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German Pages 622 Year 2023
Helmut Plattner
Abenteuer Zellbiologie – Streifzüge durch die Geschichte 2. Auflage
Abenteuer Zellbiologie – Streifzüge durch die Geschichte
Helmut Plattner
Abenteuer Zellbiologie – Streifzüge durch die Geschichte 2. Auflage 2023
Helmut Plattner Konstanz, Baden-Württemberg Deutschland
ISBN 978-3-662-66739-2 ISBN 978-3-662-66740-8 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-66740-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über 7 http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021, 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Stefanie Wolf Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
V
Claudia Stürmer gewidmet, in Wertschätzung ihrer vielfältigen, erfolgreichen Forschungsinitiativen für die Biologie an der Universität Konstanz.
Vorwort zur revidierten und ergänzten 2. Auflage Das Buch schöpft aus zwei Quellen persönlicher Erfahrung. Zum einen war ich oft hier und da Gast oder auch Akteur bei Kongressen und Entwicklungen in der Zellbiologie, die mir dadurch sehr nahegekommen ist. Zum anderen lernte ich über die Jahre einige der führenden Zellbiologen kennen. Aus diesen persönlichen Erfahrungen und aus meinem Interesse an historischen Entwicklungen als Teil von Kultur und Wissenschaft fühle ich mich gerüstet und motiviert, als Chronist zu dienen. Interessant ist die stetige Wechselwirkung zwischen experimentellen Beobachtungen, technisch-methodischen Entwicklungen und der Formulierung neuer Konzepte, auf deren Basis ein synthetischer Prozess stetig weiterläuft. Also müssen Methoden in die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung einbezogen werden. Neben streng fachspezifischen Fragen werden am Rande aber auch Fragen angeschnitten, die man so vielleicht gar nicht erwartet hätte, beispielsweise zu kulturellen und soziologischen Zusammenhängen der Zellbiologie. Allerdings muss bei der Fülle der Aspekte, mit denen es die Zellbiologie zu tun hat, die Auswahl notwendigerweise selektiv ausfallen, insbesondere dann, wenn manche Bereiche von eigenen Teildisziplinen wie Mikrobiologie, Genetik, Immunologie und Botanik „betreut“ werden. Dadurch ist mehr Platz für Aspekte einer Zellbiologie im engeren Sinn, die vielfach einer differenzierteren Darstellung mit Fokus auf die jeweiligen Objekte – Tiere und Pflanzen – bedürfen, ebenso wie für die Anbindung an benachbarte Disziplinen und deren Entwicklungstendenzen. Auch die angegebene Literatur stellt notgedrungen nur eine Auswahl dar. Trotzdem sollte sie ein Bild zur geschichtlichen Entwicklung der Zellbiologie bis heute vermitteln. Die Entwicklung des komplexen Gebiets der Zellbiologie hat sich in den letzten paar Jahren rasant beschleunigt, einerseits durch den Fortschritt der methodischen Entwicklungen und andererseits wegen des hohen Potenzials der Zellbiologie für den medizinischen, ökologischen und soziologischen Fortschritt. Die rasante Entwicklung motivierte mich, die Erstauflage zu aktualisieren und zu ergänzen, gleichzeitig ein paar Geschichten in der Geschichte zu kappen und einige Fehler im Inhalt und in der Präsentation zu beseitigen. Eine Verlegerin sagte mir einmal provokativ und doch verständnisvoll, ich meinte wohl, das perfekte Buch zu produzieren – was es nach ihrer langen Erfahrung nicht gäbe. Perfektion kann nur eine Approximation sein. Auch der wissenschaftliche Fortschritt ist eine Approximation. In diesem Sinne endet die Geschichte der Zellbiologie nicht beim Alteingefahrenen, sondern muss sich mit neuen Entwicklungstendenzen auseinandersetzen. Abschließend möchte ich Frau Stefanie Wolf und Herrn Amose Stanislaus vom Verlag Springer Nature für ihre großzügige Hilfe und Unterstützung danken. Herrn Dr. Wilhelm Hansen bin ich für seine iuristische Hilfestellung während meiner Zeit als Emeritus an der Universität Konstanz zu Dank verpflichtet. Helmut Plattner
Konstanz den 1. Dezember 2022
VII
Inhaltsverzeichnis 1
Aufbruch zu neuem Denken und Fragen, die sich uns im Rückblick stellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 1.2
Frühe Nutzanwendungen förderten den Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Was man sich im Rückblick alles fragt – eine Vorwegnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2
Die frühe Mikroskopie zeigte den zellulären Bau aller Organismen. . . . . . 9
2.1 2.2 2.3 2.4
Die Urväter der Zellbiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Großväter und Väter der Zellbiologie – Aufbruch in die Moderne . . . . . . . . . . . . . . Unsere Körperzellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele für frühe Ansätze zu modernen Methoden, Korrekturen alter Ansichten, rezente Entwicklungen und neue Überheblichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönlicher Aufbruch zur Zellbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.5
10 11 19 19 22 23
3
Bakterien und Protozoen als Krankheitserreger: Segen und Fluch früher Entdeckungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.1 3.2
Seuchen: Zellbiologie zwischen Erfolg und Resignation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bakterien als Krankheitserreger: von ihrer Entdeckung bis zu heutigen Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathogene Protozoen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Biologische Waffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 3.4
26 27 32 35 35
4
Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
4.1 4.2
Das Elektronenmikroskop hilft, zellbiologische Probleme zu lösen. . . . . . . . . . . . . . . . . Lichtmikroskopie: stetig verbesserte Auflösung auch für dynamische Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elektronenmikroskopie für funktionelle Analysen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organell- und membranspezifische Färbemethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Immunologische Techniken unterstützen die Zellbiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Radioaktivität in der Zellbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue „Highlights“: molekularbiologische Markierungen (optogenetische Methoden). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kryomethoden: aussagekräftige Alternativen für die Analyse der dynamischen Zellstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückblick und einige weitere Entwicklungen in der mikroskopischen Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8 4.9
40 44 48 49 53 57 59 61 64 66
5
Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
5.1
Frühe Einsichten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
VIII
Inhaltsverzeichnis
5.2
Eine mit Proteinen bestückte Lipiddoppelschicht als Grundstruktur von Biomembranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elektrophysiologische Aspekte der Membranstruktur und -funktion. . . . . . . . . . . . . . . Komplexität der Membranproteine und ihre Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zell-Zell- und Zell-Matrix-Verbindungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Membran-Mikrodomänen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoffaustausch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.3 5.4 5.5 5.6 5.7
71 74 76 82 87 93 95
6
Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
6.1
Historischer Rückblick: ein Start mit Hindernissen mit Nachwirkung uralter Vorurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . DNA ab origine – wie sie als Erbträger entdeckt wurde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelle und funktionelle Organisation des Zellkerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Randbereich des Zellkerns im Fokus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kernmembran mit Kernporen: Stoffaustausch zwischen Cytosol und Zellkern . . . . . Wer „sagt“ dem Kerngenom, was zu tun ist – Befehle an den Befehlshaber?. . . . . . . . Das Geschlecht ist im Zellkern einer jeden unserer Zellen festgelegt. . . . . . . . . . . . . . . Ein paar Worte zu Nukleolus, Telomeren und Ribozymen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsetzung von „Befehlen“ aus dem Zellkern und das zentrale Dogma der Molekularbiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Moderne Methoden der Genetik in der Zellbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genaue Zielansprache im Genom ist gefragt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 6.10 6.11
7 7.1 7.2
8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6
102 103 108 116 117 121 122 124 127 128 132 136
Wie man Zellen in ihre Bestandteile zerlegen kann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Techniken zur Isolierung von Organellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Isolierung von Molekülen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Biogenese verschiedener Zellorganellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Das endoplasmatische Retikulum: Proteinsynthese und Entgiftungsfunktion . . . . . Apparato reticolare interno – der Golgi-Apparat: ein schwieriges Objekt bis in die Gegenwart. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitochondrien und Plastiden (Chloroplasten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peroxisomen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Späte Einsichten in Sonderfälle: Biogenese von Fetttropfen und des Golgi-Apparats bei der Zellteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cilien und Flagellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
150 153 155 162 166 167 169
9
Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
9.1 9.2 9.3 9.4
Signale für die Zielgebung und Lokalisierung von Proteinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Posttranslationale Modifikationen zur Zielfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualitätskontrolle und Einbau von Proteinen in die Membran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielfindung von Proteinen auf der Schiene raues endoplasmatisches Retikulum → Golgi-Apparat und darüber hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175 177 179 182
IX Inhaltsverzeichnis
9.5 9.6 9.7 9.8 9.9 9.10 9.11 9.12 9.13 9.14 9.15
10
Reise vom und zum Mittelpunkt der Zelle: ein System von Gleitschienen an die Peripherie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exocytose – Paketlieferung an die Zellmembran. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das lange Rätselraten über den Mechanismus der Membranfusion – ein langes Vorspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dock- und Fusionsproteine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endocytose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exocytose-Endocytose-Kopplung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Molekulare Filter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phagocytose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GPI-verankerte Proteine als Spezialfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intrazelluläre Filamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wanderung immer der Nase nach: Chemotaxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188 194 201 202 205 207 209 210 212 213 215 219
Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
Elektrische Signale mit und ohne Zweitboten und Ca2+ als Zweitbote. . . . . . . . . . . . . . Kleine organische Moleküle (Metaboliten) als Zweitboten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flexible Ca2+-Signalgebung und Nachweismethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Calciumsensoren dienen der Signalvermittlung, als Effektoren und zur Beendigung der Stimulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Steroidhormone und weitere Primärboten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6 Weitere niedermolekulare Verbindungen als neuronale Primärboten. . . . . . . . . . . . . . 10.7 Proteine und Peptide als Primärboten und Signaltransduktion über G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs) – eine vertiefte Übersicht . . . . . . . . . . . . . . 10.8 Man glaubte es anfangs nicht: Hormone zur Steuerung und Freisetzung von Hormonen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.9 Die fokale Adhäsionskinase – Signalgeber auch an unerwarteter Stelle. . . . . . . . . . . . 10.10 Stickstoffmonoxid (NO) als Signalmolekül – eine erstaunliche Geschichte . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10.1 10.2 10.3 10.4
227 232 234 239 243 247 253 259 262 263 266
11
Energieversorgung der Zelle: Frühe Erfindung von Turbine und ATP als Einheitswährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
11.1
Prinzipielle Voraussetzungen: Offene Systeme im Fließgleichgewicht und die Gesetze der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine kurze Übersicht: Woher bezieht die Zelle ihre Energie?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine lange Vorgeschichte: Einsichten in kleinen Portionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tiefere Einsichten kamen erst im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse aus neuerer Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachlauf in jüngster Zeit und Rückblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.2 11.3 11.4 11.5 11.6
270 272 275 278 285 288 291
12
Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
12.1
Der Zellzyklus aus historischer Sicht: frühe Einsichten in ein komplexes Geschehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Ablauf der Mitose: alte und neue Erkenntnisse im Einklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
12.2
X
Inhaltsverzeichnis
12.3
Reduktionsteilung: auch hierzu gibt es rezente Erkenntnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neue Ansätze aus der Molekularbiologie – ein kurzer Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein erster Blick auf Stammzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stammzellen und Vorläuferzellen: Ersatzteillager und Material für gentechnische Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einige Bemerkungen zum Phänomen Krebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Es muss nicht immer Krebs sein: evolutive Umprogrammierung am Beispiel von Giftdrüsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epigenetik – ein neues Feld der Zellbiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12.4 12.5 12.6 12.7 12.8 12.9
299 300 301 305 310 314 316 327
13
Einige Bemerkungen zum Abbau von Zellbestandteilen: kleine und große „Müllverbrennungsanlagen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
13.1
Das „Falsche“ entdeckt und mit dem Nobelpreis geehrt: Die ungewollte Entdeckung der Lysosomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbau extrazellulärer Proteine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rezente Einsichten in die Autophagie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Proteasomaler Abbau und Beseitigung normaler und pathogener Proteine . . . . . . . Apoptose (programmierter Zelltod). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13.2 13.3 13.4 13.5
14
Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
Chromosomenanomalien bzw. Aneuploidien und Genschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störungen an Cilien und Flagellen – mit Folgen für Embryonalentwicklung und Gesundheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Weitere genetische Störungen durch Mutationen, Deletion oder Genverlängerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Störungen in den (semi-)autonomen Organellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5 Rezente Volkskrankheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Protoonkogene und onkogene Viren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.6 14.7 Lobpreisung von Eukaryotengiften – Geschenke für die Zellbiologen. . . . . . . . . . . . . . 14.8 Aus der Natur ins Zelllabor: Kanalhemmer, Pfeilgifte und weitere Gaben der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.9 Spätere Anläufe zu vertieftem Verständnis von „Gaben“ der Natur in der Zellbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.10 Toxine, Zivilisation und Zellbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14.1 14.2
15 15.1 15.2 15.3 15.4 15.5 15.6
332 338 339 345 347 349
354 358 362 372 373 377 378 385 388 392 398
Infektiöse Agenzien: Viren, Bakterien, niedere Pilze und Protozoen. . . . . 403 Die Vielfalt von Viren, Viren als Pathogene und Entwicklungshelfer . . . . . . . . . . . . . . . . Cytopathologische Effekte von Viren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Viren als Werkzeuge in der Zellbiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathogene Bakterien und Bakterienpathogene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pathogene Protozoen: Plasmodien und Trypanosomen im Fokus . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mikrobielle Antibiotika – eine Fundgrube für Zellbiologie und Medizin. . . . . . . . . . . .
405 414 416 418 427 430
XI Inhaltsverzeichnis
15.7 15.8
Antihelminthika – Drogen gegen Wurminfektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Von Menschen erfundene Toxine und wirkungslose Pharmaka. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
16
Die energetisch autonome Pflanzenzelle. Ähnliche Probleme mit unterschiedlichen Lösungen bei Tieren und Pflanzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441
16.1 16.2
Vesikeltransport über den Golgi-Apparat und darüber hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die moderne Zellbiologie der Pflanzen profitierte von Erkenntnissen an tierischen Zellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zellwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fetttropfen und Oleosomen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alternative zu tierischen Gap Junctions (Plasmodesmen) und parasitäre Interaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ionenhomöostase und Entwicklung von Kulturpflanzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Besonderheiten der Pflanzenzelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16.3 16.4 16.5 16.6 16.7
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Ansichten zur präbiotischen Evolution und zur Bildung der ersten Zellen. . . . . . . . . . Evolution der Eukaryotenzelle und ihre Entfaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sexualität – eine alte Erfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was die Eukaryotenzelle sonst noch erfunden hat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sauerstoff in der Atmosphäre – Gefahr und Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Evolution von Mitochondrien und Chloroplasten – alte Hypothesen glänzend bestätigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.7 Evolution weiterer Organellen, Organellkomponenten und Motorproteine. . . . . . . . 17.8 Die komplexe Geschichte vom Calcium – wieder eine Ummünzung eines Nachteils zum Vorteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.9 Was haben Humanbiologie und Evolution des Menschen mit Zellbiologie zu tun?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.10 Evolution höherer geistiger und emotionaler Fähigkeiten: die zellbiologische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.11 Neue Methoden, neue Daten und neues Denken über das Denken. . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
444 448 451 451 452 461 465
Ansichten zur Evolution der Zelle im Wandel der Zeit – vom Ursprung zur Vielfalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469
17.1 17.2 17.3 17.4 17.5 17.6
18 18.1 18.2 18.3 18.4
443
470 476 484 486 491 494 501 504 506 508 518 526
Rundumblick aus der Warte der Zellbiologen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 Praktische Nutzbarkeit – ein Erfolgskriterium? Sind Modellsysteme passé?. . . . . . . . Falsche Propheten: Kritik an Pharmafirmen und Auftragsgutachten . . . . . . . . . . . . . . . Seitenblicke – der Wert hoch dotierter Forschungspreise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unschärfe als Prinzip: Praktische Erwartungen und Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
532 535 536 542 547
Serviceteil Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585
Über den Autor Helmut Plattner studierte von 1959 bis 1965 an der Universität Innsbruck Biologie, mit den Nebenfächern Chemie, Physik und Philosophie. Er wurde an der Universität Innsbruck mit einer experimentellen Arbeit auf dem Gebiet Strahlenbiologie zum Dr. phil. promoviert. Nach einer kurzen Assistentenzeit ging er von 1965 bis 1968 als „Postdoc“ (Research Fellow) an die Cornell University, Ithaca (New York), kehrte 1970 wieder kurz an die Universität Innsbruck zurück, um dann von 1971 bis 1975 am Institut für Zellbiologie der Medizinischen Fakultät der Universität München zu arbeiten. In dieser Zeit hat er sich 1974 im Fach Zellbiologie an der Universität Innsbruck habilitiert. Es folgte 1977 eine Zeit als „Postdoc“ am Centre National de Recherche Scientifique in Gif-sur-Yvette nahe Paris und ein Aufenthalt an der Universität Innsbruck bis zur Berufung auf den Lehrstuhl für Zellbiologie an der Universität Konstanz, den er von 1978 bis 2006 führte. Hier forschte er an der Sekretionssteuerung im Protozoon Paramecium tetraurelia (Ciliaten, Alveolata) sowie an neurosekretorischen und neuronalen Zellen, auch unter Einsatz neu entwickelter Methoden. Er lehrte Zellbiologie und Histologie und war 1981/82 und 1992/93 Dekan der Biologischen Fakultät. Von 1984 bis 1986 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Elektronenmikroskopie. 1985 und 1992 organisierte er große Kongresse mit 750 bzw. über 500 Teilnehmern für die Gebiete Elektronenmikroskopie (Internationale DreiländerTagung) bzw. Zellbiologie. An Forschungspreisen erhielt er 1969 den „Theodor-KörnerPreis“ des österreichischen Bundespräsidenten, 1971 den Forschungspreis der Pharmafirma Sandoz und 1977 sowie 1980 den Forschungspreis der Pharmafirma Höchst. In den 1990erJahren war er zeitweise als Gastprofessor am Instituto de Biofísica der Universidad Federal do Rio Do Janeiro tätig. Bis 2006 forschte er an der Universität Konstanz mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in der letzten Zeit überwiegend zu den Themen intrazellulärer Vesikelverkehr und intrazelluläre Signalübertragung. Durch die Arbeiten mit Protozoen ergaben sich letztlich auch Kontakte und Publikationen mit brasilianischen und USamerikanischen Kollegen, die an verwandten pathogenen Protozoen arbeiten (Malaria- und Toxoplasmose-Erreger aus der Gruppe der Apicomplexa, Trypanosomen). Darüber hinaus liefen Kooperationen mit Kollegen der Neurobiologie über Membran-Mikrodomänen und Prionprotein. Verschiedentlich wurden Arbeiten in führenden Fachjournalen veröffentlicht, u. a. im Journal of Cell Biology (Rockefeller University Press (N.Y.), Proceedings Nature (London), National Academy of Science USA, Proceedings of the Royal Society Cambridge etc. Insgesamt wurden die über 265 Publikationen mehr als 10.000-mal in der Fachliteratur zitiert. Der Autor ist Herausgeber mehrerer Bücher über zellbiologische Spezialgebiete sowie Erstautor eines Einführungs-Lehrbuches für das Fach Zellbiologie, das auch in mehrere Sprachen, u. a. in Chinesisch, übersetzt wurde. Er ist Mitherausgeber (Associate Editor) des Journal of Eukaryotic Microbiology.
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Aufbruch zu neuem Denken und Fragen, die sich uns im Rückblick stellen Inhaltsverzeichnis 1.1 Frühe Nutzanwendungen förderten den Fortschritt – 2 1.2 Was man sich im Rückblick alles fragt – eine Vorwegnahme – 6 Zitierte Literatur – 8
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 H. Plattner, Abenteuer Zellbiologie - Streifzüge durch die Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66740-8_1
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Kapitel 1 · Aufbruch zu neuem Denken und Fragen, die sich uns im Rückblick stellen
Die Geschichte zeigt Entwicklungen auf, die oft nicht vorhersehbar waren, dann aber getrieben wurden durch kleine oder auch großartige Beobachtungen, die neue Konzepte als Suchspur ergaben – oft weiter angetrieben durch wieder neue Beobachtungen und Konzepte. Vielfach gingen neuen Entdeckungen neue Erfindungen voraus. Dies gilt, besonders im Zusammenhang mit der Entwicklung der Mikroskopie, auch für die Zellbiologie. Einen wesentlichen Antrieb bildeten die Erfolge im medizinischen bzw. hygienischen Bereich, die sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eingestellt hatten. Diese Erfolge haben sehr zur Entwicklung der frühen Zellbiologie beigetragen, obwohl diese anfangs noch recht langsam verlief.
Insbesondere die Entwicklung der Mikroskopie hat die Geschichte der Zellbiologie begleitet und wesentlich mitgeprägt. Diese
Geschichte ist gleichzeitig die Spur dessen, vor dem wir heute nicht nur bewundernd stehen, sondern oft auch mit Skepsis und Sorge. Der rasante Fortschritt auf dem Gebiet der Zellbiologie hat uns neuerdings auch ein Gefühl zwischen Angst und Hoffnung eingebracht, wenn wir an die ungeahnten Möglichkeiten der Gentechnik denken, die sich derzeit abzeichnen.
1.1 Frühe Nutzanwendungen
förderten den Fortschritt
Was vor 200 Jahren seinen Anfang nahm, führte im Laufe der Zeit zur Wechselwirkung verschiedener Methoden und Techniken, die sich gegenseitig befruchtet haben. Ohne Zweifel verdankt die Geschichte der Zellbiologie ihren Anfang der Erfindung des Mikroskops (. Abb. 1.1). Allerdings waren anfangs damit zunächst keinerlei praktische Konsequenzen verbunden. Bekannt ist
10 µm a
b
c
10 µm
. Abb. 1.1 Frühe Mikroskope: (a) von Antonie van Leeuwenhoek, 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, (b) von Galileo Galilei, Anfang des 17. Jahrhunderts, und (c) von Robert Hooke um 1665. (a) zeigt ein „einfaches Mikroskop“ mit nur einer Linse, (b) und (c) zeigen „zusammengesetzte Mikroskope“ mit zwei Linsen (Objektiv und Okular). Bei (c) ist noch ein Längsschnitt gezeigt, ebenso wie eine Beleuchtungseinheit. Trotz seiner einfachen Zusammensetzung ergab das einfache Mikroskop (a) die besten Bilder bei relativ starken Vergrößerungen, weil der Erfinder offensichtlich Linsenfehler durch geeignete Herstellungstechnik vermindern konnte. (Quellen: (a) Wikimedia [1], (b) © Borkia/stock.adobe.com, (c) © Science Source/Science Photo Library)
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1.1 · Frühe Nutzanwendungen förderten den Fortschritt
die Verwendung als „Flohgläser“, mit deren Hilfe man die Marterwerkzeuge der allgegenwärtigen Parasiten in Augenschein nehmen konnte. Diese Latenzphase dauerte so lange, bis bakterielle Krankheitserreger als solche erkannt werden konnten. Es ließen sich verschiedene Formen von Bakterien differenzieren: längliche („Stäbchen“), rundliche („Kokken“) und schraubige („Spirillen“) (. Abb. 1.2). Der Tuberkulose-Erreger (Mycobacterium tuberculosis) wurde 1882 identifiziert, ebenso die Verursacher von Großstadtepidemien wie Typhus und Cholera. Frühe Hinweise führten zu praktischen Hygienemaßnahmen wie der Etablierung einer sauberen Trinkwasserversorgung, etwa ab 1870 für die Stadt Wien und 1890 zur geregelten Abwasser- und Fäkalienbeseitigung in London. Aber bereits hier gab es Widerstand. Der Münchner Hygieniker Max von Pettenkofer glaubte nicht, dass Bakterien die Ursache von Cholera seien, sondern abiotische Faktoren wie Bodenbeschaffenheit – der alte
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Glaube an toxische Ausdünstungen („Miasmen“ = Verunreinigungen) war noch nicht verklungen. So trank Pettenkofer 1892 in einer öffentlichen Demonstration einen Cocktail von Cholerabakterien, den ihm Robert Koch „verehrt“ hatte – und wurde nicht krank. Quod erat demonstrandum. Unklar bleibt, ob da jemand wohlwollend mit wenig toxischen Proben ausgeholfen hat oder ob der Proband gegen Cholera bereits gefeit war. Schon früh zeigte sich auch die Ambivalenz des Fortschritts, indem der um 1876 von Robert Koch in Berlin entdeckte Milzbranderreger Bacillus anthracis nicht nur bekämpfbar, sondern theoretisch auch als biologische Waffe einsetzbar wurde. (Ein ähnliches Drohszenarium entstand ab Anfang des 20. Jahrhunderts auch für chemische und ab 1945 für atomare Waffen, also die ABC-Waffen.) Dazu kam, ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Erkenntnis, dass Protozoen Pathogene waren. Den Anfang machte Louis Pasteur (1865) in Paris mit der Pébrine-Krankheit
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. Abb. 1.2 Frühe mikroskopische Bilder von Bakterien: (a) Erreger der Tuberkulose (heute: Mycobacterium tuberculosis), (b) Spirochäten (Treponema pallidum, der Syphiliserreger). Es sind dies Beispiele für Stäbchenbakterien und schraubige Spirillen (Pfeil), wie sie (neben runden Kokken) in der Frühzeit der Bakteriologie, vor und um 1900, charakterisiert wurden. (Quellen: (a) Quagga Media/Alamy Stock Photo, [2], (b) [3])
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Kapitel 1 · Aufbruch zu neuem Denken und Fragen, die sich uns im Rückblick stellen
der Seidenraupe – damals ein wichtiges wirtschaftliches Problem in Südfrankreich. Der Erreger, Nosema bombycis, ist ein Protozoon der Gruppe Microsporidia und damit ein enger Verwandter des Erregers der Bienenruhr, Nosema apis, die gerade heutzutage wieder die heimischen Bienenvölker heimsucht. Ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Protozoen der Gruppe Apicomplexa und der Flagellaten als Krankheitserreger ausgemacht, beispielsweise Plasmodium (Apicomplexa) als Erreger der Malaria und Trypanosomen als Verursacher verschiedener Tropenkrankheiten. Malaria ist nach wie vor eine weltweite Bedrohung, mit ca. 200 Mio. Erkrankten und bis zu 1,8 Mio. Toten, weil die zellbiologische Forschung nach 140 Jahren Forschung immer noch vor einigen unlösbaren Detailfragen steht. Viele dieser Initiativen gingen von der Charité-Klinik oder dem Tropeninstitut in Berlin aus, wo sich heute das Robert Koch-Institut befindet. Etwa die Hälfte der in den ersten Jahrzehnten ab 1901 gekürten Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin entstammte seinerzeit der Charité. Die Entwicklung der Mikroskopie wurde bereits sehr früh von neuen Einsichten auf anderen Gebieten begleitet. So erbrachte 1828 Friedrich Wöhler den Beweis, dass sich organische Substanzen, die man vorher nur aus der Natur kannte, durchweg auch aus anorganischen Stoffen herstellen ließen. Am 22. Februar 1828 schrieb er an seinen schwedischen Lehrer Jöns Jakob Berzelius:
» Lieber
Herr Professor! Ich kann, so zu sagen, mein chemisches Wasser nicht halten und muss Ihnen sagen, dass ich Harnstoff machen kann, ohne dazu Nieren oder überhaupt ein Tier, sey es Mensch oder Hund, nöthig zu haben.
Wöhler synthetisierte Harnstoff aus Silbercyanat (AgOCN) und Ammoniumchlorid (NH4Cl). Bis dahin glaubte man an eine treibende Naturkraft („vis vitalis“) im aris-
totelischen Sinn, die für die Synthese allen biologischen Materials notwendig sei. Wöhlers Synthese läutete daher eine mechanistische Denkrichtung ein – gerade zu jener Zeit, als sich die Zellbiologie als Fach zu entwickeln begann. (Ein weiterer Blick zeigt allerdings Gefahren auf: Im Nahen Osten wird aktuell der leicht herzustellende Harnstoff zur Herstellung von Sprengstoff für Attentate verwendet.) Wie hätte F. Wöhler wohl gestaunt, hätte er von der In-vitro-Synthese von DNA und Proteinen Mitte des darauffolgenden Jahrhunderts gewusst. Eine schwerpunktmäßige Fortentwicklung bis fast zur Mitte des 20. Jahrhunderts lief dann unter dem Namen „Physiologische Chemie“, anschließend unter „Biochemie“ und schlussendlich als Molekularbiologie. Diese lieferte bis in die jüngste Zeit basale Einsichten zum zellulären Stoffwechsel von hoher Komplexität bis in die kleinsten Winkel der Zelle. Hier trafen sich funktionelle Daten mit strukturellen Beobachtungen: Man lernte, Funktionsprozesse einzelnen Zellkomponenten zuzuordnen. Dazu diente die licht- und elektronenmikroskopische Histochemie bzw. Cytochemie. Für viele Zellfunktionen, für die es Enzyme (Biokatalysatoren) braucht, konnten chemische Prozesse zur Bildung licht- und elektronenmikroskopisch sichtbarer Reaktionsprodukte herangezogen werden. Dadurch ergab sich die Möglichkeit, zahlreiche zelluläre Funktionen zu lokalisieren. Später lernte man, Proteine jedweder Art über markierte Antikörper mittels immunhistochemischer/immuncytochemischer Methoden in der Zelle zu lokalisieren. Dazu kam die neue Technik, Zellen in ihre Komponenten zu zerlegen (Zellfraktionierung). Bereits Otto H. Warburg hatte vor ca. 100 Jahren atmungsaktive Granula von Seeigeleiern abgetrennt, die wir heute als Mitochondrien, als Orte der Zellatmung, kennen. Aber noch musste die konsequente Anwendung der Zellfraktionierung auf die Entwicklung anderer Geräte warten:
1.1 · Frühe Nutzanwendungen förderten den Fortschritt
die Ultrazentrifuge. Letztere wurde in den 1920er- und die Zellfraktionierung in den 1930er-Jahren entwickelt. Chemische und immunologische Methoden gingen Hand in Hand mit Methoden der Zellfraktionierung und der Biochemie. So ist es im Prinzip bis heute. Bereits vor beinahe zwei Jahrhunderten ließ die noch wenig fortgeschrittene Mikroskopie die Erkenntnis reifen, dass alle vielzelligen Organismen, Tiere und Pflanzen, aus Zellen mit einem Zellkern aufgebaut sind. Weitere technische Verfeinerungen in der Mikroskopie, insbesondere auch in der Herstellung von Gewebedünnschnitten und deren differenzieller Färbung, erlaubten die Beobachtung von Chromosomen und deren Umverteilung bei der Zellteilung („χρώμα, chrōma“ = Farbe; „σώμα, sōma“ = Körper). Ab Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Chromosomen als Sitz der Erbanlagen erkannt. Zugriff zu weiteren Details erhielt man jedoch erst durch die Untersuchungen des US-Amerikaners Thomas H. Morgan ab den 1920er-Jahren, und zwar durch die mikroskopische Beobachtung der Chromosomenbänderung bei der Taufliege, Drosophila; deren polytäne Chromosomen erreichen durch Endoreplikation eine ausreichende Dicke für derlei Beobachtungen. Mit der „Crossing over-lethal-bar“-(CLB-) Methode konnte Morgan Mutationen aufspüren. Es war dies ein früher Schritt in Richtung molekulare Genetik bzw. Zellbiologie. Morgan erhielt 1933 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin „for his discoveries concerning the role played by the chromosome in heredity“ (für seine Entdeckungen der Rolle von Chromosomen bei der Vererbung), wie die Begründung des Nobel-Komitees lautete. In den vergangenen 150 bis 200 Jahren hat sich die Zellbiologie also aus diesen einfachen Grundeinsichten zu einem Kenntnisstand entwickelt, der nicht nur für den Biologen, sondern auch für die Medizin, die Wirtschaft und somit auch für die Politik von höchstem Interesse ist. Schon ab
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dem frühen 19. Jahrhundert hat man von der Bringschuld der Naturwissenschaften gesprochen. 1804 erzielte Justus von Liebig mit Kunstdünger überzeugende Ergebnisse. Dass ein praktisch relevanter Fortschritt greifbar erschien, erhellt auch ein Tagungsbeitrag des deutschen Physiologen Hermann von Helmholtz (nach dem eine der Forschung verpflichtete wissenschaftliche Gesellschaft benannt ist) 1859 in Innsbruck, als er zum Thema „Über das Ziel und die Fortschritte der Naturwissenschaft“ sprach: „Das schon Geleistete mag die Erreichung weiterer Fortschritte (der Naturwissenschaften) verbürgen.“ In der Tat: Über Jahrzehnte wuchsen die Erkenntnisse über pathogene Bakterien und Protozoen und damit auch der Fortschritt der Infektionsbiologie, der Hygiene und ganz allgemein der Medizin. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts verdichteten sich die Anzeichen, dass es Strukturen geben müsse, die keine Bakterien, aber biologisch aktiv sind. Viren können von Bakterien bis zu Säugetieren und Blütenpflanzen so ziemlich alle Zellen heimsuchen. Sie entzogen sich jedoch der Beobachtung im Lichtmikroskop. Die Viren konnten nur durch Ultrafiltration dokumentiert werden, eine strukturelle Identifikation wurde erst in den 1930er-Jahren mit dem neu entwickelten Elektronenmikroskop möglich – das Tabakmosaikvirus war das erste. Bis hin zur Ausrottung der Pocken (Blattern) im Jahre 1979 (7 Abschn. 15.1.2) war für die Schnelldiagnostik einer Infektion die Elektronenmikroskopie die Methode der Wahl. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Viren zu wichtigen Hilfsmitteln der Zellbiologie, indem man die intrazellulären Transportwege von viralen Proteinen studieren konnte. Heute können Viren als Fährboote (Vektoren) für das zielgerichtete Einschleusen von distinkten Genabschnitten herangezogen werden. Dazu gibt es die Möglichkeit, ausgewählte Gene in Adeno- oder Lentiviren einzubauen. Derlei Transfekti-
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Kapitel 1 · Aufbruch zu neuem Denken und Fragen, die sich uns im Rückblick stellen
onsmethoden wurden ab 2000 zum Standardrepertoire der Zellbiologie und sind heute für die molekularbiologische Behandlung von genetisch bedingten Krankheiten unverzichtbar. In der Neuzeit war in Europa wohl der französische Präsident Charles de Gaulle der Erste, der die Bedeutung der molekularen Zellbiologie für die Zukunft erfasste. So kommentiert 2002 Pour la Science.fr:
» Lorsque, en 1958, le Général de Gaulle
arrive au pouvoir en France, son objectif est de redonner à ce pays la position qui a été la sienne dans le passé … sur l’intervention personelle du Général de Gaulle, la biologie moléculaire constitue une des actions prioritaires de ce nouveau organisme [4]
» [Als
General de Gaulle 1958 in Frankreich an die Macht kam, war es sein Vorsatz, er müsse dem Land wieder die Position verschaffen, welche es in der Vergangenheit innehatte … auf persönliche Intervention von General de Gaulle bildet die Molekularbiologie eine der wichtigsten Prioritäten dieses neuen Organismus.]
Demnach wollte de Gaulle Frankreich die ihm zustehende Rolle wieder zurückgeben, und auf seine Intervention hin bekam die Molekularbiologie vorrangige Bedeutung. Das hört sich ganz anders an als die Begründung des Todesurteils für den Naturwissenschaftler A. Lavoisier durch die Revolutionäre 1794: „La révolution n’a pas besoin de savants“ (Die Republik braucht keine Wissenschaftler; 7 Abschn. 11.3). Tatsächlich folgten 1965 ein Nobelpreis für Jacques Monod und andere für die Entdeckung prinzipieller molekularer Mechanismen an Bakterien: Die Rückkopplung eines Genprodukts auf die Genaktivierung (Jacob & Monod 1961) [5]. Monods Buch „Le Hasard et la Nécessité. Essai sur la Philosophie Naturelle de la Biologie Moderne“ (1970; Deutsch [6]) machte den Menschen
zu einem „Zigeuner am Rande des Weltalls“. Wer denkt da nicht an die „Seinsgeworfenheit“ des deutschen Existenzialphilosophen Martin Heidegger. Monod war später der Geist der Jacques-Monod-Konferenzen, die über Jahrzehnte den Zellbiologen verschiedener Sparten ein Diskussionsforum boten. De Gaulles Aktion zeigt, wie wichtig die gesellschaftspolitische Akzeptanz für den Fortschritt der Wissenschaften, eben auch der Zellbiologie, ist. Das belegt auch der gegenwärtige Sinneswandel in der chinesischen Politik: Unter Mao Zedong (Mao Tse-tung) und noch lange Zeit danach gab es kaum eine beachtenswerte zellbiologische Forschung. (Die Wiederentdeckung eines alten chinesischen Heilmittels gegen Fieber, auch gegen Malaria, war eine kriegsbedingte, pragmatische Ausnahme; 7 Abschn. 15.5.) Erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelte sie sich zu internationalem Standard. 1.2 Was man sich im
Rückblick alles fragt – eine Vorwegnahme
In den folgenden Kapiteln werden verschiedentlich unerwartete Aspekte auftauchen. Warum wurden manche Probleme erst spät als solche erkannt? Davon seien ein paar Beispiele vorweggenommen, die sich im Laufe der Geschichte der Zellbiologie eingefunden haben. Dies zeigt schon die historische Entwicklung, wenn man den heutigen Stand [7] mit den Uranfängen [8] vergleicht. 5 Warum wurde das Lichtmikroskop über zwei Jahrhunderte praktisch nicht genutzt, obwohl es bereits relativ gute Beobachtungen erlaubt hätte? 5 Wie kann man sein Ziel verfehlen – dafür aber ein besseres Ziel treffen? Physiker in Berlin hatten sich als eigentliches Ziel gesetzt, starke Spannungsstöße von Blitzen zu registrieren. Als dies nicht ge-
1.2 · Was man sich im Rückblick alles fragt – eine Vorwegnahme
lang, wurde die Entwicklung des Kathodenstrahloszillographen auf ein anderes Ziel umgepolt, was zur Entwicklung des Rasterelektronenmikroskops führte. 5 Warum konnte die klassische (Elektronen-)Mikroskopie lange Zeit, entgegen allen Erwartungen, kaum zum Verständnis von Bau und Funktion des Zellkerns beitragen? 5 Wiederum Ziel verfehlt, aber ein besseres gefunden: Warum kann ein Forscher etwas suchen, jedoch nicht finden, dafür aber etwas ganz anderes von unerwarteter Innovationskraft entdecken? Das Beispiel der Lysosomen zeigt wiederum: erfolgreich vorbeigetroffen! 5 Was hat Nanotechnologie des Mittelalters (!) mit der gängigen Methode der Lokalisierung von Proteinen in der Zelle zu tun? (Immunogold-Markierung) 5 Wie kommt es, dass unser Körper pro Tag mehr als die Hälfte seines eigenen Gewichtes an ATP, der „Einheitswährung“ der zellulären Bioenergetik, umsetzt? Wo befindet sich diese hocheffiziente „Münzstätte“, wie funktioniert sie und wo wird das ganze Geld so spendabel ausgegeben? 5 Warum dreht eine Zelle nicht durch, sobald Stimulation den intrazellulären Ca2+-Spiegel ansteigen lässt, wenn Ca2+ doch eine Vielfalt von Mechanismen in einer Zelle steuert? 5 Wer weiss schon, dass die in jeder Sekunde in unserem Körper unzählige Male stattfindende sehr lokale chaotische Umstrukturierung von Lipiden eine Grundvoraussetzung für die Neurotransmitterfreisetzung ist? 5 Wie kam es zur „Karriere“ von Stickstoffmonoxid – aus heutiger Sicht vom Umweltgift zum wichtigen Signalmolekül, mit seiner Rolle als Blutdruckregulator und Vermittler männlicher Potenz? 5 War er vom Teufel besessen oder hatte er eine zellbiologische Anomalie, der angeblich weltbeste Geigenvirtuose aller Zeiten?
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5 Was macht die Pflanzenzelle zu etwas so Besonderem und welche Gemeinsamkeiten gibt es mit tierischen Zellen – mit uns? 5 Wer weiß schon, dass eine Bohne wegen ihrer hohen cytotoxischen Wirkung unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fällt – auch in Deutschland? 5 Wie konnte es die Zelle bereits ab der frühen Evolution schaffen, mit dem lebensbedrohlichen Element Sauerstoff zurechtzukommen? (Sauerstoff gilt zwar zu Recht als Lebensspender, produziert jedoch auch cytotoxische Radikale.) Die Zelle hat es im Laufe der Evolution sogar geschafft, ihn zum eigenen Vorteil umzumünzen. 5 Haben sich basale Mechanismen aus Urzeiten erhalten, und wie viel vom Erbe bakterieller und einzelliger Eukaryotenvorläufer steckt noch in uns? 5 Wie kommt die im Laufe der Evolution zunehmende Komplexität der Zellen und Gewebe zustande, wo doch die Zahl der Gene in nur unerwartet geringem Umfang zunimmt? 5 Gibt es einen bleibenden Einfluss von Außenfaktoren auf das Genom, also die Vererbung auf dem Umweg der Epigenetik? 5 Kann die Zellbiologie etwas zum Wesen des Menschen, zu seinem Denken und Fühlen sagen? Zum Schluss fragen wir, worauf die moderne Zellbiologie abzielt? So lassen sich aus manchmal spröden Sachverhalten Details von besonderem Interesse herausfiltern. Die Geschichte der Zellbiologie – Ideengeschichte und experimentelle Geschichte – wirft oft genug die Frage auf: Warum hat man nicht schon früher daran gedacht? Wir werden schlussendlich auch noch der Frage nachgehen, wie objektiv und relevant die höchsten Auszeichnungen sind, die es in den Naturwissenschaften gibt. Viele Nobelpreise in Medizin („Physiologie oder
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Kapitel 1 · Aufbruch zu neuem Denken und Fragen, die sich uns im Rückblick stellen
Medizin“, wie es offiziell heißt), aber auch in Chemie und Physik, haben seit ihrer Einführung im Jahr 1901 hohe Relevanz für den Fortschritt der Zellbiologie erzielt. An manchen Forschern ging der Nobelpreis vorbei, obwohl sie ihn definitiv verdient hätten. Und warum bekam so mancher den Nobelpreis, obwohl die „scientific community“ ihnen nicht glaubte und bahnbrechende Ideen zunächst rundweg ablehnte.
