nach Maßgabe des § 1a KSchG begründen. I. Ordentliche Beendigungskündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse Die von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG vorausgesetzte Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse meint in erster Linie die ordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG. Dafür sprechen der eindeutige Wortlaut, die systematische Stellung sowie der Sinn und Zweck dieser Vorschrift, gerade die betriebsbedingte Kündigung, deren Ursachen allein in der Sphäre des Arbeitgebers liegen, mit einem Abfindungsanspruch zu verknüpfen10. Auch der Gesetzgeber sieht den Anwendungsbereich in erster Linie bei der ordentlichen betriebsbedingten Beendigungskündigung.11 Allerdings lässt der Wortlaut des § 1a Abs. 1 KSchG offen, ob der mit dem Abfindungsangebot verbundenen Kündigung auch tatsächlich dringende betriebliche Erfordernisse zugrunde liegen müssen oder allein die Erklärung des ___________ 9

Kraus, Abfindungen, S. 128; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 7. BT-Drs. 15/1204, S. 12. 11 BT-Drs. 15/1204, S. 9, 12. 10

§ 7 Tatbestand

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Arbeitgebers, er kündige aus diesem Grund, ausreicht. Während S. 1 der Vorschrift („Kündigt der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 Satz 1 […]“) das objektive Vorhandensein aller Voraussetzungen einer Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nahe legt, lässt S. 2 für ein wirksames Angebot des Arbeitgebers dessen Hinweis darauf ausreichen, „dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist“, was wiederum zu der Schlussfolgerung verleiten könnte, allein die Bezeichnung der Kündigung als „betriebsbedingt“ sei Voraussetzung eines wirksamen Angebots auf Abschluss eines Abfindungsvertrages nach Maßgabe des § 1a KSchG. Die erstgenannte Deutungsweise lässt sich indes weder mit Sinn und Zweck des § 1a KSchG noch der historischen Vorstellung des Gesetzgebers vereinbaren. Danach soll § 1a KSchG den Arbeitsvertragsparteien ein einfaches Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung eines Streits über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung vorhalten.12 Die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung steht regelmäßig aber gerade aufgrund der mit den Anforderungen des § 1 KSchG verbundenen Rechtsunsicherheit in Streit. Rechtsunsicherheit löst dabei nicht nur die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung aus, sondern bereits im Ausgangspunkt die Prüfung, ob überhaupt dringende betriebliche Erfordernisse den Ausschlag für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegeben haben. Dazu muss der Arbeitgeber vortragen, dass zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist ein Arbeitskräfteüberhang besteht.13 Dieser kann einmal durch außerbetriebliche Gründe bedingt sein, die einen konkreten Bezug zu dem Betrieb des Arbeitgebers haben und sich speziell auf bestimmte Arbeitsplätze auswirken, wie z.B. Auftragsmangel, Rohstoffmangel, ein Umsatzrückgang oder eine veränderte Marktstruktur.14 Er kann den Wegfall eines Arbeitsplatzes auch mit innerbetrieblichen Ursachen begründen, etwa der Einführung neuer Fertigungsmethoden, der Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen oder organisatorischen Veränderungen, die zu Betriebseinschränkungen, Betriebsstilllegungen oder zur Schließung von Be___________ 12

BT-Drs. 15/1204, S. 12; Kraus, Abfindungen, S. 89; Quecke, RdA 2004, 86, 94; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 1. 13 BAG vom 01.07.1976, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 1R; BAG vom 30.05.1985, AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 3R; BAG vom 17.06.1999, AP Nr. 101 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 2f.; Berkowsky, Betriebsbedingte Kündigung, § 5 Rdnr. 8; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 514-515. 14 BAG 07.12.1978, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 2; BAG vom 17.06.1999, AP Nr. 101 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 2; BAG vom 26.09.2002, AP Nr. 124 zu § 1 KSchG 1969 Bl. 3; Berkowsky, Betriebsbedingte Kündigung, § 5 Rdnr. 70; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 517; Preis in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 942.

252

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

triebsabteilungen führen.15 Dabei darf sich der Arbeitgeber jeweils nicht auf schlagwortartige Umschreibungen beschränken, er muss seine tatsächlichen Angaben vielmehr im Einzelnen so darlegen, dass sie vom Arbeitnehmer mit Gegentatsachen bestritten und vom Gericht überprüft werden können.16 Doch nicht nur den Wegfall eines konkreten Arbeitsplatzes hat der Arbeitgeber zu beweisen, auch seine im Grundsatz freie Unternehmensentscheidung, die dem Entfall des Arbeitsplatzes vorangegangen ist, unterliegt einer eingeschränkten gerichtlichen Missbrauchskontrolle, ob sie nicht offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.17 Das Ziel des § 1a KSchG einer beschleunigten und effektiven Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes würde verfehlt, müssten die Arbeitsgerichte bei jeder auf § 1a KSchG gestützten Zahlungsklage erst prüfen, ob auch tatsächlich betriebsbedingte Gründe den Ausschlag für die Kündigung gegeben haben.18 Die Konsequenz einer derartigen Auslegung mutet geradezu widersinnig an: Der Arbeitnehmer könnte die Abfindung nach § 1a KSchG regelmäßig nur bei einer rechtswirksamen betriebsbedingten Kündigung beanspruchen, also dann, wenn der Arbeitgeber ohnehin in der Lage gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis einseitig und ohne Abfindungszahlung aufzulösen, während sie ihm bei einer rechtswidrigen Kündigung versagt bliebe, dennoch aber die Frist des § 4 S. 1 KSchG verstrichen ist.19 Damit reicht zur Entstehung des Abfindungsanspruchs allein die Bezeichnung der Kündigung durch den Arbeitgeber als „betriebsbedingt“ aus, mögen

___________ 15

BAG 07.12.1978, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 2; BAG vom 17.06.1999, AP Nr. 101 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Bl. 2; BAG vom 26.09.2002, AP Nr. 124 zu § 1 KSchG 1969 Bl. 3; Berkowsky, Betriebsbedingte Kündigung, § 5 Rdnr. 70; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 519; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 941. 16 BAG vom 17.06.1999, AP Nr. 101 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Bl. 2. 17 BAG vom 24.10.1979, AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 2R; BAG vom 26.09.2002, AP Nr. 124 zu § 1 KSchG 1969 Bl. 3R f.; BAG vom 05.12.2002, AP Nr. 126 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 3R; BAG vom 22.05.2003, AP Nr. 128 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 2R; Berkowsky, Betriebsbedingte Kündigung, § 5 Rdnr. 20; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 522; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 945. 18 Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 11; Merz, Abfindungsanspruch, S. 72; Nägele, ArbRB 2003, 274, 275; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167e; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 38; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 31; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182. 19 Rolfs, ZIP 2004, 333, 334.

§ 7 Tatbestand

253

auch dafür tatsächlich andere Gründe den Ausschlag gegeben haben.20 Selbst eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung kann einen Abfindungsanspruch nach Maßgabe des § 1a KSchG auslösen, wenn der Arbeitgeber diese nur als „betriebsbedingt“ bezeichnet.21 Abzulehnen ist daher auch die Auffassung, ein wirksames Abfindungsangebot nach § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG setze voraus, dass die Kündigung, würde sie der Überprüfung ihrer sozialen Rechtfertigung unterworfen, sich an den für die betriebsbedingte Kündigung entwickelten Maßstäben messen lassen müsse, nicht aber, dass sie diesen Maßstäben auch standhielte22. Dann nämlich wären die Arbeitsgerichte stets zu der Prüfung gezwungen, ob der Arbeitgeber auch tatsächlich eine Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse ausgesprochen hat. Gleiches gilt erst recht für die Ansicht Grobys’, § 1a Abs. 1 KSchG verlange, dass der Arbeitgeber die Kündigung auf betriebsbedingte Gründe stützen will und diese Absicht im Kündigungsschreiben ihren Niederschlag findet23. Noch schwieriger als die Feststellung, ob dringende betriebliche Erfordernisse die Kündigung auch tatsächlich bedingten, ist die Ermittlung des tatsächlichen Willens des Arbeitgebers; diese Vorgehensweise ist schlicht nicht praktikabel.24 Bezeichnet der Arbeitgeber die Kündigung als betriebsbedingt, kann er sich in einem späteren Prozess, mit dem der Arbeitnehmer seinen aus der Abfindungsvereinbarung resultierenden Zahlungsanspruch verfolgt, nicht darauf berufen, tatsächlich hätten personen- oder verhaltensbedingte Gründe den Aus___________ 20

LAG Hamm vom 07.06.2005, LAGE Nr. 1 zu § 1a KSchG S. 3; Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 4; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 3; Bader, NZA 2004, 65, 71; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 8a; Buschmann, AuR 2004, 1, 3; Däubler, NZA 2004, 177, 178; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 4; Gaul/Bonanni, ArbRB 2004, 48, 49; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 3; Kossens, AuA 1/2004, 10, 11; Kraus, Abfindungen, S. 130; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 7; Merz, Abfindungsanspruch, S. 72; Preis, DB 2004, 70, 73; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167e; Quecke, RdA 2004, 86, 95; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 8; Raab, RdA 2005, 1, 6; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 38; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 31; Tschöpe, MDR 2004, 193, 197; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182. Unklar Nägele, ArbRB 2003, 274, 275, nach dessen Auffassung § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG verlangt, dass die Kündigung objektiv betriebsbedingt erfolgt sei, dann aber gleichwohl die bloße Bezeichnung durch den Arbeitgeber ausreichen lässt. Unentschlossen auch Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 11 f. 21 Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Kraus, Abfindungen, S. 132; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 7; Quecke, RdA 2004, 86, 95; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 8; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 38. 22 Rolfs, ZIP 2004, 333, 335. Wohl auch Hanau, ZIP 2004, 1169, 1177, nach dessen Auffassung zumindest „betriebliche Interessen“ für die Kündigung vorgelegen haben müssen; dem folgend Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 101. 23 Grobys, DB 2003, 2174, 2176. 24 Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186 Fn. 12.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

schlag für den Ausspruch der Kündigung gegeben.25 Diesem Vorbringen könnte der Arbeitnehmer nicht nur die aus § 242 BGB folgende Einrede widersprüchlichen Verhaltens – venire contra factum proprium – entgegen halten,26 ein entsprechender Vortrag des Arbeitgebers ist unerheblich. § 1a KSchG verwehrt dem Arbeitsgericht jegliche Prüfung zur Ermittlung des tatsächlichen Kündigungsgrundes, der Arbeitgeber muss sich an die in seinem Abfindungsangebot getroffene Bezeichnung der Kündigung festhalten lassen. II. Außerordentliche Beendigungskündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse Nur scheinbar eindeutig ist die Rechtslage bei der außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen dringender betrieblicher Erfordernisse. § 13 Abs. 3 KSchG ordnet für diesen Fall an, dass, mit Ausnahme der Vorschriften über die Klagefrist sowie die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses, die Bestimmungen des ersten Abschnitts des KSchG, in dem sich auch der § 1a befindet, keine Anwendung finden. Auch der Wortlaut des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG bezieht sich ausschließlich auf die ordentliche betriebsbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 KSchG.27 Daher findet sich im Schrifttum28 ebenso wie in der Gesetzesbegründung29 die Auffassung, der Anwendungsbereich des § 1a KSchG sei auf ordentliche Kündigungen beschränkt. 1. Der Anwendungsbereich der außerordentlichen Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse mit sozialer Auslauffrist Dringende betriebliche Erfordernisse berechtigen den Arbeitgeber im Grundsatz auch nicht zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung.30 ___________ 25

S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 4; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 4; Kraus, Abfindungen, S. 130 f.; Merz, Abfindungsanspruch, S. 72; Preis, DB 2004, 70, 73; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167e; Quecke, in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 8; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182. 26 S. Fiebig in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 4; Kittner in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 4; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167e; Quecke, in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 8. 27 AA Grobys, DB 2003, 2174. 28 J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 5; Mayer, AiB 2004, 19, 22; Merz, Abfindungsanspruch, S. 64 f.; Nägele, ArbRB 2003, 274, 275; Rolfs, ZIP 2004, 333, 334. 29 BT-Drs. 15/1204. S. 12. 30 BAG vom 28.03.1985, AP Nr. 86 zu § 626 BGB Bl. 2R; BAG vom 22.07.1992, EzA Nr. 141 zu § 626 BGB n.F. S. 6; BAG vom 05.02.1998, AP Nr. 143 zu § 626 BGB Bl. 3R; BAG vom 08.04.2003, AP Nr. 181 zu § 626 BGB Bl. 3; Bröhl, Außerordentliche Kündigung, S. 140; Fischermeier, in: KR § 626 BGB Rdnr. 155; Preis, in: Staudinger, § 626 Rdnr. 230; Schwerdtner, in: FS Kissel, S. 1077, 1087.

§ 7 Tatbestand

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Der Arbeitgeber trägt das Wirtschafts- und Betriebsrisiko, realisiert sich dieses auch plötzlich und aufgrund unvorhergesehener Ereignisse.31 Nur wenn ein Tarif- oder Arbeitsvertrag zugunsten des Arbeitnehmers den Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts bestimmt, ermöglicht das BAG dem Arbeitgeber den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, falls eine Versetzung des Arbeitnehmers in einen anderen Betrieb des Unternehmens nicht möglich ist.32 Das Gericht legt in diesem Fall bei der Prüfung der Unzumutbarkeit der weiteren Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, § 626 Abs. 1 BGB, einen besonders strengen Maßstab an.33 Der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung kommt demnach nur in solch extremen Ausnahmefällen in Betracht, in denen der Kündigungsausschluss dem Arbeitgeber etwas Unmögliches oder evident Unzumutbares aufbürdet.34 Bliebe diesem nur die Wahl, einen unkündbaren Arbeitnehmer über längere Zeit bis zum Eintritt des Ruhestands ohne Beschäftigungsmöglichkeit weiter zu entlohnen oder auf die Durchführung einer als sachdienlich erachteten unternehmerischen Entscheidung zu verzichten, so sei dies regelmäßig nicht mit Art. 12 Abs. 1 GG zu vereinbaren.35 Der Arbeitgeber könne nicht über Jahre hinweg verpflichtet werden, das vertraglich vereinbarte Entgelt zu zahlen, ohne dafür eine Arbeitsleistung von seinem Arbeitnehmer zu erhalten.36 Im Übrigen lehnt das BAG das Prüfungsprogramm an das der ordentlichen Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse an: Vor Ausspruch ___________ 31

BAG vom 28.03.1985, AP Nr. 86 zu § 626 BGB Bl. 2R; BAG vom 05.02.1998, AP Nr. 143 zu § 626 BGB Bl. 3R; Bröhl, Außerordentliche Kündigung, S. 140; Preis, in: Staudinger, § 626 Rdnr. 230; Schwerdtner, in: FS Kissel, S. 1077, 1087. 32 BAG vom 28.03.1985, AP Nr. 86 zu § 626 BGB Bl. 2R; BAG vom 22.07.1992, EzA Nr. 141 zu § 626 BGB S. 6; BAG vom 05.02.1998, AP Nr. 143 zu § 626 BGB Bl. 3R, 4 f.; BAG vom 08.04.2003, AP Nr. 181 zu § 626 BGB Bl. 2R f.; Fischermeier, in: KR § 626 BGB Rdnr. 158; Preis, in: Staudinger, § 626 Rdnr. 230. AA Bröhl, in: FS Schaub, S. 55, 67, der eine verfassungskonforme Einschränkung der Tarifklausel vornehmen und dem Arbeitgeber so ausnahmsweise das Recht zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung belassen will (anders dann aber ders., Außerordentliche Kündigung, S. 113 ff.) Dem folgend Oetker, ZfA 2001, 287, 336 ff. Bröhl hat übrigens für die außerordentliche Kündigung ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer den Begriff der „Orlando-Kündigung“ geprägt, S. 72. Ausführlich zum Ganzen von Koppenfels, Außerordentliche Kündigung; Pomberg, Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer. 33 BAG vom 03.11.1955, AP Nr. 4 zu § 626 BGB Bl. 1R f.; BAG vom 05.02.1998, AP Nr. 143 zu § 626 BGB Bl. 3R; BAG vom 08.04.2003, AP Nr. 181 zu § 626 BGB Bl. 3. 34 BAG vom 08.04.2003, AP Nr. 181 zu § 626 BGB Bl. 3. 35 Fischermeier, in: KR § 626 BGB Rdnr. 158. 36 BAG vom 28.03.1985, AP Nr. 86 zu § 626 BGB Bl. 2R; BAG vom 22.07.1992, EzA Nr. 141 zu § 626 BGB S. 6 f.; BAG vom 05.02.1998, AP Nr. 143 zu § 626 BGB Bl. 3R; BAG vom 08.04.2003, AP Nr. 181 zu § 626 BGB Bl. 3; Preis, in: Staudinger, § 626 Rdnr. 230.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

der Kündigung ist der Arbeitgeber verpflichtet, mit allen zumutbaren Mitteln eine Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers im Unternehmen zu ermöglichen, gegebenenfalls auch durch Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes im Wege der Umorganisation oder durch Versetzung eines anderen Arbeitnehmers.37 Außerdem verpflichtet ihn das Gericht zur Vornahme einer sozialen Auswahl entsprechend der Grundsätze des § 1 Abs. 3 KSchG.38 Da die außerordentliche Kündigung bei einem einzel- oder tarifvertraglichen Kündigungsausschluss an die Stelle der ordentlichen tritt, entstehe ein Wertungswiderspruch, wollte man zugunsten des besonders geschützten Arbeitnehmers nicht zumindest die Kündigungsschranken beachten, die diesen im Falle einer ordentlichen Kündigung schützen.39 Spricht der Arbeitgeber schließlich eine Kündigung aus, muss er die gesetzliche oder tarifvertragliche Kündigungsfrist einhalten, die gelten würde, wäre das Recht zur ordentlichen Kündigung nicht ausgeschlossen.40 2. Analoge Anwendung des § 1a KSchG Auf diesen Sonderfall der außerordentlichen Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse mit sozialer Auslauffrist findet § 1a KSchG im Wege eines Analogieschlusses Anwendung.41 Dazu bedarf es zunächst einer planwidrigen Regelungslücke, also einer Unvollständigkeit des Gesetzes, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht.42 Den Besonderheiten der außerordentlichen Kündigung tariflich oder arbeitsver___________ 37

BAG vom 09.07.1964, AP Nr. 52 zu § 626 BGB Bl. 2R; BAG vom 05.02.1998, AP Nr. 143 zu § 626 BGB Bl. 4 f.; BAG vom 17.09.1998, AP Nr. 148 zu § 626 BGB Bl. 5R. 38 BAG vom 05.02.1998, AP Nr. 143 zu § 626 BGB Bl. 4. 39 BAG vom 05.02.1998, AP Nr. 143 zu § 626 BGB Bl. 4. 40 BAG vom 05.02.1998, AP Nr. 143 zu § 626 BGB Bl. 3R; Fischermeier, in: KR, § 626 BGB Rdnr. 304; Preis, in: Staudinger, § 626 Rdnr. 230; Schwerdtner, in: FS Kissel, S. 1077, 1087 f. 41 Ebenso Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 3; Bader, NZA 2004, 65, 71; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 7; Bröhl, Außerordentliche Kündigung, S. 189 f.; Däubler, NZA 2004, 177, 178; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 7; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Grobys, DB 2003, 2174; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 9; Kraus, Abfindungen, S. 133 f.; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 61; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 19; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 8; Nägele, ArbRB 2004, 80, 81; Preis, DB 2004, 70, 73; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167c; Quecke, RdA 2004, 86, 96; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 9; Raab, RdA 2005, 1, 5; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 36; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 25; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 239 f.; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182; A. Wolff, BB 2004, 378, 379; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 10. 42 Larenz/ Canaris, Methodenlehre, S. 194 f.

§ 7 Tatbestand

257

traglich unkündbarer Arbeitnehmer trägt weder § 13 Abs. 1 S. 2 BGB noch § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG Rechnung, ohne dass etwa ein Fall „beredten Schweigens“ des Gesetzes vorläge, welches die Feststellung einer planwidrigen Regelungslücke ausschließt. Bereits den Gesetzgebungsmaterialien lässt sich an keiner Stelle ein Hinweis entnehmen, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten der außerordentlichen Kündigung dieser Arbeitnehmergruppe vor Augen gehabt und angesichts dessen bewusst auf eine Regelung verzichtet hätte. Vielmehr liefe eine Nichtanwendung des § 1a KSchG der Regelungsabsicht des Gesetzes zuwider, die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer in ihren Voraussetzungen der ordentlichen Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse so weit anzunähern, dass diese Arbeitnehmer gegenüber ordentlich kündbaren Arbeitnehmern nicht schlechter gestellt sind.43 Damit weist § 1a KSchG eine planwidrige Regelungslücke auf. Weitere Voraussetzung eines Analogieschlusses ist die teleologische Vergleichbarkeit des geregelten mit dem nicht geregelten Sachverhalt: Der im Gesetz nicht ausdrücklich geregelte Tatbestand ist ein solcher, auf den das Prinzip des Gesetzes gleichfalls zutrifft, sofern keine Gründe einer Ausnahme von dem Prinzip vorliegen.44 Die von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG nicht erfasste außerordentliche betriebsbedingte Kündigung ist zu dem von der Norm erfassten Sachverhalt vergleichbar, weil das Gesetz eine Übertragung der Wirksamkeitsvoraussetzungen der ordentlichen betriebsbedingten Kündigung auf die außerordentliche Kündigung ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer fordert.45 Die tarif- oder einzelvertragliche Vereinbarung eines Ausschlusses des Rechts zur ordentlichen Kündigung darf nicht dazu führen, dass sich für den Fall dringender betrieblicher Erfordernisse die Rechtsstellung der ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer gegenüber den übrigen verschlechtert. Sind damit aber die Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse denen der ordentlichen Kündigung weitgehend angenähert, so fordert das dem Analogieschluss zugrunde liegende Gebot der Gleichbehandlung auch eine Anwendung des § 1a KSchG. Da die mit dem Ausspruch einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung bestehenden Risiken eines Kündigungsschutzprozesses sowohl für den Arbeitgeber als auch den Arbeitnehmer denen einer ordentlichen Kündigung vergleichbar sind, kann § 1a KSchG sei-

___________ 43

Bader, NZA 2004, 65, 71; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 7; S. Fiebig, in: HaKoKSchG, § 1a Rdnr. 2, 7; Quecke, RdA 2004, 86, 96; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 9; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 25. 44 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 202. 45 Bader, NZA 2004, 65, 71; Kraus, Abfindungen, S. 133; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Preis, DB 2004, 70, 73; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167c; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 239.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

nen Regelungszweck, diese Risiken gegen Zahlung einer Abfindung auszuschließen, auch bei der außerordentlichen Kündigung erreichen. 46 III. Abfindungsanspruch bei Ausspruch einer Änderungskündigung? Klärungsbedürftig ist schließlich auch die Frage der Anwendbarkeit des § 1a KSchG bei Ausspruch einer Änderungskündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse. Auch hier ist zwischen ordentlicher und außerordentlicher Änderungskündigung zu unterscheiden. 1. Ordentliche Änderungskündigung a) Die Besonderheiten der Änderungskündigung gegenüber einer Beendigungskündigung Unter einer Änderungskündigung versteht § 2 S. 1 KSchG eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses verbunden mit dem Angebot einer Fortsetzung zu geänderten Bedingungen. Die Änderungskündigung verbindet eine Beendigungskündigung mit einem Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Vertragsbedingungen fortzusetzen, zu einem einheitlichen Tatbestand, sie ist ein zusammengesetztes Rechtsgeschäft.47 Der Ausspruch einer Änderungskündigung eröffnet dem Arbeitnehmer verschiedene Reaktionsmöglichkeiten. Er kann das Änderungsangebot annehmen, so dass nach Ablauf der Kündigungsfrist sein Arbeitsverhältnis zu den geänderten Bedingungen fortbesteht. Er kann das Angebot des Arbeitgebers aber auch ablehnen und gegen die Beendigungskündigung Kündigungsschutzklage gemäß § 4 S. 1 KSchG erheben. Schließlich ermöglicht ihm § 2 S. 1 KSchG unter Abweichung von § 150 Abs. 2 BGB die Annahme des Vertragsangebots unter dem Vorbehalt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt ist. Diesen Vorbehalt muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erklären, § 2 S. 2 KSchG. Nimmt der Arbeitnehmer das Angebot unter dem Vorbehalt an, so steht der zustande gekommene Änderungsvertrag unter der auflösenden Bedingung der gerichtlich festgestellten Sozialwidrigkeit der Kündigung.48 Obwohl die Beendigungskündigung Bestandteil der ___________ 46

Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 9; Kraus, Abfindungen, S. 133. 47 Fischermeier, NZA 2000, 737; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1258; Rost, in: KR, § 2 KSchG Rdnr. 12. 48 BAG vom 27.09.1984, AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 5R; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1263; Rost, in: KR, § 2 KSchG Rdnr. 58.

§ 7 Tatbestand

259

Änderungskündigung ist, bildet bei der Änderungsschutzklage nach Maßgabe des § 4 S. 2 KSchG nicht diese, sondern die Änderung der Arbeitsbedingungen durch das Vertragsangebot des Arbeitgebers den Maßstab bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung.49 Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer die angebotene Vertragsänderung vorbehaltlos ablehnt, obwohl es dann – bei erfolglosem Kündigungsschutzprozess – zu einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommen kann.50 Das Prüfungsprogramm des BAG bei einer ordentlichen Änderungskündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse gestaltet sich damit zweistufig: Auf einer ersten Stufe untersucht das Gericht, ob die Änderung der Vertragsbedingungen auf dringende betriebliche Erfordernisse i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG zurückzuführen ist, auf einer zweiten Stufe stellt es dann mittels einer umfassenden Interessenabwägung fest, ob der Arbeitnehmer die konkret angebotene Vertragsänderung billigerweise hinnehmen musste.51 Besondere Bedeutung haben in der Rechtsprechung insbesondere Änderungskündigungen mit dem Ziel der Entgeltreduzierung,52 der Versetzung von Arbeitnehmern,53 der Arbeitszeitverkürzung54 oder dem Abbau tariflicher Leistungen55 erlangt. Bei der nach Maßgabe der §§ 2 S. 1, 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmenden Sozialauswahl ist nach der Art der Vertragsänderung zu differenzieren: Erfordert die unternehmerische Entscheidung zwangsläufig eine Änderung der Arbeits___________ 49

BAG vom 23.03.1983, AP Nr. 1 zu § 6 KSchG 1969 Bl. 2R f.; BAG vom 26.01.1995, AP Nr. 36 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 2R; Fischermeier, NZA 2000, 737, 738; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rdnr. 54; Precklein, Prüfungsmaßstab, S. 62 ff.; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1270; Rost, in: KR, § 2 KSchG Rdnr. 85 ff.; aA Berkowsky, Änderungskündigung, S. 79 ff.; ders., NZARR 2003, 449, 451. 50 BAG vom 07.06.1973, AP Nr. 1 zu § 626 BGB Änderungskündigung Bl. 3R; BAG vom 19.05.1993, AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 3R; BAG vom 24.04.1997, AP Nr. 42 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 2; Fischermeier, NZA 2000, 737, 738; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rdnr. 55; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1269; Rost, in: KR, § 2 KSchG Rdnr. 92; aA Herschel, FS Müller, S. 191, 207. 51 BAG vom 18.10.1984, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Bl. 3R; BAG vom 15.03.1991, AP Nr. 28 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 4; BAG vom 23.11.2000, AP Nr. 64 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 2; BAG vom 16.05.2002, AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 2R; BAG vom 27.03.2003, AP Nr. 72 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 2. 52 BAG vom 28.06.1986, AP Nr. 14 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 20.08.1998, AP Nr. 50 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 23.11.2000, AP Nr. 64 zu § 2 KSchG 1969, BAG vom 16.05.2002, AP Nr. 69 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 27.03.2003, AP Nr. 72 zu § 2 KSchG 1969. 53 BAG vom 30.09.1993, AP Nr. 33 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 21.02.2002, NZA 2002, 1416. 54 BAG vom 26.01.1995, AP Nr. 37 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 23.11.2000, AP Nr. 63 zu § 2 KSchG 1969. 55 BAG vom 10.03.1982, AP Nr. 2 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 18.12.1997, AP Nr. 46 zu § 2 KSchG 1969; BAG vom 10.02.1999, AP Nr. 52 zu § 2 KSchG 1969.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

bedingungen aller vergleichbaren Arbeitnehmer, etwa bei einer allgemeinen Senkung der Lohnkosten, spielt die Sozialauswahl keine Rolle; 56 sollen aber, etwa bei der Vornahme einer Versetzung, vergleichbare Arbeitnehmer zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt werden, hat eine Auswahl nach sozialen Gesichtpunkten zu erfolgen.57 Die besondere Zielsetzung der Änderungskündigung, die auf eine Änderung, nicht aber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzielt, erfordert auch eine gegenüber der Beendigungskündigung modifizierte Vornahme der Sozialauswahl. 58 Der Arbeitgeber hat zu prüfen, welchem der Arbeitnehmer die neuen Arbeitsbedingungen unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte am ehesten zumutbar sind.59 Auch bei der Gewichtung der Auswahlkriterien ist schließlich zu beachten, dass die soziale Schutzwürdigkeit der Arbeitnehmer im Hinblick auf die Veränderung der Arbeitsbedingungen zu prüfen ist.60 Dementsprechend spielen etwa die Unterhaltsverpflichtungen der zu vergleichenden Arbeitnehmer keine Rolle, wenn die Vertragsänderung nicht mit einer Einkommenseinbuße verbunden ist.61 b) Anwendbarkeit des § 1a KSchG bei der ordentlichen Änderungskündigung Die Verbindung von Beendigungskündigung und Änderungsangebot zu einer Änderungskündigung zieht also, verglichen mit einer Beendigungskündigung, zahlreiche Modifikationen bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung nach sich. Rolfs etwa lehnt deshalb eine Anwendung des § 1a KSchG bei Ausspruch einer Änderungskündigung vollständig ab: § 2 KSchG räume dem Arbeitnehmer stets die Möglichkeit ein, das Änderungsangebot des Arbeitgebers unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung anzunehmen und damit sein ___________ 56

Berkowsky, Änderungskündigung, S. 103; Fischermeier, NZA 2000, 737, 738; Precklein, Prüfungsmaßstab, S. 124. Zur Senkung der Lohnkosten lediglich einer Gruppe von Arbeitnehmern und den daraus folgenden Auswirkungen auf die Sozialauswahl vgl. Berkowsky, NZA-RR 2003, 449, 456. 57 Fischermeier, NZA 2000, 737, 738. 58 Rost, in: KR, § 2 KSchG Rdnr. 103. 59 BAG vom 18.10.1984, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Bl. 4R; BAG vom 13.06.1986, AP Nr. 13 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Bl. 3; BAG vom 19.05.1993, AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 6; Fischermeier, NZA 2000, 737, 738; Rost, in: KR, § 2 KSchG Rdnr. 103a; aA Berkowsky, Änderungskündigung, S. 104 ff.; Precklein, Prüfungsmaßstab, S. 130 f. 60 BAG vom 18.10. 1984, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl 4R; BAG vom 13.06.1986, AP Nr. 13 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Bl. 3; BAG vom 19.05.1993, AP Nr. 31 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 6R; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rdnr. 77; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1281; Rost, in: KR, § 2 KSchG Rdnr. 103b. 61 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rdnr. 77.

§ 7 Tatbestand

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Arbeitsverhältnis in jedem Fall zu erhalten, es fehle mithin an der von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG vorausgesetzten Beendigung des Arbeitsverhältnisses.62 Die entgegengesetzte Auffassung ermöglicht demgegenüber dem Arbeitgeber, eine Änderungskündigung stets auch mit einem Abfindungsangebot nach Maßgabe des § 1a KSchG verbinden zu können,63 also auch für den Fall, dass sich der Arbeitnehmer bereit erklärt, zu den geänderten Vertragsbedingungen weiterzuarbeiten. Denn jede Änderungskündigung enthalte nicht nur ein Angebot zur Änderung des Arbeitsvertrages, ihr sei stets auch eine Beendigungskündigung immanent.64 § 1a KSchG erreiche seinen Zweck, Kündigungsschutzprozesse zu vermeiden, auch dann, wenn der Arbeitnehmer die Vertragsänderung ohne weiteres akzeptiere.65 Überwiegend wird jedoch ein vermittelnder Ansatz vertreten. Danach soll § 1a KSchG zwar nicht gänzlich von einer Anwendung ausgeschlossen, jedoch nur dann einschlägig sein, wenn der Arbeitnehmer das Angebot des Arbeitgebers zur Änderung des Arbeitsvertrages vorbehaltlos ablehnt.66 In diesem, aber auch nur in diesem Fall, sehe sich der Arbeitgeber der gleichen Lage ausgesetzt, als hätte er von vornherein eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses angestrebt.67 Diese Auffassung ist zutreffend. Zwar spricht § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG lediglich von einer Kündigung, ohne eine Differenzierung zwischen Beendigungsund Änderungskündigung vorzunehmen. Jedoch verweist die Norm nach ihrem insoweit eindeutigen Wortlaut allein auf die in § 4 S. 1 KSchG geregelte Kündigungsschutzklage. Der Arbeitgeber kann demnach eine Abfindung nach Maßgabe des § 1a KSchG nur unter der Voraussetzung anbieten, dass sich der Arbeitnehmer gegen die Kündigung auch mit einer Kündigungsschutzklage zur ___________ 62

Rolfs, ZIP 2004, 333, 334. Ebenso Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 6. S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 6; Kraus, Abfindungen, S. 134; Löwisch/Caspers, in: GS Heinze, S. 565, 569; Löwisch/Spinner, KSchG, § 2 Rdnr. 4; Nägele, ArbRB 2004, 80, 81. 64 S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 6; Kraus, Abfindungen, S. 134; Nägele, ArbRB 2004, 80, 81. 65 Kraus, Abfindungen, S. 135; Löwisch/Caspers, in: GS Heinze, S. 565, 569. 66 LAG Baden-Württemberg vom 26.06.2006, LAGE Nr. 4 zu § 1a KSchG S. 3; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 3; Däubler, NZA 2004, 177, 178; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 10; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 8; Merz, Abfindungsanspruch, S. 66; Quecke, RdA 2004, 86, 96; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 9; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167d; Raab, RdA 2005, 1, 5; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 27; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 241; A. Wolff, BB 2004, 378, 379; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 11. Wohl auch Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 37. 67 Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 10; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 27; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 241. 63

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Wehr setzen kann. Statthafte Klage gegen eine Änderungskündigung ist jedoch in der Regel die Änderungsschutzklage gemäß § 4 S. 2 KSchG, auf den § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG nicht verweist.68 § 4 S. 2 KSchG findet dann Anwendung, wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot des Arbeitgebers unter dem Vorbehalt der fehlenden sozialen Rechtfertigung annimmt, § 2 S. 1 KSchG. Regelmäßig ist damit bei Ausspruch einer Änderungskündigung die Anwendung des § 1a KSchG versperrt. Auch der Streitgegenstand einer Änderungsschutzklage ist ein anderer als der einer Kündigungsschutzklage: Bei letzterer haben die Arbeitsgerichte zu klären, ob das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Arbeitgebers aufgelöst wurde, Prüfungsgegenstand der Änderungsschutzklage ist dagegen die Wirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen.69 Lehnt der Arbeitnehmer die angebotene Vertragsänderung hingegen vorbehaltlos ab, so kann er keine Änderungs-, § 4 S. 2 KSchG, sondern allein eine Kündigungsschutzklage nach Maßgabe des § 4 S. 1 KSchG erheben.70 Damit aber sind die Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG erfüllt: Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach Maßgabe des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG gekündigt und letzterer kann diese Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage gemäß § 4 S. 1 KSchG angreifen. Einer analogen Anwendung des § 1a KSchG in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer eine Annahme der geänderten Vertragsbedingungen entweder vorbehaltlos oder unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung erklärt, steht die fehlende teleologische Vergleichbarkeit zu der vorgenannten Fallgestaltung entgegen. Zwar lässt sich nicht behaupten, im Falle einer Änderungskündigung fehle es an der von § 1a KSchG vorausgesetzten Beendigung des Arbeitsverhältnisses.71 Der Arbeitgeber beabsichtigt mit einer Änderungskündigung immer eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bestehenden Vertragsinhalt. Das Leitbild des § 1a KSchG ist aber ein anderes: Der Verweisung in Abs. 1 S. 1 auf § 4 S. 1 KSchG zufolge geht die Norm von einer Beendigung jeglicher vertraglicher Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus. Deshalb bemisst § 1a Abs. 2 ___________ 68

Merz, Abfindungsanspruch, S. 68; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 27; A. Wolff, BB 2004, 378, 379; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 11. 69 BAG vom 23.03.1983, AP Nr. 1 zu § 6 KSchG 1969 Bl. 2R f.; BAG vom 26.01.1995, AP Nr. 36 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 2R; Fischermeier, NZA 2000, 737, 738; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rdnr. 54; Precklein, Prüfungsmaßstab, S. 62 ff.; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1270; Rost, in: KR, § 2 KSchG Rdnr. 85 ff.; aA Berkowsky, Änderungskündigung, S. 79 ff.; ders., NZA-RR 2003, 449, 451. 70 Ascheid, in: APS, § 4 KSchG Rdnr. 116; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 284. 71 So aber Rolfs, ZIP 2004, 333, 334; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 27.

§ 7 Tatbestand

263

KSchG die Höhe der Abfindung auch pauschal nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses, währenddessen bei einer beabsichtigten Inbezugnahme der Änderungskündigung eine differenzierte Regelung, etwa nach der Höhe des Einkommensverlustes bei einer Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung, nahe gelegen hätte. Eine wirksame Änderungskündigung führt zu einem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses. § 1a KSchG kann in diesem Fall seine Zielsetzung nicht erreichen. Die Norm gewährt eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, nicht aber einen Ausgleich für die sich aufgrund einer wirksamen Änderungskündigung verschlechternden Arbeitsbedingungen.72 Bietet also ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer bei Ausspruch einer Änderungskündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse eine Abfindung nach § 1a KSchG an, so kann der Arbeitnehmer diese nur dann beanspruchen, wenn er das Änderungsangebot vorbehaltlos ablehnt und die Frist des § 4 S. 1 KSchG verstreichen lässt. Nimmt der Arbeitnehmer das Änderungsangebot vorbehaltlos oder unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an, entsteht kein Abfindungsanspruch. Eine Abfindungsvereinbarung kommt in den beiden letztgenannten Fällen selbst dann nicht zustande, wenn sich der Arbeitnehmer ausdrücklich mit dem Abfindungsangebot einverstanden erklärt. Es liegt insoweit ein offener Einigungsmangel, § 154 Abs. 1 S. 1 BGB, vor: Die Annahmeerklärung korrespondiert nicht mit dem Angebot des Arbeitgebers, eine Abfindung unter den Voraussetzungen des § 1a KSchG zahlen zu wollen. 2. Außerordentliche Änderungskündigung Damit ist auch der Weg bei einer außerordentlichen Änderungskündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse vorgezeichnet. Zwar nimmt der Wortlaut des § 1a KSchG auf diese ebenso wenig Bezug wie der des § 2 KSchG. Dennoch ermöglichen Literatur und Rechtsprechung dem Arbeitnehmer auch bei einer außerordentlichen Änderungskündigung einhellig eine Vorbehaltsannahme sowie eine Änderungsschutzklage analog §§ 2, 4 S. 2 KSchG.73 Als der Gesetzgeber die Regelungen zur Änderungskündigung in das KSchG einfügte, habe er offensichtlich übersehen, § 13 Abs. 1 S. 2 KSchG an

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Raab, RdA 2005, 1, 5; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 27. BAG vom 17.05.1984, AP Nr. 3 zu § 55 BAT Bl. 4R f.; BAG vom 19.06.1986, AP Nr. 16 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 3; BAG vom 27.03.1987, AP Nr. 20 zu § 2 KSchG 1969 Bl. 2; Fischermeier, NZA 2000, 737; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rdnr. 6; Rost, in: KR, § 2 KSchG Rdnr. 32; aA Löwisch, NZA 1988, 633, 640. 73

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

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diese neuen Vorschriften anzupassen.74 Es liege deshalb eine Regelungslücke vor, die durch eine analoge Anwendung des § 2 KSchG zu schließen sei. 75 Eine außerordentliche Änderungskündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse kommt regelmäßig aber nur für diejenigen Arbeitnehmer in Betracht, für die entweder der einschlägige Tarifvertrag oder der jeweilige Arbeitsvertrag einen Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung vorsehen.76 Wie schon bei Ausspruch einer außerordentlichen Beendigungskündigung ist dem besonders kündigungsgeschützten Arbeitnehmer eine Auslauffrist entsprechend der einschlägigen Kündigungsfrist einzuräumen, die der Arbeitgeber hätte beachten müssen, wäre das Recht zur ordentlichen Kündigung nicht ausgeschlossen.77 Auch findet die Regelung des § 2 S. 2 KSchG Anwendung, welche dem Arbeitnehmer ermöglicht, während der Auslauffrist, spätestens aber drei Wochen ab Zugang der Änderungskündigung das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Nachprüfung anzunehmen.78 Damit entspricht die Situation der Arbeitnehmer, zu deren Gunsten das Recht zur ordentlichen Kündigung ausgeschlossen wurde, der des Ausspruchs einer außerordentlichen Beendigungskündigung. § 1a KSchG findet im Wege einer Analogie dann Anwendung, wenn der Arbeitnehmer das Angebot zur Vertragsänderung vorbehaltlos ablehnt.

C. Der Vertragsschluss – Zustandekommen der Abfindungsvereinbarung I. Das Angebot des Arbeitgebers – Hinweis, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann, § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG Ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung gegen den Arbeitgeber nach Maßgabe des § 1a KSchG kein gesetzlicher, sondern ein rechtsgeschäftlicher, so setzt dieser zuerst ein entsprechendes Angebot des Arbeitgebers voraus.79 § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG überlässt dem Arbeitgeber damit ___________ 74

BAG vom 17.05.1984, AP Nr. 3 zu § 55 BAT Bl. 5; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rdnr. 6; Rost, in: KR, § 2 KSchG Rdnr. 32. 75 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 2 Rdnr. 6. 76 Berkowsky, Änderungskündigung, S. 115; Fischermeier, NZA 2000, 737; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1260. Dazu ausführlich Pomberg, Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer, S. 324 ff. 77 Fischermeier, NZA 2000, 737; 78 Fischermeier, NZA 2000, 737; Rost, in: KR, § 2 KSchG Rdnr. 33. 79 Ausführlich zur Rechtsnatur des „Hinweises“ oben unter § 6 B III, S. 230 ff.

§ 7 Tatbestand

265

die freie Entscheidung, eine Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse mit einem Abfindungsangebot zu verbinden. Ist er etwa der Überzeugung, die Kündigung werde sich bei einem vom Arbeitnehmer angestrengten Kündigungsschutzprozess mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als wirksam erweisen oder schätzt er das finanzielle Risiko eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens im Vergleich zur Höhe der nach § 1a Abs. 2 KSchG geschuldeten Abfindung als niedriger ein, kann er auch von einem Angebot gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG absehen. Entschließt er sich demgegenüber, von der Regelung des § 1a KSchG Gebrauch zu machen und eine Abfindung anzubieten, so stellt § 1a Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 KSchG an dieses Angebot nicht nur inhaltliche und formelle Anforderungen. Die rechtsgeschäftliche Natur des Abfindungsangebots führt auch zu zahlreichen Folgeproblemen, die den von der Rechtsgeschäftslehre vorgegebenen Lösungswegen unterworfen sind. 1. Formelle Voraussetzungen des Angebots, § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG verpflichtet den Arbeitgeber zur Beachtung mehrerer formeller Voraussetzungen: Er muss das Abfindungsangebot zusammen mit der Kündigung erklären, angeben, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und schließlich den Arbeitnehmer darauf hinweisen, dass er bei Verstreichenlassen der Klagefrist eine Abfindung beanspruchen kann. a) Kündigung und Abfindungsangebot als einheitlicher Tatbestand Gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG bilden Kündigungserklärung und Abfindungsangebot einen einheitlichen Tatbestand. Danach muss das Abfindungsangebot „in der Kündigungserklärung“ enthalten sein, der Arbeitgeber kann das Angebot nur zusammen mit der Kündigung im Kündigungsschreiben erklären.80

___________ 80

Bader, NZA 2004, 65, 71; Lakies, NJ 2004, 150, 153; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 10; Merz, Abfindungsanspruch, S. 30; Quecke, RdA 2004, 86, 96; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 11; Raab, RdA 2005, 1, 6; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 44; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 258; aA A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 7, wonach der Arbeitgeber auch noch später eine Erklärung gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG abgeben kann.

266

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

b) Schriftform, § 623 BGB Bilden Kündigungserklärung und Abfindungsangebot einen einheitlichen Tatbestand, so partizipiert letzteres auch an dem für die Kündigungserklärung geltenden Schriftformerfordernis des § 623 BGB.81 Gemäß § 126 Abs. 1 BGB muss daher die Urkunde beide Willenserklärungen enthalten und mit der eigenhändigen Namensunterschrift des Ausstellers abschließen. Die Beifügung einer nicht unterzeichneten Urkunde zu der Kündigung genügt diesen Anforderungen ebenso wenig wie ein gesondert oder mündlich erteilter Hinweis. 82 Die Unterschrift des Erklärenden muss unterhalb des Urkundentextes stehen und diesen räumlich abschließen.83 Nachträge, die der Arbeitgeber unterhalb der Unterschrift in die Urkunde aufnimmt, sind erneut und gesondert zu unterschreiben. 84 Sinn dieser Schriftform ist es, irrtümliche Erklärungen zu vermeiden und dem Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger Rechtsklarheit und Beweissicherung zu verschaffen.85 Die von § 623 BGB erfassten Erklärungen muss der Arbeitgeber aber nicht nur in der vorgeschriebenen Form erstellt haben, sie müssen dem Arbeitnehmer in dieser Form auch zugegangen sein.86 Eine Übermittlung per Fax oder e-mail reicht daher auch dann nicht aus, wenn diese mit einem eingescannten Namenszug des Arbeitgebers versehen sind.87 ___________ 81

So schon der Gesetzgeber, BT-Drs. 15/1204, S. 12. Im Schrifttum Backmeister, in: Backmeister/Trittin/Mayer, KSchG, § 1a KSchG Rdnr. 5; Bader, NZA 2004, 65, 71; J.H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Däubler, NZA 2004, 177, 178; Düwell, ZTR 2004, 130, 131; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 11; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 18; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 8; Lakies, NJ 2004, 150, 153; Merz, Abfindungsanspruch, S. 54; Nägele, ArbRB 2003, 274, 275; Quecke, RdA 2004, 86, 96; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 11; Raab, RdA 2005, 1, 5; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 38; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 44; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 100; Tschöpe, MDR 2004, 193, 197; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 257; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182; A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 4; Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673, 1677. 82 Bader, NZA 2004, 65, 71; Däubler, NJW 2004, 177, 178; Lakies, NJ 2004, 150, 153; Quecke, RdA 2004, 86, 96; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 11; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 258. 83 BGH vom 20.11.1990, NJW 1991, 487; BGH vom 27.06.1994, NJW 1994, 2300; Oetker, in: Staudinger, § 623 Rdnr. 43; Wendtland, in: Bamberger/Roth, BGB, § 126 Rdnr. 6. 84 BGH vom 24.01.1990, NJW-RR 1990, 518; BGH vom 27.06.1994, NJW 1994, 2300; Oetker, in: Staudinger, § 623 Rdnr. 43; Wendtland in: Bamberger/Roth, BGB, § 126 Rdnr. 6. 85 BT-Drs. 15/1204, S. 12. 86 LAG Hamm vom 04.12.2003, NZA-RR 2004, 190; Müller, BB 2004, 1343. 87 Oetker, in: Staudinger, § 623 Rdnr. 47, 56, 58.

§ 7 Tatbestand

267

Ein Formverstoß löst allerdings nicht die von § 125 S. 1 BGB88 angeordnete Nichtigkeitsfolge aus. Genügt das Abfindungsangebot nicht der gesetzlichen Schriftform, so liegt überhaupt kein Angebot nach Maßgabe des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG vor: Es fehlt bereits an dem von der Norm geforderten einheitlichen Tatbestand, der Verbindung von Angebot und Kündigung in ein und demselben Kündigungsschreiben. Ein solchermaßen erklärtes Abfindungsangebot ist ein aliud zu dem von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG geregelten. Es handelt sich dann um ein formlos wirksames Angebot zur Zahlung einer Abfindung außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1a KSchG, welches der Arbeitnehmer nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen annehmen kann. 89 Nimmt der Arbeitnehmer das Angebot ausdrücklich oder konkludent an, haben die Arbeitsvertragsparteien einen Abwicklungsvertrag geschlossen, welcher nicht der Formvorschrift des § 623 BGB unterworfen ist:90 Diese Bestimmung fordert die Schriftform nur für solche Verträge, die selbst zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen, was auf den Abwicklungsvertrag nicht zutrifft, da dieser nur die Modalitäten der Beendigung des Arbeitsverhältnisses regelt.91 Folglich bedarf es auch nicht der von J.-H. Bauer, Krieger, Merz und Spilger vorgenommen Korrektur über § 242 BGB. Nach deren Auffassung soll dem Arbeitgeber, sofern er dem Arbeitnehmer eine Abfindung lediglich mündlich anbietet und diesen so von einer fristgerechten Klageerhebung abgehalten hat, eine Berufung auf das Schriftformerfordernis nach § 242 BGB versagt bleiben.92 Dieser Rückgriff auf § 242 BGB ist aber unnötig, da bereits das mündlich ausgesprochene Angebot den Arbeitgeber bindet. Zwar kann dem Arbeitnehmer nicht die Annahmefiktion des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG zugute kommen, weil bereits die Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG nicht erfüllt sind, ___________ 88

Nach hM ist eine Kündigung, die nicht der gesetzlichen Schriftform genügt, gemäß § 125 S. 1 BGB nichtig, vgl. etwa Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 123 Rdnr. 55; MüllerGlöge, in: ErfKomm, § 623 BGB Rdnr. 24; Spilger, in: KR, § 623 BGB Rdnr. 128, 180; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 623 Rdnr. 8. Nach aA ordnet bereits § 623 BGB unmittelbar die Unwirksamkeit der Kündigung an, vgl. etwa Oetker, in: Staudinger, § 623 Rdnr. 67; Dorndorf, in: HaKo-KSchG, § 1 Rdnr. 117a. 89 S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 12; Lakies, NJ 2004, 150, 153; Merz, Abfindungsanspruch, S. 133; Raab, RdA 2005, 1, 6. Näher dazu unten unter § 9 B, S. 375 ff. 90 J.-H. Bauer, NZA 2002, 169, 170; Müller-Glöge, in: ErfKomm, § 623 BGB Rdnr. 14; Preis, in: APS, § 623 BGB Rdnr. 9; Oetker, in: Staudinger, § 623 BGB Rdnr. 35; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 32; Spilger, in: KR, § 623 BGB Rdnr. 49; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 623 Rdnr. 5; aA Berscheid, ZInsO 2000, 208, 209; Richardi, NZA 2001, 57, 61; Sander/R. Siebert, AuR 2000, 330, 335; Schaub, NZA 2000, 344, 347. 91 Oetker, in: Staudinger, § 623 BGB Rdnr. 35. 92 J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Merz, Abfindungsanspruch, S. 58 f.; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 44.

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

268

es steht ihm aber frei, das Angebot nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen anzunehmen.93 c) Hinweis des Arbeitgebers auf dringende betriebliche Erfordernisse Schließlich verpflichtet § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG den Arbeitgeber auch zu der Mitteilung, dass die Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse erfolgte. Dieser Hinweispflicht genügt der Arbeitgeber aber bereits dann, wenn er lediglich auf Sachverhalte verweist, die grundsätzlich geeignet sind, eine betriebsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, etwa auf eine Betriebsschließung, die Stilllegung einer Abteilung oder einen sonstiger Wegfall von Arbeitsplätzen.94 Unterlässt er diese Erklärung oder findet sich diese erst in einem weiteren Schreiben wieder, so entsteht ebenfalls kein Abfindungsanspruch gemäß § 1a KSchG.95 Doch hat der Arbeitgeber auch in diesem Fall, außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1a KSchG, ein wirksames Angebot auf Zahlung einer Abfindung in dem von § 1a Abs. 2 KSchG bestimmten Umfang abgegeben.96 Auch ein Abfindungsangebot des Arbeitgebers mit der ausdrücklichen Erklärung, die Kündigung sei wegen in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Gründen erfolgt, erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG.97 Das erscheint angesichts des unmissverständlichen Wortlauts an sich selbstverständlich, doch scheidet auch eine analoge Anwendung der Norm für diese Kündigungsgründe aus.98 Dabei fehlt es sowohl an einer planwidrigen Regelungslücke als auch einer Vergleichbarkeit der Interessenlage des geregelten mit dem nicht geregelten Fall. Eine Regelungslücke liegt ___________ 93

Näher dazu unten unter § 9 B, S. 375 ff. Bader, NZA 2004, 65, 73; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 8a; S. Fiebig, in: HaKoKSchG, § 1a Rdnr. 9; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 9; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Merz, Abfindungsanspruch, S. 86; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 249; A. Wolff, BB 2004, 378, 379; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 4. 95 Grobys, DB 2003, 2174, 2176; Kraus, Abfindungen, S. 131; Rolfs, ZIP 2004, 333, 335; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 46; aA A. Wolff, BB 2004, 378, 379; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 4, nach dessen Auffassung der Arbeitgeber den schriftlichen Hinweis auch später erklären kann. 96 Kraus, Abfindungen, S. 131; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Preis, DB 2004, 70, 73. Näher dazu unten unter § 9 B, S. 375 ff. 97 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 4; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 3; J.-H. Bauer/Krieger, NJW 2004, 77; Hergenröder, in: MünchKommBGB, § 1a KSchG Rdnr. 11; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Preis, DB 2004, 70, 73; Raab, RdA 2005, 1, 8; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 236. 98 Preis, DB 2004, 70, 73. 94

§ 7 Tatbestand

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deshalb nicht vor, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch bei einer personenoder verhaltensbedingten Kündigung rechtsgeschäftlich eine Abfindung vereinbaren können, sie sind also nicht auf das von § 1a KSchG bereitgehaltene Instrumentarium angewiesen. Eine betriebsbedingte Kündigung ist auch nicht mit einer personen- oder verhaltensbedingten Kündigung vergleichbar. Die Umstände, die zum Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung führen, sind allein der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen, während diese bei einer personen- oder verhaltensbedingten Kündigung in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers ihren Ursprung haben. Gerade der fehlende Einfluss des Arbeitnehmers auf die betriebsbedingte Kündigung hat aber den Gesetzgeber zur Regelung des § 1a KSchG bewogen, damit dieser, abhängig vom Willen des Arbeitgebers, unter erleichterten Voraussetzungen eine Abfindung beanspruchen kann.99 Auch ein „Nachschieben“ der Erklärung des Arbeitgebers, er habe aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt, führt nicht zu einer analogen Anwendung des § 1a KSchG.100 § 1a KSchG kann seinen Zweck, effektiv und zeitsparend eine außergerichtliche Klärung eines Streits über die Wirksamkeit der Kündigung herbeizuführen, nicht erreichen, wenn sich der Arbeitnehmer nicht bereits mit Zugang des Abfindungsangebots sicher sein kann, dass seine Untätigkeit im Hinblick auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage den Abfindungsanspruch begründet. 2. Zugang des Angebots Zuletzt muss das Abfindungsangebot des Arbeitgebers auch gegenüber dem Arbeitnehmer wirksam werden. Das setzt bei Abwesenheit den Zugang der Erklärung beim Arbeitnehmer voraus, § 130 Abs. 1 S. 1 BGB, bezüglich des Wirksamwerdens einer Willenserklärung unter Anwesenheit trifft das Gesetz keine ausdrücklich Regelung. Da Kündigung und Abfindungsangebot Bestandteile ein und derselben Urkunde sind, gelten die bezüglich des Zugangs von Kündigungserklärungen von Literatur und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze. Übergibt der Arbeitgeber das Schreiben unmittelbar dem zu kündigenden Arbeitnehmer, werden Kündigungserklärung und Abfindungsangebot sofort mit der erkennbaren Übergabe wirksam.101 Ob und wann der Arbeitnehmer das Schreiben tatsächlich liest, ist ohne Bedeutung.102 ___________ 99

BT-Drs. 15/1204, S. 12. AA A. Wolff, BB 2004, 378, 379; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 5, der in diesem Fall § 1a KSchG sogar unmittelbar anwenden will. 101 BAG vom 16.02.1983, AP Nr. 22 zu § 123 BGB Bl. 2; LAG Hamm vom 04.12.2003, NZA-RR 2004, 190, 191; Becker-Schaffner, BB 1998, 422; Corts, in: Schliemann, BGB-Arbeitsrecht, § 620 Rdnr. 469; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG 100

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Bei Abwesenheit geht dem Arbeitnehmer das schriftliche Abfindungsangebot dann zu, wenn es in seinen Machtbereich gelangt und unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis zu nehmen.103 Sobald für den Empfänger diese Möglichkeit unter gewöhnlichen Umständen besteht, spielt es keine Rolle, wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat oder ob er daran zunächst durch Abwesenheit, Krankheit oder andere Umstände zeitweilig gehindert war: Es kommt allein auf die abstrakte Möglichkeit der Kenntnisnahme an.104 Hindernisse aus der Sphäre des Empfängers bleiben grundsätzlich ohne Beachtung, da der Arbeitnehmer diesen durch geeignete Vorkehrungen begegnen kann. 105 So geht nach der Rechtsprechung des BAG ein Kündigungsschreiben auch dann zu, wenn sich der Arbeitnehmer im Erholungsurlaub befindet und der Arbeitgeber weiß, dass er während seines Urlaubs verreist ist.106 Wird ein Brief in den Hausbriefkasten eingeworfen, so geht er in dem Zeitpunkt zu, in dem nach der Verkehrsanschauung mit einer Leerung gerechnet werden konnte.107 Eine Kündigung, die erst erhebliche Zeit nach der allgemeinen Postzustellung in den Hausbriefkasten geworfen wird, geht dem Arbeitnehmer damit regelmäßig erst am nächsten Morgen zu.108 Wählt der Arbeitgeber eine Versendung des Kündigungsschrei___________ Rdnr. 101; Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 10 Rdnr. 55; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 210; Wank, in: MünchArbR II, § 118 Rdnr. 31. 102 BAG vom 16.02.1983, AP Nr. 22 zu § 123 BGB Bl. 2; LAG Hamm vom 04.12.2003, NZA-RR 2004, 190, 191; Becker-Schaffner, BB 1998, 422; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 101; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 210. 103 BAG vom 11.06.1959, AP Nr. 1 zu § 130 BGB Bl. 2; BAG vom 02.03.1989, AP Nr. 17 zu § 130 BGB Bl. 2 f.; BAG vom 11.11.1992, AP Nr. 18 zu § 130 BGB Bl. 2R f.; BAG vom 26.11.1997, AP Nr. 19 zu § 130 BGB Bl. 1R; Becker-Schaffner, BB 1998, 422; Corts, in: Schliemann, BGB-Arbeitsrecht, § 620 Rdnr. 470; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 102; Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 10 Rdnr. 54; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 211; Wank, in: MünchArbR II, § 118 Rdnr. 31. 104 BAG vom 02.03.1989, AP Nr. 17 zu § 130 BGB Bl. 3; BAG vom 11.11.1992, AP Nr. 18 zu § 130 BGB Bl. 3; Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 211, 213. 105 Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 212. 106 BAG vom 16.03.1988, AP Nr. 16 zu § 130 BGB Bl. 3R; BAG vom 02.03.1989, AP Nr. 17 zu § 130 BGB Bl. 3; BAG vom 11.11.1992, AP Nr. 18 zu § 130 BGB Bl. 3. 107 BAG vom 08.12.1983, NZA 1984, 31; BAG vom 02.03.1989, AP Nr. 17 zu § 130 BGB Bl. 3, 4; Becker-Schaffner, BB 1998, 422, 423; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 103; Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306, 307; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 10 Rdnr. 56; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 211; Wank, in: MünchArbR II, § 118 Rdnr. 36. 108 BAG vom 08.12.1983, NZA 1984, 31; Becker-Schaffner, BB 1998, 422, 423; Corts, in: Schliemann, BGB-Arbeitsrecht, § 620 Rdnr. 470; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 103; Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306, 307.

§ 7 Tatbestand

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bens mittels Übergabe-Einschreibens, so tritt der Zugang nicht bereits mit dem Einwurf eines Benachrichtigungsscheins in den Hausbriefkasten, sondern erst mit der Abholung des Einschreibebriefs bei der zuständigen Postfiliale ein.109 Verweigert der Arbeitnehmer grundlos die Annahme der Kündigung oder vereitelt er sonst arglistig den Zugang, etwa weil er bereits anderweitig von dem Inhalt des Kündigungsschreibens Kenntnis erlangt hat, so gilt die Erklärung zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs als zugegangen.110 Verhindert der Arbeitnehmer rechtsmissbräuchlich die Aushändigung eines Übergabeeinschreibens oder unterlässt er es rechtsmissbräuchlich, dieses Einschreiben bei der niederlegenden Postfiliale abzuholen, so muss er sich so behandeln lassen, als wäre ihm die Sendung zugegangen.111 Da im Grundsatz keine Verpflichtung besteht, Vorkehrungen für den Zugang von Erklärungen zu treffen, ist dafür aber Voraussetzung, dass der Erklärungsempfänger im Rahmen der vertraglichen Beziehungen mit rechtserheblichen Mitteilungen des Absenders rechnen und deshalb auch eine Empfangsvorrichtung bereithalten musste, wie dies bei einem Arbeitsverhältnis stets der Fall ist.112 Bei einer Ablehnung durch einen Empfangsboten tritt diese Zugangsfiktion nur dann ein, wenn der Arbeitnehmer auf die Annahmeverweigerung durch vorherige Absprachen Einfluss genommen hat.113 ___________ 109

BAG vom 15.11.1962, AP Nr. 4 zu § 130 BGB 1R f.; BAG vom 25.04.1996, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG Bl. 2; BAG vom 07.11.2002, AP Nr. 19 zu § 620 BGB Kündigungserklärung Bl. 6; Becker-Schaffner, BB 1998, 422, 424; Corts, in: Schliemann, BGB-Arbeitsrecht, § 620 Rdnr. 474; Franzen, JuS 1999, 429, 431; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 113; Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306, 309; Herbert, NJW 1997, 1829, 1830; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 10 Rdnr. 57; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 220; Ramrath, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG Bl. 4, 4R; Wank, in: MünchArbR II, § 118 Rdnr. 31. 110 BGH vom 26.11.1997, AP Nr. 19 zu § 130 Bl. 2; BAG vom 07.11.2002, AP Nr. 19 zu § 620 BGB Kündigungserklärung Bl. 6R; Becker-Schaffner, BB 1998, 422, 426 f.; Franzen, JuS 1999, 429, 432; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 120; Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306, 307; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 10 Rdnr. 62; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 224. 111 BAG vom 15.11.1962, AP Nr. 4 zu § 130 BGB Bl. 2; BGH vom 26.11.1997, AP Nr. 19 zu § 130 BGB Bl. 2; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 124; Wank, in: MünchArbR II, § 118 Rdnr. 36. 112 BAG vom 04.03.1965, AP Nr. 5 zu § 130 BGB Bl. 3; BGH vom 26.11.1997, AP Nr. 19 zu § 130 BGB Bl. 2; Corts, in: Schliemann, BGB-Arbeitsrecht, § 620 Rdnr. 478; Einsele, in: MünchKomm-BGB, § 130 Rdnr. 34; Franzen, JuS 1999, 429, 431; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 224. Einschränkend wohl BAG vom 07.11.2002, AP Nr. 19 zu § 620 BGB Kündigungserklärung Bl. 6R, das auf die besonderen Umstände des Einzelfalls abstellt, insbesondere darauf, dass der Arbeitnehmern nach mehreren erfolglosen Zustellversuchen mit dem Zugang einer Kündigung rechnen musste. 113 BAG vom 11.11.1992, AP Nr. 18 zu § 130 BGB Bl. 4; Corts, in: Schliemann, BGB-Arbeitsrecht, § 620 Rdnr. 479; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 127a;

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

In allen übrigen Fällen des Bestehens eines Zugangshindernisses muss sich der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als wäre ihm die Kündigung bereits zum Zeitpunkt des ersten Zustellversuchs zugegangen, wenn der Arbeitgeber die Zustellung unverzüglich wiederholt.114 Dafür reicht es aus, wenn die Verzögerung auf Umstände zurückzuführen ist, die dem Einflussbereich des Arbeitnehmers zuzurechnen sind.115 Es unterliegt damit der freien Entscheidung des Arbeitgebers, ob er einen erneuten Zustellungsversuch bewirken oder überhaupt von seiner Kündigungsabsicht Abstand nehmen will. 116 Geht etwa ein nicht abgeholtes Einschreiben an den Arbeitgeber zurück, so muss dieser den Zugang noch auf andere Weise bewirken, dem Arbeitnehmer ist in einem solchen Fall eine Berufung auf die Verzögerung versagt.117 II. Die von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG gesetzlich fingierte Annahmeerklärung des Arbeitnehmers – Verstreichenlassen der Frist des § 4 S. 1 KSchG Lässt der Arbeitnehmer gemäß § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG verstreichen, ohne eine Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung zu erheben, kann er von dem Arbeitgeber die Zahlung der angebotenen Abfindung beanspruchen, beide haben eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vereinbarung geschlossen. § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG fingiert in diesem Fall diee rechtsgeschäftliche Annahmeerklärung.118 Die Klagefrist beträgt gemäß § 4 S. 1 KSchG drei Wochen ab Zugang der Kündigung, Fristbeginn ist nach Maßgabe des § 187 Abs. 1 BGB der auf den Zugang der Kündigung folgende Tag, Fristende der Ablauf desjenigen Tages der dritten Woche, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem die Kündigung zuging, § 188 Abs. 2 BGB.

___________ Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306, 307; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 224; Wank, in: MünchArbR II, § 118 Rdnr. 35. 114 BAG vom 04.03.1965, AP Nr. 5 zu § 130 BGB Bl. 2R; BAG vom 18.12.1977, AP Nr. 10 zu § 130 BGB Bl. 3; BAG vom 25.04.1996, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG Bl. 2R; Franzen, JuS 1999, 429, 432; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 119; Gaul/Otto, ArbRB 2003, 306, 309; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 10 Rdnr. 62; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 223. 115 Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 223. 116 BAG vom 25.04.1996, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2. 117 BGH vom 26.11.1997, AP Nr. 19 zu § 130 BGB Bl. 2; Corts in: Schliemann, BGB-Arbeitsrecht, § 620 Rdnr. 478; Herbert, NJW 1997, 1829, 1830; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht I, § 10 Rdnr. 62. 118 Ausführlich zur Rechtsnatur des Verstreichenlassens der Klagefrist oben unter § 6 B IV, S. 236 ff.

§ 7 Tatbestand

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1. Beginn der Klagefrist a) Zugangsvereitelung und Zugangsverhinderung Beginnt die Frist des § 4 S. 1 KSchG mit dem Zugang der Kündigung zu laufen, so bereitet die Ermittlung von Fristbeginn und Fristende regelmäßig keine Schwierigkeiten. Besonderheiten gelten aber in den vorgenannten Fällen der Zugangsvereitlung und -verzögerung. Fingiert das Gesetz bei einer arglistigen Zugangsvereitelung einen Zugang bereits mit der Vornahme des Zustellversuchs, so ist auch zur Ermittlung des Beginns der Klagefrist der Tag des Zustellversuchs und nicht der des tatsächlichen Zugangs von Kündigung und Abfindungsangebot maßgebend. Das trifft hingegen nicht auf die Fälle der Zugangsverhinderung zu. Holt etwa der Arbeitnehmer ein Einschreiben nicht unverzüglich, sondern erst nach mehreren Tagen bei der Postfiliale ab, läuft die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG auch dann erst ab Abholung des Einschreibens, wenn es dem Arbeitnehmer nach den bei einer Zugangsverhinderung anzuwendenden Grundsätzen versagt ist, sich dem Arbeitgeber gegenüber auf ein Versäumnis von diesem zu beachtender Fristen zu berufen.119 Der Arbeitnehmer, so das BAG, könne sich auf ein Fristversäumnis des Arbeitgebers deshalb nicht berufen, weil ihm unter Anwendung des Rechtsgedankens aus § 162 BGB ein Vorteil genommen werden müsse, den er durch eine treuwidrige Verzögerung des Kündigungszugangs erlangt hat; unter welchen Umständen der Kündigungsempfänger jedoch nach Treu und Glauben das Recht verliere, die Unwirksamkeit der Kündigung im Klageweg geltend zu machen, richte sich nach dem allgemeinen Grundsatz der Verwirkung.120 Ein Klagebegehren aber sei nach allgemeinen Grundsätzen nur dann als verwirkt anzusehen, wenn der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhebe und dadurch beim Anspruchsgegner einen Vertrauenstatbestand schaffe, er werde nicht mehr gerichtlich belangt.121 Die gesetzlichen Regelungen der §§ 4 ff. KSchG bezweckten, im Interesse sowohl des Arbeitgebers als auch des Arbeitnehmers möglichst bald Klarheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu schaffen, die Frage der Wirksamkeit ___________ 119

BAG vom 25.04.1996, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2R, 4; Corts, in: Schliemann, BGB-Arbeitsrecht, § 620 Rdnr. 478; Franzen, JuS 1999, 429, 433; Höland, Jura 1998, 352, 358; aA Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 126a; Herbert, NJW 1997, 1829, 1830 f.; Ramrath, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG Bl. 4, 5R: Der Arbeitnehmer müsse sich bezüglich des Beginns der Frist des § 4 S. 1 KSchG nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB so behandeln lassen, als sei die Kündigung zum Zeitpunkt des erstmaligen Zustellversuchs zugegangen. 120 BAG vom 25.04.1996, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG Bl. 2R. 121 BAG vom 25.04.1996, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG Bl. 3.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

der Kündigung solle nicht über längere Zeit in der Schwebe gehalten werden.122 Damit bestehe im Regelfall kein Bedürfnis, die Klagefrist in Lauf zu setzen, bevor die Kündigung tatsächlich zugegangen sei. 123 Solange der Arbeitgeber von seinem Kündigungsentschluss noch Abstand nehmen könne, sei jedenfalls der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht dazu geeignet, den Arbeitnehmer zu einer Klageerhebung zu zwingen, zumal eine vorbeugende Klage gegen eine lediglich befürchtete Kündigung Zulässigkeitsbedenken unterliege.124 Außerdem müssten gerichtliche Fristen durch einen klar und objektiv zu bestimmenden Zeitpunkt in Lauf gesetzt werden, wofür ausschließlich der Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs in Betracht käme.125 Ein Arbeitnehmer handle folglich nicht treuwidrig, wenn er das Einschreiben innerhalb der von der Post mitgeteilten Aufbewahrungsfrist abholt und die Klagefrist ab dem Tag der Abholung berechnet.126 Damit ist bei Zugangshindernissen, welche nicht auf ein arglistiges Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen sind und die zwar zu einer verzögerten Zustellung, nicht aber zu einem erneuten Zustellversuch des Arbeitgebers führen, für den Beginn der Frist des § 4 S. 1 KSchG stets auf den Zeitpunkt des tatsächlich bewirkten Zugangs abzustellen. Ob dem Arbeitnehmer wegen seines treuwidrigen Verhaltens die Berufung auf ein infolge des Zugangshindernisses eingetretenes Fristversäumnis des Arbeitgebers verwehrt ist, spielt zumindest bezüglich der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG keine Rolle. Ausdrücklich offen gelassen hat das BAG eine Entscheidung für den Fall, dass der Arbeitnehmer das Einschreiben überhaupt nicht abholt.127 Doch auch dieser Sachverhalt rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. 128 Löst ein aus der Sphäre des Arbeitnehmers herrührendes Zugangshindernis im Grundsatz keine Zugangsfiktion aus und muss der Arbeitgeber für einen erfolgreichen Zugang einen erneuten Zustellversuch unternehmen, den er im Übrigen, wenn er von der Kündigung Abstand nehmen möchte, nicht vorzunehmen verpflichtet ist, so ist auch hier für den Beginn der Frist des § 4 S. 1 KSchG der Zeitpunkt des tatsächlich bewirkten Zugangs maßgeblich. Scheitert auch dieser erneute Zustellversuch, wird freilich häufig der Zugang fingiert, wenn etwa der Arbeitgeber den Ar___________ 122

BAG vom 25.04.1996, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG Bl. 3. BAG vom 25.04.1996, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG Bl. 3. 124 BAG vom 25.04.1996, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG Bl. 3. 125 BAG vom 25.04.1996, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG Bl. 3f.; Franzen, JuS 1999, 429, 433. 126 BAG vom 25.04.1996, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG Bl. 3R. 127 BAG vom 25.04.1996, AP Nr. 35 zu § 4 KSchG Bl. 3R. 128 Corts, in: Schliemann, BGB-Arbeitsrecht, § 620 Rdnr. 478; Franzen, JuS 1999, 429, 433. 123

§ 7 Tatbestand

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beitnehmer von der misslungenen Zustellung in Kenntnis setzt und dieser grundlos die erneute Zustellung vereitelt. b) Nichtlauf der Klagefrist, § 4 S. 4 KSchG Eine Besonderheit gilt es auch im Rahmen des Anwendungsbereichs des § 4 S. 4 KSchG zu beachten. Bedarf die Kündigung eines Arbeitnehmers einer behördlichen Zustimmung, läuft nach dieser Vorschrift die Frist des S. 1 erst ab Bekanntgabe der Zustimmung an den Arbeitnehmer. Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 03.07.2003 klargestellt, dass § 4 S. 4 KSchG nicht ausschließlich auf die Fälle der nachträglichen Zustimmung einer Behörde zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung oder der vorherigen Zustimmung, wenn die Bekanntgabe der Entscheidung erst nach Zugang der Kündigung erfolgte, anzuwenden ist,129 sondern darüber hinaus auch dann, wenn der Arbeitgeber von vornherein kein Zustimmungsverfahren, etwa nach den §§ 9 Abs. 3 S. 1 MuSchG, 18 Abs. 1 S. 2 und 3 BEEG, 85 SGB IX, einleitet oder die Zustimmung der Behörde bei Kündigungsausspruch zwar dem Arbeitgeber, nicht aber dem Arbeitnehmer vorliegt.130 Der Arbeitnehmer kann dann bis zur Grenze der prozessualen Verwirkung Kündigungsschutzklage erheben.131 Der Arbeitnehmer, dem die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung einen besonderen gesetzlichen Schutz gewährt, soll sich nach dem Normzweck des § 4 S. 4 KSchG im Fall einer Kündigung darauf verlassen können, dass die Kündigung mangels Zustimmung der Behörde unwirksam ist.132 Bis zur Be___________ 129

So noch von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 4 Rdnr. 61 f. sowie Zeising/Kröpelin, DB 2005, 1626, 1627 ff. 130 BAG vom 03.07.2003, AP Nr. 7 zu § 18 BErzGG Bl. 2f. Ebenso Ascheid, in: APS, § 4 KSchG Rdnr. 102; J.-H. Bauer, NZA 2004, 195, 196; W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 364; Buschmann, AuR 2004, 1, 3; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 202b; Gallner, in: HaKo-KSchG, § 4 Rdnr. 115 f.; Löwisch, BB 2004, 154, 159; Quecke, RdA 2004, 86, 99; Raab, RdA 2004, 321, 330 f.; Richardi, DB 2004, 486, 489; Rolfs, ZIP 2004, 333, 337; J. Schmidt, NZA 2004, 79, 80; Zimmer, FA 2004, 34, 36; einschränkend Berrisch, FA 2004, 6; aA Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 188, nach deren Auffassung § 4 S. 4 KSchG vollständig leer liefe, da § 4 S. 1 KSchG die Rechtsfolge des § 7 KSchG auf alle Unwirksamkeitsgründe erstrecke. Ebenso Pods/Quecke, in: HWK, § 4 KSchG Rdnr. 42, nach deren Auffassung S. 4 aber noch für die nachträglich bekannt gegebene Versagung der Zustimmung einschlägig sei. Zeising/Kröpelin, DB 2005, 1626, 1627 ff., wollen § 4 S. 4 KSchG auch weiterhin lediglich auf die nachträgliche behördliche Zustimmung begrenzen. 131 BAG vom 03.07.2003, AP Nr. 7 zu § 18 BErzGG Bl. 2, 3; Ascheid, in: APS, § 4 KSchG Rdnr. 102; W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 364; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 202b; Gallner, in: HaKo-KSchG, § 4 Rdnr. 115; Rolfs, ZIP 2004, 333, 338; J. Schmidt, NZA 2004, 79, 80. 132 BAG vom 03.07.2003, AP Nr. 7 zu § 18 BErzGG Bl. 2R f.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

kanntgabe deren Entscheidung an den Arbeitnehmer hat dieser keine hinreichende Kenntnis darüber, ob der Arbeitgeber die behördliche Zustimmung beantragt hat, wie die Behörde entschieden hat, ob dem Arbeitgeber bereits rechtswirksam eine Zustimmung erteilt worden ist und aus welchen Gründen dies gegebenenfalls geschehen ist.133 Deshalb beginnt die Frist des § 4 S. 1 KSchG erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem der Arbeitnehmer selbst von der Behörde eine Mitteilung über den Ausgang des Zustimmungsverfahrens erhalten hat. Das soeben beschriebene Informationsdefizit des Arbeitnehmers besteht aber dann nicht, wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwangerschaft oder der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers hat und sich deshalb auch nicht dazu veranlasst sieht, ein behördliches Zustimmungsverfahren einzuleiten.134 Der Arbeitnehmer weiß, dass kein behördliches Zustimmungsverfahren laufen kann, er befindet sich mithin nicht in der von § 4 S. 4 KSchG vorausgesetzten Situation.135 Die Norm ist dann aufgrund einer teleologischen Reduktion unanwendbar, der Fristbeginn bemisst sich allein nach § 4 S. 1 KSchG.136 Zur Ermittlung des Fristbeginns ist auch dann allein § 4 S. 1 KSchG einschlägig, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber erst nach Zugang der Kündigung über die Anerkennung oder die Beantragung als Schwerbehinderter unterrichtet oder im Fall des § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG die Arbeitnehmerin erst nach Ablauf von drei Wochen Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erhält.137 Zwar unterliegt ein Arbeitnehmer auch dann dem Sonderkündigungsschutz des § 85 SGB IX, wenn der Arbeitgeber von seiner Schwerbehinderung keine Kenntnis hat, dieser den Arbeitgeber binnen drei Wochen ab Zugang der Kündigung von der Anerkennung oder Beantragung der Schwerbehinderteneigenschaft in Kenntnis setzt.138 Sonderkündigungsschutz genießt auch die schwangere Ar___________ 133

BAG vom 03.07.2003, AP Nr. 7 zu § 18 BErzGG Bl. 3. W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 364; Preis, NZA 2004, 195, 196; J. Schmidt, NZA 2004, 79, 81. 135 W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 364; Preis, NZA 2004, 195, 196; Raab, RdA 2004, 321, 331; J. Schmidt, NZA 2004, 79, 81. 136 Ascheid, in: APS, § 4 KSchG Rdnr. 102; W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 364; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 202a; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 136 Rdnr. 34; Löwisch, BB 2004, 154, 159; Preis, NZA 2004, 195, 196; Quecke, RdA 2004, 86, 100; Raab, RdA 2004, 321, 331; Richardi, DB 2004, 486, 489; J. Schmidt, NZA 2004, 79, 80; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1815c; Zimmer, FA 2004, 34, 36. 137 Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 202a; Preis, DB 2004, 70, 77; Quecke, RdA 2004, 86, 100. 138 BAG vom 12.01.2006, NZA 2006, 1035, 1037; Rolfs, in: ErfKomm, § 85 SGB IX Rdnr. 9. Bislang ging das BAG von einer Regelfrist von einem Monat aus, vgl. dazu BAG vom 23.02.1978, AP Nr. 3 zu § 12 SchwbG Bl. 5R ff.; BAG vom 05.07.1990, AP Nr. 1 zu § 15 SchwbG 1986 Bl. 2f.; BAG vom 07.03.2002, AP Nr. 11 zu § 15 SchwbG 134

§ 7 Tatbestand

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beitnehmerin gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG, die dem Arbeitgeber binnen zwei Wochen ab Zugang der Kündigung die bestehende Schwangerschaft mitteilt, wobei ein Überschreiten dieser Frist unschädlich ist, solange die Schwangere daran kein Verschulden trifft. In beiden Fällen liegt das Informationsdefizit aber wiederum nicht wie von § 4 S. 4 KSchG vorausgesetzt beim Arbeitnehmer, sondern beim Arbeitgeber. Bei Eingreifen der gesetzlichen Zustimmungsfiktion nach den §§ 88 Abs. 5 S. 2, 91 Abs. 3 S. 2 SGB IX ist für den Fristbeginn nach § 4 S. 4 KSchG die Kenntnis des Arbeitnehmers von der Zustimmungsfiktion maßgebend.139 Das Integrationsamt muss den schwerbehinderten Arbeitnehmer über den Eingang des Antrags bescheiden.140 Ohne diese Mitteilung ist für den Arbeitnehmer nicht ersichtlich, ob der Arbeitgeber bei der Behörde überhaupt eine Zustimmung beantragt hat. Solange der Arbeitnehmer keine Kenntnis vom Eingreifen der gesetzlichen Zustimmungsfiktion erhält, läuft auch die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG nicht, das Abfindungsangebot des Arbeitgebers bleibt offen. Bemisst sich der Fristbeginn nach § 4 S. 4 KSchG, so tritt auch die gesetzliche Annahmefiktion des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG erst nach Ablauf von drei Wochen ab Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ein.141 Erhebt der Arbeitnehmer fristgemäß, aber erst nach Ablauf von drei Wochen seit Zugang der Kündigung eine Kündigungsschutzklage, so kann er nicht auch noch eine Abfindung gemäß § 1a KSchG beanspruchen. Um dieses Ergebnis zu erzielen, bedarf es nicht erst der Konstruktion eines Abfindungsanspruchs, der nach Ablauf von drei Wochen nach Zugang der Kündigung bei dem Arbeitnehmer entsteht, jedoch durch eine die Frist des § 4 S. 1 KSchG i.V.m. § 4 S. 4 KSchG wahrende Klage auflösend bedingt ist.142 § 4 S. 4 KSchG ist auch im Rahmen des § 1a KSchG unmittelbar anwendbar. § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG verweist auf § 4 S. 1 KSchG lediglich hinsichtlich der Länge der Frist von drei Wochen, ohne ausdrücklich eine Aussage über den Fristbeginn zu treffen. Zu diesem trifft aber nicht nur § 4 S. 1 KSchG eine Re___________ 1986 Bl. 2 ff.; aA Etzel, in: KR, §§ 85-90 SGB IX Rdnr. 16-24, nach dessen Auffassung es allein darauf ankomme, dass der Arbeitnehmer schwerbehindert ist, jedoch müsse er den Arbeitgeber in Anlehnung an § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG innerhalb von zwei Wochen ab Zugang der Kündigung darüber informieren. 139 Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 202b; Preis, NZA 2004, 195, 196; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1815d; aA J.-H. Bauer, NZA 2004, 195, 196: ab Eintritt der Zustimmungsfiktion unabhängig von der Kenntnis des Arbeitnehmers. 140 Preis, NZA 2004, 195, 196. 141 Im Ergebnis ebenso Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 188; Merz, Abfindungsanspruch, S. 94; Raab, RdA 2005, 1, 8; Rolfs, ZIP 2004, 333, 338; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 71. 142 So aber Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 71.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

gelung, sondern ebenfalls die Bestimmung des § 4 S. 4 KSchG. Auch die Annahmefiktion des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG tritt daher mangels einer gegenteiligen Aussage des Gesetzes erst dann ein, wenn der Arbeitnehmer die Frist des § 4 S. 1 KSchG verstreichen lässt, die gemäß § 4 S. 4 KSchG zu einem späteren Zeitpunkt als dem des Zugangs der Kündigung zu laufen beginnt. Kündigt damit der Arbeitgeber unter Missachtung eines behördlichen Zustimmungserfordernisses, kann mangels Fristbeginns für den Lauf der Klagefrist der Arbeitnehmer regelmäßig keine Abfindung beanspruchen, eine Vereinbarung gemäß § 1a KSchG kommt nicht zustande. 2. Eintritt der Annahmefiktion Lässt der Arbeitnehmer die Frist des § 4 S. 1 KSchG verstreichen, ohne eine Kündigungsschutzklage zu erheben, fingiert § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG die Annahme des Abfindungsangebots. a) Ausdrückliche Annahme vor Fristablauf Entsteht der Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers mittels einer rechtsgeschäftlichen Erklärung, so kann der Arbeitnehmer das Abfindungsangebot des Arbeitgebers auch ausdrücklich vor Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG annehmen.143 § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG eröffnet dem Arbeitnehmer neben den §§ 146 ff. BGB allenfalls eine zusätzliche Möglichkeit einer Annahmeerklärung, ohne jedoch die Regelungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre außer Kraft zu setzen. Die von den Arbeitsvertragsparteien dann bereits vor Ablauf der Klagefrist geschlossene Abfindungsvereinbarung steht allerdings unter der konkludent erklärten aufschiebenden Bedingung des Verstreichenlassens der Klagefrist. Da diese Bedingung zwar den Eintritt eines objektiven Ereignisses – die Erhebung einer Kündigungsschutzklage – beinhaltet, der Eintritt dieses Ereignisses jedoch allein vom Willen des Arbeitnehmers abhängt, handelt es sich um eine Potestativbedingung. Bleibt der Arbeitnehmer nicht untätig und greift die Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage an, so sind die Voraussetzungen der Annahmefiktion des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG nicht erfüllt, ein Abfindungsanspruch kann nicht entstehen. Darauf weist der Arbeitnehmer in seinem Abfindungsangebot ausdrücklich hin, § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG. Diese Erklärung kann der Arbeitnehmer aber nur dahingehend verstehen, dass er auch bei einer ausdrücklichen Annahme des Abfindungsangebots die Abfindung nur beanspruchen kann, wenn er ebenfalls die Klagefrist verstreichen lässt. Die aus___________ 143

Löwisch, BB 2004, 154, 157; Rolfs, ZIP 2004, 333, 336; A. Wolff, BB 2004, 378, 379; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 2, 8; aA Kraus, Abfindungen, S. 136.

§ 7 Tatbestand

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drückliche Annahmeerklärung des Arbeitgebers bedarf dabei nicht der Schriftform, § 623 BGB ist nicht einschlägig.144 b) Ausdrückliche Ablehnung vor Fristablauf Lehnt der Arbeitnehmer das Abfindungsangebot vor Ablauf der Klagefrist ausdrücklich ab, so erlischt dieses, § 146 BGB. Lässt er daraufhin dennoch die Frist des § 4 S. 1 KSchG verstreichen und erhebt keine Kündigungsschutzklage, so hat dieses Verhalten – abgesehen von der Rechtsfolge des § 7 KSchG – keine rechtliche Bedeutung. Es besteht kein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung.145 Auch die Berücksichtigung der rechtsgeschäftlichen Auslegungsregel „protestatio facto contraria non valet“ lässt keine abweichende Beurteilung zu.146 Diese findet keine Anwendung, da es schon im Ausgangspunkt an einem widersprüchlichen Verhalten des Arbeitnehmers fehlt. Der hat das Angebot des Arbeitgebers ausdrücklich ausgeschlagen, nur möchte er sich später daran nicht mehr festhalten lassen. Das zeitlich nachfolgende Verhalten des Arbeitnehmers kann allenfalls als neues Angebot an den Arbeitgeber aufzufassen sein, die schon einmal versprochene Abfindung doch noch zu zahlen, weil er ja die Klagefrist verstreichen lassen hat. Neben dem bloßen Verstreichenlassen der Klagefrist müssen aber zusätzliche Umstände auf eine derartige Erklärung einen Hinweis geben, das bloße Schweigen des Arbeitnehmers hat keinen Erklärungsgehalt. Die Fälle, in denen die Rechtsregel „protestatio facto contraria“ Anwendung findet, stehen unter einem genau umgekehrten Vorzeichen: In diesen hat eine Person durch konkludentes Verhalten entweder ein bereits bestehendes Angebot angenommen oder selbst ein solches unterbreitet und erklärt daraufhin – trotz Fortsetzens des schlüssigen Verhaltens – ausdrücklich, an keinerlei Vertrag gebunden sein zu wollen.147 Besonders deutlich wird dies in dem vom BGH am 14.07.1956 verkündeten „Parkplatz-Urteil“.148 Das Gericht hatte ___________ 144

AA A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 1. Vgl. zu den Voraussetzungen des § 623 BGB bereits oben unter § 7 C I 1 b), S. 266 f. 145 AA Rolfs, ZIP 2004, 333, 336. 146 AA Rolfs, ZIP 2004, 333, 336, nach dessen Auffassung aus diesem Grund eine ausdrückliche Ablehnung des Angebots unschädlich sei. 147 OLG Hamm vom 17.07.2002, NJW-RR 2002, 1634, 1635. Diese Fallgestaltung lag auch den vom BGH entschiedenen Sachverhalten zugrunde, BGH vom 14.07.1956, BGHZ 21, 319 ff.; BGH vom 08.07.1999, NJW 1999, 3332 ff.; BGH vom 09.05.2000, NJW 2000, 3429 ff. Ebenso die in der Literatur angeführten Beispiele, etwa bei Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 744; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 193 f.; Heinrichs, in: Palandt, BGB, Einf v § 145 Rdnr. 26 ff. Ausführlich Teichmann, in: FS Michaelis, 294 ff. 148 BGH vom 14.07.1956, BGHZ 21, 319 ff.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

über den Anspruch der Stadt Hamburg auf Zahlung von Parkgeld gegen eine Beklagte zu befinden, welche mehrfach ihr Auto auf gebührenpflichtigen öffentlichen Parkplätzen abstellte, den dort eingesetzten Ordnern aber zugleich erklärte, dass sie die Bewachung ihres Fahrzeugs und die Bezahlung eines Entgelts ablehne. Durch Ingebrauchnahme der Parkfläche entstehe ein vertraglicher Anspruch auf Zahlung eines Entgeltes, ohne dass es auf eine abweichende ausdrückliche Äußerung ankomme.149 Ein Protest ist damit nur dann unbeachtlich, wenn er nachträglich geschieht, geschieht er hingegen rechtzeitig vor einer ausdrücklichen, konkludenten oder gesetzlich fingierten Annahme, führt er zum Erlöschen des Angebots und steht damit einem Vertragsschluss entgegen.150 c) Eintritt der Annahmefiktion trotz Klageerhebung bei anschließender Klagerücknahme? Bereits im Gesetzgebungsverfahren wurden Bedenken laut, der Arbeitnehmer könne unter bestimmten Umständen trotz Klageerhebung eine Abfindung nach § 1a KSchG beanspruchen, so dass die Befriedungsfunktion der Norm einfach zu umgehen sei und damit letztlich leer liefe. Nach der von Ziemann im Rahmen der öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Arbeit geäußerten Auffassung lade § 1a KSchG gerade zu einem „Abfindungspoker“ ein:151 Gemäß § 54 Abs. 2 S. 1 ArbGG könne der Arbeitnehmer bis zur Stellung der Anträge des Arbeitgebers ohne dessen Zustimmung seine Kündigungsschutzklage zurücknehmen, mit der Folge des § 269 Abs. 3 S. 1 KSchG, der über den Verweis des § 46 Abs. S. 1 ArbGG i.V.m. § 495 Abs. 1 ZPO zur Anwendung gelangt, dass der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen sei.152 Der Arbeitnehmer behalte deshalb auch seinen Anspruch auf die Abfindung und müsse sich vor Klageerhebung nicht zwischen Klage und Abfindung entscheiden. 153 In der Tat ist diese Argumentation bei einer Qualifikation des § 1a KSchG als gesetzlichen Abfindungsanspruch schlüssig. Denn soweit das Gesetz keine besonderen Regelungen trifft, fallen mit der Klagerücknahme im Zweifel auch die an die Rechtshängigkeit geknüpften materiell-rechtlichen Rechtsfolgen weg.154 Das Schweigen des Gesetzes führt dazu, dass die Parteien auch mate___________ 149

BGH vom 14.07.1956, BGHZ 21, 319, 335. Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 191. 151 Ziemann, BT-Drs. 15(9)560, 65, 72. 152 Ziemann, BT-Drs. 15(9)560, 65, 72. 153 Ziemann, BT-Drs. 15(9)560, 65, 72. 154 BGH vom 14.05.1986, NJW 1986, 2318; BAG vom 26.06.2002, AP Nr. 14 zu § 1 BeschFG 1996 Bl. 2R; Förste, in: Musielak, ZPO, § 269 Rdnr. 10; Lüke, in: MünchKomm-ZPO, § 269 Rdnr. 40; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 269 Rdnr. 13. 150

§ 7 Tatbestand

281

riellrechtlich so gestellt werden, als wäre die Klage gar nicht erst erhoben worden.155 Für die Kündigung etwa bedeutet die Klagerücknahme, dass, sofern die Frist des § 4 S. 1 KSchG bereits verstrichen ist, § 7 KSchG die Wirksamkeit der Kündigung unwiderlegbar vermutet, das Arbeitsverhältnis also durch eine von Anfang an wirksame Kündigung aufgelöst wurde.156 Begreift man § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG als einen gesetzlichen Abfindungsanspruch, müsste unter konsequenter Fortführung dieses Ansatzes mit der Klagerücknahme auch die von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG angeordnete Rechtsfolge des Entstehens des Abfindungsanspruchs aufleben. Trotz einhelliger Ablehnung des Schrifttums157 hat sich jüngst das ArbG Halberstadt der Auffassung Ziemanns angeschlossen.158 Dem kann nicht gefolgt werden. Der Normzweck des § 1a KSchG, eine außergerichtliche Streitbeilegung sowie eine Entlastung der Arbeitsgerichtsbarkeit zu fördern, verbietet derartige Umgehungsversuche.159 Nach Sinn und Zweck des § 1a KSchG soll ohne weiteres Zuwarten allein durch Ablauf der Klagefrist Rechtssicherheit hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen; die Möglichkeit einer Klagerücknahme mit Abfindungsanspruch würde dagegen zu einer ___________ 155

BAG vom 26.06.2002, AP Nr. 14 zu § 1 BeschFG 1996 Bl. 2R. BAG vom 26.06.2002, AP Nr. 14 zu § 1 BeschFG 1996 Bl. 2R; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 294; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 4 KSchG Rdnr. 42; Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 15; Raab, RdA 2005, 1, 8; Schumann, in: Stein/Jonas, ZPO, § 269 Rdnr. 104. 157 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 8; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 7; Bader, NZA 2004, 65, 71; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77, 78; Däubler, NZA 2004, 177, 178; Elz, BuW 2004, 388, 390; S. Fiebig, in: HaKoKSchG, § 1a Rdnr. 14; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 187; Grobys, DB 2003, 2174, 2175; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 14; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 12; Kraus, Abfindungen, S. 192 f.; Lakies, NJ 2004, 150, 155; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 63; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 8; Merz, Abfindungsanspruch, S. 109; Nägele, ArbRB 2003, 274, 276; Preis, DB 2004, 70, 74 f.; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167g; Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 15; Raab, RdA 2005, 1, 9; Rolfs, ZIP 2004, 333, 339; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 40; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 79; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 262 f.; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182; A. Wolff, BB 2004, 378, 379 f.; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 12. 158 ArbG Halberstadt vom 02.11.2004, AuA 2005, 567; nunmehr aufgehoben durch LAG Sachsen-Anhalt vom 28.09.2005, LAGE Nr. 2 zu § 1a KSchG. 159 LAG Sachsen-Anhalt vom 28.09.2005, LAGE Nr. 2 zu § 1a KSchG S. 2; Bader, NZA 2004, 65, 71; Elz, BuW 2004, 388, 390; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 14; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 187; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 14; Kraus, Abfindungen, S. 193; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 8; Preis, DB 2004, 70, 74 f.; Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 15; Raab, RdA 2005, 1, 9; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 40; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 80; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 12. 156

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

verlängerten Wahlmöglichkeit des Arbeitnehmers führen.160 Derjenige, der eine Klage erhebt, lässt, anders als dies § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG ausdrücklich verlangt, die Frist des § 4 S. 1 KSchG gerade nicht verstreichen und vereitelt so das Entstehen des Anspruchs.161 Auf dem Boden der hier vertretenen rechtsgeschäftlichen Einordnung des Abfindungsanspruchs lässt sich dieses Ergebnis ohne Schwierigkeiten erreichen. Materiellrechtliche Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen, die im Prozess vorgenommen wurden, bleiben auch bei Klagerücknahme wirksam, soweit nicht eine anders lautende materiellrechtlich zulässige Bedingung anzunehmen ist.162 Am Beginn des Kündigungsschutzprozesses steht aber auch die Ablehnung des Abfindungsangebots durch den Arbeitnehmer, die dieser mit der Erhebung der Klage konkludent erklärt.163 Diese Willenserklärung kann eine spätere Klagerücknahme ebenso wenig beseitigen164 wie das bereits mit der Kündigung ausgesprochene Abfindungsangebot des Arbeitgebers wieder herstellen. Gemäß § 146 Alt. 1 BGB erlischt das Angebot mit der Ablehnung des Antrages durch den Arbeitnehmer. Es hilft dem Arbeitnehmer auch nicht, die Klage noch innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG zurückzunehmen,165 das Angebot des Arbeitgebers ist auch in diesem Fall endgültig erloschen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitnehmer die Klage noch vor deren Zustellung an den Arbeitgeber zurücknimmt,166 wobei es sich dann nicht um eine Rücknahme i.S.d. § 269 Abs. 1 ZPO handelt, da mangels Rechtshängigkeit noch kein voll wirksames Prozessverhältnis besteht.167 Nicht nur hat der Arbeitgeber in diesem Fall noch keine prozessspezifischen Dispositionen ge___________ 160

Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 187; Kraus, Abfindungen, S. 193; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 8. 161 S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 14; Grobys, DB 2003, 2174, 2175; Preis, DB 2004, 70, 75; Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 15; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 40; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 12. 162 Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 269 Rdnr. 13; Schumann, in: Stein/Jonas, ZPO, § 269 Rdnr. 55. 163 Kraus, Abfindungen, S. 192 f.; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 8. 164 Kraus, Abfindungen, S. 193; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167g. 165 Grobys, DB 2003, 2174, 2175; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 40; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 81; aA Bader, in: BBDW, § 1a Rdnr. 11. 166 Däubler, NZA 2004, 177, 178; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 12; Merz, Abfindungsanspruch, S. 108; Raab, RdA 2005, 1, 9; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 79. 167 OLG Dresden vom 19.09.1997, NJW-RR 1998, 1688; LG Düsseldorf vom 19.11.2002, NJW-RR 2003, 213; Lüke, in: MünchKomm-ZPO, § 269 Rdnr. 14; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 269 Rdnr. 4; Schumann, in: Stein/Jonas, ZPO, § 269 Rdnr. 8.

§ 7 Tatbestand

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troffen,168 sofern das Gericht noch keine Zustellung der Klage verfügt hat, geht ihm auch nicht die gleichzeitig erklärte Ablehnung des Angebots durch den Arbeitnehmer zu und kann so nicht wirksam werden. Die Annahmefiktion des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG kann ebenfalls noch eintreten, da mangels Zustellung der Kündigungsschutzklage diese noch nicht erhoben ist, § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. §§ 495 Abs. 1, 253 Abs. 1 ZPO. d) Abfindung trotz Klageerhebung über den Umweg eines auf die Verletzung von Auskunftspflichten gestützten Schadensersatzanspruchs Auch die von Ulrici und Mohnke geäußerte Befürchtung, der Arbeitnehmer könne trotz Erhebung einer Kündigungsschutzklage über den Umweg eines auf die Verletzung von Auskunftspflichten gestützten Schadensersatzanspruchs doch noch in den Genuss einer Abfindung gemäß § 1a KSchG gelangen,169 entbehrt jeglicher Grundlage im Gesetz. Komme der Arbeitgeber seiner Verpflichtung, dem Arbeitnehmer auf Verlangen Auskunft über die Umstände, die Aufschluss über die Wirksamkeit der mit einem Abfindungsangebot gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG verbundenen betriebsbedingten Kündigung geben können,170 nicht nach, soll dieser nach einem erfolglosen Kündigungsschutzverfahren eine auf § 280 Abs. 1 BGB gestützte Klage mit dem Ziel einer Schadensersatzzahlung erheben können.171 Der Schadensersatzanspruch entstehe dabei in dem von § 1a Abs. 2 KSchG bestimmten Umfang, weil der Arbeitnehmer in Kenntnis der vorenthaltenen Auskünfte von einer Klageerhebung abgesehen hätte und so eine Abfindungsvereinbarung gemäß § 1a KSchG zustande gekommen wäre.172 Die Autoren lassen diesen Schadensersatzanspruch jedoch nur in engen Grenzen zu.173 Ohne Rücksicht auf die Reichweite arbeitgeberseitiger Auskunftspflichten im Zusammenhang mit der betriebsbedingten Kündigung eines Arbeitsverhält___________ 168

Däubler, NZA 2004, 177, 178. Ulrici/Mohnke, NZA 2006, 77 ff. Dem folgend Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 134. 170 Relevant ist dabei vor allem die in § 1 Abs. 3 S. 1 HS 2 KSchG getroffene Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer auf Verlangen die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Zu weiteren auf der Grundlage einer vertraglichen Nebenpflicht bestehenden Auskunftsansprüchen vgl. Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 116; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 239; wobei im Rahmen des § 1a KSchG der Hinweis auf dringende betriebliche Erfordernisse bereits die Voraussetzung für ein wirksames Abfindungsangebot bildet. 171 Ulrici/Mohnke, NZA 2006, 77. 172 Ulrici/Mohnke, NZA 2006, 77. 173 Ohne freilich einen konkreten Anwendungsfall zu benennen, vgl. Ulrici/Mohnke, NZA 2006, 77, 79 f. Ebenso Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 134. 169

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

nisses kann ein auf § 280 Abs. 1 BGB gestützter Schadensersatzanspruch indes niemals zum Ersatz einer wegen der Erhebung einer Kündigungsschutzklage entgangenen Abfindung gemäß § 1a KSchG führen. Wie jeder Schadensersatzanspruch setzt § 280 Abs. 1 BGB den Eintritt eines vom Schutzbereich der Norm umfassten Schadens voraus.174 Daher umfasst auch die Ersatzpflicht wegen einer Verletzung von Beratungs- und Hinweispflichten nur die Verwirklichung derjenigen Risiken, derentwegen Beratung und Auskunft geschuldet waren.175 Die im Zusammenhang mit der betriebsbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber verletzte Auskunftspflicht muss also nicht nur bezwecken, dem Arbeitnehmer eine ausreichende Informationsgrundlage zur Prüfung der Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage zu verschaffen, 176 sondern diesen gerade auch vor einem Verlust der Abfindung gemäß § 1a KSchG zu bewahren.177 Dem steht allerdings der Normzweck des § 1a KSchG diametral entgegen. Der Abfindungsanspruch setzt ein Verstreichenlassen der Klagefrist durch den Arbeitnehmer voraus und will so eine gerichtliche Auseinandersetzung über die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung verhindern. § 1a KSchG bezweckt, den Arbeitsvertragsparteien ein einfaches Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung eines Streits über die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung bereitzustellen178 und setzt deshalb auch keine umfangreiche Prüfung des Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse für die Kündigung voraus, sondern lässt allein die vom Arbeitgeber vorgenommene Bezeichnung als betriebsbedingt ausreichen.179 § 1a KSchG nimmt damit eine Ungewissheit des Arbeitnehmers über die tatsächlichen Umstände seiner Kündigung und deren Wirksamkeit hin. Eine maßgeblich auf diese Ungewissheit gestützte Schadensersatzklage des Arbeitnehmers kann folglich auch nicht zu einer Kompensation für den infolge der erhobenen Kündigungsschutzklage nicht entstandenen Abfindungsanspruch aus einer Vereinbarung gemäß § 1a KSchG führen. ___________ 174

Oetker, in: MünchKomm-BGB, § 249 Rdnr. 115; Schiemann, in: Staudinger, § 249 Rdnr. 27. 175 BGH vom 09.07.1985, BGHZ 95, 199, 209; BGH vom 03.12.1991, NJW 1992, 555, 556; Ernst, in: MünchKomm-BGB, § 280 Rdnr. 64; Oetker, in: MünchKommBGB, § 249 Rdnr. 118; Schiemann, in: Staudinger, § 249 Rdnr. 27. 176 So zum Zweck des aus § 1 Abs. 3 S. 1 HS 2 KSchG folgenden Auskunftsanspruchs BAG vom 24.03.1983, AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 4; BAG vom 21.07.1988, AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Bl. 2R; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 679; Kiel, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 732; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1 Rdnr. 400. 177 So im Ausgangspunkt zutreffend Ulrici/Mohnke, NZA 2006, 77, 78. 178 BT-Drs. 15/1204, S. 12; Kraus, Abfindungen, S. 89; Quecke, RdA 2004, 86, 94; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 1. 179 Vgl. dazu oben unter § 7 B I, S. 250 ff.

§ 7 Tatbestand

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D. Die Höhe der Abfindung, § 1a Abs. 2 KSchG Die Höhe des Abfindungsanspruchs beträgt gemäß § 1a Abs. 2 S. 1 KSchG 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Der Gesetzgeber wollte sich damit an dem durchschnittlichen Abfindungsbetrag orientieren, den die Arbeitsgerichte bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 10 KSchG zugrunde legen und nach dem sich auch gerichtliche und außergerichtliche Abfindungsvergleiche richten. 180 Zur Ermittlung der Höhe des Monatsverdienstes verweist § 1a Abs. 2 S. 2 KSchG auf § 10 Abs. 3 KSchG. § 1a Abs. 2 S. 3 bestimmt, d ass bei der Er mittlung der Dauer des Arbeitsver hältnisses ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden ist. Bietet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Abfindung nach § 1a KSchG an, so kann er den Gesamtbetrag der Abfindung zahlenmäßig genau beziffern, verpflichtet ist er dazu aber nicht. Enthält das Angebot keine Aussage zur Höhe der Abfindung, folgt es aber sonst den formalen Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG, entsteht mit Verstreichenlassen der Klagefrist ein Abfindungsanspruch in der von § 1a Abs. 2 KSchG bestimmten Höhe.181 Die Auslegung des Angebots weist auf einen Abfindungsanspruch nach Maßgabe des § 1a KSchG hin, so dass sich für einen objektiven Empfänger an der Stelle des gekündigten Arbeitnehmers, §§ 133, 157 BGB, die Höhe der Abfindung zweifelsfrei aus § 1a Abs. 2 KSchG ablesen lässt. I. Die Berechnung der Abfindung 1. Bestand des Arbeitsverhältnisses Den einen Bemessungsfaktor für die Abfindung bildet gemäß § 1a Abs. 2 S. 1 KSchG die Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Zu deren Ermitt___________ 180

BT-Drs. 15/1204, S. 12. Zu den Erkenntnissen der Rechtstatsachenforschung in Bezug auf die Höhe der bei einer Kündigung gezahlten Abfindungen ausführlich oben unter § 3 C I 3, S. 82 ff. 181 Bader, NZA 2004, 65, 71; Düwell, ZTR 2004, 130, 131; Elz, BuW 2004, 388, 390; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 19; Kraus, Abfindungen, S. 210 f.; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 10; Merz, Abfindungsanspruch, S. 86 f., 122; Nägele, ArbRB 2003, 274, 275; ders., ArbRB 2004, 80, 82; Preis, DB 2004, 70, 72; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167f; Quecke, RdA 2004, 86, 96; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 12; Raab, RdA 2005, 1, 6; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 39; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 33, 58; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 251; A. Wolff, BB 2004, 378, 379; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 6.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

lung gelten, ebenso wie im Rahmen des § 10 Abs. 2 S. 1 KSchG, 182 die zu § 1 Abs. 1 KSchG entwickelten Grundsätze entsprechend.183 a) Der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses Zur Berechnung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist daher allein auf dessen rechtlichen Bestand abzustellen.184 Dieses beginnt nicht mit der tatsächlichen Arbeitsaufnahme, sondern zu dem Zeitpunkt, zu welchem der Arbeitnehmer nach der arbeitsvertraglichen Vereinbarung seine Tätigkeit aufnehmen sollte.185 Es endet mit dem Ablauf der für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen gesetzlichen, tarifvertraglichen oder individualvertraglich vereinbarten Kündigungsfrist. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber in seinem Kündigungsschreiben eine davon abweichende Kündigungsfrist angibt. Die Wirksamkeitsvermutung des § 7 KSchG gilt nicht für falsch berechnete Kündigungsfristen, vielmehr ist der Arbeitnehmer auch nach Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG berechtigt, den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der für ihn maßgeblichen Kündigungsfrist gerichtlich feststellen zu lassen. 186 Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise dann, wenn sich aus der Kündigung und der im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalles ein Wille des Arbeitgebers ergibt, die Kündigung nur zum erklärten Zeitpunkt gegen sich gelten lassen zu wollen.187 ___________ 182

BAG vom 26.08.1976, AP Nr. 68 zu § 626 BGB; Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 11; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 12; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 48. 183 Kraus, Abfindungen, S. 207; Quecke, RdA 2004, 86, 98; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 20; Rolfs, ZIP 2004, 333, 340; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 129. 184 BAG vom 23.09.1976, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2R; Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 27; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 99; von HoyningenHuene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 77b; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 903. 185 Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 30; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 100; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 77; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 904. 186 BAG vom 15.12.2005, AP Nr. 55 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2 ff.; J.H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77 f.; W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 363; Hanau, ZIP 2004, 1169, 1175; Friedrich, in: KR, § 13 KSchG, Rdnr. 225; Kiel, in: ErfKomm, § 4 KSchG Rdnr. 4; Lakies, NJ 2004, 150, 155; Pods/Quecke, in: HWK, § 4 KSchG Rdnr. 6; Quecke, RdA 2004, 86, 100; Raab, RdA 2004, 321, 326; Spilger, in: KR, § 622 BGB Rdnr. 140; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1736; aA LAG Rheinland-Pfalz vom 18.02.2005, ZTR 2005, 382; Bader, NZA 2004, 65, 68; Löwisch, BB 2004, 154, 158 f.; Zimmer, FA 2004, 34, 36. 187 BAG vom 15.12.2005, AP Nr. 55 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 5; Friedrich, in: KR, § 13 KSchG Rdnr. 225; Raab, RdA 2004, 321, 326.

§ 7 Tatbestand

287

In die Berechnung eingestellt werden können ausschließlich solche Beschäftigungszeiten, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht wurden.188 Zeiten, in denen der betreffende Arbeitnehmer als Geschäftsführer einer GmbH,189 als freier Mitarbeiter190 oder als Familienangehöriger in Erfüllung familienrechtlicher Verpflichtungen191 tätig geworden ist, finden keine Berücksichtigung. Die Zeit der Beschäftigung als Leiharbeitnehmer ist bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem ehemaligen Entleiher ebenfalls nicht anzurechnen,192 anders dagegen, wenn § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis fingiert.193 Berücksichtigung finden die bei einem Betriebsübergang beim Betriebsveräußerer erbrachten Beschäftigungszeiten,194 bei einer Gesamtrechtsnachfolge, etwa nach den §§ 1922 BGB, 323 Abs. 1 UmwG, Zeiten der Beschäftigung beim Rechtsvorgänger,195 sowie Zeiten der beruflichen Ausbildung;196 ein betriebliches Praktikum zur beruflichen Fortbildung dagegen nur dann, wenn es im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses abgeleistet wurde.197 b) Der ununterbrochene Bestand des Arbeitsverhältnisses § 1 Abs. 1 KSchG stellt außerdem auf den ununterbrochenen Bestand des Arbeitsverhältnisses ab. Unschädlich ist aber eine rechtliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses, wenn sich ohne zeitliche Unterbrechung an das abgelau___________ 188

Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 905. LAG Bremen vom 24.10.1997, BB 1998, 223; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 106; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 77b. 190 Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 36; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 106; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 77b; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 905. 191 Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 36; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 106; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 77b. 192 LAG Köln vom 10.03.2000, NZA-RR 2001, 32; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 106; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 78; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 905. 193 Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 106. 194 BAG vom 27.06.2002, AP Nr. 15 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 3 f.; Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 46; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 120. 195 Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 44, 46; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 120. 196 BAG vom 26.08.1976, AP Nr. 68 zu § 626 BGB Bl. 3R; BAG vom 02.12.1999, AP Nr. 57 zu § 622 BGB Bl. 1 f.; Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 35; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 107; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 78a; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 907. 197 BAG vom 18.11.1999, AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2R; Dörner in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 35; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 107; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 78b; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 907. 189

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

fene ein weiteres Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber anschließt. 198 Wandeln etwa die Arbeitsvertragsparteien ein Vollzeitarbeitsverhältnis in ein Teilzeitarbeitsverhältnis um, bilden die arbeitsrechtlichen Beziehungen vor und nach der Änderung eine rechtliche Einheit.199 Bestand zunächst ein nur befristetes Arbeitsverhältnis und haben die Arbeitsvertragsparteien dieses unmittelbar im Anschluss in ein unbefristetes überführt, zählen auch die Zeiten des Bestands des befristeten Arbeitsverhältnisses bei der Berechnung der Beschäftigungszeit mit.200 Rechtliche Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses bleiben darüber hinaus auch dann unbeachtlich, wenn diese verhältnismäßig kurz ausfallen und ein enger sachlicher Zusammenhang zu dem früheren Arbeitsverhältnis besteht.201 Dabei kommt es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls insbesondere auf Anlass und Dauer der Unterbrechung sowie auf die Art der Weiterbeschäftigung an.202 Je länger die zeitliche Unterbrechung währt, desto gewichtiger müssen die für einen sachlichen Zusammenhang sprechenden Umstände sein.203 Eine mehr als dreiwöchige Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses stellt im Allgemeinen einen derart erheblichen Zeitraum dar, der es ausschließt, von einer sachlich nicht ins Gewicht fallenden Unterbrechung zu sprechen,204 doch hindert auch nicht jede zumindest dreiwöchige Un___________ 198

BAG vom 23.09.1976, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2R f.; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 114; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 82; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 909. 199 BAG vom 31.10.1975, AP Nr. 87 zu § 611 BGB Gratifikation Bl. 2 f.; Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 35; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 105. 200 BAG vom 23.09.1976, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2R; BAG vom 12.02.1981, AP Nr. 1 zu § 5 BAT Bl. 3; Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 35; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 106. 201 BAG vom 06.12.1976, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 3; BAG vom 10.05.1989, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2R; BAG vom 20.08.1998, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2; BAG vom 20.08.1998, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Bl. 2R; BAG vom 22.09.2005, AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2; Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 37; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 110; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 83; Kraus, Abfindungen, S. 207; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 910. 202 BAG vom 06.12.1976, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 3; BAG vom 10.05.1989, AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2R; BAG vom 20.08.1998, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2; BAG vom 20.08.1998, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Bl. 3; BAG vom 22.09.2005, AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2; Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 37; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 110. 203 BAG vom 20.08.1998, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2; BAG vom 20.08.1998, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 3; BAG vom 22.09.2005, AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2; Dörner in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 39; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 84. 204 BAG vom 18.01.1979, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2; BAG vom 22.09.2005, AP Nr. 20 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2.

§ 7 Tatbestand

289

terbrechung die Anrechenbarkeit.205 So verneinte das BAG etwa in einem Fall das Bestehen eines engen sachlichen Zusammenhangs bei einer Unterbrechung von sieben Wochen,206 während dieser trotz eineinhalbmonatiger Unterbrechung bei einem Lehrer während der Schulferien anzunehmen sei.207 Darüber hinaus sehen auch zahlreiche gesetzliche Bestimmungen eine Anrechnung trotz rechtlicher Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses vor. Nach § 10 Abs. 2 S. 1 MuSchG etwa gilt das Arbeitsverhältnis als nicht unterbrochen, wenn die Arbeitnehmerin nach Ausübung des ihr gemäß § 10 Abs. 1 MuSchG zustehenden Sonderkündigungsrechts innerhalb eines Jahres nach der Entbindung in ihrem bisherigen Betrieb wieder eingestellt wird. Gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 ArbPlSchG sind Zeiten des Grundwehrdienstes oder einer Wehrübung auf die Betriebszugehörigkeit anzurechnen, für Zivildienstleistende gilt diese Bestimmung entsprechend, § 78 ZDG. Darüber hinaus ist den Arbeitsvertragsparteien auch in den übrigen Fällen der rechtlichen Unterbrechung eines Arbeitsverhältnisses unbenommen, eine Anrechnung zu vereinbaren.208 Ebenso wenig wie aber die Unterbrechungszeit auf die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG anzurechnen ist,209 findet sie auch bei der Bestimmung der Dauer des Arbeitsverhältnisses keine Berücksichtigung, da in dieser Zeitspanne tatsächlich kein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Gemäß § 1 Abs. 1 KSchG ist zur Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses schließlich nicht auf die Betriebs-, sondern die Unternehmenszugehörigkeit abzustellen. Das Erfordernis des ununterbrochenen rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses ist daher auch dann erfüllt, wenn der Arbeitnehmer in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt wird.210 Keine Berücksichtigung finden Zeiten der Beschäftigung in einem anderen Konzernunternehmen,211 jedoch können die Arbeitsvertragsparteien eine entsprechende

___________ 205

BAG vom 20.08.1998, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2; BAG vom 20.08.1998, AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 3. 206 BAG vom 22.05.2003, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 3R. 207 BAG vom 20.08.1998, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit Bl. 2 f. 208 Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 42; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 81; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 903. Für Beschäftigungszeiten in einem anderen Konzernunternehmen Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 118. 209 BAG vom 17.06.2003, AP Nr. 61 zu § 622 BGB Bl. 3; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 110a; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 89; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 911; aA Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 41. 210 Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 43; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 116. 211 Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 45; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 118; Rolfs, ZIP 2004, 333, 340.

290

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Anrechnungsvereinbarung treffen.212 Die bei einem einhundertprozentigen Tochterunternehmen zurückgelegte Betriebszugehörigkeit ist aber auch ohne eine derartige Vereinbarung anzurechnen, da insofern wegen der Gefahr der Umgehung des § 1 KSchG eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten ist.213 Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag von vornherein mit dem Konzern abschließt und darin auch der Einsatz in Konzernunternehmen vereinbart wird.214 c) Auf- und Abrundung von Beschäftigungszeiten, § 1a Abs. 2 S. 3 KSchG Beschäftigungszeiten von mehr als sechs Monaten sind auf eine volles Jahr aufzurunden, § 1a Abs. 2 S. 3 KSchG. Damit können auch Arbeitnehmer, die zwar die Voraussetzungen des persönlichen Anwendungsbereichs des KSchG erfüllen, aber noch kein Jahr beschäftigt sind, eine Abfindung erhalten. 215 Keine Aussage enthält das Gesetz zu Beschäftigungszeiten von weniger als sechs Monaten. Diese sind somit bei der Berechnung der Abfindung anteilig zu berücksichtigen, eine Abrundung findet nicht statt.216 Der von der hL vorgenommene gegenteilige Umkehrschluss von der Aufrundungsregel des § 1a Abs. 2 S. 3 KSchG auf eine korrespondierende Abrundungsregel ist keinesfalls zwingend.217 Der Wortlaut biete dafür keinen Anhalt. Auch der Zweck des § 1a Abs. 2 S. 3 KSchG, Arbeitnehmern, die noch nicht seit einem Jahr beschäftigt sind, einen Abfindungsanspruch zu ermöglichen, gebietet keine Abrundung. Schließlich spricht auch bereits der Gesetzgeber ausdrücklich nur von einer Aufrundungsregel.218 Eine Abrundung ist daher nicht statthaft. ___________ 212

Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 45; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 118; Rolfs, ZIP 2004, 333, 340. 213 Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 45; aA Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 118. 214 Dörner, in: APS, § 1 KSchG Rdnr. 45; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 118; zum Kündigungsschutz in einem derartigen Arbeitsverhältnis auch BAG vom 21.01.1999, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Konzern, das sich aber nicht mit der Anrechnung von Beschäftigungszeiten in anderen Konzernunternehmen zu befassen hatte. 215 BT-Drs. 15/1204, S. 12; Kraus, Abfindungen, S. 208. 216 Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 126; aA S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1 Rdnr. 18; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 17; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167l; Quecke, RdA 2004, 86, 98; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 20; Rolfs, ZIP 2004, 333, 340; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 272; A. Wolff, BB 2004, 378, 381; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 17. 217 Düwell, ZTR 2004, 130, 132. 218 BT-Drs. 15/1204, S. 12.

§ 7 Tatbestand

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2. Höhe des Monatsverdienstes Den zweiten Bemessungsfaktor zur Ermittlung der Höhe der Abfindung bildet der Monatsverdienst des Arbeitnehmers, § 1a Abs. 2 S. 1 KSchG. Wie sich dieser errechnet, bestimmt sich gemäß § 1a Abs. 2 S. 3 KSchG nach § 10 Abs. 3 KSchG, der als Monatsverdienst dasjenige ausweist, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgeblichen regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet, an Geld und Sachbezügen zusteht. Den Ausgangspunkt bildet dabei der Bruttoverdienst des Arbeitnehmers,219 und zwar nach § 10 Abs. 3 KSchG sämtliche Geld und Sachbezüge, die dem Arbeitnehmer im Auflösungsmonat zustehen. Zu den Geldbezügen zählen der monatliche Grundlohn sowie die darüber hinaus regelmäßig gezahlten Zulagen wie Gefahrenzulage, Schichtzuschläge, Nachtarbeitszuschläge, Prämien oder Provisionen.220 Zuwendungen mit Aufwendungscharakter sind nicht berücksichtigungsfähig,221 einzelvertraglich vereinbarte Wege- oder Fahrgelder aber dann, wenn der Arbeitgeber diese unabhängig von den tatsächlichen Aufwendungen zahlt.222 Erhält der Arbeitnehmer weitere einmalige Zuwendungen mit Entgeltcharakter, wie etwa ein 13. oder 14. Monatsgehalt, Tantiemen oder eine Umsatzbeteiligung, so sind diese Bezüge anteilig auf den Monatsverdienst umzulegen.223 Zuwendungen mit Gratifikationscharakter wie Weihnachtsgratifikationen, Jubiläumsgelder oder Jahresbonuszahlungen sind dagegen nicht berücksichtigungsfähig.224 Auch ein gezahltes Urlaubsgeld ist nur dann in die Berechnung einzustellen, wenn diesem Entgeltcharakter zukommt.225 Trinkgelder sind zur Berechnung heranzuziehen, soweit diese aufgrund einer arbeitsvertraglichen Regelung einen Teil des Arbeitseinkommens bilden, nicht aber solange es sich um ein freiwilliges Bedie___________ 219

Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 13; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 4; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 27. 220 Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 16; Kraus, Abfindungen, S. 208; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 33; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 276. 221 Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 18; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 8; Kraus, Abfindungen, S. 208 f.; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 33; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 278. 222 Für den Fall der Entgeltfortzahlung BAG vom 11.02.1976, AP Nr. 10 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie Bl. 1R; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 33. 223 Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 16; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 8; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 33; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 278. 224 Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 18; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 8; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 33; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 278; aA Ascheid, in: ErfKomm, § 10 KSchG Rdnr. 3; Kraus, Abfindungen, S. 208; A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 18. 225 Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 33; aA Kraus, Abfindungen, S. 208.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

nungsgeld des Gastes ohne Einfluss auf die vom Arbeitgeber geschuldete Vergütung handelt.226 Zu dem regelmäßigen Monatseinkommen gehören ebenfalls die dem Arbeitnehmer zustehenden Sachbezüge, wie etwa die Überlassung einer Dienstwohnung oder eines Dienstfahrzeugs. Zur Berechnung des regelmäßigen Monatsverdienstes sind die Sachbezüge zu kapitalisieren und deren Wert mit dem Betrag anzusetzen, den der Arbeitnehmer zur Beschaffung der Sachleistungen auf dem freien Markt aufwenden müsste.227 Die auf der Grundlage des § 17 Abs. 1 SGB IV erlassene Sachbezugsverordnung ist mangels eines Verweises in § 10 Abs. 3 KSchG dafür nicht bindend.228 Eine Besonderheit bilden die von der Lufthansa AG und anderen Fluggesellschaften angebotenen Miles & More-Bonusmeilen.229 Sind diese Teil des Arbeitseinkommens, etwa aufgrund eines Verzichts des Arbeitgebers auf seinen analog § 667 Alt. 2 BGB bestehenden Anspruch auf Herausgabe der Bonusmeilen, so müssen diese auch bei der Ermittlung des durchschnittlichen Monatseinkommens herangezogen werden.230 Da § 10 Abs. 3 KSchG auf den regelmäßigen Monatverdienst des Arbeitnehmers abstellt, sind alle entgeltwirksamen unregelmäßige Schwankungen der für den Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitszeit auszuklammern: Das gilt für Kurzarbeit ebenso wie für unregelmäßig anfallende Überstunden.231 Hat der Arbeitnehmer aber über einen längeren Zeitraum hinweg regelmäßig entgeltpflichtige Überstunden in einem bestimmten Umfang geleistet, sind diese auch bei der Berechnung des Monatsverdienstes zu berücksichtigen.232

___________ 226

Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 33; ebenso das BAG vom 28.06.1995, AP Nr. 112 zu § 37 BetrVG 1972 Bl. 1R ff. zu dem bei Urlaub, Arbeitsunfähigkeit oder Betriebsratstätigkeit fortzuzahlenden Entgelt. Ohne diese Differenzierung auch von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 8. 227 Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 17; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 7; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 34; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 277. 228 Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 17; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 7; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 34; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 277. 229 Ausführlich zur Problematik, ob der Arbeitnehmer Anspruch auf Privatnutzung von dienstlich erflogenen Miles & More-Bonusmeilen hat: BAG vom 11.04.2006, AP Nr. 1 zu § 667 BGB; J.-H. Bauer/Krets, BB 2002, 2066 ff.; Heinze, DB 1996, 2490 ff. 230 Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 33. 231 Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 14; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 5; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 29. 232 Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 14; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 5; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 29.

§ 7 Tatbestand

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Bemessungszeitraum ist nach § 10 Abs. 3 KSchG der Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet. Stellt die Norm aber auf die regelmäßige Arbeitszeit ab, so bleibt für die Bemessung des Monatsverdienstes ohne Bedeutung, ob der Arbeitnehmer von seiner Leistungspflicht, etwa infolge Krankheit oder Erholungsurlaubs freigestellt war.233 Zahlt der Arbeitgeber beispielsweise einen Akkordlohn, so ist zu ermitteln, welchen Betrag der Arbeitnehmer unter Zugrundelegung seiner regelmäßigen Arbeitszeit im Auflösungsmonat vermutlich verdient hätte.234 Soweit sich infolge der unterschiedlichen Länge der einzelnen Kalendermonate sowie aus der unterschiedlichen Anzahl von arbeitsfreien Samstagen und Sonntagen bei Arbeitnehmern ohne feste Monatsvergütung gewisse Ungerechtigkeiten bei der Ermittlung des maßgeblichen Monatsverdienstes ergeben, so sind diese, anders als bei der Abfindung nach § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG,235 hinzunehmen. Die Höhe des Abfindungsanspruchs aus einer Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG errechnet sich ohne Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, die sonst im Rahmen des § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG eine Korrektur erlauben. Eine Besonderheit ist schließlich bei der Kündigung eines in der Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers zu beachten. Mit der Inanspruchnahme der Elternzeit nach Maßgabe des § 15 BEEG entfallen, sofern der Arbeitnehmer nicht gemäß § 15 Abs. 4-7 BEEG einer Teilzeit-Erwerbstätigkeit nachgeht, die wechselseitigen Hauptleistungspflichten der Arbeitsvertragsparteien, das Arbeitsverhältnis ruht.236 Eine Anwendung des § 10 Abs. 3 KSchG führte damit zu einem vollständigen Entfall des Abfindungsanspruchs. Indes ist für diesen Arbeitnehmer ausnahmsweise derjenige Monatsverdienst maßgebend, der diesem vor Beginn der Elternzeit zustand.237 Art. 6 Abs. 1 GG gebietet insoweit eine verfassungskonforme Auslegung des § 1a Abs. 2 S. 2 KSchG, damit die §§ 15 ff. BEEG als Ausdruck der aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG folgenden Schutz- und Fürsorgepflicht des Staates ihren Zweck, die Ausübung des grundrechtlich ge-

___________ 233

Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 15;von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 5; Kraus, Abfindungen, S. 209; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 30; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 274; A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 18. 234 Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 16; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 5; Kraus, Abfindungen, S. 209; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 33. 235 Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 19; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 6; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 32. 236 BAG vom 10.05.1989, AP Nr. 2 zu § 15 BErzGG Bl. 2R; BAG vom 10.02.1992, AP Nr. 7 zu § 15 BErzGG Bl. 2 ff.; Buchner/Becker, MuSchG/BErzGG, Vor §§ 15-21 BErzGG Rdnr. 5; Dörner, in: ErfKomm, § 15 BErzGG Rdnr. 36. 237 Kraus, Abfindungen, S. 209; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 27.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

schützten Erziehungsrechts ohne Verlust des Arbeitsplatzes zu erleichtern, verwirklichen können.238 II. Die von § 1a Abs. 2 KSchG abweichende Abfindung Keine ausdrückliche Aussage enthält das Gesetz für den Fall, dass der Arbeitgeber eine andere als die in § 1a Abs. 2 S. 1 KSchG geregelte Abfindung anbietet. 1. Abweichung nach unten a) Bewusstes Unterschreiten der Vorgaben des § 1a Abs. 2 KSchG Ein Abfindungsangebot des Arbeitgebers, das den Arbeitnehmer ausdrücklich und bewusst auf eine Abfindung von weniger als einem halben Monatsverdienst für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses verweist, ist nicht in der Lage, einen Abfindungsanspruch unter den Voraussetzungen des § 1a KSchG zu begründen; die Bestimmung des Abs. 2 zur Abfindungshöhe ist insoweit zwingend.239 Wählt der Arbeitgeber zur Begründung eines Abfindungsanspruchs das Verfahren nach § 1a KSchG, so ist seine inhaltliche Gestaltungsfreiheit für das Abfindungsangebot durch die in § 1a Abs. 2 KSchG geregelte Abfindungshöhe beschränkt. Bereits der Wortlaut der Norm ist eindeutig und lässt keinen Zweifel aufkommen, in § 1a Abs. 2 S. 1 KSchG heißt es schlicht: „Die Abfindung beträgt 0,5 Monatsverdienste […].“ Auch der Normzweck spricht für einen zwingenden Charakter der Vorschrift: § 1a Abs. 2 S. 1 KSchG erachtet ausdrücklich einen Abfindungsbetrag in der dort angegebenen Höhe als einen angemessenen Ausgleich für den faktischen Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz.240 Der Arbeitnehmer soll nicht dazu gezwungen ___________ 238

Kraus, Abfindungen, S. 209; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 27. So zum Zweck der gesetzlichen Regelungen zur Elternzeit ebenfalls BAG vom 12.11.2002, AP Nr. 159 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R; BAG vom 21.10.2003, AP Nr. 163 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R. 239 Düwell, ZTR 2004, 130, 131; Grobys, DB 2003, 2174, 2176; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 19, 28; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 10; Meinel, DB 2003, 1438, 1439; Merz, Abfindungsanspruch, S. 116, 122 f., 137; Nägele, ArbRB 2003, 274, 275 f.; Preis, DB 2004, 70, 73; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167f; Quecke, RdA 2004, 86, 96; Raab, RdA 2005, 1, 7 f.; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 60, 127; Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673, 1677; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 102; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 183; aA Kraus, Abfindungen, S. 212; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 16. Nach der Auffassung von Buschmann, AuR 2004, 1, 3 und Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 254, soll auch in diesem Fall der Abfindungsanspruch in der von § 1a Abs. 2 KSchG vorgesehenen Höhe entstehen. 240 Raab, RdA 2005, 1, 8.