Zitierte Literatur 1. Foto von Jeroen Rouwkema, Bildquelle: Wikimedia 2. Bildanbieter: Quagga Media/Alamy Stock Foto Bild-ID: PJ89NG 3. Schultz OT (1906) Treponema pallidum: Read in abstract before the meeting of the American Association of Pathologists and Bacteriologists, May, 1906 4. 7 https://www.pourlascience.fr/sd/biologie-moleculaire/quatre-patriciens-de-la-science-4619.php 5. Jacob F, Monod J (1961) Genetic regulatory mechanisms in the synthesis of proteins. J Mol Biol 3:318–356
6. Monod J (1979) Zufall und Notwendigkeit. Philosophische Fragen der Modernen Biologie. dtv, München 7. Microscopy Today. 7 https://doi.org/10.1017/ 48S1551929518000470 8. 7 https://lensonleeuwenhoek.net/content/hookes-microscope
Ausgewählte Literatur 9. Fawcett DW (1966) An Atlas of Fine Structure. Saunders, Philadelphia 10. Mayr E (1979) Evolution und die Vielfalt des Lebens. Springer, Berlin 11. Jahn I, Löther R, Senglaub K (1985) Geschichte der Biologie, 2. Aufl. Gustav Fischer, Jena 12. Jahn I (2000) Geschichte der Biologie. Spektrum Gustav Fischer, Spektrum Akad. Verl., Heidelberg, Berlin 13. Brookes M (2002) Drosophila – Die Erfolgsge schichte der Fruchtfliege. Rowohlt, Hamburg 14. Knippers R (2012) Eine kurze Geschichte der Genetik. Springer Spektrum, Berlin 15. Alberts B, Johnson A, Lewis J, Morgan D, Raff M, Roberts K, Walter P (2017) Molekularbiologie der Zelle. Garland Science, 6. Aufl. Wiley-VCH, Weinheim 16. Plattner H, Hentschel J (2017) Zellbiologie, 5. Aufl. Thieme, Stuttgart
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Die frühe Mikroskopie zeigte den zellulären Bau aller Organismen Inhaltsverzeichnis 2.1 Die Urväter der Zellbiologie – 10 2.2 Die Großväter und Väter der Zellbiologie – Aufbruch in die Moderne – 11 2.3 Unsere Körperzellen – 19 2.4 Beispiele für frühe Ansätze zu modernen Methoden, Korrekturen alter Ansichten, rezente Entwicklungen und neue Überheblichkeiten – 19 2.5 Persönlicher Aufbruch zur Zellbiologie – 22 Zitierte Literatur – 23
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 H. Plattner, Abenteuer Zellbiologie - Streifzüge durch die Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66740-8_2
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Kapitel 2 · Die frühe Mikroskopie zeigte den zellulären Bau aller Organismen
Zunächst wurden im 17. Jahrhundert mit den noch sehr primitiven Mikroskopen „höhere“ Zellen mit Zellkern (Eukaryoten) und erst im 19. Jahrhundert Bakterien (Prokaryoten) entdeckt, wobei Letzteres anfangs von wesentlich größerer Tragweite war. Gleich zu Anfang zeigte sich die Ambivalenz des Fortschritts auch in der Zellbiologie, indem eine der immer noch hochaktuellen Biowaffen gefunden wurde, der Milzbranderreger. Zu Ende der 1830er-Jahre wurde erkannt, dass sowohl Tiere als auch Pflanzen aus Zellen aufgebaut sind. Erst langsam entwickelte sich im 19. Jahrhundert eine Ahnung von der inneren Strukturierung der Eukaryotenzelle, und die Zellularpathologie wurde begründet. Die frühe Elektrophysiologie und ab den 1940er-Jahren auch die Elektronenmikroskopie bewirkten weitere Fortschritte in Richtung einer modernen Zellbiologie. Erst wesentlich später, Ende der 1970erJahre, reifte die Erkenntnis, dass Bakterien keine homogene Gruppe sind, sondern aus zwei Gruppen bestehen: Eubakterien und Archaebakterien (Archaeota). Das sollte bedeutsam für das Verständnis der Evolution der Zelle werden (7 Kap. 17). Im aktuellen Zusammenhang sind Eubakterien gemeint, wenn undifferenziert von „Bakterien“ die Rede ist, sind doch die Archaeota eine kleine Gruppe von Extremophilen, von denen keine humanpathogenen Formen bekannt sind.
2.1 Die Urväter der Zellbiologie
Häufig ist zu lesen, dass das erste Mikroskop vom Engländer Robert Hooke in den 1660er-Jahren in Oxford hergestellt wurde. Das ist nicht ganz korrekt, obwohl eine Plakette an der Wand am Ort eines nicht mehr existierenden Hauses an diese „nebenbe-
rufliche“ Pioniertat erinnert. Hooke sollte ja eigentlich seinem Chef, einem Physiker, beim Bau von Luftpumpen behilflich sein. Hookes Mikroskop bestand bereits aus zwei Linsen („zusammengesetztes Mikroskop“). Der englische Philosoph Francis Bacon von Verulam hatte schon eine Generation vorher in seinem 1620 publizierten „Opus Novum Organum Scientiarum“ von einem Mikroskop und einem Teleskop geträumt. Als Vertreter des Empirismus war ihm an der Erweiterung des Gesichtssinnes gelegen, und das sehr bestimmt in Hinblick auf praktische Nutzanwendungen, die sich später für das Mikroskop ja sehr wohl einstellten. Bereits eine Generation vor Hooke hatten fast zeitgleich der Niederländer Zacharias Janssen und Galileo Galilei (1624) ein „zusammengesetztes Mikroskop“ mit zwei Linsen vorgestellt [1] – was jedoch wegen geringer Auflösung und mangelnden Interesses ohne jede wissenschaftliche Konsequenz blieb. Anlässlich einer Ausstellung zum Zeitalter der Mediceer in den 1970er-Jahren in Florenz wurde ein solches Mikroskop gezeigt, mit Galileis Kommentar, es habe gedient „per vedere da vicino le cose minime“ (um kleinste Dinge aus der Nähe betrachten zu können). Ab 1665 brachte Hooke sein bekanntestes Werk „Micrographia“ heraus, mit dem Untertitel „Of some physiological descriptions of minute bodies made by magnifying glasses“ [2]. Hooke stellte fest, dass dünn geschnittenes Korkgewebe aus kleinen Kammern („little boxes, cellulae“) besteht, d. h., eigentlich sah er nur die Zellwände leerer Zellen. In diesem Werk „Micrographia“ schrieb er:
» It
seems improbable, but that by these helps the subtilty of the composition of bodies, the structure of their parts, the various texture of their matter, the instruments and manner of their inward motions, and all the other possible appearances of things, may come to be more fully discovered.
2.2 · Die Großväter und Väter der Zellbiologie – Aufbruch in die Moderne
[Obwohl es unwahrscheinlich erscheinen mag, könnten mit dieser Hilfe [des Mikroskops] die Feinheit der Zusammensetzung von Körpern, die Struktur ihrer Teile, die Textur ihrer Stoffe, die Art und Weise und Mechanismen ihrer inneren Abläufe und alle anderen Erscheinungsmöglichkeiten in größerem Umfang entdeckt werden.]
Ich möchte dies als ein modernes Konzept der Korrelation von Struktur und Funktion („inward motions“) lesen, wie es vom mikroskopischen bis zum molekularen Niveau bis heute Programm ist. Obwohl komplexer, haben diese und ähnliche Mikroskope wegen optischer Störungen (Linsenfehler) anfangs weniger Fortschritt gebracht als die Erfindung eines „einfachen Mikroskops“ durch Hookes Zeitgenossen Antonie van Leeuwenhoek, Leinenhändler zu Delft (Niederlande), ab den 1660er-Jahren. Es bestand aus einem Blechstück mit einer Bohrung zur Aufnahme einer nur wenige Millimeter großen Linse und einem Stab, an dem ein Präparat fixiert werden konnte. Ein Nachbau, der für eine Ausstellung anlässlich eines internationalen Zellbiologiekongresses vor einigen Jahrzehnten hergestellt und nach Deutschland importiert wurde, mutete den Zollbeamten so simpel an, dass sie nicht glauben mochten, dass dieses überhaupt ein Mikroskop sei. (Ähnliches widerfuhr mir beim Bayerischen Zollamt in München mit einem Diamantmesser zur Herstellung ultradünner Schnitte für die Elektronenmikroskopie.) Es wird aber berichtet, dass es Hooke bereits verstanden hatte, Linsenfehler zu korrigieren, was die Entdeckung biologischer Erkenntnisse sehr befördert haben mag. Es erlaubte ihm als Erstem, lebende Zellen zu betrachten. Die Dokumentation in der Frühzeit der Mikroskopie erfolgte mittels Zeichnungen. In rezenter Zeit wurden photographische Dokumentationen für einzelne Mikroskoptypen nachgestellt, die überraschend gute Ergebnisse im Submikrometerbereich zei-
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tigten, beispielsweise für Gehäuse der Dia tomeen (Kieselalgen). Van Leeuwenhoek untersuchte Tümpelwasser, Blut und Samenflüssigkeit (7 Abschn. 12.5.1). Er beobachtete bewegliche Einzelzellen (Protozoen) und beschrieb Spermatozoen, die sich ja auch bewegen, als „animalculae“ (Tierchen). Er war wohl auch der Erste, der wahrscheinlich einen Zellkern beobachtet hatte [3]. Publikationen in Briefform in den Philosophical Transactions of the Royal Society zwischen 1673 und 1723 förderten die Verbreitung dieser Erkenntnisse, unterbrochen in der Zeit, als Edmond Halley Herausgeber der Transactions war. Halley war der Astronom, nach dem der regelmäßig wiederkehrende Halley‘sche Komet (z. B. 1986) benannt ist. Er hatte offenkundig wenig Verständnis für Fortsetzungstitel wie „Observations … by the same curious and inquisitive person“ (Beobachtungen der nämlichen wissbegierigen Person), in denen Details zu biologischen Objekten erörtert wurden. Indes war die Vielfalt an Beobachtungen von wesentlicher Bedeutung für die Entwicklung des Fachgebiets Zellbiologie. Genauer betrachtet: Van Leeuwenhoeks Beobachtungen hätten (!) bedeutungsvoll werden können, wenn jemand diese Spur aufgenommen hätte. Jedoch: Es hat niemand Fragen gestellt. Diese stellten sich erst anderthalb Jahrhunderte später ein. „Am Anfang war das Wort“– wirklich? Oder sollte es nicht vielmehr heißen: „Am Anfang stand die Frage“?
2.2 Die Großväter und Väter der
Zellbiologie – Aufbruch in die Moderne
1838 beschrieb der Deutsche Matthias Schleiden den zellulären Aufbau von pflanzlichem Gewebe. Schleiden motivierte seinen Kollegen Theodor Schwann zu ähnlichen Untersuchungen an tierischen Ge-
Kapitel 2 · Die frühe Mikroskopie zeigte den zellulären Bau aller Organismen
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weben, was schwieriger zu zeigen war, weil hier keine dicken Zellwände die einzelnen Zellen klar voneinander trennen. Die Schwann-Zellen, die schnell leitende Nervenfasern umhüllen und so elektrisch isolieren, sind nach ihm benannt. Sein Werk aus dem Jahr 1839 betitelte er „Mikroskopische Untersuchungen über die Übereinstimmungen in der Struktur und dem Wachsthum der Tiere und Pflanzen“ [4]. Es folgte 1855 der deutsche Pathologe Rudolf Virchow mit seinem Grundsatz, dass jede Zelle aus einer Zelle entstünde („Omnis cellula e[x] cellula“). Virchow war auch schon in der Lage, in bescheidenem Ausmaß zwar, in den 1850er-Jahren eine „Zellularpathologie“ zu begründen [5] (7 Kap. 14). Schließlich verdanken wir Max Schultze eine moderne Definition der Zelle von 1861:
» Die
Zelle ist ein mit den Eigenschaften des Lebens begabtes Klümpchen Protoplasma, in welchem ein Kern liegt. [6]
Damit war die Zellbiologie, anfangs als „Cytologie“ bezeichnet (griech. „κύτος, kytos“ = Wölbung, Hohlraum, Leib; „λόγος, logos“ = Lehre), endgültig als Fachgebiet etabliert. Ab den 1960er- bis 1980er-Jahren wird der Terminus Cytologie fast nur noch für die Cytodiagnostik der Pathologen verwendet. Auch das Journal of Biophysical and Biochemical Cytology (Rockefeller University Press, New York) änderte 1962 seinen Namen in Journal of Cell Biology. 2.2.1 Bakterien – eine frühe
Herausforderung der Zellbiologie
Bakterien rückten erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts in den Fokus des Interesses, zunächst als Fäulniserreger (Louis Pasteur) und zunehmend als Krankheitskeime [7]. Bis dahin glaubten die meisten Autoren noch lange an die spontane Entstehung
. Abb. 2.1 Diese Abbildung vom 18. Jahrhundert aus dem Antiquariat eines Bouquinisten am Pariser Seine-Ufer dokumentiert mit seiner Titelschrift „Helminthology“ (Wurmkunde) und der Unterschrift „Infusoria or Worms generated in Infusions“, dass man damals keine differenzierte Systematik kannte und dass man noch lange an die spontane Entstehung von „einfachen“ Lebewesen glaubte, von Einzellern (Paramecium, rechts, #17) bis zu komplexen Formen wie Rundwürmern (Nematoden, Mitte unten, #20). (Quelle: unbekannter Autor)
von primitivem Leben („generatio spontanea“) durch Fäulniserreger (. Abb. 2.1). Erst Louis Pasteur hat 1850 überzeugend dargelegt, dass Erhitzung in weitgehend geschlossenen Gefäßen mit vermindertem Luftzutritt die Fäulnis verhindert (Pasteurisieren). Erstaunlicherweise war ihm da sein Landsmann Voltaire ein Jahrhundert voraus: „Die Fäulnis gilt nicht mehr als Erzeuger der Tiere und Pflanzen“, schrieb er 1751 in seinem Historienwerk „Le Siècle de Louis XIV“ (Das Jahrhundert Ludwigs des Vierzehnten). Dieses richtete sich gegen die Ansicht des altgriechischen Philosophen Aristoteles (384–322 v. Chr.), der in seiner Abhandlung „Über die Geschichte der Tiere“ geschrieben hatte:
2.2 · Die Großväter und Väter der Zellbiologie – Aufbruch in die Moderne
» Unter den Tieren entstammen einige von
Eltern entsprechend ihrer Art, wogegen andere spontan entstehen und nicht von verwandter Art sind.
Ganz konform mit Voltaire, diesem aber noch einmal ein Jahrhundert voraus, hatte der italienische Arzt Francesco Reddi 1668 demonstriert, dass sich an faulendem Fleisch nur Maden bilden, wenn Fliegen Zugang hatten. Nicht nur F. Reddi hatte sich gegen die generatio spontanea ausgesprochen, sondern auch der französische Mikroskopiker und Protozoologe Louis Joblot, ein Zeitgenosse Van Leeuwenhoeks. Und noch 1986 zogen K. Hausmann und W. Foissner gegen die alte Ansicht zu Felde: in einem Artikel mit dem Titel „Das Pantoffeltierchen aus dem Heuaufguss gibt es nicht!“ Daraus wird wieder einmal ersichtlich, wie träge sich damals neue Einsichten durchsetzten, bevor die Zeit reif war oder noch eher: als eine praktische Bedeutung unmittelbar greifbar wurde. Im 19. Jahrhundert entdeckten Mikroskopiker Bakterien als Ursache verschiedener Krankheiten. Bakterien werden als Prokaryoten bezeichnet („κάρυον, karyon“ = Kern), denn sie besitzen keinen Zellkern; sie sind wesentlich kleiner und daher weniger leicht zu differenzieren. Daher ging es zunächst nur um Größe, Form (stab-, kugel- oder schraubenförmig) und Beweglichkeit, die offensichtlich Anhängen zu verdanken war (Flagellen = Geißeln; unten). Dann wurde 1884 vom Dänen Hans Christian Gram die nach ihm benannte Gram-Färbung eingeführt [8]. Grampositive und gramnegative Bakterien konnten unterschieden werden. Die Färbung beruht auf der Bindung eines basischen Farbstoffs wie Kristallviolett, mit Nachbehandlung mit einem Iod-Kaliumiodid-Komplex. Gram schrieb in bescheidener Weise:
» I
am aware that as yet it is [the stain] very defective and imperfect; but it is
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hoped that also in the hands of other investigations it will turn out to be useful.
Und so wurde die Methode über die Jahre denn auch vielfältig variiert. Bakterien können pathogene Stoffe enthalten oder ausscheiden. Man unterscheidet bakterielle Ektotoxine, die als Stoffwechselprodukte abgegeben werden und den infizierten Körper durch spezifische Mechanismen schädigen (7 Abschn. 15.4.1), und Endotoxine, die Komponenten der bakteriellen Zelloberfläche enthalten. Dabei handelt es sich um hydrophile Lipopolysaccharidkomponenten der äußeren Membran von gramnegativen Bakterien. Sie werden bevorzugt frei, wenn Bakterien zerfallen; sie aktivieren Immunzellen und erzeugen so Fieber (pyrogener Effekt; „πῦρ, pyr“, Gen. „πῦρ = pyr, pyros“ = Feuer), schädigen aber auch Zellen bis zum Zelltod (Apoptose, 7 Abschn. 13.5). Daher soll jetzt kurz auf die Entdeckungsgeschichte von Komponenten der bakteriellen Zelloberfläche eingegangen werden. Die Gram-Reaktion färbt den Mureinsacculus, eine Peptidoglykanverbindung in der Zellwand, die bei grampositiven Bakterien sehr dick ausgebildet ist. Sie kommt zwar auch bei gramnegativen Arten vor, jedoch in viel geringerer Dicke. Während die Zellwand bei grampositiven Bakterien bis zu 50 Schichten dick ist, mit einer Auflage von Teichonsäure, so ist sie bei gramnegativen Bakterien nur ein bis drei Schichten dick. Diese Einsichten waren erst durch die Entwicklung der Elektronenmikroskopie ab dem Zweiten Weltkrieg möglich. Die Hauptkomponente der Zellwand sind Peptidoglykane, auch Murein genannt, also Peptide mit vernetzten Zuckerderivaten wie N-Acetylglukosamin, N-Acetylmuraminsäure. Die Peptide ihrerseits enthalten die bei Eukaryoten äußerst seltenen d-Aminosäuren (anstatt der stereoisomeren l-Formen). Teichonsäure wurde 1958 entdeckt,
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Kapitel 2 · Die frühe Mikroskopie zeigte den zellulären Bau aller Organismen
ihr Derivat Lipoteichonsäure wirkt als Endotoxin. Die Gram-Färbung allein ist nicht unbedingt entscheidend für die Pathogenität. Es ist dies lediglich ein weiteres Charakteristikum für eine grobe Diagnostik. Daneben gibt es noch Bakterien ohne Zellwand bzw. Mureinsacculus, die Mykoplasmen. Diese sind teils pathogen, teils leben sie als Fäulnisbewohner (Saprobionten) auf faulendem Erdreich oder in Detritus. Sie können Ursache von Erkrankungen des Urogenitaltrakts oder von Lungenentzündungen sein und hießen ursprünglich nicht umsonst PPLOs („pleuropneumonia-like organisms“). Die Empfindlichkeit gegenüber Antibiotika oder bakteriziden Substanzen unterscheidet sich von jener der übrigen Eubakterien, besonders von jenen mit Zellwand. Alle diese Gruppen von Bakterien gehören zu den Eubakterien (griech. „εὖ, eu“ = gut, echt), den „Baktrien“ im engeren Sinn, denen als zweite große Gruppe die nichtpathogenen Archaebakterien („ἀρχαῖος, archaeo“ = ursprünglich) entgegengestellt werden (unten). Cyanobakterien wurden früher unter dem Namen Cyanophyceae oder Blaualgen geführt, obwohl sie keinen Zellkern besitzen. Sie haben eine dicke Zellwand, werden aber zu den gramnegativen Bakterien zugerechnet. Überhaupt: die Causa Cyanobakterien! 1967 schrieb der Göttinger „Algenpapst“ E. G. Pringsheim in der Österreichischen Botanischen Zeitschrift einen Aufsatz mit dem Titel „Bakterien und Cyanophyceen. Übereinstimmungen und Unterschiede“ [9]. Er doziert:
» Es ist beinahe 20 Jahre her, seit ich versucht habe, die systematischen Beziehungen zwischen Bakterien und Cyanophyceen, besonders den farblosen, zu erklären (PRINGSHEIM 1949).
Hat man endlich verstanden? Allein eine endgültige Zuordnung war erst nach den molekularbiologischen Untersuchungen von C. Woese möglich (7 Abschn. 2.2.4).
Bereits zu den Anfangszeiten, als man die ersten Blaualgen mikroskopisch zu untersuchen begann, konnte man entlang der schnurförmig zusammenhängenden grünen Zellen in Abständen dicke, farblose Heterocysten feststellen; später fand man, dass sie zur Stickstofffixierung in der Lage sind. Es kann also vereinzelt bereits auf frühem evolutionärem Niveau eine Zelldifferenzierung einfacher Art geben.
2.2.2 Neue wissenschaftliche
Gesellschaften wurden gegründet
Vorausgegangen waren US-Amerikaner, die sich 1959 zur Gründung der American Society for Cell Biology (ASCB) zusammenfanden, die am 31. Juli 1961 mit 480 Mitgliedern legal etabliert wurde. Die Initiative ging von Keith R. Porter, Rockefeller University, NY, aus. Bald kamen für die weitere Entwicklung wichtige Wissenschaftler hinzu, von denen ich George E. Palade, Don W. Fawcett und Hans Ris persönlich kennenlernen durfte. Sie alle kamen aus der Elektronenmikroskopie, die Porter in den USA populär gemacht hatte. Heute hat die ASCB an die 8000 Mitglieder in 60 Ländern. Anfangs war die ASCB eine Anlaufstelle für allerdings nur wenige europäische Kollegen. In Deutschland wurde in Düsseldorf am 16. Februar 1949 die Deutsche Gesellschaft für Elektronenmikroskopie gegründet. In den Vorstand wurden gewählt: Ernst Ruska als 1. Vorsitzender sowie Hans Mahl, Fritz Jung, Walter Kikuth, Otto Scherzer und Bodo von Borries. Ruska, Mahl, Scherzer und von Borries waren Physiker, Jung war Pharmakologe und Kikuth Mikrobiologe bzw. Tropenmediziner. Aus dem reichlich korrigierten und handschriftlich ergänzten Sitzungsprotokoll lässt sich nachvollziehen, dass hier noch gerungen wurde: Jemand hatte „Gesellschaft für Übermikroskopie“ hingekritzelt.
2.2 · Die Großväter und Väter der Zellbiologie – Aufbruch in die Moderne
Erst am 1. Juni 1975 wurde in einer Sitzung in Heidelberg die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Zellbiologie beschlossen, mit Peter Sitte als Präsident, Fritz Miller als Vizepräsident, Werner W. Franke als Geschäftsführer und Hanswalter Zentgraf als Sekretär. Alle außer Miller, der aus München kam, stammten aus Heidelberg. Damit war es Sitte gelungen, die Elektronenmikroskopie aus seinen Innsbrucker Anfängen in der Nachkriegszeit nach Heidelberg zu transferieren und dort die Zellbiologie aus der Taufe zu heben. Dazu gehörte auch die Gründung einer Fachzeitschrift, 1969 unter dem Titel Cytobiologie, 1979 in European Journal of Cell Biology umbenannt. 2.2.3 Bakterien waren auch noch
eine Herausforderung für die frühe Elektronenmikroskopie
Alle Bakterienzellen enthalten, in freier Form im Cytoplasma eingebettet, ein DNA-Molekül, das ringförmig geschlossen und frei von Introns und von assoziierten Proteinen in der Art von Histonen ist (mit Ausnahmen bei Archaebakterien). Alle Bakterien, Eubakterien wie Archaebakterien, haben Ribosomen von geringerer Größe als Eukaryoten, nämlich 70S gegenüber 80S. (S bedeutet die relative Größe in Svedberg-Einheiten, benannt nach dem Erfinder der Ultrazentrifuge; 7 Abschn. 7.1). Archaebakterien besitzen als Zellwand eine abgewandelte Form von Murein, das Pseudomurein (Pseudopeptidoglykan); sie gelten daher als gramnegativ. Bereits die Anwendung der DNA-spezifischen Feulgen-Färbung (7 Abschn. 4.4) hatte auf lichtmikroskopischem Niveau aufgezeigt, dass Bakterien ein „Nukleoid“ mit DNA enthalten. In den 1950er-Jahren zeigte sich dieses Nukleoid den Deutschen P. Giesbrecht, später als Direktor am Ro-
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bert Koch-Institut tätiger Bakteriologe, und G. Piekarski, späterer Parasitologe, als elektronendichtes Aggregat in einer „nuclear vacuole“ [10]. Zunehmend wurde indessen infrage gestellt, ob dies die normale Struktur sei oder ob dabei präparative Artefakte wie Schrumpfungen lokaler Strukturen im Spiel sein könnten. Das konnte so nicht stimmen, wie man bereits in den 1960er-Jahren diskutierte. Man begann ab den frühen 1970er-Jahren mit vergleichenden Analysen. Der deutsche Mikrobiologe K. Lickfeld fand, dass bei der chemischen Fixierung die Bakterienzellen energetisch kompromittiert werden. Wird dies vermieden, so präsentiert sich die DNA ziemlich homogen verteilt (. Abb. 2.2). Überdies wurde beobachtet, dass auch noch eine membranäre Struktur, das Mesosom, erst bei der chemischen Fixierung entsteht; das Mesosom ist der Ort, an dem die bakterielle DNA angeheftet ist. Es wurde von Lickfeld als Techn(ik)osom gebrandmarkt. Klärung kam 1983, als Lickfeld gemeinsam mit dem späteren Nobelpreisträger für Chemie (2017), dem Schweizer J. Dubochet, das Problem mit nichtchemisch fixierten, schnell eingefrorenen Bakterien und ihrer Analyse im gefroren-hydratisierten Zustand in einem Elektronenmikroskop mit Objektkühlung anging [11]. Die DNA ist locker verteilt, und ein Mesosom war nicht sichtbar; es ist wohl ein kollabierter Bereich der Zellmembran, an den die DNA angeheftet ist, also ein reproduzierbares Artefakt. Die Zahl der Gene in Bakterien liegt zwischen 500 und 7500, die Zahl der Nukleotidpaare wird mit zwischen ≈ 160 kbp (Kilobasenpaare) in Carsonella ruddii und ≈ 13 Mbp (Megabp) in Sorangium cellulosum angegeben – was eine gewisse Diskrepanz zwischen den Angaben für die Zahl der Gene und der Basenpaare beinhaltet. Im Vergleich dazu hat das Kerngenom des Menschen einen Umfang von 3 Gigabp mit ≈ 22.500 proteinkodierenden
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Kapitel 2 · Die frühe Mikroskopie zeigte den zellulären Bau aller Organismen
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Nukleoid (DNA)
1 µm . Abb. 2.2 Elektronenmikroskopische Abbildung der Standardlaborbakterien (Escherichia coli) nach Präparation mit einem Standardverfahren mittels chemischer Fixierung, Einbettung in Kunstharz, Ultradünnschnitttechnik und Kontraststeigerung mit Schwermetallsalzlösung. Die Zellgrenzen (hier nicht besonders aufgelöst) begrenzen ein homogenes Cytoplasma. Nur im Zentrum imponiert ein heller Bereich mit fädigen bis knotigen elektronendichten Strukturen (Nukleoid), welche die DNA darstellen. Trotz des überzeugenden Aspekts dieser distinkten Struktur repräsentiert sie bloß ein reproduzierbares Artefakt: Werden die Bakterien mit Kryomethoden (Einfrieren) fixiert, so ist die DNA homogen im Cytoplasma verteilt; die Umverteilung geht auf die metabolische Kompromittierung der Zellen bei der relativ langsamen chemischen Fixierung zurück. Mit Kryomethoden würde eine undifferenzierte, homogene Innenstruktur erscheinen (Dubochet et al. 1983) [11]. Es ist dies ein Beispiel für die Notwendigkeit der kritischen Bewertung der eingesetzten Methoden. (Quelle: H. Plattner [unveröffentlicht])
Genen, wobei allerdings die Kodierungsdichte bei Bakterien wegen des weitestgehenden Fehlens von Introns (außer bei Archaea) wesentlich höher ist.
Auch Bakteriengeißeln wurden lichtoptisch erkannt, allein aufgrund der Fortbewegung der damit ausgestatteten Bakterien. 1977 erschien eine richtungweisende Publikation in den Proceedings of the National Academy of Science USA mit dem Titel „A protonmotive force drives bacterial flagella“ [12]. Damit war eine funktionelle Grunderkenntnis formuliert und es war der Grundstock gelegt für zahlreiche Untersuchungen bis in den molekularen Bereich, die bis in unsere Tage andauern. Auf dieser Grundlage konnte 2003 ein Artikel von H. C. Berg die molekulare In-situ-Struktur des Flagellenmotors und seine Funktion eng an den aktuellen Stand heranbringen [13]. Diese komplexen, multimeren Molekülaggregate bestehen aus einem Ankerteil in der (inneren) Zellmembran und einem aufgesetzten Teil, an dem die Bakteriengeißel ansetzt (. Abb. 17.3). Hier wird ein Protonengradient, ΔH+, zwischen dem Außenraum (äußere Lipidschicht bzw. Peptidoglykanschicht) einerseits und dem Cytosol andererseits ausgenutzt. Die Protonen werden über verschiedene Transportmechanismen unter ATP-Verbrauch andauernd aus der Zelle transportiert und bilden so einen Stausee, der nur über die Motorproteine des Flagellums ins Cytosol zurückfließen kann. Dabei wird der in der Zellmembran verankerte Basisteil zur Rotation gebracht, was seinerseits den äußeren Teil mit der angehefteten Geißel ins Rotieren bringt und auf diese Weise das Bakterium vorwärtstreibt. So hat die Natur bei den Bakterien das Rad, den Rotationsmotor, die Turbine und die Schiffsschraube bereits sehr früh in der Evolution erfunden (7 Abschn. 17.3). Mit der Elektronenmikroskopie wurden weitere, immobile Anhänge der Bakterienzelle, die früher Fimbrien genannten Pili, entdeckt. Den Anfang machten 1950 die Niederländer A. L. Houwink und W. Iterson mit der Arbeit „Electron microscopical observations on bacterial cytology. II. A study on flagellation“ [14]. Im Appendix
2.2 · Die Großväter und Väter der Zellbiologie – Aufbruch in die Moderne
bemühen sie sich noch einmal, Zweifel zu beseitigen:
» That
they do not represent young flagella can be derived from the manner in which flagella grow out; they also lack the smooth undulation of flagella. [Dass sie keine jungen Geißeln darstellen, kann aus der Art erschlossen werden, wie sie auswachsen; ihnen fehlt auch die glatte Wellenbewegung der Geißeln.]
Damit war eine vorsichtige Abgrenzung der starren und relativ kurzen Pili von den Flagellen erreicht. 1955 beschrieb eine schottische Gruppe unter dem Titel „Non-flagellar filamentous appendages (fimbriae) and haemagglutinin activity in Bacterium coli“ den agglutinierenden (verklebenden) Effekt der Pili [15]. Diese sind filamentär-polymere Lektine (7 Abschn. 4.4.2), die an spezifische Zuckerreste der Glykokalyx von Eukaryotenzellen binden und diese, wie im Falle der Erythrocyten, zur Verklumpung bringen. Zunächst kannte man Pili nur von gramnegativen und erst mit Verzögerung auch von grampositiven Bakterien. Da sie auch pathogenen Formen zum Andocken verhelfen, rückten Pili immer mehr in den Fokus von Hygiene und Pathologie (7 Abschn. 15.4).
2.2.4 Eine moderne
Weichenstellung in der Bakteriologie
Die Unterscheidung zwischen Eubakterien und Archaebakterien wurde ab 1977 vom US-amerikanischen Mikrobiologen Carl Woese begründet [16] und 1981 gemeinsam mit dem deutschen Botaniker und Mikrobiologen Otto Kandler auf dem (sehr leicht zu besteigenden) Hochiss-Gipfel im Tiroler Rofangebirge gefeiert. Das Hauptkriterium war ursprünglich der Unterschied in der 16S-RNA der Ribosomen, jenen mak-
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romolekularen „Self-assembly“-Strukturen (wörtlich: Selbstzusammenbau), welche die Proteinsynthese durchführen. Woese wählte die 16S-rRNA wegen besserer Vergleichbarkeit, da diese Form von rRNA in allen Prokaryoten und in vergleichbarer Größe (18S) auch in Eukaryoten vorkommt. Auch hat die 16S-rRNA mit ca. 1500 Nukleotiden genügend Bausteine, um statistisch sicherere Aussagen zu erzielen als etwa mit der 5S-RNA (ca. 120 Nukleotide). Ab 1990 differenzierte Woese unter Einbeziehung weiterer Kriterien drei Organismenreiche: Bacteria (Eubakterien), Archaea (= Archaeota, Archaebakterien) und Eucarya mit Protisten (tierische Protozoen und pflanzliche Algen) sowie mit höheren Pflanzen und Tieren, wie in 7 Abschn. 17.2 und 17.4 genauer besprochen wird (. Abb. 2.3). Die Eucarya werden jetzt meist als Eukaryoten geführt – Zellen mit einem mikroskopisch sichtbaren, also distinkten Zellkern („εὖ, eu“ = schön, gut; „κάρυον, káryon“ = Nuss), im Gegensatz zu allen Prokaryoten („Bakterien“). Archaebakterien – das hört sich nach alten Stammformen an, zumal sie in so unwirtlicher Umgebung vorkommen wie sauren, methanhaltigen oder sehr heißen Habitaten („Extremophile“). Obwohl das an harsche Urzeiten erinnert, sind die Archaebakterien jünger als die Eubakterien, und sie bilden eine Komponente zur Evolution der Eukaryoten, mit denen sie verschiedene Merkmale teilen: das Vorkommen von Introns, Spleißvorgänge, Bindung von histonähnlichen Proteinen an die DNA und übrigens auch die Existenz von Proteasomen zum intrazellulären Abbau von Proteinen. Lediglich die Größe der Ribosomen (70S) ist wie bei Eubakterien. Manche der extremophilen Archaebakterien gerieten in den letzten Jahren in den Fokus, weil sie Prozesse beherrschen, die für moderne Technologien wegweisend sein könnten. Das geht aus einem Forschungsbericht des Max-Planck-Instituts in Bremen in 2020 hervor. So beherrscht das marine
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Kapitel 2 · Die frühe Mikroskopie zeigte den zellulären Bau aller Organismen
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. Abb. 2.3 Phylogenetischer Stammbaum (Dendrogramm) der drei Organismenreiche nach den Erkenntnissen von Carl Woese (um 1980). Die „Bakterien“ (kernlose Prokaryoten) wurden getrennt in „echte/eigentliche“ Bakterien (Bacteria, u. a. mit Proteo- und Cyanobakterien und Spirochäten) und in Archaebakterien (Archaea, mit thermophilen, halophilen [salzliebenden] und methanogenen Arten). Die Archaebakterien suggerieren durch ihre Eigenschaften eher die Entstehung in einer unwirtlichen Urwelt, obwohl sie jünger sind als die anderen Bakterien. Daneben entwickelten sich die Eukaryoten (mit Zellkern), zu denen Einzeller (Algen und Protozoen) und Vielzeller gehören (Tiere und Pflanzen). (Quelle: [16])
Bakterium Methanothermococcus thermolithotrophicus die Umwandlung von Sulfat (SO42−), Sulfit (SO32−), N2 und CO2 in ihre reduzierteste Form, nämlich Dihydrogensulfid, Ammoniak und Methan. Clostridium autoethanogenum kann toxisches Kohlenmonoxid (CO), H2 und CO2 in Biokraftstoffe umwandeln. Woese wurde für seinen epochalen Vorschlag harsch kritisiert, auch von hochrangigen Fachkollegen wie Ernst Mayr. Dieser aus dem Allgäu stammende US-amerikanische Biologe, Autor des lesenswerten Wälzers „The Growth of Biological Thought“ [17], dominierte die Evolutionsbiologie über Generationen wie kaum ein anderer; darüber gab es Klagen, Autoren nichtkon-
former Manuskripte hätten es nicht leicht gehabt. Unser Konstanzer Kollege Hubert Markl († 2015), Ex-Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und späterer Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und selbst Evolutionsbiologe, hat den alten Patriarchen Mayr anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Philosophie (!) 1994 in launiger Weise als „selbst ein wissenschaftliches Fossil“ vorgestellt. Darüber hat sich der damals 90-Jährige sichtlich gefreut: Vom Subjekt war er sozusagen selbst schon zum Objekt wissenschaftlichen Interesses geworden. Woese aber wurde in der Zeitschrift Science einmal als „microbiology’s scarred revolutionary“ (narbenbedeckter Revolutionär) bezeichnet. Gerechtigkeit
2.4 · Beispiele für frühe Ansätze zu modernen Methoden, Korrekturen …
erfuhr er 2003, als er den Crafoord-Preis erhielt, der dem Nobelpreis äquivalent ist (7 Abschn. 18.3). In Deutschland wurde K. O. Stetter, Regensburg, um die Jahrtausendwende zum gefeierten, ja legendären Star der Archaeaforschung. Er scheute sich nicht, im U-Boot bei Tiefseetauchgängen mitzufahren und verfasste begeisterte und begeisternde Berichte. In Regensburg befindet sich immer noch ein Archaeen-Forschungszentrum. 2.3 Unsere Körperzellen
Tierische und pflanzliche mehrzellige Organismen sind aus klar erkennbaren Zellen aufgebaut. Werfen wir nun, bevor wir ins Detail gehen, einen kurzen Blick auf unseren eigenen zellulären Aufbau. Derzeit schätzt man die Zahl der Zellen des menschlichen Körpers auf Werte zwischen ≈ 1013 bis 1014; dem steht in unserem Körper eine etwa gleiche Anzahl an Bakterien als Endo- und Episymbionten zur Seite (Mikrobiom). Die Zahl der Zelltypen im Säugetierkörper wird (definitionsabhängig) auf ≈ 240 geschätzt (jene von Blütenpflanzen auf ≈ 70). Alle diesen Zahlen sind natürlich Schätzungen, also „Angaben ohne Gewähr“, denn sie hängen sehr von der Definition ab. Dennoch reflektieren die Zahlen den Grad höchster Komplexität, die noch durch die den Zellen eigene Differenzierung verstärkt wird. Wie bis 1928 aus der Beobachtung von einzelnen Zellen die Histologie und eine mikroskopische Anatomie der Organismen, insbesondere der des Menschen, hervorgingen, ist unter 7 https://link.springer.com/ chapter/10.1007/978-3-642-51410-41 in einem „Auszug aus dem Handbuch der Mikroskopischen Anatomie des Menschen“ als Reproduktion von Originalartikeln nachgezeichnet. Dabei liegen unsere Zellen, wie auch jene anderer vielzelliger Organismen,
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in einer Größenordnung von wenigen Mikrometern (µm) bis zu 1 m Länge (Motoneurone zur Innervation der Zehenmuskeln); dazwischen liegen Erythrocyten (7 µm), Leberzellen (Hepatocyten, ≈ 30–40 µm) und die menschliche Eizelle (≈ 150 µm). (Zum Vergleich ist die Eizelle der Vögel wesentlich größer – sie entspricht jener des Dotters. Ein Hauptunterschied liegt in der Menge der gespeicherten Lipoproteingranula, der Dotterplättchen, von denen es im Vogelei viele gibt [polylecithale Eier]). Oligolecithale Eizellen wurden durch die Verlagerung der Entwicklung ins Innere des Muttertiers der Säugetiere möglich. An unserem Zellrepertoire haben Neurone einen Anteil von ≈ 1011, die meisten davon, nämlich 16–21 × 109, befinden sich im cerebralen Cortex. Nach neueren Schätzungen sind in unserem gesamten Körper insgesamt ≈ 1015 Schaltstellen (Synapsen) in Aktion, und damit mehr als der zumeist angenommene Schätzwert von 103 pro Neuron (wenn über alle Neurone im gesamten Körper gemittelt wurde). Auf derlei komplexen Wechselwirkungen beruht unser Denkvermögen; 7 Abschn. 17.10). Was will man da mit einer „künstlichen Zelle“ (7 Abschn. 2.4) dagegenhalten? In Pflanzengeweben, besonders wenn sie voll ausdifferenziert sind, sind wegen der Zellwände die einzelnen Zellen meist wesentlich besser zu erkennen als in tierischen Geweben (. Abb. 2.4).