§ 7 Tatbestand

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sein, selbst die Angemessenheit der Abfindung zu überprüfen.241 Die Regelung bildet insoweit einen wesentlichen Bestandteil des gesetzlichen Konzeptes, den Arbeitsvertragsparteien ein einfach zu handhabendes, an klare Voraussetzung gebundenes Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung zur Verfügung zu stellen.242 Der Arbeitgeber ist nicht dazu gezwungen, bei Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung gleichzeitig eine Abfindung anzubieten; nutzt er dafür das Verfahren nach § 1a KSchG, muss er sich auch an den zwingenden Vorgaben des § 1a Abs. 2 KSchG festhalten lassen.243 Jede andere Deutungsweise missachtet auch den erklärten Willen des Gesetzgebers. Demnach legt die Norm die Höhe der Abfindung gesetzlich auf 0,5 Monatsverdienste fest244, ohne den Vertragsparteien einen Spielraum zu belassen. Gleichwohl liegt – enthält das Angebot eine bewusst niedrigere als die in § 1a Abs. 2 KSchG vorgesehene Abfindung – darin ein wirksames Angebot des Arbeitgebers auf Zahlung einer Abfindung an den Arbeitnehmer für den Fall, dass dieser keine Kündigungsschutzklage erhebt. Dieses kann der Arbeitnehmer jedoch nur nach den allgemeinen Regelungen über das Zustandekommen eines Vertrages annehmen, nicht aber unter den erleichterten Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG.245 § 1a KSchG etabliert keinen Mindestabfindungsanspruch, sondern lässt die rechtsgeschäftliche Betätigungsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien unberührt.246 b) Unbewusstes Unterschreiten der Vorgaben des § 1a Abs. 2 KSchG Gibt der Arbeitgeber in seinem den inhaltlichen Vorgaben des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG folgenden Abfindungsangebot bereits einen konkreten Abfin___________ 241

Raab, RdA 2005, 1, 8. Raab, RdA 2005, 1, 8. 243 Preis, DB 2004, 70, 73. 244 BT-Drs. 15/1204, S. 12. 245 Düwell, ZTR 2004, 130, 131; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 187; Grobys, DB 2003, 2174, 2176; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 21; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 10; Nägele, ArbRB 2003, 274, 276; ders., ArbRB 2004, 80, 81; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167f; Quecke, RdA 2004, 86, 96; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 12; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 60, 127; Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673, 1677; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 183; A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 16; aA Kraus, Abfindungen, S. 212; Meinel, DB 2003, 1438, 1439; Preis, DB 2004, 70, 72. Dazu näher unten unter § 9 B, S. 375 ff. 246 So aber ausdrücklich Meinel, DB 2003, 1438, 1439. Wie hier Grobys, DB 2003, 2174, 2176; Kraus, Abfindungen, S. 212; Merz, Abfindungsanspruch, S. 137 f.; Preis, DB 2004, 70, 73; Quecke, RdA 2004, 86, 96; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 13; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 105 f. 242

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

dungsbetrag an, hat sich aber bei dessen Ermittlung zu Ungunsten des Arbeitnehmers verrechnet, entsteht der Abfindungsanspruch in der von § 1a Abs. 2 KSchG vorgesehenen Höhe.247 Kann der Arbeitnehmer, dem ein derartiges Angebot zugeht, aus der Erklärung des Arbeitgebers gemäß §§ 133, 157 BGB den Schluss ziehen, dass dieser die Berechnung der Abfindung auf § 1a Abs. 2 KSchG stützen will, so entsteht auch der Abfindungsanspruch in der von § 1a Abs. 2 KSchG bestimmten Höhe. Falsa demonstratio non nocet, die übereinstimmende Falschbezifferung der Abfindung durch die Arbeitsvertragsparteien bleibt ohne Beachtung.248 Eine solche Auslegung ist immer dann möglich, wenn der Arbeitgeber im Kündigungsschreiben auf § 1a KSchG Bezug nimmt oder sich die Bezugnahme aus anderen Unterlagen ergibt, etwa der Betriebsratsanhörung, in der der Arbeitgeber dem Betriebsrat mitteilt, dem Arbeitnehmer eine Abfindung nach Maßgabe des § 1a KSchG unterbreiten zu wollen. 249 Gelangt die Auslegung des Vertragsangebots jedoch zu dem Ergebnis, dass der Arbeitgeber abweichend von § 1a Abs. 2 KSchG eine niedrigere als die dort vorgesehene Abfindung zahlen will, handelt es sich um ein Angebot außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1a KSchG. 2. Abweichung nach oben Bietet der Arbeitgeber demgegenüber eine höhere als die nach § 1a Abs. 2 S. 1 KSchG geschuldete Abfindung an, entsteht mit dem Verstreichenlassen der Klagefrist der Abfindungsanspruch mit der höheren Abfindung, und zwar dem Verfahren des § 1a KSchG folgend.250 Da diese Regelung ausschließlich einsei___________ 247

J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77, 78; Elz, BuW 2004, 388, 390; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 20; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 28; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 10; Kraus, Abfindungen, S. 213 f.; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 21; Merz, Abfindungsanspruch, S. 136 f.; Nägele, ArbRB 2004, 80, 81; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167f; Raab, RdA 2005, 1, 8; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 60, 127; aA Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 10; Grobys, DB 2003, 2174, 2175. 248 Elz, BuW 2004, 388, 390. 249 Nägele, ArbRB 2004, 80, 81. 250 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 10; Düwell, ZTR 2004, 130, 131; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Grobys, DB 2003, 2174, 2175; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 19, 28; Kraus, Abfindungen, S. 211; Preis, DB 2004, 70, 73; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167f; Quecke, RdA 2004, 86, 96; Raab, RdA 2005, 1, 8; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 164; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 102 f.; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; wohl auch Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 20; aA J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77, 78; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 20 f.; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Merz, Abfindungsanspruch, S. 116, 122 f., 137; Rolfs, ZIP 2004, 333, 336: Abfindungsanspruch aus Abwicklungsvertrag außerhalb von § 1a KSchG, so wohl auch Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 183. AA auch Maschmann, AuA

§ 7 Tatbestand

297

tig zwingend ist,251 muss sich ihr Anwendungsbereich auch auf den Arbeitnehmer begünstigende Regelungen erstrecken. Angesichts des unmissverständlichen Wortlauts des § 1a Abs. 2 KSchG findet die Norm aber im Wege einer Analogie Anwendung. Eine entsprechende Regelungslücke besteht, weil das Gesetz keine Aussage zur Behandlung einer von § 1a Abs. 2 KSchG nach oben abweichenden Abfindung trifft; der Gesetzgeber hat die Möglichkeit eines höheren Abfindungsbetrages schlicht nicht bedacht. Diese Regelungslücke ist auch planwidrig, da das von § 1a KSchG geschützte Interesse einer zügigen außergerichtlichen Streitbeilegung erst recht zu schützen ist, wenn dem Arbeitnehmer aus dem Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage finanzielle Vorteile treffen, die über die von der Norm geregelten Abfindung hinausreichen. Auch die Interessenlage des nicht geregelten mit der des geregelten Sachverhalts ist vergleichbar. Erachtet das Gesetz eine Abfindung in Höhe eines halben Monatsgehalts je Beschäftigungsjahr als eine angemessene Kompensation für den Verzicht des Arbeitnehmers auf arbeitsgerichtlichen Rechtsschutz gegen die Kündigung, so trifft dies erst recht auf eine höhere Abfindung zu, ohne dass diese auf der Gegenseite den Arbeitgeber unangemessen belastet, da sich dieser ja freiwillig für einen höheren Abfindungsbetrag entschieden hat. Folglich muss auch der Arbeitgeber in diesem Fall von dem vereinfachten Verfahren des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG zum Abschluss einer Abfindungsvereinbarung profitieren können. Verrechnet sich aber der Arbeitgeber lediglich und ergibt die Auslegung seiner Erklärung, dass er eine Abfindung in dem von § 1a Abs. 2 KSchG bestimmten Umfang zahlen will, so ist er auch nur zur Zahlung dieser Abfindung verpflichtet.252 Es gilt das oben253 Gesagte.

___________ 10/2003, 6, 10; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 59 und Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 256, nach deren Auffassung nur bezüglich des über § 1a Abs. 2 KSchG hinausgehenden Betrages ein zusätzlicher Abwicklungsvertrag besteht. 251 Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Preis, DB 2004, 70, 73; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167f; Raab, RdA 2005, 1, 8. 252 Elz, BuW 2004, 388, 390; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 20; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 28; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 18; Kraus, Abfindungen, S. 213 f.; Merz, Abfindungsanspruch, S. 136 f.; Nägele, ArbRB 2004, 80, 81. 253 Vgl. dazu oben unter § 7 D II 1 b), S. 295 f.

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

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E. Rechtliche Schritte des Arbeitnehmers gegen die Kündigung nach Eintritt der Annahmefiktion des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG – Auswirkungen auf den Abfindungsanspruch I. Abfindungsanspruch trotz nachträglicher Klagezulassung nach § 5 KSchG? Kommt mit dem Verstreichenlassen der Frist des § 4 S. 1 KSchG zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Abfindungsvereinbarung zustande, so stellt sich die Frage nach dem Schicksal des Abfindungsanspruchs, wenn der Arbeitnehmer, nachdem er auf die Kündigung bislang nicht reagiert hat, einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG bei dem zuständigen Arbeitsgericht stellt, dieses dem Antrag entspricht und womöglich auch die zeitgleich erhobene Kündigungsschutzklage Erfolg hat. 1. Voraussetzungen eines erfolgreichen Antrags nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG im Lichte des § 1a KSchG – Fallgruppen der unverschuldeten Fristversäumnis Ein erfolgreicher Zulassungsantrag setzt nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG voraus, dass der Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt an einer rechtzeitigen Klageerhebung verhindert war. An dem Fristversäumnis darf ihn dabei kein Verschulden treffen254 und den Antrag auf nachträgliche Zulassung hat er binnen zwei Wochen ab Behebung des Hindernisses zu stellen, § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG. An einer rechtzeitigen Klageerhebung ist der Arbeitnehmer etwa dann verhindert, wenn ihn der Arbeitgeber über die Kündigungsgründe arglistig getäuscht hat.255 Hat also der Arbeitgeber, der eine betriebsbedingte Kündigung mit einem Abfindungsangebot verbindet, den Arbeitnehmer durch ein arglistiges Vorspiegeln dringender betrieblicher Erfordernisse von der rechtzeitigen Erhebung einer Kündigungsschutzklage abgehalten, so kann dieser einen Antrag nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG stellen.256 Hat aber der Arbeitgeber die arglis___________ 254

LAG Düsseldorf vom 21.10.1997, LAGE Nr. 89 zu § 5 KSchG S. 2; Ascheid, in: APS, § 5 KSchG Rdnr. 10; Friedrich, in: KR, § 5 KSchG Rdnr. 10; von HoyningenHuene/Linck, KSchG, § 5 Rdnr. 2; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1832. 255 LAG Köln vom 24.05.1994, NZA 1995, 127, 128; LAG Saarland vom 27.06.2002, NZA-RR 2002, 488, 489; Ascheid, in: APS, § 5 KSchG Rdnr. 16; Friedrich, in: KR, § 5 KSchG Rdnr. 40; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 16; Kraus, Abfindungen, S. 187; Merz, Abfindungsanspruch, S. 151; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 42; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1833; aA von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 5 Rdnr. 5. 256 Bader, NZA 2004, 65, 71; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 8a; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 26; Preis, DB 2004, 70, 74;

§ 7 Tatbestand

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tige Täuschung nicht selbst verübt, muss der Arbeitnehmer glaubhaft darlegen, dass der Arbeitgeber die Täuschung entweder kannte bzw. hätte kennen müssen oder dass der Handelnde zum Kreis der kündigungsberechtigten Personen i.S.d. § 626 Abs. 2 S. 2 BGB gehörte.257 Die Arbeitsgerichte haben eine nachträglich erhobene Kündigungsschutzklage auch dann zuzulassen, wenn dem Arbeitnehmer während seiner urlaubsbedingten Abwesenheit eine Kündigung an seine Heimatadresse zugeht und die Frist des § 4 S. 1 KSchG ohne Kenntnis von Kündigung und Abfindungsangebot bei seiner Rückkehr bereits abgelaufen ist.258 Ist die Klagefrist bei seiner Rückkehr noch nicht abgelaufen, entscheiden die Umstände des Einzelfalls, ob er in der verbleibenden Zeit unter Beachtung der ihm zumutbaren Sorgfalt eine Kündigungsschutzklage erheben kann.259 Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer die Zeit bis zum Ablauf der Frist nutzen und die Klage noch rechtzeitig erheben,260 wobei ihm eine angemessene Überlegungsfrist von mindestens drei Tagen zur Verfügung steht.261 § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG ermöglicht auch einer schwangeren Arbeitnehmerin, die von ihrer Schwangerschaft erst nach Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG Kenntnis erlangt hat, eine nachträgliche Klagezulassung, damit diese sich noch nachträglich auf den besonderen Kündigungsschutz des § 9 Abs. 1 MuSchG berufen kann. Einer nachträglichen Klagezulassung bedarf es in diesem Fall deshalb, weil mangels Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwangerschaft nicht die Ausnahmeregelung des § 4 S. 4 KSchG bezüglich des Fristbeginns eingreift;262 die Vorschrift ist damit keineswegs bedeutungslos.263 § 1a KSchG schließlich bereichert diese bereits anerkannten Fälle um eine weitere Konstellation: Durfte der Arbeitnehmer von einer wirksamen Abfin___________ ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167e; Raab, RdA 2005, 1, 6; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 77; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182. 257 LAG Köln vom 24.05.1994, NZA 1995, 127, 128; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1833. 258 BAG vom 16.03.1988, AP Nr. 16 zu § 130 BGB Bl. 4; LAG Nürnberg vom 05.02.1992, LAGE Nr. 57 zu § 5 KSchG S. 2; LAG Hamm vom 28.03.1996, LAGE Nr. 78 zu § 5 KSchG S. 6 ff.; Ascheid, in: APS, § 5 KSchG Rdnr. 51; Friedrich, in: KR, § 5 KSchG Rdnr. 60; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 5 Rdnr. 18; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1854. 259 Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1854. 260 LAG Köln vom 17.04.1997, LAG Nr. 87 zu § 5 KSchG S. 2 f.; Ascheid, in: APS, § 5 KSchG Rdnr. 49; Friedrich, in: KR, § 5 KSchG Rdnr. 61. 261 LAG München vom 23.01.1992, NZA 1993, 266 f. 262 Siehe dazu oben unter § 7 C II 1 b), S. 276 f. 263 W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 364; Quecke, RdA 2004, 86, 100; J. Schmidt, NZA 2004, 79, 80 f.; aA Bader, NZA 2004, 65, 68; Rolfs, in: APS, § 9 MuSchG Rdnr. 59a; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 184.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

dungsvereinbarung ausgehen, so kann er auch dann mit Erfolg einen Antrag nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG stellen, wenn der Arbeitgeber die Abfindungsvereinbarung durch Anfechtung beseitigt264 oder diese bereits von Anfang an nichtig ist.265 Zahlungsschwierigkeiten des Arbeitgebers können allerdings eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers nicht rechtfertigen: Erhebt der Arbeitnehmer auf der Grundlage eines Abfindungsangebots gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG keine Kündigungsschutzklage, so besteht auch dann kein Anspruch auf nachträgliche Klagezulassung, wenn er die Abfindung tatsächlich nicht erhält.266 Allein die Tatsache des Bestehens einer wirksamen Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG führt ebenfalls nicht zu einem Anspruch auf nachträgliche Zulassung der Klage gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG, der gegenteiligen Auffassung von Nebeling und Schmid kann nicht gefolgt werden. Nach deren Ansicht ermöglicht jeder Abschluss eines Abwicklungsvertrages, der einen Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage enthält, dem Arbeitnehmer eine nachträgliche Klagezulassung.267 Wenn als Verhinderung gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG bereits die arglistige Täuschung durch den Arbeitgeber anerkannt sei, so müsse a maiore ad minus auch ein objektiver Hinderungsgrund in Form eines vertraglichen Verbots die Tatbestandsvoraussetzung der Verhinderung erfüllen.268 Diese Argumentation lässt sich ohne weiteres auch auf die Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG übertragen, da deren Zustandekommen mit Ablauf der Kündigungsfrist wenigsten zu einem faktischen Klageverzicht des Arbeitnehmers führt. Damit aber verkehrte sich die Funktion sowohl des Abwicklungsvertrages als auch der Abfindungsvereinbarung gemäß § 1a KSchG in ihr Gegenteil: Der vertragliche oder faktische Klageverzicht ebnete über den Umweg des § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG die Bahn zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage mit verlängerter Wahlmöglichkeit. Das von den Autoren bemühte argumentum a maiore ad minus steht methodisch der Analogie nahe und setzt voraus, dass der Normzweck einer gesetzlichen Regel auf einen ___________ 264

Wobei eine Anfechtung regelmäßig ausscheidet, vgl. dazu unten unter § 7 F I 2, S. 326 ff. 265 Kraus, Abfindungen, S. 187; Merz, Abfindungsanspruch, S. 151; Preis, DB 2004, 70, 74. Zu Einschränkungen führen aber die unterschiedlichen Fristen für die Anfechtung einerseits und dem Antrag auf nachträgliche Klagezulassung andererseits, vgl. dazu unten unter § 7 F II 1 d), S. 334 f. 266 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 9; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 8; Friedrich, in: KR, § 5 KSchG Rdnr. 40; Merz, Abfindungsanspruch, S. 123 f.; aA Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 36. 267 Nebeling/Schmid, NZA 2002, 1310, 1313. 268 Nebeling/Schmid, NZA 2002, 1310, 1313.

§ 7 Tatbestand

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ungeregelten Tatbestand in einem noch höheren Maße zutrifft.269 Soll aber § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG nach seinem ausdrücklich erklärten Willen eine nachträgliche Klagezulassung nur auf den Ausnahmefall der schuldlosen Verhinderung an der rechtzeitigen Klageerhebung beschränken, so kann diese Regel nicht „erst recht“ auf den ungeregelten Tatbestand des wissentlichen und willentlichen, also vorsätzlichen Abschlusses eines Abwicklungsvertrages bzw. des Verstreichenlassens der Frist des § 4 S. 1 KSchG Anwendung finden. Ebenso wenig wie der Abwicklungsvertrag oder die in § 1a KSchG geregelte Vereinbarung aber dem Arbeitnehmer in jedem Fall einen Anspruch auf nachträgliche Klagezulassung gewährt, steht sie diesem Anspruch stets entgegen. Dem widersprechen Bader und Quecke, nach deren Auffassung ein Einfordern oder eine Entgegennahme der Abfindung als konkludenter Verzicht auf einen Antrag nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG zu interpretieren seien.270 Bereits an einen wirksamen vertraglichen Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nach Ausspruch der Kündigung stellt das BAG strenge Anforderungen. Wegen der weit reichenden Wirkung eines solchen Klageverzichts und aus Gründen der Rechtsklarheit müsse dieser eindeutig und unmissverständlich formuliert sein.271 So genügt etwa eine Klausel mit der Wendung „Ich erkläre hiermit, keine Rechte aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung mehr zu haben.“ diesen Anforderungen nicht,272 während das Gericht eine Erklärung des Inhalts, der Arbeitnehmer erhebe „gegen die Kündigung […] keine Einwendungen“, nicht beanstandet hat.273 Nach Auffassung des LAG Köln beinhalte sogar eine Klausel mit dem Wortlaut „Zur Kenntnis genommen und hiermit einverstanden.“ einen wirksamen Klageverzicht.274 Eindeutig und unmissverständlich ist jedenfalls folgende Erklärung des Arbeitnehmers: „Ich erhebe gegen die Kündigung keine Einwendungen und werde mein Recht, das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen, nicht wahrnehmen […].“275 Ob, wie von Quecke und Bader unterstellt, ein Verzicht auf das Recht zur nachträglichen Klagezulassung angesichts der besonderen Interessenlage des § 5 ___________ 269

Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 208. Bader, NZA 2004, 65, 71; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 13; Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 16. 271 BAG vom 29.06.1978, AP Nr. 5 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2; BAG vom 03.05.1979, AP Nr. 6 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2R; BAG vom 17.05.2001, EzA Nr. 3 zu § 620 BGB Kündigung S. 11; LAG Köln vom 22.02.2000, NZA-RR 2001, 85, 86; LAG Hamm vom 09.10.2003, NZA-RR 2004, 242; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 302 ff.; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1254. 272 BAG vom 29.06.1978, AP Nr. 5 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2; BAG vom 03.05.1979, AP Nr. 6 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2R. 273 BAG vom 06.04.1977, AP Nr. 4 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2. 274 LAG Köln vom 22.02.2000, NZA-RR 2001, 85, 86. 275 BAG vom 20.06.1985, AP Nr. 33 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2 f. 270

302

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

KSchG überhaupt rechtlich zulässig ist, mag an dieser Stelle dahingestellt bleiben; dieser müsste jedenfalls auch den vom BAG aufgestellten Anforderungen der Eindeutig- und Unmissverständlichkeit genügen. Beansprucht der Arbeitnehmer eine Abfindung gemäß § 1a KSchG oder nimmt diese entgegen, so enthält dieses Verhalten offensichtlich keine ausdrückliche und unmissverständliche Verzichtserklärung. Er erklärt keinerlei Verzicht auf bestehende Rechte, sondern verlangt nur die Erfüllung eines bestehenden vertraglichen Anspruchs. Vielfach wird der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal von dem Umstand, der ihn zu einer nachträglichen Klagezulassung berechtigt, Kenntnis erlangt haben. Und selbst eine Kenntnis zum Zeitpunkt des Abfindungsverlangens steht einem Antrag nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG nicht entgegen. Die Entscheidung, die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage beantragen zu wollen, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die der Arbeitnehmer ohne eine gezielte rechtliche Beratung regelmäßig nicht überblicken kann, so dass dem Antrag auch nicht die Einrede treuwidrigen Verhaltens276 entgegengehalten werden kann. 2. Auswirkungen des Zulassungsantrags auf die Abfindungsvereinbarung Lässt das Arbeitsgericht nun unter den oben genannten Voraussetzungen die nachträglich erhobene Kündigungsschutzklage zu, so steht der Normzweck des § 1a KSchG einer Aufrechterhaltung des Abfindungsanspruchs entgegen: Die Abfindungszahlung soll an die Stelle der Kündigungsschutzklage treten, nicht daneben.277 § 1a KSchG beabsichtigt, durch ein außergerichtliches Verfahren Rechtssicherheit im Hinblick auf die Wirksamkeit der Kündigung herzustellen.278 Beantragt der Arbeitnehmer die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage, müssen sich beide nun doch mit der Rechtswirksamkeit der Kündigung befassen.279 Neben einem Antrag nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG kann deshalb kein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung bestehen, 280 und zwar be___________ 276

So Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 16. BT-Drs. 15/1204, S. 12; Preis, DB 2004, 70, 75; Rolfs, ZIP 2004, 333, 338. 278 BT-Drs. 15/1204, S. 9, 12; Preis, DB 2004, 70, 74; Raab, RdA 2005, 1, 9. 279 Grobys, DB 2003, 2174, 2175; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 15; Preis, DB 2004, 70, 74; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167h. 280 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 8; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 7; Backmeister, in: Backmeister/Trittin/Mayer, KSchG, § 1a KSchG Rdnr. 7; Bader, NZA 2004, 65, 71; ders. in: BBDW, § 1a Rdnr. 12; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Däubler, NZA 2004, 177, 178; Elz, BuW 2004, 388, 390; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 187; Grobys, DB 2003, 2174, 2175; Hanau, ZIP 2004, 1169, 1177; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 15; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 11; Kraus, Abfindungen, S. 186; Lakies, NJ 2004, 150, 154 f.; 277

§ 7 Tatbestand

303

reits ab dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung stellt.281 Zwar führt das Verfahren nach § 5 KSchG noch nicht zu einer Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung.282 Jedoch muss der Arbeitnehmer innerhalb der Frist des § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG zugleich auch eine Kündigungsschutzklage erheben, § 5 Abs. 2 S. 1 KSchG. Der Arbeitgeber, dem die Klage zugestellt wird, muss sich überlegen, wie er darauf reagiert, insbesondere, ob er für den Fall der Stattgabe des Zulassungsantrags gemäß § 5 Abs. 4 S. 2 KSchG sofortige Beschwerde einlegt.283 Da aber bereits auf diese Weise wegen der Kündigung eine gerichtliche Auseinandersetzung stattfindet, muss auch der Abfindungsanspruch mit der Antragstellung entfallen.284 a) Lösungswege Schwierigkeiten bereitet aber die dogmatische Ableitung dieses einhellig befürworteten Ergebnisses. Während einige den Weg einer teleologischen Reduktion des § 1a KSchG wählen,285 soll nach Auffassung insbesondere derjenigen Autoren, die in § 1a KSchG eine rechtsgeschäftliche Abfindungsvereinbarung erblicken, der nach Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG zunächst entstandene ___________ Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 63; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 15; Merz, Abfindungsanspruch, S. 112, 149; Nägele, ArbRB 2003, 274, 276; Preis, DB 2004, 70, 74; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167h; Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 16; Raab, RdA 2005, 1, 9; Rolfs, ZIP 2004, 333, 338; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 42; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 76; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 261; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 13. 281 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 8; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 7; Elz, BuW 2004, 388, 390; Hanau, ZIP 2004, 1169, 1177; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 15; Kraus, Abfindungen, S. 186; Löwisch, NZA 2003, 689, 694; Merz, Abfindungsanspruch, S. 112, 149; Preis, DB 2004, 70, 74; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167h; Quecke, in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 16; Raab, RdA 2005, 1, 9; Rolfs, ZIP 2004, 333, 338; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182; A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 13; aA Bader, NZA 2004, 65, 71; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 12; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 26; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 187; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 11; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 76; nach deren Auffassung der Abfindungsanspruch des § 1a KSchG nach einem vergeblichen Begehren auf nachträgliche Klagezulassung aufrechterhalten bleibt. AA auch Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 45, nach dessen Auffassung der Abfindungsanspruch nicht schon mit Antragsstellung, sondern erst mit Klageerhebung entfällt. 282 Preis, DB 2004, 70, 74. 283 Preis, DB 2004, 70, 74; Raab, RdA 2005, 1, 9. 284 Kraus, Abfindungen, S. 186; Merz, Abfindungsanspruch, S. 149 f.; Preis, DB 2004, 70, 74. 285 Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 16.

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

304

Abfindungsanspruch unter der auflösenden Bedingung eines (erfolgreichen) Antrags nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG stehen.286 Wieder andere nehmen ein stillschweigend vereinbartes Rücktrittsrecht an287 oder greifen auf die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, zurück.288 Nach einer weiteren Auffassung soll der Abfindungsanspruch mit der Antragstellung sogar ex tunc entfallen.289 Denkbar ist schließlich auch, von einer bedingungslosen Wirksamkeit der Abfindungsvereinbarung auszugehen, jedoch dem Arbeitgeber nach Maßgabe des § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB einen Kondiktionsanspruch wegen Zweckverfehlung einzuräumen.290 b) Ergänzende Vertragsauslegung der Abfindungsvereinbarung Ausgehend von der rechtsgeschäftlichen Natur des Abfindungsanspruchs ist der Weg über eine teleologische Reduktion des § 1a KSchG versperrt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben unter den Voraussetzungen des § 1a KSchG eine wirksame Abfindungsvereinbarung geschlossen. Der Antrag des Arbeitnehmers gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG steht dem nicht entgegen: Bereits mit Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG ist aufgrund der von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG gesetzlich fingierten Annahmeerklärung eine wirksame Abfindungsvereinbarung zustande gekommen.291 Sollte in dem Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zugleich ein konkludenter Widerruf der Annahmeerklärung enthalten sein, so vermag dieser gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 BGB die Annahmeerklärung wegen Ablaufs der Widerrufsfrist nicht mehr zu beseitigen. Allerdings steht die Abfindungsvereinbarung unter der auflösenden Bedingung eines Antrags des Arbeitnehmers auf nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG. Diese auflösende Bedingung ist der Abrede im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu entnehmen. 292 ___________ 286

Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 9; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 8; Bader, NZA 2004, 65, 71; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 12; Kraus, Abfindungen, S. 111 f., 186; Preis, DB 2004, 70, 74; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 76; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 13. 287 J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Rolfs, ZIP 2004, 333, 338. 288 Elz, BuW 2004, 388, 390; Merz, Abfindungsanspruch, S. 112, 150 f. 289 S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 26; Grobys, DB 2003, 2174, 2175; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 15; Quecke, in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 16; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 261; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182. 290 Erwogen von Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 16, im Ergebnis aber offen gelassen. 291 AA für den Fall der fehlenden Kenntnis des Arbeitnehmers von dem Abfindungsangebot Kraus, Abfindungen, S. 122, 186. 292 A. Wolff, BB 2004, 378, 380.

§ 7 Tatbestand

305

Zwingender Inhalt der Vereinbarung ist nach § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG die Erklärung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer könne die Abfindung nur beanspruchen, wenn er „bis zum Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG keine Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist“, erhebt. Diese Erklärung des Arbeitgebers ist gemäß §§ 133, 157 BGB auszulegen. Bei empfangsbedürftigen, zielgerichtet gegenüber einer anderen Person abgegebenen Willenserklärungen, ist nach Maßgabe dieser Vorschriften normalerweise nicht auf den wirklichen Willen des Erklärenden, sondern im Wege der normativen Auslegung auf das objektive Verständnis des Empfängers abzustellen: Es kommt damit weder auf das tatsächlich Gewollte noch das tatsächlich Verstandene an, vielmehr ist mit Hilfe einer wertenden Betrachtungsweise zu ermitteln, wie der Empfänger die Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte.293 Der Erklärungsempfänger ist in seinem Vertrauen darauf zu schützen, dass die Erklärung so gemeint ist, wie sie redlicherweise verstanden werden darf. 294 Maßgeblich ist also der mutmaßliche Wille.295 Den Ausgangspunkt der Auslegung bildet der Wortlaut der Erklärung.296 Dieser hilft allerdings vorliegend nicht weiter. Die Erklärung enthält keine Aussage zum Schicksal des Abfindungsanspruchs für den Fall, dass der Arbeitnehmer eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage begehrt. Jedoch liefert der Wortlaut auch nur einen ersten Anhaltspunkt. § 133 BGB bestimmt, dass bei der Auslegung einer Willenserklärung nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist. In einem zweiten Schritt sind daher auch die außerhalb des Erklärungsaktes liegenden Umstände in die Auslegung einzubeziehen, wenn diese den Erklärungstatbestand begleiten und in einer sinngebenden Beziehung zu ihm stehen.297 Dabei ist auch eine auf den ersten Blick eindeutige Erklärung der Auslegung zugänglich, eine Berücksichtigung aller auch außerhalb der Erklärung liegenden Umstände kann zu dem Er___________ 293

BGH vom 24.02.1988, BGHZ 103, 275, 280; BGH vom 28.02.1992, BGHZ 120, 87, 92; BGH vom 16.11.1995, NJW 1996, 661, 662; BGH vom 05.12.2002, NJW 2003, 743; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 518; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 135 f.; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 15; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 323. 294 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 518; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 136; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 17. 295 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 525. 296 BGH vom 03.11.1993, NJW 1994, 188, 189; BGH vom 03.04.2000, NJW 2000, 2099; BGH vom 22.10.2003, NJW-RR 2004, 628, 630; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 545; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 126; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 34. 297 BGH vom 19.01.2000, NJW-RR 2000, 1002, 1003; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 549; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 126, Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 41.

306

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

gebnis führen, dass sich hinter der Erklärung ein anderer Geschäftswille verbirgt, als der Wortlaut auf den ersten Blick vermuten lässt.298 Bei der Auslegung vom Empfängerhorizont ist daher zu fragen, wie die Erklärung aus der Sicht eines objektiven Beobachters zu verstehen ist, der alle für den Empfänger erkennbaren, für die Auslegung relevanten Umstände kennt.299 Besondere Bedeutung kommt dabei der für die jeweilige Gegenseite erkennbaren, bei Abgabe der Erklärung bestehenden beiderseitigen Interessenlage300 und dem Vertragszweck301 zu. Doch selbst die Einbeziehung außerhalb der Erklärung liegender Umstände in die Auslegung hilft hier nicht weiter. Die vom Arbeitgeber eindeutig auf die fristgerechte Erhebung einer Kündigungsschutzklage beschränkte Erklärung musste der Arbeitnehmer auch mit diesem Inhalt verstehen, ohne dass weitere Umstände einen Anhaltspunkt dafür liefern, ob der Abfindungsanspruch auch bei einem Antrag auf nachträgliche Klagezulassung bestehen soll. Das Abfindungsangebot des Arbeitgebers enthält auch unter Berücksichtigung außerhalb der Erklärung liegender Umstände dazu keine Aussage, es weist insoweit eine Regelungslücke auf. Ergibt die normative bzw. erläuternde Auslegung, dass die Parteien zu einem bestimmten Punkt keinen Rechtsfolgewillen gebildet haben, sei es, dass die Parteien die Frage erkannt haben, aber nicht regeln wollten (bewusste Lücke), sei es, dass sie den Punkt gar nicht gesehen haben (unbewusste anfängliche Lücke), oder noch gar nicht sehen konnten, weil das Regelungsbedürfnis erst nachträglich entstanden ist, greift zur Lückenfüllung die ergänzende Auslegung ein.302 Diese ist in drei Schritten zu vollziehen. Zuerst ist festzustellen, ob eine Regelungslücke besteht, das Rechtsgeschäft also eine planwidrige Unvollständigkeit aufweist.303 Daran schließt sich die Prüfung an, ob die ergänzende Vertragsauslegung zur Lückenfüllung nötig ist.304 Dies ist regelmäßig nicht der ___________ 298

BGH vom 08.12.1982, BGHZ 86, 41, 46; BGH vom 07.02.2003, VIZ 2003, 241, 242; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 127; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 542. 299 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 549. 300 BGH vom 10.07.1998, NJW 1998, 3268, 3269 f.; BGH vom 03.04.2000, NJW 2000, 2099; BGH vom 09.07.2001, NJW 2002, 747; BGH vom 09.05.2003, NJWRR 2003, 1053, 1054; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 549; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 43. 301 BGH vom 28.06.1951, BGHZ 2, 379, 385; BGH vom 23.02.1956, BGHZ 20, 109, 110; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 549; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 43. 302 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 532; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 138; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 114. 303 BGH vom 10.10.1990, NJW-RR 1991, 176, 177; BGH vom 17.06.1993, NJWRR 1993, 1377, 1378; BGH vom 21.09.1994, BGHZ 127, 138, 142; BGH vom 17.04.2002, NJW 2002, 2310; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 533; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 139. 304 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 534.

§ 7 Tatbestand

307

Fall, wenn das Rechtsgeschäft zwar eine Lücke enthält, diese aber bereits vom dispositiven Gesetzesrecht geschlossen wird.305 Schließlich ist zu prüfen, ob eine Lückenfüllung möglich ist.306 Dabei ist unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu untersuchen, wie die Parteien bei redlichem Verhalten den offen gebliebenen Punkt geregelt haben würden, wenn sie ihn bedacht hätten307, wobei eine Lückenfüllung nur innerhalb des vereinbarten Vertragsrahmens möglich ist und nicht zu einer Veränderung des Vertragsgegenstandes führen kann308. Die ergänzende Auslegung findet ihre Grenze daher einmal an dem erkennbar entgegenstehenden Willen der Parteien, zum anderen dort, wo die gesuchte Antwort nicht mehr aus dem Zweck und dem Sinnzusammenhang der vertraglichen Regelung abgeleitet werden kann.309 Schließlich müssen mit Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte auch objektive Maßstäbe Berücksichtigung finden.310 Der ergänzenden Vertragsauslegung steht nicht der Umstand des Schriftformerfordernisses für das Abfindungsangebot des Arbeitgebers entgegen. Auch bei formbedürftigen Rechtsgeschäften ist eine ergänzende Vertragsauslegung möglich.311 Eine Lückenfüllung mittels dispositiven Gesetzesrechts scheidet vorliegend aus, da § 1a KSchG als alleinige dispositive Gesetzesregel eines mit dem Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung verbundenen Abfindungsanspruchs keine Aussage für den Fall eines Antrags auf nachträgliche Klagezulassung trifft. Die unbewusste nachträgliche Regelungslücke der Abfindungsvereinbarung ist daher unter besonderer Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs der Abfindungsvereinbarung durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Bedient sich der Arbeitgeber zur Begründung eines vertraglichen Abfindungsanspruchs der Regelung des § 1a KSchG, ist auch sein rechtsgeschäftliches Angebot im Zusammenhang mit dem Zweck dieser ___________ 305

BGH vom 01.02.1984, BGHZ 90, 69, 75; BGH vom 13.11.1997, BGHZ 137, 153, 157; BGH vom 22.12.2000, BGHZ 146, 250, 261; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 534; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 138; differenzierend Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 109 ff.; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 340 ff. 306 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 537. 307 BGH vom 01.06.1994, BGHZ 126, 150, 159; BGH vom 14.03.1997, BGHZ 135, 92, 98; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 537; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 140; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 116. 308 BGH vom 12.02.1988, 2099, 2100; BGH vom 01.12.1997, NJW 1998, 1480; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 537. 309 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 120. 310 BGH vom 20.12.1996, NJW 1997, 652; BGH vom 26.02.1997, NJW-RR 1997, 1054, 1055; BGH vom 05.06.2002, BGHZ 151, 53, 58; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 537; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 140; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 118. 311 BGH vom 03.07.1981, BGHZ 81, 135, 143 f.; Heinrichs, in: Palandt, BGB, § 157 Rdnr. 2a.

308

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Norm zu sehen. Die Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG verfolgt den Zweck, das Kündigungsrecht für den Arbeitgeber transparent und kalkulierbar zu gestalten, die Zahlung einer Abfindung soll das Risiko einer gerichtlichen Nachprüfung sowie einer Zahlung von Annahmeverzugslohn vermeiden.312 Der Arbeitgeber beabsichtigt folglich mit seinem Angebot, die Abfindung auch nur dann zu zahlen, wenn die Kündigung keine gerichtliche Auseinandersetzung nach sich zieht. Er stellt sein Abfindungsangebot deshalb unter die Voraussetzung des Verstreichenlassens der Klagefrist, weil mit deren Ablauf § 7 KSchG die Wirksamkeit der Kündigung unwiderlegbar vermutet, der Arbeitgeber also eine gerichtliche Auseinandersetzung über die Wirksamkeit der Kündigung nicht länger zu befürchten braucht. Findet unter der Ausnahmekonstellation des § 5 KSchG aber doch noch eine richterliche Überprüfung der Kündigung statt, kann das Abfindungsangebot seinen Zweck nicht länger erreichen, der Arbeitnehmer zwingt den Arbeitgeber in die Risiken eines Kündigungsschutzprozesses, die er mit der Abfindungsvereinbarung gerade vermeiden wollte. Jede gerichtliche Auseinandersetzung über die Wirksamkeit der Kündigung steht einem Abfindungsanspruch entgegen. Das Abfindungsangebot steht daher unter der auflösenden Bedingung eines Antrags des Arbeitnehmers nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG. Stellt er diesen, so führt dies zum Entfall des Abfindungsanspruchs mit Wirkung ex nunc, § 158 Abs. 2 BGB. Darauf muss sich auch der Arbeitnehmer einlassen, welcher weiß, dass er eine nach Maßgabe des § 1a KSchG vereinbarte Abfindung nur anstelle eines Kündigungsschutzprozesses in Anspruch nehmen können soll, ein sachlicher Unterschied zwischen der fristgerechten und der nachträglich zugelassenen Kündigungsschutzklage besteht nicht.313 Die ergänzende Vertragsauslegung führt schließlich auch nicht zur Begründung eines Rücktrittsrechts, da sich aus der Erklärung des Arbeitnehmers nicht entnehmen lässt, dass der Abfindungsanspruch erst nach der Ausübung eines Gestaltungsrechts entfallen soll. Ebenso wie die fristgemäße Erhebung einer Kündigungsschutzklage automatisch zum Erlöschen des Abfindungsangebot führt, reicht die bloße Stellung des Antrags durch den Arbeitnehmer aus, die Rechtswirkungen der Abfindungsvereinbarung automatisch zu beenden.

___________ 312

BT-Drs. 15/1204, S. 9. Zum Normzweck ausführlich oben unter § 6 A II, S. 225 ff. 313 Den Weg der ergänzenden Vertragsauslegung beschreitet auch A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 13.

§ 7 Tatbestand

309

c) Rückabwicklung der Abfindungsvereinbarung Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bereits die Abfindung gezahlt, so ist diese gemäß § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB zurückzugewähren.314 Eine Anwendung der §§ 346 ff. BGB mag zwar in Anbetracht der Regelung des § 818 Abs. 3 BGB wünschenswert sein, doch fehlt dafür de lege lata eine gesetzliche Grundlage315 ebenso wie eine Parteivereinbarung. Nach § 346 Abs. 1 BGB aber treten die gesetzlichen Rücktrittsfolgen nur dann ein, wenn sich entweder eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten hat oder ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zusteht. Beides liegt hier nicht vor. II. Abfindungsanspruch und verlängerte Anrufungsfrist gemäß § 6 S. 1 KSchG Auch § 6 S. 1 KSchG ermöglicht dem Arbeitnehmer, sich unter bestimmten Voraussetzungen nach Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG auf die Unwirksamkeit der Kündigung zu berufen. Macht der Arbeitnehmer von dieser Regelung Gebrauch, besteht kein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung, die auf einer Vereinbarung gemäß § 1a KSchG beruht.316 Dieses einhellig befürwortete Ergebnis leuchtet ohne weiteres ein, doch verstellt ein vorschneller Rückschluss auf dieses Resultat den Blick auf die der Problematik zugrunde liegende Ausgangsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Bestimmung des § 6 S. 1 KSchG überhaupt Anwendung findet.

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Bader, NZA 2004, 65, 71; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 13; S. Fiebig, in: HaKoKSchG, § 1a Rdnr. 27; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 187; Grobys, DB 2003, 2174, 2175; Kraus, Abfindungen, S. 188; Preis, DB 2004, 70, 74; Raab, RdA 2005, 1, 9; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 46; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 76; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 14. Unentschlossen Lakies, NJ 2004, 150, 155. 315 S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 27; Grobys, DB 2003, 2174, 2175; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 47. 316 J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77, 78; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 28; Friedrich, in: KR, § 6 KSchG Rdnr. 25a; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 187; Grobys, DB 2003, 2174, 2175; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 17; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 11; Kraus, Abfindungen, S. 191; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 63; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 17; Merz, Abfindungsanspruch, S. 90 f., 111 f.; Preis, DB 2004, 70, 75; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167i; Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 15; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 41; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 78; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 264; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 183; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 15.

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

310

1. § 6 S. 1 KSchG – eine Norm ohne Anwendungsbereich? Das „Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt“ ist auch an dieser Norm nicht spurlos vorübergegangen und hat im Zusammenhang mit dem ebenfalls geänderten § 4 S. 1 KSchG zu einer einschneidenden Veränderung ihres Anwendungsbereichs geführt, auch wenn es sich nach der Aussage des Gesetzgebers dabei lediglich um eine Folgeregelung zur Vereinheitlichung der Klagefrist für alle Kündigungen handeln sollte.317 Während in seiner bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung § 6 S. 1 KSchG dem Arbeitnehmer die Erhebung einer Kündigungsschutzklage mit ihrem punktuellen Streitgegenstand auch dann ermöglichte, wenn er sich innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG lediglich auf andere Unwirksamkeitsgründe, etwa eine fehlende Betriebsratsanhörung, mittels einer allgemeinen Feststellungsklage berief,318 hat die Norm angesichts der Neufassung des § 4 S. 1 KSchG mit der Einbeziehung sämtlicher Unwirksamkeitsgründe ihre ursprüngliche Bedeutung verloren. Nach dem nun geänderten Wortlaut erlaubt § 6 S. 1 KSchG dem Arbeitnehmer, der innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG die Unwirksamkeit der Kündigung durch Klage vor dem Arbeitsgericht geltend gemacht hat, sich auch nach Fristablauf auf andere Unwirksamkeitsgründe zu berufen. Die Bestimmung erfasst damit nicht mehr den Fall, dass der Arbeitnehmer innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG eine allgemeine Feststellungsklage und erst nach Fristablauf eine Kündigungsschutzklage erhoben hat.319 Der auf die konkrete Kündigung bezogenen Klageantrag nach § 4 KSchG erfasst seit dem 01.01.2004 sämtliche Unwirksamkeitsgründe, so dass auch die Erhebung einer allgemeinen Feststellungsklage regelmäßig nicht mehr in Betracht kommt. Welcher Anwendungsbereich dem § 6 S. 1 KSchG dann aber überhaupt verbleibt, wird unterschiedlich beurteilt. Nach einer Auffassung ist die Regelung schlicht verzichtbar,320 nach der Gegenauffassung liegt ihre Bedeutung darin, dem Arbeitnehmer, der seine Kündigungsschutzklage ursprünglich auf irgendeinen Unwirksamkeitsgrund gestützt hat, zu ermöglichen, weitere Unwirksamkeitsgründe bis zum Ende der mündlichen Verhandlung nachzuschieben 321. ___________ 317

BT-Drs. 15/1204, S. 13. Vgl. zum Anwendungsbereich des § 6 S. 1 KSchG vor dem 01.01.2004 Bayreuther, ZfA 2005, 391 f. 319 Bader, NZA 2004, 65, 69. 320 Berger-Delhey, ZTR 2004, 77, 78. Ebenso Bayreuther, ZfA 2005, 391 („sinnentleert“). 321 Bader, NZA 2004, 65, 69; Lakies, NJ 2004, 150, 155; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 136 Rdnr. 18; Preis, DB 2004, 70, 77; wohl auch Ascheid, in: APS, § 6 KSchG Rdnr. 2; Friedrich, in: KR, § 6 KSchG Rdnr. 7; Gallner, in: HaKo-KSchG, § 6 Rdnr. 1a; Raab, RdA 2004, 321, 328 f. Ebenso ausdrücklich die Begründung des Gesetzgebers, BT-Drs. 15/1204, S. 13. 318

§ 7 Tatbestand

311

Nach vorzugswürdiger Auffassung beschränkt sich der Anwendungsbereich der Norm hingegen darauf, dem Arbeitnehmer, der rechtzeitig in anderer Weise als nach § 4 S. 1 KSchG die Unwirksamkeit der Kündigung klageweise geltend gemacht hat, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz die nachträgliche Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu ermöglichen.322 Hat dieser jedoch innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG eine Kündigungsschutzklage erhoben, kann er Tatsachen, aus denen sich die Unwirksamkeit der Kündigung ergibt, auch noch in der zweiten Instanz nachschieben, solange die Präklusionsvorschriften der §§ 61a Abs. 5, 64 Abs. 8, 67 ArbGG nicht entgegenstehen, § 6 S. 1 KSchG ist insoweit nicht einschlägig.323 Die Relevanz des § 6 S. 1 KSchG beschränkt sich damit im Wesentlichen auf Leistungsklagen, mit denen Arbeitnehmer die Zahlung von Arbeitsentgelt für den Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist begehren, wobei die Vorschrift, die ausdrücklich nur von Feststellungsklagen spricht, dabei analog anzuwenden ist.324 Das reformierte Kündigungsschutzrecht hat insoweit keine Änderung der Rechtslage bewirkt.325 Klagt der Arbeitnehmer innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG auf Weiterbeschäftigung, so gibt er damit ebenfalls zu erkennen, dass die Kündigung unwirksam sei, § 6 S. 1 KSchG ist auch hier analog anzuwenden.326 In beiden Fällen hat der Arbeitnehmer anschließend einen Feststellungsantrag nach § 4 S. 1 KSchG zu stellen.327 Anwendbar ist § 6 S. 1 KSchG darüber hinaus auch dann, wenn der Arbeitnehmer unter Hinweis auf die Formnichtigkeit der Kündigung eine allgemeine Feststellungsklage er___________ 322

Bayreuther, ZfA 2005, 391, 392; W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 365; Löwisch, BB 2004, 154, 160; Pods/Quecke, in: HWK, § 6 KSchG Rdnr. 2, 5 f.; Quecke, RdA 2004, 86, 102; wohl auch Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 188. 323 Bayreuther, ZfA 2005, 391, 392; W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 365; Pods/Quecke, in: HWK, § 6 KSchG Rdnr. 2; Quecke, RdA 2004, 86, 102. 324 BAG vom 30.11.1961, AP Nr. 3 zu § 5 KSchG; BAG vom 28.06.1973, AP Nr. 2 zu § 13 KSchG 1969; Ascheid, in: APS, § 6 KSchG Rdnr. 14; W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 365; Friedrich, in: KR, § 6 KSchG Rdnr. 23 f.; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 188; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 6 Rdnr. 4; Preis, DB 2004, 70, 75; Raab, RdA 2004, 321, 329 f.; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1821. 325 W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 365; Friedrich, § 6 KSchG Rdnr. 23; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 188; Preis, DB 2004, 70, 75; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1821; aA Bader, NZA 2004, 65, 69; Bayreuther, ZfA 2005, 391, 400 f. 326 Ascheid, in: APS, § 6 KSchG Rdnr. 18; Friedrich, in: KR, § 6 KSchG Rdnr. 29a; Gallner, in: HaKo-KSchG, § 6 KSchG Rdnr. 19; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1821; aA Bader, NZA 2004, 65, 69. 327 Ascheid, in: APS, § 6 KSchG Rdnr. 21; Friedrich, in: KR, § 6 KSchG Rdnr. 30; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 6 Rdnr. 9; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1822.

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

312

hebt.328 Eine Kündigungsschutzklage ist dafür nicht statthaft, da gemäß § 4 S. 1 KSchG nur eine schriftliche Kündigung die Klagefrist in Gang zu setzen in der Lage ist. Jedoch bestehen Zweifel an der Einschlägigkeit des § 6 S. 1 KSchG entsprechend der bis zum 31.12.2003 bestehenden Rechtslage329 für den Fall, dass der Arbeitnehmer mittels einer allgemeinen Feststellungsklage330 die Nichteinhaltung der maßgeblichen gesetzlichen, tarif- oder individualvertraglichen Kündigungsfrist durch den Arbeitgeber rügt.331 § 6 S. 1 KSchG setzt voraus, dass sich der Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG anders als durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage auf die Unwirksamkeit der Kündigung beruft. Eine Klage, gestützt auf die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist, kommt dafür nicht in Betracht, weil sie nicht die Wirksamkeit der Kündigung als solche in Zweifel zieht, sondern lediglich den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. 2. Auswirkungen des § 6 S. 1 KSchG auf die Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG Die Auswirkungen des § 6 S. 1 KSchG auf die Abfindungsvereinbarung gemäß § 1a KSchG sind damit von vornherein begrenzt. Soweit § 6 S. 1 KSchG (analog) anwendbar ist, besteht kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung nach Maßgabe des § 1a KSchG. 332 Anders als bei einem An___________ 328

Bayreuther, ZfA 2005, 391, 392; Raab, RdA 2004, 321, 329; ders., RdA 2005,

1, 9. 329

BAG vom 30.11.1961, AP Nr. 3 zu § 5 KSchG Bl. 2R; BAG vom 28.06.1973, AP Nr. 2 zu § 13 KSchG 1969 Bl. 1R; BAG vom 23.03.1983, AP Nr. 1 zu § 6 KSchG 1969 Bl. 3R. 330 Nach h.M. ist dafür die Erhebung einer Kündigungsschutzklage gemäß § 4 S. 1 KSchG nicht statthaft. Vgl. dazu BAG vom 15.12.2005, AP Nr. 55 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2 ff.; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77 f.; W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 363; Friedrich, in: KR, § 13 KSchG, Rdnr. 225; Hanau, ZIP 2004, 1169, 1175; Lakies, NJ 2004, 150, 155; Quecke, RdA 2004, 86, 100; Pods/Quecke, in: HWK, § 4 KSchG Rdnr. 6; Raab, RdA 2004, 321, 326; Spilger, in: KR, § 622 BGB Rdnr. 140; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1736; aA LAG Rheinland-Pfalz vom 18.02.2005, ZTR 2005, 382; Bader, NZA 2004, 65, 68; Löwisch, BB 2004, 154, 158 f.; Zimmer, FA 2004, 34, 36. 331 Bejahend Friedrich, in: KR, § 6 KSchG Rdnr. 13; Löwisch/Spinner, KSchG, § 6 Rdnr. 4; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1817. 332 J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77, 78; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 28; Friedrich, in: KR, § 6 KSchG Rdnr. 25a; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 187; Grobys, DB 2003, 2174, 2175; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 17; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 11; Kraus, Abfindungen, S. 191; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 63; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 17; Merz, Abfindungsanspruch, S. 90 f., 111 f.; Preis, DB 2004, 70, 75; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167i; Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 15; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 41; Spil-

§ 7 Tatbestand

313

trag des Arbeitnehmers auf nachträgliche Klagezulassung ist eine Abfindungsvereinbarung noch nicht einmal zustande gekommen.333 Eines Rückgriffs auf ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 242 BGB bedarf es folglich nicht.334 Der Arbeitnehmer hat die Klagefrist nicht verstreichen lassen, so dass auch die Annahmefiktion des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG nicht eintreten konnte. Mit Erhebung der Leistungsklage innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG hat er vielmehr das Abfindungsangebot konkludent abgelehnt, da sich die Klage auf die Unwirksamkeit der Kündigung stützt und diese zum Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung werden lässt.335 Zwar kann der Arbeitnehmer nach dem Wortlaut des Abfindungsangebots die Abfindung dann beanspruchen, wenn er innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG keine Kündigungsschutzklage erhebt. Diese Voraussetzung erfüllt an sich der Arbeitnehmer, der innerhalb der Klagefrist lediglich eine Leistungsklage auf Entgelt für den nach Ablauf der Kündigungsfrist liegenden Zeitraum erhebt und den Antrag auf Kündigungsschutzklage gemäß § 6 S. 1 KSchG erst nach Fristablauf stellt. Die ergänzende Auslegung des Abfindungsangebots des Arbeitgebers hat aber ergeben, dass jede Form der gerichtlichen Geltendmachung der Unwirksamkeit der Kündigung dem Abfindungsanspruch entgegensteht.336 Genau das geschieht jedoch bei der Erhebung einer Leistungsklage innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG, der Arbeitnehmer stützt diese auf die Unwirksamkeit der Kündigung. Damit erklärt er gleichzeitig konkludent seine Ablehnung zu dem Abfindungsangebot des Arbeitgebers. Ob der Arbeitnehmer bei fristwahrender Erhebung einer Entgeltklage den Feststellungsantrag tatsächlich nachholt, spielt keine Rolle: Wer die Unwirksamkeit der Kündigung geltend macht, lässt die Klagefrist nicht verstreichen.337 Ein rückwirkendes „Wiederaufleben“ des Abfindungsanspruchs nach Rücknahme der Leistungsklage338 scheitert an § 146 Alt. 1 BGB: Mit der Ablehnung

___________ ger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 78; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 264; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 183; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 15. 333 J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77, 79; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 17; Preis, DB 2004, 70, 75; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 15. 334 So aber J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77, 79. 335 Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 17; Merz, Abfindungsanspruch, S. 91. 336 Für eine ergänzenden Vertragsauslegung auch A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 15. 337 Merz, Abfindungsanspruch, S. 90 f.; Preis, DB 2004, 70, 75; Quecke, RdA 2004, 86, 97. 338 So Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 78.

314

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

durch den Arbeitnehmer ist das Abfindungsangebot unwiderruflich erloschen.339 III. Wiedereinstellungsanspruch und Abfindungsvereinbarung Nach Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG kann die betriebsbedingte Kündigung schließlich auch im Rahmen eines Wiedereinstellungsbegehrens des Arbeitnehmers Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung sein. Für die Rechtfertigung der betriebsbedingten Kündigung kommt es maßgebend auf die tatsächlichen Umstände im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an: Danach eintretende Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse können für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung keine Berücksichtigung finden.340 Erweist sich aber nach Ausspruch der Kündigung aufgrund einer Änderung der für die Kündigung maßgeblichen Umstände die Prognose des Arbeitgebers, der Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers falle auf Dauer weg, als falsch, bedarf es eines Korrektivs. 341 Der Arbeitnehmer kann in der Regel darauf vertrauen, dass es nur dann zu einer Beendigung seines Arbeitsverhältnisses kommt, wenn die vom Arbeitgeber angegebenen Kündigungsgründe auch noch nach Ablauf der Kündigungsfrist bestehen. 342 Deshalb besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung, wenn der Arbeitgeber mit Rücksicht auf die Wirksamkeit der Kündigung noch keine Dispositionen getroffen hat und ihm die unveränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist.343 Unklarheiten bestehen in der Rechtsprechung des BAG jedoch hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung eines derartigen Anspruchs. Während der 7. Senat ___________ 339

Preis, DB 2004, 70, 75. BAG vom 10.10.1996, AP Nr. 81 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 3; BAG vom 27.02.1997, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 2R; BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 4; Ertl, DStR 2001, 442, 444 f.; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 729; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1026; Raab, RdA 2000, 147, 148. 341 Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 729; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 156a; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1026; Raab, RdA 2000, 147, 149. 342 Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 730; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 156b. 343 BAG vom 27.02.1997, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 3; BAG vom 04.12.1997, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 3; BAG vom 02.12.1999, AP Nr. 45 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl Bl. 4; BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 3; Ertl, DStR 2001, 442 ff.; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 729 f.; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 156a ff.; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1027; Oetker, ZIP 2000, 643 ff.; Raab, RdA 2000, 147 ff.; aA Adam, ZTR 1999, 113 f.; Kaiser, ZfA 2000, 205, 217 ff. 340

§ 7 Tatbestand

315

bereits mehrfach entschieden hat, ein Wiedereinstellungsanspruch sei – abgesehen von dem Sonderfall des erst nach Ende des Arbeitsverhältnisses überraschend erfolgten Betriebsübergangs – nach Ablauf der Kündigungsfrist aus Rechtssicherheitsgründen ausgeschlossen,344 hat der 2. Senat in einer Entscheidung vom 04.12.1997 erwogen, dem Arbeitnehmer einen Wiedereinstellungsanspruch auch dann einzuräumen, wenn sich die Prognoseentscheidung des Arbeitgebers erst nach Ablauf der Kündigungsfrist als unzutreffend herausstellt.345 Unsicherheiten bestehen ebenfalls in der dogmatischen Ableitung des Wiedereinstellungsanspruch; aus der Vielzahl der befürworteten möglichen Rechtsgrundlagen seien hier nur die Herleitung aus § 242 BGB i.V.m. dem Vertrauensschutzprinzip,346 die erweiternde Auslegung des § 1 KSchG347 und die vom 7. Senat des BAG vorgenommene Ableitung aus einer vertraglichen Nebenpflicht des bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortbestehenden Arbeitsverhältnisses348 erwähnt. Verfolgt der Arbeitnehmer nun diesen Wiedereinstellungsanspruch mittels einer Klage, so besteht in der Literatur Einigkeit darüber, dass der Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers gemäß § 1a KSchG entfallen muss.349 Jedoch stellt sich bereits vorher die Frage, ob im Falle des Bestehens eines Abfindungsanspruchs gemäß § 1a KSchG überhaupt ein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers anzuerkennen ist. Dieser setzt eine Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls voraus.350 Nach überwiegender Auffassung schließt dabei eine zwischen den Arbeitsvertragsparteien im Wege eines Prozess- oder außergerichtlichen Vergleichs gefundene Einigung einen Wiedereinstellungs___________ 344

BAG vom 06.08.1997, AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 1R f.; BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 4R. Dem folgend Ertl, DStR 2001, 442, 445; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 733; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 156e; Oetker, ZIP 2000, 634, 649; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1028; kritisch Nägele, BB 1998, 1686, 1688. 345 BAG vom 04.12.1997, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 3 f. Für Ausnahmefälle auch Raab, RdA 2000, 147, 155. 346 von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 156b; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1029. 347 Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 729. 348 BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 3R. So auch Oetker, ZIP 2000, 643, 646 ff. 349 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 8; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 21; Kraus, Abfindungen, S. 173 ff.; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 14; Merz, Abfindungsanspruch, S. 152 f.; Preis, DB 2004, 70, 74; Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 17; Rolfs, ZIP 2004, 333, 339; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 118 f. 350 BAG vom 28.06.2004, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 5R.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

anspruch im Grundsatz aus.351 Noch zurückhaltend argumentiert das BAG in seinem Urteil vom 04.12.1997: Eine Abfindungsvereinbarung stehe einem Wiedereinstellungsanspruch nur dann entgegen, wenn der Arbeitnehmer bei Abschluss des Vergleiches Kenntnis von den Tatsachen hatte, die das Entstehen eines Wiedereinstellungsanspruchs rechtfertigten. 352 Grundsätzlich fänden aber die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Anwendung, so dass der Abfindungsvergleich der veränderten Sachlage anzupassen sei, 353 möglicherweise sogar mit der Folge, dass der Arbeitgeber den gekündigten Arbeitnehmer Zug um Zug gegen Rückzahlung der Abfindung wieder einzustellen habe.354 Klarheit hat das Gericht schließlich mit seiner Entscheidung vom 28.06.2000 geschaffen. Selbst wenn es in einem Abfindungsvergleich an einer ausdrücklichen Regelung hinsichtlich des zukünftigen Bestehens oder Ausschlusses eines Wiedereinstellungsanspruchs fehlen sollte, ergebe bereits die Auslegung eines Vergleichs, durch den die Parteien den Streit über die Wirksamkeit der Kündigung gerade beilegen wollten, dass ein Wiedereinstellungsanspruch nicht bestehen soll.355 Mit der Vereinbarung eines angemessenen wirtschaftlichen Ausgleichs für den Verlust des Arbeitsplatzes brächten sie regelmäßig zum Ausdruck, das Arbeitsverhältnis nicht im Anschluss an seine Beendigung zu unveränderten Bedingungen fortsetzen zu wollen.356 Ausgehend von der Rechtsnatur des Wiedereinstellungsanspruchs als vertragliche Nebenpflicht gebiete in einem solchen Fall die Interessenwahrungspflicht des Arbeitgebers auch bei nachträglicher Änderung des der Kündigung zugrunde gelegten Sachverhalts nicht den Abschluss eines Fortsetzungsvertrages.357 Etwas anderes gelte aber dann, wenn der Abfindungsvergleich unwirksam sei.358 Dies komme insbesondere durch die Anwendung der Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht, wobei aber zu beachten sei, dass der Vergleich gerade zu den Geschäften gehöre, die ihrem Typus nach die vertragliche Übernahme gewisser Risiken beinhalten sollen.359 So könne bei Abwicklungsvergleichen in Kündigungsschutzpro___________ 351

BAG vom 04.12.1997, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 4; BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 5R; Blomeyer/Vienken, EWiR 2000, 1067, 1068; Ertl, DStR 2001, 442, 448; Kort, SAE 2001, 131, 137; Nicolai/S. Noack, ZfA 2000, 87, 109 ff.; Oetker, ZIP 2000, 1787, 1789; Otto, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 7, 11; Raab, RdA 2001, 248, 252; Zwanziger, BB 1997, 42, 45. 352 BAG vom 04.12.1997, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 4. 353 BAG vom 04.12.1997, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 3R. 354 BAG vom 04.12.1997, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 4. 355 BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 5R. 356 BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 5R. 357 BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 5R. 358 BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 5R. 359 BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 5R f.

§ 7 Tatbestand

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zessen nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, Geschäftsgrundlage sei die gemeinsame Vorstellung der Parteien, bis zu dem vereinbarten Ende des Vertragsverhältnisses werde sich keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit ergeben.360 Gerade diese Ungewissheit der künftigen Entwicklung habe bei einem Vergleich bereits häufig Berücksichtigung gefunden.361 Rechte wegen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage ergäben sich ungeachtet dessen nur dann, wenn der von der Störung betroffenen Vertragspartei das unveränderte Festhalten an dem Vertrag nicht zugemutet werden könne, wobei das Festhalten an der ursprünglichen Regelung zu einem untragbaren mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen müsse.362 Das Festhalten an dem Vergleich führe aber für den Arbeitnehmer keineswegs regelmäßig zu untragbaren Ergebnissen, vielmehr hänge auch dies von den Umständen des Einzelfalls ab.363 Jedenfalls dann, wenn durch eine Abfindung ein als angemessen erscheinender Ausgleich geschaffen werde – dabei könne für die Beurteilung der Angemessenheit die in den §§ 10 KSchG, 113 Abs. 1 und 2 BetrVG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung herangezogen werden –, sei dem Arbeitnehmer der unveränderte Fortbestand des Vergleichs zumutbar.364 Dies gelte umso mehr, als bei Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf der Rechtsfolgenebene ohnehin keine Anpassung, sondern lediglich die demgegenüber nachrangig vorgesehene ersatzlose Aufhebung des Abfindungsvergleichs in Betracht komme.365 Die Wiedereinstellung aber sei keine Anpassung des Abfindungsvergleichs, sondern das Gegenteil dessen, was die Parteien in diesem vereinbart hätten.366 In der Literatur ist dieses Urteil zumindest in seinem Ergebnis allgemein auf Zustimmung gestoßen367, wobei einige Autoren eine Vertragsanpassung nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sogar unabhängig von der Höhe der gezahlten Abfindung ablehnen.368 ___________ 360

BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 6. BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 6. 362 BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 6. 363 BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 6. 364 BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 6 f. 365 BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 6R. 366 BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 6R im Anschluss an Nicolai/S. Noack, ZfA 2000, 87, 110. 367 J.-H. Bauer, NZA 2002, 169, 173; Blomeyer/Vienken, EWiR 2000, 1067, 1068; Ertl, DStR 2001, 442, 448 f.; Kort, SAE 2001, 131, 137; Oetker, ZIP 2000, 1787, 1789; Otto, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 7, 11R f.; Raab, RdA 2001, 248, 252. Vorher bereits Nicolai/S. Noack, ZfA 2000, 87, 109 ff.; Zwanziger, BB 1997, 42, 45. 368 Blomeyer/Vienken, EWiR 2000, 1067, 1068; Kort, SAE 2001, 131, 137; Zwanziger, BB 1997, 42, 45. 361

318

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Die eben aufgezeigten Argumentationslinien lassen sich ohne weiteres auch auf die Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG übertragen.369 Diese beruht zwar nicht auf einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich, weist aber eine identische Zielsetzung auf. Ebenso wie die Arbeitsvertragsparteien mithilfe eines Vergleichs eine gerichtliche Auseinandersetzung über die Wirksamkeit der Kündigung vermeiden oder beenden wollen, erfüllt die Abfindungsvereinbarung gemäß § 1a KSchG diese Befriedungsfunktion. Als Ausgleich erhält der Arbeitnehmer eine Abfindung, die sich im Fall des § 1a KSchG gemäß dessen Abs. 2 in ihrer Höhe an § 10 KSchG orientiert. Und ebenso wie ein Vergleich hat der Abschluss einer Vereinbarung gemäß § 1a KSchG zur Folge, dass der Arbeitnehmer die Kündigung nicht länger mit einer Kündigungsschutzklage angreifen kann. Die gemäß § 1a KSchG getroffene Abfindungsvereinbarung erweist sich so als funktionelles Äquivalent zu einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich, der einen Verzicht des Arbeitnehmers auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage gegen Abfindungszahlung bestimmt.370 So gebietet die aus dem Arbeitsverhältnis folgende Interessenwahrungspflicht dem Arbeitgeber auch bei vorangegangenem Abschluss einer Abfindungsvereinbarung gemäß § 1a KSchG nicht, das gekündigte Arbeitsverhältnis neu zu begründen, wenn sich nach Ausspruch der Kündigung der ihr zugrunde liegende Sachverhalt geändert hat. Mit der Zahlung der Abfindung hat er dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers in ausreichendem Maße Rechnung getragen,371 beide wollten das Arbeitsverhältnis mit Abschluss der Abfindungsvereinbarung endgültig beenden. Der nachträgliche Entfall des Kündigungsgrundes führt schließlich auch nicht zu einem Rücktrittsrecht des Arbeitnehmers wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage der Vereinbarung nach Maßgabe des § 313 Abs. 3 S. 1 BGB.372 Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 Abs. 1, 2 BGB sind die bei Abschluss des Vertrages zu Tage getretenen, dem anderen Teil erkennbar gewordenen und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen einer Partei oder die gemeinsame Vorstellung beider Parteien vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien hierauf aufbaut.373 Dem Abschluss des Abfindungs___________ 369

AA Kraus, Abfindungen, S. 174 f. AA Kraus, Abfindungen, S. 174, die im Wege einer rein formalen Betrachtungsweise darauf abstellt, dass eine im Wege des § 1a KSchG getroffene Vereinbarung keinen Klageverzicht des Arbeitnehmers beinhaltet. 371 Raab, RdA 2001, 248, 252. 372 Wohl auch Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 14, nach deren Auffassung nur ausnahmsweise von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage ausgegangen werden könne. 373 BGH vom 06.04.1995, BGHZ 129, 236, 252; BAG vom 04.12.1997, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 3R; BAG vom 28.06.2000, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 6; BGH vom 15.11.2000, NJW 2001, 1204, 1205; differenzierend zwischen subjektiver und objektiver Geschäftsgrundlage Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 313 Rdnr. 3 f.; G. H. Roth, in: MünchKomm-BGB, § 313 Rdnr. 47 ff. 370

§ 7 Tatbestand

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vertrages nach § 1a KSchG liegt die betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses und damit regelmäßig auch die Vorstellung zugrunde, es bestehe zu diesem Zeitpunkt ebenso wie in der Zukunft kein Beschäftigungsbedarf für den gekündigten Arbeitnehmer auf seinem Arbeitsplatz.374 Führt nun eine Änderung der Umstände dazu, dass der Arbeitsplatz des Gekündigten wider Erwarten bestehen bleibt, so kann der Arbeitnehmer von dem Vertrag zurücktreten, soweit ihm „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann“, § 313 Abs. 1 HS 2 BGB. Eine vertragliche Risikoübernahme durch den Arbeitnehmer kommt dabei nicht in Betracht.375 Hinsichtlich der künftigen Entwicklung seines Arbeitsplatzes macht er sich bei Verstreichenlassen der Klagefrist keine Gedanken und braucht darüber auch nicht nachzudenken, da die Abfindungsvereinbarung auf der Grundlage des bei Ausspruch der Kündigung feststehenden Sachverhalts beruht. Jedoch ist ihm ein Festhalten an der Abfindungsvereinbarung zuzumuten. Er kann von seinem Arbeitgeber eine Abfindung beanspruchen, die sich in ihrer Höhe an § 10 KSchG orientiert und damit exakt dem vom BAG entwickelten Kriterium der Angemessenheit entspricht. Es besteht kein Rücktrittsrecht des Arbeitnehmers. Die Frage nach dem Schicksal des Abfindungsanspruchs im Falle eines Wiedereinstellungsbegehrens des Arbeitnehmers stellt sich folglich nicht. Eine wirksam abgeschlossene Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG schließt einen Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers aus.376 § 313 BGB ist zwar dem Grunde nach einschlägig,377 allein die Tatsache einer nachträglichen Änderung der der Kündigung zugrunde liegenden Umstände berechtigt den Arbeitnehmer jedoch noch nicht zu einem Rücktritt von der Abfindungsvereinbarung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB.378 ___________ 374

Jedoch sind im Rahmen des § 1a KSchG auch Fälle des nur vorgeschobenen betriebsbedingten Kündigungsgrundes denkbar sind. In diesen Fällen haben die Arbeitsgerichte genau zu prüfen, ob der Arbeitnehmer bei Abschluss der Abfindungsvereinbarung tatsächlich von der Vorstellung geleitet war, es bestehe für ihn innerhalb des Unternehmens keine Beschäftigungsmöglichkeit. 375 So wohl aber Ertl, DStR 2001, 442, 449. 376 Zögernd Quecke, RdA 2004, 86, 97; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 17, nach dessen Auffassung der Wiedereinstellungsanspruch zumindest „qualifizierte Anforderungen“ erfüllen müsse. Wie hier Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 14. Ebenso Hanau, ZIP 2004, 1169, 1177, allerdings mit anderer Begründung: Da die mit dem Abfindungsangebot verbundene Kündigung keinen Kündigungsgrund voraussetze, könne dieser auch nicht später entfallen. AA Kraus, Abfindungen, S. 173 ff. 377 Preis, DB 2004, 70, 74. 378 AA Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 8; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 14; Preis, DB 2004, 70, 74.

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

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F. Stellvertretung und Willensmängel bei Vertragsschluss Aufgrund der rechtsgeschäftlichen Natur des Abfindungsanspruchs lassen sich auch zahlreiche Folgeprobleme, die im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss auftreten können, mittels Anwendung der Rechtsgeschäftslehre lösen, allen voran aus den Bereichen Stellvertretung und Willensmängel. I. Der Hinweis des Arbeitgebers 1. Stellvertretung Regelmäßig wird der Arbeitgeber nicht selbst Kündigung nebst Abfindungsangebot aussprechen, sondern sich dafür stattdessen eines rechtsgeschäftlichen Vertreters bedienen. Handelt dieser Vertreter ohne Vertretungsmacht, so ist die Kündigung nach Maßgabe des § 180 S. 1 BGB grundsätzlich nichtig. Ausnahmsweise schwebend unwirksam ist diese jedoch dann, wenn der Arbeitnehmer die von dem Vertreter behauptete Vertretungsmacht nicht beanstandet oder sogar die Kündigung durch den vollmachtslosen Vertreter akzeptiert, § 180 S. 2 BGB. Darüber hinaus ist die Kündigung nach § 174 S. 1 BGB selbst dann unwirksam, wenn der Vertreter zwar mit Vertretungsmacht handelte, er dem Arbeitnehmer aber keine Vollmachtsurkunde vorlegen kann und dieser daraufhin die Kündigung unverzüglich zurückweist, es sei denn, der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt, § 174 S. 2 BGB. Völlig anders ist dagegen die Rechtslage bei dem mit der Kündigung verbundenen Abfindungsangebot, da es sich insoweit nicht um ein einseitiges Rechtsgeschäft, sondern ein Vertragsangebot handelt; die §§ 174, 180 BGB finden keine Anwendung. Bedeutung erlangt dieser Unterschied vor allem in folgender Konstellation: Der Arbeitnehmer weist die Kündigung wegen Nichtvorlage der Vollmachtsurkunde gemäß § 174 S. 1 BGB wirksam zurück, bezieht sich dabei aber nicht auch auf das Abfindungsangebot und lässt die Frist des § 4 S. 1 KSchG verstreichen. a) Abfindungsangebot und Unwirksamkeit der Kündigung nach § 174 S. 1 BGB § 174 BGB findet nur auf die rechtsgeschäftliche, nicht aber die gesetzliche oder organschaftliche Vertretung Anwendung.379 Nicht anwendbar ist § 174 ___________ 379

Friedrich, in: KR, § 13 KSchG Rdnr. 286; Preis, in: APS, Grundlagen D Rdnr. 80.

§ 7 Tatbestand

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S. 1 BGB wegen § 15 Abs. 2 S. 1 HGB auch auf Prokuristen, deren Prokura im Handelsregister eingetragen und vom Registergericht bekannt gemacht geworden ist.380 Ein rechtsgeschäftlicher Vertreter kann, um der Rechtsfolge des § 174 S. 1 BGB zu entgehen, seine Verpflichtung zur Vorlage einer Vollmachtsurkunde nur dadurch erfüllen, dass er dem Arbeitnehmer eine Originalurkunde vorweist,381 allenfalls unter dieser Voraussetzung hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Überprüfung der Bevollmächtigung des Vertreters zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung382. Das Dienstsiegel einer Behörde auf dem Kündigungsschreiben ist dabei der Vorlage einer Vollmachtsurkunde nicht gleichzusetzen, da es keine Auskunft darüber erteilt, ob derjenige, der es zur Herstellung der Urkunde verwendete, dazu auch berechtigt war.383 Kann der rechtsgeschäftliche Vertreter keine originale Vollmachturkunde vorweisen, muss der Arbeitnehmer die Kündigung unverzüglich zurückweisen, § 174 S. 1 BGB. Dazu steht ihm aber eine gewisse Zeitspanne zur Überlegung und zur Einholung rechtskundigen Rates zur Verfügung.384 So hat das BAG eine Zurückweisung nach drei bzw. fünf Tagen, wenn ein Wochenende dazwischen liegt, ebenso als rechtzeitig angesehen385 wie eine Überlegungsfrist von einer Woche386, nicht aber eine solche, die erst 14 Tage nach Ausspruch der Kündigung erfolgte.387 Nach der Auffassung des LAG Düsseldorf geschieht auch eine Zurückweisung nach zehn Tagen nicht mehr unverzüglich.388 Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls.389 Ausgeschlossen ist das Recht zur Zurückweisung gemäß § 174 S. 2 BGB jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hat. Dazu reicht es aus, wenn er den Kündigenden in eine Stellung beruft, die typischerweise mit einem Kündigungsrecht verbunden ist, wie etwa die Position eines Gene___________ 380

BAG vom 11.07.1991, AP Nr. 9 zu § 174 BGB Bl. 5 f.; Friedrich, in: KR, § 13 KSchG Rdnr. 286; Preis, in: APS, Grundlagen D Rdnr. 80. 381 LAG Düsseldorf vom 22.02.1995, LAGE Nr. 7 zu § 174 BGB S. 2; Friedrich, in: KR, § 13 KSchG Rdnr. 284; Preis, in: APS, Grundlagen D Rdnr. 77. Das BAG hat die Frage, ob bereits eine Übermittlung der Vollmachtsurkunde per Telefax den Anforderungen des 174 S. 1 BGB genügt, ausdrücklich offen gelassen, vgl. BAG vom 11.03.1999, AP Nr. 150 zu § 626 BGB Bl. 4. 382 Friedrich, in: KR, § 13 KSchG Rdnr. 284. 383 BAG vom 20.08.1997, AP Nr. 11 zu § 620 BGB Kündigungserklärung Bl. 2R f.; Friedrich, in: KR, § 13 KSchG Rdnr. 287c; Preis, in: APS, Grundlagen D Rdnr. 79. 384 BAG vom 30.05.1978, AP Nr. 2 zu § 174 BGB Bl. 1R; BAG vom 11.07.1991, AP Nr. 9 zu § 174 BGB Bl. 4; Friedrich, in: KR, § 13 KSchG Rdnr. 285. 385 BAG vom 30.05.1978, AP Nr. 2 zu § 174 BGB Bl. 2; BAG vom 20.08.1997, AP Nr. 11 zu § 620 BGB Kündigungserklärung Bl. 2. 386 BAG vom 31.08.1979, AP Nr. 3 zu § 174 BGB Bl. 3R. 387 BAG vom 11.03.1999, AP Nr. 150 zu § 626 BGB Bl. 4. 388 LAG Düsseldorf vom 22.02.1995, LAGE Nr. 7 zu § 174 BGB S. 1. 389 Friedrich, in: KR, § 13 Rdnr. 285; Preis, in: APS, Grundlagen D Rdnr. 78.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

ralbevollmächtigten, eines Amtsleiters oder eines Leiters der Personalabteilung,390 nicht aber die eines Sachbearbeiters in der Personalabteilung.391 Dass ein Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers trotz eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses offensichtlich dem Zweck des § 1a KSchG zuwiderläuft, liegt auf der Hand. Der Anspruch knüpft an die wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses an und soll sowohl den Verlust des Arbeitsplatzes als auch den faktischen Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz kompensieren. Jede Zurückweisung einer Kündigungserklärung nach § 174 S. 1 BGB führt daher zwingend auch zu einer Unwirksamkeit des auf Zahlung einer Abfindung gerichteten Angebots nach Maßgabe des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG.392 Dem lässt sich nicht entgegnen, § 7 KSchG heile auch die wegen Mängeln in der Vertretungsmacht unwirksame Kündigung, so dass sich die Problematik des Auseinanderfallens von Abfindungsanspruch und Beendigung des Arbeitsverhältnisses von vornherein nicht stelle. Mängel in der Vertretungsmacht, wie die von § 180 S. 1 BGB umfassten Fälle, zählen nicht zu den von § 4 S. 1 KSchG aufgezählten Unwirksamkeitsgründen.393 Der Wortlaut des § 4 S. 1 KSchG legt eine derartige Einschränkung zwar noch nicht nahe, da die Norm ausdrücklich alle die Fälle erfasst, in denen die Kündigung „aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist.“ Jedoch ist die Bestimmung teleologisch zu reduzieren, also entgegen ihres Wortsinns, aber gemäß der immanenten Zwecksetzung des Gesetzes einzuschränken und auf den ihr nach dem Regelungszweck oder dem Sinnzusammenhang des Gesetzes zukommenden Anwendungsbereich zurückzuführen.394 Aus dem Regelungszusammenhang des § 4 S. 1 KSchG lässt sich entnehmen, dass diese Norm eine wirksame Kündigungserklärung voraussetzt, die auch dem Arbeitgeber zuzurechnen ist. 395 So ist nach dem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzes auch eine formwidrige Kündigungserklärung nicht in ___________ 390

BAG vom 30.05.1972, AP Nr. 1 zu § 174 BGB Bl. 3; BAG vom 29.10.1992, AP Nr. 10 zu § 174 BGB Bl. 2; BAG vom 22.01.1998, AP Nr. 11 zu § 174 BGB Bl. 2 f.; BAG vom 07.11.2002, AP Nr. 18 zu § 620 BGB Kündigungserklärung Bl. 4R; Friedrich, in: KR, § 13 KSchG Rdnr. 286; Preis, in: APS, Grundlagen D Rdnr. 81. 391 BAG vom 30.05.1978, AP Nr. 2 zu § 174 BGB Bl. 2R; BAG vom 29.06.1989, AP Nr. 7 zu § 174 BGB Bl. 5; BAG vom 20.08.1997, AP Nr. 11 zu § 620 BGB Kündigungserklärung Bl. 3R; Preis, in: APS, Grundlagen D Rdnr. 81. 392 Kraus, Abfindungen, S. 147 f. 393 W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 362; Friedrich, in: KR, § 13 KSchG Rdnr. 287d; Kraus, Abfindungen, S. 144 f.; Raab, RdA 2004, 321, 324 f.; Ulrici, DB 2004, 250, 251; aA Ascheid, in: APS, § 4 KSchG Rdnr. 10a; Bayreuther, ZfA 2005, 391, 393; Kiel, in: ErfKomm, § 4 KSchG Rdnr. 3; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Pfeiffer, in: HaKo-KSchG, § 13 Rdnr. 68, 77. 394 Zu diesen Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 210 f. 395 W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 362.

§ 7 Tatbestand

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der Lage, die Klagefrist auszulösen, da eben keine wirksame Kündigungserklärung vorliegt. Liegt nicht einmal eine wirksame Kündigungserklärung vor, so hat der Arbeitnehmer auch keine Veranlassung, eine Kündigungsschutzklage zu erheben. Augenfällig wird dies besonders bei dem von Ulrici angeführten Beispiel der schriftlichen Kündigung einer Verkäuferin durch einen selbstverständlich ohne Vertretungsmacht handelnden verärgerten Kunden396.397 Die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 180 S. 1 KSchG ist damit kein Anwendungsfall des § 4 S. 1 KSchG, da es an einer von der Norm vorausgesetzten Kündigungserklärung fehlt, die dem Arbeitgeber zuzurechnen ist.398 Gleiches gilt aber auch im Anwendungsbereich des § 174 S. 1 BGB.399 Zwar setzt diese Norm eine wirksame Bevollmächtigung des Kündigungsberechtigten durch den Arbeitgeber voraus und betrifft damit nur den Nachweis dieser Bevollmächtigung mit Hilfe einer Vollmachtsurkunde.400 Ihre Rechtsfolge ist aber mit der des § 180 S. 1 BGB identisch; die Kündigung ist unwirksam, § 174 S. 1 BGB. Mithin fehlt es auch hier an der von § 4 S. 1 KSchG vorausgesetzten wirksamen Kündigungserklärung. Der Arbeitnehmer kann zudem die Fälle des § 180 BGB von denen des § 174 BGB regelmäßig nicht unterscheiden: § 174 BGB trägt gerade dem Umstand Rechnung, dass sich der Arbeitnehmer nicht sicher ist, ob überhaupt eine ausreichende Vertretungsmacht des Erklärenden besteht.401 Warum aber die Notwendigkeit, eine Kündigungsschutzklage erheben zu müssen, um der Wirksamkeitsvermutung des § 7 KSchG zu begegnen, dann von dem für den Arbeitnehmer nicht ersichtlichen Umstand abhängen soll, ob der Kündigende vom Arbeitnehmer tatsächlich bevollmächtigt war, ist nicht ersichtlich. Das Gesetz ordnet sowohl im Rahmen des § 180 S. 1 BGB als auch des § 174 S. 1 BGB die Unwirksamkeit der Kündigung an, für eine Differenzierung innerhalb des § 4 S. 1 KSchG, der eine wirksame Kündigungserklärung voraussetzt, besteht deshalb auch kein Raum.

___________ 396

Ulrici, DB 2004, 250. Dass dieser der Arbeitnehmerin dann auch noch eine Abfindung nach Maßgabe des § 1a KSchG anbietet, ist freilich noch unwahrscheinlicher als das an sich bereits konstruierte Beispiel. 398 W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 362; Friedrich, in: KR, § 13 KSchG Rdnr. 290a; Kraus, Abfindungen, S. 144; Raab, RdA 2004, 321, 324; Ulrici, DB 2004, 250, 251. 399 Kraus, Abfindungen, S. 144 f.; Raab, RdA 2004, 321, 324; Ulrici, DB 2004, 250, 251; aA Ascheid, in: APS, § 4 KSchG Rdnr. 10a; W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 362; Friedrich, in: KR, § 13 KSchG Rdnr. 287a; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Pfeiffer, in: HaKo-KSchG, § 13 Rdnr. 68, 77; Preis, NZA 2004, 195, 196. 400 W. Bender/J. Schmidt, NZA 2004, 358, 362. 401 Kraus, Abfindungen, S. 145; Ulrici, DB 2004, 250, 251. 397

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

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Zum Ausschluss des Abfindungsanspruchs führt aber noch nicht die auslegungsfähige Erklärung der Zurückweisung durch den Arbeitnehmer.402 Deren Inhalt beschränkt sich auf die Kündigung und ergibt auch nur auf die Kündigung bezogen einen Sinn, da für das Abfindungsangebot § 174 BGB nicht einschlägig ist. Bezüglich des Abfindungsanspruchs trifft der Arbeitnehmer keine Aussage. Vielmehr zieht die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 174 S. 1 BGB automatisch auch die Unwirksamkeit des Abfindungsangebots gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG nach sich, so dass dieses von dem Arbeitnehmer weder ausdrücklich noch durch Verstreichenlassen der Klagefrist angenommen werden kann.403 Gerade das Verstreichenlassen der Klagefrist nach § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG ergibt keinen Sinn, da keine Klagefrist läuft und mangels wirksamer Kündigungserklärung auch zu keinem Zeitpunkt in Lauf gesetzt werden kann. Das Abfindungsangebot kann der Arbeitnehmer jedoch auch aus anderen Gründen weder ausdrücklich noch konkludent annehmen. Dieses bezieht sich nach § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG ausdrücklich auf die gleichzeitig ausgesprochene Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse und setzt voraus, dass mit Ausspruch der Kündigung die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG zu laufen beginnt, mit deren Ablauf das Gesetz die Annahmeerklärung des Arbeitnehmers fingiert. Existiert aufgrund der unwirksamen Kündigungserklärung aber keine Kündigung, so leidet das Abfindungsangebot an innerer Widersprüchlichkeit (Perplexität) und ist deshalb ebenfalls unwirksam.404 Die Abfindung hat ihren ausdrücklich vorausgesetzten Bezugspunkt, die Kündigung des Arbeitgebers, verloren und kann von dem Arbeitnehmer folglich auch nicht angenommen werden. b) Abfindungsangebot und Unwirksamkeit der Kündigung nach § 180 S. 1 BGB Der eben skizzierte Lösungsweg gelangt auch bei einer Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 180 S. 1 BGB zur Anwendung. Besondere Bedeutung kommt dieser Vorschrift insbesondere bei Ausspruch einer Kündigung durch einen Prozessbevollmächtigten des Arbeitgebers während eines zwischen diesem und dem Arbeitnehmer anhängigen Prozesses zu, der so gen. „Schriftsatz___________ 402

Rolfs, ZIP 2004, 333, 336; aA Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 11, nach deren Auffassung das Angebot gemäß § 139 BGB unwirksam sei, weil davon ausgegangen werden müsse, dass der Arbeitgeber Kündigung und Abfindungsangebot nur zusammen gelten lassen wolle. 403 Kraus, Abfindungen, S. 147 f. 404 Zur Rechtsfolge der Unwirksamkeit bei innerer Widersprüchlichkeit einer Willenserklärung BGH vom 25.11.1987, BGHZ 102, 237, 240 ff.; OLG Düsseldorf vom 24.11.2003, GRUR-RR 2004, 121, 123; Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 133 f., 155.

§ 7 Tatbestand

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kündigung“.405 Schwierigkeiten bestehen sowohl in Hinblick auf die Erklärungs- als auch die Empfangsvertretung.406 Da Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nur die konkret angegriffene Kündigung ist,407 sind auch die Prozessvollmachten von Kläger- und Beklagtenanwalt nach § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. § 81 ZPO auf diese beschränkt, weder ist der Prozessbevollmächtigte des Arbeitgebers zum Ausspruch einer weiteren Kündigung während eines Kündigungsschutzprozesses bevollmächtigt noch der Klägervertreter zur Entgegennahme dieser Kündigung.408 Arbeitgeber und Arbeitnehmer können aber den Umfang der Prozessvollmachten erweitern.409 Ist hingegen eine Feststellungsklage anhängig, erstrecken sich aufgrund deren weiten Streitgegenstandes die Prozessvollmachten auch auf den Ausspruch und die Entgegennahme einer weiteren Kündigung.410 Handelt der Prozessbevollmächtigte des Arbeitgebers ohne Vertretungsmacht, so wirkt sich dies auch auf das gleichzeitig ausgesprochene Abfindungsangebot aus: § 177 Abs. 1 BGB ordnet dessen schwebende Unwirksamkeit an. Weist der Arbeitnehmer oder sein mit Vertretungsmacht handelnder Prozessbevollmächtigter die Kündigung entgegen § 180 S. 2 Alt. 1 BGB unverzüglich411 zurück, so ist diese nicht nur schwebend, sondern endgültig unwirksam, § 180 S. 1 BGB. Die Situation entspricht der des § 174 S. 1 BGB; das Abfindungsangebot verliert seinen Bezugspunkt und ist wegen innerer Widersprüchlichkeit ebenfalls endgültig unwirksam.412 Freilich ist die Problematik hier nur von untergeordneter Bedeutung. Zu viele Faktoren müssten ineinander spielen, damit der oben beschriebene Kollisionsfall – wirksames Abfindungsangebot und endgültig unwirksame Kündigung – Bedeutung erlangt: Der Arbeitgeber müsste noch vor der unverzüglichen Zurückweisung des Arbeitneh___________ 405

Dazu ausführlich Diller, NZA 1994, 830 ff.; Weidemann, NZA 1989, 246 ff.. Mit einer derartigen Kündigung befassen sich BAG vom 21.01.1988, AP Nr. 19 zu § 4 KSchG 1969 sowie LAG Niedersachsen vom 30.11.2001, NZA-RR 2002, 242 ff. 406 Diller, NZA 1994, 830, 833; Weidemann, NZA 1989, 246 f. 407 BAG vom 13.11.1958, AP Nr. 17 zu § 3 KSchG 1951 Bl. 2R f.; BAG vom 27.01.1994, AP Nr. 28 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 3; BAG vom 18.03.1999, AP Nr. 44 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 3; BAG vom 10.10.2002, AP Nr. 49 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2R; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 225 f.; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 4 Rdnr. 69 f. 408 Diller, NZA 1994, 830, 833; Friedrich, in: KR, § 13 KSchG Rdnr. 290; Preis, in: APS, Grundlagen D Rdnr. 88; Weidemann, NZA 1989, 246, 247. 409 Preis, in: APS, Grundlagen D Rdnr. 87. 410 BAG vom 21.08.1988, AP Nr. 19 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 5; Preis, in: APS, Grundlagen D Rdnr. 88; Weidemann, NZA 1989, 246, 247. 411 Zum Erfordernis, die Kündigung unverzüglich zurückweisen zu müssen Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 1615; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 597. 412 Kraus, Abfindungen, S. 146.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

mers das vollmachtslose Handeln seines Bevollmächtigten bezüglich des Abfindungsangebots genehmigt haben, um dessen Wirksamkeit herbeizuführen. Kommt die Zurückweisung des Arbeitnehmers aber zu spät, so sind beide, die Kündigung gemäß § 180 S. 2 BGB i.V.m. § 177 Abs. 1 BGB und das Abfindungsangebot nach § 177 Abs. 1 BGB schwebend unwirksam. Der Arbeitnehmer hat keine Möglichkeit mehr, das Wirksamwerden der Kündigungserklärung zu verhindern,413 dem Arbeitgeber steht nach § 177 Abs. 1 BGB die Möglichkeit offen, beide Vertretergeschäfte zu genehmigen, woran er im Zweifel ein besonderes Interesse haben wird. 2. Anfechtung Als rechtsgeschäftliche Erklärung unterliegt der „Hinweis“ des Arbeitgebers auch den Regeln über die Anfechtung. Ficht der Arbeitgeber seine Erklärung wirksam an, so ist die mit dem Arbeitnehmer geschlossene Abfindungsvereinbarung ex tunc nichtig, § 142 Abs. 1 BGB. Dazu bedarf es aber neben einer fristgerechten Anfechtungserklärung auch eines der in §§ 119, 120, 123 BGB abschließend aufgezählten Kündigungsgründe. a) Erster Bezugspunkt der Anfechtung: der Kündigungsgrund Ein Irrtum über das Vorhandensein dringender betrieblicher Erfordernisse berechtigt den Arbeitgeber regelmäßig nicht zur Anfechtung seines Angebots auf Zahlung einer Abfindung gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG.414 Ist sich etwa der Arbeitgeber unschlüssig, ob tatsächlich dringende betriebliche Erfordernisse für den Ausspruch der Kündigung vorliegen, bezeichnet er die Kündigung in seinem Abfindungsangebot aber gleichwohl als betriebsbedingt, so kann er sich nachträglich nicht von seiner Erklärung mit dem Hinweis lösen, tatsächlich hätten personen- oder verhaltensbedingte Gründe die Kündigung des Arbeitnehmers gerechtfertigt. Der Arbeitgeber unterlag keinem Irrtum über den Inhalt seiner Erklärung, § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB, da er bereits bei Abgabe der Erklärung unsicher hinsichtlich des tatsächlichen Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse war. Gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG kommt es auch überhaupt nicht auf die Vorstellungen des Arbeitgebers hinsichtlich des Kündigungsgrundes oder der sozialen Rechtfertigung der Kündigung an. Erforderlich ist allein ___________ 413

Ob der Arbeitnehmer die Kündigung entsprechend § 178 BGB zurückweisen kann, ist streitig. Dafür Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 49 Rdnr. 16; Schramm, in: MünchKomm-BGB, § 180 Rdnr. 11; Schilken, in: Staudinger, § 178 Rdnr. 6. Dagegen Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 1615. 414 Ebenso Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 29; Merz, Abfindungsanspruch, S. 140.

§ 7 Tatbestand

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die Bezeichnung der Kündigung als betriebsbedingt. Selbst dann, wenn der Arbeitgeber dringende betriebliche Erfordernisse lediglich vorschiebt, tatsächlich aber Gründe in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers die Kündigung bedingten, kann der Arbeitgeber eine Abfindung nach § 1a KSchG anbieten, wenn er die Kündigung nur als betriebsbedingt bezeichnet. Hat er aber die Kündigung willentlich als betriebsbedingt bezeichnet, so scheidet auch eine Anfechtung nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB aus, seine sonstigen Vorstellungen spielen jedenfalls im Rahmen der Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG keine Rolle. Eine Anfechtung scheidet daher auch dann aus, wenn der Arbeitgeber irrtümlich davon ausgeht, die dem Abfindungsangebot zugrunde liegende Kündigung sei unwirksam.415 Er kann sich insoweit auch nicht auf einen Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften, § 119 Abs. 2 BGB, berufen. Selbst wenn man die Wirksamkeit der Kündigung unter das Tatbestandsmerkmal „Eigenschaft einer Sache“ subsumieren möchte, scheitert die Erfüllung des Tatbestandes an der weiteren Voraussetzung der Verkehrswesentlichkeit der Eigenschaft. Diese ist objektiv und in Bezug auf den typischen wirtschaftlichen Zweck der jeweiligen Geschäftsart festzustellen.416 Verkehrswesentlich sind alle Eigenschaften, auf die im Rechtsverkehr bei Geschäften dieser Art unter den konkreten Umständen typischerweise entscheidender Wert gelegt wird.417 Die Wirksamkeit der Kündigung spielt aber im Rahmen der Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG gerade keine Rolle. Es kommt nach § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG nur darauf an, dass der Arbeitgeber die Kündigung als betriebsbedingt bezeichnet. Die Norm deklariert damit jeden Irrtum des Arbeitgebers hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung als einen unbeachtlichen Motivirrtum, eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB scheidet aus. Damit könnte für ein erfolgreiches Anfechtungsbegehren des Arbeitgebers noch der Fall eines versehentlichen Hinweises auf dringende betriebliche Erfordernisse verbleiben, wenn dieser die Kündigung in dem Abfindungsangebot als wegen in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Gründen bezeichnen wollte.418 Das verwundert auf den ersten Blick, da der Arbeitgeber damit den Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers beseitigen könnte, obwohl er – außerhalb des § 1a KSchG – zu einer Zahlung verpflichtet gewesen wäre, hätte er in seinem Angebot tatsächlich auf personen- oder verhaltensbedingte Gründe hingewiesen. Bereits die Beweisführung hinsichtlich eines Ab___________ 415

Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 57. BGH vom 22.09.1983, BGHZ 88, 240, 246; BAG vom 06.02.1992, NJW 1992, 2173, 2174; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 846; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 419; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 36 Rdnr. 43. 417 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 846. 418 So Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 57; aA Kraus, Abfindungen, S. 154. 416

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

weichens seines Geschäftswillens von seiner Erklärung dürfte dem Arbeitgeber außerordentlich schwer fallen. Selbst wenn er Tatsachen vorträgt, die eine verhaltens- oder personenbedingte Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigen können, lassen diese noch nicht den Schluss auf einen von der Erklärung abweichenden Geschäftswillen zu. Auch bei nur vorgeschobenen dringenden betrieblichen Erfordernissen kann der Arbeitgeber auf die Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG zurückgreifen. Jedenfalls steht der Ausübung des Anfechtungsrechts aber die Einrede rechtsmissbräuchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium), § 242 BGB, entgegen. Zwar missbilligt die Rechtsordnung nicht jedes widersprüchliche Verhalten einer Partei, so dass diese etwa durchaus ein unter ihrer Beteiligung zustande gekommenes Rechtsgeschäft anzugreifen berechtigt ist.419 Anderenfalls müsste eine Anfechtung wegen der in § 119 BGB genannten Gründe regelmäßig ausscheiden. Das widersprüchliche Verhalten einer Vertragspartei ist aber dann rechtsmissbräuchlich, wenn das vorangegangene Verhalten für den anderen Teil einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, auf den diese sich eingerichtet hat und auch einrichten durfte420 oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen.421 Zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs muss eine besondere Schutzwürdigkeit des Anfechtungsgegners zu bejahen sein,422 von ausschlaggebender Bedeutung ist eine umfassende Abwägung aller in Betracht kommenden Interessen.423 Abgesehen von der vertrauenszerstörenden Wirkung jeder Anfechtung wegen Irrtums, wofür § 122 BGB eine entsprechende Kompensation vorsieht und die deshalb grundsätzlich auch nicht rechtsmissbräuchlich ist, weist die vorliegende Situation eine Besonderheit auf. Der behauptete Irrtum des Arbeitgebers bezieht sich weder auf dessen Willen, überhaupt eine Abfindung zu zahlen, noch auf die Höhe des Abfindungsanspruchs. Er bezieht sich auf einen Umstand, dessen Bedeutung darin liegt, ein Zustandekommen der Abfindungsvereinbarung unter den erleichterten Voraussetzungen des § 1a KSchG zu ermöglichen, die sich aber auch darin erschöpft. Selbst ohne eine Angabe zu den Kündigungsgründen hätten Arbeitgeber und Arbeitnehmer außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1a KSchG eine wirksame Abfindungs___________ 419

BGH vom 05.12.1991, NJW 1992, 834; BGH vom 05.06.1997, NJW 1997, 3377, 3379; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB, § 242 Rdnr. 106. 420 BGH vom 05.12.1991, NJW 1992, 834; BGH vom 05.06.1997, NJW 1997, 3377, 3379; BGH vom 17.03.2004, NJW-RR 2004, 1281, 1282; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB, § 242 Rdnr. 106; G. H. Roth, in: MünchKomm-BGB, § 242 Rdnr. 255. 421 BGH vom 05.12.1991, NJW 1992, 834; BGH vom 05.06.1997, NJW 1997, 3377, 3379; BGH vom 17.03.2004, NJW-RR 2004, 1281, 1282; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB, § 242 Rdnr. 106. 422 Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB, § 242 Rdnr. 108; G. H. Roth, in: MünchKomm-BGB, § 242 Rdnr. 261. 423 BGH vom 15.03.1967, BGHZ 47, 184, 189 f.; Grüneberg, in: Bamberger/Roth, BGB, § 242 Rdnr. 108; G. H. Roth, in: MünchKomm-BGB, § 242 Rdnr. 261.

§ 7 Tatbestand

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vereinbarung schließen können, ohne dass insoweit ein Angriffspunkt für eine Anfechtung bestünde. Der Irrtum bezieht sich damit nicht auf den materiellen Gehalt des Abfindungsangebots, sondern auf eine formelle Voraussetzung des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG, auf die der Arbeitgeber ohne Not hätte verzichten können. Bei Abgabe des Abfindungsangebots stimmten damit Wille und Erklärung des Arbeitgebers, eine Abfindung zahlen zu wollen, überein, diesbezüglich bestehen keine Anhaltspunkte für eine Anfechtung wegen Irrtums. Ein schutzwürdiges Interesse an einer Anfechtung ist daher nicht feststellbar, mit der Verpflichtung zur Abfindungszahlung wird er mit keiner Verbindlichkeit belastet, die nicht ohnehin seinem Willen entspräche. Deshalb kann der Arbeitgeber seine Erklärung auch nicht unter Berufung auf einen Irrtum hinsichtlich der Bezeichnung des Kündigungsgrundes anfechten.424 b) Zweiter Bezugspunkt der Anfechtung: die Abfindungshöhe Auch für eine Anfechtung des Abfindungsangebots wegen eines Irrtums über die Höhe der Abfindung besteht regelmäßig kein Raum. Führt die Auslegung der Erklärung des Arbeitgebers nach den §§ 133, 157 BGB zu dem Ergebnis, dass dieser eine Abfindung in der von § 1a Abs. 2 KSchG angegebenen Höhe zahlen will, so schuldet er die Abfindung in eben dieser Höhe, unabhängig davon, ob der von ihm errechnete und in dem Angebot angeführte Gesamtbetrag nach oben oder unten abweicht.425 Einer Anfechtung bedarf es insoweit nicht. Gleiches gilt bei einem Irrtum des Arbeitgebers über die Anzahl der Beschäftigungsjahre des Arbeitnehmers.426 Mittels Auslegung lässt sich wiederum zweifelsfrei die tatsächliche Höhe der Abfindung ermitteln. Auch ein Irrtum über den sich aus § 1a Abs. 2 KSchG ergebenden Umfang der Abfindung berechtigt den Arbeitgeber nicht zur Anfechtung, insoweit handelt es sich um einen unbeachtlichen Irrtum über eine kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge.427 ___________ 424

Kraus, Abfindungen, S. 154; aA Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 57, der in diesem Fall eine Beseitigung der Abfindungsvereinbarung durch eine Anfechtung zulässt. 425 Vgl. dazu oben unter § 7 D II, S. 295 ff. 426 AA Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 12. 427 Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 30; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 27; Kraus, Abfindungen, S. 153; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 12; Merz, Abfindungsanspruch, S. 141. Zur Unbeachtlichkeit eines Irrtums über den Eintritt einer gesetzlichen Rechtsfolge allgemein BGH vom 18.11.1977, BGHZ 70, 47, 48; BGH vom 15.12.1994, NJW 1995, 1484, 1485; Kramer, in: MünchKomm-BGB,

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

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II. Die fingierte Annahmeerklärung des Arbeitnehmers Handelt es sich bei dem Abfindungsangebot des Arbeitgebers um eine Willenserklärung, auf welche die allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre anzuwenden sind, gilt es bei der korrespondierenden Annahmeerklärung des Arbeitnehmers einige Besonderheiten zu beachten, da diese von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG gesetzlich fingiert wird. 1. Anfechtung Zahlreiche Beiträge zu § 1a KSchG setzen sich mit der Frage der Ausübung eines Anfechtungsrechts durch den Arbeitnehmer auseinander.428 Dies verwundert gleich aus zwei Gründen. Zum einen, weil sich ganz grundsätzlich die Frage stellt, ob eine gesetzlich fingierte Willenserklärung überhaupt einer Anfechtung zugänglich ist.429 Zum anderen ist auch ein praktisches Bedürfnis für dieses Gestaltungsrecht nicht ohne weiteres erkennbar.430 Die Beseitigung der Abfindungsvereinbarung führt zum Verlust der Abfindung, lässt gleichzeitig aber die Vermutung der Wirksamkeit der Kündigung, § 7 KSchG, unberührt. Will der Arbeitnehmer auch die Kündigung angreifen, muss er zusätzlich einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG stellen. Dabei ist er aber nicht auf dieses zweigleisige Verfahren angewiesen. Die Abfindungsvereinbarung steht unter der auflösenden Bedingung eines Antrags auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG.431 Stellt ihn der Arbeitnehmer, entfällt auch der Anspruch auf die Abfindung ex nunc, § 158 Abs. 2 BGB, ohne dass es einer Anfechtung bedarf. Da es dem Arbeitnehmer regelmäßig nicht isoliert um die Beseitigung der Abfindungsvereinbarung durch Anfechtung, sondern gleichzeitig um eine erfolgreiche nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage geht, sollen auch im Folgenden das Verhältnis von Anfechtung und nachträglicher Klagezulassung beleuchtet sowie die Besonderheiten der Anfechtung gegenüber dem Antrag nach § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG erörtert werden.432 ___________ § 119 Rdnr. 84; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, Rdnr. 83; Wendtland, in: Bamberger/Roth, BGB, § 119 Rdnr. 32; 428 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 9; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Preis, DB 2004, 70, 74; Raab, RdA 2005, 1, 6; Rolfs, ZIP 2004, 333, 337. 429 Ohne Begründung für die von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG fingierte Annahmeerklärung des Arbeitnehmers bejahend J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Rolfs, ZIP 2004, 333, 337. 430 So zu recht Raab, RdA 2005, 1, 6. 431 Vgl. dazu oben unter § 7 E I 2, S. 302 ff. 432 Vgl. dazu auch Kraus, Abfindungen, S. 159 f.

§ 7 Tatbestand

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a) Die gesetzlich fingierte Annahmeerklärung als tauglicher Anfechtungsgegenstand? Zunächst aber ist zu prüfen, ob die gesetzlich fingierte Annahmeerklärung des Arbeitnehmers überhaupt einen tauglichen Anfechtungsgegenstand bilden kann. Lässt der Arbeitnehmer die Klagefrist verstreichen, so gibt er keine rechtsgeschäftliche Erklärung ab, erst § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG fingiert das Vorliegen einer Willenserklärung. Die fingierte Willenserklärung zeichnet sich dadurch aus, dass die Rechtsordnung an Stelle des Erklärenden und für diesen eine Erklärung abgibt.433 Setzen sich aber Recht und Gesetz über den Willen einer Partei hinweg, indem sie bestimmte Erklärungsgehalte festschreiben, kann sich der solchermaßen überlagerte Wille auch nicht nachträglich durch eine Anfechtung durchsetzen.434 Eine Anfechtung ist daher immer dann ausgeschlossen, wenn von Gesetzes wegen Erklärungen fingiert oder unwiderleglich vermutet werden.435 § 1956 BGB bestätigt diese Aussage: Soweit das Gesetz Durchbrechungen dieses Grundsatzes zulassen will, hat es diese ausdrücklich angeordnet.436 Demgemäß lässt die Literatur auch keine Anfechtung der von § 362 Abs. 1 S. 1 HGB gesetzlich fingierten Annahmeerklärung wegen eines Inhaltsirrtums, § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB, mit der Begründung des Kaufmanns, die Rechtswirkungen des Schweigens nicht gekannt zu haben, zu.437 Eine Anfechtung liefe dem Zweck der Norm zuwider, dem schweigenden Kaufmann die Erfüllungspflicht aufzuerlegen.438 Die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung gebietet einen Anfechtungsausschluss aber nur, soweit der Irrtum gerade darin liegt, dass die normative Zuschreibung aus einem bestimmten Verhalten nicht bekannt ist; allenfalls dieses Risiko bürdet die Rechtsordnung dem Erklärenden auf.439 Kann sich derjenige, dessen Willenserklärung die Rechtsordnung fingiert, aber auf einen anderen Irrtum stützen, bleibt eine Anfechtung möglich: fingierte und ausdrückliche Er-

___________ 433

Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 522. Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 522. 435 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 522 mit weiteren Nachweisen insbesondere zur älteren Literatur. Ebenso Brehm, Allgemeiner Teil, Rdnr. 234; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 84; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 28 Rdnr. 80. 436 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 522. 437 Vgl. dazu diejenigen Autoren, die § 362 Abs. 1 S. 1 HGB als gesetzliche Annahmefiktion begreifen: Eckert, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 362 Rdnr. 32; Horn, in: Heymann, HGB, § 362 Rdnr. 12; W.-H. Roth, in: Koller/Roth/Morck, HGB, § 362 Rdnr. 11; Welter, in: MünchKomm-HGB, § 362 Rdnr. 43. 438 W.-H. Roth, in: Koller/Roth/Morck, HGB, § 362 Rdnr. 11. 439 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 523. 434

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

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klärung divergieren insoweit nicht.440 Das trifft beispielsweise auf eine Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung, § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB, zu.441 Hat der Erklärungsadressat oder ein Dritter das Schweigen erzwungen, stellt eine darauf gestützte Anfechtung die normative Wirkung des Schweigens nicht infrage.442 Gleiches trifft auch auf eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB, zu.443 In diesem Fall ist sich der Erklärende der normativen Wirkung seines Verhaltens durchaus bewusst, sein Irrtum ist auf einer zeitlich vorausgehenden Ebene – der Willensbildung – angesiedelt, auf die der Erklärungsempfänger oder, ihm zurechenbar, ein Dritter in einer von der Rechtsordnung missbilligten Weise Einfluss genommen hat. Mit seiner Anfechtung beruft sich der Erklärende auch dabei nicht auf eine Unkenntnis vom Bedeutungsgehalt seines Verhaltens. b) Anfechtung wegen fehlenden Erklärungsbewusstseins analog § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB? Gibt jemand eine rechtsgeschäftliche Erklärung, die für den objektiven Empfänger auch als eine solche erkennbar ist, ohne Erklärungsbewusstsein ab, so liegt gleichwohl eine wirksame Willenserklärung vor.444 Das fehlende Erklärungsbewusstsein berechtigt den Erklärenden allenfalls zur Anfechtung seiner Willenserklärung analog § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB.445 Auch die gesetzliche Fiktion des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG ermöglicht einen Vertragsschluss, wenn sich der Arbeitnehmer über die rechtsgeschäftliche Natur seines Schweigens überhaupt nicht im Klaren ist, etwa dann, wenn er wegen urlaubsbedingter Abwesenheit keine Kenntnis von Kündigung und Abfindungsangebot erhält, diese ihm aber gleichwohl zugehen.446 Nicht nur macht es aus der Sicht des Arbeitgebers keinen Unterschied, aus welchem Grund der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhebt, ob er sich dazu etwa bewusst ___________ 440

RG vom 20.01.1922, RGZ 103, 401, 405; RG vom 05.07.1930, RGZ 129, 347, 348; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 84; Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 524. 441 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 523. 442 Mankowski, Beseitigungsrechte, S. 523. 443 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 84. 444 BGH vom 07.06.1984, BGHZ 81, 324, 327 ff.; BGH vom 02.11.1989, BGHZ 109, 171, 177; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 596; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 137; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 24 Rdnr. 8; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 607; aA Hübner, Allgemeiner Teil, Rdnr. 677. 445 Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 596; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 137; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 36 Rdnr. 83; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 607. 446 Däubler, NZA 2004, 177, 180; Düwell, ZTR 2004, 130, 132; Rolfs, ZIP 2004, 333, 337.

§ 7 Tatbestand

333

entscheidet oder nur die rechtzeitige Klageerhebung versäumt,447 aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG ist das Vorhandensein eines Erklärungsbewusstseins des Arbeitnehmers schlicht unerheblich. Fehlt es, besteht kein Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers analog § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB.448 Der Arbeitnehmer befindet sich insoweit in der vorstehend beschriebenen Situation: Sein Irrtum bezieht sich auf die normative Wirkung seines Schweigens und kann deshalb nicht zu einer Anfechtung berechtigen. Die gesetzliche Fiktion der Annahmeerklärung durch § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG überlagert einen entgegenstehenden oder fehlenden Willen des Arbeitnehmers. c) Rechtsfolgenirrtum, § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB Ebenfalls nicht zum Erfolg führt eine Anfechtung, die der Arbeitnehmer unter Hinweis auf § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB darauf stützt, über den Inhalt der fingierten Annahmeerklärung im Unklaren gewesen zu sein, indem er etwa annahm, ihm stünde kraft Gesetzes statt des halben ein ganzes Monatsentgelt für jedes Beschäftigungsjahr zu.449 Ebenso wie bei einem fehlenden Erklärungsbewusstsein befindet sich der Arbeitnehmer in einem Irrtum über die normative Bedeutung seines Schweigens, hier hinsichtlich der Tragweite der Rechtsfolgen der fingierten Erklärung, so dass eine Anfechtung ausscheiden muss. d) Arglistige Täuschung, § 123 Abs. 1 BGB In Betracht kommt eine Anfechtung aber dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unter Hinweis auf die Betriebsbedingtheit der Kündigung über seine tatsächlichen Beweggründe, die zum Ausspruch der Kündigung geführt haben, arglistig getäuscht hat.450 Voraussetzung für die erfolgreiche Ausübung ___________ 447

Däubler, NZA 2004, 177, 180; Rolfs, ZIP 2004, 333, 337. AA Rolfs, ZIP 2004, 333, 337. AA auch Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 33; Kraus, Abfindungen, S. 165 ff., die unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls eine Anfechtung wegen fehlenden Erklärungsbewusstseins zulassen, dabei allerdings auch nicht die Annahmeerklärung als gesetzlich fingierte Willenserklärung qualifizieren. Wie hier Däubler, NJW 2004, 177, 180, der aber ebenfalls nicht von einer gesetzlich fingierten Annahmeerklärung ausgeht. 449 Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 33; Kraus, Abfindungen, S. 167 Fn. 619; Merz, Abfindungsanspruch, S. 143 f.; Rolfs, ZIP 2004, 333, 337. Vgl. dazu bereits im Hinblick auf die Erklärung des Arbeitgebers oben unter § 7 F I 2 b), S. 329. 450 J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 32; Kraus, Abfindungen, S. 160 f.; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 12; Merz, Abfindungsanspruch, S. 143; Preis, DB 2004, 70, 74; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167e; Rolfs, ZIP 2004, 333, 337. 448

334

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

des Anfechtungsrechts ist die Vornahme einer arglistigen Täuschung durch den Arbeitgeber, die kausal zu der Abgabe der Annahmeerklärung des Arbeitnehmers geführt hat, § 123 Abs. 1 BGB. Unter Täuschung ist jedes Hervorrufen, Bestärken oder Aufrechterhalten einer unrichtigen Vorstellung zu verstehen;451 der Arbeitgeber handelt dabei arglistig, wenn er zweckgerichtet die Willenserklärung des getäuschten Arbeitnehmers herbeizuführen beabsichtigt, bedingter Vorsatz reicht aus.452 Bezeichnet der Arbeitgeber in seinem Abfindungsangebot also die Kündigung wider besseres Wissen als betriebsbedingt, um den Arbeitnehmer zum Abschluss der Abfindungsvereinbarung zu bewegen, sind diese Voraussetzungen erfüllt. Das arglistige Handeln seines rechtsgeschäftlichen Stellvertreters muss er sich gemäß § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Auch eine arglistige Täuschung des Arbeitgebers über seine Zahlungsfähigkeit 453 oder die zu erwartende Höhe der Abfindung454 berechtigen den Arbeitnehmer zur Anfechtung. Gemäß § 124 Abs. 1, 2 S. 1 BGB kann der Arbeitnehmer seine Willenserklärung binnen einer Frist von einem Jahr ab Kenntnis von der arglistigen Täuschung anfechten, wobei nach dem Ablauf von zehn Jahren seit Abgabe der Willenserklärung die Anfechtung ausgeschlossen ist, § 124 Abs. 3 BGB. Wirkt die Anfechtung aber nur auf den rechtlichen Bestand der Abfindungsvereinbarung ein, ist der Arbeitnehmer zur Beseitigung der Kündigung zusätzlich auf das Verfahren der nachträglichen Klagezulassung gemäß § 5 KSchG angewiesen. Jedoch ist die Frist des § 5 Abs. 3 KSchG nicht mit der des § 124 BGB abgestimmt. Der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung ist „innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses zulässig“, § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG, kann aber spätestens nach Ablauf von sechs Monaten seit Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG nicht mehr gestellt werden, § 5 Abs. 3 S. 2 KSchG. Damit kann der Arbeitnehmer schon wegen der gegenüber § 5 Abs. 3 S. 2 KSchG stets um mindestens ein halbes Jahr längeren Anfechtungsfrist mit der Anfechtung seiner Annahmeerklärung die Abfindungsvereinbarung auch dann noch beseitigen, wenn sein Recht auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage schon längst ausgeschlossen ist. Um beide Vorschriften wenigstens teilweise miteinander zu harmonisieren, soll nach einer Auffassung die Antragsfrist des § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG erst mit Ausübung des Anfechtungsrechts ___________ 451

Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 866; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 450; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 37 Rdnr. 6; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 788. 452 BGH vom 19.05.1999, NJW 1999, 2804, 2806; BGH vom 08.12.1999, NJW 2000, 2497, 2499; Bork, Allgemeiner Teil, Rdnr. 874; Brox/Walker, Allgemeiner Teil, Rdnr. 454; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, § 37 Rdnr. 11; Medicus, Allgemeiner Teil, Rdnr. 789. 453 Kraus, Abfindungen, S. 161; Preis, DB 2004, 70, 74. 454 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 9.

§ 7 Tatbestand

335

zu laufen beginnen,455 so dass dem Arbeitnehmer wenigstens innerhalb der zeitlichen Grenze des § 5 Abs. 3 S. 2 KSchG noch die Möglichkeit einer nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage bliebe. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen; maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der Frist des § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG ist vielmehr die Kenntnis des Arbeitnehmers von der arglistigen Täuschung.456 Dies gebieten bereits Sinn und Zweck des § 5 KSchG, der im Interesse der Rechtssicherheit eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nur im Ausnahmefall zulässt.457 Der Wortlaut des § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG steht dem nicht entgegen. Da Abfindungsvereinbarung und Kündigung zwar einen einheitlichen Tatbestand bilden, aber jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen auslösen und deshalb auch getrennt zu beurteilen sind, bildet nicht die Abfindungsvereinbarung das Hindernis einer rechtzeitigen Klageerhebung, sondern die fehlende Kenntnis des Arbeitnehmers von der arglistigen Täuschung des Arbeitgebers. Anders als bei einem Abwicklungsvertrag enthält die Vereinbarung nach § 1a KSchG auch keinen Klageverzicht des Arbeitnehmers, der einer rechtzeitigen Klageerhebung möglicherweise als Hindernis entgegenstehen könnte.458 Ohne Kenntnis hat der Arbeitnehmer keine Veranlassung, den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zu stellen; erfährt er von der arglistigen Täuschung, besteht das Hindernis der Unkenntnis nicht länger. Nach Ablauf von zwei Wochen ab Kenntnis der arglistigen Täuschung bzw. eines halben Jahres nach Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG bringt eine Anfechtung dem Arbeitnehmer folglich keine Vorteile mehr. Er kann damit zwar wirksam die Abfindungsvereinbarung beseitigen, jedoch besteht keine Möglichkeit, gegen die Kündigung vorzugehen. Damit ist auch die Aussage von Preis zu relativieren, eine nachträgliche Klagezulassung komme „immer in Betracht, wenn die Abfindungsvereinbarung unwirksam ist.“459 Wie eben aufgezeigt sind durchaus Fälle denkbar, in denen der Arbeitnehmer die Abfindungsvereinbarung zwar zu beseitigen vermag, ihm allerdings keine Handhabe bleibt, nachträglich Kündigungsschutzklage zu erheben.

___________ 455

J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77. Anders aber noch J.-H. Bauer, NZA 1994, 440, 441 zum Abwicklungsvertrag; dazu auch Burkard, Abwicklungsvertrag, S. 72; Nebeling/Schmid, NZA 2002, 1310, 1313. 456 Zum Abwicklungsvertrag Butz, Abwicklungsvertrag, S. 129; Weber/Ehrich, DB 1995, 2370. 457 J.-H. Bauer, NZA 1994, 440, 441; Butz, Abwicklungsvertrag, S. 129; 458 Auf dieses Argument stützen sich etwa Nebeling/Schmid, NZA 2002, 1310, 1313. 459 Preis, DB 2004, 70, 74.

336

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

e) Rechtsfolge einer erfolgreichen Anfechtung Die erfolgreiche Anfechtung der fingierten Annahmeerklärung wegen arglistiger Täuschung führt zur Nichtigkeit der Abfindungsvereinbarung mit Wirkung ex tunc, § 142 Abs. 1 BGB. Eine bereits gezahlte Abfindung hat der Arbeitnehmer nach den §§ 812 ff. BGB zurückzugewähren.460 Die §§ 346 ff. BGB sind nicht entsprechend anzuwenden,461 da es insoweit an der von § 346 Abs. 1 BGB vorausgesetzten gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Bezugnahme fehlt. 2. Stellvertretung, § 180 S. 3 BGB Die bereits im Rahmen der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung des Arbeitgebers angesprochene Schriftsatzkündigung462 spielt auch auf Seiten des Arbeitnehmers eine Rolle. Spricht der Arbeitgeber oder sein Prozessbevollmächtigter dem Arbeitnehmer im Laufe eines Kündigungsschutzprozesses eine zweite Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse aus und verbindet er diese mit dem Abfindungsangebot nach § 1a Abs. 1 KSchG, so erstreckt sich die Prozessvollmacht des Arbeitnehmervertreters aufgrund des punktuellen Streitgegenstandes der Kündigungsschutzklage nicht auch auf die Entgegennahme von Kündigung und Abfindungsangebot; dieser ist nicht zu einer wirksamen Empfangsvertretung, § 164 Abs. 3 BGB, befugt. Die Schriftsatzkündigung wird also nicht dadurch wirksam, dass sie dem Prozessbevollmächtigten zugeht.463 Sie kann zum einen dadurch wirksam werden, dass der Prozessbevollmächtigte den Schriftsatz an seinen Mandanten weiterleitet.464 Die zweite Möglichkeit eröffnet sich über den Weg der Stellvertretung und die Vorschrift des § 180 S. 3 BGB. Gemäß § 180 S. 3 BGB i.V.m. §§ 180 S. 2, 177 Abs. 1 BGB hängt die Wirksamkeit der Empfangsvertretung hinsichtlich der Kündigung von der Genehmigung durch den Arbeitnehmer ab. Für das Abfindungsangebot gilt gemäß § 177 Abs. 1 BGB das Gleiche.

___________ 460

Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 32; Kraus, Abfindungen, S. 163 f.; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 12; Merz, Abfindungsanspruch, S. 145. 461 AA J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77. 462 Vgl. dazu oben unter § 7 F I 1 b), S. 324 f. 463 Diller, NZA 1994, 830, 833. 464 Diller, NZA 1994, 830, 833.

§ 8 Rechtsfolge: Anspruch auf Zahlung einer Abfindung Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer unter Beachtung der Voraussetzungen des § 1a KSchG eine wirksame Abfindungsvereinbarung geschlossen, kann der Arbeitnehmer einen Abfindungsanspruch in der von § 1a Abs. 2 KSchG bestimmten Höhe beanspruchen.

A. Entstehen und Fälligkeit des Abfindungsanspruchs I. § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG als Fälligkeitsregelung Nach § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG „hat“ der Arbeitnehmer „mit dem Ablauf der Kündigungsfrist“ Anspruch auf Zahlung einer Abfindung. Dieser Wortlaut gibt keinen Aufschluss darüber, ob es sich dabei um eine Regelung zur Entstehung des Anspruchs oder lediglich um eine von § 271 Abs. 1 BGB abweichende Bestimmung der Fälligkeit handelt. Die letztgenannte Auslegung ist vorzugswürdig. Entgegen der Gesetzesbegründung,1 der Auffassung des LAG Hamm2 und weiter Teile der Literatur3 entsteht der Anspruch nicht erst mit Ablauf der Kündigungsfrist, sondern bereits mit dem Verstreichenlassen der Klagefrist durch den Arbeitnehmer.4 ___________ 1

BT-Drs. 15/1204, S. 12. LAG Hamm vom 08.11.2005, LAGE Nr. 3 zu § 1a KSchG S. 4 f. So auch bereits die Vorinstanz: ArbG Siegen vom 09.06.2005, NZA 2005, 935, 936. 3 Altenburg/Reufels/Leister, NZA 2006, 71, 73; Bader, NZA 2004, 65, 70; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 14; Däubler, NZA 2004, 177, 178; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 15; Giesen, NJW 2006, 721, 725; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 20; Lakies, NJ 2004, 150, 155; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 65; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 11; Mayer, AiB 2004, 19, 22; Merz, Abfindungsanspruch, S. 113; Nägele, ArbRB 2003, 274, 275; ders., ArbRB 2004, 80, 81; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167j; Quecke, RdA 2004, 86, 98; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 19; Raab, RdA 2005, 1, 10; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 49 f.; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 86; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; ders., NZA 2006, 23, 24; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 282; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 181; A. Wolff, BB 2004, 378, 381; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 19. 4 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 11; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 10; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Boemke/Danko, DB 2006, 2461, 2465; Kraus, Abfindungen, S. 198; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 22; Rolfs, ZIP 2004, 333, 339. Disponiert also der Arbeitnehmer nach Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG, aber vor Auslaufen der Kündigungsfrist über den Abfindungsanspruch, etwa durch Teilverzicht gegen eine vom Arbeitgeber gewährte Freistellung, so handelt es sich 2

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Das folgt aus der rechtsgeschäftlichen Natur des Anspruchs. Schuldrechtliche Ansprüche entstehen regelmäßig mit Abschluss des Rechtsgeschäfts, das die Rechtsbeziehungen der Vertragsschließenden regelt.5 Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Entstehungszeitpunkt nach der im Vertrag verlautbarten Interessenlage der Parteien auf einen späteren Termin festgelegt wird.6 Das BAG hat eine derartige Ausnahmekonstellation etwa dann angenommen, wenn die in einem Aufhebungsvertrag vereinbarte Abfindung nicht nur eine Gegenleistung des Arbeitgebers für die Einwilligung des Mitarbeiters in die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet, sondern gleichzeitig auch der Einkommenssicherung des Arbeitnehmers bis zum Eintritt in das Rentenalter im Rahmen eines Frühpensionierungsprogramms dient.7 Hätten die Arbeitsvertragsparteien die Höhe der Abfindung als eine angemessene und ausreichende Übergangsleistung festgelegt, um die Existenz des Arbeitnehmers für die Zeit nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses bis zum Rentenbezug zu sichern, so sei mit dieser Zwecksetzung eine Auslegung des Aufhebungsvertrages unvereinbar, mit der die Abfindung von der tatsächlichen Beendigung durch den Aufhebungsvertrag abgekoppelt werde.8 Mit Verstreichenlassen der Klagefrist haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Anwendungsbereich des § 1a KSchG eine Abfindungsvereinbarung geschlossen, zwischen beiden besteht ein vertragliches Schuldverhältnis. Inhalt dieses Schuldverhältnisses ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung, dessen Entstehungsgrund die Vertragsparteien damit bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist gelegt haben. Der Abfindungsanspruch entsteht folglich mit Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG. Weder der Inhalt der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer getroffenen Vereinbarung noch der Zweck des Abfindungsanspruchs rechtfertigen eine abweichende Beurteilung. Ganz im Gegenteil gibt bereits das Angebot des Arbeitgebers, der nach Maßga___________ nicht um einen im voraus, sondern einen nachträglich erklärten Verzicht, der nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen als Erlassvertrag, negatives Schuldanerkenntnis oder Vergleich zu behandeln ist. Zur Annahme eines – unzulässigen – Vorausverzichts vgl. Altenburg/Reufels/Leister, NZA 2006, 71, 74. 5 BAG vom 13.11.1986, AP Nr. 57 zu § 613a BGB Bl. 3; BAG vom 26.08.1997, AP Nr. 8 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 1R; BAG vom 22.05.2003, AP Nr. 8 zu § 767 ZPO Bl. 2R; Boecken, NZA 2002, 421, 422; Giesen, NJW 2006, 721, 725; Kraus, Abfindungen, S. 198; Tschöpe, NZA 2006, 23. Stillschweigend legt diese Annahme auch das BAG seinem Urteil vom 15.07.2004, AP Nr. 1 zu § 271 BGB, zugrunde. 6 BAG vom 26.08.1997, AP Nr. 8 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 1R f.; BAG vom 22.05.2003, AP Nr. 8 zu § 767 ZPO Bl. 2R; Kraus, Abfindungen, S. 198. 7 BAG vom 26.08.1997, AP Nr. 8 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 2; BAG vom 16.05.2000, AP Nr. 20 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 1R; BAG vom 22.05.2003, AP Nr. 8 zu § 767 ZPO Bl. 3. Kritisch Boecken, NZA 2002, 421, 422 ff. 8 BAG vom 26.08.1997, AP Nr. 8 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 2; BAG vom 16.05.2000, AP Nr. 20 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 1R.