2.4 Beispiele für frühe Ansätze
zu modernen Methoden, Korrekturen alter Ansichten, rezente Entwicklungen und neue Überheblichkeiten
Ist von Neuronen die Rede, so muss von Elektrophysiologie die Rede sein, denn diese Zellen sind der Prototyp dessen, was man „erregbare Zellen“ nennt (gemeint
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Kapitel 2 · Die frühe Mikroskopie zeigte den zellulären Bau aller Organismen
2
c
b
a Zellkerne
Zellkerne
CP ZK ER
Blutgefäß
10 µm pflanzliche Zellen, Blatt
10 µm pflanzliche Zellen, 10 µm
Wurzel
tierische Zellen (Leber, DNA)
Bakterien, zum Vergleich 1 µm
. Abb. 2.4 Lichtmikroskopische Bilder von tierischem und pflanzlichem Gewebe. (a) Mäuseleber mit DNA-Färbung der Zellkerne mit Best’schem Karmin und dem strichlierten Umriss einer Zelle; (b) und (c) pflanzliche Gewebe. (b) zeigt einen Längsschnitt durch eine Zwiebelwurzel mit angefärbten Zellkernen (Mitte und rechts) bzw. mit kondensierten Chromosomen während einer Zellteilung (Mitte rechts); auf der linken Seite liegen große, nichtkondensierte Zellkerne mit einem homogen gelben Nukleolus. (c) Vitalbild eines Moosblättchens im Phasenkontrastverfahren, mit deutlich erkennbaren Zellgrenzen (Zellwand) und grünen Chloroplasten (CP) sowie weniger deutlich erkennbaren Zellkernen (ZK) und Strukturen des endoplasmatischen Retikulums (ER). (Quellen: (a), (b) [22], (c) Gerhard Wanner, Botanisches Institut der Universität München (unveröffentlicht))
sind elektrisch erregbare Zellen). Als Erstes wurden elektrische Signale als Stimulator für die Aktivität von Muskeln erkannt; auch hier gehen die Signale von Nerven aus. Diese anfangs primitive Form von Elektrophysiologie wurde auf recht ungewöhnliche Art und Weise entdeckt. Der Legende nach hat der Physiker Luigi A. Galvani, Bologna, als er 1780 mit Froschbeinen experimentierte, bei Berührung mit einem metallischen Gegenstand ein Zucken produziert, das sich vielfach wiederholen ließ. So wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Grundlage für eine „medizinische Elektrizität“ gelegt. F. A. Mesmer aus Überlingen am Bodensee war gewissermaßen Visionär und Scharlatan zugleich. Noch bevor Galvani 1780 Froschschenkel durch elektrischen
Strom zum Zucken gebracht hatte, man also erstmals von Elektrophysiologie reden könnte, und noch ehe der Zusammenhang zwischen Magnetismus und Elektrizität bekannt war, hat Mesmer 1774 die sehr sensible „Jungfer Oesterlin“ angeblich mit einem Magneten geheilt. Er war früh dran mit seiner Magnettherapie, denn auch die Erzeugung eines Magnetfeldes an stromdurchflossenen Stromleitern konnte erst 1820 vom dänischen Physiker H. C. ørsted gezeigt werden. Die Geschichte des „animalischen Magnetismus“ (Mesmerismus) wechselte zwischen Hochschätzung und – wie auch heute – strikter Ablehnung. Aber erst 1842 gelang Emil H. du Bois-Reymond, einem Hugenottenabkömmling in Berlin, der Nachweis der „tierischen Elektrizität“ [18]. Er gilt als
2.4 · Beispiele für frühe Ansätze zu modernen Methoden, Korrekturen …
egründer der Elektrophysiologie, deren B Wichtigkeit für die zellbiologische Entwicklung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. 1848 erschien Band 1 der „Untersuchungen über tierische Elektricität“; Band 2 folgte in Teilen zwischen 1849, 1860 und 1884. Noch am 14. Juli 2015 hielt Erwin Neher, der zusammen mit Bert Sakmann die Patch-Clamp-Elektrophysiologie entwickelt hatte und dafür 1991 mit ihm zusammen mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geehrt wurde, bei einem „Lindau Nobel Laureate Meeting“ einen Vortrag zum Thema „Ionenkanäle sind immer für eine Überraschung gut“ [19]. Darüber wird später noch einiges zu sagen sein (7 Abschn. 9.6.3). Besonders zu würdigen sind die vielfältigen Anstrengungen, welche die botanischen Zellbiologen unternehmen mussten, um die vielfältigen, eindrucksvollen Überlebensstrategien ihrer pflanzlichen Objekte aufzuklären. Auch hier gibt es elektrische Phänomene, und die Elektrophysiologie kam, verspätet zwar, auch hier zum Einsatz (7 Abschn. 16.6.2 und 16.6.3). Immer wieder ergeben sich neue Zielsetzungen. Für alle Organismen hat vor etwa zwei bis drei Jahrzehnten eine Massenbewegung eingesetzt, welche die Absicht hat, Genome vollständig aufzuklären und zu indizieren. Was überzeugte, war der Erfolg des Humangenomprojekts unter der Leitung des US-Biotechnologen Craig Venter, das 2001 mit über 250 Koautoren in der Zeitschrift Science publiziert wurde [20]. Zunächst beschränkte man sich – abgesehen vom Menschen – auf wichtige Modellorganismen wie bestimmte Bakterien (E. coli etc.), die Protozoen Dictyostelium discoideum (Myxamoebae, Schleimpilze), Tetrahymena thermophila und Paramecium tetraurelia (Ciliata), die Bäcker- oder Bierhefe Saccharomyces cerevisiae und den Schimmelpilz Neurospora crassa (niedere Pilze, Ascomyceten), den Fadenwurm Caenorhabditis elegans (Nematoda), die Tau- oder Fruchtfliege Drosophila melanogaster (Dip-
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tera), den Zebrafisch Danio rerio, die Maus sowie auf pflanzlicher Seite auf die Grünalge Chlamydomonas reinhardtii (Chlorophyta), das Blasenmützenmoos Physcomitrella patens (Laubmoose) und die Blütenpflanze Arabidopsis thaliana (Anthophyta). Jeder dieser Modellorganismen hatte sich für die Analyse bestimmter zellbiologischer Aspekte angeboten: E. coli als nichtpathogenes Bakterium aus unserem Darm; D. discoideum als Modell für Chemotaxis, amöboide Bewegung und synchronisierbare Entwicklung; die Ciliaten für Morphogenese der epigenetisch gesteuerten regelmäßigen Oberflächenstruktur, mit hoher Zahl an (meta-)synchron schlagenden Cilien und synchroner Exocytose (merokrine Sekretion; „μέρος, meros“ = Teil); N. crassa und S. cerevisiae mit reduziertem Genom und vielen Mutanten; C. elegans als primitives Metazoon mit konstanter Zellzahl; D. melanogaster als Modell für zahlreiche Einzelaspekte bis hin zur Parkinsonforschung; C. reinhardtii als einzellige Pflanze mit Flagellum usw. Sie alle können leicht kultiviert werden. Vielfach waren Mutanten verfügbar. Daher waren sie unter den Ersten, für die Genomprojekte etabliert wurden, denn sie werden nach wie vor als Modellsysteme für verschiedenste zellbiologische Fragestellungen geschätzt. Heute ist die Palette bereits vielfältiger, und wir sind mit der Ankündigung konfrontiert, alle Spezies durchsequenzieren zu wollen; vom schnellen Fortschritt in diesem Bereich wird noch zu berichten sein. Das hört sich jedoch recht großspurig an, bedenkt man den andauernden Disput, wie viele Spezies es überhaupt wohl gäbe. Im Jahre 2011 war von 8,7 Mio. Spezies die Rede, Bakterien ausgenommen, von denen der größte Anteil erst in den kommenden Jahrzehnten zu identifizieren und zu katalogisieren sei. Allerdings waren bis 2016 immerhin 14.000 Genome durchsequenziert. Ihre Zugänglichkeit in Datenbanken fördert den Fortschritt, auch in der Evolutionsforschung.
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2
Kapitel 2 · Die frühe Mikroskopie zeigte den zellulären Bau aller Organismen
Zum Abschluss dieses Abschnitts erscheint mir noch eine grundlegende Einsicht bzw. eine Korrektur langzeitiger Fehleinschätzung notwendig. Heute wissen wir, dass jede Zelle dieselbe genetische Information zur Kodierung von Proteinen als Akteure (Enzyme, Hormone etc.) und Strukturbausteine (Cytoskelett etc.) besitzt. Mit zunehmender Evolutionsstufe tierischer Organismen nimmt die Zahl der nichtproteinkodierenden Gene zu, bis sie die Zahl der (proteinkodierenden) „Gene“ beim Menschen um etwa das 60- bis 70-Fache übertrifft. Sollte dies alles Abfall aus der Evolution sein – „junk DNA“, wie es lange Zeit hieß? Welch arrogante Zumutung an ein System, das auf Effizienz getrimmt ist und im Laufe der Evolution alles Unnötige gnadenlos über Bord geworfen hat. Auch darüber wird zu reden sein, z. B. im Zusammenhang mit der neuesten Forschungsrichtung der Epigenetik (7 Abschn. 12.9), denn erst hier wurde die Bedeutung der „junk DNA“ erkannt. Mitnichten stimmt auch die Vorhersage, dass wir nach Entschlüsselung des Genoms, also mit seiner molekularen Blaupause, den Menschen umfassend verstehen würden. Aber derlei Versprechungen dienten wohl eher der Beschaffung von Forschungsgeldern für teure Projekte, ähnlich den neuesten Luftschlössern menschlicher Kolonien auf dem Mars und dem Mond. Wir werden Anlass zu mehr Bescheidenheit finden, wenn wir später unseren „Spuren im Schlamm“ aus der frühen Evolution nachgehen, von denen wir einiges in unseren Zellen bewahrt haben (7 Abschn. 17.2 und 17.6). Wenn heute von „künstlichen Zellen“ geredet wird (gemeint sind Eukaryotenzellen, Beispiel Hefe), so ist das übertrieben, ja anmaßend. Man propagiert darunter versiegelte Zellmembranen mit Einschluss genetischen Materials. Derlei „künstliche Chromosomen“ können durch Rekonstitution von Histonproteinen und DNA erzeugt werden. Man verwendet also als
Grundvoraussetzung komplexe Membranen aus präexistenten Zellen und komplexitätsarme DNA-Proteinkomplexe, die auf Self-assembly-Basis, also aufgrund von inhärenten Eigenschaften der beteiligten Moleküle, leicht hergestellt werden können. Man müsste jedenfalls ungefähr 80 Gene mit einschließen, die für die universellen zellulären Funktionen als unabdingbar erachtet werden. Solche Gebilde haben die Präexistenz komplexer Zellmembranen zur Voraussetzung, deren künstliche Entstehung eben nicht nachvollzogen werden kann. Da diesen Gebilden weitere essenzielle Charakteristika einer lebenden Zelle fehlen, kann man bestenfalls Gebilde für In-vitro-Experimente unter gewissen Bedingungen erwarten. Es gilt immer noch das Dogma von Virchow: Zellen entstehen nur aus Zellen. „Künstliche Zellen“ bleiben vorerst jedenfalls eine Chimäre. 2.5 Persönlicher Aufbruch zur
Zellbiologie
Auch persönlich gab es für mich einen Aufbruch zu diesem schönen Gebiet der Zellbiologie, und ich durfte die Vielfalt an Entwicklungen im Laufe der Jahrzehnte hautnah miterleben – eine notwendige Grunderfahrung, wie ich meine, um dieses Buch zu schreiben. Es begann an der Universität Innsbruck mit einer spezifischen Frage in einem botanischen Praktikum. Darüber wisse man aus elektronenmikroskopischen Arbeiten von Peter Sitte einiges mehr, sagte der betreuende Assistent W. Larcher. Und er könne mir einen Sonderdruck von Sittes Habilitationsschrift leihen – aber nur über Nacht. (Diese Dinge waren damals kostbar.) Peter Sitte hatte sich 1958 in Innsbruck mit einer Publikation zur Ultrastruktur von Wurzelzellen der Erbse habilitiert [21]. So erfuhr ich erstmals etwas Reales über den Mythos des damals sagenumwobenen Golgi-Apparats und seine wahrscheinliche Beteiligung an der Syn-
23 Zitierte Literatur
these der Zellwand. 1965 begegnete ich – nach Abschluss meines Studiums – erstmals Jörg Klima, der eben das Laboratorium für Elektronenmikroskopie an der Universität Innsbruck übernommen hatte und mich auf die zweite Assistentenstelle setzen wollte. So versuchte er, mir den konkreten Einstieg in die elektronenmikroskopische Zellbiologie zu ermöglichen, mit Schwerpunkt Morphometrie. Jedoch artete dies in eine Hungerkur aus, und nach neun Monaten ohne Bezahlung bot ich in abortiver Stimmung meinen Abgang an. Dann lief alles auf einmal besser. Es folgte eine Zeit als Postdoc an der Cornell University in Ithaca (1968–1970), New York, und eine an Fritz Millers neu gegründetem Institut für Zellbiologie an der Universität München (1971–1975) sowie am Institut für Pharmakologie unter Hans Winkler (1975–1978), bis ich schließlich 1978 an der Universität Konstanz landete. Die Morphometrie/Stereologie als quantitative Methode hatte in Innsbruck Tradition. Die Grundlage wurde von Bruno Sander in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelegt; er war Petrograph und Mitglied der US Academy of Sciences. Hellmuth Sitte setzte die Methodik an der Niere ein und Jörg Klima an der Struktur einzelner Zellen. Bei der quantitativen Auswertung elektronenmikroskopischer Autoradiogramme an der Cornell University waren diese Kenntnisse sehr nützlich. Peter Sitte und sein Bruder Hellmuth hatten, zusammen mit Fritz Miller, Luis Bachmann und Jörg Klima, die Elektronenmikroskopie in Innsbruck begründet. Diese Möglichkeit ergab sich aus der Tatsache, dass die lokalen NS-Granden eine „Alpenfestung Tirol“ für den noch verbleibenden Rest einer fürchterlichen Diktatur etablieren wollten. So hatte es sich ergeben, dass von der Firma Siemens schon einmal ein „Übermikroskop“ angeliefert worden war. Dieses war ein frühes Elektronenmikroskop, an dem man zum Vergrößerungs-
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wechsel die Projektivpolschuhe ausbauen musste. Da standen nun die Kisten, und man begann mit den Gebrüdern Sitte das Wagnis. Allen Gründervätern, Fritz Miller, Peter und Hellmuth Sitte sowie Jörg Klima und Luis Bachmann, durfte ich anlässlich einer Tagung der Deutschen Gesellschaft für Elektronenmikroskopie 2001 in Innsbruck eine Laudatio mit dem Thema halten: „Die Begründer der Elektronenmikroskopie und Zellbiologie an der Universität Innsbruck und ihr Beitrag zur Entwicklung dieser Fachgebiete“. Ihr jeweiliger Anteil an der Entwicklung der Zellbiologie wird in den entsprechenden Kapiteln gewürdigt. (Peter Sitte und Jörg Klima haben jeweils 1965 und 1967 Lehrbücher der Zellbiologie publiziert.) Auf diesem langen Weg konnte ich viel Neues lernen, besonders auch in den zahlreichen Kooperationen mit verschiedenen Systemen und Methoden der Zellbiologie. Auf diesem Hintergrund als Grunderfahrung versuche ich, die Geschichte der Zellbiologie nachzuzeichnen.
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2
Kapitel 2 · Die frühe Mikroskopie zeigte den zellulären Bau aller Organismen
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Bakterien und Protozoen als Krankheitserreger: Segen und Fluch früher Entdeckungen Inhaltsverzeichnis 3.1 Seuchen: Zellbiologie zwischen Erfolg und Resignation – 26 3.2 Bakterien als Krankheitserreger: von ihrer Entdeckung bis zu heutigen Entwicklungen – 27 3.3 Pathogene Protozoen – 32 3.4 Biologische Waffen – 35 Zitierte Literatur – 35
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 H. Plattner, Abenteuer Zellbiologie – Streifzüge durch die Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66740-8_3
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Kapitel 3 · Bakterien und Protozoen als Krankheitserreger: Segen und Fluch früher Entdeckungen
Wie in 7 Kap. 2 darlegt, gab im 19. Jahrhundert die Entdeckung von Bakterien als Krankheitserreger der Entwicklung der Zellbiologie entscheidende Impulse. Dasselbe gilt für pathogene Protozoen. All dieses führte im 20. Jahrhundert nicht nur zu neuen Einsichten theoretischer/zellbiologischer Art, sondern auch zur Entwicklung von Gegenmaßnahmen und Therapien, einschließlich bakterizider Medikamente. Infektionen mit pathogenen Bakterien und vielen – auch einzelligen – Parasiten wurden in immer mehr Details aufgeklärt. Wesentlich schwieriger war und ist es noch heute, manchen der Protozoen-Infektionen Herr zu werden. Dies ist insbesondere bei Malaria der Fall, für die es trotz vieler Anläufe aktuell immer noch keine durchgehend einsatzfähigen Impfstoffe gibt. Hier besteht noch erheblicher Entwicklungsbedarf in der zellbiologischen Grundlagenforschung – sowohl in theoretischer als auch in praktischer Hinsicht. Mehr Details werden u. a. in 7 Kap. 15 angesprochen.
Das 19. Jahrhundert war richtungweisend für den Fortschritt der mikrobiellen Hygiene, der Entdeckung pathogener Bakterien und Protozoen sowie der Entwicklung erster Therapieansätze. Wie primitiv diese heute zumeist anmuten, lässt erkennen, dass echter Fortschritt sich nur durch Erforschung der zellbiologischen Details erzielen lässt. Da zwischen diesen beiden Eckpunkten praktisch der Inhalt dieses Buches liegt, wird hier zunächst der frühe Aspekt dieses Forschungszweiges und erst später, insbesondere in 7 Kap. 14 und 15, der aktuelle zellbiologische Hintergrund dargestellt.
3.1 Seuchen: Zellbiologie
zwischen Erfolg und Resignation
Ursprünglich hatte man Ausdünstungen schlechter Luft aus verschmutzten Gewässern („Miasmen“) für Krankheiten wie Typhus und Cholera verantwortlich gemacht. Ähnlich wurden um 1830 die Ursachen einer Syphilis- oder Gonorrhö-Infektion von Samuel Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie, als Folge von Miasmen bezeichnet. Diese wirre Begrifflichkeit konnte erst überwunden werden, als spezifische Bakterien als die wahren Ursachen dieser Krankheiten erkannt und bekämpft werden konnten. Allerdings hatten die punktuelle Beseitigung stinkender Abwässer und die Verbesserung der Trinkwasserversorgung auch ihr Gutes, bereits bevor die Infektionsbiologie begründet wurde. Dieser Trend wurde intensiviert, sobald die wahren Ursachen der gefährlichen Epidemien feststanden. Ein Beispiel ist die um 1870 erbaute Hochquell-Wasserleitung für die Stadt Wien aus dem 100 km entfernten Rax- und Schneeberg-Gebirge. Systematisch angelegte Kanalisationen in verschiedenen Großstädten bewirkten ein Übriges. Der Erfolg: Seit 1871 hat sich die Lebenserwartung des Menschen ziemlich genau verdoppelt. Dazu haben auch die weiteren Fortschritte der Grundlagenforschung wie Antibiotika, Hygiene und Einsichten in den Bedarf der Zellen an Vitaminen und Hormonen beigetragen. Manche bakteriell verursachten Krankheiten bei Mensch und Tier waren schon in alten Hochkulturen bekannt. So wurde die Lepra in ägyptischen Mumien identifiziert. Die Erreger wurden wohl ins Alte Rom eingeschleppt. Der Milzbrand ist bereits vom
3.2 · Bakterien als Krankheitserreger: von ihrer Entdeckung bis zu …
antiken Griechenland und von den Römern bekannt. Später kam die Pest im oströmischen Reich an („Justinianische Pest“); der Kaiser überlebte die Infektion. Der Ursprung von Lepra und Pest lag in Ostafrika bzw. in Zentralasien. Lepra gilt als Folge mangelnder Hygiene und fand über Jahrhunderte buchstäblich guten „Nährboden“. Hatten doch mittelalterliche Asketen bei den ihnen am heiligsten Heiligen geschworen, niemals in sündiger Weise auch nur daran gedacht zu haben, ein Bad zu nehmen. Wie sollte das auch möglich sein, insbesondere wenn sie sich – quasi strafverschärfend – auf einer Säule niedergelassen hatten (Säulenheilige)? Es ist irritierend, heutzutage nahe der verbotenen Stadt in Peking/ Beijing eine hübsche junge Frau zu sehen, von deren äußeren Zehengliedern nur noch die Knochen geblieben sind. Ein paar Euro hätten für ihre Heilung genügt! Kleiner Trost: Bei Befall tritt Unempfindlichkeit für Schmerz ein, weil die Infektion auch periphere Nerven angreift. Erst die Entwicklung der Mikroskopie und die Grundeinsichten der frühen Zellbiologie ermöglichten eine kausale Analyse und zunehmend eine zielgerichtete Bekämpfung. Darüber hinaus gelang es mithilfe molekularbiologischer Analysen, beispielsweise die Epidemiologie der Pest im Wandel der Zeiten nachzuzeichnen. 2018 wurde gezeigt, dass bereits neolithische Menschen DNA des Pesterregers enthielten. Über die Virulenz sagt dies nicht viel aus, weil bei der Pest mehrere Transposons hochgradig zur Verbreitung und Virulenz der Infektion beitragen. Die Pest hat Europa vom 14. bis zum 17. Jahrhundert in Wellen besonders stark heimgesucht. Giovanni Boccaccio schilderte 1492 in seiner Novellensammlung „Decamerone“, wie die Pest die florentinisch-italienische Gesellschaft heimsuchte und wie sich wohlhabende junge Leute zu lustvollem Leben abgesondert hatten. Er kritisiert auch die Pestärzte bzw. solche, die sich dafür ausgaben: „… la ignoranza de’ medicanti … senza
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avere alcuna dottrina di medicina …“; er bedauert also im alten italienischen Text die Unkenntnis derer, die sich ohne Ahnung als Experten ausgaben. Die Pest gibt es immer noch, latent oder als lokal aufflammende Epidemien. Manche Erreger büßen ihre Virulenz ein, ohne dass die zellbiologische Wissenschaft interferiert hätte. Das Problem Pest wird in 7 Abschn. 3.2 und 3.4 vertieft. Bei der Pest hatten sich Menschen – in Umkehrung des Verfahrens bei Lepra – selbst abgesetzt, wohingegen man die „Aussätzigen“ buchstäblich aussetzte, indem man sie in organisierte Leprosenheime einwies (so auch im Bistum Konstanz). Mit der Pestklapper warnten sie die Umgebung, waren aber kirchlicherseits wohlversorgt. Gegen viele bakterielle Epidemien war man bis zur Weiterentwicklung der Zellbiologie schlecht gerüstet. Man kannte ja nicht einmal die Ursachen – außer der Vermutung, dass schlechte Luft Schuld sei an Typhus, Lepra, Pest, Cholera sowie Tuberkulose. So suchten Pestepidemien Europa vom Süden bis hinauf nach Skandinavien im 14. Jahrhundert heim und flammten bis ins 18. Jahrhundert immer wieder auf. Viren taten das Ihre. Die Pockenviren wüteten besonders im 16. Jahrhundert, die Spanische Grippe forderte 1918/19 Millionen Menschenleben.
3.2 Bakterien als
Krankheitserreger: von ihrer Entdeckung bis zu heutigen Entwicklungen
Allen voran wurde der Erreger der Lepra, Mycobacterium leprae, im Jahre 1873 vom norwegischen Arzt Gerhard A. Hansen identifiziert [1], als es in Norwegen wieder einmal vermehrt Leprafälle gab. Ein heute undenkbares Infektionsexperiment durch einen deutschen Dermatologen erbrachte den endgültigen Beweis. Der Erreger kam
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Kapitel 3 · Bakterien und Protozoen als Krankheitserreger: Segen und Fluch früher Entdeckungen
mit dem Sklavenhandel aus Afrika und verbreitete sich weltweit. Besonders im Mittelalter war die Lepra in Mitteleuropa eine Plage. In Leprosenheimen für „Aussätzige“ wurden die Kranken isoliert „ausgesetzt“, wie dies bis in die Neuzeit praktiziert wurde und wird. So wurden auf Hawaii Aussätzige auf der Halbinsel Kalaupapa der Insel Molokai ausgesetzt, deren Ansatz von Hunderte Meter hohen, fast senkrechten Lavawänden eingefasst ist. Ein Entrinnen scheint absolut unmöglich – diesen Eindruck gewinnt man, wenn man die Halbinsel Kalaupapa in geringer Höhe überfliegt. Ursprünglich siechten hier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Hunderte von Todgeweihten ihrem Ende entgegen. Vor Kurzem waren dort noch zwei Patienten registriert, nach deren Tod Agrotourismus geplant war. Seit den 1940er-Jahren ist diese Krankheit für wenig Geld mit Dapson, einem Antirheumatikum mit antibiotischer Wirkung, und Antibiotika heilbar. Neuerdings hat sich Thalidomid, das ursprünglich als Schlafmittel verkauft wurde und in kurzer Zeit weltweit unter dem Namen Contergan wegen schwerwiegender teratogener Effekte in Verruf gekommen war, als Mittel der Wahl gegen Lepra bewährt (teratogen = den Feten schädigend; abgeleitet von „τέρας, téras“ = Ungeheuer und „γένεσις, génesis“ = Ursprung). Beides sind Beispiele für unvorhergesehene Effekte von Pharmaka; eine eigene Sparte befasst sich aktuell mit derlei ungeahnten Möglichkeiten eines „Repurposing“ (Umwidmung). Des Weiteren wurde ein gewisser Antagonismus zwischen den beiden Mykobakterien M. tuberculosis und M. leprae beobachtet, die beide obligat intrazelluläre Pathogene sind. Diesen Antagonismus auszunutzen würde jedoch bedeuten, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Als eine der späten Entdeckungen wurde 1894 Yersinia pestis von dem Schweizer Alexandre E. Yersin, im weiteren Sinn Schüler von Louis Pasteur, als Pesterreger ausgemacht. 1897 gab er darüber ei-
nen Bericht, der in den Annales de l’Institut Pasteur nachzulesen ist [2]. Charakteristisch für die ursprüngliche Form der Pest, der Beulenpest, sind die namengebenden Beulen (Bubonen), die durch Schwellung der Lymphknoten besonders unter den Achseln und in der Leistenbeuge entstehen und beim Aufbrechen den legendären Gestank verbreiten. Diese meistverbreitete Form wurde im Mittelalter auch als der „Schwarze Tod“ bezeichnet, weil es zu Nekrosen kommt, mit lokalen Blutungen bei Störung der Blutgerinnung, welche die schwarze Färbung besonders an den Endgliedern der Finger hervorrufen. Die Pest wurde in der Geschichte wohl als erste biologische Waffe eingesetzt: 1346 belagerten die Tataren die Handelsstadt Kaffa (heute Feodosija) auf der Halbinsel Krim und erzielten die Vernichtung der Belagerten, indem sie Pestleichen aus der eigenen Truppe über die Festungsmauern katapultierten. Eine der Pionierleistungen war die erste Impfung 1907 auf den Philippinen, gefolgt von weiteren Impfungen ab 1926 auf der Basis einer pgm-Mutante aus Madagaskar; auch die verwandte nichtpathogene Spezies Y. pseudotuberculosis wurde für eine aktive Immunisierung erprobt. Heute ist eine wirkungsvolle Impfung gegen Pest verfügbar; sie ist jedoch in Hinblick auf die wenigen lokal auftretenden Fälle wenig profitabel (weltweit ca. 2000 pro Jahr, etwa zehn davon in den hintersten Wäldern Kaliforniens.) Zwischen 1978 und 1992 wurden von der WHO weltweit 1451 Todesfälle registriert. Beispielsweise meldete die WHO 1992 in den USA 13 Pestfälle, wovon zwei letal ausgingen. Pläne für Agrotourismus wurden unlängst auch für Pestgebiete auf Madagaskar diskutiert, wo 2017 die gefährliche Form der Lungenpest aufgetreten ist. Tetracycline, Sulfonamide und Antibiotika wie Streptomycin und Chloramphenicol müssen sehr schnell verfügbar sein, um eine Ausbreitung von derlei Epidemien zu unterbinden. (Da mag es hingenommen werden, dass Chloramphenicol als „Kollateralscha-
3.2 · Bakterien als Krankheitserreger: von ihrer Entdeckung bis zu …
den“ den Hörnerv bis zur Taubheit schädigen kann.) Als ehemaliger Militärdienstleistender erinnert man sich an das Hunderte Male gesungene Lied „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“. Louis Pasteur forschte an der Geflügelcholera (deren Erreger sich von der menschlichen Cholera unterscheidet). Der Typhuserreger, Salmonella typhi (heute mit wechselnden Namen versehen), angeblich 1880 von Karl J. Eberth und Robert Koch, nach anderen Quellen dagegen vom polnischen Pathologen T. Browicz bereits 1874 entdeckt, leitete die Identifikation einer Gruppe infektiöser Bakterien ein, von denen derzeit auch in nichttropischen Kulturländern Salmonella enterica als Verursacher von schwerem Durchfall berüchtigt ist (Diarrhö; „διά, diá“ = durch; „ῥέω, rhéō“ = fließen). Knapp darauf folgte der Erreger der Cholera, Vibrio cholerae, der ab 1880 im Fokus von Louis Pasteur stand [3]. Jedoch war es Koch vorbehalten, den Erreger der Cholera beim Menschen anlässlich einer Epidemie am Ganges zu identifizieren, wozu er eigens angereist war. Koch wird zwar meist als der Entdecker des Cholera-Erregers genannt und seine Kenntnisse erlaubten ihm, 1892 eine schwere Cholera-Epidemie in Hamburg in den Griff zu bekommen. Die mikroskopische Identifizierung durch den Italiener Filippo Pacini 1854 blieb dagegen praktisch unbeachtet. Pasteur und Koch waren sich schon auch einmal in die Quere gekommen, so bei einem Kongress – befeuert durch einen Übersetzungsfehler. Sie hatten sich, mit Versuchen zum Milzbranderreger, Bacillus anthracis [4] (7 Abschn. 15.4.1), befehdet, in dem recht bald die Kapazität zu einer sehr effizienten Biowaffe erkannt wurde. Bereits 1881 nahm Pasteur Kontakt mit staatlichen Stellen auf, mit dem Vorschlag, eine Fabrik für die Erzeugung von Impfstoff gegen den Milzbrand (Charbonneux) herzustellen, und er gründete die Société de Vulgarisation du Vaccin“. Nach den beiden Hauptexponenten der medizinischen Mikroskopie, Koch (1905 Nobelpreis für Physiologie
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oder Medizin) und Pasteur, sind heute nationale Forschungsinstitute in Paris und Berlin benannt. Die Tuberkulose (Tbc) war bereits dem griechischen Arzt Hippokrates (um 400 v. Chr.) bekannt, verfolgt uns aber noch heute, und das nicht nur in unterentwickelten Ländern. Der Erreger, Mycobacterium tuberculosis, war ja bereits von Pasteur entdeckt und in einem Vortrag vor der Gesellschaft für Physiologie zu Berlin 1882 durch Robert Koch bekannt gemacht worden [5]. Wenn das Bakterium über Tröpfcheninfektion in die Lunge gerät, nistet es sich dort ein und kann bestenfalls in Granulomen abgekapselt werden. Mit zunehmender Bevölkerungsdichte zu Anfang der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert wuchs die Infektionswahrscheinlichkeit; noch heute sind Millionen Menschen weltweit betroffen. Eine regelrechte Sanatoriumsindustrie, wie wir sie aus dem Roman „Der Zauberberg“ von Thomas Mann kennen, entwickelte sich zur Bekämpfung der „Schwindsucht“, allerdings mit geringem Erfolg. Der Schlüssel zur Bekämpfung wären Kenntnisse über zellbiologische Details der Aufnahme des Erregers in die Wirtszellen und zur intrazellulären Abschottung gewesen, welche das Bakterium vor intrazellulärer Entaktivierung durch Verdauung schützt. Oder einfacher: durch ein wirksames Antibiotikum. So aber konnte das Bakterium von seiner sicheren „Residenz“ aus, den befallenen Zellen, seine Ektotoxine dauerhaft abgeben. Zellbiologisch-molekulare Details aus heutiger Sicht werden in 7 Abschn. 15.4.3 dargelegt. Versuche von Pasteur und Koch, Impfverfahren gegen Tbc zu entwickeln, waren meistenteils umstritten. Auch Kochs Bemühungen um ein Serum gegen Tbc waren nicht von Erfolg gekrönt: Sein Tuberkulin-Serum schaffte es nicht zum Therapeutikum. Noch in unseren Tagen ist Tbc zusammen mit Krebs der bedeutsamste „Menschenkiller“. Mit beträchtlicher Verzögerung gelang es zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Franzosen A. Calmette und C.
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Kapitel 3 · Bakterien und Protozoen als Krankheitserreger: Segen und Fluch früher Entdeckungen
Guérin am Institut Pasteur in Paris, einen Impfstoff gegen Tbc zu entwickeln. 2018 wurde ein weiter verbesserter Impfstoff gegen Tbc verfügbar, obwohl wegen der geringen Durchseuchung hierzulande von Impfaktionen abgesehen wird. Wer über drei Generationen Angehörige, Großmutter, Vater und Schwester, durch Tbc verloren hat, weiß diesen Fortschritt zu würdigen. Es betraf durchaus nicht nur die Armen. Etwas früher erzielte der Deutsche Emil A. von Behring durch Impfungen Erfolge gegen die Erreger von Diphtherie und Tetanus (Wundstarrkrampf), Corynebacterium diphtheriae und Clostridium tetani, wofür er 1901 mit dem ersten Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet wurde. Heute sind Toxine, gewonnen aus Bordetella pertussis und Vibrio cholerae, wichtige Hilfsmittel der Zellbiologen für die Identifizierung und Typisierung von Guanosintriphosphat-(GTP-)Bindeproteinen (trimere G-Proteine; 7 Abschn. 5.6.3, 5.6.4 und 10.7). Ebenso haben Toxine aus dem Erreger des Botulismus (Fleischvergiftung, hervorgerufen durch Clostridium botulinum) und jenem des Wundstarrkrampfs (Clostridium tetani), die sogenannten Clostridium-Toxine, Karriere in der zellbiologischen Forschung gemacht. Sie dienen als Hemmer der Exocytose, speziell der Neurotransmission (7 Abschn. 3.4 und 15.4.2). Beide Toxine wären als Holoenzyme mit beiden Untereinheiten hochgefährlich, ja potenziell letal; jedoch kann die isolierte proteolytische Untereinheit in zellbiologischen Experimenten seit einigen Jahrzehnten gefahrlos eingesetzt werden. Dennoch gibt es einzelne medizinische Anwendungen von Tetanustoxin, und es wurde von der American Food and Drug Administration (FDA) zur Behandlung verschiedener Muskelstörungen zugelassen. Die praktische Umsetzung neuer Erkenntnisse aus dem Bereich der Mikrobiologie ging mit Verzögerung über einige Jahrzehnte vonstatten. Die Entwicklung der Quecksilberverbindung Arsphenamin 1909 (damals Salvarsan genannt) zur Be-
kämpfung der Syphilis durch den Deutschen Paul Ehrlich galt als Meilenstein; das gilt erst recht für seine Weiterentwicklung ab 1910. 1912 berichtete er darüber in der Dermatologischen Zeitschrift [6]. 1913 schloss er eine Abhandlung (zitiert nach [7]) mit dem Dank an den Kaiser für seine Weitsicht bei der Gründung der Kaiser-Wilhelm-Institute:
» Wir wissen, daß diese neuen Heimstätten
wissenschaftlicher Forschung allein dem erlauchten wissenschaftlichen Interesse und der weitschauenden Initiative Sr. Majestät ihren Ursprung verdanken.
Noch heute beneiden Universitätsforscher Kollegen der Max-Planck-Institute (Nachfolger der kaiserlichen Institute) um ihre generösen Möglichkeiten, obschon sie auch schon lange nicht mehr über schwarze Dienstlimousinen verfügen. Ab 1928 wurde Penicillin als Antibiotikum im rezenten Sinn durch den Briten Alexander Fleming erkannt [8], aber bis zur Etablierung als Antibiotikum verstrichen noch einige Jahre. 1935 folgte die Beobachtung der antibakteriellen Wirkung von Sulfonamiden durch den Deutschen Gerhard Domagk. Davon haben sich Sulfonamide und Gramicidin A sowie – mit einer gewissen Verzögerung – das Penicillin im Laufe des Zweiten Weltkrieges durchgesetzt, als es großen Bedarf an Heilmitteln gegen Infektionen gab. (Für Deutschland war Penicillin zunächst unerreichbar, wurde aber mit einiger Verspätung nach Kriegsende doch verfügbar; 7 Abschn. 18.3). Ehrlich wurde 1908 für seine umfangreichen serologischen Untersuchungen mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geehrt, gemeinsam mit dem Russen Élie Metchnikoff, der das Konzept der Phagocytose („ϕαγεῖν, phagein“ = fressen) von Mikroorganismen entwickelt hatte (7 Abschn. 9.12 und 9.15.1). Domagk erhielt den Nobelpreis 1939 zugesprochen, durfte ihn jedoch aus politischen Gründen nicht abholen – der Zweite Weltkrieg stand bevor.
3.2 · Bakterien als Krankheitserreger: von ihrer Entdeckung bis zu …
Ähnlich geehrt wurde Fleming zu Ende des Zweiten Weltkrieges, 1945. Neuerdings kämpft die Infektionsbiologie mit der zunehmenden Resistenz verschiedener Erreger gegen klassische Antibiotika – das Problem der multiresistenten Keime ist heute sehr virulent. Neue Initiativen heben auf neue Zielproteine ab. Indes sind die Fortschritte eher ernüchternd, wie in 7 Abschn. 15.4.4 diskutiert wird. Die allgemeine Gefahr von „Keimen“ für Infektionen hatte bereits in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts der britische Arzt Joseph Lister, nach dem die pathogene Listeria monocytogenes benannt ist, erkannt und mit Phenol aus Steinkohleteer bekämpft. Das Bakterium wird durch Endocytose in die Darmepithelzellen aufgenommen und hat die Fähigkeit, mittels seines Toxins Listeriolysin O die Endosomenmembran zu perforieren und sich im Cytoplasma stark zu vermehren. Listeriose geht mit starken Magen-Darm-Beschwerden einher. Bei manchen Infektionen haperte es jedoch lange Zeit mit der Einsicht, so beim Kindbett- oder Wochenbettfieber. Hierzu hatte Mitte der 1840er-Jahre Ignaz P. Semmelweis eine erhöhte Letalitätsrate im Wiener Allgemeinen Krankenhaus festgestellt, justament dort, wo die Betreuung von Geburten mit großem Fleiß an Leichen geübt wurde. Die Letalität war wesentlich höher als in anderen Krankenhäusern, in denen weniger fleißig geübt wurde. Die Hypothese von Semmelweis war, dass Keime über mechanische Hilfsmittel wie Geburtszangen und die bloßen Hände übertragen würden: „… die an der Hand klebenden Cadavertheile …“ [9]. Dafür wurde er nicht nur von den kompromittierten Klinikchefs, sondern auch vom berühmten Rudolf Virchow, dem Begründer der Zellularpathologie, verspottet. (Dieser hat übrigens auch die neu entdeckten Neandertaler als Angehörige der in frühen nachchristlichen Zeiten wild herumstreifenden Völkerhorden oder bestenfalls als krankhaft veränderte neuzeitliche Menschen abgetan – ein wei-
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teres Beispiel dafür, dass auch bedeutenden Forschern gravierende Irrtümer unterlaufen können.) Semmelweis reagierte auf die Anfeindungen erst nach geraumer Zeit; eine Zusammenfassung gab er 1861 in seinem Buch „Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers“ [9]. Er erlebte nicht mehr die Identifikation einer Palette von Bakterien wie Staphylokokken, Streptokokken, Escherichia coli und Neisseria gonorrhoeae als Ursache des Wochenbettfiebers, einer Art „Blutvergiftung“ oder Sepsis (Puerperalsepsis), bevor bessere Einsicht deren Vermeidung einleitete. Neisseria gonorrhoeae ist heute vorwiegend als Erreger der Geschlechtskrankheit Gonorrhö oder Tripper bekannt. Der Ursprung des Erregers der Syphilis (Lues), Treponema pallidum, wird den nordamerikanischen Indianern zugeschrieben. Diese Bakterien gelangten über Christoph Kolumbus kurz vor 1500 nach Europa, wo sie ihre verheerende Wirkung entfalteten. Als „Gegengeschenk“ brachten die Konquistadoren Masern-, Pockenund Grippeviren sowie Pest- und Cholerabakterien nach Amerika, denen ab der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts über weite Landstriche die indigene Bevölkerung zum Opfer fiel, weil sie mit derlei Erregern noch nie Kontakt und daher keine Immunabwehr hatten. Bereits vor 1520 gab es eine Quecksilberkur, die ihrerseits vielleicht noch mehr Unheil stiftete als das zu bekämpfende Agens. Sie wurde auch vom berühmten Arzt Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus († 1541), empfohlen. Noch im 16. Jahrhundert wurde die Seuche durch einen Absud vom mittel- bis südamerikanischen Guajakholz (Guaiacum, Jochblattgewächse, Zygophyllaceae) ersetzt. Dagegen wetterte Paracelsus, bis der Druck seiner Schriften von den Importeuren wegen Geschäftsschädigung unterdrückt wurde. Bekannt wurde sein Diktum „Dosis sola facit venenum“ [nur die Dosis macht das Gift] – unterschwellig kann ein Gift auch Heilkraft entwickeln. Ansonsten gilt
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Kapitel 3 · Bakterien und Protozoen als Krankheitserreger: Segen und Fluch früher Entdeckungen
noch immer „Primum ni(hi)l nocere“ [vor allem nicht schaden] als oberster Leitsatz, was bei Quecksilberkuren gewiss nicht eingehalten wurde. Syphilis verursachte – manchmal nach nur einem kurzen Lusterlebnis – berühmte Todesfälle. Dafür stehen der englische König Heinrich VIII., Iwan der Schreckliche, Kardinal Richelieu, Zar Peter der Große, der spanische Maler Francisco de Goya, vielleicht auch Franz Schubert und Ludwig van Beethoven, der Philosoph Friedrich Nietzsche und der Dichter Heinrich Heine sowie viele weitere Zelebritäten. Erst 1905 konnte T. pallidum, ein zu den Spirochäten gehörendes gramnegatives begeißeltes Bakterium, von den Deutschen Fritz Schaudinn und Erich Hoffmann als Verursacher identifiziert werden, wie D. Mollenhauer 2000 zusammengefasst hat [10]. Bis zur Einführung von Antibiotika nach dem Zweiten Weltkrieg war die Diagnose Lues ein bitteres Urteil. Aktuell, 2020, wird immer noch eine weltweite Zunahme von Syphilisinfektionen und Antibiotikaresistenzen gemeldet. 3.3 Pathogene Protozoen
Ebenfalls gegen Ende des 19. Jahrhunderts, etwa zeitgleich mit den pathogenen Bakterien, wurden verschiedene Protozoen als Pathogene erkannt. Darunter sind die Gattungen Plasmodium, Toxoplasma (. Abb. 3.1) und Trypanosoma besonders wichtig, denen wir uns in 7 Abschn. 15.5 noch genauer zuwenden werden. Die Erreger der Malaria, verschiedene Plasmodium-Arten, wurden ca. 1880 von dem Franzosen Charles L. A. Laveran entdeckt. Darüber berichtet er in einem Band aus dem Jahr 1881 [11]. Laveran wurde 1907 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geehrt. Derzeit fallen dieser Infektion jährlich bis zu 2 Mio. Menschen zum Opfer, weil es, abgesehen von Vorsichtsmaßnahmen (Prävention), noch immer keine effiziente Bekämpfung gibt.
Von den humanpathogenen Trypanosomen sind besonders T. brucei bzw. T. rhodesiense, Erreger der afrikanischen Schlafkrankheit und der Nagana-Krankheit der Rinder, sowie T. cruzi, der Verursacher der brasilianischen Chagas-Krankheit, hervorzuheben. Diese Krankheit wurde 1909 von dem brasilianischen Arzt Calos Chagas beschrieben. Ab 1907 befasste sich sein früherer Assistent Oswaldo Cruz mit der Krankheit, weshalb der Erreger nach ihm benannt wurde. (Brasilianische Kollegen beklagen, dass es keinen Nobelpreis gab, wahrscheinlich weil wegen der häufigen Doppelinfektionen Symptome von Malaria im Krankheitsbild integriert wurden.) Neuerdings bemerkt man im Zuge des Klimawandels einen Anstieg von Nagana in höheren Gebirgslagen im tropischen Afrika, in denen von alters her Rinderzucht betrieben wird. Zur Eindämmung der Chagas-Krankheit geht man mit Insektizidkampagnen gegen die übertragende Raubwanze (Triatoma, Reduviidae) vor. Auch gegen humanpathogene Formen afrikanischer Trypanosomen gibt es kaum bessere Gegenmaßnahmen als den Schutz vor dem Stich der übertragenden Tsetsefliege (Glossina). Insbesondere zellbiologische Erkenntnisse bezüglich des molekularen Infektionsmechanismus, mit dem Plasmodien und Trypanosomen in die Wirtszellen eindringen, könnten zu Fortschritten in der Bekämpfung führen. Hier meinte man, eine Handhabe gegen die Infektion zu erhalten, denn in allen Fällen sind Ca2+-Signale ausschlaggebend für einen erfolgreichen Eintritt in die Wirtszellen und für die Freisetzung daraus nach intrazellulärer Vermehrung. Für Trypanosomen gibt es seit 2013 ermutigende Erkenntnisse zum Mechanismus der Ca2+-Aktivierung, indem von dem argentinischstämmigen US-Amerikaner R. Docampo [12] und dem Japaner M. Hashimoto jeweils für T. brucei bzw. T. cruzi die entsprechenden Ca2+-Freisetzungskanäle kloniert wurden; dieses könnte einen phar-
3.3 · Pathogene Protozoen
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a
b
2 µm . Abb. 3.1 Der einzellige Parasit Toxoplasma gondii aus der Gruppe der Apicomplexa (a) im Schema, (b) im Elektronenmikroskop als Ultradünnschnitt nach Kryopräparation. (a) Der „innere Membrankomplex“ („inner membrane complex“) ist ein flacher Sack unterhalb der Zellmembran und entspricht den Alveolen der Ciliaten, sodass beide zum Stamm der Alveolata zusammengefasst werden. Während die Alveolen der Ciliaten etablierte Ca2+-Speicher für den Exocytoseprozess sind, konnte im inneren Membrankomplex mit den verfügbaren Methoden kein Ca2+ nachgewiesen werden; sie bilden wahrscheinlich ein Widerlager beim Eindringen in die Wirtszelle mithilfe von kurzen subplasmalemmalen Aktinaggregaten, welche die Zelle von innen her langsam vorschieben. Der stumpfe rechte Teil ist das Conoid, an dem beim Eindringen Exocytose stattfindet. Legende zu (a): 1 = PMCA (Plasmamembran-Ca2+-ATPase/Pumpe), 2: Ca2+ gelangt über Kanäle ins Cytosol, wo es von Ca2+-Bindeproteinen gebunden und fallweise in den Zellkern (6) oder über einen vom Membranpotenzial Δψ abhängigen Mechanismus in Mitochondrien (3) transportiert wird. 4 = SERCA-Typ Ca2+-ATPase/Pumpe des endoplasmatischen Retikulums. 5 = Acidocalcisom (Ca2+-Speicherorganellen mit saurem Inhalt). Legende zu (b): Folgende Organellen sind sichtbar: Pfeilspitzen weisen auf die Rhoptrien (Sekretorganellen, die vom Parasiten für das Eindringen in die Wirtszelle freisetzt werden müssen), Ac (Acidocalcisomen), Mn (Mikronemata: Sekretorganellen, die in die Wirtszelle eindringen und zum Fortbestand des Parasiten beitragen), N (Nukleus, Zellkern). (Quelle: [13])
makologisch-therapeutischen Zugriff einleiten. Derartiges konnte für Plasmodien bis heute noch nicht einmal ansatzweise geklärt
werden. Die Bekämpfung der immer noch, besonders in den weltweit vorkommenden ausgedehnten tropischen Sumpfgebie-
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Kapitel 3 · Bakterien und Protozoen als Krankheitserreger: Segen und Fluch früher Entdeckungen
ten, weit verbreiteten Malaria mit all ihren Subtypen wäre wesentlich bedeutsamer als jene der von Trypanosomen verursachten Krankheiten. Das Hauptproblem ist wohl, dass sowohl Plasmodien (wie übrigens auch Trypanosomen) die Moleküle ihrer Zelloberfläche (Glykokalyx; 7 Abschn. 4.4, 5.4.4 und 15.5) so schnell wechseln, dass das Immunsystem mit der Antikörperproduktion nicht nachkommt und es bisher auch nicht möglich war, ein Impfserum herzustellen. Mit parasitologisch ausgerichteten Zellbiologen in Brasilien hatte ich über Jahre fruchtbare Kontakte. Es fing an, als ich 1998 einem der Vortragenden, Wanderley de Souza, eine Frage stellte. Er sagte, er sei erfreut, mich zu treffen, und ich ahnte nicht, dass ich es mit dem höchstrangigen Wissenschaftspolitiker Brasiliens zu tun hatte, der auch Staatssekretär oder Minister in Brasilia oder in Rio de Janeiro war. Anfangs wunderten sich Kollegen, warum er mich neben sich sitzen haben wollte, und ich wusste es auch nicht. Jedenfalls ergab sich eine langjährige Kooperation, zu der sein Mitarbeiter Kildare de Miranda immer wieder nach Konstanz kam. (Kildare wurde 2003 Professor an der Universidade Federal do Rio de Janeiro.) Als ich einmal Wanderley und seine Frau Marlene, ebenfalls auf demselben Fachgebiet tätig, eingeladen hatte, kamen wir auf das Problem der Korruption zu sprechen. Marlene schimpfte, es werde nicht genügend getan; Wanderley beschwichtigte, es sei ja schon viel besser geworden. Da fragte ich, ob sie meine Ansicht hören wollten, und sie spitzten die Ohren: Seine Mitarbeiter hatten sich beklagt, dass sie, seit ihr Chef eine hohe politische Stellung bekleide, überhaupt nichts mehr genehmigt bekämen – vorbeugende Korruptionsbekämpfung. In den 2000er-Jahren modernisierte er das Instituto Nacional de Metrologia (ein Äquivalent des US-amerikanischen National Bureau of Standards) in Rio de Janeiro, großzügig mit Spitzenausrüstung bestückt, zum Wohle des Staates – bis sich in Brasilia wieder diktatori-
sche Mächte einnisteten, die an die Bäume des Amazonas die Axt anlegen. Unter diesem Regime sanken die für die Forschung bereitgestellten Mittel in dem Maße, in dem die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes fortschritt. Die antiparallelen Kurven beider Phänomene sehen fatal aus. Dabei war insbesondere die zelluläre Parasitologie in diesem Land hervorragend positioniert. Es bleibt für dieses faszinierende Land zu hoffen, dass sich nach Rückkehr der bewährten Politiker mit der Wahl im Jahre 2022 der Trend wieder umkehrt. Natürlich könnte gegen die Malaria die Trockenlegung von Sümpfen, in denen sich die Plasmodium-Überträger vermehren, weiterhelfen, wo immer dies lokal möglich ist. So ließ der italienische Diktator Mussolini in den 1920er- und 1930er-Jahren die 800 km2 umfassenden Pontinischen Sümpfe südlich von Rom trockenlegen; damit verschwand die Malaria, und das Land stand der Kultivierung offen. Ihren Namen verdankt die Region dem Umstand, dass sie bis zum Abschluss der Lateranverträge 1929 Teil des Kirchenstaates war, also unter der Oberhoheit des Pontifex Maximus stand. Noch ein weiterer Erfolg gegen die Malaria konnte registriert werden – jedoch aus der Praxis besehen ein recht ambivalenter: 1954 publizierte der Brite A. C. Allison den erstaunlichen Befund, dass ein Teil der Afrikaner in Regionen mit Sichelzellenanämie gegen Malaria geschützt ist. Bei der Sichelzellenanämie ist ein Gen der β-Kette des Hämoglobins mutiert; das Hämoglobin (HbS) kristallisiert und führt zur Verformung der Erythrocyten. Dies ist eine schwere Krankheit, bei welcher der K+-Gehalt in den Erythrocyten nicht stimmt, der O2-Transport nicht optimal ist, aber auch die Plasmodium-Parasiten sich nicht „wohlfühlen“. Eine genauere Analyse ergab als Voraussetzung für den Schutzeffekt die Heterozygotie für die β-Kette des Hämoglobins, Hbβ, sodass das Hämoglobin nicht voll auskristallisieren kann. (Der
35 Zitierte Literatur
Mensch exprimiert und fügt in einem Hämoglobinmolekül postnatal je zwei α- und zwei β-Ketten zusammen, α2β2.) Ist der Mensch heterozygot für das Hbβ-Gen, hat er also ein normales und ein mutiertes Gen für die β-Kette, so reicht das für das Überleben und schützt dabei gegen den Befall mit Plasmodien, denen die intrazelluläre K+-Konzentration nicht behagt. Aus molekularbiologischen Daten wurde abgeschätzt, dass es diese Krankheit erst seit ca. 7000 Jahren gibt. Neuerdings gibt es gute Therapieansätze (7 Abschn. 12.6). Für Allison wurde 1978 in Nairobi ein eigenes Institut eingerichtet, das er aber – so meldeten die Zeitungen – schon 1981 wieder aufgab, weil sich keine brauchbare Infrastruktur herstellen ließ. 3.4 Biologische Waffen
Schon frühzeitig wurde die fatale Möglichkeit ins Auge gefasst, Bacillus anthracis als biologische Waffe einzusetzen (7 Abschn. 15.4.1). Diese Erreger könnten aus konservierten Proben jederzeit aktiviert und recht schnell als Waffen eingesetzt werden. Yersinia pestis, besonders in der Variante, die Lungenpest mit schnellem Ablauf und hoher Letalitätsrate hervorruft, wird auch heutzutage noch als biologische Waffe („Biowaffe“) in Betracht gezogen. Hinzu kommen Clostridium botulinum und Streptococcus aureus-Stämme. Wie erwähnt, ist Botulinumtoxin, neben Tetanustoxin aus Clostridium tetani, ein wichtiges Hilfsmittel zur Charakterisierung distinkter Proteine (SNARE; 7 Abschn. 9.6.3), die den intrazellulären Vesikelverkehr steuern. In vivo hat das Versagen der Neurotransmission fatale Folgen (Ersticken). So liegen also wieder einmal, wie so oft, wissenschaftlicher Fortschritt und missbräuchliche Bedrohung eng nebeneinander. Man kann sich fragen, warum die Pockenviren 1979 ausgerottet werden konn-
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ten, nicht aber bakterielle Biowaffen. Bei den Pocken einigte man sich, sie jeweils in den USA und in der damaligen UdSSR in Hochsicherheitsbereichen als latente, tiefgefrorene Proben weiter aufzubewahren. Gegebenenfalls könnte dann die Produktion eines Impfstoffs schnell angefahren werden. Man kann sich vorstellen, dass Infektionen wieder auftreten könnten, wenn Mumien, wie der Gletschermann Ötzi, oder Leichen aus dem zunehmend tauenden Permafrost, irgendwelche Keime in virulenter Form enthielten. In Anbetracht sehr variabler Transposons, die bei Yersinia pestis im Laufe der geschichtlichen Entwicklung aufgetreten sind, könnten die Pestbakterien noch wesentlich problematischer werden als die Pockenviren. Gegen Ende 2018 gab es eine militärische Übung von Bundeswehreinheiten unter der Annahme, Pesterreger und Toxine der weit verbreiteten Ricinus-Samen würden von Terroristen eingesetzt. Abrin, ein Toxin aus den Samen einer verwandten Art, fallen sogar in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen Staaten unter das Kriegswaffenkontrollgesetz. Biowaffen gibt es viele – von Bakterien bis zu den vielen Toxinen aus tierischen Zellen und Geweben. Davon wird in 7 Abschn. 14.7 die Rede sein.
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Kapitel 3 · Bakterien und Protozoen als Krankheitserreger: Segen und Fluch früher Entdeckungen
5. Koch R (1882) Die Aetiologie der Tuberkulose. Berliner Klin Wochenschr 19:221–230 6. Ehrlich P (1912) Über den jetzigen Stand der Salvarsan-Therapie mit besonderer Berücksichtigung der Nebenwirkungen und deren Vermeidung. Dermatolog Zschr 2:1–20 7. Himmelweit F (Hrsg) (1960) The collected papers by Paul Ehrlich. Chemotherapy. Pergamon, London 8. Fleming A (1929) On the antibacterial action of cultures of a Penicillium, with special reference to their use in the isolation of B. influenza. Br J Exp Pathol 10:226–236 9. Semmelweis IP (1861) Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. C.A. Hartleben’s Verlags-Expedition, Pest (Ungarn), Wien 10. Mollenhauer D (2000) “Founder of Archiv für Protistenkunde”: Fritz Schaudinn – his unfinished life. Protist 151:283–287 11. Laveran A (1881) Nature Parasitaire des Acci dents de l’Impaludisme. Descriptions d’un Nouveau Parasite Trouvé dans le Sang des Malades Atteints de Fièvre Palustre. Librairie J.-B. Baillière et fils, Paris
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Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle Inhaltsverzeichnis 4.1 Das Elektronenmikroskop hilft, zellbiologische Probleme zu lösen – 40 4.2 Lichtmikroskopie: stetig verbesserte Auflösung auch für dynamische Prozesse – 44 4.3 Elektronenmikroskopie für funktionelle Analysen – 48 4.4 Organell- und membranspezifische Färbemethoden – 49 4.5 Immunologische Techniken unterstützen die Zellbiologie – 53 4.6 Radioaktivität in der Zellbiologie – 57 4.7 Neue „Highlights“: molekularbiologische Markierungen (optogenetische Methoden) – 59 4.8 Kryomethoden: aussagekräftige Alternativen für die Analyse der dynamischen Zellstruktur – 61 4.9 Rückblick und einige weitere Entwicklungen in der mikroskopischen Technik – 64 Zitierte Literatur – 66
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 H. Plattner, Abenteuer Zellbiologie–Streifzüge durch die Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66740-8_4
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
Die Fortentwicklung mikroskopischer Methoden dauert bis in unsere Tage an. Diese Entwicklungen waren und sind immer noch ganz entscheidend für den Fortschritt der Zellbiologie. Dies betrifft eine verbesserte Auflösung und immer anspruchsvollere Markierungsmethoden sowohl in der Licht- als auch in der Elektronenmikroskopie, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem unverzichtbaren Instrument entwickelt worden war. Letztere erlaubt zwar prinzipiell eine atomare Auflösung, die jedoch ohne experimentell verstärkten Kontrast an biologischem Material wenig Sinn ergibt. Daher müssen Zellen routinemäßig fixiert und mit elektronendichten Substanzen (Elemente hoher Ordnungszahl) kontrastiert werden. Obwohl es oftmals nur um kleine Fortschritte ging, waren derlei Bemühungen sehr wichtig. In den letzten beiden Jahrzehnten verbesserten sich auch die Möglichkeiten für In-vivo-Markierungen und dynamische intrazelluläre Lokalisierungen; dies gilt auch für funktionelle Parameter. Hier haben sich komplexe lichtoptische Methoden dem Elektronenmikroskop auf einen Faktor 10 angenähert (STED-Methode). Von bloßen Bildern führte der Fortschritt zu einer funktionellen Topologie der Zelle, auch mit zeitlicher Auflösung. Daneben wurden ab den 1960er-Jahren Methoden zur Kryofixation (Schnelleinfrieren) und Evaluation kryofixierter Präparate ohne chemische Vorbehandlung, gegebenenfalls auch mit zeitlicher Auflösung im Subsekundenbereich, entwickelt. Noch mehr detaillierte Einsichten brachte die Erfindung der Patch-Clamp-Elektrophysiologie. Die beiden Methoden trafen in den 1980er/1990er-Jahren aufeinander und ergänzten sich.
Die Neuentwicklung des Elektronenmikroskops gewährte anfangs nur zögerlich Einblicke in die komplexe Innenstruktur, wie wir sie heute kennen. Es mussten erst noch geeignete Präparationsmethoden und die zugehörigen Geräte entwickelt werden, um qualitative hochwertige Bilder zu erzielen (. Abb. 4.1). In diesem Kapitel werden einige methodisch-technische Details angesprochen, die einerseits manchem Leser nicht besonders interessant oder zu kompliziert erscheinen mögen, andererseits jedoch einen wesentlichen Anteil am Fortschritt der Zellbiologie hatten. Es war ein mühsamer Kampf mit vielen kleinen Schwierigkeiten im Laboralltag, oft unter Einbeziehung neuer Möglichkeiten durch methodische Neuentwicklungen in verwandten Forschungsfeldern. Das gilt ganz allgemein, nicht nur für die Uranfänge, sondern auch für die Zeit ab ca. 1980 bis 1990, als molekularbiologische Methoden und neue Gerätetechniken verfügbar wurden. Ein Student beklagte sich einmal, warum in der Zellbiologie-Vorlesung auch der physikalische und chemische Hintergrund von Methoden und Geräten erklärt würde – interessant sei doch nur, was an Ergebnissen herauskäme. Die Antwort kam vom rumänischstämmigen Nobelpreisträger George E. Palade: Ergebnisse seien nur so gut, wie die zugrunde liegenden Methoden es erlauben. In diesem Sinn ist der nun folgende Rundumblick zu verstehen. Dazu muss man beispielsweise wissen, dass im Elektronenmikroskop als höchstauflösendem Instrument keine Details erkennbar sind, wenn sie nicht Strukturen mit ausreichendem elastischem Streuvermögen für Elektronen enthalten (was sie unbehandelt kaum haben). Da dieses überproportional mit der Ordnungszahl Z der Elemente nach Z3/2 ansteigt, behandelt man Zellen und Gewebe durch Fixierung und Kontrastierung mit Schwerme-
39 Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
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. Abb. 4.1 Dünnschnitt einer Leberzelle des Rindes nach Standardfixierung mit Glutaraldehyd und Osmiumtetroxid (OsO4) im Elektronenmikroskop. Es sind Organellen mit einfacher Membranumhüllung sichtbar (ly = Lysosom, po = Peroxisom, rer = raues endoplasmatisches Retikulum [ER] mit Ribosomen) und glattes ER (ger), ebenso wie Organellen mit doppelter Membranhülle und Membraneinfaltungen (mi = Mitochondrien, mit rot angedeuteter zirkulärer mtDNA). Das Mitochondrium rechts oben ist in Teilung begriffen (Pfeilspitzen). Auch der Zellkern (zk) hat eine doppelte Membranhülle (Kernmembran, km, mit Kernporen, kp) und zeigt häufig randlich positionierte dunkle Bereiche von Heterochromatin. Neben dem Zellkern sind kleine Transportvesikel (v) zu sehen, zwischen Vesikeln des glatten ER dagegen Glykogenrosetten (gly). (Quelle: [38])
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
tallen wie Osmium und Blei. Dies kann in der Zelle diffus oder selektiv erfolgen. Ersteres ergibt eine allgemeine Strukturdarstellung, Letzteres ist durch selektive Bindung etwa von markierten Antikörpern oder anderen selektiven Liganden erreichbar. Wird beides k ombiniert, so können funktionelle Details einem allgemeinen Strukturbild mit einiger Präzision überlagert werden. So ergibt sich, was Horst-Peter Zingsheim und ich 1987 in einem Band über „Elektronenmikroskopische Methodik in der Zell- und Molekularbiologie“ als „präparative Auflösung“ der instrumentellen Auflösung gegenübergestellt hatten. Eine Frage wurde öfters von Studenten gestellt: Wie lässt sich die Zellbiologie definieren, wo doch neben bildgebenden Verfahren (Mikroskopie) auch biochemische und molekularbiologische Methoden eingesetzt werden? Und wo endet die Zellbiologie, beispielsweise wenn man über Neurone diskutiert, wobei man schließlich von Neurobiologie spricht? Ich bot ein Gedankenexperiment mit einer Katze an: Wir heben die Katze über Kopfhöhe und lassen sie fallen. Keine Angst – sie landet unweigerlich auf ihren vier Pfoten. Ihre Propriozeptoren geben Meldung zur aktuellen Körperstellung an Schaltstellen im Zentralnervensystem (Neurobiologie), und zwar aufgrund zellbiologischer Prozesse (Ionenströme, intrazelluläre Umstrukturierungen, Transmitterfreisetzung) unter Einbeziehung spezifischer Moleküle (Ionenkanäle, Interaktion relevanter Proteine) und Modifikation einiger der beteiligten Proteine (Biochemie). Dabei ließe sich wegen der Ionenströme sogar noch die Biophysik abgrenzen. Die Zellbiologie ist also eine Art „Interface“ zwischen den Disziplinen, die sich nicht genau gegeneinander abgrenzen lassen und in der Praxis auch nicht voneinander abgegrenzt werden sollen.
4.1 Das Elektronenmikroskop
hilft, zellbiologische Probleme zu lösen
Der deutsche Physiker Ernst Abbe sagte, dass zwei benachbarte Punkte umso besser als getrennte Punkte wahrgenommen (aufgelöst) werden können, je kleiner die zur Abbildung eingesetzte Wellenlänge ist (Abbe’sches Gesetz) [1]. Dazu kommt noch die Apertur (Öffnungsweite) des Objektivs. So kommt man auf eine Grenze von ca. 0,3 µm für das Lichtmikroskop. Im Elektronenmikroskop ist dies ca. 103-mal besser. Dem konventionellen Transmissionselektronenmikroskop (Transmissions-EM, TEM) liegt die Erkenntnis aus der Teilchenphysik zugrunde, dass hochbeschleunigten Elektronen (Masse = 9,1 × 10–28 g) auch eine Wellenlänge zugeordnet werden kann: λ = h/ mv (λ = Wellenlänge, h = Planck’sches Wirkungsquantum, v = Geschwindigkeit). Diese Erkenntnis schulden wir einem sehr kurzen Artikel des Franzosen L. de Broglie von 1923 in der Zeitschrift Nature [2]. Ein Elektron hat bei Annäherung an Lichtgeschwindigkeit also einen dualen Charakter, wie in 7 Abschn. 17.11 andiskutiert wird. Werden im Elektronenmikroskop Elektronen in einem Feld von 100 kV × cm–1 beschleunigt, so ist ihnen eine Wellenlänge von λ = ≈ 0,004 nm zuzuordnen. Gegenüber dem Lichtmikroskop ist dies eine 105-fache Steigerung. Dieses ist in Anbetracht des Durchmessers eines Wasserstoffatoms (0,1 nm) einerseits und durchschnittlicher Proteine (15 nm) und der DNA (2 nm Durchmesser) andererseits jenseits jeder praktischen Bedeutung – das Gerät wäre demnach um Größenordnungen besser als nötig. In Wahrheit sind die für die Abbe’sche Formel, die auch hier gilt, relevanten Geräteparameter (z. B. die Apertur) so schlecht, dass die praktische Auflösung des Elektronenmikroskops („Ge-
4.1 · Das Elektronenmikroskop hilft, zellbiologische Probleme zu lösen
räteauflösung“) wesentlich schlechter ist, als die Wellenlänge erwarten ließe. Der Vorteil extrem kleiner Wellenlänge wird im Elektronenmikroskop durch die Geräteparameter (Apertur) wieder verspielt, allerdings nur zu einem Teil. Nicht nur atomare Schwingungen, sondern auch Strahlenschäden würden in nichtchemisch stabilisierten Proben eine derartige Auflösung zunichte machen. Darüber wäre ohne geeignete Präparation mit Schwermetallen mangels Kontrasts kein Bild zu erzielen (wenn wir digitale Auswertungen mit speziellen Abbildungsmethoden einmal außer Acht lassen). Und wäre es für den Zellbiologen denn wirklich förderlich, ein Wasserstoffatom von (ø ≈ 0,1 nm = 1 Å) mit 0,004 nm auflösen zu können? Im Transmissionselektronenmikroskop (TEM) werden aus der Kathode emittierte Elektronen in einem Spannungsfeld von 100 kV × cm–1 (Beschleunigungsspannung) auf etwa zwei Drittel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Diese Elektronen dienen zur Durchstrahlung dünner (≈ 0,1 µm), zumeist chemisch fixierter Objekte. All dies geschieht im Hochvakuum, um die Streuung an Luftmolekülen zu vermeiden. Der Strahl wird durch eine Kondensorlinse gebündelt und tritt durch das Objekt und die Objektivlinse. Diese erzeugt in der hinteren Brennebene des Objektivs ein Zwischenbild, das mittels eines Projektivs auf einen Fluoreszenzschirm bzw. zur Dokumentation auf einen darunter liegenden Film oder auf eine digitale Registriereinheit projiziert wird. Eigentlich läge die gesamte Information (das Bild) in der hinteren Brennebene des Objektivs vor. In der Praxis wird das Bild jedoch auf einen Beobachtungsschirm oder auf eine digitale Registriereinheit projiziert, um ein Endbild von bis zu 100.000-facher Vergrößerung zu bekommen; meistens ist jedoch kaum mehr als eine 20.000-fache Vergrößerung notwendig.
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Blenden wir hier kurz die extremen Möglichkeiten der molekularen Elektronenmikroskopie ein. Zwar liegt also die gesamte Information (das Primärbild) bereits in der hinteren Brennebene des Objektivs vor. Da dieses Primärbild entsprechend der geringen Brennweite des Objektivs jedoch innerhalb weniger Millimeter in Präparatnähe gebildet wird und es schwer zu registrieren ist, wird in der molekularen Elektronenmikroskopie nach folgenden Überlegungen verfahren: Das Primärbild von einer Vielzahl von Molekülen – im Extremfall eines kleinen Kristalls oder eines Aggregats von Makromolekülen – ist eigentlich ein Beugungsbild, das vergrößert und dokumentiert werden kann; dabei kann das Signal-Rausch-Verhältnis durch Filtern zu einem anschaulichen Bild rekonstituiert werden: Das Primärbild wird durch Fourier-Analyse, also eine Filterung und Mittelung, zur Auswertung gebracht. Besonders informativ sind Bilder von Makromolekülen, die nicht kristallisierbar und daher der Analyse durch Röntgenbeugung nicht zugänglich sind („X-ray diffraction“; 7 Abschn. 5.2 und 5.4.1). Dazu werden Kippserien von tiefgefrorenen, zufallsmäßig orientierten Molekülen auf einem Trägerfilm analysiert und digital ausgewertet. Diese Möglichkeit gibt es also nicht nur für regulär in 2D orientierte Membranproteine, sondern auch für zufallsorientierte Populationen von freien Proteinmolekülen. Für derlei Analysen an tiefgefrorenen (also physikalisch fixierten) Membranproteinen mit einer Auflösung im ≤ 10 Å-Bereich haben die Briten Joachim Frank und Richard Henderson 2017 den Nobelpreis für Chemie bekommen. Wolfgang Baumeister vom Max-Planck-Institut in Martinsried/München hat es auf die Spitze getrieben, indem er ab Ende der 1990er-Jahre Kippserien im 400-kV-Raster-TEM (mit geringer Strahlenbelastung) zu dreidimensionalen Abbildungen verrechnete; dabei konnte er in
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
dünnen Zellausläufern molekulare Details des Cytoskeletts oder von Proteasomen (7 Abschn. 7.2 und 13.4) in situ darstellen [3]. Dies waren Spitzenleistungen der vergangenen Jahrzehnte. Die weitaus überwiegende Arbeit der Zellbiologen sieht jedoch wesentlich einfacher aus. Zellbiologen erledigen ihre Alltagsarbeit mit dem konventionellen TEM in den meisten Fällen mit fixierten, in Plastik eingebetteten/gehärteten Proben, von denen sie Ultradünnschnitte von ≤ 100 nm mit einem Ultramikrotom herstellen. Meist wird eine Vorfixierung mit Aldehyden über Quervernetzung von Proteinen erzielt, gefolgt von einer Nachfixierung mittels Osmiumtetroxid (OsO4). Dabei wird Osmium von der Valenz VIII zur Valenz IV reduziert und als OsO2 (bzw. als OsO32–) an positiv geladenen Bereichen eingelagert und erzeugt so den lokalen Kontrast. (Wohlgemerkt: Osmiumtetroxid wurde bereits knapp vor 1890 von dem deutschen Histologen R. Altmann in die Histologie eingeführt, und zwar in der Arbeit, in der er Mitochondrien als „Elementarorganismen“ beschrieb; vgl. 7 Abschn. 11.3.) Dabei kann es zu schwer kontrollierbaren supravitalen Veränderungen kommen, und meine Gastgeberin an der Cornell University, Miriam Salpeter, ermahnte mich einmal: „Let the cells die happily“ – lass die Zellen glücklich sterben. US-Pathologen hatten sich angeblich – relata refero – an die schönen, aldehydbehandelten Leichen erinnert, und so haben David M. Sabatini, MD und PhD, und seine Koautoren K. Bensch und Russell J. Barrnett, auch beide Mediziner, 1963 eine Palette von Aldehyden ausprobiert [4], z. B. Formaldehyd als schwaches Fixans, Glutaraldehyd als starkes Fixans und Acrolein, bei dessen Erprobung es mir einmal gelungen ist, ein Labor auszuräuchern und alle Kollegen zu vertreiben. (Der Laborplatz war ansonsten immer sehr beengt.) Für cytochemische Analysen bot sich eine Kombination von konzentriertem Formaldehyd mit niederprozentiger
Zugabe von Glutaraldehyd an. Dies ist aber leichter gesagt, als getan. Das Mindeste, was man tun kann, um die Zellen glücklich sterben zu lassen, ist, das Fixans in isotoner Pufferlösung anzusetzen, wie dies seit den 1970er-Jahren gute Praxis ist. Ein Aldehydfixans bringt indes einen Tod über viele Minuten und zieht in der Tat deutliche Artefakte nach sich. Erst die verschiedenen Kryofixationstechniken sollten Zellen einen unmerklich schnellen Tod im Submillisekundenbereich bescheren (7 Abschn. 4.8). Bis dahin sprachen wir immer von der „chemischen Keule“. Die Vorfixierung mit Aldehyden macht die Zellen resistent genug, um die aggressive Behandlung mit OsO4 auszuhalten, die aus der Lichtmikroskopie übernommen wurde. Der Einbau von Osmium oder anderer Schwermetalle ist diffus genug, um Zellstrukturen gut zu sehen. Der Kontrast entsteht durch elastische Elektronenstreuung, wobei diese Elektronen durch eine Objektivblende aufgefangen werden (Kontrastblende), sodass das entsprechende Detail dunkel erscheint. Nach dem Zweiten Weltkrieg brachte die Elektronenmikroskopie einen enormen Erkenntnisschub in der Zellforschung, die damals als Cytologie bezeichnet wurde und die dann in die Zellbiologie einmündete. Einige besondere Beispiele seien erwähnt. Zunächst versuchte man eine Korrelation der Ultrastruktur mit histologischen Beobachtungen. So wurde das raue endoplasmatische Retikulum (ER) 1945 erstmals von dem US-Amerikaner Keith R. Porter beschrieben. In Zellen mit hoher Proteinsynthese und Sekretionsaktivität wurde das ER als Äquivalent des mit Hämatoxylin anfärb-bare „Ergastoplasma“ identifiziert, das der französische Arzt Charles Garnier in Arbeiten zwischen 1897 und 1900 beschrieben hatte; andere nannten es eine Zeitlang sogar Garnierplasma. Dieser Bereich enthält zahlreiche Zisternen des ER, das mit basophilen Ribosomen besetzt ist. Mit Eosin anfärbbare Granula in sekretorischen
4.1 · Das Elektronenmikroskop hilft, zellbiologische Probleme zu lösen
Zellen präsentierten sich im Elektronenmikroskop als Vesikel mit einer Membranumhüllung. Ein gutes Beispiel für den Fortschritt durch die Elektronenmikroskopie ist der Golgi-Apparat. Dieser wurde nach der ersten Beschreibung als „apparato reticolare interno“ (interner Netzapparat) in Purkinje-Zellen des Gehirns 1898 durch Camillo Golgi von Kollegen auf den Namen des Entdeckers getauft: Jedoch wurde der „Golgi“ immer wieder mit Skepsis betrachtet, ja sogar als Artefakt abgetan, bis die Elektronenmikroskopie Klarheit schaffen konnte. So lieferten M. G. Farquhar und G. E. Palade noch 1981 quasi eine Verteidigung des Golgi-Konzepts im Journal of Cell Biology mit dem Titel „The Golgi apparatus (complex) – (1954–1981) – from artifact to center stage“, also „der Golgi – vom Artefakt zum Mittelpunkt“ [5]. Da lag es in den Elektronenmikrographien auf einmal klar auf der Hand: Es sind flache ribosomenfreie Säcke mit Membranumhüllung, begleitet von Vesikeln, die besonders üppig in sekretorisch aktiven Zellen ausgebildet sind und zu einem großen Teil der Freisetzung von Sekretprodukten über Exocytose dienen. Trotzdem blieb vielfach Skepsis bestehen, bis geeignete Fixanzien verfügbar waren, die artifizielle Vesikulation und Umgestaltung ausschließen ließen. Auch konnte man mit der anfänglichen Verwendung von Methacrylaten für die Einbettung, die zur Herstellung möglichst dünner Schnitte (Ultradünnschnitte) von < 0,1 µm Dicke erforderlich war, nur leicht verschwommene Bilder erzeugen. Der Grund ist, dass dieses Material im Elektronenstrahl relativ leicht verdampft (Massenverlust), sodass quergeschnittene Membranen mit zunehmender Beobachtungszeit aus der Schnittfläche herausragten und dabei etwas kippten. Auch durch die quasiexplosive exotherme Bildung von Polymerketten kommt es zu offensichtlichen Gewebeschäden. Diese Schwierigkeiten plagten die ersten Elektronenmikroskopiker, als sie sich
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ab 1945 an die Arbeit machten, und noch einige Zeit danach. Man sehe sich bloß das erste Heft des Journal of Biophysical Biochemical Cytology von 1955 an (später in Journal of Cell Biology umbenannt) – das Beste, was es damals gab. Der Vergleich offenbart, wie wichtig methodische Entwicklungen für den Fortschritt der Zellbiologie waren – und es immer noch sind. Bereits die Pioniere der zellbiologischen Transmissionselektronenmikroskopie setzten sich kritisch mit diesen Problemen auseinander und versuchten, sie zu meistern, wie etwa Keith R. Porter. Er publizierte ab 1944 die ersten Elektronenmikrographien von Zellen verschiedenster Art, auf denen allerdings anfangs noch wenige Details zu erkennen waren. An seiner Wirkstätte, der Rockefeller University in New York, traf er mit Albert Claude und George E. Palade zusammen; später kam noch Christian de Duve hinzu. Das Trio wurde 1974 mit einem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geehrt, und vielfach wurde bedauert, dass Porter als Lehrmeister in Sachen Elektronenmikroskopie leer ausging, weil es laut Statuten der Nobelstiftung maximal drei Preisträger pro Jahr geben kann. In der Folge wurden Vestopal (Polyester) und, als weitere Verbesserung, 1958 von der Britin Audrey M. Glauert und ihrem Mann, beide am Strangeways Research Laboratory (Cambridge, GB), epoxidbasierte Araldite als Einbettungsmittel [6] für sachte verlaufende Hitzepolymerisation eingeführt. (Polymerisation wurde von den Elektronenmikroskopikern verbal kaum von [Co-]Kondensation unterschieden.) Diese kleine Innovation brachte erhebliche Verbesserungen, nochmals verbessert durch flexiblere Epoxidharze. In den USA propagierten J. H. Luft ab 1961 Epon als Einbettungsmedium und A. R. Spurr 1969 sein niederviskoses Medium, dessen Härte an das jeweilige Gewebe angepasst werden konnte. Noch weitergehende Sicherheit vor Artefakten bot die Entwicklung der Gefrierbruchtechnik, aber auch nur, wenn sie
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
vor dem schnellen Einfrieren keine chemische Vorbehandlung benötigte (vgl. 7 Abschn. 4.8). Die Einsichten in zelluläre Innenstrukturen waren beträchtlich, ganz besonders im Falle der Mitochondrien und Chloroplasten, deren doppelte Membranumhüllung und typische Einfaltungen des inneren Membransystems sichtbar wurden. Man entdeckte in den Zellen auch Vesikel mit homogen dichtem Inhalt: relativ helle „microbodies“, die später mit cytochemischen Methoden funktionell als Peroxisomen charakterisiert wurden. Daneben sah man Vesikel unterschiedlicher Größe mit dichterem Inhalt, die sich in sekretorischen Zellen als Sekretvesikel identifizieren ließen; dazu gab es noch polymorphe Vesikel mit verschieden dichtem Inhalt, die erst in den 1950er-Jahren als Lysosomen identifiziert werden konnten (7 Abschn. 13.1). Nicht nur Osmium dient bereits bei der Fixierung als Kontrastverstärker, es können auch zusätzlich Schwermetallsalze zur Kontraststeigerung an ultradünnen Schnitten eingesetzt werden; dies wurde nach Osmiumfixierung mittels alkalischer Bleilösungen erreicht – eine Methode, die J. H. Venable und R. A. Coggeshall 1965 in den USA eingeführt hatten und die zur Standardmethode avancierte. Wenn keine Osmifizierung vorgenommen worden war, wurden andere Schwermetalle wie Wismutlösungen herangezogen. Der unvergessliche französische Kollege W. Bernhard hat bei einem Kongress einmal Ergebnisse mit Thallium präsentiert. Ein langhaariger junger Mann fragte besorgt, ob das nicht giftig sei. Bernhard antwortete kurz angebunden: „One looses one’s hair“ – gefolgt von herzhaftem Lachen des Publikums. Den Fortschritt elektronenmikroskopischer Präparations- und Analysemethoden hat ab den 1960er-Jahren über Jahrzehnte der deutsche Physiker Ludwig Reimer in Büchern zusammengefasst. Ebenfalls über Jahrzehnte hinweg wurde auch die Vielfalt der zellulären Ultrastruktur in ästhe-
tisch ansprechenden Atlanten ausgebreitet, angefangen mit der „Einführung in die Feinstruktur von Zellen und Geweben“ von Keith Porter und Mary Bonneville [7] (noch 2014 aufgelegt) bis hin zum inhaltlich modern-anspruchsvollen Band von Margit Pavelka und Jürgen Roth („Funktionelle Ultrastruktur“ [8], auch als eBook) sowie dem Werk von H. Jastrow [9]. Für Pflanzenzellen gibt es zwar auch entsprechende Bilddokumentationen, aber noch 2019 wurden unter dem Titel „Towards building a plant cell atlas“ in der Zeitschrift Trends in Plant Science. weitere Bemühungen angemahnt.
4.2 Lichtmikroskopie: stetig
verbesserte Auflösung auch für dynamische Prozesse
Da die Elektronenmikroskopie nur statische Bilder liefern kann, kehrte man – mit besonderem Elan in den vergangenen zwei Jahrzehnten – wieder zur Lichtmikroskopie zurück. Es ist erstaunlich, wie sehr in den letzten Jahren die Auflösung in den beiden extremen Bereichen, dem kosmischen und dem mikroskopischen, um Größenordnungen weitergetrieben werden konnte: Der Vorstoß in entfernteste Bereiche des Weltalls einerseits und in molekulare Bereiche der Zelle andererseits stehen einander gegenüber. (Das war eine interessante Diskussion mit einem Astronomen, der am Kraterrand der Caldera del Taburiente, La Palma, neben den Observatorien den Sonnenuntergang abgewartet hatte.) Bis in die jüngste Zeit wurde für die mit dem Lichtmikroskop erreichbare Auflösung das Abbe’sche Gesetz, weil physikalisch vorgegeben, als unüberwindbar dargestellt. Ernst Abbe, der seine Theorie – wie in 7 Abschn. 4.1 erwähnt – 1873 vorgestellt hatte [1], bezeichnete die Auflösung als „Wahrnehmung“ (z. B. getrennter Strukturdetails) – wie recht er doch mit dieser Terminologie hatte. Zunächst gilt zwar:
4.2 · Lichtmikroskopie: stetig verbesserte Auflösung auch für dynamische Prozesse
Die Auflösung wird – abgesehen von gerätetechnischen Parametern – im Wesentlichen durch die Wellenlänge (λ) bestimmt: Je kleiner λ des zur Beobachtung eingesetzten Lichtes ist, umso kleinere Details einer Struktur kann man auflösen. (Wegen des hohen Aufwands hat sich die UV-Mikroskopie nicht durchgesetzt.) Die Größenordnung der Auflösung von zwei Punkten im konventionellen Lichtmikroskop (Durchlichtmikroskop), das im Bereich des sichtbaren Lichtes (λ = 380–780 nm) arbeitet, liegt bekanntlich bei etwa 0,3 µm (300 nm); das ist immerhin ein gegenüber dem menschlichen Auge (ca. 0,3 mm) etwa tausendfach besserer Wert. Was nicht immer bewusst ist, ist die Tatsache, dass selbst leuchtende Strukturen, wie etwa Mikrotubuli von 25 nm Dicke (1/10 der Abbe’schen Auflösung) ohne Weiteres im Fluoreszenzmikroskop wahrgenommen und in einer Zelle verortet werden können, obgleich die Struktur wegen bisher unvermeidlicher Lichtstreuung viel dicker erscheint, als sie nach elektronenmikroskopischen Daten in Wirklichkeit ist. So wurden denn bis in die jüngste Zeit Methoden entwickelt, welche die Auflösung der Lichtmikroskopie (eigentlich: die Wahrnehmung) auf Fluoreszenzbasis weitergetrieben haben. Entscheidend für den Fortschritt in Deutschland war das von Wolfgang Baumeister, Max-Planck-Institut Martinsried/ München, 1993 ins Leben gerufene gesamtdeutsche Schwerpunktprogramm zu „neuen mikroskopischen Methoden in Biologie und Medizin“ als Keimzelle für vielfältige Innovationen, an dem allerdings überwiegend Physiker teilhaben konnten. Von besonderem Interesse ist die Möglichkeit, einzelne Zellkomponenten durch spezifische Färbemethoden zu identifizieren (. Abb. 4.2). Bereits Ernst Abbe, der Gründer der physikalisch fundierten Mikroskopie, hatte in den 1870er-Jahren vorausgeahnt,
» …
dass diejenigen Werkzeuge, welche dereinst vielleicht unsere Sinne in der
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Erforschung der letzten Elemente der Körperwelt wirksamer als die heutigen Mikroskope unterstützen, mit diesen kaum etwas anderes als den Namen gemeinsam haben werden [10].