§ 8 Rechtsfolge

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be des § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG ausdrücklich erklärt, der Arbeitnehmer könne „bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen“, einen ausdrücklichen Hinweis auf diesen Entstehungszeitpunkt. Und anders als in dem vom BAG entschiedenen Fall eines Abfindungsanspruchs im Rahmen eines Frühpensionierungsprogramms weist die Abfindung nach § 1a KSchG keinen weitergehenden Zweck auf, als den Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes und der gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Kündigung zu entschädigen.9 § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG bestimmt lediglich die Fälligkeit des Anspruchs abweichend von § 271 Abs. 1 BGB; der Arbeitnehmer kann die Abfindung nicht sofort, sondern erst mit Ablauf der Kündigungsfrist beanspruchen.10 II. Außerordentliche Kündigung und andere Beendigungstatbestände vor und nach Ablauf der Klagefrist Beendet der Arbeitgeber nach Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG, jedoch vor Ablauf der Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis mittels einer außerordentlichen Kündigung, kann der Arbeitnehmer mit Ablauf der Kündigungsfrist keine Abfindung beanspruchen11, obwohl der Anspruch darauf bereits entstanden ist. Gleiches gilt erst recht für eine außerordentliche Kündigung noch während des Laufs der Klagefrist.12 Konstruktiv ist dieses Ergebnis wiederum mit einer ergänzenden Vertragsauslegung zu erreichen. Der Abfindungsanspruch steht unter der auflösenden Bedingung der anderweitigen einseitigen oder einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der Kündigungsfrist. Des von Kraus vorgenommenen Rückgriffs auf § 313 BGB13 bedarf es daher ebenso wenig wie

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Auf die unterschiedliche Zweckbestimmung weist auch Kraus, Abfindungen, S. 199 f. hin. 10 Boemke/Danko, DB 2006, 2461, 2465; Kraus, Abfindungen, S. 203; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 23; Rolfs, ZIP 2004, 333, 339. 11 BT-Drs. 15/1204, S. 12; Bader in: BBDW, § 1a Rdnr. 14; Däubler, NZA 2004, 177, 178; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 15; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 20; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 13; Kraus, Abfindungen, S. 170, 182; Lakies, NJ 2004, 150, 155; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 65; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 13; Merz, Abfindungsanspruch, S. 61 f.; Nägele, ArbRB 2003, 274, 275; ders., ArbRB 2004, 80, 82; Quecke, RdA 2004, 86, 98; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 19; Raab, RdA 2005, 1, 10; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 121; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 283; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 181; A. Wolff, BB 2004, 378, 381; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 19; aA Rolfs, ZIP 2004, 333, 340. 12 J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Kraus, Abfindungen, S. 185. 13 Kraus, Abfindungen, S. 182 ff.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

einer Anwendung des § 779 Abs. 1 BGB.14 Die Abfindungsvereinbarung enthält keine Aussage über das Schicksal des Abfindungsanspruchs im Falle einer anderweitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der Kündigungsfrist, somit ist diese Lücke innerhalb des Vertragszwecks unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens der Vertragsparteien sowie der Verkehrssitte und der Grundsätze von Treu und Glauben zu schließen.15 Das Abfindungsangebot des Arbeitgebers bezieht sich auf die gleichzeitig erklärte Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse. Lässt der Arbeitnehmer die für diese Kündigung einschlägige Klagefrist verstreichen, so entsteht nicht nur der Abfindungsanspruch; mit der Wirksamkeitsvermutung des § 7 KSchG verbleibt dem Arbeitnehmer jedenfalls im Grundsatz auch keine Möglichkeit mehr, sich gegen die Kündigung zur Wehr zu setzen. Mit Ablauf der Kündigungsfrist ist das Arbeitsverhältnis dann beendet. Der Abfindungsanspruch besteht also gerade deshalb, weil die betriebsbedingte Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat und bezweckt einen finanziellen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und den Verzicht des Arbeitnehmers auf eine gerichtliche Überprüfung der Kündigung. Endet das Arbeitsverhältnis aber aus einem anderen Grund, so verliert auch die Abfindungsvereinbarung ihren Bezugspunkt. Geht von der betriebsbedingten Kündigung keine Beendigungswirkung aus, so kann auch die Abfindungsvereinbarung ihren Zweck nicht mehr erfüllen, eine wirksame außerordentliche Kündigung schließt gleichzeitig den Abfindungsanspruch aus. Die außerordentliche Kündigung eröffnet dem Arbeitnehmer neue Reaktionsmöglichkeiten: Er kann diese mit einer Kündigungsschutzklage angreifen, will der Arbeitgeber dies verhindern, so steht es ihm frei, mit dem Arbeitnehmer einen Abwicklungsvertrag zu schließen. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG zum arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag. Kündigt demnach der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich, nachdem er vorher mit dem Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen hat, so könne der Arbeitnehmer die ihm nach dem Aufhebungsvertrag zustehende Abfindung nicht beanspruchen.16 Der Aufhebungsvertrag stehe auch bei Fehlen einer entsprechenden

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Kraus, Abfindungen, S. 169 f. Eine Anwendung des § 779 Abs. 1 BGB scheitert auch aus anderen Gründen: Lässt § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Kündigungsgrund bereits die Bezeichnung der Kündigung als betriebsbedingt ausreichen, so ist der tatsächliche Kündigungssachverhalt für eine gemäß § 1a KSchG getroffene Vereinbarung schlicht nicht relevant. Folglich kann sich ein Irrtum über die Vergleichsgrundlage, § 779 Abs. 1 BGB, auch nicht auf diesen beziehen. 15 Zu den Voraussetzungen der ergänzenden Vertragsauslegung oben unter § 7 E I 2 b), S. 306 f. 16 BAG vom 29.01.1997, AP Nr. 131 zu § 626 BGB Bl. 6.

§ 8 Rechtsfolge

341

ausdrücklichen Regelung unter der aufschiebenden Bedingung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses bis zu dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt.17 Setzen die Arbeitsvertragsparteien vor Ablauf der Kündigungsfrist mit einem Aufhebungsvertrag einvernehmlich einen neuen Beendigungstatbestand, so gilt das soeben Gesagte.18 Auch in diesem Fall beendet nicht die betriebsbedingte Kündigung das Arbeitsverhältnis, sondern der Aufhebungsvertrag, zu dem § 1a KSchG keinen Bezug aufweist. Kündigt der Insolvenzverwalter nochmals aus dringenden betrieblichen Erfordernissen, um die möglicherweise günstigere Kündigungsfrist des § 113 S. 2 InsO zu nutzen, entfällt der Abfindungsanspruch ebenfalls.19 Hier endet zwar das Arbeitsverhältnis aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung, nicht aber wegen derjenigen, die der Arbeitgeber mit dem Abfindungsangebot verbunden hat. Auch der Insolvenzverwalter kann bezüglich der von ihm ausgesprochenen Kündigung von dem Instrumentarium des § 1a KSchG Gebrauch machen. Stirbt der Arbeitnehmer noch während des Laufs der Klagefrist, entsteht der Abfindungsanspruch nicht.20 § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG setzt voraus, dass der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG noch eine Kündigungsschutzklage erheben kann.21 Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Arbeitnehmer nach Verstreichenlassen der Klagefrist, jedoch vor Ablauf der Kündigungsfrist, verstirbt.22 Zwar führt auch in diesem Fall nicht die betriebsbe___________ 17

BAG vom 29.01.1997, AP Nr. 131 zu § 626 BGB Bl. 6. Differenzierend Merz, Abfindungsanspruch, S. 68 f. und Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 121, nach deren Auffassung bei einer lediglich einvernehmlichen Verkürzung der Kündigungsfrist der Abfindungsanspruch bestehen bleibt. 19 Nägele, ArbRB 2003, 274, 275; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; aA Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 104, 121. 20 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 11; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 10; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Boemke/Danko, DB 2006, 2461, 2465; Kraus, Abfindungen, S. 200; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 10. 21 J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Kraus, Abfindungen, S. 200; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 10. 22 Boemke/Danko, DB 2006, 2461, 2465; Kraus, Abfindungen, S. 200; Rolfs, ZIP 2004, 333, 340; aA LAG Hamm vom 08.11.2005. LAGE Nr. 3 zu § 1a KSchG S. 3; ArbG Siegen vom 09.06.2005, NZA 2005, 935, 936; Däubler, NZA 2004, 177, 178; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 15; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 20; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 13; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 65; Merz, Abfindungsanspruch, S. 68, 127 ff.; Nägele, ArbRB 2003, 274, 275; ders., ArbRB 2004, 80, 82; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167k; Quecke, RdA 2004, 86, 98; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 19; Reiter, BB 2006, 42, 45; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 50; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 98, 121; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 283; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 181; A. Wolff, BB 2004, 378, 381; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 19. 18

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

dingte Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Nach der vorzunehmenden ergänzenden Vertragsauslegung trägt aber der Arbeitgeber das Risiko des vorzeitigen Versterbens des Arbeitnehmers, die vertragliche Interessenlage weicht insoweit von den vorgenannten Fallgestaltungen ab. Da es ein Erbrecht gibt, hängt der Fortbestand einer vertraglichen Verbindlichkeit grundsätzlich nicht davon ab, wie lange der Vertragspartner lebt.23 So geht etwa ein in einem Vergleich vereinbarter Abfindungsanspruch regelmäßig auf die Erben des Arbeitnehmers über; ein Erfahrungssatz des Inhalts, wonach ein Abfindungsvergleich mit dem Tod des Arbeitnehmers hinfällig werde, besteht nicht.24 In der Regel, so das BAG, müsse ein Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, der Vergleich werde deshalb hinfällig, weil er den Auflösungstermin nicht erlebt.25 Von entscheidender Bedeutung ist bei einem Abfindungsvergleich nach der Rechtsprechung des BAG aber auch der Zweck der Abfindungszahlung.26 Stelle die Abfindung in erster Linie eine Gegenleistung des Arbeitgebers für die Einwilligung des Mitarbeiters in die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar, so spreche dies dafür, dass die Zahlung der Abfindung nach dem Parteiwillen nicht davon abhängig sein sollte, dass der Arbeitnehmer den vereinbarten Beendigungszeitpunkt auch erlebe. 27 Anders sei bei einer Abfindung im Rahmen eines Frühpensionierungsprogramms zu entscheiden, da die Geldleistung in diesem Fall dazu diene, den Verdienstausfall des Arbeitnehmers zwischen dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt und dem frühest möglichen Bezug einer gesetzlichen Altersrente auszugleichen.28 Der gemäß § 1a KSchG entstandene Abfindungsanspruch bezweckt einen finanziellen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes ebenso wie für den Verzicht des Arbeitnehmers auf eine gerichtliche Überprüfung der Kündigung. Daraus lässt sich nach dem mutmaßlichen Parteiwillen kein Anhaltspunkt für einen Ausschluss der Abfindung bei vorzeitigem Versterben des Arbeitnehmers gewinnen. Auch im Übrigen entspricht die Interessenlage dieser Vereinbarung der des Abfindungsvergleichs. Wäre der Arbeitnehmer nicht gestorben, so hätte ___________ 23

BAG vom 16.10.1969, AP Nr. 20 zu § 794 ZPO Bl. 3; BAG vom 25.06.1987, NZA 1988, 466, 467; BAG vom 22.05.2003, AP Nr. 8 zu § 767 ZPO Bl. 2R. 24 BAG vom 16.10.1969, AP Nr. 20 zu § 794 ZPO Bl. 3; BAG vom 25.06.1987, NZA 1988, 466, 467; BAG vom 22.05.2003, AP Nr. 8 zu § 767 ZPO Bl. 2R. Burkardt, Aufhebungsvertrag, S. 303; Ernst, Aufhebungsverträge, S. 317; Spilger, in: KR, § 10 Rdnr. 18; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 2012; aA J.-H. Bauer, Aufhebungsverträge, IV Rdnr. 343. 25 BAG vom 25.06.1987, NZA 1988, 466, 467; BAG vom 22.05.2003, AP Nr. 8 zu § 767 ZPO Bl. 2R. 26 BAG vom 22.05.2003, AP Nr. 8 zu § 767 ZPO Bl. 3. 27 BAG vom 22.05.2003, AP Nr. 8 zu § 767 ZPO Bl. 3. 28 BAG vom 16.05.2000, AP Nr. 20 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 1R; BAG vom 22.05.2003, AP Nr. 8 zu § 767 ZPO Bl. 3.

§ 8 Rechtsfolge

343

die betriebsbedingte Kündigung das Arbeitsverhältnis ebenso beenden können wie der Abfindungsvergleich.

B. Anwendbarkeit tariflicher und einzelvertraglich vereinbarter Ausschlussfristen auf den Abfindungsanspruch Ist die Frage des Entstehens und der Fälligkeit des Abfindungsanspruchs beantwortet, ist sowohl für den Arbeitnehmer als auch den Arbeitgeber von Interesse, ob dieser den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren tariflichen oder einzelvertraglich vereinbarten Ausschlussfristen unterliegt. Für Abfindungsansprüche, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Wege des gerichtlichen Vergleichs vereinbart haben, ist diese Frage ebenso negativ zu beantworten wie für die nach § 9 Abs. 1 KSchG gerichtlich zuerkannten Abfindungen.29 Tarifliche Verfallfristen, wonach Ansprüche auf Vergütung sowie alle sonstigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erlöschen, wenn diese nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraumes dem anderen Vertragspartner gegenüber schriftlich geltend gemacht werden, bezwecken, alsbald Gewissheit darüber zu schaffen, welche Ansprüche der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber noch geltend machen kann und wollen damit innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens Rechtsklarheit über die Existenz und den Umfang von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis gewährleisten.30 Ein gerichtlich festgestellter oder protokollierter Anspruch unterliegt keinen diesbezüglichen Zweifeln.31 Im Übrigen ist bei der Anwendung und Auslegung von Ausschlussklauseln eine Orientierung an Inhalt und Grenzen ihres Zwecks geboten.32 Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht unterliegen auch Abfindungsansprüche aus einem Aufhebungsvertrag nicht der oben genannten Verfallklausel.33 Es fehle insoweit an einem schutzwürdigen Vertrauen des Arbeit___________ 29

BAG vom 13.01.1982, AP Nr. 7 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3R; J.-H. Bauer, Aufhebungsverträge, Rdnr. IV 354; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 22a; Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 2009. 30 BAG vom 13.01.1982, AP Nr. 7 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3R; BAG vom 07.02.1995, AP Nr. 54 zu § 1 TVG Einzelhandel Bl. 4R; BAG vom 10.10.2002, AP Nr. 169 zu § 4 TVG Bl. 6; Wank, in: Wiedemann, TVG, § 4 Rdnr. 721; Zwanziger, in: Däubler, TVG, § 4 Rdnr. 1078. 31 BAG vom 13.01.1982, AP Nr. 7 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3R. 32 BAG vom 13.01.1982, AP Nr. 7 zu § 9 KSchG 1969 Bl. 3R; BAG vom 07.02.1995, AP Nr. 54 zu § 1 TVG Einzelhandel Bl. 5; Zwanziger, in: Däubler, TVG, § 4 Rdnr. 1103; einschränkend etwa BAG vom 19.11.1968, AP Nr. 39 zu § 4 TVG Ausschlussfristen Bl. 2R; Burkardt, Aufhebungsvertrag, S. 305; Ernst, Aufhebungsverträge, S. 319, wonach Ausschlussfristen eng auszulegen seien. 33 J.-H. Bauer, Aufhebungsverträge, IV Rdnr. 354; Burkardt, Aufhebungsvertrag, S. 305 f.; Ernst, Aufhebungsverträge, S. 319; aA LAG Berlin vom 27.07.1998, LAGE Nr. 48 zu § 4 TVG Ausschlussfristen S. 2 f; dem folgend Zwanziger, in: Däubler, TVG, § 4 Rdnr. 1128 für Abfindungsansprüche aufgrund eines außergerichtlichen Vergleichs.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

gebers, da dieser nicht auf der einen Seite dem Arbeitnehmer die Zahlung zusagen und sie auf der anderen Seite unter Hinweis auf tarifvertragliche Regelungen verweigern könne.34 Diese Auffassung überzeugt indes nicht, und auch auf den nach § 1a KSchG entstandenen Abfindungsanspruch finden tarifliche oder einzelvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen Anwendung. 35 Anders als bei der Abfindung nach § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG besteht mangels gerichtlicher Feststellung keine Klarheit über die Zahlungsverpflichtung des Arbeitgebers.36 Die Arbeitsvertragsparteien können durchaus unterschiedlicher Auffassung über die Dauer des Arbeitsverhältnisses, die Höhe des Monatsverdienstes und damit den Umfang des Abfindungsanspruchs sein.37 Es besteht insoweit kein sachlicher Unterschied zum Nachteilsausgleich, zu Sozialplanansprüchen oder zu tariflichen Abfindungsansprüchen.38 Der Arbeitgeber nutzt mit einer Berufung auf die Ausschlussfrist auch nicht stets rechtsmissbräuchlich eine Rechtsposition aus.39 Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt nach der Rechtsprechung des BAG nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer die fristgemäße Geltendmachung seiner Rechte deshalb unterlassen hat, weil er hierzu durch ein Verhalten des Arbeitgebers veranlasst wurde, dieser ihn also von der Einhaltung der Frist abgehalten hat.40 Dabei muss es sich um besonders krasse Fälle handeln, in denen dem Schuldner ein grob unbilliges Verhalten zur Last zu legen ist.41 Allein die Unkenntnis des Arbeitnehmers über den Verfall eines Anspruchs aufgrund einer tariflichen Ausschlussfrist kann diesen Vorwurf nicht rechtfertigen. 42

___________ 34

J.-H. Bauer, Aufhebungsverträge, IV Rdnr. 354; Burkardt, Aufhebungsvertrag, S. 306. 35 Bader, NZA 2004, 65, 72; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 16; S. Fiebig in: HaKoKSchG, § 1a Rdnr. 29; Kraus, Abfindungen, S. 204; Lakies, NJ 2004, 150, 155; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 38; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 11; Rolfs, ZIP 2004, 333, 340; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 293; aA Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 18; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 109. Differenzierend Merz, Abfindungsanspruch, S. 131. 36 Kraus, Abfindungen, S. 205; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 11; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 293. 37 Kraus, Abfindungen, S. 205; Merz, Abfindungsanspruch, S. 131; Rolfs, ZIP 2004, 333, 340; aA Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 109. 38 S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 29; Kraus, Abfindungen, S. 205. 39 So aber Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 109. 40 BAG vom 06.09.1972, AP Nr. 2 zu § 4 BAT Bl. 2R; BAG vom 01.06.1995, NZA 1996, 135, 136; BAG vom 22.01.1997, NZA 1997, 445, 446. 41 BAG vom 09.08.1990, AP Nr. 46 zu § 615 BGB Bl. 4R. 42 BAG vom 22.01.1997, NZA 1997, 445, 446.

§ 8 Rechtsfolge

345

C. Pfändung, Aufrechnung, Abtretung Die vom Arbeitgeber zu zahlende Abfindung zählt zum „Arbeitseinkommen“ gemäß § 850 ZPO,43 welches den nachfolgenden Pfändungsschutzbestimmungen der §§ 850a bis 850i ZPO unterliegt. Wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 850 Abs. 2 ergibt, ist der Begriff des Arbeitseinkommens weit auszulegen.44 Er umfasst nicht nur das unmittelbar für geleistete Arbeit gezahlte Entgelt, sondern alle auf Geldleistung gerichteten Vergütungen, die ihre Rechtsgrundlage in gegenwärtigen oder früheren Arbeits- oder Ausbildungsverhältnissen haben.45 Damit erfasst ein auf Betreiben eines Gläubigers des Arbeitnehmers formularmäßig erlassener Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auch die Abfindung nach § 1a KSchG.46 Allerdings gelten für die Abfindung nicht die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO, da es sich nicht um ein Arbeitseinkommen handelt, das für einen fest umrissenen Zeitraum fortlaufend zahlbar ist.47 Vielmehr handelt es sich um eine „nicht wiederkehrende zahlbare Vergütung“, § 850i ZPO.48 Der Arbeitnehmer kann gemäß § 850i Abs. 1 S. 1 ZPO einen Pfändungsschutzantrag stellen, wonach ihm unter freier Würdigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse ein Betrag der Abfindung pfandfrei zu belassen ist, um den eigenen Unterhalt bestreiten und seinen Unterhaltsverpflichtungen nachkommen zu können. Der Arbeitnehmer kann den Abfindungsanspruch auch abtreten. § 399 BGB steht dem nicht entgegen, da sich mit der Abtretung der Forderungsinhalt nicht ändert; dieser bleibt auf eine Geldleistung gerichtet und damit vermögensrecht___________ 43

S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 29; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 23; Kraus, Abfindungen, S. 201; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 11; Merz, Abfindungsanspruch, S. 124 f.; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 93; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 286. 44 Becker, in: Musielak, ZPO, § 850 Rdnr. 2; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 850 Rdnr. 3; Smid, in: MünchKomm-ZPO, § 850 Rdnr. 20. 45 Becker, in: Musielak, ZPO, § 850 Rdnr. 2; Smid, in: MünchKomm-ZPO, § 850 Rdnr. 20. 46 Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 94. 47 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 12; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 11; Kraus, Abfindungen, S. 201; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 11; Merz, Abfindungsanspruch, S. 125; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 95; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 286. 48 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 12; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 11; Bader, in: BBDW, § 1a Rdnr. 16; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 29; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 23; Kraus, Abfindungen, S. 201; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 31; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 11; Merz, Abfindungsanspruch, S. 125; Spilger in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 95; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 286.

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

346

licher Natur.49 Hat das Vollstreckungsgericht aber auf einen entsprechenden Pfändungsschutzantrag des Arbeitnehmers hin einen Teil der Abfindung für unpfändbar erklärt, kann der Arbeitnehmer die Forderung nur in Höhe des übersteigenden Betrags abtreten, § 400 BGB.50 Der Arbeitgeber schließlich kann den Abfindungsanspruch mit anderen, auf Geldleistung gerichteten Gegenansprüchen aufrechnen. Auch hier besteht gemäß § 394 BGB ein Aufrechnungsverbot in Höhe des vom Vollstreckungsgericht für unpfändbar erklärten Arbeitseinkommens.51

D. Verzug und Rücktritt wegen Nichtleistung Leistet der Arbeitgeber die Abfindung nicht mit Ablauf der Kündigungsfrist, kommt er unmittelbar in Verzug, ohne dass der Arbeitnehmer hierfür eine Mahnung aussprechen muss.52 Für die Leistung ist eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, nämlich der Ablauf der Kündigungsfrist.53 Der Arbeitgeber hat dann den Verzögerungsschaden zu ersetzen, §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB, und schuldet Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, § 288 Abs. 1 BGB.54 Bei Nichtleistung des Arbeitgebers ist der Arbeitnehmer nach vorheriger Fristsetzung aber nicht zu einem Rücktritt von der Abfindungsvereinbarung gemäß § 323 Abs. 1 BGB berechtigt.55 Es handelt sich bei dieser nicht um einen gegenseitigen Vertrag.56 Der Leistung des Arbeitgebers – Zahlung einer Abfindung – steht keine Gegenleistung des Arbeitnehmers gegenüber. Insbesondere erklärt der Arbeitnehmer keinen Verzicht auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage. Das Verstreichenlassen der Klagefrist führt zwar zu eben___________ 49

Merz, Abfindungsanspruch, S. 125; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 91. Bader, in: BBDW, § 1a Rdnr. 16; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 29; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 23; Kraus, Abfindungen, S. 202; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 30; Merz, Abfindungsanspruch, S. 126; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 287. 51 Kraus, Abfindungen, S. 202; Merz, Abfindungsanspruch, S. 126; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 92; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 287. 52 S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 29; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Kraus, Abfindungen, S. 205; Lakies, NJ 2004, 150, 155; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 11; Merz, Abfindungsanspruch, S. 115; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 100. 53 S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 29; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Kraus, Abfindungen, S. 205; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 11; Merz, Abfindungsanspruch, S. 115; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 100. 54 Ausgehend von der Prämisse, der Arbeitnehmer sei gegenüber seinem Arbeitgeber, soweit arbeitsvertragliche Beziehungen in Rede stehen, Verbraucher. Dazu sogleich im nächsten Abschnitt. 55 AA Merz, Abfindungsanspruch, S. 148. 56 AA Merz, Abfindungsanspruch, S. 148. 50

§ 8 Rechtsfolge

347

dieser Folge und ist auch notwendige Voraussetzung für das Zustandekommen der Vereinbarung, nicht aber deren Inhalt. Ein Rücktritt brächte dem Arbeitnehmer auch keine Vorteile. Die von § 346 Abs. 1 BGB angeordnete Rechtsfolge der Rückgewähr empfangener Leistungen führt zwar dazu, dass der Arbeitnehmer ex nunc seinen Abfindungsanspruch verliert, das Arbeitsverhältnis ist mit der nach § 7 KSchG wirksamen Kündigung gleichwohl rechtswirksam aufgelöst. Die Kündigung ist nicht Bestandteil des Arbeitsverhältnisses, somit lebt mit Ausübung des Rücktrittsrechts auch das Arbeitsverhältnis nicht wieder auf. Auch ein anschließend gestellter Antrag auf nachträgliche Klagezulassung gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG führte nicht zum Erfolg. Zahlungsschwierigkeiten des Arbeitgebers nach Abschluss eines Abwicklungsvertrages stellen kein Hindernis für die rechtzeitige Klageerhebung dar.57

E. Widerruf gemäß § 312 Abs. 1 S. 1 BGB? Auch besteht kein Widerrufsrecht des Arbeitnehmers gemäß § 312 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 355 Abs. 1 S. 1 BGB. Bereits an der Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des § 312 Abs. 1 S. 1 BGB bestehen Zweifel, setzt diese Norm doch eine Qualifizierung des Arbeitnehmers als Verbraucher i.S.d. § 13 BGB voraus. Schon diese Eigenschaft ist, soweit die Beziehung des Arbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsverhältnisses in Rede steht, in der Literatur heftig umstritten.58 Das BAG qualifizierte mit Urteil vom 25.05.2005 zumindest den Arbeitsvertrag als Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB.59 Probleme bereitet aber nicht nur der persönliche, sondern auch der sachliche Anwendungsbereich des § 312 Abs. 1 S. 1 BGB. Ein nach dieser Norm bestehendes Widerrufsrecht setzt voraus, dass der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber „durch mündliche Verhandlungen an seinem Arbeitsplatz“ zum Abschluss der Abfindungsvereinbarung „bestimmt worden ist“, § 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 1 BGB. Der Arbeitgeber muss also bereits am Arbeitsplatz mit dem Arbeitnehmer in Verhandlungen über den Abschluss einer Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG eingetreten sein. Wo der Vertragsschluss tatsächlich ___________ 57

Vgl. oben unter § 7 E I 1, S. 300. Bejahend etwa Boemke, BB 2002, 96, 97; Däubler, NZA 2001, 1329, 1333; Gotthardt, ZIP 2002, 277, 278; ders., in: HWK, § 310 BGB Rdnr. 2; Hümmerich, AnwBl. 2002, 671, 674 f.; Hümmerich/Holthausen, NZA 2002, 173, 175 ff.; Preis, Beilage zu NZA Heft 16/2003, 19, 23 f.; ders., in: ErfKomm, § 611 BGB Rdnr. 208; Versteyl, Obergrenze, S. 35 ff. Ablehnend etwa Annuß, NJW 2002, 2844 ff.; J.-H. Bauer, NZA 2002, 169, 171; A. Fiebig, DB 2002, 1608, 1609 f.; Henssler, RdA 2002, 129, 133 f.; Kraus, Abfindungen, S. 205 f.; Natzel, NZA 2002, 595 ff.; Schaub, in: ders., ArbRHdB, § 8 Rdnr. 9a. 59 BAG vom 25.05.2005, AP Nr. 1 zu § 310 BGB Bl. 6. 58

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

stattfindet, ist letztlich unerheblich, solange der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz bereits mit dem Ziel eines späteren Vertragsschlusses angesprochen wurde, ohne dass dabei Einzelheiten der Vertragsgestaltung besprochen worden sein müssen.60 Darüber hinaus muss die Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG aber auch eine „entgeltliche Leistung“ beinhalten. Zwar ist dieses Tatbestandsmerkmal richtlinienkonform weit auszulegen, da die Richtlinie 85/577/EWG eine derartige Einschränkung nicht enthält, sondern ausweislich ihrer Präambel auch einseitige Verpflichtungserklärungen erfasst sehen will;61 es setzt aber zumindest voraus, dass der Verbraucher irgendeine Leistung erbringt.62 Einseitig den Unternehmer verpflichtende Verträge wie die Schenkung werden demgegenüber von § 312 Abs. 1 S. 1 BGB auch dann nicht erfasst, wenn sie im Rahmen einer dort beschriebenen Haustürsituation zustande gekommen sind.63 Ob ein Abwicklungsvertrag, nach dem der Arbeitnehmer eine Abfindung für einen seinerseits erklärten Klageverzicht beanspruchen kann, diesen Tatbestand erfüllt, ist ebenfalls umstritten, 64 doch enthält dieses Rechtsgeschäft jedenfalls eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, nämlich auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu verzichten. Aus der Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG erwächst für den Arbeitnehmer jedoch keine Rechtspflicht; allein der Arbeitgeber verpflichtet sich zur Zahlung einer Abfindung. Zudem fehlt es regelmäßig an der von § 312 Abs. 1 S. 1 BGB geforderten Kausalität zwischen Haustürsituation und Vertragsschluss. Zwar fordert das Gesetz keinen engen zeitlichen Zusammenhang, doch wird mit zunehmendem zeitlichem Abstand die Indizwirkung für die Kausalität entfallen, für einen entsprechenden Anscheinsbeweis zugunsten des Verbrauchers ist dann jedenfalls kein Raum mehr.65 Somit dürfte auch der Arbeitnehmer, dem der Arbeitgeber eine Abfindung gemäß § 1a KSchG anbietet, Schwierigkeiten haben, zu beweisen, dass die Überrumpelungssituation der am Arbeitsplatz stattgefundenen ___________ 60

BGH vom 16.01.1996, BGHZ 131, 385, 391; BGH vom 17.09.1996, NJW 1996, 3416, 3417; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 312 Rdnr. 12; Ulmer, in: MünchKommBGB, § 312 Rdnr. 35 f. 61 BGH vom 09.03.1993, NJW 1993, 1594, 1595; BGH vom 14.05.1998, BGHZ 139, 21, 26; Ann, in: Bamberger/Roth, BGB, § 312 Rdnr. 8; Ulmer, in: MünchKomm-BGB, § 312 Rdnr. 21; aA F. Wenzel, NJW 1993, 2781 ff.. 62 Ann, in: Bamberger/Roth, BGB, § 312 Rdnr. 8. 63 Ulmer, in: MünchKomm-BGB, § 312 Rdnr. 21. 64 Bejahend Hümmerich/Holthausen, NZA 2002, 173, 178, ablehnend Lieb, in: FS Ulmer, 1231, 1238. 65 BGH vom 16.01.1996, BGHZ 131, 385, 392; BGH vom 21.01.2003, ZIP 2003, 432, 433; Ann, in: Bamberger/Roth, BGB, § 312 Rdnr. 9; Ulmer, in: MünchKommBGB, § 312 Rdnr. 29, 32.

§ 8 Rechtsfolge

349

Verhandlungen seine Entscheidung zum Verstreichenlassen der Klagefrist auch mit dem Ablauf von drei Wochen noch beeinflusste. Doch selbst wenn alle diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt wären, bestünde kein Widerrufsrecht nach § 312 Abs. 1 S. 1 BGB. Nach der Rechtsprechung des BAG findet die Norm aufgrund einer teleologischen Reduktion keine Anwendung auf arbeitsrechtliche Beendigungsvereinbarungen.66 Den in § 312 Abs. 1 BGB enumerativ aufgeführten Tatbeständen sei gemeinsam, dass die Vertragsanbahnung außerhalb öffentlich zugänglicher Verkaufs- und Ladenräume stattfindet und dem Verbraucher dabei in einer Überrumpelungs- und Überraschungssituation suggeriert werde, es handele sich um ein beschränktes Angebot, das nur sofort angenommen werden könne.67 Für den Abschluss einer arbeitsrechtlichen Beendigungsvereinbarung sei demgegenüber gerade der Arbeitsplatz der Ort, an dem die das Arbeitsverhältnis betreffenden Fragen typischerweise besprochen und geregelt werden.68 Eine dem Haustürgeschäft vergleichbare Situation sei bei Abschluss einer Beendigungsvereinbarung im Betrieb daher nicht gegeben,69 es fehle das für Haustürgeschäfte situationstypische Überraschungsmoment.70

F. Insolvenz des Arbeitgebers In der Insolvenz des Arbeitgebers71 ist der Abfindungsanspruch eine einfache Insolvenzforderung nach § 108 Abs. 2 InsO i.V.m. § 38 InsO.72 Mangels Einbeziehung des § 1a KSchG in den Anwendungsbereich des § 124 InsO besteht weder die dort vorgesehene Widerrufsmöglichkeit noch kann der Arbeit-

___________ 66

BAG vom 27.11.2003, AP Nr. 1 zu § 312 BGB Bl. 4R ff.; BAG vom 22.04.2004, AP Nr. 27 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 3R ff. 67 BAG vom 27.11.2003, AP Nr. 1 zu § 312 BGB Bl. 6R. 68 BAG vom 27.11.2003, AP Nr. 1 zu § 312 BGB Bl. 7. 69 BAG vom 22.04.2004, AP Nr. 27 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 4. 70 BAG vom 27.11.2003, AP Nr. 1 zu § 312 BGB Bl. 7. 71 Ausführlich zum Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG in der Insolvenz des Arbeitgebers Merz, Abfindungsanspruch, S. 159 ff.; Stiller, NZI 2005, 77 ff. 72 Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 12; Backmeister, in: Backmeister/Trittin/Mayer, KSchG, § 1a KSchG Rdnr. 8; Däubler, NZA 2004, 177, 180; Elz, BuW 2004, 388, 391; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 29; Gaul/Bonanni, ArbRB 2004, 48, 50; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 36; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 15; Kraus, Abfindungen, S. 217 f.; Lakies, NJ 2004, 150, 155; Löwisch, NZA 2003, 689, 694; ders., BB 2004, 154, 158; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 31; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 11; Nägele, ArbRB 2003, 274, 275; Preis, DB 2004, 70, 75; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 102; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 287.

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

350

nehmer bei der Aufstellung eines Sozialplans im Insolvenzverfahren berücksichtigt werden.73 Eine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO erwirbt der Arbeitnehmer nur dann, wenn ihn der Insolvenzverwalter wegen dringender betrieblicher Erfordernisse i.V.m. einem Abfindungsangebot nach § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG kündigt.74

G. Verhältnis zu Abfindungsansprüchen aus Sozialplänen, § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG, und Ansprüchen auf Nachteilsausgleich, § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG Abfindungsansprüche im Zusammenhang mit dem Ausspruch von Kündigungen wegen dringender betrieblicher Erfordernisse kennt die Arbeitsrechtsordnung nicht nur im Regelungsbereich des KSchG.75 Haben sich etwa Arbeitgeber und Betriebsrat im Zuge einer Betriebsänderung auf einen Sozialplan, § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG, verständigt oder beruht dieser auf einem Spruch der Einigungsstelle, § 112a BetrVG i.V.m. § 112 Abs. 4 BetrVG, sieht auch dieser Sozialplan häufig Abfindungsansprüche für die von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer vor. Weicht der Arbeitgeber von einem mit dem Betriebsrat ausgehandelten Interessenausgleich ohne zwingenden Grund ab oder hat er noch nicht einmal einen Interessenausgleich versucht, normiert § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG ebenfalls einen, gegebenenfalls neben der Sozialplanabfindung bestehenden, Abfindungsanspruch. I. Wechselseitige Anrechung bei Aufeinandertreffen mehrerer Abfindungsansprüche? Sämtliche Ansprüche weisen bezügliche ihrer Tatbestandsvoraussetzungen keine Beziehung zueinander auf. Damit stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer neben einem Abfindungsanspruch gemäß § 1a KSchG auch eine Sozialplanabfindung und ggf. zusätzlich einen Nachteilsausgleich beanspruchen kann. Bezüglich der Sozialplanabfindung und des Anspruchs auf Nachteilsausgleich scheidet jedenfalls eine Kumulierung auch dann aus, wenn der Sozialplan keine ausdrückliche Regelung bereithält. Nach der Rechtsprechung des BAG sind auf ___________ 73

Lakies, NJ 2004, 150, 155; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 102. Löwisch schlägt de lege ferenda eine Einbeziehung des § 1a KSchG in den Katalog des § 124 InsO vor, NZA 2003, 689, 694. 74 S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 29; Kraus, Abfindungen, S. 217; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 11; Rolfs, ZIP 2004, 333, 341; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 103; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 288. 75 Vgl. dazu bereits oben unter § 2, S. 40 ff.

§ 8 Rechtsfolge

351

die Nachteilsausgleichforderung gemäß § 113 Abs. 1 BetrVG diejenigen Abfindungsleistungen automatisch anzurechnen, die der Arbeitnehmer aufgrund eines Sozialplans erhält.76 Beide dienten dem Ausgleich oder der Milderung wirtschaftlicher Nachteile, die infolge einer Betriebsänderung auftreten.77 Der Arbeitnehmer könne eben nicht mehr verlangen als den Ausgleich der ihm durch die Betriebsänderung entstandenen wirtschaftlichen Nachteile.78 Mit dieser teleologischen Betrachtungsweise ist auch der Weg für die Beantwortung der Frage des Bestehens der nach § 1a KSchG gezahlten neben anderen Abfindungen und deren Verhältnis zueinander vorgezeichnet. Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des jeweiligen Abfindungsanspruchs erfüllt, stehen diese selbständig nebeneinander. Allerdings findet eine Verrechnung statt, soweit der Zweck der jeweiligen Abfindungsansprüche eine Kumulierung verbietet. 1. Der Zweck der jeweiligen Abfindungsansprüche a) Sozialplanabfindungen Unterschiedliche Auffassungen bestehen hinsichtlich des Zwecks von Sozialplanabfindungen. Sollte nach der anfänglich vom BAG vertretenen Auffassung dem Sozialplan sowohl eine Entschädigungsfunktion für den infolge einer Betriebsänderung eingetretenen Verlust von Arbeitsplätzen und der während des Laufs der Arbeitsverhältnisse erworbenen Vorteile als auch eine Überleitungs- und Vorsorgefunktion für die Zeit nach Durchführung der nachteiligen Betriebsänderung zukommen,79 verneint das Gericht nunmehr den Entschädigungscharakter und hebt allein die Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion von Sozialplanansprüchen hervor.80 In einem Urteil vom 05.10.2000 heißt es ___________ 76

Grundlegend BAG GS vom 13. 12. 1978, AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 13 f.; BAG vom 13.06.1989, AP Nr. 19 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 4R; BAG vom 20. 11. 2001, AP Nr. 39 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 3 f. 77 BAG vom 20. 11. 2001, AP Nr. 39 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 3R. 78 Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 203. 79 BAG GS vom 13. 12. 1978, AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 13. 80 BAG vom 28.10.1992, AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 30.03.1994, AP Nr. 76 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 9. 11. 1994, AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R; BAG vom 05.10.2000, AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 5R; BAG vom 30.10.2001, AP Nr. 145 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R. Zustimmend Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 53 ff.; Däubler, in: DKK, §§ 112, 112a Rdnr. 41; U. Koch, in: Schaub, ArbRHdB, § 244 Rdnr. 45; aA Oetker, in: GK-BetrVG, § 112 Rdnr. 102, der dem Sozialplan auch eine Entschädigungsfunktion beimisst. Fitting/Engels/I. Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 103 weisen darauf hin, dass sich die theoretische Unterscheidung zwischen Entschädi-

352

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

etwa, der Zweck des Sozialplans bestehe darin, „mit einem begrenzten Volumen möglichst allen von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe bis zu einem ungewissen neuen Arbeitsverhältnis oder bis zum Bezug von Altersrente zu ermöglichen“.81 Auf die zukunftsbezogene Überbrückungsfunktion weisen bereits die Legaldefinition des Sozialplans in § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG, wonach dieser dem Ausgleich oder der Milderung solcher wirtschaftlicher Nachteile diene, die den Arbeitnehmern „infolge der geplanten Betriebsänderung“ entstehen, und die Ermessensrichtlinien für die Einigungsstelle in § 112 Abs. 5 S. 2 BetrVG hin.82 Entstehen dem Arbeitnehmer zukünftig keine oder keine nach dem Sozialplan ausgleichswürdigen Nachteile, verlangen daher weder § 112 Abs. 1 BetrVG noch § 75 BetrVG, dass der Arbeitnehmer eine Entschädigung allein deswegen erhält, weil er dem Betrieb längere Zeit angehört hat.83 Ihre zukunftsbezogene Überbrückungsfunktion verliert eine Sozialplanabfindung aber auch dann nicht, wenn sich diese nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers bestimmt.84 In einem solchen Falle gehen die Betriebspartner zulässigerweise davon aus, dass die durch die Abfindung gewährte Überbrückungshilfe umso höher sein soll, je länger der Arbeitnehmer dem Betrieb die Treue gehalten und zu dessen wirtschaftlichen Erfolg beigetragen hat; sie dient als Maßstab für die Intensität der dem Arbeitgeber mit der Sozialplanmitbestimmung abverlangten Fürsorge.85 Bei diesem Verständnis stellt sich eine an der Dauer der Betriebszugehörigkeit orientierte Sozialplanabfindung auch nicht als eine an sich unzulässige Entschädigung für geleistete Dienste oder für den Verlust eines Besitzstandes dar.86 ___________ gung einerseits sowie Vorsorge und Überbrückung andererseits in der Praxis nicht sinnvoll durchhalten lässt. 81 BAG vom 05.10.2000, AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 5R. So bereits BAG vom 28.10.1992, AP Nr. 66 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R. 82 BAG vom 9. 11. 1994, AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R; Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 53; Oetker, in: GK-BetrVG, §§ 112, 112a BetrVG, Rdnr. 101. 83 BAG vom 09.11.1994, AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R; BAG vom 30.10.2001, AP Nr. 145 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R. 84 BAG vom 30.03.1994, AP Nr. 76 zu § 112 BetrVG 1972, Bl. 2R; BAG vom 09.11.1994, AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R; BAG vom 14.08.2001, AP Nr. 142 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2 f.; BAG vom 12.11.2002, AP Nr. 159 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 91. 85 BAG vom 30.03.1994, AP Nr. 76 zu § 112 BetrVG 1972, Bl. 2R; BAG vom 09.11.1994, AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R; BAG vom 14.08.2001, AP Nr. 142 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2 f.; BAG vom 12.11.2002, AP Nr. 159 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 91. 86 BAG vom 30.03.1994, AP Nr. 76 zu § 112 BetrVG 1972, Bl. 2R; BAG vom 14.08.2001, AP Nr. 142 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 12.11.2002, AP Nr. 159 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R.

§ 8 Rechtsfolge

353

b) Nachteilsausgleich § 113 BetrVG verfolgt einen doppelten Zweck: Zum einen will der Nachteilsausgleichsanspruch die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bzw. die Einhaltung eines bereits abgeschlossenen Interessenausgleichs absichern, indem er deren Missachtung durch den Arbeitgeber mit Abfindungsansprüchen der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer sanktioniert.87 Ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers setzt diese Norm gleichwohl nicht voraus.88 Neben dieser Sanktionsfunktion bezweckt der Anspruch aber auch eine Kompensation der aus der betriebsverfassungswidrig durchgeführten Betriebsänderung für den einzelnen Arbeitnehmer folgenden Nachteile.89 Wie bereits die Sozialplanabfindung weist der Nachteilsausgleichsanspruch damit nicht einen vergangenheitsbezogenen Entschädigungscharakter, sondern eine in die Zukunft gerichtete Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion auf. c) Abfindung nach § 1a KSchG Der Zweck der nach Maßgabe des § 1a KSchG gezahlten Abfindung90 ist dagegen ein anderer. Ihr kommt eine Entschädigungsfunktion für den Verzicht des Arbeitnehmers auf gerichtliche Überprüfung der Kündigung zu: Der Arbeitnehmer, der die Frist des § 4 S. 1 KSchG verstreichen lässt, damit sein Recht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht ausübt und so die Chance auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses preisgibt, erhält dafür, gleichsam als Gegenleistung, eine Abfindung.91 Der Abfindungsanspruch ist ___________ 87

BAG vom 29.11.1983, AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 13.06.1989, AP Nr. 19 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 4; BAG vom 10.12.1996, AP Nr. 32 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 3; BAG vom 19.01.1999, AP Nr. 37 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 3; BAG vom 20.11.2001, AP Nr. 39 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 3; Däubler, in: DKK, § 113 Rdnr. 1; Fitting/Engels/I. Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 113 Rdnr. 2; Kania, in: ErfKomm, § 113 BetrVG Rdnr. 1; U. Koch, in: Schaub, ArbRHdB, § 244 Rdnr. 78; Oetker, in: GK-BetrVG, § 113 Rdnr. 3; Richardi/Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 113 Rdnr. 2. 88 BAG vom 20.11.2001, AP Nr. 39 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 3; Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 113 Rdnr. 28; Fitting/Engels/I. Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 113 Rdnr. 16; Oetker, in: GK-BetrVG, § 113 Rdnr. 37. 89 BAG vom 29.11.1983, AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 13.06.1989, AP Nr. 19 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 4; BAG vom 20.11.2001, AP Nr. 39 zu § 113 BetrVG 1972 Bl. 3; Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 113 Rdnr. 2; Däubler, in: DKK, § 113 Rdnr. 1; Fitting/Engels/I. Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 113 Rdnr. 2; Oetker, in: GK-BetrVG, § 113 Rdnr. 5. 90 Vgl. dazu auch bereits oben unter § 6 A II, S. 225 f. 91 Kraus, Abfindungen, S. 38; Merz, Abfindungsanspruch, S. 192; Rolfs, ZIP 2004, 333, 342.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Ausdruck einer pauschalierten Teilung des Prozessrisikos92 sowie der Vorstellung des Gesetzgebers von einem angemessenen und fairen Interessenausgleich für eine außergerichtliche Beilegung von Kündigungsstreitigkeiten. Einen Sanktionscharakter weist der Abfindungsanspruch aber ebenso wenig auf wie eine der Sozialplanabfindung entsprechende zukunftsbezogene Vorsorge- und Überbrückungsfunktion.93 Der Sanktionszweck muss bereits deshalb ausscheiden, weil der Anspruch nicht an die Rechtswidrigkeit der Kündigung anknüpft, sondern auch dann entsteht, wenn diese tatsächlich sozial gerechtfertigt und rechtmäßig ist.94 Bemisst sich die Höhe der Abfindung gemäß § 1a Abs. 2 S. 1 KSchG in Abhängigkeit von Monatsverdienst und Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses, so bezweckt diese nicht nur eine Entschädigung für den Verzicht des Arbeitnehmers auf richterliche Überprüfung der Kündigung, sondern auch eine Kompensation für den Verlust des mit dem Arbeitsplatz verbundenen sozialen Besitzstandes.95 Da sich die Abfindung ausschließlich in Abhängigkeit des Bestehens des Arbeitsverhältnisses errechnet, ist dieser nicht eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungs-, sondern eine vergangenheitsbezogene Entschädigungsfunktion immanent; sie umfasst einen umso höheren Betrag, je länger das Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit bestanden hat. 2. Ausschluss der Anrechnung Ist nach der Auffassung des BAG zumindest eine teilweise Zweckidentität der Sozialplanabfindung und des Nachteilsausgleichsanspruchs Voraussetzung für eine automatische und vollständige Anrechnung von Sozialplanabfindungen auf den Anspruch auf Nachteilsausgleich, so muss eine automatische Anrechnung von Sozialplanansprüchen auf die nach § 1a KSchG entstandene Abfindung ausscheiden, da letzterer der Bezug auf zukünftige wirtschaftliche Nachteile fehlt.96 Die Leistungen verfolgen jeweils unterschiedliche Zwecke.97 ___________ 92

Rolfs, ZIP 2004, 333, 342. AA Raab, RdA 2005, 1, 11, nach dessen Auffassung der Anspruch nach § 1a KSchG ebenso wie eine Sozialplanabfindung dem Ausgleich der mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbundenen wirtschaftlichen Nachteile dienen soll. 94 Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 145. 95 Kraus, Abfindungen, S. 38; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 291. 96 Zumindest im Ergebnis ebenso Bader, NZA 2004, 65, 72; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 23; Däubler, NZA 2004, 177, 178; Kraus, Abfindungen, S. 214 f.; Lakies, NJ 2004, 150, 155; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 41; Merz, Abfindungsanspruch, S. 192 f.; Rolfs, ZIP 2004, 333, 342; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 142; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 183; aA Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 208; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Preis, DB 2004, 70, 73; Quecke, RdA 2004, 86, 98; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 21; Weyand, in: Düwell/Weyand, 93

§ 8 Rechtsfolge

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Nicht nur fehlt dem nach § 1a KSchG entstandenen Abfindungsanspruch die zukunftsbezogene Überbrückungsfunktion, darüber hinaus weist auch die mit der Abfindung bezweckte Entschädigung für das Verstreichenlassen der Klagefrist auf eine im Vergleich zur Sozialplanabfindung oder dem Anspruch auf Nachteilsausgleich völlig gegensätzliche Zielrichtung hin. Das gilt selbst dann, wenn der Sozialplan zur Berechnung der Abfindung auf die Faktoren des § 1a Abs. 2 KSchG zurückgreift. Zwar mögen dann beide Ansprüche den gleichen Umfang aufweisen, die zukunftsorientierte Überbrückungsfunktion der Sozialplanabfindung bleibt aber ebenso erhalten wie der Zweck des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG. Auch besteht keine Rechtspflicht des Arbeitgebers, den Weg des § 1a KSchG der betriebsbedingten Kündigung mit Abfindungsangebot zu gehen. Entscheidet er sich trotz bereits bestehender Verpflichtung zur Zahlung einer Sozialplanabfindung dafür, so muss er sich auch daran festhalten lassen,98 zumal er sich in einer Abfindungsvereinbarung außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1a KSchG eine Verrechnung ausdrücklich hätte vorbehalten können. Sozialplanleistungen und einzelvertraglich vereinbarte Abfindungen sind nicht miteinander zu vergleichen: Anders als bei einem erzwingbaren Sozialplan ist der Arbeitgeber völlig frei, eine Abfindung einzelvertraglich zu vereinbaren, niemand kann ihn ohne sein Einverständnis zu dieser freiwilligen Leistung zwingen.99 Nicht verwehrt ist dem Arbeitgeber ebenfalls, die Aufnahme einer Anrechnungsregelung in den Sozialplan zu veranlassen,100 im Rahmen des § 1a KSchG, etwa mittels eines entsprechenden Vorbehalts, scheidet dies jedoch aus.101 Auch einen Nachteilsausgleich kann der Arbeitnehmer neben der Abfindung nach § 1a KSchG beanspruchen, ohne dass eine Anrechnung stattfindet.102 Zwar ist wegen des Verweises sowohl des § 113 Abs. 1 BetrVG als auch des § 1a Abs. 2 S. 2 KSchG auf § 10 Abs. 3 KSchG die Höhe beider Abfindungen unter Umständen sogar identisch, nicht aber deren Zweck. Während dem Anspruch auf Nachteilsausgleich Sanktionscharakter zukommt, entsteht der Anspruch aus einer Vereinbarung nach § 1a KSchG auch bei einem rechtmäßigen ___________ Agenda 2010, Rdnr. 292. Differenzierend Raab, RdA 2005, 1, 11, der für einen vor Zugang der Kündigung bestehenden Sozialplan eine Anrechnung ablehnt, nicht aber für nachträglich vereinbarte Sozialplanabfindungen. 97 Merz, Abfindungsanspruch, S. 192; Rolfs, ZIP 2004, 333, 342; aA Raab, RdA 2005, 1, 11. Eine teilweise Zweckidentität nimmt Kraus, Abfindungen, S. 214 f., an. 98 Raab, RdA 2005, 1, 11. 99 BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2. 100 Kraus, Abfindungen, S. 215 f. 101 Rolfs, ZIP 2004, 333, 342; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 142; aA Kraus, Abfindungen, S. 215; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 41. 102 Kraus, Abfindungen, S. 216; Merz, Abfindungsanspruch, S. 203 f.; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 144; aA wohl Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 20.

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

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Verhalten des Arbeitgebers.103 Die Entschädigungsfunktion des Nachteilsausgleichs ist ebenso zukunftsgerichtet wie bei der Sozialplanabfindung, so dass auch eine nur teilweise Zweckidentität nicht in Betracht zu ziehen ist. Der im Wege systematischer Auslegung zu berücksichtigende Abfindungsanspruch gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Die nach dieser Norm zu leistende Abfindung weist ebenfalls eine zur Sozialplanabfindung bzw. zum Nachteilsausgleich abweichende Zielrichtung auf: Sie ist ihrer Rechtsnatur nach ein Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes trotz Vorliegens einer sozialwidrigen Kündigung, im Mittelpunkt steht dabei die Entschädigungsfunktion.104 Trotzdem kann der Arbeitnehmer nur entweder die sich aus § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG ergebende oder die aus § 113 Abs. 1 und 3 BetrVG folgende Abfindung verlangen.105 Beide Ansprüche schließen sich aber bereits dem Grunde nach in ihren Voraussetzungen gegenseitig aus. Setzt § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG die Sozialwidrigkeit der Kündigung voraus, verlangt § 113 Abs. 3 BetrVG deren Wirksamkeit.106 Außerdem fehlt es an einer weiteren tatbestandlichen Voraussetzung: Die „Entlassung“ des Arbeitnehmers im Rahmen des § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG beruht, anders als von § 113 Abs. 3 BetrVG vorausgesetzt, nicht auf einer Betriebsänderung, sondern ist auf eine gerichtliche Auflösung seines Arbeitsverhältnisses zurückzuführen.107 Auch die Sozialplanabfindung knüpft an eine wirksame Kündigung des Arbeitsverhältnisses an, so dass ein Arbeitnehmer entweder diese oder die Abfindung nach § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG beanspruchen kann. 108 II. Erweiterung der Regelungsbefugnis der Betriebspartner bei der Aufstellung eines Sozialplans wegen § 1a KSchG? § 1a KSchG gibt aber nicht nur Anlass zur Überprüfung der Anrechenbarkeit von Soziaplanansprüchen. Bezweckt der Gesetzgeber damit die Schaffung ei___________ 103

Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 145. BAG vom 09.11.1988, AP Nr. 6 zu § 10 KSchG 1969 Bl. 3; Biebl, in: APS, § 10 KSchG Rdnr. 38; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 10 Rdnr. 21; Spilger, in: KR, § 10 KSchG Rdnr. 11. 105 Biebl, in: APS, § 9 KSchG Rdnr. 110; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 9 Rdnr. 10; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 9 Rdnr. 68; Oetker, in: GK-BetrVG, § 113 Rdnr. 77; Richardi/Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 113 Rdnr. 38; Spilger, in: KR, § 9 KSchG Rdnr. 70. 106 Biebl, in: APS, § 9 KSchG Rdnr. 110; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 9 Rdnr. 68. 107 Oetker, in: GK-BetrVG, § 113 Rdnr. 77. 108 Biebl, in: APS, § 9 KSchG Rdnr. 117; wohl auch S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 9 Rdnr. 8; aA Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 207; Giesen, ZfA 2003, 467, 479; Raab, RdA 2005, 1, 10; Spilger, in: KR, § 9 KSchG Rdnr. 77, nach deren Auffassung beide Abfindungen zu verrechnen seien. 104

§ 8 Rechtsfolge

357

nes einfachen Verfahrens zur außergerichtlichen Beilegung eines Streits um die Wirksamkeit der Kündigung, so stellt sich die Frage, ob auch die Betriebspartner bei der Normierung von Abfindungsansprüchen in einem Sozialplan zur Entlastung der Arbeitsgerichtsbarkeit und im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens auf dieses Instrumentarium zurückgreifen oder gar die Sozialplanabfindung mit einem Verzicht des Arbeitnehmers auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage verknüpfen können (sog. „Turboprämien“). Beides ist indes abzulehnen. Anders als die Arbeitsvertragsparteien bei Abschluss eines Abwicklungsvertrages oder der Begründung eines Abfindungsanspruchs gemäß § 1a KSchG sind die Betriebspartner bei der Vereinbarung eines Sozialplans daran gehindert, Sozialplanabfindungen an den Verzicht eines Arbeitnehmers auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage oder zumindest an das Verstreichenlassen der Frist des § 4 S. 1 KSchG zu binden.109 An diesem Ergebnis hat auch die Einführung des § 1a KSchG nichts geändert.110 Ob dabei das vom LAG Niedersachsen vorgebrachte verfassungsrechtliche Argument eines Verstoßes gegen das in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Gebot effektiven Rechtsschutzes111 angesichts der eingeschränkten Grundrechtsbindung der Betriebspartner und der allenfalls mittelbaren Wirkung einer solchen Sozialplanregelung auf die Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitnehmers überzeugt, kann an dieser Stelle dahinstehen. Jedenfalls ist mit dem Zweck des Sozialplans, die durch eine betriebsbedingte Kündigung im Zuge einer Betriebsänderung auftretenden wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder zu mildern, nicht vereinbar, einem Arbeitnehmer ___________ 109

BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 1R; BAG vom 20.06.1985, AP Nr. 33 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3; BAG vom 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3 ff.; LAG Baden-Württemberg vom 19.09.1997, NZA-RR 1998, 358, 359; LAG Niedersachsen vom 16.08.2002, NZA-RR 2003, 579, 582; LAG Schleswig-Holstein vom 20.04.2004, NZA-RR 2005, 144; Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 112; Benecke, BB 2006, 938, 941; Däubler, in: DKK, §§ 112, 112a Rdnr. 43; Fitting/Engels/I. Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 106; Kania, in: ErfKomm, §§ 112, 112a BetrVG Rdnr. 23; Kraus, Abfindungen, S. 216; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 42; Matthes, in: MünchArbR III, § 362 Rdnr. 14; Oetker, in: GK-BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 279; Quecke, in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 21; aA Busch, BB 2004, 267, 269; Hanau, ZIP 2004, 1169, 1178; Kreutz, in: FS Wolf, 309, 313 f.; Merz, Abfindungsanspruch, S. 197 ff.; Raab, RdA 2005, 1, 10; Thüsing/Wege, DB 2005, 2634, 2636 f. (anders dann aber dies., JuS 2006, 97, 105). 110 BAG vom 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R f.; LAG Schleswig-Holstein vom 20.04.2004, NZA-RR 2005, 144, 145; Benecke, BB 2006, 938, 941; Kraus, Abfindungen, S. 216; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 42. Zweifelnd Spilger in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 143 AA Busch, BB 2004, 267, 269; Hanau, ZIP 2004, 1169, 1178; Merz, Abfindungsanspruch, S. 197 ff.; Raab, RdA 2005, 1, 10; Thüsing/Wege, DB 2005, 2634, 2637. 111 LAG Niedersachsen vom 16.08.2002, NZA-RR 2003, 579, 582. Bedenken äußern auch Thüsing/Wege, DB 2005, 2634, 2638.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

gleichsam als Gegenleistung zusätzliche Nachteile aufzubürden.112 Von einem Ausgleich oder einer Milderung wirtschaftlicher Nachteile kann keine Rede mehr sein, wenn Sozialplanleistungen von dem Verzicht des Arbeitnehmers auf die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes und damit von der Hinnahme auch rechtswidriger Maßnahmen des Arbeitgebers abhängig gemacht werden könnten.113 Verstößt eine Sozialplanregelung gegen diese Zweckbestimmung, fehlt sowohl den Betriebspartnern als auch der Einigungsstelle die Befugnis zur Vereinbarung einer derartigen Regelung, weil sie ihre funktionelle Regelungsmacht überschreitet.114 Anders als dies etwa ein Abfindungsvergleich oder die Vereinbarung nach § 1a KSchG bezweckt, dient der Sozialplan nicht dazu, im Wege gegenseitigen Nachgebens Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten über die zur Durchführung der Betriebsänderung vorgenommenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen zu beseitigen und ein Stillhalten der betroffenen Arbeitnehmer mit Hilfe der Leistungen des Sozialplans zu bewirken.115 Dass der Gesetzgeber mit § 1a KSchG ein legitimes Mittel der Vertragsgestaltung etabliert116 oder zumindest anerkannt hat, trifft zwar für den Bereich der individualvertraglichen Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu, lässt damit aber noch nicht auf die kollektive Regelungsbefugnis der Betriebspartner schließen.117 Keineswegs führt jede von der Rechtsordnung gebilligte einzelvertragliche Regelung auch zu einer korrespondierenden kollektiven Rechtsetzungsbefugnis, die differenzierten Kompetenzzuweisungen des BetrVG an die Betriebspartner wären anderenfalls schlicht überflüssig. 118 Dient der Sozialplan allein dem Schutz der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer, darf er nicht als Instrument eingesetzt werden, dem Unternehmen die geplante Betriebsänderung noch zu erleichtern und ihm das Risiko von

___________ 112

BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 1R f.; BAG vom 07.05.1987, NZA 1988, 15, 16; Kraus, Abfindungen, S. 216. 113 BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 1R f.; aA Thüsing/Wege, DB 2005, 2634, 2636. 114 BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 1R; BAG vom 20.06.1985, AP Nr. 33 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3; BAG vom 16.03.1994, AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 05.10.2000, AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 5R; Oetker, in: GK-BetrVG, §§ 112,112a Rdnr. 279; aA Thüsing/Wege, DB 2005, 2634, 2636; dies., JuS 2006, 97, 104. Neuerdings zweifelnd für den einvernehmlich vereinbarten Sozialplan BAG vom 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R f., das seine Begründung maßgeblich auf einen Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützt. 115 BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2. 116 Busch, BB 2004, 267, 268. 117 AA Merz, Abfindungsanspruch, S. 197 f.; Thüsing/Wege, DB 2005, 2634, 2637. 118 So aber Busch, BB 2004, 267, 269.

§ 8 Rechtsfolge

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Rechtsfehlern, die im Vollzug der Betriebsänderung unterlaufen, abzunehmen und es gar auf die betroffenen Arbeitnehmer zu verlagern.119 Sozialplanleistungen und einzelvertraglich vereinbarte Abfindungen bei Hinnahme einer Kündigung sind auch aus einem weiteren Grund nicht miteinander zu vergleichen: Anders als bei einem erzwingbaren Sozialplan ist der Arbeitgeber völlig frei, eine Abfindung einzelvertraglich zu vereinbaren.120 Aus § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG lässt sich erst recht keine Aussage bezüglich einer Zulässigkeit von Klageverzichtsklauseln in Sozialplänen entnehmen.121 Diese an die Einigungsstelle adressierte Bestimmung konkretisiert das Gebot, bei der Aufstellung des Sozialplans auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit für das Unternehmen zu achten.122 Es handelt sich damit um eine Inhaltsschranke, nicht eine Ermächtigung oder gar Aufforderung, Kostenrisiken des Arbeitgebers auf den Arbeitnehmer abzuwälzen. Die Verknüpfung von Sozialplanansprüchen mit einem Verzicht auf Kündigungsschutz führt auch zu einer Verletzung des in § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG verankerten betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes.123 Arbeitnehmer, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Kündigung haben und deshalb eine Kündigungsschutzklage erheben, verlieren, sofern sie im Prozess unterliegen, ihren Arbeitsplatz ohne Anspruch auf eine Sozialplanabfindung, während diejenigen Arbeitnehmer, deren Kündigung keinen rechtlichen Zweifeln begegnet und die deshalb auch keine Veranlassung zu einer Klage sehen, die Sozialplanabfindung erhalten.124 Eine Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich.125 Streng genommen kann § 1a KSchG nicht einmal Auskunft zur Beantwortung der Frage der Zulässigkeit einer Klageverzichtsklausel in Sozialplänen geben, da die Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG keinen Klageverzicht beinhaltet. Die Norm knüpft lediglich einen Vertragsschluss an ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers, eben das Verstreichenlassen der Klagefrist. Doch selbst die Aufnahme einer solchen Bestimmung in das Regelungsprogramm des ___________ 119

BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2; LAG BadenWürttemberg vom 19.09.1997, NZA-RR 1998, 358, 359. 120 BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2. 121 So aber Busch, BB 2004, 267, 268; Raab, RdA 2005, 1, 11. 122 Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 112 Rdnr. 164; Oetker, in: GK-BetrVG, §§ 112, 112a Rdnr. 342. 123 BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2; BAG vom 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3 f. 124 BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3. 125 BAG vom 20.12.1983, AP Nr. 17 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2R; BAG vom 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 3R.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Sozialplans überschreitet die Rechtssetzungsbefugnis der Betriebspartner. Eine an die Regelung des § 1a KSchG anknüpfende Sozialplanabfindung verschließt dem Arbeitnehmer zwar nicht die Möglichkeit zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage,126 doch kann auch dieser Umstand nicht darüber hinwegtäuschen, dass ebenso wie eine ausdrückliche Verzichtserklärung das Bestehen des Abfindungsanspruchs eine nachteilige Disposition des Arbeitnehmers über den ihm gesetzlich zustehenden Kündigungsschutz voraussetzt. Hierfür verleiht das BetrVG den Betriebspartnern keine Normsetzungsbefugnis. Allerdings lässt das BAG den Betriebspartnern unbenommen, in den Schranken des § 77 Abs. 3 BetrVG zusätzliche Abfindungszahlungen in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung, § 88 BetrVG, für den Fall zu vereinbaren, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch macht.127 Eine solche Betriebsvereinbarung verstoße weder gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, § 75 Abs. 1 S. 1 BetrVG, noch gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB.128 Jedoch dürfe auf diese Weise nicht das Verbot umgangen werden, Sozialplanabfindungen an einen Klageverzicht zu binden. 129 Dies sei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln, wobei eine Umgehung insbesondere dann vorliegen könne, wenn der Sozialplan keine angemessene Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile vorsehe oder Anhaltspunkte bestehen, dem an sich für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Finanzvolumen seien zum Nachteil der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer Mittel entzogen und funktionswidrig im „Bereinigungsinteresse“ des Arbeitgebers eingesetzt worden.130

H. Auswirkungen des § 1a KSchG auf das Arbeitsförderungsrecht nach dem SGB III Ob § 1a KSchG in der Rechtspraxis Verbreitung finden wird, hängt wesentlich von den sozialversicherungsrechtlichen Folgen des Abfindungsanspruchs ab. Sanktioniert etwa § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III den Abschluss dieser Abfindungsvereinbarung mit einer Sperrzeit von zwölf Wochen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, so verkehrt sich der wirtschaftliche Vorteil der Abfindungszahlung für jeden Arbeitnehmer, der nur eine relativ kurze Unternehmenszugehörigkeit von vier Jahren oder weniger aufweisen kann, in das Gegenteil. Zusätzlich stellt sich für den Arbeitnehmer auch die Frage, ob der Ab___________ 126

Hanau, ZIP 2004, 1169, 1178. BAG 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 4. 128 BAG 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 4R. 129 BAG 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 6. 130 BAG 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 6. 127

§ 8 Rechtsfolge

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findungsanspruch auch zu den für ihn negativen Konsequenzen des § 143a Abs. 1 S. 1 SGB III führen kann. Schließlich ist für beide von Interesse, ob auf die Abfindungssumme Beiträge zur Sozialversicherung abzuführen sind. I. Beitragspflicht Zumindest die letzte der aufgeworfenen Frage ist zu verneinen: Die Abfindung nach § 1a KSchG unterliegt nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung.131 Nach § 14 Abs. 1 SGB IV sind zwar auf alles Arbeitsentgelt, das für die Zeit bis zum beendeten Arbeitsverhältnis gezahlt bzw. geschuldet wird, Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten.132 Der Begriff des Arbeitsentgelts ist dabei weit zu verstehen, weshalb dazu alle laufenden und einmaligen Einnahmen aus einem Beschäftigungsverhältnis zählen, die entweder unmittelbar oder im Zusammenhang mit diesem erzielt werden, gleichgültig, ob auf die Einnahmen ein Rechtsanspruch besteht und unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie vom Arbeitgeber geleistet werden.133 Abfindungen, die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt werden, zählen dazu aber nicht, sie sind vielmehr Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes und daraus künftig entstehender Nachteile sowie Abgeltung für den Verlust sozialer Besitzstände.134 II. Abfindungsanspruch und Sperrzeit, § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III Die meiste Aufmerksamkeit des rechtswissenschaftlichen Schrifttums zieht das Verhältnis des Abfindungsanspruchs gemäß § 1a KSchG zu der Sperrzeitenregelung des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB auf sich. Bereits die Beratungen des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Arbeit beschäftigten sich mit dieser Frage. Einige Abgeordnete befürchteten, der Abfindungsanspruch könne eine Sperrzeit auslösen und befragten daher die Bundesregierung, ob zur Vermeidung dieses unerwünschten Ergebnisses eine ergänzende gesetzliche Bestimmung in das Gesetz aufgenommen werden müsse.135 Die Bundesregierung sah unter Berufung auf die Rechtsprechung des BSG indes keinen Handlungsbedarf: Eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe treffe den Arbeitnehmer nur dann, ___________ 131

Däubler, NZA 2004, 177, 180; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 30; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 37; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 22; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 33; Maschmann, AuA 10 /2003, 6, 11; Merz, Abfindungsanspruch, S. 173; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 150; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 301; I.Wolff, in: KR, SozR Rdnr. 16a. 132 I. Wolff, in: KR, SozR Rdnr. 13. 133 I. Wolff, in: KR, SozR Rdnr. 13a. 134 BSG vom 21.02.1990, SozR 3-2400 § 14 SGB IV Nr. 2 S. 2 ff.; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 150; I. Wolff, in: KR, SozR Rdnr. 15. 135 BT-Drs. 15/1587, S. 27.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

wenn dieser die Arbeitslosigkeit aktiv verursacht habe.136 Die von § 1a KSchG vorgesehene bloße Hinnahme einer Kündigung reiche dafür nicht aus.137 Diese Auffassung ist nicht nur in der Literatur – zumindest im Ergebnis – auf nahezu einhellige Zustimmung gestoßen,138 sie fand, was für den mit einem Abfindungsangebot konfrontierten Arbeitnehmer von ungleich größerer praktischer Bedeutung ist, ihren Niederschlag auch in der Durchführungsanweisung der Bundesagentur für Arbeit zu § 144 SGB III. Dort heißt es unter der Rdnr. 144.13: „Ebenfalls liegt auch kein Sperrzeittatbestand vor, wenn die nicht offensichtlich rechtswidrige […] arbeitgeberseitige Kündigung auf betriebsbedingte Gründe gestützt wird und eine Abfindung nach § 1a KSchG gezahlt wird […].“ Nach § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III tritt eine Sperrzeit ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, § 144 Abs. 1 S. 1 SGB III. Der Eintritt einer Sperrzeit führt nicht nur, wie § 144 Abs. 2 S. 2 SGB III vermuten lässt, zu einem Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, vielmehr mindert sich dieser gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 3 und 4 ___________ 136

BT-Drs. 15/1587, S. 27. BT-Drs. 15/1587, S. 27. 138 Backmeister, in: Backmeister/Trittin/Mayer, KSchG, § 1a KSchG Rdnr. 11; Bader, NZA 2004, 65, 72; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 18; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77, 78; dies., NZA 2004, 640, 641; Besgen, FA 2004, 173, 174; Boecken/Hümmerich, DB 2004, 2046, 2048 f.; Däubler, NZA 2004, 177, 180; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 32; Hanau, ZIP 2004, 1169, 1177; Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 38; Heuchemer/Insam, BB 2004, 1679, 1681; Kern/Kreutzfeld, NJW 2004, 3081, 3082; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 23; Kraus, Abfindungen, S. 116 f.; Lepsien/Welslau, FA 2004, 232, 235; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 66; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 34; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 12; Merz, Abfindungsanspruch, S. 182 f.; Nägele, ArbRB 2004, 80, 82; Peters-Lange/Gagel, NZA 2005, 740, 741; Preis, DB 2004, 70, 76 (allerdings differenzierend ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167o); Preis/Schneider, NZA 2006, 1297, 1302; Quecke, RdA 2004, 86, 95; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 6; Raab, RdA 2005, 1, 12; Rolfs, ZIP 2004, 333, 341; ders., in: FS 50 Jahre BAG, S. 446, 455; Sartorius/Bubeck, ZAP 2004, Fach 17, 771, 774; von SteinauSteinrück/Hurek, ZIP 2004, 1486, 1490; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 103 f.; Voelzke, NZS 2005, 281, 287; Weßler-Hoth, info-also 2003, 246, 247 f.; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 183; A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 20 (allerdings differenzierend ders., BB 2004, 378, 381). Zweifelnd Buschmann, AuR 2004, 1, 3; Gaul/Bonanni, ArbRB 2003, 177, 179; dies., ArbRB 2004, 48, 50; Tschöpe, MDR 2004, 193, 199; Zerres/Rhotert, FA 2004, 2, 5. Differenzierend Ebert, ArbRB 2004, 246, 247 f.; Elz, BuW 2004, 388, 391; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 188; Lilienfeld/Spellbrink, RdA 2005, 88, 96; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 171 f.; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 154; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 299 f.; A. Wolff, BB 2004, 378, 381; I. Wolff, in: KR, § 144 SGB III Rdnr. 18a ff. 137

§ 8 Rechtsfolge

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SGB III um die Zeit des Ruhens; im Fall einer zwölfwöchigen Sperrzeit sogar um mindestens ein Viertel der Anspruchsdauer, die dem Arbeitslosen bei erstmaliger Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Ereignis, welches die Sperrzeit begründet, zusteht. Darüber hinaus bewirkt die Verhängung einer Sperrzeit nach Maßgabe des § 31 Abs. 4 Nr. 3 SGB II auch eine Kürzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II. Bei unbefangener Betrachtung des § 1a KSchG scheint die Rechtslage eindeutig: Verbindet der Arbeitgeber eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse mit einem Angebot nach § 1a KSchG, so hat er und eben nicht der Arbeitnehmer mittels Ausspruch der Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet. Die Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG enthält keine Willenserklärung des Arbeitnehmers, die auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, sondern trifft ausschließlich Regelungen zu dessen Abwicklung. 1. Der Lösungstatbestand in der Rechtsprechung des BSG zum Abwicklungsvertrag Allerdings ist der sozialversicherungsrechtliche Begriff des Beschäftigungsverhältnisses nicht gleichbedeutend mit der arbeitsrechtlichen Kategorie des Arbeitsverhältnisses.139 Gleichzeitig knüpft damit auch der Lösungsbegriff nicht allein an rechtsgeschäftliche, sondern zusätzlich an tatsächliche Verhaltensweisen des Arbeitnehmers an.140 Löst der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis, verletzt er eine Obliegenheit des Inhalts, nicht durch aktives Tun die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses herbeizuführen.141 Besonders deutlich wird dies an dem Wortlaut des § 144 Abs. 1 S. 1 SGB III in der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung, der das Auslösen der Sperrzeit an ein „versicherungswidriges Verhalten“ des Arbeitnehmers knüpft. Bildet der vom Bestand eines Arbeitsverhältnisses grundsätzlich unabhängige leistungsrechtliche Begriff des Beschäftigungsverhältnisses den für den Lösungsbegriff zutreffenden Anknüpfungspunkt, so ist nicht allein die Rechtmäßigkeit der zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führenden Willenserklärungen, sondern ___________ 139

BSG vom 25.04.2002, SozR 3-4300 § 144 Nr. 8 S. 14; BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 20; Gagel, NZA 2005, 1328; Rolfs, in: FS 50 Jahre BAG, S. 446, 449; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 135; Voelzke, in: KassHandbSGBIII, § 12 Rdnr. 270; ders., NZS 2005, 281, 283 f.; I. Wolff, in: KR, § 144 SGB III Rdnr. 6. 140 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 21; Voelzke, in: KassHandbSGBIII, § 12 Rdnr. 270; I. Wolff, in: KR, § 144 SGB III Rdnr. 6; aA Rolfs, in: FS 50 Jahre BAG, S. 446, 449; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 137. 141 Geiger, NZA 2003, 838, 839; Rolfs, in: FS 50 Jahre BAG, S. 446, 449; Voelzke, in: KassHandbSGBIII, § 12 Rdnr. 288; ders., NZS 2005, 281 f.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

vielmehr eine Beurteilung des tatsächlichen Geschehensablaufs für die Beantwortung der Frage maßgebend, ob der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis gelöst hat.142 Zwar kommt den rechtsgeschäftlichen Erklärungen häufig eine ausschlaggebende Bedeutung zu, wenn die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Einheit bilden, stets ist aber nach dem „tatsächlichen Grund“ für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zu fragen.143 Keinen Zweifeln unterliegen nach der Rechtsprechung des BSG damit die Fälle der Eigenkündigung144 oder des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages:145 In beiden Fällen löse der Arbeitnehmer das Beschäftigungsverhältnis, unabhängig davon, ob die Initiative zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages von ihm oder dem Arbeitgeber ausgegangen ist. Auf der anderen Seite bestehe aber auch keine Obliegenheit des Arbeitnehmers, sich zur Vermeidung einer Sperrzeit gegen eine rechtswidrige Kündigung zu wehren. 146 Weder der einen noch der anderen Kategorie zuzuordnen ist der Abwicklungsvertrag, in dem der Arbeitgeber nach Ausspruch einer Kündigung mit dem Arbeitnehmer eine Vereinbarung trifft, die sich auf die Folgen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses bezieht. In einem Urteil vom 09.11.1995 heißt es jedoch, bereits der Abschluss eines Abwicklungsvertrages, mit dem nach Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber Vereinbarungen über Abfindungen, Entschädigungen und ähnliche Leistungen anlässlich des Ausscheidens getroffen werden, erfülle den Lösungstatbestand.147 Auch in diesem Fall beteilige sich ein Arbeitnehmer an der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, weil er sich der Möglichkeit begebe, die Rechtswidrigkeit der ausgesprochenen Kündigung überprüfen zu lassen.148 Auch wenn ein Arbeitnehmer eine Kündigung lediglich hinnehme und der Arbeitgeber finanzielle Vergünstigungen zusage, habe eine umfassende Würdigung des tatsächlichen Verhalten darüber zu entscheiden, ob die Arbeitsvertragsparteien nicht tatsächlich einen Aufhebungsvertrag verdeckten, so dass gemäß § 117 Abs. 2 BGB die für diesen gel___________ 142

BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 21. BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 22. 144 BSG vom 13.08.1986, SozR 4100 § 119 Nr. 28 S. 126; BSG vom 25.10.1988, SozR 4100 § 119 Nr. 33 S. 159; BSG vom 05.11.1998, SozR 3-4100 § 119 AFG Nr. 16 S. 72; BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 22. 145 BSG vom 13.08.1986, SozR 4100 § 119 Nr. 28 S. 126; BSG vom 25.10.1988, SozR 4100 § 119 Nr. 33 S. 159; BSG vom 05.06.1997, SozR 3-1500 § 144 SGG Nr. 12 S. 25; BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 22. 146 BSG vom 25.04.2002, SozR 3-4100 § 119 AFG Nr. 24 S. 124; BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 22. 147 BSG vom 09.11.1995, SozR 3-4100 § 119 AFG Nr. 9 S. 41. 148 BSG vom 09.11.1995, SozR 3-4100 § 119 AFG Nr. 9 S. 41. 143

§ 8 Rechtsfolge

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tenden Vorschriften anzuwenden sind.149 Von dieser Auffassung schien das Gericht mit seinem Urteil vom 25.04.2002 zunächst wieder abzurücken. Allein die bloße Hinnahme einer Arbeitgeberkündigung, so heißt es dort, stelle noch kein Fehlverhalten des Arbeitnehmers dar, welches den Eintritt einer Sperrzeit zu rechtfertigen vermag.150 Das treffe auch dann zu, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ausdrücklich eine finanzielle Vergünstigung verspreche.151 Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 144 SGB III belegten, dass die Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe nur an ein aktives Verhalten des Versicherten, nicht aber an eine bloße Hinnahme der Kündigung anknüpfe.152 Seit seinem Urteil vom 18.12.2003 sieht das Gericht bei jeder Vereinbarung eines Abwicklungsvertrages im Anschluss an eine Arbeitgeberkündigung den Tatbestand des Lösens des Beschäftigungsverhältnisses erfüllt.153 Die Sperrzeitenregelung bezwecke, den Arbeitnehmer davon abzuhalten, sich an der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses aktiv zu beteiligen.154 Bei Vornahme einer Bewertung des tatsächlichen Geschehensablaufs unter Einbeziehung der zu Grunde liegenden Interessen der Beteiligten sei jedoch nicht zweifelhaft, dass der Arbeitnehmer auch durch den Abschluss eines Abwicklungsvertrages, in dem er ausdrücklich oder konkludent auf die Geltendmachung seines Rechts zur Klageerhebung verzichtet, einen wesentlichen Beitrag zur Herbeiführung der Beschäftigungslosigkeit leiste.155 Dabei komme es nicht darauf an, ob eine Vereinbarung über die Hinnahme der Arbeitgeberkündigung vor oder nach deren Ausspruch getroffen wurde.156 Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Sperrzeit, die Versichertengemeinschaft typisierend gegen Risikofälle zu schützen, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat, mache es keinen wesentlichen Unterschied, ob der Arbeitnehmer an der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages mitwirke oder ob seine aktive Beteiligung darin liege, dass er hinsichtlich des ___________ 149

BSG vom 25.04.2002, SozR 3-4100 § 119 AFG Nr. 24 S. 123 f.; BSG vom 09.11.1995, SozR 3-4100 § 119 AFG Nr. 9 S. 42. 150 BSG vom 25.04.2002, SozR 3-4100 § 119 AFG Nr. 24 S. 124. 151 BSG vom 25.04.2002, SozR 3-4100 § 119 AFG Nr. 24 S. 124. 152 BSG vom 25.04.2002, SozR 3-4100 § 119 AFG Nr. 24 S. 124. 153 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 23. So bereits Geiger, NZA 2003, 838, 839; Schweiger, NZS 2001, 519, 521; Voelzke, in: KassHandbSGBIII, § 12 Rdnr. 285 (anders aber für Abwicklungsverträge mit Abfindungen in Höhe des § 1a Abs. 2 KSchG ders., NZS 2005, 281, 287 f.). Dem BSG widersprechend Boecken/Hümmerich, DB 2004, 2046, 2047 ff.; Kern/Kreutzfeld, NJW 2004, 3081 f.; Preis/Schneider, NZA 2006, 1297, 1303 sowie Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 150 ff. Kritisch im Hinblick auf § 1a KSchG auch Lilienfeld/Spellbrink, RdA 2005, 88, 96 f. 154 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 23. 155 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 23. 156 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 23.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Bestandes der Kündigung und deren Folgen verbindliche Vereinbarungen eingehe.157 In beiden Fällen treffe ihn eine wesentliche Verantwortung für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses; beide stellten sich als wirtschaftlich gleichwertige Handlungsformen dar, wobei der Abschluss eines Abwicklungsvertrages dem Arbeitnehmer lediglich hinsichtlich seiner sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen einen Vorteil bieten solle.158 Unerheblich sei schließlich auch, ob dem Arbeitnehmer bereits vor Ausspruch der Kündigung der Abschluss eines Abwicklungsvertrages in Aussicht gestellt wurde.159 Allerdings weist das Gericht in der Entscheidung auch darauf hin, dass unter bestimmten Umständen Vereinbarungen, die einer Arbeitgeberkündigung nachfolgen, nicht den Tatbestand des Lösens eines Beschäftigungsverhältnisses erfüllten. Zum einen sei dies dann denkbar, wenn in einer nach Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG und ohne vorherige Absprachen oder Ankündigungen getroffenen Vereinbarung lediglich Einzelheiten zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geregelt werden.160 Ferner könne eine besondere Betrachtung für Vereinbarungen geboten sein, die ohne vorherige Absprache in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren geschlossen werden, weil den Arbeitnehmer nach den Vorschriften des SGB III keine Obliegenheit zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage treffe.161 Auch im Übrigen treffe den Arbeitnehmer bei Abschluss eines Abwicklungsvertrages nicht stets eine Sperrzeit. Spreche der Arbeitgeber eine objektiv rechtmäßige Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse aus, so könne sich der Arbeitnehmer auf einen wichtigen Grund i.S.d. § 144 Abs. 1 S. 1 SGB III berufen, da im Hinblick auf den ohnehin nicht zu vermeidenden Eintritt der Beschäftigungslosigkeit kein Interesse der Versichertengemeinschaft bestehe, den Arbeitnehmer von der Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen abzuhalten.162 In seinem Urteil vom 12.07.2006 hat das BSG in einem obiter dictum nunmehr eine Wende seiner restriktiven Auslegung des Sperrzeittatbestandes angekündigt. Im Hinblick auf den zum 01.01.2004 in Kraft getretenen § 1a KSchG erwägt das Gericht, bei Abschluss eines Aufhebungs- bzw. Abwicklungsvertrages künftig einen wichtigen Grund bereits ohne Prüfung der Rechtmäßigkeit der (drohenden) Arbeitgeberkündigung anzuerkennen, wenn die ge___________ 157

BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 23. BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 23 f. 159 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 24. 160 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 24. 161 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 24. Dazu ausführlich Gagel, NZA 2005, 1328, 1329 ff. Zum Nichtbestehen einer Obliegenheit zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage auch bereits BSG vom 25.04.2002, SozR 3-4100 § 119 AFG Nr. 24 S. 124. 162 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 25. 158

§ 8 Rechtsfolge

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zahlte Abfindung den in § 1a Abs. 2 KSchG vorgesehenen Betrag nicht überschreitet.163 2. Abfindungsvereinbarung gemäß § 1a KSchG und Lösungstatbestand Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung lässt sich die nahezu vorbehaltlose Annahme der Literatur, wonach ein Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG keine Sperrzeit auslöse, zumindest nicht ohne nähere Begründung aufrechterhalten. Im Ergebnis führt auch die Abfindungsvereinbarung gemäß § 1a KSchG genauso zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne gerichtliche Überprüfung der Kündigung wie der Abschluss eines Abwicklungsvertrages mit ausdrücklichem oder konkludentem Klageverzicht. Gleichwohl erfüllt der Abschluss einer Abfindungsvereinbarung gemäß § 1a KSchG regelmäßig nicht den Lösungstatbestand des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III und löst damit keine Sperrzeit aus. Das Zustandekommen der Vereinbarung nach § 1a KSchG unterscheidet sich zum Abschluss eines Abwicklungsvertrages dadurch, dass der Arbeitnehmer nicht aktiv zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses beiträgt, sondern lediglich passiv unterlässt, sich gegen die arbeitgeberseitige Kündigung zur Wehr zu setzen.164 Anders als bei einem Abwicklungsvertrag läge ohne die von § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG gesetzlich angeordnete Fiktion der Annahmeerklärung noch nicht einmal eine Willenserklärung des Arbeitnehmers vor. Gerade dieser Fiktion bedarf es für das Zustandekommen der Vereinbarung, da allein dem passiven Verstreichenlassen der Klagefrist noch kein Erklärungswert beizumessen ist. Der Arbeitnehmer nimmt die Kündigung einfach nur hin, was für sich allein betrachtet nicht den Lösungstatbestand erfüllen kann.165 Erst das Gesetz ordnet dem rein passiven Verhalten eine rechtsgeschäftliche Bedeutung zu, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass der Arbeitnehmer eben nicht aktiv i.S.d. § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III an der Auflösung seines Beschäftigungsverhältnisses mitgewirkt hat.166 Ein weiterer ___________ 163

BSG vom 12.07.2006, NZA 2006, 1359, 1361. Kritisch I. Wolff, in: KR, § 144 SGB III Rdnr. 18c. Einen anderen Ansatz verfolgen Preis/Schneider, NZA 2006, 1297, 1298 ff.: Nach deren Auffassung trete nur bei einem dem Arbeitnehmer vorwerfbaren Abschluss eines Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrages eine Sperrzeit ein. Dies sei bereits dann nicht mehr der Fall, wenn der Arbeitnehmer von der Rechtmäßigkeit der (drohenden) Kündigung ausgehen durfte. 164 J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 640, 641; Preis, DB 2004, 70, 76; Sartorius/Bubeck, ZAP 2004, Fach 17, 771, 774; von Steinau-Steinrück/Hurek, ZIP 2004, 1486, 1489; Voelzke, NZS 2005, 281, 287. 165 Sartorius/Bubeck, ZAP 2004, Fach 17, 771, 774; I. Wolff, in: KR, § 144 SGB III Rdnr. 18a. 166 AA Kraus, Abfindungen, S. 115, die bereits dem bloßen Schweigen des Arbeitnehmers unter Anwendung des § 151 S. 1 BGB Erklärungswert zumisst und so konsequent zu einem anderen Ergebnis gelangt.

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2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

wesentlicher Unterschied zu einem „gewöhnlichen“ Abwicklungsvertrag besteht darin, dass der Arbeitnehmer im Rahmen des § 1a KSchG eigene Rechtsschutzmöglichkeiten nicht aus der Hand gibt.167 Anders als in dem Sachverhalt, der dem Urteil des BSG vom 18.12.2003 zugrunde liegt, erklärt der Arbeitnehmer im Rahmen des § 1a KSchG weder ausdrücklich noch konkludent einen Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Trotz eines wirksamen Angebots des Arbeitgebers steht es ihm frei, innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG eine Kündigungsschutzklage zu erheben, die Abfindungsvereinbarung kommt erst mit Ablauf dieser Frist zustande. Folglich liegen bei einem Verfahren nach § 1a KSchG keine tatsächlichen Anhaltspunkte vor, die auf ein aktives Verhalten des Arbeitsnehmers an der Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses schließen lassen. Von einem Lösen des Beschäftigungsverhältnisses kann entgegen der anders lautenden Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit auch dann nicht ausgegangen werden, wenn die Kündigung offensichtlich rechtswidrig ist, der Arbeitnehmer aber gleichwohl die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage verstreichen lässt und so gemäß § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG ein Abfindungsanspruch entsteht.168 Das ist beispielsweise dann denkbar, wenn der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer unter Verletzung von Sonderkündigungsschutzrechten kündigt, etwa einer Schwangeren ohne vorherige Einholung der Zustimmung der zuständigen Arbeitsschutzbehörde gemäß § 9 Abs. 3 S. 1 MuSchG.169 Allein die Hinnahme einer Kündigung vermag noch keine Sperrzeit auszulösen. Das BSG hat sich in seinem Urteil vom 25.04.2002 ausdrücklich gegen eine Rechtsfortbildung im Sinne eines offenen Lösungsbegriffs gewandt 170 und dies in dem Urteil vom 18.12.2003 noch einmal bestätigt.171 Allerdings sind die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III erfüllt, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Vorfeld des Abschlusses einer Vereinbarung nach § 1a KSchG Absprachen treffen.172 Unter Berücksichtigung des tatsächlichen Geschehensablaufs bereitete bereits diese einvernehmlich ge___________ 167

Preis, DB 2004, 70, 76; A. Wolff, BB 2004, 378. Lilienfeld/Spellbrink, RdA 2005, 88, 95; Sartorius/Bubeck, ZAP 2004, Fach 17, 889, 892; aA I. Wolff, in: KR, § 144 SGB III Rdnr. 18d. 169 Regelmäßig kommt dabei allerdings wegen § 4 S. 4 KSchG keine Abfindungsvereinbarung zustande, vgl. dazu oben unter § 7 C II 1 b), S. 275 ff. 170 BSG vom 25. 4. 2002, SozR 3-4100 § 119 AFG Nr. 24 S. 124. 171 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 23. 172 Ebert, ArbRB 2004, 246, 247; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 188; Lilienfeld/Spellbrink, RdA 2005, 88, 96; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167o; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 172; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 299 f.; A. Wolff, BB 2004, 378, 381; aA Merz, Abfindungsanspruch, S. 183; Peters-Lange/Gagel, NZA 2005, 740, 741; Raab, RdA 2005, 1, 12; I. Wolff, in: KR, § 144 SGB III Rdnr. 18b. 168

§ 8 Rechtsfolge

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troffene Vorfeldabsprache der Kündigung und damit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Boden.173 Dass diese mündliche Vereinbarung wegen § 623 BGB das Arbeitsverhältnis noch nicht aufzulösen vermag, spielt für die sozialrechtliche Beurteilung keine Rolle.174 Möglich ist aber auch hier eine Ausnahme. Ist die Kündigung objektiv rechtmäßig, so stellt dies nach der Rechtsprechung des BSG einen wichtigen Grund i.S.d. § 144 Abs. 1 S. 1 SGB III dar,175 eine Sperrzeit tritt nicht ein.176 Eine Sperrzeit tritt schließlich auch dann ein, wenn der Arbeitgeber dringende betriebliche Erfordernisse nur vorgeschoben hat, tatsächlich aber Gründe in dem Verhalten des Arbeitnehmers den Ausschlag für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses geliefert haben.177 Der Arbeitnehmer kann in diesem Fall zwar die Abfindung beanspruchen, allerdings hat er gemäß § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III „durch ein arbeitsvertragwidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben“, so dass die Bundesagentur für Arbeit bereits aus diesem Grund eine Sperrzeit verhängt. Keineswegs gebietet die „Einheit der Rechtsordnung“, § 1a KSchG im Wege systematischer Auslegung generell vom Anwendungsbereich des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III auszunehmen.178 Zwar sind mithilfe der systematischen Auslegung Widersprüche zwischen gleichrangigen Normen, wenn möglich, zu vermeiden.179 Konkurrieren jedoch die Zielsetzungen der verschiedenen Normen, so sind die Bestimmungen so auszulegen, dass deren Zwecke in einem angemessenen Verhältnis zueinander zur Geltung kommen.180 Sinn und Zweck des § 1a KSchG einerseits und der des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III andererseits sind zumindest in Teilen gegenläufig. Während § 1a KSchG die Arbeitsvertragsparteien geradezu ermuntert, das von dieser Norm bereitgestellte Verfahren einer außergerichtlichen Beilegung des Streits über die Wirksamkeit einer Kündigung beizulegen,181 bezweckt die Regelung des § 144 Abs. 1 SGB III, die Versichertengemeinschaft typisierend gegen Risikofälle zu schüt___________ 173

Ebert, ArbRB 2004, 246, 247. Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 300. 175 BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 25. 176 Dies soll nach Voelzke, NZS 2005, 281, 288, bei von § 1a KSchG geringfügig abweichenden Abfindungsvereinbarungen stets der Fall sein. 177 Ebert, ArbRB 2004, 246, 247 f.; Elz, BuW 2004, 388, 391. 178 So aber Hanau, ZIP 2004, 1169, 1177; Raab, RdA 2005, 1, 12; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 103. Wohl auch Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 38; Kraus, Abfindungen, S. 116 und Merz, Abfindungsanspruch, S. 182 f. 179 Zippelius, Methodenlehre, S. 53. 180 Zippelius, Methodenlehre, S. 55. 181 Thüsing/Wege, DB 2005, 2634, 2637. 174

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

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zen, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat.182 Blieben sämtliche nach § 1a KSchG zustande gekommenen Abfindungsvereinbarungen im Rahmen des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III unberücksichtigt, wäre die Zwecksetzung des § 144 Abs. 1 SGB III konterkariert; die Arbeitsvertragsparteien könnten zu Lasten der Versichertengemeinschaft einvernehmlich bereits im Vorfeld die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses über den Weg des § 1a KSchG verabreden, ohne dass der Arbeitnehmer den Eintritt einer Sperrfrist befürchten müsste. Eine derartige Auslegung aber ist nicht zulässig. Hingegen berücksichtigt die hier vertretene Auffassung die Zielsetzungen beider Normen in angemessener Weise: Grundsätzlich erfüllt danach das Bestehen einer Vereinbarung nicht den Tatbestand des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III, womit sich der Zweck des § 1a KSchG regelmäßig voll entfalten kann. Wirkt jedoch der Arbeitnehmer aktiv an der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit, sei es durch eine Vorfeldabsprache der Arbeitsvertragsparteien, sei es dadurch, dass den Arbeitgeber tatsächlich verhaltensbedingte Gründe zum Ausspruch der Kündigung bewogen haben, überwiegt das Interesse der Versichertengemeinschaft, sich mit Hilfe des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III vor dem versicherungswidrigen Verhalten des Arbeitnehmers zu schützen. Ob das BSG diese Grenzziehung zwischen „normalem“ Abwicklungsvertrag und Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG, die mehr einer Gratwanderung gleicht, nachvollziehen wird, bleibt abzuwarten. Die mit Urteil vom 12.07.2006 wegen § 1a KSchG angekündigte Rechtsprechungsänderung des Gerichts für Aufhebungsverträge lässt jedoch erwarten, dass das Gericht ein Vorgehen der Arbeitsvertragsparteien nach § 1a KSchG stets für sperrzeitneutral erachten wird, und zwar auch dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung das Verfahren nach § 1a KSchG abgesprochen haben. De lege ferenda ist nur zu wünschen, dass der Gesetzgeber eine Klarstellung im Rahmen des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III veranlasst. III. Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, § 143a Abs. 1 S. 2 SGB III Ebenfalls von Bedeutung ist für den Arbeitnehmer, der eine Abfindung nach § 1a KSchG beanspruchen kann, die Vorschrift des § 143a Abs. 1 S. 1 SGB III. Hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der maßgeblichen ordentlichen Kündigungsfrist beendet und der Arbeitnehmer eine Abfindung oder andere Entlassungsentschädigung erhalten, so ruht nach dieser Bestimmung der Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte. Der Begriff der Entlassungsentschädigung umfasst alle Leistungen, die der Arbeitgeber wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewährt und die sich auf den Verlust des ___________ 182

BSG vom 18.12.2003, SozR 4-4300 § 144 SGB III Nr. 6 S. 23.

§ 8 Rechtsfolge

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Arbeitsplatzes beziehen, nicht aber solche Leistungen, mit denen Ansprüche auf Arbeitsentgelt abgefunden werden, die also für die Zeit bis zum festgelegten Ende des Arbeitsverhältnisses bestimmt sind.183 Auch die nach Maßgabe des § 1a KSchG gewährte Abfindung, die kein Arbeitsentgelt i.S.d. § 14 Abs. 1 SGB IV ist, erfüllt diese Voraussetzung. Kann der Arbeitnehmer eine solche Abfindung beanspruchen, ruht damit auch der Anspruch auf Arbeitslosengeld, sofern der Arbeitgeber nicht die einschlägige Kündigungsfrist eingehalten hat. Gleiches trifft gemäß § 143a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Alt. 2 SGB III auch auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld des ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers zu, den der Arbeitgeber unter Einräumung einer sozialen Auslauffrist außerordentlich kündigt, dabei aber eine kürzere als die für vergleichbare Arbeitnehmer einschlägige Kündigungsfrist wählt. IV. Erstattungspflicht des Arbeitgebers, § 147a Abs. 1 Satz 1 SGB III Von § 147a Abs. 1 S. 1 SGB III, der den Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzung zur Erstattung des Arbeitslosengeldes verpflichtete, wenn dieser einem mindestens 55 Jahre alten Arbeitnehmer kündigt, gehen jedoch keine Rechtswirkungen mehr aus. § 147a SGB III gilt nicht für Ansprüche auf Arbeitslosengeld, die nach dem 31.01.2006 entstehen und deren verkürzte Dauer sich dann nach § 127 Abs. 2 SGB III in seiner ab dem 01.02.2006 geltenden Fassung richtet, § 434l Abs. 4 SGB III. Die Vorschrift ist damit praktisch außer Kraft getreten.

I. Steuerrechtliche Behandlung des Abfindungsanspruchs aus § 1a KSchG Leistungen, die der Arbeitnehmer allein wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhält, zählen zu den steuerpflichtigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach Maßgabe der §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 24 Nr. 1 lit. a EStG,184 womit auch der Abfindungsanspruch aus einer Vereinbarung gemäß § 1a KSchG erfasst ist.185 Die ursprünglich in § 3 Nr. 9 EStG geregelte Steuerfreiheit für diese Abfindung, die, in Abhängigkeit vom Lebensalter des Arbeitnehmers und der Dauer des Arbeitsverhältnisses, zwischen 7.200,- und 11.000,- Euro betrug, hat der ___________ 183

Voelzke, in: KassHandbSGBIII, § 12 Rdnr. 181; I. Wolff, in: KR, § 143a SGB III Rdnr. 20. 184 BFH vom 10.07.1996, BFHE 181, 155, 157; BFH vom 13.10.1978, BFHE 126, 399, 402. 185 Merz, Abfindungsanspruch, S. 167; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 149.

372

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

Gesetzgeber mit dem am 01.01.2006 in Kraft getretenen „Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm“ vom 22.12.2005186 aufgehoben. Damit aber unterliegt die Abfindung gemäß § 1a KSchG noch nicht der vollen Besteuerung, sondern ist unter den Bedingungen der §§ 24 Nr. 1, 34 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG steuerbegünstigt. Voraussetzung dafür ist zum einen, dass die Abfindungszahlung eine Entschädigungsleistung als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen im Sinne des § 24 Nr. 1 lit. a EStG darstellt. Aus dem Begriff des Ersatzes folgt, dass die Entschädigung an die Stelle weggefallener Einnahmen getreten sein muss, also auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruht.187 Die Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG bildet eine derartige neue Rechtsgrundlage: Der Arbeitgeber zahlt eine Abfindung als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes und gilt damit die aus der Auflösung des Arbeitsverhältnisses resultierenden Einnahmeausfälle des Arbeitnehmers ab, ohne damit gleichzeitig eine Verpflichtung aus dem beendeten Arbeitsverhältnis zu erfüllen. Zum anderen verlangt das Tatbestandsmerkmal „außerordentliche“, § 34 Abs. 1 S. 1 EStG, dass in dem Veranlagungszeitraum eine Zusammenballung von Einkünften stattgefunden hat, die zu einer Erhöhung der Einkünfte gegenüber dem Betrag führt, der dem Steuerpflichtigen bei Ausbleiben des schadensstiftenden Ereignisses zugeflossen wäre. 188 Das Merkmal der Zusammenballung ist stets erfüllt, wenn die gezahlte Entschädigung die bis zum Ende des Veranlagungszeitraums entgehenden Einnahmen, die der Arbeitnehmer bei Fortsetzung bezogen hätte, übersteigt.189 Demgegenüber liegt eine Zusammenballung nicht vor, wenn die Entschädigungszahlung nicht zu einer Erhöhung der Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit im Veranlagungszeitraum führt, hätte das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestanden.190 Sie kommt aber auch dann in Betracht, soweit der Arbeitnehmer im Jahr des Zuflusses weitere Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt, die er nicht erhalten hätte, wäre das Beschäftigungsverhältnis ungestört fortgesetzt worden und er dadurch mehr als bei normalem Lauf der Dinge erhält.191 Zur ___________ 186

BGBl. I, 3682. BFH vom 25.08.1993, BStBl. II 1994, 185, 186; Horn, in: Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 24 EStG Rdnr. 25; Vogt, in: KR, §§ 3, 24, 34 EStG Rdnr. 79. 188 BFH vom 06.09.1995, BFH/NV 1996, 204, 205; BFH vom 04.03.1998, BFHE 185, 429, 431; Horn, in: . Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 34 EStG Rdnr. 54; Vogt, in: KR, §§ 3, 24, 34 EStG, Rdnr. 87. 189 Moderegger, ArbRB 2004, 315, 316; Vogt, in: KR, §§ 3, 24, 34 EStG, Rdnr. 87. 190 BFH vom 06.09.1995, BFH/NV 1996, 204, 205; BFH vom 04.03.1998, BFHE 185, 429, 431; Gänger, in: Bordewin/Brandt, § 34 Rdnr. 20; Vogt, in: KR, §§ 3, 24, 34 EStG, Rdnr. 43. 191 BFH vom 06.09.1995, BFH/NV 1996, 204, 205; Horn, in: Hermann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, § 34 EStG Rdnr. 54; Moderegger, ArbRB 2004, 315, 316; Vogt, in: KR, §§ 3, 24, 34 EStG, Rdnr. 87. 187

§ 8 Rechtsfolge

373

Vergleichsberechnung ist grundsätzlich auf die Einkünfte aus dem Vorjahr abzustellen.192 Im Ergebnis führt § 34 Abs. 1 S. 1 EStG mit der so gen. „Fünftelregelung“ dann zu einer Milderung der Tarifprogression.193

___________ 192

BFH vom 04.03.1998, BFHE 185, 429, 434; Horn, in: Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 34 EStG Rdnr. 54; Moderegger, ArbRB 2004, 315, 316. 193 Zur Berechnung etwa Schrettl/S. Meyer, in: Kruse/Meyer/Rau, Abfindungsregelungen, Rdnr. 184.

§ 9 Die Stellung des § 1a KSchG im System des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes A. Ablösung oder Ergänzung des Bestandsschutzprinzips? Eine grundlegende Neuorientierung des gesetzlichen Kündigungsschutzes ist mit § 1a KSchG nicht verbunden. Die darin geregelte Abfindungsvereinbarung hat nicht zu einer auch nur teilweisen Ablösung des Bestandsschutzprinzips geführt, sondern ordnet sich in das System arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes ein.1 § 1a KSchG lässt die Möglichkeit des Arbeitnehmers unberührt, Kündigungsschutzklage mit dem Ziel der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu erheben. Sie bietet lediglich ein zusätzliches Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung von Bestandsschutzstreitigkeiten. Die Norm beschränkt sich damit in der gesetzlichen Ausgestaltung eines speziellen Abwicklungsvertrages,2 ohne aber selbst einen exklusiven Vertragstypus zu schaffen. § 1a KSchG hindert den Arbeitgeber nicht, einen Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag mit abweichendem Inhalt zu schließen und dabei einen Abfindungsanspruch zugunsten des Arbeitnehmers zu begründen.3 Er kann selbstverständlich auch eine geringere als die nach § 1a Abs. 2 KSchG zu berechnende Abfindungssumme anbieten.4 Darin liegt keine gesetzeswidrige Umgehung zwingender Vorschriften des ___________ 1

Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 13. J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77, 78; Düwell, ZTR 2004, 130, 131; Rolfs, ZIP 2004, 333, 343; Schewiola, Abwicklungsvertrag, S. 170; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 229. 3 LAG Baden-Württemberg vom 26.06.2006, LAGE Nr. 4 zu § 1a KSchG S. 5; Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 3; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 2; Bader, NZA 2004, 65, 72; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 22; Däubler, NZA 2004, 177, 178; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 19; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186 f.; Grobys, DB 2003, 2174, 2176; Hergenröder, in: MünchKommBGB, § 1a KSchG Rdnr. 26; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 2; Lakies, NJ 2004, 150, 153; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 64; Preis, DB 2004, 70, 71; Quecke, in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 13; Raab, RdA 2005, 1, 4; Rolfs, ZIP 2004, 333, 342; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 21, 47; Thüsing/Stelljes, BB 2003, 1673, 1677; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 105; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 232; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 1, 16. 4 LAG Baden-Württemberg vom 26.06.2006, LAGE Nr. 4 zu § 1a KSchG S. 8; Ascheid, in: APS, § 1a KSchG Rdnr. 3; Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1a KSchG Rdnr. 2; Bader, in: BBDW, § 1a Rdnr. 22; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 19; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 2; Kraus, Abfindungen, S. 213; Lakies, NJ 2004, 150, 155; Linck, in: Schaub, ArbRHdB, § 132 Rdnr. 64; Preis, DB 2004, 70, 73; Rolfs, ZIP 2004, 333, 342; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 21, 60; Thüsing/Wege, 2

§ 9 Stellung im System des Bestandsschutzes

375

Kündigungsrechts,5 da § 1a KSchG ein zwingender Charakter angesichts der Wahlfreiheit des Arbeitgebers, überhaupt eine Abfindung anbieten zu wollen, fehlt.6 § 1a KSchG ist die Antwort des Gesetzgebers auf die geringe praktische Relevanz des Bestandsschutzprinzips in der Kündigungspraxis. Das darin geregelte Verfahren soll ausweislich der Gesetzesbegründung die Arbeitsvertragsparteien geradezu ermuntern, nicht den Weg eines Kündigungsschutzprozesses mit dem Ziel der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu beschreiten, sondern einen Streit um die Wirksamkeit einer Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse außergerichtlich gegen Zahlung einer Abfindung beizulegen.7 Die Beteuerung des Gesetzgebers, mit § 1a KSchG ein einfaches, effizientes und kostengünstiges Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung geschaffen zu haben,8 ist zugleich auch Ausdruck des Eingeständnisses der mangelnden Effizienz und Durchsetzungskraft des Bestandsschutzprinzips. Der Gesetzgeber diagnostiziert den Realitätsverlust des gesetzlichen Kündigungsschutzes9 und erkennt auch das Interesse des Arbeitnehmers an einer Abfindung bei einer betriebsbedingten Kündigung, deren Ursachen ausschließlich der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen sind, an,10 verweigert sich aber der auch aus rechtsvergleichender Perspektive nahe liegenden Lösung, zumindest eine gesetzliche Grundlage für einen Abfindungsanspruch bei jeder betriebsbedingten Kündigung zu schaffen.

B. § 1a KSchG im System rechtsgeschäftlicher Abfindungsansprüche § 1a KSchG stellt somit lediglich ein zusätzliches Verfahren zur Beilegung eines Streits über die Wirksamkeit einer Kündigung mittels einer rechtsgeschäftlichen Abfindungsvereinbarung zur Verfügung, das nicht an die Stelle, sondern neben das Bestandsschutzprinzip des KSchG tritt. § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG erleichtert dabei den Vertragsschluss erheblich, indem diese Bestimmung die rechtsgeschäftliche Annahmeerklärung des Arbeitnehmers fingiert, soweit dieser untätig bleibt und innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG keine Kündigungsschutzklage erhebt. Demgegenüber bedarf der Abschluss eines ___________ JuS 2006, 97, 106; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 16; aA Mayer, AiB 2004, 19, 22; Meinel, DB 2003, 1438, 1439. 5 So aber wohl Mayer, AiB 2004, 19, 22; Meinel, DB 2003, 1438, 1439. 6 Maschmann, AuA 10 /2003, 6, 10. 7 BT-Drs. 14/1204, S. 9, 12. 8 BT-Drs. 14/1204, S. 9. 9 BT-Drs. 14/1204, S. 9. 10 BT-Drs. 14/1204, S. 12.

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

376

Abwicklungsvertrages bzw. eines gerichtlichen Abfindungsvergleiches einer ausdrücklichen oder konkludenten Willenserklärung des Arbeitnehmers, sein bloßes Schweigen hat keinen Erklärungsgehalt. 11 I. Abfindungsvereinbarungen unter Nichtbeachtung der Voraussetzungen des § 1a KSchG Der Eintritt der Annahmefiktion des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG ist an zahlreiche materielle wie auch formelle Voraussetzungen gebunden. Weicht der Antrag des Arbeitgebers von diesen Vorgaben ab, so entsteht, abgesehen von dem Fall des Angebots einer höheren als der von § 1a Abs. 2 KSchG vorgesehenen Abfindung,12 keine Abfindungsvereinbarung nach § 1a KSchG. In Betracht kommt dies nicht nur bei einem den Anforderungen des § 1a Abs. 2 KSchG unterschreitenden Abfindungsbetrag oder einem ausdrücklichen Bezug des Arbeitgebers auf eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber etwa die Abfindungszahlung unter den Vorbehalt einer Anrechnung auf eine Sozialplanabfindung stellt, einen Widerrufsvorbehalt erklärt,13 das Schriftformerfordernis nicht beachtet oder sein Angebot nicht gleichzeitig mit der betriebsbedingten Kündigung erklärt. Lässt der Arbeitnehmer auf ein derartiges Angebot die Frist des § 4 S. 1 KSchG verstreichen, so zeitigt dieses Verhalten, abgesehen von der Wirksamkeitsvermutung des § 7 KSchG für die zusammen mit dem Abfindungsangebot erklärte Kündigung, keine Rechtsfolgen; eine Abfindungsvereinbarung ist allein mit dem Schweigen des Arbeitnehmers nicht zustande gekommen. 14 Eben___________ 11

Vgl. dazu bereits einleitend unter § 2 A III 3 a), S. 49. Vgl. dazu oben unter § 7 D II 2, S. 296 f. 13 Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 186; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 100; aA Merz, Abfindungsanspruch, S. 88 f.; Raab, RdA 2005, 1, 7. 14 Düwell, ZTR 2004, 130, 131; Nägele, ArbRB 2003, 274, 276 (anders aber ders., ArbRB 2004, 80, 81); Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 47; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 183; aA LAG Baden-Württemberg vom 26.06.2006, LAGE Nr. 4 zu § 1a KSchG S. 9 f.; Bader, NZA 2004, 65, 72; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 22; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Däubler, NZA 2004, 177, 179 f.; Elz, BuW 2004, 388, 389 f.; S. Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1a Rdnr. 19; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 187; Grobys, DB 2003, 2174, 2176; Kittner, in: KDZ, § 1a KSchG Rdnr. 30; Kraus, Abfindungen, S. 131; Lakies, NJ 2004, 150, 154; Löwisch, BB 2004, 154, 158; Löwisch/Spinner, KSchG, § 1a Rdnr. 18 ff.; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 10; Merz, Abfindungsanspruch, S. 106; Preis, DB 2004, 70, 73; Quecke, RdA 2004, 86, 94; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 3, 13; Thüsing/Wege, JuS 2006, 97, 102; Weyand, in: Düwell/Weyand, Agenda 2010, Rdnr. 237; A. Wolff, BB 2004, 378, 380; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 16; wohl auch Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, § 1a KSchG Rdnr. 26 f. Zweifelnd Raab, RdA 2005, 1, 4, nach dessen Auffassung das Verstreichenlassen der Frist des § 4 S. 1 KSchG nicht ohne weiteres eine Annahme darstelle. 12

§ 9 Stellung im System des Bestandsschutzes

377

so wie bereits bei einem den Anforderungen des § 1a KSchG genügenden Angebot hilft dem Arbeitnehmer auch nicht die von der Gegenauffassung angeführte Vorschrift des § 151 S. 1 BGB. Eine Annahme des Abfindungsangebots ist für den Arbeitnehmer nicht lediglich rechtlich vorteilhaft15, stets ist diese mit dem Verlust des Rechts auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage verbunden. Darüber hinaus droht dem Arbeitnehmer, wenn er im Vorfeld entsprechende Absprachen mit dem Arbeitgeber trifft, auch die Verhängung einer Sperrzeit gemäß § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III oder es treffen ihn die nachteiligen Rechtsfolgen des § 143a Abs. 1 S. 1 SGB III, wenn der Arbeitgeber bei der Kündigung nicht die einschlägige Kündigungsfrist beachtet.16 Dieses Ergebnis führt keineswegs zu einer unbilligen Härte für den Arbeitnehmer. Er kann etwa das Angebot des Arbeitgebers ausdrücklich annehmen und so in den Genuss der Abfindung gelangen. Diese Möglichkeit besteht zumindest bis zum Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG, da der Arbeitnehmer innerhalb dieser Frist jederzeit Klage erheben kann und die Abfindungsvereinbarung nach dem Willen des Arbeitgebers erst mit Ablauf der Klagefrist entstehen soll. Ob dem Arbeitnehmer auch über diesen Zeitpunkt hinaus die Annahme des Angebots offen steht, richtet sich, sofern der Arbeitgeber nicht ausdrücklich eine Annahmefrist gemäß § 148 BGB bestimmt hat, nach der Bestimmung des § 147 Abs. 2 BGB: Demzufolge kann der einem Abwesenden gemachte Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Mit seiner Aussage, der Arbeitnehmer könne die Abfindung beanspruchen, wenn er die Frist des § 4 S. 1 KSchG verstreichen lasse, gibt er aber zu erkennen, dass zwischen den Arbeitsvertragsparteien spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen des Abfindungsanspruchs herrschen soll. Mit dem Ablauf der Klagefrist erlischt folglich auch der Antrag des Arbeitgebers, § 146 BGB, eine Annahme zu einem späteren Zeitpunkt ist nicht möglich.17 Nimmt der Arbeitnehmer das Angebot jedoch nicht ausdrücklich an, wozu er regelmäßig auch keine Veranlassung sehen wird, da der Arbeitgeber in seinem Angebot ja erklärt, bereits mit dem Verstreichenlassen der Klagefrist komme die Abfindungsvereinbarung zustande, so kann er zwar keine Abfindung beanspruchen. Allerdings eröffnet ihm § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG dann den Weg einer nachträglichen Zulassung der Kündigungsschutzklage. Ebenso wie bei einer unwirksamen Abfindungsvereinbarung18 ist der Arbeitnehmer, der unzutreffend ___________ 15

Vgl. dazu oben unter § 6 B IV 2, S. 242 f. Vgl. dazu oben unter § 8 H, S. 361 ff. 17 Bader, in: BBDW, § 1a Rdnr. 5; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 183; aA Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 187; Löwisch, BB 2004, 154, 158. 18 Kraus, Abfindungen, S. 187; Preis, DB 2004, 70, 74. 16

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

378

davon ausgeht, mit Verstreichenlassen der Klagefrist komme er in den Genuss einer Abfindung, trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben, § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG. II. Vorteile des von § 1a KSchG bereitgestellten Verfahrens Damit stellt sich abschließend die Frage nach den Vorzügen des von § 1a KSchG bereitgestellten Verfahrens gegenüber der bereits vor Inkrafttreten dieser Norm bestehenden Möglichkeit zum Abschluss eines Abwicklungsvertrags bzw. Abfindungsvergleichs. Die Ankündigung des Gesetzgebers, mit § 1a KSchG eine einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess geschaffen zu haben,19 hat sich jedenfalls nicht erfüllt. Das Verfahren nach § 1a KSchG bietet den Arbeitsvertragsparteien zwar auch Vorteile, jedoch überwiegen bei der Handhabung dieser Norm die Nachteile. So eröffnet der Wortlaut § 1a KSchG bereits einen breiten Auslegungsspielraum bei der Bestimmung der Rechtsnatur des Abfindungsanspruchs, was eine heftige Kontroverse im rechtswissenschaftlichen Schrifttum ausgelöst hat, die keineswegs unerheblich ist, sondern erst den Weg für eine zutreffende Anwendung der Norm ebnet. Darüber hinaus fehlt eine Abstimmung mit weiteren Regelungen des gesetzlichen Kündigungsschutzes. Dazu gehören das Recht des Arbeitnehmers auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage, § 5 KSchG, und die Vorschrift des § 6 KSchG. Weitere Problemfelder eröffnet die Verknüpfung eines Hinweises nach § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG mit einer außerordentlichen Kündigung bzw. einer Änderungskündigung. Sachgerechte Ergebnisse lassen sich hier bisweilen nur mit erheblichem Begründungsaufwand erzielen. Unverständlich bleibt schließlich auch, warum der Gesetzgeber trotz mehrerer ausdrücklicher Hinweise noch während des Gesetzgebungsverfahrens keine Regelung zur Behandlung der Abfindung nach § 1a KSchG im Rahmen des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III getroffen hat. Demgegenüber nehmen sich die Vorteile des § 1a KSchG vergleichsweise bescheiden aus. Im Gegensatz zum Arbeitgeber kommt dem Arbeitnehmer sicherlich die gesetzliche Annahmefiktion des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG entgegen, die eine ausdrückliche oder konkludente Annahmeerklärung ersetzt und ihm darüber hinaus noch die gesamte Klagefrist als Bedenkzeit zur Verfügung stellt, zwischen dem Abfindungsanspruch und einer Klageerhebung zu wählen. Für beide Seiten vorteilhaft ist schließlich auch die eindeutige Festlegung der Abfindungshöhe durch § 1a Abs. 2 KSchG, die keine Zweifel an der Berechnung aufkommen lässt und auch hinsichtlich ihrer Höhe aufgrund der vom Gesetzge___________ 19

BT-Drs. 15/1204, S. 12.

§ 9 Stellung im System des Bestandsschutzes

379

ber vorgenommenen angemessenen Abwägung beider Interessen der Arbeitsvertragsparteien Rechtsfrieden gewährleistet. Ein höheres Maß an Rechtssicherheit ebenso wie an Flexibilität bietet hingegen der Abwicklungsvertrag: Anders als im Rahmen des § 1a KSchG muss sich der Arbeitgeber dabei nicht auf die Unsicherheit einlassen, bis zum Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG doch noch mit einer Kündigungsschutzklage konfrontiert zu werden, sondern kann mit dem Arbeitnehmer im unmittelbaren Anschluss an die Kündigung einen Klageverzicht vereinbaren. Auch können die Arbeitsvertragsparteien in einem Abwicklungsvertrag flexibel auf möglicherweise offene Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis reagieren und entsprechende Regelungen treffen, während sich der Inhalt der Vereinbarung gemäß § 1a KSchG auf die Begründung eines Abfindungsanspruchs beschränkt.20 Sollte sich in der Kündigungspraxis aber das Verfahren des § 1a KSchG gegenüber dem Abwicklungsvertrag durchsetzen, so ist dies weniger dem Regelungsgehalt des § 1a KSchG geschuldet, als vielmehr den praktischen Auswirkungen des Urteils des BSG vom 18.12.2003. Löst danach jeder Abschluss eines Abwicklungsvertrages nach Maßgabe des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III eine Sperrzeit aus, so besteht für den Arbeitnehmer kein Grund, sich auf einen solchen einzulassen, während § 1a KSchG ein zumindest im Grundsatz sperrzeitneutrales Verfahren für die außergerichtliche Beilegung eines Streits über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung bereitstellt. Zu erwarten ist dies jedoch nicht, zumal das BSG mit Urteil vom 12.07.2006 angekündigt hat, den Sperrzeittatbestand künftig selbst für Aufhebungsverträge verneinen zu wollen, sofern die vereinbarte Abfindung nur den Vorgaben des § 1a Abs. 2 KSchG entspricht oder niedriger ausfällt. Damit sollte der zwischenzeitlich dem Abwicklungsvertrag anhaftende Makel der Sperrzeit in Zukunft wieder beseitigt sein. Auch der gerichtliche Abfindungsvergleich löst nach der Rechtsprechung des BSG keine Sperrzeit aus. Zur Beilegung eines Streits über die Wirksamkeit einer Kündigung ist aber der Weg des § 1a KSchG vorzugswürdig. Zwar erwirbt der Arbeitnehmer dabei, anders als bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleiches gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, keinen Vollstreckungstitel. Jedoch besteht im Rahmen des § 1a KSchG nicht das mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage für den Arbeitnehmer verbundene Risiko, dass der Arbeitgeber seine Strategie ändert, sich doch nicht auf einen Vergleich einlässt und die Kündigung sich als rechtswirksam erweist. Entspricht die Höhe der Abfindung gemäß § 1a Abs. 2 KSchG im Wesentlichen den durchschnittlich gezahlten Abfindungsbeträgen, dürfte außerdem die Wahrscheinlichkeit, dass der Arbeitnehmer auf einen Vergleichsvorschlag trifft, der über den Umfang des § 1a ___________ 20

A. Wolff, in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 22.

2. Teil: Abfindung nach § 1a KSchG

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Abs. 2 KSchG hinausgeht, gering ausfallen. Dass § 1a KSchG den Arbeitnehmer geradezu ermutige, eine Kündigungsschutzklage zu erheben, weil der Arbeitgeber sich aufgrund der angebotenen Abfindung offensichtlich unschlüssig über die Rechtmäßigkeit der Kündigung sei, steht also nicht zu befürchten.21 Schließlich sparen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Rahmen des § 1a KSchG auch noch die für ein gerichtliches Verfahren aufzuwendenden Rechtsverfolgungskosten ein, so dass der gerichtliche Vergleich bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise schlechter abschneiden muss.22 Bestehen jedoch Zweifel an der Zahlungswilligkeit des Arbeitgebers, kann sich für den Arbeitnehmer im Hinblick auf den mit einem gerichtlichen Abfindungsvergleich erworbenen Vollstreckungstitel die Erhebung einer Kündigungsschutzklage als die effektivere Wahrnehmung seiner Interessen erweisen.23

C. Reaktionen auf § 1a KSchG – Ausblick auf den weiteren Gang der Reformdebatte Lässt § 1a KSchG das Bestandsschutzprinzip des KSchG unangetastet, indem diese Norm den Arbeitsvertragsparteien lediglich eine zusätzliche Variante des Abwicklungsvertrages anbietet, die den Rechtsanwender zudem noch in zahlreiche Auslegungsprobleme führt, so verwundert nicht, dass diese Norm im Schrifttum auf nahezu einhellige Ablehnung gestoßen ist.24 Besonders pointiert tritt diese bei Rolfs zutage: Anstelle den Arbeitsvertragsparteien wie angekündigt ein einfaches, effizientes und kostengünstiges Verfahren für eine vorge___________ 21

AA Bader, NZA 2004, 65, 70; ders., in: BBDW, § 1a Rdnr. 2; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77; Gaul/Bonanni, ArbRB 2003, 177, 179; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 12; Preis, DB 2004, 70, 75; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; A. Wolff, BB 2004, 378, 381; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 22. 22 Düwell, ZTR 2004, 130, 131. 23 Preis, DB 2004, 70, 75. 24 Bader, NZA 2004, 65, 70; J.-H. Bauer, NZA 2004, 195, 196 f.; J.-H. Bauer/Krieger, NZA 2004, 77, 79; Buchner, DB 2003, 1510, 1516; ders., Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 113, 119; Buschmann, AuR 2004, 1, 3; Eckert, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 125, 130; Elz, BuW 2004, 388, 391; Gaul/Bonanni, ArbRB 2003, 177, 179; dies., ArbRB 2004, 48, 50; Giesen/Besgen, NJW 2004, 185, 189; Hanau, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 86, 87; Henssler, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 76, 77; Klosterkemper, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 94, 97; Kraus, Abfindungen, S. 222 f.; Maschmann, AuA 10/2003, 6, 12; Mayer, AiB 2004, 19, 21; Meinel, DB 2003, 1438, 1439; Nägele, ArbRB 2003, 274, 276; ders., ArbRB 2004, 80, 83; Preis, DB 2004, 70, 75; ders., NZA 2004, 195, 196; ders., in: FS Wißmann, S. 45, 55; ders., in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1167 f.; Rieble, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 90, 91; Quecke, RdA 2004, 86, 94; ders., in: HWK, § 1a KSchG Rdnr. 2; Rolfs, ZIP 2004, 333, 342 f.; Spilger, in: KR, § 1a KSchG Rdnr. 11; Tschöpe, MDR 2004, 193, 198; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 181; A. Wolff, BB 2004, 378, 381; ders., in: Dornbusch/Wolff, § 1a Rdnr. 22; Zerres/Rhotert, FA 2004, 2, 5. Ein positives Zeugnis stellt demgegenüber Merz, Abfindungsanspruch, S. 213 ff., der Vorschrift aus.