Geräte für das Sichtbarmachen von markierten Strukturdetails, gepaart mit verbesserter Auflösung besonders in der z-Achse, haben u. a. David Egger und Paul Davidovits in den USA 1969 nach einem neuen Prinzip zur Serienreife entwickelt [11]: das konfokale Laserrastermikroskop (CLSM = „confocal laser scanning microscope“). Das Präparat wird Punkt für Punkt und Zeile für Zeile in fortlaufenden Präparatebenen durch das gesamte Präparat durchgerastert. Hierbei werden Lochblenden in den Beleuchtungs- und Abbildungsstrahlengang eingebracht, welche die Lichtstreuung stark vermindern und so die Auflösung verbessern. Hier sei eine der neuesten Entwicklungen vorgestellt. Der deutsche Biophysiker Stefan Hell hat ab 1994 über zwei Jahrzehnte hinweg die STED-Methode entwickelt und dafür 2014 den Nobelpreis für Chemie erhalten, nachdem sein methodischer Ansatz anfangs als unrealistisch und daher als nicht förderwürdig eingestuft worden war. Der praktische Durchbruch wurde mit einer Arbeit aus dem Jahr 1999 in der Zeitschrift Optics Letters markiert [12]. Das Akronym STED steht für „stimulated emission depletion“. Ein Fluoreszenzstrahl regt eine fluoreszenzmarkierte Zellstruktur zum Leuchten an. Diesem Strahl wird ein zweiter Lichtstrahl mit einer anderen Wellenlänge hinterhergeschickt. Dieser zweite Strahl ist ein Hohlstrahl, der den Randbereich des ersten Strahls inaktiviert. So wird die laterale Auflösung um etwa eine Größenordnung verbessert. Damit liegt man bei einem Wert, der sich jenem des Transmissionselektronenmikroskops bis auf einen Faktor 10 annähert und bei dem man beispielsweise einen Mikrotubulus in annähernd realer Größe wahrnehmen
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
a
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b
10 µm
10 µm
d
c
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. Abb. 4.2 Paramecium-Zelle mit differenzieller Anfärbung verschiedener Komponenten (Mehrfachmarkierungen). Abkürzungen: bb = „basal bodies“ (Basalkörper von Cilien), cv = „contractile vacuole complex“ (kontraktiler Vakuolenkomplex, zur Osmoregulation), fv = „food vacuole“ (Fressvakuole [Phagosom]), mac = „macronucleus“ (Makronukleus), mic = „micronucleus“ (Mikronukleus), mss = „micronuclear separation spindle“ (mikronukleäre Teilungsspindel), oa = „oral apparatus“ (Mundapparat [Cytostom]), pof = „postoral fibers“ (postorale Fasern [Stützfasern]). Färbungen: Rot = Anti-Glutamyltubulin-Antikörper, grün: Anti-γ-Tubulin-Antikörper, blau: Kernfärbung mit Hoechst 33.342. (a) Kontrolle, mit Tusche zum Anzeigen der Fressvakuolen. (b) und (c) mit Detail in [e]): Zellen nach Ausschalten einer für die Zellteilung erforderlichen Form von Aktin, PtAct4 („gene silencing“); diese Zellen werden dick und verdoppeln ihre kontraktilen Vakuolenkomplexe, ohne sich zu teilen. Diese Aktin-Isoform wäre die einzige von vielen, die einen Teilungsring ausbilden könnte, was hier nicht der Fall ist. (d) ist eine Kontrollzelle mit normaler Expression von PtAct4 im Zustand der Teilung. Zu den prominenten Markierungsorten gehören die durch Mikrotubuli gestützten kontraktilen Vakuolenkomplexe sowie die in Teilung begriffenen Mikronuklei, die durch ihre Teilungsspindel sichtbar werden. Zu beachten ist auch die Unterscheidung zwischen rot bzw. grün gefärbtem glutamyliertem Tubulin bzw. γ-Tubulin, wobei Letzteres als Keimbildner für die Anpolymerisierung von weiterem glutamyliertem Tubulin dient. Daraus ergibt sich bei kurzen Mikrotubuli-Aggregaten wie im Detail (e) fallweise eine hellbräunliche Mischfarbe. (Das Fehlen von Glu-Tubulin-Färbung in Cilien nach PtAct4-Silencing geht einher mit verminderter Schwimmfähigkeit.) Quelle: [39]
4.2 · Lichtmikroskopie: stetig verbesserte Auflösung auch für dynamische Prozesse
kann. Eine weitere Herausforderung war, neben der Auflösung in der x/y-Fläche die Auflösung auch in der senkrechten z-Achse zu verbessern. Es ist mir noch gut in Erinnerung, wie Hell nach einer längeren Kongressdiskussion begeistert berichtete, STED sei nun „auch in z viel besser“ geworden, und ebenso seine anfängliche Klage wegen mangelnder Unterstützung habe sich erledigt. Damit wurde die sehr erwünschte Korrelation von licht- und elektronenmikroskopischen Abbildungsverfahren ein gutes Stück vorangetrieben. Erfolgreiche Belege aus der Zellbiologie gibt es zuhauf. Dieses und das folgende Beispiel wecken das Bedürfnis, für eine etwas großzügigere Forschungsförderung eine Lanze zu brechen. Elmar Zeitler, bis 1995 Nachfolger von Ernst Ruska, dem Erfinder des Transmissionselektronenmikroskops, am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin, erzählte einmal von seinen Erfahrungen in jungen Jahren in den USA. Er und der US-Biophysiker Gunther Bahr erhielten vor 1960 am Armed Forces Institute of Pathology, Washington, DC, den Auftrag, mittels Elektronenmikroskopie zellbiologische Forschung zu betreiben. Zielsetzung: keine – einfach nur gute Forschung sei zu betreiben. Das war ein Blankoscheck, der sich gelohnt hat, wie ihn aber schon längst niemand mehr bekommt. Eine Arbeit von Bahr und Zeitler aus 1965 mit dem Titel „The determination of the dry mass in populations of isolated particles“ (Trockenmassebestimmung von isolierten Partikeln) in der Zeitschrift Laboratory Investigations hat mich, als ich selbst in die Elektronenmikroskopie ging, sehr fasziniert. Dagegen soll es heute unter US-Präsident D. Trump keine staatliche Unterstützung für nicht nutzbare, also „unnütze“ Forschung mehr geben. Dabei ist gerade diese freie Forschung der Hauptimpulsgeber für Innovationen. Inzwischen gibt es eine Vielzahl an Methoden, die Farbabbildungen auch bei dynamischen Prozessen, fallweise bis zu 20 nm „Auflösung“ (eigentlich: „differenzielle
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Wahrnehmbarkeit“), erlauben, deren differenzierte Darstellung jedoch den Rahmen sprengen würde. Sie werden auf 7 https:// en.wikipedia.org/wiki/Super-resolution_ microscopy sowie unter dem Titel „Super-resolution microscopy demystified“ (Entmystifizierung der elektronenmikroskopischen Superauflösung) in Nature Cell Biology 2019 erklärt. Die neueste Entwicklung von Fluoreszenzabbildungen zellulärer Substrukturen (MINFLUX-Methode) erlaubte der Gruppe von S. Hell die Erfassung von Proteinen im Bereich von Nanometern und die Beobachtung von deren Dynamik im Bereich von Millisekungen (räumlich/zeitliche Auflösung: nm/ms). Die Methode nähert sich somit den Möglichkeiten der Elektronenmikroskopie und der Elektrophysiologie an. So konnte z.B. die Bewegung des Motorproteins Kinesin in einer Art Watschelgang (leichte Rotation wie bei einer Ente) entlang von Mikrotubuli (7 Abschn. 9.5.3) dargestellt werden [40] Allerdings ist diese Methode von Hell noch weiter weg von Routineanalysen als seine STED-Methode. Da die STED-Methode und auch andere Methoden relativ aufwendig sind, begnügt man sich in der Alltagspraxis allerdings vielfach mit hergebrachter Technik, die bereits einiges zu bieten hatte. Während für die konventionelle Lichtmikroskopie biologische Präparate chemisch fixiert und angefärbt werden müssen, wurde seit den 1940er-Jahren von dem holländischen Physiker Fritz Zernike (Nobelpreis 1935) die Phasenkontrastmikroskopie entwickelt [13]. Hier können durch Phasenverschiebung innerhalb des Präparats Strukturdetails auch im vitalen Zustand, also ohne Fixierung und Färbung, sichtbar gemacht werden. Während die Methode keine Informationen zu chemischen Details preisgibt, so ist sie doch hervorragend für Intravitalbeobachtungen geeignet. Ähnliches gilt für die in den 1950er-Jahren von dem Franzosen Georges Nomarski entwickelte Interferenzmikroskopie, welche die unterschiedliche optische Weglänge in verschiedenen Präparatdetails ausnutzt.
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
Standardmäßig werden seit Jahrzehnten mehr oder weniger spezifische Färbungen oder sehr spezifische Immunmarkierungen, seltener Affinitätsmarkierungen von bestimmten Antigenen bzw. Liganden, für lichtmikroskopische Analysen verwendet, entweder vor der Einbettung oder nach der Einbettung am Dünnschnitt (Methode des „pre-“- bzw. „post-embedding“). Die STED-Methode ist natürlich ein unschätzbarer Zugewinn, wenngleich hier spezielle Fluorochrome eingesetzt werden müssen. Unabhängig davon greifen auch andere Entwicklungen von „super-resolution microscopy“ seit etwa zehn Jahren auf spezifische Eigenschaften einzelner Fluorophore und Abbildungsmethoden zurück, wie in 7 Abschn. 4.4 dargestellt wird. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, mit molekularbiologischen Methoden selbst leuchtende Proteine an definierte Moleküle anzuhängen und zu lokalisieren, wie „green fluorescent protein“ (GFP, 7 Abschn. 4.7) und ähnliche Fremdproteine.
4.3 Elektronenmikroskopie für
funktionelle Analysen
Wenn wir in die 1960er-Jahre zurückblenden, sehen wir nach der Einführung von Fixanzien auf Aldehydbasis durch den US-Amerikaner D. D. Sabatini in der in 7 Abschn. 4.1 erwähnten umfassenden Publikation [4] die Basis für die Entwicklung cytochemischer Verfahren. Dies brachte einen bedeutenden Schub für die Korrelation von Struktur und Funktion an Zellen. Hydrolasen, Oxidasen, Phosphatasen, Esterasen etc. konnten in situ sichtbar gemacht werden. Morris J. Karnovsky hat 1965 in einem der wohl am häufigsten zitierten Abstracts die Anwendung von Formaldehyd/ Glutaraldehyd-Mischungen für die Cytochemie herangezogen. Der bereits in der Lichtmikroskopie geübte Einsatz von Pb2+ als „Fangion“ für phosphatbasierte Reakti-
onen wurde in die Elektronenmikroskopie übernommen (Gomori-Methode). Die Bedeutung dieser cytochemischen Methodik ist kaum zu überschätzen, lieferte sie doch eine Menge an funktionell-topologischen Informationen. Eine sehr dynamische und daher nach ihrer Publikation umgehend häufig praktizierte Methode, z. B. um dynamische Prozesse des zentropetalen Vesikelflusses aufzuklären, war die Verwendung von gelösten Markern („fluid phase marker“). Der Prototyp war die Meerrettichperoxidase (isoliert aus der Meerrettichpflanze, Armoracia rusticana, Brassicaceae alias Cruciferae, Kreuzblütler). Sie wurde 1966 von den beiden US-Amerikanern R. C. Graham und M. J. Karnovsky als Marker eingeführt, erst als „fluid phase“-Marker für die Aufnahme über Vesikelfluss (Endo-/Phagocytose) und dann für die kovalente Kopplung an Antikörper und andere Liganden für Immun- oder Affinitätsmarkierungen. Die Methode wurde lange Zeit für die Elektronenmikroskopie bevorzugt. Peroxidase setzt H2O2 (Wasserstoffperoxid) um und reagiert so mit 3,3′-Diaminobenzidin (DAB), das ein osmiophiles, polymeres und daher unlösliches Reaktionsprodukt bildet. In den 1970er-Jahren wurde die DAB-Methode von S. Avrameas (USA) [14] und P. Nakane (Japan) recht schnell zur Standardmethode für die Lokalisierung von peroxidasemarkierten Antikörpern verbessert. Nach Permeabilisierung konnten ganze Zellen oder Gewebeschnitte, die mit einem vibrierenden Messer (Vibratom) hergestellt wurden, markiert werden. (Endogene Katalase musste dabei geblockt werden.) Mit DAB konnte auch endogene Katalase oder Lactoperoxidase erfasst werden, z. B. in der Tränendrüse. Analysen dieser Art erlaubten es dem iranischstämmigen US-Amerikaner D. Fahimi und dem deutschen Kollegen Volker Herzog, Mitte der 1970er-Jahre Einblick in die Dynamik des Vesikelverkehrs in der Zelle zu gewinnen. Ein Vorteil der DAB-Methode von Fahimi und Herzog von 1973 ist, dass sie auch für spektralpho-
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4.4 · Organell- und membranspezifische Färbemethoden
tometrische Auswertungen bzw. Enzymmessungen adaptiert werden kann. Natürliche Peroxidase ist aber ein Gemisch aus Isoformen mit verschiedenem isoelektrischem Punkt (pI). Dementsprechend kamen später reine Isoformen auf den Markt. Varianten mit verschiedenem pI erlauben es, die Ladungsverteilung an Membranen zu bestimmen. In ähnlicher Weise wurde auch Ferritin, das wegen seines Eisengehalts im Elektronenmikroskop direkt sichtbar ist (7 Abschn. 4.5.1), als Marker eingesetzt. Auch von Ferritin wurden Isoformen mit unterschiedlichem pI erzeugt, z. B. „kationisiertes Ferritin“. Ein seinerzeit viel beachteter Vorstoß in der Elektronenmikroskopie kam in den 1970er-Jahren von Jack Hanker, der Osmium in verschiedene organische Verbindungen so einbaute, dass es bei definierten cytochemischen Reaktionen freigesetzt wurde. Allerdings fand diese anspruchsvolle Methode keine weite Verbreitung. Die Entwicklung der modernen Zellbiologie ging also mit der Entwicklung zahlreicher Markierungsmethoden einher, die direkt oder indirekt die Lokalisierung verschiedenster Zellkomponenten erlaubte (7 Abschn. 4.4, 9.9, 9.10 und 9.12). So konnte eine funktionelle Topologie erarbeitet werden. Sie ist wichtig, denn viele zelluläre Prozesse sind nur aus ihrem strukturellen Kontext heraus verständlich. Dazu kommen noch die vielen Möglichkeiten, auch dynamische Prozesse über sehr kurze oder lange Zeitspannen zu verfolgen. Molekulare Auflösung, etwa wenn die Interaktion zweier verschiedener Proteine studiert werden soll, konnte erreicht werden, indem die Proteine gentechnisch mit jeweils verschiedenen fluoreszierenden Proteinen so markiert werden, dass die Emission des einen das andere Protein zur Emission anregt (Fluoreszenzresonanz-Energietransfer, FRET). Beispielsweise kann CFP („cyano fluorescent protein“; Anregung mit λ = 440 nm, Emission von λ = 480 nm) mit YFP („yellow fluorescent protein“; Emission λ = 530 nm) kombiniert werden. Re-
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zeptor-Ligand-Komplexe und die Wechselwirkungen vieler anderer Proteine konnten so analysiert werden. 4.4 Organell- und
membranspezifische Färbemethoden
Bereits der Italiener Camillo Golgi verwendete ab 1873 die nach ihm benannte Silberimprägnierungstechnik, die Zellstrukturen und insbesondere den Golgi-Apparat klarer sichtbar macht, als es mit den damals verfügbaren mikroskopischen Methoden möglich gewesen wäre. Davon profitierte auch der Spanier Santiago Ramón y Cajal, als er noch tiefer in die Strukturen des Gehirns eintauchte. Beide erhielten im Jahr 1906 gemeinsam den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. In den 1920er- und 1930er-Jahren wurde die Silberimprägnierung zur systematischen Diagnostik von Ciliaten eingeführt, wofür sie bis heute verwendet wird. Jedoch ließ sich mancher Zoologe um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts dazu hinreißen, im Silberliniensystem vielkerniger Ciliaten einen Vorläufer eines Nervensystems (!) zu sehen. Manche Zoologen meinten nämlich, dass sich Ciliaten in der Evolution zu plasmodial gebauten, vielkernigen acoelen Turbellarien entwickelten. (Plasmodien sind primär nichtzellulär gebaute vielkernige Gebilde, wohingegen Syncytien ihre Vielkernigkeit sekundär durch Fusion von Einzelzellen erwerben.) In weiterer Folge, so meinten die Exponenten dieser Hypothese, hätten sich um die Zellkerne herum Zellgrenzen ausgebildet. Man könnte das heute als Reminiszenz an das „emboîtement“ (Verschachtelung von Generationenfolgen) früherer Jahrhunderte und damit als klaren Widerspruch zu allen gängigen Theorien sehen. Um 1961 räumte der deutsche Zoologe P. Axt mit dieser Hypothese der Evolution vielzelliger Organismen aus Plasmodien auf. Wie in 7 Abschn. 17.4.1 ausgeführt wird, bildeten sich
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
vielzellige Organismen durch Assoziation einzelliger Vorläuferzellen. Auch für das Silberliniensystem der Ciliaten schaffte der österreichische Protozoologe W. Foissner 1977 klare Vorstellungen: Im Elektronenmikroskop präsentiert es sich als diffuse Markierung verschiedener corticaler Strukturen, die im Lichtmikroskop ein reproduzierbares, speziesspezifisches und damit sehr wohl systematiktaugliches Muster ergeben. Der lipophile, jedoch wasserlösliche Styrenfarbstoff FM1–43 wurde von W. J. Betz in den 1990er-Jahren für die pauschale (unspezifische) Markierung von Oberflächenmembranen eingeführt [15]. Dazu kamen weitere ähnliche Substanzen. Sie erlauben, die Abfolge von Exocytose und Endocytose sowie auch von Membranrecycling zu verfolgen, indem bei der Membranfusion Farbmoleküle sehr schnell aus der Zellmembran in die Vesikelmembran hineindiffundieren. Entsprechende Arbeiten wurden insbesondere an neuronalen Systemen durchgeführt. Die Konzentration muss sorgfältig erprobt werden, damit es nicht zu einer Auslösung von Exocytose ohne die normale Stimulation kommt. Ein Vorteil der Methode ist die Möglichkeit, durch Photokonversion elektronendichtes Material zu erzeugen (7 Abschn. 4.4.3), womit die Methode ab der Jahrtausendwende für die Elektronenmikroskopie tauglich wurde. Allerdings ist sie nicht leicht zu handhaben. Obwohl schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts verfügbar, wurden Carbocyanine erst ein Jahrhundert später wegen ihrer Lipidspezifität in der Zellbiologie breitflächig eingesetzt. Es handelt sich um kationische, aliphatische, lipophile, fluoreszente Farbstoffe, die je nach Kettenlänge Membranen verschiedener Organellen fluoreszent anfärben können. Beispiele aus den 1980er-Jahren sind DiOC18 (3,3′-Dioctadecyloxacarbocyanin) oder das kurzkettige DiOC6 (Dihexyloxacarbocyanin) für die Färbung des endoplasmatischen Retikulums; beide können in vivo eingesetzt werden. Für die In-vivo-Färbung des Golgi-Apparats entwickelten N. G. Lipsky und R. E.
Pagano 1983 fluoreszenzmarkierte Analoge des Lipidstoffes Ceramid. Ein anderes Beispiel ist die Variante diS-C3-(5), deren Fluoreszenz sich linear mit dem Membranpotenzial ändert.
4.4.1 Eine Vielfalt an weiteren
organellspezifischen Markierungsverfahren
Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurden für fast alle Organellen mehr oder weniger spezifische Färbemethoden für die lichtmikroskopische Bestimmung ihrer intrazellulären Lage und für die Beobachtung ihrer Formveränderung entwickelt. Manche sind auch als Vitalfarbstoffe einsetzbar. Den Anfang machte 1918 Janusgrün B zur Identifikation von Mitochondrien. Die für Mitochondrien spezifischen Farbstoffe können zum Teil intravital und zum Teil auch an fixierten Zellen eingesetzt werden. Der Unterschied ergibt sich daraus, dass die Bindung mancher Stoffe wie Rhodamin 123 (Tetramethylrhodamin-Methyl/Ethylester) vom negativen Membranpotenzial abhängt; derlei Verbindungen kamen ab 1980 zum Einsatz. Der jetzt bevorzugte „MitoTracker“ wird ebenfalls vital eingesetzt, bleibt aber auch noch nach Fixierung nachweisbar. Für den Zellkern waren die Feulgen-Reaktion an fixierten Zellen [16] und die (markierungsfreie) UV-spektroskopische Abbildung an lebenden Zellen als erste Methoden ab den 1920er- bzw. 1930er-Jahren verfügbar. Für den Zellkern bevorzugte man früher Best’sches Karmin (nach einem nicht präzisen Reaktionsschema); heute verwendet man zweierlei: die DAPI-Methode (DAPI = 4′,6-Diamidin-2-phenylindol) oder den Farbstoff Hoechst 33.342 (2′-[4-Ethoxyphenyl]-5-[4-methyl-1-piperazinyl]-2,5′-bi-1 H-benzimidazol-Trihydro- chlorid); Letzterer permeiert noch schneller als DAPI durch die intakte Kernmembran.
4.4 · Organell- und membranspezifische Färbemethoden
Die Formeln mögen zu Recht den Eindruck vermitteln, dass es sich um mehr oder weniger pragmatische Ansätze handelt, mit denen aus der Erfahrung sehr wohl eine gewisse Spezifität zu erzielen war. Es reichte jedenfalls aus, um z. B. das Verschwinden intakter Mitochondrien während verstärkter Autophagie (in diesem Fall „Mitophagie“) zu quantifizieren (7 Abschn. 13.1.2). Gleichzeitig lässt sich jener Anteil an Mitochondrien quantifizieren, der dem intrazellulären Abbau zugeführt wird und mit „LysoTracker“ (unten) anfärb-bar ist, weil Autophagosomen ja mit Lysosomen zu Autophagolysosomen verschmelzen. Die ganze Färbekunst ist also mitnichten nur „l’art pour l’art“, auch wenn die Bilder schön sind. Das raue ER wurde als Strukturelement der Zelle – wie bereits erwähnt – schon in einer frühen Entwicklung der Mikroskopie als ein distinktes Element erkannt, das mit der Proteinsynthese in Verbindung gebracht und als Ergastoplasma bezeichnet wurde. Man sah auch schon das gleichzeitige Hervortreten des Nukleolus, in dem ja die Ribosomen gebildet werden. Grundlage war die besondere Anfärbung bei der klassischen Hämatoxylin-Eosin-Doppelfärbung, die jeweils saure/basophile bzw. basische/acidophile Komponenten hervorhebt. Der Farbstoff Hämatoxylin (wörtlich: Blutholz; αἷμα, haima = Blut; „ξύλον, xylon“ = Holz) zeigt einen Farbumschlag von Rot nach Blau unter den verwendeten Anwendungsbedingungen. Hämatoxylin stammt vom mexikanischen Baum Haematoxylum campechianum aus der Familie Fabaceae (Schmetterlingsblütler, Unterfamilie Caesalpiniaceae) und wurde erstmals 1863 durch Wilhelm von Waldeyer in der Histologie eingesetzt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden verbesserte Rezepte erarbeitet, wie jene von den berühmten Histologen Ehrlich, Mallory und Heidenhain. Eosin („ἠώς, eos“ = Morgenröte) ist ein cyclischer synthetischer Farbstoff aus der Gruppe der Xanthenfarbstoffe. Zu
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dieser Gruppe gehören auch die Fluoreszenzfarbstoffe Fluorescein und Rhodamin, die immer noch als lichtmikroskopische Marker Verwendung finden. Ebenso ist das nichtfluoreszente Methylenblau noch im Gebrauch; es dient seit Langem für einen Schnelltest der Vitalität von Zellen: Erst wenn Zellen lädiert sind, lassen sie den Farbstoff eindringen. Darüber hinaus ist die Hämatoxylin-Eosin-Färbung immer noch eine Standardmethode der Histologie. Saure Kompartimente, insbesondere Lysosomen, wurden früher durch Färbung mit Acridinorange identifiziert, das in saurem Milieu protoniert und auf diese Weise festgehalten (im Laborjargon: „getrappt“) wird. Heute bevorzugt man LysoTracker in verschiedenen Varianten, z. B. LysoTracker Red {N-[2-(dimethylamino)ethyl]propanamidato)(difluoro)-Bor}. DAMP (3-[2,4-Dinitroanilino]-3′-amino-N-methyidipropylamin) ist eine weitere Verbindung (1984 eingeführt von R. G. W. Anderson aus der Gruppe des US-Amerikaners Joseph L. Goldstein [17]), die in sauren Kompartimenten in protonierter Form getrappt wird. Dabei muss es nicht bei der Lichtmikroskopie bleiben. Eine elektronenmikroskopische Lokalisierung ist möglich, wenn man DAMP als Hapten zur Erzeugung von Antikörpern einsetzt. (Ein Hapten ist eine nichtproteinartige Substanz, die erst nach Kopplung an einen makromolekularen Träger wie Hämocyanin zur Erzeugung von Antikörpern geeignet ist. Der Terminus ist abgeleitet von griech. „ἅπτειν, haptein“ = etwas fassen.) Diese können dann in Ultradünnschnitten mit einem sekundären (z. B. mit Peroxidase gekoppelten) Antikörper lokalisiert werden (7 Abschn. 4.3 und 4.5). Das Team um Goldstein hat es vorgemacht. Goldstein wurde 1985 für seine Arbeiten zum Cholesterinstoffwechsel mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geehrt. Leider griffen nur sehr wenige Forscher auf diese Methode zurück, denn sie ist relativ aufwendig. Die Gruppe des Genfer Zellbiologen L. Orci bildete eine
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
Ausnahme: Sie wies 1985 die posttranslationale Reifung von Insulin in sauren Sekretvesikeln nach ([18]; 7 Abschn. 9.6.1). 4.4.2 Gruppenspezifische
Markierungen
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Spezifische Zucker und Zuckergruppierungen lassen sich durch Lektine erkennen und markieren. Sie werden überwiegend aus Pflanzensamen isoliert, fallweise aus tierischen Körperflüssigkeiten. Lektine sind fast ausnahmslos homooligomere Proteine von mittlerem Molekulargewicht. Beispiele sind das Concanavalin A (ConA) aus der Schwertbohne (Canavalia ensiformis, Familie Papilionaceae, heute Fabaceae), Weizenkeimagglutinin („wheat germ agglutinin“, WGA) und Limulus-polyphemus-Agglutinin. Letzteres wurde 1981 aus der Hämolymphe des sogenannten Pfeilschwanzkrebses (Xiphosura) gewonnen: „Limulin“ sticht dadurch hervor, dass es selektiv Sialinsäurereste erkennt. (Dazu kam 1986 die Identifikation eines Antikoagulans aus den Hämocyten. Forscherkollegen von der Ostküste der USA hatten in ihrer Begeisterung das Überleben dieser urtümlichen Tiere nach 450 Mio. Jahren Evolution gefährdet.) ConA bindet an Mannose- und Glukosereste, WGA an N-Acetylneuraminsäure (Sialinsäure) und N-Acetylglukosamin. So konnten W. Bernhard und S. Avrameas vom Krebsforschungsinstitut in Villejuif (Paris) 1971 die Glykokalyx verschiedener Zelltypen darstellen, indem deren Glykosylreste ConA banden, das mit seiner zweiten Bindestelle das Glykoprotein Peroxidase bindet [19]. Der Hintergrund dieser Entwicklung ist folgender: Die Israelis N. Sharon und H. Lis sortierten 1972 in einem Artikel in der Zeitschrift Science die diffus verstreuten Daten zu Lektinen und notierten die Agglutination von Zellen. K. J. Isselbacher zeigte, dass nur die multimere Form, nicht
aber die einzelnen Monomere von ConA einen Verklumpungseffekt auf menschliche B-Lymphocyten ausüben, begleitet von deren Stimulationseffekt. Das war also die Eigenschaft, die zur Entdeckung und Identifizierung der Lektine führte. Heute sehen wir hinter der Aktivierung von Lymphocyten nicht nur ihre Aggregation, sondern insbesondere die Aggregation von Komponenten ihrer Mikrodomänen der Zellmembran (7 Abschn. 5.6) zu großen Kappen („capping“) durch die Vernetzung entsprechender Zuckerreste in der Glykokalyx. (Physiologisch geschieht diese Aktivierung durch Antikörper, aber ConA hat lange Zeit als Modellansatz gedient.) Die Zellbiologen verwenden noch heute Lektine zur Spezifizierung von Zuckerresten ab dem endoplasmatischen Retikulum. Hier findet man die „high mannose“-Form von Glykoproteinen vor, wohingegen beim Weiterwandern im Förderband des biogenetischen Weges im Golgi-Apparat diese Färbung nicht mehr auftritt („mannose trimming“), jedoch neue Zuckerreste angefügt werden. Diese Vorgänge wurden ab den 1970er-Jahren aufgeklärt. Die weite Verbreitung von glykosylierten Biomolekülen, von Proteinen und Lipiden, lässt die Einsatzbreite der Lektine erahnen. Da es gerade an Membranen, aber nicht nur dort, auch endogene Lektine gibt, bestand das Bedürfnis, auch diese zu lokalisieren. Hierzu entwickelte der Franzose M. Monsigny in den 1980er-Jahren sogenannte Neoglykoproteine, indem er Albuminprotein in vitro glykosylierte. Diese Konjugate wurden ebenfalls an kolloidale Goldpartikel gebunden und für die Markierung von endogenen Lektinen verwendet. 4.4.3 Spätere Entwicklungen
Es gäbe noch vieles über Markierungstechniken in der Zellbiologie zu berichten. Hier das Wesentliche in Kürze. Eine seit
4.5 · Immunologische Techniken unterstützen die Zellbiologie
2009 viel eingesetzte Methode ist die Verwendung von verschiedenen Derivaten von BODIPY (4,4-Difluoro-4-bor-3a,4a-diaza-s-indacen). Damit können jeweils Proteine, Nukleotide, Fettsäuren, Phospholipide und Rezeptorliganden markiert werden. Der Einsatz von BODIPY-Markern wurde knapp vor dem Jahr 2000 durch die Möglichkeit erweitert, sie durch Photooxidation (Photokonversion) ebenso wie von 3,3′-Diaminobenzidin (DAB) – allerdings mit gewissen Schwierigkeiten – auch als osmiophiles Reaktionsprodukt für die Elektronenmikroskopie einsetzbar zu machen [20]. (Wie erwähnt, war DAB seit 1966 als Substrat für die Markierung mit Peroxidase-Markermolekülen verwendet worden.) In ähnlicher Weise steht Lucifer Yellow, das überwiegend in der neurobiologischen Forschung verwendet wird, zur Verfügung. Der „Lucifer“-Marker (Lichtträger), 1978 von W. W. Stewart am National Institute of Health (NIH) eingeführt, hat sich also eher als segensreicher Engel bewährt. Am elegantesten mutet die gentechnische In-vivo-Markierung mit „green fluorescent protein“ an (optogenetische Methoden, 7 Abschn. 4.7). Zunehmend werden heute zwei Markierungsanalysen gegeneinander abgewogen. Während die in 7 Abschn. 4.2 beschriebene STED-Methode spezielle chemische Markierungsmethoden benötigt, konnten andere lichtmikroskopischen Methoden zunehmend auf Vitalmarkierung auf molekularbiologischer Basis zurückgreifen, wie GFP (7 Abschn. 4.7), erreichen aber nicht die Auflösung, die man mit STED-Farbstoffen erzielt. 4.5 Immunologische Techniken
unterstützen die Zellbiologie
Bereits seit den 1950er-Jahren wird die lichtoptische Lokalisierung von Antigenen, hauptsächlich von Proteinen, durch Antikörper praktiziert (Immunhistochemie).
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Die am meisten verwendeten Antikörper sind vom Typ IgG und haben eine Größe von ≈ 150 kDa bzw. einen Durchmesser von ≈ 10 nm. Ihre Struktur wurde ab 1958 von Gerald M. Edelman, später an der Rockefeller University, New York, aufgeklärt. Hierzu bezog er die Analyse von Bence-Jones-Proteinen ein; dies sind Antikörperfragmente, die aufgrund verschiedener Störungen massenweise im Harn ausgeschieden werden. In seiner Nobelpreis-Rede 1972 pries er die beinahe beliebige Verfügbarkeit dieser Proben. Ein weiterer Fortschritt kam mit der Entwicklung monoklonaler Antikörper, die nur bestimmte Bereiche eines Antigens erkennen (strukturelle oder konformationelle Epitope). Die Methode wurde 1975 von dem Deutschen Georges Köhler und von dem aus Argentinien stammenden und in England tätigen César Milstein entwickelt [21]. Beide erhielten dafür 1984 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Die Methode beruht auf der Selektion von B-Lymphocyten aus der Milz, deren Gesamtheit polyklonale Antikörper erzeugt, also gegen mehrere Epitope eines Antigens. Diese B-Lymphocyten werden mit krebsartigen Myelomzellen verschmolzen, wodurch sie quasi unsterblich werden (Hybridoma-Zellen). In Kultur werden Zellen vereinzelt und als Klone vermehrt, sodass sie jeweils Antikörper gegen nur ein Epitop bilden (monoklonale Antikörper). Die Methode kommt Zellbiologen oft sehr entgegen, wenn sie ein Protein nicht gut aufreinigen können. Aktuell werden von der pharmazeutischen Industrie zahlreiche monoklonale Antikörper gegen krankhaft veränderte Proteine erzeugt und für Therapiezwecke oft sehr teuer verkauft (7 Abschn. 14.5.1). Zum histo- und cytochemischen Nachweis muss ein Markermolekül angekoppelt und gleichzeitig das Eindringen in die Gewebezellen gewährleistet werden. Seit den 1990er-Jahren haben sich sogenannte
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
Alexa-Farbstoffe mehr und mehr in der lichtmikroskopischen Immunhistochemie durchgesetzt. Es sind dies zwei- bis sechsfache heterocyclische Verbindungen, wie Alexa 350, 430 … 594, deren Zahl jeweils die Anregungswellenlänge in Nanometern angibt. Sie können leicht an freie Aminogruppen beliebiger Proteine gekoppelt werden und sind wesentlich resistenter gegen Ausbleichung bei Bestrahlung als herkömmliche Fluorochrome, wie Fluorescein oder Rhodaminderivate. 4.5.1 Meerrettich oder Gold – das
war einmal die Frage
Unter den elektronenmikroskopischen Mar‑ kermolekülen hat das Peroxidasemolekül einen Durchmesser von ≈ 4,5 nm, Ferritin ist ≈ 11 nm groß. Letzteres wurde wegen seiner 5,5 nm großen zentralen Fe(OH)3-Mizelle ebenfalls für die immuncytochemische Lokalisierung herangezogen. Wägt man die Diffusionsfähigkeit des Peroxidase-Reaktionsprodukts gegen die Größe des Ferritinmoleküls, zusammen mit der Größe des Primärantikörpers ab, so kommt man auf Auflösungswerte von bestenfalls ≤ 20 nm. Antikörper und Proteinmarker mussten ursprünglich chemisch gekoppelt werden. Eine viel beachtete Möglichkeit war ab Mitte der 1970er-Jahre die Verwendung von Komponenten, von denen jeweils die eine mit Streptavidin und die andere mit Biotin versehen war. Die erste Komponente stammt von Streptomyces avidinii, die zweite aus dem Hühnereiweiß. Ihre Bindungskonstante ist unter Biomolekülen unvergleichlich hoch und verspricht hohe Effizienz. Die einzelnen Komponenten diffundieren natürlich besser, wenn sie sich erst am (intra-)zellulären Bindungsort finden. Eine Wende kam mit der Einführung von kolloidalen Goldpartikeln durch Jürgen Roth, Universität Zürich, ab dem Jahr 1978 [22]. Den aus der damaligen DDR stammenden jungen Kollegen traf ich 1978
bei einem Kongress in Bukarest, bevor er sich in der Schweiz entfalten konnte und 1991 eine eindrucksvolle Übersicht über die Topologie des Golgi-Apparats aus der Sicht des Immuncytochemikers publizieren konnte. Kolloidales Gold besteht aus nanometergroßen Partikeln, ist rot und wurde schon für mittelalterliche Glasmalereien verwendet. (Man könnte von mittelalterlicher Nanotechnologie sprechen.) Nun wurden Goldpartikel in definierter Größe, z. B. 5, 10 und 20 nm, erhältlich, mussten aber mit Protein stabilisiert werden, da sie sonst zu Klumpen oder drahtartigen Gebilden aggregieren. Dazu kann man Antikörper oder Antikörperfragmente verwenden. Sobald solche Konjugate ab den 1980er-Jahren käuflich erhältlich geworden waren, explodierte der Einsatz dieser Methodik – allerdings erst, als E. Kellenberger, Basel, die Lowicryl-Einbettung erfunden hatte. Diese methacrylatbasierten Kunststoffe können auch bei tiefen Temperaturen durch UVLicht zur Polymerisierung gebracht werden, wohingegen Antigene bei der üblichen Hitzepolymerisation der Standardeinbettung leicht denaturiert werden. Methacrylate bewirken beim Ultradünnschneiden einen recht holprigen Bruch entlang der Schnittfläche, bevorzugt entlang von Membranen, wodurch die Antigene relativ gut zugänglich werden. Durch geeignete Kombination von Antikörpern aus verschiedenen Spezies und goldmarkierten Fragmenten wurden sogar Doppel- und Mehrfachmarkierungen möglich. In Kombination mit morphometrischen Methoden können durch simples Auszählen auch relative Verteilungsmuster objektiviert werden; Versuche zur absoluten Quantifizierung (Zahl der Moleküle pro Struktureinheit) wie in der Autoradiographie (7 Abschn. 4.6) hatten keinen Erfolg. Den entscheidenden Durchbruch brachte daher die Kombination von Tieftemperatureinbettung mit den neuen
4.5 · Immunologische Techniken unterstützen die Zellbiologie
Methacrylaten, zusammen mit der Verfügbarkeit von kolloidalen Goldkonjugaten. Bereits 1982 wurde die Markierung mit kolloidalen Goldpartikeln für die Gefrierbruchtechnik (7 Abschn. 4.8) adaptiert, um mithilfe von Antikörpern oder molekülspezifischen Liganden Membranrezeptoren auf Membranbrüchen zu lokalisieren. Die Verfügbarkeit spezifischer Liganden wird durch die aufstrebende Branche des „Drug Designs“ zunehmend größer. Noch mit der alten Peroxidasekopplung wurden auf diese Art um 1970 im Elektronenmikroskop die Acetylcholinrezeptoren am peripheren Teil der postsynaptischen Membranfalten von neuromuskulären Kontaktzonen lokalisiert; es wurde auch gezeigt, wie dieser Faltenapparat und seine Immunfärbung bei der Autoimmunkrankheit Myasthenia gravis (eine Form von Muskelschwäche; 7 Abschn. 12.8) zurückgebildet werden.
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Physikprofessor William („Bill“) Woodward um 1970 des Problems angenommen. Einmal fragte er mich: „How do things stick together?“ [Wie haften Dinge aneinander?] Sein Problem war, dass die Kryoschnitte nicht am EM-Trägernetzchen haften bleiben wollten, sondern wegsprangen. (Es war dann naheliegend, die Trägerfolie mit geladenen Molekülen zu beschichten oder über Stoßionisation aufzuladen.) Das Kuriose an Bills Frage war, dass er in seiner vollaktiven Phase den Bau des Cornell-Synchrotrons koordiniert hatte; eine Wand des Leitraums war voll und dick mit Kabeln behangen. Er hatte in Los Alamos im Team von Robert J. Oppenheimer an der ersten Atombombe mitgearbeitet. So reichte er mir einmal bei einer Sonnenfinsternis, als er meinen rußgeschwärzten Glassplitter sah, seine dunkel getönte Glasscheibe mit der Empfehlung: „Take this one; it was good enough to watch the first atomic bomb explosion.“ [Nimm die hier; damit konnten wir selbst den ersten Atomblitz beobachten!] Damit begann eine 4.5.2 Wie es weiterging Diskussion ad libitum zwischen zwei GeneDie Verwendung von Gefrierschnitten rationen. Das war am 16. Juli 1945 in der (Kryostatschnitten) ist eine Möglichkeit, je- Ebene von Alamogordo. Oppenheimer zidoch ist dies praktisch nur nach leichter Al- tierte daraufhin einen Hindutext: „Jetzt bin dehydfixierung und Infiltration mit Rohrzu- ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welcker oder mit polymeren Stoffen als Frost- ten“ – das Gegenstück zur lebenspendenden schutz erreichbar. Auf dieser Basis wurden Sonne. Eine Alternative zu Kryostatschnitten auch immuncytochemische Methoden für die Elektronenmikroskopie in verschiede- bot sich ab den 1970er-Jahren durch die nen Labors entwickelt, namentlich ab Mitte Permeabilisierung mit porenbildenden der 1970er-Jahre vom japanischstämmigen Chemikalien an, darunter Stoffe pflanzUS-Forscher K. T. Tokuyasu sowie von J. lichen Ursprungs wie Saponin, DigitoDubochet und G. Griffiths am EMBO La- nin oder Filipin aus Streptomyces. Die bor in Heidelberg und vom österreichisch- Substanzen binden an 3-OH-Steroide wie stämmigen Hellmuth Sitte (Universität des Cholesterin der biologischen Membranen Saarlandes), der auch ein Kryoultramik- und bilden dabei feine Poren oder kleine rotom zur Serienreife gebracht hat. In der ackerfurchenähnliche Verwerfungen (DiFrühphase solcher Entwicklungen kam es gitonin). Dabei musste noch sorgfältiger, zu tragikomischen Situationen: Diese Me- aber dennoch schonend vorfixiert werthode konnte nicht mehr weiter praktiziert den, wenn lösliche Antigene zu lokalisiewerden, sobald eine geübte Technikerin das ren waren. Insgesamt war das ein VabanLabor verlassen hatte. Im Salpeter-Labor, quespiel, das sorgsame Kontrollen erforCornell University, hatte sich der emeritierte derte.
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
Eindrucksvolle erste Beispiele für immuncytochemische Lokalisationen liegen seit den 1970er-Jahren vor: Cytoskelettale Elemente wurden von den Deutschen U. Gröschel Stewart und K. Weber untersucht (1980 und 1982), der Durchgang von Sekretprodukten durch das raue endoplasmatische Retikulum und den Golgi-Apparat durch den Schweizer J. P. Kraehenbuhl und den US-Amerikaner J. D. Jamieson (1974) sowie den deutschstämmigen Schweizer Zellbiologen Jürgen Roth (1978), jeweils mit unterschiedlichen Aufschlussund Markierungstechniken. Die „direkte Immunmarkierung“ mit nur einem Antikörper wurde sowohl in der Licht- als auch in der Elektronenmikroskopie kaum praktiziert; vielmehr wurde die „indirekte Methode“ bevorzugt, bei der ein markierter Zweitantikörper auf den Erstantikörper aufgesetzt wird. Der Erstantikörper wird zumeist polyklonal aus Kaninchenblut gewonnen, während der Zweitantikörper beispielsweise ein Ziege-anti-Kaninchen-Antikörper sein kann. Werden monoklonale Antikörper von der Maus eingesetzt, so empfiehlt sich eine Markierung mit Ziege-anti-Maus-F(ab)2-Fragmenten. Dazu folgende Erläuterungen: F(ab)- bzw. F(ab)2-Fragmente sind verschieden große Teile von IgG-Antikörpermolekülen, von denen der Fc-Teil enzymatisch abgespalten wurde und die daher kein Protein A binden können. Die Auflösung ist hierbei beschränkt durch die Größe des Primärantikörpers (≈ 10 nm), des F(ab) (≈ 50 kDa, ≈ 3,5 × 5 nm), des F(ab’)2-Moleküls (≈ 100 kDa, ≈ 5 × 10 nm) bzw. von Protein A (≈ 5 nm) und des Markermoleküls (z. B. Gold 5 oder 10 nm). Zwei Markierungen können ohne Interferenzen auch in der Elektronenmikroskopie problemlos miteinander kombiniert werden, wenn jeweils nichtinterferierende Antikörper oder deren Fragmente eingesetzt und beide Sekundärmarker jeweils an Goldkörner von distinkter Größe ge-
bunden werden (z. B. 10 bzw. 5 nm Durchmesser). Die indirekte Markierung erhöht die Sensitivität um ein Vielfaches und mindert den Verbrauch des zumeist eher spärlich vorhandenen Erstantikörpers. Anstelle eines Zweitantikörpers können markierte Fab-Fragmente oder markiertes Protein A verwendet werden, das klein ist (ca. 40 kDa) und an den Fc-Teil der IgG-Antikörper-Moleküle bindet. Fc bedeutet der konstante, also invariable Teil des Antikörpermoleküls. (Die pathophysiologische Bedeutung von Protein A ist ja gerade die Abdeckung der Bakterienoberfläche, sodass wirtseigene Antikörper keinen Zugang finden.) Kraehenbühl und Jamieson haben bereits 1974 viele Möglichkeiten in einem umfangreichen Review in International Review of Experimental Pathology zusammengefasst, die in den 1980er-Jahren erheblich erweitert wurden. Auch der Einsatz des noch etwas kleineren variablen Teiles (VL + VH oder die beiden Anteile getrennt) der leichten und schweren Kette des IgG-Moleküls wurde 1978 empfohlen, hat aber im zellbiologischen Bereich kaum Zuspruch gefunden. 2022 wurde für die Entwicklung neuartiger Vernetzungen und Markierungen von Biomolekülen der Nobelpreis für Chemie an die US-Forscherin Carolyn Bertozzi, den US-Amerikaner K. Barry Sharpless und den Dänen Morten Meldal vergeben. Es handelt sich um die „click chemistry“, bei der zu vernetzende Partnermoleküle mit geeigneter Derivatisierung so modifiziert werden, dass sie miteinander wie eine Schnalle mit einer Schließe reagieren können („click“). In vitro wird mit der kupferkatalysierten „Azid-Alkin-Cycloaddition“ (CuAAC-Methode) der beiden Chemiker Sharpless und Meldal gearbeitet. Dies soll die Entwicklung neuer Pharmaka beschleunigen. Wegen der Zelltoxizität von Kupfer entwickelte die Biochemikerin Bertozzi eine „bioorthogonale“ Variante zur Anwendung in vivo (7 https://doi.org/10.1002/ anie.201803183). Das erleichtert es, nicht
4.6 · Radioaktivität in der Zellbiologie
nur einzelne Moleküle auch in situ zu lokalisieren, sondern auch Krebszellen mit spezifischen Molekülen, künftig auch mit klickbaren Antikörpern, zu bestücken und sie zu auf diese Weise zu bekämpfen. 4.6 Radioaktivität in der
Zellbiologie
Bedeutungsvoll waren auch radioaktive Markierungen für strukturelle Lokalisationen in Autoradiogrammen. Dabei werden radioaktiv markierte Zellen oder Gewebeschnitte mit einer dünnen Fotoemulsion mit Silberhalogenidkristallen als Detektoren überlagert. Ein Silberhalogenidkristalle werden durch einen radioaktiven Strahl zur Wertigkeit null (Ag0) reduziert, also zu metallischen Silberkörnern, die bei Entwicklung wie in einem fotografischen Verfahren als dunkle Punkte überall dort angereichert erscheinen, wo eine Struktur markiert wurde. Bereits eine sehr frühe Anwendung war für die Zellbiologie bedeutsam: 1953, im selben Jahr, in dem die Doppelhelixstruktur der DNA aufgeklärt wurde, erschien in der Zeitschrift Heredity eine Arbeit von Alma Clavering Howard und Stephen Pelc, in der mittels 32P-Markierung und Autoradiographie an Wurzelgewebe der Saubohne (Vicia faba, Leguminosae alias Papilionaceae, Hülsenfrüchtler) die Synthesephase (S-Phase) des Zellzyklus erkannt wurde [23]. Howard war Strahlenbiologin unter dem Briten Louis Harold Gray, nach dem heute die Einheit für die absorbierte Strahlendosis, das Gray (Gy), benannt ist. Pelc dagegen war Physiker. Sie fanden, dass während der S-Phase die Menge an DNA verdoppelt wird, sodass ein normaler Satz jeweils an jede der Tochterzellen weitergegeben werden kann. Ich hörte Pelc darüber vortragen, als ich 1966 einen Kurs zur Technik der Autoradiographie am Isotopenzentrum Harwell, Oxfordshire (Mittelengland), besuchte. (Man
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mutete mir, dem Greenhorn, damals zu, den intestinalen Transport von Aminosäuren zu untersuchen, wo doch die autoradiographische Lokalisierung von wasserlöslichen Substanzen damals außerhalb jeder methodischen Reichweite war.) Es war dies ein erster Zugriff zur Regulation des Zellzyklus, der allerdings noch viel härtere Nüsse zu knacken aufgab (7 Abschn. 12.1 und 12.2). In den 1950er-Jahren erblühte die Technik der Autoradiographie, also der Lokalisierung radioaktiv markierter Substanzen im Licht-, später auch im Elektronenmikroskop. Die wesentlichsten Entwicklungen kamen aus dem Labor von Miriam M. Salpeter an der Cornell University in Kooperation mit dem Österreicher Luis Bachmann [24]. Dazu seien einige prinzipielle Voraussetzungen diskutiert, nach denen die Radioisotope ausgewählt wurden. Schwache Strahler wie Tritium (3H), das schwach energetische β-Strahlen (Elektronen) mit einem kontinuierlichen Energiespektrum (bis zu einer Maximalenergie) abgibt, oder 125I, das nach Elektroneneinfang („electron capture“) niederenergetische Elektronen mit diskreter Energie emittiert, werden für die elektronenmikroskopische Autoradiographie bevorzugt. Die maximale Energie der β-Strahlen von 3H beträgt 19 keV (Kiloelektronenvolt), jene des β-Strahlers 14C dagegen 156 keV. Die Reichweite ihrer jeweiligen Maximalenergie in Wasser oder Gewebe ist im Millimeterbereich, für das gesamte Energiespektrum, das bei etwa 1/3 der Maximalenergie ein Maximum aufweist, jedoch wesentlich geringer. Derlei Parameter sind ein gravierendes Problem für die Auflösung, wenn man dazu noch bedenkt, dass die Silberkörner einer Ilford-L4-Kernemulsion etwa ≥ 100 nm dick sind und ein β-Strahl daher in einer leicht überlappenden, quasimonomolekularen Schicht über mehrere Silberhalogenidkristalle ein Signal setzen kann. Allerlei Verbesserungen wurden versucht, ohne dass ein Fortschritt, etwa in
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
der Auflösung, erzielt werden konnte. Ein (vergeblicher) Versuch war, durch Fragmentierung der Silberkörner bei der Entwicklung der Kernemulsion die Auflösung zu verbessern. Ein anderer Versuch bestand darin, α-strahlende Isotope einzusetzen, deren maximale Reichweite etwas über 100 µm liegen kann (das natürliche Isotop der Thorium-Zerfallsreihe, Thorium C“, hat in Wasser/Gewebe 107 µm Reichweite), bei sehr hohem linearem Energietransfer (Ionisationsdichte). Jemand konnte in einem führenden Journal eine Arbeit platzieren, in der die α-Strahlen angeblich in einem Magnetfeld gebündelt werden sollten. Für solche unwahrscheinlichen Behauptungen hatte ich als „Gutachter“ einen exzellenten Doktoranden aus der Physik von nebenan, dem ich zeitweise mit EM-Aufnahmen seiner Halbleiterpräparate ausgeholfen hatte: Klaus Weyrich, späteres Vorstandsmitglied der Siemens AG und Leiter der Corporate Technology. Seine Berechnung lieferte ein Ergebnis, über das wir nur spontan lachen konnten. Auch die Sensitivität im Sinne von Signalgebung (Silberkörner) pro Zerfall ist wegen des energieabhängigen Energietransfers verschieden: Für die erwähnte Emulsion sind dies 17 % für 3H und ca. 5 % für 14C (d. h., nur jeder sechste oder zwanzigste Zerfall ergab ein Ag-Korn im Autoradiogramm). Erfahrungsgemäß liegt die Auflösung im Sinne einer statistischen Zuordnung zu Strukturdetails bei der elektronenmikroskopischen Autoradiographie zwischen 80 und 200 nm, je nach der Art des Isotops und der verwendeten Kernemulsion. Kleinere Silberhalogenidkristalle bot eine von Kodak entwickelte Emulsion, wie sie auch für die von der CIA betreuten Aufklärungsflüge der US Air Force aus über 20 km Höhe verwendet wurde. So ausgerüstet war Captain F. G. Powers über der Sowjetunion in seiner U-2 unterwegs, als er 1960 abgefangen und dramatisch vorgeführt wurde. Auf diese Weise ließ sich wenigstens eine etwas bessere Auflösung in der
elektronenmikroskopischen Autoradiographie erzielen. Die Gruppe um Miriam M. Salpeter und den Tiroler Luis Bachmann war ab den 1960er-Jahren führend auf dem Gebiet der Autoradiographie, insbesondere im elektronenmikroskopischen Bereich [24]. Auflösung und Sensitivität wurden für die wichtigsten Radioisotope und Emulsionen experimentell bestimmt. Modellrechnungen für verschiedene geometrische Formen unterschiedlicher Größe machten die Zuordnung auch zu unregelmäßigen oder stark gekrümmten Membranen oder scheibenförmigen Organellen möglich. Daran durfte ich in meiner Postdoc-Zeit an der Cornell University, Ithaca, New York, mitarbeiten. Mit einigen Physikkenntnissen konnte man sich eine Formel mit etlichen Konstanten und experimentellen Parametern zusammenstellen, um die Absolutzahl von Molekülen pro Struktureinheit zu errechnen [42]. Im Zusammenhang mit der Salpeter’schen Forschungsarbeit ergab sich, dass neuromuskuläre Kontaktzonen in verschiedenen Muskeln trotz sehr verschiedener Morphologie und verschiedener biophysikalischer Parameter (langsame gegen schnell arbeitende quergestreifte Muskeln) eine gleichartige Auslegung mit Schlüsselproteinen aufweisen. Besonders sind mir die Arbeiten von George E. Palade in Erinnerung, die mich in den 1960er-Jahren sehr beeindruckt hatten. Zusammen mit Lucien G. Caro hatte Palade 1964 in einer Publikation im Journal of Cell Biology die Autoradiographie erstmals eingesetzt, um die Biogenese und den intrazellulären Transport von Sekretvesikeln im exokrinen Pankreas zu erforschen [25]. 1967 erschien eine mehrteilige Analyse zu diesem Thema unter Einsatz von Pulse-Chase-Experimenten. Dabei werden nach einer kurzen Markierungszeit („pulse“) zu verschiedenen Chase-Zeiten Proben gezogen („chase“ = vertreiben). Diese wurden einerseits für die elektronenmikroskopische Autoradiographie und an-
4.7 · Neue „Highlights“: molekularbiologische Markierungen …
dererseits für Zellfraktionierung aufbereitet. Besonders attraktiv wurde die Autoradiographie durch die Möglichkeit, mittels Lactoperoxidase Radiojodierungen in vivo durchzuführen und die In-situ-Verteilung im elektronenmikroskopischen Bild mit der Messung von Zellfraktionen im Szintillationszähler abzugleichen. Mit dieser Methodik wurden insbesondere der Endocytoseweg und die Anbindung des lysosomalen Abbaus von Oberflächenrezeptoren untersucht. Ein Beispiel war die Bindung von 125I-Insulin an Oberflächenrezeptoren von Blutzellen. Die markierten Proteine können mittels kombinierter Gelelektrophorese und Autoradiographie biochemisch identifiziert werden. Die Gruppe des US-Amerikaners Z. A. Cohn lieferte ab 1960 ein besonders eindrucksvolles Beispiel in einer Publikation im Journal of Cell Biology mit dem Titel „The membrane proteins of the vacuolar system. I. Analysis by a novel method of intralysosomal iodination“ [26]; Fortsetzungen folgten. Das war eine relativ schnelle „Übernahme“, da die Radiojodierung mittels Chloramin T oder Lactoperoxidase erst ab 1977 für biochemische bzw. immunologische Proben entwickelt worden war (Radioimmunoassay, RIA). Schließlich wurde die 125I-Markierung mit Lactoperoxidase 1980 auch für die Analyse an Ganzzellpräparaten eingeführt. Die Silberkörner konnten im Rasterelektronenmikroskop durch Abbildung über Rückstreuelektronen, hervorgerufen durch die Silbermarkierung, dem Sekundärelektronenbild des (Oberflächen-)Rasterelektronenmikroskops überlagert werden („Scanning-EM, SEM oder Raster-EM, REM). Die Deutsche E. Junger, zusammen mit L. Bachmann, und der belgischstämmige É. de Harven leisteten hier in den 1980er-Jahren Pionierarbeit. Eine ähnliche, aber technisch noch anspruchsvollere Anwendung wurde 1997 von dem Japaner K. Fujimoto auch für die Gefrierbruchtechnik entwickelt, um mit goldmarkierten Antikörpern Membranproteine
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und -lipide flächig über dem Gefrierbruchbild abzubilden. Immer strengere Sicherheitsbestimmungen hielten mich zunehmend davon ab, die elektronenmikroskopische Autoradiographie weiter zu betreiben. Die Mengen an Radioaktivität, die wegen der geringen Sensitivität eingesetzt werden mussten, überschritten bald die gesetzlich immer strengeren Grenzwerte. Vieles, was man früher – immer „ohne besondere Vorkommnisse“ – praktiziert hatte, sei es mit Radioisotopen oder im Tierschutz, wurde kaum noch geduldet oder sogar kriminalisiert. Obwohl Tierliebhaber, war es für meine (weiblichen und männlichen) Mitarbeiter, Besucher im EM-Labor und nicht zuletzt für mich selbst immer wieder ein komisches Erlebnis zu sehen, wie Mausefallen, die unser Hightech-Elektronenmikroskop umstellten, wieder und wieder Erfolg verzeichneten, wo man ansonsten in Anträgen für jede veterinärkontrollierte Aktion wie Organentnahme oder Herstellung von Antikörpern Scheine über Scheine ausfüllen musste. Man wird sehen, wohin Übertreibungen einer an sich guten Idee die deutsche Zellbiologie treiben werden. Neuerdings wird lokal sogar verfügt, dass das händisch eingeleitete Ablaichen von Fischen unter das Tierschutzgesetz fällt – ein Fischerjunge darf das.
4.7 Neue „Highlights“:
molekularbiologische Markierungen (optogenetische Methoden)
1962 identifizierte Osamu Shimomura ein grün fluoreszierendes Protein („green fluorescent protein“ = GFP) von 27 kDa Größe in der Nesselqualle Aequorea victoria (Scyphozoa) [27]. Seitdem es für Markierungszwecke auf molekulargenetischer Basis verfügbar gemacht wurde, wird dieses Verfahren bevorzugt für In-vivo-Markierungen verwendet. Ab 1990 entwickelte
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
der chinesischstämmige US-Amerikaner Roger Y. Tsien verschiedene Derivate von GFP für kombinierbare Mehrfachmarkierungen. Das jeweilige Gen kann an das Gen eines spezifischen Zellproteins mit gentechnischen Methoden angehängt und das GFP-markierte Protein („Fusionsprotein“) so intrazellulär verfolgt werden. Wie Roger Y. Tsien 1998 zusammengefasst hat (7 Abschn. 10.3.1), besitzt GFP eine β-Fass-Struktur (β-barrel), von der einzelne Aminosäuren kritisch sind für die Anregung zur Emission der spezifischen Wellenlänge. Für die Entdeckung und methodische Entwicklung bis hin zum Einsatz im biologischen Anwendungsbereich erhielten Osamu Shimomura, Martin Chalfie und Roger Tsien 2008 den Nobelpreis für Chemie. Es war ein faszinierender Siegeszug von der Freilandbeobachtung bis ins molekularbiologische Labor. Daneben wurden bei einigen anderen Meeresbewohnern fluoreszierende Proteine mit verschiedenen Emissionen identifiziert, die somit ebenfalls zur Verfügung stehen. GFP wird zumeist carboxyterminal an ein organelltypisches Translationsprodukt angehängt, sodass man damit automatisch auch die Transkription überprüfen kann. Kaum eine andere Markierungsmethode wird heute häufiger verwendet als die molekularbiologisch bearbeitete Form von GFP, mit einer optimierten Variante („enhanced GFP“, eGFP) oder mit unterschiedlich leuchtenden Derivaten. Ab 1997 stellte A. Miyawaki „Chameleon“-Derivate mit verschiedener Emission her: Cyano- und Yellow-Chameleon, CFP und YFP etc. (Ergänzend sei dazu Folgendes angefügt. In der Qualle A. victoria regt ein Ca2+/Aequorin-Komplex oder der Übergang von Coelenterazid + Ca2+ in Gegenwart von O2 zu Coelenteramid die Fluoreszenz von GFP an.) Bei geeigneter Anregungsenergie benötigt GFP keine Cofaktoren. Man muss aber sicherstellen, dass diese Markierung keine Interferenz bei Expression, Faltung, Transport und Positionie-
rung eines GFP-markierten Proteins mit sich bringt. Die Methode mag sich sogar als unbrauchbar erweisen, wenn es sich um Monomere aus komplexen Molekülaggregaten handelt. Aus alldem wird ersichtlich, dass es die eine Markierungsmethode kaum geben kann. Wir haben gelernt, dass sogar die eleganteste, ansprechendste Methode sehr wohl der Kontrolle mit Alternativmethoden bedarf. Die Auswahl an Möglichkeiten und deren Optimierung hat sich von Jahr zu Jahr vergrößert. Dies gilt nicht nur für Proteine, sondern insbesondere auch für die intravitale Analyse von Ionen wie Ca2+. Es gibt auch hier Ca2+-sensitive Proteinsensoren, die gentechnisch in Zellen eingebaut und konditionell angeschaltet werden können (optogenetische Methoden). Bei den 2001 von einer japanischen Gruppe erzeugten, GECIs genannten Konstrukten („genetically encoded calcium indicators“) beispielsweise handelt es sich um hybride Moleküle, in denen der β-Fass-Anteil von GFP mit Calmodulin (CaM) gekoppelt ist [28]. Wird CaM durch Bindung von Ca2+ aktiviert, so ändert es die Konformation und regt den GFP-Anteil zur Lichtemission an (Fluoreszenzresonanz-Energietransfer, „fluorescence resonance energy transfer“, FRET). Die zu untersuchenden Zellen werden mit GFP-CaM-Konstrukten transfiziert. In ähnlicher Weise wurde das Ca2+-Bindeprotein Troponin C als GECI für Zwei-Photonen-Abbildung konstruiert. (Troponin C ist jenes Protein des kontraktilen Aktomyosins [„μῦς, mys“ = Muskel], das bei der Muskelkontraktion unter Änderung seiner Konformation Ca2+ bindet.) Die intrazelluläre Positionierung von Translationsprodukten derartiger Konstrukte kann für verschiedene Organellen variiert werden, indem die Konstrukte mit entsprechenden Zielsignalen versehen werden. So kann die freie Ca2+-Konzentration in Sekretvesikeln, Endosomen, Phagosomen, im Golgi-Apparat, in Peroxisomen und Mitochondrien, im Zellkern etc. gemessen werden. 2022 wurde
4.8 · Kryomethoden: aussagekräftige Alternativen für die Analyse der …
erstmals die Aktivierung eines Rezeptors vom Typ GPCR (7 Abschn. 10.7) in vivo sowie seine Internalisierung über Endosomen mit einer adaptierten GECI-Methode dargestellt. Zusammenfassend kann Folgendes festgehalten werden: Optogenetische Methoden erlauben es, bestimmte Proteine mit hoher Präzision zu lokalisieren. Das kann die konditionelle Expression unter definierten zellbiologischen Bedingungen beinhalten oder aber die Kombination von Reporterproteinen/-peptiden und Effektorproteinen. Diese Möglichkeiten basieren zumeist auf „green fluorescent protein“ (GFP) oder ähnlichen Produkten bzw. Derivaten davon, deren Gene bei verschiedenen Invertebraten gefunden, kloniert, modifiziert und experimentell vielseitig eingesetzt wurden. Das optogenetische Methodenarsenal wurde 2017 von Rost et al. und 2019 wieder von Dana und Mitarbeitern [29] mit Schwerpunkt Neurobiologie zusammengefasst, wo es derzeit den Haupteinsatzbereich findet. 2021 berichteten Chen et al. (Nature Biotechnol. 39:161), dass an der Maus nach viraler Transfektion mit dem Kanalrhodopsin ChRmin bei geschlossener Schädeldecke die Vitalbeobachtung bis zu 7 mm Tiefe mit Millisekunden Zeitauflösung erreicht werden konnte. Kanalrhodopsine sind Ionenkanäle aus bestimmten Algen, die durch Blaulicht aktiviert werden können, sodass Kationen einströmen und sich das Membranpotenzial ändert. Auf diese Weise kann die elektrische Erregbarkeit eines Neurons durch Lichtpulse kontrolliert werden (Optogenetik).
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4.8 Kryomethoden:
mischer Fixierung, Einbettung und Ultradünnschnitttechnik entwickelt wurde. Hierbei waren in den 1960er-Jahren u. a. Hans Moor und Kurt Mühlethaler von der ETH Zürich Pioniere [30]. Zellen oder Gewebe werden eingefroren, im Vakuum aufgebrochen und als Platin-Aufdampfschicht (Replikat, „replica“) im Transmissionselektronenmikroskop sichtbar gemacht (Details in 7 Abschn. 5.4). Aber auch hier war eine chemische Stabilisierung für die nachfolgende, obligate Frostschutzbehandlung notwendig. Dies beflügelte die Entwicklung alternativer Methoden zum Einfrieren von Einzelzellen und – noch schwieriger – von Gewebeproben ohne chemische Vorbehandlung. Pauschal bringt das Einfrieren hydratisierter (wasserhaltiger) Proben mehrere Probleme mit sich: 5 Die thermische Leitfähigkeit von Eis ist viel geringer als von Wasser. Durch die geringe Kühlrate bilden sich anstelle von amorphem Eis Eiskristalle, welche die Strukturen deformieren oder gar zerstören. 5 Dies gilt insbesondere auch dann, wenn man tiefgefrorene Proben von der Temperatur des flüssigen N2 (–196 °C/77 K) wieder auf höhere Temperaturen bringt, insbesondere im Bereich ≥ –80 °C. Je besser eingefroren wurde, umso mehr fällt der Sekundärschaden durch Rekristallisation beim Auftauen ins Gewicht. (Daher werden biologische Proben für medizinische Weiterverwendung, wie Spermien, besser nach Vorbehandlung mit Frostschutzmitteln und mit einem programmierten, relativ sehr langsamen Temperaturabfall eingefroren.)
Es war wichtig, dass im Gefrierbruch- bzw. Gefrierätzverfahren eine alternative Methode zu den Standardmethoden mit che-
Es wurden einige Methoden entwickelt, welche die chemische Vorbehandlung erübrigen sollten. Diese Methoden der Kryofixation (kρυός, krios = Frost, Eiseskälte) zielten auf möglichst hohe Abkühlraten (°C × s–1 bzw. K × s–1 in Celsius- bzw.
aussagekräftige Alternativen für die Analyse der dynamischen Zellstruktur
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
Kelvin-Graden) im Bereich von 40.000 bis 100.000 °C (oder K) × s–1. Wegen der intrinsischen schlechten Wärmeleitung von sich bildendem Eis sind die Möglichkeiten, hohe Abkühlraten zu erzielen (und zu messen) beschränkt. Für suspendierte Proben war Luis Bachmann von der Technischen Universität München in Garching ein Pionier. Seine Methode des Sprühgefrierens („spray freezing“) wurde 1971 in den Proceedings of the National Academy of Science USA publiziert [31]. Sogleich wurde die Adaptierung für Zellsuspensionen diskutiert. Dies geschah zunächst irgendwo in der Schweiz, wo wir uns beim Umsteigen zwischen zwei Zügen auf der Fahrt zu einem internationalen Kongress für Elektronenmikroskopie zufällig getroffen hatten. Er sprach den hohen Hydratationsgrad der Zellen an, ebenso die Frage, welche physikalischen Restriktionen die Methode mit sich bringen würde. Die Gefahr mechanischer Schädigung beim Versprühen von Zellen war ebenfalls ein naheliegendes Problem. Für eine erste Adaptierung für Zellsuspensionen (1972) [32] testeten wir Spermatozoen, die ich in einer Besamungsanstalt für Rinder, also praktisch beim Primärproduzenten, entgegennehmen konnte. Gleichzeitig testeten wir verschiedene Algen, die auch leicht zu beschaffen waren. . Abb. 6.3a gibt dazu ein Beispiel, in dem lediglich eine feine Körnigkeit des Grundplasmas, jedoch ohne störende Eiskristalle erkennbar ist. Als Letztes testeten wir Paramecium-Zellen, die den höchsten Hydratationsgrad bei nur ca. 10 % Proteinanteil haben. Dieses schwierigste aller Objekte wurde zu einer Liebe fürs Leben, mit dem sich meine Gruppe bis zu ihrer Auflösung immer wieder gern befasste. Um mechanische Schäden durch das Versprühen von Zellsuspensionen zu vermeiden, wurden mit allen Zellarten nach dem Versprühen jeweils Vitalitätstests durchgeführt und die Bedingungen optimiert – aus den oben angeführten Grün-
den natürlich ohne Einfrieren. Nach dem Einfrieren und der Auswertung im Gefrierätzbild sahen wir unter optimalen Bedingungen nur eine sehr geringfügige Granulation durch Mini-Eiskristalle, die das Bild nicht wesentlich störten. Das Problem der Entmischung von „solute and solvent“ war auf ein gut akzeptables Minimum beschränkt. (Dieser Aspekt sollte besonderes wichtig werden für die Lokalisation von Ionen mittels Röntgenmikroanalyse [Abschn. 10.3.3 und 10.3.4].) Auch haben in weiterer Folge die Untersuchungen von biochemischen Parametern wie die Bildung cyclischer Nukleotide, die auf mechanische Störung bereits vor einem sichtbaren Zellschaden im Subsekundenbereich messbar reagieren würden, null Effekt gezeigt (unten). Kurz gesagt: Alle potenziellen Bedenken gegen die Methode konnten experimentell entkräftet werden. 1980 konnten der Physikochemiker Erwin Mayer und sein Mitarbeiter Peter Brüggeler, Innsbruck, eine verdünnte Kupferchloridlösung, CuCl2, mit dem Sprühgefrierverfahren in nichtkristallinem Zustand einfrieren (allerdings unter Bedingungen, die für Zellen zu harsch wären). Mittels Elektronenspinresonanz (ESR) und Röntgenbeugung konnten sie erstmals zeigen, dass Wasser ohne Kristallbildung, also röntgenamorph, eingefroren werden kann; die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Nature veröffentlicht [33]. Die so erzeugte Vitrifikation (ein Begriff, der von Zellbiologen zumeist in nachlässiger, unkorrekter Weise verwendet wurde), d. h. Einfrieren ohne Eiskristallbildung, stand in striktem Gegensatz zu autoritativen Arbeiten, die 1935 und 1974 in der Zeitschrift Science publiziert worden waren. Diese hatten für das Ziel des röntgenamorphen Einfrierens von Wasser lediglich die Kondensation aus der Dampfphase in Betracht gezogen – wenig erfolgversprechende Aussichten für Zellbiologen, denen sich jetzt eine ganz andere Perspektive eröffnete. Wie hochkomplex die Physikochemie von H2O ist, wurde
4.8 · Kryomethoden: aussagekräftige Alternativen für die Analyse der …
mir bewusst, als mir Mayer und Bachmann ein profundes Manuskript zur Durchsicht gaben. Eine weitere Alternative entwickelte sich langsam, ab 1968, auf der Basis einer Doktorarbeit von U. Riehle im Labor von Hans Moor, ETH Zürich: Hochdruckeinfrieren [34]. Hierbei werden Zellen oder Gewebe ohne Vorbehandlung in geeigneten kleinen Behältern für kurze Zeit (< 1 s) einem Druck von ca. 2000 bar ausgesetzt und mit flüssigem Stickstoff beschossen. Dies nutzt das Phasendiagramm von Wasser/Eis aus, indem der Druck die Gefriertemperatur um ca. 20 °C senkt. Der Beschuss mit flüssigem Stickstoff bewirkt eine gute Wärmeabfuhr. Anschließend können die Proben einer chemischen Fixierung und Kontrastierung ab ca. –80 °C mit aufsteigender Temperatur unterzogen werden (Gefriersubstitution), bis sie zur Einbettung bereit sind. Nachdem die Methode bis in die späten 1970erJahre hinein von Martin Müller, auch ETH Zürich, perfektioniert wurde, wurde sie für viele ab ca. 1980 zur Standardmethode, insbesondere für die Lokalisierung auch von löslichen Proteinen. Nachteile sind die hohen Anschaffungskosten der Hochdruckmaschine, die bekannten Nebeneffekte hoher Drücke auf gewissen Zellstrukturen wie Mikrotubuli und das Fehlen jeder zeitlichen Auflösung für dynamische Prozesse. Eine einfachere Variante war das Aufschießen eines Kryogenstrahls auf Einzelschichtzellkulturen („monolayer cultures“). Wegen der hohen Thermokonvektion kann dafür auch flüssiger Stickstoff, besser aber schmelzendes Propan verwendet werden (–187 °C/86 K). Der Schweizer Peter Pscheid hat 1981 in unserem Labor entsprechende Randbedingungen optimiert. (Er wurde Gründungsrektor der Swiss-German University in Jakarta.) Hier stellte sich die Frage, ob es eine zeitaufgelöste Elektronenmikroskopie geben kann. Bachmanns Sprühgefrierverfahren konnten wir ab 1991 zunächst in einer Arbeit im Journal of Cell Biology (G.
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Knoll et al.) zur zeitlich aufgelösten Quenched-Flow-Analyse im Subsekundenbereich adaptieren (ab 30 ms Totzeit; vgl. 7 Abschn. 9.10). Dabei ließen sich anfangs nur Proben für elektronenmikroskopische Analysen präparieren (Gefrierbruch und Gefriersubstitutionsfixierung für Ultradünnschnitte), später aber auch Proben für chemische Analysen ziehen. Mit diesem Ansatz konnten wir zunächst den zeitlichen Verlauf der Exocytose und der exocytosegekoppelten Endocytose an Paramecium Zellen genau untersuchen: An diesen Zellen ließ sich synchrone Exocytose von beinahe allen Exocytoseorganellen (Trichocysten) induzieren. Die so ermittelte schnelle Kopplung von getriggerter Exocytose und Endocytose im Subsekundenbereich war für alle überraschend, denn man hatte bis dato diese Kopplung an Säugetierzellen 100-mal langsamer eingeschätzt (7 Abschn. 9.6.3 und 9.10). Es war uns wichtig, von Anfang an zu zeigen, dass die Zellen die Trigger- und Sprühprozedur – ohne Einfrieren – völlig unbeschädigt durchlaufen. Ebenso konnten späterhin die Bildung von Zweitboten („second messengers“) und deren Zeitverlauf bei stimulierter Cilienaktivität ermittelt werden sowie die Mobilisierung bzw. Umverteilung von Ca2+ während der Stimulation der Exocytose und der Schlagumkehr der Cilien („ciliary reversal“); Letzteres erfolgte mit der elektronenmikroskopischen Röntgen(strahl)-Mikroanalyse (7 Abschn. 10.3.3). Es war erfreulich festzustellen, dass das Sprühgefrierverfahren per se keinen Einfluss auf die zu untersuchenden biochemischen Parameter hatte; dabei war die durch mechanische Stimulation induzierbare Bildung von cyclischen Nukleotiden besonders im Blickfeld – auch sie fand nur bei chemischer Triggerung der Cilienaktivität statt, nicht aber beim Durchlauf ohne Triggerung. An Geweben waren analoge Arbeiten, also Triggerexperimente mit zeitlich aufgelöster ultrastruktureller Analyse, wesent-
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
lich schwieriger, aber in Einzelfällen doch möglich. Dem US-Amerikaner John Heuser gelang ab den 1970er-Jahren das extrem schnelle Einfrieren von Gewebeproben auf einem mit flüssigem Helium gekühlten Silberspiegel. Dabei konnte er Umstrukturierungen der neuromuskulären Kontaktzone im Verlauf der Elektrostimulation in Kombination mit nachfolgender EM-Analyse verfolgen [35]. Die von ihm verwendete Methode für schnelles Einfrieren von Gewebe in Schichten bis zu ≤ 1 µm Tiefe geht im Grunde auf Vorläuferarbeiten des US-Amerikaners A. van Harreveld in den 1960er-Jahren zurück, der Hirngewebe schnell auf einen mit flüssigem Helium gekühlten Silberblock gepresst hatte. (Ihm ging es hauptsächlich um eine in-vivo-adäquate Erhaltung der interzellulären Räume, die für die Kalkulation von Ionenfluxen wichtig sind.) Das sollte ich in frühen Jahren auch einmal versuchen, allerdings mit flüssigem Wasserstoff, da das sehr teure flüssige Helium nicht verfügbar war. Doch dazu kam es nicht. Man weiß ja nie: Vielleicht war es gut, dass ich in der Chemievorlesung vom Sprengstoffgemisch Oxyliquit aus H2 und O2, das unvermeidlich auf kalten Flächen kondensiert, gehört hatte. 4.9 Rückblick und einige weitere
Entwicklungen in der mikroskopischen Technik
Um zum Vergleich der Methoden den Faden noch einmal aufzunehmen: Wesentliche Ergebnisse der Zellbiologie sind dem Transmissionselektronenmikroskop zu verdanken, bei dem sehr dünne Proben, z. B. Zell- oder Gewebeschnitte, flächig – sozusagen im Flutlicht – durchstrahlt werden. Dabei werden die durchtretenden Elektronen abgelenkt (elastische Elektronenstreuung), wo immer Schwermetalle mehr oder weniger spezifisch in die Strukturen eingela-
gert wurden. Lokal können Markierungen mit elektronendichten Markern sichtbar gemacht werden. Die abgelenkten Elektronen werden von einer Blende abgefangen, sodass ein helligkeitsmoduliertes Transmissionsbild auf einem Fluoreszenzschirm abgebildet bzw. mit Fotoeinheiten oder einer elektronischen Registriereinrichtung aufgefangen werden kann. Hierbei haben ab den 1930er-Jahren die ersten Bilder vom Tabakmosaikvirus, das bis dato noch niemand gesehen hatte, sehr überzeugt. Weit weniger erfolgreich erwies sich für die Zellbiologie die erste Form eines Elektronenmikroskops überhaupt, das Rasterelektronenmikroskop (REM oder „scanning electron microscope“, SEM), bei dem zelluläre Oberflächen oder aufgebrochene Zellen mit einem fein gebündelten Elektronenstrahl abgerastert werden; dabei werden Sekundärelektronen freigesetzt und als Signal registriert. (Das gelingt nur mit einer leitfähigen Oberfläche, z. B. nach Besputtern mit einem Schwermetall.) Das Signal hängt von der Oberflächengeometrie bzw. deren Relief ab, das den Abgang der Sekundärelektronen beeinflusst, und kann im gleichen Rasterrhythmus auf einen Oszillographen zur Abbildung übertragen werden. Das REM wurde 1938 von Berliner Physikern entwickelt, aber erst 1965 zur Serienreife gebracht. Viele begeisterten sich für diese anschauliche Methode und fanden auch Verwendung in Bereichen, in denen Veränderungen der Zellform und Oberflächenstruktur eine Rolle spielen, wie in der Krebsforschung. REM-Präparate von Zellen müssen, um Artefakte durch Scherkräfte beim Trocknen zu vermeiden, einer „Kritisch-Punkt-Trocknung“ unterzogen werden – ein Verfahren das 1951 von T. F. Anderson in einer kurzen Abhandlung in den Transactions der N. Y. Academy of Science publiziert wurde [36]. Dabei werden mechanische Effekte der Oberflächenspannung durch Ausnutzung des Phasendiagramms des Präparationsmediums umgangen.
4.9 · Rückblick und einige weitere Entwicklungen in der mikroskopischen Technik
Dabei hatten die ersten Elektronenmikroskopiker ein völlig anderes Ziel im Sinn: die Registrierung der extrem hohen, aber auch extrem kurzen Spannungsspitzen bei Blitzeinschlägen mit einem Kathodenstrahloszillographen. Dieses Ziel war nicht erreichbar, und so baute man an der Technischen Universität Berlin eben ein erstes Elektronenmikroskop mit einem Kathodenstrahloszillographen als Registriereinheit für Sekundärelektronen. Beteiligte der ersten Stunde waren ab 1938 Manfred von Ardenne, Max Knoll und sein Doktorand Ernst Ruska. Dieser beschreibt 1979 in einem Band der Acta Historica Leopoldina die Entwicklung insbesondere des Transmissionselektronenmikroskops (TEM) mit allen formalen und technischen Schwierigkeiten [37]. Die Gutachten, die für die Finanzierung eingeholt wurden, waren zumeist sehr negativ. Trotzdem wurde die erste EM-Aufnahme einer Zelle bereits 1945 von dem US-Amerikaner Keith Porter angefertigt. Erst wesentlich später wurden auch Dünnschnitte oder Spreitpräparate von Membranen gerastert, um – in diesem Fall transmittierte elastisch gestreute Elektronen – Punkt für Punkt und Zeile für Zeile zu registrieren (Rastertransmissionselektronenmikroskop, „scanning transmission electron microscope“, STEM). Der Vorteil ist die geringere lokale Verweildauer des Elektronenstrahls und dadurch eine geringere Strahlenbelastung. H.-P. Zingsheim in Göttingen konnte auf diese Weise 1977 bis 1980 strukturelle Daten zu bakteriellen Membranen und zum Acetylcholinrezeptor-Molekül erhalten (7 Abschn. 14.9.3). Eine neue Entwicklung ist die Ausstattung eines konventionellen REM-Geräts mit einem zweiten, sehr energiereichen Strahlsystem („focussed ion beam“, FIB) zum schichtweisen Wegätzen von Probenmaterial („ion beam milling“), wodurch zweidimensionale Zusammenhänge zwischen Membranen sichtbar werden; im
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Vergleich dazu erscheint eine schichtweise Analyse über Serienschnitte viel aufwendiger. G. Wanner, München, setzte die Methode ein, um die Feinstruktur von Chromosomen zu ermitteln, in weiterer Folge, ab 2018, auch in Kombination mit Immunogoldmarkierung. Das Rastertunnelmikroskop („atomic force microscope“, Atomkraft- oder Rasterkraftmikroskop) wurde 1982 von Mitarbeitern von IBM Zürich entwickelt und im Detail in kurzer Folge publiziert. Das Gerät erzielt zwar höchste Auflösung (im Nanometerbereich), ist aber doch in seiner zellbiologischen Anwendung sehr beschränkt. Eine extrem feine Metallspitze wird nahe (≈ 1 nm) an die Probenoberfläche herangeführt. Durch diesen kleinen Abstand können Elektronen spontan aus der Metallspitze austreten („durchgetunnelt werden“). Wenn man eine geringe Spannung anlegt, kann man diesen Tunnelstrom messen. Die Probe wird Punkt für Punkt und Zeile für Zeile abgerastert. Die Metallspitze wird dann, bei konstant gehaltenem Abstand oder Tunnelstrom, Informationen über die Geometrie der Oberfläche registrieren, sie kann also ein dreidimensionales Relief „sehen“ und darstellen. Dementsprechend wurden vorzugsweise molekulare Aggregate bzw. reguläre Strukturen wie Gap Junctions (7 Abschn. 5.5.1) oder der Self-assembly-Prozess von Centriolen etc. untersucht. Interessant sind Messungen der Bindekraft zwischen Liganden (z. B. Antikörper) und Rezeptoren, aber auch der Viskosität bzw. Steifheit von Zelloberflächen. Entsprechende Analysen tätigte der deutsche Biophysiker Gert Kaupp in den 1990er-Jahren. 1986 erhielten die beiden Physiker Gerd Binnig aus Deutschland und der Schweizer Heinrich Rohrer, welche die Rastertunnelmikroskopie am meisten vorangebracht hatten, gemeinsam mit dem „Vater des Elektronenmikroskops“ Ernst Ruska aus Berlin den Nobelpreis für Physik.
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Kapitel 4 · Entdeckung von zellulären Innenstrukturen, Funktionen und Dynamik der Zelle
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Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information Inhaltsverzeichnis 5.1 Frühe Einsichten – 70 5.2 Eine mit Proteinen bestückte Lipiddoppelschicht als Grundstruktur von Biomembranen – 71 5.3 Elektrophysiologische Aspekte der Membranstruktur und -funktion – 74 5.4 Komplexität der Membranproteine und ihre Mobilität – 76 5.5 Zell-Zell- und Zell-Matrix-Verbindungen – 82 5.6 Membran-Mikrodomänen – 87 5.7 Stoffaustausch – 93 Zitierte Literatur – 95
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Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
In der Zellmembran, wie in intrazellulären Membranen auch, liegt nach Erkenntnissen vom Beginn des 20. Jahrhunderts als Grundstruktur eine molekulare Doppelschicht aus Lipiden vor („lipid bilayer“), die lokal unterschiedliche Komponenten in den beiden Hälften enthält. In den Biomembranen sind, wie sich in den 1960er-Jahren zeigte, sehr variable Proteine eingebaut oder angelagert (integrale und periphere Proteine), die zum Teil unsymmetrisch und lateral heterogen verteilt sind. Dies gilt insbesondere für Mikrodomänen in der Zellmembran (Caveolae und „flache Mikrodomänen“), Miniplattformen für Signaltransduktion und Vesikelverkehr, die erst in den letzten Jahrzehnten entdeckt wurden. Sie enthalten neben spezifischen Lipidkomponenten auch Glykosylphosphatidylinositol-(GPI-)verankerte Proteine. Besonders die Zellmembran zeigt daher eine Asymmetrie in den Lipiddoppelschichten und eine laterale Mikrozonierung. Die Zellmembran dient insgesamt als Grenzfläche zur selektiven Regulation des Stoff- und Informationsaustauschs, sei es über Ionenkanäle oder über andere Transporter oder aber über die Bildung intrazellulärer Zweitboten (Second Messengers). Prinzipiell gilt das Gesagte auch für Pflanzenzellen, die ebenfalls GPI-Proteine und Mikrodomänen besitzen, aber keine Caveolae. Sie haben auch nicht die Zell-Zell-Verbindungen und Zell-Matrix-Verbindungen, wie wir sie von tierischen Geweben kennen. Auch die Signaltransduktion weist erhebliche Unterschiede auf, wobei wesentliche Aspekte noch der experimentellen Aufklärung bedürfen. Jedenfalls gibt es für ähnliche Probleme bei pflanzlichen und tierischen Zellen unterschiedliche Problemlösungen.
5.1 Frühe Einsichten
Wenn wir ein Jahrhundert überblicken, so stellen wir nach den Erfolgen mit biochemischen und biophysikalischen Methoden einen relativ langsamen Erkenntnisfortschritt fest, der nur durch neue Methoden und Methodenkombinationen stetig weitergetrieben werden konnte. Jede Zelle, sei sie vom prokaryotischen oder vom eukaryotischen Typ, ist von einer Zellmembran (Plasmalemma) umgeben. Diese Zellmembran hält das Innere der Zelle (Cytoplasma) zusammen, denn dieses ist wegen des hohen Wassergehalts von durchschnittlich 85 % teilweise flüssig und beinhaltet Kationen und Anionen in jeweils kontrollierter Konzentration, die für die Funktion wichtig sind. Da die Zellmembran mit größenordnungsmäßig etwa 10 nm (10–8 m) Dicke nicht direkt im Lichtmikroskop sichtbar ist, gab es vor der Verfügbarkeit des Elektronenmikroskops nur indirekte Methoden zu ihrer Analyse. Rote Blutkörperchen finden im Blutserum (oder Blutplasma, wenn noch alle Proteine mit enthalten sind) eine definierte Umgebung vor, die ihre Membran schützt. Werden sie in Wasser suspendiert, platzen sie. Die Zugabe von Ionen kann bei geeigneter Konzentration über eine gewisse Zeit ebenfalls eine Stabilisierung bewirken. Für Kochsalz liegt sie bei 0,9 % (isotone Kochsalzlösung). Wird mehr NaCl zugesetzt (hypertone Lösung), schrumpeln die Erythrocyten, bei weniger NaCl (hypotone Lösung) quellen und platzen sie. Dann können die Zellmembranen vom Inhalt durch Zentrifugation abgetrennt werden. Mit der Zeit entdeckte man, dass eine gewisse Ionenkombination, wie die nach dem britischen Physiologen Sidney Ringer benannte Nährlösung, bessere Überlebensbedingungen gewährleistet. Dazu hatte er in den Jahren von 1875 bis 1895 über 30 Arbeiten veröffentlicht. Insbesondere für das überlebende
71 5.2 · Eine mit Proteinen bestückte Lipiddoppelschicht als Grundstruktur …
Herz stellte sich Ca2+ als essenzieller Bestandteil heraus. Dieses war wohl in den von seinem Adlatus mit Leitungswasser hergestellten Lösungen ausreichend enthalten – seine Lösungen waren erfolgreicher als Ringers eigene, bis dieser die Wichtigkeit von Ca2+ entdeckte. Weiter verfeinerte Lösungen werden auch aktuell für die Präservierung von Zellen oder explantierten Organen für die Transplantation verwendet. In ähnlicher Weise kann man bei pflanzlichem Gewebe, dessen Zellen ja zusätzlich von einer starren Zellwand umgeben sind, bei Einwirkung einer hypertonen Lösung ein Abheben des Zellkörpers (mit Zellmembran) von der Zellwand feststellen; diese „Plasmolyse“ ist bei Verdünnung des Außenmediums reversibel („Deplasmolyse“). Der deutsche Pflanzenphysiologe Wilhelm Pfeffer hat um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer einfachen experimentellen Anordnung den Innendruck pflanzlicher Zellen am Punkt der beginnenden Deplasmolyse, den osmotischen Innendruck, gemessen. Er erfand auch die nach ihm benannte Nährlösung, in der Pflanzengewebe gut überleben können. All dies war ein deutlicher Hinweis auf die Existenz einer Grenzfläche, der Zellmembran, und eines konkreten inneren Ionenmilieus, auch bei Pflanzen. Zur Klärung der Frage, wie diese Membran gebaut sein sollte, bedurfte es jedoch subtilerer Experimente.