§ 9 Stellung im System des Bestandsschutzes

381

richtliche Klärung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anzubieten, habe der Gesetzgeber „ein bürokratisches Monstrum geschaffen, das kein einziges Problem löst, aber neue gleich im Dutzend aufwirft“.25 § 1a KSchG hat damit den Ruf nach einer grundlegenden Neuausrichtung des gesetzlichen Kündigungsschutzes nicht verstummen lassen. Nicht nur das Schrifttum drängt auch weiterhin auf eine Ablösung des von der Rechtspraxis überholten Bestandsschutzprinzips durch Abfindungsansprüche.26 Im Bundestagswahlkampf 2005 haben CDU und CSU zum wiederholten Male ihr bereits mehrfach27 an den Gesetzgeber herangetragenes Konzept eines radikalen Umbaus des Kündigungsrechts vorgestellt, das einen vollständigen Ausschluss des gesetzlichen Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung auf der Grundlage rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien vorsieht.28 Die Regierungsbildung mit der SPD in einer großen Koalition hat diese beabsichtigte Reform des Kündigungsschutzes nur zeitlich aufgeschoben, zumal die Koalition nunmehr selbst auf eine weitere Liberalisierung des Kündigungsrechts drängt.29 Auch der Sachverständigenrat mahnt in seinem Jahresgutachten 2006/07 eine stärkere Lockerung des gesetzlichen Kündigungsschutzes, nicht zuletzt durch eine Ablösung des Bestandsschutzprinzips durch Abfindungsansprüche, an.30

___________ 25

Rolfs, ZIP 2004, 333, 343. J.-H. Bauer, NZA 2005, 1046; Wolf, AuA 2006, 8, 9. 27 Vgl. dazu oben unter § 4 C II 1, S. 127 ff. 28 Vgl. dazu das im Bundestagswahlkampf vorgestellte Regierungsprogramm „Deutschlands Chancen nutzen. Wachstum. Arbeit. Sicherheit.“, im Internet abrufbar unter http://www.regierungsprogramm.cdu.de/download/regierungsprogramm-05-09-cdu csu.pdf (28.02.2008). 29 Vgl. dazu den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD „Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit“ vom 11.11.2005, S. 29 f., im Internet abrufbar unter http://www.cducsu.de/upload/koavertrag0509.pdf (28.02.2007). Darin kündigen die Parteien eine Ausdehnung der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG auf zwei Jahre an, gleichzeitig soll aber auch die Regelung des § 14 Abs. 2 TzBfG, die den Abschluss eines auf bis zu zwei Jahren sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrages ermöglicht, entfallen. 30 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2006/07, BT-Drs. 16/3450, Rdnr. 554 ff. 26

3. Teil

Abfindungsansprüche zur Ergänzung oder Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes im Lichte der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes Die ungeachtet der Einführung des § 1a KSchG nach wie vor aktuelle und mit konkreten Regelungsvorschlägen verbundene Diskussion über eine Reform des gesetzlichen Kündigungsschutzes fordert zu einer näheren Betrachtung der diskutierten Reformmodelle auf. Verstehen diese sich als Alternative zu dem noch fest am Prinzip des Bestandsschutzes orientierten geltenden Kündigungsrecht, geraten zwangsläufig die im Grundrechtskatalog des GG verbürgten Grundrechte in den Blick. Bei seiner Entscheidung, den Kündigungsschutz von einem Bestandsschutz hin zu einem Abfindungsschutz zu verändern, kann der Gesetzgeber nicht einen unbegrenzten Entscheidungsspielraum ausschöpfen, sondern unterliegt den Bindungen des übergeordneten Verfassungsrechts. Das weitaus höchste Gewicht erlangen dabei die Grundrechte, deren Bedeutung für die übrige Rechtsordnung sich wohl kaum überschätzen lässt 1. Dieser von Volkmann getroffene Einschätzung zum aktuellen Stand der Grundrechtsdogmatik lässt sich mühelos auch bezüglich des Einflusses der Grundrechte auf den arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz gewinnen, die Judikatur von BVerfG und BAG zeichnet die in diesem Bereich wachsende Bedeutung der Grundrechte eindrucksvoll nach. So hat die grundrechtliche Dimension des gesetzlichen Kündigungsschutzes das BVerfG bereits mehrfach beschäftigt, angefangen mit dem „WDR-Beschluss“ vom 13.01.19822 über die Entscheidungen „Warteschleife“3 und „Akademie der Wissenschaften“4 bis hin zu dem richtungsweisenden „Kleinbetriebs-Beschluss“ vom 27.01.19985. Ziel dieses dritten Teils der Arbeit ist nun die möglichst präzise Bestimmung des verfassungsrechtlichen Rahmens für eine verstärkt am Prinzip des Abfindungsschutzes orientierte Neuausrichtung des gesetzlichen Kündigungsschutzes. Während die §§ 10 und 11 mit einer Analyse von Grundrechtsbindung und Grundrechtsfunktionen das dafür notwendige dogmatische Fundament bereiten, ___________ 1

Volkmann, JZ 2005, 261. BVerfG vom 13.01.1982, BVerfGE 59, 231 ff. 3 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133 ff. 4 BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360 ff. 5 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169 ff. 2

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

383

schließt sich unter § 12 eine Untersuchung der einschlägigen grundrechtlichen Schutz- und Abwehrrechte an. Den Schwerpunkt dieses Teils bildet jedoch § 13 mit einer Kontrolle der wichtigsten Reformvorschläge auf ihre Grundrechtskonformität. Die Untersuchung kann dabei keineswegs auf ein unangefochtenes dogmatisches Gerüst der Grundrechtsinterpretation zurückgreifen, vielmehr steht die tradierte Grundrechtsdogmatik zunehmend in der Kritik: Die gefundenen Ergebnisse erwiesen sich als beliebig und kaum vorhersehbar;6 Möllers bemängelt „die im weltweiten Rechtsvergleich wohl einmalige Verdichtung grundrechtlicher Bindungen, die hemdsärmelige Herleitung abwägungsgeeigneter verfassungsrechtlicher Güter und die Gleichsetzung jeder individuellen Freiheitswahrnehmung mit Grundrechtsschutz“.7 Ossenbühl beklagt eine „Überflutung der gesamten Rechtsordnung durch Grundrechtsgehalte“.8 So beschäftigen sich zahlreiche in den letzten Jahren erschienene Beiträge mit einer Neuordnung der Grundrechtsdogmatik9 und auch das BVerfG10 selbst beschreitet bei der Prüfung des Grundrechts der Berufsfreiheit, das in der nachfolgenden Untersuchung eine zentrale Rolle spielen wird, mit einer Beschränkung des Schutzbereichs neue Wege. Die vorliegende Arbeit kann angesichts ihres begrenzten Untersuchungsgegenstandes dieser Diskussion nicht umfassend Rechnung tragen. Sie orientiert sich daher an dem überkommenen Grundrechtsverständnis des BVerfG, welches auch das noch überwiegende verfassungsrechtliche Schrifttum teilt.

___________ 6

Volkmann, JZ 2005, 261. Möllers, NJW 2005, 1973, 1978. 8 Ossenbühl, in: Papier/Merten, HGR I, § 15 Rdnr. 43. 9 Aus den Jahren 2000 bis 2005 sind allein drei Habilitationsschriften anzuzeigen: Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 66 ff., will die Grundrechtsfunktionen auf Abwehrrechte und Schutzpflichten beschränken; T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 66 ff., plädiert für eine stärkere Rückbesinnung auf die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte; Lindner, Grundrechtsdogmatik, S. 478 ff., löst sich gar ganz von dem bisherigen komplexen mehrdimensionalen Grundrechtsverständnis und entwickelt ein neues universalistisches Schema der Grundrechtsanwendung. Vgl. zur Neuausrichtung der Grundrechtsdogmatik auch Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165 ff.; W. Kahl, Der Staat 43 (2004), 167 ff. sowie Hoffmann-Riehm, Der Staat 43 (2004), 203 ff. 10 Vgl. dazu den „Glykolwein-Beschluss“ des Gerichts vom 26.06.2002, BVerfGE 105, 252 ff. 7

§ 10 Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers und Mehrdimensionalität der Grundrechte A. Die Intensität der Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers Der Gesetzgeber ist unmittelbar an die Grundrechte gebunden, Art. 1 Abs. 3 GG. Diese Aussage, welche Art. 20 Abs. 3 GG aufgreift und auf die verfassungsmäßige Ordnung erstreckt, stellt seinem insoweit unmissverständlichen Wortlaut zufolge jegliche Aktivität des parlamentarischen Gesetzgebers unter den Vorbehalt der Vereinbarkeit mit Grundrechten, sei es bei der Verabschiedung eines öffentlich-rechtlichen Gesetzes, sei es, was hier interessiert, bei einer Änderung des dem Privatrecht zuzuordnenden KSchG1. Die Wirkung der Grundrechte geht dabei weit über deren „klassische“ Abwehrfunktion hinaus. Die Gesamtheit aller Grundrechte verkörpert eine objektive Wertordnung, anhand derer der Gesetzgeber sein Handeln zu orientieren hat und welche zu einer prinzipiellen Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte führt.2 Seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes beschäftigt dieses mehrdimensionale Grundrechtsverständnis die verfassungsrechtliche Rechtsprechung, beginnend mit dem richtungsweisenden „Lüth-Urteil“ vom 15.01.19583, sowie bereits vorher4 das rechtswissenschaftliche Schrifttum. Standen in den 50iger und 60iger Jahren die „unmittelbare“ oder „mittelbare“ Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses,5 verlagerte sich dieser Schwerpunkt spätestens mit der ersten Entscheidung des BVerfG zur strafrechtlichen Neubewertung des Schwangerschaftsabbruchs6 auf die Ableitung von Schutzpflichten aus den einzelnen ___________ 1

Der gesetzliche Kündigungsschutz ist Teil der Privatrechtsordnung, vgl. dazu nur Preis, RdA 1995, 333, 339 f.; Richardi, in: MünchArbR I, § 1 Rdnr. 32; Schaub, in: ders., ArbRHdB, § 2 Rdnr. 6. 2 Ständige Rspr. des BVerfG seit dem „Lüth-Urteil“ vom 15.01.1958, BVerfGE 7, 198, 205; vgl. nur BVerfG vom 08.07.1997, BVerfGE 96, 189, 201; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 178 f.; grundlegend Dürig, AöR 81 (1956), 117 ff. 3 BVerfG vom 15.01.1958, BVerfGE 7, 198, 205. 4 Grundlegend Dürig, AöR 81 (1956), 117 ff. 5 Vgl. hierzu nur BVerfG vom 15.01.1958, BVerfGE 7, 198, 205; Dürig, in: FS Nawiasky, S. 157, 158 f.; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 1960, S. 285 ff.; Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 15. 6 BVerfG vom 25.02.1975, BVerfGE 39, 1 ff.

§ 10 Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers

385

Grundrechten, nicht zuletzt auch auf deren Auswirkungen auf das Privatrecht7. Die letzten Jahre schließlich standen, bezogen auf die Tätigkeit des BVerfG, mit der „Handelsvertreter-Entscheidung“ vom 07.02.19908 sowie der „Bürgschafts-Entscheidung“ vom 19.10.19939, vermehrt unter dem Vorzeichen des Einflusses grundrechtlicher Wertungen auf Zivilrecht und rechtsgeschäftliche Beziehungen. Bereits angeklungen ist die historische, aber noch lange nicht beendete Diskussion um die Wirkung der Grundrechte im Privatrecht unter den Stichworten „unmittelbare“ und „mittelbare Drittwirkung“.10 Inhaltlich beschäftigt sie sich mit der Grundrechtsbindung von Privatrechtssubjekten untereinander. Bekanntlich hat sich die Auffassung einer mittelbaren Drittwirkung durchsetzen können, wonach die Grundrechte innerhalb einer Privatrechtsbeziehung nicht unmittelbar gelten, sondern in ihrer objektiv-rechtlichen Dimension insbesondere im Wege der grundrechtskonformen Auslegung privatrechtlicher Generalklauseln auf diese ausstrahlen.11 Hier interessieren aber nicht die Einwirkung von Grundrechten auf das Verhältnis von Privatrechtssubjekten untereinander, sondern die Bindung des Privatrechtsgesetzgebers bei der Änderung zwingender Normen des KSchG. Gleichwohl wird das Dogma der mittelbaren Grundrechtswirkung auch auf die Grundrechtsverpflichtung des Gesetzgebers zu übertragen versucht. Ungeachtet der Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG ist in den vergangenen Jahren die Diskussion um eine allenfalls „mittelbare“ Grundrechts___________ 7

Canaris, AcP 184 (1984), 201, 225 ff. BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242 ff. 9 BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214 ff. 10 Die Terminologie ist uneinheitlich. Weit überwiegend wird der Begriff der „Drittwirkung“ in dem eben beschriebenen Zusammenhang verwendet. Vereinzelt wird aber ganz unbefangen von „Drittwirkung“ auch dann gesprochen, wenn eine Norm des Privatrechts an Grundrechten gemessen wird, vgl. Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 200 Fn. 116; Rüfner, in: HdBStR V, § 116 Rdnr. 25. Ausführlich zur Drittwirkungsproblematik Poscher, Abwehrrechte, S. 245 ff. 11 BVerfG vom 15.01.1958, BVerfGE 7, 198, 205; BVerfG vom 26.02.1969, BVerfGE 25, 256, 263; BVerfG vom 11.05.1976, BVerfGE 42, 143, 148; BVerfG vom 23.04.1986, BVerfGE 73, 261, 269; BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 256; Badura, Staatsrecht, Rdnr. C 23; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 181; Rüfner, in: HdBStR V, § 117 Rdnr. 70 f. AA ursprünglich das BAG vom 03.12.1954, AP Nr. 2 zu § 13 KSchG Bl. 3R ff.; BAG vom 10.06.1964, AP Nr. 3 zu Art. 24 VerfNRW Bl. 2R f. Aus dem Schrifttum von Münch, Staatsrecht II, Rdnr. 188; Nipperdey, RdA 1950, 121, 124 f. Das BAG hat seine Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung nicht ausdrücklich aufgegeben, ist aber schon bald dazu übergegangen, in den Grundrechten den Ausdruck einer allgemeinen Wertordnung zu sehen, die auch für das Privatrecht gelte und dieses über Generalklauseln beeinflusse, vgl. dazu bereits BAG vom 23.02.1959, AP Nr. 1 zu Art. 5 Abs. 1 GG Meinungsfreiheit Bl. 2R; BAG GS vom 27.02.1985, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht Bl. 7 f.; sowie aktuell BAG vom 19.06.2001, AP Nr. 3 zu § 3 BetrVG 1972 Bl. 6 f. 8

386

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

bindung auch bei Erlass zwingenden Gesetzesrechts wieder aufgeflammt. 12 Im Kern geht es dabei um die Frage, ob Grundrechtseingriffe des Privatrechtsgesetzgebers die grundrechtliche Abwehrfunktion in vollem Umfang zum Einsatz bringen können. Die namentlich von Diederichsen befürwortend vertretenen Thesen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Eine Differenzierung zwischen privatautonomen Rechtsakten und Rechtsnormen des Privatrechts sei im Rahmen einer Grundrechtskontrolle ohne Einfluss auf den Prüfungsmaßstab, beide stellten „eine homogene Masse gleichartigen Rechtsstoffs dar.“13 Aus Art. 1 Abs. 3 GG folge eindeutig, dass die Grundrechte im Bereich des Privatrechts nicht unmittelbar gelten.14 Eine Beeinflussung des Privatrechts durch die Grundrechte erfolge ausschließlich über das Medium der unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln.15 Methodisch ließe sich eine derart weit reichende Privilegierung des Privatrechtsgesetzgebers nur mittels einer teleologischen Reduktion des Art. 1 Abs. 3 GG bewältigen. Dies setzte voraus, dass nach Sinn und Zweck dieser Norm der Privatrechtsgesetzgeber nicht an Grundrechte gebunden sein soll, was angesichts der Genese des Art. 1 Abs. 3 GG, der – anders als noch die Weimarer Reichsverfassung – die Gesetzgebung ohne jegliche Einschränkung an erster Stelle der Grundrechtsadressaten stellt,16 und der systematischen Stellung der Grundrechte am Beginn des Grundgesetzes einer besonders sorgfältigen Begründung bedarf. Dürig, auf den sich diese Ansicht zurückführen lässt, sieht die Eigenständigkeit des Privatrechts bereits durch die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG, der ausdrücklich unter dem Vorbehalt der „Rechte anderer“ steht, verfassungsrechtlich verankert.17 Das Grundgesetz verstehe die Grundrechte von An___________ 12

Dafür: Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 225, 230 ff.; aus der älteren Literatur maßgeblich Dürig, in: FS Nawiasky, S. 157, 173 ff. Dagegen: Badura, Staatsrecht, Rdnr. C 23; Boemke/Gründel, ZfA 2001, 245, 248; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 16 ff.; ders., AcP 184 (1984), 201, 212 f.; Dieterich, in: ErfKomm, Einleitung GG Rdnr. 11; Dreier, in: ders., GG, Vorb. Rdnr. 97, Art. 1 III Rdnr. 54; Hager, JZ 1994, 373, 374 ff.; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 367; Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 355; ders., Verfassungsrecht und Privatrecht, S. 27 ff.; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rdnr. 83; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 178; Richardi, in: MünchArbR I, § 10 Rdnr. 19 f.; Röthel, JuS 2001, 424, 425; Rüfner, in: HdBStR V, § 117 Rdnr. 59; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 90 ff.; Stern, in: ders., Staatrecht III/1, S. 1269. Offen lassend Medicus, AcP 192 (1992), 35, 46. Für einen eingeschränkte Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers auch Rupp, AöR 101 (1976), 161, 170 ff.; von Münch, in: von Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1-19, Rdnr. 33; Windel, Der Staat 37 (1998), 385, 387; Zöllner, RDV 1985, 3, 6; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 90 Fn. 3; freilich ohne nähere Präzisierung. 13 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 213. 14 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 225. 15 Diederichsen, AcP 198 (1998), 171, 231. 16 Darauf weist insbesondere Rüfner, in: HdBStR V, § 117 Rdnr. 13, hin. 17 Dürig, in: FS Nawiasky, S. 157, 173.

§ 10 Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers

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fang an um die den anderen gegenüber bestehenden subjektiven privaten Rechte vermindert und setze voraus, dass diese im Verhältnis der Privatrechtssubjekte untereinander bereits in der Privatrechtsordnung aktualisiert sind.18 Ein Verlust an Freiheit ist aber durch die Einbindung des Privatrechtsgesetzgebers in den Kreis der unmittelbar Grundrechtsverpflichteten nicht zu besorgen, die wechselseitige Berücksichtigung kollidierender grundrechtlich geschützter Interessen bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung verwirklicht gerade die ausgleichende Funktion des Privatrechts.19 Ein solcher träte vielmehr dann ein, wenn dieser nur eingeschränkt an Grundrechte gebunden wäre, steht dem Gesetzgeber doch die Möglichkeit offen, mittels zwingenden Rechts empfindlich in die grundrechtlich abgesicherte Privatautonomie einzugreifen. Will Art. 1 Abs. 3 GG aber jegliche Ausübung staatlicher Gewalt an die Grundrechte binden, so muss dies angesichts der Grundrechtsrelevanz des auf dem Gebiet des Privatrechts tätigen Gesetzgebers auch für diesen gelten. Doehring20 hat die markante und häufig vereinnahmte These geprägt, der Gesetzgeber habe die Grundrechte nur insoweit zu beachten, als diese einschlägig seien, nicht aber seien diese bereits deshalb einschlägig, weil der Gesetzgeber hoheitlich tätig werde.21 Darin liegt kein Widerspruch: Auch ein privatrechtliches Gesetz lässt sich nur dann an den Grundrechten messen, wenn und soweit deren Schutzbereich eröffnet ist. Eine teleologische Reduktion des Art. 1 Abs. 3 GG kommt nicht in Betracht. Die eigentliche Problematik einer „mittelbaren“ Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers ist jedoch eine ganz praktische:22 Wie eine Kontrolle „über das Medium der unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln“ stattfinden soll, bleibt offen. Unter Berücksichtigung des in der Verfassung verankerten Geltungsvorranges der Grundrechte ist dies nur unter der Prämisse durchführbar, die im Rang einfachen Gesetzesrechts stehenden unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln des bürgerlichen Rechts in den Rang von Verfassungsnormen zu erheben. Canaris bezeichnet diese Konzeption als geradezu „mysteriös“.23 Beide Normen sind solche einfachgesetzlichen Rechts, so dass die eine nicht den Maßstab der Verfassungsmäßigkeit der anderen bilden kann.24 ___________ 18

Dürig, in: FS Nawiasky, S. 157, 174. Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 92. 20 Doehring, Staatsrecht, S. 209. 21 So zu finden u.a. bei von Münch, in: von Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1 - 19, Rdnr. 33; Windel, Der Staat 37 (1998), 385, 388; Zöllner, RDV 1985, 3, 6. 22 Auf unüberwindliche praktische Schwierigkeiten weist auch Canaris hin, vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 17. 23 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 16; ders., AcP 184 (1984), 201, 212. 24 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 17. 19

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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So verwundert es auch nicht, dass der überwiegende Anteil der Stimmen in der Literatur geradezu „selbstverständlich“25 von einer unmittelbaren Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers ausgeht.26 Auf derselben Linie liegt auch die Rechtsprechung des BVerfG. Soweit dieses Rechtsnormen des Privatrechts auf ihre Vereinbarkeit mit Grundrechten überprüft, geschieht dies kommentarlos unmittelbar.27 Eindrücklich lässt sich dies etwa im „Mitbestimmungs-Urteil“ verfolgen, in welchem das BVerfG das Mitbestimmungsgesetz geradezu lehrbuchmäßig anhand der Art. 14 Abs. 1,28 9 Abs. 1,29 12 Abs. 1,30 2 Abs. 131 und 9 Abs. 332 GG auf seine Vereinbarkeit mit Grundrechten überprüft. Der Privatrechtsgesetzgeber ist damit unmittelbar an Grundrechte gebunden. Ändert er zwingende Normen des Kündigungsschutzrechts, so sind diese unmittelbar auf ihre Vereinbarkeit mit Grundrechten zu überprüfen.

B. Grundrechtsschutz gegen zwingende Rechtsnormen des Privatrechts mit gemeinschaftsrechtlichem Hintergrund Diese unmittelbare Bindung des Privatrechtsgesetzgebers tritt indes im Hinblick auf das europäische Gemeinschaftsrecht nicht ausnahmslos ein. Primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht ist nach der Rechtsprechung des EuGH dem nationalen Recht, auch dem Verfassungsrecht gegenüber generell vorrangig.33 Nach der Auffassung des EuGH lässt dieser Geltungsvorrang folglich auch eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts, die nationalen Grundrechtsga___________ 25

So Dreier, in: ders., GG, Art. 1 III Rdnr. 54. Vgl. die Nachweise oben in Fn. 12. 27 Aus den zahllosen Entscheidungen vgl. nur BVerfG vom 07.08.1962, BVerfGE 14, 263, 277 ff.; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 339 ff.; BVerfG vom 04.11.1987, BVerfGE 77, 263, 270 ff.; BVerfG vom 03.10.1989, BVerfGE 81, 1, 10 ff.; BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 260 ff.; BVerfG vom 23.09.1992, BVerfGE 87, 114, 135 ff; BVerfG vom 07.03.1995, 158, 179 ff.; BVerfG vom 19.01.1999, BVerfGE 99, 341, 353 ff.; BVerfG vom 27.04.1999, BVerfGE 100, 289, 302 ff.; BVerfG vom 30.01.2002, BVerfGE 104, 373, 384 ff.; BVerfG vom 17.07.2002, BVerfGE 105, 313, 342 ff. 28 BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 339 ff. 29 BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 355 ff. 30 BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 362 ff. 31 BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 366 ff. 32 BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 366 ff. 33 EuGH vom 15.07.1964, Slg. 1964, 1251, 1269 f. – Costa; EuGH vom 17.12.1970, Slg. 1970, 1125, 1135 Rdnr. 3 – Internationale Handelsgesellschaft; EuGH vom 09.03.1978, Slg. 1978, 629, 644 Rdnr. 17 f. – Simmenthal; EuGH vom 19.06.1990, Slg. 1990, I-2433, 2473 Rdnr. 20 – Factortame. 26

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rantien zuwiderläuft, unberührt.34 Verstößt eine Vorschrift des nationalen Rechts gegen Gemeinschaftsrecht, so ist diese zwar nicht nichtig, sie darf jedoch nicht angewendet werden.35 Diese Rechtsfolge entspricht auch der in der Literatur herrschenden Lehre vom Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts.36 Allerdings gilt dieser Anwendungsvorrang nicht ohne Ausnahme, soweit ein Sachverhalt nicht vom Gemeinschaftsrecht erfasst wird, bleibt das nationale Recht uneingeschränkt anwendbar.37 Auch auf das Kündigungsschutzrecht wirken zahlreiche Rechtsnormen des sekundären Gemeinschaftsrechts ein. Allen voran zählen dazu die Bestimmungen der Massenentlassungsrichtlinie;38 einschlägige Regelungen finden sich daneben aber auch in der Betriebsübergangsrichtlinie,39 den drei Gleichbehandlungsrichtlinien40 sowie der Mutterschutz41- und der Elternurlaubsrichtlinie42, ___________ 34

EuGH vom 17.12.1970, Slg. 1970, 1125, 1135 Rdnr. 3 – Internationale Handelsgesellschaft; EuGH vom 13.12.1979, Slg. 1979, 3727, 3744 Rdnr. 14 – Liselotte Hauer. 35 EuGH vom 09.03.1978, Slg. 1978, 629, 644 Rdnr. 17 f. – Simmenthal; EuGH vom 02.08.1993, Slg. 1993, I-4287, 4304 Rdnr. 9 – Levy; EuGH vom 22.10.1998, Slg. 1998, I-6307, 6332 f. Rdnr. 20 f. – IN.CO.GE. 36 Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 23 Rdnr. 62; P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, § 9 Rdnr. 13 ff.; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rdnr. 22; Streinz, Europarecht, Rdnr. 222. 37 Huber, Recht der Europäischen Integration, § 9 Rdnr. 21; Streinz, Europarecht, Rdnr. 222. 38 Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABl. EG Nr. L 225 vom 12.08.1998, S. 16 ff. 39 Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12.03.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- und Betriebsteilen, ABl. EG Nr. L 82 vom 22.03.2001, S. 16 ff. 40 Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 09.02.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. EG Nr. L 39 vom 14.02.1976, S. 40 ff., in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.09.2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. EG Nr. L 269 vom 05.10.2002, S. 15 ff., geänderten Fassung; Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.06.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. EG Nr. L 180 vom 19.07.2000, S. 22 ff. sowie Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. EG Nr. L 303 vom 02.12.2000, S. 16 ff. Die Richtlinie 76/207/EWG tritt am 15.08.2009 ein Jahr nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.07.2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbe-

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

ferner auch in der Europäischen Betriebsräterichtlinie,43 der SE-Richtlinie,44 der SCE-Richtlinie,45 der Verschmelzungsrichtlinie46 sowie der KonsultationsRahmenrichtlinie47. I. Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte des GG bei der Umsetzung von Richtlinien Ist das Kündigungsschutzrecht derart von europäischem Gemeinschaftsrecht durchzogen, so wirkt sich dessen Geltungs- bzw. Anwendungsvorrang auch auf die Grundrechtsbindung des nationalen Gesetzgebers aus, soweit dieser tätig wird, die Vorgaben der Richtlinien in innerstaatliches Recht umzusetzen. Hat das BVerfG ursprünglich noch eine Überprüfung sekundären Gemeinschaftsrechts am Maßstab der Grundrechte mangels Existenz einer den Grundrechten vergleichbaren europäischen Grundrechtsordnung bejaht,48 lehnt es seit seinem „Solange II-Beschluss“ vom 22.10.198649 eine derartige Grundrechtskontrolle ab.50 Im Hoheitsbereich der Europäischen Gemeinschaften habe sich ein Maß ___________ handlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, ABl. EU Nr. L 204 vom 26.07.2006, S. 23 ff., außer Kraft. 41 Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19.10.1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz, ABl. EG Nr. L 348 vom 28.11.1993, S. 1 ff. 42 Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 03.06.1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub, ABl. EG Nr. L 145 vom 19.06.1996, S. 4 ff. 43 Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22.09.1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen, ABl. EG Nr. L 254 vom 30.09.1994, S. 64 ff. 44 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 08.10.2001 zur Ergänzung des Status der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. EG Nr. L 294 vom 10.11.2001, S. 22 ff. 45 Richtlinie 2003/72/EG des Rates vom 22.07.2003 zur Ergänzung des Status der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. EU Nr. L 207 vom 18.08.2003, S. 25 ff. 46 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2003 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. L 310 vom 25.11.2005, S. 1 ff. 47 Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.03.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EG Nr. L 80 vom 23.03.2002, S. 29 ff. 48 BVerfG vom 29.05.1974, BVerfGE 37, 271, 277 ff. 49 BVerfG vom 22.10.1986, BVerfGE 73, 339 ff. 50 Nachfolgend auch BVerfG vom 12.10.1993, BVerfGE 89, 155, 174 f. sowie BVerfG vom 07.06.2000, BVerfGE 102, 147, 164.

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an Grundrechtsschutz etabliert, das nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard des Grundgesetzes im Wesentlichen gleichzuachten sei.51 Solange der EuGH nun generell einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften gewährleiste, werde das BVerfG sekundäres Gemeinschaftsrecht nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen.52 In der „Maastricht-Entscheidung“ spricht das BVerfG folglich von einem „Kooperationsverhältnis“ mit dem EuGH, wonach dieser den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaften garantiere und das BVerfG sich deshalb auf eine generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards beschränken kann.53 Im Ergebnis führt dies dazu, dass Verfassungsbeschwerden und Vorlagen nationaler Gerichte, die eine Verletzung von Grundrechten des Grundgesetzes durch sekundäres Gemeinschaftsrecht behaupten, von vornherein unzulässig sind, wenn diese nicht darlegen, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des EuGH unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken ist.54 Diese eingeschränkte Grundrechtsbindung betrifft aber nicht nur das sekundäre Gemeinschaftsrecht als solches, sondern auch die nationalen Rechtsnormen, die der Gesetzgeber zur Umsetzung von Richtlinienvorgaben verabschiedet hat. Soweit die nationale Umsetzungsmaßnahme gemeinschaftsrechtlich determiniert ist, weil sie den Vorgaben einer Richtlinie folgen muss, findet grundsätzlich keine Kontrolle am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes statt.55 Zu diesem Ergebnis führt eine systematische Auslegung des Art. 1 Abs. 3 GG, wonach Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG als lex specialis die deutsche Staatsgewalt bei deren Mitwirkung an der Entwicklung der Europäischen Integration lediglich an einen dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz durch die Union bindet,56 was zu einer an die vom BVerfG in seinem „Solange II-Beschluss“ aufgestellten Grundsätzen angelehnten und im Vergleich zu ___________ 51

BVerfG vom 22.10.1986, BVerfGE 73, 339, 378. BVerfG vom 22.10.1986, BVerfGE 73, 339, 387. 53 BVerfG vom 12.10.1993, BVerfGE 89, 155, 175. 54 BVerfG vom 07.06.2000, BVerfGE 102, 147, 164. 55 BVerfG vom 09.01.2001, NJW 2001, 1267, 1268; BVerfG vom 27.07.2004, NVwZ 2004, 1346, 1347; Dreier, in: ders., GG, Art. 1 III Rdnr. 19, 24; Frenz, DVBl. 1995, 408, 414 f.; Gersdorf, DVBl. 1994, 674, 677 f.; Hain, DVBl. 2002, 148, 153; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 191; T. Stein, in: FS Zeidler II, S. 1711, 1727; Streinz, in: HdBStR VII, § 182 Rdnr. 33. 56 Hain, DVBl. 2002, 148, 152 f. Auf Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG beziehen sich auch Dreier in: Dreier, GG, Art. 1 III Rdnr. 19, 24; Gersdorf, DVBl. 1994, 674, 680 sowie Streinz, in: HdBStR VII, § 182 Rdnr. 33. Dreier spricht insofern von einer Relativierung der Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG, Streinz von einer Relativierung des Grundgesetzes. 52

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Art. 1 Abs. 3 GG geringeren Grundrechtsbindung führt. Dies gilt nicht nur für Akte der Integrationsbegründung, sondern auch für den Integrationsvollzug.57 Soweit Hoheitsrechte auf die Gemeinschaft übertragen wurden und verfassungsrechtlich übertragen werden durften, ist auch die Ausübung dieser Hoheitsrechte durch die Gemeinschaft, die sich unter anderem im Erlass von Richtlinien und Verordnungen äußert, seitens der Mitgliedstaaten und deren Rechtsordnung anzuerkennen, was dem Gemeinschaftsrecht insoweit einen Vorrang vor dem nationalen Recht einräumt.58 Ist der Gesetzgeber an die zwingenden Bestimmungen der Richtlinie gebunden, so unterliegt weder das Umsetzungsgesetz noch die Richtlinie selbst einer umfassenden Kontrolle am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes. Dieser eingeschränkte Grundrechtsschutz reicht aber auch nur soweit, wie der Gesetzgeber an zwingende Vorgaben der Richtlinie gebunden ist. Räumt ihm diese bei der Umsetzung einen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum ein, ist Art. 1 Abs. 3 GG anwendbar und es findet eine umfassende Überprüfung der vom Gesetzgeber verabschiedeten Normen auf ihre Grundrechtskonformität statt.59 Zweck und Rechtfertigung der Zurücknahme der verfassungsrechtlichen Kontrolle ist die Bewahrung der einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts, steht diese nicht auf dem Spiel, weil das Gemeinschaftsrecht selbst einen Spielraum belässt, kann der Gesetzgeber diesen Spielraum nur in den Schranken der nationalen Grundrechte ausfüllen.60 II. Spielräume des Gesetzgebers bei der Umsetzung von arbeitsrechtlichen Richtlinien Im Folgenden ist damit zu untersuchen, inwieweit die für den Kündigungsschutz maßgeblichen Richtlinien den nationalen Gesetzgeber zwingenden Vorgaben unterwerfen oder ihm einen Umsetzungsspielraum belassen, der einer uneingeschränkten Bindung an die Grundrechte des Grundgesetzes nicht entgegen steht. Dabei zwingt der auf die Rechtsfolgen des Kündigungsschutzes beschränkte Untersuchungsgegenstand nicht nur zu einer Konzentration auf die kündigungsrelevanten Regelungen der jeweiligen Richtlinie, sondern verlangt ___________ 57

Hain, DVBl. 2002, 148, 154; Streinz, in: Sachs, GG, Art. 23 Rdnr. 49 f. BVerfG vom 09.06.1971, BVerfGE 31, 145, 174; BVerfG vom 22.10.1986, BVerfGE 73, 339, 386; Streinz, in: HdBStR VII, § 182 Rdnr. 32. 59 BVerfG vom 09.07.1992, NVwZ 1993, 883; BVerfG vom 09.01.2001, NJW 2001, 1267, 1268; BVerfG vom 12.05.1989, NJW 1990, 974; BVerfG vom 27.07.2004, NVwZ 2004, 1346; Gersdorf, DVBl. 1994, 674, 678; Götz, NJW 1992, 1849, 1853; Hain, DVBl. 2002, 148, 154; Kingreen/Störner, EuR 1998, 263, 281; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 191; T. Stein, in: FS Zeidler II, S. 1711, 1727; Streinz, in: HdBStR VII, § 182 Rdnr. 32. 60 Stein, in: FS Zeidler II, S. 1711, 1727. 58

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noch weiter einschränkend eine Fokussierung auf die Frage, welche Rechtsfolgen und Sanktionen die Richtlinien fordern, soweit ein Arbeitgeber deren in das nationale Recht transformierten Regelungen verletzt. 1. Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG Beabsichtigt der Arbeitgeber, eine Massenentlassung vorzunehmen, welche die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 lit. a RL 98/59/EG erfüllt, so verpflichtet ihn Art. 2 RL 98/59/EG, die Arbeitnehmervertreter zu konsultieren und mit diesen über die Möglichkeit einer Vermeidung oder Einschränkung der Massenentlassung sowie die Abmilderung ihrer Folgen zu beraten. Darüber hinaus hat der Arbeitgeber gemäß Art. 3 Abs. 1 RL 98/59/EG der zuständigen Behörde die Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen, wirksam werden diese frühestens 30 Tage nach Eingang der Anzeige, Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 RL 98/59/EG. Im Ergebnis beschränkt sich die Richtlinie auf reine Verfahrensfragen, welche Gründe hingegen die Massenentlassung rechtfertigen können, steht im Ermessen der jeweiligen mitgliedstaatlichen Rechtsordnung.61 Welches Schicksal eine Kündigung, die diesen Vorgaben zuwiderläuft, treffen soll, bleibt offen. Art. 6 RL 98/59/EG bestimmt insoweit lediglich, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen müssen. Eine detaillierte Regelung trifft die Richtlinie aber bezüglich des Einflusses der Anzeigepflicht des Arbeitgebers auf die Kündigung: Gemäß Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 RL 98/59/EG werden Massenentlassungen frühestens 30 Tage nach Eingang der Anzeige bei der zuständigen Behörde wirksam. Damit ist der Arbeitgeber zwar nicht daran gehindert, nach Beendigung des Konsultationsverfahrens i.S.d. Art. 2 RL 98/59/EG und nach Anzeige der beabsichtigen Massenentlassung gemäß Art. 3 f. RL 98/59/EG den von der Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmern die Kündigung zu erklären,62 allerdings darf der Arbeitnehmer auch dann, wenn die für ihn maßgebliche Kündigungsfrist kürzer ausfällt, frühestens 30 Tage nach der Anzeige aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. ___________ 61

Wank, in: Hanau/Steinmeyer/Wank, Handbuch, § 18 Rdnr. 204. Unter „Entlassung“ ist insoweit bereits die Kündigungserklärung des Arbeitgebers zu verstehen, EuGH vom 27.01.2005, Slg. 2005, I-884, 919 Rdnr. 39 – Junk. Dem neuerdings folgend BAG vom 23.03.2006, AP Nr. 21 zu § 17 KSchG 1969 Bl. 3R f.; aA noch BAG vom 24.10.1996, AP Nr. 8 zu § 17 KSchG 1969 Bl. 3R, BAG vom 13.04.2000, AP Nr. 13 zu § 17 KSchG 1969 Bl. 2R f. sowie BAG vom 18.09.2003, AP Nr. 14 zu § 17 KSchG 1969 Bl. 8, das eine Anzeige auch noch nach Ausspruch der Kündigung ermöglichte, solange diese jedenfalls vor Ablauf der Kündigungsfrist bei der zuständigen Agentur für Arbeit einging. 62

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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2. Europäische Betriebsräterichtlinie 94/45/EG, SE-Richtlinie 2001/86/EG, SCE-Richtlinie 2003/72/EG, Verschmelzungs-Richtlinie 2005/56/EG, Konsultations-Rahmenrichtlinie 2002/14/EG Ziel der Europäischen Betriebsräterichtlinie ist gemäß deren Art. 1 Abs. 1 die Stärkung des Rechts auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen. Dabei geht der Richtliniengesetzgeber davon aus, dass die Errichtung eines Europäischen Betriebsrats oder vergleichbarer Arbeitnehmervertretungen möglichst auf einer Vereinbarung zwischen einem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer und dem gemeinschaftsweit tätigen Unternehmen bzw. dem herrschenden Unternehmen der gemeinschaftsweit tätigen Unternehmensgruppe beruhen soll, Art. 8 Abs. 1 RL 94/45/EG.63 Subsidiär ist nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 1 RL 94/45/EG ein Europäischer Betriebsrat kraft Gesetzes zu errichten, dem der nationale Gesetzgeber nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Nr. 2 Abs. 2, Nr. 3 Anhang RL 94/45/EG u.a. ein Recht zur Unterrichtung und Anhörung für den Fall einzuräumen hat, dass die zentrale Leitung eine Massenentlassung durchzuführen beabsichtigt. Für den Fall der Nichteinhaltung der Richtlinienbestimmungen verpflichtet Art. 11 Abs. 3 RL 94/45/EG die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen vorzusehen, wobei diese insbesondere sicherzustellen haben, dass Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren vorhanden sind, mit deren Hilfe die sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen durchgesetzt werden können. Vergleichbare Regelungen trifft auch die SE-Richtlinie hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer in der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE), nach deren Art. 1 Abs. 2 primär mittels Verhandlungen zwischen dem besonderen Verhandlungsgremium und dem jeweils zuständigen Leitungs- oder Verwaltungsorgan der beteiligten Gesellschaften eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE getroffen werden soll, und zwar sowohl hinsichtlich der Anhörung und Unterrichtung der Arbeitnehmer als auch der Mitbestimmung durch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsoder Verwaltungsrat der SE. Bezüglich der Anhörung und Unterrichtung sieht Art. 7 Abs. 1 RL 2001/86/EG subsidiär die Errichtung eines SE-Betriebsrats kraft Gesetzes vor, der dann zu informieren und konsultieren ist, wenn das Leitungs- oder Verwaltungsorgan der SE eine Massenentlassung durchzuführen beabsichtigt, Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 i.V.m. Teil 2 lit. b und c Anhang RL 2001/86/EG. Art. 12 Abs. 2 RL 2001/86/EG enthält eine dem Art. 11 Abs. 3 der Betriebsräterichtlinie entsprechende Sanktionsregelung. ___________ 63

Hanau, in: Hanau/Steinmeyer/Wank, Handbuch, § 19 Rdnr. 57.

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Beide Richtlinien enthalten außerdem Bestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmervertreter, die auch einen besonderen Kündigungsschutz umfassen. Gemäß Art. 10 Abs. 1 RL 94/45/EG genießen die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums, des Europäischen Betriebsrats und die Arbeitnehmervertreter, die bei dem von der Richtlinie vorgeschriebenen Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren mitwirken, bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben den gleichen Schutz und gleichartige Sicherheiten wie die Arbeitnehmervertreter nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten des Landes, in dem sie beschäftigt sind. Eine vergleichbare Regelung findet sich auch in Art. 10 Abs. 1 RL 2001/86/EG hinsichtlich der Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums, der Mitglieder des Vertretungsorgans der SE, der Arbeitnehmervertreter, die bei einem Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung mitwirken sowie der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- und Verwaltungsorgan der SE, die Beschäftigte der SE, ihrer Tochtergesellschaften oder Betriebe oder einer der beteiligten Gesellschaften sind. Entsprechende Schutz- und Sanktionsregelungen treffen auch die Richtlinien 2003/72/EG64 sowie 2005/56/EG65 bezüglich der Arbeitnehmervertreter in der SCE bzw. der aus einer grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft. In diesem Zusammenhang ist schließlich auch die KonsultationsRahmenrichtlinie von Bedeutung, die sich gemäß ihres Art. 1 Abs. 1 zum Ziel gesetzt hat, einen allgemeinen Rahmen mit Mindestvorschriften für das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer von in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmen oder Betrieben festzulegen. Nach Art. 7 RL 2002/14/EG haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitnehmervertreter bei der Ausübung ihrer Funktion einen ausreichenden Schutz und ausreichende Sicherheiten genießen, die es ihnen ermöglichen, die ihnen übertragenen Aufgaben in angemessener Weise wahrzunehmen. Flankiert wird diese Bestimmung durch die nachfolgende Sanktionsregelung des Art. 8 RL 2002/14/EG, wonach die Mitgliedstaaten für den Fall der Nichteinhaltung der Richtlinienbestimmungen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen vorsehen und geeignete Gerichts- oder Verwaltungsverfahren bereitstellen müssen, mit deren Hilfe sich die Erfüllung der aus der Richtlinie folgenden Verpflichtungen durchsetzen lässt.

___________ 64

Schutz der Arbeitnehmervertreter: Art. 12 RL 2003/72/EG; Sanktionen und Rechtsschutz: Art. 14 Abs. 2 RL 2003/72/EG. 65 Art. 16 Abs. 3 lit. f RL 2005/56/EG verweist auf die insoweit einschlägigen Bestimmungen der RL 2001/86/EG.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

3. Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG Der sachliche Anwendungsbereich der Betriebsübergangsrichtlinie umfasst den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber sowohl durch vertragliche Vereinbarung als auch durch Verschmelzung, Art. 1 Abs. 1 RL 2001/23/EG. Gemäß Art. 3 Abs. 1 S. 1 RL 2001/23/EG gehen in diesem Fall sämtliche Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber über. Neben einer umfassenden Sicherung sämtlicher individual- oder kollektivrechtlich begründeter Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer normiert Art. 4 RL 2001/23/EG daneben auch ein Kündigungsverbot, wonach allein der Übergang des Unternehmens, Betriebs oder Unternehmensund Betriebsteils weder den Veräußerer noch den Erwerber zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses berechtigt, wobei dieses Verbot etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, aber nicht entgegen steht. Welche Rechtsfolge ein Verstoß gegen das Kündigungsverbot der Richtlinie nach sich zieht, regelt die Richtlinie selbst nicht. Art. 9 RL 2001/23/EG verpflichtet aber die Mitgliedstaaten, in ihre innerstaatlichen Rechtssysteme die erforderlichen Bestimmungen aufzunehmen, um allen Arbeitnehmern, die sich aufgrund einer Nichtbeachtung der sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen benachteiligt fühlen, die Möglichkeit zu geben, ihre Forderungen durch Gerichtsverfahren einzuklagen. 4. Gleichbehandlungsrichtlinien 76/207/EWG bzw. 2006/54/EG, 2000/43/EG und 2000/78/EG Zweck der drei Gleichbehandlungsrichtlinien ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, Art. 1 Abs. 1 RL 76/207/ EWG bzw. Art. 1 Abs. 1 RL 2006/54/EG, Art. 1 RL 2000/43/EG, Art. 1 RL 2000/78/EG. Die Richtlinien gebieten dabei Gleichbehandlung hinsichtlich sechs unterschiedlicher Merkmale: die RL 76/207/EWG bzw. 2006/54/EG bezüglich des Geschlechts, die RL 2000/43/EG bezüglich der Merkmale Rasse und ethnische Herkunft und die RL 2000/78/EG bezüglich der Merkmale Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung. Der arbeitsrechtlich relevante Anwendungsbereich der Gleichbehandlungsrichtlinien umfasst neben dem Zugang zur Erwerbstätigkeit die Ar-

§ 10 Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers

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beitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen66 sowie die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisation. Sämtliche Richtlinien enthalten ausführliche Regelungen zu Rechtsdurchsetzung und Sanktionen. So verpflichten Art. 6 Abs. 1 RL 76/207/EWG, Art. 7 Abs. 1 RL 2000/43/EG, Art. 9 Abs. 1 RL 2000/78/EG sowie Art. 17 RL 2006/54/EG die Mitgliedstaaten, einem Arbeitnehmer, der sich auf einen Verstoß gegen die Richtlinienbestimmungen beruft, die Geltendmachung seiner Rechte auf dem Gerichts- und/oder dem Verwaltungsweg zu ermöglichen und ihm damit einen individuell durchsetzbaren Anspruch an die Hand zu geben. Außerdem haben die Mitgliedstaaten in den Fällen einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung sicherzustellen, dass der einer Person durch die Diskriminierung entstandene Schaden tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt wird, wobei dies auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden gegenüber angemessene Art und Weise geschehen muss, Art. 6 Abs. 2 RL 76/207/EWG bzw. Art. 18 RL 2006/54/EG. Die Art. 8d RL 2002/73/EG, Art. 15 RL 2000/43/EG, Art. 17 RL 2000/78/EG sowie Art. 25 RL 2006/54/EG fordern die Mitgliedstaaten darüber hinaus auf, Sanktionen festzulegen, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung der Richtlinie zu verhängen sind, wobei diese Sanktionen auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen können, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend auszufallen haben. Sämtliche Richtlinien enthalten schließlich auch ein Viktimisierungsverbot, wonach die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um die Arbeitnehmer vor einer Entlassung zu schützen, die als Reaktion auf eine Beschwerde innerhalb des betreffenden Unternehmens oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erfolgt, Art. 7 RL 76/207/EWG, Art. 9 RL 2000/43/EG, Art. 11 RL 2000/78/EG und Art. 24 RL 2006/54/EG. 5. Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG Art. 8 Abs. 1 RL 92/85/EWG gewährt schwangeren Arbeitnehmerinnen einen Anspruch auf mindestens 14 Wochen ununterbrochenen Mutterschaftsurlaub. Gemäß Art. 10 Nr. 1 RL 92/85/EWG besteht mit dem Beginn der Schwangerschaft ein Kündigungsverbot, dass bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs andauert, wobei diese Bestimmung eine Kündigung, die nicht mit der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin in Zusammenhang zu bringen ist, ausdrücklich für zulässig erklärt; gegebenenfalls soll die Wirksamkeit der Kündi___________ 66

Art. 3 Abs. 1 lit. c RL 76/207/EWG; Art. 3 Abs. 1 lit. c RL 2000/43/EG, Art. 3 Abs. 1 lit. c RL 2000/78/EG, Art. 14 Abs. 1 lit. c RL 2006/54/EG.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

gung aber von einer behördlichen Zustimmung abhängen. Kündigt der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin innerhalb dieses Zeitraumes, so ist er nach Maßgabe des Art. 10 Nr. 2 RL 92/85/EWG dazu angehalten, schriftlich berechtigte Kündigungsgründe anzuführen. Art. 10 Nr. 3 RL 92/85/EWG verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Arbeitnehmerinnen vor den Folgen einer gegen das Kündigungsverbot verstoßenden Kündigung zu schützen. 6. Elternurlaubsrichtlinie 96/34/EG Die materiell-rechtlichen Regelungen der Elternurlaubsrichtlinie finden sich nicht in dieser selbst, sondern in der als Anhang beigefügten Rahmenvereinbarung (RV), welche am 14.12.1995 die Spitzenverbände der europäischen Arbeitgeberorganisationen nach Maßgabe des Maastrichter Abkommens über die Sozialpolitik mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund getroffen haben. § 2 Nr. 1 RV RL 96/34/EG räumt erwerbstätigen Männern und Frauen ein individuelles Recht auf Elternurlaub von mindestens drei Monaten im Fall der Geburt oder Adoption eines Kindes ein. Zur Sicherung dieses Rechts verpflichtet § 2 Nr. 4 RV RL 96/34/EG die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer gegen Entlassungen zu treffen, die auf einem Antrag auf Elternurlaub oder auf der Inanspruchnahme des Elternurlaubs beruhen. Die Vermeidung und Behebung diesbezüglicher Streitfälle soll nach Maßgabe des § 4 Nr. 5 RV RL 96/34/EG gemäß den einzelstaatlichen Vorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten erfolgen. 7. Umsetzungsspielräume hinsichtlich der Sanktion von Richtlinienverstößen Sämtliche Richtlinien eröffnen dem nationalen Gesetzgeber damit einen weiten Spielraum bei der Etablierung eines Sanktionsinstrumentariums. Trifft dieser Regelungen, die einen bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses auftretenden Verstoß des Arbeitgebers gegen die in nationales Recht transformierten Richtlinienvorgaben sanktionieren, so ist er ebenso wie bei einem bewussten Verzicht auf eine Sanktionsregelung uneingeschränkt an die Grundrechte des GG gebunden. Zwar lassen sich dem Gemeinschaftsrecht sowohl prozessuale als auch materielle Vorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung von Sanktionsregelungen entnehmen. So verpflichten zahlreiche der aufgeführten Richtlinien die Mitgliedstaaten bereits ausdrücklich, einem Arbeitnehmer oder Arbeitnehmervertreter, der sich auf einen Verstoß gegen die Richtlinienbestimmungen beruft, die Geltendmachung seiner Rechte auf dem Gerichts- und/oder dem Verwaltungsweg zu ermöglichen und ihm damit einen individuell durchsetzbaren Anspruch an

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die Hand zu geben.67 In materieller Hinsicht verlangen einige dieser Richtlinien von den Mitgliedstaaten zudem die Festlegung von wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen.68 Soweit die Richtlinien keine ausdrücklichen Vorgaben treffen, leitet der EuGH aus Art. 10 Abs. 1 EG, der den Mitgliedstaaten aufträgt, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, auch eine Verpflichtung zur wirkungsvollen Sanktion von Richtlinienverstößen ab.69 Das Gericht betont dabei aber ausdrücklich die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten hinsichtlich des Sanktionsinstrumentariums, jedoch haben diese darauf achten, dass Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen entsprechen, die für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht gelten würden, wobei die Sanktionen jedenfalls effektiv, verhältnismäßig und abschreckend ausfallen müssen.70 Als mögliche Sanktionen kommen etwa die Unwirksamkeit einer gegen die Richtlinienvorgaben verstoßenden Kündigung und ein damit korrespondierender Anspruch des betroffenen Arbeitnehmers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Betracht oder aber alternativ eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Entschädigung. Schadensersatzzahlungen sind jedenfalls nur eine mögliche Rechtsfolge.71 Trifft der Gesetzgeber entsprechende Regelungen, hat er nicht nur die vom EuGH aufgestellten gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Effektivität und Gleichwertigkeit zu beachten, sondern unterliegt angesichts des verbleibenden Regelungsspielraums auch in vollem Umfang der Grundrechtsbindung gemäß Art. 1 Abs. 3 GG. ___________ 67

Vgl. dazu Art. 6 Abs. 1 RL 76/207/EWG, Art. 11 Abs. 3 RL 94/45/EG, Art. 6 RL 98/59/EG, Art. 7 Abs. 1 RL 2000/43/EG, Art. 9 Abs. 1 RL 2000/78/EG, Art. 9 RL 2001/23/EG, Art. 12 Abs. 2 RL 2001/86/EG, Art. 8 Abs. 1 RL 2002/14/EG sowie Art. 14 Abs. 2 RL 2003/72/EG. 68 Art. 8d RL 76/207/EWG, Art. 15 RL 2000/43/EG, Art. 17 RL 2000/78/EG, Art. 8 Abs. 2 RL 2002/14/EG; Art. 14 Abs. 2 RL 2003/72/EG. 69 EuGH vom 21.09.1989, Slg. 1989, 2965, 2984 Rdnr. 23 – Kommission/Griechenland; EuGH vom 02.10.1991, Slg. 1991, I-4371, 4387 Rdnr. 11 – Vandevenne; EuGH vom 08.06.1994, Slg. 1994, I-2461, 2494 Rdnr. 40 – Kommission/Vereinigtes Königreich. 70 EuGH vom 21.09.1989, Slg. 1989, 2965, 2984 Rdnr. 24 – Kommission/Griechenland; EuGH vom 02.10.1991, Slg. 1991, I-4371, 4387 Rdnr. 11 – Vandevenne; EuGH vom 08.06.1994, Slg. 1994, I-2461, 2494 Rdnr. 40 – Kommission/Vereinigtes Königreich; EuGH vom 07.01.2004, NVwZ 2004, 594, 597 Rdnr. 67 – Wells. 71 Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, Teil 2 B Rdnr. 79, bezüglich der drei Gleichbehandlungsrichtlinien. Eine Ausnahme bildet insoweit Art. 6 Abs. 2 RL 76/207/EWG, der den Gesetzgeber verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der durch eine geschlechtsbezogene Diskriminierung entstandene Schaden auch tatsächlich ausgeglichen wird.

§ 11 Die Multifunktionalität der Grundrechte – Einschlägige Grundrechtsfunktionen Zu Beginn dieses Teils wurde bereits auf die Multifunktionalität der Grundrechte hingewiesen. Auch der nachfolgenden Untersuchung würde eine allein an der „klassischen“ Abwehrfunktion der Grundrechte ausgerichtete Betrachtungsweise nicht gerecht werden.

A. Grundrechtliche Schutzpflichten im Privatrecht I. Begriffsbestimmung Ganz in den Vordergrund ist bei der Diskussion um eine Neuorientierung des Kündigungsschutzes die Schutzpflichtdimension der Grundrechte gerückt, fokussiert auf das Grundrecht der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, in seiner Ausprägung der Arbeitsplatzwahlfreiheit.1 Die Schutzdimension der Grundrechte hat spätestens seit dem ersten „Abtreibungs-Urteil“ des BVerfG2 allgemeine Anerkennung gefunden.3 Schützen diese in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte vor hoheitlichen Eingriffen, werden die Schutzpflichten im Kontext des Privatrechts immer dann aktiviert, wenn eine Beeinträchtigung grundrechtlich geschützter Güter und Interessen durch Private zu besorgen ist.4 Diese Schutzpflichten gehen mit dem ___________ 1

Vgl. dazu später unten § 12 A I 1, S. 434 ff. BVerfG vom 25.02.1975, BVerfGE 39, 1, 42 ff. 3 Aus der zahllosen Judikatur vgl. nur BVerfG vom 16.10.1977, BVerfGE 46, 160, 164; BVerfG vom 08.08.1978, BVerfGE 49, 89, 142; BVerfG vom 20.12.1979, BVerfGE 53, 30, 57; BVerfG vom 29.10.1987, BVerfGE 77, 170, 214 f.; BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 251 ff. Im Schrifttum vertiefend vor allem Alexy, Grundrechte, S. 410 ff.; Callies, in: Papier/Merten, HGR II, § 44; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 228 ff.; Dietlein, Schutzpflichten; Isensee, Sicherheit; ders., in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 77 ff.; Robbers, Sicherheit; Unruh, Schutzpflichten. Insbesondere zur Auswirkung der Schutzpflichtdogmatik auf das Privatrecht Canaris, Grundrechte und Privatrecht; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 141 ff. Zurückhaltend Poscher, Abwehrrechte, S. 387 ff., der den Anwendungsbereich der Schutzpflichten zugunsten einer stärkeren Betonung der abwehrrechtlichen Dimension der Grundrechte zurückdrängen will. Kritisch jüngst auch Ladeur, DÖV 2007, 1, 2 ff. Umfassende Nachweise bei Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 228 Fn. 280 sowie Dietlein, Schutzpflichten, S. 17 Fn. 2. 4 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 75; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 195. 2

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Auftrag an die staatlichen Gewalten einher, grundrechtlich relevante Rechtsgüter des Einzelnen vor Gefährdungen und Verletzungen zu bewahren.5 Deshalb ist der Staat gehalten, durch Zivilgesetzgebung und Zivilgerichtsbarkeit im Bereich privatrechtlicher Rechtsbeziehungen den Bürger vor Beeinträchtigungen seiner grundrechtlichen Freiheitssphäre zu bewahren.6 II. Entwicklung grundrechtlicher Schutzpflichten im Spiegel der Rechtsprechung des BVerfG Maßgeblich wurden Entdeckung und Entwicklung der Schutzpflichtdimension der Grundrechte von der Rechtsprechung des BVerfG geprägt.7 Den Ausgangspunkt markiert das besagte erste „Abtreibungs-Urteil“, in welchem das Gericht die Vereinbarkeit einer Fristenlösung bei der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs mit Grundrechten überprüft und dabei eine umfassende Pflicht des Staates zum Schutz jeden menschlichen Lebens aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ableitete.8 Der Staat habe sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen und dieses auch vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu bewahren.9 Bereits in vorangegangenen Entscheidungen klingt diese Schutzdimension der Grundrechte an, wenn das Gericht etwa bereits im ersten Band der amtlichen Sammlung eine staatliche Schutzverpflichtung gegen Angriffe auf die Menschenwürde durch andere in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verankert sieht10 oder aus Art. 5 Abs. 3 GG eine Verpflichtung jeder staatlichen Gewalt ableitet, schützend und fördernd einer Aushöhlung des Art. 5 Abs. 3 GG vorzubeugen11. In den darauf folgenden Entscheidungen bestätigte das Gericht seine Rechtsprechung: Im „Schleyer-Urteil“12 beschäftigt sich das Gericht mit dem wirksamen Schutz menschlichen Lebens gegenüber terroristischen Gefahren, „Kalkar“13- sowie „Mülheim-Kärlich-Beschluss“14 erkennen staatliche Schutzpflich___________ 5

Ständige Rspr. des BVerfG seit dem Urteil vom 25.02.1975, BVerfGE 39, 1, 42; Unruh, Schutzpflichten, S. 20. 6 Oldiges, in: FS Friauf, S. 281, 300 f. 7 Über die exponierte Stellung des BVerfG bei der Entwicklung grundrechtlicher Schutzpflichten besteht Einigkeit, vgl. hierzu Isensee, Sicherheit, S. 27; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 141; Unruh, Schutzpflichten, S. 29. 8 BVerfG vom 25.02.1975, BVerfGE 39, 1, 41 f. 9 BVerfG vom 25.02.1975, BVerfGE 39, 1, 42. 10 BVerfG vom 19.12.1951, BVerfGE 1, 97, 104. 11 BVerfG vom 29.05.1973, BVerfGE 35, 79, 114. In dem Beschluss vom 17.01.1957, BVerfGE 6, 55, 76 spricht das Gericht von einer Verpflichtung des Staates, Ehe und Familie vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte zu bewahren. 12 BVerfG vom 16.10.1977, BVerfGE 46, 160 ff. 13 BVerfG vom 08.08.1978, BVerfGE 49, 89 ff. 14 BVerfG vom 20.12.1979, BVerfGE 53, 30 ff.

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ten im Zusammenhang mit potentiellen Gefahren durch Anlagen zur Nutzung von Kernenergie an. Einen weiteren Meilenstein bildet das zweite „Abtreibungs-Urteil“ vom 28.05.199315. In diesem greift das BVerfG das vorher in der Literatur entwickelte Untermaßverbot auf, welches Art und Umfang der Schutzverpflichtung des Staates bestimmt.16 Vorkehrungen, die der Gesetzgeber zur Erfüllung des grundrechtlichen Schutzauftrags trifft, müssten für einen angemessenen und wirksamen Schutz sorgen und zudem auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen.17 Dominierte in der Rechtsprechung ursprünglich auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, blieb das BVerfG in der Entwicklung der Schutzpflichtdogmatik nicht bei Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG stehen. Im „KalkarBeschluss“ kündigte das Gericht an, diese – abhängig vom Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts – auch auf andere Grundrechte zu übertragen.18 Gerade zu dem für die nachfolgende Untersuchung besonders bedeutsamen Art. 12 Abs. 1 GG existiert inzwischen eine umfangreiche Schutzpflichten-Judikatur19; neuerdings misst das Gericht auch den Gleichheitsrechten eine Schutzdimension zu20.21 III. Die Schutzpflichtdimension im System der Grundrechtsdogmatik – Begründungsansätze und Argumentationsstrukturen Obwohl die Ableitung von Schutzpflichten aus den Grundrechten auf eine breite Anerkennung stößt, bereitet deren Begründung und Verortung im System der Grundrechtsdogmatik nach wie vor Schwierigkeiten.22 Eine ausdrückliche Verpflichtung des Staates, schützend und bewahrend tätig zu werden, ist dabei bereits an mehreren Stellen im Verfassungstext angelegt. Art. 1 Abs. 1 S. 2, 6 Abs. 1, 6 Abs. 2 S. 2, 6 Abs. 4 GG verpflichten alle staatliche Gewalt zum Schutz der dort genannten Rechte und Rechtsgüter. Im Übrigen geht das her___________ 15

BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203 ff. BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 254 f. 17 BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 254. 18 BVerfG vom 08.08.1978, BVerfGE 49, 89, 142. 19 Erstmals BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 254 f.; dem folgend BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 146 f.; BVerfG vom 10.01.1995, BVerfGE 92, 26, 46; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 176 ff. 20 Zu Art. 3 Abs. 2 GG vgl. BVerfG vom 16.11.1993, BVerfGE 89, 276, 285 f. 21 Zu weiteren Freiheits- und Gleichheitsrechten vgl. die Zusammenstellung bei Szczekalla, Schutzpflichten, S. 103 ff. sowie die umfangreichen Nachweise bei Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 265 Fn. 483. 22 Eine ausführliche Darstellung der verschiedenen Begründungsansätze findet sich bei Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 229 ff. 16

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kö mmliche Grundrechtsver ständnis indes vordergründig von einer ab wehr rechtlichen Dimension der Grundrechte aus. Der totalitäre Staat bildet den Gegenpol zur Verfassungsordnung des Grundgesetzes, so dass die Grundrechte zuerst auf Abwehr, Bändigung und Kontrolle der Staatsgewalt ausgerichtet sind.23 Grundrechtliche Schutzpflichten stehen diesem Verständnis diametral entgegen: Der Staat erscheint nicht länger als Grundrechtsgegner, sondern als Grundrechtsgarant.24 Eine erste Argumentationslinie zur Begründung grundrechtlicher Schutzpflichten greift auf einen überpositiven Ansatz zurück: Zurückblickend auf ein lange Tradition der Staatstheorie bis hin zu Thomas Hobbes25 sieht sie als zentrale Funktion und Legitimationsgrundlage des Staates die Sicherung der Rechte seiner Staatsbürger; eine freiheitliche Verfassung sei ohne diese zentrale Staatsaufgabe Sicherheit nicht denkbar.26 Der staatlich gewährleistete Gesamtzustand der Sicherheit bilde die Bedingung der Möglichkeit für die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten ebenso wie für eine rechtsstaatliche Gesetzesherrschaft.27 Der Bestand der zu sichernden Rechte sei dabei keineswegs „kraft Natur der Sache“ vorgegeben, die zu schützenden Rechtsgüter bedürften einer positiven Verankerung im geschriebenen Grundrechtskatalog.28 Der zentrale Begründungsansatz, auf den sich vor allem die Rechtsprechung des BVerfG stützt, verortet die Schutzpflichtdimension im objektiv-rechtlichen ___________ 23

Isensee, Sicherheit, S. 27. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 48 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 155; Stern, in: ders., Staatrecht III/1, S. 946. Wegen dieses scheinbaren Widerspruchs bezüglich grundrechtlicher Schutzpflichten ablehnend Rupp-von Brünneck/Simon, Sondervotum zu BVerfG vom 25.02.1975, BVerfGE 39, 68, 73. Von einem „kühn anmutenden Rollenwechsel“ sprechen Dietlein, Schutzpflichten, S. 18 und Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 155. 25 Hobbes, De cive, Kap. 1 S. 83 beschreibt den natürlichen Zustand der Menschen untereinander als einen „Krieg aller gegen alle“, der mittels Abschluss eines Gesellschaftsvertrages, in dem sich alle einer übergeordneten Gewalt unterwerfen, überwunden werden könne, Kap. II S. 85 ff. 26 Calliess, in: Papier/Merten, HGR II, § 44 Rdnr. 2; Isensee, Sicherheit, S. 3 ff., 21 ff.; ders., in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 83; Klein, DVBl. 1994, 489, 493; Oldiges, in: FS Friauf, S. 281, 299; Robbers, Sicherheit, S. 1 ff. 121 ff.; W. Roth, Faktische Eingriffe, S. 415 ff.; kritisch Dietlein, Schutzpflichten, S. 21; Starck, Verfassungsauslegung, S. 76; Unruh, Schutzpflichten, S. 40 f.; vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 154 ff. Auch das BVerfG sieht in der Staatsaufgabe Sicherheit dessen zentrale Existenz- und Legitimationsgrundlage, vgl. BVerfG vom 01.08.1978, BVerfGE 49, 24, 56 f., begründet daraus aber keine grundrechtlichen Schutzpflichten. Kritisch Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 258 ff. 27 Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 38. 28 Dietlein, Schutzpflichten, S. 65; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 84; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 157. 24

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Gehalt der Grundrechte29 und stützt sich damit auf ein teleologisches Argument. Wenn das Grundgesetz dem Bürger konkrete Rechtsgüter und Freiheiten absolut zuordne und darüber hinaus auf deren reale Verwirklichung gerichtet sei, folge daraus eine staatliche Schutz- und Förderpflicht.30 „Werte“ und „Prinzipien“, gleichbedeutend mit Optimierungsgeboten, seien in jedem Grundrechtssatz enthalten, wenn die Rechtsfolge des Rechtssatzes, nämlich der Anspruch des Einzelnen auf Abwehr staatlicher Eingriffe, abgezogen werde, und damit integraler Bestandteil der Verfassungsordnung.31 Dem subjektiven Abwehrrecht des Bürgers gingen objektiv-rechtliche Rechtssätze voran, die dem Staat untersagten, in die grundrechtlich abgesicherten Bereiche der Bürger ungerechtfertigt einzugreifen32 und auf eine Sicherung der Schutzgüter gegenüber Verletzungen jeder Art und aus jeder Richtung abzielten.33 Sei der Staat aber zur Realisierung der in den Grundrechten enthaltenen Werte verpflichtet, folge daraus auch eine Pflicht zur Bewahrung vor Beeinträchtigungen aus der gesellschaftlichen Sphäre, anderenfalls werde die Erfüllung der Grundrechtsverwirklichungspflicht unmöglich.34 Bereits im ersten „Abtreibungs-Urteil“ spricht das BVerfG von einer „ständigen Rechtsprechung“, wonach die Grundrechte eine objektive Wertordnung verkörperten, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gälten und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gäben. 35 Darin ___________ 29

Grundlegend BVerfG vom 25.02.1975, BVerfGE 39 1, 41 f.; seitdem st. Rspr., vgl. nur BVerfG vom 20.12.1979, BVerfGE 53, 30, 57; BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 251. In neueren Entscheidungen fehlt eine Begründung, das BVerfG leitet selbstverständlich Schutzpflichten aus Freiheits- und Gleichheitsrechte ab, vgl. dazu BVerfG vom 21.02.1995, BVerfGE 92, 140, 150; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 175 ff. Im Schrifttum Aussem, Ausstrahlungswirkung, S. 45 f.; Badura, Staatsrecht, Rdnr. C 17, C 21; Böckenförde, Der Staat 29 (1990), 1, 12, 21 ff.; Dietlein, Schutzpflichten, S. 51 ff.; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 196 ff.; Erichsen, Jura 1997, 85, 86; Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 350, 29 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 52 ff.; Klein, DVBl. 1994, 489, 492 f.; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 159; Oldiges, in: FS Friauf, S. 281, 300; Pietrzak, JuS 1994, 748, 749; Robbers, Sicherheit, S. 189; Starck, Verfassungsauslegung, S. 71; Stern, in: ders., Staatrecht III/1, S. 946; Unruh, Schutzpflichten, S. 56 f. Zur Begründung der grundrechtlichen Wertfunktion ausführlich Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 146 ff. Ablehnend Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 195 ff. 30 Dietlein, Schutzpflichten, S. 64; Oldiges in: FS Friauf, S.281, 300. 31 Dietlein, Schutzpflichten, S. 60 f.; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 53; Unruh, Schutzpflichten, S. 52 f. 32 Dietlein, Schutzpflichten, S. 56. 33 Robbers, Sicherheit, S. 186. 34 Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 196 f. 35 BVerfG vom 25.02.1975, BVerfGE 39, 1, 41. Zur objektiven Wertordnung des GG vgl. bereits BVerfG vom 23.10.1952, BVerfGE 2, 1, 12; BVerfG vom 17.08.1956, BVerfGE 5, 85, 134 ff., 197 ff.; BVerfG vom 16.01.1957, BVerfGE 6, 32, 40 f. sowie zentral BVerfG vom 15.01.1958, BVerfGE 7, 198, 215.

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komme eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck.36 Darüber hinaus spielt in der Judikatur des BVerfG auch die Garantie der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 S. 1 und 2 GG, eine zentrale Rolle.37 So heißt es etwa im zweiten „Abtreibungsurteil“, staatliche Schutzpflichten hätten ihren Grund in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, Gegenstand und Maß würden aber durch das jeweils einschlägige Grundrecht bestimmt.38 Der Verweis auf Art. 1 Abs. 1 GG führt dabei aber nicht zu einer Begrenzung der staatlichen Schutzpflicht auf Situationen einer Gefährdung des Menschenwürdekerns oder des Kernbereichs eines Grundrechts39, vielmehr scheint das Gericht Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG zur Verdeutlichung grundrechtlicher Schutz- und Förderpflichten und der um die objektive Dimension verstärkten Geltungskraft der Grundrechte heranzuziehen40. Die Menschenwürdegarantie bilde „das oberste Konstitutionsprinzip allen objektiven Rechts“41, die einzelnen Grundrechte einen Entwurf zur Ausgestaltung dieser Garantie der Menschenwürde, so dass der Regelungsgehalt des jeweiligen Grundrechts die inhaltliche Ausgestaltung der Schutzpflichten bestimme.42 In anderen Entscheidungen, die sich mit der Schutzdimension einzelner Grundrechte beschäftigen, fehlt allerdings der Bezug auf Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG.43 Nicht durchsetzen konnte sich eine Ableitung grundrechtlicher Schutzpflichten aus der Abwehrfunktion der Grundrechte.44 Der Grundrechtseingriff sei dar___________ 36

BVerfG vom 15.01.1958, BVerfGE 7, 198, 215; BVerfG vom 29.05.1973, BVerfGE 35, 79, 114. 37 BVerfG vom 25.02.1975, BVerfGE 39, 1, 41; BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 251. In der Literatur Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 235 ff.; Engels, AöR 122 (1997), 212, 220 f.; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 80; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 160 ff. 38 BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 251. 39 So aber Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 158 f.; Starck, Verfassungsauslegung, S. 71. 40 So Engels, AöR 122 (1997), 212, 220; Hermes/Walther, NJW 1993, 2337, 2339; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 80; Sczcekalla, Schutzpflichten, S. 334 f. 41 Dürig, AöR 81 (1956), 117, 119. 42 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 160; Unruh, Schutzpflichten, S. 44. 43 Beginnend bereits mit BVerfG vom 08.08.1978, BVerfGE 49, 89, 142; aus der neueren Judikatur vgl. BVerfG vom 06.06.1989, BVerfGE 80, 124, 133 (Schutzpflicht aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG); BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 254 f. (Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG) 44 Murswiek, Verantwortung, S. 91 ff.; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 213 ff.; Sczcekalla, Schutzpflichten, S. 404 ff. Dem nahe stehend auch Rassow, ZG 2005, 262, 271 f. Ablehnend BVerfG vom 26.05.1998, NJW 1998, 3264, 3264 f.; Alexy, Grundrechte, S. 417 ff.; Aussem, Ausstrahlungswirkung, S. 43 f.; Calliess, JZ 2006, 321, 325; ders., in: Papier/Merten, HGR II, § 44 Rdnr. 14; Dietlein, Schutzpflichten, S. 39 ff.; Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 188 ff.; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

in zu sehen, dass der Staat als Träger der öffentlichen Gewalt dem Bürger mangels eines entgegenstehenden gesetzlichen Verbots eine Duldungspflicht bezüglich privater Grundrechtseingriffe auferlege und somit selbst in Grundrechte eingreife.45 Auch die Auffassung, welche die Schutzpflichten in den Schrankenbestimmungen der Grundrechte in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip verortet, konnte nicht durchdringen.46 IV. Struktur grundrechtlicher Schutzpflichten – Tatbestand und Rechtsfolge Das Prüfungsprogramm grundrechtlicher Schutzpflichten unterscheidet sich wesentlich von dem grundrechtlicher Abwehrrechte, das sich an dem gängigen Schema Schutzbereich – Eingriff – Rechtfertigung orientiert.47 So kennt die Schutzpflichtendimension der Grundrechte keinen feststehenden, vor staatlichen Eingriffen und Gefährdungen abgeschirmten Schutzbereich.48 Vielmehr richten die Grundrechte eine Vielzahl unbestimmter Schutzaufträge an die staatlichen Gewalten.49 Darüber hinaus sind die Schutzpflichten auf eine Vermittlung durch das einfache Recht angewiesen.50 So orientiert sich die Prüfung an dem Schema: Grundrechtsgut – Beeinträchtigung – Umfang des Schutzauftrags. Zu ermitteln ist zunächst das einschlägige Grundrechtsgut, alsdann ist dessen drohende Beeinträchtigung durch Dritte festzustellen und schließlich der sich aus dem Grundrecht ergebende Schutzauftrag und Schutzumfang abzuleiten.51

___________ 119; Klein, DVBl. 1994, 489, 496; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1035; Pietrzak, JuS 1994, 748, 749; Robbers, Sicherheit, S. 128 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 162 f.; Starck, Verfassungsauslegung, S. 73 f.; Stern, in: ders., Staatrecht III/1, S. 730 ff.; Unruh, Schutzpflichten, S. 46 f. 45 Murswiek, Verantwortung, S. 91; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 213. 46 Seewald, Gesundheit, S. 79 ff., 141 ff. Dagegen Dietlein, Schutzpflichten, S. 104 f.; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 45; Pietrzak, JuS 1994, 748, 749; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 164 ff.; Unruh, Schutzpflichten, S. 49 f. 47 Alexy, Grundrechte, S. 420; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 87; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 62; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1035. 48 Calliess, in: Papier/Merten, HGR II, § 44 Rdnr. 26; Dietlein, Schutzpflichten, S. 75; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 167. 49 Alexy, Grundrechte, S. 420; Calliess, JZ 2006, 321, 324; ders., in: Papier/Merten, HGR II, § 44 Rdnr. 26; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 167. 50 Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 87. 51 Erichsen, Jura 1997, 85, 86 ff.; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 87; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 62 ff.; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1035; Unruh, Schutzpflichten, S. 75 ff.

§ 11 Multifunktionalität der Grundrechte

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1. Ermittlung des einschlägigen Grundrechtsguts Bezugspunkt und Objekt grundrechtlicher Schutzpflichten sind die von dem jeweiligen Grundrecht geschützten Rechtsgüter, Handlungsmöglichkeiten und Rechte52, im Folgenden „Grundrechtsgüter“ genannt. In einem ersten Schritt gilt es daher, den zu untersuchenden Lebenssachverhalt – im Kontext der nachfolgenden Untersuchung die arbeitgeberseitige Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – den einschlägigen Grundrechtsgütern zuzuordnen. 2. Drohende Beeinträchtigung durch privates Handeln Damit aus der stets bestehenden Schutzpflicht auch eine Handlungspflicht des Staates folgt, muss sich das geschützte Grundrechtsgut durch privates Handeln in einer Gefährdungslage befinden oder bereits beeinträchtigt sein.53 Unklarheiten bestehen darüber, ob die drohende Beeinträchtigung eine gewisse Intensität aufweisen muss, um eine Handlungspflicht auszulösen. Das BVerfG legt einen flexiblen Maßstab an. Die Verdichtung einer Schutzpflicht zu einer Handlungspflicht hänge von Art, Ausmaß und Nähe möglicher Gefährdungen, von Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie von den bereits vorhandenen Regelungen ab.54 Angesichts der etwa bei der friedlichen Nutzung von Kernenergie bestehenden Gefahren für Gesundheit und Leben lässt das Gericht bereits eine „entfernte Wahrscheinlichkeit“ ihres Eintritts zum Auslösen einer Handlungspflicht genügen.55 Die Literatur aktiviert mehrheitlich grundrechtliche Schutzpflichten nicht in Abhängigkeit vom Erreichen einer gewissen schutzgutbezogenen Gefahrenschwelle, sondern berücksichtigt die Beeinträchtigungsintensität erst auf der Rechtsfolgenebene im Rahmen des zwischen Störer und Opfer vorzunehmenden Interessenausgleichs.56 ___________ 52

Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 93 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 167. 53 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 75; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 97; Erichsen, Jura 1997, 85, 87. 54 BVerfG vom 08.08.1978, BVerfGE 49, 89, 142. 55 BVerfG vom 08.08.1978, BVerfGE 49, 89, 142; BVerfG vom 20.12.1979, BVerfGE 53, 30, 57. Im Ergebnis für einen weit gefassten Gefahrenbegriff (wenn auch in der Terminologie uneinheitlich) ebenfalls Erichsen, Jura 1997, 85, 87; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 106; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 86; Krings, Schutzansprüche, S. 228 ff.; Pietrzak, JuS 1994, 748, 749 f.; Streuer, Verpflichtungen, S. 115 ff.; Unruh, Schutzpflichten, S. 77 f. Differenzierend für die einzelnen Staatsgewalten Dietlein, Schutzpflichten, S. 109 ff. 56 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 288; Erichsen, Jura 1997, 85, 87; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 106; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 85 f; Krings, Schutzansprüche, S. 227 ff.; Sczcekalla, Schutzpflichten, S. 303; Unruh, Schutzpflichten, S. 78. Zur Aus-

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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Damit ist auf dieser Ebene lediglich zu prüfen, ob das Grundrechtsgut überhaupt von einem privaten Verhalten beeinträchtigt wird oder eine solche Beeinträchtigung droht. Ausführungen zur Intensität der Beeinträchtigung sind an dieser Stelle entbehrlich. Ebenso wenig bedarf es einer Feststellung der Rechtswidrigkeit der privaten Beeinträchtigung.57 Was verboten und damit rechtswidrig ist, muss erst aus dem grundrechtlichen Schutzauftrag abgeleitet werden.58 3. Umfang und Ausmaß der Schutzpflicht In einem dritten Schritt gilt es sodann, die Reichweite des grundrechtlichen Schutzauftrags zu ermitteln und Umfang und Ausmaß der Schutzpflicht zu konkretisieren. a) Der Schutzauftrag als Konfliktschlichtungsauftrag an den Gesetzgeber Dabei befindet sich der Gesetzgeber, an den sich die grundrechtlichen Schutzpflichten vorrangig richten, in einem doppelten Dilemma: Nicht nur, dass ihm aufgrund der Unbestimmtheit der grundrechtlichen Schutzaufträge eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, zusätzlich sieht dieser sich auch einem Widerstreit von Interessen und damit einem Verteilungsproblem ausgesetzt.59 Der Umfang des Schutzes eines Grundrechtsgutes lässt sich nicht ohne Beachtung der kollidierenden Grundrechtsgüter des Störers bestimmen.60 Je höher der Gesetzgeber die geschützten Interessen des Beeinträchtigten gewichtet und demzufolge ein weit reichendes und effektives Schutzkonzept entwickelt, desto mehr können die abwehrrechtlich geschützten Grundrechtspositionen des Beeinträchtigenden aufleben. 61 ___________ nahme bei bloßen Belästigungen („Bagatellvorbehalt“) vgl. Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 107; Pietrzak, JuS 1994, 748, 750; Sczcekalla, Schutzpflichten, S. 309 f.; Streuer, Verpflichtungen, S. 112 f. Für ein gewisses Maß an „Gefährdungs- oder Risikointensität“ Dietlein, Schutzpflichten, S. 111; Di Fabio, DÖV 1995, 1, 7. 57 So aber Dietlein, Schutzpflichten, S. 106 f.; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 97 ff. Ablehnend Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 76; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 85; Krings, Schutzansprüche, S. 233; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1035; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 196 f. 58 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 78; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1035; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 196. 59 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 202. 60 Calliess, JZ 2006, 321, 329; ders., in: Papier/Merten, HGR II, § 44 Rdnr. 19. 61 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 23; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 168; Oldiges, in: FS Friauf, S. 281, 302; W. Roth, Faktische Eingriffe, S. 465; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 202.

§ 11 Multifunktionalität der Grundrechte

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Die Aufgabe des Gesetzgebers, Schutz von Grundrechtsgütern zu gewährleisten, zielt damit in zwei Richtungen und lässt sich treffend als „Konfliktschlichtungsauftrag“62 charakterisieren. Damit ist ein Abwägungsvorgang angesprochen, der häufig mit dem auf Hesse63 zurückgehenden Begriff der „praktischen Konkordanz“ bezeichnet wird, einem Ausgleich widerstreitender Grundrechtspositionen dergestalt, dass jede optimale Wirkungskraft beanspruchen kann.64 Eine Aufgabe, die sich nicht ohne politisches Werten und Gestalten erfüllen lässt, da sich „der eine“ Schutzmechanismus, welcher beide Ansprüche erfüllt, sowohl eine optimale Sicherung des Grundrechtsguts als auch einen ausgewogenen Ausgleich der kollidierenden grundrechtlichen Interessen herbeizuführen, in aller Regel nicht aus den Grundrechten ableiten lässt.65 Das Grundgesetz kann nur den Rahmen, nicht aber eine bestimmte Lösung vorgeben.66 Das BVerfG billigt dem Gesetzgeber bei der Erfüllung dieser Aufgabe folglich einen weit reichenden Einschätzungs- und Wertungsspielraum zu.67 Dieser hat seine Grundlage letztlich im Demokratieprinzip,68 Art. 20 Abs. 1 GG, sowie dem Grundsatz der Gewaltenteilung69. Nur in Ausnahmefällen verengt sich diese Gestaltungsfreiheit in einer Weise, dass der Gesetzgeber der Schutzpflicht allein durch eine bestimmte Maßnahme genügen kann.70

___________ 62

Lerche, Übermaß, S. 130 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 204. Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 30. 64 Besonders deutlich tritt dieser in der Entscheidung des BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 177 ff. hervor. Im Schrifttum Alexy, Grundrechte, S. 424 f.; Calliess, JZ 2006, 321, 329 f.; ders., in: Papier/Merten, HGR II, § 44 Rdnr. 34; Erichsen, Jura 1997, 85, 88; Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 350; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1036; Pietrzak, JuS 1994, 748, 750; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 203 ff. Differenzierend Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 171 ff. 65 Canaris, JuS 1989, 161, 163; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 95; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 203; Starck, Verfassungsauslegung, S. 79. 66 BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 254; BVerfG vom 10.01.1995, BVerfGE 92, 26, 46. 67 Grundlegend BVerfG vom 25.02.1975, BVerfGE 39, 1, 44; seitdem st. Rspr., vgl. etwa BVerfG vom 16.10.1977, BVerfGE 46, 160, 164; BVerfG vom 14.01.1981, BVerfGE 56, 54, 81; BVerfG vom 29.10.1987, BVerfGE 77, 170, 214 f.; BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 255; BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 254; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 176 f. 68 BVerfG vom 14.01.1981, BVerfGE 56, 54, 81; Alexy, Grundrechte, S. 120; Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 341 ff.; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 300; Hesse, in: FS Mahrenholz, S. 541, 558; Raabe, Grundrechte und Erkenntnis, S. 208 ff. 69 BVerfG vom 14.01.1981, BVerfGE 56, 54, 81; Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 333 ff.; Hesse, in: FS Huber, S. 261, 265 f.; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1037. 70 BVerfG vom 16.10.1977, BVerfGE 46, 160, 164 f.; BVerfG vom 29.10.1987, BVerfGE 77, 170, 215. 63

410

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

b) Umfang des Schutzauftrags aa) Prüfungsmaßstäbe des BVerfG Mit diesem dem Gesetzgeber zugestandenen Beurteilungs- und Wertungsspielraum geht in der Judikatur des BVerfG auch eine eingeschränkte Prüfungsdichte hinsichtlich der vom Gesetzgeber ergriffenen Maßnahmen zur Umsetzung des aus den Grundrechten folgenden Schutzauftrags einher. Den Ausgangspunkt markiert insoweit das „Mitbestimmungsurteil“ vom 01.03.1979, in dem sich das Gericht erstmals grundlegend mit dem Umfang legislativer Einschätzungsspielräume auseinander setzte und Kontrollmaßstäbe formulierte, die von einer „Evidenz-“ über eine „Vertretbarkeits-“ bis hin zu einer „intensivierten inhaltlichen Kontrolle“ reichen.71 Abhängen soll die Wahl des Kontrollmaßstabs von der Eigenart des zur Prüfung anstehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten des Gesetzgebers, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden und der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter.72 Bezogen auf die grundrechtlichen Schutzpflichten lässt sich indes eine klare Linie des Gerichts nicht erkennen. Zwar hat es die genannten Kriterien in einigen Entscheidungen bestätigt73, im zweiten „Abtreibungsurteil“ aber ausdrücklich dahinstehen lassen, ob daraus drei voneinander unabhängige Kontrollmaßstäbe abzuleiten sind.74 Die verfassungsrechtliche Überprüfung, so das Gericht, erstrecke sich in jedem Falle darauf, ob der Gesetzgeber die im „Mitbestimmungsurteil“ genannten Faktoren ausreichend berücksichtigt und seinen Einschätzungsspielraum in vertretbarer Weise gehandhabt habe.75 So erkennt das Gericht dem Gesetzgeber in zahlreichen Entscheidungen einen besonders weiten Gestaltungsspielraum zu und begrenzt seine Überprüfung auf evidente Verletzungen der in den Grundrechten verkörperten objektiven Wertentscheidungen,76 das Schutzkonzept des Gesetzgebers dürfe nicht „gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich“ sein77. Die Auswahl zwischen verschiedenen Schutzmaßnahmen, die häufig Kompromisse erfordere, habe der ___________ 71

BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 333. BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 332 f. 73 BVerfG vom 29.10.1987, BVerfGE 77, 170, 214 f. 74 BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 262. 75 BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 262. 76 Erstmals BVerfG vom 14.01.1981, BVerfGE 56, 54, 81. Dem folgend BVerfG vom 29.10.1987, BVerfGE 77, 170, 215; BVerfG vom 30.11.1988, BVerfGE 79, 174, 202. 77 BVerfG vom 29.10.1987, BVerfGE 77, 170, 215; BVerfG vom 30.11.1988, BVerfGE 79, 174, 202. 72

§ 11 Multifunktionalität der Grundrechte

411

Gesetzgeber in eigener Verantwortung zu treffen.78 Eine Evidenzkontrolle finde nur dann nicht statt, wenn Rechtsgüter von höchster Bedeutung auf dem Spiel stünden.79 Im zweiten „Abtreibungs-Urteil“ greift das BVerfG dann auf das in der Literatur entwickelte Untermaßverbot zurück: Dieses fordere den Gesetzgeber auf, ein Mindestmaß an Schutz zu gewährleisten, er habe dazu unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter angemessene und wirksame Maßnahmen zu ergreifen.80 Zur Erfüllung dieser Aufgabe verbleibe dem Gesetzgeber aber ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum81, das BVerfG prüfe jedenfalls, ob der Gesetzgeber diesen in vertretbarer Weise gehandhabt habe82. Auf Distanz geht das Gericht in dieser Entscheidung von der vorher praktizierten Evidenzkontrolle, soweit das Schutzgut des menschlichen Lebens betroffen ist.83 Im „Kleinbetriebs-Beschluss“ gelangt das Gericht schließlich zu einer intensiven Überprüfung des vom Gesetzgeber ausgeformten Schutzkonzeptes. Einleitend weist es zwar wiederum auf den „weiten Gestaltungsfreiraum“ des Gesetzgebers hin:84 Die Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen liege in dessen politischer Verantwortung, ebenso die Vorausschau auf die künftige Entwicklung und die Wirkungen seiner Regelung85. Dasselbe gelte für die Bewertung der Interessenlage und damit die Gewichtung der einander entgegenstehenden Belange und die Bestimmung ihrer Schutzbedürftigkeit.86 Eine Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten könne vor diesem Hintergrund nur dann angenommen werden, wenn angesichts von Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts nicht mehr von einem angemessenen Ausgleich mit den kollidierenden Grundrechtspositionen gesprochen werden könne.87 Dies überprüft das Gericht mittels ___________ 78

BVerfG vom 14.01.1981, BVerfGE 56, 54, 81. BVerfG vom 14.01.1981, BVerfGE 56, 54, 81; BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 263. 80 BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 254, 261 f. In zwei späteren Entscheidungen wendet das Gericht ebenfalls das Untermaßverbot an, BVerfG vom 27.04.1995, NJW 1995, 2343; BVerfG vom 29.11.1995, NJW 1996, 651, nimmt im letztgenannten Beschluss gleichwohl nur eine Evidenzprüfung vor. 81 BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 262. 82 BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 262. 83 BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 263. 84 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 176. 85 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 176. 86 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 176. 87 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 176 f. Bereit angedeutet in BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 255: ausgewogene Berücksichtigung konkurrierender Grundrechtspositionen. 79

412

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

einer umfassenden Güterabwägung.88 In einem Nichtannahmebeschluss vom 29.12.2004, der sich mit bestimmten Vorschriften des AÜG beschäftigt, knüpft das Gericht nahtlos an diese Rechtsprechung an.89 Ein in sich geschlossenes Prüfungsprogramm lässt sich daraus nicht erkennen. Scheinbar ohne jede Regel wendet das Gericht mal den einen, mal den anderen Maßstab an. Es lässt im zweiten „Abtreibungsurteil“ ausdrücklich offen, ob je nach Bedeutung der Norm unterschiedliche Kontrollmaßstäbe Anwendung finden.90 Eine herausragende Position nimmt nach wie vor die Evidenzkontrolle ein, auf die das Gericht gerade wieder in zahlreichen neueren Entscheidungen abstellt.91 In den beiden aktuellen „Lebensversicherungs-Beschlüssen“92 fehlt demgegenüber jegliche Stellungnahme zur Wahl des Prüfungsmaßstabs, gleichwohl gelangt das Gericht zu einer umfassenden Überprüfung des gesetzgeberischen Schutzkonzepts. Daneben scheint sich auch im Bereich des Arbeitsrechts ein eigenständiger Kontrollmaßstab im Sinne einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen herauszukristallisieren. In einem Atemzug betont das Gericht jedoch gleichzeitig den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Dies steht im Einklang mit zahlreichen Entscheidungen des BVerfG, in denen dieses aus einer abwehrrechtlichen Perspektive heraus, veranlasst durch die wirtschaftpolitische Neutralität des Grundgesetzes und der auf diesem Gebiet nur schwer prognostizierbaren Entwicklung, im Bereich der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung den Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers besonders weit fasst.93

___________ 88

BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 177 ff. BVerfG vom 29.12.2004, NZA 2005, 153, 155. 90 BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 262 unter Bezugnahme auf das Mitbestimmungsurteil vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290 ff., in dem das Gericht ein differenziertes Programm zur Prüfung von Gesetzen anhand der Grundrechte von einer Evidenz- über einer Vertretbarkeits- bis hin zu einer intensiven inhaltlichen Kontrolle entwickelt. Ebenso BVerfG vom 06.05.1997, BVerfGE 96, 56, 64. 91 BVerfG vom 29.11.1995, NJW 1996, 651; BVerfG vom 17.02.1997, NJW 1997, 2509; BVerfG vom 26.03.2001, NVwZ 2001, 908; BVerfG vom 09.08.2001, NJW 2001, 3323; BVerfG vom 28.02.2002, NJW 2002, 1638, 1639. 92 BVerfG vom 26.07.2005, NJW 2005, 2363 ff.; BVerfG vom 26.07.2005, NJW 2005, 2376 ff. 93 BVerfG vom 06.10.1987, BVerfGE 77, 84, 106; BVerfG vom 03.04.2001, BVerfGE 103, 293, 307; BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 85; BVerfG vom 29.12.2004, NZA 2005, 153, 154. 89

§ 11 Multifunktionalität der Grundrechte

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bb) Kontrolle am Maßstab des Untermaßverbots In der Literatur setzt sich die Unsicherheit über den Umfang des legislativen Gestaltungsspielraums bei der Erfüllung grundrechtlicher Schutzaufträge und die damit verbundene Schwierigkeit bei der Bestimmung der Reichweite grundrechtlicher Schutzpflichten fort.94 Wesentlich geprägt wird die Auseinandersetzung durch die von Canaris eingeführte Kategorie des „Untermaßverbots“.95 In Abgrenzung zum abwehrrechtlichen Übermaßverbot bemüht sich die Literatur dabei insbesondere um eine Konturierung und Konkretisierung dieses von Canaris ursprünglich eher beiläufig erwähnten Maßstabs.96 Ein gemeinsamer Ausgangspunkt lässt sich trotz aller Unklarheiten und Differenzen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG erkennen: Das Gebot eines Mindestmaßes effektiver Schutzvorkehrungen.97 Dieses ist nicht erfüllt, „wenn das verfassungsrechtlich gebotene Schutzniveau unterschritten ist.“98 ___________ 94

Für eine Evidenzkontrolle Di Fabio, DÖV 1995, 1, 8 f.; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1037 f.; Oetker, Bestandsschutz, S. 32; ders., RdA 1997, 9, 16; ders., AuR 1997, 41, 50; Stahlhacke, in: FS Wiese, S. 513, 530; Urban, Kündigungsschutz, S. 54 f. Für eine Vertretbarkeits- oder Evidenzkontrolle Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 592; wohl auch Medicus, AcP 192 (1992), 35, 61. Für eine Orientierung an den vom BVerfG im Mitbestimmungsurteil aufgestellten Kriterien Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 301 ff.; Unruh, Schutzpflichten, S. 87. Für eine umfassende Angemessenheitskontrolle Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 90; Brüning/Helios, Jura 2001, 155, 162; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 86 ff.; Michael, JuS 2001, 148, 151; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1039; Sodan, NVwZ 2000, 601, 606. Im Ergebnis ebenso Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 462 ff. 95 Canaris, AcP 184 (1984), 201, 228, später präzisierend ders., JuS 1989, 161, 163 f.; ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 86 ff. Dem folgend Brüning, JuS 2000, 955, 957 f.; Calliess, JZ 2006, 321, 328; ders., in: Papier/Merten, HGR II, § 44 Rdnr. 26; Dietlein, ZG 1995, 131ff.; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 165; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 92 ff.; Krings, Schutzansprüche, S. 297 ff.; Lindner, Grundrechtsdogmatik, S. 512 ff.; Michael, JuS 2001, 148, 151 f.; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1038; Rassow, ZG 2005, 262, 269 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 215 ff.; Sodan, NVWZ 2000, 601, 605 f. Zögerlich Aussem, Ausstrahlungswirkung, S. 60 ff. Ablehnend Erichsen, Jura 1997, 85, 88; Hain, DVBl. 1993, 982, 983 ff.; Starck, JZ 1993, 816, 817; Unruh, Schutzpflichten, S. 87. 96 Gleichsetzend mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 84 ff.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 579 f.; Starck, JZ 1993, 816, 817; Streuer, Verpflichtungen, S. 149. Synonym mit dem Begriff der Angemessenheit verwendet bei Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 311; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 165; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 215 ff. 97 Calliess, in: Papier/Merten, HGR II, § 44 Rdnr. 26; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 39; Brüning, JuS 2000, 955, 958; Dietlein, ZG 1995, 131, 140; Erichsen, Jura 1997, 85, 88; Hain, DVBl. 1993, 982, 983; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 165; Jarass, AöR 110 (1985), 363, 383; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 213; Sodan, NVwZ 2000, 601, 605 f.; Starck, JZ 1993, 816, 817; ders., Verfassungsauslegung, S. 80. 98 So Canaris, AcP 184 (1984), 201, 228.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Wie weit der Gesetzgeber aber dieses Mindestmaß grundrechtlich gebotener Schutzvorkehrungen bereitgestellt hat, ist, zumindest im Kontext des nachfolgend zu untersuchenden Kündigungsschutzrechts, im Einklang mit der wohl hM in der Literatur sowie der Rechtsprechung des BVerfG mittels einer umfassenden Abwägung bei gleichzeitiger Berücksichtigung des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers zu untersuchen. Besteht eine gesetzliche Regelung diese Kontrolle, so hält sie erst recht einer Evidenz- oder Vertretbarkeitsprüfung stand. Die Untersuchung hat sich hierzu nicht an dem Leitbild der Optimierung von Schutzaufträgen zu orientieren, sondern dem der Gewährleistung effektiven Mindestschutzes.99 Die verfassungsgerichtliche Kontrolle kommt dabei nicht ohne Wertungsentscheidungen aus: Ohne eine Gewichtung der betroffenen Grundrechtsgüter, ohne Beurteilung der drohenden oder aktualisierten Beeinträchtigung und deren Auswirkung und ohne eine Abwägung widerstreitender Interessen lässt sich nicht ermitteln, ob der Gesetzgeber das Untermaßverbot beachtet hat.100 Von lediglich geringem Erkenntniswert ist jedoch die Bestimmung des Rangs der geschützten Grundrechtsgüter untereinander. Zum einen lässt sich eine abstrakte Rangordnung der Grundrechte, abgesehen von der übergeordneten Bedeutung der Menschenwürde und des zentralen Werts des menschlichen Lebens, nicht aufstellen.101 Zum anderen berufen sich Grundrechtsträger in Kollisionsfällen häufig auf ein und dasselbe Grundrecht, wenn auch aus einer jeweils anderen Perspektive.102 Deutlich wird dies gerade an dem vorliegenden Untersuchungsgegenstand: Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer werden sich beide auf das von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Grundrechtsgut der Berufsausübungsfreiheit berufen, so dass die Ermittlung einer Rangordnung nicht weiterhilft. Damit verliert das Untermaßverbot aber nicht jegliche Orientierung. Anhaltspunkte für die Bestimmung des Mindestschutzes können vielmehr neben dem Gewicht des zu schützenden Grundrechtsgutes die Größe der Gefahr, Ausmaß und Endgültigkeit des drohenden Schadens, die Möglichkeit der Selbsthilfe und die Handlungsfähigkeit des Staates bieten.103 Eine Schutzpflicht ___________ 99

Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 219. Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 219. 101 Aussem, Ausstrahlungswirkung, S. 70 ff.; Dietlein, Schutzpflichten, S. 86 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 194, 221; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 614; Streuer, Verpflichtungen, S. 127 ff. Anders dagegen Calliess, in: Papier/Merten, HGR II, § 44 Rdnr. 25; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 392. 102 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 221. 103 Calliess, JZ 2006, 321, 328; Canaris, JuS 1989, 161, 163; ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 78 ff.; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 141 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 96. Umfassend Krings, Schutzansprüche, S. 273 ff. 100

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verdichtet sich umso mehr zu einem konkreten Handlungsauftrag, je größer die Gefahr und je schwerwiegender und weit reichender die Folgen der privaten Beeinträchtigung zu bewerten sind.104 Zu einem schützenden Eingriff des Gesetzgebers besteht demgegenüber dann kein Anlass, wenn sich der Betroffene selbst helfen kann; Eigeninitiative hat grundsätzlich Vorrang vor Staatsintervention.105 Ob die Kontrolle zusätzlich einen Erkenntnisvorrang des Zivilrechts zu berücksichtigen hat106, kann letztlich dahinstehen. Weiter als der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers reicht dieser jedenfalls nicht. cc) Die Einbindung kollidierender Grundrechtsgüter in das Prüfungsprogramm Auf der dem Untermaßverbot gegenüberliegenden Seite setzt das Übermaßverbot kollidierender Grundrechte dem Tätigwerden des Gesetzgebers eine weitere Schranke.107 Die Bestimmung des verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutzes ist stets auch auf die Freiheitsausübung Dritter bezogen,108 weil sich der Schutz des Beeinträchtigten auf grundrechtlich geschützte Freiheiten des Störers auswirkt. Schutzmaßnahmen dürfen nicht in unverhältnismäßigem Umfang in gegenläufige Grundrechte eingreifen. (1) Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zwischen Unter- und Übermaßverbot? Ob dem Gesetzgeber zwischen Über- und Untermaßverbot ein Gestaltungsspielraum verbleibt, wird in der Literatur hingegen unterschiedlich beurteilt. So soll nach einer Auffassung in den zwischen Störer und Beeinträchtigtem bestehenden grundrechtlichen Kollisionsfällen der Maßstab des Untermaßverbots deshalb nicht anzulegen sein, weil sich alle Anforderungen an den Gesetzgeber

___________ 104

Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 79 f.; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 141; Krings, Schutzansprüche, S. 275 f. 105 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 80; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 142; Krings, Schutzansprüche, S. 278 ff. 106 So Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 221. 107 Aussem, Ausstrahlungswirkung, S. 63; Brüning, JuS 2000, 955, 958; Canaris, Grundrechts und Privatrecht, S. 20, 80; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 280; Dietlein, ZG 1995, 131, 136 ff.; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 165; Jarass, AöR 110 (1985), 363, 384; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1038; Pietrzak, JuS 1994, 748, 751; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 217 f.; Unruh, Schutzpflichten, S. 84. 108 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 218.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

bereits aus dem Übermaßverbot ergäben.109 Im Rahmen der Prüfung von Erforderlichkeit und Angemessenheit des Grundrechtseingriffs finde bereits ein die widerstreitenden Interessen einander angemessen zuordnender Ausgleich statt, so dass sich das zulässige Höchstmaß an Beeinträchtigung mit den aus dem Untermaßverbot abzuleitenden Mindestschutzanforderungen decke.110 Der Gesetzgeber dürfe im Hinblick auf das zu schützende Grundrechtsgut gerade noch das umsetzen, was er unter dem Blickwinkel der Erforderlichkeit zu tun verpflichtet sei.111 Eine Spanne zwischen Über- und Untermaßverbot existiere auch deshalb nicht, weil sonst das Ziel der Abwägung, die weitgehende Verwirklichung aller kollidierenden Interessen, fehlschlage.112 Überzeugen kann diese Auffassung nicht. Sie lässt bereits in ihrem Ansatz die unterschiedliche Struktur grundrechtlicher Abwehrrechte auf der einen und die der grundrechtlichen Schutzpflichten auf der anderen Seite unberücksichtigt: Das im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachtende Gebot der Erforderlichkeit bezieht sich auf einen konkreten Eingriff öffentlicher Gewalt, wohingegen sich der aus der Schutzpflicht resultierende Gesetzgebungsauftrag regelmäßig nicht auf eine Maßnahme verdichten lässt.113 Eine dem Übermaßverbot genügende gesetzliche Regelung erfüllt nicht zwangsläufig die Anforderungen des Untermaßverbots und umgekehrt.114 So kann sich ein Gesetz, gemessen an seiner Zweckrichtung, zwar als erforderlich und angemessen im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erweisen, so dass im Ergebnis eine Grundrechtsverletzung zu verneinen ist, eine Feststellung, dass der Gesetzgeber damit das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an Schutz verwirklicht, ist damit jedoch nicht verbunden.115 Wird die Umsetzung eines Schutzauftrags durch den Gesetzgeber hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Dritten überprüft, wird damit nicht das Mindestmaß an Schutz, sondern das Mindestmaß abwehrrechtlicher Freiheit definiert.116 In eben diese Richtung weist auch ein ___________ 109

Grundlegend Hain, DVBl. 1993, 982 ff.; ders., ZG 1996, 75, 77 ff.; Starck, JZ 1993, 816, 817; ders., Schutzpflichten, S. 82. Dem folgend Erichsen, Jura 1997, 85, 88; Unruh, Schutzpflichten, S. 86 f.; Sczcekalla, Schutzpflichten, S. 325 ff.; Streuer, Verpflichtungen, S. 146 ff. 110 Hain, DVBl. 1993, 982, 983 f. Erichsen, Jura 1997, 85, 88; Starck, JZ 1993, 816, 817; ders., Verfassungsauslegung, S. 82. 111 Hain, DVBl. 1993, 982, 983; Starck, JZ 1993, 816, 817. 112 Hain, DVBl. 1993, 982, 983. 113 BVerfG vom 06.05.1997, BVerfGE 96, 56, 64; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 84; Dietlein, ZG 1995, 131, 137; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1038; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 216 f. 114 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 217. Vgl. hierzu die Bsp. bei Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 85 f.; Dietlein, ZG 1995, 131, 137; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 94. 115 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 217. 116 Brüning, JuS 2000, 955, 957; Sodan, NVwZ 2000, 601, 605.

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Beschluss des BVerfG vom 06.05.1997, mit dem das Gericht ein landgerichtliches Urteil gerade deshalb aufhob, weil dieses den weiten Abwägungsspielraum bei der Kollision eines grundrechtlichen Abwehrrechtes mit einer Schutzpflicht verkannt hatte.117 Innerhalb der zwischen Unter- und Übermaßverbot bestehenden Spanne ist der Gesetzgeber damit frei, seinen Gestaltungsspielraum auszuschöpfen.118 Erkennt man diese Spanne nicht an, verliert nicht nur der Gesetzgeber seine Konfliktschlichtungsfunktion, sondern auch das Gewaltenteilungsprinzip seine Bedeutung.119 Vor diesem Hintergrund kann damit auch das mit dem Begriff der praktischen Konkordanz umschriebene Gebot einer optimalen Geltungskraft gegenläufiger Grundrechtspositionen keine Anwendung finden. Die Fixierung des Prüfungsprogramms zwischen Unter- und Übermaßverbot hat zu Konsequenz, dass auf Seiten des zu Schützenden kein Optimal-, sondern lediglich ein Minimalschutz herzustellen ist. Leitmotiv der Abwägung ist die Frage, ob der Gesetzgeber den grundrechtlich gebotenen Mindestschutz verwirklicht, also unter Berücksichtigung kollidierender Grundrechtspositionen keine unzumutbare Schutzlücke verbleibt. (2) Multipolare Grundrechtskollisionen Bis jetzt haben sich die Bemühungen, der Schutzpflichtendogmatik Konturen zu verleihen, in der Dreieckskonstellation Staat – Beeinträchtigter – Störer bewegt. Das vorliegend zu begutachtende Kündigungsschutzrecht weist jedoch noch eine weitere Dimension auf, berührt dieses doch auch die grundrechtlichen Interessen der Arbeitsuchenden.120 Nach der Auffassung Rufferts lässt sich eine derartige mehrpolige grundrechtliche Konfliktlage nicht mehr mit der Schutzpflichtdogmatik erfassen, sie entfalte sich vielmehr im Bereich sozialstaatlicher Gestaltung.121 Den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum hier an Realisierungspflichten aus Art. 12

___________ 117

BVerfG vom 06.05.1997, BVerfGE 96, 56, 63, 65 f. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 578; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 20; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 313; Dietlein, ZG 1995, 131, 136 ff.; Isensee, in: HdBStR V, § 111 Rdnr. 165; Jarass, AöR 110 (1985), 363, 383; Krings, Schutzansprüche, S. 300; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1038; Oetker, Bestandsschutz, S. 28; ders., RdA 1997, 9, 14; Rassow, ZG 2005, 262, 275 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 217. 119 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 207. 120 Zur grundrechtlichen Dimension des Kündigungsschutzes für Arbeitsuchende vgl. später unten unter § 12 A III, S. 442 ff. 121 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 471. 118

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Abs. 1 GG zu binden hieße, die inhaltlichen Vorgaben dieses Grundrechts wie auch die der Verfassung allgemein erheblich zu überschätzen.122 Eine Berücksichtigung der grundrechtlichen Interessen Drittbetroffener ist indes keineswegs von vornherein ausgeschlossen. Diese lassen sich im Gegenteil zwanglos in das aus der Schutzpflichtendogmatik abgeleitete Prüfungsprogramm eingliedern. So sind dann im Rahmen der Prüfung des Untermaßverbots nicht nur die gegenläufigen grundrechtlichen Interessen des Arbeitgebers zu berücksichtigen, sondern zusätzlich auch die der Arbeitsuchenden. Sämtliche dieser Interessen bedingen sich wechselseitig und es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die erforderlichen ausgleichenden und notwendigerweise abwägenden Entscheidungen zu treffen.123 Dieser multipolare Grundrechtskonflikt führt zu einer Ausdehnung des Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. In die Bewertung der grundrechtlichen Interessenlage hat er zusätzlich die grundrechtlichen Positionen der Arbeitsuchenden einzubeziehen, deren Schutzbedürftigkeit zu bestimmen und zu gewichten sowie künftige Entwicklungen und Wirkungen seiner Tätigkeit in Bezug auf die Arbeitsuchenden zu prognostizieren. c) Das Prüfungsprogramm des Untermaßverbots Das vom Untermaßverbot vorgegebene und für die nachfolgende Untersuchung angewendete Prüfungsprogramm stellt sich damit wie folgt dar:124 Auf einer ersten Stufe ist festzustellen, ob der Gesetzgeber zum Schutz des gefährdeten oder beeinträchtigten Grundrechtsgutes geeignete und damit wirksame Maßnahmen ergriffen hat. Geeignet sind diese dann, wenn sie eine Gefährdung des Grundrechtsgutes zumindest einzudämmen vermögen.125 Ob die Eignung einer Maßnahme bereits dann zu verneinen ist, wenn bei deren Verabschiedung keine vollständige Gewissheit über das Eintreten eines Schutzgewinns bestand, kann nur unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums beantwortet werden.126 Zwar hat das überprüfende BVerfG nach Maßgabe des § 26 Abs. 1 S. 1 BVerfGG sämtliche mit vertretbarem Aufwand erreichbaren Fakten und Erkenntnisquellen, welche für und ge___________ 122

Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 471. Oetker, Bestandsschutz, S. 46; ders., RdA 1997, 9, 21. 124 Vgl. dazu auch ähnliche Vorschläge von Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 89 ff.; Calliess, JZ 2006, 321, 329; ders., in: Papier/Merten, HGR II, § 44 Rdnr. 31; Michael, JuS 2001, 148, 151 f. und Möstl, DÖV 1998, 1029, 1038 f. Ein davon abweichendes Prüfungsprogramm schlägt Rassow, ZG 2005, 262, 273 ff., vor. 125 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 85, 89; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 308; Krings, Schutzansprüche, S. 303; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1038. 126 Vgl. dazu ausführlich Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 303 ff. 123

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gen den Erlass einer Schutzmaßnahme sprechen, zusammenzutragen und auszuschöpfen.127 Eine Ungewissheit über die Auswirkungen eines Gesetzes kann indes nicht die Befugnis des Gesetzgebers ausschließen, das Gesetz zu erlassen, auch wenn dieses von großer Bedeutung ist.128 Die Eignung einer Maßnahme zur Schutzrechtsförderung ist aber dann zu verneinen, wenn unter Zugrundelegung der verfügbaren Erkenntnisquellen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit fehlt, dass die noch nicht getätigte Maßnahme das Recht auf Schutz besser realisiert als die ohne gesetzliche Regelung bestehende einfache Rechtslage.129 Gleiches gilt, wenn die Geeignetheit einer Maßnahme überhaupt nicht abschätzbar ist, etwa weil ein Verursachungs- und Schadensprofil theoretisch wie empirisch vollständig im Dunkeln liegt.130 Nicht geboten ist eine Suche nach effektiveren, aber gleich milden Schutzmitteln:131 Das Untermaßverbot aber gebietet gerade keine Optimierung, sondern lediglich ein Mindestmaß an Schutz.132 Im Ergebnis steht die hier vertretene Auffassung auch im Einklang mit der Judikatur des BVerfG, das seinerseits ebenfalls keine Effektuierung des grundrechtlichen Schutzes verlangt.133 Auf einer nächsten Stufe sind dann kollidierende Grundrechtspositionen und andere entgegenstehende öffentliche Interessen von Verfassungsrang herauszuarbeiten. Abschließend ist zu untersuchen, ob die zur Überprüfung stehende vom Gesetzgeber getroffene Regelung angemessen ist. Dabei ist eine Abwägung mit den gegenläufigen grundrechtlichen Interessen vorzunehmen, verbleibende Schutzdefizite dürfen unter Berücksichtigung dieser Interessen die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschreiten.134 Dem Abwägungsvorgang liegen Wertungsentscheidungen zugrunde. Anhaltspunkte liefern das im Einzelfall zu be___________ 127

Bryde, in: FS 50 Jahre BVerfG I, S. 533, 553 ff.; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 304 f. 128 BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 332. 129 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 307. 130 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 307; Di Fabio, DÖV 1995, 1, 9. 131 So aber Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 85 f., 89; Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 252, 153 ff.; Brüning, JuS 2000, 955, 957; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 574; ders., JZ 2006, 321, 328; ders., in: Papier/Merten, HGR II, § 44 Rdnr. 31; Krings, Schutzansprüche, S. 303; Michael, JuS 2001, 148, 151; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1038 f.; Rassow, ZG 2005, 262, 274 f. Wie hier Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 278 ff.; Lindner, RdA 2005, 166, 167; ders., Grundrechtsdogmatik, S. 517 f. 132 Vgl. dazu oben unter § 11 A IV 3 b) bb), S. 413 ff. 133 BVerfG vom 28.05.1993, BVerfGE 88, 203, 261 f.; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 176 f. 134 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 90; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 574; ders., in: Papier/Merten, HGR II, § 44 Rdnr. 32 f.; Michael, JuS 2001, 148, 151; Möstl, DÖV 1998, 1029, 1039; Sodan, NVwZ 2000, 601, 606.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

stimmende Gewicht der Grundrechtsgüter, die Nähe der Gefahr deren Beeinträchtigung, Ausmaß und Auswirkung des drohenden Schadens, die Möglichkeiten der Selbsthilfe sowie die Handlungs- und Leistungsfähigkeit staatlicher Reglementierung. Zu respektieren ist dabei der dem Gesetzgeber zustehende Wertungsspielraum, der sich auf die Gewichtung der einander entgegenstehenden Belange und die Bestimmung ihrer Schutzbedürftigkeit bezieht. Eine Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten kann daher nur angenommen werden, wenn die zu schützende Grundrechtsposition den gegenläufigen Interessen in einer Weise untergeordnet wird, dass in Anbetracht der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts von einem angemessenen Ausgleich nicht mehr gesprochen werden kann.135 Im Rahmen der Angemessenheitskontrolle ist schließlich der Blick nicht auf die zur Überprüfung anstehende Norm zu beschränken, sondern die einfachgesetzliche Umsetzung des grundrechtlichen Schutzauftrages in ihrer Gesamtheit zu erfassen.136 Dies folgt schon daraus, dass sich aus den Grundrechten keine isolierte Verpflichtung zur Bereitstellung einzelner konkreter Schutzmaßnahmen ergibt, sondern dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zur Umsetzung seines aus den Grundrechten folgenden Schutzauftrags eingeräumt ist. Dieser Gestaltungsspielraum ermöglicht ihm, ein komplexes Schutzkonzept zu entwerfen. Nicht jede Regelung des einfachen Rechts, die der Verwirklichung eines Schutzgebots dient, ist deshalb auch schon von Verfassungs wegen geboten.137 Dem einfachen Recht steht vielmehr ein weites Spektrum unterschiedlicher Instrumente zur Verfügung, die lediglich in ihrer Gesamtheit und in ihrem Zusammenwirken einen effektiven Grundrechtsschutz gewährleisten müssen.138 Somit kann der Gesetzgeber in weitem Umfang in das einfache Recht eingreifen und dabei auch den einmal erreichten Schutzstandard absenken, unter Umständen gar gänzlich beseitigen, ohne dabei zwangsläufig hinter das verfassungsrechtlich gebotene Schutzminimum zurückzufallen und das Untermaßverbot zu verletzen.139

B. Soziale Leistungsansprüche und Grundrechte Immer wieder finden sich Bemühungen, Schutzpflichten des Gesetzgebers nicht nur aus der von den Grundrechten aufgerichteten objektiven Wertordnung ___________ 135

BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 176 f.; BVerfG vom 29.12.2004, NZA 2005, 153, 155. 136 BVerfG vom 08.08.1978, BVerfGE 49, 89, 142; BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 91; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 82 f.; Oetker, Bestandsschutz, S. 38; ders., RdA 1997, 9, 18; Streuer, Verpflichtungen, S. 133 f. 137 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 82; Papier, DVBl. 1984, 801, 813. 138 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 82. 139 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 83.

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abzuleiten, sondern auch auf das in Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip zurückzugreifen. Derartige Verbindungslinien zwischen Grundrechten und dem Sozialstaatsprinzip finden sich auch in der Judikatur des BVerfG, wenn dieses etwa im „Kleinbetriebs-Beschluss“ ausführt, „Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip“ fordere bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer eine gewisses Maß an Berücksichtigung sozialer Kriterien. 140 Im Wesentlichen lassen sich dabei zwei unterschiedliche dogmatische Ansätze herausarbeiten. I. Soziale Gestaltung durch den Gesetzgeber aufgrund sozialer Grundrechtsgehalte Ausgehend von einer sozialen Grundrechtstheorie, wonach der Gesetzgeber die realen Voraussetzungen für die Verwirklichung grundrechtlicher Freiheiten zu verschaffen habe, leitet der eine aus sozialen Grundrechtsfunktionen konkrete Handlungsaufträge an den Gesetzgeber ab. Den Staat treffe eine Verpflichtung, seinen Bürger durch positiv fördernde Maßnahmen die realen Bedingungen für die Inanspruchnahme der Grundrechte zu ermöglichen.141 Diese Verpflichtung wird den Grundrechten in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip entnommen,142 die Grundrechte damit um eine positive soziale Funktion aufgeladen. Grundrechtliche Freiheit sei wertlos, wenn sie nicht durch Schaffung und Sicherung der gesetzlichen und tatsächlichen Voraussetzungen zur realen Freiheit möglichst vieler werde.143 So beinhalte etwa die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit eine positive Verpflichtung staatlicher Gewalten, dem Einzelnen die Chance der beruflichen Entfaltung zu gewährleisten.144

___________ 140

BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 179. Bethge, Der Staat 24 (1985), 351, 376; Breuer, in: FS 25 Jahre BVerwG, 89, 94; Friauf, DVBl. 1971, 674, 677; Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 95 f.; Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaats, S. 75; Liesegang, JuS 1976, 420, 423; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 173; Willke, Grundrechtstheorie, S. 216 ff. 142 Bethge, Der Staat 24 (1985), 351, 376; Breuer in: FS 25 Jahre BVerwG, 89, 94; Friauf, DVBl. 1971, 674, 676; Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 95 f.; Liesegang, JuS 1976, 420, 423. 143 Bethge, Der Staat 24 (1985), 351, 375 f.; Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaats, S. 101 f. 144 Friauf, DVBl. 1971, 674, 678. 141

422

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Die Einwände dagegen sind vielfältig und hinreichend belegt.145 Das historische Argument, wonach der Verfassungsgeber des Grundgesetzes, ausgehend von einem liberalen Grundrechtsverständnis, bewusst davon abgesehen habe, sozialen Grundrechten Verfassungsrang zu verschaffen, liefert das BVerfG dezidiert begründet in einem frühen Beschluss im ersten Band der amtlichen Entscheidungssammlung.146 Die Verbindung zwischen Sozialstaatsprinzip und den Grundrechten führt aber gerade zu einer Umdeutung in soziale Grundrechte, was einige Stimmen auch unumwunden zugestehen. 147 Über die Verfassungsinterpretation wird so nachgeholt, was dem Verfassungsgeber als Versäumnis angelastet wird.148 Zwei weitere Argumente seien an dieser Stelle noch kurz skizziert: Die Ableitung zusätzlicher sozialer Bedeutungsgehalte aus den Grundrechten begründen bei der Kontrolle der Grundrechtsverwirklichung durch den Gesetzgeber einen rechtspolitischen Auftrag des BVerfG zu eigenständiger sozialer Gestaltung und damit einen Übergriff in den Kernbereich legislativer Staatsaufgaben.149 Selbst wenn diese soziale Grundrechtsfunktion sich auf objektivrechtliche Aufträge an den Gesetzgeber beschränkte, tauchte das Problem der Unmöglichkeit auf, einen sozialen Mindeststandard aus den Grundrechten abzuleiten150: „Die einzelnen Freiheitsgrundrechte [...] enthalten in sich kein Maß für den Umfang ihrer Gewährleistung [...]; sie verfügen über kein Kriterium für Prioritäten zwischen den Leistungsansprüchen verschiedener Grundrechte; sie geben nicht an, welcher Anteil der staatlichen Finanzmittel für sie verfügbar gehalten werden muß.“151 Soziale Grundrechtsgehalte spielen damit für die nachfolgende Untersuchung keine Rolle. ___________ 145

Zur Kritik vgl. umfassend Isensee, Der Staat 19 (1980), 367 ff.; Klein, Grundrechte, S. 63 ff.; Murswiek, in: HdBStR V, § 112 Rdnr. 90 ff.; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 147 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 270 ff. Ausnahmen bilden jedoch der Anspruch aus Gewährleistung des Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG, vgl. BVerwG vom 24.06.1954, BVerwGE 1, 159, 161 f., sowie der aus Art. 7 Abs. 4 GG abzuleitende Auftrag zur finanziellen Förderung von Privatschulen, vgl. BVerfG vom 29.05.1990, BVerfGE 82, 60, 80. 146 BVerfG vom 19.12.1951, BVerfGE 1, 97, 105 147 Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43, 92; Willke, Grundrechtstheorie, S. 217. 148 Isensee, Der Staat 19 (1980), 367, 371. 149 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 152 f.; Murswiek, in: HdBStR V, § 112 Rdnr. 95 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 270 f. Um dieses Problem zu umgehen, wird der sozialen Grundrechtsfunktion teilweise die Qualität eines gerichtlich durchsetzbaren Individualanspruchs aberkannt und die Eigenverantwortlichkeit des Gesetzgebers betont, vgl. dazu Breuer, in: FS 25 Jahre BVerwG, S. 89, 93; Friauf, DVBl. 1971, 674, 677; Rupp, AöR 101 (1976), 161, 175. 150 Murswiek, in: HdBStR V, § 112 Rdnr. 92; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 270. 151 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 154.

§ 11 Multifunktionalität der Grundrechte

423

II. Sozialstaatsprinzip Mit dem Sozialstaatsprinzip spricht das BVerfG in seinem „KleinbetriebsBeschluss“ einen weiteren Ansatz zur Gewinnung konkreter Maßstäbe für den arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz an, um ihn sogleich wieder zu verwerfen.152 Dabei ist die Kompetenz des Gesetzgebers zur Realisierung des im Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG, liegenden Auftrags zur Gestaltung einer sozialen gesellschaftlichen Ordnung unbestritten.153 Es begründet nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Pflicht des Staates, durch seine Gewalten für eine „gerechte Sozialordnung zu sorgen“.154 Um diese inhaltlich unbestimmte Formel mit Substanz zu füllen, rekurriert das BVerfG auf die Begriffe des sozialen Ausgleichs und der Fürsorge: So treffe den Staat zum einen die Verpflichtung, für einen Ausgleich sozialer Gegensätze zu sorgen,155 zum anderen habe der Staat Fürsorge für diejenigen zu tragen, die aufgrund persönlicher Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligung an persönlicher oder sozialer Entfaltung gehindert sind.156 In der Literatur finden sich Definitionsbemühungen unter den Oberbegriffen „soziale Gerechtigkeit“157, „sozialer Ausgleich“158 und „soziale Sicherheit“159. Alle Konkretisierungversuche untermauern jedoch nur die inhaltliche Weite und Unbestimmtheit des Sozialstaatsprinzips. Daher ist in erster Linie der Gesetzgeber dazu berufen, den in diesem Prinzip liegenden Gestaltungsauftrag zu verwirklichen und mit konkreten Inhalten zu füllen.160 Inhaltliche Offenheit und Unbestimmtheit verhindern auch die Ablei___________ 152

BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 185. Vgl. nur BVerfG vom 19.12.1951, BVerfGE 1, 97, 105; seitdem ständige Rspr., vgl. nur BVerfG vom 29.05.1990, BVerfGE 82, 60, 79 f.; BVerfG vom 23.04.1991, BVerfGE 84, 90, 125; BVerfG vom 12.03.1996, BVerfGE 94, 241, 263; BVerfG vom 03.04.2001, BVerfGE 103, 242, 259 f. Im Schrifttum u.a. Badura, Der Staat 14 (1975), 17, 35; Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rdnr. 47. 154 BVerfG vom 17.08.1956, BVerfGE 5, 85, 198; BVerfG vom 18.07.1967, BVerfGE 22, 180, 204; BVerfG vom 12.03.1996, BVerfGE 94, 241, 263. 155 BVerfG vom 18.07.1967, BVerfGE 22, 180, 204; BVerfG vom 27.04.1999, BVerfGE 100, 271, 284. 156 BVerfG vom 05.06.1973, BVerfGE 35, 202, 236; BVerfG vom 22.06.1977, BVerfGE 45, 376, 387; BVerfG vom 27.04.1999, BVerfGE 100, 271, 284. 157 Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, S. 118. 158 Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, S. 118. 159 Stern, in: ders., Staatrecht I, S. 911 f.; Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht, S. 118. 160 BVerfG vom 19.12.1951, BVerfGE 1, 97, 105; BVerfG vom 13.01.1982, BVerfGE 59, 231, 263; BVerfG vom 29.05.1990, BVerfGE 82, 60, 80; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 20 (Sozialstaat) Rdnr. 32; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 139; Ruffert, 153

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

424

tung eines Gebotes, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren.161 Anderenfalls wäre die demokratische Ordnung des Grundgesetzes entscheidend verkürzt, würde der politischen Willensbildung im Wege der Verfassungsinterpretation eine so und nicht anders einzulösende Verpflichtung vorgegeben.162 Zwingend ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip lediglich der Auftrag an den Gesetzgeber, Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger zu schaffen.163 Unter diesen Vorzeichen verwundert es nicht, wenn das BVerfG in seinem „Kleinbetriebs-Beschluss“ feststellt, weiter reichende Anforderungen an die Gesetzgebung gegenüber grundrechtlichen Schutzpflichten ließen sich dem Sozialstaatsprinzip nicht entnehmen, die aus den Grundrechten folgenden Schutzpflichten seien insoweit spezieller.164 Ein den grundrechtlichen Schutzpflichten genügender arbeitsrechtlicher Kündigungsschutz erfüllt in jedem Falle die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins. Insofern ist das Sozialstaatsprinzip auch für die nachfolgende Erarbeitung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für den arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz zu vernachlässigen.165

C. Grundrechtliche Abwehrrechte im Kontext gesetzlicher Regelungen des Privatrechts Von Bedeutung für die nachfolgende Untersuchung ist aber die „klassische“ abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte, welche vorrangig unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers als Ausfluss dessen Grundrechts der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG,166 sowie der „Außenseiterproblematik“, also der Wirkung von Kündigungsbeschränkun___________ Vorrang der Verfassung, S. 271; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 1 Rdnr. 120; Stern, in: ders., Staatrecht I, S. 915 f. 161 BVerfG vom 26.11.1964, BVerfGE 18, 257, 273; BVerfG vom 13.01.1982, BVerfGE 59, 231, 263; BVerfG vom 19.05.1990, BVerfGE 82, 60, 80, BVerfG vom 12.03.1996, BVerfGE 94, 241, 263; BVerfG vom 03.04.2001, BVerfGE 103, 242, 259; Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rdnr. 47. Äußerst vorsichtig in der Ableitung konkreter Handlungsaufträge an den Gesetzgeber zur Ausgestaltung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes auch Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 253 ff. 162 BVerfG vom 13.01.1982, BVerfGE 59, 231, 263. 163 BVerfG vom 29.05.1990, BVerfGE 82, 60, 80; Sommermann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Abs. 1 Rdnr. 120. 164 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 185. 165 AA Lindner, RdA 2005, 166, 169 f., der das Sozialstaatsprinzip als allein maßgebliche verfassungsrechtliche Direktive für die Gestaltung einer sozialen Arbeitsrechtsordnung erachtet. 166 Dazu sogleich unten unter § 12 A II 1, S. 440 f.

§ 11 Multifunktionalität der Grundrechte

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gen als Marktzutrittsschranke für Arbeitsuchende im Sinne einer Beschränkung deren Berufsfreiheit,167 diskutiert wird. Das auf Freiheitsrechte angewendete herkömmliche dreigliedrige Prüfungsschema Schutzbereich – Eingriff – Rechtfertigung bildet den Leitfaden für die nachfolgende Grundrechtsprüfung, die jedoch insofern eine Besonderheit aufweist, als gesetzliche Bestimmungen des Privatrechts auf dem Prüfstand stehen. I. Schutzbereich des betroffenen Grundrechts Auf der ersten Prüfungsstufe ist der dem Prüfungsgegenstand zugrunde liegende Lebenssachverhalt dem Schutzbereich eines oder mehrerer Grundrechte zuzuordnen. Der Schutzbereich kennzeichnet den grundrechtlich geschützten Lebensbereich und damit den Schutzgegenstand eines Grundrechts.168 II. Hoheitlicher Eingriff in den Schutzbereich Aktiviert wird die grundrechtliche Abwehrfunktion dann, wenn ein Hoheitsträger in den Schutzbereich eines Grundrechts eingreift. Nach dem „klassischen“ Eingriffsverständnis erfüllen diese Voraussetzungen unmittelbare zielgerichtete Rechtsakte des Staates, welche mit Befehl und Zwang angeordnet oder durchgesetzt werden.169 Kennzeichnend sind die vier Voraussetzungen Rechtsförmigkeit, Unmittelbarkeit, Finalität und Imperativität.170 Dass diese Deutung allein nicht zu befriedigen vermag, liegt auf der Hand:171 Grundrechtliche Beeinträchtigungen, die sich als lediglich unbeabsichtigte Nebenfolge hoheitlichen Handelns darstellen, also mittelbare oder nur faktische Einwirkungen, bleiben unberücksichtigt. Deutlich wird dies insbesondere an den Fernwirkungen des gesetzlichen Kündigungsschutzes auf die grund___________ 167

Dazu sogleich unten unter § 12 A III, S. 442 ff. Lerche, in: HdBStR V, § 121, Rdnr. 12; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 197; Poscher, Abwehrrechte, S. 318; Sachs, Grundrechte, S. 98. Auch das BVerfG spricht vom „Schutzbereich“ eines Grundrechts, vgl. BVerfG vom 11.06.1958, BVerfGE 7, 377, 432, 444; BVerfG vom 10.06.1964, BVerfGE 18, 85, 93; BVerfG vom 05.06.1973, BVerfGE 35, 202, 219 f.; BVerfG vom 06.06.1989, BVerfGE 80, 137, 154; BVerfG vom 25.03.1992, BVerfGE 86, 1, 9. Kritisch zur Terminologie Ipsen, Staatsrecht II, Rdnr. 117; Sachs, in: HGR II, § 39 Rdnr. 15 f. 169 Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7, 38; Ipsen, Staatsrecht II, Rdnr. 130. 170 Statt aller Bethge, VVDStRL 57 (1998), 7, 38; Ipsen, Staatsrecht II, Rdnr. 130; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 238; Sachs, Grundrechte, S. 105 f. Teilweise wird bereits die Imperativität des Hoheitsaktes für ausreichend erachtet, vgl. Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 57, 60 f. Zum Ganzen T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 18 ff.; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 42 ff. 171 Zur Kritik ausführlich Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 148 ff. 168

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

rechtlich geschützten Interessen Arbeitsuchender, die mit dem herkömmlichen Eingriffsverständnis nicht mehr zu bewältigen sind. Die Grundrechte aber schützen vor jeder Art staatlicher Ingerenz und müssen sich damit auch neuartigen Handlungsformen des Staates anpassen, welche neue Lenkungs- und Interventionspotentiale eröffnen.172 So stellen Literatur und Rechtsprechung dem „klassischen“ Eingriffsbegriff einen „modernen“ zur Seite, der diesen ergänzt und erweitert, um Grundrechtsschutz auch gegenüber mittelbarem und faktischem Staatshandeln zu gewährleisten. Ein Eingriff ist so verstanden jedes staatliches Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechtes fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht, gleichgültig, ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich, mit oder ohne Befehl und Zwang erfolgt.173 Zur Konkretisierung des erweiterten Eingriffsbegriffs treten in der Diskussion drei Merkmale in den Vordergrund. Zum einen das der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung, welches auf die Wirkung der Beeinträchtigung beim Grundrechtsträger abstellt.174 Di Fabio zufolge verlangt dieses eine „deutlich erkennbare und subjektiv vom Grundrechtsträger fühlbare Positionsveränderung in Bezug auf die Grundrechtsausübung“.175 Aufgrund fehlender Konkretisierbarkeit und dogmatischer Verankerung im System der Grundrechte äußert sich dagegen jedoch vielstimmig Kritik.176 Ein weiteres Kriterium zur Präzisierung des Eingriffsbegriffs soll das der Finalität bilden: Der Hoheitsträger müsse die Beeinträchtigung des mittelbar betroffenen Grundrechtsträgers mitbezweckt, also gewollt oder zumindest in Kauf genommen haben.177 Auch dieser Konkretisierungsvorschlag sieht sich der Kri___________ 172

Friauf, DVBl. 1971, 674, 681; Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 57, 75. Papier, DVBl. 1984, 801, 805; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 240. 174 BVerwG vom 23.05.1989, BVerwGE 82, 76, 79; BVerwG vom 18.10.1990, BVerwGE 87, 37, 43 f.; BVerwG vom 27.03.1992, BVerwGE 90, 112, 121; Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, 373, 380; Di Fabio, JZ 1993, 689, 695; Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 252 ff.; A. Roth, Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit, S. 230 f., 298 ff. 175 Di Fabio, JZ 1993, 689, 695. 176 Albers, DVBl. 1996, 233, 236; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 155 f.; Discher, JuS 1993, 463, 466; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 45 f.; T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 244 ff.; W. Roth, Faktische Eingriffe, S. 267 ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 157 f.; Spaeth, Grundrechtseingriff, S. 154 ff.; Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 57, 87. 177 BVerwG vom 18.04.1985, BVerwGE 71, 183, 193 f.; BVerwG vom 23.05.1989, BVerwGE 82, 76, 79; BVerwG vom 18.10.1990, BVerwGE 87, 37, 42 f.; BVerwG vom 27.03.1992, BVerwGE 90, 112, 120; Albers, DVBl. 1996, 233, 235; Di Fabio, JZ 1993, 689, 695; Friauf, DVBl. 1971, 674, 681; T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 258 ff.; Phi173

§ 11 Multifunktionalität der Grundrechte

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tik ausgesetzt.178 Insbesondere fehlt dem Kriterium der Finalität die nötige Trennschärfe; er kann zum einen rein subjektiv auf den erkennbaren Willen des Gesetzgebers abstellen oder objektiviert durch Auslegung der Maßnahme bestimmt werden.179 Am weitesten konsentiert ist ein Rückgriff auf die Merkmale „Zurechenbarkeit“ und „Unmittelbarkeit“. Diese verlangen einen normativen Zurechnungszusammenhang zwischen dem staatlichem Handeln einerseits und der Grundrechtsbeeinträchtigung andererseits und grenzen damit atypische Risiken aus.180 Synonym wird in diesem Zusammenhang auch vom Erfordernis eines adäquaten Kausalzusammenhangs gesprochen.181 Doch auch die Begriffe „Zurechenbarkeit“ und „Unmittelbarkeit“ gilt es mit Inhalten zu füllen.182 Nicht selten tauchen dabei wieder die Kriterien „Intensität“ und „Finalität“ auf.183 Streit besteht ferner bezüglich der Frage, ob die Zurechenbarkeit auf vorhersehbare Grundrechtsbeeinträchtigungen zu begrenzen ist.184 Letztlich kann der erforderliche Zurechnungszusammenhang nur mittels einer Wertungsentscheidung hergestellt werden.185 Auf Ramsauer schließlich geht die Überlegung zurück, die Zurechenbarkeit in Abhängigkeit des Schutzzwecks des beeinträchtigten Grundrechts zu ermitteln.186 Ziel dieses Ansatzes ist wiederum eine Ausgren___________ lipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 113 f.; A. Roth, Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit, S. 214 f. 178 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 155; Discher, JuS 1993, 463, 465; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 45 f.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 143. 179 Auf diesen Unterschied weisen Albers, DVBl. 1996, 233, 236 sowie Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 140 hin. 180 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 159 f., jedoch kritisch hinsichtlich der Kategorie „Unmittelbarkeit“; Di Fabio, JZ 1993, 689, 695, 697; Elles, Grundrechtsbindung, S. 66; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 113 f.; W. Roth, Faktische Eingriffe, S. 35 ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 147. 181 Albers, DVBl. 1996, 233, 235; W. Roth, Faktische Eingriffe, S. 40 ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 191 ff. 182 Kritik an der „Leerformelhaftigkeit“ auch bei Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, 373, 375; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 24, 158 ff.; W. Roth, Faktische Eingriffe, S. 36; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 147; Spaeth, Grundrechtseingriff, S. 158. 183 Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 285 f.; Philipp, Arzneimittellisten und Grundrechte, S. 114. 184 Dafür Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 160; Discher, JuS 1993, 463, 465 f.; Weber-Dürler, VVDStRL 57 (1998), 57, 91. Dagegen Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1988, 373, 381; Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 247 f.; T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 281 ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 191. 185 Albers, DVBl. 1996, 233, 236; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 24; W. Roth, Faktische Eingriffe, S. 36. 186 Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 103 ff. Dem folgend Albers, DVBl. 1996, 233, 236; Bleckmann/Eckhoff, DVBl. 1996, 233, 236; Eckhoff, Grundrechtseingriff,

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

zung von Beeinträchtigungen, die als Ausfluss des allgemeinen Lebensrisikos unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit von jedermann hinzunehmen sind, gegenüber denjenigen, vor denen das jeweilige Grundrecht Schutz bieten will.187 Zur Konkretisierung zieht er die Dichte der Erfolgsbeziehung zum staatlichen Handeln 188 sowie die Eingriffsintensität189 heran. Auch das BVerfG hat einen Schutz gegen mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen bereits frühzeitig anerkannt. 190 Dabei rekurriert es in seinem „Nachrüstungs-Beschluss“ ebenfalls auf das Kriterium der Zurechenbarkeit. Mittelbare Beeinträchtigungen, so das Gericht, stellten dann einen Grundrechtseingriff dar, wenn sie zwei Voraussetzungen erfüllten: Der staatliche Akt müsse für die Grundrechtsgefahr ursächlich und die Herbeiführung der Gefahr der öffentlichen Gewalt zuzurechnen sein.191 Den breitesten Raum nehmen aber Entscheidungen des Gerichts zu faktischen Einwirkungen auf das Grundrecht der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, durch Normen, deren primäre Intention sich nicht auf berufsbezogene Regelungen richtet, ein. Als Voraussetzung eines mittelbaren Eingriffs schuf das Gericht das in die Richtung der Kategorie der Finalität weisende Kriterium der „objektiv berufsregelnden Tendenz“, die dann anzunehmen ist, wenn Regelungen nach Entstehungsgeschichte und Inhalt im Schwerpunkt Tätigkeiten betreffen, die typischerweise beruflich ausgeübt werden.192 Neuerdings scheint das Gericht davon aber wieder abkehren zu wollen.193 Einen ganz anderen Weg beschreitet das BVerfG demgegenüber in seinen beiden Entscheidungen zu Warnungen der Bundesregierung vor Glykolwein und der Osho-Bewegung: In diesen beantwortet das Gericht die Frage, welche Formen mittelbarer Beeinträchtigungen grundrechtliche Abwehrrechte auslösen, nicht mittels einer Bestimmung des Eingriffsbegriffs, sondern bereits durch Eingrenzung der Schutzbereiche der betroffenen Grundrechte.194

___________ S. 271; Sachs in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 155 f.; Spaeth, Grundrechtseingriff, S. 163. Kritisch T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 247 ff. 187 Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 103. 188 Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 103 f. 189 Ramsauer, VerwArch 72 (1981), 89, 104 f. 190 BVerfG vom 17.01.1957, BVerfGE 6, 55, 82. 191 BVerfG vom 16.12.1983, BVerfGE 66, 39, 60. 192 BVerfG vom 30.10.1961, BVerfGE 13, 181, 186; BVerfG vom 22.05.1963, BVerfGE 16, 147, 162; BVerfG vom 01.08.1978, BVerfGE 49, 24, 47 f.; BVerfG vom 08.04.1987, BVerfGE 75, 108, 153 f.; BVerfG vom 17.02.1998, BVerfGE 97, 228, 253 f.; BVerfG vom 14.07.1998, BVerfGE 98, 218, 258. 193 BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 85. 194 BVerfG vom 26.06.2002, BVerfGE 105, 252, 273; BVerfG vom 26.06.2002, BVerfGE 105, 279, 300 f.

§ 11 Multifunktionalität der Grundrechte

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III. Rechtfertigung des Eingriffs Damit der Grundrechtseingriff nicht in eine rechtswidrige Grundrechtsverletzung mündet, bedarf dieser der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Der für die nachfolgende Untersuchung im Zentrum stehende Art. 12 Abs. 1 GG erlaubt mit seinem in Abs. 1 S. 2 normierten Gesetzesvorbehalt zwar dem parlamentarischen Gesetzgeber, die geschützten Grundrechtspositionen durch ein förmliches Gesetz zu verkürzen. Dem die Grundrechte beschränkenden Gesetzgeber sind allerdings seinerseits Grenzen gezogen. Die wichtigste richtet dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf. Alle Gesetzesvorbehalte der Grundrechte stehen unter dem Vorbehalt des verhältnismäßigen Gesetzes.195 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt im Einzelnen, dass der Staat einen zulässigen Zweck mit einem zulässigen, geeigneten und erforderlichen Mittel verfolgt, wobei dieses Mittel nicht zu einer Grundrechtsbeschränkung führen darf, deren Intensität gänzlich außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck steht.196 Stehen in der nachfolgenden Untersuchung privatrechtliche Regelungen auf dem Prüfstand, so bedingt dies eine modifizierte Verhältnismäßigkeitsprüfung. Stellt sich die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne als Abwägung grundrechtlich geschützter Individualinteressen gegen solche des Allgemeinwohls dar, bedeutet die Proportionalitätskontrolle eines privatrechtlichen Gesetzes den Ausgleich grundsätzlich gleichwertiger Positionen, eine Abgrenzung der Freiheitssphären untereinander.197 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip in seiner klassischen Anwendung kennzeichnet das Zusammenspiel zwischen einer Konstanten, dem feststehenden Zweck, und einer Variablen, dem zur Zielerreichung verwendeten Mittel.198 Verhältnismäßigkeit im letztgenannten Sinn aber bedeutet eine ___________ 195

In der Rspr. des BVerfG spielt das Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Grundrechtskontrolle bereits von Anfang an eine entscheidende Rolle, vgl. dazu erstmals BVerfG vom 03.06.1954, BVerfGE 3, 383, 399 sowie ausführlich BVerfG vom 11.06.1958, BVerfGE 7, 377, 404 ff.; dem folgend BVerfG vom 15.12.1965, BVerfGE 19, 342, 348 f.; BVerfG vom 18.12.1968, BVerfGE 24, 367, 404; BVerfG vom 26.02.1969, BVerfGE 25, 269, 292. Kritisch neuerdings Raue, AöR 131 (2006), 79, 80 ff., nach dessen Auffassung bei der Prüfung von Grundrechten, die unter einem Gesetzesvorbehalt stehen, keine Angemessenheitsprüfung erforderlich sei. 196 BVerfG vom 15.10.1970, BVerfGE 27, 344, 352 f.; BVerfG vom 16.03.1971, BVerfGE 30, 292, 316 f.; BVerfG vom 15.12.1983, BVerfGE 65, 1, 54; BVerfG vom 09.03.1994, BVerfGE 90, 145, 172 f. Im Schrifttum ausführlich Clérico, Verhältnismäßigkeit, S. 26 ff.; Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 59 ff.; Lerche, Übermaß, S. 19 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 279 ff.; Poscher, Abwehrrechte, S. 325. 197 Lerche, Übermaß, S. 153; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 52; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 100 f. Kritisch Leisner, Abwägungsstaat, S. 164 ff.; aA Poscher, Abwehrrechte, S. 325 ff., nach dessen Auffassung die Entscheidung des Konflikts kollidierender Grundrecht nicht Aufgabe der Grundrechtsdogmatik, sondern politische, einfachrechtliche Gestaltungsaufgabe sei. 198 H. Schneider, Güterabwägung, S. 203.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Relation zweier variabler Größen, nämlich der involvierten Grundrechtsgüter, mit dem Ziel größtmöglicher Wirksamkeit beider Größen.199 Dieses Gebot der Herstellung praktischer Konkordanz verlangt nach einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, welche die größtmögliche Verwirklichung der kollidierenden Grundrechtssphären sicherstellt.200 Treffen grundrechtliche Abwehrrechte auf Schutzpflichten, gilt das Gebot der Herstellung praktischer Konkordanz jedoch nicht.201 Die am Untermaßverbot ausgerichtete Kontrolle der Schutzmaßnahme des Gesetzgebers hat jede dieser Prüfung standhaltende Regelung zu akzeptieren. Auf eine Optimierung des Schutzes kommt es insoweit nicht an. Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers hat die grundrechtliche Kontrolle nicht nur im Rahmen grundrechtlicher Schutzpflichten zu beachten, sondern auch im abwehrrechtlichen Kontext bei der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.202 Beabsichtigt der Gesetzgeber, mit Regelungen zum Kündigungsschutz der aus Art. 12 Abs. 1 GG zugunsten des Arbeitnehmers bestehenden Schutzpflicht zu genügen, so kann bezüglich der Weite des Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers bei der Beurteilung der Geeignetheit der ergriffenen Maßnahme auf die oben zur Schutzpflicht angestellten Überlegungen verwiesen werden. 203 Im Rahmen der Angemessenheitskontrolle, die anders als bei der Prüfung des Untermaßverbots nicht danach fragt, ob dem zu schützenden Grundrechtsträger verbleibende Schutzdefizite unter Berücksichtigung kollidierender Grundrechte zugemutet werden können, sondern überprüft, ob das vom Gesetzgeber gewählte Schutzniveau kollidierende Grundrechte nicht unangemessen einschränkt, ist schließlich auf den bereits oben angesprochenen, auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Sozialordnung besonders weiten Freiraum des Gesetzgebers hinsichtlich dessen Einschätzungen und Wertungen hinzuweisen.204 Um insoweit eine Synchronisation mit der Schutzpflichtenkontrolle herzustellen, bleibt die abwehrrechtliche Angemessenheitsprüfung indes nicht auf eine bloße Evidenz___________ 199

H. Schneider, Güterabwägung, S. 203. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S.183 f.; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 33; Ossenbühl, in: FS Lerche, S. 151, 160; Ruffert, Grundrechte und Privatrecht, S. 101. Aus der Rspr. des BVerfG vgl. besonders anschaulich den Beschluss vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 196, 176 ff. 201 Vgl. dazu oben unter § 11 A IV 3 b) cc) (1), S. 417. 202 BVerfG vom 18.12.1968, BVerfGE 25, 1, 17, 19 f.; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 332 ff.; BVerfG vom 06.10.1987, BVerfGE 77, 84, 106; BVerfG vom 15.01.2002, BVerfGE 104, 337, 347 f.; BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 85; Horn, Experimentelle Gesetzgebung, S. 102; Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 132; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 282; Raabe, Grundrechte und Erkenntnis, S. 332 ff. 203 Vgl. dazu oben unter § 11 A IV 3 b), S. 410 ff. 204 Vgl. dazu oben unter § 11 A IV 3 b) aa), S. 412. 200

§ 11 Multifunktionalität der Grundrechte

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kontrolle beschränkt, vielmehr sind – unter Berücksichtigung des weiten Einschätzungs- und Wertungsspielraums – die gegenläufigen Interessen umfassend gegeneinander abzuwägen.205

D. Grundrechtliche Abwehrrechte gegen privatrechtliche Gesetze und deren Verhältnis zu den Schutzpflichten Sind kollidierende abwehrrechtlich bewehrte Grundrechtspositionen bereits im Rahmen der Schutzpflichtenkontrolle bei der Prüfung des Untermaßverbots zu berücksichtigen206, stellt sich abschließend die Frage, ob unter diesem Vorzeichen die abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte überhaupt noch eine Rolle spielt. In der Tat bliebe die abwehrrechtliche Prüfung entbehrlich, soweit mit Hilfe der Schutzpflichtendogmatik das grundrechtlich gebotene Mindestmaß an Kündigungsschutz ermittelt werden soll. Beschränkte sich der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Schutzgebotsfunktion durch Eingriff in ein kollidierendes Grundrecht auf das verfassungsrechtlich gebotene Minimum, kann das Übermaßverbot des gegenläufigen Abwehrrechts nicht verletzt sein.207 Das Mindestmaß effizienten Schutzes ist dann bereits in Abhängigkeit und unter Abwägung des betroffenen Abwehrrechts zu ermitteln und auszutarieren. Die abwehrrechtliche Prüfung diente insoweit lediglich der gedanklichen Kontrolle208 und bliebe letztlich entbehrlich. Relevant wird diese erst dann, wenn der Gesetzgeber dem zu schützenden Grundrechtsträger mehr Schutz gewährt, als das Grundrecht gebietet.209 Der Gesetzgeber muss zwar nicht über die vom Untermaßverbot markierte Grenze hinausgehen, ist aber gleichwohl daran nicht gehindert, und zwar bis zur praktischen Konkordanz der kollidierenden Grundrechte.210 Ziel der nachfolgenden Untersuchung ist nicht die Ermittlung des grundrechtlichen gebotenen Mindestkündigungsschutzes, sondern die verfassungsrechtliche Überprüfung konkreter Regelungsvorschläge, die in ihrer Bandbreite nicht das Ziel eines Mindestschutzes verfolgen, sondern das eines angemessenen Ausgleichs kollidierender Interessen in dem zwischen Untermaß- und ___________ 205

Ebenso verfährt auch das BVerfG in seinem „Mutterschaftsgeld-Beschluss“, wenn es zwar einerseits auf den besonders weit reichenden Einschätzungs- und Wertungsspielraum des Gesetzgebers hinweist, nachfolgend aber in eine umfassende Abwägung eintritt, BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 85 ff. 206 Vgl. dazu oben unter § 11 A IV 3 a), S. 408. 207 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 89. 208 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 89. 209 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 89 f. 210 Jarass, AöR 110 (1985), 363, 384.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Übermaßverbot eröffneten Gestaltungsspielraum. Die grundrechtliche Kontrolle muss demzufolge beide Grenzen im Blick behalten, wenn sich auch angesichts des vielfach verfolgten Ziels, das Niveau arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes abzusenken, die grundrechtlichen Schutzpflichten geradezu in den Vordergrund drängen.

§ 12 Kündigungsschutz unter dem Einfluss grundrechtlicher Schutzpflichten und Abwehrrechte Ist mit den vorangegangenen Ausführungen das theoretische Gerüst für die Grundrechtsbindung des Privatrechtsgesetzgebers entworfen, gilt es in einem nächsten Schritt, die in Bezug auf den Kündigungsschutz einschlägigen Schutzpflichten und kollidierenden abwehrrechtlichen Grundrechtspositionen herauszuarbeiten. Im Zentrum des Interesses steht dabei das Grundrecht der Berufsfreiheit. Art. 12 GG ist neben Art. 14 GG die für das Arbeits- und Wirtschaftsleben zentrale Grundsatznorm und das Hauptgrundrecht freier wirtschaftlicher Betätigung.1 Dies ist einer kontinuierlichen weit fortgeschrittenen Entwicklung sowohl in der Judikatur des BVerfG als auch der Literatur zu verdanken. Dabei spielte im Rahmen dieses Grundrechts die abhängige berufliche Tätigkeit des Arbeitnehmers zunächst keine wesentliche Rolle. Noch 1984 konstatierte Lecheler eine untergeordnete Bedeutung des Art. 12 Abs. 1 GG für das Arbeitsrecht.2 Jedoch differenziert Art. 12 Abs. 1 GG mit seinen Schutzgegenständen Wahl und Ausübung von „Beruf“, „Arbeitsplatz“ und „Ausbildungsstätte“ nicht nach selbständig oder unselbständig ausgeübten Tätigkeiten,3 sondern erstreckt seinen Schutz auf alle „sozialen Schichten“ und reicht weit über die Verbürgung der Freiheit selbständiger Berufsausübung hinaus.4 Diese und weitere grundlegende Überlegungen, welche in der Dogmatik zu Art. 12 GG bis heute Bestand haben, stellte das BVerfG bereits im „Apotheken-Urteil“ vom 11.06.1958 an.5 Ein auf Art. 12 GG verengter Blick griffe indes zu kurz. Im Bereich des allgemeinen Kündigungsschutzes hat auch eine Abgrenzung zur Gewährleistung der Eigentumsfreiheit, Art. 14 GG, zu erfolgen. Schließlich ist das Kündigungsrecht nicht nur durch das allgemeinen Kündigungsschutz gewährleistende KSchG, sondern auch einen ausdifferenzierten Sonderkündigungsschutz gekennzeichnet. Erst eine Einbeziehung des Sonderkündigungsschutzes in die ___________ 1

Dieterich, in: ErfKomm, Art. 12 GG Rdnr. 1; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 358; Scholz, ZfA 1981, 265, 266; Tettinger, in: Sachs, GG, Art. 12 Rdnr. 178. 2 Lecheler, VVDStRL 43 (1985), 48, 65. 3 BVerfG vom 11.06.1958, BVerfGE 7, 377, 398 f.; BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 157. 4 BVerfG vom 11.06.1958, BVerfGE 7, 377, 397. 5 BVerfG vom 11.06. 1958, BVerfGE 7, 377, 398 f.

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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Untersuchung kann zuverlässig beantworten, wie weit eine Ablösung des Bestandsschutzprinzips durch Abfindungsansprüche tatsächlich reichen kann. Einfluss auf den Sonderkündigungsschutz aber nehmen weitere Grundrechte: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG bezüglich behinderter Arbeitnehmer, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG auf eine in der Elternzeit ausgesprochenen Kündigung und Art. 6 Abs. 4 GG gewährleistet schwangeren Arbeitnehmerinnen einen besonderen Schutz.

A. Allgemeiner Kündigungsschutz I. Grundrechtspositionen des von einer Kündigung betroffenen Arbeitnehmers 1. Arbeitsplatzwahlfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG Verändert der Gesetzgeber zwingende Bestimmungen des Kündigungsschutzes, gerät im Hinblick auf die für den Arbeitnehmer relevanten Grundrechtspositionen an erster Stelle das Grundrecht der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, ins Blickfeld. Gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG schützt darüber hinaus auch die Berufsausübung. a) Das aus der Schutzpflichtendimension des Art. 12 Abs. 1 GG abgeleitete Gebot eines Mindestmaßes arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes Beruf ist jede Tätigkeit, welche die Grundlage der Lebensführung bildet.6 Die Berufswahl betrifft das Feld, auf welchem sich der einzelne beruflich betätigen möchte, die Berufsausübung dagegen die konkrete Tätigkeit.7 Neben der freien Wahl des Berufes gewährleistet Art. 12 Abs. 1 GG aber auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Geht es bei der Berufswahl um die Entscheidung des Einzelnen, auf welchem Gebiet er sich beruflich betätigen will, betrifft die Wahl des Arbeitsplatzes den Entschluss, an welcher Stelle er dem gewählten Beruf nachgehen möchte.8 Schutzgut dieser Gewährleistung ist die Freiheit der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit oder ein bestimmtes Arbeitsverhältnis einschließlich der Wahl des Vertragspartners samt den dazu ___________ 6

BVerfG vom 11.06.1958, BVerfGE 7, 377, 397; Dieterich, in: ErfKomm, Art. 12 GG Rdnr. 6; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 36; Tettinger, in: Sachs, GG, Art. 12 Rdnr. 29. 7 Däubler, in: KDZ, Art. 12 GG Rdnr. 1. 8 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 146; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 56; Tettinger, in: Sachs, GG, Art. 12 Rdnr. 64.

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

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notwendigen Voraussetzungen.9 Vom Schutz der freien Wahl des Arbeitsplatzes ist dabei auch der Entschluss des Arbeitnehmers umfasst, den gewählten Arbeitsplatz beizubehalten oder aufzugeben und damit das Interesse an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes.10 Mit der Arbeitsplatzwahlfreiheit ist aber nicht auch eine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz verbunden.11 Ebenso wenig gewährt Art. 12 Abs. 1 GG einen unmittelbaren Schutz vor Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund privater Dispositionen.12 Allerdings obliegt dem Staat insofern eine Schutzpflicht.13 Das Fehlen eines gesetzlichen Kündigungsschutzes setzte die ___________ 9

BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 146; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 373; Dieterich, in: ErfKomm, Art. 12 GG Rdnr. 7; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rdnr. 37. 10 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 146; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 373; BVerfG vom 21.02.1995, BVerfGE 92, 140, 150; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 175; BVerfG vom 30.07.2003, NJW 2003, 2815; BVerfG vom 25.11.2004, BB 2005, 1231, 1232; BAG vom 14.09.1994, AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen Bl. 4; BAG vom 27.02.1997, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Bl. 4R; BAG vom 21.02.2001, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 4R; Badura, in: FS Herschel, S. 21, 30; Breuer, in: HdBStR VI, § 147 Rdnr. 66; Dieterich, in: ErfKomm, Art. 12 GG Rdnr. 7, 20; Dörner, in: FS Dieterich, S. 83, 85; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 359 f.; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 1 Rdnr. 4a; Lakies, DB 1997, 1078; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 57; Oetker, Bestandsschutz, S. 26 f.; ders., RdA 1997, 9, 13 f.; Richardi, in: MünchArbR I, § 10 Rdnr. 61; Scholz, ZfA 1981, 265, 281 f.; Urban, Kündigungsschutz, S. 47; Waltermann, DVBl. 1989, 699, 702; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rdnr. 63. AA Reuter, RdA 2004, 161, 165, nach dessen Auffassung die Arbeitsplatzwahlfreiheit lediglich die Freiheit des Arbeitnehmers zur Eigenkündigung umfasse, aber keinen Schutz vor einer Arbeitgeberkündigung gewähre, da insofern keine Freiheit, sondern lediglich ein Besitzstand des Arbeitnehmers betroffen sei. 11 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 146; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 373; BVerfG vom 21.02.1995, BVerfGE 92, 140, 150; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 175; BVerfG vom 22.10.2004, NZA 2005, 41, 42; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 18; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 242; Lakies, DB 1997, 1078; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 462; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rdnr. 57; Stahlhacke, in: FS Wiese, S. 513, 527; Urban, Kündigungsschutz, S. 47. 12 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 146 f.; BVerfG vom 21.02.1995, BVerfGE 92, 140, 150; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 175; BVerfG vom 30.07.2003, NJW 2003, 2815; BVerfG vom 22.10.2004, NZA 2005, 41, 42; BVerfG vom 25.11.2004, BB 2005, 1231, 1232; BAG vom 26.09.2002, AP Nr. 124 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 3R; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 242; Lakies, DB 1997, 1078; Stahlhacke, in: FS Wiese, S. 513, 527; Urban, Kündigungsschutz, S. 47. 13 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 147; BVerfG vom 21.02.1995, BVerfGE 92, 140, 150; BVerfG vom 21.04.1994, EzA Nr. 32 zu Art. 20 Einigungsvertrag S. 3; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 175; BVerfG vom 30.07.2003, NJW 2003, 2815; BVerfG vom 22.10.2004, NZA 2005, 41, 42; BVerfG vom 25.11.2004, BB 2005, 1231, 1232; BAG vom 21.02.2001, AP Nr. 12 zu § 242 BGB

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers einer massiven Gefährdung aus. Wäre sein Arbeitgeber zur uneingeschränkten Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt, fiele die Entscheidung über den Erhalt des Arbeitsplatzes nicht länger ihm, sondern ganz überwiegend dem Arbeitgeber zu. Der Arbeitnehmer hätte seinen Entschluss über den Fortbestand des einmal gewählten Arbeitsplatzes vollständig dem Willen seines Arbeitgebers unterzuordnen, die umfänglich garantierte Arbeitsplatzwahlfreiheit reduzierte sich real auf die Tatbestände der Begründung des Arbeitsverhältnisses sowie der Eigenkündigung und zeigte sich so weitgehend funktionslos.14 In welchem Ausmaß die Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers bedroht sein würde, verdeutlichen zwei empirische Untersuchungen zur Kündigungspraxis, die trotz des gegenwärtig bestehenden gesetzlichen Kündigungsschutzes für das Jahr 2001 eine absolute Zahl von 1 Mio. 15 bis 2 Mio.16 durch den Arbeitgeber gekündigter Arbeitsverhältnisse ermittelt haben. b) Kritik Obwohl dieses aus der Schutzpflichtendimension des Art. 12 Abs. 1 GG abgeleitete Postulat eines Mindestmaßes arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes inzwischen als gesicherter Bestand in der Grundrechtsdogmatik gelten kann, hat dem jüngst Lindner vehement widersprochen.17 Dieser sieht einen Wider___________ Kündigung Bl. 2R; BAG vom 26.09.2002, AP Nr. 124 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung Bl. 3R; BAG vom 16.09.2004, AP Nr. 44 zu § 611 BGB Kirchendienst Bl. 3; Badura, in: FS Herschel, S. 21, 34 f.; Benda, in: FS Stingl, S. 35, 46; Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 67 ff.; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 19; Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 63; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 242; Krenz, Sozialauswahl, S. 95; Lakies, DB 1997, 1078; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 57; Oetker, Bestandsschutz, S. 27; ders., RdA 1997, 9, 14; ders., AuR 1997, 41, 50; Papier, RdA 1989, 137, 139; Preis, NZA 1997, 1256, 1257; ders., in: APS, Grundlagen A. Rdnr. 22; Rebhahn, RdA 2002, 272, 289; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 462 f.; Schlachter/Alewell, in: Alewell, Arbeitslosigkeit, S. 151, 166; Stahlhacke, in: FS Wiese, S. 513, 527; Stein, DB 2005, 1218 f.; Urban, Kündigungsschutz, S. 47. 14 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 51. 15 Jahn/Schnabel, Wirtschaftsdienst 2003, 219 f. 16 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106, 107 mit Kritik zu den von Jahn und Schnabel gefundenen Ergebnissen. 17 Lindner, RdA 2005, 166, 167 ff. Gegen eine aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht zugunsten des Arbeitnehmers auch Boemke/Gründel, ZfA 2001, 245, 278 f.; Braun, Kündigungsschutz, S. 83 ff.; Joost, in: Henssler/Moll, Kölner Tage des Arbeitsrechts 2000, Kap. I Rdnr. 8 f., der hierfür stattdessen aber das Sozialstaatsprinzip fruchtbar machen will; T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 489 f.; Ladeur, DÖV 2007, 1, 5; Reuter, RdA 2004, 161, 165 sowie Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rdnr. 58. Ebenso ursprünglich auch das BAG, das im KSchG lediglich eine Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips erblickte, BAG vom 23.09.1976, AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

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spruch darin begründet, dass nach hM aus Art. 12 Abs. 1 GG weder ein Anspruch des Einzelnen auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes noch auf Einstellung durch einen privaten Arbeitgeber folgt, jedoch das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt sein soll.18 Aus der Schutzpflicht werde so ein Grundrechtsvoraussetzungsschutz in Gestalt eines gegen den Arbeitgeber gerichteten Anspruchs auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gewonnen, der sich aus den Grundrechten gerade nicht ableiten lasse.19 Schließlich sei auch das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zwar dem grundrechtsverpflichteten Staat, nicht aber dem Arbeitgeber gegenüber schutzwürdig.20 Der Arbeitnehmer sei darauf angewiesen, vom Arbeitgeber einen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt zu bekommen, so dass auch das Interesse des Arbeitnehmers an der Existenz seines Arbeitsverhältnisses nur solange und soweit von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt sein könne, wie der Arbeitgeber diesem die Realisierung der entgeltlichen Arbeitsleistung zu ermöglichen bereit sei.21 Ab dem Zeitpunkt, ab dem der Arbeitgeber aber das Arbeitsinteresse des Arbeitnehmers nicht länger ermöglichen wolle, sei dieses nicht mehr schutzwürdig, so dass daran rechtslogisch auch keine grundrechtliche Schutzpflicht mit dem Ziel der Verlängerung des Bestandsinteresses anknüpfen könne.22 Diese Argumentation vermag indes nicht zu überzeugen. So geht bereits der Vorwurf fehl, die aus der von Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Arbeitsplatzwahlfreiheit abgeleitete Schutzpflicht hinsichtlich des Bestands des Arbeitsverhältnisses komme qualitativ der Anerkennung sozialer Grundrechtsgehalte in Form einer Einstandspflicht des Staates für die Grundrechtsvoraussetzungen gleich. Das aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleitete Gebot eines Mindestmaßes an Kündigungsschutz führt nicht zu einer Garantie der Grundrechtsvoraussetzung, sondern ist elementarer Bestandteil des Gewährleistungsgehalts dieses Grundrechts. Die zweite Begründunglinie Lindners führt schließlich in einen Zirkelschluss hinein: Die Frage, ob und wie weit die unfreiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundrechtlichen Schutz genießt, kann schwerlich damit beantwortet werden, das Bestehen des Arbeitsverhältnisses zur Voraussetzung des ___________ Wartezeit Bl. 3R. Mit den beiden erstgenannten setzt sich eingehend Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 68 ff. auseinander. 18 Lindner, RdA 2005, 166, 168. In diese Richtung bereits Braun, Kündigungsschutz, S. 84. 19 Lindner, RdA 2005, 166, 168. Ebenso Reuter, RdA 2004, 161, 165. 20 Lindner, RdA 2005, 166, 169. 21 Lindner, RdA 2005, 166, 169. Ebenso bereits Braun, Kündigungsschutz, S. 86. 22 Lindner, RdA 2005, 166, 169.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Eingreifens dieses Schutzes zu erheben.23 Zwar handelt es sich bei der von Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Arbeitsplatzwahlfreiheit um einen Tatbestand kooperativer Grundrechtsausübung,24 weil der Arbeitnehmer zur Ausübung seiner grundrechtlich geschützten Freiheit auf einen vom Arbeitgeber bereitgestellten Arbeitsplatz angewiesen ist.25 Bietet der Arbeitgeber aber auf dem Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz an und besetzt diesen mit einem Arbeitnehmer, so schützt Art. 12 Abs. 1 GG ihn in der Wahl gerade dieses Arbeitsplatzes und damit rechtslogisch auch dessen Entscheidung, den Arbeitsplatz beizubehalten. Die Argumentation Lindners lässt einem objektivrechtlichen Verständnis der Arbeitsplatzwahlfreiheit keinen Raum, reduziert diese auf ihre klassisch abwehrrechtliche Dimension und steht damit im Widerspruch zu dem oben dargelegten26 etablierten multifunktionalen Grundrechtsverständnis. c) Ergebnis Die Kritik gegen die von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft aus dem Grundrecht der Arbeitsplatzwahlfreiheit vorgenommene Ableitung des Gebots eines Mindestmaßes arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes erweist sich damit als nicht überzeugend. Auf dem Fundament der etablierten Grundrechtsdogmatik spielt die von Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Arbeitsplatzwahlfreiheit auch in der nachfolgenden Untersuchung die entscheidende Rolle. Zwar ist im Rahmen der grundrechtlichen Überprüfung des Kündigungsschutzes Art. 12 Abs. 1 GG nicht in seiner abwehrrechtlichen Dimension berührt, da der Ausspruch der Kündigung nicht mittels eines hoheitlichen Aktes erfolgt, sondern innerhalb eines nach Privatrecht zu beurteilenden Rechtsverhältnisses. Betroffen ist dieses Grundrecht aber in seiner objektiv-rechtlichen Funktion. Schützt Art. 12 Abs. 1 GG die Entscheidung des Arbeitnehmers, den einmal gewählten Arbeitsplatz beizubehalten, so stellt sich bei jeder Änderung des gesetzlichen Kündigungsschutzes die Frage, ob der Gesetzgeber die ihm von Art. 12 Abs. 1 GG auferlegten Schutzpflichten in ausreichendem Maße beachtet hat. Dies gilt umso mehr, als zahlreiche der oben vorgestellten Reformvorschläge ausdrücklich das Ziel verfolgen, das Niveau des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes abzusenken.

___________ 23

Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 71. Pietzcker, NVwZ 1984, 550; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 435; Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 244; H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), 7, 30. 25 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 673; Breuer, in: HdBStR VI, § 147 Rdnr. 69; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rdnr. 60. 26 Vgl. dazu oben unter § 11, S. 400 ff. 24

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

439

2. Eigentum am Arbeitsplatz, Art. 14 Abs. 1 GG Im Zuge des Beschlusses des BVerfG zum „Mieter-Eigentum“, in welchem das Gericht das aus dem Mietvertrag folgende Besitzrecht des Mieters gegenüber dem Vermieter unter den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG stellte27, wurden im Schrifttum Überlegungen laut, auch den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG zu begreifen.28 Damit hätte der Gesetzgeber nicht nur die aus Art. 12 Abs. 1 GG abzuleitenden objektivrechtlichen Gehalte zu beachten, sondern wäre zugleich auch noch den aus Art. 14 Abs. 1 GG abgeleiteten Schutzpflichten unterworfen. Eine derartige Ausweitung des Eigentumsschutzes stößt jedoch durchweg auf Ablehnung.29 Der Arbeitsplatz ist das Ergebnis risikobehafteter Investitionen des Arbeitgebers und kann damit nicht Gegenstand bestandsgeschützter Eigentumsrechte des Arbeitnehmers sein.30 Zudem widerspricht eine Einbeziehung zukünftiger Teilabschnitte des Arbeitsverhältnisses dem Fundamentalprinzip des Eigentumsschutzes, nur das Erworbene, nicht aber den Erwerb als solchen unter den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG zu stellen.31 Folgerichtig steht auch das BVerfG auf dem Standpunkt, Art. 14 Abs. 1 GG komme als Prüfungsmaßstab nicht in Betracht, soweit ein Arbeitnehmer um den Erhalt seines Arbeitsplatzes kämpfe.32

___________ 27

BVerfG vom 26.05.1993, BVerfGE 89, 1 ff. Ebenso BVerfG vom 28.03.2000, NJW 2000, 2658, 2659. 28 So Klebe, AiB 1996, 717. Ausführlich Schmidt-Preuß, AG 1996, 1, 3 ff. Bereits vor dem Mietereigentums-Beschluss des BVerfG bejahend Ramm, ZfA 1978, 361, 378 f.: „Das durch das Kündigungsschutzrecht verdinglichte Arbeitsverhältnis erscheint nunmehr als gleichberechtigter Partner gegenüber dem Eigentum an den Produktionsmitteln. Das durch die Verdinglichung entstandene Recht am Arbeitsplatz wird durch die Mitbestimmung als neues soziales Eigentum anerkannt.“ 29 Dieterich, in: ErfKomm, Art. 14 Rdnr. 23; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 362; Lakies, DB 1997, 1078, 1079; Schmidt-Preuß, AG 1996, 1, 4 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rdnr. 60. 30 Schmidt-Preuß, AG 1996, 1, 5. 31 Schmidt-Preuß, AG 1996, 1, 4. 32 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 146, 157; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 383; BVerfG vom 21.02.1995, BVerfGE 92, 140, 150 ff.

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

440

II. Kollidierende Grundrechtspositionen des Arbeitgebers 1. Kündigungsfreiheit als Ausdruck der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Unternehmerfreiheit Nicht nur der Arbeitnehmer, auch der Arbeitgeber kann sich auf den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG berufen. Die von diesem Grundrecht geschützte Berufsausübungsfreiheit erfasst auch die Unternehmerfreiheit im Sinne der freien Gründung und Führung von Unternehmen.33 Sie schützt die Dispositionsbefugnis des Unternehmers über die ihm und seinem Unternehmen zugeordneten Güter und Rechtspositionen.34 Von diesem Schutz umfasst ist auch das Interesse des Arbeitgebers, in seinem Unternehmen nur Mitarbeiter zu beschäftigen, die seinen Vorstellungen entsprechen und ihre Zahl auf das von ihm bestimmte Maß zu beschränken.35 Jede hoheitliche Beeinträchtigung privatautonomer Regelungen im Arbeitsverhältnis, wie sie auch die Einschränkungen der Kündigungsfreiheit durch das Kündigungsschutzgesetz darstellen, löst das Abwehrrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG aus.36 Die Kündigungsfreiheit ist damit ebenso wie die Freiheit zum Abschluss und der inhaltlichen Gestaltung von Arbeitsverträgen dem Gewährleistungsgehalt des Art. 12 Abs. 1 GG zuzuordnen. 37 Art. 12 Abs. 1 GG erweist sich daher nicht nur als „Grundrecht des Arbeitnehmers“, sondern erlangt als „Grundrecht des Arbeitgebers“ gleichrangige ___________ 33

BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 363; BVerfG vom 03.12.1997, BVerfGE 97, 67, 83; Breuer, in: HdBStR VII, § 147 Rdnr. 61; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 68; Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 135. 34 BVerfG vom 03.12.1997, BVerfGE 97, 67, 83. 35 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 176; BVerfG vom 30.07.2003, NJW 2003, 2815; BAG vom 14.09.1994, AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen Bl. 4. 36 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rdnr. 58 f. 37 BVerfG vom 20.01.1988, BVerfGE 77, 370, 378; BAG vom 30.09.1993, AP Nr. 37 zu § 123 BGB Bl. 3R; BAG vom 14.09.1994, AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen Bl. 4; Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 631; Boemke/Gründel, ZfA 2001, 245, 270; Breuer, in: HdBStR VI, § 147 Rdnr. 72; Däubler, in: KDZ, Art. 12 GG Rdnr. 20; Gamillscheg, Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 41; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 17; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 374 f.; Lakies, DB 1997, 1078; Oetker, Bestandsschutz, S. 17 ff.; ders., RdA 1997, 9, 10 ff. (der aber auch einen Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG erwägt); Papier, RdA 1989, 137, 138 f.; ders., RdA 2000, 1, 4; Powietzka, Kündigungsschutz, S. 23; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 62 f.; ders., NZA 1997, 1256, 1257; ders., in: APS, Grundlagen A. Rdnr. 31; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 455; Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 135; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rdnr. 58, 94. AA Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 69, welcher die Vertragsfreiheit ausschließlich dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG zuweisen will.

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

441

Bedeutung.38 Ändert der Gesetzgeber zwingende Vorschriften des KSchG, so ist der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG in Form der Unternehmerfreiheit als Ausprägung der Berufsausübungsfreiheit zugunsten des Arbeitgebers betroffen. Dies gilt insbesondere bei den zahlreichen Regelungsvorschlägen, die eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitsgebers zur Zahlung einer Abfindung vorsehen; diese aktivieren Art. 12 Abs. 1 GG unmittelbar in seiner klassischen Abwehrfunktion und verlangen nach einer Rechtfertigung. 2. Kündigungsfreiheit unter dem Schutz der Eigentumsfreiheit, Art. 14 Abs. 1 GG? Vereinzelt wird die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers auch als Ausfluss seiner durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Eigentumsfreiheit begründet.39 Der durch dieses Grundrecht vermittelte Schutz ist hingegen objektbezogen: Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet den durch eigene Arbeit und Leistung erworbenen Bestand an Vermögenswerten.40 Darüber hinaus garantiert Art. 14 Abs. 1 GG aber keinen Schutz ökonomisch sinnvoller und rentabler Eigentumsnutzung41 und schützt nicht in der Zukunft liegende Chancen und Verdienstmöglichkeiten.42 So ist es nur konsequent, dass das BVerfG die unternehmerische Betätigung nicht vom Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG umfasst sieht.43 Das Grundrecht schützt das Erworbene, das Ergebnis einer Betätigung, Art. 12 Abs. 1 GG dagegen den Erwerb, die Betätigung selbst.44 Auch der Entschluss des Arbeitgebers, den von ihm verfolgten unternehmerischen Zweck mit einem bestimmten Personalbestand zu verfolgen, betrifft in der Zukunft liegende Erwerbs___________ 38

Scholz, ZfA 1981, 265, 275; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rdnr. 91. BVerwG vom 02.07.1981, NJW 1982, 62 f.; Reuter, in: FS 25 Jahre BAG, 405, 418, 421; Scholz, Paritätische Mitbestimmung, S. 59; Thum, Betriebsbedingte Kündigung, S. 14, 24. 40 BVerfG vom 30.04.1952, BVerfGE 1, 264, 277 f.; BVerfG vom 01.03.1979, BVerfGE 50, 290, 340; BVerfG vom 31.10.1984, BVerfGE 68, 193, 222; BVerfG vom 26.06.2002, BVerfGE 105, 252, 277; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rdnr. 23. 41 BVerfG vom 31.10.1984, BVerfGE 68, 193, 222 f.; BVerfG vom 06.10.1987, BVerfGE 77, 84, 118; Leisner, in: HdBStR VI, § 149 Rdnr. 110; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rdnr. 47. 42 BVerfG vom 18.03.1970, BVerfGE 28, 119, 142; BVerfG vom 31.10.1984, BVerfGE 68, 193, 222; BVerfG vom 14.01.1987, BVerfGE 74, 129, 148; BVerfG vom 26.06.2002, BVerfGE 105, 252, 277; BVerfG vom 07.10.2003, BVerfGE 108, 370, 384. 43 BVerfG vom 18.12.1985, NJW 1986, 1601. 44 BVerfG vom 16.03.1971, BVerfGE 30, 292, 335; BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 157; BVerfG vom 25.05.1993, BVerfGE 88, 366, 377; Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rdnr. 99; Dieterich, in: ErfKomm, Art. 12 GG Rdnr. 16; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rdnr. 181. 39

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

442

chancen und Verdienstmöglichkeiten. Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet dem Arbeitgeber keinen Schutz vor gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen. 45 Damit ist dieses Grundrecht für die nachfolgende Prüfung nicht zu berücksichtigen. III. Kündigungsschutz als Marktzutrittsschranke – Art. 12 Abs. 1 GG und der Schutz der Outsider Zurückgehend auf Überlegungen von Reuter ist in den letzten Jahren die Diskussion um die Auswirkung des gesetzlichen Kündigungsschutzes auf die grundrechtlichen Schutzgüter Arbeitsuchender wieder neu aufgeflammt: Arbeitsrechtlicher Bestandsschutz wirke als Marktzutrittsschranke und beeinträchtige so das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes46. Auf dem gleichen Standpunkt steht auch das BVerfG mit seinem „WDR-Beschluss“ vom 13.01.1982: Kündigungsschutz entfalte eine Sperrwirkung und verschlechtere damit die Arbeitsmarktchancen derjenigen, die sich um einen Arbeitsplatz bemühten.47 Die Bedingungen für Arbeitsuchende, von ihrem Grundrecht auf freie Berufswahl Gebrauch zu machen, seien wesentlich erschwert.48 Richtigerweise ist dabei aber nicht der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung der Berufswahlfreiheit betroffen, sondern die von Art. 12 Abs. 1 GG ebenfalls geschützte freie Wahl des Ar-

___________ 45

Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 631; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 362. Erstmals Reuter, RdA 1973, 345, 353; ders., RdA 1978, 344, 349; ders., in: FS 25 Jahre BAG, S. 405, 418 f.; ders., ORDO 33 (1982), 145, 187 f.; ders., RdA 2004, 161, 163 f. Ebenso Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 664 ff.; Braun, Kündigungsschutz, S. 91; Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 15; Helle, Konzernbedingte Kündigungsschranken, S. 93 ff.; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 360; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 220; Neuhausen, Verzicht auf Kündigungsschutz, S. 55; Oetker, Bestandsschutz, S. 45 f.; ders., RdA 1997, 9, 20 f.; Papier, DVBl. 1984, 801, 813; ders., RdA 2000, 1, 4; Powietzka, Kündigungsschutz, S. 41 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 471 ff.; H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), 7, 30 f.; Scholz, ZfA 1981, 265, 281; Schwerdtner, ZfA 1977, 47, 79; Stahlhacke, in: FS Wiese, 1998, S. 513, 531 f.; Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 48 ff.; H. Wenzel, Reduktion des Kündigungsschutzes, S. 21; Wiedemann, in: FS 25 Jahre BAG, S. 635, 656; Worpenberg, Arbeitnehmerüberlassung, S. 244 ff.; Zöllner, in: 52. DJT, Bd. I, S. D 113 ff.; aA Dieterich, in: ErfKomm, Art. 12 GG Rdnr. 11. 47 BVerfG vom 13.01.1982, BVerfGE 59, 231, 266. 48 BVerfG vom 13.01.1982, BVerfGE 59, 231, 266. 46

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

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beitsplatzes49, was das Gericht seit seiner „Warteschleifen-Entscheidung“ im Hinblick auf die Rechtsposition des Arbeitnehmers auch selbst anerkennt.50 Schützt Art. 12 Abs. 1 GG die Freiheit der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit oder ein bestimmtes Arbeitsverhältnis einschließlich der Wahl des Vertragspartners samt den dazu notwendigen Voraussetzungen51, so ist diese auch dann eingeschränkt, wenn gesetzliche Kündigungsbeschränkungen auf das Einstellungsverhalten des Arbeitgebers zurückwirken und diesen an der Neubesetzung eines Arbeitsplatzes hindern. Geschützt sind dabei keineswegs nur Erwerbslose, die sich um einen Arbeitsplatz bemühen, sondern auch Arbeitnehmer, die aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus auf der Suche nach einer anderen Beschäftigungsmöglichkeit sind.52 1. Eingriff in die Arbeitsplatzwahlfreiheit aufgrund der Besetzung von Arbeitsplätzen mit kündigungsgeschützten Arbeitnehmern Ohne weiteres lässt sich ein Eingriff in den Schutzbereich der Arbeitsplatzwahlfreiheit für den Fall der Konkurrenz eines externen Arbeitsplatzbewerbers mit einem Arbeitnehmer um dessen Arbeitsplatz bejahen. Genießt der Arbeitnehmer Kündigungsschutz, so hindert dies den Arbeitgeber an der Neubesetzung dessen Arbeitsplatzes mit dem externen Bewerber. Gleichzeitig kann auch ein Arbeitsuchender, solange ein Arbeitsplatz besetzt ist, seine grundrechtlich geschützte Freiheit, gerade diesen Arbeitsplatz zu wählen, nicht ausüben.53 Das Grundrecht auf freie Wahl eines Arbeitsplatzes bezieht sich nicht allein auf freie Stellen, sondern umfasst sämtliche verfügbaren Arbeitsplätze.54 Unter Berücksichtigung des erweiterten Eingriffsverständnisses ist diese Beeinträchtigung der Arbeitsplatzwahlfreiheit auch dem Gesetzgeber zuzurech___________ 49

Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 668 ff.; Braun, Kündigungsschutz, S. 91; Oetker, Bestandsschutz, S. 46; ders., RdA 1997, 9, 20 f.; Papier, RdA 2000, 1, 4; Powietzka, Kündigungsschutz, S. 41 f.; Reuter, in: FS 25 Jahre BAG, S. 405, 418; Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 55 f. 50 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 146; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 373; BVerfG vom 21.02.1995, BVerfGE 92, 140, 150; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 175. 51 Vgl. dazu oben unter § 12 A I 1 a), S. 434 f. 52 Eine ausdrückliche Einbeziehung der aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus Arbeitsuchenden findet sich auch in den Untersuchungen von Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 666 f.; Helle, Konzernbedingte Kündigungsschranken, S. 93; Reuter, RdA 1973, 345, 353; ders., in: FS 25 Jahre BAG, S. 405, 418; Wiedemann, in: FS 25 Jahre BAG, S. 635, 656; Worpenberg, Arbeitnehmerüberlassung, S. 244 und Zöllner, in: 52. DJT, Bd. I, S. D 16. 53 Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 56. 54 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 674.

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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nen.55 Sowohl die Anforderungen des Finalitäts- als auch des Intensitätskriteriums sind in diesem Fall erfüllt: Dass der Arbeitgeber einen besetzten Arbeitsplatz nicht mit einem externen Bewerber besetzen kann, ist von den Kündigungsschutzregelungen mitbezweckt. Die Arbeitsuchenden trifft diese Beeinträchtigung besonders intensiv, weil sie ihnen den Zugang zu sämtlichen besetzten und damit der überwiegenden Mehrzahl der Arbeitsplätze verwehrt. Auch unter normativen Gesichtspunkten lässt sich der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen der Beeinträchtigung der Arbeitsplatzwahlfreiheit Arbeitsuchender und der Tätigkeit des Gesetzgebers auf dem Gebiet des Kündigungsschutzes herstellen: Vordergründig scheint diese Beeinträchtigung zwar vom Arbeitgeber auszugehen, der dem Arbeitsuchenden keinen Arbeitsplatz anbietet, der weit überwiegende Verursachungsbeitrag ist indes dem Gesetzgeber zuzuweisen, der dem Arbeitgeber erst die für eine Einstellung vorzunehmende Austauschkündigung die Anerkennung verweigert. Mit dieser grundrechtlichen Konfliktlage beschäftigen sich auch das BVerfG in seinem „WDR-Beschluss“56 sowie unter dem Stichwort der „Sperrwirkung des Kündigungsschutzes“ der überwiegende Anteil der Untersuchungen im Schrifttum57. 2. Einschränkung der Arbeitsplatzwahlfreiheit aufgrund einer generell einstellungshemmenden Wirkung des Kündigungsschutzes Dabei weist die zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Arbeitsuchendem bestehende Konfliktlage noch eine weitere Dimension auf. Soweit in der Literatur von einer beschäftigungshemmenden Wirkung des Kündigungsschutzes die Rede ist, so ist damit vornehmlich nicht die Konkurrenz eines Arbeitsuchenden mit einem Arbeitnehmer um dessen Arbeitsplatz gemeint. Vielmehr soll der Kündigungsschutz eine einstellungshemmende Wirkung dadurch entfalten, dass der Arbeitgeber angesichts der damit in Zukunft bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses entstehenden Kosten von vornherein auf die Besetzung oder Neuschaffung eines Arbeitsplatzes verzichtet.58

___________ 55

AA wohl Hanau, in: 63. DJT, Bd. I, S. C 15; von Hoyningen-Huene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 220 und Powietzka, Kündigungsschutz, S. 42, die an dieser Stelle mit einer staatlichen Schutzpflicht arbeiten. Wie hier Oetker, Bestandsschutz, S. 46; ders., RdA 1997, 9, 21; Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 57 ff. 56 BVerfG vom 13.01.1982, BVerfGE 59, 231, 266. 57 Vgl. dazu oben einleitend zu § 12 A III, S. 442. 58 Vgl. dazu oben unter § 3 A III, S. 66 f.

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

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a) Auswirkung von Einstellungshemmnissen auf das Schutzgut der Arbeitsplatzwahlfreiheit Ungeachtet der Tragfähigkeit dieser Annahme59 stellt sich die Frage nach deren Relevanz für die Arbeitsplatzwahlfreiheit Arbeitsuchender. Dabei ist zumindest auf den ersten Blick nicht einzusehen, warum diese auch dann betroffen sein soll, wenn der Arbeitgeber von der Neueinrichtung eines Arbeitsplatzes absieht. Anders als ein Selbständiger ist ein Arbeitsuchender zur Realisierung seiner Arbeitsplatzwahlfreiheit auf die Mitwirkung eines Arbeitgebers angewiesen,60 sie erweist sich für ihn als ein Tatbestand arbeitsteiliger Grundrechtsausübung.61 Die Freiheit zur Wahl eines Arbeitsplatzes kann ein Arbeitsuchender nur in Bezug auf bereits vom Arbeitgeber geschaffene und damit auf dem Arbeitsmarkt angebotene Arbeitsplätze ausüben.62 Keinesfalls gewährt Art. 12 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Neuschaffung eines Arbeitsplatzes.63 Als grundrechtsrelevant kann sich die beschäftigungshemmende Wirkung des gesetzliche Kündigungsschutzes vor diesem Hintergrund nur dann erweisen, wenn Art. 12 Abs. 1 GG auch die Chancen des Arbeitsuchenden auf einen Arbeitsplatz schützt. Vom Schutz der Arbeitsplatzwahlfreiheit umfasst ist jedenfalls auch der Zutritt zum Arbeitsmarkt.64 Unter den Bedingungen des real existierenden Arbeitsmarktes genügt ein solcher Schutz jedoch nicht als Sicherung der tatsächlichen Voraussetzungen selbstbestimmter und selbstverantwortlicher Beschaffung eines Arbeitsplatzes.65 Sollen die Grundrechte im Arbeitsleben dazu beitragen, dass die auf abhängige Arbeit Angewiesenen auch in der Privatrechtsordnung ihre Selbstbestimmung behaupten und ihre soziale Sicherheit finden können, gelingt dies im Rahmen der von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten ___________ 59

Die einschlägigen empirischen Erkenntnisse finden sogleich auf der Eingriffsebene Berücksichtigung. 60 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 673. 61 Pietzcker, NVwZ 1984, 550; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 435; Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 244; H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), 7, 30. 62 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 673; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rdnr. 60. 63 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 146; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 373; BVerfG vom 21.02.1995, BVerfGE 92, 140, 150; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 175; Breuer, in: HdBStR VI, § 147 Rdnr. 73; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 12 Rdnr. 25; Papier, DVBl. 1984, 801, 810 f.; Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 242 f.; H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1985), 7, 31; Scholz, ZfA 1981, 265, 283 ff.; Schwerdtner, ZfA 1977, 47, 61 ff.; Wank, Recht auf Arbeit, S. 65 ff. 64 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 146; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 373. 65 Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 249.

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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Arbeitsplatzwahlfreiheit nur, wenn diese über den ungehinderten Zutritt zum Arbeitsmarkt hinaus auch den von institutionellen Barrieren freien Zugang zum Arbeitsverhältnis schützt.66 Hanau charakterisiert diese grundrechtliche Gewährleistung pointiert als „Recht, nicht durch gut gemeinte, aber schlecht wirkende Schutzvorschriften an der Erlangung an sich zur Verfügung stehender Arbeitsplätze oder Beschäftigungsmöglichkeiten gehindert zu werden“. 67 Führt also der gesetzliche Kündigungsschutz dazu, dass ein Arbeitgeber von der Neubesetzung oder Neuschaffung eines Arbeitsplatzes absieht, so schränkt dies auch die Freiheit des Arbeitsuchenden, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit aufzunehmen, ein. Art. 12 Abs. 1 GG seiner Ausprägung als Arbeitsplatzwahlfreiheit ist damit auch in Bezug auf eine möglicherweise generell einstellungshemmende Wirkung des Kündigungsschutzes zulasten der Arbeitsmarktchancen Arbeitsuchender betroffen.68 b) Abwehrrecht des Arbeitsuchenden oder Schutzpflicht? Allerdings bedarf es zur Auflösung dieser zwischen Arbeitgeber, Arbeitsuchenden und Arbeitnehmern bestehenden Konfliktlage keines Rückgriffs auf die Schutzpflichtendimension des Art. 12 Abs. 1 GG. 69 Die Grundrechtskollision ist bereits aus der abwehrrechtlichen Perspektive der Arbeitsplatzwahlfreiheit heraus zu lösen.70 Unter Zugrundlegung des erweiterten Eingriffsverständnisses71 ist danach zu fragen, ob dem Gesetzgeber die durch den gesetzlichen Kündigungsschutz ausgelösten faktischen Beeinträchtigungen der Arbeitsuchenden, die nicht schon zum Adressatenkreis der gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen zählen, zugerechnet werden können. Dies liegt auf den ersten Blick fern, weil die Belastungen für den Arbeitsuchenden durch das Verhalten eines Dritten, den Arbeitgeber, vermittelt werden. Nicht weiter hilft an dieser Stelle der Rückgriff auf das Zurechnungskriterium der Finalität.72 Dass der Gesetzgeber mit seiner Kündigungsschutzgesetzgebung gleichzeitig Beschäftigungshemmnisse errich___________ 66

Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 249. Ebenso Schlachter/Alewell, in: Alewell, Arbeitslosigkeit, S. 151, 166. 67 Hanau, in: FS Wißmann, S. 27, 31. 68 Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 256. Wohl auch Löwisch, BB 1997, 782, 787; Reuter, in: FS Wiedemann, S. 449, 463; ders., RdA 2004, 161, 164 sowie Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 471 ff. 69 So aber Löwisch, BB 1997, 782, 787; Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 277 ff. 70 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 472. 71 Vgl. dazu oben unter § 11 C II, S. 426 ff. 72 Kritisch auch Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 473.

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

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ten wollte oder derartige Auswirkungen zumindest billigend in Kauf nahm, lässt sich wohl kaum begründen. Als wenig ergiebig erweist sich auch der Rückgriff auf das Kriterium der Intensität. Jenseits der wohl einhellig konsentierten Feststellung, die Unmöglichkeit, einen Arbeitsplatz zu erhalten, sei nicht als rechtlich unerhebliche bloße Belästigung zu qualifizieren,73 fehlt es gerade auch angesichts der für die verschiedenen Arbeitnehmergruppen unterschiedlichen empirischen Befunde74 an einem verlässlichen Maßstab, der bestimmt, welche Intensität der Betroffenheit letztlich in einen der staatlichen Gewalt zurechenbaren Grundrechtseingriff mündet.75 Zum Ziel führt letztlich eine wertende Betrachtung, wie sie in Rechtsprechung und Literatur unter den Stichworten „Unmittelbarkeit“ und „Zurechenbarkeit“ vorgenommen wird.76 Errichtet der Gesetzgeber mit kündigungsbeschränkenden Regelungen institutionelle Hürden auf dem Arbeitsmarkt, führt der Arbeitgeber durch die Nichteinstellung keine unvorhersehbare Nebenfolge herbei, sondern wählt eine vernünftige, rechtmäßige und daher dem hoheitlichen Verursacher auch zurechenbare Handlungsalternative.77 Den Gesetzgeber trifft an der einstellungshindernden Wirkung nicht lediglich eine Mitverantwortung, vielmehr setzt er den überwiegenden Verursachungsbeitrag für die durch die Arbeitgeber vermittelte faktische Beeinträchtigung der Arbeitsplatzwahlfreiheit Arbeitsuchender: Ohne die Errichtung institutioneller Arbeitsmarktschranken durch den Gesetzgeber hätte der Arbeitgeber keinen Anlass, unbesetzte Arbeitsplätze auch unbesetzt zu lassen. c) Eingriffsqualität des Kündigungsschutzes im Hinblick auf die Marktzutrittschancen Arbeitsuchender Nicht ohne Grund haben die bisherigen Ausführungen Zurückhaltung bei der Beantwortung der Frage gezeigt, ob das geltende Kündigungsschutzrecht auch tatsächlich den Arbeitsmarktzugang Arbeitsuchender erschwert und deshalb insoweit ein hoheitlicher Eingriff in den Schutzbereich der von Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Arbeitsplatzwahlfreiheit zu bejahen ist. Die Antwort auf diese Frage muss in Anbetracht der oben dargestellten Ergebnisse der empirischen Forschung78 differenziert ausfallen. Anders als ar___________ 73

Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 473. Vgl. dazu oben unter § 3 C II 1 c), S. 90 f. 75 Kritisch auch Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 473. 76 Vgl. dazu oben unter § 11 C II, S. 427 f. Im Ergebnis wie hier auch Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 473 f. und Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 59. 77 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 473. 78 Vgl. dazu oben unter § 3 C II, S. 85 ff. 74

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

beitsmarkttheoretische Ansätze, die auch den Überlegungen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum zugrunde liegen, durchaus plausibel vermuten lassen, ist in der Praxis die These einer generell einstellungshemmenden Wirkung des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes nicht aufrecht zu erhalten. Zahlreiche Untersuchungen können keinen Einfluss des Kündigungsschutzes auf den JobTurnover nachweisen, offensichtlich kann ein Arbeitgeber trotz Kündigungsschutz auf ökonomische Schocks und eine steigende Nachfrage mit betriebsbedingten Kündigungen oder Neueinstellungen reagieren. Darüber hinaus berichten die Untersuchungen sogar von positiven Wirkungen des Kündigungsschutzes auf den Arbeitsmarkt: So falle die Arbeitslosenquote der Männer „im besten Alter“ signifikant niedriger aus, während gleichzeitig ihre Beschäftigungschancen stiegen. Im Regelfall werden die Erwerbslosen, die Outsider, aber benachteiligt. Hat ein Arbeitnehmer seine Arbeit verloren, so steigt mit der Intensität des Kündigungsschutzes auch die Wahrscheinlichkeit, langzeitarbeitslos zu werden. Kündigungsschutz verfestigt die Arbeitslosigkeit, gleiches trifft auch auf die Jugendarbeitslosigkeit zu. Und Kündigungsschutz benachteiligt noch eine weitere Personengruppe: Frauen „im besten Alter“, deren Beschäftigungsaussichten ebenso wie die von Jugendlichen geringer ausfallen. Die letztgenannten Ergebnisse zwingen dann auch dazu, den Eingriffstatbestand bejahen zu müssen. Für eine wesentliche Gruppe der Arbeitsuchenden erweist sich der Kündigungsschutz als Einstellungshindernis. Zwar hindert dieser den Arbeitgeber offensichtlich nicht an der Neubesetzung eines freien Arbeitsplatzes, aber eben nicht mit einem Arbeitsuchenden aus der Gruppe der Arbeitslosen. Die demgegenüber nachweisbare Bevorzugung der „Insider“, denen der Kündigungsschutz keine Barrieren beim Wechsel ihres Arbeitsplatzes in den Weg stellt, lässt jedoch diese Gruppe auf der Eingriffsebene für den nachfolgenden Gang der Untersuchung ausscheiden. IV. Zusammenfassung Der zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Arbeitsuchenden bestehende grundrechtliche Konflikt des allgemeinen Kündigungsschutzes spielt sich innerhalb der Grundrechts der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG ab. Zugunsten des Arbeitnehmers folgt aus der von diesem Grundrecht gewährleisteten Arbeitsplatzwahlfreiheit eine Pflicht des Staates zur Etablierung eines Mindestmaßes an arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzvorschriften. Dem steht die abwehrrechtlich geschützte Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers gegenüber, die bei jeder gesetzlichen Kündigungsbeschränkung aktiviert wird. Schließlich können sich auch die Arbeitsuchenden auf das Grundrecht der Arbeitsplatzwahlfreiheit berufen. Innerhalb dieser nicht homogenen Gruppe ist allerdings zu differenzieren: Stets ist der Eingriffstatbestand erfüllt, wenn der Gesetzgeber

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

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mittels kündigungsschutzrechtlicher Regelungen dem Arbeitgeber die Neubesetzung eines bereits an einen Arbeitnehmer vergebenen Arbeitsplatzes versperrt. Allerdings können sich Arbeitsplatzwechsler anders als Outsider nicht auf eine zu ihren Lasten bestehende einstellungshemmende Wirkung des Kündigungsschutzes berufen, so dass der Kündigungsschutz innerhalb der Gruppe der Arbeitslosen mit einer höheren Eingriffsintensität auf das Grundrecht der Arbeitsplatzwahlfreiheit einwirkt.

B. Sonderkündigungsschutz Zahlreiche Bestimmungen des gesetzlichen Sonderkündigungsschutzes lassen sich auf spezielle verfassungsrechtliche Schutzgebote zurückführen. Für den nachfolgenden Gang der Untersuchung sollen indes nicht sämtliche Tatbestände des gesetzlichen Sonderkündigungsschutzes beleuchtet, sondern folgende wesentliche Regelungsbereiche vertieft behandelt werden: der spezielle Kündigungsschutz während der Schwangerschaft und nach der Entbindung, der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte sowie der Kündigungsschutz betriebsverfassungsrechtlicher Funktionsträger. Die im vorangegangenen Abschnitt in Bezug auf den allgemeinen Kündigungsschutz getroffenen Feststellungen hinsichtlich der grundrechtlich geschützten Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitsuchenden beanspruchen dabei auch unter dem Vorzeichen des Sonderkündigungsschutzes Geltung. Der besonders geschützte Arbeitnehmer kann sich jedoch auf im Vergleich zu Art. 12 Abs. 1 GG speziellere Grundrechte berufen. Seit dem „Mutterschaftsgeld-Urteil“ des BVerfG vom 18.11.200379 rückt im Anwendungsbereich des besonderen Kündigungsschutzes Schwangerer und Mütter im Hinblick auf arbeitsuchende Frauen zudem verstärkt das aus Art. 3 Abs. 2 GG folgende Gleichstellungsgebot in den Blick. I. Kündigungsschutz während der Schwangerschaft und nach der Entbindung, Art. 6 Abs. 4 GG 1. Schutz von Schwangeren und Müttern durch Art. 6 Abs. 4 GG Gemäß Art. 6 Abs. 4 GG hat jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Art. 6 Abs. 4 GG normiert ein objektiv-rechtliches Schutzgebot,80 woraus sich allen voran ein bindender Gesetzgebungsauftrag ab___________ 79

BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64 ff. BVerfG vom 10.02.1982, BVerfGE 60, 68, 74; BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 85 f.; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 140; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Abs. 4 Rdnr. 283. 80

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

leitet.81 In den personellen Schutzbereich des Grundrechts einbezogen sind jedenfalls die leiblichen Mütter 82, ob gleiches auch auf die so gen. „sozialen Mütter“ (Adoptiv-, Pflege- oder Stiefmütter) zutrifft, wird unterschiedlich beurteilt.83 Väter partizipieren nicht von den Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 4 GG.84 Ungeklärt ist auch die zeitliche Dimension des grundrechtlichen Mutterschutzes. Eröffnet ist der Schutzbereich jedenfalls mit Beginn der Schwangerschaft für die werdende Mutter,85 wie weit dieser Schutz aber über die ersten Monate nach der Geburt des Kindes hinausreicht, hat das BVerfG offen gelassen.86 Nach der Auffassung Gröschners endet dieser mit der Volljährigkeit der Kinder,87 Dieterich will den Schutz lediglich für den Zeitraum nach der Geburt des Kindes gewähren, in dem natürliche Belastungen allein die Mutter betreffen, was regelmäßig nur noch während der Stillzeit in Betracht kommen soll.88 Der in Art. 6 Abs. 4 GG positiv normierte Auftrag zu Schutz und Fürsorge verpflichtet den Gesetzgeber, die besonderen Belastungen der Mutterschaft abzumildern und die damit verbundenen Lasten angemessen auszugleichen.89 Zusammen mit Art. 12 Abs. 1 GG gebietet diese Verpflichtung dem Gesetzgeber, ___________ 81

BVerfG vom 25.01.1972, BVerfGE 32, 273, 277; BVerfG vom 12.11.1979, BVerfGE 52, 357, 365; BVerfG vom 10.02.1982, BVerfGE 60, 68, 74; Dieterich, in: ErfKomm, Art. 6 GG Rdnr. 17; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 140 f.; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Abs. 4 Rdnr. 302. 82 Aubel, Mutterschutz, S. 113; Dieterich, in: ErfKomm, Art. 6 GG Rdnr. 19; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 144; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Abs. 4 Rdnr. 289. 83 Dafür Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Abs. 4 Rdnr. 290. Dagegen Aubel, Mutterschutz, S. 112; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 144. 84 Aubel, Mutterschutz, S. 119 f.; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 141; Zacher, in: HdBStR VI, § 134 Rdnr. 115. 85 BVerfG vom 25.01.1972, BVerfGE 32, 273, 277; BVerfG vom 13.11.1979, BVerfGE 52, 357, 365; BVerfG vom 22.10.1980, BVerfGE 55, 154, 157 f.; BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 155 f.; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 372; Aubel, Mutterschutz, S. 113; Dieterich, in: ErfKomm, Art. 6 GG Rdnr. 20; Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 142; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Abs. 4 Rdnr. 292; Zacher, in: HdBStR VI, § 134 Rdnr. 115. 86 BVerfG vom 25.01.1972, BVerfGE 32, 273, 277; BVerfG vom 07.07.1992, BVerfGE 87, 1, 41 f.; BVerfG vom 12.03.1996, BVerfGE 94, 241, 259. 87 Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 142. Noch darüber hinausgehend Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Abs. 4 Rdnr. 292. 88 Dieterich, in: ErfKomm, Art. 6 GG Rdnr. 20. Ebenso BVerwG vom 15.10.1980, BVerwGE 61, 79, 84 f. sowie Zacher, in: HdBStR VI, § 134 Rdnr. 115. Vermittelnd Aubel, Mutterschutz, S. 137, nach dessen Auffassung der Schutzbereich immer dann eröffnet ist, wenn sich die Mutter in einer Situation befinde, in der sie den nachteiligen körperlichen, wirtschaftlichen und beruflichen Folgen der leiblichen Mutterschaft ausgesetzt ist. 89 Dieterich, in: ErfKomm, Art. 6 GG Rdnr. 21; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Abs. 4 Rdnr. 278.

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

451

berufstätige Frauen vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes während der Schwangerschaft und nach der Entbindung zu schützen.90 Nach der Auffassung des BVerfG schützt Art. 6 Abs. 4 GG sogar unmittelbar den Bestand des Arbeitsverhältnisses einer schwangeren Arbeitnehmerin.91 Nicht vom Schutzbereich des Art. 6 Abs. 4 GG umfasst ist der besondere Kündigungsschutz während der Elternzeit,92 da für Sachverhalte, die nicht allein Mütter betreffen, aus Art. 6 Abs. 4 GG keine besonderen Rechte hergeleitet werden können.93 Hierfür ist Art. 6 Abs. 1 GG einschlägig.94 Ändert der Gesetzgeber den besonderen Kündigungsschutz Schwangerer und Mütter, so hat er dabei die aus Art. 6 Abs. 4 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Schutzpflichten zu beachten. 2. Kollidierende Interessen arbeitsuchender Frauen – das aus Art. 3 Abs. 2 GG folgende Gleichberechtigungsgebot Soweit Arbeitsuchende im Hinblick auf den besonderen Kündigungsschutz Schwangerer und Mütter auf eine Beeinträchtigung ihrer Arbeitsplatzwahlfreiheit verweisen, gilt das oben Ausgeführte.95 Daneben erlangt jedoch zusätzlich der besondere Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG Bedeutung. Nach hM regelt Art. 3 Abs. 2 GG ein explizites Differenzierungsverbot,96 erschöpft sich aber nicht in diesem, sondern geht in seiner Bedeutung über die eines reinen Diskriminierungsverbotes hinaus. Art. 3 Abs. 2 GG enthält ebenso einen Handlungsauftrag an den Staat, die Gleichberechtigung von Mann und ___________ 90

BVerfG vom 25.01.1972, BVerfGE 32, 273, 277; BVerfG vom 13.11.1979, BVerfGE 52, 357, 365; BVerfG vom 22.10.1980, BVerfGE 55, 154, 158; BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 156; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 372; Aubel, Mutterschutz, S. 242 f.; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 25; Oetker, Bestandsschutz, S. 26; ders., RdA 1997, 9, 13; ders., AuR 1997, 41, 42; Preis, NZA 1997, 1256, 1260; ders., in: APS, Grundlagen A. Rdnr. 28; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Abs. 4 Rdnr. 298. 91 BVerfG vom 25.01.1972, BVerfGE 32, 273, 277. 92 Buchner/Becker, MuSchG/BErzGG, Vor §§ 15-21 BerzGG Rdnr. 13. 93 BVerfG vom 07.07.1992, BVerfGE 87, 1, 42; BVerfG vom 12.02.1996, BVerfGE 94, 241, 259. 94 Buchner/Becker, MuSchG/BErzGG, Vor §§ 15-21 BErzGG Rdnr. 12. Anders Bader, in: KR, § 18 BEEG Rdnr. 4: Art. 6 Abs. 1 und 2 GG. 95 Vgl. dazu oben unter § 12 A III, S. 442 ff. 96 BVerfG vom 18.12.1953, BVerfGE 3, 225, 239 f.; BVerfG vom 13.11.1979, BVerfGE 52, 369, 374; BVerfG vom 28.01.1992, BVerfGE 85, 191, 206; Sachs, in: HdBStR, § 126 Rdnr. 80; Schlachter, Gleichberechtigung, S. 47 f. (allerdings beschränkt auf Differenzierungen, die dem Zweck der Gleichberechtigung der Frauen zuwiderlaufen); Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 2 Rdnr. 304; aA Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 338 ff., Grundlage des Diskriminierungsverbots ist allein Art. 3 Abs. 3 GG.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Frau zu verwirklichen und erstreckt diesen auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit,97 was der verfassungsgebende Gesetzgeber mit der Anfügung des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG ausdrücklich klar gestellt hat.98 Art. 3 Abs. 2 GG zielt auf eine Angleichung der Lebensverhältnisse,99 woraus auch ein Gebot gleicher Erwerbschancen von Frauen gegenüber Männern folgt.100 Zwar ist dem Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner aus Art. 3 Abs. 2 GG folgenden Aufgaben ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet.101 Er ist jedoch gehalten, faktische Diskriminierungen, die sich als Folge seiner Regelungen ergeben, zu vermeiden. 102 Den Gesetzgeber trifft damit eine aus Art. 3 Abs. 2 GG folgende Schutzpflicht. So hat der Gesetzgeber auch mögliche faktische Diskriminierungen zu berücksichtigen, die von Schutzgesetzen zugunsten von Frauen ausgehen können.103 Er ist nach der Rechtsprechung des BVerfG verpflichtet, der Gefahr, dass sich die von ihm erlassenen Schutzvorschriften in der Wirklichkeit des Arbeitslebens diskriminierend auswirken, zu begegnen und sie „so weit wie möglich“ durch geeignete Regelungsmechanismen auszugleichen.104 Zwar ist der Gesetzgeber dieser Verpflichtung einerseits durch Vorschriften wie der des § 7 Abs. 1 AGG nachgekommen, welcher eine Diskriminierung von Frauen ___________ 97

BVerfG vom 28.01.1992, BVerfGE 85, 191, 207; BVerfG vom 16.11.1993, BVerfGE 89, 276, 285; BVerfG vom 24.01.1995, BVerfGE 92, 91, 109; BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 89. Für eine objektiv-rechtliche Dimension des Art. 3 Abs. 2 GG im Sinne eines Verfassungsauftrags zur Förderung der faktischen Gleichberechtigung auch Aubel, RdA 2004, 141, 142 f.; Battis/Schulte-Trux/Weber, DVBl. 1991, 1165, 1170; Dieterich, in: ErfKomm, Art. 3 Rdnr. 84; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 261 f.; Rademacher, Gleichstellungsauftrag, S. 142; Säcker, in: 50. DJT, Bd. II, S. L 9, L 25; Schlachter, Gleichberechtigung, S. 62. AA Jaestedt, VVdStRL 64 (2004), 298, 344 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 180 f.; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 2 Rdnr. 309 ff. AA auch Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 344 f., nach deren Auffassung Art. 3 Abs. 2 GG ein Dominierungsverbot normiert, S. 347 ff. Ebenso Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 102. 98 BVerfG vom 24.01.1995, BVerfGE 92, 91, 109; BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 89; Dieterich, in: ErfKomm, Art. 3 Rdnr. 85; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 261 f. Für eine Interpretation als Staatszielbestimmung demgegenüber Jaestedt, VVdStRL 64 (2004), 298, 345; Rademacher, Gleichstellungsauftrag, S. 105 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 180; Schumann, Faktische Gleichberechtigung, S. 69 f.; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 2 Rdnr. 311. 99 BVerfG vom 28.01.1992, BVerfGE 85, 191, 207; BVerfG vom 16.11.1993, BVerfGE 89, 276, 285; BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 89. 100 BVerfG vom 17.01.1957, BVerfGE 6, 55,82; BVerfG vom 28.01.1992, BVerfGE 85, 191, 207; BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 89. 101 BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 90; Aubel, RdA 2004, 141, 143; Schlachter, Gleichberechtigung, S. 62. 102 BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 90; Aubel, RdA 2004, 141, 143. 103 BVerfG vom 28.01.1992, BVerfGE 85, 191, 209 f.; BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 90. 104 BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 90.

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

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durch den Arbeitgeber bei der Einstellung oder hinsichtlich deren Arbeitsbedingungen verbietet.105 In seiner Entscheidung zur Umlagefinanzierung des Mutterschaftsgeldes stellt das BVerfG allerdings klar, dass von der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung von Mutterschaftsgeld erhebliche finanzielle Belastungen ausgehen, die im Zusammenhang mit den anderen zusätzlichen Belastungen des Arbeitgebers, die mit der Schwangerschaft von Arbeitnehmerinnen verbunden sind, eine einstellungshemmende Wirkung entfalten können, was letztlich zu einer Verletzung des Art. 3 Abs. 2 GG führte.106 Das Gericht lässt dafür bereits die plausibel erscheinende Möglichkeit eines einstellungshemmenden Effektes ausreichen, ohne dass dieser auch nachzuweisen wäre.107 Dabei hätte das BVerfG durchaus auf eine breite Palette von Untersuchungen der empirischen Sozialforschung zurückgreifen können, um diese auf Plausibilitätserwägungen gestützte Vermutung zu untermauern. Bescheinigen diese bereits dem Kündigungsschutz mehrheitlich eine generell einstellungshemmende Wirkung in Bezug auf die Gruppe der Frauen,108 so ist dies zuallererst Ausdruck des auf dem Gebiet des Kündigungsschutzes generell höheren Schutzniveaus für schwangere und Kinder erziehende Arbeitnehmerinnen, der nicht nur in Deutschland in den einschlägigen Vorschriften des MuSchG sowie des BEEG seinen Niederschlag gefunden hat, sondern europarechtlich determiniert109 auch in den europäischen Nachbarländern. Diese auf den Kündigungsschutz beschränkten Ergebnisse lassen auf entsprechende Auswirkungen auch bei den sonstigen, den Arbeitgeber gegenüber Arbeitnehmerinnen treffenden gesetzlichen Verpflichtungen schließen. Damit aber gehören sämtliche arbeitsrechtlichen Regelungen auf den Prüfstand, die nach statistischen Erkenntnissen auch nur in irgendeiner Weise Frauen als Mütter entlasten, den Arbeitgeber aber stärker belasten, als wenn dieser einen Mann beschäftigte.110 Dazu zählt neben dem vom BVerfG für verfassungswidrig erklärten U2-Umlageverfahren für das Mutterschaftsgeld111 schließlich auch der besondere Kündigungsschutz ___________ 105

BVerfG vom 16.11.1993, BVerfGE 89, 276, 286 ff.; BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 89. 106 BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 91. Ebenso Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 6 Rdnr. 145; von Koppenfels-Spies, AuR 2005, 52, 53; Kube, JZ 2004, 358, 360; Leisner, DB 2004, 598, 599. Zustimmend bezüglich sämtlicher auf Frauen beschränkter Arbeitsschutzvorschriften auch Eichenhofer, BB 2004, 382, 384. Anders noch unter Berücksichtigung des damals niedrigeren Arbeitgeberanteils BVerfG vom 23.04.1974, BVerfGE 37, 121, 126. 107 Aubel, RdA 2004, 141, 144; Hanau, in: FS Wißmann, S. 27, 32. 108 Vgl. dazu oben unter § 3 C II 1 c), S. 91. 109 Vgl. dazu oben unter § 10 B II 5, S. 397 f. 110 Leisner, DB 2004, 598, 599. Kritisch von Koppenfels-Spies, AuR 2005, 52 f. 111 Inzwischen neu geregelt durch das „Gesetz über den Ausgleich von Arbeitgeberaufwendungen“ vom 22.12.2005, BGBl. I, 3686.

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für Schwangere und Mütter.112 Müssen mutterschützende Regelungen so beschaffen sein, dass sie das Einstellungsverhalten des Arbeitgebers möglichst nicht beeinflussen113, so hat der Gesetzgeber bei einer Neuordnung des besonderen Kündigungsschutzes das aus Art. 3 Abs. 2 GG folgende Gleichberechtigungsgebot zu berücksichtigen und derartige faktische Benachteiligungen von Frauen zu vermeiden. II. Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG Ändert der Gesetzgeber den gesetzlichen Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer, so rückt ein weiteres Grundrecht ins Blickfeld: Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. 1. Gleichstellungsgebot zugunsten behinderter Arbeitnehmer Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG normiert ein subjektives Abwehrrecht im Sinne eines strikten Benachteiligungsverbots.114 Bedeutung hat dieses Grundrecht aber wesentlich in seiner Ausprägung als derivatives Teilhabe- und Leistungsrecht erlangt.115 Ob sich daraus auch originäre Leistungsansprüche herleiten lassen, hat das BVerfG ausdrücklich offen gelassen. 116 Nicht klar umrissen ist die zur Ermittlung des persönlichen Anwendungsbereichs des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG er___________ 112

von Koppenfels-Spies, AuR 2005, 52, 53. Buchner/Becker, MuSchG/BErzGG, Einf. MuSchG Rdnr. 69; Dieterich, in: ErfKomm, Art. 6 GG Rdnr. 22, 24; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Abs. 4 Rdnr. 300 (Dieser nimmt bei Feststellung einer einstellungshemmenden Wirkung allerdings eine Verletzung des Art. 6 Abs. 4 GG an.). 114 BVerfG vom 19.01.1999, BVerfGE 99, 341, 357; Buch, Grundrecht der Behinderten, S. 72 ff.; Caspar, EuGRZ 2000, 135, 137; Davy, in: Eichenhofer, Die Behinderten, S. 7, 35 f.; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rdnr. 104b, 104f; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 134; Neuner, NJW 2000, 1822; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 305, 314; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 III Rdnr. 174; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 3 GG Rdnr. 417; Welti, Behinderung, S. 447. AA Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 220 ff.: Diskriminierungsverbot, das abhängig von der jeweiligen Wirkung der staatlichen Ungleichbehandlung abgestufte Anforderungen an deren Verfassungsmäßigkeit stellt. 115 BVerfG vom 08.10.1997, BVerfGE 96, 288, 304. Dem folgend Buch, Grundrecht der Behinderten, S. 197 ff.; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rdnr. 104b; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 138; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 305. 116 BVerfG vom 08.10.1997, BVerfGE 96, 288, 304; BVerfG vom 28.03.2000, NJW 2000, 2658, 2659. Ablehnend das Schrifttum, vgl. nur Caspar, EuGRZ 2000, 135, 139 f.; Davy, in: Eichenhofer, Die Behinderten, S. 7, 36; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rdnr. 104b; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 305; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. III Rdnr. 174. 113

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

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forderliche Bestimmung des Begriffs der Behinderung. Verbreitet wird diese in Anlehnung an § 2 Abs. 1 SGB IX als die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung definiert, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht.117 Keinen Anhaltspunkt bietet der Wortlaut jedenfalls für eine dem § 2 Abs. 2 SGB IX vergleichbare Beschränkung auf schwere Behinderungen.118 Für den Kündigungsschutz behinderter Arbeitnehmer erlangt Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG neben Art. 12 Abs. 1 GG indes nur dann Bedeutung, wenn sich der Gehalt dieses Grundrechts nicht lediglich in einem Benachteiligungsverbot erschöpft, sondern darüber hinaus den Gesetzgeber im Sinne eines Gleichstellungsgebotes zur Beseitigung faktischer Benachteiligungen durch den Erlass bevorzugender Regelungen verpflichtet. Ein Vergleich mit Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG zeigt dabei zunächst, dass Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG zwar eine Benachteiligung, nicht aber auch die Bevorzugung behinderter Menschen verbietet.119 Daraus lässt sich indes noch keine Aussage darüber treffen, ob und wie weit eine derartige Bevorzugung auch geboten ist.120 Das BVerfG hat zu dieser Frage noch nicht ausdrücklich Stellung bezogen. Noch vor Inkrafttreten des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG hat das Gericht jedoch in seinem ersten „Warteschleifen-Urteil“ eine Bestimmung des Einigungsvertrages, nach der Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten bei abzuwickelnden öffentlichen Einrichtungen zum Ruhen gebracht und befristet wurden, für mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt, weil diese nicht auf die besonderen Belange Schwerbehinderter, älterer Arbeitnehmer und Alleinerziehender eingehe, deren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt gegenüber anderen Arbeitnehmern typi___________ 117

BVerfG vom 08.10.1997, BVerfGE 96, 288, 301, das sich aber ein weiteres Begriffsverständnis vorbehält; Caspar, EuGRZ 2000, 135, 136; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rdnr. 104c; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 309; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 III Rdnr. 176; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 3 GG Rdnr. 418; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 175. Enger Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 135. Weiter Buch, Grundrecht der Behinderten, S. 49 ff.; Davy, in: Eichenhofer, Die Behinderten, S. 7, 16 ff.; Welti, Behinderung, S. 439. 118 Buch, Grundrecht der Behinderten, S. 64 ff.; Caspar, EuGRZ 2000, 135, 136; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rdnr. 104c; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 135; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 310; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 3 GG Rdnr. 419; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 172; Welti, Behinderung, S. 439. 119 BVerfG vom 08.10.1997, BVerfGE 96, 288, 302 f.; Beaucamp, DVBl. 2002, 997, 998; Davy, in: Eichenhofer, Die Behinderten, S. 7, 20; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rdnr. 104a; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 137; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 312; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 III Rdnr. 174; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 3 GG Rdnr. 417; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 179; Welti, Behinderung, S. 445. 120 BVerfG vom 08.10.1997, BVerfGE 96, 288, 303.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

scherweise schlechter ausfielen.121 Wenigstens hätte der Staat zur Wiedereingliederung der Betroffenen in das Berufsleben besondere Anstrengungen unternehmen müssen.122 Obiter dicens beschäftigt sich das Gericht mit dem besonderen Kündigungsschutz behinderter Arbeitnehmer auch in seinem Beschluss zum Mutterschaftsgeld. Soweit Arbeitgeber bei einer Beschäftigung von Behinderten vermehrt mit Krankheitsausfällen rechneten und deshalb bei der Einstellung Zurückhaltung zeigten, habe der Gesetzgeber nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG dieser faktischen Benachteiligung mit Diskriminierungsverboten und Kündigungsschutzregelungen gegenzusteuern. 123 Damit finden sich in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bereits erste Anhaltspunkte einer aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG folgenden Verpflichtung des Gesetzgebers, sich der besonderen Belange der zumindest schwerbehinderten Arbeitnehmer anzunehmen und faktische Benachteiligungen im Arbeitsleben mit Hilfe eines besonderen Kündigungsschutzes zu beseitigen. Grundlage eines in diesem Sinne verstandenen Gleichstellungsgebots kann nur ein objektivrechtliches Verständnis des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG bilden, das bislang vorwiegend hinsichtlich dessen Einwirkung auf das Privatrecht im Wege der mittelbaren Drittwirkung diskutiert wird.124 Als objektives Rechtsprinzip verstärkt Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG den staatlichen Auftrag, aktiv zur Integration behinderter Menschen in die Gesellschaft beizutragen.125 Die besondere Situation Behinderter, deren Lebensführung sich im Vergleich zu Nichtbehinderten grundsätzlich schwieriger gestaltet, soll nach dem Willen des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG weder zu rechtlichen noch zu gesellschaftlichen Ausgrenzungen führen, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG will diese vielmehr überwinden.126 Sein Ziel, Benachteiligungen wegen einer Behinderung auszuschließen, kann diese Bestimmung aber nur dann verwirklichen, wenn damit nicht nur das Verhältnis zu dem Staat und seinen Organen gemeint ist, sondern ein allgemeines Prinzip ausgedrückt wird, dessen Förderung Aufgabe des Staates ist.127 Von dieser Vorstellung hat sich auch der verfassungsändernde Gesetzgeber leiten lassen, dem es darum ___________ 121

BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 154 f. BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 154 f. 123 BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 94 f. 124 Dazu BVerfG vom 19.01.1999, BVerfGE 99, 341, 356; BVerfG vom 28.03.2000, NJW 2000, 2658, 2659; BAG vom 05.10.1995, AP Nr. 40 zu § 123 BGB Bl. 4 f.; BAG vom 20.01.2000, AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit Bl. 5R; Caspar, EuGRZ 2000, 135, 141 ff.; Beaucamp, DVBl. 2002, 997, 1000; Gubelt, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rdnr. 104b; Hagmann, Benachteiligung Behinderter, S. 49 ff.; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 138; Neuner, NJW 2000, 1822, 1825 ff.; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 307; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 262 ff. 125 Caspar, EuGRZ 2000, 135, 137; Welti, Behinderung, S. 459. 126 BVerfG vom 08.10.1997, BVerfGE 96, 288, 302. 127 Frowein, in: FS Zacher, S. 157, 161. 122

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

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ging, die Stellung behinderter Menschen nicht nur im Verhältnis Staat – Bürger, sondern generell im Recht und in der Gesellschaft zu stärken.128 Aus dem objektivrechtlichen Charakter des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG leitet das BVerfG im Zusammenwirken mit speziellen Freiheitsrechten so eine besondere Verantwortung des Staates für behinderte Menschen ab.129 Aus der objektivrechtlichen Funktion des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG folgt damit auch eine Schutzpflicht des Staates zugunsten behinderter Menschen.130 Inhalt dieser Schutzpflicht ist es, im Rahmen der Zivilrechtsordnung behinderte Menschen vor Nachteilen wegen ihrer personenbezogenen Belastungen zu bewahren und die durch die Behinderung bestehenden Nachteile zu mildern.131 Die Schutzpflicht gebietet dem Gesetzgeber, sich der besonderen Belange behinderter Menschen durch Ausgestaltung seiner Gesetze anzunehmen und erstreckt sich auch auf behinderte Arbeitnehmer.132 Im Ergebnis führt dies zu einem aus der objektivrechtlichen Funktion des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG abgeleiteten Gleichstellungsgebot. Ob Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG darüber hinaus einen subjektivrechtlichen Förderauftrag an den Staat enthält, braucht nicht entschieden zu werden. Als objektivrechtlich fundiertes Rechtsprinzip begründet das aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG abgeleitete Gleichstellungsgebot jedenfalls eine Handlungspflicht des Staates zur begünstigenden Ungleichbehandlung Behinderter, wenn eine nicht differenzierende Regelung für diese Gruppe zu nicht gerechtfertigten Nachteilen führen würde.133 Darin ordnet sich auch die Forderung des BVerfG nach einem auf die besonderen Belange schwerbehinderter Arbeitnehmer zugeschnittenen Kündigungsschutz ein. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verlangt zusammen mit Art. 12 Abs. 1 GG von dem Gesetzgeber, dass dieser zumindest schwerbehinderten Arbeitnehmern ein höheres Maß an Regelungsdichte anbietet als den üb-

___________ 128

BT-Drs. 12/8165, S. 29. BVerfG vom 08.10.1997, BVerfGE 96, 288, 304; BVerfG vom 28.03.2000, NJW 2000, 2658, 2659. 130 Beaucamp, DVBl. 2002, 997, 999 f.; Buch, Grundrecht der Behinderten, S. 200 ff.; Dieterich, in: ErfKomm, Art. 3 Rdnr. 82; Dörner, in: FS Dieterich, S. 83, 88; Düwell, DB 2003, 1574; Giwer, Präimplantationsdiagnostik, S. 130 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 178 f. (allgemein zu den Schutzgütern des Art. 3 Abs. 3 GG); Sachs, RdJB 1996, 154, 171; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 258 f.; Welti, Behinderung, S. 547. Wohl auch Davy, in: Eichenhofer, Die Behinderten, S. 7, 45; Neuner, NJW 2000, 1822, 1824. Zweifelnd Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rdnr. 138. AA Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rdnr. 307; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 3 Rdnr. 417; wohl auch Britz, VVdStRL 64 (2004), 355, 363 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 III Rdnr. 174 f. 131 Dörner, in: FS Dieterich, S. 83, 88; Sachs, RdJB 1996, 154, 171. 132 Dörner, in: FS Dieterich, S. 83, 88. 133 Davy, in: Eichenhofer, Die Behinderten, S. 7, 37. 129

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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rigen Arbeitnehmern.134 Hinsichtlich der Umsetzung dieses Schutzauftrages im Bereich des Kündigungsschutzes verbleibt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum,135 was sich insofern konsistent in die Schutzpflichtendogmatik einfügt. Jede Änderung des Sonderkündigungsschutzes für schwerbehinderte Arbeitnehmer berührt damit auch das aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG folgende Benachteiligungsverbot. Verpflichtet dieses im Zusammenwirken mit Art. 12 Abs. 1 GG den Gesetzgeber, die besonderen Belange schwerbehinderter Arbeitnehmer zu berücksichtigen, so findet jede Neuregelung ihre Grenze an dem aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Untermaßverbot. 2. Kollidierende Interessen arbeitsuchender Schwerbehinderter – das aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG folgende Gleichberechtigungsgebot Der besondere Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer kann – vergleichbar der Situation Schwangerer und Mütter – dabei aber auch in eine faktische Diskriminierung arbeitsuchender Schweberhinderter umschlagen, indem der Arbeitgeber aufgrund der mit dem besonderen Kündigungsschutz verbundenen zusätzlichen Kosten auf die Besetzung eines Arbeitsplatzes mit einem besonders geschützten Arbeitnehmer verzichtet. Soweit ersichtlich, bildete diese – auch vom BVerfG vertretene136 – Annahme einer einstellungshemmenden Wirkung des besonderen Kündigungsschutzes schwerbehinderter Arbeitnehmer137 noch nicht den Gegenstand einer empirischen Untersuchung, doch gibt das Parallelproblem des Sonderkündigungsschutz schwangerer Arbeitnehmerinnen und Mütter, der nachgewiesenermaßen einstellungshemmend wirkt, darauf zumindest einen starken Hinweis. So bietet sich auch zur Bewältigung der grundrechtlichen Konfliktlage zwischen schwerbehinderten Arbeitnehmern und schwerbehinderten Arbeitsuchenden ein Rückgriff auf die vom BVerfG im Rahmen des Sonderkündigungsschutzes Schwangerer und Mütter zu Art. 3 Abs. 2 GG entwickelte Lösung eines aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG abzuleitenden Gleichberechtigungsgebots an, das dem Staat eine Schutzpflicht auferlegt, faktische Diskriminierungen schwerbe___________ 134

Dörner, in: FS Dieterich, S. 83, 95, allerdings ohne Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG. Ebenso Hergenröder, in: MünchKomm-BGB, Einl. KSchG Rdnr. 22. 135 Für einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Erfüllung des aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG folgenden Gleichstellungsauftrages auch Beaucamp, DVBl. 2002, 997, 1002; Buch, Grundrecht der Behinderten, S. 204 f.; Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 278. 136 BVerfG vom 01.10.2004, NJW 2005, 737. 137 Vgl. dazu oben unter § 3 A III, S. 67 f.

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hinderter Arbeitsuchender möglichst zu verhindern.138 Dies entspricht auch der Auffassung des BVerfG, welches das von ihm entwickelte Gleichberechtigungsgebot nicht nur auf faktische Diskriminierung von Frauen beschränkt, sondern auf sämtliche von Art. 3 Abs. 2 und 3 GG erfassten Personengruppen erstreckt.139 Konstruktiv lässt sich dieses Gleichberechtigungsgebot wie bereits im Rahmen der Ausführungen zu dem aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG folgenden Gleichstellungsgebot mit einem Rückgriff auf die objektivrechtliche Dimension dieses Grundrechts und der daraus abzuleitenden Schutzpflicht begründen. III. Kündigungsschutz betriebsverfassungsrechtlicher Mandatsträger Wesentlich schwieriger als in den beiden soeben behandelten Bereichen des Sonderkündigungsschutzes gestaltet sich die Suche nach einem speziellen grundrechtlichen Fundament des Kündigungsschutzes betriebsverfassungsrechtlicher Funktionsträger wie Betriebsratsmitglieder, Mitglieder der Jugendund Auszubildendenvertretung oder Wahlbewerber zu diesen Vertretungsorganen. Diese hat zwar an dem konkreten Arbeitsverhältnis des betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträgers anzuknüpfen, weil auch die Ausübung einer betriebsverfassungsrechtlichen Funktion grundsätzlich von dem Bestand dessen Arbeitsverhältnisses abhängig ist, § 7 BetrVG.140 Insofern drängt sich wiederum ein Rückgriff auf Art. 12 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Arbeitsplatzwahlfreiheit und der daraus abzuleitenden Schutzpflicht des Staates auf. Ausgehend vom Zweck des besonderen Kündigungsschutzes betriebsverfassungsrechtlicher Funktionsträger greift dies indes zu kurz. Die Aufgabe, die der in den §§ 15 KSchG, 103 BetrVG normierte Sonderkündigungsschutzes erfüllt, ist eine doppelte: Dieser soll sowohl den dort geschützten Personen die erforderliche Unabhängigkeit bei der Ausübung ihres Amtes gewährleisten als auch die Stetigkeit der Arbeit der jeweiligen Arbeitnehmervertretung dadurch sichern, dass diese als Ganzes für die Dauer ihrer Wahlperiode in ihrer personellen Zusammensetzung möglichst unverändert erhalten bleibt.141 Der Sonderkündigungsschutz weist damit einerseits eine individualschützende Komponente auf: Die in § 15 KSchG genannten Arbeitnehmervertreter sollen nicht aus Furcht vor einer Kündigung davor zurückschrecken, Aufgaben im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes zu übernehmen oder übernommene Aufgaben ord___________ 138

In diesem Sinne Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz, S. 254 f. Ablehnend Sachs, RdJB 1996, 154, 163. 139 BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 95. 140 Freilich gelten auch hier wieder Ausnahmen, wie etwa das in § 46 Abs. 1 S. 1 BetrVG normierte Teilnahmerecht Gewerkschaftsbeauftragter an Betriebs- oder Abteilungsversammlungen. 141 BAG vom 23.01.2002, AP Nr. 230 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag Bl. 3; Linck, in: APS, § 15 KSchG Rdnr. 1.

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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nungsgemäß wahrzunehmen, auch wenn dabei Konflikte mit dem Arbeitgeber auszutragen sind.142 Darüber hinaus schützt § 15 KSchG aber auch das Interesse der gesamten Belegschaft an einer unabhängigen und durch keine willkürlichen Maßnahmen des Arbeitgebers bedrohten kontinuierlichen Amtsführung der Arbeitnehmervertretung.143 Bezweckt der Sonderkündigungsschutz aber, die Funktionsfähigkeit der Betriebsverfassung abzusichern und die Tätigkeit des einzelnen betriebverfassungsrechtlichen Funktionsträgers für die Betriebsverfassung zu schützen, so lässt sich ein entsprechend der gegenwärtigen Rechtslage bestehendes höheres Kündigungsschutzniveau der Betriebsratsmitglieder jedenfalls dann begründen, wenn das GG die Betriebsverfassung als institutionalisierte Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Belegschaft im Betrieb selbst grundrechtlich absichert. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Schaffung und Ausgestaltung einer Betriebsverfassung mit einem Mindestmaß an Beteiligungsrechten beinhaltete auch eine Schutzpflicht für die im Rahmen der Betriebsverfassung tätigen Arbeitnehmer. 1. Grundrechtliche Fundierung der Betriebsverfassung? Im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung, die in ihrem Art. 165 die Existenz von Arbeiter- und Wirtschaftsräten garantierte, und zahlreichen Landesverfassungen144 fehlt dem Grundgesetz indes ein ausdrückliches grundrechtliches Bekenntnis zur Betriebsverfassung. Dennoch leitet eine in der Literatur verbreitete Ansicht eine entsprechende Garantie aus Art. 12 Abs. 1 GG ab.145 Am weitesten reicht dabei wohl die Auffassung Kempens, der Art. 12 Abs. 1 GG eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Förderung und Erhaltung der be-

___________ 142

BAG vom 28.04.1994, AP Nr. 12 zu Art. 20 Einigungsvertrag Bl. 2R; BAG vom 07.10.2004, NZA 2005, 156, 158; Berkowsky in: MünchArbR II, § 157 Rdnr. 1; Etzel in: KR, § 15 KSchG Rdnr. 9; Linck, in: APS, § 15 KSchG Rdnr. 1; Vossen/Stahlhacke, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1595. 143 BAG vom 06.11.1959, AP Nr. 15 zu § 13 KSchG 1951 Bl. 2 f.; BAG vom 20.12.1984, AP Nr. 9 zu § 620 BGB Bedingung Bl. 7R; BAG vom 28.04.1994, AP Nr. 12 zu Art. 20 Einigungsvertrag Bl. 3; BAG vom 07.10.2004, NZA 2005, 156, 158; Berkowsky, in: MünchArbR II, § 157 Rdnr. 1; Etzel, in: KR, § 15 KSchG Rdnr. 10; Linck in: APS, § 15 KSchG Rdnr. 4; Vossen/Stahlhacke, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1595. 144 Art. 175 S. 1 BayVerf; Art. 17 BerlVerf.; Art. 50 BranVerf.; Art. 47 Abs. 1 BremVerf.; Art. 37 HessVerf.; Art. 26 NRWVerf.; Art. 67 Abs. 2, 4, 5 RhPfVerf.; Art. 58 Abs. 3 SaarlVerf.; Art. 26 SächsVerf.; Art. 37 Abs. 3 ThürVerf. 145 Kempen, AuR 1986, 129, 135; Kisker, in: FS Geiger, S. 244, 253 f., 258; Trümner, in: DKK, § 1 Rdnr. 7; Sterzel, Tendenzschutz, S. 175 ff.

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

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trieblichen Mitbestimmung entnimmt, die auch ein Verschlechterungsverbot gegenüber dem seinerzeitigen Stand der Betriebsverfassung umfasse.146 Einer weiteren Auffassung zufolge gebietet das in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Gesetzgeber die Schaffung einer Betriebsverfassung.147 Dieses garantiere einen Freiheitskern, der gegen Einwirkungen durch „Auswüchse“ der Privatautonomie geschützt sei und den der Gesetzgeber mittels Schaffung eines betrieblichen Beteiligungssystems zugunsten der Arbeitnehmer auch zu schützen habe.148 Wieder andere sehen den Gesetzgeber aus der organisations- und verfahrensrechtlichen Dimension der Grundrechte zur Einrichtung einer Betriebsverfassung verpflichtet, ohne dabei näher auf ein bestimmtes Grundrecht hinzuweisen.149 Das Betriebsverfassungsrecht ermögliche dem Betriebsrat, darüber zu wachen, dass der Arbeitgeber die zum Schutz der Grundrechte der Arbeitnehmer erlassenen Normen des materiellen Arbeitsrechts auch tatsächlich beachte und fördere die Verwirklichung von Grundrechten der Beschäftigten.150 Nach der Auffassung Lambrichs schließlich genieße die Betriebsverfassung als institutionelle Absicherung der Vereinigungsfreiheit, Art. 9 Abs. 1 GG, sowie als Ausfluss der Privatautonomie, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG, grundrechtlichen Schutz.151 Dies führe zu einer Garantie der Betriebsverfassung, die dem Gesetzgeber untersage, die betriebliche Mitbestimmung gänzlich abzuschaffen oder auch nur übermäßig zu erschweren.152 Wesentlich stützt sich diese Auffassung unter Bezug auf Überlegungen Reuters153 darauf, die betriebliche Produktionsgemeinschaft als einen Verband im Rechtssinne unter den Schutz des Art. 9 Abs. 1 GG zu stellen154, was im Schrifttum jedoch auf nahezu einhellige Ablehnung stößt.155

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Kempen, AuR 1986, 129, 135, 137 f. Bremeier, Reichweite der Betriebsverfassung, S. 138 f.; Wiese, in: GK-BetrVG, Einleitung Rdnr. 48 (i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip). 148 Bremeier, Reichweite der Betriebsverfassung, S. 135 ff. 149 Hammer, JbArbR 32 (1995), S. 21, 26; Plander, in: FS Gnade, S. 79, 90. 150 Plander, in: FS Gnade, S. 79, 90. 151 Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 224. 152 Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 225. 153 Reuter, RdA 1991, 193, 197; ders., RdA 1994, 152, 157 f.; ders., in: FS Schaub, S. 605, 627. 154 Lambrich, Tarif- und Betriebsautonomie, S. 183 ff. 155 Vgl. dazu nur Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 212 f.; Reichold, Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht, S. 540 ff.; Richardi, in: MünchArbR III, § 241 Rdnr. 50; Waltermann, NZA 1996, 357, 360; Wank, NJW 1996, 2273, 2274. 147

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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2. Betriebsverfassung als Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips Demgegenüber zeigt sich das BVerfG in der Frage nach der grundrechtlichen Fundierung der Betriebsverfassung äußerst zurückhaltend. In einem Beschluss vom 27.03.1979 heißt es, das Grundgesetz enthalte im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung keinen ausdrücklichen Auftrag zur Schaffung von räteartigen Interessenvertretern für Arbeitnehmer.156 So ließen sich aus der Verfassung keine den einfachen Gesetzgeber unmittelbar verpflichtenden Anforderungen an die Ausgestaltung und Mitwirkung der Personalvertretung in personellen und sozialen Angelegenheiten herleiten. 157 In einem Beschluss vom 06.11.1979 zur betrieblichen Mitbestimmung in einem Presseunternehmen hat das Gericht diese Auffassung auch für die Betriebsverfassung bestätigt: Weder das Sozialstaatsprinzip noch Grundrechte der Arbeitnehmer begründeten einen verbindlichen Verfassungsauftrag zur Einführung einer Mitbestimmung des Betriebsrats in Presseunternehmen.158 Dem folgend lehnt auch das BAG159 sowie die herrschende Lehre160 eine Verfassungsgarantie für die betriebliche Mitbestimmung und damit ebenfalls einen Auftrag zu deren Schaffung und Ausgestaltung ab. Überwiegend wird die Betriebsverfassung im Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG verortet: Dieses und die in Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG erfolgte ausdrückliche Nennung als Rechtsmaterie der konkurrierenden Gesetzgebung ermächtige den Gesetzgeber, ein Recht der Betriebsverfassung zu schaffen, um dem Gedanken der Selbstbestimmung, die den im Grundrechtskatalog genannten Freiheitsrechten zugrunde liege, für die Arbeitnehmer in Betrieb und Unternehmen zu verwirklichen. 161 Das Sozialstaatsprinzip richte an

___________ 156

BVerfG vom 27.03.1979, BVerfGE 51, 43, 58. BVerfG vom 27.03.1979, BVerfGE 51, 43, 58. 158 BVerfG vom 06.11.1979, BVerfGE 52, 283, 298. 159 BAG vom 29.05.1970, AP Nr. 13 zu § 81 BetrVG Bl. 4R. 160 von Hoyningen-Huene, in: MünchArbR III, § 297 Rdnr. 3, 11; Kissel, NZA 1995, 1, 3; Oetker, Bestandsschutz, S. 39; ders., RdA 1997, 9, 18; Reuter, RdA 1991, 193, 201; Richardi, in: ders., BetrVG, Einleitung Rdnr. 40; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 467; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rdnr. 66; Wank, NJW 1996, 2273. 161 BAG vom 07.11.1975, AP Nr. 4 zu § 118 BetrVG 1972 Bl. 4 f.; BAG vom 14.11.1975, AP Nr. 5 zu § 118 BetrVG 1972 Bl. 3R; von Hoyningen-Huene, in: MünchArbR III, § 297 Rdnr. 11; Lohse, Grenzen gesetzlicher Mitbestimmung, S. 46, 49 f.; Richardi, in: Richardi, BetrVG, Einleitung Rdnr. 40; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rdnr. 66. Für das Personalvertretungsrecht auch BVerfG vom 30.11.1965, BVerfGE 19, 303, 319; BVerfG 26.05.1970, BVerfGE 28, 314, 323; BVerfG vom 27.03.1979, BVerfGE 51, 43, 58. 157

§ 12 Schutzpflichten, Abwehrrechte und Kündigungsschutz

463

den Gesetzgeber indes keine verbindlichen Vorgaben, wie er eine Mitbestimmungsordnung zu gestalten habe.162 3. Folgerungen für den Kündigungsschutz betriebsverfassungsrechtlicher Funktionsträger Lehnt man mit der herrschenden Meinung eine grundrechtliche Fundierung der Betriebsverfassung ab, ist damit aber noch keine Aussage über den besonderen Kündigungsschutz betriebsverfassungsrechtlicher Funktionsträger getroffen. Zumindest der kollektivschützende Charakter des Sonderkündigungsschutzes kann sich indes nicht auf ein grundrechtliches Fundament stützen. Ist der Verfassung keine grundrechtliche Garantie der Betriebsverfassung zu entnehmen, fehlt auch dem mit dem Sonderkündigungsschutz betriebsverfassungsrechtlicher Funktionsträger bezweckten Schutz der Kontinuität des Betriebsrats die grundrechtliche Absicherung. Eine andere Bewertung ist aber im Hinblick auf den auch individualschützenden Charakter des Sonderkündigungsschutzes zu treffen. Bezweckt dieser, den betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträger vor einer Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zu schützen, damit dieser die ihm obliegenden betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben pflichtgemäß und ohne Furcht vor Entlassungen wahrnehmen kann, so ist die aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Pflicht des Gesetzgebers zum Schutz der freien Wahl des Arbeitsplatzes aktiviert.163 Dieser schützt auch das Interesse des betriebsverfassungsrechtlichen Funktionsträgers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes. Inwieweit sich die Schutzintensität hier gegenüber anderen Arbeitnehmern, die keine betriebsverfassungsrechtliche Funktion ausüben, unterscheidet, bedarf später einer näheren Untersuchung. Zwei Punkte können jedoch bereits an dieser Stelle festgehalten werden: Fehlt zum einen dem Interesse an der Kontinuität der Betriebsratstätigkeit der verfassungsrechtliche Schutz, so entfällt gleichzeitig auch ein entscheidendes Argument für ein bestandsschützendes Kündigungsschutzrecht der Betriebsratsmitglieder, das gerade diese Kontinuität sicherstellen soll. Sind auf der anderen Seite Betriebsratsmitglieder aufgrund ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Tätigkeit einem besonders hohen Kündigungsrisiko ausgesetzt, so steigen auch die aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen an den Gesetzgeber hinsichtlich der Ausgestaltung des Kündigungsschutzes.

___________ 162

BVerfG vom 27.03.1979, BVerfGE 51, 43, 58; BVerfG vom 06.11.1979, BVerfGE 52, 283, 298; BAG vom 07.04.1981, AP Nr. 16 zu § 118 BetrVG 1972 Bl. 4; Richardi, in: Richardi, BetrVG, Einleitung Rdnr. 41. 163 Vgl. dazu oben unter § 12 A I, S. 434 ff.

464

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

IV. Zusammenfassung Im Bereich des Sonderkündigungsschutzes beschränken weitere Grundrechte den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers: So verpflichtet diesen Art. 6 Abs. 4 GG, für Schwangere und Mütter ein höheres Maß an Kündigungsschutz bereitzustellen. Andererseits ist er dabei gemäß Art. 3 Abs. 2 GG gehalten, durch den besonderen Schutz hervorgerufene faktische Diskriminierungen arbeitsuchender Frauen zu vermeiden. Das aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG folgende Gleichstellungsgebot verpflichtet den Gesetzgeber zur Etablierung eines besonderen Kündigungsschutzes für schwerbehinderte Arbeitnehmer. Auch hier darf der besondere Schutz jedoch nicht zu einer faktischen Benachteiligung arbeitsuchender Schwerbehinderter führen. Der Betriebsverfassung fehlt eine grundrechtliche Fundierung. Für betriebsverfassungsrechtliche Funktionsträger greift daher die dem Gesetzgeber aus Art. 12 Abs. 1 GG allen Arbeitnehmern gegenüber obliegende Pflicht zur Schaffung eines Mindestmaßes an arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz.

C. Grundrechtsträger Nicht weiter vertieft werden soll die Problematik der Grundrechtsträgerschaft. Im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG, wonach sich auf dessen Gewährleistungsgehalt nur Deutsche berufen können, geht die vorliegende Untersuchung von dieser Prämisse aus. Ausgeklammert bleiben daher Erörterungen zur Berufsfreiheit ausländischer Arbeitnehmer, Arbeitgeber oder Arbeitsuchender sowie zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Deutscher“ unter dem Blickwinkel der Staatsangehörigkeit in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Soweit Art. 12 Abs. 1 GG keine Anwendung findet, ist subsidiär auf Art. 2 Abs. 1 GG Rückgriff zu nehmen. 164 Da dessen Gewährleistungsgehalt nicht an den des spezielleren Art. 12 Abs. 1 GG heranreicht, ist eine gesetzliche Regelung, welche unter Art. 12 Abs. 1 GG Bestand haben kann, jedoch erst recht mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar. Die im Bereich des Sonderkündigungsschutzes einschlägigen Art. 3 Abs. 2 S. 2, 3 Abs. 3 S. 2 GG sowie Art. 6 Abs. 4 GG sind in ihrem Anwendungsbereich nicht auf Deutsche beschränkt.

___________ 164

BVerfG vom 10.05.1988, BVerfGE 78, 179, 196 f.; BVerfG vom 15.01.2002, BVerfGE 104, 337, 346; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 272; Tettinger, in: Sachs, GG, Art. 12 Rdnr. 18; aA Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rdnr. 104.

§ 13 Kontrolle der Regelungsvorschläge zwischen Untermaß- und Übermaßverbot Der nun folgende Abschnitt widmet sich schließlich den wesentlichen der im ersten Teil dieser Arbeit vorgestellten Vorschläge einer Reform des Kündigungsschutzes mittels Ablösung oder Ergänzung durch Abfindungsansprüche und unterzieht diese einer Kontrolle am Maßstab der Grundrechte unter Berücksichtigung der aus dem Unter- sowie Übermaßverbot folgenden Anforderungen. Anders als etwa eine abstrakte Bestimmung des aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Mindestkündigungsschutzes, die sich aufgrund von Weite und Unbestimmtheit der grundrechtlichen Schutzpflichten niemals auf eine bestimmte Lösung festlegen kann, bietet diese Vorgehensweise den Vorteil einer möglichst präzisen Ermittlung der grundrechtlichen Vorgaben, schließt sie doch eine Vielzahl von unterschiedlichen Regelungsmodellen zwischen den beiden Polen Abfindungs- und Bestandsschutz ein. Auch aus der Literatur liegen inzwischen erste Stellungnahmen vor, die sich mit der Grundrechtsrelevanz einer Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzprinzips beschäftigen. Hervorzuheben ist an dieser Stelle insbesondere eine Arbeit von Kamanabrou,1 die sich vor allem der Ablösung des Kündigungsschutzes und der in § 1 Abs. 3 KSchG verankerten Verpflichtung zur Vornahme einer Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung durch Abfindungsansprüche widmet.

A. Gang der Untersuchung Die nachfolgende Untersuchung beginnt bei denjenigen Regelungsmodellen, die – in Anlehnung an die gegenwärtig in Belgien, Dänemark und Finnland bestehende Rechtslage2 – eine generelle Abkehr vom Bestandsschutzprinzip hin zu einem Abfindungsschutz favorisieren, gleichwohl aber an der Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle der Kündigung festhalten.3 Bestehen dagegen aus grundrechtlicher Sicht keine Bedenken, so gilt dies auch für sämtliche Mischformen, die Bestands- und Abfindungsschutz miteinander kombinieren. In einem zweiten Abschnitt stehen dann diejenigen Vorschläge auf dem Prüfstand, die den Arbeitgeber, entsprechend der in Europa weit überwiegend bestehenden ___________ 1

Kamanabrou, RdA 2004, 333 ff. Vgl. dazu oben unter § 5 E II, S. 185 ff. 3 Vgl. dazu oben unter § 4 A II, S. 103 ff. 2

466

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Rechtslage,4 bei jeder Kündigung zur Zahlung einer Abfindung verpflichten wollen.5 Eine besondere Beachtung wird dabei der Vorschlag Preis’ erlangen, mittels eines gesetzlichen Abfindungsanspruchs die bei betriebsbedingten Kündigungen vorzunehmende Sozialauswahl zu ersetzen. Anschließend wendet sich die Untersuchung dem wohl radikalsten Vorschlag zu, jegliche gerichtliche Kontrolle der Kündigung generell gegen Zahlung einer Abfindung abzuschaffen,6 oder doch zumindest den Arbeitsvertragsparteien bereits im Voraus eine entsprechende vertragliche Vereinbarung zu ermöglichen.7 Am Ende erfolgt schließlich eine Überprüfung der Regelungsvorschläge anhand der besonderen grundrechtlichen Gewährleistungen ausgewählter Bereiche des Sonderkündigungsschutzes.

B. Grundrechtskontrolle einzelner kündigungsschutzrechtlicher Elemente in Beziehung zum Gesamtkonzept des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes Ist der Gegenstand der Untersuchung auf die Rechtsfolge des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes beschränkt, so hat die Kontrolle am Maßstab des Untermaßverbotes dennoch stets das Gesamtkonzept des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes im Auge zu behalten. Ob eine gesetzliche Regelung den vom Untermaßverbot geforderten angemessenen Mindestschutz gewährleistet, lässt sich nur in einer Zusammenschau sämtlicher Schutzmechanismen ermitteln.8 Gerade das Kündigungsschutzrecht mit seinem umfangreichen Normenprogramm verbietet eine isolierte Betrachtung einzelner Elemente. 9 Diese greifen stets ineinander und ermöglichen erst in ihrem Zusammenwirken eine zuverlässige Beurteilung der Wirksamkeit des gesetzlichen Schutzkonzeptes. Gleichwohl stehen bei der nachfolgenden Grundrechtskontrolle die Rechtsfolgen des Kündigungsschutzes im Mittelpunkt, weil gerade die Rechtsfolgen des Kündigungsschutzes dessen wichtigste Komponenten bilden. Zahlreiche der zu untersuchenden Regelungsvorschläge führen an dieser Stelle zu tief greifenden Einschnitten in das bestehende System. Dies gilt nicht nur für den Fall einer vollständigen Abkehr vom Prinzip des Bestandsschutzes hin zu einem Abfindungsschutz, sondern auch bei der Etablierung eines bei jeder betriebsbe___________ 4

Vgl. dazu oben unter § 5 C, S. 162 ff. Vgl. dazu oben unter § 4 A I, S. 97 ff. 6 Vgl. dazu oben unter § 4 A IV, S. 112 ff. 7 Vgl. zu den entsprechenden Vorschlägen aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum oben unter § 4 A V, S. 116 ff., aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum oben unter § 4 B, S. 119 ff., sowie der Gesetzgebung oben unter § 4 C II 1, S. 127 ff. 8 Zu der im Rahmen der Angemessenheitsprüfung anzustellenden Gesamtbetrachtung vgl. oben unter § 11 A IV 3 c), S. 420. 9 Oetker, Bestandsschutz, S. 38; ders., RdA 1997, 9, 18. 5

§ 13 Kontrolle der Regelungsvorschläge

467

dingten Kündigung entstehenden gesetzlichen Abfindungsanspruchs bzw. der Abschaffung der Sozialauswahl zugunsten einer Abfindungszahlung. Den am tiefsten greifenden Einschnitt bringt schließlich der Regelungsvorschlag, den Arbeitsvertragsparteien einen einzelvertraglichen Verzicht auf Kündigungsschutz gegen Zahlung einer Abfindung zu ermöglichen.

C. Abfindung anstelle Bestandsschutz Entschließt sich der Gesetzgeber zu einer vollständigen Abkehr von einem bestandsschützenden Kündigungsschutzrecht, so drängt sich aus der Perspektive der Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers die Frage in den Vordergrund, ob ein allein auf Entschädigung gerichteter Schutz den aus dem grundrechtlichen Untermaßverbot folgenden Anforderungen zu genügen vermag. Stehen dem keine Bedenken entgegen, hat sich die Prüfung der Abfindungshöhe zuzuwenden. I. Das zugunsten des Arbeitnehmers eingreifende Untermaßverbot 1. Grundrechtliche Interessen des Arbeitnehmers – Art. 12 Abs. 1 GG und das Recht auf Bestandsschutz Art. 12 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber, für Arbeitnehmer ein Mindestmaß an arbeitsrechtlichem Kündigungsschutz zu gewährleisten.10 Auf der Tatbestandsebene bedingt dies zumindest einen Schutz vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen durch die zivilrechtlichen Generalklauseln, bei deren Auslegung der objektive Gehalt der Grundrechte einzufließen hat.11 Soweit diese Feststellung konsentiert ist, so wenig ist mit ihr zugleich auch eine Aussage über die Konsequenzen auf der Rechtsfolgenebene für den Fall verbunden, dass der Arbeitgeber diese Anforderungen nicht beachtet. Dass dabei der grundrechtlich gebotene Mindestkündigungsschutz flankie___________ 10

Vgl. dazu oben unter § 12 A I 1, S. 435 f. BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 178; BAG vom 12.11.1998, AP Nr. 20 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 5; BAG vom 21.02.2001, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 4 ff. Noch ohne Berufung auf Art. 12 Abs. 1 GG bereits BAG vom 23.06.1994, AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 3R f. Im Schrifttum vertiefend Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 112 ff.; Falder, NZA 1998, 1254, 1255 ff.; Gamillscheg, Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 77 ff.; Gragert, NZA 2000, 961, 964 ff.; Hertzberg, FA 2005, 9, 10 ff.; Kittner, NZA 1998, 731, 732 f.; Krenz, Sozialauswahl, S. 105 ff.; Lettl, NZA-RR 2004, 57, 59 ff.; Oetker, Bestandsschutz, S. 35 ff.; ders., RdA 1997, 9, 17 f.; ders., AuR 1997, 41, 47 ff.; Powietzka, Kündigungsschutz, S. 133 ff.; Preis, NZA 1997, 1256, 1264 ff.; Stahlhacke, in: FS Wiese, S. 513, 522 ff.; P. Stein, DB 2005, 1218, 1219 ff.; Urban, Kündigungsschutz, S. 60 ff. Bezüglich des Rückgriffs auf § 242 BGB kritisch Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 469 f. 11

468

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

render Sanktionsmechanismen bedarf, steht außer Zweifel, können nur diese überhaupt eine Beachtung der grundrechtlichen Mindestanforderungen sicherstellen. a) Die Auffassung des BVerfG Das BVerfG hatte bislang noch keine Gelegenheit, sich grundlegend mit den grundrechtlich gebotenen Sanktionsmechanismen des Kündigungsschutzes auseinander zu setzen. Zwar deutet der im „Kleinbetriebs-Beschluss“ ergangene Hinweis auf den durch die zivilrechtlichen Generalklauseln vermittelten Schutz auf die Rechtsfolge der Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit der Kündigung hin, die etwa § 138 Abs. 1 BGB explizit anordnet. Allerdings sah sich das Gericht in diesem Verfahren auch mit der gegenwärtigen Rechtspraxis konfrontiert, wonach in einer Vielzahl von Kündigungstreitigkeiten weniger um die Fortführung der Arbeitsverhältnisse als vielmehr über Abfindungszahlungen verhandelt wird.12 Obwohl, so das BVerfG, das Kündigungsschutzgesetz als Bestandsschutzgesetz konzipiert sei, werde dadurch die Zielsetzung des gesetzlichen Kündigungsschutzes nicht verfehlt.13 Die Erwartung des Arbeitgebers, ein Arbeitsverhältnis nur gegen Abfindung beenden zu können, wirke sich vielmehr bereits im Vorfeld einer Kündigung arbeitsplatzschützend aus. 14 Er werde diese Aufwendungen nur in Fällen in Kauf nehmen, die ihm besonders dringlich erscheinen.15 Im Abfindungsvergleich werde der vom Gesetz in erster Linie erstrebte Bestandsschutz in einen Geldausgleich umgemünzt, dessen Höhe der übereinstimmenden Bewertung der Prozessaussichten entspreche.16 Zwar lässt sich diesem Beschluss keine Aussage bezüglich einer Vereinbarkeit eines allein abfindungsschützenden Kündigungsschutzes mit dem Untermaßverbot entnehmen. Gleichwohl wertet das Gericht die Aussicht des Arbeitnehmers, im Falle einer rechtswidrigen Kündigung eine Abfindung zu erhalten, als funktionelles Äquivalent zur alternativen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Differenzierter äußert sich das Gericht in seinem Beschluss vom 22.10.2004 zur Begründung eines Auflösungsantrags gemäß § 9 KSchG. Zur Überprüfung stand die verhaltensbedingte Kündigung einer Arbeitnehmerin. Obwohl diese sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren als unwirksam erwies, löste das zuständige LAG das Arbeitsverhältnis gemäß §§ 9, 10 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers gegen Zahlung einer Abfindung mit der Begründung auf, angesichts der ___________ 12

Zu den entsprechenden empirischen Ergebnissen vgl. oben unter § 3 C I 2, S. 79 ff. BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 179 f. 14 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 180. 15 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 180. 16 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 180. 13

§ 13 Kontrolle der Regelungsvorschläge

469

zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden stark erschütterten Vertrauenslage sei eine weitere sinnvolle Zusammenarbeit nicht zu erwarten. Das BVerfG hob dieses Urteil mit folgender Begründung auf: Mit dem aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Gebot eines effektiven Mindeskündigungsschutzes sei nicht zu vereinbaren, auf der einen Seite die Rechtswidrigkeit der Kündigung festzustellen, gleichzeitig aber aus denselben Gründen, die diese nicht zu rechtfertigen vermochten, den Auflösungsantrag des Arbeitgebers positiv zu bescheiden.17 Hinsichtlich der Schutzintensität geht das Gericht damit zwar offensichtlich von einem Stufenverhältnis zwischen dem Bestandsschutz und dem ausnahmsweise nach Maßgabe der §§ 9, 10 KSchG gewährleisteten Abfindungsschutz aus. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen im Hinblick auf das aus dem Grundrecht der Arbeitsplatzwahlfreiheit folgende Untermaßverbot an die Stelle des Bestandsschutzes die Sanktion einer Abfindungszahlung treten kann, unterbleibt indes.18 b) Die in der Literatur vertretenen Positionen Auch in der Literatur fehlt bislang eine vertiefte Auseinandersetzung. Vereinzelt finden sich Stimmen, die mit einem abfindungsschützenden Kündigungsrecht das aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit zugunsten des Arbeitnehmers folgende Untermaßverbot verletzt sehen.19 So ist nach der Auffassung von Bengsch ein Kündigungsschutz, der nicht die Bestandsinteressen des Arbeitnehmers zu wahren sucht, bereits nicht geeignet, die aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit abgeleitete Schutzpflicht zu erfüllen.20 Vergleichbar argumentiert auch Rütten: Abfindungszahlungen entsprächen nicht dem Wert der Berufsfreiheit.21 Sei der Arbeitnehmer zur Ausübung seiner von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheit auf die Mitwirkung des sozial mächtigeren Arbeitgebers angewiesen und somit vor dessen Übergriffen zu schützen, so müsse dem Arbeitnehmer bei einer sozial ungerechtfertigten Kündigung auch die alleinige Entscheidung darüber verbleiben, den Arbeitsplatz zu verteidigen oder in eine Abfindungslösung einzuwilligen.22 Auch nach der Auffassung Oetkers darf das ___________ 17

BVerfG vom 22.10.2004, NZA 2005, 41, 43. Kritisch dazu Dieterich, AR-Blattei ES 830, Nr. 33, S. 7, 8. 19 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 89 f.; Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 302 f.; H. Wenzel, Reduktion des Kündigungsschutzes, S. 64 ff. Wohl auch Urban, Kündigungsschutz, S. 56, nach deren Auffassung das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses nicht „einseitig, unangemessen und unverhältnismäßig unberücksichtigt“ bleiben darf. Kritisch auch bereits Reuter, in: FS 25 Jahre BAG, S. 404, 425 und Schwerdtner, in: FS 50 Jahre BAG, S. 459, 465. 20 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 89. 21 Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 302. 22 Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 302 f. 18

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

arbeitsrechtliche Kündigungsrecht den Arbeitsplatzschutz des Arbeitnehmers nicht vollständig vernachlässigen.23 Ein allein aus Abfindungsansprüchen bestehendes Schutzkonzept werde der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Schutzpflicht nicht hinreichend gerecht und das Interesse des Arbeitnehmers am Bestand seines Arbeitsverhältnisses sei nur dann ausreichend berücksichtigt, wenn sich dieser unmittelbar gegen die Rechtmäßigkeit der Kündigung wehren könne.24 Etwas anderes gelte allerdings dann, wenn die Höhe der Entschädigung bei einer die Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers missachtenden Kündigung so hoch bemessen sei, dass sie aufgrund ihrer abschreckenden Wirkung den Arbeitgeber bei seiner Kündigungsentscheidung zur Berücksichtigung des Bestandsinteresses des Arbeitnehmers bewege.25 Eine nach § 10 KSchG bemessene Abfindung reiche dafür aber nicht. 26 Nach der Auffassung Reuters drohe mit einem abfindungsschützenden Kündigungsrecht der Kündigungsschutz als Flankenschutz der betrieblichen Rechte und Freiheiten entwertet zu werden: Man könne nicht davon ausgehen, dass die Arbeitnehmer die Abfindung als Äquivalent des Arbeitsplatzschutzes empfinden.27 Überwiegend wird indes, häufig unter Bezugnahme auf die Ausführungen des BVerfG in seinem Kleinbetriebsbeschluss und ohne nähere Begründung, eine Neukonzeption des Kündigungsschutzes als Abfindungsschutz für grundrechtskonform erachtet.28 Den Vorstellungen Oetkers vergleichbar fordert Ruffert dafür eine Ausgestaltung des Abfindungsschutzes dergestalt, dass dieser einen dem gegenwärtigen Bestandsschutz funktionell vergleichbaren Schutz gewährleistet.29 Die Grenze des Untermaßverbots, so Dieterich, sei dabei in Abhängigkeit von der Art des Kündigungsgrundes und der Höhe der Abfindung zu ermitteln.30

___________ 23

Oetker, Bestandsschutz, S. 36; ders., RdA 1997, 9, 17. Dem folgend Krenz, Sozialauswahl, S. 95; Powietzka, Kündigungsschutz, S. 38, 178; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 464; Urban, Kündigungsschutz, S. 56. 24 Oetker, Bestandsschutz, S. 36; ders., RdA 1997, 9, 17. 25 Oetker, RdA 1997, 9, 17. Noch ohne diese Einschränkung ders., Bestandsschutz, S. 46. 26 Oetker, RdA 1997, 9, 17. 27 Reuter, in: FS 25 Jahre BAG, S. 404, 425. 28 J.-H. Bauer, NZA 2002, 529, 530; Buchner, NZA 2002, 533, 535; Dieterich, ARBlattei ES 830, Nr. 33, S. 7, 8; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 358; von HoyningenHuene, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 215, 242; Rebhahn, RdA 2002, 272, 289, 291; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 467; Rühle, DB 1991, 1378, 1380; Schlachter/Alewell, in: Alewell, Arbeitslosigkeit, S. 151, 173. Wohl auch Kamanabrou, RdA 2004, 333, 336 f. 29 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 467. 30 Dieterich, AR-Blattei ES 830, Nr. 33, S. 7, 8.