5.2 Eine mit Proteinen bestückte
Lipiddoppelschicht als Grundstruktur von Biomembranen
Entscheidend waren Experimente des britischen Biologen Charles E. Overton, der um 1895 beobachtete, dass die Permeation (Diffusion durch Membran) verschiedener niedermolekularer Stoffe von deren Fettlöslichkeit (Lipophilie) abhängt [1]. So dringt zum Beispiel Harnstoff (Urea) leicht
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in die Zellen ein, Zuckermoleküle dagegen nicht. Daraus schloss er, dass die Zellmembran aus Lipiden bestehen müsse. Folgerichtig extrahierten die Niederländer Evert Gorter und François Grendel 1925 die Lipide von Erythrocyten, die ja keine Innenmembranen enthalten, und träufelten sie auf das mit Wasser gefüllte, flache Becken eines sogenannten Langmuir-Troges auf [2]. Die dünne Lipidschicht wird durch die Interferenzfarbe sichtbar – ähnlich wie eine dünne Ölschicht auf einer Pfütze. Ein Schieber erlaubt es, im Langmuir-Trog die Lipidschicht zu komprimieren, bis die monomolekulare Lipidschicht ihre Farbe ändert, entsprechend dem Zusammenbruch des monomolekularen Zustands durch Überschieben von Lipidmolekülen. Just bevor dieses eintritt, wurde die Fläche gemessen und in Relation gesetzt zur Fläche der Erythrocyten, deren Größe aus der Oberfläche der einzelnen Erythrocyten und der eingesetzten Gesamtzahl ermittelt wurde. Es zeigte sich, dass die im Langmuir-Trog gemessene Fläche doppelt so groß war wie die errechnete Fläche. Also musste die Zelle von einer Lipiddoppelschicht umgeben sein. So wurde 1925 die Bilayer-Hypothese geboren. Allerdings hatten die Experimentatoren Glück, weil sich zwei gravierende Messfehler gegenseitig kompensiert hatten. Nach dem US-Chemiker J. F. Danielli und dem britischen Physiologen H. Davson (1935), die diese Membrangrundstruktur erstmals vorstellten, wird diese Hypothese auch das Danielli-Davson-Modell der Biomembranen genannt [3]. Hier stehen sich die Lipidschichten in einem Sandwich so gegenüber, dass die hydrophoben („wasserscheuen“) Lipidschwänze ins Innere der Doppelschicht gezwungen werden. Allerdings hatte James F. Danielli gemeinsam mit E. N. Harvey 1935 seinerseits eine interessante Entdeckung beigetragen [4], die man so aus dem Titel des Aufsatzes im Journal of Cellular Physiology zunächst nicht erwarten würde: „The tension at the surface of Mackerel [Makrele]
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Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
egg oil, with remarks on the nature of the cell surface.“ Im „Summary“ schreiben sie: „The physical basis for this low interfacial tension has been partly established (probably the adsorption of a globulin-like protein at the oil surface)“, das heißt: Die physikalische Grundlage für diese geringe Spannung zwischen den beiden Flächen konnte mit einiger Wahrscheinlichkeit identifiziert werden (und zwar durch die Adsorption eines globulinartigen Proteins an der Öloberfläche). In Klammern ist also der wesentliche Befund angeführt, dass Öltropfen (und daher wohl auch Lipidmembranen) Proteine gebunden haben. Bei aller funktionellen Vielfalt ist die Grundstruktur der verschiedenen Biomembranen recht ähnlich (. Abb. 5.1). Erfolgreich verifiziert wurde die Lipiddoppelschicht-Hypothese („lipid bilayer hy-
pothesis“) durch alternative Methoden, wie sie gerade verfügbar wurden. Die eine war die Röntgenbeugung, die andere die Messung der elektrischen Kapazität. 1935 publizierte der US-Amerikaner Francis O. Schmitt mit Mitarbeitern eine Zusammenfassung seiner Arbeiten mit Proben von Nerven in der Zeitschrift Radiology [5], der richtungweisende Originalarbeiten in den Jahren zuvor vorausgegangen waren. Die Röntgenbeugungsmethode erlaubt die Feststellung von quasikristallinen Strukturen im Beugungsbild von Röntgenstrahlen, die zweite Methode erlaubt eine Analyse, die auf der Eigenschaft der Zellmembran beruht, sich wie ein Kondensator zu verhalten. Diese zweite Methode läuft unter dem Namen „Spannungsklemme“ („voltage clamp“) und wurde am Forschungsinstitut in Woods Hole, Massachusetts, USA,
. Abb. 5.1 Modell einer Zellmembran (Oberflächenmembran, Plasmalemma): Doppelschicht von Phospholipiden mit orange gefärbten lipophilen Fettsäureschwänzen und rot gefärbten hydrophilen Köpfchen. Eingelagert sind Transmembranproteine (integrale Proteine, meistens in außenseitig glykosylierter Form [Glykoproteine mit Glykosylresten = Zuckerreste, grüne Scheibchen]) einschließlich Ionenkanäle. Andere Proteine bzw. Glykoproteine (grün) sind in der äußeren Membranhälfte mit einem GPI-Rest verankert (Glykosylphosphatidylinositol, GPI). Auch Membranlipide können glykosyliert sein (Glykolipide). In der Zellmembran weisen die Glykosylreste stets nach außen. Daneben gibt es noch membranassoziierte Proteine, fallweise mit Anbindung an das Cytoskelett. Cholesterin (gelbe Symbole) kommt in beiden Hälften der Lipiddoppelschicht vor, jedoch in asymmetrischer Verteilung. Ein derartiger Aufbau von Biomembranen gilt auch für Vesikel des intrazellulären Vesikelverkehrs, von denen einige mit der Zellmembran verschmelzen, sodass die Glykosylreste nach außen zu liegen kommen. Auf diese Weise entsteht die Glykokalyx über ungetriggerte (= konstitutive) Exocytose. (Quelle: [49], ergänzt mit GPI-Proteinen)
5.2 · Eine mit Proteinen bestückte Lipiddoppelschicht als Grundstruktur …
realisiert. Die beiden US-amerikanischen Biophysiker K. S. Cole und G. Marmont etablierten 1947 diese Methode der Spannungsklemme, bei der das Membranpotenzial festgehalten wird und rechteckige Impulse aufgesetzt werden [6]. Dabei kann der Anteil verschiedener Ionen am Signal in Abhängigkeit von der Spannung bestimmt werden. Nebenbei wurde die elektrische Kapazität der Membran mit 1 µF × cm– 2 (Microfarad) bestimmt – ein Wert der später für viele Biomembranen ermittelt wurde; er beruht auf den Eigenschaften der Lipiddoppelschicht und ist zu Ehren des großen Biophysikers Michael Faraday benannt (F, Faraday-Einheit). Es ist interessant zu sehen, wie Jahrzehnte später, 1981, die Patch-Clamp-Analyse noch viel feinere Details der Zellmembran und noch dazu mit ungeahnter zeitlicher Auflösung zu untersuchen erlaubte (7 Abschn. 9.6.3). Inzwischen ging das Modellieren biologischer Membranen weiter. Die Vorstellung einer Lipiddoppelschicht nach Davson und Danielli fand ihr strukturelles Äquivalent in der elektronenmikroskopischen Struktur, die der US-Amerikaner J. David Robertson ab den 1950er-Jahren in praktisch allen biologischen Membranen vorfand und als „unit membrane“ bzw. Einheitsmembran bekannt machte [7]; übrigens gilt dies auch für künstliche Lipidmembranen. Sie alle weisen nach der üblichen Fixierung mit OsO4 eine Bänderung auf: schwarz-weiß-schwarz. Ich habe Robertson noch vor Augen, wie er darüber bei einem Kongress mit Begeisterung vortrug und letzte neueste Daten nach einem Telefonat mit seinen Mitarbeitern einfließen ließ. Die Erklärung dieser Struktur, obwohl eher komplex, wurde bereits ab den 1930er-Jahren vom Deutschen R. Criegee vorweggenommen. Durch die Bildung von mono- und bicyclischen Osmatestern an Doppelbindungen der Fettsäuren müsste die Struktur allerdings eher weiß-schwarzweiß sein. Erst Ende der 1960er-Jahre wies J. C. Riemersma [50] nach, dass diese Os-
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matester größtenteils hydrolysieren und dabei OsO2 bzw. anionisches OsO32– freisetzen, das sich an periphere Membranproteine mit positiver Ladung anlagert. Dennoch wurde mehrmals der Versuch unternommen, prinzipiell andere Membranmodelle zu etablieren. So schlug David Green (USA) in den 1960er-Jahren für die innere Membran der Mitochondrien quer durch die Membran eine granuläre Struktur vor, mit der Maßgabe, diese Granulierung repräsentiere distinkte Einheiten oxidativer Enzyme („Oxysomen“). In solchen Fällen wäre es geboten gewesen, im Elektronenmikroskop Fokusserien anzufertigen, weil sich im Überfokus justament derartige Strukturen als Beugungsscheibchen einstellen. (Nur in der Fokusebene werden Punkte korrekt als solche abgebildet.) Die US-Biochemiker Britton Chance und Efraim Racker kommentierten das in einer gedruckten Diskussion einigermaßen hämisch: „When we see Green we see red.“ Den zweiten Fall einer überzogenen Verallgemeinerung einer Biomembranstruktur boten die Gap Junctions. (Spaltverbindungen sagt niemand, weil hier zwischen benachbarten Zellen ironischerweise gerade kein Spalt zu sehen ist.) Nur im Gefrierbruchbild liegt hier eine granuläre Struktur vor, bedingt durch die dicht gepackten Aggregate von Connexin-Proteinen (Connexone, 7 Abschn. 5.5.1). Dies ist jedoch eine Sonderbildung, wie andere Zell-Zell-Adhäsionsstrukturen auch. Die Grundstruktur ist in diesen Fällen ebenfalls eine Lipiddoppelschicht. Dass Biomembranen mit peripheren Proteinen beschichtet sind, dafür hatte man anfangs lediglich indirekte Indizien. Jedoch auch die in Seeigeleiern enthaltenen Vesikel verhielten sich bei Zentrifugation so, als ob sie cytoplasmaseitig eine Proteinschicht angelagert enthielten. Daher wurde dem Modell des „bimolecular leaflet“ von Lipiden noch eine Schicht von adsorbierten Proteinen aufgelegt (periphere = lösliche = extrinsische Proteine).
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Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
Bis in die 1970er-Jahre blieb das Problem, wie Nichtlipide, wie z. B. Zucker oder Purin- und Pyrimidinbasen, ins Innere der Zelle aufgenommen werden können, im Detail ungelöst. Es wurde von fährbootartigen Proteinen in der Zellmembran ausgegangen, die wie Rezeptoren die zu transportierenden Moleküle binden, mit ihnen in die Zellmembran eintauchen und sie auf der Cytoplasmaseite abgeben sollten, bevor sie wieder auf die ursprüngliche Seite zurückkehren. Ein derartiges Konzept hat Martin Klingenberg während meiner Postdoc-Zeit in München vertreten. Anfang der 1970erJahre hatte man noch keine Kenntnis von nichtflottierenden Carrierproteinen von der Art integraler Proteine. Mit der Zeit lernte man verschiedene Transporter kennen: 5 Passive Transporter wie Ionenkanäle, die keiner Energiezufuhr bedürfen; 5 aktive Transporter wie Ionenpumpen, die als ATPasen funktionieren; 5 Carrier, die keine direkte Energiezufuhr benötigen (fallweise jedoch indirekt, wenn z. B. beim Transport von Glukose Na+ gleichzeitig mittransportiert [Kotransport oder Symport] und sekundär wieder aus der Zelle hinausgepumpt werden muss). Darüber hinaus unterscheidet man noch zwischen Uniportund Antiport-Systemen, wobei Letztere zwei Substanzen im „Gegenverkehr“ transportieren. 5 Schließlich dient Aquaporin als Transmembranprotein für den schnellen Ausgleich des Wassergehalts zwischen Zellen oder zu ihrer Umgebung. Gleich nach der Neugründung der Universität Konstanz (1965) hat sich der Lehrstuhl von Peter Läuger († 1990) ab 1968 molekularen Transportprozessen, insbesondere der Funktion von Carriern bzw. Ionenkanälen, gewidmet; leider ist diese Tradition mit H.J. Apell langsam ausgeklungen. Wo immer man auf Kongressen nach der Herkunft ge-
fragt wurde, hieß es fast immer: „Oh, same university as Peter Läuger.“ 5.3 Elektrophysiologische
Aspekte der Membranstruktur und -funktion
Man kannte über Jahrzehnte keine distinkten Carrier-Membranproteine, die mit fixer Orientierung quer durch die gesamte Zellmembran hindurchreichen und selektiv gewisse Aminosäuren, Zuckermoleküle und Nukleotide oder – sehr selektiv – Ionen durch die Membran transportieren können. Dies gilt sowohl für Pro- als auch Eukaryoten, gerade auch für Ionen. Ionenkanäle sind ja besonders in Neuronen für den raschen Fluss von Ionen bei elektrischer Erregung erforderlich – ein Phänomen, das erst einmal von den Elektrophysiologen als Black Box, also ohne Kenntnis der molekularen Identität, bearbeitet wurde. Man lernte im Laufe der geschichtlichen Entwicklung bereits viele funktionelle Details von Ionenkanälen kennen, bis sie als integrale (= intrinsische) Membranproteine erkannt wurden, die quer durch die Membran verlaufen und bei Aktivierung durch eine Konformationsänderung im Ångström-(Å-)Bereich durchlässig, also im Sinne der Elektrophysiologie leitfähig, für distinkte Ionen werden (1 Å = 0,1 nm). Beispiele sind Kanäle für Na+, K+, Ca2+ und Cl–, deren Durchmesser selbst im Ångström-Bereich liegt. Manche derartigen Kanäle reagieren auf elektrische Signale (wie Depolarisation), sobald sie die Zellmembran erreichen, mit einer Änderung ihrer Konformation (eines intramolekularen Tunnels) und damit ihrer Leitfähigkeit. Damit war die Grundlage geschaffen, die Zellmembran als Empfänger exogener Signale und als Übermittler für solche Signale zu etablieren. Beispielsweise wurde die Existenz eines der wichtigsten Ionenkanäle, der spannungsabhängigen Na+-Kanäle, bereits An-
5.3 · Elektrophysiologische Aspekte der Membranstruktur und -funktion
fang der 1950er-Jahre von den Briten A. L. Hodgkin und A. F. Huxley erkannt [8]. Wie die Experimente von S. Ringer gezeigt haben, müssen verschiedene Ionen im Medium (wie auch im Blutplasma) in adäquater Konzentration vorliegen (Isotonie). Die richtige Verteilung von Kationen innen und außenseitig gewährleistet aber auch die elektrischen Eigenschaften, z. B. die Reizleitung in Neuronen. Darüber hinaus gewährleisten die ionalen Bedingungen aber auch mechanische Stabilität, etwa wenn Erythrocyten – bei Intravitalbeobachtung – schnell durch Endverzweigungen der Kapillaren „durchrauschen“ und sich dabei sogar etwas verformen. Erythrocyten sowie verschiedene Gewebezellen verfügen über die in den 2010er-Jahren entdeckten Kationenkanäle vom Typ „Piezo“, die durch Scherkräfte aktiviert werden (mechanosensitive Kanäle); sie vermitteln den Einstrom von Ca2+ und einen nichtselektiven Kationenstrom. Sie lassen uns über Sensorzellen in der Haut feine Berührungen oder einen leisen Windhauch spüren (den Pflanzen über andere Kanäle registrieren; 7 Abschn. 16.6.3). Damit können aber auch lokale Formveränderungen der Zellen gewährleistet werden, wie dies z. B. beim Blutstrom durch die engen Kapillaren erforderlich ist. Wie 2022 in der Zeitschrift Blood berichtet wurde (7 https://doi.org/10.1182/ blood.2022016504), kann eine Mutation im Fötus oder auch noch bei Neugeborenen ein Aufreißen der Erythrocyten bewirken (Hämolyse mit letalem Effekt). Kanäle vom Typ Piezo kommen auch bei Invertebraten und – wenig beachtet – bereits in bestimmten Protozoengruppen vor (z. B. Ciliaten). Bis zur annähernden molekularen Identifikation dauerte es bis in die 1980er-Jahre und bis in die Gegenwart wird immer noch an Details geforscht, häufig nach Rekonstitution in künstliche Lipiddoppelschichten oder in Empfängerzellen ohne die betreffenden Kanäle (heterologe Expression). Zur Rolle von Ionenfluxen bei der Signaltransduktion vgl. unten und 7 Kap. 10.
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Der Fortschritt der molekularbiologischen Methodik erlaubte es auch, Ionenkanäle, die im ursprünglichen Gewebe nicht leicht für die elektrophysiologische Analyse zugänglich sind, in den relativ großen Seeigeleiern (Durchmesser ≈ 100 µm) zu exprimieren. Dies erfolgt als heterologe Expression nach Transfektion mit dem Gen des entsprechenden Ionenkanals einer anderen Spezies. Eine Bemerkung am Rande: Abgesehen von diesen relativ großen Zellen können nunmehr für eine heterologe Expression von Proteinen, die man dann „rekombinante Proteine“ nennt, viele Zelltypen, inklusive menschlicher Zellen, herangezogen werden (7 Abschn. 6.10). Die Methode wurde 1972 durch den US-Amerikaner Paul Berg begründet, wofür er 1980 mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt wurde. Im Einzelfall wird noch immer um die genaue Topologie bestimmter Ionenkanäle innerhalb der Biomembranen gerungen. So dauerte es einige Jahrzehnte, bis z. B. die Zahl der Transmembrandomänen der Ca2+-Kanäle des sarkoplasmatischen Retikulums („Ryanodinrezeptoren“, RyR) genau bestimmt werden konnte. Dies gelang für RyR-Typ-Ca2+-Kanäle erst ab 2008, nachdem, basierend auf experimentell zuverlässig identifizierten Einzelfällen, verlässliche Algorithmen entwickelt worden waren. Bis dahin wurde durchweg von vier Transmembrandomänen ausgegangen. Erst meine Mitarbeiterin Eva Ladenburger konnte 2011 an einer mutmaßlichen evolutiven Vorläuferform dieses Kanals, eines „RyR-like protein“ von P. tetraurelia, sechs Transmembrandomänen identifizieren [9]. Daran schlossen sich 2015 zwei entsprechende Berichte mit Mammalierzellen an, einer davon in der Zeitschrift Nature unter Verwendung von Tieftemperatur-Elektronendiffraktometrie (Elektronenbeugung; 7 Abschn. 5.4.1). Dies ist eine zwar aufwendige, aber nützliche Alternative zur Röntgenbeugung, die sich bei nichtkristallinen Proben ja verbietet.
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Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
5.4 Komplexität der
Membranproteine und ihre Mobilität
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Dass es neben „löslichen“ oder „peripheren (= extrinsische) Membranproteinen“ auch solche gibt, die in Pufferlösungen unlöslich sind (in die Membran „integrierte“ Proteine = intrinsische Membranproteine), musste erst einmal mit einigem Aufwand bewiesen werden. Ausschlaggebend war auf biochemischer Seite, Lipidlösungsmittel zu verwenden, um bestimmte Proteine in Lösung zu bekommen; auf struktureller Ebene war es die Entwicklung der Gefrierbruch-/Gefrierätztechnik in den 1960er-Jahren durch die Schweizer Hans Moor (in seiner Doktorarbeit) und Kurt Mühlethaler an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich [10]. Nachdem Zellen oder Gewebe eingefroren und bei –100 °C (173 K) aufgebrochen worden waren und man die Bruchfläche mit Platin in einem schrägen Winkel bedampft hatte, wurde nach Ablösen des biologischen Materials im Elektronenmikroskop eine Art 3D-Relief sichtbar. Hierzu war von verschiedenen Forschergruppen der wichtige Nachweis geführt worden, dass Biomembranen in der Mitte der Lipiddoppelschicht aufgebrochen werden („Gefrierbruch“). Einer der Akteure war der portugiesischstämmige Pedro Pinto Da Silva im Labor von Daniel Branton, Harvard University, USA. Dabei werden ca. 10 nm große Partikel sichtbar, die „MIPs“, was man später getrost als „membrane-intercalated particles“ oder „membrane-integrated proteins“ lesen konnte. Branton war damals noch vorsichtig; er schrieb: „Examination of these faces suggests that the biological membrane is organized in part as an extended bilayer and in part as globular subunits“ [11]. Nach dem Bruch kann noch Eis weggeätzt werden, sodass auch die Membranoberfläche sichtbar wird („Gefrierätzung“).
Segmente einer Polypeptidkette, die einen hohen Anteil an apolaren (wasserabweisenden, lipophilen) Aminosäuren enthalten, sind vorbestimmt für eine Position innerhalb einer Membran – man könnte sagen, sie bleiben einfach in der Lipidschicht „stecken“. Der Transmembranbereich ist um die 20 Aminosäuren lang. Es kann pro Protein einen einzigen derartigen Bereich geben oder mehrere bis viele. Darauf beruhte die Prognose, ob ein integrales Membranprotein vorliegt, sie führte aber zu Unsicherheiten. Erst 2008 wurden derlei Prognosen relativ verlässlich. Der Transmembranbereich ist häufig α-helikal strukturiert. Je nach Position des amino- und des carboxyterminalen Endes (intra- oder extrazellulär) und der Zahl der Durchgänge durch die Membran werden verschiedene Subtypen von integralen Membranproteinen unterschieden. Darüber hinaus gibt es noch integrale Proteine mit β-Fass-Struktur („β-barrel“). In der Außenmembran (besonders von gramnegativen) Bakterien und der Außenmembran von Mitochondrien und Chloroplasten bilden sie Poren (Porine, 7 Abschn. 5.7.3). Diese Proteine wurden von dem US-Bakteriologen Hiroshi Nikaido um 1976/1977 erstmals beschrieben [12]. Darauf wurde ihm der Ehrentitel „the Porinologist“ zuteil. 5.4.1 „Fluid mosaic model“
(Flüssig-Mosaik-Modell) der Biomembranen und ihre Proteine
Zunächst hat die US-amerikanische Gruppe von L. D. Frye und M. Edidin die Fluidität der Lipiddoppelschicht durch Fusion von Zellkulturen aus Maus und Mensch dokumentiert [13]. Dazu wurden jeweils fluoreszenzmarkierte Antikörper gegen spezifische Proteine der Zelloberfläche eingesetzt.
5.4 · Komplexität der Membranproteine und ihre Mobilität
Mit zunehmender Inkubationszeit vermischten sich die Signale – ein klares Indiz für die laterale Mobilität der Membranproteine. Die Daten wurden 1970 im Journal of Cell Science publiziert. Erst dann haben die US-Amerikaner S. J. Singer und G. L. Nicolson 1972 in der Zeitschrift Science das neue Membranmodell als das Flüssig-Mosaik-Modell („fluid mosaic model“, Singer-Nicolson-Modell), breitflächig popularisiert [14]. (Eigentlich müsste man ja vom Frye-Edidin-Modell sprechen.) Demnach driften die integralen Membranproteine wie Eisberge in einem Lipidsee. (Die Temperatur für den Phasenübergang flüssig/fest der Membranlipide muss im Organismus so eingestellt sein, dass die Masse der Lipide im flüssigen, also im zweidimensional diffusionsfähigen, Zustand vorliegt. Dementsprechend haben beispielsweise Zellen der Haut an der Spitze eines Elefantenohrs mehr ungesättigte Fettsäuren als anderswo im Körper.) Zusätzlich konnte später an einzelnen Membrantypen gezeigt werden – so von dem US-Amerikaner C. Hackenbrock [51] in den 1980er-Jahren –, dass die Proteine in einem elektrischen Spannungsfeld diffundieren und in einer Relaxationsphase wieder zufallsmäßig umverteilt werden. Jedoch sind nicht alle Membranproteine so mobil, wie nachfolgend gezeigt wird (Mikrodomänen, Caveolae). Auffallend war auch die Korrelation der Anzahl von MIPs pro Flächeneinheit Membran mit der Vielfalt etablierter Funktionen. Extreme sind die Membranen von neuronalen Myelinscheiden, die überwiegend der elektrischen Isolierung dienen, und jene des sarkoplasmatischen Retikulums. Letztere enthalten in manchen Bereichen Ca2+-Pumpen für die Aufnahme, in anderen Bereichen dagegen Ca2+-Kanäle für die Freisetzung von Ca2+ als Botenstoff. Inzwischen sind beide, Pumpen wie Kanäle, in Größe und Orientierung in der Membran genau bekannt. Auch kennt man ihre Konformationsänderungen während der Aktivierung. Sie enthalten zehn bzw. sechs
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transmembranäre Abschnitte, die jeweils ein MIP von der Größenordnung von ≈ 10 nm bilden können. Die Zahl der Aminosäuren pro Membrandurchgang liegt entsprechend der Membrandicke ungefähr zwischen 18 und 22. Der oben erwähnte Algorithmus hat sich für die Bestimmung der Anzahl an Transmembrandomänen inzwischen vielfach bewährt. Die entsprechende Arbeit wurde 2008 von A. Bernsel und Mitarbeitern in den Proceedings of the National Institute of Sciences USA [15] und 2009 in Nucleic Acids Research vorgestellt: TOPCONS (7 https://topcons.net/). Derlei Domänen konnten mit verschiedenen biochemischen Methoden verifiziert werden, wie Zugänglichkeit für proteolytische Enzyme oder Markierungstechniken. Beispielsweise erzielt man mit Radiojodierung unter Verwendung von radioaktivem 125I und Chloramin T oder Lactoperoxidase (7 Abschn. 4.6) eine Markierung der außerhalb der Membran liegenden Anteile eines Membranproteins. Die Verwendung von Jodnaphthalen Azid (INA) dagegen markiert selektiv jene Anteile eines Proteins, welche im lipophilen Milieu, also in der Lipiddoppelschicht, liegen. Diese bereits 1978 von den US-amerikanischen Membranbiologen T. Bercovici und C. Gitler eingeführte Methode fand jedoch sehr wenig Beachtung, weil man in der Dunkelkammer mit Radioaktivität arbeiten muss. Für die Strukturanalyse von (Membran-)Proteinen waren zunächst biochemische Methoden gefragt, wie Kernmagnetresonanz und Zirkulardichroismus etc. Erst später folgte die Röntgendiffraktometrie bzw. die auf demselben Prinzip beruhende, also funktionsanaloge, Elektronenbeugung. Diese muss allerdings sehr aufwendig an tiefgefrorenen Präparaten in einem Kryoelektronenmikroskop unter Niederdosisbestrahlung zur Vermeidung von Strahlenschäden erfolgen, kombiniert mit Auswertung über Fourier-Transformation (7 Abschn. 4.1). Der Schweizer Jacques
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Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
Dubochet hat sich ab Ende der 1980erJahre um die Entwicklung der Kryoelektronenmikroskopie bemüht [16] und die zwei weiteren Nobelpreisträger für Chemie von 2017 haben von eigenen erheblichen Weiterentwicklungen profitiert. Für weitere Details vgl. 7 Abschn. 7.2. Besonderes praktisch-medizinisches Interesse erlangen derlei Analysen, wenn es um die Struktur von Oberflächenrezeptoren und deren Wechselwirkung mit Liganden bzw. Drogen geht. So können mittels Drug Design 3D-Modelle zunächst per Computersimulationen entwickelt und dann experimentell überprüft und modifiziert werden. 5.4.2 Oberflächenglykosylierung
der Zellmembran
Mit histo- und cytochemischen Methoden wurde schon frühzeitig entdeckt, dass die Zellmembran außenseitig einen Besatz mit Zuckermolekülen aufweist. Wegen der negativen und positiven Ladungen von Zuckerderivaten, wie N-Acetylneuraminsäure oder Aminoglykoside, stützen sich die in ihrer Gesamtheit als Glykokalyx bezeichneten zuckerartigen Moleküle gegenseitig ab, um so einen mehr oder weniger dicken Pelz zu bilden. Dieses eröffnet aber auch die Möglichkeit, die Glykokalyx mit positiv geladenen Farbstoffen wie Ruthenium-Rot, mit Eisen(III)hydroxid, Fe(OH)3 oder, noch besser, mit kationisiertem Ferritin oder mit Meerrettichperoxidase geeigneter Ladung anzufärben. So wurde die Glykokalyx ab Mitte der 1960er-Jahre von dem US-Amerikaner J. H. Luft mittels Ruthenium-Rot-Färbung überhaupt erst entdeckt. (Ähnliches gilt für die „Kapsel“ mancher Bakterien.) Es kam vor 50 Jahren zu einer Art Wettbewerb, wer die dickere Glykokalyx finden konnte. Auf das Siegerpodest gehoben wurde das Epithel der Harnblase der Kröte.
Schließlich eröffnete sich auch die Möglichkeit, entweder Immunmarkierungen mit Antikörpermolekülen oder Affinitätsmarkierungen mit nicht antikörperbasierten Liganden durchzuführen. Dabei haben sich kolloidale Goldpartikel von definierter Größe bewährt (5 nm und 10 nm sind gängige Größen), wie dies um 1980 von Jürgen Roth, Zürich, etabliert wurde (7 Abschn. 4.5.1). Gleichzeitig werden die kolloidalen Goldpartikel durch die jeweiligen Markerproteine auch stabilisiert. Im Elektronenmikroskop können Glykosylreste mit Lektinen markiert werden, wenn diese ihrerseits mit einem Marker versehen wurden. Hierzu und zur Markierung endogener Lektine, die es auch an Membranen und im ER gibt, vgl. 7 Abschn. 4.4.2 und 9.4. Dem chronisch „schwarzmalenden“ Elektronenmikroskopiker steht für all dieses allerdings nur eine schwarze Markierung zur Verfügung. Da erscheinen Doppelmarkierungen mit Goldkörnern verschiedener Größe schon viel distinkter. Bunter kann man es nur mit Fluoreszenzmarkierungen im Lichtmikroskop haben. 5.4.3 Biogenese der Glykokalyx
Erste Glykosylreste werden zunächst im endoplasmatischen Retikulum (ER) am Stickstoffatom der Aminosäure Asparaginsäure von Membranproteinen angehängt (N-Glykosylierung). Der Passage von Membranglykoproteinen vom ER über den Golgi-Apparat folgt schließlich der Einbau in die Zellmembran über ungetriggerte/konstitutive Exocytose kleiner Sekretvesikel. All dies erklärt in Kürze das Prinzip der Biogenese der Zellmembran und ihrer Glykokalyx. Der Glykosylierungsbelag ist zum einen nur außenseitig an der Zellmembran zu beobachten (Glykokalyx), zum anderen jedoch nur lumenseitig in den verschiedenen intrazellulären Vesikeln, die am Vesikelfluss
5.4 · Komplexität der Membranproteine und ihre Mobilität
teilhaben; das sind Exocytose- und Endocytosevesikel sowie Lysosomen. Die Prinzipien der Proteinglykosylierung und der Glykokalyx-Biogenese über Vesikeltransport wurden erstmals in den 1960er-Jahren im Zusammenhang mit der Entdeckung des intrazellulären Vesikelflusses durch den Einsatz verschiedener Markierungstechniken verständlich (7 Abschn. 4.5). Nach diesen anfänglichen Befunden mit beschränkten Hilfsmitteln und Methoden erfolgte ab den 1980er-Jahren eine enorme Verdichtung des Wissens zur Proteinglykosylierung. Glykosylreste können nicht nur an peripheren und integralen Proteinen, sondern auch an Lipide gebunden sein. Beispiele für integrale Glykoproteine umfassen eine breite Palette: angefangen bei Untereinheiten von Ionenpumpen (Na+/K+-ATPase), wo die Glykosylierung als Hilfsmittel zur korrekten Anlieferung an die Zellmembran dient („Targeting“-Effekt), bis zu manchen Transplantationsantigen-Komponenten des Histokompatibilitätskomplexes („histocompatibility complex“). Der „major histocompatibility complex“ (MHC) wurde erstmals 1936 von dem britischen Immunologen P. Gorer beschrieben. In einem Übersichtsartikel von C. Vaniedonck und J. C. Knight 2009 [17] heißt es in einer kompetenten Bewertung mit einem Zitat aus dem Jahr 1937 [18]:
» Peter Gorer was the first to describe in 1936 a histocompatibility system in mice from his observations of the agglutination of erythrocytes by rabbit immune sera.
» [Peter Gorer beschrieb 1936 als Erster ein
Gewebeverträglichkeitssystem in Mäusen auf der Grundlage seiner Beobachtung der Verklumpung von Erythrocyten durch Immunseren von Kaninchen.]
Der MHC bestimmt über die Verträglichkeit von transplantierten Organen. Es war schon immer schwer vorstellbar, dass die Natur hier ein Verhinderungskonzept für chirurgische Eingriffe entwickelt hätte, wiewohl der Typ I (MHC I) in allen kernhal-
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tigen Zellen unseres Körpers vorkommt. Die wahre Aufgabe des MHC, von dem es die Formen I und II gibt, ist die Fähigkeit des Immunsystems, Erreger wahrzunehmen und so der Entaktivierung zuzuführen; diese Einsicht hatte noch über ein halbes Jahrhundert zu warten (7 Abschn. 9.12). Blutgruppenspezifische Antigene im weiteren Sinn, von denen es mehr als das AB0-System gibt und die sowohl an Gewebezellen als auch an Erythrocyten exprimiert werden, sind zum Teil integrale Glykoproteine und zum Teil lipidverankerte Glykoproteine, deren Spezifität durch spezifische Zuckerreste bestimmt wird. „Histo-Blutgruppen-Antigene“, wie sie heute bezeichnet werden, wurden ab 1927 beschrieben. Sie finden sich besonders an Epithelzellen verschiedener Art und sie verändern sich bei der Ausbildung von Tumoren bzw. Karzinomen. Die Zuckerketten sind übrigens verschieden lang und verzweigt. Diese Spezifizierung ist genetisch über die jeweiligen zuckerübertragenden Enzyme (Glykosyltransferasen) vorgegeben. Der Informationsfluss DNA → (Glyko-)Protein gemäß dem zentralen Dogma der Molekularbiologie (7 Abschn. 6.9) gilt also auch in diesem Zusammenhang. Lange Zeit blieb jedoch die Bedeutung der Glykosylierung von Oberflächenproteinen im Dunkeln, abgesehen von den bereits 1901 von dem Wiener Arzt Karl Landsteiner in der Wiener Klinischen Wochenschrift [19] beschriebenen Blutgruppen mit den später als A, B, 0 bezeichneten Determinanten. Es war anfangs nur eine Fußnote, deren Erweiterung ihm 1930 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin einbrachte. Diese Entdeckung ermöglichte erstmals sichere Bluttransfusionen. Die Glykosylierung von Membrankomponenten erwies sich zunehmend als wichtiges Momentum für die korrekte Faltung von Proteinen und für deren zielgerichtete Verteilung. Die Faltung hängt von Chaperonen im Lumen des endoplasmatischen
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Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
Retikulums ab, die ihrerseits abhängig sind von Ca2+, das im Lumen reichlich gespeichert wird (zu Chaperonen vgl. 7 Abschn. 9.3.1). Damit hat die Zelle im Zusammenhang mit der Glykosylierung von Proteinen wohl mehrere Ziele gleichzeitig erreicht: Bevorratung mit Ca2+, das bei Bedarf als Signalmolekül ins Cytosol abgegeben werden kann, korrekte Faltung von Proteinen und deren zielgerichteter Transport zu ihrer terminalen Funktion an ihrem Endziel. Ein prinzipielles Problem ist die Frage, wie die Bedürfnisse des intrazellulären Transports immer mit der peripheren Funktion von Glykoproteinen in Einklang zu bringen sind. Beim Menschen gibt es zahlreiche angeborene Defekte, die auf fehlerhafter Proteinglykosylierung beruhen. Hier war der belgische Kinderarzt Jaak Jaeken ab den frühen 1980er-Jahren initiativ. Falsch gefaltete Proteine sind in der Regel nicht richtig funktionsfähig und werden entweder über Proteasomen oder in Lysosomen abgebaut (7 Kap. 13). Ein Beispiel ist der 1990 von dem Deutschen Th. Jentsch klonierte Chloridkanal [20]. Er begann mit der Untersuchung der molekularen Kanalstruktur des Chloridkanals des Zitterrochens Torpedo marmorata und fuhr fort mit der heterologen Expression (7 Abschn. 6.10.1) in Eiern des Krallenfroschs (Xenopus-Oocyten) für die elektrophysiologische Analyse. Die Missfaltung dieses Kanals führt zu dessen Fehlfunktion bei Mukoviszidose (= cystische Fibrose) („cystic fibrosis transmembrane conductance regulator“, CFTR). Die normale Funktion gewährleistet eine nicht zu hohe Viskosität des Schleimbelags der Atemwege; ist er fehlerhaft gefaltet, so wird er wie „Ausschussware“ entsorgt, und es kommt zu starker Verschleimung. Die Zelle nimmt es mit der richtigen Konformation ihrer Proteine offensichtlich sehr genau. Besser wäre manchmal eine weniger genaue Kontrolle. Dementsprechend nehmen manche Experten für den ungenau gefalte-
ten CFTR an, dass er für eine ausreichende Funktion sorgen könnte. So aber leiden Kinder mit Mukoviszidose unter einer beschwerlichen Verschleimung der Atemwege, bis hin zu Erstickungsanfällen. Die kausale Aufklärung der Pathogenese zog sich über zwei Jahrzehnte hin. Erst wurde bis 2001 das komplette Glykosylierungsmuster des CFTR bestimmt. 2009 konnte dann die kanadische Gruppe um Rina Glozman im Journal of Cell Biology die Relevanz der N-Glykosylierung für den gezielten Transport an die Zellmembran und für die Funktionalität als Cl–-Kanal beweisen [21]; zudem demonstrierten sie die Ubiquitinylierung und den lysosomalen Abbau des fehlgefalteten CFTR. Neben der N-Glykosylierung gibt es auch eine O-Glykosylierung, die, wenn fehlerhaft, die Anbindung von Oberflächenproteinen an Elemente der extrazellulären Matrix behindern kann. Ein prominentes Beispiel hierfür ist eine bestimmte Form der nach Duchenne benannten Muskeldystrophie (Muskelschwund; vgl. 7 Abschn. 14.3.1). 5.4.4 GPI-verankerte Proteine
Als weitere Differenzierung wurde erkannt, dass manche Proteine während ihres Durchtritts durch die Membran des endoplasmatischen Retikulums am carboxyseitigen Ende geschnitten und auf einen membranständigen Glykosylphosphatidylinositol-(GPI-)Rest übertragen werden. GPI-Proteine wurden bereits vor 1970 entdeckt bzw. zuerst einmal nur vermutet, als man beobachtete, dass Phospholipase C (PLC) aus Bacillus cereus selektiv bestimmte Proteine freisetzt. Später stellte sich heraus, dass dies eine Phosphatidylinositol-(PI-)spezifische PLC ist. Die Liste der GPI-Proteine wurde immer länger; dazu gehören alkalische Phosphatase und 5‘-Nukleotidase, die auch als Leitenzyme
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5.4 · Komplexität der Membranproteine und ihre Mobilität
der Plasmamembran gelten. Beim Menschen sind über 150 Arten von GPI-Proteinen bekannt, die verschiedensten Funktionen dienen. Solche Proteine sind einerseits meist glykosyliert und andererseits – wie erwähnt – über den Inositolrest an einem Lipidanker angeheftet, der die Fixierung in der Membran ermöglicht. Auch sie durchlaufen den Weg Exocytose → Zellmembran. Beispiele sind manche Zelladhäsionsmoleküle wie Thy-1 (dessen präzise Funktion in Neuronen allerdings immer noch nicht völlig gesichert ist) sowie Proteine des Histokompatibilitätskomplexes, der die Verträglichkeit von Organtransplantaten bestimmt. Auch das Prionprotein PrPc gehört zur Kategorie der GPI-Proteine (7 Abschn. 5.6.1 und 12.9.3). Als eine ergiebige Quelle von GPI-Proteinen ergaben sich nicht nur die pathogenen Flagellaten aus der Gruppe der Trypanosomatiden, sondern auch der nichtpathogene Ciliat Paramecium. Maßgebliche Arbeiten gehen auf die 1980er-Jahre zurück; der Brite M. A-J. Ferguson, die Französin Y. Capdeville und der Grieche G. Leondaritis konzentrierten sich sodann auf GPI-Proteine in Protozoen. Von besonderer medizinischer Relevanz sind die Oberflächenantigene der intrazellulären Parasiten Toxoplasma und Plasmodium (Protozoa, Alveolata, Apicomplexa), die Toxoplasmose bzw. Malaria verursachen, sowie der ebenfalls pathogenen Trypanosoma-Arten [22]. Diese Zellen sind in der Lage, unter epigenetischer Kontrolle mit einer GPI-spezifischen PLC den GPI-Anker von GPI-verankerten Proteinen an der Zelloberfläche zu kappen und in kurzer Zeit durch neue zu ersetzen („variant surface antigens“). Dies erfolgt innerhalb so kurzer Zeit (≤ 2 Wochen), dass das Immunsystem mit der Produktion jeweils spezifischer Antikörper nicht nachkommt (molekulare Tarnung). Aus diesem Grund konnte bisher auch kein Impfserum gegen Malaria entwickelt werden, obwohl dies seit Jahrzehnten immer wieder unverdrossen angekündigt
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wird. So äußerte sich 2019 A. Maxmen, ein Experte von der Harvard University (Cambridge, Mass.), skeptisch über Sinn und Erfolgschancen einer aktuellen Impfkampagne in Afrika. Unter ca. 100 bisher erprobten Kandidaten wurde erst Anfang der 2020er-Jahre die Vakzine RTS,S/AS01 an 800.000 afrikanischen Kindern eingesetzt; allerdings lag die Erfolgsquote bei nur 30– 40 %. Auch die Dauer der Wirksamkeit ist noch abzuwarten. Derzeit sind systematische Untersuchungen von epigenetischen Phänomenen dieser Art im Fokus des Interesses jener Gruppen, die mit den nichtpathogenen Verwandten, den Ciliaten Paramecium tetraurelia und Tetrahymena thermophila, arbeiten. In Deutschland konzentrieren sich Martin Simon (Bergische Universität Wuppertal) und Estienne Swart (Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen) auf epigenetische Steuermechanismen bei P. tetraurelia. Die Hintergrundmusik zu einem 2017 veranstalteten Epigenetik-Kongress hörte sich wie folgt an:
» Vieles,
was Sie im Biologieunterricht über Vererbung gelernt haben, sehen wir heute in einem anderen Licht. Dass unsere Gene auf DNA-Strängen liegen, das unbestritten feststeht, aber sie entscheiden nicht alleine darüber, ob ein Vererbungsmerkmal bei uns auftritt oder nicht. Da spielt nämlich auch die (epigenetisch relevante) RNA eine große Rolle.