§ 13 Kontrolle der Regelungsvorschläge

471

c) Grundrechtliche Bewertung aa) Eignung eines Abfindungsschutzes im Hinblick auf die Anforderungen des Untermaßverbotes Zum Schutz der von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers hat der Gesetzgeber geeignete und damit wirksame Maßnahmen zu ergreifen: Geeignet sind diese dann, wenn sie eine Gefährdung des Grundrechtsguts zumindest einzudämmen vermögen.31 Vor diesem Hintergrund erscheint die These der fehlenden Eignung eines abfindungsschützenden Kündigungsrechts in Bezug auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers bereits auf den ersten Blick wenig plausibel: Knüpft eine Abfindung unmittelbar an die Rechtswidrigkeit einer Kündigung an, so steuert diese Abfindung das Kündigungsverhalten des Arbeitgebers. Die Aussicht auf erhöhte Kündigungskosten hält ihn entweder gleich ganz vom Ausspruch der Kündigung ab oder lässt ihn diese zumindest nur dann vornehmen, wenn die Abfindungskosten niedriger ausfallen als die der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers. Zwar steht diese Annahme unter der Prämisse rationalen Verhaltens des, am Leitbild des „homo oeconomicus“32 orientierten, gewinnmaximierend denkenden Arbeitgebers. Selbst wenn der Arbeitgeber diesem Ideal in der Praxis nicht stets und ausnahmslos entsprechen mag, so wird er sein Verhalten wenigstens daran orientieren, um als Unternehmer am Markt überhaupt bestehen zu können. Sieht der Arbeitgeber in Erwartung erhöhter Kosten von der Kündigung eines Arbeitnehmers ab, so wirkt das abfindungsschützende Kündigungsrecht für den Arbeitnehmer mittelbar bestandsschützend. Je höher die erwarteten Kosten sind, desto höher fällt auch das Maß des mittelbaren arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes für den Arbeitnehmer aus. Wo das Bestandsschutzmodell die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit den Mitteln des Rechts durchsetzen will, bedient sich das Abfindungsmodell der Verteuerung der Vertragsbeendigung und setzt damit einen finanziellen Vorteil für die Fortsetzung.33 Ein Abfindungsschutzkonzept kann so als funktionelles Äquivalent an die Stelle eines am Prinzip des Bestandsschutzes orientierten Systems treten.34 ___________ 31

Vgl. zur Geeignetheitsprüfung im Rahmen des Untermaßverbots oben unter § 11 A IV 3 c, S. 418 f. 32 Vgl. zu diesem Verhaltensmodell nur Eidenmüller, JZ 2005, 216, 217 ff., sowie Rittner, JZ 2005, 668 ff., mit einer einführenden Darstellung und kritischen Würdigung unter Einbeziehung des einschlägigen wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttums. 33 Schlachter/Alewell, in: Alewell, Arbeitslosigkeit, S. 151, 171. 34 Zum funktionellen Vergleich prinzipiell gegenläufiger Kündigungsschutzsysteme Schlachter, RdA 1999, 118, 119.

472

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Ein rechtsvergleichender Blick in das Kündigungsschutzrecht anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union bestätigt dieses Ergebnis. Nicht nur, dass sich zahlreiche Rechtsordnungen nicht am Prinzip des Bestandsschutzes, sondern dem des Abfindungsschutzes orientieren. 35 Gerade das französische Kündigungsschutzrecht wird trotz seines nur mittelbar bestandsschützenden Konzeptes als rigide bewertet36 und hat den dortigen Gesetzgeber dazu bewogen, die bestehenden Sanktionsmechanismen für Neueinstellungsverträge für eine Dauer von zwei Jahren weit gehend außer Kraft zu setzen.37 Dass ein Abfindungsschutz in seiner Schutzintensität hinter einem auf unmittelbaren Bestandsschutz und damit auf gerichtliche Durchsetzung der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ausgerichteten Kündigungsrecht zurücktritt, ist plausibel, spielt indes im Rahmen der Geeignetheitsprüfung keine Rolle. Ist eine Maßnahme bereits dann geeignet, den gebotenen Schutz zu gewährleisten, wenn ihr das Potential innewohnt, eine Grundrechtsgefährdung einzudämmen, so erfüllt ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht, verglichen mit einem sanktionslosen, diese Voraussetzung allemal. bb) Die in die Abwägung einzubeziehenden grundrechtlichen Interessen des Arbeitnehmers Bestehen gegen ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht hinsichtlich dessen Geeignetheit keine Bedenken, sind in einem nächsten Schritt zur Vorbereitung der Angemessenheitsprüfung die grundrechtlich geschützten Interessen des Arbeitnehmers näher zu konkretisieren. Nach Auffassung des BVerfG, sind dabei „gewichtige Belange“ zu berücksichtigen: Berufliche Tätigkeit, für die Art. 12 Abs. 1 GG den erforderlichen Freiraum gewährleistet, könne dieser ausschließlich durch Abschluss und Fortbestand von Arbeitsverträgen realisieren.38 Der Arbeitsplatz bilde für ihn und seine Familie die wirtschaftliche Existenzgrundlage.39 Lebenszuschnitt und Wohnumfeld würden davon bestimmt, ebenso gesellschaftliche Stellung und Selbstwertgefühl. 40 Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses werde dieses ökonomische und soziale Beziehungsgeflecht in Frage gestellt.41 Die Aussichten, eine ähnliche Position ohne Einbußen ___________ 35

Vgl. dazu oben unter § 5 E IV 1, S. 189 ff. Die OECD klassifiziert dieses mit dem Wert 2,9 und damit als besonders streng, vgl. OECD, Employment Outlook 2004, S. 117. 37 Vgl. zum „contrat nouvelles embauches“ oben unter § 5 D I 1, S. 177 ff. 38 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 177. 39 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 177. 40 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 177. 41 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 177. 36

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an Lebensstandard und Verlust von Nachbarschaftsbeziehungen zu finden, hingen von den Verhältnissen des Arbeitsmarktes ab.42 In Zeiten struktureller Arbeitslosigkeit seien sie vor allem für ältere Arbeitnehmer schlecht.43 Gelinge es ihm nicht, alsbald einen neuen Arbeitsplatz zu finden, gerate er häufig in eine Krise, in der ihm durch die Leistungen der Arbeitslosenversicherung nur teilweise und auch nur für einen begrenzten Zeitraum geholfen werde.44 Diese inhaltliche Konkretisierung der grundrechtlichen Interessen des Arbeitnehmers ist im Schrifttum nicht unwidersprochen geblieben.45 Ruffert sieht in dem Vorgehen des BVerfG bereits die zwischen dem grundrechtlichen Untermaßverbot und dem aus dem Sozialstaatsprinzip folgenden legislativen Gestaltungsauftrag bestehende Grenze überschritten.46 Die Verteilung der vom BVerfG unter den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG subsumierten Risiken Lebenszuschnitt, Wohnumfeld, gesellschaftliche Stellung, Lebensstandard, Nachbarschaftsbeziehungen und Arbeitslosigkeit sei in ihrer Gesamtheit keine Frage rechtsstaatlichen Grundrechtsschutzes, sondern sozialstaatlicher Gestaltung, so Ruffert.47 Das Gericht lade so die grundrechtliche Schutzpflicht mit einer sozialstaatlichen Komponente auf, obwohl es die Heranziehung des Sozialstaatsprinzips an anderer Stelle explizit ablehne.48 Lediglich die Berücksichtigung des Arbeitsplatzes als wirtschaftliche Existenzgrundlage sei nicht zu beanstanden, da die Berufsfreiheit als Freiheit der Erwerbssicherung insoweit ein Element in sich trage, das in den sozialen Bereich hineinwirke, ohne dass es dabei um den Gesichtspunkt der staatlich veranlassten Verteilung sozialer Chancen und Risiken ginge.49 Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. Soweit das BVerfG bei seiner am Grundrecht der Arbeitsplatzwahlfreiheit orientierten Abwägungsentscheidung die von Ruffert beanstandeten Kriterien heranzieht, zeugt dies nicht von einem sozialen Grundrechtsverständnis.50 Zwar zeigt sich das geltende Kündigungsschutzrecht allen voran als Ausfluss sozialstaatlicher Gestal___________ 42

BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 177. BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 177. 44 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 177. 45 Die Funktion des Kündigungsschutzes als Sicherung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Arbeitnehmers gänzlich ablehnende Reuter, in: FS Wiedemann, S. 449, 458 f., ders., RdA 2004, 161, 164. Wie das BVerfG aber auch Kraus, Abfindungen, S. 34; Urban, Kündigungsschutz, S. 51 f. 46 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 463. 47 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 463. 48 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 463. 49 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 463. 50 Vgl. dazu oben unter § 11 B I, S. 421 f. 43

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

tung,51 doch ist davon die hier vorzunehmende Überprüfung am Maßstab des aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit abzuleitenden Untermaßverbots streng zu unterscheiden. Soziale Gehalte wie die Schaffung von Arbeitsplätzen als Voraussetzung der Ausübung der Arbeitsplatzwahlfreiheit lassen sich der vom BVerfG vorgenommenen Grundrechtsinterpretation nicht entnehmen. Konkretisiert die in Art. 12 Abs. 1 GG verankerte Berufsfreiheit das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung,52 so beschreiben die vom BVerfG herangezogenen und von Ruffert kritisierten Abwägungskriterien die tatsächlichen Auswirkungen der Ausübung bzw. Nichtausübung des Grundrechts der Berufsfreiheit auf die Persönlichkeitsentfaltung des Arbeitnehmers. Dabei ist die Heranziehung dieser Kriterien eine geradezu unabdingbare Voraussetzung, um die Schwere der Beeinträchtigung des Schutzguts der Arbeitsplatzwahlfreiheit messen und darauf aufbauend das Untermaß staatlichen Schutzes bestimmen zu können. Bei der Gewichtung der grundrechtlichen Interessen des Arbeitnehmers schlägt indes nicht nur die wirtschaftliche und soziale Bedeutung des Kündigungsschutzes zu Buche. Dessen Funktion besteht auch darin, den Arbeitnehmer vor einer Druckausübung durch den Arbeitgeber zu bewahren,53 und so dessen Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentfaltung auf dem Gebiet der Berufsfreiheit zu ermöglichen.54 Das Fehlen eines gesetzlichen Kündigungsschutzes setzte den Arbeitnehmer nicht nur der Gefahr einer überobligatorischen Inanspruchnahme seitens des Arbeitgebers aus, 55 sondern auch der eines

___________ 51

BVerfG vom 13.01.1982, BVerfGE 59, 231, 266; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 18; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 359; Neuhausen, Verzicht auf Kündigungsschutz, S. 57; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 62; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 463. 52 BVerfG vom 14.12.1965, BVerfGE 19, 330, 336 f.; BVerfG vom 16.03.1971, BVerfGE 30, 292, 334; BVerfG vom 18.06.1980, BVerfGE 54, 301, 313; BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 254; BVerfG vom 27.04.1999, BVerfGE 100, 271, 287; Badura, in: FS Herschel, S. 21, 24; Benda, in: FS Stingl, S. 35, 37; Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 696; Breuer, in: HdBStR VI, § 147 Rdnr. 26; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 361; H.-P. Schneider, VVDStRL 43 (1984), 7, 15; Scholz, ZfA 1981, 265, 277 f.; Urban, Kündigungsschutz, S. 51. 53 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 699; Dorndorf, BB 2000, 1938, 1942; Kraus, Abfindungen, S. 34; Reuter, in: FS 25 Jahre BAG, S. 405, 424; Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 81; Zöllner, in: 52. DJT, Bd. I, S. D 116. Ausführlich Dorndorf, ZfA 1989, 345 ff. 54 Kritisch aber Reuter, ORDO 33 (1982), 165, 181 f. 55 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 699; Braun, Kündigungsschutz, S. 14; Dorndorf, ZfA 1989, 345, 373; ders., BB 2000, 1938, 1942; Reuter, in: FS Wiedemann, S. 449, 459; Zöllner, in: 52. DJT, Bd. I, S. D 114.

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Verzichts auf die Ausübung ihm zustehender Rechte;56 erst der Kündigungsschutz verschafft dem Arbeitnehmer seine Subjektstellung im Arbeitsprozess.57 Im Ergebnis lassen sich damit für den Kündigungsschutz zwei Hauptzielsetzungen erkennen: Die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Arbeitnehmers und die Ermöglichung der Persönlichkeitsentfaltung auf dem Gebiet der beruflichen Betätigung. 2. Kollidierende grundrechtliche Rechtspositionen Ist mit der Feststellung der Geeignetheit eines abfindungsschützenden Kündigungsrechts und der Positionsbestimmung der grundrechtlichen Interessen des Arbeitnehmers bereits ein wichtiger Schritt zur Konkretisierung des Untermaßverbots getan, lässt sich an dieser Stelle gleichwohl noch nicht zuverlässig ermitteln, ob dieses verletzt ist oder nicht. Handelt es sich bei dem Untermaßverbot um einen relativen Maßstab, dessen Inhalt unter Berücksichtigung kollidierender Grundrechtsgüter zu bestimmen ist,58 sind nachfolgend erst die gegenläufigen Interessen des Arbeitgebers sowie der Arbeitsuchenden zu konkretisieren, um diese anschließend in einem Abwägungsvorgang einander zuzuordnen. Erst dann kann zuverlässig festgestellt werden, ob dem Arbeitnehmer das durch eine Neuausrichtung des Kündigungsschutzes am Prinzip des Abfindungsschutzes verbleibende Schutzdefizit noch zugemutet werden kann. a) Zur Bedeutung des vom BVerfG entwickelten Stufen-Dogmas Zur präziseren Steuerung dieses Vorgangs der Abwägung kollidierender Interessen von Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Arbeitsuchenden bietet sich ein Rückgriff auf die vom BVerfG in seinem „Apotheken-Urteil“59 entwickelte Stufenlehre an, zumal sämtliche der konkurrierenden Interessen ebenfalls in Art. 12 Abs. 1 GG verankert sind. Danach sind drei Eingriffsstufen zu unterscheiden: Auf der untersten Ebene stehen die Berufsausübungsregelungen, gefolgt von subjektiven Berufszulassungsbeschränkungen bis schließlich hin zu den objektiven Berufsausübungsschranken auf der obersten Stufe. Mit der Stufe steigt dabei auch die Rechtfertigungsintensität: Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit können dabei bereits mittels „vernünftiger Erwägungen des Ge___________ 56

Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 699; Kraus, Abfindungen, S. 34; Reuter, RdA 1978, 344, 349; ders., in: FS 25 Jahre BAG, S. 405, 424; ders., in: FS Wiedemann, S. 449, 457; Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 81 f. 57 Reuter, in: FS 25 Jahre BAG, S. 405, 424; ders., ORDO 33 (1982), 165, 166. 58 Vgl. dazu oben unter § 11 A IV 3 a), S. 408 f. 59 BVerfG vom 11.06.1958, BVerfGE 7, 377 ff.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

meinwohls“ gerechtfertigt werden60, währenddessen es dazu für subjektive Berufszulassungsvoraussetzungen des Nachweises möglicher Nachteile oder Gefahren für die Allgemeinheit bedarf.61 Objektive Berufszulassungsschranken sind schließlich nur zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zulässig.62 Bezogen auf die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers stellen die Regelungen des gesetzlichen Kündigungsschutzes Berufsausübungsregelungen dar.63 Auf welcher dieser Stufen indes Eingriffe in die ebenfalls von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitsuchenden rechtfertigungsbedürftig sind, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Ließen sich aber die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Grundrechtspositionen von Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Arbeitsuchenden eindeutig einer bestimmten Stufe zuordnen, so strahlte dies über die später vorzunehmende abwehrrechtliche Prüfung auch auf die Bestimmung der durch das Untermaßverbot gezogenen Grenze aus: Stünde nämlich die Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers auf einer höheren Stufe als die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers, folgte bereits aus dieser abstrakten Rangfolge ein höheres Maß grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutzes, wie wenn die konkurrierenden grundrechtlichen Positionen ein und derselben Stufe zuzuordnen wären. Das BVerfG wendet die von ihm entwickelte Stufentheorie auch auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit an,64 führt in einem Beschluss aber aus, dass an gesetzliche Einschränkungen der Arbeitsplatzwahlfreiheit höhere Anforderungen zu stellen sind als an Berufsausübungsregelungen.65 Das Meinungsspektrum in der Literatur ist uneinheitlich.66 Schwierigkeiten bereitet dabei insbesondere die Auflösung des Konflikts zwischen Arbeitnehmern und Arbeitsuchenden, die sich beide auf das Grundrecht der Arbeitsplatzwahlfreiheit berufen können. Soweit das Stufendogma auf die durch den Kündigungsschutz verursachten Einschränkungen der Arbeitsplatzwahlfreiheit Arbeitsuchender übertragen ___________ 60

BVerfG vom 11.06.1958, BVerfGE 7, 377, 405. BVerfG vom 11.06.1958, BVerfGE 7, 377, 407. 62 BVerfG vom 11.06.1958, BVerfGE 7, 377, 408. 63 Vgl. dazu oben unter § 12 A II 1, S. 440 f. 64 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 148; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 373. 65 BVerfG vom 21.02.1995, BVerfGE 92, 140, 151. 66 Die Stufenlehre anwendend Neuhausen, Verzicht auf Kündigungsschutz, S. 58; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 860; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 474; Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 60; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rdnr. 90; Worpenberg, Arbeitnehmerüberlassung, S. 252. Ablehnend Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 691 ff.; Helle, Konzernbedingte Kündigungsschranken, S. 94; Oetker, Bestandsschutz, S. 46; ders., RdA 1997, 9, 21; Wiedemann, in: FS 25 Jahre BAG, S. 635, 656 f. 61

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wird, reichen die Qualifizierugsvorschläge von bloßen Berufsausübungsregelungen67 bis hin zu objektiven Zugangsbegrenzungen68. Kritiker wenden dagegen ein, das BVerfG habe bei der Entwicklung der Stufenlehre im „Apotheken-Urteil“ allein die Wettbewerbssituation freier Berufe vor Augen gehabt, die mit der Konkurrenz abhängiger Beschäftigter um einen Arbeitsplatz nicht vergleichbar sei.69 Im Gegensatz zu den Selbständigen stünde den unselbständigen Arbeitnehmern, die ihre Arbeitsplatzwahlfreiheit ausüben wollten, nur eine begrenzte Anzahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung.70 Zudem sei die Konkurrenzsituation eine völlig andere: Die grundrechtlichen Interessen Arbeitsuchender richteten sich nicht auf eine Betätigung neben, sondern anstelle anderer Arbeitnehmer.71 Aufzulösen sei die Konkurrenzsituation mit der derivativen Teilhabefunktion der Arbeitsplatzwahlfreiheit,72 wie sie das BVerfG in seinem „numerus clausus-Urteil“ aus der Ausbildungsfreiheit abgeleitet habe.73 Dabei müssten die widerstreitenden Interessen gegeneinander abgewogen werden, zwischen Arbeitnehmern und Arbeitsuchenden bestehende Differenzierungen ließen sich bereits mit sachlichen Gründen rechtfertigen. 74 Ein Rückgriff auf die numerus clausus-Grundsätze führt allerdings nicht weiter. In einem ersten Schritt prüft auch das BVerfG zunächst, ob die Einführung gesetzlicher Zulassungsbeschränkungen als solche gerechtfertigt ist und bezieht sich dabei streng auf die Stufenlehre,75 so dass letztlich auch diese Lösung des zwischen Arbeitnehmer und Arbeitsuchenden bestehenden Konflikts doch wieder bei der Stufenlehre anlangt.76 Eine Fokussierung auf die Stufendogmatik übersieht zudem eine wesentliche Besonderheit des gesetzlichen Kündigungsschutzes: Die am Maßstab der Ar___________ 67

Neuhausen, Verzicht auf Kündigungsschutz, S. 57; Wiedemann, in: FS 25 Jahre BAG, 635, 656. 68 Reuter, in: FS 25 Jahre BAG, S. 405, 418; ders., ORDO 33 (1982), 165, 187 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 474; Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 263; Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 60, 92; Worpenberg, Arbeitnehmerüberlassung, S. 249, 255. 69 Helle, Konzernbedingte Kündigungsschranken, S. 94; Wiedemann, in: FS 25 Jahre BAG, 635, 656. 70 Wiedemann, in: FS 25 Jahre BAG, 635, 656. 71 Helle, Konzernbedingte Kündigungsschranken, S. 94 f.; Wiedemann, in: FS 25 Jahre BAG, 635, 657. 72 Helle, Konzernbedingte Kündigungsschranken, S. 95; Wiedemann, in: FS 25 Jahre BAG, 635, 657. 73 BVerfG vom 18.07.1972, BVerfGE 33, 303, 336 ff. 74 Helle, Konzernbedingte Kündigungsschranken, S. 95; Wiedemann, in: FS 25 Jahre BAG, 635, 657. 75 BVerfG vom 18.07.1972, BVerfGE 33, 303, 337 f. 76 Ebenso Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 686.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

beitsplatzwahlfreiheit ausgerichtete Grundrechtskontrolle mündet nicht in eine Abwägung mit Gemeinwohlbelangen, sondern hat einen Ausgleich kollidierender Grundrechtsgüter zu suchen. Aus diesem Grund kann die vom BVerfG entwickelte Stufenlehre nicht deckungsgleich auf das zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Arbeitsuchenden bestehende Beziehungsgeflecht übertragen werden.77 Gleichwohl lässt sich deren Grundgedanke, das Ausmaß der Eingriffsrechtfertigung an die Eingriffsintensität zu koppeln – je intensiver die Beeinträchtigung, desto höher die Anforderungen an die Rechtfertigung –, integrieren, und zwar in die abwehrrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung. Das BVerfG selbst bezeichnet das Stufendogma als „Ergebnis strikter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“.78 Dies bedingt die Anwendung eines flexiblen Maßstabs bei der Grundrechtsprüfung des Kündigungsschutzes. Die kollidierenden Grundrechtspositionen von Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Arbeitsuchenden sind zueinander in Beziehung zu setzen und wechselseitig zum Ausgleich zu bringen.79 Je schwerer die Grundrechtsposition des einen Arbeitsmarktakteurs wiegen, desto weiter müssen konkurrierende Freiheiten zurücktreten. Diese Lösung folgt dem Gebot des BVerfG, die Stufentheorie nicht starr und formelhaft auf alle Problemkonstellationen anzuwenden. 80 Eine eindeutige Zuordnung der jeweiligen Interessen auf eine bestimmte Stufe lässt sich damit nicht vornehmen. Untauglich ist dieses Vorgehen auch schon deshalb, weil sich sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitsuchende mit sich überschneidenden Interessen – Arbeitsplatzschutz auf der einen, Zugangsfreiheit auf der anderen Seite – auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit berufen können81 und sich selbst die Gruppe der Arbeitsuchenden bereits als nicht homogen erwiesen hat.82 Zudem ist die Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers nicht in ihrer klassisch abwehrrechtlichen, sondern der objektiv-rechtliche Schutzdimension betroffen, so dass sich eine Eingriffsintensität mangels Eingriffs nicht ___________ 77

Oetker, Bestandsschutz, S. 46; ders., RdA 1997, 9, 21; anders aber ausdrücklich Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 66 ff. 78 BVerfG vom 17.07.1961, BVerfGE 13, 97, 104; BVerfG vom 14.12.1965, BVerfGE 19, 330, 337; BVerfG vom 12.10.1977, BVerfGE 46, 120, 138. 79 Ebenso Helle, Konzernbedingte Kündigungsschranken, S. 95 ff.; Oetker, Bestandsschutz, S. 46; ders., RdA 1997, 9, 21; Papier, DVBl. 1984, 801, 813; Worpenberg, Arbeitnehmerüberlassung, S. 253. Im Ergebnis ebenso, wenn auch unter Ausblendung der Grundrechtsinteressen Arbeitsuchender BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 176. 80 BVerfG vom 13.02.1964, BVerfGE 17, 232, 242; BVerfG vom 04.03.1964, BVerfGE 17, 269, 276; BVerfG vom 23.03.1971, BVerfGE 30, 336, 351; BVerfG vom 28.07.1971, BVerfGE 32, 1, 22 f.; BVerfG vom 09.05.1972, BVerfGE 33, 125,160. 81 Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 72 f. 82 Zur fehlenden Eingriffsqualität des Kündigungsschutzes in Bezug auf dessen einstellungshemmende Wirkung auf die Arbeitsplatzwechsler oben unter § 12 A III 2 c, S. 447 f.

§ 13 Kontrolle der Regelungsvorschläge

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bestimmen lässt. Damit ist für jeden einzelnen Grundrechtsträger das Ausmaß der Beeinträchtigung festzustellen und sodann auf dieser Grundlage eine abschließende Abwägungsentscheidung zu treffen. b) Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers An erster Stelle der zu berücksichtigenden kollidierenden Grundrechte steht dabei die ebenfalls vom Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG umfasste Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers in ihrer Ausprägung als Kündigungsfreiheit. Diese schützt dessen Interesse, in seinem Unternehmen nur solche Arbeitnehmer zu beschäftigen, die seinen Vorstellungen entsprechen und ihre Zahl auf das von ihm bestimmte Maß zu beschränken.83 Sämtliche Regelungen des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes greifen damit in die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers ein. c) Zugangsinteressen Arbeitsuchender Eine weitere grundrechtliche Grenze markieren die ebenfalls vom Schutz der Arbeitsplatzwahlfreiheit umfassten Interessen Arbeitsuchender: Ebenso wie den Bestand des Arbeitsplatzes schützt Art. 12 Abs. 1 GG auch die freie Suche nach einem Arbeitsplatz, welche der bestehende Kündigungsschutz insoweit beeinträchtigt, als dass er dem Arbeitgeber verwehrt, einen besetzten Arbeitsplatz frei zu kündigen und mit einem ihm geeigneter erscheinenden Bewerber zu besetzen.84 Zusätzlich beeinträchtigt der Kündigungsschutz mit einer Verringerung der Beschäftigungschancen den von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten barrierefreien Zutritt Arbeitsloser zum Arbeitsmarkt.85 Dabei bildet der Arbeitsplatz für den Outsider ebenso wie für den Arbeitnehmer die wirtschaftliche und soziale Existenzgrundlage.86 Darüber hinaus droht dem Arbeitslosen der Verlust erworbener beruflicher Qualifikationen, Kenntnisse und Fertigkeiten, wenn sich über einen längeren Zeitraum keine Gelegenheit bietet, diese einzusetzen und zu aktualisieren.87 Mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit ver-

___________ 83

Vgl. dazu oben unter § 12 A II 1, S. 440 f. Dazu oben unter § 12 A III 1, S. 443 f. 85 Vgl. dazu oben unter § 12 A III 2, S. 444 ff. 86 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 696 f.; Reuter, in: FS 25 Jahre BAG, S. 405, 423; ders, ORDO 33 (1982), 165, 182 f.; ders., RdA 2004, 161, 164; Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 72 f. 87 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 697. 84

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schärfen sich auch die wirtschaftlichen und sozialen Nachteile der Arbeitslosen.88 Die grundrechtlichen Interessen der Arbeitsuchenden sind damit keineswegs homogen. Das Interesse des Arbeitslosen an der Erlangung eines Arbeitsplatzes zur wirtschaftlichen und sozialen Existenzsicherung erlangt ein weitaus höheres Gewicht als das des Arbeitsplatzwechslers, der bereits in einem Arbeitsverhältnis steht und lediglich nach einer Optimierung seiner beruflichen Laufbahn strebt.89 3. Verbleib einer dem Arbeitnehmer zumutbaren Schutzlücke – Angemessener Ausgleich der gegenläufigen Grundrechtspositionen An der Eignung eines abfindungsschützenden Kündigungsrecht für den Schutz des von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Interesses des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes bestehen keine Zweifel.90 Ob die verbleibende Schutzlücke dem Arbeitnehmer noch zugemutet werden kann, bedarf hingegen einer näheren Begründung, steht mit dem am Prinzip des Bestandsschutzes orientierten gegenwärtig geltenden Kündigungsrecht ein besser geeigneter und damit effektiverer Schutzmechanismus zur Verfügung. Zwar hat das BVerfG dem Gesetzgeber bereits mehrfach bescheinigt, mit diesem einen angemessenen und damit grundrechtskonformen Ausgleich der Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zwischen Unter- und Übermaßverbot getroffen zu haben.91 Der Umfang des im „Kleinbetriebs-Beschluss“ entwickelten Mindestkündigungsschutzes92 zeigt aber auch deutlich, wie weit der geltende allgemeine Kündigungsschutz diese vom Untermaßverbot gezogene Grenze überschreitet. Das Untermaßverbot gebietet jedoch keine Optimierung grundrechtlichen Schutzes, sondern lediglich ein Mindestmaß an effektiven Schutzvorkehrungen, die zudem in Abhängigkeit gegenläufiger Grundrechtspositionen zu bestimmen sind. Die kollidierende Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers einerseits sowie die ebenfalls von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsplatzwahlfreiheit ___________ 88

Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 697; Reuter, in: FS 25 Jahre BAG, S. 405,

420. 89

Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 697; Worpenberg, Arbeitnehmerüberlassung, S. 255. 90 Vgl. dazu oben unter § 13 C I 1 c) aa), S. 471 f. 91 BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 146 f.; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 372 f.; BVerfG vom 21.04.1994, EzA Nr. 32 zu Art. 20 Einigungsvertrag S. 3; BVerfG vom 21.02.1995, BVerfGE 92, 140, 150; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 175; BVerfG vom 22.10.2004, NZA 2005, 41, 42. 92 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 178 f.

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des Arbeitsuchenden andererseits bedingen also eine Relativierung des grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutzes. Sie vergrößern die dem Arbeitnehmer zuzumutende Schutzlücke ebenso wie sie auch den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einengen: Je intensiver der Kündigungsschutz den Arbeitnehmer bevorzugt, umso einschneidender fallen die Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers sowie die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitsuchenden aus, desto mehr wächst der Rechtfertigungsaufwand für diese Eingriffe. a) Einfluss der kollidierenden Grundrechtspositionen auf die durch das Untermaßverbot gezogene Grenze Geboten ist ein Abbau des geltenden Kündigungsschutzes und damit auch eine Absenkung der vom Untermaßverbot gezogenen Grenze im Hinblick auf das Gewicht der gegenläufigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitsuchenden nicht. Kann der Arbeitgeber trotz der mit dem Kündigungsschutz verbundenen Einschränkungen seiner Berufsausübungsfreiheit auf Nachfragesteigerungen und –schocks mit Einstellungen und Entlassungen reagieren93, so lassen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, das durch den Kündigungsschutz hergestellte Kräftegleichgewicht mit einer Absenkung der Untermaßgrenze zugunsten des Arbeitgebers zu verschieben. Eine solche Verschiebung ist aber auch nicht zugunsten der Arbeitsuchenden, insbesondere der Arbeitslosen geboten. In der Judikatur des BVerfG spielten deren Interessen zur Konkretisierung des am Maßstab des Untermaßverbots entwickelten Kündigungsschutzes bislang keine Rolle. Im „KleinbetriebsBeschluss“, in dem das Gericht erstmals ein System grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutzes entwickelt hat, finden diese nicht einmal Erwähnung. Demgegenüber rückt eine in der Literatur vertretene Auffassung bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Kündigungsschutzes die grundrechtlichen Interessen der Outsider stark in den Vordergrund.94 Reuter etwa sieht mit dem geltenden Kündigungsschutzrecht bereits die Grenze zur Verfassungswidrigkeit überschritten.95 Beide Ansätze können nicht überzeugen. Bliebe nach der Auffassung des BVerfG bei der Abwägung die Arbeitsplatzwahlfreiheit Arbeitsuchender voll___________ 93

Vgl. dazu oben unter § 3 C II 1 c), S. 90 ff. Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 60 ff. Ebenso Neuhausen, Verzicht auf Kündigungsschutz, S. 83 f., der aufgrund des Gewichtes der Grundrechtsbeeinträchtigung der Arbeitsuchenden sogar Ausnahmen von der zwingenden Wirkung des geltenden Kündigungsschutzes anerkennt. 95 Reuter, RdA 2004, 161, 164. 94

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

ständig unberücksichtigt, schränkte die in der Literatur vertretene restriktive Auffassung nicht nur den zwischen Unter- und Übermaßverbot bestehenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers in unvertretbarer Weise ein, sondern führte letztlich auch zu einer Aufweichung des von Art. 12 Abs. 1 GG gebotenen Mindestkündigungsschutzes. Entgegen der Vorgehensweise des BVerfG muss die Arbeitsplatzwahlfreiheit Arbeitsuchender Berücksichtigung finden, weil jeder gesetzliche Kündigungsschutz diese beeinträchtigt96 und damit einen Rechtfertigungsbedarf auslöst. Die entgegengesetzte, maßgeblich von Reuter geprägte Auffassung führte demgegenüber zu einer Übergewichtung der grundrechtlichen Interessen Arbeitsuchender gegenüber der gleichfalls in den Schutz der Arbeitsplatzwahlfreiheit eingeschlossenen Arbeitnehmer. Im Verhältnis zur Arbeitsplatzwahlfreiheit der kündigungsgeschützten Arbeitnehmer muss die der Arbeitsuchenden zurücktreten. Arbeitnehmer und Arbeitsuchende konkurrieren auf dem Arbeitsmarkt. Die Wettbewebsposition des Arbeitnehmers ist dabei aber eine qualitativ andere als die des späteren Konkurrenten, der sich um seinen Arbeitsplatz bewirbt: Der Arbeitnehmer steht bereits in einem Arbeitsverhältnis und behauptet damit das Ergebnis eines vorangegangenen Wettbewerbs um seinen Arbeitsplatz.97 Folglich kann die Rechtsordnung seinem Bestandsschutzinteresse den Vorrang einräumen.98 Soweit dem Stelljes mit der vom BVerfG ebenfalls im „Apotheken-Urteil“ geprägten Auffassung, Art. 12 Abs. 1 GG gewähre keinen Konkurrenzschutz,99 entgegentritt,100 geht seine Kritik an der Sache vorbei. Der Zweck des Kündigungsschutzes besteht nicht darin, den Arbeitnehmer vor Konkurrenz von Bewerbern um seinen Arbeitsplatz zu schützen. Vielmehr sichert dieser Schutz den Arbeitsplatz als wirtschaftliche und soziale Existenzgrundlage des Arbeitnehmers und ermöglicht diesem die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit auf dem Gebiet der beruflichen Tätigkeit. ___________ 96

Vgl. dazu oben unter § 12 A III, S. 442 ff. Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 698; Helle, Kündigungsschranken, S. 96; Oetker, Bestandsschutz, S. 46; ders., RdA 1997, 9, 21; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 474; Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 264; Scholz, ZfA 1981, 265, 281; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rdnr. 93; aA Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 76. 98 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 699; Oetker, Bestandsschutz, S. 46; ders., RdA 1997, 9, 21; Scholz, ZfA 1981, 265, 281; ders., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rdnr. 93; Wiedemann, in: FS 25 Jahre BAG, S. 635, 659; aA Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 77. 99 BVerfG vom 11.06.1958, BVerfGE 7, 377, 408; anders jetzt aber wohl BVerfG vom 16.01.2002, BVerfGE 104, 357, 365. 100 Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 76. 97

§ 13 Kontrolle der Regelungsvorschläge

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Ein durch Übergewichtung der Zugangsinteressen Arbeitsuchender ausgelöster Abbau dieses Schutzes schadete letztlich nicht nur den Arbeitnehmern, sondern auch den Arbeitsuchenden selbst. Auch diese sind an einem dauernden und sicheren Arbeitsverhältnis interessiert, nicht an einer nur kurzfristigen, bis zum Auftauchen eines leistungsfähigeren Konkurrenten dauernden Unterbrechung der Arbeitslosigkeit.101 Soweit der gesetzliche Kündigungsschutz aufgrund der mit ihm verbunden Kosten für die Arbeitslosen ein Einstellungshemmnis errichtet, kann dies ebenfalls keine stärkere Gewichtung deren Interessen gegenüber den Arbeitnehmern rechtfertigen. Dies folgt zum einen daraus, dass dem gesetzlichen Kündigungsschutz ein signifikanter Einfluss auf das globale Niveau der Arbeitslosigkeit empirisch nicht nachzuweisen ist und damit zu deren Bekämpfung andere Maßnahmen als eine Absenkung des Niveaus arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes angezeigt sind. Zum anderen weisen die Untersuchungen, die dem gesetzlichen Kündigungsschutz einen positiven Einfluss auf die Dauer der Arbeitslosigkeit bescheinigen, im gleichen Atemzug auf dessen gleichfalls positive Wirkung auf die Stabilität bestehender Arbeitsverhältnisse hin. Geht damit ein Abbau von Kündigungsschutz auch mit einer Verringerung der Beschäftigungssicherheit der Arbeitnehmer einher, so ist im Saldo durchaus offen, ob mit der zu erwarteten Verringerung des Anteils Langzeitarbeitsloser auch eine Senkung der Arbeitslosenquote herbeizuführen ist. b) Das Ausmaß der durch einen Systemwechsel auftretenden Schutzlücke Ein Systemwechsel weg vom Bestandsschutz des geltenden KSchG hin zu einem abfindungsschützenden Kündigungsrecht geht mit einer Verringerung des durch die Arbeitsplatzwahlfreiheit gewährleisteten Schutzes des Arbeitnehmers einher. Jede Kündigung seines Arbeitsverhältnisses löst dieses unabhängig von der Frage der sozialen Rechtfertigung auch tatsächlich auf, dem Arbeitnehmer verbleibt keine Handhabe, eine Rückkehr an seinen Arbeitsplatz durchzusetzen. Beabsichtigt der Arbeitgeber, ein Arbeitsverhältnis zu beenden, erlaubt ihm dies die Rechtsordnung auch dann, wenn die Rechtswidrigkeit der Kündigung offensichtlich und er sich dessen auch bewusst ist. Demgegenüber bleibt der Arbeitnehmer aber nicht ohne jeden Schutz. Nach wie vor verpflichtet das Kündigungsrecht den Arbeitgeber zum Ausspruch einer rechtmäßigen, insbesondere einer sozial gerechtfertigten Kündigung. Ist dieser Tatbestand nicht erfüllt, muss der Arbeitgeber eine Abfindung zahlen. Die Nichtbeachtung des Kündigungsschutzes bleibt damit nicht folgenlos. Die Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung aber wirkt bereits im Vorfeld des ___________ 101

Wiedemann, in: FS 25 Jahre BAG, S. 635, 659.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Ausspruchs der Kündigung auf den Arbeitgeber verhaltenssteuernd ein und statuiert einen gleichsam mittelbaren Bestandsschutz für den Arbeitnehmer und damit einen wirksamen und effektiven Arbeitsplatzschutz.102 Der Arbeitnehmer kann den Bestandsschutz zwar nicht mehr gerichtlich durchsetzen, der Abfindungsschutz bildet aber ein – weniger effektives – funktionelles Äquivalent. Die infolge der Absenkung des Schutzniveaus sich vergrößernde Schutzlücke ist dem Arbeitnehmer auch zuzumuten. Das eintretende Schutzdefizit ist bei weitem nicht so groß, wie der theoretische Gegensatz zwischen Abfindungs- und Bestandsschutz auf den ersten Blick vermuten lässt. Nach den Erkenntnissen der KÜPRAX-Untersuchung wurden 2003 durchschnittlich 11 % aller erstinstanzlichen Bestandsstreitigkeiten durch streitiges Urteil erledigt, der weit überwiegende Anteil – 65 % – jedoch mittels eines Prozessvergleichs. 103 Auch wenn sich daraus nicht unmittelbar ablesen lässt, in wie vielen Fällen die Arbeitnehmer tatsächlich die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses mittels eines Urteils oder Vergleichs durchsetzen konnten, so weist der Umstand, dass knapp die Hälfte aller klagenden Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber eine Abfindung erhielten,104 darauf hin, dass deren Anteil wohl deutlich unter 10 % gelegen hat. Die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 1978 in Auftrag gegebene Untersuchung „Kündigungspraxis und Kündigungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland“ gelangte in ihrem Forschungsbericht zu dem Ergebnis, dass allenfalls 4,3 % der gegen eine Kündigung klagenden Arbeitnehmer in erster oder zweiter Instanz ein rechtskräftiges, stattgebendes Urteil erzielen konnten und lediglich 40 % davon (1,7 % absolut) auch tatsächlich weiterbeschäftigt worden sind.105 De facto kann damit auch der geltende Kündigungsschutz sein Ziel, den Bestand des Arbeitsverhältnisses des Arbeitnehmers durchzusetzen, nicht erreichen. Fraglich ist, ob er dies in der Geschichte des KSchG jemals erreichen konnte. Offenbar wirkt der Bestandsschutz in viel stärkerem Maße bereits im Vorfeld der Kündigung auf die Entscheidungsfindung des Arbeitgebers ein und hält diesen vom Ausspruch einer Kündigung ab. Dieses Ziel kann ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht indes in gleichem Maße erreichen, eine unzumutbare Schutzlücke eröffnet dieses dem Arbeitnehmer jedenfalls nicht. Kommt es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Wirksamkeit der Kündigung, so stehen in der geltenden Rechtspraxis entgegen der Konzeption des KSchG Abfindungszahlungen im Mittelpunkt, die 47 % aller klagen___________ 102

Vgl. dazu oben unter § 13 C I 1 c) aa), S. 471 f. Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 42. 104 Vgl. dazu oben unter § 3 C I 2, S. 79. 105 Falke/Höland/Rhode/Zimmermann, Kündigungspraxis und Kündigungsschutz, Bd. II, S. 859. 103

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den Arbeitnehmer erhalten. Faktisch hat sich damit der Wandel des Rechtsschutzziels des KSchG vom Bestands- hin zu einem Abfindungsschutz längst vollzogen. Eine entsprechende Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen führte nicht zu einem tief greifenden Wandel, sondern untermauerte die Rechtspraxis im Wesentlichen lediglich mit einem sicheren Fundament. Doch nicht nur kann der gegenwärtige Kündigungsschutz sein Ziel eines einklagbaren Bestandsschutzes nicht erreichen, offenbar entspricht dieses auch nicht dem Interesse der klagenden Arbeitnehmer. Aktuelle empirische Ergebnisse sind zwar nicht verfügbar, doch erklärten im Rahmen der bereits erwähnten, von 1978 bis 1981 durchgeführten Untersuchung mehr als die Hälfte aller gekündigten Arbeitnehmer ausdrücklich, nicht in den Betrieb zurückkehren zu wollen, nur etwa 20 % wünschten dies ohne jegliche Einschränkungen; besonders ausgeprägt trat die ablehnende Haltung gerade bei denjenigen Arbeitnehmern zutage, die eine Kündigungsschutzklage erhoben hatten.106 Dass sich die Einstellung der Arbeitnehmer nunmehr 25 Jahre später in ihr Gegenteil verkehrt hat, ist wenig wahrscheinlich. Entspricht aber das Rechtsschutzziel des Kündigungsschutzes, den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu gewährleisten, regelmäßig nicht dem Interesse der klagenden Arbeitnehmer, so eröffnet ein Systemwechsel hin zu einem abfindungsschützenden Kündigungsrecht keine den Arbeitnehmern unzumutbare Schutzlücke. c) Höhe der Abfindung Damit die gesetzlich angedrohte Sanktion der Abfindungszahlung auf den Arbeitgeber aber auch eine abschreckende und damit für den Arbeitnehmer bestandssichernde Wirkung entfalten kann, muss diese eine gewisse Höhe erreichen. Nach Auffassung Oetkers reicht dafür eine nach § 10 KSchG bemessene Abfindung nicht aus.107 Buchner zufolge soll die Abfindung zwischen einem halben und einem Monatsverdienst für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit betragen.108 P. Stein erachtet in seinem Regelungskonzept bereits einen Abfindungsbetrag in Höhe eines achtel Monatsverdienstes für ausreichend, den der Arbeitgeber dann aber zusätzlich zu der generell bei jeder Kündigung zu zahlenden Abfindung in Höhe eines halben Monatsentgelts schuldet.109 Eine wie von Buchner vorgeschlagene Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsverdienstes ist bereits geeignet, einen effektiven und auch ange___________ 106

Falke/Höland/Rhode/Zimmermann, Kündigungspraxis und Kündigungsschutz, Bd. I, S. 450, 452. 107 Oetker, RdA 1997, 9, 17. 108 Buchner, NZA 2002, 533, 535. 109 P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 28 Fn. 99.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

messenen Schutz der Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers zu gewährleisten. Unter dem geltenden Bestandsschutzrecht, das nach Erhebung einer Kündigungsschutzklage weitaus häufiger zur Zahlung einer Abfindung an den Arbeitnehmer als zur tatsächlichen Fortsetzung dessen Arbeitsverhältnisses führt, orientieren sich die gezahlten Abfindungen empirischen Untersuchungen zufolge in etwa an diesem Betrag.110 Diese Abfindungshöhe beruht jedoch nicht auf einer Entscheidung des Gesetzgebers, sondern ist Ergebnis der Verhandlungen der Arbeitsvertragsparteien bzw. einer Ermessensentscheidung der Arbeitsgerichte und bildet damit den Marktpreis ab, den der Arbeitgeber gegenwärtig aufwenden muss, um ein Arbeitsverhältnis aufzulösen, obwohl dafür die soziale Rechtfertigung fehlt, ein sonstiges rechtliches Hindernis besteht oder aber der Arbeitgeber nicht bereit ist, einen Kündigungsschutzprozess mit dem Arbeitnehmer zu führen. Eine Abfindung in dieser Höhe gewährleistet einen sowohl wirksamen als auch angemessenen Schutz des von einer Kündigung bedrohten Arbeitnehmers. Wirksam und angemessen ist dieser deshalb, weil die Abfindung nach der übereinstimmenden Auffassung der Arbeitsvertragsparteien und der Arbeitsgerichte die vom Arbeitgeber veranlasste Auflösung des Arbeitsverhältnisses effektiv sanktioniert bzw. den Arbeitnehmer für seinen Verzicht auf die Einleitung oder Fortsetzung eines Kündigungsschutzverfahrens angemessen entschädigt. Die Entschädigungsfunktion bezieht sich zugleich auch auf den Verlust des Arbeitsplatzes, so dass die Abfindung dessen Bedeutung für die Freiheitsentfaltung des Arbeitnehmers abbildet. Hat sich bereits unter den Bedingungen des rigideren Bestandsschutzregimes ein derartiger Marktpreis für rechtswidrige arbeitgeberseitige Kündigungen entwickelt, so eröffnet auch ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht, dass eine Abfindungspflicht in eben dieser Höhe vorsieht, dem Arbeitnehmer keine unzumutbare Schutzlücke. Eine Abfindung von einem halben Bruttomonatsverdienstes für jedes Jahr der Beschäftigungsdauer verletzt nicht das aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit abgeleitete Untermaßverbot. Schließlich hat die Zumutbarkeitsprüfung auch den Prognosespielraum des Gesetzgebers hinsichtlich Effektivität und Angemessenheit des Arbeitnehmerschutzes zu berücksichtigen. Entscheidet sich dieser in Kenntnis und zutreffender Auswertung der empirischen Forschungsergebnisse, die Abfindungshöhe für eine rechtswidrige Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf 0,5 Monatsverdienste je Beschäftigungsjahr festzusetzen, so ist diese Entscheidung nicht zu beanstanden. Mit § 1a Abs. 2 KSchG hat der Gesetzgeber diesen Schritt auch unlängst vollzogen. Eine abweichende Beurteilung ist indes für den Regelungsvorschlag P. Steins angezeigt, der für den Arbeitnehmer eine Kombination aus Grundabfin___________ 110

Vgl. zu den im Einzelnen differenzierten Ergebnissen oben unter § 3 C I 3, S. 82 ff.

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dung in Höhe eines halben Monatsverdienstes zuzüglich eines Zuschlags von einem Viertel dieses Betrags im Falle der rechtswidrigen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses vorsieht. Entsprechende Vorbilder für eine derartige Kombination liefern zahlreiche Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten, etwa das französische oder das englische Kündigungsschutzrecht. Liegt die nach dem Vorschlag P. Steins bei einer rechtswidrigen Kündigung zu zahlende Abfindung mit 12,5 % aber deutlich unter einem halben Monatsgehalt je Beschäftigungsjahr, so ist allein diese nicht geeignet, eine abschreckende und damit kündigungshemmende Wirkung auf den Arbeitgeber auszuüben. Eine Abfindung, die sich auf lediglich ein Viertel des gegenwärtigen „Marktwertes“ einer ungerechtfertigten oder aus anderen Gründen rechtswidrigen Kündigung beläuft, kann keinen angemessenen Ausgleich der grundrechtlichen Interessen von Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Arbeitsuchenden gewährleisten. Die damit verbundene Übergewichtung der arbeitgeberseitigen Grundrechtspositionen eröffnete für den Arbeitnehmer eine unzumutbare Schutzlücke und verstößt gegen das Untermaßverbot. Dieses Ergebnis ändert sich auch nicht mit einer Einbeziehung der nach dem Vorschlag P. Steins bei jeder Kündigung fälligen Grundabfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsverdienstes in den Abwägungsvorgang. Zwar ist bezüglich dieser Grundabfindung durchaus ein arbeitsplatzschützender Effekt denkbar: Der Arbeitgeber verzichtet bereits deshalb auf eine Kündigung, weil diese per se – unabhängig von ihrer sozialen Rechtfertigung – Kosten auslöst, die bei einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht anfallen. Dementsprechende Hinweise liefert auch das Schrifttum zum englischen Kündigungsschutzrecht sowie zum österreichischen System der „Abfertigung alt“.111 Aufgabe des deutschen Kündigungsschutzes ist vor dem Hintergrund der aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit zugunsten des Arbeitnehmers folgenden grundrechtlichen Schutzpflicht indes nicht, sämtliche Arbeitnehmer generell vor jeglichem ungerechtfertigten wie auch gerechtfertigten Verlust ihres Arbeitsplatzes zu schützen, sondern ein Mindestmaß an Schutz vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhender Kündigungen zu herzustellen. Eine den Arbeitgeber unterschiedslos bei jeder Kündigung treffende Abfindungspflicht kann dies nicht gewährleisten. Notwendig, aber auch ausreichend ist ein Schutzmechanismus, der allein bei ungerechtfertigten Kündigungen eingreift und diese mit einer Abfindungspflicht sanktioniert. Das Regelungsmodell P. Steins vermag dies nicht zu leisten und unterschreitet damit die durch das Untermaßverbot der Arbeitsplatzwahlfreiheit gezogene Grenze. An die Grenzen des Untermaßverbots stößt schließlich auch der Vorschlag Buchners, durch den kündigenden Arbeitgeber vermittelte Angebote vergleichbarer Arbeitsplätze bei anderen Arbeitgebern abfindungsmindernd oder gar ___________ 111

Vgl. dazu oben unter § 5 C III, S. 175.

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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-ausschließend zu berücksichtigen. 112 Findet lediglich eine Minderung des Abfindungsanspruchs statt, bestehen zwar noch keine Bedenken, wohl aber bei einem vollständigen Ausschluss.113 Aufgabe der Abfindung ist es, den Arbeitnehmer vor einer unfreiwilligen Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zu schützen, um so die aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit folgende Schutzpflicht zu verwirklichen. Diese Schutzpflicht verlangt eine effektive Sanktionierung des Arbeitgebers für den Fall der Nichtbeachtung der grundrechtlich gebotenen Kündigungsschranken durch den Arbeitgeber, entweder in Form einer Verpflichtung zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses oder aber eines gesetzlichen Abfindungsanspruchs. Entfiele dieser Abfindungsanspruch vollständig, so bliebe auch eine willkürliche Arbeitgeberkündigung sanktionslos, wenn sich der nur darum bemühte, dem gekündigten Arbeitnehmer einen vergleichbaren Arbeitsplatz bei einem anderen Arbeitgeber zu verschaffen. Freilich bewirkte auch ein derartiger Anreiz zur Vermittlung eines alternativen Arbeitsverhältnisses ein gewisses Maß an Kündigungsschutz, ermöglicht dieser doch dem Arbeitgeber erst nach erfolgreichen Vermittlungsbemühungen eine sanktionslose Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitsplatzwahlfreiheit zielt indes gerade auf den Schutz des vom Arbeitnehmer konkret gewählten und innegehaltenen Arbeitsplatzes. Ermöglichte der Gesetzgeber eine einseitige sanktionslose Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber, so wäre der Arbeitnehmer vollständig schutzlos gestellt. Dies ist mit dem Untermaßverbot nicht zu vereinbaren. Eine abweichende Betrachtung ist nur dann angezeigt, wenn die erfolgreiche Vermittlung eines Anschlussarbeitsverhältnisses den Abfindungsanspruch lediglich mindert. Anders als die regelmäßig bei einem Arbeitsplatzverlust eintretende Arbeitslosigkeit sichert der alternative Arbeitsplatz dem Arbeitnehmer nicht nur die Grundlagen seiner wirtschaftlichen Existenz, sondern auch sein berufliches Fortkommen. Trifft den Arbeitnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes damit weniger schwer, so bedingt dieses geringere Maß an Schutzbedürftigkeit auch ein Absenken der durch das Untermaßverbot gezogenen Grenze. d) Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei verhaltensund personenbedingten Kündigungen? Einige der Befürworter eines abfindungsschützenden Kündigungsrechts wollen dieses auf Fälle der betriebsbedingten Kündigung beschränkt wissen. 114 Das ___________ 112

Buchner, NZA 2002, 533, 536. AA Kamanabrou, RdA 2004, 333, 339. 114 Vgl. dazu oben unter § 4 A II 1, S. 103. 113

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aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit folgende Untermaßverbot gebietet eine solche Differenzierung gleichwohl nicht. Eine Abfindungspflicht entfaltet ihre abschreckende Wirkung unabhängig von dem einer rechtswidrigen Kündigung zugrunde liegenden Kündigungsgrund. Ein stärkerer Arbeitsplatzschutz der mit einer personen- oder verhaltensbedingten Kündigung konfrontierten Arbeitnehmer ist deshalb nicht geboten und wird im Übrigen auch im Rahmen des Auflösungsantrags gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG vom Gesetz nicht verlangt. Auch den Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten, welche ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht normiert haben, ist eine solche Unterscheidung, abgesehen von bestimmten Tatbeständen des Sonderkündigungsschutzes, fremd. Ob eine derart unterschiedslose Behandlung der personen-, verhaltens- und betriebsbedingten Kündigung rechtspolitisch wünschenswert ist, ist hingegen eine andere Frage. Insbesondere für bestimmte Fallgruppen der verhaltensbedingten Kündigung erscheint eine abweichende Behandlung angezeigt, etwa zur Rehabilitierung des Arbeitnehmers bei einer Verdachtskündigung, die sich im Nachhinein als unberechtigt erweist.115 e) Abweichende Behandlung der außerordentlichen Kündigung Besonderheiten sind jedoch bei der außerordentlichen Kündigung zu beachten. Diese garantiert beiden Arbeitsvertragsparteien als unverzichtbares Freiheitsrecht, das Arbeitsverhältnis bei extremen Belastungen einseitig und mit sofortiger Wirkung auflösen zu können.116 Vertragliche Bindungen, die das Maß des Zumutbaren überschreiten, darf die Rechtsordnung nicht zulassen,117 ein gesetzlicher Zwang zur unbefristeten Fortsetzung eines auf Dauer beeinträchtigten Arbeitsverhältnisses verstieße gegen die für Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundrechtlich garantierte Kündigungsfreiheit.118 Diese zeigt sich als Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts der Vertragsparteien, das bei Dauerschuldverhältnissen eine tatbestandliche Eingrenzung des das Privatrecht beherr___________ 115

Hergenröder, ZfA 2002, 355, 381. Preis, in: Staudinger, § 622 Rdnr. 38. 117 BAG vom 08.08.1963, AP Nr. 2 zu § 626 BGB Kündigungserschwerung Bl. 4; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 455 f.; ders., Bestandsschutz, S. 23; ders., RdA 1997, 9, 12; Preis, in: Staudinger, § 626 BGB Rdnr. 38. 118 Dörner, in: APS, § 626 BGB Rdnr. 7; Fischermeier, in: KR, § 626 BGB Rdnr. 58; Hergenröder, ZfA 2002, 355, 373; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 256, 260; ders., Bestandsschutz, S. 23; ders., RdA 1997, 9, 12; Papier, DVBl. 1984, 801, 813; ders., RdA 1989, 137, 140; ders., RdA 2000, 1, 4; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 64 f.; ders., in: Staudinger, § 626 Rdnr. 40; Zöllner, in: 52. DJT, Bd. I, S. D 119. Zur Verankerung der Kündigungsfreiheit des Arbeitgeber in Art. 12 Abs. 1 GG vgl. oben unter § 12 A II 1, S. 440 f. 116

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

schenden Ordnungsprinzips der Vertragstreue verlangt.119 Dabei umfasst die Kündigungsfreiheit nicht nur das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund, sondern allen voran das der ordentlichen fristgemäßen Kündigung. Außerordentliche und ordentliche Kündigung stehen in einem Stufenverhältnis zueinander, wobei die ordentliche Kündigung das reguläre Beendigungsinstitut für Dauerschuldverhältnisse ist. 120 Erst in ihrem Zusammenwirken gewährleisten beide einen ausreichenden Selbstbestimmungsschutz der Vertragsparteien eines auf unbestimmte Zeit eingegangenen Dauerschuldverhältnisses.121 Das zwischen beiden Kündigungsarten bestehende Stufenverhältnis hat seine Ursache nicht zuletzt auch im grundrechtlichen Schutz der Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers, die wegen des mit der außerordentlichen Kündigung eintretenden sofortigen Verlusts des Arbeitsplatzes eine Beschränkung der Ausübung dieses Gestaltungsrechts auf Fälle des Vorliegens gewichtiger Gründe verlangt, in denen dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der für eine ordentliche Kündigung maßgeblichen Kündigungsfristen unzumutbar ist.122 Sieht sich der Arbeitgeber bei Ausspruch einer unbegründeten außerordentlichen Kündigung indes nicht mit der Sanktion der Unwirksamkeit der Kündigung konfrontiert, sondern lediglich einer Entschädigungszahlung ausgesetzt, die sich anhand der Variablen Beschäftigungsdauer und Bruttomonatsverdienst errechnet, so besteht für den Arbeitnehmer die Gefahr, dass sich der Arbeitgeber zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht länger des regulären Instruments der ordentlichen Kündigung bedient, sondern regelmäßig auf die außerordentliche fristlose Kündigung zurückgreift, um sich die sonst während des Laufs der Kündigungsfrist anfallenden Vergütungszahlungen zu ersparen. Nicht nur, dass eine derartige Vorgehensweise das zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis auf den Kopf stellte, sie verletzte auch die von Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Arbeitsplatzwahlfreiheit und das aus diesem Grundrecht abgeleitete Untermaßverbot. Die Einhaltung von Kündigungsfristen trägt dabei zwar nicht zur Bestandssicherung des Arbeitsverhältnisses bei, sondern schiebt lediglich dessen

___________ 119

Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 254 ff.; ders., Bestandsschutz, S. 18 ff.; ders., RdA 1997, 9, 10 f. 120 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 359; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 476; ders., in: Staudinger, § 626 Rdnr. 6 f. Zum Stufenverhältnis umfassend Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 480 ff. 121 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 267 f., 272 f. m.w.N. 122 Oetker, Bestandsschutz, S. 33; ders., RdA 1997, 9, 16; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 465.

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Beendigung zeitlich hinaus.123 Kündigungsfristen bezwecken jedoch, den gekündigten Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, sich rechtzeitig auf die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses einstellen und auf die Suche nach einem neuen Arbeitsverhältnisses begeben zu können124 und weisen folglich auch einen sozialen Schutzgehalt auf.125 Das BAG spricht insofern zutreffend von einem „zeitlichen Bestandsschutz“, den die Kündigungsfristen dem Arbeitnehmer einräumen.126 Sie dienen damit ebenfalls dem Schutz der Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers, als sie die negativen Folgewirkungen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses lindern helfen127 und zählen zum verfassungsfesten Kernbestand des aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit folgenden Mindestkündigungsschutzes.128 Das BVerfG verlangt insoweit in seinem „KleinbetriebsBeschluss“ eine Berücksichtigung des durch langjährige Mitarbeit erdienten Vertrauens des Arbeitnehmers in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.129 Die bei einem auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Dauerschuldverhältnis eingegangene Vertragsbeziehung erzeugt bei beiden Vertragsparteien eine Kontinuitätserwartung, die sich auf deren zukünftigen Fortbestand richtet und sich mit zunehmender Vertragsdauer verstärkt.130 Mit der Begründung des Dauerschuldverhältnisses erwecken die Vertragsparteien jeweils die Erwartung zukünftiger Vertragserfüllung, so dass sich das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen nicht uneingeschränkt durchsetzen kann.131 Daher ist eine einseitige, nicht durch einen wichtigen Grund legitimierte Beendigung des Vertrages nur gerechtfertigt, wenn dem Vertragspartner trotz der Vertragsbeendigung eine Zeitspanne verbleibt, um sich auf die Beendigung des Schuldverhältnisses einrichten zu können.132 ___________ 123

Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 95; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 281; ders., AuR 1997, 41; Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 54; Urban, Kündigungsschutz, S. 66. 124 Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 95; Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 274; Preis, in: Staudinger, § 622 Rdnr. 9; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 467. 125 Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts, S. 54. 126 BAG vom 18.04.1985, AP Nr. 20 zu § 622 BGB Bl. 3. 127 AA Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 96, nach deren Auffassung Kündigungsfristen nicht zur Erfüllung der aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit abgeleiteten Schutzpflicht geeignet sind. 128 Oetker, Bestandsschutz, S. 35; ders., RdA 1997, 9, 17; ders. in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311, 323; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 467. 129 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 179. 130 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 273. 131 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 274. 132 Oetker, Dauerschuldverhältnis, S. 274. Im Ergebnis ebenso bereits BGH vom 13.01.1959, LM Nr. 8 zu § 242 BGB (Bc) Bl. 1R f. Das Erfordernis der Einhaltung einer Kündigungsfrist zur Berücksichtigung des vom Arbeitnehmer erworbenen Vertrauens in

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Daraus aber folgt eine Verpflichtung des Gesetzgebers, dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitgeber die Kündigungsfristen einhält, damit dem Arbeitnehmer ausreichend Zeit verbleibt, sich auf die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses einzustellen. Der Gesetzgeber muss also sicherstellen, dass der Arbeitgeber auf das Instrument der außerordentlichen Kündigung auch tatsächlich nur ausnahmsweise zurückgreift. Ein Kündigungsrecht, das für die ungerechtfertigte ordentliche ebenso wie die unbegründete außerordentliche Kündigung identische Sanktionen vorsieht, nämlich die Zahlung einer nach Beschäftigungsdauer und Verdiensthöhe bemessenen Abfindung, ist dazu nicht in der Lage. Vielmehr bedarf es einer zusätzlichen Sanktion für die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist. Hierzu bieten sich verschiedene Regelungsmöglichkeiten an: Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer auch tatsächlich bis zum Auslaufen der für ihn maßgeblichen Kündigungsfrist zu beschäftigen, eine Entschädigung in Höhe des Verdienstes, der angefallen wäre, hätte der Arbeitgeber die Kündigungsfrist eingehalten oder eine Verpflichtung zur Zahlung einer prinzipiell höheren Abfindung bei einer Kündigung ohne wichtigen Grund. Den Anforderungen des aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit zugunsten des Arbeitnehmers folgenden Untermaßverbots genügen auch die beiden letztgenannten Varianten. Mit der sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses entsteht dem Arbeitnehmer ein Kündigungsschaden, welcher der Höhe nach im Wesentlichen der während des Laufs der Kündigungsfrist zu zahlenden Vergütung entspricht. Dieser Schaden lässt sich ohne weiteres in Geld beziffern und durch eine Geldentschädigung kompensieren. Kündigungsfristen bezwecken hauptsächlich einen Dispositionsschutz des Arbeitnehmers, der während des Laufs der Kündigungsfrist in die Lage versetzt werden soll, sich um ein neues Arbeitsverhältnis zu bemühen, das möglichst nahtlos an das gekündigte anknüpft. Zwar kann eine wegen sofortiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällige Geldentschädigung nicht dieses Ziel eines nahtlosen Ansetzens des neuen Arbeitsverhältnisses erreichen. Sie ist indes durchaus in der Lage, ebenso wie die während des Laufs der Kündigungsfrist fällige arbeitsvertragliche Vergütung dem Arbeitnehmer den zur Arbeitsuche erforderlichen finanziellen Freiraum zu vermitteln und damit den Schutzzweck der Kündigungsfristen zumindest teilweise zu verwirklichen. Das gilt an erster Stelle für die als Kündigungsfristentschädigung ausgestaltete zusätzliche Abfindung, die den Arbeitnehmer gerade für die vom Arbeitgeber unterbundene Möglichkeit, während des Laufs der Kündigungsfrist seine Arbeitskraft gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen, entschädigt. Diese ist auch geeignet, den Arbeitgeber zur Einhaltung der bei einer ordentlichen Kündigung ___________ den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses betonen auch Falder, NZA 1998, 1254, 1256; Richardi/Kortstock, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 7, Bl. 10R.

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zu beachtenden Kündigungsfrist anzuhalten, weil sie gerade die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist mit einer zusätzlichen Sanktion bewehrt und den zunächst durch die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber entstandenen Vorteil in einen Schadensersatzanspruch zugunsten des Arbeitnehmers verwandelt. Eine derartige Lösung kann im Übrigen auch auf zahlreiche Vorbilder in anderen EU-Mitgliedstaaten zurückgreifen.133 Doch auch die zuvor genannte Gestaltungsmöglichkeit, den Arbeitgeber im Falle einer außerordentlichen Kündigung, für die kein wichtiger Grund besteht, generell mit einer erhöhten Abfindung zu belasten, kann beide Ziele erreichen. Freilich dürfte diese nicht wesentlich unter dem nach dem vorstehenden Modell insgesamt fälligen Abfindungsbetrag liegen, um die erforderliche verhaltenssteuernde Wirkung auch tatsächlich erzielen zu können. Beide Abfindungskonzepte führen schließlich auch zu einem angemessenen Ausgleich der kollidierenden Interessen der Arbeitsvertragsparteien und eröffnen dem Arbeitnehmer keine unzumutbare Schutzlücke. Aufgabe des Untermaßverbotes ist nicht die Realisierung eines Schutzoptimums, sondern die Gewährleistung eines effektiven Mindestschutzes. Diese Grenze ist mit den eben beschriebenen Abfindungsmodellen nicht unterschritten, beide gewähren dem Arbeitnehmer einen angemessenen Ausgleich für den mit der unbegründeten außerordentlichen Kündigung eingetretenen Verlust des durch die Kündigungsfristen vermittelten Dispositionsschutzes. Das im Hinblick auf das Schutzoptimum – der tatsächlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers während des Laufs der Kündigungsfrist – verbleibende Schutzdefizit ist dem Arbeitnehmer zumutbar. II. Verletzung des Übermaßverbots Das dem Untermaßverbot gegenüberliegende, aus den kollidierenden Grundrechtspositionen folgende abwehrrechtliche Übermaßverbot setzt dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers eine weitere Grenze. Damit bedarf ein Wechsel von einem bestands- hin zu einem abfindungsschützenden Kündigungsrecht auch einer Prüfung am Maßstab der in der Berufswahlfreiheit verankerten Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers sowie der Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitsuchenden. 1. Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers Ebenso wie ein bestandsschützendes greift auch ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht in die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers ein, indem es eine dem Arbeitgeber offen stehende Handlungsalternative – rechtwidrige Kündigung des Arbeitsverhältnisses – mit Kosten belegt. Beeinträchtigt der gesetzli___________ 133

Vgl. dazu oben unter § 5 B III, S. 151 ff.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

che Kündigungsschutz die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers, so lässt sich dieser Eingriff, den Grundsätzen der vom BVerfG entwickelten Stufentheorie folgend, bereits mittels vernünftiger Erwägungen des Gemeinwohls rechtfertigen.134 Die mit dem gesetzlichen Kündigungsschutz bezweckte einfachgesetzliche Konkretisierung der aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit zugunsten des Arbeitnehmers folgenden Schutzpflicht erfüllt diese Voraussetzung ebenso wie die damit gleichzeitig verbundene Erfüllung des aus dem Sozialstaatsgebot an den Gesetzgeber gerichteten Gestaltungsauftrags. Seine Grenze findet dieser Eingriff im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wobei linear zur Eingriffsintensität auch der Rechtfertigungsaufwand steigt. Dabei beschränkt aber ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers weit weniger als ein bestandsschützendes: Will er ein Arbeitsverhältnis beenden, so kann er dies in jedem Falle mittels einer Kündigung bewerkstelligen, ohne dem Risiko ausgesetzt zu sein, den rechtswidrig gekündigten Arbeitnehmer weiterbeschäftigen zu müssen. Das Kündigungsrecht wird für ihn insoweit transparenter, als dass eine Kündigung ein Arbeitsverhältnis auch tatsächlich beendet. Zusätzlich wird dieses auch besser kalkulierbar, als dass der im Falle einer rechtswidrigen Kündigung zu zahlende Abfindungsbetrag von vornherein gesetzlich klar festgelegt ist und nicht erst im Wege möglicherweise zeitaufwendiger Vergleichsverhandlungen vereinbart werden muss. Ein in diesem Sinne eingeleiteter Systemwechsel gäbe dem Arbeitgeber damit ein Stück grundrechtlicher Freiheit zurück. Das Ergebnis der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ist damit aber noch nicht vorgezeichnet, sondern hängt von der gesetzlich festgesetzten Höhe der Abfindung ab. Folgt der Gesetzgeber dem Vorschlag Buchners und normiert einen Abfindungsanspruch in Höhe eines halben Monatsverdienstes je Beschäftigungsjahr des Arbeitnehmers, so hält diese Regelung den Anforderungen des Übermaßverbotes stand. Die Höhe dieser Abfindung entspricht den gegenwärtig wegen einer vergleichsweisen Beilegung von Kündigungsstreitigkeiten bzw. einer nach Maßgabe der §§ 9, 10 KSchG erfolgten Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gezahlten Abfindungsbeträgen und damit dem zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgehandelten oder gerichtlich festgesetzten Marktpreis.135 Ein solchermaßen ausgestalteter Abfindungsanspruch bildet das Ergebnis eines angemessenen Ausgleichs des zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Interessenkonflikts ab, wie er auf der dritten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist, und erfüllt in geradezu idealtypischer Weise das Gebot praktischer Konkordanz. ___________ 134

Zur Stufentheorie und den daraus abgeleiteten Anforderungen an die Eingriffsrechtfertigung vgl. oben unter § 13 C I 2 a), S. 475 f. 135 Vgl. dazu oben unter § 13 C I 3, S. 485 f.

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Doch auch eine Festlegung des Gesetzgebers auf eine höhere Abfindung mündet noch nicht in eine Verletzung des Übermaßverbots. Das BVerfG hat das geltende bestandsschützende Kündigungsrecht mehrfach für grundrechtskonform erklärt.136 Danach vermag ein Arbeitgeber aber nur unter den eng gefassten Voraussetzungen der §§ 9, 10 KSchG ein Arbeitsverhältnis mittels einer rechtswidrigen Kündigung zu beenden, im Übrigen ist das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, die Kündigung unwirksam. Führt die Rechtsfolge der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu einem intensiveren Eingriff in die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers als die Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung, so müsste diese über die gegenwärtig nach Maßgabe der §§ 9, 10 KSchG gezahlten Beträge hinausgehen, um ein für den Arbeitnehmer vergleichbares Schutzniveau zu erreichen. Freilich ist aber auch hier der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nicht unendlich. Unter Berücksichtigung der Gesamtkonzeption des Kündigungsschutzes darf die gewählte Sanktion die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers nicht unzumutbar verkürzen. Eine Abfindungshöhe von bis zu 1,5 Monatsverdiensten je Beschäftigungsjahr, wie diese etwa das spanische Kündigungsschutzrecht vorsieht,137 ist damit nicht mehr vereinbar, jedenfalls unter der Prämisse, dass der Gesetzgeber das Ausmaß der bestehenden tatbestandlichen Einschränkungen des Kündigungsrechts unangetastet lässt. Ebenso ist zu entscheiden, wenn der Gesetzgeber, dem französischen Vorbild folgend,138 eine Verpflichtung zur Zahlung einer Mindestabfindung von sechs Monatsverdiensten normierte. Gegen die Angemessenheit eines derartigen Sockelbetrags sprechen bereits die empirischen Befunde der REGAMUntersuchung, wonach sich gegenwärtig mehr als die Hälfte, nämlich 58 % der Abfindungsbeträge in einer Spanne von lediglich bis zu sechs Monatsverdiensten bewegen.139 2. Besondere Berücksichtigung der Situation des Kleinunternehmer-Arbeitgebers Eine abweichende Beurteilung könnte allerdings hinsichtlich der Kündigungsfreiheit des Kleinunternehmer-Arbeitgebers geboten sein, der nach Maßgabe des § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG nicht dem allgemeinen Kündigungsschutz unterliegt. Das betrifft, abgesehen von der Sonderregelung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG für vor dem 01.01.2004 abgeschlossenen Arbeitsverträge, gegenwärtig ___________ 136

BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 146 f.; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 372 f.; BVerfG vom 21.04.1994, EzA Nr. 32 zu Art. 20 Einigungsvertrag S. 3; BVerfG vom 21.02.1995, BVerfGE 92, 140, 150; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 175; BVerfG vom 22.10.2004, NZA 2005, 41, 42. 137 Vgl. dazu oben unter § 5 E IV 1 a) ff), S. 197. 138 Vgl. dazu oben unter § 5 E IV 1 a) bb), S. 193. 139 Bielenski/Hartmann/Pfarr/Seifert, AuR 2003, 81, 88.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

alle Arbeitgeber, die regelmäßig weniger als elf Arbeitnehmer beschäftigen. In seinem „Kleinbetriebs-Beschluss“ vom 27.01.1998 hatte das BVerfG Gelegenheit, die Vereinbarkeit dieses Schwellenwertes, der sich in der für die Entscheidung maßgeblichen Fassung des § 23 Abs. 1 KSchG nicht auf elf, sondern auf sechs Arbeitnehmer belief, mit den Grundrechten der Arbeitsvertragsparteien zu überprüfen. In diesem Beschluss stellte das Gericht fest, dass der Kündigungsschutz für diese Gruppe von Arbeitgebern einen besonders intensiven Eingriff in deren grundrechtlich geschützte Kündigungsfreiheit bewirkte:140 In einem Betrieb mit wenigen Arbeitnehmern hänge der Geschäftserfolg mehr als in Großbetrieben von jedem einzelnen Arbeitnehmer ab. Auf seine Leistungsfähigkeit komme es ebenso an wie auf Persönlichkeitsmerkmale, die für die Zusammenarbeit, die Außenwirkung und das Betriebsklima von Bedeutung seien. Kleine Teams zeigten sich anfällig für Missstimmungen und Querelen. Derartige Störungen des Betriebsklimas könnten zu Leistungsminderungen führen, die sich bei geringem Geschäftsvolumen spürbar auf das Ergebnis auswirkten. Ausfälle ließen sich bei niedrigem Personalbestand nur schwer ausgleichen. Außerdem arbeite in kleinen Betrieben der Arbeitgeber häufig mit seinen Arbeitnehmern zusammen, so dass das Vertrauensverhältnis zu jedem seiner Mitarbeiter einen besonders hohen Stellenwert einnehme. Kleinbetriebe seien zudem häufig nicht in der Lage, Abfindungen bei Auflösung eines Arbeitsverhältnisses zu zahlen oder weniger leistungsfähiges, weniger benötigtes oder auch nur weniger genehmes Personal mitzutragen. Schließlich belaste auch der mit einem Kündigungsschutzprozess verbundene Verwaltungsaufwand Kleinbetriebe stärker als ein größeres Unternehmen. Das Schrifttum hat diese Einschätzung im Wesentlichen übernommen.141 Diese besonders starke Belastung des Kleinunternehmer-Arbeitgebers wirkt sich auch auf den Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers in Bezug auf die Höhe der Abfindung aus. Zwar gilt auch hier, dass ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht grundsätzlich weniger intensiv in die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers eingreift als ein bestandsschützendes. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass, um ein Argument des BVerfG aufzugreifen, ein Systemwechsel dem Arbeitgeber die Trennung von einem „nicht genehmen“ Arbeitgeber in jedem Fall ermöglichte, was ihm das geltende bestandsschützende Kündigungsrecht versagt, wenn der Arbeitgeber neben der persönlichen Abneigung nicht auch noch einen sachlichen Grund anführen kann. Aufgrund der geringeren ___________ 140

BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 176 f. Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 656 f.; Urban, Kündigungsschutz, S. 52. Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 465 f. zufolge ist deshalb auch das Fehlen jeglichen sozialen Kündigungsschutzes, abgesehen von unter § 138 Abs.1 BGB zu subsumierenden „krassen Ausnahmefällen“, mit dem Untermaßverbot vereinbar. Umfassend zum Gebotensein arbeitsrechtlicher Sonderregeln für kleinere und mittlere Unternehmen Junker, in: 65. DJT, Bd. I, S. B 1 ff.; Seifert, RdA 2004, 200 ff. 141

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Kapitalausstattung der Kleinunternehmen wiegt die mit einer Abfindungszahlung verbundene finanzielle Belastung gleichwohl schwer.142 Gleiches gilt aber auch für das gegenläufige Interesse des Arbeitnehmers am Bestand seines Arbeitsplatzes, das nach einem effektiven Mindestkündigungsschutz verlangt. Dieser muss, um als solcher überhaupt wirksam zu sein, mit Sanktionsmechanismen flankiert werden, um seine Einhaltung in der Kündigungspraxis auch tatsächlich sicherstellen zu können. Wählt der Gesetzgeber dafür den Weg der Abfindungsverpflichtung, so ist bei der Abwägung zu beachten, dass diese den Arbeitgeber nicht ausnahmslos trifft, sondern nur in den Fällen eingreift, in denen die Kündigung nicht auf einem sachlichen Grund beruht. Dennoch kann diese Zahlungsverpflichtung die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers unangemessen beeinträchtigen. Die REGAM-Untersuchung konnte zwar hinsichtlich der Abfindungshöhe zwischen Klein- und größeren Betrieben im Wesentlichen keine Unterschiede erkennen, erst ab einer Betriebsgröße von 500 Arbeitnehmern erwies sich deren Einfluss auf die Abfindungshöhe als signifikant.143 Wohl aber erhalten gegenwärtig deutlich weniger der von einer Arbeitgeberkündigung betroffenen Arbeitnehmer, die in Betrieben mit bis zu fünf Arbeitnehmern beschäftigt sind, überhaupt eine Abfindung, und zwar 4 % gegenüber durchschnittlich 15 %.144 Doch ist dabei ebenfalls der Umstand zu berücksichtigen, dass die durch die zivilrechtlichen Generalklauseln bedingten tatbestandlichen Einschränkungen des Kündigungsrechts der Kleinunternehmer-Arbeitgeber weit weniger intensiv als im Anwendungsbereich des KSchG ausfallen, was sich auch in einer niedrigeren Klagequote niederschlägt.145 Zeigen sich damit bezüglich der Abfindungshöhe in der gegenwärtigen Kündigungspraxis keine wesentlichen Unterschiede zwischen Klein- und größeren Unternehmen, so kann der Gesetzgeber entsprechend dem Modell Buchners auch für den Kleinunternehmer-Arbeitgeber eine Abfindung in Höhe eines halben Monatsverdienstes je Beschäftigungsjahr festsetzen, ohne gegen das Übermaßverbot zu verstoßen. Dies gilt allerdings nur unter der Prämisse, dass der Gesetzgeber die Anforderungen an die Rechtfertigung der Kündigung gegenüber der jetzigen Rechtslage nicht signifikant erhöht. 3. Zugangsinteressen Arbeitsuchender Wesentliche Argumentationslinien zur Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers lassen sich auch auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit Arbeitsuchender übertragen. Ebenso wie für den Arbeitgeber bedeutet ein Systemwechsel hin zu einem ab___________ 142

Seifert, RdA 2004, 200, 209. Bielenski/Hartmann/Pfarr/Seifert, AuR 2003, 81, 88. 144 Pfarr/Bothfeld/Bradtke/Kimmich/J. Schneider/Ullmann, RdA 2004, 193, 199. 145 Vgl. dazu oben unter § 3 C I 1, S. 76. 143

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

findungsschützenden Kündigungsrecht für die Gruppe der Arbeitsuchenden einen Freiheitsgewinn, weil dieser dem Arbeitgeber die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses ermöglicht, unabhängig davon, ob sich die Kündigung bei einer gerichtlichen Überprüfung als rechtmäßig oder rechtswidrig erweist, und damit eine Neubesetzung des Arbeitsplatzes mit einem externen Bewerber ermöglicht. Findet dieser Umstand bei der Abwägung der Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers mit der des Arbeitsuchenden Berücksichtigung, so deutet bereits ein gewichtiges Indiz auf die Angemessenheit des Abfindungsschutzkonzeptes im Lichte der Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitsuchenden. Bevor eine Kündigungsschutzregelung in unverhältnismäßiger Weise die Marktzutrittschancen Arbeitsuchender beschränkt, wird sie überdies bereits unverhältnismäßig in die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers eingreifen.146 Im Übrigen weisen die grundrechtlichen Positionen der Arbeitsuchenden ein geringeres Gewicht als diejenigen des Arbeitnehmers auf.147 Vor diesem Hintergrund erweist sich ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht mit einer Abfindungsverpflichtung in Höhe eines halben Monatsverdienstes je Beschäftigungsjahr für mit der Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitsuchenden vereinbar. Damit soll eine intensive Grundrechtsbetroffenheit der Arbeitsuchenden, insbesondere der Arbeitslosen keinesfalls negiert werden. Der Beitrag des Kündigungsschutzrechts zur Lösung dieses Problems wird aber weit überschätzt148 und kann deshalb auch im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung keine dominierende Rolle spielen. Vielmehr ist es Aufgabe des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, in Erfüllung seines aus dem Sozialstaatsprinzip folgenden Gestaltungsauftrags andere und besser geeignete Lösungen zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zu entwickeln. III. Ergebnis Damit sind jegliche verfassungsrechtliche Bedenken ausgeräumt. Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, das gegenwärtig bestandsschützende Kündigungsrecht durch ein abfindungsschützendes zu ersetzen, sofern sich die Abfindungshöhe innerhalb des oben vorgezeichneten Rahmens bewegt. Hierfür bietet sich insbesondere der von Buchner vorgeschlagene Abfindungsbetrag in Höhe eines halben Bruttomonatsverdienstes für jedes Beschäftigungsjahr des Arbeitnehmers an, weil dieser einen optimalen Ausgleich der gegenläufigen Interessen von Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Arbeitsuchenden abbildet. Eine Differenzierung zwischen betriebsbedingter Kündigung auf der einen und der personen- und verhaltensbedingten Kündigung auf der anderen Seite ist dabei ___________ 146

Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 474. Vgl. dazu oben unter § 13 C I 3 a), S. 482 f. 148 Vgl. dazu oben unter § 3 C II, S. 85 ff. 147

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nicht geboten. Gleichwohl unterwirft die von Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Arbeitsplatzwahlfreiheit den Gesetzgeber zahlreichen Beschränkungen: Etabliert er etwa ein Abfindungsmodell, welches sich aus einer Grundabfindung und einem bei gerichtlicher Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kündigung zu zahlenden zusätzlichen Aufstockungsbetrag zusammensetzt, hat er aufgrund des von Art. 12 Abs. 1 GG vorgegebenen Schutzzieles darauf zu achten, willkürliche und sachgrundlose Kündigungen effektiv zu sanktionieren. Darüber hinaus verlangt das zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis nach einer zusätzlich Entschädigung für die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist.

D. Abfindung oder Bestandsschutz Keine Bedenken aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen damit auch gegen den im rechtswissenschaftlichen Schrifttum mehrheitlich favorisierten Vorschlag, den Arbeitsvertragsparteien ein Wahlrecht zwischen Abfindung und Bestandsschutz einzuräumen.149 Aus der Perspektive des Untermaßverbots verbessert dieses Konzept den Schutz des Arbeitnehmers im Vergleich zum vorher geprüften Modell insofern, als dass dieser bei Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kündigung wahlweise auch die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses durchsetzen kann. Besteht auch ein Wahlrecht des Arbeitgebers, hängt die Rückkehr an seinen Arbeitsplatz zwar noch von dessen Willen ab. Zumindest aber ermöglicht das Gesetz in diesem Fall den Arbeitsvertragsparteien, die Rechtsfolge des Bestandsschutzes zu wählen, wenn diese ihnen nach übereinstimmender Bewertung vorteilhaft erscheint. Vereinbar ist dieses Schutzkonzept auch mit der Berufsfreiheit des Arbeitgebers sowie der Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitsuchenden. Sofern ein Wahlrecht des Arbeitgebers nicht besteht, greift dieses Modell des gesetzlichen Kündigungsschutzes im Vergleich zu einem rein abfindungsschützenden zwar intensiver in die grundrechtliche Freiheitssphäre des Arbeitgebers ein. Das Schutzniveau des Arbeitnehmers liegt damit aber immer noch unter dem des gegenwärtig geltenden unmittelbar bestandsschützenden, aber verfassungsgemäßen Kündigungsrechts. Ebenfalls steigt die Intensität des Eingriffs in die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitsuchenden, weil das dem rechtswidrig gekündigten Arbeitnehmer eingeräumte Wahlrecht den Arbeitsuchenden bei der Besetzung des freigekündigten Arbeitsplatzes benachteiligt. Gleichwohl kann der Gesetzgeber den Arbeitnehmer bevorzugen, ohne damit die grundrechtliche Freiheit des Arbeitsuchenden unzumutbar zu beeinträchtigen.150 Für den Ar___________ 149 150

Vgl. dazu oben unter § 4 A III, S. 106 ff. Vgl. dazu oben unter § 13 C I 3 a), S. 481 ff.

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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beitsuchenden erweist sich der Grundrechtseingriff, verglichen mit dem geltenden streng bestandsschützenden Kündigungsrecht, als ebenso weniger intensiv wie für den Arbeitgeber. Deren beider abwehrrechtlichen Interessen laufen parallel, ohne einander zu verstärken: Bevor eine gesetzliche Kündigungsschranke die Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitsuchenden unverhältnismäßig beschneidet, verletzt diese bereits die ebenfalls von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers.151 Beides ist vorliegend nicht der Fall.

E. Abfindung bei betriebsbedingter Kündigung Ebenfalls im Zentrum der wissenschaftlichen Diskussion um eine Neuordnung des Kündigungsrechts steht die Forderung nach der Einführung eines gesetzlichen Abfindungsanspruchs bei betriebsbedingter Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Entschädigung des unfreiwilligen und unverschuldeten Arbeitsplatzverlustes.152 Die überwältigende Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten hat diesen Weg bereits beschritten, wobei die jeweils verfolgten Regelungskonzepte freilich sehr divergieren.153 I. Verletzung des Untermaßverbots Dabei scheint das zugunsten des Arbeitnehmers wirkende Untermaßverbot auf dem ersten Blick überhaupt nicht berührt: Nach dem Willen seiner Befürworter soll der Abfindungsanspruch unabhängig von der Frage der sozialen Rechtfertigung bestehen und die Möglichkeit des Arbeitnehmers, die Kündigung mittels einer Kündigungsschutzklage anzugreifen, unberührt lassen. Soweit das Gesetz neben diesem Abfindungsanspruch einen bestands- oder abfindungsschützenden Kündigungsschutz gewährleistet, ist eine Überprüfung dieses Regelungsmodells am Maßstab des Untermaßverbots auch nicht angezeigt, führt dieses doch ausschließlich zu einer Verbesserung der Rechtsstellung des Arbeitnehmers. Der Gesetzgeber ist vollkommen frei, eine gesetzliche Grundlage für einen derartigen Abfindungsanspruch zu schaffen. Er mag dabei sowohl für die eine als auch die andere Entscheidung jeweils gute Gründe anführen, entschließt er sich für einen gesetzlichen Abfindungsanspruch, so ist dieser nicht am Untermaßverbot, sondern dem gegenläufigen Übermaßverbot der Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers zu überprüfen.

___________ 151

Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 474. Vgl. dazu oben unter § 4 A I, S. 97 ff. 153 Vgl. dazu oben unter § 5 C, S. 162 ff. 152

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II. Verletzung des Untermaßverbots bei gleichzeitiger Absenkung der bei einer rechtswidrigen Kündigung zu zahlenden Abfindung Eine abweichende Beurteilung ist aber dann geboten, wenn der Gesetzgeber, einem Vorschlag aus der rechtswissenschaftlichen Literatur folgend, den bei einer rechtmäßigen Kündigung fälligen Abfindungsanspruch mit einem abfindungsschützenden Kündigungsrecht verbindet, dabei aber die wegen einer rechtswidrigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu zahlende Abfindung unter das Niveau von einem halben Monatsverdienst pro Beschäftigungsjahr absenkt. Ein entsprechendes Konzept verfolgt etwa P. Stein für die betriebsbedingte Kündigung: Dieses sieht eine bei jeder Kündigung zahlbare Grundabfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsverdienstes vor, der sich bei gerichtlicher Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kündigung um einen Zuschlag in Höhe eines achtel Monatsverdienstes je Beschäftigungsjahr erhöht.154 Bereits oben wurde nachgewiesen, dass eine Abfindung in Höhe von lediglich einem achtel Monatsverdienst das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers nicht in ausreichendem Maße schützt und die Grenze des aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit abgeleiteten Untermaßverbots unterschreitet.155 An diesem Ergebnis ist auch dann festzuhalten, wenn man der ohne Rücksicht auf die soziale Rechtfertigung zu zahlende Grundabfindung einen kündigungshemmenden Effekt beimisst156 und diese deshalb in das Prüfungsprogramm des Untermaßverbots einbindet. Dahinter verbirgt sich die plausible Überlegung, dass der Arbeitgeber aufgrund der mit einer Abfindungspflicht verbundenen Kostenbelastung ein Arbeitsverhältnis nur dann beenden wird, wenn dies aus wirtschaftlichen Gründen zwingend geboten ist. Aus einer rechtsvergleichenden Perspektive findet diese Sichtweise etwa für das „redundancy payment“ in England oder der französischen „indemnité de licenciement“ durchaus eine Bestätigung.157 Inhalt des aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleiteten Gebots eines Mindestmaßes arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes ist indes nicht, den Arbeitgeber generell an jeder einseitigen Auflösung eines Arbeitsverhältnisses zu hindern. Eine derartige Schutzpflicht ließe sich wegen der ebenfalls von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers als notwendiges Mittel zur Durchsetzung dessen Selbstbestimmungsrechts158 auch nicht begründen. Die aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit zugunsten des Arbeitnehmers folgende Schutzpflicht verlangt lediglich einen Schutz vor ___________ 154

P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 27 f. Vgl. dazu oben unter § 13 C I 3 c), S. 486 f. 156 Vgl. dazu oben unter § 4 A I 2, S. 101. 157 Vgl. dazu oben unter § 5 C III, S. 175. Die Beispiele Österreichs und Italiens weisen indes bei einer abweichenden rechtlichen Ausgestaltung in eine andere Richtung, die Abfindung erfüllt dort andere Zwecke, ebd. 158 Vgl. dazu oben unter § 13 C I 3 e), S. 489. 155

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

auf willkürlichen oder sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen.159 Diesen kann eine Abfindung in Höhe von lediglich einem achtel Monatsverdienst nicht gewährleisten, mag auch die Aussicht, ein Arbeitsverhältnis generell nur gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe eines halben Monatsverdienstes betriebsbedingt kündigen zu können, den Arbeitgeber vom Ausspruch jeglicher betriebsbedingter Kündigungen abhalten. Will der Gesetzgeber den Kündigungsschutz im Sinne einer Kombination aus Grundabfindung und Abfindungsschutz neu ordnen, bietet sich stattdessen eine Orientierung am Vorbild Frankreichs an. Dort fällt die Grundabfindung („indemnité de licenciement“) wesentlich niedriger aus als die nach gerichtlicher Feststellung der Rechtswidrigkeit zusätzlich zu zahlende Abfindung („indemnité“).160 Unter dieser Prämisse ist auch eine mit dem Untermaßverbot konforme Abfindungslösung denkbar, die das Niveau der bei einer rechtswidrigen Kündigung zu zahlenden Abfindung unter einen halben Monatsverdienst absenkt. Eine derartige Lösung berücksichtigte beides: den kündigungshemmenden Effekt der Grundabfindung auf der einen wie die im Hinblick auf eine treuoder sittenwidrige Kündigung abschreckende Wirkung der zusätzlichen Abfindung auf der anderen Seite. Fällt letztere höher aus als die Grundabfindung, so entspricht dies dem Gebot des Arbeitsplatzschutzes des Arbeitnehmers ebenso wie dem Verbot einer Bindung des Arbeitgebers an ein unzumutbares Arbeitsverhältnis, welches von einer unanangemessen hohen Grundabfindung mit ihrer entsprechend kündigungshemmenden Wirkung ausginge.161 Da mangels gesicherter Erkenntnisse gegenwärtig nicht abschätzbar ist, wie stark sich der bestandsschützende Effekt einer solchermaßen gestalteten Grundabfindung in der Kündigungspraxis auswirkt, steht dem Gesetzgeber sowohl bei deren als auch bei der Bemessung der zusätzlichen Abfindung ein breiter Gestaltungsspielraum zu. Gewährleisten muss ein solches Modell jedoch einen effektiven und angemessenen Schutz des Arbeitnehmers. Senkt der Gesetzgeber dabei die Höhe der zusätzlichen Abfindung auf ein Viertel des Niveaus der gegenwärtig wegen einer rechtswidrigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durchschnittlich geleisteten Abfindungszahlung ab, ist die Grenze des Untermaßverbots unterschritten. Ohne zuverlässige Kenntnis von den tatsächlichen Auswirkungen seiner Regelungen kann der Gesetzgeber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ darauf vertrauen, dass die von der Grundabfindung ausgehende kündigungs___________ 159

Vgl. dazu oben unter § 13 C I 1, S. 467. Zur „indemnité de licenciement“ vgl. oben unter § 5 C I 1, S. 163, sowie zur „indemnité“ oben unter § 5 E IV 1 a) bb), S. 193. 161 Eine Kombination aus niedriger Grundabfindung, zu der sich nach gerichtlicher Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kündigung eine höhere zusätzliche Abfindung addiert, beinhaltet auch das Regelungskonzept Willemsens, NJW 2000, 2779, 2784, 2785 f. 160

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hemmende Wirkung die massive Absenkung des Schutzniveaus der zusätzlichen Abfindung wieder kompensiert. Schließlich hat der Gesetzgeber auch noch eine weitere Voraussetzung zu beachten: Damit bereits die Grundabfindung eine bestandsschützende Wirkung entfalten kann, muss diese auch entsprechend konzipiert sein. Dabei erweist sich die von Pfarr und Neef favorisierte162 und am Vorbild des österreichischen BMVG orientierte umlagefinanzierte Abfindungslösung als untauglich. Setzt sich die Abfindung aus monatlichen bei einer Versorgungseinrichtung veranlagten Beiträgen zusammen, so geht von diesen kein kündigungshemmender Effekt aus, weil sie unabhängig vom Ausspruch einer Kündigung ähnlich einem Sozialversicherungsbeitrag mit jeder monatlichen Entgeltzahlung fällig werden. Eine Grundabfindung kann nur dann bestandsschützend wirken, wenn die Zahlungspflicht des Arbeitgebers unmittelbar auf die von diesem veranlasste Kündigung des Arbeitsverhältnisses zurückzuführen ist. III. Verletzung des Übermaßverbots der gegenläufigen Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers Soeben wurde bereits auf die Bedeutung des zum Schutz des Arbeitgebers aus der Berufsausübungsfreiheit folgenden Übermaßverbots hingewiesen. Statuiert der Gesetzgeber eine zwingende Abfindungspflicht bei zumindest jeder betriebsbedingten Kündigung, steht dieser Prüfungsmaßstab im Mittelpunkt, führt die mit der Abfindung verbundene Kostenbelastung doch zu einem erheblichen Grundrechtseingriff.163 Wie intensiv dieser ausfällt, verdeutlicht ein Blick auf die gegenwärtigen Kündigungspraxis: Zwar begründen danach 85 % der auf eine betriebsbedingte Kündigung zurückzuführenden gerichtlichen Abfindungsvergleiche einen Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers.164 Insgesamt erhalten jedoch lediglich 15 % aller gekündigten Arbeitnehmer überhaupt eine Abfindung, wobei davon 40 % auf Sozialplanabfindungen entfallen.165 Trifft den Arbeitgeber nunmehr bei jeder betriebsbedingten Kündigung eine Abfindungspflicht, führt dies zu einer massiven Intensivierung des Eingriffs in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Unternehmerfreiheit und bedarf einer sorgfältigen Rechtfertigungsprüfung, trägt man der Tatsache Rechnung, dass abso-

___________ 162

Vgl. dazu oben unter § 4 A I 1, S. 99. Auf eine massive Kostenbelastung weist auch die Kritik einer generellen Abfindungspflicht betriebsbedingter Kündigungen hin, vgl. dazu oben unter § 4 A I 3, S. 102. 164 Höland/Kahl/Zeibig, Kündigungspraxis, S. 48. 165 Bielenski/Hartmann/Pfarr/Seifert, AuR 2003, 81, 88; Pfarr/Ullmann/Bradtke/ J. Schneider/Kimmich/Bothfeld, Wahrnehmung und Wirklichkeit, S. 67 f. 163

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

lut betrachtet jährlich etwa 2 Mio. Arbeitgeberkündigungen ausgesprochen werden und zwei Drittel davon aus betriebsbedingten Gründen erfolgen.166 Soweit die gesetzliche Ausgestaltung der Abfindungspflicht nicht dem österreichischen Abfertigungsmodell folgt, bezweckt diese, die aufgrund des Arbeitsplatzverlustes eintretenden wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitnehmers zu kompensieren und bereits im Vorfeld der Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers eine kündigungshemmende Wirkung zu entfalten. Der Abfindungsanspruch dient damit dem Schutz des mit dem Arbeitsplatz verbundenen sozialen Besitzstandes des Arbeitnehmers, so dass die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers auf der einen mit der Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers sowie dem Sozialstaatsprinzip auf der anderen Seite gegeneinander abzuwägen sind. Aufgrund der Unsicherheit des kündigungshemmenden Effekts der Abfindung ist dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen ein breiter Prognoseund Gestaltungsspielraum eingeräumt. Diese Unsicherheit über die tatsächlichen Auswirkungen der generellen Abfindungspflicht auf der einen und die hohe Intensität der Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers auf der anderen Seite setzen dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers aber auch klare Grenzen. Lässt der Gesetzgeber etwa das hohe Niveau des geltenden Kündigungsschutz unangetastet, so übersteigt angesichts des nur in begrenztem Umfang zu erwartenden Schutzgewinns für den Arbeitnehmer ein zusätzlicher Abfindungsanspruch in Höhe eines halben Bruttomonatsverdienstes je Beschäftigungsjahr, wie etwa von P. Stein vorgeschlagen,167 das Maß des für den Arbeitgeber Zumutbaren. Zwar ist durchaus denkbar, dass ein bei jeder betriebsbedingten Kündigung fälliger Abfindungsanspruch die Arbeitnehmer von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhält. Auf diesen Zusammenhang deutet etwa die geringe Klagequote in der österreichischen Kündigungspraxis unter dem Einfluss des vor Inkrafttreten des BMVG bestehenden Systems der „Abfertigung alt“ hin.168 Dass der Gesetzgeber insoweit aber nicht auf gesicherte Erkenntnisse zurückgreifen kann, steht einem tief greifenden Eingriff in die Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers mittels betragsmäßig umfangreicher Abfindungspflichten entgegen. Eine andere Beurteilung ist aber dann angezeigt, wenn mit der Einführung der gesetzlichen Abfindungspflicht gleichzeitig auch eine Absenkung des globalen Kündigungsschutzniveaus verbunden ist, etwa durch eine Neuorientie___________ 166

Zum entsprechenden Datenmaterial vgl. oben unter § 3 C I 1, S. 75, 77. P. Stein, Bestandsschutz und Agenda 2010, S. 27. 168 Vgl. dazu oben unter § 5 B V, S. 161. Freilich lässt die dort auftretende Korrelation von Abfertigung und geringer Klagequote nicht zwangsläufig auch auf einen Kausalzusammenhang schließen. Spanien und Frankreich, deren Kündigungsschutzrecht ebenfalls Abfindungsansprüche bei rechtmäßigen Kündigungen vorsehen, wiesen für das Jahr 1995 eine der deutschen Kündigungspraxis vergleichbar hohe Klagequote auf. 167

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rung des Kündigungsrechts am Prinzip des Abfindungsschutzes. Gestaltet sich der gesetzliche Anspruch auf die Grundabfindung so als ein Instrument zum Bestandsschutz von Arbeitsverhältnissen, so rechtfertigt dies auch einen intensiveren Eingriff in die Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers. Gleichwohl hat ein derartiges Schutzkonzept die Zielsetzung des von Art. 12 Abs. 1 GG geforderten arbeitsrechtlichen Mindestkündigungsschutzes im Auge zu behalten, nicht generell den Bestand des Arbeitsverhältnisses gegen jegliche einseitige Beendigung durch den Arbeitgeber zu verteidigen, sondern einen wirksamen und angemessenen Schutz vor auf willkürlichen oder sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu gewährleisten. Dieser Schutz und damit die bei einer rechtswidrigen Kündigung zu zahlende Abfindung muss folglich auch die wichtigste Rolle im Normenprogramm des Kündigungsschutzes spielen. 169 Ist der Grundabfindung deshalb ein Platz als zwar wesentliches, aber doch nur flankierendes Schutzinstrument zuzuweisen, ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers beschränkt. Ob sich unter diesen Voraussetzungen eine Abfindung in Höhe eines halben Monatsverdienstes noch im Rahmen des Zumutbaren bewegt, darf angesichts der wegen des Abstandsgebots noch höheren bei einer rechtswidrigen Kündigung zusätzlich zu zahlenden Abfindung bezweifelt werden. Um dem Verdikt eines Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzips zu entgehen, bietet sich eine Anrechung der Grund- auf die zusätzliche Abfindung an, wie dies etwa die Rechtsordnungen Englands und Spaniens vorsehen.170 Eine Abfindung in Höhe eines viertel Monatsverdienstes, wie von Willemsen vorgeschlagen,171 überschreitet die Grenze des Übermaßverbots jedenfalls nicht. Allerdings bedarf es eines Ausnahmetatbestandes für den Fall, dass der Arbeitgeber die für die Abfindung erforderlichen Mittel nicht aufbringen kann, der zu einer Minderung oder einem vollständigen Entfall des Abfindungsanspruchs führt.172 Der Arbeitgeber sieht sich gerade bei der Vornahme einer Massenentlassung, Betriebs- oder Betriebsteilschließung umfangreichen Zahlungspflichten ausgesetzt, die seine wirtschaftliche Existenz bedrohen können. Aufgrund des lediglich in geringem Ausmaß zu erwartenden Schutzzuwachses eines gesetzlichen Abfindungsanspruchs für den Arbeitnehmer lässt sich ein existenzbedrohender Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit nicht rechtfertigen, der mit der Abfindung verfolgte Zweck stünde völlig außer Verhältnis zur Eingriffsintensität. Insofern bietet sich eine Orientierung am geltenden Sozial___________ 169

Vgl. dazu aus der Perspektive des Untermaßverbots oben unter § 13 C I 3 c), S. 487. 170 Zu England vgl. oben unter § 5 E IV 1 a) aa), S. 190 f., zu Spanien oben unter § 5 E IV 1 a) ff), S. 197. 171 Willemsen, NJW 2000, 2779, 2784, 2785 f. 172 Ebenso Buchner, NZA 2002, 533, 535;

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

planrecht an:173 § 112 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BetrVG verpflichtet dort die Einigungsstelle, bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen darauf zu achten, weder den Fortbestand des Unternehmens noch die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze zu gefährden. Auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen schließlich Abfindungsansprüche, die den Arbeitgeber auch bei verhaltensbedingten Kündigungen treffen. 174 Da der Arbeitnehmer in diesen Fällen auf den Verlust des Arbeitsplatzes selbst Einfluss nimmt, lässt sich eine Abfindungspflicht des Arbeitgebers jedenfalls bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen, die den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigten, nicht mit dem Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit vereinbaren. In diesen Fällen ist eine aus Art. 12 Abs. 1 GG zugunsten des Arbeitnehmers folgende Schutzpflicht zur Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers nicht denkbar. Ein Vorbild dafür liefert etwa der französische Code du Travail, der für die „indemnité de licenciement“ in seinem Art. L 122-9 einen entsprechenden Ausschlusstatbestand für den Tatbestand der „faute grave“ normiert. Nur am Rande sei auf die grundrechtliche Relevanz von Abfindungslösungen hingewiesen, die dem österreichischen Modell der „Abfertigung neu“ folgen. Allen diesen Überlegungen ist der fehlende oder nur am Rande stattfindende Einfluss der Abfindung auf die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers gemein, der Anspruch knüpft lediglich – unter anderem – an das Ereignis der Kündigung an. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung hat sich damit nicht am vorrangigen Zweck des Arbeitnehmerschutzes zu orientieren, sondern dem der sozialen Versorgung des Arbeitnehmers über die Beendigung dessen Arbeitsverhältnisses hinaus und damit letztlich an den Wertungen des Sozialstaatsprinzips. Die Nähe dieser Modelle zur betrieblichen Altersversorgung und der fehlende Bezug zum Kündigungsschutz des Arbeitnehmers verbieten an dieser Stelle eine vertiefte grundrechtliche Würdigung. IV. Ergebnis Der Einführung eines gesetzlichen Abfindungsanspruchs bei betriebsbedingten Kündigungen stehen folglich keine unüberwindbaren grundrechtlichen Hürden entgegen. Der aufgrund der bei jeder betriebsbedingten Kündigung eintretenden finanziellen Belastung einschneidende Eingriff in die Unternehmer___________ 173

Ebenso Buchner, NZA 2002, 533, 535; Hromadka, AuA 2002, 261, 265; ders., NZA 2002, 783, 784; ders., ZfA 2002, 383, 394, 398; ders., in: Blank, Kündigungsschutz, S. 11, 14 f., 19. 174 Vgl. dazu den entsprechenden Vorschlag von Neef, NZA 2000, 7, 9, dessen Abfindungskonzept aber nicht auf eine arbeitsplatzschützende Wirkung zielt, sondern Elemente einer betrieblichen Altersversorgung und einer Entgeltrückstellung aufweist.

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freiheit des Arbeitgebers auf der einen und der lediglich geringe Schutzzuwachs für den Arbeitnehmer auf der anderen Seite setzen dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers jedoch klare Grenzen: Lässt dieser den gesetzlichen Kündigungsschutz im Übrigen unangetastet, verstößt bereits eine Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsverdienstes je Beschäftigungsjahr gegen das Übermaßverbot. Angemessen ist etwa eine Abfindung, die sich auf die Hälfte dieses Betrags beläuft und zudem einen Spielraum zur Minderung oder einem völligen Ausschluss des Abfindungsanspruchs für den Fall der Existenzbedrohung des Arbeitgebers belässt.

F. Abfindung anstelle Sozialauswahl Eine gesonderte Beurteilung bedarf der Regelungsvorschlag Preis’, die bislang in § 1 Abs. 3 KSchG verankerte Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vornahme einer Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung eines Arbeitverhältnis durch einen nach sozialen Daten bemessenen Abfindungsanspruch zu ersetzen.175 Dabei tritt das Übermaß- gegenüber dem Untermaßverbot in den Hintergrund: Der Abfindungsanspruch führt zwar zu einer finanziellen Belastung des Arbeitgebers, geht aber gleichzeitig mit einem Abbau von Kündigungsschutz einher, indem er die bestehende Verpflichtung zur Vornahme einer Sozialauswahl beseitigt. I. Verstoß gegen das Untermaßverbot Die in § 1 Abs. 3 KSchG verankerte Sozialauswahl nimmt im Schutzkonzept des KSchG zur betriebsbedingten Kündigung die wichtigste Rolle ein, so dass deren vollständige Transformation in einen Abfindungsanspruch eine Verletzung des aus dem objektiven Gehalt der Arbeitsplatzwahlfreiheit folgenden Untermaßverbotes nahe legt. Dazu bedarf es aber erst einer grundsätzlichen Beantwortung der Frage, ob das aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleitete Gebot eines Mindestmaßes an arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz bei einer betriebsbedingten Kündigung überhaupt eine an sozialen Kriterien orientierte Auswahlentscheidung des Arbeitgebers verlangt und welchen Mindestanforderungen diese zu genügen hat.

___________ 175

Vgl. dazu oben unter § 4 A I 1, S. 99 f.

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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1. Die Sozialauswahl als grundrechtlich garantierter Kernbestandteil des Kündigungsschutzes bei betriebsbedingten Kündigungen a) Rechtsgrundlage des Gebots einer Auswahl nach sozialen Kriterien Das BVerfG zählt die Sozialauswahl zum Kernbestandteil des grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutzes. Im „Kleinbetriebs-Beschluss“ heißt es dazu: „Soweit unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen ist, gebietet der verfassungsrechtliche Schutz des Arbeitsplatzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme.“176 Auch ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses dürfe nicht unberücksichtigt bleiben.177 Das solchermaßen aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit abgeleitete Gebot zur Vornahme einer Sozialauswahl hat nicht nur das BAG in seiner Rechtsprechung aufgegriffen und näher ausgeformt,178 es ist darüber hinaus auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum überwiegend auf Zustimmung gestoßen.179 Auffällig an dem Beschluss des BVerfG ist der Bezug auf das Sozialstaatsprinzip, welches das Gericht gleichrangig neben der Arbeitsplatzwahlfreiheit als Fundament der Sozialauswahl erachtet, obwohl es an anderer Stelle ausdrücklich Art. 12 Abs. 1 GG als den konkreteren Maßstab benennt.180 Auch in der vorangegangenen „Warteschleifen-Entscheidung“, in dem das Gericht für das Sonderkündigungsrecht des Einigungsvertrages eine besondere Rücksichtnahme auf sozial schützenswerte Arbeitnehmer, namentlich Schwangere, Müt___________ 176

BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 179. Ebenso bereits BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 154 ff., wobei das Gericht in dieser Entscheidung lediglich eine besondere Berücksichtigung Schwerbehinderter, älterer Arbeitnehmer sowie Alleinerziehender verlangte. 177 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 179. 178 BAG vom 21.02.2001, AP Nr. 12 zu § 242 Kündigung Bl. 4 R ff.; BAG vom 06.02.2003, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 2 ff. 179 Däubler, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271, 282 f.; Dieterich, AR-Blattei ES 1020 Nr. 361 S. 13 f.; Falder, NZA 1998, 1254, 1255 f.; Feuerborn, EzA Nr. 1 zu § 242 BGB 2002 Kündigung S. 7, 15 f., Gragert/Kreutzfeld, NZA 1998, 567, 568; Gragert, 2000, 961, 968 f.; Gragert/Wiehe, NZA 2001, 934, 936 f.; Hanau, in: FS Dieterich, S. 201, 207 f.; von Hoyningen-Huene, SAE 2001, 324; Krenz, Sozialauswahl, S. 98 ff.; Lettl, NZA-RR 2004, 57, 62 f.; Oetker, EzA Nr. 1 zu § 242 BGB Kündigung S. 5, 22 ff.; ders., AuR 2004, 108 f.; Otto, RdA 2002, 103; Powietzka, Kündigungsschutz, S. 207; Schwerdtner, in: FS 50 Jahre BAG, S. 459, 471; Urban, Kündigungsschutz, S. 177; Urban-Crell, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 6 ff. Ablehnend jedoch Bengsch, Mindestkündigungsschutz, S. 621; Annuß, BB 2001, 1898, 1901 f.; Richardi/Kortstock, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 7 ff. sowie Stelljes, Reichweite des Kündigungsschutzes, S. 277 f. 180 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 185.

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ter, Schwerbehinderte, Alleinerziehende und ältere Arbeitnehmer verlangte, fehlt der Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip. Dieser ist auch entbehrlich.181 Das Erfordernis der Vornahme einer Sozialauswahl folgt bereits aus der Schutzdimension der von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Arbeitsplatzwahlfreiheit,182 welche als lex specialis zum Sozialstaatsprinzip fungiert.183 Verlangt Art. 12 Abs.1 GG einen Schutz des Arbeitnehmers vor dem unfreiwilligen Verlust seines Arbeitsplatzes, so hat der Gesetzgeber diesen umso intensiver zu auszugestalten, je gewichtiger die Bedeutung des Arbeitsplatzes für den Arbeitnehmer und je größer die Gefahr des unfreiwilligen Verlusts des Arbeitsplatzes ist. Beide Gebote zeigen sich so als unmittelbarer Ausfluss und Konkretisierung des Untermaßverbots. Dabei weisen nicht nur die vom BVerfG beispielhaft aufgezählten Arbeitnehmergruppen eine besonders schützenswerte Position auf. Gleiches gilt auch für unterhaltspflichtige Arbeitnehmer, weil diese auf den Arbeitsplatz in besonderer Weise nicht nur zur Sicherung ihrer, sondern auch der wirtschaftlichen Existenz der von ihnen abhängigen unterhaltsberechtigten Personen angewiesen sind.184 Zusätzlich verstärkt Art. 6 Abs. 1 GG, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt, die grundrechtliche Position dieser Arbeitnehmergruppe.185 Besonders schutzbedürftig sind aber auch Arbeitnehmer, die eine lange Betriebszugehörigkeit aufweisen, weil diese typischerweise ihr gesamtes Lebensumfeld um ihren Arbeitsplatz herum aufgebaut haben und von dessen Verlust folglich besonders hart betroffen sind.

___________ 181

AA Richardi/Kortstock, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 7, Bl. 9 f., nach deren Auffassung die höhere Schutzbedürftigkeit aus Umständen folge, die gerade nicht mit der beruflichen Tätigkeit zusammenhänge, weshalb nicht Art. 12 Abs. 1 GG, sondern ausschließlich das Sozialstaatsprinzip als Fundament für die Sozialauswahl in Betracht käme, dieses aber als objektives Rechtsprinzip nicht dazu tauge, subjektive Rechte des Arbeitnehmers zu begründen. 182 Auf Art. 3 Abs. 1 GG und das Sozialstaatsprinzip stützte ursprünglich das BAG seine Rechtsprechung zum Sonderkündigungsrechts des Einigungsvertrages, vgl. dazu BAG vom 10.01.1995, AP Nr. 12 zu Art. 13 Einigungsvertrag Bl. 5; BAG vom 29.08.1996, AP Nr. 62 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Bl. 2R; zusätzlich auf Art. 12 Abs. 1 GG beruft sich Knoll, Sozialauswahl, S. 58 ff.; ausschließlich auf Art. 3 Abs. 1 GG bezieht sich Wank, in: FS Hanau, S. 295, 313. Auf einen „überpositiven Gleichbehandlungsgrundsatz“ als Fundament der Sozialauswahl Preis, NZA 1997, 1256, 1268. Powietzka verankert das Gebot zur Vornahme einer Sozialauswahl in Art. 12 Abs. 1, 6 Abs. 1 GG sowie dem Sozialstaatsprinzip, Powietzka, Kündigungsschutz, S. 207 f. 183 Vgl. zum Verhältnis des Sozialstaatsprinzips zur Schutzpflichtendogmatik oben unter § 11 B, S. 420 ff. 184 Ebenso Kamanabrou, RdA 2004, 333, 338; Powietzka, Kündigungsschutz, S. 207 f. 185 Kamanabrou, RdA 2004, 333, 338; Powietzka, Kündigungsschutz, S. 208.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

b) Konkretisierung und inhaltliche Ausformung des Gebots zur Sozialauswahl in Rechtsprechung und Literatur Gestützt auf die Rechtsprechung des BVerfG hat das BAG nunmehr in ersten Urteilen die aus dem objektiven Gehalt der Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers folgenden Anforderungen an die soziale Auswahlentscheidung des Arbeitgebers außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG präzisiert.186 Dafür hatten bereits einige zuvor ergangene Entscheidungen zum Sonderkündigungsrecht des Einigungsvertrags den Boden bereitet, in denen das Gericht außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG eine Auswahlentscheidung des Arbeitgebers nach vernünftigen, sachlichen und billiges Ermessen wahrenden Gesichtspunkten verlangte.187 Erforderlich sei insoweit eine Abwägungsentscheidung zwischen den Interessen des Arbeitgebers einerseits und den sozialen Belangen der Arbeitnehmer andererseits, die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips verbiete jedenfalls, den dienstlichen Auswahlbelangen des Arbeitgebers eine Vorrangtendenz einzuräumen.188 Auch die Literatur hatte umfangreiche Vorarbeiten geleistet und so dem Gedanken einer Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vornahme einer Sozialauswahl auch außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG zum Durchbruch verholfen, die in ihrer Intensität freilich hinter den Vorgaben des § 1 Abs. 3 KSchG zurückbleiben sollte.189 Dem folgend überprüft das BAG auch in seinen neueren Urteilen die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers in lediglich eingeschränktem Umfang und beruft sich dabei auf das besondere Gewicht der Berufsausübungsfreiheit des Kleinunternehmer-Arbeitgebers.190 Die Kündigung eines sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmers, so das Gericht, lasse umso eher auf einen Verstoß gegen ___________ 186

BAG vom 21.02.2001, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 4R ff.; BAG vom 06.02.2003, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 2 ff. 187 BAG vom 19.01.1995, AP Nr. 12 zu Art. 13 Einigungsvertrag Bl. 5; BAG vom 29.08.1996, AP Nr. 62 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Bl. 2 f.; BAG vom 24.04.1997, AP Nr. 65 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Bl 3. 188 BAG vom 19.01.1995, AP Nr. 12 zu Art. 13 Einigungsvertrag Bl. 5; BAG vom 29.08.1996, AP Nr. 62 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Bl. 2R;. 189 Braun, Kündigungsschutz, S. 158 ff.; Däubler, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271, 282 f.; Falder, NZA 1998, 1254, 1255 f.; Gragert, NZA 2000, 961, 968 f.; Gragert/Kreutzfeld, NZA 1998, 567, 568; Hanau, in: FS Dieterich, S. 201, 208; Krenz, Sozialauswahl, S. 132 ff.; Lakies, DB 1997, 1078, 1081 f.; Oetker, LAGE Nr. 1 zu Art. 20 Einigungsvertrag S. 10, 33 f.; ders., Bestandsschutz, S. 38 f.; ders., RdA 1997, 9, 18; ders., AuR 1997, 41, 52; Otto, in: FS Wiese, S. 353, 369 f.; Preis, PersR 1991, 201, 203; ders., NZA 1997, 1256, 1268; Urban, Kündigungsschutz außerhalb des KSchG, S. 177 ff.; Wank, in: FS Hanau, S. 195, 313. Ablehnend Löwisch, BB 1997, 782, 787 f. 190 Diese Begründung zieht sich durch sämtliche bislang ergangene Entscheidungen, vgl. dazu BAG vom 21.02.2001, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 5; BAG vom 06.02.2003, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 2.

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Treu und Glauben schließen, je weniger eigene Interessen des Arbeitgebers bei der Auswahlentscheidung eine Rolle gespielt hätten.191 Der Arbeitnehmer müsse dazu einen Sachverhalt vortragen, der die solchermaßen bedingte Treuwidrigkeit der Kündigung indiziere.192 Sei danach auf den ersten Blick erkennbar, dass der Arbeitgeber einen erheblich weniger schutzbedürftigen, vergleichbaren Arbeitnehmer weiterbeschäftige, so spreche dies dafür, dass der Arbeitgeber das gebotene Maß an sozialer Rücksichtnahme außer acht gelassen habe, wobei er diesen Vortrag aber qualifiziert entkräften könne.193 Das BAG stellt demnach an die soziale Auswahlentscheidung des Arbeitgebers nur geringe Anforderungen: Erst wenn dieser bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Belange evident grob vernachlässigt hat und er dafür kein berechtigtes betriebliches Interesse anführen kann, ist das Gebot eines Mindestmaßes an sozialer Rücksichtnahme verletzt. Auch die Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises durch den Arbeitgeber ist nach dieser Rechtsprechung im Hinblick auf den Zweck des verfassungsrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutzes, einen Schutz vor willkürlichen und auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu gewährleisten, nur einer eingeschränkten Kontrolle zugänglich.194 Allenfalls evidente Fehler seien beachtlich, die nach dem Vorbringen des Arbeitnehmers bereits auf den ersten Blick erkennen ließen, dass die Nichteinbeziehung eines Arbeitnehmers in den Auswahlkreis willkürlich sei.195 Dies hat zur Folge, dass sich aufgrund der geringen Arbeitnehmerzahl der Kleinbetriebe eine Kontrolle der sozialen Auswahlentscheidung des Arbeitgebers bereits mangels vergleichbarer Arbeitnehmer erübrigt.196 In der Literatur hat dieses Konzept einer eingeschränkten Missbrauchskontrolle sowohl bei der Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises als auch der konkreten Auswahlentscheidung des Arbeitgebers Zustimmung gefunden,197 bestehen auch im Einzelfall Differenzen, den Tatbestand der „evi___________ 191

BAG vom 21.02.2001, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 5R; BAG vom 06.02.2003, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 2R. 192 BAG vom 21.02.2001, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 5R; BAG vom 06.02.2003, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 2R. 193 BAG vom 21.02.2001, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 5R; BAG vom 06.02.2003, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 2R. 194 BAG vom 06.02.2003, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 3. 195 BAG vom 06.02.2003, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 3 196 Braun, Kündigungsschutz, S. 158; Oetker, AuR 2004, 108, 109; Urban-Crell, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 3R, Bl. 6. 197 Feuerborn, EzA Nr. 1 zu § 242 BGB 2002 Kündigung S. 7, 15 f.; Gragert/Wiehe, NZA 2001, 934, 936 f.; von Hoyningen-Huene, SAE 2001, 324, 326 f.; Knoll, Sozialauswahl, S. 136 ff.; Lettl, NZA-RR 2004, 57, 62 f.; Oetker, EzA Nr. 1 zu § 242 BGB Kündigung S. 15, 22 ff.; ders., AuR 2004, 108 f.; Otto, RdA 2002, 103, 105; Powietzka, Kündigungsschutz, S. 214 ff.; Urban-Crell, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 3R, Bl. 6 ff. Kritisch Schwerdtner, in: FS 50 Jahre BAG, S. 459, 471.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

dent fehlerhaften Auswahlentscheidung“ weiter zu konkretisieren. 198 Uneinigkeit besteht ebenso im Hinblick auf die zu berücksichtigenden Sozialdaten. Während die einen die vom BAG herangezogenen Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten für abschließend erachten,199 verlangen andere die Einbeziehung weiterer Merkmale,200 demgegenüber nach Meinung Oetkers bereits die Vorgehensweise des BAG über den vom Untermaßverbot geforderten Mindeststandard hinausweist.201 Die ehemals die wissenschaftliche Diskussion dominierenden Kriterien Schwangerschaft, Mutterschaft, alleinige Erziehung eines Kindes sowie Schwerbehinderung202 spielen in der gegenwärtigen Diskussion dagegen keine entscheidende Rolle mehr.203 c) Würdigung Bereits oben wurde festgestellt, dass die Schutzdimension der von Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Arbeitsplatzwahlfreiheit den Arbeitgeber bei betriebsbedingter Kündigung zur Vornahme einer Auswahlentscheidung anhand sozialer Kriterien verpflichtet. Zustimmung verdienen ebenfalls die Konkretisierungsversuche des BAG zur inhaltlichen Ausformung der Sozialauswahl: Verlangt Art. 12 Abs. 1 GG nur ein Mindestmaß an Berücksichtigung sozialer Belange des Arbeitnehmers, unterschreitet auch die vom Gericht entwickelte Evidenzkontrolle nicht die durch das Untermaßverbot gezogene Grenze.

___________ 198

Dazu, insbesondere zu Heranziehung des von §§ 1 Abs. 4 KSchG, 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO normierten Kriteriums der groben Fehlerhaftigkeit, Gragert/Kreutzfeld, NZA 1998, 567, 568; Gragert/Wiehe, NZA 2001, 934, 937; Krenz, Sozialauswahl, S. 139 ff.; Oetker, EzA Nr. 1 zu § 242 BGB Kündigung S. 15, 26 f. Ablehnend Braun, Kündigungsschutz, S. 101; Däubler, in: FS Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271, 282 sowie Otto, RdA 2002, 103, 105 f. 199 Braun, Kündigungsschutz, S. 158 ff.; Gragert/Kreutzfeld, NZA 1998, 567, 568; Gragert/Wiehe, NZA 2001, 934, 936 f.; Knoll, Sozialauswahl, S. 152; Krenz, Sozialauswahl, S. 176; Lettl, NZA-RR 2004, 57, 63; Urban, Kündigungsschutz, S. 178 f. Nach der Auffassung geht eine solchermaßen durchzuführende Sozialauswahl bereits über den vom Untermaßverbot geforderten Mindeststandard hinaus, Oetker, EzA Nr. 1 zu § 242 BGB Kündigung S. 15, 25. 200 Falder, NZA 1998, 1254, 1255 f. 201 Oetker, EzA Nr. 1 zu § 242 BGB Kündigung S. 15, 25. Wohl auch Wank, in: FS Hanau, S. 295, 313. 202 Dazu Hanau, in: FS Dieterich, S. 201, 208; Oetker, LAGE Nr. 1 zu Art. 20 Einigungsvertrag S. 10, 33 f.; ders., AuR 1997, 41, 52; Otto, RdA 2002, 103, 105. 203 Anders aber Powietzka, Kündigungsschutz, S. 232 f., der diese Kriterien trotz des bestehenden Sonderkündigungsschutzes für diese Arbeitnehmergruppen dann zusätzlich berücksichtigen will, wenn der Arbeitgeber den besonders geschützten Arbeitnehmer aufgrund einer erteilten behördlichen Zustimmung zu kündigen berechtigt ist.

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Allerdings beleuchtet die eben skizzierte Diskussion nur einen Teilaspekt der grundrechtlich gebotenen Sozialauswahl, hat diese ausschließlich den Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen im Kleinbetrieb vor Augen.204 So weist das BAG bei seiner Argumentation einleitend auf die herausragende Bedeutung der Berufsausübungsfreiheit des Kleinunternehmer-Arbeitgebers hin.205 Auch das BVerfG bezieht seine Ableitung des grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutzes auf den Kleinbetrieb: Der durch die Generalklauseln vermittelte Grundrechtsschutz des Arbeitnehmers wirke umso schwächer, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel geschützten Grundrechtspositionen des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen sind, keinesfalls könne der aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit abgeleitete Kündigungsschutz an die durch das KSchG vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit heranreichen.206 Außerhalb der besonderen Situation des Kleinbetriebs sind aber auch die durch das Untermaßverbot gezogenen Grenzen für die Sozialauswahl neu zu justieren. Dies gilt zum einen für Arbeitnehmer innerhalb der Probezeit, in der diese gegenwärtig nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 KSchG nicht dem allgemeinen Kündigungsschutz unterliegen. Angesichts der kurzen Dauer sowie des Zwecks des Probearbeitsverhältnisses, den Arbeitnehmer in die ihm übertragene Tätigkeit einzuarbeiten und dem Arbeitgeber eine zuverlässige Beurteilung dessen fachlicher und persönlicher Eignung zu ermöglichen, kann diese Arbeitnehmergruppe vollständig von den oben entwickelten Auswahlgrundsätzen ausgenommen werden, ohne dass dabei ein Verstoß gegen das Untermaßverbot zu befürchten ist.207 Eine veränderte Positionsbestimmung des Untermaßverbots ist schließlich auch für den hier im Mittelpunkt stehenden allgemeinen Kündigungsschutz geboten. Ungeeignet ist dabei aber eine Übertragung der vom BAG zum Sonderkündigungsrecht des Einigungsvertrages entwickelten Grundsätze der Sozialauswahl. Dabei, so das Gericht, habe der Arbeitgeber seine Auswahlentscheidung nach vernünftigen, sachlichen Gesichtspunkten zu treffen und müsse bil___________ 204

Eine Ausnahme bilden insoweit die Arbeit von Oetker, Bestandsschutz; ders., RdA 1997, 9 ff., der die Verankerung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes in der Grundrechtsordnung umfassend beleuchtet. 205 BAG vom 21.02.2001, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 5; BAG vom 06.02.2003, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 2. 206 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 98, 169, 178 f. Ebenso bezüglich der in § 1 Abs. 3 KSchG geregelten Sozialauswahl auch BAG vom 21.02.2001, AP Nr. 12 zu § 242 BGB Kündigung Bl. 3; BAG vom 06.02.2003, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 2. 207 LAG Nürnberg vom 24.04.2001, LAGE Nr. 5 zu § 242 BGB S. 1 f.; Braun, Kündigungsschutz, S. 154 f.; Dieterich, AR-Blattei ES 1020 Nr. 361 S. 13, 14; Knoll, Sozialauswahl, S. 137; Urban-Crell, AP Nr. 30 zu § 23 KSchG 1969 Bl. 3R, Bl. 7R. Anders indes Powietzka, Kündigungsschutz, S. 213.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

liges Ermessen wahren,208 was insofern eine Verschärfung gegenüber der im Kleinbetrieb anzuwendenden Evidenzkontrolle bedeutet. Diese Rechtsprechung betrifft allerdings die besondere Situation der Kündigung von Arbeitsverhältnissen, für die ohne die Ausnahmeregelungen des Einigungsvertrages der Anwendungsbereich des KSchG eröffnet gewesen wäre und ist deshalb nicht verallgemeinerungsfähig.209 Somit ist das aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit folgende Gebot der Berücksichtigung eines Mindestmaßes sozialer Belange bei der Vornahme einer Auswahlentscheidung mit Hilfe des Untermaßverbots unter Einbeziehung kollidierender Grundrechte zu konturieren. Die Interessen des Arbeitgebers können dabei nicht der besonderen Situation des Kleinbetriebs vergleichbar weit in den Vordergrund drängen, weil nicht nur die personale Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit wachsender Betriebsgröße zunehmend in den Hintergrund rückt, sondern der Arbeitgeber regelmäßig auch über eine bessere Kapitalausstattung verfügt, so dass ihm bereits deshalb ein höheres Maß an Kündigungsschutz zuzumuten ist. Damit erweist sich zwar noch nicht das von § 1 Abs. 3 KSchG festgelegte Regelungsprogramm der Sozialauswahl als verfassungsfest,210 andererseits lässt sich aber auch eine Übertragung der vom BAG für den Kleinbetrieb maßgeblichen Evidenzkontrolle, die dem Arbeitgeber einen weiten Freiheitsraum belässt, kaum mit dem Untermaßverbot in Einklang bringen. Dies gilt zwar nicht für die vom BAG sowie dem überwiegenden Teil des Schrifttums vorgenommene Konzentration auf die Sozialdaten Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten. Von Verfassungs wegen ist dem Gesetzgeber nur ein Mindestmaß an Berücksichtigung sozialer Belange des Arbeitnehmers, kein umfassender Sozialschutz aufgegeben, so dass der Gesetzgeber die Auswahlentscheidung auf einige wenige, aber wesentliche Sozialdaten beschränken kann. Insofern ist dem Gesetzgeber wie stets bei der einfachgesetzlichen Konkretisierung grundrechtlicher Schutzpflichten ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt. Unter Berücksichtigung der kollidierenden Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers ist dieser auch nicht daran gehindert, entsprechend den im Kleinbetrieb geltenden Grundsätzen dessen Interesse an einer ausgewogenen Personalstruktur den Vorrang gegenüber sozial schutzbe___________ 208

BAG vom 19.01.1995, AP Nr. 12 zu Art. 13 Einigungsvertrag Bl. 5; BAG vom 29.08.1996, AP Nr. 62 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Bl. 2 f.; BAG vom 24.04.1997, AP Nr. 65 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Bl 3. 209 Oetker, EzA Nr. 1 zu § 242 BGB Kündigung S. 15, 26. Daraus erklärt sich auch die Berufung des Gerichts auf den Gleichheitssatz, vgl. dazu BAG vom 19.01.1995, AP Nr. 12 zu Art. 13 Einigungsvertrag Bl. 5; BAG vom 29.08.1996, AP Nr. 62 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Bl. 2R. 210 Ebenso Oetker, Bestandsschutz, S. 38; ders., RdA 1997, 9, 18.

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dürftigen Arbeitnehmern einzuräumen,211 wie dies auch gegenwärtig in der Bestimmung des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG seinen Ausdruck gefunden hat. Ein angemessener Ausgleich der kollidierenden grundrechtlichen Interessen findet aber dann nicht mehr statt, wenn auch in größeren Betrieben sowohl die Zusammenstellung der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer als auch die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers selbst nur noch auf evidente Fehlerhaftigkeit überprüft werden könnte. Zwar verkompliziert sich mit steigender Betriebsgröße schon mit der Erweiterung des auswahlrelevanten Personenkreises die Sozialauswahl. Aufgrund der im Vergleich zu einem Kleinunternehmer-Arbeitgeber besseren finanziellen und personellen Ausstattung des Arbeitgebers und der unverändert hohen Bedeutung des Arbeitsplatzes für den Arbeitnehmer ist dem Arbeitgeber ein höheres Maß an Sorgfalt bei der Vornahme der Sozialauswahl zuzumuten. Dies gilt jedenfalls für die Ermittlung des Kreises der auswahlrelevanten Arbeitnehmer, die einer umfassenden Kontrolle zugänglich sein muss, zumal der Gesetzgeber hier dem Arbeitgeber die Möglichkeit einräumen kann, unter Hinweis auf berechtigte betriebliche Interessen bestimmte Arbeitnehmer von der Sozialauswahl auszunehmen. Der Überprüfung der konkreten Auswahlentscheidung des Arbeitgebers auf lediglich evidente bzw. grobe Fehlerhaftigkeit stehen indes keine durchgreifenden Bedenken entgegen. Art. 12 Abs. 1 GG garantiert dem Arbeitnehmer ein Mindestmaß an arbeitsrechtlichem Bestandsschutz und verpflichtet damit einhergehend auch nur zu einem Mindestmaß an Berücksichtigung sozialer Belange. Eine detaillierte Kontrolle, welche die vom Arbeitgeber vorgenommene Gewichtung der jeweiligen Sozialdaten genau nachvollzieht, geht über diesen Mindeststandard hinaus. Zwar stehen diesem dafür zahlreiche Instrumente zur Verfügung.212 Gleichwohl ist dieser Schritt fehlerträchtig, so dass unter dem Einfluss der kollidierenden grundrechtlichen Freiheit des Arbeitgebers auch das Interesse des Arbeitnehmers an einer umfassenden Überprüfung der Auswahlentscheidung zurückzutreten hat. 2. Umwandlung der Sozialauswahl in einen nach sozialen Kriterien bemessenen Abfindungsanspruch Entschließt sich der Gesetzgeber nun, dem Vorschlag Preis’ folgend die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Vornahme einer Sozialauswahl in einen Abfindungsanspruch umzuwandeln, ist unter Anwendung des Untermaßverbots zu prüfen, ob entsprechend der Auffassung von Kamanabrou ein derartiger, nach sozialen Gesichtspunkten bemessender Abfindungsanspruch den Bestand ___________ 211

Oetker, Bestandsschutz, S. 39; ders., RdA 1997, 9, 18. Vgl. dazu nur die von Krenz aufgelisteten miteinander verglichenen Punkteschemata in, Krenz, Sozialauswahl, S. 196 ff. 212

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

des Arbeitsverhältnisses in geeigneter und angemessener Weise zu schützen in der Lage ist.213 Uneingeschränkt zu bejahen ist dies für den ersten Prüfungspunkt des Untermaßverbots, der Geeignetheit. Bereits oben wurde dargelegt, dass von einem gesetzlichen Abfindungsanspruch eine mittelbar bestandsschützende Wirkung ausgeht.214 Nichts anderes gilt für die nach sozialen Kriterien bemessene Abfindung bei betriebsbedingter Kündigung. Zweck der Sozialauswahl ist es, den Erhalt des Arbeitsplatzes des sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmers zu sichern. Dies kann auch über einen finanziellen Anreiz geschehen.215 Ist die Kündigung eines sozial schutzbedürftigeren Arbeitnehmers gleichzeitig auch mit einer höheren Abfindungszahlung verbunden, so wird sich der rational entscheidende Arbeitnehmer nicht zur Kündigung dieses Arbeitnehmers entschließen, wenn für ihn die Kündigung eines zwar gleich geeigneten, aber weniger schutzwürdigen Arbeitnehmers geringere Kosten nach sich zieht oder der Abfindungsanspruch gar vollständig entfällt. Zur Bemessung der Abfindung schlägt Preis eine Orientierung an den Sozialdaten Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten vor.216 Ein derart ausgestalteter Abfindungsanspruch führt auch zu einem angemessenen Ausgleich der Interessen von Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Arbeitsuchenden, vorausgesetzt der Gesetzgeber bemisst die Höhe der Abfindung dergestalt, dass diese auch tatsächlich eine effektiv abschreckende Wirkung auf den Entschluss des Arbeitgebers zur Kündigung eines sozial schutzbedürftigen Arbeitnehmers entfalten kann, indem der Gesetzgeber diese mit höheren Kosten belegt. 217 Zwar schützt eine unmittelbare Verpflichtung zur Vornahme einer Sozialauswahl das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes besser als ein Abfindungsanspruch, der lediglich mittelbar auf die Entscheidung des Arbeitgebers einwirkt. Allerdings verpflichtet das Untermaßverbot den Gesetzgeber lediglich zur Schaffung eines Mindestmaßes an effektiven Schutzvorkehrungen, das der Gesetzgeber mit einer anhand der Sozialdaten Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten bemessenen Abfindung nicht unterschreitet. Einerseits berücksichtigt der Gesetzgeber damit drei zentrale Auswahlkriterien.218 Zum anderen beschneidet dieser Abfindungsanspruch wichtige Freiheitsräume des Arbeitgebers, die diesem bei einer unmittelbaren Verpflichtung zur Vornahme einer Sozialauswahl verbleiben und kompensiert damit das ___________ 213

Kamanabrou, RdA 2004, 333, 338. Vgl. dazu oben unter § 13 C I 1 c) aa), S. 471 f. 215 Kamanabrou, RdA 2004, 333, 338. 216 Preis, RdA 2003, 65, 78; ders., NZA 2003, 252, 255, 258. 217 Im Ergebnis ebenso Kamanabrou, RdA 2004, 333, 338. 218 Gegen die Annahme einer besonderen Schutzbedürftigkeit älterer Arbeitnehmer aber Kamanabrou, RdA 2004, 333, 337 f. 214

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durch die nur mittelbar bestandsschützende Wirkung der Abfindung eintretende Schutzdefizit des Arbeitnehmers. Weder führt nämlich die Berufung des Arbeitgebers auf berechtigte betriebliche Interessen, etwa einer ausgewogenen Sozialstruktur, zu einer Minderung des Abfindungsanspruchs, noch bleibt die Kontrolle der Auswahlentscheidung des Arbeitgebers auf evidente Fehlerhaftigkeit beschränkt, weil sich der gesetzliche Abfindungsanspruch für den Arbeitnehmer mittels der Faktoren Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten stets nachprüfbar bemisst. Dafür bedarf es aber auch eines gesetzlichen Abfindungsanspruchs, dessen Höhe sich bereits unmittelbar aus der Norm ablesen lässt. Eine vertragliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien, wie von Preis vorgeschlagen,219 kann dieses Mindestmaß an Arbeitsplatzschutz durch Berücksichtigung sozialer Belange nicht gewährleisten. Soll die Abfindung bereits im Vorfeld der Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers eine kündigungshemmende Wirkung entfalten können, so muss ihr Umfang, in dem sich die soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers unmittelbar widerspiegelt, auch bereits im Vorfeld feststehen. Deshalb kann entgegen Kamanabrou auch eine Abfindung, deren Höhe erst nachträglich einer gerichtlichen Festsetzung bedarf, vor dem Untermaßverbot keinen Bestand haben.220 Hat der Arbeitgeber seine Entscheidung bereits gefällt und verhandelt anschließend mit dem zu kündigenden Arbeitnehmer über die Höhe der Abfindung oder weiß noch nicht, in welcher Höhe ihn das Arbeitsgericht zu einer Abfindungszahlung verpflichtet, kann deren kündigungshemmende Wirkung nicht mehr eintreten. Die Höhe der Abfindung richtete sich dann allein nach dem Verhandlungsgeschick des Arbeitnehmers bzw. Arbeitgebers. Mit dem Verweis auf eine vertragliche Vereinbarung oder richterliche Festsetzung findet die von Art. 12 Abs. 1 GG geforderte Berücksichtigung der sozialen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers folglich keine Entsprechung. Bei der Bemessung der Höhe der Abfindung ist dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet, weil er mangels vergleichbarer Regelungen in der Vergangenheit oder im europäischen Ausland den kündigungshemmenden Effekt nicht sicher prognostizieren kann. Zur Berücksichtigung sämtlicher der von Preis vorgeschlagenen drei Sozialdaten Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten bietet sich dabei ein Rückgriff auf eines der von Krenz diskutierten Punkteschemata an.221 Angemessen erscheint jedenfalls eine Abfindung, deren Höhe unter Einbeziehung sämtlicher Sozialdaten maximal den ___________ 219

Preis, RdA 2003, 65, 78. Alternativ soll nach diesem Vorschlag aber auch das Arbeitsgericht die Abfindung nach Maßgabe der drei Parameter Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten bemessen können, vgl. dazu Preis, ebda. 220 AA Kamanabrou, RdA 2004, 333, 339. 221 Vgl. dazu Krenz, Sozialauswahl, S. 196 ff.

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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Betrag eines halben Monatsentgelts für jedes vollendete Beschäftigungsjahr erreicht.222 Schützt eine Abfindung in dieser Höhe den Arbeitnehmer effektiv vor einer rechtswidrigen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses,223 so kann diese auch wirksam die Berücksichtigung sozialer Belange bei einer Auswahlentscheidung des Arbeitgebers gewährleisten. II. Verstoß gegen das Übermaßverbot Keine Bedenken bestehen im Hinblick auf eine Verletzung der Arbeitsplatzwahlfreiheit Arbeitsuchender, weil eine Substitution der Sozialauswahl durch einen Abfindungsanspruch zu einem Abbau von Kündigungsschutz führt und damit die Aussicht der Arbeitsuchenden auf den Erwerb eines Arbeitsplatzes verbessert. Die Einwirkung dieses Abfindungsmodells auf die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers erweist sich demgegenüber als ambivalent. Zwar verringert sich auf der einen Seite die Eingriffsintensität, weil der Abfindungsanspruch den Arbeitgeber von der unmittelbaren Verpflichtung zur Vornahme einer Sozialauswahl bei Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung entbindet. Andererseits belastet die Abfindungspflicht nahezu jede betriebsbedingte Kündigung mit zusätzlichen Kosten, die den Arbeitgeber selbst dann treffen, wenn dieser den Grundsätzen der Sozialauswahl folgend eine zutreffende Auswahlentscheidung gefällt hat. Zusätzlich schneidet ihm dieses Modell die Möglichkeit einer Berufung auf betriebliche Interessen ab. Allerdings ist der Abfindungsanspruch auch mit einem Gewinn an Rechtssicherheit verbunden: Mit dem Wegfall der fehleranfälligen Sozialauswahl entfallen kostenträchtige Kündigungsschutzprozesse, in denen der Arbeitnehmer die Feststellung der Sozialwidrigkeit der Kündigung begehren kann. Im Ergebnis führt deshalb die Ablösung der Sozialauswahl durch einen gesetzlichen Abfindungsanspruch nicht zu einer Intensivierung des Grundrechtseingriffs in die Berufsausübungsfreiheit des Arbeitgebers. Ein Verstoß gegen das Übermaßverbot ist nicht zu besorgen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Verpflichtung zur Abfindungszahlung die wirtschaftliche Existenz des Arbeitgebers bedroht. Dies ist vor allem bei Massenentlassungen im Zuge von Betriebs- oder Betriebsteilschließungen denkbar, bei denen nach geltendem Recht für eine Sozialauswahl jedenfalls dann kein Raum ist, wenn der Arbeitgeber sämtlichen Arbeitnehmern des Betriebs kündigt. Um in diesen besonders gelagerten Fällen dem Verdikt eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers zu entgehen, ist der Gesetzgeber gehalten, entsprechend den bereits oben entwi___________ 222 223

In diese Richtung auch Preis, RdA 2003, 65, 78. Vgl. dazu oben unter § 13 C I 3 c), S. 485 f.

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ckelten Grundsätzen224 einen Ausnahmetatbestand zu normieren, der zu einer Minderung oder einem vollständigen Entfall des Abfindungsanspruchs führt.225 III. Ergebnis Die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Arbeitsplatzwahlfreiheit verlangt bei einer betriebsbedingten Kündigung eine Auswahlentscheidung des Arbeitgebers anhand sozialer Gesichtspunkte, die aber in ihrer Intensität hinter den Anforderungen des § 1 Abs. 3 KSchG zurückbleibt. An die Stelle der Verpflichtung zur Vornahme einer Sozialauswahl kann der Gesetzgeber auch einen Abfindungsanspruch treten lassen. Dieser muss sich allerdings nach den sozialen Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten bemessen und dessen Höhe gesetzlich festgelegt sein, damit die Abfindung ihr Ziel, einen Anreiz zur Kündigung des am wenigsten sozial schutzbedürftigen Arbeitnehmers zu setzen, verwirklichen kann.

G. Abfindung anstelle Kündigungsschutz Die bei weitem größte Gefahr für die Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers geht von denjenigen Regelungsmodellen aus, bei denen die Abfindung nicht nur den Bestandsschutz ersetzt, sondern an die Stelle des Kündigungsschutzes tritt und dem Arbeitnehmer so den Weg der gerichtlichen Kontrolle der Kündigung versperrt. Hierfür sind zwei Wege denkbar: Ein gesetzlicher Ausschluss des Kündigungsschutzes226 oder ein entsprechender vertraglicher Vorausverzicht des Arbeitnehmers227. I. Der zwingende Charakter des Kündigungsschutzes nach geltendem Recht De lege lata sind den Arbeitsvertragsparteien beide Wege versperrt. Der geltende gesetzliche Kündigungsschutz ist einseitig zwingendes Recht, so dass abweichende Vereinbarungen zum Nachteil des Arbeitnehmers unwirksam sind.228 Der Arbeitnehmer kann darauf folglich weder vor Abschluss des Ar___________ 224

Vgl. dazu oben unter § 13 E III, S. 505 f. Vgl. dazu auch den entsprechenden Vorschlag von Preis, RdA 2003, 65, 78. 226 Vgl. dazu oben unter § 4 A IV, S. 112 ff. 227 Vgl. zu den entsprechenden Vorschlägen aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum oben unter § 4 A V, S. 116 ff., aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum oben unter § 4 B, S. 119 ff. sowie der Gesetzgebung oben unter § 4 C II 1, S. 127 ff. 228 Ascheid/Oetker, in: ErfKomm, § 1 KSchG Rdnr. 15; Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1 Rdnr. 12; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 31; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1253. 225

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beitsvertrages noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses vor Ausspruch der Kündigung verzichten.229 Eine andere Beurteilung ist aber dann geboten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bereits gekündigt hat. Nach Ausspruch der Kündigung steht es diesem frei, eine Kündigungsschutzklage zu erheben oder aber die Frist des § 4 S. 1 KSchG verstreichen zu lassen. Deshalb kann er dann auch wirksam auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage und damit auf den gesetzlichen Kündigungsschutz verzichten.230 Deshalb hat auch das KSchG im Gegensatz zu anderen Gesetzen, die einen Verzicht auf bestimmte Rechte für unzulässig erklären (§ 4 Abs. 4 S. 1 TVG, § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG, § 12 EFZG, § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG), keine Regelung getroffen, die dem Arbeitnehmer den Verzicht auf Kündigungsschutz untersagt.231 Wegen der weit reichenden Folgen eines Klageverzichts stellt das BAG aber strenge Anforderungen an die Eindeutigkeit der Verzichtserklärung.232 II. Gesetzlicher Ausschluss der gerichtlichen Kontrolle Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass eine gesetzliche Regelung, die dem Arbeitnehmer den Kündigungsschutz ohne jegliche Einschränkung gegen Zahlung einer Abfindung versagt, zu einem erheblichen Absinken des Schutzniveaus führt. Daher verwundert, dass die Literatur die Vereinbarkeit mit hö___________ 229

BAG vom 19.12.1974, AP Nr. 3 zu § 620 BGB Bedingung Bl. 3; BAG vom 13.12.1984, AP Nr. 8 zu § 620 BGB Bedingung Bl. 3; BAG 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 5R; Ascheid, in: APS, § 4 KSchG Rdnr. 123; Fiebig, in: HaKoKSchG, § 1 Rdnr. 12; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 296; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1253. Zu der vergleichbareren Problematik des bei Vertragsschluss vereinbarten Verzichts auf Erhebung einer Befristungskontrollklage jüngst BAG vom 19.01.2005, AP Nr. 260 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag Bl. 4 f. Anders Neuhausen, der einen im voraus erklärten Verzicht auf Kündigungsschutz bei Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses für zulässig erachtet, sofern dafür ein sachlicher Grund besteht, Neuhausen, Verzicht auf Kündigungsschutz, S. 66 ff. Noch weiter gehend Versteyl, Obergrenze, S. 101 ff., die im Wege verfassungskonformer Auslegung zur Abdingbarkeit der zwingenden Regelungen des KSchG durch gleichgewichtig ausgehandelte Individualvereinbarungen gelangt, die bereits dann vorliegen sollen, wenn der Arbeitnehmer zwischen mehreren Arbeitsplatzangeboten oder auch nur zwischen alternativ angebotenen Bedingungen desselben Arbeitgebers, wovon eine dem gesetzlichen Mindeststandard genügt, wählen kann. 230 BAG vom 06.04.1977, AP Nr. 4 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2; BAG vom 29.06.1978, AP Nr. 5 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 1R; BAG vom 03.05.1979, AP Nr. 6 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2; BAG vom 20.06.1985, AP Nr. 33 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2; BAG 31.05.2005, AP Nr. 175 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 5R; Ascheid, in: APS, § 4 KSchG Rdnr. 123; Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1 Rdnr. 14; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 297; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1254. 231 BAG vom 03.05.1979, AP Nr. 6 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2. 232 Vgl. dazu oben unter § 7 E I 1, S. 301.

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herrangigem Verfassungsrecht nur vereinzelt problematisiert233 und teilweise sogar für zulässig erachtet.234 Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen dabei nicht nur im Hinblick auf den objektiven Gehalt der von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers. Die mit der Abschaffung des Kündigungsschutzes einhergehende Verweigerung arbeitsgerichtlichen Rechtsschutzes zwingt auch zu einer näheren Überprüfung der Vereinbarkeit mit dem aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Rechtsstaatsprinzip. 1. Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers, Art. 12 Abs. 1 GG Art. 12 Abs. 1 GG verlangt ein Mindestmaß an Kündigungsschutz zugunsten des Arbeitnehmers. Dies erfordert auf der Tatbestandsebene zumindest einen Schutz vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen,235 dem auf der Rechtsfolgenebene ein effektiver Sanktionsmechanismus zur Seite stehen muss. Daraus folgt noch nicht, dass der Gesetzgeber für eine Kündigung, die diesem Mindeststandard nicht genügt, zwingend die Rechtsfolge der Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit anordnen müsste. Vielmehr ist auch ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht geeignet, das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes angemessen zu schützen.236 Das trifft auf das hier zur Überprüfung anstehende Regelungsmodell, das einen Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Zahlung einer Abfindung vorsieht, entgegen der Auffassung Kamanabrous jedoch nicht zu.237 Dieses vermag den Anforderungen des Untermaßverbots nicht zu genügen und scheitert bereits an der fehlenden Eignung für den Arbeitsplatzschutz. Zwar ist die nach diesem Modell zu zahlende Abfindung geeignet, den Arbeitgeber generell vom Ausspruch einer Kündigung abzuhalten, weil sie jede Kündigung mit einem Abfindungsanspruch und damit einer finanziellen Belastung verbindet. Keinen Schutz bietet die Abfindung aber vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven des Arbeitgebers beruhenden Kündigungen, weil sie allein an den Tatbestand der Kündigung anknüpft. Ob der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer auf der Grundlage einer willkürlichen Entscheidung kündigt oder aber ein berechtigtes Interesse anführen kann, spielt nach diesem Modell keine Rolle. In beiden Fällen trifft ihn die Abfindungspflicht, ohne insoweit seine Kündigungsentscheidung beeinflusst zu haben. Eine entsprechende gesetzliche Umgestaltung ist ___________ 233

Zweifel im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben äußern Junker, in: 65. DJT, Bd. I, S. B 81 und Rebhahn, ZfA 2003, 163, 227. 234 Kamanabrou, RdA 2004, 333, 337 ff.; Rühle, DB 1991, 1378, 1380. 235 Vgl. dazu oben unter § 13 B I 1, S. 467. 236 Vgl. dazu oben unter § 13 C, S. 467 ff. 237 AA Kamanabrou, RdA 2004, 333, 337, die pauschal auf den kündigungshemmenden Effekt der Abfindung abstellt.

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damit nicht geeignet, den grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutz zu gewährleisten. Ausweislich seiner Zielstellung ist dies auch nicht beabsichtigt, vielmehr zielt etwa Rühle ausdrücklich auf eine Abschaffung des Kündigungsschutzes.238 Dies lässt sich nicht mit dem objektiven Gehalt der von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Arbeitsplatzwahlfreiheit in Einklang bringen. Eine abweichende Beurteilung ist auch dann nicht geboten, wenn der Gesetzgeber den Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Zahlung einer Abfindung auf die betriebsbedingte Kündigung beschränkte. 239 Gegenwärtig erfolgen absolut betrachtet nahezu zwei Drittel aller Kündigungen aus betriebsbedingten Gründen,240 so dass auch dieser Vorschlag dem weit überwiegenden Teil der Arbeitnehmer den grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutz verwehrte. Darüber hinaus steht zu befürchten, dass der Arbeitgeber, um einer gerichtlichen Kontrolle der Kündigung zu entgehen, auch bei Auftreten personenund verhaltensbedingter Gründe eine betriebsbedingte Kündigung ausspricht, 241 der Ausschluss des Kündigungsschutzes also faktisch nicht auf die Fälle betriebsbedingter Kündigungen beschränkt bliebe. 2. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Justizgewährungsanspruch Ist mit dem Ausschluss des gesetzlichen Kündigungsschutzes auch ein Ausschluss des arbeitsgerichtlichen Rechtsschutzes verbunden, so stellt sich zusätzlich die Frage der Vereinbarkeit einer derartigen Regelung mit den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips. a) Grundlagen Das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip ist von zentraler Bedeutung für die gesamte Rechtsordnung. Ein wesentliches Element dieses fundamentalen Verfassungsprinzips bildet die Justizgewährpflicht des Staates, die für jedermann einen Anspruch auf Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte verbürgt.242 Sie ist eine Konsequenz des staatlichen Gewaltmonopols, des ___________ 238

Rühle, DB 1991, 1378, 1379. Vgl. dazu den Vorschlag Hromadkas, oben unter § 4 A IV 1, S. 113 f. 240 Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, BB 2004, 106, 108. 241 Vgl. zu dieser Kritik bereits oben unter § 4 A IV 3, S. 115 f. 242 BVerfG vom 11.06.1980, BVerfGE 54, 277, 291; BVerfG vom 08.10.1991, BVerfGE 84, 366, 369; BVerfG vom 12.02.1992, BVerfGE 85, 337, 345; BVerfG vom 02.03.1993, BVerfGE 88, 118, 123; BVerfG vom 20.06.1995, BVerfGE 93, 99, 107; BVerfG vom 30.04.2003, BVerfGE 107, 395, 401; Dorn, Justizgewähranspruch, S. 95 f.; P. M. Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 352; 239

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Selbsthilfeverbots und der allgemeinen Friedenspflicht des Bürgers.243 Zwar ist die Justizgewährpflicht ein objektives Rechtsprinzip und besitzt demgemäß keine subjektiv-rechtliche oder grundrechtliche Qualität.244 Sie erlangt diese erst in Verbindung mit den jeweils einschlägigen Grundrechten und wandelt sich so in einen Justizgewähranspruch, soweit die Grundrechte zwischen den verfahrensmäßigen Rechtsschutzvoraussetzungen einerseits und den materiellrechtlichen Grundrechtsgarantien andererseits einen Zusammenhang herstellen, mit der Verletzung der Justizgewährpflicht also zugleich eine Beeinträchtigung materieller Grundrechtspositionen verbunden ist.245 Der allgemeine Justizgewährungsanspruch bildet die Grundlage des Rechtsschutzes für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten.246 Art. 19 Abs. 4 GG ist demgegenüber nicht einschlägig. Diese Verfassungsbestimmung konkretisiert das Rechtsstaatsprinzip ausschließlich für den Bereich des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt247 und fungiert insofern als lex specialis.248 ___________ Papier, in: HdBStR VI, § 153 Rdnr. 1; Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rdnr. 162; SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rdnr. 16; Scholz, in: GS Grabitz, S. 725, 728; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rdnr. 35, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 211. 243 BVerfG vom 11.06.1980, BVerfGE 54, 277, 292; BVerfG vom 13.03.1990, BVerfGE 81, 347, 356; P. M. Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 352; Dorn, Justizgewähranspruch, S. 15 ff.; Papier, in: HdBStR VI, § 153 Rdnr. 1, 7 f.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rdnr. 16; SchulzeFielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rdnr. 35 f., Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 211. 244 Dorn, Justizgewähranspruch, S. 96 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rdnr. 16; Scholz, in: GS Grabitz, S. 725, 729; Papier, in: HdBStR VI, § 153 Rdnr. 5, 24. 245 P. M. Huber in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 352; Papier, in: HdBStR VI, § 153 Rdnr. 24; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rdnr. 16; Scholz, in: GS Grabitz, S. 725, 729. Umfassend Dorn, Justizgewähranspruch, S. 147 ff. Deshalb sieht auch das BVerfG den Justizgewährungsanspruch als „Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG“, BVerfG vom 30.04.2003, BVerfGE 107, 395, 401. Ebenso zuvor bereits BVerfG vom 11.06.1980, BVerfGE 54, 277, 292; BVerfG vom 13.03.1990, BVerfGE 81, 347, 356; BVerfG vom 08.10.1991, BVerfGE 84, 366, 369; BVerfG vom 02.03.1993, BVerfGE 88, 118, 123; BVerfG vom 20.06.1995, BVerfGE 93, 99, 107. 246 BVerfG vom 11.06.1980, BVerfGE 54, 277, 291; BVerfG vom 11.02.1987, BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG vom 12.02.1992, BVerfGE 85, 337, 345; BVerfG vom 02.03.1993, BVerfGE 88, 118, 123; BVerfG vom 30.04.2003, BVerfGE 107, 395, 407; Papier, in: HdBStR VI, § 153 Rdnr. 5; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rdnr. 37. 247 P. M. Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 419. 248 BVerfG vom 13.03.1990, BVerfGE 81, 347, 356; Dorn, Justizgewähranspruch, S. 70 ff.; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 113; P. M. Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 353; Papier, in: HdBStR VI, § 153

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Ebenso wie Art. 19 Abs. 4 GG zielt aber auch der allgemeine Justizgewährungsanspruch auf effektiven Rechtsschutz.249 Für bürgerlich rechtliche Streitigkeiten ist der Staat verpflichtet, einen wirksamen gerichtlichen Zivilrechtsschutz bereitzustellen.250 Auf diesem Weg wird gesichert, dass ein Gericht verbindlich über das Bestehen von Rechten und Pflichten in einer zivilrechtlichen Angelegenheit entscheidet.251 Dabei gewährleistet der Justizgewährungsanspruch nicht nur den Zugang zu den Gerichten, sondern verlangt auch eine umfassende rechtliche und tatsächliche Prüfung des Streitgegenstandes sowie eine verbindliche Entscheidung durch einen Richter. 252 Hinsichtlich des Gewährleistungsumfangs geht die hM von einer weitgehenden inhaltlichen Parallelität von Justizgewährungsanspruch und der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG aus.253 Demgegenüber erkennt P. M. Huber den Justizgewährungsanspruch nur in dem Umfang an, in dem dieser auch Grundlage verfassungsunmittelbarer Ansprüche auf staatliches Handeln sein könne und damit nur nach Maßgabe der sich aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 2 Abs. 1 GG ergebenden Schutzpflichten und nur im Rahmen des Untermaßverbots. 254 Dass der so abgeleitete Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz durchgängig durch unabhän___________ Rdnr. 5; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rdnr. 16; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rdnr. 35. 249 BVerfG vom 11.06.1980, BVerfGE 54, 277, 291; BVerfG vom 02.03.1993, BVerfGE 88, 118, 123; BVerfG vom 11.10.1994, BVerfGE 91, 176, 181; BVerfG vom 20.06.1995, BVerfGE 93, 99, 107; Dorn, Justizgewähranspruch, S. 94 f., 248 ff.; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 115; P. M. Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 354; Papier, in: HdBStR VI, § 153 Rdnr. 16; Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rdnr. 162; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 212. 250 BVerfG vom 11.06.1980, BVerfGE 54, 277, 291; BVerfG vom 12.02.1992, BVerfGE 85, 337, 345; BVerfG vom 02.03.1993, BVerfGE 88, 118, 123; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 185; BVerfG vom 30.04.2003, BVerfGE 107, 395, 402; Dorn, Justizgewähranspruch, S. 241; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 113; Papier, in: HdBStR VI, § 153 Rdnr. 12; Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rdnr. 162; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 212. 251 BVerfG vom 30.04.2003, BVerfGE 107, 395, 407. 252 BVerfG vom 11.06.1980, BVerfGE 54, 277, 291; BVerfG vom 12.02.1992, BVerfGE 85, 337, 345; BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 185; BVerfG vom 07.10.2003, BVerfGE 108, 341, 347; Dorn, Justizgewähranspruch, S. 241 ff.; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 117 ff.; P. M. Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 354; Papier, in: HdBStR VI, § 153 Rdnr. 16; Sachs, in: ders., GG, Art. 20 Rdnr. 164; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 20 (Rechtsstaat) Rdnr. 211. 253 BVerfG vom 02.03.1993, BVerfGE 88, 118, 123; BVerfG vom 30.04.2003, BVerfGE 107, 395, 403; BVerfG vom 07.10.2003, BVerfGE 108, 341, 347 f.; Dorn, Justizgewähranspruch, S. 239 f.; Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 117 ff.; Papier, in: HdBStR VI, § 153 Rdnr. 16 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rdnr. 17;aA P. M. Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 355. 254 P. M. Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 355.

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gige Gerichte eingelöst werden müsse, folge daraus jedenfalls nicht.255 Schon deshalb bleibe der subjektiv-rechtlich gewendete Justizgewährungsanspruch erkennbar hinter dem grundrechtlich verbrieften Anspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG zurück.256 Das gelte erst recht für einfachgesetzlich verbriefte Rechte, deren gerichtliche Durchsetzbarkeit allein über Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet werde.257 b) Auswirkungen auf den Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Zahlung einer Abfindung Auch vor diesem Hintergrund kann ein genereller Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Zahlung einer Abfindung keinen Bestand haben. Schließt der gesetzliche Abfindungsanspruch jeglichen gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Arbeitgeberkündigung aus, so beschneidet der Gesetzgeber bereits den aus der Justizgewährpflicht folgenden Anspruch auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt zwar nur einen Minimalstandard effektiven Rechtsschutzes, dazu muss jedoch eine wenigstens einmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung eröffnet sein.258 Selbst unter Anwendung des von P. M. Huber vertretenen einschränkenden Maßstabs leitet sich daher für den Bereich des Kündigungsschutzes aus dem Justizgewährungsanspruch eine Verpflichtung des Gesetzgebers ab, dem Arbeitnehmer arbeitsgerichtlichen Rechtsschutz gegen eine Kündigung zu ermöglichen, um so zumindest die Einhaltung des grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutzes kontrollieren und erforderlichenfalls mittels einer verbindlichen Entscheidung des Gerichts durchsetzen zu können. Demgemäß hat das BVerfG in seinem „Kleinbetriebs-Beschluss“ die Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG für mit den Vorgaben des Justizgewährungsanspruchs vereinbar erklärt, weil die dort von einer Kündigung betroffenen Arbeitnehmer Rechtsschutz vor den Arbeitsgerichten erlangen können.259 Gesetzliche Ausschlüsse des Gerichtsschutzes sind mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung umfassenden richterlichen Privatrechtsschutzes unvereinbar und verletzen die verfassungsmäßige Ordnung.260 ___________ 255

P. M. Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 355. P. M. Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 355. 257 P. M. Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 355. 258 BVerfG vom 30.04.2003, BVerfGE 107, 395, 402. 259 BVerfG vom 27.01.1998, BVerfGE 97, 169, 185. 260 Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 139, Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rdnr. 17. Wohl auch Dorn, Justizgewähranspruch, S. 241. 256

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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Ein vollständiger Ausschluss jeglicher gerichtlicher Kontrolle über die Kündigung ist folglich nicht mit den Anforderungen des Justizgewähranspruchs in Einklang zu bringen. Auch die dem Arbeitnehmer im Gegenzug gewährte Abfindung kann diesen Verlust der gerichtlichen Nachprüfbarkeit nicht kompensieren, entschädigt diese doch nicht für die rechtswidrige Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern knüpft ohne Rücksicht auf deren Rechtmäßigkeit pauschal an den Tatbestand der Kündigung an. Auch der auf betriebsbedingte Kündigungen beschränkte Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung verstößt gegen die aus dem Justizgewährungsanspruch folgenden Vorgaben. Nicht nur dass dieser Vorschlag dem weit überwiegende Teil der Arbeitnehmer den Zugang zu den Arbeitsgerichten versperrte, der Justizgewährungsanspruch also quantitativ betrachtet in erheblichem Maße eingeschränkt wäre. Das zu erwartende Ausweichen des Arbeitgebers auf betriebsbedingte Kündigungen selbst dann, wenn personen- oder verhaltensbedingte Gründe vorliegen, errichtete faktisch eine absolute Zugangssperre zu den Möglichkeiten des arbeitsgerichtlichen Rechtsschutzes. 3. Ergebnis Ein vollständiger oder auch nur auf die betriebsbedingte Kündigung beschränkter Ausschluss des Kündigungsschutzes verstößt sowohl gegen den objektiven Gehalt der Arbeitsplatzwahlfreiheit des Arbeitnehmers als auch gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG abgeleiteten Justizgewährungsanspruch. Demgemäß ist der Gesetzgeber an der Einführung entsprechender gesetzlicher Regelungen gehindert. III. Vertraglich vereinbarter Verzicht auf Kündigungsschutz Der Ruf nach Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für einen privatautonomen Vorausverzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz gegen Abfindungszahlung261 ist in der Fachöffentlichkeit auf breite Sympathie gestoßen. Einen Ausblick auf eine mögliche rechtstechnische Umsetzung dieses Vorhabens liefert etwa der Entwurf der Fraktion der CDU/CSU eines „Gesetzes zur Modernisierung des Arbeitsrechts“ vom 18.06.2003, dessen § 1a KSchG bestimmt, dass eine Kündigung sozial gerechtfertigt ist, wenn der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber auf die Geltendmachung von Kündigungsschutz___________ 261

Vgl. zu den entsprechenden Vorschlägen aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum oben unter § 4 A V, S. 116 ff., aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum oben unter § 4 B, S. 119 ff., sowie der Gesetzgebung oben unter § 4 C II 1, S. 127 ff.

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gründen nach § 1 KSchG wirksam verzichtet hat. Die Arbeitsvertragsparteien müssen diesen Verzicht bei Vertragsschluss schriftlich vereinbart und der Arbeitgeber sich zur Zahlung einer Abfindung bereit erklärt haben. Rechtstechnisch handelt es sich dabei, soweit das Versprechen des Arbeitnehmers, keine Klage zu erheben, in Rede steht, um einen Klageverzichtsvertrag (pactum de non petendo), einen prozessrechtlichen Vertrag, das Recht, Klage zu erheben, nicht wahrzunehmen mit der Folge der Wirksamkeit der Kündigung von Anfang an.262 Damit aber berührt dieses Modell zwei unterschiedliche verfassungsrechtliche Problemkreise, die einer jeweils gesonderten Würdigung bedürfen. Verzichtet der Arbeitnehmer mit Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung auf den Kündigungsschutz, berührt dies in erster Linie materielle Grundrechtspositionen, namentlich die von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Arbeitsplatzwahlfreiheit. Gleichzeitig gibt er damit aber auch sein Recht auf Einholung arbeitsgerichtlichen Rechtsschutzes auf. Folgt aus dem rechtsstaatlichen Justizgewähranspruch eine Verpflichtung des Gesetzgebers, dem Arbeitnehmer die wenigstens einmalige Möglichkeit einer gerichtlichen Entscheidung zu eröffnen,263 so stellt sich die Frage, ob ein gesetzlich legitimierter Vorausverzicht auf Kündigungsschutz vor den Anforderungen des Justizgewähranspruchs Bestand haben kann. Demgegenüber rückt das von der Literatur problematisierte bei Abschluss der Verzichtsvereinbarung fehlende Kräftegleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zunächst in den Hintergrund.264 1. Verzicht auf den grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutz Verzichtet ein Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung auf Kündigungsschutz gegen Abfindungszahlung, ist er nicht nur daran gehindert, die Sozialwidrigkeit der Kündigung gerichtlich geltend zu machen, gleichzeitig versperrt ihm der Verzicht auch den Zugang zu dem grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutz. Die im Gegenzug vom Arbeitgeber gezahlte Abfindung kann diesen Schutz jedenfalls nicht gewährleisten, hindert sie diesen doch nicht am Ausspruch einer willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigung, sondern verpflichtet ihn bei ausnahmslos jeder Kündigung zur

___________ 262

Zum Inhalt eines pactum de non petendo insoweit Kramer/Marhold, in: ARBlattei SD, Nr. 290 Ausgleichsquittung Rdnr. 25. 263 BVerfG vom 30.04.2003, BVerfGE 107, 395, 402. 264 Vgl. dazu oben unter § 4 C II 2, S. 129 ff.

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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Zahlung der Abfindung. Insoweit gilt nichts anderes als bei einem gesetzlichen Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung. 265 Damit kann eine zwischen den Arbeitsvertragsparteien bestehende vertragliche Vereinbarung, die auf den Ausschluss des Kündigungsschutzes gerichtet ist, vor der Grundrechtsordnung nur Bestand haben, wenn diese dem Arbeitnehmer einen Verzicht auf den durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz der Arbeitsplatzwahlfreiheit erlaubt. a) Die Rechtsprechung des BAG zum Vorausverzicht auf die Befristungskontrollklage Das BAG erachtet einen insoweit vergleichbaren Vorausverzicht auf den gesetzlichen Befristungsschutz für unzulässig.266 Zwar beruft sich das Gericht zur Begründung einerseits auf den zwingenden Charakter des Befristungsrechts, den nunmehr § 22 Abs. 1 TzBfG ausdrücklich anordnet, verweist aber auch auf den durch den Verzicht bewirkten Ausschluss des von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Mindestbestandsschutzes.267 Dies lasse sich mit der Schutzpflichtfunktion des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht in Einklang bringen.268 Freilich trifft das BAG keine Aussage darüber, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer nicht doch auf den grundrechtlich gebotenen Mindestbestandsschutz seines Arbeitsverhältnisses verzichten kann. b) Verzicht auf Grundrechtsschutz – die Grenzen der individuellen Verfügung über Grundrechtspositionen Verzichtet der Arbeitnehmer auf den Kündigungsschutz, erfasst dieser Verzicht auch den grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutz. Sein Verzicht stößt damit nicht nur an die Grenzen des einfachgesetzlichen Rechts. Gleichzeitig disponiert der Arbeitnehmer auch über Grundrechtspositionen, namentlich einen Ausschnitt der von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Arbeitsplatzwahlfreiheit, die ihn vor einem unfreiwilligen Verlust seines Arbeitsplatzes durch eine willkürliche oder auf sachfremden Motiven beruhende Kündigung des Arbeitgebers schützt.

___________ 265

Vgl. dazu oben unter § 13 G II 1, S. 521 f. BAG vom 19.01.2005, AP Nr. 260 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 267 BAG vom 19.01.2005, AP Nr. 260 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 268 BAG vom 19.01.2005, AP Nr. 260 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 266

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Die Grenzen der Dispositionsbefugnis bei einem Verzicht auf Grundrechtsschutz269 setzt dabei die Grundrechtsordnung selbst. An einigen Stellen trifft bereits das GG ausdrücklich eine klare Regelung zum Grundrechtsverzicht:270 Ein Verlust der Staatsbürgerschaft darf etwa gemäß Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG nur mit Einwilligung des Staatsangehörigen erfolgen. Demgegenüber erklärt Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG das Grundrecht der Koalitionsfreiheit behindernde Abreden für unwirksam, so dass die von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG Berechtigten nicht vertraglich über ihre Grundrechtspositionen verfügen und auf diese verzichten können. Im Übrigen gibt der Grundrechtstext keinen Aufschluss über Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Grundrechtsverzichts, auch der hier im Zentrum des Interesses stehende Art. 12 Abs. 1 GG enthält sich einer ausdrücklichen Aussage. Wenig ergiebig ist dabei ein Rückgriff auf die Grundrechtsfunktionen: Das klassische Verständnis der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat begreift folgerichtig auch den Verzicht auf Grundrechtspositionen als einen Akt der Freiheitsausübung,271 während ein betont objektivrechtliches Grundrechtsverständnis, das dem Einzelnen die Dispositionsbefugnis über den Grundrechtsschutz entzieht, zur ausnahmslosen Unwirksamkeit eines Grundrechtsverzichts gelangt.272 Offenbar scheint auch in dem soeben erwähnten Urteil des BAG die objektiv-rechtliche Funktion der Arbeitsplatzwahlfreiheit im Vordergrund zu stehen. Sowohl im Schrifttum273 als auch in der Rechtsprechung hat sich inzwischen eine vermittelnde Auffassung durchgesetzt, die zwischen den einzelnen Grundrechten und ihren Bedeutungsgehalten unterscheidet und innerhalb bestimmter Grenzen einen Grundrechtsverzicht für zulässig erachtet. So erkennt das BVerfG etwa einen zeitlich und sachlich limitierten Verzicht für das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG,274 des Fernmeldegeheimnisses, Art. 10 Abs. 1 GG,275 sowie des ___________ 269

Kritisch zur Terminologie Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527, 530 ff.; Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 29 ff.; Starck in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 301; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 887 f. 270 Zu den nachfolgenden und weiteren Beispielen Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 134; Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527, 542 ff. 271 T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 130 ff. Diese Begründung findet sich ebenso bereits deutlich bei Dürig, AöR 81 (1956), 117, 152, der gleichwohl aber auch objektivrechtliche Grundrechtsfunktionen anerkennt. 272 So in der Tat Bussfeld, DÖV 1976, 765, 771; Sturm, in: FS Geiger, S. 173, 192 ff. 273 Aus dem Schrifttum Amelung, Einwilligung, S. 33 ff.; Bleckmann, JZ 1988, 57, 58 ff.; Dieterich, in: ErfKomm, Einleitung GG Rdnr. 63 ff.; Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527, 542 ff.; Robbers, JuS 1985, 925, 926 ff.; Sachs, VerwArch. 76 (1985), 398, 419; Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 75 ff.; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 908 ff. 274 BVerfG vom 15.12.1983, BVerfGE 65, 1, 43. 275 BVerfG vom 25.03.1992, BVerfGE 85, 386, 398.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Rechts am gesprochenen Wort als Teilaspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts276 an. Gleiches gilt für die mit einer Einwirkung auf die körperliche Integrität verbundene ärztliche Heilbehandlung, sofern der Patient darin wirksam einwilligt.277 Im Kontext des Art. 12 Abs. 1 GG beschäftigten BAG und Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit vor allem vertragliche Kündigungsbeschränkungen zulasten des Arbeitnehmers, die beide unter einschränkenden Voraussetzungen für zulässig erachteten.278 Keine Entscheidung brauchte das BAG bislang zur Reichweite eines Verzichts auf den durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechtsschutz infolge eines Beitritts des Arbeitgebers zu einem Arbeitgeberverband und der damit verbundenen Unterwerfung unter die Normen des einschlägigen Tarifvertrags zu treffen. 279 Ein Verzicht auf das durch Art. 6 Abs. 1 GG garantierte Recht zur Eheschließung soll aber ebenso wenig zulässig sein280 wie nach der Rechtsprechung des BGH eine das Grundrecht der Freizügigkeit, Art. 11 Abs. 1 GG, dauerhaft beschränkende Klausel in einer Scheidungsvereinbarung.281 Damit erkennt die Rechtsprechung eine individuelle Verfügungsmacht über Grundrechtspositionen an, soweit das Grundrecht als solches nicht aus höherwertigen Interessen unverfügbar ist oder dem Grundrechtsverzicht andere Verfassungsrechtsgüter entgegenstehen.282 Die Grundlage des Grundrechtsverzichts bildet dabei die Grundrechtsordnung selbst, namentlich das von Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht.283 Ein Verzicht ist deshalb vor allem bei denjenigen Grundrechten anzuerkennen, die personale Rechtsgüter schützen und damit die persönliche und die physische Existenz des Menschen gewähr___________ 276

BVerfG vom 09.10.2002, BVerfGE 106, 28, 44 f. BVerfG vom 25.07.1979, BVerfGE 52, 131, 168. 278 BVerwG vom 27. 06.1968, BVerwGE 30, 65, 69 ff. Das BAG prüft diese aber nicht unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsverzichts, sondern der Grundrechtsausübung, vgl. dazu grundlegend BAG vom 29.06.1962, AP Nr. 25 zu Art. 12 GG Bl. 5 ff. 279 Ausdrücklich offen lassend BAG vom 28.06.2001, AP Nr. 24 zu § 611 BGB Arbeitszeit Bl. 8R f.; BAG vom 27.02.2002, AP Nr. 36 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk Bl. 6R; BAG vom 14.01.2004, AP Nr. 11 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seniorität Bl. 6. 280 Vgl. dazu die Rechtsprechung zu den Zölibatsklauseln, BAG vom 10.05.1957, AP Nr. 2 zu Art. 6 Abs. 1 GG Ehe und Familie Bl. 3 ff. sowie BVerwG vom 22.02.1962, BVerwGE 14, 21, 27 ff. 281 BGH vom 26.04.1972, NJW 1972, 1414 f. 282 Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 901. 283 Bleckmann, JZ 1988, 57, 58; Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 88; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 907. Allein auf Art. 1 Abs. 1 GG bezieht sich Dürig, AöR 81 (1956), 117, 152. Auf die allgemeine Handlungsfreiheit stützen sich Amelung, Einwilligung, S. 29 sowie T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 135, ebenso offenbar auch das BVerfG, vgl. dazu die beiden Entscheidungen des BVerfG vom 25.07.1979, BVerfGE 52, 131, 168 sowie vom 09.10.2002, BVerfGE 106, 28, 44. Robbers, JuS 1985, 925, 927 sieht die Befugnis zum Grundrechtsverzicht in dem jeweiligen Grundrecht verankert. 277

§ 13 Kontrolle der Regelungsvorschläge

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leisten sowie diejenigen Bereiche und Güter, mittels derer der Mensch Persönlichkeit und persönliches Umfeld gestaltet.284 Auch die von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Arbeitsplatzwahlfreiheit gehört dazu. Somit stehen dem Grunde nach einem Verzicht des Arbeitnehmers auf den durch die Arbeitsplatzwahlfreiheit gewährleisteten Mindestkündigungsschutz keine Hindernisse entgegen.285 Dass dieser Verzicht nicht gegenüber einem Hoheitsträger erfolgt, spielt keine Rolle.286 Zumindest wirkt die zwischen den Arbeitsvertragsparteien geschlossene Vereinbarung gegen einen Hoheitsträger,287 weil sie dem zuständigen Arbeitsgericht kraft gesetzlicher Ermächtigung eine Überprüfung der Kündigung und damit ein Tätigwerden zur Erfüllung der aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleiteten Schutzpflicht versperrt. Die Erklärung des Arbeitnehmers stellt sich damit auch nicht lediglich als Ausübung der Berufsfreiheit dar, wie dies etwa bei Abschluss eines Arbeitsvertrages der Fall ist, sondern weist mit dem ausdrücklich erklärten Verzicht auf einen Teilbereich des von Art. 12 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutzes eine darüber hinausgehende Dimension auf. Grenzen setzt dem Grundrechtsverzicht zunächst die Grundrechtsordnung selbst.288 Die wichtigste markiert dabei dasjenige Grundrecht, über dessen Schutz der Einzelne Dispositionen trifft.289 Dient dieses etwa mit einer Verbürgung politischer, staatsbürgerlicher oder gesellschaftlicher Mitwirkung auch wesentlich dem Schutz von Gemeinschaftsinteressen, muss eine individuelle Verfügung gegenüber den insoweit vorrangigen Gemeinschaftsinteressen zu___________ 284

Dreier, in: ders., GG, Vorb. Rdnr. 132; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 137; Robbers, JuS 1985, 925, 927; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 911. 285 Für eine Verzichtbarkeit auf den Grundrechtsschutz aus Art. 12 Abs. 1 GG pauschal auch Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 182; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 911. 286 Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 50. Offensichtlich geht auch Thüsing von der Möglichkeit eines zwischen Privatpersonen vereinbarten Grundrechtsverzichts aus, vgl. dazu Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 565 ff; ebenso Singer, in: GS Jeand’heur, S. 171 ff. 287 Insoweit erkennt auch Ruffert einen nicht gegenüber einem Hoheitsträger erklärten Grundrechtsverzicht an, behandelt im Übrigen aber privatautonome Verfügungen über den Grundrechtsschutz im Bereich des Privatrechts nicht als Grundrechtsverzicht, sondern als Grundrechtsausübung, Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 245. 288 Amelung, Einwilligung, S. 31; Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527, 535 f.; Robbers, JuS 1985, 925, 929 f.; Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 89 f.; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 907 f. Anders offenbar T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 137, nach dessen Auffassung der Einzelne im Grundsatz frei über die Reichweite des Grundrechtsverzichts entscheiden können soll. An anderer Stelle zeigt er aber, wenn auch in sehr begrenztem Umfang, Schranken der Dispositionsfreiheit auf, und zwar im Anwendungsbereich grundrechtlicher Schutzpflichten, S. 147, sowie bei einer erheblichen Beeinträchtigung der Belange Dritter oder der Allgemeinheit, S. 158 ff. 289 Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527, 536 f., 544 ff.; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 911.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

rückstehen.290 Ebenso wenig ist eine Einwilligung in die Beeinträchtigung der Menschenwürde möglich.291 Gleiches gilt damit für den in den Einzelgrundrechten enthaltenen Menschenwürdekern.292 Andererseits folgt aus der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts als direkte Konsequenz des auch in der Menschenwürdegarantie verankerten Persönlichkeitsschutzes, dass der Einzelne ein gegenüber staatlichen Eingriffsbefugnissen weiteres Maß an Dispositionsfreiheit in Anspruch nehmen kann.293 Grenzen sind dieser Freiheit erst dann gesetzt, wenn durch den Verzicht auf das Einzelgrundrecht die dort zum Ausdruck kommende Personenhaftigkeit und der Eigenwert des Menschen in seiner allgemeinen Bedeutung als höchster Verfassungswert bedroht sind.294 Eine weitere grundrechtliche Binnengrenze bildet die in Art. 19 Abs. 2 GG verankerte Wesensgehaltsgarantie.295 Ebenso wie der Menschenwürdekern ist auch der Wesensgehalt eines Grundrechts, der vom Interesse der Gemeinschaft an Existenz und Fortbestand der Grundrechte geprägt ist, keiner Abwägung zugänglich, da es keine ihm gegenüber höherrangigen Güter gibt. 296 Zur abschließenden Feststellung der Grenzen des Grundrechtsverzichts ist schließlich eine Abwägungsentscheidung zu treffen, um mögliche Kollisionen mit öffentlichen Interessen, anderen Grundrechten und Verfassungsprinzipien auszugleichen.297 Die individuelle Dispositionsfreiheit über Grundrechtspositionen hat dabei anderen Rechtsgütern nur dann zu weichen, wenn der Grundrechtsverzicht höher zu bewertende Rechtsgüter verletzt.298 Dies ist bei Grund___________ 290

Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 924. Dieterich, in: ErfKomm, Einleitung GG Rdnr. 66; Dreier, in: ders., GG, Vorb. Rdnr. 131; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 137; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 923. Ausführlich Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 91 ff. Zurückhaltend T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 148 ff. 292 Dieterich, in: ErfKomm, Einleitung GG Rdnr. 66; Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527, 540 f.; Robbers, JuS 1985, 925, 929; Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 114 ff.; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 924. 293 Dieterich, in: ErfKomm, Einleitung GG Rdnr. 66; Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527, 540; Robbers, JuS 1985, 925, 929; Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 115; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 924. 294 Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 115. 295 Amelung, Einwilligung, S. 54; Bleckmann, JZ 1988, 57, 59; Dieterich, in: ErfKomm, Einleitung GG Rdnr. 66; Pietzcker, Der Staat 17 (1978), 527, 536 f.; Robbers, JuS 1985, 925, 929; Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 132 f.; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 924. 296 Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 131. 297 BVerwG vom 22.02.1962, BVerwGE 14, 21, 28; Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 174 f.; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 923. In diese Richtung sind auch die Ansätze Amelungs, Bleckmanns und Robbers zu verstehen, nach deren Auffassung das Verhältnismäßigkeitsprinzip den Grundrechtsverzicht begrenzt, vgl. dazu Amelung, Einwilligung, S. 62 f.; Bleckmann, JZ 1988, 57, 60, 62; Robbers, JuS 1985, 925, 930. 298 Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 926. 291

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rechten mit einem überwiegend personalen Bezug nur ausnahmsweise der Fall, dagegen bei Grundrechten mit überwiegend gemeinschaftsbezogenem Inhalt die Regel.299 Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen bewegt sich auch der vorliegend zu beurteilende Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz innerhalb der dem Grundrechtsverzicht gezogenen Grenzen. Wirkt dieser sich allein in dem zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Arbeitsverhältnis aus, sind weder entgegenstehende öffentliche Interessen noch eine Kollision mit anderen Verfassungsprinzipien ersichtlich. Verzichtsbeschränkende Wirkungen können deshalb nur von den Binnenschranken der Arbeitsplatzwahlfreiheit ausgehen, doch berührt der Verzicht weder deren Menschenwürdekern noch deren Wesensgehalt. Die Rechtsfolgen des Verzichts betreffen nur einen Ausschnitt der Arbeitsplatzwahlfreiheit, das Interesse des Arbeitnehmers, den Arbeitsplatz nicht ohne seinen Willen zu verlieren. Deren wesentlicher Inhalt, der Schutz der Entscheidungsfreiheit für eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit oder ein bestimmtes Arbeitsverhältnis einschließlich der Wahl des Vertragspartners samt den dazu notwendigen Voraussetzungen,300 bleibt unberührt. Zudem ist der Verzicht sachlich und zeitlich begrenzt, seine Auswirkungen erstrecken sich auf das konkret zwischen den Arbeitsvertragsparteien bestehende Arbeitsverhältnis. Gleichwohl ist zu beachten, dass der Verzicht das Grundrecht der Arbeitsplatzwahlfreiheit nicht in dessen abwehrrechtlichen Funktion betrifft, sondern in seiner objektivrechtlichen Ausprägung als staatliche Schutzpflicht. Verzichtet der Arbeitnehmer auf den grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutz, stellt er sich zumindest ein Stück außerhalb der grundrechtlichen Wertordnung. Doch weist die objektive Wertordnung des Grundgesetzes gerade dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen mit seiner Anbindung an Art. 2 Abs. 1 GG und der Menschenwürdegarantie einen hohen Rang zu.301 Ein Grundrechtsverzicht ist daher erst dann unzulässig, wenn dieser durch seine Außenwirkung geeignet ist, dem betroffenen Grundrecht als verbindliche Wertentscheidung seine Verbindlichkeit zu nehmen.302 Davon kann in Anbetracht der begrenzten Auswirkungen und des verbleibenden Schutzes hier keine Rede sein.

___________ 299

Robbers, JuS 1985, 925, 927 f.; Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 177 ff.; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 926. 300 Zum Gewährleistungsinhalt der Arbeitsplatzwahlfreiheit vgl. oben unter § 12 A I 1 a), S. 434 ff. 301 Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 212. 302 Spieß, Grundrechtsverzicht, S. 213.

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

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2. Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage – Verzicht auf den Justizgewähranspruch? Unter Anwendung der soeben dargelegten Grundsätze lässt sich auch die Frage nach einem Verzicht auf den Justizgewähranspruch beantworten. Im Gegensatz zur Arbeitsplatzwahlfreiheit weist der Justizgewähranspruch weniger einen personalen als vielmehr einen Gemeinschaftsbezug auf, liegt ein wirksamer Zivilrechtsschutz doch im Interesse der Allgemeinheit und verwirklicht dabei ein wesentliches rechtsstaatliches Postulat. Damit steht aber nicht bereits die Unverzichtbarkeit der Rechtsschutzgarantie fest. Zwar muss aufgrund des Gemeinschaftsbezugs ein Verzicht auf das objektiv-rechtliche Gebot umfassenden Privatrechtsschutzes ausscheiden,303 davon zu unterscheiden ist jedoch der Justizgewähranspruch, der aufgrund seiner Verbindung mit den Einzelgrundrechten eine subjektiv-rechtliche Qualität aufweist.304 Aufgrund dieser grundrechtlichen Verankerung orientiert sich auch die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsschutzverzichts an der gerichtlich durchzusetzenden Grundrechtsposition. Ein solchermaßen punktueller Verzicht auf Gerichtsschutz ist damit grundsätzlich zulässig.305 Deshalb begegnet auch ein nach Ausspruch der Kündigung vereinbarter Klageverzicht keinen Bedenken306. Steht es im Ermessen des Arbeitnehmers, nach Ausspruch der Kündigung diese mit einer Kündigungsschutzklage anzugreifen, so muss er auch auf sein entstandenes Klagerecht mit der Wirkung verzichten können, dass dieses erlischt.307 Das öffentliche Interesse an einem wirksamen Zivilrechtsschutz ist dabei ebenso wenig wie bei einer Nichtausübung von Rechtsschutzmöglichkeiten gestört. Gleiches gilt aber auch für einen vor Ausspruch der Kündigung vereinbarten Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Insofern bestehen keine Unterschiede zu dem Verzicht auf den grundrechtlich gebotenen Mindestkündigungsschutz. ___________ 303

Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 159. Vgl. dazu oben unter § 13 G II 2 a), S. 523. 305 Für die Zulässigkeit eines Verzichts auf Gerichtsschutz etwa Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 925. Ebenso Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 161 ff., für einen Verzicht auf materielle oder prozessuale Rechtspositionen. Im Kontext des Art. 19 Abs. 4 GG für die Zulässigkeit eines sachlich begrenzten Verzichts auf Rechtsmittel auch BVerfG vom 17.03.1959, BVerfG 9, 194, 199 f.; BVerwG vom 20.01.1967, BVerwGE 26, 50, 51; BGH vom 11.12.1980, BGHZ 79, 131, 135. 306 BAG vom 06.04.1977, AP Nr. 4 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2; BAG vom 29.06.1978, AP Nr. 5 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 1R; BAG vom 03.05.1979, AP Nr. 6 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2; BAG vom 20.06.1985, AP Nr. 33 zu § 112 BetrVG 1972 Bl. 2; Ascheid, in: APS, § 4 KSchG Rdnr. 123; Fiebig, in: HaKo-KSchG, § 1 Rdnr. 14; Friedrich, in: KR, § 4 KSchG Rdnr. 297; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung, Rdnr. 1254. 307 BAG vom 06.04.1977, AP Nr. 4 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2; BAG vom 03.05.1979, AP Nr. 6 zu § 4 KSchG 1969 Bl. 2. 304

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3. Anforderungen an die Verzichtserklärung – von der Freiwilligkeit zum Erfordernis der materiellen Vertragsparität Damit der Arbeitnehmer frei über den in der Arbeitsplatzwahlfreiheit verbürgten Kündigungsschutz und seinen Justizgewähranspruch disponieren kann, bedarf es jedoch einer wirksamen und unbeeinflussten Verzichtserklärung. Verliert der Grundrechtsträger mit dem Verzicht den durch das Grundrecht verbürgten Schutz, so sind an die Wirksamkeit der Verzichtserklärung hohe Anforderungen zu stellen.308 Wichtigste Voraussetzung dafür ist die Freiwilligkeit des Verzichts.309 Diese ist immer dann erfüllt, wenn nicht eine den Willen zur Abgabe einer Verzichtserklärung beeinträchtigende Einwirkung auf den Verzichtenden festzustellen ist.310 Das Ausnutzen einer Zwangslage, eine Täuschung, Drohung oder Erschleichung nehmen dem Verzicht die Freiwilligkeit.311 Von einer freiwilligen Einwilligung kann auch dann nicht mehr gesprochen werden, wenn die Nichtabgabe der Zustimmungserklärung für den Verlust der Gegenleistung hinaus einen weiteren Nachteil zur Folge hat.312 Diese für die einseitige, gegenüber einem Hoheitsträger abgegebene Verzichtserklärung entwickelten Grundsätze werden jedoch der vorliegend zu begutachtenden Konstellation nicht in vollem Umfang gerecht. Ist die Verzichtserklärung Bestandteil einer vertraglichen Vereinbarung und zeigt sich so als Ausfluss der grundrechtlich gewährleisteten Privatautonomie in der Gestalt der Vertragsfreiheit,313 ergeben sich die für diese Erklärung maßgeblichen Anforderungen zuerst aus dem Gewährleistungsumfang der Privatautonomie selbst. Zwar ist diese nicht imstande, den Grundrechtsverzicht inhaltlich zu begren___________ 308

Dreier, in: ders., GG, Vorb. Rdnr. 131; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 913. Amelung, Einwilligung, S. 79; Dieterich, in: ErfKomm, Einleitung GG Rdnr. 65; Dreier, in: ders., GG, Vorb. Rdnr. 131; T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 131, 141; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 136; Robbers, JuS 1985, 925, 926; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 300; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 913. 310 Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 914. 311 Amelung, Einwilligung, S. 79; Dieterich, in: ErfKomm, Einleitung GG Rdnr. 65; Dreier, in: ders., GG, Vorb. Rdnr. 131; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 136, 139; Stern, in: ders., Staatrecht III/2, S. 914. 312 T. Koch, Grundrechtsschutz, S. 142. 313 Grundsätzlich ist diese in Art. 2 Abs. 1 GG verwurzelt, vgl. BVerfG vom 12.12.1958, BVerfGE 8, 274, 328; BVerfG vom 13.05.1986, BVerfGE 72, 155, 170; BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214, 231; BVerfG vom 06.02.2001, BVerfGE 103, 89, 100; BVerfG vom 26.07.2005, NJW 2005, 2376, 2377; Dieterich, RdA 1995, 129, 130; Hillgruber, AcP 191 (1991), 69, 75; Junker, NZA 1997, 1305, 1306; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 69; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 41, 61; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 54; Preis, Vertragsgestaltung, S. 38; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 291 ff., 301 ff.; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 25. 309

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

zen,314 wohl aber bestimmt sie die Voraussetzungen für eine freie und unbeeinflusste Verzichtserklärung des Arbeitnehmers. Die in diesem Kontext von Art. 12 Abs. 1 GG spezialgesetzlich gewährleistete Privatautonomie315 akzeptiert nicht schon jede rechtsgeschäftliche Betätigung im Sinne eines formalen Freiheitsverständnisses ohne Rücksicht auf den Vertragsinhalt und den Umständen seines Zustandekommens.316 Vielmehr umfasst der Schutz der Privatautonomie auch die materielle Freiheit, unabhängig von tatsächlichen Hindernissen eine rechtsgeschäftliche Bindung eingehen zu können.317 Ganz wesentlich hat dieses materielle Verständnis der Privatautonomie das BVerfG mit einer Serie von Entscheidungen geprägt, in denen die Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus versagte und ein allein formales Verständnis an die Grenzen der Grundrechtsordnung stieß, angefangen mit dem „Handelsvertreter-“318 sowie dem „Bürgschafts-Beschluss “319 aus den Jahren 1990 und 1993, über das „Ehevertrags-Urteil“ vom 06.02.2001320 bis hin zu den „Lebensversicherungs-Beschlüssen“321. Die Privatautonomie, so das Gericht, beruhe auf dem Prinzip der Selbstbestimmung und setze damit voraus, dass die Bedingungen freier Selbstbestimmung auch tatsächlich gegeben sind.322 Habe indes einer der Vertragspartner ein so starkes Übergewicht, dass er vertragliche ___________ 314

Vgl. zu den Grenzen des Grundrechtsverzichts oben unter § 13 G III 1 b), S. 531 ff. 315 Rechtsgeschäftliche Betätigungen zur inhaltlichen Gestaltung von arbeitsrechtlichen Verhältnissen sind dem insoweit spezielleren Gewährleistungsgehalt der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, zuzuordnen, vgl. dazu BVerfG vom 29.12.2004, NZA 2005, 153, 155; BAG vom 16.03.1994, AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Bl. 4R; Junker, NZA 1997, 1305, 1306; Preis, Vertragsgestaltung, S. 38; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 297 f.; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 12 Rdnr. 153. Auf Art. 2 Abs. 1 GG stützt sich dagegen Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 12 Abs. 1 Rdnr. 69. Vgl. ebenfalls bereits oben unter § 12 A II 1, S. 440 f. 316 Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 563. 317 Für ein materielles Verständnis der Vertragsfreiheit, wenn auch in den dogmatischen Grundlagen und der Reichweite im Einzelnen unterschiedlich, etwa Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 49; ders., AcP 200 (2000), 273, 276 ff.; Dieterich, RdA 1995, 129, 130 ff.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 36 ff.; ders., RdA 1997, 65, 67 ff.; Hillgruber, AcP 191 (1991), 69, 75 ff.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 298 ff.; Junker, NZA 1997, 1305, 1307 ff.; Medicus, AcP 192 (1992), 35, 62; Preis, Vertragsgestaltung, S. 237 ff.; Preis/Rolfs, DB 1994, 261, 264 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 326 ff.; Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 563; Wiedemann, JZ 1994, 412; Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 24 ff. Sehr eingeschränkt und ein formales Verständnis favorisierend: Adomeit, NJW 1994, 2467 ff. 318 BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 82, 242 ff. 319 BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214 ff. 320 BVerfG vom 06.02.2001, BVerfGE 103, 89 ff. 321 BVerfG vom 26.07.2005, NJW 2005, 2363 ff. sowie NJW 2005, 2376 ff. 322 BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 254 f.; BVerfG vom 06.02.2001, BVerfGE 103, 89, 100; BVerfG vom 26.07.2005, NJW 2005, 2376, 2377 f.

§ 13 Kontrolle der Regelungsvorschläge

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Regelungen faktisch einseitig setzen kann, bewirke dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung.323 Fehle es an einem annähernden Kräftegleichgewicht und verfüge der unterlegene Vertragsteil dabei über grundrechtlich verbürgte Positionen oder erweisen sich die Folgen des Vertrages für diesen als ungewöhnlich belastend, müssten staatliche Regelungen eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern.324 Gleiches gelte dann, wenn die Schwäche eines Vertragspartners durch gesetzliche Regelungen bedingt sei.325 Zwar dürfe ein Vertrag schon aus Gründen der Rechtssicherheit nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden.326 Lasse sich aber bei typisierter Betrachtung eine strukturelle Unterlegenheit eines Vertragsteils erkennen, obliege dem Staat eine Schutzpflicht, der Vertragsautonomie in diesem materiell verstandenen Sinne zum Durchbruch zu verhelfen.327 Der an Gesetzgeber und Gerichtsbarkeit gerichtete Auftrag zur Gewährleistung materieller Privatautonomie ist folglich mithilfe der Schutzpflichtendogmatik, insbesondere dem Untermaßverbot näher zu konturieren.328 Geboten ist damit kein optimaler, sondern lediglich ein Mindestmaß an Schutz des unterlegenen Vertragsteils, der dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum zur eigenständigen Konfliktschlichtung einräumt. Dieses Eingreifen führt dann nicht zu einer Beschränkung der Vertragsfreiheit des unterlegenen Vertragspartners, sondern entfaltet diese gerade;329 Gesetzgeber und Rechtsprechung sind verpflichtet, die formale Vertragsfreiheit um der materiellen Vertragsfreiheit willen einzuschränken, auch gegen den Willen dessen, der sie innehat.330 4. Vertraglicher Vorausverzicht bei Abschluss des Arbeitsvertrages Schließt ein Arbeitnehmer mit einem Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag und vereinbart zugleich einen Verzicht auf Kündigungsschutz gegen Abfindungszahlung, liegt eine Gefährdung der materiellen Privatautonomie als Voraussetzung für das Eingreifen einer staatlichen Schutzpflicht auf der Hand. Typi___________ 323

BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 255; BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214, 232; BVerfG vom 26.07.2005, NJW 2005, 2376, 2378. 324 BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 255; BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214, 232; BVerfG vom 06.02.2001, BVerfGE 103, 89, 100. 325 BVerfG vom 26.07.2005, NJW 2005, 2376, 2378. 326 BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214, 232. 327 BVerfG vom 07.02.1990, BVerfGE 81, 242, 255 f.; BVerfG vom 19.10.1993, BVerfGE 89, 214, 232; BVerfG vom 26.07.2005, NJW 2005, 2376, 2378. 328 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 49; Hillgruber, AcP 191 (1991), 69, 75 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 342 ff.; Singer, JZ 1995, 1133, 1138 ff. 329 Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 564. 330 Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 567.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

scherweise befindet sich der Arbeitnehmer gerade bei Abschluss eines Arbeitsvertrags in einer Situation struktureller Unterlegenheit.331 Weiten Teilen des Arbeitsrechts liegt diese Einschätzung zugrunde.332 Ausdruck dafür ist etwa die zwingende Wirkung des geltenden gesetzlichen Kündigungsschutzes,333 die auf der Überlegung beruht, dass der Arbeitnehmer regelmäßig nicht in der Lage ist, seine Bestandsinteressen im Rahmen der Vertragsverhandlungen selbst zu realisieren.334 Wesentliche Ursache hierfür ist das regelmäßig existenzielle Angewiesensein des Arbeitnehmers auf den Arbeitsplatz, wobei ihm der Arbeitsmarkt kaum praktische Ausweichmöglichkeiten bietet.335 Selbst Verträge, die individuell formuliert abgeschlossen werden, sind selten das Ergebnis paritätischer Vertragsverhandlungen.336 Insoweit versagt jedenfalls bei Abschluss des Arbeitsvertrages das mit der Privatautonomie verkörperte Ordnungsmodell der Selbstregulierung337 nicht nur bezüglich einzelner Vertragsbestandteile, sondern generell.338 Selbst unter Berücksichtigung des von Ruffert und Zöllner befürworteten engeren Verständnisses des Gewährleistungsumfangs der Privatautonomie ist ein staatliches Eingreifen geboten: Ruffert erkennt eine Schutzpflicht nur unter der Voraussetzung an, dass die typisiert-strukturelle Ungleichheit der unterlegenen Vertragspartei in konkrete Unfreiheit umschlägt.339 Zöllner seinerseits ___________ 331

BVerfG vom 26.06.1991, BVerfGE 84, 212, 229; BVerfG vom 28.01.1992, BVerfGE 85, 191, 213; BVerfG vom 04.07.1995, BVerfGE 92, 365, 395; BVerfG vom 29.12.2004, NZA 2005, 153, 155; BAG vom 16.03.1994, AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Bl. 5R; BAG vom 21.11.2001, AP Nr. 31 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe Bl. 3R; Dieterich, RdA 1995, 129, 135; Dorndorf, BB 2000, 1938, 1939; Fastrich, RdA 1997, 65, 75; Gneiting, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 106, 110; Preis, RdA 2003, 65, 71; Versteyl, Obergrenze, S. 89 f. 332 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 185. 333 Vgl. dazu oben unter § 13 G I, S. 519 f. 334 Fastrich, RdA 1997, 65, 75. 335 Dieterich, RdA 1995, 129, 135; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 187; ders., RdA 1997, 65, 75, 77; aA Preis, Vertragsgestaltung, S. 286 f. mit dem wenig überzeugenden, weil den personalen Gehalt des Grundrechts der Arbeitsplatzwahlfreiheit außer acht lassenden Hinweis auf die sozialen Sicherungssysteme, die einen existenzsichernden Minimalstandard gewährleisteten. Dem folgend Bengelsdorf, BB 1995, 978, 983 und Versteyl, Obergrenze, S. 71 f. 336 Dieterich, RdA 1995, 129, 135. 337 Zur Ordnungsfunktion der Privatautonomie Fastrich, RdA 1997, 65, 68. 338 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 184, 186; ders., RdA 1997, 65, 77. 339 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 341. Vergleichbar Zöllner, der auf die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit abstellen will, Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 28. Für ein engeres Verständnis auch Wellenhofer-Klein, ZIP 1997, 774, 775, die eine Schutzpflicht bei allenfalls „existenzieller Abhängigkeit“ einer Vertragspartei von der anderen anerkennen will. Allerdings wird sich eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit kaum leichter feststellen lassen als eine Störung der Vertragsparität, Fastrich, RdA 1997, 65, 75. Zur Kritik an einer Anknüpfung an das Merkmal der „strukturellen

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sieht die Entscheidungsfreiheit immer dann beeinträchtigt, wenn ein Vertragspartner bei Vertragsschluss einem Druck ausgesetzt ist, der bei einem Verzicht auf die Vertragsleistungen seine wirtschaftliche oder persönliche Existenz entscheidend berührt.340 Der Einzelne sei dann kraft verfassungsrechtlichen Auftrags davor zu schützen, dass ein anderer ihm die Freiheit zur Entscheidung für oder gegen ein Rechtsgeschäft und dessen Inhalt nimmt, ihn fremdbestimmt und zwingt.341 Die Tatsache der existenziellen Bedeutung des Arbeitsplatzes für den Arbeitnehmer begründet auch unter Berücksichtigung dieser einschränkenden Ansätze eine Schutzpflicht des Gesetzgebers zugunsten der Privatautonomie des Arbeitnehmers bei Abschluss des Arbeitsvertrages. Dessen Verhandlungsposition ist dabei gerade bei denjenigen Vertragsklauseln besonders geschwächt, die nur für den Fall gescheiterter oder beendeter Vertragsbeziehungen gelten sollen.342 Jedes Verhandeln in diesem Bereich zieht die Absicht des Arbeitnehmers, ein Arbeitsverhältnis auf Dauer und zur beiderseitigen Zufriedenheit realisieren zu wollen, in Zweifel.343 Eine Möglichkeit, auf den Inhalt des Arbeitsvertrages derart Einfluss zu nehmen, dass dieser sich tatsächlich frei zwischen den beiden Alternativen Kündigungsschutz und Verzichtsvereinbarung entscheiden könnte, besteht nicht. Kein Arbeitnehmer, insbesondere kein älterer oder ein Langzeitarbeitsloser kann es sich leisten, einen entsprechend gestalteten Arbeitsvertrag nicht zu unterschreiben,344 das Wahlrecht bleibt faktisch allein dem Arbeitgeber vorbehalten.345 Die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers erweist sich in diesem Punkt als lediglich formale Freiheit, materiell sieht sich der Arbeitnehmer der dominierenden Fremdbestimmung des Arbeitgebers ausgesetzt. Dieser akuten Gefährdung der Privatautonomie haben Gesetzgeber und Rechtsprechung mit einem Mindestmaß an Schutz des Arbeitnehmers zu begegnen. Dem vertragstheoretischen Ideal, wonach gleich starke und unabhängige Partner in freier Selbstbestimmung den Vertragsinhalt festlegen und der Vertrag Richtigkeitsgewähr bietet, weil jeder der Vertragspartner aus eigenem Interesse prüft, ob die vertraglich übernommenen Verpflichtungen angemessen ___________ Unterlegenheit“ zur Bestimmung einer Störung der materiell verstandenen Privatautonomie vgl. auch Adomeit, NJW 1994, 2467, 2468 f. sowie umfassend Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 24 ff. 340 Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 33, der über diesen Ansatz hinausgehend für Vertragsbedingungen, welche die Person des Arbeitnehmers betreffen, eine Angemessenheitskontrolle befürwortet, ebda., S. 34. 341 Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 341. 342 Dieterich, RdA 1995, 129, 135. 343 Dieterich, RdA 1995, 129, 135. 344 Preis, RdA 2003, 65, 71. 345 Gneiting, Ausschuss-Drs. 15(9)560, S. 106, 110.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

sind,346 ist er damit nicht verpflichtet. Ohnehin ist dieses aus den eben beschriebenen Gründen im Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien zueinander kaum zu erreichen. Lediglich in typischen Fällen struktureller Unterlegenheit des Arbeitnehmers besteht eine Pflicht des Staates, ein Mindestmaß an Schutz zu gewährleisten. Um der Privatautonomie des Arbeitnehmers zum Durchbruch zu verhelfen, hält das geltende Zivilrecht bereits eine breite Palette von Schutzinstrumenten bereit, deren Aufgabe es ist, dessen strukturelle Unterlegenheit abzumildern und Ungleichgewichtslagen zu kompensieren. Auf dem Gebiet des Arbeitsrechts zählen dazu vor allem die kollektivrechtlichen Regelungen wie Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, welche in bestimmten Bereichen die privatautonomen Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien ersetzen. Darüber hinaus geschieht dies besonders augenfällig mithilfe des Anfechtungsrechts wegen arglistiger Täuschung oder Drohung, aber auch der Tatbestände der Sittenwidrigkeit und des Wuchers.347 Für einen noch umfassenderen Schutz sorgt die seit dem 01.01.2002 geltende Einbeziehung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen in die AGB-Kontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB, wobei das BAG den Arbeitsvertrag sogar als Verbrauchervertrag qualifiziert348 und damit zu einer nach Maßgabe des § 310 Abs. 3 BGB besonders umfassenden Klauselkontrolle gelangt. Daneben prüft das Gericht am Maßstab des § 242 BGB zusätzlich das Vorliegen einer strukturellen Störung der Vertragsparität. 349 Mithin lässt sich ein breit angelegtes Schutzkonzept des Gesetzgebers konstatieren. Gleichwohl ist der durch diese Vorschriften bewirkte Schutz des Arbeitnehmers bei Abschluss des Arbeitsvertrages lückenhaft. Unterschreibt der Arbeitnehmer den Verzicht auf Kündigungsschutz, so kommt im Normalfall weder eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung in Betracht, noch ist dieser wegen Sittenwidrigkeit oder Wuchers nichtig. Auch eine AGB-Kontrolle übersteht die Klausel unbeschadet, weil sich der Arbeitgeber auf eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage stützen und der Verzicht den Arbeitnehmer damit nicht unangemessen benachteiligen kann, § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.350 Gleiches gilt für die Billigkeitskontrolle, steht be___________ 346

So pointiert Singer, JZ 1995, 1133, 1137 in Anlehnung an Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 149 ff., 156 f. Ausführlich mit der Theorie der Richtigkeitsgewähr und deren Versagen setzt sich etwa Fastrich auseinander, vgl. dazu Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 51 ff. 347 Hillgruber, AcP 191 (1991), 69, 75; Ruffert, Vorrang der Verfassung, S. 342. 348 BAG vom 25.05.2005, AP Nr. 1 zu § 310 BGB Bl. 6. Zur Verbrauchereigenschaft des Arbeitnehmers vgl. auch oben unter § 8 E, S. 347. 349 BAG vom 25.05.2005, AP Nr. 1 zu § 310 BGB Bl. 7 f. 350 Deshalb ist auch zumindest in diesem Zusammenhang der von Versteyl, Obergrenze, S. 70 ff., vorgeschlagene Weg, zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht in dispositives Recht umzuwandeln und die auf dieser Grundlage getroffenen vertraglichen Vereinbarungen der AGB-Kontrolle der §§ 305 ff. BGB zu unterwerfen, nicht gangbar.

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reits die bloße Existenz einer gesetzlichen Grundlage für den Verzicht der Annahme eines strukturellen Ungleichgewichts der Arbeitsvertragsparteien entgegen. Anhaltspunkte für ein Widerrufsrecht nach § 312 Abs. 1 S. 1 BGB sind ebenfalls nicht ersichtlich, sofern man den Arbeitsvertrag überhaupt als Verbrauchervertrag qualifiziert. Schließlich verbessert auch nicht die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers, bei der späteren Kündigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung zu zahlen, die Verhandlungsposition des Arbeitnehmers in einer Weise, dass dieser sich nicht mehr der Fremdbestimmung durch den Arbeitgeber ausgesetzt sieht. Ist der Arbeitgeber nicht bereit, die Abfindung zu zahlen, so nimmt er in den Arbeitsvertrag auch keine Verzichtsklausel auf, das Problem der gestörten Vertragsparität stellt sich folglich nicht. Sieht er aber in Anbetracht des alternativ geltenden gesetzlichen Kündigungsschutzes seine Interessen mit der Verzichtsvereinbarung besser gewahrt, so kann die Abfindung keine schützende Wirkung entfalten. Der Arbeitgeber wird in den Arbeitsvertrag eine Verzichtsklausel aufnehmen und der Arbeitnehmer wird diesem Arbeitsvertrag regelmäßig zustimmen, weil er nicht auf ein alternatives Arbeitsplatzangebot zurückgreifen kann und das in Aussicht gestellte Arbeitsverhältnis für ihn von existenzieller Bedeutung ist. Der Arbeitnehmer kann sich des diktierten Verzichts nicht erwehren. Die solchermaßen erwiesene Lückenhaftigkeit des gesetzlichen Schutzkonzeptes ist für sich betrachtet zwar noch kein Grund, auf die Unwirksamkeit der Verzichtsverklärung des Arbeitnehmers sowie der entsprechenden gesetzlichen Regelung, die diese erst ermöglicht, zu schließen. Unter Berücksichtigung der Vorgaben des Untermaßverbots sind Gesetzgeber und Rechtsprechung nicht verpflichtet, die Vertragsparität umfassend und optimal zu gewährleisten. Dennoch können beide, die Verzichtsvereinbarung ebenso wie die ihr zugrunde liegende gesetzliche Regelung, vor dem Maßstab des Untermaßverbots keinen Bestand haben. Die soeben nachgewiesene Lückenhaftigkeit des Arbeitnehmerschutzes beruht ganz wesentlich darauf, dass erst eine gesetzliche Grundlage dem Arbeitgeber die Vereinbarung des Verzichts auf den Kündigungsschutz ermöglicht und dabei gleichzeitig dem Arbeitnehmer die Berufung auf die Tatbestände der Sittenwidrigkeit, der unangemessenen Benachteiligung sowie des Bestehens einer strukturellen Störung der Vertragsparität abschneidet. Die in dieser Folge auftretende Schutzlücke aber ist von einem solchen Ausmaß, dass von einem angemessenen Ausgleich der gegenläufigen Interessen, der für den unterlegenen Vertragsteil ein Mindestmaß an Schutz gewährleistet, nicht länger die Rede sein kann. Angesichts der bei Abschluss des Arbeitsvertrages im Allgemeinen und der bei Vereinbarung von Beendigungsbedingungen im Besonderen strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers ist eine dispositive Ausgestaltung des gesetzlichen Kündigungsschutzes nur unter der Prämisse eines annähernden Verhandlungsgleichgewichts der Arbeitsvertragsparteien denkbar, welches dem Arbeitnehmer eine eigenverantwortliche

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Wahrnehmung seiner Bestandsinteressen erlaubt. Dazu bedarf es entweder eines alternativen effektiven Schutzmechanismus, der aber nicht existiert, oder aber der Feststellung einer Änderung der tatsächlichen Umstände, die zu einer Herstellung materieller Vertragsparität zwischen den Arbeitsvertragsparteien geführt hat. Davon ist der gegenwärtige Arbeitsmarkt weit entfernt. Die um sich greifende Massenarbeitslosigkeit hat die Verhandlungsposition des Arbeitnehmers eher geschwächt. Eindrucksvoll bestätigt diese Feststellung ein Blick über die Grenzen in die Rechtsordnungen der übrigen EU-Mitgliedstaaten, die ausnahmslos einen zwingenden gesetzlichen Kündigungsschutz vorsehen. Schließlich verbürgt auch der noch nicht in Kraft getretene Europäische Verfassungsvertrag351 in seinem Art. II-90 einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung. Ermöglicht also der Gesetzgeber den Arbeitsvertragsparteien die Vereinbarung eines Verzichts auf Kündigungsschutz gegen Abfindungszahlung, verletzt er das zugunsten des Arbeitnehmers aus der Privatautonomie, Art. 12 Abs. 1 GG, folgende Untermaßverbot. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages ist kein wirksamer Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz denkbar. Dem Gesetzgeber ist die Einführung einer entsprechenden Regelung versagt. Auch die Lösung Versteyls, welche einen Vorausverzicht bereits nach geltendem Recht für zulässig erachtet, wenn der Arbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrages entweder zwischen mehreren Arbeitsplatzangeboten oder auch nur zwischen alternativ angebotenen Bedingungen desselben Arbeitgebers, wovon eine dem gesetzlichen Mindeststandard genügt, wählen kann,352 lässt sich mit den Vorgaben des Untermaßverbots nicht vereinbaren. Auf der Hand liegt dies für die erste Fallgestaltung, dem Vorliegen eines vergleichbaren Konkurrenzangebots. Da Versteyl bei der Prüfung der Vergleichbarkeit persönliche Motive des Arbeitnehmers wie etwa dessen Familiensituation für unerheblich erachtet und sich so am Leitbild des unbegrenzt mobilen und flexiblen Arbeitnehmers orientiert,353 welches typischerweise nicht der Lebenswirklichkeit entspricht, lässt sie die Vereinbarung eines Vorausverzichts nicht nur im Ausnahme-, sondern im Regelfall zu. Bereits die Existenz eines vergleichbaren Stellenangebotes irgendwo in der Bundesrepublik eröffnete die Abweichungsbefugnis des Arbeitgebers, der noch nicht einmal den Nachweis erbringen müsste, dass der Arbeitnehmer vom Konkurrenzarbeitgeber auch tatsächlich eingestellt worden wäre. Der Unterschied zu einem voraussetzungslos vereinbarten Vorausverzicht ist insoweit allenfalls graduell, die Vertragsfreiheit des Arbeitneh___________ 351

Vertrag über eine Verfassung für Europa vom 29.10.2004, ABl. EU Nr. C 310 vom 16.12.2004, S. 1 ff. 352 Versteyl, Obergrenze, S. 115 f. 353 Versteyl, Obergrenze, S. 109 f.

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mers bei Abschluss einer solchen Vereinbarung nur eine formale, leere Hülle. Gleiches gilt für den Fall, dass der Arbeitnehmer bei Vertragsschluss zwischen gesetzlichem Kündigungsschutz und vertraglichem Vorausverzicht wählen kann. Auch hier ist die Wahlfreiheit des Arbeitnehmers zwischen zwei Arbeitsverträgen nur formal. Aufgrund des bei Vertragsschluss zulasten des Arbeitnehmers typischerweise bestehenden strukturellen Verhandlungsungleichgewichts besteht die Gefahr, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Abschluss des Verzichtsvertrages drängt. 5. Vertraglicher Verzicht während des Laufs des Arbeitsverhältnisses Völlig anders sind demgegenüber die Ausgangsbedingungen bei einem während des Laufs des Arbeitsverhältnisses und nach Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes vereinbarten Verzichts auf Kündigungsschutz. 354 Zwar ist eine solche Vereinbarung derzeit wegen des zwingenden Charakters des Kündigungsschutzrechts nicht möglich, unterliegt aber bei einer entsprechenden Änderung des Gesetzes keinen Bedenken.355 Die Situation des Arbeitnehmers ist dabei derjenigen des Abschlusses eines Aufhebungsvertrags vergleichbar.356 Zwar ist auch während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers evident, doch erreicht das zum Schutz seiner privatautonomen Willensbetätigung eingreifende Instrumentarium eine Qualität, die den Anforderungen des Untermaßverbots standhält. Den intensivsten Schutz gewährleistet dabei zunächst der gesetzliche Kündigungsschutz. Lehnt der Arbeitnehmer das Angebot zum Abschluss der Verzichtsvereinbarung ab, braucht er nicht um den Verlust seines Arbeitsplatzes zu fürchten. Zusätzlich greift auch der durch das Maßregelungsverbot, § 612a BGB, vermittelte Schutz ein. Droht der Arbeitgeber mit der sofortigen Kündigung und erklärt sich der Arbeitnehmer unter diesem Druck mit dem Verzicht einverstanden, kann er seine Erklärung unter Berücksichtigung der vom BAG zum Aufhebungsvertrag entwickelten Grundsätze immer dann nach Maßgabe des § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB anfechten, wenn ein verständiger Arbeitnehmer in seiner Lage nicht mit einer Kündigung rechnen musste.357 Dass die Arbeitsgerich___________ 354

Vgl. dazu den entsprechenden Vorschlag Preis’ oben unter § 4 A V 1, S. 116 f. Ebenso Kamanabrou, RdA 2004, 333, 340. 356 Der Aufhebungsvertrag sieht sich im Hinblick auf die Verhandlungsstärke des Arbeitnehmers keinen grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt, vgl. dazu BAG vom 30.09.1993, AP Nr. 37 zu § 123 BGB Bl. 4; BAG vom 14.02.1996, NZA 1996, 811, 812; J.-H. Bauer, NJW 1994, 980, 981; ders., Aufhebungsverträge, I Rdnr. 7; Bengelsdorf, BB 1995, 978, 979 ff.; Ehrich, NZA 1994, 438, 440; Junker, NZA 1997, 1305, 1310 f.; Weber/Ehrich/Burmester, Aufhebungsverträge, Teil I Rdnr. 4; aA Zwanziger, DB 1994, 982, 983 f. 357 BAG vom 20.11.1969, AP Nr. 16 zu § 123 BGB Bl. 2 f.; BAG vom 30.09.1993, AP Nr. 37 zu § 123 BGB Bl. 2; BAG vom 27.11.2003, AP Nr. 1 zu § 312 BGB Bl. 2R. 355

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te im Einzelfall nicht immer zu einem Ergebnis gelangen mögen, das dem Erfordernis nach einem Verhandlungsgleichgewicht Rechnung trägt,358 spielt dabei keine Rolle. Zwar kann sich der Arbeitnehmer nicht auf das Rücktrittsrecht des § 312 Abs. 1 S. 1 BGB berufen,359 doch können in bestimmten Fällen tarifvertragliche Regelungen diese Lücke schließen und dem Arbeitnehmer eine Bedenkzeit, innerhalb der er die Vereinbarung jederzeit widerrufen kann, einräumen.360 Darüber hinaus sympathisiert das BAG361 auch mit dem Ansatz von Lorenz, der das anglo-amerikanische Rechtsinstitut der „undue influence“ mittels der culpa in contrahendo auch im deutschen Recht fruchtbar machen und so bei jeder unzulässigen Einflussnahme auf die Willensbildung eine Auflösung des Vertrags wegen der Verletzung von Verhandlungspflichten ermöglichen will.362 Das einschlägige Schutzinstrumentarium kompensiert die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers in einer Weise, dass dieser frei zwischen dem Abschluss der Verzichtsvereinbarung und dem gesetzlichen Kündigungsschutz wählen kann, ohne der Fremdbestimmung durch den Arbeitgeber ausgesetzt zu sein. Damit steht dem Gesetzgeber frei, den Arbeitsvertragsparteien einen Verzicht auf Kündigungsschutz gegen Abfindung zu ermöglichen, sofern das Arbeitsverhältnis bereits solange andauert, dass der Arbeitnehmer den allgemeinen Kündigungsschutz des KSchG in Anspruch nehmen kann. Ob sich dieser Verzicht für den Arbeitnehmer als vorteilhaft erweist, kann von Verfassungs wegen nicht überprüft werden. Liegen die Voraussetzungen des Grundrechtsverzichts vor, so ist unerheblich, ob der Wille des Grundrechtsträgers schlechterdings unvernünftig erscheint.363 6. Exkurs: § 1a KSchG Erst recht aber bestehen bei der Vereinbarung nach § 1a KSchG keine Bedenken im Hinblick auf den Schutz der Privatautonomie des Arbeitnehmers. ___________ 358

Vgl. hierzu insbesondere die Entscheidung des BAG vom 30.09.1993, AP Nr. 37 zu § 123 BGB („vermindert merkfähige Kassiererin“). Kritisch dazu etwa Dieterich, RdA 1995, 129, 135 f. 359 So zum Aufhebungsvertrag BAG vom 27.11.2003, AP Nr. 1 zu § 312 BGB Bl. 4R ff.; BAG vom 22.04.2004, AP Nr. 27 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 3R ff. 360 Vgl. dazu die Beispiele bei J.-H. Bauer, Aufhebungsverträge, I Rdnr. 161. 361 BAG vom 27.11.2003, AP Nr. 29 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 7R; BAG vom 22.04.2004, AP Nr. 27 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag Bl. 4R. 362 Lorenz, JZ 1997, 277, 281 f. sowie ausführlich ders., Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 445 ff. Dem folgend Däubler, NZA 2001, 1329, 1334; Henssler, RdA 2002, 129, 135; Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 572 f.; ders., RdA 2005, 257, 267 ff.; einschränkend Burkardt, Aufhebungsvertrag, S. 97 ff. 363 Thüsing, in: FS Wiedemann, S. 559, 567.

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Dieser kann sich frei entscheiden, die Frist des § 4 S. 1 KSchG verstreichen zu lassen und die Abfindung zu beanspruchen oder aber die Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage anzugreifen. Seine Situation ist dabei mit derjenigen des Abschlusses eines Abwicklungsvertrages zu vergleichen. Eine Druckausübung durch den Arbeitgeber ist nicht zu befürchten, da dieser das Arbeitsverhältnis ohnehin gekündigt hat. Punktuelle Paritätsstörungen, etwa bei einer arglistigen Täuschung, können mit dem bestehenden zivilrechtlichen Instrumentarium behoben werden.364 Vor einer übereilten Entscheidung schützt ihn außerdem die dreiwöchige Klagefrist. 7. Ergebnis Ein vertraglicher Vorausverzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz gegen Abfindungszahlung ist nur unter eingeschränkten Voraussetzungen möglich. Er hat die für einen Grundrechtsverzicht maßgeblichen Grenzen, vor allem aber das aus der Privatautonomie folgende Gebot materieller Vertragsparität zu beachten. Die bei Abschluss eines Arbeitsvertrags bestehende strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers steht einem zu diesem Zeitpunkt vereinbarten Verzicht auf Kündigungsschutz entgegen. Sobald für das Arbeitsverhältnis jedoch der Anwendungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes eröffnet ist, können die Arbeitsvertragsparteien eine entsprechende Vereinbarung wirksam treffen. Der Gesetzgeber ist insoweit nicht gehindert, die dafür notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen.

H. Zusammenfassung Wie die vorangegangene Untersuchung gezeigt hat, eröffnet die Grundrechtsordnung dem Gesetzgeber bei einer Neuordnung des gesetzlichen Kündigungsschutzes einen breiten Gestaltungsspielraum, setzt diesem aber auch klare Grenzen. So stehen einer vollständigen Abkehr vom Prinzip des Bestandsschutzes hin zu einem abfindungsschützenden Kündigungsrecht keine Hindernisse entgegen. Die Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung schützt den Arbeitnehmer wirksam vor einer willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Eine Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsgehalts je Beschäftigungsjahr führt dabei zu einem angemessenen Ausgleich der kollidierenden Interessen von Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Arbeitsuchenden.

___________ 364

Vgl. dazu oben unter § 7 F II 1 d), S. 333 ff.

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3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

Ebenso kann der Gesetzgeber einen Abfindungsanspruch auch bei einer rechtmäßigen Kündigung vorsehen, sofern er davon Kündigungen aus verhaltensbedingten Gründen ausnimmt. Greift dieser aber in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers ein und sind die Auswirkungen der Abfindung auf das Klageverhalten der Arbeitnehmer gegenwärtig nicht abschätzbar, ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Festlegung der Abfindungshöhe begrenzt. Hier überschreitet bereits eine Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsgehalts die Schwelle des für den Arbeitgeber Zumutbaren. Auch kann eine Abfindung ohne grundrechtliche Bedenken an die Stelle der Sozialauswahl treten, sofern diese sich nach den Sozialkriterien Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten bemisst. Ein gesetzlicher Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung ist unzulässig. Klare Grenzen weist auch die grundrechtlich garantierte Privatautonomie des Arbeitnehmers der Vereinbarung eines Verzichts auf Kündigungsschutz gegen Abfindungszahlung auf gesetzlicher Grundlage. Wegen der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers ist dies nur während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses und auch dann allenfalls unter der Voraussetzung der Eröffnung des Anwendungsbereichs des allgemeinen Kündigungsschutzes denkbar.

I. Abfindung und Sonderkündigungsschutz Diese Ergebnisse lassen sich zu weiten Teilen auch auf den besonderen Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer, Schwangerer und Mütter sowie der Betriebsratsmitglieder übertragen. Das gilt für den Verzicht auf Kündigungsschutz ebenso wie der Abfindung bei rechtmäßiger Kündigung. Jedoch stellt sich die Frage, ob ein allein abfindungsschützendes Kündigungsrecht dem besonderen Schutzbedürfnis der schwerbehinderten Arbeitnehmer, Schwangeren und Mütter sowie der Betriebsratsmitglieder in ausreichendem Maße Rechnung trägt. Aufgrund der unterschiedlichen grundrechtlichen Ausgangslage ist dabei eine differenzierende Betrachtung angezeigt. I. Schwangere und Mütter, Art. 6 Abs. 4 GG Art. 6 Abs. 4 GG verpflichtet den Gesetzgeber, die besonderen Belastungen der Mutterschaft abzumildern und angemessen auszugleichen.365 Gerade die in einem Arbeitsverhältnis stehende Mutter sowie das werdende Kind sind vor ar___________ 365

Dieterich, in: ErfKomm, Art. 6 GG Rdnr. 21; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Abs. 4 Rdnr. 278.

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beitsplatzbedingten Gefahren, Überforderungen und Gesundheitsschädigungen zu schützen.366 Konsequent folgt daher aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 4 GG ein Auftrag an den Gesetzgeber, berufstätige Frauen vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes während der Schwangerschaft und nach der Entbindung zu schützen.367 Eine drohende Entlassung führt zu einer schwerwiegenden Belastung für die körperliche und seelische Gesundheit der Schwangeren oder Wöchnerin sowie des ungeborenen Kindes, die als besonders schwerwiegende Folge zu einem Schwangerschaftsabbruch führen kann.368 Ein Verlust des Arbeitsplatzes in dieser Zeit berührt zudem die wirtschaftliche Existenzgrundlage dieser Arbeitnehmerinnen in besonderem Maße: Sind diese während der Schwangerschaft weniger leistungsfähig und besteht nach §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 MuSchG ein Beschäftigungsverbot auf einfachgesetzlicher Grundlage für den Zeitraum von sechs Wochen vor bis acht Wochen nach der Entbindung, so haben die Arbeitnehmerinnen nur geringe Aussichten auf ein anderes Arbeitsverhältnis.369 Das geltende Mutterschutzrecht schützt die Interessen der Wöchnerinnen und Arbeitnehmerinnen gegenwärtig mit einem Kündigungsverbot, § 9 Abs. 1 MuSchG, und ermöglicht nur in Ausnahmefällen mit behördlicher Zustimmung eine rechtmäßige Kündigung des Arbeitsverhältnisses, § 9 Abs. 3 MuSchG. Eine Abkehr von dem hier besonders ausgeprägten Bestandsschutzprinzip hin zu einem Abfindungsschutz ließe sich nicht mit dem aus Art. 6 Abs. 4 GG folgenden Untermaßverbot vereinbaren.370 Die Schwangere oder Wöchnerin wäre der Gefahr ausgesetzt, ihren Arbeitsplatz auch bei einer rechtswidrigen oder ohne behördliche Zustimmung erteilten Kündigung zu verlieren, womit nicht nur ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage entfiele, auf die sie in besonderem Maße angewiesen ist, sondern sich auch die Gefährdung ihres körperlichen und seeli___________ 366

BVerfG vom 18.11.2003, BVerfGE 109, 64, 85. BVerfG vom 25.01.1972, BVerfGE 32, 273, 277; BVerfG vom 13.11.1979, BVerfGE 52, 357, 365; BVerfG vom 22.10.1980, BVerfGE 55, 154, 158; BVerfG vom 24.04.1991, BVerfGE 84, 133, 156; BVerfG vom 10.03.1992, BVerfGE 85, 360, 372; Aubel, Mutterschutz, S. 242 f.; Griebeling, in: KR, § 1 KSchG Rdnr. 25; Oetker, Bestandsschutz, S. 26; ders., RdA 1997, 9, 13; ders., AuR 1997, 41, 42; Preis, NZA 1997, 1256, 1260; ders., in: APS, Grundlagen A. Rdnr. 28; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 6 Abs. 4 Rdnr. 298. 368 EuGH vom 14.07.1994, Slg. 1994, I-3567, 3586 Rdnr. 21 – Webb; EuGH vom 30.06.1996, Slg. 1996, I-4185, 4231 Rdnr. 18 – Brown; EuGH vom 29.05.1997, Slg. 1997, I-2757, 2782 Rdnr. 25 – Larsson; EuGH vom 04.10.2001, Slg. 2001, I-6993, 7024 Rdnr. 26 – Tele Danmark A/S; Aubel, Mutterschutz, S. 242. 369 Aubel, Mutterschutz, S. 242. 370 Im Ergebnis ebenso BVerfG vom 25.01.1972, BVerfGE 32, 273, 277. Noch weitergehend Aubel, Mutterschutz, S. 243, der für diesen Fall den Wesensgehalt des Art. 6 Abs. 4 GG angetastet sieht, was aber im Hinblick auf die kollidierenden Grundrechtspositionen des Arbeitgebers sicher zu weit geht. 367

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schen Wohls und das ihres geborenen oder ungeborenen Kindes realisierte. Art. 6 Abs. 4 GG verpflichtet daher den Gesetzgeber, den Bestand des Arbeitsverhältnisses von Schwangeren oder Wöchnerinnen unmittelbar und nicht lediglich mittelbar über eine Abfindung zu schützen. Keine abweichende Beurteilung gebieten die kollidierenden, über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG geschützten Interessen der arbeitsuchenden Frauen. Zwar stellt der besondere Kündigungsschutz der Schwangeren und Wöchnerinnen eine besondere finanzielle Belastung des Arbeitgebers und damit auch ein potentielles Einstellungshemmnis für Frauen dar,371 welcher der Gesetzgeber kraft seines objektivrechtlichen Schutzauftrags zu beseitigen verpflichtet ist. Dazu bieten sich aber alternative Lösungen an, welche die mit dem Mutterschutz verbundene Kostenbelastungen, die in noch viel größerem Maße aus der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung wegen eines Beschäftigungsverbots nach dem MuSchG resultieren, reduzieren, gleichzeitig aber das Schutzniveau des besonderen Kündigungsschutzes unangetastet lassen. Beispielhaft sei hier auf das vom Gesetzgeber unlängst neu geregelte Umlageverfahren „U2“ verwiesen,372 nachdem das BVerfG die Vorgängerregelungen unter Verweis auf ihre einstellungshemmende Wirkung für mit Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG unvereinbar erklärt hat.373 Dieses Umlageverfahren sieht eine Erstattung der Arbeitgeberaufwendungen für die von ihm zu tragenden Mutterschaftsleistungen vor, finanziert mittels einer von allen Arbeitgebern zu tragenden Umlage, die sich anhand der Gesamtzahl der Beschäftigten und damit nicht nur der Arbeitnehmerinnen errechnet. Die verbleibende Sonderbelastung des Sonderkündigungsschutzes müssen sowohl arbeitsuchende Frauen wie auch der Arbeitgeber wegen des besonderen Gewichts der von Art. 6 Abs. 4 GG geschützten Interessen der Schwangeren und Wöchnerinnen hinnehmen. II. Schwerbehinderte Arbeitnehmer, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG Auch Schwerbehinderte Arbeitnehmer bedürfen gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG eines gegenüber vergleichbaren nicht beeinträchtigten Arbeitnehmern höheren Maßes an Kündigungsschutz.374 Die Auswirkungen dieses Sonderkündigungsschutzes ebenso wie die der sonstigen zugunsten schwerbehinderter Arbeitnehmer eingreifenden Schutzvorschriften sind jedoch ambivalent: Jedes höhere Maß an Regelungsdichte wirkt gleichzeitig auf die ___________ 371

Zur einstellungshemmenden Wirkung des Sonderkündigungsschutzes für Schwangere und Mütter vgl. oben unter § 12 B I 2, S. 453. 372 Vgl. dazu das „Gesetz über den Ausgleich von Arbeitgeberaufwendungen“ vom 22.12.2005, BGBl. I, 3686. 373 BVerfG vom 18.11.2003, BVerfG 109, 64 ff. 374 Vgl. dazu oben unter § 12 B II 1, S. 454 ff.

§ 13 Kontrolle der Regelungsvorschläge

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Einstellungsbereitschaft des Arbeitgebers zurück und bildet insofern auch eine Beschäftigungsbarriere zu ihren Lasten.375 Beschäftigungsfördernde Regelungen mit dem Ziel, die Schwerbehinderten in das Erwerbsleben einzugliedern, wie sie das SGB IX in seinen § 33 ff. festschreibt, haben sich in der Vergangenheit nur in begrenztem Umfang als wirksam erwiesen. So weist der Bericht der Bundesregierung über die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen zwar für den Zeitraum von 1999 bis 2002 einen Rückgang der spezifischen Arbeitslosenquote schwerbehinderter Menschen von 17,7 % auf 14,2 % nach,376 muss seit November 2002 aber ein kontinuierliches Ansteigen feststellen.377 Weder Beschäftigungspflicht noch Ausgleichsabgabe, §§ 71 ff. SGB IX, haben ihre Aufgabe erfüllt: Tatsächlich ist die Quote beschäftigter schwerbehinderter Menschen von 5,9 % im Jahr 1982 sogar auf 3,7 % im Jahr 1999 gesunken.378 Offensichtlich erscheint den Arbeitgebern die Zahlung der Augleichsabgabe der Einstellung eines schwerbehinderten Menschen vorzugswürdiger. Nach wie vor liegt die spezifische Arbeitslosenquote schwerbehinderter Menschen im Vergleich zu der aller Erwerbspersonen signifikant höher.379 Vor diesem Hintergrund erhalten die grundrechtlich geschützten Interessen schwerbehinderter Arbeitsuchender ein besonders hohes Gewicht, das sich auch auf die Bestimmung der Untermaßgrenze des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes schwerbehinderter Arbeitnehmer auswirkt. Zwar lassen sich die Vorschläge Bauers und Preis’, den Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer vollständig abzuschaffen,380 nicht mit dem Untermaßverbot in Einklang bringen, vernachlässigen diese vollständig das verfassungsrechtliche Gebot nach einem höheren Maß an Schutz. Keinen Bedenken begegnet indes die Anregung Willemsens, den Sonderkündigungsschutz als Abfindungsschutz zu konzipieren.381 Zwar sehen sich schwerbehinderte Arbeitnehmer, sofern ihre ___________ 375

Vgl. dazu oben unter § 12 B II 2, S. 458 ff. BT-Drs. 15/1295, S. 19. 377 BT-Drs. 15/1295, S. 34. Derzeit weist etwa der Monatsbericht für Januar 2007 der Bundesagentur für Arbeit absolut 171.348 erwerbslose schwerbehinderte Menschen, 9,7 % weniger als auf dem Höchststand von 1999 mit 189.766. Vgl. dazu Bundesagentur für Arbeit, Der Arbeitsmarkt und Ausbildungsmarkt in Deutschland, Januar 2007, S. 27, im Internet abrufbar unter http://www.pub.arbeitsamt.de/hst/services/statistik/ 000100/html/monat/200701.pdf (28.02.2007). 378 BT-Drs. 15/1295, S. 22. 379 Vgl. dazu etwa die Quoten für die Jahre 2002, 2003 und 2004: 14,5 % gegenüber 9,8 %, 17,0 % gegenüber 10,5 % bzw. 16,4 % gegenüber 10,5 %; Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt 2004, S. 20, 154, http://www.pub.arbeitsamt.de/hst/services/ statistik/000100/html/jahr/arbeitsmarkt_2004_gesamt.pdf (28.02.2007). 380 Vgl. dazu oben unter § 4 A VI, S. 118. 381 Vgl. dazu oben unter § 4 A VI, S. 119. 376

3. Teil: Abfindungsansprüche und Grundrechte

550

Behinderung mit einer Gesundheitsbeeinträchtigung einhergeht, einer erhöhten Gefahr des Arbeitsplatzverlustes wegen Krankheit und eingeschränkter Leistungsfähigkeit ausgesetzt.382 Auf dieser Annahme beruht der Sonderkündigungsschutz der §§ 85 ff. SGB IX.383 Jedoch weist das Interesse der schwerbehinderten Arbeitnehmer am Erhalt ihres Arbeitsplatzes keine Besonderheiten zu dem anderer Arbeitnehmer auf. Weder sind sie in einem höheren Maße auf den Arbeitsplatz als Existenzgrundlage angewiesen384 noch geht von einer Entlassung, anders als bei Schwangeren und Wöchnerinnen, ein höheres Maß an Gefährdung für ihre körperliche und seelische Gesundheit aus. Daher ist der Gesetzgeber nicht daran gehindert, auch den Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer als Abfindungsschutz auszugestalten, freilich unter der Voraussetzung eines höheren Schutzniveaus auf der Tatbestandsebene. Die Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung wirkt auch hier als effektiver Sanktionsmechanismus auf die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers ein. III. Betriebsverfassungsrechtliche Funktionsträger Art. 12 Abs. 1 GG schützt das Interesse der Betriebsratsmitglieder und anderer betriebsverfassungsrechtlicher Funktionsträger am Bestand ihres Arbeitsplatzes. Insofern bestehen keine Besonderheiten gegenüber anderen Arbeitnehmern, die kein betriebsverfassungsrechtliches Mandat ausüben. Gleichwohl sind sie aufgrund ihrer Betriebsratstätigkeit in einem ungleich höheren Maße der Gefahr eines Arbeitsplatzverlustes ausgesetzt. Schon aus dem Untermaßverbot folgt daher eine Pflicht zu einem höheren Maß an Kündigungsschutz, welcher der Gesetzgeber mit den §§ 15 KSchG, 103 BetrVG nachgekommen ist. Nicht aber folgt aus Art. 12 Abs. 1 GG die Garantie eines unmittelbar bestandsschützenden Kündigungsrechts nach dem Vorbild der §§ 15 KSchG, 103 BetrVG. Der damit verfolgte Zweck, die Kontinuität der Betriebsratsarbeit zu gewährleisten, erfährt mangels grundrechtlicher Verankerung der betrieblichen Mitbestimmung keinen Grundrechtsschutz.385 Das Interesse des Betriebsratsmitgliedes am Bestand seines Arbeitsverhältnisses ist aber auch ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht in ausreichendem Maße zu schützen in der Lage. Insofern ist die Situation des Betriebsratsmitglieds mit der des schwerbehinderten Arbeitnehmers vergleichbar. Dem erhöhten Schutzbedürfnis genügt der Gesetzgeber bereits mit entsprechend strengeren tatbestandlichen Anforderungen an die Kündigung. ___________ 382

Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 309. Steinbrück, in: GK-SchwBG, § 15 Rdnr. 1. 384 Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 309. 385 Vgl. dazu oben unter § 12 B III 1, S. 460 ff. 383

§ 13 Kontrolle der Regelungsvorschläge

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Sinnvoll ist eine derartige Absenkung des Schutzniveaus freilich nicht, selbst die Literatur erhebt keine entsprechenden Forderungen. Das Bekenntnis des Gesetzgebers zur betrieblichen Mitbestimmung liefe leer, sähen sich die betriebsverfassungsrechtlichen Mandatsträger der ständigen Gefahr des Arbeitsplatzverlustes ausgesetzt. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Betriebspartner zum Wohle der Arbeitnehmer und des Betriebs, wie dies § 2 Abs. 1 BetrVG verlangt, ist unter diesen Vorzeichen nicht vorstellbar, insbesondere keine Durchsetzung betrieblicher Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte gegen den Willen des Arbeitgebers. IV. Zusammenfassung Für den Sonderkündigungsschutz liefert die Grundrechtsordnung spezielle Vorgaben. So verlangt Art. 6 Abs. 4 GG zwingend ein unmittelbar bestandsschützendes Kündigungsrecht zugunsten Schwangerer und Wöchnerinnen. Obwohl sich auch Schwerbehinderte auf einen über Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verstärkten Kündigungsschutz berufen können, gilt dies für diese Arbeitnehmergruppe indes nicht in gleichem Maße. Ihr Interesse am Bestand des Arbeitsplatzes entspricht dem jedes anderen Arbeitnehmers auch. Daher verstößt der Gesetzgeber nicht gegen das Untermaßverbot, wenn er den Kündigungsschutz auch für diese Arbeitnehmergruppe abfindungsschützend ausgestaltet. Er ist dann aber im Gegenzug verpflichtet, die tatbestandlichen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Kündigung zu verschärfen. Gleiches gilt für betriebverfassungsrechtliche Funktionsträger, die sich, wie jeder andere Arbeitnehmer auch, lediglich auf den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG berufen können.

4. Teil

Abfindungen und Kündigungsschutz unter dem Einfluss supra- und internationalen Rechts Einfluss auf den gesetzlichen Kündigungsschutz nehmen nicht nur die Grundrechte des Grundgesetzes. Auch der fortschreitende Prozess der Europäischen Integration wirkt auf das nationale Kündigungsschutzrecht ein. Dies gilt in erster Linie für das Sekundärrecht der Europäischen Gemeinschaft, welches mit zahlreichen Richtlinien den Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers verkürzt. Diese stehen wiederum selbst unter dem Einfluss des Primärrechts, namentlich der Gemeinschaftsgrundrechte. Schließlich treffen die Bundesrepublik Deutschland auch völkerrechtliche Verpflichtungen durch das internationale Arbeitsrecht. Bedeutung erlangen in diesem Bereich die Europäische Sozialcharta sowie mehrere ILO-Konventionen. Die nachfolgende Untersuchung orientiert sich dabei wie auch bereits die Grundrechtsprüfung an den konkret von der Literatur entwickelten Modellen eines reformierten Kündigungsschutzes, konzentriert sich im Wesentlichen aber auf eine Kontrolle derjenigen Regelungsvorschläge, die mit nationalen Grundrechten vereinbar sind. Auf diese Weise kann festgestellt werden, an welcher Stelle die Wertungen des Gemeinschaftsrechts diejenigen der nationalen Rechtsordnung überlagern.

§ 14 Abfindungsansprüche im Kündigungsschutz unter dem Einfluss des Gemeinschafts- und Unionsrechts A. Der Einfluss des sekundären Gemeinschaftsrechts auf den Kündigungsschutz Unübersehbar ist der Einfluss des sekundären Gemeinschaftsrechts auf das deutsche Kündigungsschutzrecht. Bereits oben wurde auf die Vielzahl der einschlägigen Richtlinien hingewiesen.1 Diese liefern für zahlreiche Bereiche des Sonderkündigungsschutzes umfangreiche, den Gesetzgeber bindende2 Vorgaben. Darüber hinaus wirken sie im Bereich des Diskriminierungsschutzes auch auf den allgemeinen Kündigungsschutz ein, indem sie den Arbeitnehmer vor ___________ 1 2

Vgl. dazu oben unter § 10 B, S. 388 ff. Zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts allgemein oben unter § 10 B, S. 388 f.

§ 14 Abfindungen und Europarecht

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einer sachwidrigen, allein auf einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Rasse oder ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, der Behinderung, des Alters sowie der sexuellen Orientierung beruhenden Kündigung schützen. Richtlinien bedürfen der Transformation in nationales Recht. Sie sind gemäß Art. 249 Abs. 3 EG für jeden Mitgliedstaat hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen den innerstaatlichen Stellen jedoch die Wahl der Form und der Mittel. Dem Beispiel der obigen Grundrechtsprüfung des Sonderkündigungsschutzes folgend beschränkt sich die nachfolgende Untersuchung exemplarisch auf die Mutterschutz-Richtlinie3, die Gleichbehandlungs-4 sowie die KonsultationsRahmenrichtlinie5. Obwohl die Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie Behinderte besonders schützt, bleibt deren Analyse nicht auf den Sonderkündigungsschutz beschränkt, sondern erörtert anhand des Merkmals der Behinderung beispielhaft die aus dieser Richtlinie folgenden Vorgaben für ein Sanktionssystem gegen eine diskriminierende Kündigung. Aufgrund des vom EuGH festgestellten Umsetzungsdefizits6 des deutschen Rechts widmet sich die Untersuchung schließlich auch der Massenentlassungsrichtlinie7. Welche Voraussetzungen die einschlägigen Richtlinien an die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses stellen, wurde bereits oben näher dargelegt.8 Im Mittelpunkt des Interesses der nachfolgenden Untersuchung stehen die Vorgaben dieser Richtlinien zu Sanktion und Rechtsschutz gegen Kündigungen, die diese Vorgaben missachten. Entschließt sich der Gesetzgeber de lege ferenda zu einer Neuorientierung des Kündigungsrechts am Prinzip des Abfindungsschutzes, so stellt sich die Frage, ob eine vollständige Abkehr vom Prinzip des Bestands___________ 3

Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19.10.1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz, ABl. EG Nr. L 348 vom 28.11.1993, S. 1 ff. 4 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. EG Nr. L 303 vom 02.12.2000, S. 16 ff. 5 Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.03.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EG Nr. L 80 vom 23.03.2002, S. 29 ff. 6 EuGH vom 27.01.2005, Slg. 2005, I-884, 917 ff. Rdnr. 31 ff. – Junk. 7 Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABl. EG Nr. L 225 vom 12.08.1998, S. 16 ff. 8 Vgl. dazu zur Massenentlassungsrichtlinie oben unter § 10 B II 1, S. 393; zur Mutterschutzrichtlinie oben unter § 10 B II 5, S. 397 f., zu den Gleichbehandlungsrichtlinien oben unter § 10 B II 4, S. 396 f. sowie zur Konsultations-Rahmenrichtlinie oben unter § 10 B II 2, S. 395.

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4. Teil: Einflüsse supra- und internationalen Rechts

schutzes zugunsten gesetzlicher Abfindungsansprüche dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot verhältnismäßiger, wirksamer und abschreckender Sanktion von Richtlinienverstößen entspricht. Ermöglicht er darüber hinaus den Arbeitsvertragsparteien die Vereinbarung eines vertraglichen Verzichts auf Kündigungsschutz, ist die in zahlreichen Richtlinien ausdrücklich verankerte Verpflichtung zur Gewährung von Rechtsschutz9 berührt. I. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zur Sanktion von Richtlinienverstößen Art. 17 RL 2000/78/EG sowie Art. 8 Abs. 2 RL 2002/14/EG verpflichten den nationalen Gesetzgeber zur Bereitstellung von wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen, sofern der Arbeitgeber die in nationales Recht umgesetzten Voraussetzungen der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nicht beachtet. Soweit die anderen Richtlinien keine ausdrücklichen Vorgaben enthalten, leitet der EuGH eine entsprechende Sanktionspflicht aus Art. 10 Abs. 1 EG ab, der den Mitgliedstaaten aufträgt, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.10 Das Gericht gesteht dabei den Mitgliedstaaten ausdrücklich eine Wahlfreiheit hinsichtlich der anzuwendenden Sanktionen zu, jedoch haben diese darauf achten, dass Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen entsprechen, die für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht gelten würden, wobei die Sanktionen jedenfalls effektiv, verhältnismäßig und abschreckend ausfallen müssen.11

___________ 9

Vgl. dazu Art. 6 Abs. 1 RL 76/207/EWG, Art. 11 Abs. 3 RL 94/45/EG, Art. 6 RL 98/59/EG, Art. 7 Abs. 1 RL 2000/43/EG, Art. 9 Abs. 1 RL 2000/78/EG, Art. 9 RL 2001/23/EG, Art. 12 Abs. 2 RL 2001/86/EG sowie Art. 8 Abs. 1 RL 2002/14/EG. 10 EuGH vom 10.04.1984, Slg. 1984, 1891, 1906 Rdnr. 15 f. – von Colson und Kamann; EuGH vom 10.04.1984, Slg. 1984, 1921, 1939 f. Rdnr. 14 f. – Harz; EuGH vom 21.09.1989, Slg. 1989, 2965, 2984 Rdnr. 23 – Kommission/Griechenland; EuGH vom 02.10.1991, Slg. 1991, I-4371, 4387 Rdnr. 11 – Vandevenne; EuGH vom 08.06.1994, Slg. 1994, I-2461, 2494 Rdnr. 40 – Kommission/Vereinigtes Königreich. Vgl. zur Sanktion von Richtlinienverstößen auch bereits ausführlich oben unter § 10 B II 7, S. 398 ff. 11 EuGH vom 21.09.1989, Slg. 1989, 2965, 2984 Rdnr. 24 – Kommission/Griechenland; EuGH vom 02.10.1991, Slg. 1991, I-4371, 4387 Rdnr. 11 – Vandevenne; EuGH vom 08.06.1994, Slg. 1994, I-2461, 2494 Rdnr. 40 – Kommission/Vereinigtes Königreich; EuGH vom 07.01.2004, NVwZ 2004, 594, 597 Rdnr. 67 – Wells.

§ 14 Abfindungen und Europarecht

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1. Abfindung anstelle Bestandsschutz An diesen Grundsätzen muss sich der Gesetzgeber messen lassen, entschließt er sich dazu, Verstöße gegen die in nationales Recht umgesetzten Richtlinienvorgaben, die der Arbeitgeber bei der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses zu beachten hat, de lege ferenda ausschließlich mit einer Abfindungspflicht zu sanktionieren. a) Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 2000/78/EG Besonders häufig hatte sich der EuGH bislang mit nationalen Sanktionsregelungen zu beschäftigen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Schutz vor geschlechtsbezogener Diskriminierung durch den Arbeitgeber bei der Begründung, Durchführung und Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bieten sollten.12 Die dazu einschlägige Richtlinie 76/207/EWG, inzwischen geändert durch die Richtlinie 2002/73/EG, lieferte das Vorbild für die Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 2000/78/EG. Deren Ziel ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten, Art. 1 RL 2000/78/EG. Der arbeitsrechtlich relevante Anwendungsbereich der Richtlinie umfasst neben dem Zugang zur Erwerbstätigkeit die Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen, Art. 3 Abs. 1 lit. c RL 2000/78/EG sowie die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisation, Art. 3 Abs. 1 lit. d RL 2000/78/EG. Dabei verbietet die Richtlinie nicht nur unmittelbare, Art. 2 Abs. 1 lit. a RL 2000/78/EG, oder mittelbare, Art. 2 Abs. 1 lit. b RL 2000/78/EG, Diskriminierungen im Zusammenhang mit der Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers, sondern trägt ausweislich ihres Art. 5 S. 1 RL 2000/78/EG dem Gesetzgeber auf, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten und damit auch zu einer faktischen Gleichbehandlung zu gelangen. Das bedeutet, so Art. 5 S. 2 RL 2000/78/EG, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Menschen mit Behinderung den Zu___________ 12

Vgl. dazu etwa EuGH vom 10.04.1984, Slg. 1984, 1891 ff. – von Colson und Kamann; EuGH vom 10.04.1984, Slg. 1984, 1921 ff. – Harz; EuGH vom 02.08.1993, Slg. 1993, I-4367 ff. – Marshall; EuGH vom 14.07.1994, Slg. 1994, I-3567 ff. – Webb; EuGH vom 30.06.1996, Slg. 1996, I-4185, 4231 Rdnr. 18 – Brown; EuGH vom 22.04.1997, Slg. 1997, I-2195 ff. – Draempaehl; EuGH vom 29.05.1997, Slg. 1997, I2757 ff. – Larsson; EuGH vom 04.10.2001, Slg. 2001, I-6993 ff. – Tele Danmark A/S.

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4. Teil: Einflüsse supra- und internationalen Rechts

gang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten. Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG stellt dazu ausdrücklich klar, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz weder dem Recht der Mitgliedstaaten entgegen steht, Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz beizubehalten oder zu erlassen, noch solchen Maßnahmen, mit denen Bestimmungen oder Vorkehrungen eingeführt oder beibehalten werden sollen, die einer Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt dienen oder diese Eingliederung fördern. Der Richtliniengesetzgeber beabsichtigt damit auch einen besonderen Schutz des Bestands von Arbeitsverhältnissen behinderter Arbeitnehmer13 und verpflichtet die nationalen Gesetzgeber zur Normierung eines Sonderkündigungsschutzes für behinderte Arbeitnehmer.14 Unabhängig davon, in welchem Umfang das Gleichstellungsgebot des Art. 5 RL 2000/78/EG15 einen Sonderkündigungsschutz behinderter Arbeitnehmer verlangt,16 stellt sich auch im Rahmen der Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie die Frage nach effektiven, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen17 für den Fall, dass der Arbeitgeber gegen die in nationales Recht umgesetzten Verbote einer unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung verstößt oder die tatbestandlichen Voraussetzungen des europarechtlich determinierten Sonderkündigungsschutzes missachtet. Neben der ausdrücklich in Art. 17 RL 2000/78/EG verankerten Sanktionspflicht ist dabei auch das Viktimisierungsverbot des Art. 11 RL 2000/78/EG zu beachten, wonach die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, um die Arbeitnehmer vor einer Entlassung zu schützen, die als Reaktion auf eine Beschwerde innerhalb des betreffenden Unternehmens oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erfolgt. ___________ 13

RL 2000/78/EG Erwägung 27, ABl. EG Nr. L 303 vom 02.12.2000, S. 18. Für ein höheres Maß an Kündigungsschutz zumindest für Schwerbehinderte beiläufig auch Högenauer, Richtlinien gegen Diskriminierung, S. 236. 15 So die übereinstimmende Qualifizierung der Bestimmung im Schrifttum, vgl. dazu Mohr, Schutz vor Diskriminierungen, S. 206; 324 f.; Thüsing, NZA 2001, 1061, 1063; ders., ZfA 2001, 397, 402; ders., IJCLLIR Vol. 19/2 (2003), 187, 197. Zweifelnd Schiek, NZA 2004, 873, 875, die hierfür allein Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG heranzieht. 16 Dabei ist auch zu untersuchen, ob die gegenwärtige Begrenzung des in §§ 85 ff. SGB IX normierten Sonderkündigungsschutzes auf schwerbehinderte Arbeitnehmer aufrechterhalten werden kann. Allgemein zur Vereinbarkeit des auf schwerbehinderte Arbeitnehmer beschränkten Anwendungsbereichs der §§ 68 ff. SGB IX mit Art. 1 RL 2000/78/EG Hansjakob, Vereinbarkeit des Behindertenrechts, S. 77 ff.; Joussen, ZESAR 2005, 375, 380 f.; Schiek, NZA 2004, 873, 881. 17 So ausdrücklich Art. 17 RL 2000/78/EG. 14

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Dazu ist nicht zwingend ein unmittelbar bestandsschützendes Kündigungsrecht erforderlich.18 Bereits Art. 17 S. 2 RL 2000/78/EG bestimmt insoweit ausdrücklich, dass die von einem Mitgliedstaat gewählten Sanktionen auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen können, sofern diese nur wirksam, verhältnismäßig und abschreckend ausfallen. Auch der EuGH stellte in dem Urteil „Marshall“ ausdrücklich fest, dass als Sanktion gegen eine diskriminierende, gegen Art. 5 Abs. 1 RL 76/207/EWG verstoßende Entlassung sowohl die Wiedereinstellung der diskriminierten Person als auch eine finanzielle Wiedergutmachung des ihr entstandenen Schadens in Betracht komme.19 Wähle der nationalstaatliche Gesetzgeber zur Umsetzung des Sanktionsgebots das Mittel der finanziellen Wiedergutmachung, so müsse diese in einem angemessenen Verhältnis zum tatsächlich erlittenen Schaden stehen.20 Zur Wiedergutmachung des durch eine diskriminierende Behandlung entstandenen Schadens reiche eine rein symbolische Entschädigung nicht aus.21 Ebenso wenig dürfe der Ersatzanspruch von einem Verschulden des Arbeitgebers abhängig gemacht werden.22 Vielmehr sei die Sanktion so auszugestalten, dass sie sowohl für die diskriminierte Person eine angemessene Wiedergutmachung als auch für den Arbeitgeber ein hinreichendes Druckmittel darstelle, durch das er zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes angehalten werde.23 Eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung in Höhe eines halben Monatsverdienstes je Beschäftigungsjahr hält diesen Anforderungen stand. Wesentliches Ziel dieser Abfindung ist nicht lediglich eine Entschädigung des Arbeitnehmers für die mit der rechtswidrigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintretenden finanziellen Nachteile. Sie soll vielmehr bereits auf die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers einwirken und diesen so an einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter Missachtung der aus dem Diskriminierungsverbot oder dem Sonderkündigungsschutz folgenden Anforderungen hindern. Diese Abfindung steht insoweit außerhalb des ___________ 18

Rebhahn, RdA 2002, 272, 289 f.; aA Armbrüster, KritV 2005, 41, 50. EuGH vom 02.08.1993, Slg. 1883, I-4367, 4408 Rdnr. 25 – Marshall. 20 EuGH vom 02.08.1993, Slg. 1883, I-4367, 4408 Rdnr. 26 – Marshall. Ebenso bereits EuGH vom 10.04.1984, Slg. 1984, 1891, 1908 f. Rdnr. 23, 28 – von Colson und Kamann; EuGH vom 10.04.1984, Slg. 1984, 1921, 1938 Rdnr. 10 – Harz sowie EuGH vom 22.04.1997, Slg. 1997, I-2195, 2223 Rdnr. 32 – Draempaehl. 21 So EuGH vom 10.04.1984, Slg. 1984, 1891, 1908 f. Rdnr. 24, 28 – von Colson und Kamann sowie EuGH vom 10.04.1984, Slg. 1984, 1921, 1939 Rdnr. 12, 14 – Harz zu § 611a Abs. 2 BGB in der damals geltenden Fassung, der den Schadensersatzanspruch wegen festgestellter Diskriminierung bei der Einstellung ausdrücklich auf das negative Interesse beschränkte. 22 EuGH vom 08.11.1990, Slg. 1990, I-3941, 3976 Rdnr. 24 f. – Dekker. 23 EuGH vom 10.04.1984, Slg. 1984, 1921, 1939 Rdnr. 14 – Harz. 19

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deutschen Schadensersatzrechts:24 Weder ist sie auf eine Kompensation des tatsächlich infolge der Kündigung eingetretenen Schadens gerichtet, dessen Ermittlung ohnehin mit Schwierigkeiten behaftet ist, sondern vermutet unwiderlegbar eine bestimmte Schadenshöhe, die tatsächlich sowohl nach oben als auch nach unten abweichen kann, noch orientiert sie sich am Prinzip der Verschuldenshaftung, sondern knüpft allein an ein rechtswidriges Verhalten des Arbeitgebers an. Schließlich weist die Abfindung ganz wesentlich einen Sanktionscharakter auf, der dem Schadensatzrecht ebenfalls weitgehend fremd ist. Dass eine Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsverdienstes effektiv, verhältnismäßig und abschreckend auf die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers einwirkt und diesen am Ausspruch einer rechtswidrigen Kündigung hindert, gleichzeitig aber auch den Arbeitnehmer für den Verlust seines Arbeitsverhältnisses angemessen entschädigt, wurde bereits im Zusammenhang mit der Prüfung am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nachgewiesen.25 Nichts anderes gilt im Zusammenhang mit den Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG. Schließlich entspricht diese Sanktion auch den sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln, die für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht gelten. b) Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG Ebenso wie unter dem Einfluss des Art. 6 Abs. 4 GG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG ist der Gesetzgeber auch im Anwendungsbereich des Art. 10 Nr. 1 RL 92/85/EWG daran gehindert, den Kündigungsschutz Schwangerer und Wöchnerinnen lediglich als Abfindungsschutz zu gewährleisten. Gemäß Art. 10 Nr. 1 RL 92/85/EWG besteht mit dem Beginn der Schwangerschaft ein Kündigungsverbot, dass bis zum Ende des 14wöchigen Mutterschaftsurlaubs, Art. 8 Abs. 1 RL 92/85/EWG, andauert, wobei diese Bestimmung eine Kündigung, die nicht mit der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin in Zusammenhang zu bringen ist, ausdrücklich für zulässig erklärt; gegebenenfalls soll die Wirksamkeit der Kündigung aber von einer behördlichen Zustimmung abhängen. Kündigt der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin innerhalb dieses Zeitraumes, so ist er nach Maßgabe des Art. 10 Nr. 2 RL 92/85/EWG dazu angehalten, schriftlich berechtigte Kündigungsgründe anzuführen. Art. 10 Nr. 3 RL 92/85/EWG verpflichtet die Mitgliedstaaten schließlich ausdrücklich, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Arbeitnehmerinnen vor den Folgen einer gegen das Kündigungsverbot verstoßenden Kündigung zu schützen.

___________ 24 25

Dazu Wank, in: FS Wißmann, S. 599, 616 f. Vgl. dazu oben unter § 13 C I 3 c), S. 485 ff.

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Als Sanktion einer dieses Verbot missachtenden Kündigung kommt ausschließlich deren Unwirksamkeit in Betracht. Dies folgt zum einen aus dem Gebot effektiver, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen. Die Gefahr, aus Gründen entlassen zu werden, die mit ihrem Zustand in Verbindung stehen, kann sich schädlich auf die physische und psychische Verfassung der schwangeren oder stillenden Arbeitnehmerin auswirken.26 Dem will der Richtliniengesetzgeber mit dem Kündigungsverbot des Art. 10 Nr. 1 RL 92/59/EWG begegnen.27 Der damit bezweckte Schutz der Schwangeren und Wöchnerin kann sich aber nur dann effektiv entfalten, wenn die geschützte Arbeitnehmerin auch tatsächlich nicht den Verlust des Arbeitsplatzes fürchten muss. Darüber hinaus verlangt der EuGH, dass Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen entsprechen, die für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht gelten würden. Kann aber ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht für Schwangere und Wöchnerinnen bereits vor Art. 6 Abs. 4 GG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG keinen Bestand haben, so gilt dies auch für Kündigungen nach Maßgabe des Art. 10 RL 92/59/EWG. c) Konsultations-Rahmenrichtlinie 2002/14/EG Die Konsultations-Rahmenrichtlinie beabsichtigt die Schaffung eines allgemeinen Rahmens mit Mindestvorschriften für das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer von in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmen oder Betrieben, Art. 1 Abs. 1 RL 2002/14/EG. Art. 4 Abs. 2 RL 2002/14/EG sieht dazu einen Katalog von beteiligungspflichtigen Tatbeständen vor: So sind die Arbeitnehmervertreter etwa zu Beschäftigungssituation, Beschäftigungsstruktur und wahrscheinlicher Beschäftigungsentwicklung im Unternehmen oder Betrieb sowie zu gegebenenfalls geplanten antizipativen Maßnahmen zu unterrichten und anzuhören, insbesondere bei einer Bedrohung für die Beschäftigung. Die Sozialpartner können aber auch nach freiem Ermessen und zu jedem beliebigen Zeitpunkt die Modalitäten für Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer im Wege einer ausgehandelten Vereinbarung festlegen, Art. 5 RL 2002/14/EG. Unterrichtung und Anhörung müssen so rechtzeitig erfolgen, dass die Arbeitnehmervertreter noch vor Umsetzung der geplanten Maßnahmen auf den Arbeitgeber einwirken können, Art. 4 Abs. 3 und 4 RL 2002/14/EG. ___________ 26

So ausdrücklich der Richtliniengesetzgeber in den Erwägungen zur RL 92/85/EWG, ABl. EG Nr. L 348 vom 28.11.1992, S. 2. Vgl. dazu auch bereits oben unter § 13 I I, S. 547. 27 RL 92/85/EWG, ABl. EG Nr. L 348 vom 28.11.1992, S. 2.

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Nach Art. 7 RL 2002/14/EG haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitnehmervertreter bei der Ausübung ihrer Funktion einen ausreichenden Schutz und ausreichende Sicherheiten genießen, die es ihnen ermöglichen, die ihnen übertragenen Aufgaben in angemessener Weise wahrzunehmen. Flankiert wird diese Bestimmung durch die nachfolgende Sanktionsregelung des Art. 8 RL 2002/14/EG, wonach die Mitgliedstaaten für den Fall der Nichteinhaltung der Richtlinienbestimmungen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen vorsehen und geeignete Gerichts- oder Verwaltungsverfahren bereitstellen müssen, mit deren Hilfe sich die Erfüllung der aus der Richtlinie folgenden Verpflichtungen durchsetzen lässt. Art. 7 RL 2002/14/EG weist damit eine doppelte Zielrichtung auf. Einerseits bezweckt dieser den Schutz der Arbeitnehmervertreter, damit diese ohne Furcht vor Repressalien des Arbeitsgebers die ihnen obliegenden Aufgaben erfüllen können. Zum anderen dient sie auch dem Schutz der Belegschaft des Betriebs oder Unternehmens: Die Arbeitnehmervertreter sollen die im Interesse der Belegschaft bestehenden Beteiligungsrechte unbeeinflusst durch willkürliche Maßnahmen des Arbeitgebers unabhängig, kontinuierlich und effektiv wahrnehmen können. Art. 7 RL 2002/14/EG hat daher nicht nur einen individual-, sondern auch einen kollektivschützenden Charakter. Dieser kollektive Schutzzweck wirkt sich auch auf den Kündigungsschutz der Arbeitnehmervertreter aus. Unabhängig davon, ob Art. 7 RL 2002/14/EG damit einen Sonderkündigungsschutz entsprechend der §§ 15 KSchG, 103 BetrVG verlangt,28 lässt sich ein allein abfindungsschützendes Kündigungsrecht mit diesen Vorgaben nicht vereinbaren. Es ließe das Interesse der Belegschaft an der Funktionsfähigkeit der Arbeitnehmervertretung unberücksichtigt. Selbst die rechtswidrige Kündigung eines Arbeitnehmers wegen seiner Tätigkeit als Arbeitnehmervertreter führte zu dessen Ausscheiden aus dem Betrieb, was zu einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Arbeitnehmervertretung führte. Art. 7 RL 2002/14/EG schützt aber gerade auch das Interesse der Belegschaft an einer kontinuierlichen Amtsausübung der Arbeitnehmervertretung in unveränderter personeller Zusammensetzung als Voraussetzung für eine wirksame Wahrnehmung der ihr zugewiesenen Beteiligungsrechte. Dies kann nur ein bestandsschützendes Kündigungsrecht gewährleisten, eine Abfindung ist als Sanktionsinstrument ungeeignet.

___________ 28

302.

Zurückhaltend Reichold, NZA 2003, 289, 298; ablehnend Giesen, RdA 2000, 298,

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d) Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG Beabsichtigt der Arbeitgeber die Vornahme einer Massenentlassung, verpflichtet ihn Art. 2 RL 98/59/EG, die Arbeitnehmervertreter zu konsultieren und mit ihnen über die Möglichkeit einer Vermeidung oder Einschränkung der Massenentlassung sowie die Verminderung ihrer Folgen zu beraten. Vorrangiges Ziel dieser Konsultationspflicht ist der Schutz der von der Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer, die durch die Entlassung der Gefahr ausgesetzt werden, wirtschaftliche und persönliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen und für unabsehbare Zeit arbeitslos zu werden.29 Soweit sich Massenentlassungen durch Beratungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretern nicht verhindern lassen, eröffnet die in Art. 3 Abs. 1 RL 98/59/EG verankerte Pflicht zur Anzeige der Massenentlassung der zuständigen Behörde die Möglichkeit, rechtzeitig mit korrigierenden und mildernden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen reagieren zu können.30 Der Richtliniengesetzgeber verfolgt dabei auch ein sozialpolitisches sowie ein wirtschaftspolitisches Ziel: Die Angleichung der Voraussetzungen und des Verfahrens für Massenentlassungen in den jeweiligen Mitgliedstaaten soll zur Beseitigung von Standortunterschieden beitragen, damit die Verwirklichung des Binnenmarktes fördern31 und so die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Europäischen Gemeinschaft verbessern.32 Für die Nichtbeachtung der Anzeigepflicht enthält bereits die Richtlinie selbst eine Sanktionsvorschrift. Gemäß Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 RL 98/59/EG werden Massenentlassungen frühestens 30 Tage nach Eingang der Anzeige bei der zuständigen Behörde wirksam. Damit ist der Arbeitgeber zwar nicht daran gehindert, nach Beendigung des Konsultationsverfahrens i.S.d. Art. 2 RL 98/59/EG und nach Anzeige der beabsichtigen Massenentlassung gemäß Art. 3 f. RL 98/59/EG den von der Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmern die Kündigung zu erklären,33 allerdings darf der Arbeitnehmer auch dann, ___________ 29

RL 98/59/EG, ABl. EG Nr. L 225 vom 12.08.1998, S. 16 Erwägung 2; EuGH vom 17.12.1998, Slg. 1998, I-8737, 8757 Rdnr. 19 – Lauge u.a.; Appel, DB 2005, 1002; Blanpain, European Labour Law, Rdnr. 891; Hinrichs, Massenentlassungen, S. 67; Wißmann, RdA 1998, 221. 30 Hinrichs, Massenentlassungen, S. 67. 31 RL 98/59/EG, ABl. EG Nr. L 225 vom 12.08.1998, S. 16 Erwägungen 3 und 4; Wißmann, RdA 1998, 221 f. 32 RL 98/59/EG, ABl. EG Nr. L 225 vom 12.08.1998, S. 16 Erwägung 6 Nr. 7. 33 EuGH vom 27.01.2005, Slg. 2005, I-884, 922 Rdnr. 54 – Junk, der den von der Richtlinie verwendeten Begriff der „Entlassung“ mit dem der „Kündigung“ gleichsetzt. Dem nunmehr folgend BAG vom 23.03.2006, AP Nr. 21 zu § 17 KSchG 1969 Bl. 3R f. AA noch BAG vom 24.10.1996, AP Nr. 8 zu § 17 KSchG 1969 Bl. 3R, BAG vom 13.04.2000, AP Nr. 13 zu § 17 KSchG 1969 Bl. 2R f. sowie BAG vom 18.09.2003, AP Nr. 14 zu § 17 KSchG 1969 Bl. 8, wobei das Gericht nicht auf den Ausspruch der Kündigung, sondern die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses abstellte, so dass

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wenn die für ihn maßgebliche Kündigungsfrist kürzer ausfällt, frühestens 30 Tage nach der Anzeige aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Unterlässt der Arbeitgeber die Anzeige ganz oder erstattet diese erst nach Ausspruch der Kündigung, besteht das Arbeitsverhältnis fort, da die Frist des Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 RL 98/59/EG nicht zu laufen begonnen hat. Die Kündigung ist unwirksam.34 Für einen Abfindungsanspruch als Sanktion für die Verletzung der Anzeigepflicht ist damit kein Raum. Die Massenentlassungsrichtlinie schreibt dafür zwingend eine Fortsetzung der arbeitsvertraglichen Beziehungen vor. Eine andere Beurteilung ist aber bei einer Verletzung der sich aus Art. 2 RL 98/59/EG ergebenden Konsultationspflichten geboten. Hier erkennt der EuGH Abfindungsansprüche zugunsten der Arbeitnehmer als effektive, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionsmaßnahmen an. 35 Allerdings dürfe dieser Sanktion ihre praktische Wirksamkeit und damit ihr abschreckender Charakter nicht dadurch genommen werden, dass die zu zahlende Abfindung ganz oder teilweise auf Zahlungen, die der Arbeitgeber aufgrund anderer Rechtsvorschriften an die Arbeitnehmer zu leisten habe, angerechnet wird.36 Anderenfalls werde der Arbeitgeber nur für den Fall bestraft, dass die Abfindung, zu der er verurteilt wird, die von ihm sonst geschuldeten Beträge übersteigt.37 Diese Ausführungen überzeugen.38 Obwohl die Sanktion an die Verletzung der Konsultationsrechte der Arbeitnehmervertreter anknüpft, bestehen keine Bedenken gegen eine Indienstnahme der Arbeitnehmer zur Durchsetzung der ___________ insbesondere bei längeren Kündigungsfristen die Anzeige auch noch nach Ausspruch der Kündigung erfolgen konnte, solange sie jedenfalls vor Ablauf der Kündigungsfrist bei der zuständigen Agentur für Arbeit einging; ebenso noch Hinrichs, Massenentlassungen, S. 140; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 17 Rdnr. 80; Kittner, in: KDZ, § 17 Rdnr. 38; Moll, in: APS, § 17 KSchG Rdnr. 124. 34 Ebenso ArbG Berlin vom 01.03.2005, NZA 2005, 585, 586; Dornbusch/Wolff, BB 2005, 885, 887; Osnabrügge, NJW 2005, 1093, 1094; Riesenhuber/Domröse, NZA 2005, 568, 569; Schiek, AuR 2006, 41, 42. Andere halten eine in ihren tatsächlichen Auswirkungen vergleichbare dauerhafte Entlassungssperre für ausreichend und ermöglichen dem Arbeitgeber darüber hinaus die Heilung einer fehlerhaften Anzeige oder eines fehlerhaften Massenentlassungsverfahrens innerhalb der einmonatigen Sperrfrist, vgl. dazu etwa Ferme/Lipinski, NZA 2006, 937, 940 f.; Hilbrandt, in: Heselhaus/Nowak, Hdb. EU-Grundrechte, § 37 Rdnr. 61. Offen lassend BAG vom 23.03.2006, AP Nr. 21 zu § 17 KSchG 1969 Bl. 2, 6. 35 EuGH vom 06.08.1994, Slg. 1994, I-2436, 2476 Rdnr. 57 f. – Kommission/Vereinigtes Königreich. 36 EuGH vom 06.08.1994, Slg. 1994, I-2436, 2476 Rdnr. 57 f. – Kommission/Vereinigtes Königreich. 37 EuGH vom 06.08.1994, Slg. 1994, I-2436, 2476 Rdnr. 57 – Kommission/Vereinigtes Königreich. 38 Ebenso Hinrichs, Massenentlassungen, S. 87 f.

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kollektiven Beteiligungsrechte.39 Art. 6 RL 98/59/EG lässt den Mitgliedstaaten die Wahl, den Arbeitnehmervertretern, den Arbeitnehmern oder beiden Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen der Richtlinie zur Verfügung zu stellen, gleiches gilt für die Sanktionen. Schließlich bezweckt auch die Konsultationspflicht des Art. 2 RL 98/59/EG, die Arbeitnehmer vor der geplanten Massenentlassung zu schützen oder zumindest deren Folgen abzumildern. Genauso wie eine Abfindung effektiv und angemessen den Arbeitgeber am Ausspruch einer willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigung hindert und damit bereits im Vorfeld auf seine Kündigungsentscheidung einwirkt,40 bildet diese auch eine effektive, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für die Nichtbeachtung der Konsultationspflicht. Sie wahrt zum einen die Interessen der von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer und gewährleistet eine finanzielle Kompensation der mit dem Arbeitsplatzverlust verbundenen Nachteile, die mittels des Konsultationsverfahrens abgemildert oder gar vermieden werden sollten. Sie beeinträchtigt aber auch nicht übermäßig das Interesse des Arbeitgebers, auf veränderte Wettbewerbsstrukturen flexibel mit einer Änderung der Unternehmensgröße reagieren zu können. Bereits das geltende Recht kennt mit dem Nachteilsausgleich, § 113 BetrVG, einen Abfindungsanspruch, der an die Verletzung der bei einer Massenentlassung bestehenden Konsultationspflicht anknüpft, freilich aber nur einen Ausschnitt der nach der Richtlinie regelungsbedürftigen Fälle erfasst.41 Wählt der Gesetzgeber aber den Abfindungsanspruch als alleinige Sanktionsregel, lässt sich eine Anrechung dieses Anspruchs auf eine andere Abfindungszahlung, so wie dies gegenwärtig zwischen Nachteilsausgleichsanspruch auf Sozialplanabfindung erfolgt,42 nicht mit den Prinzipien der Effektivität, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung vereinbaren.43 2. Verzicht auf Kündigungsschutz Mit dem Gebot effektiver, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen unvereinbar ist auch ein gesetzlicher Ausschluss des Kündigungsschutzes ___________ 39

Schlachter, in: FS Wißmann, S. 412, 422; Wißmann, RdA 1998, 221, 226. Vgl. dazu oben unter § 13 C I 1 c) aa), S. 471 f. 41 Eine Massenentlassung i.S.d. § 17 Abs. 1 KSchG stellt regelmäßig auch eine Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG dar, so dass der Betriebsrat nicht nur nach § 17 Abs. 2 KSchG, sondern auch nach Maßgabe der §§ 111 ff. BetrVG zu beteiligen ist. Zum Verhältnis der §§ 17 ff. KSchG zu den §§ 111 ff. BetrVG Ferme/Lipinski, ZIP 2005, 593, 595 f.; Hinrichs, Massenentlassungen, S. 162 ff.; Schlachter, in: FS Wißmann, S. 412, 413 ff. 42 Vgl. dazu oben unter § 8 G I, S. 350 f. 43 So auch Hinrichs, Massenentlassungen, S. 188; Schlachter, in: FS Wißmann, S. 412, 416; Wißmann, RdA 1998, 221, 227 40

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gegen Abfindungszahlung und damit ein Fehlen jeglicher Sanktionsmechanismen. Ob gleiches auch für einen privatautonomen Verzicht des Arbeitnehmers auf den europarechtlich determinierten Kündigungsschutz gilt, ist damit aber noch nicht beantwortet. Das Schrifttum hat sich mit dieser Fragestellung bislang noch nicht beschäftigt. Indes liefert das Europarecht auch keine Anhaltspunkte, die einem Verzicht des Einzelnen auf den zu seinen Gunsten bestehenden Schutz des Europarechts grundsätzlich entgegen stehen. a) Privatautonomer Verzicht bei Abschluss des Arbeitsverhältnisses Hat ein bei Vertragsschluss vereinbarter Verzicht auf Kündigungsschutz vor der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes keinen Bestand,44 so kann schon wegen der Aufforderung des EuGH, die Sanktionsmechanismen für Richtlinienverstöße denen des nationalen Rechts anzupassen, für den auf europäisches Sekundärrecht zurückgehenden Sonderkündigungsschutz nichts anderes gelten. Ermöglicht der Gesetzgeber den Arbeitsvertragsparteien eine entsprechende Vereinbarung, verletzt er das aus Art. 10 Abs. 1 EG folgende Gebot der Bereitstellung effektiver, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen. Der Arbeitgeber könnte aufgrund der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers bei Vertragsschluss beispielsweise regelmäßig einen Verzicht auf den in nationales Recht transformierten Massenentlassungsschutz durchsetzen und diesen damit umgehen. Der durch die Massenentlassungs-, die Mutterschutz-, die Gleichbehandlungs- und die Konsultations-Rahmenrichtlinie vorgesehene besondere Kündigungsschutz zeigte sich weitgehend wirkungslos. b) Privatautonomer Verzicht während des bestehenden Arbeitsverhältnisses Eine differenzierte Betrachtung ist jedoch zur Beurteilung einer während des Laufs des Arbeitsverhältnisses, aber vor Ausspruch der Kündigung getroffenen Verzichtsvereinbarung geboten. Eine Dispositionsbefugnis des Arbeitnehmers über den europarechtlich determinierten Sonderkündigungsschutz ist dabei nur dort anzuerkennen, wo dieser ausschließlich oder zumindest vorrangig im Interesse des Arbeitnehmers besteht. Dies trifft auf den Massenentlassungsschutz nicht zu. Dafür spricht bereits ein aus Art. 1 Abs. 1 lit. b Unterabs. 2 RL 98/59/EG abgeleitetes systematisches Argument: Indem diese Vorschrift aus betriebsbedingten Gründen vereinbarte Aufhebungsverträge der einseitigen Beendigung durch Arbeitgeberkündigung gleichstellt und so in den Schutz der Richtlinie einbezieht, entzieht sie den Ar___________ 44

Vgl. dazu oben unter § 13 G III 4, S. 537 ff.

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beitnehmern die Dispositionsbefugnis über den Massenentlassungsschutz. Ein Verzicht ließe sich auch nicht mit den Zielsetzungen der Massenentlassungsrichtlinie in Einklang bringen. Anhörungs-, Art. 2 RL 98/59/EG, und Anzeigepflicht, Art. 3 RL 98/59/EG, bezwecken zwar letztlich den Schutz der von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer.45 Bei der Konsultationspflicht handelt es sich aber um ein kollektives Beteiligungsrecht, das, obgleich dem Schutz der Arbeitnehmer dienend, den Arbeitnehmervertretern zugewiesen ist. Massenentlassungen betreffen mit einer einschneidenden Veränderung ihrer Zusammensetzung die gesamte Belegschaft eines Betriebs oder Unternehmens. Die Anzeigepflicht schließlich besteht im öffentlichen Interesse, um der Arbeitsverwaltung die Möglichkeit einzuräumen, rechtzeitig korrigierende und mildernde arbeitsmarktpolitische Instrumente ergreifen zu können.46 Konsultations- und Anzeigepflicht schützen damit nicht ausschließlich die Individualinteressen des Arbeitnehmers, sondern verfolgen zumindest gleichrangig im Interesse der Belegschaft und der Allgemeinheit liegende Zielsetzungen. Ein Verzicht des Arbeitnehmers auf die Konsultations- wie auch die Anzeigepflicht ist folglich nicht möglich.47 Auch ein Arbeitnehmervertreter kann nicht wirksam auf den durch Art. 7 RL 2002/14/EG gewährleisteten Kündigungsschutz verzichten. Zwar weist diese Norm mit dem von ihr bezweckten Arbeitsplatzschutz einen individualschützenden Charakter auf, dient gleichzeitig aber auch dem Interesse der Belegschaft an einer kontinuierlichen, unbeeinflussten und effektiven Ausübung der Beteiligungsrechte durch die Arbeitnehmervertreter.48 Auch hier versperrt der kollektive Schutzzweck dem einzelnen Arbeitnehmervertreter die Dispositionsbefugnis über den zu seinen Gunsten bestehenden Sonderkündigungsschutz. Die Interessen der Belegschaft wären nicht länger gewahrt, müsste die Arbeitnehmervertretung jederzeit mit dem Ausscheiden eines ihrer Mitglieder aus dem Arbeitsverhältnis rechnen. Keinen Bedenken begegnet indes ein Verzicht Schwangerer, Wöchnerinnen und behinderter Arbeitnehmer auf den besonderen Kündigungsschutz des Art. 10 RL 92/85/EWG bzw. Art. 5 RL 2000/78/EG. Beide Normen wirken ausschließlich individualschützend, so dass die davon erfassten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch wirksam über ihren Schutz disponieren können. Dabei greift ein umfassendes privatrechtliches Instrumentarium, welches si___________ 45

Vgl. dazu oben unter § 14 A I 1 d), S. 561. Vgl. dazu oben unter § 14 A I 1 d), S. 561. 47 Ebenso bezüglich eines in einem Aufhebungsvertrag erklärten Verzichts auf den Massenentlassungsschutz des § 17 KSchG BAG vom 11.03.1999, AP Nr. 12 zu § 17 KSchG 1969 Bl: 3R f; aA Burkardt, Aufhebungsvertrag, S. 154 f. Kritisch J.-H. Bauer, Aufhebungsverträge, V Rdnr. 66. 48 Vgl. dazu oben unter § 14 A I 1 c), S. 560. 46

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cherstellt, dass diese die Verzichtsvereinbarung auch tatsächlich freiwillig und unbeeinflusst von einer Druckausübung durch den Arbeitgeber eingehen. 49 II. Rechtsschutz Die effektive Umsetzung einer Richtlinie in das Recht der Mitgliedstaaten erfordert nach der Rechtsprechung des EuGH auch einen flankierenden effektiven Rechtsschutz.50 Wirksam ist dieser dann, wenn er tatsächlich eine individuelle Durchsetzung der aus der Richtlinie folgenden Rechte vor einem innerstaatlichen Gericht ermöglicht und so die Verwirklichung des Richtlinienziels sicherstellen kann.51 Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Arbeitnehmer den durch die Massenentlassungs-, Gleichbehandlungs-, Mutterschutz- und AnhörungsRahmenrichtlinie vorgegebenen Sonderkündigungsschutz auf dem Rechtsweg durchsetzen kann. Ein gesetzlicher Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Abfindung, der gleichzeitig auch den Rechtsschutz des Arbeitnehmers erfasst, lässt sich damit nicht vereinbaren. Zulässig ist aber ein vertraglich vereinbarter Verzicht auf Rechtsschutz in dem Umfang, in dem der Arbeitnehmer auch über den Kündigungsschutz frei disponieren kann. Der Rechtsschutz dient der Durchsetzung des Kündigungsschutzes, so dass sich auch ein Verzicht nach den für den Kündigungsschutz maßgeblichen Regeln richtet. III. Ergebnis Sekundäres Gemeinschaftsrecht beschränkt in umfangreichem Maße den Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers bei der Änderung des Kündigungsschutzes und zieht diesem teilweise engere Grenzen als die Grundrechtsordnung des Grundgesetzes. Ob der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Kündigungsschutzes dabei dem Prinzip des unmittelbaren Bestandsschutzes verpflichtet ist oder sich für ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht entscheiden kann, richtet sich maßgeblich nach dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot der effektiven, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionierung von Richtlinienverstößen sowie der Verpflichtung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Ein abfindungsschützendes Kündigungsrecht kommt dabei weder für Schwangere und Wöchnerinnen noch für Arbeitnehmervertreter in Betracht, im Übrigen bestehen dagegen keine Bedenken. Ein bei Abschluss des Arbeitsverhältnisses vereinbarter Verzicht auf Kündigungsschutz ist mit ___________ 49

Vgl. dazu oben unter § 13 G III 5, S. 543 f. EuGH vom 16.12.1976, Slg. 1976, 1989, 1998 Rdnr. 5 – Rewe; EuGH vom 28.01.1986, Slg. 1986, 1651, 1682 Rdnr. 19 – Johnston. 51 EuGH vom 28.01.1986, Slg. 1986, 1651, 1682 Rdnr. 17 – Johnston; EuGH vom 02.08.1993, Slg. 1993, I-4367, 4407 Rdnr. 22 – Marshall. 50

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Art. 10 Abs. 1 EG unvereinbar. Während eines laufenden Arbeitsverhältnisses beurteilt sich die Zulässigkeit eines Verzichts nach der Dispositionsbefugnis des geschützten Arbeitnehmers: Unzulässig ist dieser im Anwendungsbereich der Massenentlassungs- sowie der Konsultations-Rahmenrichtlinie, zulässig im Geltungsbereich der Mutterschutz- wie der Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie.

B. Grundrechtsordnung der Europäischen Union Nicht nur das Sekundär-, auch das europäische Primärrecht gewinnt zunehmend an Einfluss auf die nationalen Rechtsordnungen. Überwölbt wird dieses von den europäischen Gemeinschaftsgrundrechten. Der überragenden Bedeutung der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes steht jedoch ein nur eingeschränkter Einwirkungsbereich der Gemeinschaftsgrundrechte auf die Gestaltungsfreiräume des nationalen Gesetzgebers gegenüber. Welche Auswirkungen von diesen auf das nationale Kündigungsschutzrecht ausgehen, steht im Mittelpunkt der nachfolgenden Untersuchung. I. Gemeinschaftsgrundrechte de lege lata 1. Fundament der Gemeinschaftsgrundrechte Abgesehen von punktuellen grundrechtlichen Gewährleistungen52 kennt das geltende Gemeinschaftsrecht keinen geschriebenen Grundrechtskatalog. Die Frage nach einem Grundrechtsschutz auf europäischer Ebene stellte sich aber spätestens mit dem Urteil „van Gend & Loos“, in welchem der EuGH feststellte, dass das Gemeinschaftsrecht eine „neue Rechtsordnung des Völkerrechts“ bilde und, von einer Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängig, nicht nur den Mitgliedstaaten, sondern auch dem einzelnen Bürger Pflichten auferlegen und Rechte verleihen könne und damit unmittelbar gelte.53 Das Gemeinschaftsrecht legitimiere so Eingriffe der gemeinschaftlichen Hoheitsgewalt in Freiheit und Gleichheit des Einzelnen, versperre aufgrund dessen Vorrangstellung54 jedoch gleichzeitig und anders als vom BVerfG ursprünglich proklamiert55 den ___________ 52

Vgl. dazu z.B. Art. 12 EG (Diskriminierungsverbot), Art. 18 ff. EG (Unionsbürgerrechte), Art. 34 Abs. 2 EG (Diskriminierungsverbot bei der gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte), Art. 141 EG (gleiches Entgelt für Männer und Frauen). 53 EuGH vom 05.02.1963, Slg. 1963, 1, 25 – van Gend & Loos. 54 Grundlegend EuGH vom 15.07.1964, Slg. 1964, 1251, 1270 f. – Costa. Vgl. dazu auch bereits oben unter § 10 B, S. 388. 55 BVerfG vom 29.05.1974, BVerfGE 37, 271, 280 ff., 285; freilich unter der Prämisse, der Grundrechtsstandard auf Gemeinschaftsebene sei dem des GG nicht ebenbürtig.

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4. Teil: Einflüsse supra- und internationalen Rechts

Weg eines Grundrechtsschutzes durch nationales Verfassungsrecht. Daher etablierte der EuGH einen Grundrechtsschutz auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts:56 Den Ausgangspunkt markiert insoweit die Rechtssache „Stauder“, in welcher das Gericht die Existenz von Grundrechten als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts bestätigte.57 Mangels eines ausformulierten Grundrechtskatalogs entwickelt und konkretisiert der EuGH den Gewährleistungsumfang dieser allgemeinen Rechtsgrundsätze im Zuge richterlicher Rechtsfortbildung.58 Diese Kompetenz, die wegen des in Art. 5 EU und Art. 5 Abs. 1 EG niedergelegten Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung positiv festgestellt werden muss, ergibt sich aus Art. 220 EG, welcher dem EuGH die Aufgabe zuweist, die „Wahrung des Rechts“ zu sichern.59 Als Rechtserkenntnisquelle dienen dem EuGH dabei im Wesentlichen die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten60 sowie die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).61 Dieselbe Aussage trifft auch Art. 6 Abs. 2 EU, wobei diese Norm aber keine eigenständige Rechtsquelle darstellt, sondern lediglich die ständige Rechtsprechung des EuGH, wonach sich die Grundrechte autonom als allgemeine Rechtsgrundsätze in das Gemeinschaftsrecht einfügen, übernimmt.62 ___________ 56

Ursprünglich noch ablehnend EuGH vom 15.07.1960, Slg. 1960, 887, 921 – Geitling u.a. 57 EuGH vom 12.11.1969, Slg. 1969, 419 LS 2, 425 Rdnr. 7 – Stauder. Seitdem st. Rspr., vgl. zuletzt EuGH vom 21.09.1989, Slg. 1989, 2859, 2923 Rdnr. 13 – Hoechst; EuGH vom 06.03.2001, Slg. 2001, I-1611, 1675 Rdnr. 37 – Connolly; EuGH vom 22.10.2002, Slg. 2002, I-9011, 9053 Rdnr. 25 – Roquette Frères; EuGH vom 12.06.2003, Slg. 2003, I-5659, 5717 Rdnr. 71 – Schmidberger. 58 Der EuGH wird insoweit nicht rechtsschöpfend tätig, vgl. dazu Szczekalla, Schutzpflichten, S. 481 ff., der sich umfassend mit der Gegenposition auseinandersetzt. 59 Ehlers, Jura 2002, 468, 469; Heintzen, EuR 1997, 1, 9; Hilf/Hörmann, NJW 2003, 1, 2; P. M. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rdnr. 13; Kühling, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 589 f.; Schilling, EuGRZ 2000, 3, 7. 60 EuGH vom 17. 12. 1970, Slg. 1970, 1125, Rdnr. 4 – Internationale Handelsgesellschaft; EuGH vom 13.07.1989, Slg. 1989, 2609, 2639 Rdnr. 17 – Wachauf; EuGH vom 18.12.1997, Slg. 1997, I-7493, 7509 Rdnr. 12 – Annibaldi; EuGH vom 06.03.2001, Slg. 2001, I-1611, 1675 Rdnr. 37 – Connolly; EuGH vom 12.06.2003, Slg. 2003, I-5659, 5717 Rdnr. 71 – Schmidberger. 61 EuGH vom 14.05.1974, Slg. 1974, 491, Rdnr. 13 – Nold; EuGH vom 15.05.1986, Slg. 1986, 1651, 1682 Rdnr. 18 – Johnston; EuGH vom 06.03.2001, Slg. 2001, I-1611, 1675 Rdnr. 37 – Connolly; EuGH vom 22.10.2002, Slg. 2002 I-9011, 9053 Rdnr. 25 – Roquette Frères; EuGH vom 12.06.2003, Slg. 2003, I-5659, 5717 Rdnr. 71 – Schmidberger. 62 In diesem Sinne EuGH vom 15.12.1995, Slg. 1995, I-4921, 5065 Rdnr. 79 – Bosman; EuGH vom 12.06.2003, Slg. 2003, I-5659, 5717 Rdnr. 72 ff. – Schmidberger;

§ 14 Abfindungen und Europarecht

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Bei der Entwicklung von Grundrechten durch den EuGH stehen die Bezüge zur EMRK im Vordergrund. So müssen nach der Auffassung des Gerichts die leitenden Grundsätze der EMRK Berücksichtigung finden,63 die Unvereinbarkeit einer nach Maßgabe des Gemeinschaftsrechts ergangenen Maßnahme mit der Bedeutung der durch die EMRK gewährleisteten Menschenrechte stehe deren Rechtmäßigkeit entgegen.64 Mitunter zieht das Gericht zur Bestimmung der Reichweite des Gewährleistungsgehaltes eines Grundrechts auch Entscheidungen des EGMR heran.65 Der Verweis auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen kommt demgegenüber insbesondere dann zum Tragen, wenn der Katalog der EMRK ein bestimmtes Grundrecht, etwa die Berufsfreiheit, nicht enthält.66 Der EuGH erkennt daher auch das Gemeinschaftsgrundrecht der Berufsfreiheit67 ebenso wie das für den Kündigungsschutz besonders bedeutsame Grundrecht der Arbeitsplatzwahlfreiheit68 an. Jedoch treten diese in ihrer Bedeutung hinter die Warenverkehrsfreiheit, die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sowie die Arbeitnehmerfreizügigkeit zurück.69 Die Vorgehensweise des EuGH bei der Bestimmung grundrechtlicher Gewährleistungen wird in der Literatur verbreitet als „wertende Rechtsvergleichung“ bezeichnet.70 Gemeinschaftsgrundrecht ist damit nicht automatisch das, ___________ Pechstein, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 6 EUV Rdnr. 6, 10 f.; Streinz, Europarecht, Rdnr. 754. Abweichend Calliess/Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 6 EUV Rdnr. 32; Kingreen, JuS 2000, 857, 858 f., die in Art. 6 Abs. 2 EUV die Rechtsquelle der Gemeinschaftsgrundrechte verorten, wohl auch Pauly, EuR 1998, 242, 250 ff., der von einem konstitutiven bzw. konstitutionellen Charakter der Norm für die Gemeinschaftsgrundrechte spricht. 63 EuGH vom 15.05.1986, Slg. 1986, 1651, 1682 Rdnr. 18 – Johnston. 64 EuGH vom 18.06.1991, Slg. 1991, I-2925, 2963 f. Rdnr. 41 – ERT; EuGH vom 18.12.1997, Slg. 1997, I-7493, 7509 Rdnr. 12 – Annibaldi. 65 EuGH vom 12.12.1996, Slg. 1996, I-6609, 6637 Rdnr. 25 – X; EuGH vom 26.06.1997, Slg. 1997, I-3689, 3717 Rdnr. 26 – Familiapress; EuGH vom 12.06.2003, Slg. 2003, I-5659, 5718 Rdnr. 77 ff. – Schmidberger. 66 EuGH vom 14.05.1974, Slg. 1974, 491, 507 Rdnr. 14 – Nold; EuGH vom 27.09.1979, Slg. 1979, 2749, 2768 Rdnr. 20 – Eridiania; EuGH vom 13.12.1979, Slg. 1979, 3727, 3746 Rdnr. 20 – Lieselotte Hauer. 67 EuGH vom 14.05.1974, Slg. 1974, 491, 507 Rdnr. 14 – Nold; EuGH vom 08.10.1986, Slg. 1986, 2897, 2912 Rdnr. 8 – Keller; EuGH vom 15.02.1996, Slg. 1996, I-569, 610 Rdnr. 28 – Duff u.a.; EuGH vom 17.07.1997, Slg. 1997, I-4475, 4513 Rdnr. 72 – SAM Schiffahrt und Stapf. 68 EuGH vom 16.12.1992, Slg. 1992, I-6577, 6609 Rdnr. 32 – Katsikas u.a. 69 Bryde, Sonderbeilage zu RdA Heft 5/2003, 5, 8 f. 70 Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/EG-Vertrag, Art. 6 EU Rdnr. 63; Ehlers, Jura 2002, 468, 469; P. M. Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rdnr. 14; Kühling, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 590, 599; Pauly, EuR 1998, 242, 254; Pernice, NJW 1990, 2409, 2414; Zweigert, RabelsZ 28 (1964),

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was die Mehrheit der Rechtsordnungen übereinstimmend anordnet.71 „Wertende Rechtsvergleichung“ kennzeichnet vielmehr einen offenen Prozess der Suche nach der besten Lösung, welche aus einer kritischen Analyse der aus der rechtsvergleichenden Umschau ergebenden Konzepte unter Berücksichtigung der Eigenart des Gemeinschaftsrechts zu gewinnen ist.72 Der Gewährleistungsumfang einzelner Gemeinschaftsgrundrechte kann daher über den der Grundrechte des GG hinausgehen, aber auch dahinter zurückbleiben.73 2. Schutzpflichtdimension der Gemeinschaftsgrundrechte Von entscheidender Bedeutung für den Einfluss der Gemeinschaftsgrundrechte auf den arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz ist – vergleichbar der deutschen Grundrechtsdogmatik – die Ableitung und inhaltliche Konkretisierung grundrechtlicher Schutzpflichten. In der Kasuistik des EuGH zu den Gemeinschaftsgrundrechten spielten diese bislang keine Rolle. Hinsichtlich der Grundfreiheiten des EG-Vertrages hat das Gericht diesen Schritt jedoch bereits vollzogen. 74 In seinem Urteil vom 09.12.1997 leitet der EuGH aus Art. 28 EG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 EG eine Verpflichtung des Mitgliedstaates ab, Maßnahmen gegen Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs zu ergreifen, deren Ursachen nicht auf den Staat zurückgehen.75 Der innergemeinschaftliche Handelsverkehr könne ebenso wie durch eine Handlung dadurch beeinträchtigt werden, dass ein Mitgliedstaat untätig bleibe oder es versäume, ausreichende Maßnahmen zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Warenverkehr zu treffen, die durch Handlungen

___________ 601, 611. Zur abweichenden Auffassung, wonach der Grundrechtsstandard auf Gemeinschaftsebene verglichen mit den nationalen Grundrechten von den Prinzipien der Effektivierung und Maximierung geleitet sei, vgl. umfassend Bleckmann, in: FS Börner, S. 29, 31 ff.; Streinz, Europarecht, Rdnr. 762 f. 71 Zweigert, RabelsZ 28 (1964), 601, 611. 72 Pernice, NJW 1990, 2409, 2414; Zweigert, RabelsZ 28 (1964), 601, 611. 73 Pernice, NJW 1990, 2409, 2414. Ebenso BVerfG vom 22.10.1986, BVerfGE 79, 339, 378, 383 sowie BVerfG vom 12.10.1993, BVerfGE 89, 155, 174 f., welches einen „im wesentlichen“ vergleichbaren Grundrechtsschutz auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts konstatiert und Lücken hinsichtlich des Gewährleistungsstandards einzelner Grundrechte ausdrücklich hinnimmt. 74 EuGH vom 09.12.1997, Slg. 1997, I-6959, 6998 Rdnr. 30 ff. – Kommission/Frankreich; EuGH vom 12.06.2003, Slg. 2003, I-5659, 5713 Rdnr. 57 – Schmidberger. 75 EuGH vom 09.12.1997, Slg. 1997, I-6959, 6998 Rdnr. 30 – Kommission/Frankreich; bestätigt durch EuGH vom 12.06.2003, Slg. 2003, I-5659, 5713 Rdnr. 57 – Schmidberger.

§ 14 Abfindungen und Europarecht

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von Privatpersonen in seinem Gebiet geschaffen wurden.76 Zwar stehe die Auswahl der Mittel im Ermessen des Mitgliedstaates, doch sei es Sache des Gerichtshofs, diese auf ihre Geeignetheit und Erforderlichkeit hin zu überprüfen.77 Außerdem erkennt der EuGH einen objektiven Gehalt der Gemeinschaftsgrundrechte an: So sieht er etwa die „Aufrechterhaltung eines pluralistischen Rundfunkwesens“78 und die „Aufrechterhaltung der Medienvielfalt“79 als vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt und geht damit über eine allein abwehrrechtlich orientierte Grundrechtsverständnis hinaus. Den Grund für die bisherige Zurückhaltung des Gerichts bei der Ableitung grundrechtlicher Schutzpflichten erschließt sich aus der Kompetenzordnung des Gemeinschaftsrechts. Bislang wurde die Gemeinschaft überwiegend wirtschaftsliberalisierend tätig.80 Übernimmt diese aber gegenüber der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten in zunehmendem Maße eigenständig und unabhängig deren Aufgaben, kann sie sich einer Einstandspflicht für die Grundrechte eines menschenwürdigen Lebensumfeldes nicht entziehen.81 Die Übertragung nationaler Kompetenzen auf die Gemeinschaft und die damit einhergehende Lücke im nationalen Grundrechtsschutz verlangt nach einer Ableitung von Schutzpflichten aus den Gemeinschaftsgrundrechten. In der europarechtlichen Literatur hat die Schutzpflichtendimension der Gemeinschaftsgrundrechte breite Anerkennung gefunden.82 Die Begründungslinien folgen den vom EuGH zur Bestimmung der Gemeinschaftsgrundrechte herangezogenen Rechtserkenntnisquellen.83 So wird im Hinblick auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten überzeugend der Nachweis der Anerkennung grundrechtlicher Schutzpflichten in einer Reihe eu___________ 76

EuGH vom 09.12.1997, Slg. 1997, I-6959, 6998 Rdnr. 31 – Kommission/Frankreich; EuGH vom 12.06.2003, Slg. 2003, I-5659, 5714 Rdnr. 58 – Schmidberger. 77 EuGH vom 09.12.1997, Slg. 1997, I-6959, 6998 Rdnr. 32 f., 35 – Kommission/Frankreich. 78 EuGH vom 25.07.1991, Slg. 1991, I-4007, 4043 Rdnr. 23 – Collectieve Antennevoorziening Gouda. 79 EuGH vom 26.06.1997, Slg. 1997, I-3689, 3715 Rdnr. 18 – Familiapress. 80 Nettesheim, EuZW 1995, 106, 108. 81 Nettesheim, EuZW 1995, 106, 108; Suerbaum, EuR 2003, 390, 391 f. 82 Ehlers, Jura 2002, 468, 472; Gersdorf, AöR 119 (1994), 400, 411 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 216 ff.; Kühling, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 602 f.; Lindner, DÖV 2000, 543, 548; Nettesheim, EuZW 1995, 106, 108; Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 206 f.; D. Schindler, Kollision von Grundfreiheiten, S. 152 ff.; Suerbaum, EuR 2003, 390, 405, 415 f.; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 1051 ff. 83 Jaeckel, Schutzpflichten, S. 217 ff.; Suerbaum, EuR 2003, 390, 403 ff.; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 712 ff.

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ropäischer Verfassungsrechtsordnungen geführt.84 Auch der EGMR leitet aus den Gewährleistungen der vom EuGH als besonders bedeutsame Rechtserkenntnisquelle angesehene EMRK Schutzpflichten ab.85 Gleichwohl stößt diese Schutzdimension auch auf Ablehnung.86 Die Auffassung Schillings, beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts gehöre es nicht zu den in Art. 2 EG formulierten Aufgaben der Gemeinschaft, sicherzustellen, dass die grundrechtlich verbürgten Freiheitsrechte auch eine effektive Rolle in der Verfassungswirklichkeit spielten,87 lässt sich jedoch mit der umfangreichen Tätigkeit des Rats beim Erlass von Richtlinien und Verordnungen und dem damit korrespondierenden Bedürfnis grundrechtsgebundener Herrschaftsgewalt nicht in Einklang bringen. Ruffert erkennt eine Schutzpflichtdimension nur in „besonders schwerwiegenden Fällen“ an, steht ihr im Übrigen aber ablehnend gegenüber.88 Sein Argument, die Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten enthielten nur „spärliche Hinweise“ auf grundrechtliche Schutzpflichten, 89 erscheint nach den umfangreichen Untersuchungen von Jaeckel und Szczekalla90 allerdings ebenso wenig tragfähig. 3. Bindung des nationalen Gesetzgebers an Gemeinschaftsgrundrechte im Rahmen des Kündigungsschutzes Unabhängig davon, ob eine Untersuchung der Gemeinschaftsgrundrechte zu einer Anerkennung von Schutzpflichten führt, lassen sich daraus Schlussfolgerungen für den nationalen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz nur dann ziehen, wenn der nationale Gesetzgeber bei einer Umgestaltung des Kündigungsrechts überhaupt an Gemeinschaftsgrundrechte gebunden ist. Der EuGH nimmt eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte nur dann an, wenn eine Regelung des nationalen Rechts in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt.91 Das Gericht unterscheidet ___________ 84

Jaeckel, Schutzpflichten, S. 134 ff., 217 f.; Suerbaum, EuR 2003, 390, 403 f.; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 909 ff. 85 EGMR vom 21.06.1988, A/139, 4, 12 § 32 – arrêt Plattform „Ärzte für das Leben“; EGMR vom 20.04.1993, A/258-A, 3, 21 § 27 – affaire Sibson (zu Art. 11 EMRK); EGMR vom 19.02.1993, Récueil 1998-I, Nr. 64, 210, 227 § 58 – arrêt Guerra et autres (zu Art. 8 EMRK). Ausführliche Nachweise bei Jaeckel, Schutzpflichten, S. 124 ff.; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 712 ff. 86 Heintzen, EuR 1997, 1, 10; Schilling, EuGRZ 2000, 3, 33. 87 Schilling, EuGRZ 2000, 3, 33. 88 Ruffert, Subjektive Rechte, S. 59 ff. 89 Ruffert, Subjektive Rechte, S. 59. 90 Jaeckel, Schutzpflichten, S. 134 ff., 217 f.; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 909 ff. 91 EuGH vom 18.06.1991, Slg. 1991, I-2925, 2964 Rdnr. 42 – ERT; EuGH vom 24.03.1994, Slg. 1994, I-955, 983 Rdnr. 16 – Bostock; EuGH vom 29.05.1997,

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dabei drei Fallgestaltungen: Die ersten beiden betreffen den Vollzug des Gemeinschaftsrechts, entweder durch die Umsetzung einer Richtlinie oder einer Entscheidung in nationales Recht, bei welcher der Gesetzgeber den bestehenden Gestaltungsspielraum den Gemeinschaftsgrundrechten konform ausgestalten muss, oder aber den Verwaltungsvollzug einer Verordnung, unmittelbar anwendbaren Richtlinie oder Entscheidung,92 die naturgemäß nicht den Gesetzgeber, sondern die mitgliedstaatlichen Behörden trifft und damit für die vorliegende Untersuchung vernachlässigt werden kann. Schließlich binden die Gemeinschaftsgrundrechte den nationalen Gesetzgeber auch bei der Einschränkung von Grundfreiheiten.93 Fehlt ein Gemeinschaftsbezug, findet keine Überprüfung des nationalen Rechts am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte statt.94 Auch die Literatur lehnt eine Bindung mitgliedstaatlichen Handelns ohne Bezug zum Gemeinschaftsrecht95 an die Gemeinschaftsgrundrechte ab.96 Das in Art. 5 EU, 5 Abs. 1 EG niedergelegte Prinzip der begrenzten Einzelermächti___________ Slg. 1997, I-2629, 2645 Rdnr. 15 – Kremzow; EuGH vom 18.12.1997, Slg. 1997, I7493, 7510 Rdnr. 13 – Annibaldi. 92 EuGH vom 30.09.1987, Slg. 1987, 3719, 3754 Rdnr. 28 – Demirel; EuGH vom 13.07.1989, Slg. 1989, 2609, 2639 Rdnr. 19 – Wachauf; EuGH vom 24.03.1994, Slg. 1994, I-955, 983 Rdnr. 16 – Bostock; EuGH vom 17.04.1997, Slg. 1997, I-1961, 1996 Rdnr. 36 – Earl de Kerlast; EuGH vom 13. 4. 2000, Slg. 2000, I-2737, 2774 Rdnr. 37 – Karlsson u.a. 93 EuGH vom 18.06.1991, Slg. 1991, I-2925, 2964 Rdnr. 43 – ERT; EuGH vom 26.06.1997, Slg. 1997, I-3689, 3715 Rdnr. 18 – Familiapress; EuGH vom 12.06.2003, Slg. 2003, I-5659, 5718 Rdnr. 75 – Schmidberger. 94 EuGH vom 11.07.1985, Slg. 1985, 2605, 2627 Rdnr. 26 – Cinéthèque; EuGH vom 30.09.1987, Slg. 1987, 3719, 3754 Rdnr. 28 – Demirel; EuGH vom 18.06.1991, Slg. 1991, I-2925, 2964 – ERT; EuGH vom 04.10.1991, Slg. 1991, I-4685, 4741 Rdnr. 31 – Society for the Protection of Unborn Children Ireland; EuGH vom 13.06.1996, I-2909, 2919 Rdnr. 12 – Maurin. 95 Unterschiedliche Auffassungen bestehen hinsichtlich der Bestimmung des Gemeinschaftsbezugs: Umstritten ist dabei vor allem die Bindung an Gemeinschaftsgrundrechte bei der Ausfüllung eines durch eine Richtlinie eingeräumten Gestaltungsspielraums, dafür z.B. Beutler, in: von der Groeben/Schwarze, EU-/EG-Vertrag, Art. 6 EU Rdnr. 68; Cirkel, Bindungen der Mitgliedstaaten, S. 178; Kühling, in: Europäisches Verfassungsrecht, S. 608 f.; dagegen etwa Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 51 GRCh Rdnr. 12. Kritisch zur neueren Rsp. des EuGH Scheuing, EuR 2005, 162, 164 ff., dem der Autor nunmehr eine extensive Handhabung des Gemeinschaftsrechtsbezugs-Kriteriums bescheinigt. 96 Cirkel, Bindungen der Mitgliedstaaten, S. 177 ff.,191; Ehlers, Jura 2002, 468, 473; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 220; Jones, Bindung der Mitgliedstaaten, S. 199; Jürgensen/Schlünder, AöR 121 (1996), 200, 222; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 51 GRCh Rdnr. 12; Kühling, in: von Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 609 f.; Lindner, DÖV 2000, 543, 549; Rengeling, Grundrechtsschutz, S. 200 f.; Ruffert, EuGRZ 1995, 518, 529; Scheuing, EuR 2005, 162, 178 f.; Suerbaum, EuR 2003, 390, 411 ff.; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 1067 ff.

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gung verbietet eine den Schutzpflichten konforme Anpassung der Zuständigkeitsregelungen.97 Die Schutzpflichten haben sich in die bestehende Kompetenzordnung einzufügen und begründen selbst keine zusätzlichen Eingriffsermächtigungen.98 Grundrechtsschutz ist kein Zweck der Gemeinschaftsrechtssetzung, sondern bestimmt nur dessen Ausgestaltung. 99 Das deutsche Kündigungsschutzrecht weist zahlreiche gemeinschaftsrechtliche Bezüge auf. Der Einfluss verschiedener Richtlinien wurde im vorangegangenen Abschnitt näher untersucht. Die wachsende Einwirkung des sekundären Gemeinschaftsrechts, das, ausgehend vom besonderen Kündigungsschutz für bestimmte Arbeitnehmergruppen über die Gleichbehandlungsrichtlinien 76/207/EWG, RL 2000/43/EG, RL 2000/78/EG und 2002/73/EG zunehmend auch auf den allgemeinen Kündigungsschutz übergreift, kann jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union von einem gemeineuropäischen Kern des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes noch weit entfernt sind. Die oben vorgenommene rechtsvergleichende Untersuchung hat ein breites Spektrum an Schutzkonzepten offenbart.100 Das zentrale Anliegen des Kündigungsschutzes der Garantie eines Mindestmaßes arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes greifen weder europäisches Primär- noch Sekundärrecht auf. Eine Rechtsanpassung durch Rechtsetzungsakte der EG findet in diesem Bereich nicht statt.101 Weder existiert eine KündigungsschutzRahmenrichtlinie noch ist ein entsprechendes Vorhaben des Rates abzusehen. Dabei ermächtigt Art. 137 Abs. 2 Satz 1 lit. b EG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 1 lit. d EG diesen ausdrücklich zum Erlass von Richtlinien zum Zwecke des Schutzes der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsvertrages, ferner bildet dafür auch Art. 94 EG eine taugliche Ermächtigungsgrundlage.102 Damit bleibt der Einfluss der Gemeinschaftsgrundrechte auf die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei einer Neuorientierung des gesetzlichen Kündigungsschutzes am Prinzip des Abfindungsschutzes auf die Umsetzungsspielräume der für den Kündigungsschutz einschlägigen Richtlinien beschränkt. Im Übrigen ist der vom EuGH geforderte Gemeinschaftsrechtsbezug nicht vorhanden. Aufgrund der nicht wahrgenommenen Kompetenz durch den Gemeinschaftsgesetzgeber verbleibt die Regelungszuständigkeit für den allgemeinen Kündigungsschutz vorerst allein bei den nationalen Gesetzgebern. ___________ 97

Suerbaum, EuR 2003, 390, 411 f. Jaeckel, Schutzpflichten, S. 220; Lindner, DÖV 2000, 543, 549. 99 Cirkel, Bindungen der Mitgliedstaaten, S. 180. 100 Vgl. dazu oben unter § 5, S. 134 ff. 101 Sigeman, RdA 2003, 18, 22; Tschöpe, NZA-RR 2003, 393, 395. 102 Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 136 EGV Rdnr. 25; Tschöpe, NZA-RR 2003, 393, 400. 98

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4. Ergebnis Eine Bindung des deutschen Gesetzgebers besteht damit allein bei der Ausgestaltung des sekundärrechtlich determinierten Sonderkündigungsschutzes. Gerade bei der Ausgestaltung von Sanktionen und Rechtsschutz eröffnen die Richtlinien dem Gesetzgeber einen Umsetzungsspielraum, bei dessen Ausfüllung er nicht nur die Grundrechte des Grundgesetzes,103 sondern nach der Rechtsprechung des EuGH auch die Gemeinschaftsgrundrechte zu beachten hat. Diese Bindung kann jedenfalls im Rahmen dieser Untersuchung vernachlässigt werden. Gerade in Bezug auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit hat der durch Art. 12 GG gewährleistete Schutz einen Umfang erreicht, hinter dem die gemeinschaftsgrundrechtliche Berufsfreiheit zurückbleibt.104 Ob und wie weit diese auch einen Schutz des Arbeitnehmers vor unfreiwilliger Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erfasst, ist völlig offen. Ebenso wenig hatte der EuGH bislang Anlass, sich mit der Reichweite der Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers bei der Entlassung von Arbeitnehmern auseinanderzusetzen. Genügen die zur Umsetzung der Richtlinien vom Gesetzgeber getroffenen Sanktions- und Rechtsschutzregelungen den Anforderungen der Grundrechte des Grundgesetzes, so gilt dies erst recht für das korrespondierende Gemeinschaftsgrundrecht der Arbeitsplatzwahl- bzw. Berufsfreiheit. Eine gesonderte Prüfung ist an dieser Stelle entbehrlich. Offen ist derzeit auch, inwieweit der EuGH künftig einen umfassenden primärrechtlichen Antidiskriminierungsschutz zu etablieren beabsichtigt und welche Auswirkungen dies für den nationalen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz hat. Auch diese mit der Rechtssache Mangold105 angestoßene Diskussion106 soll hier außer Betracht bleiben. II. Gemeinschaftsgrundrechte de lege ferenda – Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung durch Art. II-90 EU-Verf. Am 29.10.2004 haben die damals noch 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union den „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ unterzeichnet.107 In ihrem Teil 2 enthält diese erstmals einen geschriebenen Grundrechtskatalog, und gewährleistet darin auch einen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz. Der einschlägige Art. II-90 EU-Verf., der auf Art. 30 der Charta der Grundrechte der ___________ 103

Vgl. dazu oben unter § 10 B I, S. 390 ff. Borrmann, Schutz der Berufsfreiheit, S. 229 ff. 105 EuGH vom 22.11.2005, Slg. 2005, I-9981, 10039 f. Rdnr. 74 f. – Mangold. 106 Vgl. dazu nur Preis, NZA 2006, 401 ff. sowie Schiek, AuR 2006, 145 ff. 107 ABl. EU Nr. C 310 vom 16.12.2004, S. 1 ff. 104

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4. Teil: Einflüsse supra- und internationalen Rechts

Europäischen Union zurückgeht, lautet wie folgt: „Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung.“ Einschlägig ist ferner auch Art. II-93 EU-Verf., der ein Recht auf Schutz vor Entlassung aus einem mit der Mutterschaft zusammenhängenden Grund begründet. Auch wenn der Grundrechtskatalog der EU-Verfassung de lege lata noch nicht rechtsverbindlich ist,108 sollen im Folgenden dessen de lege ferenda zu erwartenden Auswirkungen auf das nationale Kündigungsschutzrecht überblicksartig dargestellt werden. 1. Gewährleistungsumfang Der Wortlaut des Art. II-90 EU-Verf. eröffnet dem Rechtsanwender einen breiten Interpretationsspielraum. Weder gibt diese Norm einen Anhaltspunkt für die Intensität des gewährleisteten Kündigungsschutzes noch dessen Rechtsfolge, die dem Gesetzgeber bei einer Neukonzeption des Kündigungsschutzes zwischen Abfindungs- und Bestandsschutz Orientierung bieten kann. Auslegungsschwierigkeiten bereitet dabei insbesondere der Hinweis des Art. II-90 EU-Verf. auf die „einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“.109 Auf dem Gebiet des gesetzlichen Kündigungsschutzes sind die Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten weit von einem gemeineuropäischen Kern entfernt. Besonders augenfällig zeigt sich dies an den von den jeweiligen Rechtsordnungen vorgesehenen Rechtsfolgen des Kündigungsschutzes: Die obige rechtsvergleichende Untersuchung hat eine Fülle von unterschiedlichen Regelungsmechanismen des Kündigungsschutzes zwischen Abfindungs- und Bestandsschutz offenbart.110 Äußerst zurückhaltend zeigen sich die vom Verfassungskonvent zu Art. II90 EU-Verf. beigefügten Erläuterungen, die gemäß Art. II-112 EU-Verf. von den Gerichten der Union und den Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen sind. Dort heißt es schlicht, die Bestimmung lehne sich an Art. 24 der revidierten Sozialcharta an.111 ___________ 108

In Kraft treten kann der Verfassungsvertrag erst nach der Ratifikation durch sämtliche Mitgliedstaaten. Nach den in Frankreich und den Niederlanden gescheiterten Referenden ist damit zumindest kurzfristig nicht mehr zu rechnen. 109 Dazu Bühler, Einschränkung von Grundrechten, S. 372 ff.; Dorf, JZ 2005, 126, 129 f.; Hilbrandt, in: Heselhaus/Nowak, Hdb. EU-Grundrechte, § 37 Rdnr. 23; Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 30 GRCh Rdnr. 2. 110 Vgl. dazu oben unter § 5 D, S. 177 ff. 111 ABl. EU Nr. C 310 vom 16.12.2004, S. 442. Zu Art. 24 der Revidierten Europäischen Sozialcharta sogleich unten unter § 15 B, S. 580 f.

§ 14 Abfindungen und Europarecht

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Die Stellungnahmen in der Literatur zum Inhalt des Art. II-90 EU-Verf. bzw. Art. 30 EGRC sind meist ebenso vage. Keineswegs aber gewährleistet dieser ein dem geltenden deutschen Kündigungsschutzrecht vergleichbares Schutzniveau in allen Mitgliedstaaten und erhebt dieses auf die qualitative Ebene eines Grundrechts.112 Weder beachtet eine derartige Interpretation die von Art. II-90 EU-Verf. selbst vorgenommene Beschränkung durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten, noch die Zielsetzung dieser Norm, lediglich ein Mindestmaß an Schutz bereitzustellen. Doch auch die entgegengesetzte Auffassung Krebbers, die Verweisung auf die nationalen Rechtsvorschriften umfasse sämtliche Fragen des „wie“ und des „ob“ des Rechts auf Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung, kann nicht überzeugen, weil der Verfassungskonvent schon ausweislich der Entwurfsbegründung keine sinnentleerte Vorschrift schaffen wollte. Zachert etwa erinnert die Norm an die Rechtsprechung des BVerfG zum Mindestkündigungsschutz.113 Nach der Auffassung Rebhahns verlangt Art. 30 EGRC vom Arbeitgeber lediglich eine sachliche Rechtfertigung, die belege, dass er nicht ohne nachvollziehbare Überlegung „aus einer Laune heraus“ gekündigt habe.114 Jarass und Riedel verweisen zur näheren Konkretisierung auf die im Anhang zu Art. 24 der Revidierten Europäischen Sozialcharta unter Nr. 3 lit. a-d und f aufgeführten Gründe wie Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder zeitweilige unfall- oder krankheitsbedingte Abwesenheit, die der sachlichen Rechtfertigung einer Kündigung entgegenstehen.115 Ein Recht auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Ausspruch einer ungerechtfertigten Kündigung und damit die Garantie eines bestandsschützenden Kündigungsrechts lässt sich der Norm jedenfalls nicht entnehmen.116 Jede Verdrängung des Kündigungsschutzes durch Abfindungsansprüche, die dem Arbeitnehmer einen Prozeß über die Rechtfertigung der Kündigung abschneidet, führt damit zu einem Eingriff in Art. II-90 EU-Verf.117 Dieser Eingriff kann möglicherweise durch die Zustimmung des Arbeitnehmers zu einer verdrängenden Abrede gerechtfertigt werden, ausscheiden muss eine Rechtfer___________ 112

So aber Dötsch, AuA 2001, 362, 363. Zachert, NZA 2001, 1041, 1045. 114 Rebhahn, ZfA 2003, 163, 177. Ebenso Lang, in: Tettinger/Stern, Grundrechtecharta, Art. 30 Rdnr. 7. 115 Jarass, EU-Grundrechte, § 30 Rdnr. 17; Riedel, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 30 Rdnr. 15. Ebenso Lang, in: Tettinger/Stern, Grundrechtecharta, Art. 30 Rdnr. 7. Zurückhaltend Hilbrandt, in: Heselhaus/Nowak, Hdb. EU-Grundrechte, § 37 Rdnr. 21. 116 Lang, in: Tettinger/Stern, Grundrechtecharta, Art. 30 Rdnr. 8; Rebhahn, ZfA 2003, 163, 177; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte in der EU, Rdnr. 1014; aA Wank, Sonderbeilage zu NZA Heft 21/2003, 3, 10. 117 Rebhahn, RdA 2002, 272, 289. 113

4. Teil: Einflüsse supra- und internationalen Rechts

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tigung aber immer dann, wenn das Gesetz einen Kündigungsschutzprozess von vornherein zugunsten einer Abfindungszahlung, auf die auch im Falle einer gerechtfertigten Kündigung ein Anspruch besteht, nicht vorsieht.118 2. Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte de lege ferenda Weitere Versuche zur inhaltlichen Konkretisierung des Art. II-90 EU-Verf. können indes hier unterbleiben, wenn die EU-Verfassung de lege ferenda nicht auch zu einer erweiterten Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten führt. Dies aber ist nicht der Fall. Gemäß Art. II-111 EU-Verf. gelten die Grundrechte für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Unter Hinweis auf den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung sowie das Subsidiaritätsprinzip stellt Art. II-111 Abs. 2 EU-Verf. klar, dass die Grundrechte-Charta den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausdehnt, weder neue Zuständigkeiten und Aufgaben für die Union begründet, noch die an anderen Stellen der Verfassung festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben ändert. Art. II-111 EU-Verf. kodifiziert damit lediglich die bereits geltenden, vom EuGH aufgestellten Grundsätze zur Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte.119 Auch die Grundrechte der EU-Verfassung binden die Mitgliedstaaten de lege ferenda nur im Anwendungsbereich des Unionsrechts, ein rein mitgliedstaatliches Handeln ohne Unionsbezug löst auch zukünftig keine Bindung an die Art. II-61 ff. EU-Verf. aus. 120 Folglich ist der nationale Gesetzgeber bei einer Änderung des Kündigungsrechts an die aus Art. II-90, II-93 Abs. 2 EU-Verf. folgenden Schutzpflichten solange nicht gebunden, wie der Unionsgesetzgeber auf dem Gebiet des arbeitsrechtlichen

___________ 118

Rebhahn, RdA 2002, 272, 289. Everling, in: GS Heinze, S. 157, 164; Ladenburger, in: Tettinger/Stern, Grundrechtecharta, Art. 51 Rdnr. 23 f.; Scheuing, EuR 2005, 162, 182 ff. So auch die Erläuterungen des Verfassungskonvents, ABl. EU Nr. C 310 vom 16.12.2004, S. 454, der auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH Bezug nimmt. Abweichend Scholz, nach dessen Auffassung die Rechtsprechung des EuGH zu einer intensiveren Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte führt, vgl. dazu Scholz, in: FS Heldrich, S. 1311, 1316. Dagegen interpretiert Cremer Art. II-111 EU-Verf. als Einschränkung der Grundrechtsbindung, vgl. Cremer, NVwZ 2003, 1452, 1457. 120 Borowsky, in: Meyer, Grundrechtecharta, Art. 51 Rdnr. 25 ff.; Calliess, EuZW 2001, 261, 266; Dötsch, AuA 2001, 362, 363; Knöll, NVwZ 2001, 392, 393; Pietzsch, ZRP 2003, 1, 3; Rebhahn, ZfA 2003, 163, 177; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte in der EU, Rdnr. 327; Schmitz, JZ 2001, 833, 840; Tettinger, NJW 2001, 1010, 1014. 119

§ 14 Abfindungen und Europarecht

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Kündigungsschutzes etwa in der Form von Rahmengesetzen121 regelnd tätig geworden ist.122 Einschlägig sind die Art. II-90, II-93 Abs. 2 EU-Verf. de lege ferenda aber im Hinblick auf den schon jetzt sekundärrechtlich geprägten Kündigungsschutz. Jedoch verpflichten bereits die geltenden Richtlinien den nationalen Gesetzgeber zum Erlass umfangreichen Sanktionsregelungen,123 die in ihren Anforderungen weit über die bisherigen übereinstimmend getroffenen Erkenntnisse der Literatur zu den Gewährleistungsgehalten der Art. II-90, II-93 Abs. 2 EU-Verf. hinausgehen.

___________ 121

Art. I-33EUVerf. führt zu einer Umbenennung der Rechtsquellen, an die Stelle der Richtlinie tritt dann das „Rahmengesetz“, vgl. Art. I-33 Abs. 1 Unterabs. 3 EU-Verf. 122 Rebhahn, ZfA 2003, 163, 177. 123 Vgl. dazu oben unter § 14 A I, S. 554 ff.

§ 15 Internationalrechtliche Vorgaben für den nationalen Kündigungsschutz A. Konvention zum Schutze der Menschenrecht und Grundfreiheiten (EMRK) Grundrechte enthalten nicht nur das GG und das Gemeinschaftsrecht. Auch die EMRK hält einen ausformulierten Grundrechtskatalog bereit, sie ist in der Bundesrepublik als einfaches Parlamentsgesetz rechtsverbindlich.1 Über dessen Einhaltung wacht der EGMR nach Maßgabe der Art. 19 EMRK ff., der Einzelne kann sich gemäß Art. 34 EMRK mittels Individualbeschwerde und der Behauptung einer Grundrechtsverletzung an den Gerichtshof wenden. Auch die Grundrechtsdogmatik zur EMRK kennt grundrechtliche Schutzpflichten.2 Jedoch gewährleistet die EMRK kein Grundrecht der Berufsfreiheit, aus dem sich Vorgaben für den allgemeinen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz ableiten ließen.

B. Revidierte Europäische Sozialcharta (ESC) Ausdrückliche Bestimmungen zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen enthält aber die vom Europarat am 03.05.1996 beschlossene Revidierte Europäische Sozialcharta.3 Deren Art. 24 gewährleistet ein Recht auf Kündigungsschutz.4 Art. 24 Abs. 1 lit. b ist dabei für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse: Diese Norm sieht generell bei Ausspruch einer nicht durch einen triftigen Grund („without valid reasons“) gerechtfertigten Kündigung eine Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung („adequate compensation“) oder einen anderen zweckmäßigen Ausgleich („appropriate relief“) vor. Art. 24 Abs. 2 verpflichtet den nationalen Gesetzgeber ___________ 1

Gesetz vom 7. 8. 1952, BGBl. II, 685, Neubekanntmachung am 17. 5. 2002, BGBl. II, 1054. 2 EGMR vom 21.06.1988, A/139, 4, 12 § 32 – arrêt Plattform „Ärzte für das Leben“; EGMR vom 20.04.1993, A/258-A, 3, 21 § 27 – affaire Sibson (zu Art. 11 EMRK); EGMR vom 19.02.1993, Récueil 1998-I, Nr. 64, 210, 227 § 58 – arrêt Guerra et autres (zu Art. 8 EMRK). Ausführliche Nachweise bei Jaeckel, Schutzpflichten, S. 124 ff.; Szczekalla, Schutzpflichten, S. 712 ff. 3 Eine offizielle Textfassung in englischer Sprache ist im Internet unter http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/163.htm (28.02.2007), eine nichtamtlich Übersetzung unter http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/163.htm (28.02.2007) abrufbar. 4 Dazu Birk, in: FS Söllner, 137, 141 ff.

§ 15 Internationalrechtliche Vorgaben

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zur Schaffung eines unparteiischen Gremiums („impartial body“), vor dem der Arbeitnehmer die Kündigung anfechten kann. Die Bundesrepublik Deutschland hat jedoch, anders als die Europäische Sozialcharta vom 18.10.1961, welche zum überwiegenden Teil in innerstaatliches Recht transformiert wurde,5 die Revidierte Europäische Sozialcharta bislang nicht ratifiziert.6 Auch Art. 24 der Revidierten Sozialcharta bindet folglich den Gesetzgeber bei einer Neukonzeption des gesetzlichen Kündigungsschutzes nicht.

C. Das Recht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Die bedeutsamste Quelle internationalrechtlicher Verpflichtungen für das Arbeitsrecht bildet das Recht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Leitbild für die Rechtssetzung der ILO ist ausweislich Art. 19.8 der ILOVerfassung die Errichtung arbeitsrechtlicher Mindeststandards, der die Mitgliedstaaten aber nicht daran hindert, darüber hinausgehende Schutzmechanismen einzurichten. I. Allgemeiner Kündigungsschutz Regelungen zum allgemeinen Kündigungsschutz trifft das Übereinkommen Nr. 158.7 Dessen Art. 12 Nr. 1 verpflichtet den Gesetzgeber, einem Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses entweder alternativ oder kumulativ einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung (lit. a) oder Leistungen der Arbeitslosenversicherung bzw. der Arbeitslosenhilfe (lit. b) zu gewähren. Gemäß Art. 8 Nr. 1 ist dem Arbeitnehmer, der die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses für nicht gerechtfertigt hält, das Recht einzuräumen, die Kündigung vor einer unparteiischen Stelle überprüfen zu lassen. ___________ 5

BGBl. II (1964), 1261. Im Siebten Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen, BT-Drs. 15/5800, heißt es insoweit zurückhaltend, S. 47: „Die Prüfung einer Ratifikation der Revidierten Europäischen Sozialcharta von 1996 konnte auch im Berichtszeitraum noch nicht mit positivem Ergebnis abgeschlossen werden. Die Möglichkeiten, bestehende Bedenken auszuräumen, werden weiter geprüft. Wegen der Vielzahl der zu beteiligenden Stellen und der Komplexität der Materie nimmt die Prüfung jedoch erhebliche Zeit in Anspruch. Schwierigkeiten bereitet vor allem, dass aus den sehr allgemein gehaltenen Formulierungen des Übereinkommens oft neue und weitreichende Anforderungen der Überwachungsgremien an die innerstaatliche Umsetzung von Regelungsgegenständen abgeleitet werden.“ 7 „Übereinkommen über die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses auf Initiative des Arbeitgebers“, in Kraft seit dem 23.11.1985. Eine deutsche Übersetzung ist auf der einschlägigen Hompage der ILO abgelegt, http://www.ilo.org/ilolex/german/docs/ convdisp1.htm (28.02.2007). Zum Regelungsgehalt Böhmert, Recht der ILO, S. 125 f. 6

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4. Teil: Einflüsse supra- und internationalen Rechts

Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dieses Abkommen bislang nicht ratifiziert, der Gesetzgeber unterliegt insoweit bei einer Reform des allgemeinen Kündigungsschutzes keinen Verpflichtungen. II. Sonderkündigungsschutz Ratifiziert sind allerdings weitere bestimmte Bereiche des Sonderkündigungsschutzes betreffende ILO-Abkommen. Dazu zählen das „Übereinkommen Nr. 3 über die Beschäftigung von Frauen vor und nach der Niederkunft“, das „Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf“, das „Übereinkommen Nr. 135 über Schutz und Erleichterungen für Arbeitnehmervertreter im Betrieb“ sowie das „Übereinkommen Nr. 159 über die berufliche Rehabilitation und die Beschäftigung der Behinderten“.8 Im Ergebnis bleiben die dort in Bezug auf den Kündigungsschutz normierten Mindeststandards hinter den aus dem GG sowie dem Gemeinschaftsrecht folgenden Anforderungen zurück. Art. 6 des ILO-Übereinkommens Nr. 39 etwa bestimmt ein lediglich eingeschränktes Kündigungsverbot für Schwangere oder Wöchnerinnen während deren schwangerschaftsbedingter Abwesenheit in den sechs Wochen vor sowie weiteren sechs Wochen nach der Entbindung. Zweck dieses Kündigungsverbots ist der Schutz der Gesundheit von Mutter und Kind,10 womit ein allein abfindungsschützendes Kündigungsrecht, welches die Arbeitnehmerin der Gefahr des Arbeitsplatzverlustes aussetzte, ebenso wenig wie unter dem Einfluss des Art. 6 Abs. 4 GG11 bzw. des Art. 10 Nr. 1 RL 92/85/EWG12 zu vereinbaren ist.13 Denselben Schutz gewährleistet im Übrigen auch Art. 8 Nr. 2 der von Deutschland ratifizierten Europäischen Sozialcharta14. ___________ 8

Sämtliche Abkommen sind zusammen mit Informationen über das Datum der Ratifikation auf der einschlägigen Hompage der ILO-Vertretung Deutschland abrufbar, vgl. http://www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/ratifikationen.htm (28.02.2007). 9 Die weitergehenden Mutterschutz-Abkommen Nr. 103 und 183 hat die Bundesrepublik Deutschland bislang nicht ratifiziert. 10 Böhmert, Recht der ILO, S. 138. 11 Vgl. dazu oben unter § 13 I I, S. 546 ff. 12 Vgl. dazu oben unter § 14 A I 1 b), S. 558 f. 13 Ebenso Böhmert, Recht der ILO, S. 138, nach deren Auffassung die Arbeitnehmerin absoluten Entlassungsschutz genießt. Nicht nachgegangen werden kann an dieser Stelle der Frage, ob ein dem geltenden § 9 Abs. 3 MuSchG entsprechendes ausnahmsweises Recht zur Kündigung mit behördlicher Zustimmung mit den Vorgaben des Art. 6 des Übereinkommens Nr. 3 in Einklang zu bringen ist, vgl. dazu ausführlich Böhmert, Recht der ILO, S. 261 ff. 14 Europäische Sozialcharta, in einer amtlichen deutschen Übersetzung im Internet abrufbar, http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/035.htm (28.02.2007).

§ 15 Internationalrechtliche Vorgaben

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Ein unmittelbar bestandsschützendes Kündigungsrecht gebietet auch Art. 1 des ILO-Übereinkommens Nr. 135. Dieses verpflichtet den Gesetzgeber, Arbeitnehmervertreter vor jeder Benachteiligung einschließlich Kündigung aufgrund deren Stellung oder Betätigung im Rahmen der Arbeitnehmervertretung wirksam zu schützen. Diese Norm weist neben dem individualschützenden auch einen kollektivschützenden Charakter auf, das Interesse der Belegschaft an einer funktionsfähigen Arbeitnehmervertretung lässt sich aber ausschließlich durch einen Kündigungsschutz absichern, der unmittelbar auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmervertreter abzielt.15 Demgegenüber wird jedoch ein allein abfindungsschützendes Kündigungsrecht den Vorgaben der Übereinkommen Nr. 111 und 159 gerecht. Die in dem Übereinkommen Nr. 111 geregelten Diskriminierungsverbote haben das BAG bereits mehrfach beschäftigt, vor allem im Zusammenhang mit Kündigungen wegen mangelnder persönlicher Eignung nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages.16 Das Gericht konnte dabei bereits keine Verletzung eines Diskriminierungsverbots feststellen und musste sich daher auch nicht mit dessen Folgen auseinandersetzen. Das Übereinkommen Nr. 111 selbst enthält keine ausdrückliche Sanktionsregelung. Art. 2 verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich, „eine innerstaatliche Politik festzulegen und zu verfolgen, die darauf abzielt, mit Methoden, die den innerstaatlichen Verhältnissen und Gepflogenheiten angepasst sind, die Gleichheit der Gelegenheiten und der Behandlung in Bezug auf Beschäftigung und Beruf zu fördern, um jegliche Diskriminierung auf diesem Gebiet auszuschalten.“ Ein effektiv abfindungsschützendes Kündigungsrecht, welches bereits die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 1 EG erfüllt,17 hält jedenfalls diesen Vorgaben stand. Das Übereinkommen Nr. 159 schließlich verpflichtet ausweislich seiner Art. 3 und 4 zur Formulierung einer Politik zur Rehabilitation und Beschäftigung Behinderter unter Berücksichtigung des Prinzips der Chancengleichheit. Konkrete Vorgaben trifft das Übereinkommen nicht und ist insofern für die behinderten Arbeitnehmer von lediglich zweifelhaftem Wert.18

___________ 15

Der durch diese Norm vermittelte Schutz weist insoweit eine Parallele zu dem des Art. 7 RL 2002/14/EG auf, vgl. dazu § 14 A I 1 c), S. 560. 16 Vgl. dazu BAG vom 28.04.1994, AP Nr. 22 zu Anlage I Kap XIX Einigungsvertrag; BAG vom 27.06.1996, AP Nr. 61 zu Anlage I Kap XIX Einigungsvertrag; BAG vom 26.09.1996, ZTR 1997, 185, 186. 17 Vgl. dazu oben unter § 14 A I 1 a), S. 555 ff. 18 Böhmert, Recht der ILO, S. 141.

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4. Teil: Einflüsse supra- und internationalen Rechts

D. Ergebnis Die Vorgaben des internationalen Rechts für den nationalen Kündigungsschutz sind folglich beschränkt. Eine wesentliche Ursache dafür liegt darin, dass die Bundesrepublik Deutschland bislang weder die Revidierte Europäische Sozialcharta noch das ILO-Übereinkommen Nr. 158 ratifiziert hat, die beide Schutzstandards für den allgemeinen Kündigungsschutz definieren. Mehrere ratifizierte ILO-Übereinkommen nehmen jedoch Einfluss auf die Ausgestaltung des Sonderkündigungsschutzes. So gebietet Art. 6 des Übereinkommens Nr. 3 ein unmittelbar bestandsschützendes Kündigungsrecht für Schwangere und Wöchnerinnen während eines zwölfwöchigen Schutzzeitraumes. Auch der nach Maßgabe des Art. 1 des ILO-Übereinkommens Nr. 135 für Arbeitnehmervertreter gewährleistete Sonderkündigungsschutz zielt unmittelbar auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses ab. Eine Orientierung des Gesetzgebers am Prinzip des Abfindungsschutzes genügt jedoch im Anwendungsbereich der Diskriminierungsverbote sowie des Sonderkündigungsrechts für behinderte Arbeitnehmer nach den ILO-Übereinkommen Nr. 111 und 159.

5. Teil

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Arbeit I. Das KSchG ist geprägt vom Prinzip des Bestandsschutzes. Die gerichtliche Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führt unmittelbar zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Gleichwohl errichtet der arbeitsrechtliche Kündigungsschutz keineswegs eine absolute Kündigungsschranke: Eine rechtmäßige Kündigung führt zum entschädigungslosen Verlust des Arbeitsplatzes. Beide Rechtsfolgen werden in der Kündigungspraxis als unbefriedigend empfunden. Streitigkeiten über die Wirksamkeit der Kündigung vermeiden bzw. beenden die Arbeitsvertragsparteien daher häufig mittels rechtsgeschäftlicher Abfindungsvereinbarungen, die zugunsten des Arbeitnehmers einen Abfindungsanspruch als Gegenleistung für dessen Verzicht auf eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Kündigung begründen. Auch das KSchG selbst ermöglicht mit seinen §§ 9, 10 und 14 Abs. 2 S. 2 ausnahmsweise trotz gerichtlicher Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kündigung eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung. Auch eine rechtmäßige Kündigung führt keineswegs ausnahmslos zu einem entschädigungslosen Verlust des Arbeitsplatzes. Insbesondere bei betriebsbedingten Kündigungen können die Arbeitnehmer häufig eine Abfindung auf kollektivrechtlicher Grundlage, etwa einem Sozialplan oder einem tariflichen Rationalisierungsschutzabkommen, beanspruchen. Abfindungszahlungen wegen der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind daher weit verbreitet. II. Mit der Verdrängung des Bestandsschutzes durch Abfindungsansprüche einher geht eine weit verbreitete fundamentale Kritik an der Konzeption des gesetzlichen Kündigungsschutzes. Diese ermutige den Arbeitnehmer zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage und veranlasse den Arbeitgeber, Kündigungsstreitigkeiten kurzfristig im Vergleichsweg mittels Zahlung einer Abfindung zu beenden, woran auch der Arbeitnehmer interessiert sei. Das Bestandsschutzprinzip laufe so völlig leer. Gleichzeitig wirke sich der rigide gesetzliche Kündigungsschutz auf dem Arbeitsmarkt negativ aus: Aufgrund der mit ihm verbundenen Kosten hindere er den Arbeitgeber an der Vornahme von Neuein-

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5. Teil: Zusammenfassung

stellungen, verfestige den Arbeitsmarkt, indem er eine Marktzutrittsschranke zulasten der Arbeitsuchenden errichte und sei letztlich Mitverursacher der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit. Empirische Untersuchungen zur Praxis des Kündigungsschutzes sowie dessen Wirkungen auf den Arbeitsmarkt zeichnen jedoch ein deutlich differenziertes Bild. Weder können diese einen Einfluss des Kündigungsschutzes auf das globale Niveau der Arbeitslosigkeit noch die Beschäftigungsquote nachweisen. Ebenso wenig ist dessen beschäftigungshindernde Wirkung belegt. Die Auswirkungen des Kündigungsschutzes auf den Arbeitsmarkt werden damit weit überschätzt, signifikante beschäftigungspolitische Resultate sind mit einer Änderung des Kündigungsrechts jedenfalls nicht zu erwarten. Nachweislich beeinflusst der gesetzliche Kündigungsschutz jedoch die Struktur von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung: Er führt zu einer Erhöhung der Langzeitarbeitslosigkeit und beeinträchtigt die Beschäftigungschancen von Frauen und Jugendlichen negativ. Aktuelle empirische Untersuchungen zur Kündigungspraxis verdeutlichen zudem das Ausmaß der Verdrängung des Bestandsschutzprinzips durch Abfindungsansprüche: Zwar führt der Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung nicht – wie oft behauptet – mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, an deren Ende umfangreiche Abfindungszahlungen stehen. Die Klagequote beträgt zwischen 11 und 16 % und allenfalls 15 % aller von einer Arbeitgeberkündigung betroffenen Arbeitnehmer erhalten überhaupt eine Abfindung. Erhebt der Arbeitnehmer jedoch eine Kündigungsschutzklage, so steigt die Wahrscheinlichkeit, eine Abfindung zu erhalten, auf knapp 50 % an. Die wenigsten dieser Prozesse (etwa 11 % aller Bestandsstreitigkeiten) werden vor den Arbeitsgerichten mit einem streitigen Urteil erledigt, stattdessen steht der gerichtliche Vergleich mit einem Anteil von 65 % an erster Stelle. 75 % dieser Vergleiche sehen einen Abfindungsanspruch zugunsten des Arbeitnehmers vor. Ist der sachliche Anwendungsbereich des KSchG eröffnet, steigt dieser Anteil gar auf 81 %. Zur Bemessung der Abfindung hat sich im Wesentlichen die so gen. „Faustformel“ – halbes Bruttomonatsverdienst je Beschäftigungsjahr – eingebürgert, auch wenn dieser Faktor in Abhängigkeit von der Betriebsgröße, der Branche oder den der Kündigung zugrunde liegenden Gründen mitunter stark variiert. Das Rechtsschutzziel des KSchG, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu sichern, läuft damit praktisch weitgehend leer, was eine Neukonzeption des gesetzlichen Kündigungsschutzes mit einer verstärkten Orientierung am Prinzip des Abfindungsschutzes nahe legt. III. Für eine Ergänzung oder Ablösung des Bestandsschutzprinzips bieten sich verschiedene Lösungen an. Den Bestandsschutz unberührt lässt dabei die von

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breiten Teilen des Schrifttums erhobene Forderung nach der Schaffung eines gesetzlichen Abfindungsanspruchs bei der betriebsbedingten Kündigung. Dieser soll den Arbeitnehmer für den unverschuldeten Verlust seines Arbeitsplatzes entschädigen, gleichzeitig aber auch den Anreiz zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage entfallen lassen. Die Abfindung kann dabei auch an die Stelle der Verpflichtung des § 1 Abs. 3 KSchG zur Vornahme einer Sozialauswahl treten. Sie zielt damit auf eine Vereinfachung des gesetzlichen Schutzes vor betriebsbedingten Kündigungen und bildet mit ihren sozialen Bemessungsfaktoren die zwischen den Arbeitnehmern unterschiedliche Bedeutung des Arbeitsplatzes zur Existenzsicherung differenziert ab. Zur Ablösung des Bestandsschutzprinzips setzt die Abfindung bei den Rechtsfolgen des gesetzlichen Kündigungsschutzes an: Hat die Kündigungsschutzklage eines Arbeitnehmers Erfolg, so kann dieser nicht mehr die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses, sondern lediglich eine nach seiner Beschäftigungsdauer bemessene Abfindungszahlung verlangen. Ein weniger einschneidendes Reformkonzept sieht demgegenüber ein Wahlrecht der Arbeitsvertragsparteien zwischen Bestandsschutz und einem Abfindungsanspruch im Kündigungsschutzprozess vor. Stets verfolgt die Abfindung einen doppelten Zweck: Sie will zum einen den Arbeitnehmer für den ungerechtfertigten Verlust seines Arbeitsplatzes entschädigen, gleichzeitig aber auch den Arbeitgeber bereits im Vorfeld vom Ausspruch rechtswidriger Kündigungen abhalten und so mittelbar den Bestand der Arbeitsverhältnisse schützen. Die weitestreichenden Reformüberlegungen favorisieren indes nicht nur eine Verdrängung des Bestandsschutzprinzips, sondern eine Ablösung des gesamten gesetzlichen Kündigungsschutzes durch Abfindungsansprüche. So kann einem ersten Modell zufolge der Arbeitnehmer bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung zwar eine Abfindung beanspruchen, allerdings entfällt mit dem gesetzlichen Kündigungsschutz auch die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle der Kündigung. Insbesondere das wirtschaftswissenschaftliche Schrifttum favorisiert eine rechtsgeschäftliche Verdrängung des Kündigungsschutzes: Danach besteht dieser im Grundsatz zwar fort, die Arbeitsvertragsparteien sollen jedoch entweder bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrag oder jedenfalls nach Ablauf der Probezeit einen Vorausverzicht gegen Abfindungszahlung vereinbaren können. Die Abfindung bezweckt eine Entschädigung des Arbeitnehmers für den Verlust seines Arbeitsplatzes. Da diese aber nicht mehr an die Rechtswidrigkeit der Kündigung anknüpft, entfallen sowohl der Sanktions- als auch der Präventionscharakter. IV. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden europäischen Rechtsangleichung und der nach Vollendung strebenden Verwirklichung des Binnenmarktes, aber

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auch der höchst unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung liefern die unterschiedlichen Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten wichtige Impulse für eine Reform des Kündigungsschutzes in Deutschland. Diese gewährleisten sämtlich einen gesetzlichen – in Dänemark weitgehend tariflichen – Kündigungsschutz, der vor Ausspruch der Kündigung nicht zur Disposition der Arbeitsvertragparteien steht. Lediglich das französische Arbeitsrecht sieht für Neueinstellungsverträge einen gegenständlichen und auf zwei Jahre zeitlich beschränkten weitgehenden Ausschluss des Kündigungsschutzes gegen Abfindungszahlung vor. Portugal ermöglicht nach Ausspruch einer durch wirtschaftliche Gründe bedingten Kündigung einen Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz gegen Abfindungszahlung, Spanien erlaubt dem Arbeitgeber eine Begrenzung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitnehmers, der dafür als Gegenleistung ebenfalls eine Abfindung beanspruchen kann. Doch nicht nur besteht abgesehen von diesen Ausnahmen in sämtlichen EUMitgliedstaaten ein unabdingbarer gesetzlicher Kündigungsschutz zugunsten des Arbeitnehmers, auch ist dieser nur in drei Ländern (Belgien, Dänemark, Finnland) nahezu ausschließlich am Prinzip des Abfindungsschutzes ausgerichtet. Die übrigen kombinieren Abfindungszahlungen und Bestandsschutz, wobei sich keine mehrheitliche Präferenz für die eine oder die andere Richtung feststellen lässt. England, Irland, Frankreich, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Polen und Spanien favorisieren Abfindungszahlungen. Die Abfindungen fallen dabei etwa mit anderthalb Monatsverdiensten je Beschäftigungsjahr in Spanien auf der einen und einer Beschränkung auf den Ersatz des tatsächlich entstandenen materiellen Schadens in Luxemburg und Malta höchst unterschiedlich aus. Außerdem sehen diese Länder regelmäßig Durchbrechungen des Abfindungsschutzes zugunsten des Bestandsschutzprinzips vor, etwa bei einer Verletzung von Diskriminierungsverboten oder für besonders geschützte Arbeitnehmer. Mitunter reichen dafür, etwa in Spanien, aber auch bereits formelle Mängel der Kündigung aus. Vorrangig auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses zielt der Kündigungsschutz insbesondere in den mittel- und osteuropäischen Ländern ab, und zwar in den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn, aber auch in Griechenland, Portugal und Schweden sowie mit Einschränkungen in Italien. In einem noch stärkeren Maß als das deutsche ist schließlich nur noch das österreichische Kündigungsschutzrecht bestandsschutzorientiert. In Europa weit verbreitet sind jedoch gesetzliche Abfindungsansprüche, die ohne Rücksicht auf deren Rechtmäßigkeit allein an den Tatbestand des Ausspruchs einer Kündigung anknüpfen. Mit Malta, den Niederlanden, Schweden und der Slowakei kennen lediglich vier der untersuchten Länder auch bei einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen vergleichbar der Rechtslage in

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Deutschland keine gesetzlich verankerte Abfindungspflicht. Österreich und demnächst auch Italien haben das Abfindungsrecht dabei in das System der privaten Altersvorsorge eingebettet, so dass die Abfindung dort eine über die sonst regelmäßig bezweckte Entschädigungsfunktion hinausreichende Bedeutung aufweist. V. Seit dem 01.01.2004 kennt auch das deutsche Kündigungsschutzrecht mit § 1a KSchG einen Abfindungsanspruch, der an eine Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse anknüpft. Gleichwohl entsteht dieser nicht automatisch bei jeder betriebsbedingten Kündigung, sondern setzt gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG einen „Hinweis“ des Arbeitgebers voraus, dass der Arbeitnehmer mit Verstreichenlassen der Klagefrist eine Abfindung beanspruchen kann, die § 1a Abs. 2 KSchG auf 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses festsetzt. Der solchermaßen entstandene Abfindungsanspruch ist dabei kein gesetzlicher, sondern ein rechtsgeschäftlicher: Während der „Hinweis“ des Arbeitgebers als Angebot auf Abschluss einer Abfindungsvereinbarung fungiert, fingiert § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG mit dem Verstreichenlassen der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG die korrespondierende Annahmeerklärung des Arbeitnehmers. Ausnahmsweise misst damit das Gesetz dessen Schweigen rechtsgeschäftliche Bedeutung zu. § 1a KSchG stellt auf diese Weise den Arbeitsvertragsparteien ein standardisiertes und vereinfachtes Verfahren zum Abschluss einer rechtsgeschäftlichen Abfindungsvereinbarung nach betriebsbedingter Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung. VI. Das erleichterte Zustandekommen der Abfindungsvereinbarung knüpft das Gesetz jedoch an zahlreiche materielle wie formelle Voraussetzungen: So verpflichtet § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG den Arbeitgeber, das Abfindungsangebot bereits unmittelbar mit der schriftlichen Kündigungserklärung zu verbinden und dabei den Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass die Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen erfolgte. Letztere ist allerdings eine lediglich formelle Voraussetzung; welche Gründe tatsächlich den Ausschlag für die Kündigung gegeben haben, spielt keine Rolle, solange der Arbeitgeber diese nur als betriebsbedingt bezeichnet. Im Wege einer Analogie findet § 1a KSchG auch bei einer auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützten außerordentlichen Kündigung ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer Anwendung. Bei einer betriebsbedingten Änderungskündigung steht den Arbeitsvertragsparteien das Verfahren des § 1a KSchG nur dann offen, wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot des Arbeitgebers vorbehaltlos ablehnt und der Arbeitnehmer sich

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so der gleichen Lage ausgesetzt sieht, als hätte er von vornherein eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses angestrebt. Mit dem Verstreichenlassen der Klagefrist nimmt der Arbeitnehmer das Abfindungsangebot des Arbeitgebers an, § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG fingiert die korrespondierende Annahmeerklärung. Diese Fiktion tritt unabhängig von einem Erklärungsbewusstsein des Arbeitnehmers oder dessen Kenntnis von dem Abfindungsangebot des Arbeitgebers ein; ein Irrtum über die normative Wirkung seines Schweigens berechtigt insoweit nicht zur Anfechtung. Erlangt der Arbeitnehmer Kenntnis von dem Abfindungsangebot, steht es ihm frei, seine Annahme auch ausdrücklich zu erklären. Erhebt er eine Kündigungsschutzklage, erlischt das Angebot des Arbeitgebers jedoch ebenso wie nach einer ausdrücklichen Ablehnungserklärung, § 146 BGB; eine Klagerücknahme lässt das Abfindungsangebot nicht wieder aufleben. Die Höhe der Abfindung legt § 1a Abs. 2 S. 1 KSchG auf 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses fest. Weicht das Angebot des Arbeitgebers davon ab und lässt sich dieser Mangel auch nicht durch eine Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB beheben, kommt keine Abfindungsvereinbarung zustande. Keine Aussage trifft § 1a KSchG für den Fall, dass der Arbeitnehmer nach Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung, § 5 Abs. 1 S. 1 KSchG, stellt. Obwohl der Abfindungsanspruch dann bereits entstanden ist, kann der Arbeitnehmer keine Abfindung beanspruchen: Die Abfindungsvereinbarung steht unter der auflösenden Bedingung eines Antrags auf nachträgliche Klagezulassung. Zu diesem Ergebnis führt eine ergänzende Auslegung der zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffenen Vereinbarung. Ein Wiedereinstellungsanspruch kommt jedoch neben einer Abfindungsvereinbarung gemäß § 1a KSchG aufgrund der von dieser verfolgten Befriedungsfunktion nicht in Betracht. Auch ein Rücktritt nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, scheidet aus; dem Arbeitnehmer ist angesichts des Umfangs der vom Arbeitgeber gezahlten Abfindung ein Festhalten an der Vereinbarung zuzumuten. VII. Haben die Arbeitsvertragsparteien sämtliche Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 KSchG beachtet, entsteht der Abfindungsanspruch mit Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG. Fällig wird dieser Anspruch gemäß § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG jedoch erst mit Ablauf der Kündigungsfrist. Tariflich und einzelvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen finden Anwendung und in der Insolvenz des Arbeitgebers stellt der Abfindungsanspruch eine einfache Insolvenzforderung

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dar, § 108 Abs. 2 InsO i.V.m. § 38 InsO. Aufgrund fehlender Zweckidentität findet keine automatische Anrechnung auf eine Sozialplanabfindung oder einen Nachteilsausgleichsanspruch, § 113 Abs. 1 oder 3 BetrVG, statt. Die Abfindung nach § 1a KSchG unterliegt nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung und löst zumindest im Grundsatz auch keine Sperrzeit nach Maßgabe des § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III aus. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien vor Ausspruch der Kündigung eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß dem von § 1a KSchG bereitgestellten Verfahren verabredet haben oder der Kündigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers zugrunde liegt. Der Abfindungsanspruch ist unter den Voraussetzungen der §§ 24 Nr. 1, 34 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG steuerbegünstigt. VIII. Die Einführung des § 1a KSchG hat nicht zu einer grundlegenden Neuorientierung des gesetzlichen Kündigungsschutzes geführt. Weder begründet diese Norm einen automatisch bei jeder betriebsbedingten Kündigung entstehenden Abfindungsanspruch, noch ist mit ihr eine Abkehr vom Prinzip des Bestandsschutzes verbunden. § 1a KSchG bietet den Arbeitsvertragsparteien lediglich ein zusätzliches Verfahren für den Abschluss einer rechtsgeschäftlichen Abfindungsvereinbarung zur außergerichtlichen Beilegung eines Streits über die Wirksamkeit einer Kündigung. Der wesentliche Vorteil dieser Vereinbarung gegenüber dem Abwicklungsvertrag liegt in der grundsätzlichen Sperrzeitneutralität des von § 1a KSchG bereitgestellten Verfahrens, während im Übrigen die Nachteile überwiegen: Anders als ein in einem Abwicklungsvertrag ausdrücklich vereinbarter Klageverzicht kann sich der Arbeitgeber nach einem Angebot gemäß § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG nicht sicher sein, dass der Arbeitnehmer die Klagefrist verstreichen lässt. Darüber hinaus können die Arbeitsvertragsparteien mit einem Abwicklungsvertrag flexibel auf offene Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis reagieren und entsprechende Regelungen treffen, während sich der Inhalt einer nach Maßgabe des § 1a KSchG getroffenen Vereinbarung auf die Begründung eines Abfindungsanspruchs beschränkt. IX. Für eine weitergehende Reform des gesetzlichen Kündigungsschutzes bilden die Grundrechte des Grundgesetzes sowohl den Maßstab als auch die äußerste Regelungsgrenze für den Gesetzgeber. Zentrale Bedeutung für den allgemeinen Kündigungsschutz erlangt dabei Art. 12 Abs. 1 GG: In seiner Ausprägung als Arbeitsplatzwahlfreiheit erlegt dieser dem Gesetzgeber eine Schutzpflicht auf, mit einem Mindestmaß an arbeitsrechtlichem Kündigungsschutz den Arbeitnehmer vor einem unfreiwilligen Verlust seines Arbeitsplatzes zu schützen.

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Im Anwendungsbereich des Sonderkündigungsschutzes verstärken weitere Grundrechte den Schutz von Arbeitnehmern und Arbeitsuchenden. So folgt aus Art. 6 Abs. 4 GG ebenso eine Schutzpflicht zugunsten Schwangerer und Mütter wie aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG zugunsten schwerbehinderter Arbeitnehmer, die jeweils ein gegenüber anderen Arbeitnehmern höheres Maß an Kündigungsschutz gebieten. Gleichzeitig schützen Art. 3 Abs. 2 GG sowie Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG arbeitsuchende Frauen und schwerbehinderte Arbeitnehmer vor faktischen Diskriminierungen und verpflichten den Gesetzgeber, dafür Sorge zu tragen, dass der Sonderkündigungsschutz keine einstellungshemmende Wirkung zu ihren Lasten entfaltet. Die Betriebsverfassung erfährt dagegen keinen grundrechtlichen Schutz. Betriebsverfassungsrechtliche Funktionsträger können sich daher wie andere Arbeitnehmer auch lediglich auf den Schutz der Arbeitsplatzwahlfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, berufen. X. Die Grundrechte eröffnen dabei dem Gesetzgeber einen breiten Gestaltungsspielraum zur Ergänzung oder Ablösung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes durch Abfindungsansprüche. Zumindest im allgemeinen Kündigungsschutz stehen einer vollständigen Ablösung des Bestandsschutzprinzips durch Abfindungsansprüche unter Beibehaltung der gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Kündigung keine Hindernisse entgegen. Um den Anforderungen des aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit zugunsten des Arbeitnehmers folgenden Untermaßverbots gerecht zu werden, muss dazu jedoch der Abfindungsanspruch so bemessen sein, dass er den Arbeitnehmer effektiv vor Verlust seines Arbeitsplatzes schützen kann, indem er den Arbeitgeber bereits im Vorfeld von einer rechtswidrigen Kündigung Abstand nehmen lässt und so mittelbar bestandsschützend wirkt. Wirksam und unter Berücksichtigung der kollidierenden Grundrechtspositionen des Arbeitgebers sowie der Arbeitsuchenden auch angemessen ist eine Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsverdienstes je Beschäftigungsjahr. Eine Differenzierung zwischen betriebs-, personen- und verhaltensbedingter Kündigung ist dabei ebenso wenig geboten wie ein Festhalten am Bestandsschutzprinzip bei einer rechtswidrigen außerordentlichen Kündigung. Um allerdings das auch grundrechtlich gebotene Regel-AusnahmeVerhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung nicht auf den Kopf zu stellen, bedarf es für den Fall des Ausspruchs einer außerordentlichen Kündigung ohne wichtigen Grund einer zusätzlichen Abfindung, die zumindest den Ausfall des während des Laufs der einschlägigen Kündigungsfrist zu zahlenden Entgelts kompensiert. Größeren Einschränkungen unterliegt der Gesetzgeber angesichts des damit verbundenen intensiven Eingriffs in die Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers bei der Einführung eines bei jeder betriebsbedingten Kündigung zu zahlenden

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Abfindungsanspruchs. Da dessen Einfluss auf das Klageverhalten der Arbeitnehmer ungewiss ist, überschreitet bereits eine Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsverdienstes die durch das Übermaßverbot gezogene Grenze. Das Übermaßverbot verlangt darüber hinaus eine Minderung oder einen Entfall des Abfindungsanspruchs, wenn die mit diesem verbundenen Zahlungspflichten die wirtschaftliche Existenz des Arbeitgebers gefährden. Ein Abfindungsanspruch kann jedoch uneingeschränkt an die Stelle der in § 1 Abs. 3 KSchG normierten Verpflichtung zur Vornahme einer Sozialauswahl treten. Voraussetzung dafür ist allerdings eine Bemessung der Abfindung zumindest nach den Sozialkriterien Lebensalter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten, damit diese den Arbeitgeber zur Kündigung des am wenigsten sozial schutzbedürftigen Arbeitnehmers veranlasst. Eine mit einem vollständigen Verlust jeglicher gerichtlichen Kontrolle der Kündigung verbundene Ablösung des Kündigungsschutzes durch Abfindungsansprüche verstößt sowohl gegen das aus der Arbeitsplatzwahlfreiheit zugunsten des Arbeitnehmers folgende Untermaßverbot als auch den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Justizgewähranspruch. Auch ein auf einer gesetzlichen Grundlage beruhender privatautonomer Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz gegen Abfindungszahlung ist nur in engen Grenzen grundrechtskonform. Zwar kann ein Arbeitnehmer sowohl auf den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG als auch den Justizgewähranspruch wirksam verzichten, dieser Verzicht setzt jedoch eine freiwillige und unbeeinflusste Verzichtserklärung als Ausdruck einer materiell verstandenen Privatautonomie voraus. Dem steht ein bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages vereinbarter Verzicht entgegen. Eine wirksame entsprechende Erklärung kann der Arbeitnehmer erst dann abgeben, wenn auf ihn bereits die Regelungen des allgemeinen Kündigungsschutzes Anwendung finden. XI. Weiter eingeschränkt ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers im Anwendungsbereich des Sonderkündigungsschutzes. Art. 6 Abs. 4 GG, der die Schwangere oder Mutter ebenso wie ihr Kind vor Gesundheitsgefahren schützt, verlangt zwingend ein Festhalten am Prinzip des Bestandsschutzes, um diese Arbeitnehmerinnen auch tatsächlich vor einem Verlust ihres Arbeitsplatzes bewahren zu können. Keinen grundrechtlichen Bedenken begegnet indes ein allein abfindungsschützendes Kündigungsrecht für schwerbehinderte Arbeitnehmer oder betriebsverfassungsrechtliche Funktionsträger. Ein bestandsschützendes Kündigungsrecht für Betriebsratsmitglieder ließe sich ausschließlich mit einem Schutz ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Tätigkeit begründen, der allerdings das dazu erforderliche grundrechtliche Fundament fehlt.

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XII. Vorgaben für den Kündigungsschutz liefert auch das sekundäre Gemeinschaftsrecht. Allerdings betreffen diese vorrangig bestimmte Bereiche des Sonderkündigungsschutzes, der allgemeine Kündigungsschutz bildete bislang, abgesehen von den noch nicht in vollem Umfang abschätzbaren Auswirkungen der Gleichbehandlungsrichtlinien, nicht den Gegenstand der Richtliniengesetzgebung. Verstöße gegen Richtlinienbestimmungen bedürfen nach Maßgabe des Art. 10 Abs. 1 EG wirksamer, abschreckender und verhältnismäßiger Sanktionen sowie eines effektiven Rechtsschutzes. Dies verstärkt im Anwendungsbereich der RL 92/85/EWG den bereits nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 4 GG zwingend am Prinzip des Bestandsschutzes orientierten Kündigungsschutz von Schwangeren und Wöchnerinnen. Auch Art. 7 RL 2002/14/EG, der nicht nur die im Rahmen einer Arbeitnehmervertretung mitwirkenden Arbeitnehmer, sondern auch das Interesse der Belegschaft an der Funktionsfähigkeit dieser Arbeitnehmervertretung selbst schützt, verlangt nach einem unmittelbar bestandsschützenden Kündigungsrecht für betriebsverfassungsrechtliche Funktionsträger. Keine Bedenken bestehen jedoch im Hinblick auf ein allein abfindungsschützendes Kündigungsrecht als Sanktion für Verstöße gegen die Diskriminierungsverbote der Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 2000/78/EG sowie den besonderen Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer. Auch einen Verstoß gegen die aus Art. 2 RL 98/59/EG folgende Verpflichtung zur Konsultation von Arbeitnehmervertretern vor Durchführung einer Massenentlassung kann der Gesetzgeber mit Abfindungsansprüchen sanktionieren. Ein Verzicht auf den sekundärrechtlich determinierten Kündigungsschutz gegen Abfindungszahlung ist nur soweit möglich, wie die einschlägige Richtlinie dem Arbeitnehmer eine entsprechende Dispositionsbefugnis verleiht. Diese fehlt sowohl im Hinblick auf den Massenentlassungsschutz als auch den besonderen Kündigungsschutz für Arbeitnehmervertreter. Zusätzliche Verpflichtungen aus den Gemeinschaftsgrundrechten obliegen dem nationalen Gesetzgeber nur im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts. Auf dem Gebiet des Kündigungsschutzes ist dies ausschließlich dann der Fall, wenn die entsprechenden Richtlinien dem Gesetzgeber einen Umsetzungsspielraum belassen. Daran ändert sich auch de lege ferenda bei einem Inkrafttreten der EU-Verfassung nichts. Soweit der Richtliniengesetzgeber seine Kompetenz zur Regelung des allgemeinen Kündigungsschutzes nicht wahrnimmt, läuft daher auch Art. II-90 EU-Verf., der einen Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung gewährleistet, leer. XIII. Schließlich stärken auch internationalrechtliche Verpflichtungen des Gesetzgebers den Sonderkündigungsschutz. Während die für den allgemeinen Kündi-

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gungsschutz einschlägige Revidierte Europäische Sozialcharta ebenso wie das ILO-Übereinkommen Nr. 158 mangels Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutschland keine Bindungen hervorrufen, stärkt Art. 6 des ILO-Übereinkommens Nr. 3 das Bestandsschutzprinzip zugunsten Schwangerer und Wöchnerinnen. Gleiches gilt für den nach Maßgabe des Art. 1 des ILO-Übereinkommens Nr. 135 für Arbeitnehmervertreter gewährleisteten Sonderkündigungsschutz. Im Anwendungsbereich der Diskriminierungsverbote sowie des Sonderkündigungsrechts für behinderte Arbeitnehmer nach den ILO-Übereinkommen Nr. 111 und 159 genügt jedoch eine Orientierung des Gesetzgebers am Prinzip des Abfindungsschutzes.

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Sachregister Abfertigung 99, 112, 132, 164 f., 170, 175 f., 487, 504, 506 Abfindung – Abwicklungsvertrag 47 f. – Altersversorgung 99, 101 f., 164 f., 506 – Auflösungsantrag 42 ff. – außerordentliche Kündigung 162 f., 164, 172 f., 185, 186 f., 489 ff. – Begriff 60, 132, 183 f. – betriebsbedingte Kündigung 80, 97 ff., 113, 121, 166 ff., 488 f., 500 ff. – Funktion 44, 50, 56 f., 100 ff., 105, 110 f., 114, 118, 132, 174 ff., 198, 225 f., 351 ff. – Klageverzicht 47 f., 181 ff. – Häufigkeit 79 ff. – Höhe 82 ff., 98, 100, 103 f., 108, 116 f., 124, 127, 129, 169 ff., 177 ff., 185 ff., 190 ff., 210 ff., 285 ff., 485 ff., 504 f. – rechtmäßige Kündigung 97 ff., 162 ff., 500 ff. – rechtswidrige Kündigung 103 ff., 185 ff., 189 ff., 467 ff. – Sozialauswahl 99 f., 507 ff. – Sozialplan 53 ff., 79, 100 f., 104, 117, 120, 128, 350 ff., 563 – Vergleich 41, 46 f., 64 f. Abrundung 290 Abtretung 345 f. Abwehrrechte – Eingriff 425 ff.

– moderner Eingriffsbegriff 426 ff., 443 f., 446 f. – Rechtfertigung 429 ff. – Schutzbereich 425 – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 429 f. Abwicklungsvertrag 41, 47 f., 267, 364 ff., 374 f., 379 Änderungskündigung – außerordentliche 263 f. – ordentliche 254 ff. Anfechtung – arglistige Täuschung 333 ff. – Eigenschaftsirrtum 327 – fingierte Erklärung 331 ff. – Inhaltsirrtum 326 ff. – Rechtsfolgenirrtum 329, 333 Angestelltenrat 109 Annahmeverzug 63, 70, 78, 111, 112, 206 f., 217 Anrechnung 350 f., 354 ff., 562 f. Arbeitnehmervertreter 155 f., 394 f., 559 f. Arbeiterrat 109, 460 Arbeitsgesetzbuch 126 f., 137 f. Arbeitslosengeld – Erstattungspflicht 371 – Ruhen 362 f., 370 f. – Sperrzeit 50 ff., 64, 273, 242 f., 361 ff., 377 Arbeitslosenquote 74, 85 f., 91 Arbeitsmarkt 66, 71, 85 ff., 128, 134, 445 f., 542 Arbeitsplatzwahlfreiheit 434 ff., 442 ff., 521 f., 569

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Sachregister

– Schutzpflicht 435 ff, 446, 463, 521 f. – Verzicht 533 Arbeitsplatzwechsler 443, 448, 480 Arbeitsuchende 67, 442 ff., 476 ff., 479 f., 481 ff., 497 f., 518 Aufhebungsvertrag 48, 364, 366 f., 374 f. Aufrechnung 346 Aufrundung 290 außerordentliche Kündigung 151 ff., 254 ff., 489 ff. Ausschlussfrist 343 f. basic award 190 f. Befristungsschutz 528 Behinderung – Begriff 455 – Benachteiligungsverbot 454 – faktische Diskriminierungen 458 f. – Gleichberechtigungsgebot 458 f. – Gleichstellungsgebot 455 ff. – Schutzpflicht 457 f. Beitragspflicht 361 Berufsfreiheit 433 f., 569 Beschäftigungsquote 74, 86 f. Beschäftigungsverhältnis – Begriff 363 – Lösungstatbestand 363 ff. Bestandsschutz – Begriff 40 – EU-Mitgliedstaaten 188 ff. – Kritik 66, 69, 70, 82 – Reform 103 ff., 119 ff., 126 ff., 374 f. – mittelbarer 101, 471 f., 484 betriebsbedingte Kündigung 62 f., 64, 70, 75 ff., 104, 113, 121 f., 123, 141 ff., 250 ff., 488 f. – Abfindung 80, 97 ff., 113, 121, 166 ff., 500 ff.

Betriebsrat 55, 56, 76, 150, 158, 159, 188 Betriebsübergangsrichtlinie 389 Betriebsverfassung – Grundrechte 460 f. – Sonderkündigungsschutz 459 ff. – Sozialstaatsprinzip 462 f. – Weimarer Reichsverfassung 460 Beurteilungsspielraum 53, 148, 392, 410 ff. common law 139 f., 152, 192, 193 compensatory award 190 f. contrat nouvelles embauches 177 ff. contrat première embauche 179 ff. dringende betriebliche Erfordernisse 250 ff., 268 f. Drittwirkung 384 f. Eigentumsgarantie 439, 441 f. Einschätzungsspielraum 409 ff., 430 Einspruch 109 Einstellungshemmnis 66, 444 ff., 483 Entschädigungsprinzip 110 Ergänzende Vertragsauslegung 306 f. Evidenzkontrolle 410 ff. Existenzgrundlage 67, 472 f., 479, 547, 550 Fälligkeit 337 ff. Faustformel 83, 84 Fünftelregelung 373 Funktionalität 136 f., 471 Gemeinschaftsgrundrechte – Arbeitsplatzwahlfreiheit 569 – Bindung 572 ff., 578 f. – EU-Verfassung 575 ff. – Grundlage 567 ff. – Kündigungsschutz 574 f., 575 ff. – Schutzpflichten 570 ff.

Sachregister Gemeinschaftsrecht – Anwendungsvorrang 389 – Geltungsvorrang 388 f. Genehmigungsverfahren 145 Generalklausel 143 ff. Gestaltungsspielraum 415 ff., 430, 452, 458, 481 f., 493, 495, 502, 504 f., 514, 517, 552, 573 Gleichbehandlungsgrundsatz – arbeitsrechtlicher 47, 58 – betriebsverfassungsrechtlicher 55, 359 – Differenzierungsverbot 451 – faktische Diskriminierungen 452 f. – Schutzpflicht 452, 548, 549 f. Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 555 ff., 565 f. Gleichbehandlungsrichtlinien 389, 396 f. Grundrechtsbindung – Gemeinschaftsgrundrechte 572 ff. – Privatrechtsgesetzgeber 384 ff. – Umsetzung von Richtlinien 390 ff. – Unionsgrundrechte 578 f. Grundrechtsdogmatik 383 Grundrechtsgut – Begriff 407 – Beeinträchtigung 407 f. Grundrechtsverzicht 529 ff. – Freiwilligkeit 535 ff. – Grenzen 531 ff. – Zulässigkeit 529 ff. Haustürgeschäft 50, 349 homo oeconomicus 471 ILO 581 ff. indemnité 193 f., 502 indemnité de licenciement 163, 171, 174 f., 193, 501, 502, 506 Insolvenz 349 f. intensivierte inhaltliche Kontrolle 410

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Interessenabwägung 62 Job-Turnover 74, 87 f., 448 Justizgewähranspruch 522 ff. – effektiver Rechtsschutz 524 f. – Justizgewährpflicht 522 f. – Kündigungsschutz 525 f. – Verzicht 534 Klagefrist 273 ff. – Nichtlauf 275 ff. Klagequote 62, 75 ff. Klagerücknahme 280 ff. Klageverzicht – Abfindung 47 f., 181 ff. – Abwicklungsvertrag 47 f. – Betriebsvereinbarung 55 – Sozialplan 54 f. – Tarifvertrag 57 f. Kleinbetrieb 150 f., 495 ff., 513 Kleinbetriebs-Beschluss 65, 382, 411 f., 421, 423 f., 468, 480, 481, 491, 496, 508 Konfliktschlichtungsauftrag 409 Konsultations-Rahmenrichtlinie 390, 395, 559 f., 565 Kündigungsfreiheit 440 ff., 476, 479, 489 f., 493 ff. Kündigungsfrist 151 ff., 286, 312, 337 ff., 490 ff. Labour-Turnover 87 Langzeitarbeitslosigkeit 90 Marktpreis 486, 494 Marktzutrittsschranke 67, 442 Massenentlassungsrichtlinie 389, 393, 561 ff., 564 f. Maßregelungsverbot 47, 55, 58, 543 materielle Vertragsparität 536 f. Mindestkündigungsschutz 434 ff., 467, 480, 491, 508

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Sachregister

– Verzicht 527 ff Mindestschutz 414 ff., 431, 466, 493, 512 ff., 516, 537 Mutterschutzrichtlinie 389, 397 f., 558 f., 565 f. Nachteilsausgleich 56 f., 350 f., 353, 563 nachträgliche Klagezulassung 298 ff., 334 f., 347, 377 f. Outsider 67, 72, 91 pactum de non petendo 527 Pfändung 345 personenbedingte Kündigung 75 ff., 104, 113, 121 f., 123 f., 141 f., 253, 258 f., 488 f., 522, 526 praktische Konkordanz 409, 417, 430, 494 Privatautonomie 535 ff. Probezeit 149 f., 513 Prognoseprinzip 62 Rationalisierungsschutzabkommen 53, 57 Realakt 227 f., 230, 244 f. Rechtsgeschäft 228 f. rechtsgeschäftsähnliche Handlung 227 f., 229 Rechtsstaatsprinzip 522 f. redundancy payment 166, 171, 175, 501 Revidierte Europäische Sozialcharta 580 f. Rücktritt 304, 308 f., 318 f., 346 f. Sanktion – Richtlinienverstöße 398 f., 555 ff. Schriftform 266 ff. Schutzpflicht – Ableitung 402 ff.

– Arbeitsplatzwahlfreiheit 435 ff., 446, 463, 521 f. – Begriff 400 f. – Gemeinschaftsgrundrechte 570 ff. – Mutterschutz 449 ff., 582 – Privatautonomie 537 ff. – Schutzauftrag 406 – schwerbehinderte Arbeitnehmer 457 f., 548 ff. – Untermaßverbot 411, 413 ff. Selbstbestimmungsrecht 489 f. Sonderkündigungsschutz 67 f., 70, 107 – Betriebsratsmitglieder 459 ff., 550 f., 559 f., 583 – Mutterschutz 449 ff., 546 ff., 558 f. – schwerbehinderte Arbeitnehmer 118 f., 454 ff., 548 ff., 555 ff. Sozialauswahl – Abfindung 515 ff. – Rechtsgrundlage 508 ff. – Kritik 63 – Missbrauchskontrolle 511, 515 – Sozialdaten 512, 514, 516 soziale Grundrechte 421 f., 473 Sozialplan – Abfindung 53 ff., 79, 100 f., 104, 117, 120, 128, 350 ff., 563 – Klageverzicht 54 f., 356 ff. – Tarifsozialplan 58 f. Sozialstaatsprinzip 420 ff., 462 f. Sperrrecht 109, 159 Sperrzeit 50 ff., 64, 242 f., 273, 361 ff., 377 Stellvertretung 320 ff., 336 Steuerfreibetrag 371 f. strukturelle Unterlegenheit 537 ff. Stufenlehre 475 ff. Tarifsozialplan 58 f. trattamento di fine rapporto 164, 169, 176

Sachregister Turboprämie 54, 356 ff. tutela reale 209 tutela obbligatoria 209 Übermaßverbot 413, 415 ff., 493 ff., 503 ff., 518 f. Ultima-ratio-Prinzip 62 Umsetzungsspielraum 398 f. Ungleichgewicht 129 f., 537 ff. Untermaßverbot 411, 413 ff. – Abfindungsschutz 467 ff., 501 ff., 507 ff. – Abwägung 419 f. – Angemessenheitskontrolle 419 f. – Gestaltungsspielraum 415 ff. – multipolare Grundrechtskollisionen 417 f. – Prüfungsprogramm 418 ff. – Vertragsparität 537, 539 ff. Unternehmerfreiheit 63, 440 f. Verbraucher 347 Verfahrensdauer 62, 78 f. Vergleich 41, 46 f.; 52, 64 f., 78 f., 84, 379 f. verhaltensbedingte Kündigung 62, 64, 75 ff., 104, 106, 113, 116, 121 f., 123 f., 129, 141 ff., 253, 258 f., 488 f., 506, 522, 526 Verlängerte Anrufungsfrist 309 ff. Vertragsschluss

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– Angebot 230 ff. – Annahme 49, 236 ff., 278 f. – Annahmebetätigung 237 ff., 377 – Annahmefiktion 238 ff., 244, 278 ff. – Schweigen 236 ff., 376 f. Vertretbarkeitskontrolle 410 Verzicht – Grundrechtsverzicht s. Grundrechtsverzicht – Klageverzicht s. Klageverzicht – Kündigungsschutz 519 ff., 563 ff. Verzug 346 Vorausverzicht 519 f., 526 ff., 537 ff., 564 Wahlrecht 58, 106 ff., 130, 499 f. Wartezeit 149 Wegfall der Geschäftsgrundlage 304, 316 ff. Wertungsspielraum 409 ff., 430 Wettbewerb 482 Widerrufsrecht 49 f., 347 ff. Wiedereinstellung 184 f. Wiedereinstellungsanspruch 314 ff. Willenserklärung 227, 229 – Fiktion 227, 238 f. Zugang 269 ff. – Verhinderung 271, 273 ff. – Vereitelung 272, 273 Zusammenballung 372