Epigenetik ist sozusagen die Regulationsebene jenseits der Gene. Bei den genannten Ciliaten ist die Funktion wichtiger GPI-verankerter Proteine („immobilization antigen“, i-antigens) noch ungelöst. Beim Fischparasiten Ichthiophthirius multifiliis dagegen hat T. Clark von der Cornell University Mitte der 2010er-Jahre eine signaltransduzierende Funktion über Ca2+-Mobilisierung gefunden, sobald die i-Antigene durch Antikörper vernetzt werden [23]. (Außerdem entwickelte er eine
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Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
Immunisierung der Fische durch Expression immunogener Sequenzen mit molekularbiologischen Methoden.) 5.5 Zell-Zell- und Zell-Matrix-
Verbindungen
5
Wo in tierischen Geweben Zelle an Zelle ansteht, gibt es interzelluläre Verbindungen über Zelladhäsionsproteine. Diese gibt es auch zur Anbindung an Komponenten der extrazellulären Matrix. Sie können diffus verteilt, aber auch lokal in konzentrierter Form auftreten. Diese Entdeckungen plätscherten über einige Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts dahin. Zunächst waren einige davon erst im Elektronenmikroskop sichtbar. Am auffälligsten ist dabei der „Verbindungskomplex“ („junctional complex“) von Epithelien. Dazu verfassten Marilyn G. Farquhar und George E. Palade bereits 1963 einen ersten Übersichtsartikel [24], in dem „tight junction“ (Zonula occludens, Schlussleisten), „adherens junction“ (Zonula adhaerens, Adhäsionsgürtel alias Gürteldesmosom) und Macula adhaerens ([Punkt-]Desmosom) vorgestellt wurden. Die Nomenklatur wandelte sich stetig und auch die Arbeitsstätten der beiden herausragenden Zellbiologen: M. G. F. arbeitete damals an der University of California, G .E. P. an der Rockefeller University, NY, wo später beide tätig waren, bis sie schlussendlich als Paar an die Yale University übersiedelten. Schlussleisten und Desmosomen wurden als Erste entdeckt, bevor man einzelne Komponenten auch in weniger stringenter Anordnung an anderen Stellen der Zellen realisieren konnte: Punktdesmosomen und die einige Jahre später entdeckten Gap Junctions. Deren Entdeckung erfolgte sehr früh (1952) in elektrophysiologischen Messungen durch S. Weidman, Cambridge (GB), die molekulare Aufklärung dagegen erst um 1970. Die Identifikation von integralen und peripheren Pro-
teinen sowie der Einsatz von Antikörpern mit zunehmender Spezifizität förderte mehr und mehr den Zugang zur chemischen Identifizierung von Komponenten der verschiedenen Zelladhäsionsstrukturen. 5.5.1 Weitere Details zu Zell-
Zell-Verbindungen in nichtneuronalem Gewebe
In Darmepithelien ist die luminale Seite durch Tight Junctions (dichte Verbindungen) abgetrennt. Hier erscheinen benachbarte Zellen, z. B. des Darmepithels, bereits im Lichtmikroskop durch eine „Schlussleiste“ miteinander verbunden, wie bereits frühe Lichtmikroskopiker feststellen konnten. Im Elektronenmikroskop erscheinen sie regelrecht vernietet. Als erstes Protein wurde 1993 das Transmembranprotein Occludin (≈ 65 kDa) identifiziert und charakterisiert. Dass nach Ausschalten („Knockout“) von Occludin in Tierembryonen Defekte auftraten, führte S. Tsukitas Gruppe 1998 zur Identifikation von Claudin. M. Takeichi hat 2006 die Entwicklung nachgezeichnet [25]. Normalerweise können hier durch Tight Junctions nicht einmal niedermolekulare Verbindungen oder der elektronendichte „Tracer“ Lanthan, La3+, in den zwischenzelligen Raum (Interzellularraum) eindringen, wie bereits 1971 etabliert worden war, also bevor man die chemische Natur der Barriere kannte. Elektrophysiologisch wurde von Philippa Claude, Wisconsin, im Jahre 1978 ein transepithelialer Widerstand gemessen, der umso höher war, je ausgeprägter die Tight Junctions im Gefrierbruch waren [26]. Diese Barriere ist wichtig, um den Stoffdurchsatz durch die Zellen hindurch, also in kontrollierter Form, zu gewährleisten. Tight Junctions sind besonders reichlich in Blutgefäßendothelien der Arachnoidea ausgeprägt, der reich durchbluteten Schicht der Hirnhaut (Aderhaut). Hier verhindern
5.5 · Zell-Zell- und Zell-Matrix-Verbindungen
sie besonders sorgfältig den parazellulären Durchtritt von Stoffen ins Hirngewebe (Blut-Hirn-Schranke). Dadurch gelangen schädliche Stoffe nur schwer ins Gehirn. Es hat aber auch Konsequenzen für die Aufnahme notwendiger Substanzen, die nur durch die Anlagerung von Astrocyten quasi als Nährzellen gewährleistet wird. Es wurden Bakterien identifiziert, die diese Barriere in einer pathogenen Attacke öffnen können. Ähnliches gilt für die pathologische Durchlässigkeit des Darmepithels, die das „Reizdarm“-Syndrom verursacht. Später fand man funktionell analoge – wiewohl molekular verschiedene – Strukturen in Epithelien von Insekten: die Leiterdesmosomen („septate junctions“). Ihren Namen verdanken sie den regelmäßigen Verbindungen, die man im Querschnitt zwischen benachbarten Zellen im Elektronenmikroskop sieht. Wieder einmal haben in der Evolution ähnliche physiologische Bedürfnisse zu einer alternativen Problemlösung geführt. Im Verbindungskomplex folgen die Gürteldesmosomen, heute auch Adhäsionsgürtel genannt, der unterhalb der Tight Junctions um die Zelle herumläuft und mit Mikrofilamenten bevorzugt aus filamentärem Aktin unterlegt ist. (Aktin wurde 1943 durch F. B. Straub beschrieben.) Sie enthalten Transmembranproteine vom Typ der Cadherine, deren extrazelluläre Domäne Ca2+ binden muss, um einen trans-Komplex mit Cadherinen der Nachbarzelle zu formen und so diese Zell-Zell-Verbindung zu stabilisieren. Am weitesten entfernt vom Darmlumen sind die Punktdesmosomen („δεσμός, desmós“ = Verbindung, Band; „σῶμα, soma“ = Körper), wieder mit eigenen Proteinen (Cadherine), jedoch mit angelagerten Intermediärfilamenten aus Keratin. (Dieses wurde 1968 von der Gruppe des US-amerikanischen Entwicklungsbiologen Howard Holtzer beschrieben.) Keratinfilamente sind am auffälligsten in Epithelien der Haut ausgebildet, wo sie von Punktdesmosomen aus als Filamentbündel durch die Zellen ziehen und diese mechanisch verstärken.
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Ganz allgemein enthalten die verschiedenen Zell-Zell-Verbindungen (außer den Tight Junctions) cytosolseitig Proteine angelagert, die ihrerseits mit den erwähnten cytoskelettalen Filamenten, Aktin bzw. Keratin Verbindungen herstellen. Verbindungen kommen aber auch zur extrazellulären Matrix vor, und zwar in zweierlei Form: (i) als Hemidesmosomen mit Integrinen und angebundenem Keratin; (ii) als fokale Adhäsionsplaques („focal adhesion plaques“) – Strukturen ebenfalls mit Integrinen, jedoch mit Aktinfilamenten im Zellinnern. Diese spielen bei der Dynamik innerhalb des Gewebes und bei der Ausbildung von Krebs und Metastasen eine herausragende Rolle als Plattform für intrazelluläre Signalgebung (7 Abschn. 10.9), weshalb sie derzeit im Fokus des medizinischen Interesses stehen. Der deutsche Zellbiologe Werner W. Franke konzentrierte ab den 1970er-Jahren seine Arbeiten auf Zell-Zell-Verbindungen, deren Proteinkomponenten und pathologische Entgleisungen. Diese Arbeitsrichtung schilderte er 2009 in einem Übersichtsartikel als „historical view“ [27]. 1983 isolierte er zwei Desmoplakin-Isoformen (> 200 kDa) aus angereicherten Punktdesmosomen der Rinderschnauze – eine ergiebige und daher bevorzugte Quelle. Diese Proteine sind mit punktuell angereicherten Cadherinen assoziiert, an denen innenseitig Intermediärfilamente ansetzen. Bedenkt man den Einsatz hochspezifischer Antikörper gegen mutierte Formen verschiedener Komponenten der Zellverbindungen in der heutigen Immundiagnostik, auch als flankierende Methode noch während einer Krebsoperation, so ermisst man einmal mehr die medizinische Relevanz von Grundlagenforschung. Auch hierzu hat Franke ab den 1980er-Jahren wesentlich beigetragen. In Geweben besteht ein gewisser Bedarf an Harmonisierung benachbarter Zellen. Diesem Ziel dienen kleine Flecken von Protein-Clustern, die zwischen den a nderen
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Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
Elementen eines Verbindungskomplexes eingestreut sind, die porenbildenden Gap Junctions. Sie wurden 1970 strukturell von den US-Amerikanern D. A. Goodenough und J. P. Revel entdeckt [28] und entsprachen elektrophysiologischen Messungen aus dem Jahr 1952. (Es ist mir erinnerlich, wie nahe wieder einmal mancher Elektronenmikroskopiker dran war, aus dieser im Negativkontrastverfahren gekörnten Grundstruktur ein allgemeines Membranschema abzuleiten, bevor man die funktionelle Bedeutung dieser speziellen Membranstruktur erkannt hatte.) In Deutschland befasste sich D. Hülser, Stuttgart, in den 1980er-Jahren mit elektrophysiologischen und strukturellen Methoden (Kryofixation) mit den Gap Junctions. Diese sind für niedermolekulare Verbindungen permeabel, wie für einzelne Ionen und Signalmoleküle, darunter cyclisches 3‘,5‘-Adenosinmonophosphat (cAMP). Auch hier kann ein elektrischer Strom registriert werden, allerdings transversal durch die Epithelien. Dem liegt zugrunde, dass jede Gap-Junction-Einheit, ein Connexon benachbarter Zellmembranen, aus hexamer zusammengefügten Protein-Untereinheiten (Connexinen) mit einer zentralen Pore aufgebaut ist. Dadurch wird eine Gleichschaltung benachbarter Zellen bewirkt. Steigt das Botenion Ca2+ jedoch nach einem Zellschaden in einer Zelle an, so kann sie schnell entkoppelt und das Überleben der Nachbarzellen gewährleistet werden. 1985 folgerte Goodenough aufgrund von Analysen mit Elektronenbeugung, dass der Verschluss durch eine twistartige Konformationsänderung der Connexine eines Connexons erfolgt, wie man es mit einem Bündel Mikadostäbchen zeigen kann.
5.5.2 Entdeckung von
Cadherinen, Integrinen, neuronalen NCAMs und Bindekräften. Fehlanzeige bei Pflanzen
Über die Jahrzehnte wurden auch weniger auffällige Zell-Zell- und Zell-Matrix-Verbindungen gefunden. Integrine verfügen über beide Lokalisierungen, wohingegen Cadherine und verschiedene weitere Zelladhäsionsmoleküle („cell adhesion molecules“, CAMs, darunter neuronale CAMs) in diffuser Verteilung die interzellulären Verbindungen und damit den Gewebezusammenhalt gewährleisten. Bereits in den 1980ere Jahren hatte der schweizstämmige US-Neurobiologe U. Rutishauser [31] das erste neuronale CAM (NCAM) beschrieben. Versuche, den Zusammenhalt von Zellen aufzuheben, führten den Japaner M. Takeichi, später am Carnegie Institution Department of Embryology in Baltimore (USA) tätig, auf die Spur von Ca2+-bindenden Oberflächenproteinen. 1982 hatte er das erste Cadherin in Händen [25]. In 7 Abschn. 17.10.1 kommen wir auf NCAMs zurück und werden sehen, dass wesentliche Impulse von Neurobiologen ausgingen, insbesondere in den 1980er-Jahren von dem US-Amerikaner Gerald M. Edelman. Den schwierigen Weg zur Identifizierung von Integrinen beschrieb 2004 nach 30 Jahren Forschung R. O. Hynes vom renommierten Howard Hughes Medical Institute. Dass Aktin mitspielt, war bereits 1976 evident. Es brauchte noch eine Dekade, um der Integrine habhaft zu werden. Den steinigen Weg zu den Integrinen schilderte er unter dem Motto „Versatility, modulation, and signaling“ in einem Artikel in
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5.5 · Zell-Zell- und Zell-Matrix-Verbindungen
der Zeitschrift Cell [29]. Hierzu waren Sequenzierungsarbeiten der Integrin-Untereinheiten sinnvoll, die allerdings von T. A. Springer jenseits des Charles River an der Harvard Medical School betrieben wurden. So kam es zu einem flussüberquerenden Informationsaustausch mit wichtigen Publikationen in den 1980er-Jahren. In beiden Labors standen medizinische Aspekte im Fokus, sei es die Änderung der Zelloberfläche bei viraler Transformation, sei es bei Krebs. Die medizinische Bedeutung der Integrine erhellt sich auch daraus, dass sie in den 2000er-Jahren als Andockstellen für die Internalisierung von pathogenen Viren und Bakterien erkannt wurden. Unter anderem sind Borrelia, Campylobacter, Helicobacter, Mycobacterium leprae, verschiedene Staphylokokken und Treponema pallidum betroffen. Die Bindekräfte/Drücke an Zellverbindungen sind unerwartet hoch. Bei der Wechselwirkung von CAMs wirken Kräfte in der Dimension von Nanonewton (nN). Das ist rund 103-mal mehr Kraft, als für Motorproteine gemessen wurde (7 Abschn. 17.7.2), was allerdings wohl der Zahl der beteiligten Moleküle geschuldet sein dürfte. Auf die Makrowelt übertragen erscheinen die submikroskopischen Bindekräfte im zellulären Bereich auch sehr hoch. In einem kurzen Kommentar gibt der US-Amerikaner Schwarz vergleichsweise einen Druck von 5 kPa (Kilopascal) für einen einzelnen Fokalkontakt an, entsprechend 5 nN. An Pflanzenzellen gibt es wohl keine Äquivalente der Zelladhäsionsmoleküle tierischer Gewebe zu entdecken; sie besitzen auch keinen Verbindungskomplex. Dennoch gab es aufgrund von Teilsequenzen in Genomstudien Vermutungen über die Existenz von Zelladhäsionsmolekülen. Pflanzenzellen werden zumeist durch die mehr oder weniger dicke Zellwand im Gewebeverband gehalten. Aber auch hier gibt es den Bedarf an interzellulärer Harmonisierung. Wie in 7 Abschn. 16.5 dargelegt wird, geschieht dies über Plasmodes-
5
men, wo die Zellwand eine Pore freilässt, über welche die Zellmembranen benachbarter Zellen ineinander übergehen. Es handelt sich also im Vergleich zu Gap Junctions wieder einmal um eine alternative Problemlösung. 5.5.3 Neuronale Zell-Zell-
Verbindungen
Neuronale Zelladhäsionsmoleküle dienen der Interaktion von Neuronen, der axonalen Wegfindung („axonal guidance“), der Bildung von neuronalen und neuromuskulären Synapsen und der Wechselwirkung mit anderen Zellen wie Gliazellen bzw. Astrocyten. Auf welch dünnem Eis man sich anfangs bewegte, geht aus einem Aufsatz des US-Neurobiologen Gerald M. Edelman (Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin von 1972) aus dem Jahr 1983 in der Zeitschrift Science hervor [30]. Darin schreibt er:
» About
8 years ago, I began to study the possibilities that local cell surface modulation…might be a key factor in cellcell adhesion …
» [Vor
ungefähr 8 Jahren begann ich die Möglichkeit zu untersuchen, ob lokale Modulationen der Zelloberfläche ein Schlüssel zur Zell-Zell-Adhäsion sein könnten.]
Ein Jahr später räsoniert er über eine „Regulator-Hypothese“, nach der die Moleküle, wenn sie in der Evolution auftauchen, in ein Gesamtnetzwerk integrierbar sein müssen, damit der betreffende Organismus überleben kann. Einige der beteiligten Adhäsionsmoleküle kommen auch in nichtneuronalen Zellen vor, z. B. im Immunsystem. Diese und die Cadherine binden an gleichartige Moleküle auf der gegenüberliegenden Zelle (homophile Bindung über trans-Komplex-Bildung). Andere, wie Neurexine, binden an
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5
Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
Neuroligine unter Bildung von Rezeptor-Ligand-Interaktionen. Ähnlich binden Ephrine verschiedener Art auf den beiden Seiten. Eine besondere Modifikation des neuronalen Zelladhäsionsmoleküls NCAM ist die polysialinisierte Form PSA-NCAM, deren Bedeutung für die neuronale Plastizität von ihrem Entdecker U. Rutishauser ab den 1970er-Jahren untersucht wurde [31]. Die Vielfalt an neuronalen Zelladhäsionsmolekülen wird nicht nur durch derlei posttranslationale Modifikationen, sondern auch durch das Vorkommen von Paralogen und durch alternatives Spleißen oft dramatisch gesteigert (7 Abschn. 6.9). Darauf wurde in verschiedenem Zusammenhang hingewiesen. Die Zell-Zell-Kontakte im Nervensystem sind insgesamt sehr komplex und können nur beispielhaft dargestellt werden. Die meisten neuronalen Zelladhäsionsmoleküle sind hier „Ig-like molecules“, also Moleküle mit einer oder mehreren „Ig-Schleifen“, die (wie in Immunoglobulinen, IgG) zwischen Disulfidbrücken auskropfen und durch diese zusammengehalten werden. Zu diesem Typ neuronaler Zelladhäsionsmoleküle gehören Thy1, Sidekick-Proteine (unten), Nectine und NCAM. Unter den neuronalen CAMs sei Axonin-1/TAG-1 hervorgehoben, weil hier mit der Röntgenstrukturanalytik eine homophile Bindung in trans-Position besonderer Art durch die Konstanzer Biophysiker W. Welte und K. Diederichs gemeinsam mit dem Züricher Neurobiologen P. Sonderegger 2000 in der Zeitschrift Cell im folgenden Sinn aufgeklärt werden konnte [32]: Die Säugetierform Axonin-1/TAG-1 ist ein Glykoprotein mit sechs aminoterminalseitigen Ig-Domänen, gefolgt von vier Domänen vom Fibronectin-Typ (FnIII-Domänen) und dem carboxylseitigen GPI-Anker. Die homophile Bindung erfolgt wie bei einem Reißverschluss, wobei die vier distalen Ig-Domänen von einander gegenüberliegenden Axonin-1/TAG-1-Molekülen aneinander gebunden werden; es liegt also
eine homo-cis/trans-Bindung vor. Das Modell nimmt weiterhin an, dass die Ig-Domänen komplett rückgefaltet vorliegen, bevor sie sich für die trans-Bindung teilweise entfalten (. Abb. 5.2). Eine Datei zur Identifikation einer Sammlung von Proteindomänen kann unter 7 https://pfam.xfam.org/family/%s abgerufen werden. Die Funktion des kleinsten Zelladhäsionsmoleküls vom Ig-Typ, Thy-1 (CD90), erscheint diffus und noch nicht genügend aufgeklärt; jedenfalls bietet der britische Experte R. Morris 2018 eine Vielzahl von Möglichkeiten an, mit dem Fokus auf molekularer Zielfindung für neuronale Interaktionen [33]. Es handelt sich um ein hochgradig glykosyliertes Protein von 38 kDa Größe. Abgesehen von seiner „Funktion“ als Marker für hämatopoetische (blutbildende) Zellen werden ihm Rollen zwischen Zellmigration und Zelladhäsion, axonalem Wachstum und Zell-Zell-Kontakten zugeschrieben. Konkret beschreibt ein US-amerikanisch/chilenisches Team [34] die cisoder trans-seitige Interaktion von Thy-1 mit Integrinen der Zellmembran, mit jeweils unterschiedlichen Effekten. Die Daten werden auf der Basis von Arbeiten der Gruppe von C. Stürmer, Konstanz, interpretiert, welche die von „Scaffolding-Proteinen“ vom Typ Reggie-1/Flotillin-2 gebildeten Mikrodomänen einbeziehen (7 Abschn. 5.6.4). Für die Sidekick-(Sdk-)Proteine wurde am Auge von Drosophila sichergestellt, dass die Isoformen Sdk-1 und Sdk-2 als synaptische Adhäsionsmoleküle dienen, indem sie miteinander eine homophile Bindung eingehen und eine Verbindung zur extrazellulären Lamina herstellen [35]. In den Sdk-Proteinen des Drosophila-Auges, in dem Sdk-Proteine 1997 aufgrund einer Mutation entdeckt wurden, fand man neben sechs Ig-Domänen 13 Fibronectin-Repeats, eine wahrscheinliche Transmembrandomäne und einen intrazellulären Abschnitt. (Dabei wird „domain shuffling“ [ „shuffle“, = mischen, schieben] als
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5.6 · Membran-Mikrodomänen
a
5
c
b
. Abb. 5.2 Beispiel eines neuronalen Zelladhäsionsproteins (Axonin-1/TAG-1) mit Interaktion zweier Zellen durch Vermittlung der Ig-Domäne (benannt nach der Schleifenstruktur von Immunoglobulinmolekülen) der Axonin-1/TAG-1-Moleküle. (a), (b) Molekulare Rekonstruktion mittels Röntgenstrukturanalyse in seitlicher (a) und in senkrechter Ansicht (b). (c) Das davon abgeleitete Modell zeigt die Entfaltung der einzelnen Adhäsionsmoleküle und die Bildung eines iso-trans-Komplexes in Form eines Reißverschlusses. (Gleichartige Moleküle stehen in den beiden Membranen einander gegenüber. Quelle: [32])
evolutives Prinzip sichtbar; 7 Abschn. 17.4.2) Hier dient das Molekül wohl dazu, undifferenzierte „mystery cells“, die selbst keine neuronalen Antigene ausbilden, bis zu ihrer Entsorgung durch Apoptose (7 Abschn. 13.5) ruhigzustellen, während sich die acht Photorezeptorzellen zu Ommatidien (Einzelaugen) entwickeln. In der Retina der Wirbeltiere, die dem Zentralnervensystem zugerechnet wird, dienen die Sdk-Proteine, zusammen mit DSCAM-Proteinen („Down syndrome cell adhesion molecule“; 7 Abschn. 12.9), nach Befunden von 2008 der Bildung von synaptischen Kontakten in der „inneren plexiformen Schicht“
der Retina und damit der Weitergabe optischer Signale. 5.6 Membran-Mikrodomänen
An Zellen innerhalb eines Gewebes gibt es Mikrodomänen in Form der in 7 Abschn. 5.5 umrissenen Anreicherung einzelner Lipide und Proteine. Im Jahre 1973 publizierte der Brite Marc S. Bretscher [52] in der Zeitschrift Science, dass verschiedene Komponenten der Lipiddoppelschicht asymmetrisch verteilt sind: Sphingolipide befinden sich in der äußeren Schicht,
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5
Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
lycerophospholipide (PhosphatidylethaG nolamin, Phosphatidylserin und Phosphatidylinositol) dagegen auf der Cytoplasmaseite der Zellmembran. (Diese Verteilung von Phosphatidylinositol gewährleistet auch seine Verfügbarkeit für die Produktion von Diacylglycerol und InsP3 als Signalstoffe; 7 Abschn. 10.7.) Cholesterin kommt in beiden Membranhälften vor; inwiefern es ebenfalls asymmetrisch verteilt sein könnte, ist eine lange andauernde Debatte. Aus der Verteilung essenzieller Komponenten konnte man erwarten, dass die Assoziation mit Proteinen in den beiden Membranhälften ebenso unterschiedlich sein könnte. 5.6.1 „Rafts“: Sein oder Nichtsein
– das war die Frage
Zunächst einmal gab es 1973 von der Gruppe um den US-amerikanischen Biochemiker T. L. Steck nur die Beobachtung, dass mit unterschiedlichen Lipidlösungsmitteln nicht nur unterschiedliche Lipidkombinationen, sondern auch unterschiedliche Proteine selektiv extrahiert werden können. 2003 nahm M. Edidin diese Untersuchungen wieder auf. Lediglich das nichtionische Detergens Triton-X100 zeigte diesen Effekt nicht – es gab also eine Triton-X100-resistente Fraktion von Membranproteinen („detergent-resistant membranes“, DRM). Des Weiteren ergaben sich Anhaltspunkte für laterale Heterogenitäten mit Anreicherung bestimmter Proteine in Mikrozonen. Diese wurden als „Rafts“ (engl., Flöße) bezeichnet, und es wurde beinahe allgemein angenommen, dass sie durch selektive Lipidextraktion spezifiziert werden könnten. Dieses Raft-Konzept war, wie vieles Innovative, anfangs nicht unumstritten. In der Tat wurde manches im Laufe der Zeit modifiziert. Wesentliche experimentelle Details hat ab 1988 der finnischstämmige Zellbiologe Kai Simons, damals am European Molecular B iology
Laboratory (EMBL) in Heidelberg tätig, systematisch gesammelt. In einer Übersicht in den Annual Reviews of Biophysics and Biomolecular Structures [36], bezeichnet er die „detergent-insoluble lipid clusters“ als dynamische „Rafts“, in denen Sphingolipide und Cholesterin angereichert sind, zusammen mit selektiven Proteinen, einschließlich solcher mit signaltransduzierender Funktion; derlei Rafts gibt es auch in den dynamischen intrazellulären Kompartimenten. Ein autoritativer Übersichtsartikel der beiden New Yorker D. A. Brown und E. London 1998 in den Annual Reviews of Cell Biology stimmt damit überein, spricht von Phasentrennung – Rafts würden im fluiden Lipidkontinuum wie Flöße driften – unter Einbeziehung von GPI-verankerten Proteinen mit der eventuellen Fähigkeit zur Signaltransduktion [37]. Dennoch wägen sie Zweifel ab, indem sie notieren:
» Briefly,
stable rafts might exist, but individual proteins and lipids might have a relatively low affinity for them. The affinity might be increased by clustering. Alternatively, rafts might be very small, and might coalesce when the components are clustered. Finally, it is even possible that clustering of components might induce phase separation and cause raft formation.
» [Kurz gesagt: Rafts mögen wohl existieren,
jedoch könnten einzelne Proteine und Lipide eine relativ geringe Affinität zu ihnen haben. Diese Affinität könnte durch das Clustern verstärkt werden. Schließlich ist es sogar möglich, dass das Clustern von Komponenten Phasentrennung induzieren und Raftbildung einleiten könnte.]
Zwei wesentliche Frage blieben: (i) Gibt es diese „Rafts“ in vivo; und (ii) wie können Proteine mit GPI-Anker, die ebenfalls in Mikrodomänen vorgefunden werden, Signale transduzieren? Die Darstellung von „Rafts“ in Kryoproben bejahten die erste Frage mit hoher Sicherheit, denn bei sehr
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5.6 · Membran-Mikrodomänen
hohen Abkühlraten kann sich keine Struktur so schnell umlagern (vgl. nachfolgend und 7 Abschn. 4.8). Zu Frage (ii) meinten Brown und London:
» A
reasonable scenario is that GPIanchored proteins bind in cis (in the plane of the membrane) to transmembrane proteins. These proteins could transmit signals across the membrane, for instance, by binding directly or indirectly to Src family kinases. [37]
[Eine »
vernünftige Vorstellung ist, dass GPI-verankerte Proteine auf der cis-Seite (der Membranebene) an Transmembranproteine binden. Diese Proteine könnten Signale durch die Membran hindurchleiten, z. B. durch die direkte oder indirekte Bindung an Kinasen der Src-Familie.] (vgl. 7 Abschn. 10.9)
Solche „Helfer“-Proteine sind jedoch nicht zwingend erforderlich, denn die GPI-Proteine können, wenn sie in Mikrodomänen clustern, eine Deformation der Membran und damit eine Signaltransduktion bewirken. 5.6.2 Zwei Formen von
Mikrodomänen
Es gibt es zwei Formen von Mikrodomänen: „flache Mikrodomänen“ und Caveolae („caveola“ = kleine Höhle). Caveolae waren aufgrund ihrer einheitlichen Größe von ≈ 80–100 nm und ihres Vorkommens in Zellen mit ausgeprägter Transcytoseaktivität relativ leicht zu identifizieren. Trotzdem wurde auch deren reale Existenz in vivo lange Zeit als Artefakte infrage gestellt. Noch mehr als für Caveolae wurden für die strukturell kaum differenzierten „flachen Mikrodomänen“ In-situ-Analysen als erforderlich betrachtet, möglichst ohne Störung der Membranstruktur. Infrage kamen Markierungen in vivo und elektronenmikrosko-
5
pisch-cytochemische Analysen nach Schnelleinfriermethoden. Rafts sind auch unter diesen stringenten Bedingungen nachzuweisen und existieren daher in vivo. Seitdem spricht man lieber von „flachen Mikrodomänen“ als von „Rafts“. Wie erwartet, finden sich auch hier nicht nur spezifische Lipide, sondern auch eine Selektion von Proteinen. Beide Formen von Mikrodomänen haben cytosolseitig „Scaffolding“-(Gerüst-)Proteine angelagert, die mit den Lipiden interagieren und so zur Domänenbildung beitragen. Die Größe der flachen Mikrodomänen variiert ebenfalls (ähnlich Caveolae) um ≈ 80–100 nm; sie können aber auch etwas kleiner oder wesentlich größer sein. An beide Arten von Mikrodomänen können sich Moleküle von Signaltransduktionskaskaden anschließen, was auf zahlreiche Zellfunktionen hinweist. Ungleichmäßige Verteilung (laterale Sequestrierung) von Komponenten in Organellen oder Membranen deutet ja oft auf die Notwendigkeit hin, Interaktionspartner auf kleinstem Raum zu bündeln, um maximale Interaktion zu erreichen. 5.6.3 Caveolae
Diese Art von Mikrodomänen hat die Form lokaler, elliptisch-runder Einfaltungen der Zellmembran, die eben deshalb Caveolae genannt wurden. Ein positiver Impuls war die Entdeckung von Caveolin, integralen Membranproteinen von 22– 25 kDa, 1992 durch die US-amerikanische Gruppe um R. G. W. Anderson [38]. Sie haben, in Kooperation mit J. Heuser, mittels Kryofixation gezeigt, dass diese Strukturen real sind. Die Membran von Caveolae hat eine spezielle Zusammensetzung. 1993 fand die Gruppe um K. Simons [53], dass Caveolin als integrales Markerprotein in einer Schleife nur die Hälfte der Lipiddoppelschicht durchdringt. Caveolin ist für die Einfaltung an der Zellmembran
90
5
Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
verantwortlich, die zur Abschnürung von Caveosomen führen kann. Es ist dies ein Mechanismus zum Transport von Makromolekülen durch die Zelle (Transcytose), wie etwa von Hormonen durch Endothelzellen von Blutkapillaren (7 Abschn. 9.9). In dieser Funktion wurden diese Strukturen bereits in den 1950er-Jahren vermutet, während andere seinerzeit die Möglichkeit von supravitalen Artefakten durch die Fixierung für die Elektronenmikroskopie dagegenhielten. Überdies wurde 1998 gezeigt, dass Caveolae durch die relativ große GTPase Dynamin abgeschnürt werden, also ähnlich wie clathrinbeschichtete Endocytosevesikel. Sterole und Sphingolipide sind in Caveolae und Caveosomen angereichert. Diese Strukturen vollbringen Signaltransduktion, auch über rezeptorgekoppelte Mechanismen [39]. Dies schließt die Anbindung von GTP-Bindeprotein-gekoppelten Rezeptoren mit ein („G protein-coupled receptors“, GPCR; 7 Abschn. 10.7). Dazu eine kurze Erklärung vorweg: Diese Rezeptoren vom Typ GPCR werden außenseitig durch Bindung von Liganden verschiedener Art aktiviert und binden dann cytosolseitig trimere G-Proteine aus je einer α-, β- und γ-Untereinheit, die ihrerseits Folgeproteine wie Nukleotidcyclasen, Proteinkinasen etc. aktivieren. Die Diversität der α-Untereinheit kann die Bildung von vielen Zweitbotenmolekülen wie cAMP oder die Phosphorylierung vieler Substratproteine über die Fyn-Kinase, ein Mitglied der Src-Kinasefamilie, bewirken (7 Abschn. 10.9). Auf diese Weise wird ein außenseitiges Primärsignal cytosolseitig in mehreren Schritten vielfach amplifiziert (Signaltransduktion und Signalamplifikation). Caveolae und Caveosomen enthalten auch die endotheliale Stickstoffmonoxidsynthase (eNOS) zur Regulation der Gefäßdilatation (7 Abschn. 10.10).
5.6.4 Flache Mikrodomänen im
Vergleich mit Caveolae
Darunter sind, global betrachtet, Mikrodomänen für Wachstum, Führung von Axonen („axonal guidance“) bzw. deren Regeneration, Zelladhäsion (bei verschiedenen Zelltypen) und die Immunantwort (T-Lymphocyten) zu nennen, begleitet von der Aktivität weiterer Interaktionspartner und verbunden mit der Umformung des Mikrofilament-Cytoskeletts. Flache Mikrodomänen mit dem Scaffolding-Protein Reggie hat C. Stürmer, Konstanz, ab den späten 1990er-Jahren systematisch bis in die 2010er-Jahre hinein verfolgt (. Abb. 5.3). (Gerüstprotein zu sagen ist unüblich.) Auch hier zeigte sich zunehmend, wie bei Caveolae, die Einbindung in die Signaltransduktion [40]. Interessanterweise sind Neurone weder in der Lage, Caveolin zu exprimieren, noch strukturell definierte Caveolae zu bilden. Das entsprechende Scaffolding-Protein flacher Mikrodomänen wurde Reggie genannt, weil es bei Regeneration von Neuronen des zentralen Nervensystems von Fischen hochreguliert wird. (Die Experimente basierten auf der Durchtrennung des N. opticus als Teil des Zentralnervensystems und führten zur Identifikation des Reggie-Proteins [41].) Da die Sequenz zeitgleich an Säugetierproben in einer Datenbank deponiert worden war, hat es nun den offiziellen Namen Flotillin (wegen des Verhaltens bei der Dichtegradientenzentrifugation), sollte aber sinnvollerweise Flotillin/Reggie genannt werden. Zu den Gerüstproteinen von flachen Mikrodomänen gehören insgesamt die Mitglieder der SPFH-Superfamilie, deren Größe zwischen 28 und 47 kDa liegt und welche die Bildung flacher Mikrodomänen induzieren. Das Akronym steht für Stomatin, Prohibitin, Flotillin/Reggie, HflC/K,
5.6 · Membran-Mikrodomänen
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. Abb. 5.3 Elektronenmikroskopische Co-Lokalisation von Proteinen in flachen Mikrodomänen („Rafts“) der Zellmembran von Lymphocyten in Zellkultur (Jurkat-Zellen). Die verschiedenen Proteine wurden mittels Goldkonjugaten von entweder 5 nm oder 10 nm Größe nachgewiesen (Au5nm bzw. Au10nm); Prionprotein (normale Form, PrPc) wurde nach der Fixierung und vor der Einbettung markiert („Pre-embedding“-Methode), wohingegen Antikörper gegen eines der beiden Reggie-Paraloge (Reggie-1 und -2 = Flotillin-2 und -1) sowie die signalgebende Tyrosinkinase lck erst am Ultradünnschnitt appliziert wurden („Post-embedding“-Methode). Es wurde in folgenden Kombinationen markiert: (a) Prion-Au 10nm/Reggie1-Au 5 nm, (b) Prion-Au 10nm/Reggie2-Au 5 nm, c Prion-Au 10nm/lck-Au 5 nm. Da nur der Anti-PrPc-Antikörper 6H4 monoklonal, die anderen dagegen polyklonal waren, konnte die Spezifität dadurch gewährleistet werden, dass der Anti-PrPc -Antikörper mit einem Goldkonjugat von Anti-Maus-F(ab)2-Fragmenten aus der Ziege markiert wurde, während die anderen Antigene mittels Protein-A-Goldkonjugaten markiert wurden. (Protein A bindet nur an Fc-Regionen intakter Antikörper, aber nicht an F[ab]2-Fragmente, wodurch Interferenzen der jeweiligen Markierungen vermieden werden konnten.) Als Ergebnis zeigte sich eine Co-Lokalisation der verschiedenen Komponenten in ca. 0,1 µm großen Mikrodomänen („Rafts“), wobei die Epitope von PrPc außenseitig, die anderen Proteine dagegen innenseitig lokalisiert sind. Reggie-basierte Mikrodomänen können daher über das GPI-verankerte PrPc-Protein indirekt mit Elementen von Signalkaskaden (Kinasen) interagieren. (was parallel durch [hier nicht gezeigte] Ca2+-Signale registriert wurde. Quelle: [40])
wobei Letzteres ein bakterielles Äquivalent ist. Diese Proteine kommen quer durch das Organismenreich vor und sind evolutionär konserviert. Sie besitzen eine SPFHDomäne, unterliegen einer homo- oder hetero-Oligomerisierung und binden an die Zellmembran und an Membranen intrazellulärer Vesikel, die am Vesikelverkehr teilnehmen. Die von ihnen induzierten Mikrodomänen clustern GPI-verankerte und andere Membranproteine, einschließlich peripherer und integraler Proteine, darunter auch solche, die Signaltransduktion voll-
führen. Stomatin assoziiert mit mechanosensitiven Kanälen, von Protozoen bis zum Menschen. Weniger gesichert erscheint die Funktion des SPFH-Proteins Prohibitin, das verschiedenartige Wirkungen entfalten kann (pleiotrope Effekte), aber besonders in Mitochondrien vorkommt. Zusammenfassend kann Folgendes festgestellt werden: 5 Sowohl bei den flachen Mikrodomänen als auch bei den Caveolae gibt es eine Assoziation mit G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, mit der rezeptorunabhängigen
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Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
multifunktionellen Tyrosinkinase Fyn bzw. mit Src-Kinasen (7 Abschn. 10.9). Daher ist für beide Arten von Mikrodomänen eine Funktion für die Signaltransduktion gegeben. 5 Beide Strukturen, flache Mikrodomänen und Caveolae/Caveosomen, enthalten auch GPI-verankerte Proteine. Für die flachen Reggie/Flotillin-basierten Mikrodomänen wurde dies für das Prionprotein PrPc und für das Zelladhäsionsprotein Thy-1 gezeigt, das als das kleinste Zelladhäsionsprotein mit Ig-Domänenstruktur gilt. (Interessanterweise steht die Funktion dieser beiden neuronalen Zelloberflächenproteine immer noch nicht endgültig fest.) Die Transmembransignalgebung durch diese GPI-Proteine scheint bei fehlender Transmembrandomäne durch ihr Clustern in den Mikrodomänen zu erfolgen. 5 Dynamische Prozesse wurden ebenfalls für beide Arten von Mikrodomänen gezeigt: Wie erwähnt, unterliegen Caveolae der Abknospung als Caveosomen bzw. der Transcytose. Flache Mikrodomänen werden in „recycling vesicles“ von der organelltypischen GTPase Rab11 „bedient“ (zu GTPasen vgl. 7 Abschn. 9.4.4). Insgesamt wird eine distinkte, lokal differenzierte Zusammensetzung der Zellmembran gewährleistet. 5 Trotz mehrfacher Behauptungen, Flotillin/Reggie würde – ähnlich wie Clathrin – direkt als Belagbildner über Endocytosevesikel in die Zelle hineingehen, setzte sich zunehmend die Ansicht der Gruppe um Claudia Stürmer durch, dass die Internalisierung von Proteinen der flachen Mikrodomänen vielmehr unabhängig von Reggie/Flotillin über clathrinvermittelte Endocytose läuft [42]. Dieses wurde jedenfalls für PrPc sichergestellt, das nach Befunden der Gruppe um Adriano Aguzzi 2017 das für die clathrinvermittelte Endocytose typische Adaptorprotein 2 (AP-2) benö-
tigt. Beide, PrPc und PrPsc, enden in späten Endosomen/Lysosomen oder aber auch in „multivesicular bodies“ (lysosomenartige Strukturen mit zahlreichen kleinen Vesikeln im Innern; Abb. 13.1 und 13.3, 7 Abschn. 13.3.2). (Die normale und die pathologische Form des Prionproteins PrPc bzw. PrPsc werden in 7 Abschn. 12.9 ausführlicher besprochen.) Für PrPc ist eine Übereinstimmung mit Daten der Gruppe um Stanley Prusiner, die dem Prionkonzept zum Durchbruch verholfen hatte, zu vermerken [43]. (Dieser Gruppe war allerdings die differenzielle Analyse von PrPsc noch nicht zugänglich.) Flotillin/Reggie wird im Innern der Zelle rekrutiert, wo es in einem Recyclingprozess unter Beteiligung der GTPase Rab11, die für „recycling endosomes“ typisch ist, an die Zellmembran gelangt [44]. Flotillin/Reggie bildet sozusagen eine „Palette“ für die Bereitstellung verschiedener Proteine in Mikrodomänen der Zellmembran; diese werden aber von der Reggie/Flotillin-„Palette“ auf eine Clathrin-„Palette“ umgelagert, bevor sie abtransportiert werden können. Dagegen ist ihre Beteiligung an der Bildung von multivesicular bodies und der Freisetzung ihrer Vesikelchen per Exocytose in den letzten paar Jahren von mehreren Arbeitsgruppen bestätigt worden. Damit eröffnet sich das Bild einer dynamischen Regulation der Zellmembran, die offensichtlich bei der Regeneration von Axonen („axonal regeneration“) eine Rolle spielt, zumal dabei die Expression von Flotillin/Reggie zusammen mit jener von Neurolin (Familie der Ig-Oberflächenglykoproteine) hochreguliert wird. Auch wurde hier in den 2010er-Jahren in Neuronen (wie bei Caveolae, 7 Abschn. 5.6.3) eine Anbindung spezifischer Elemente der Signaltransduktion, wie GPCRs und Tyr-Kinasen, gefunden. Interessant ist auch der Befund aus den 2000er-Jahren, dass in T-Lymphocyten
5.7 · Stoffaustausch
das normale Prionprotein PrPc mit Flotillin/Reggie-basierten Mikrodomänen assoziiert ist. Komponenten können reversibel eingebaut und weggenommen werden – eine stetig vonstatten gehende Dynamik: Der T-Zell-Rezeptor wird in Reggie/Flotillin-basierten Mikrodomänen geclustert, die bei Aktivierung zum typischen „Capping“ zusammenfließen und Signaltransduktion bewerkstelligen [45]. Diese „Membrankompartimentierung“ wurde 2020 als wichtig für die Migration unter GPCR-vermittelter Signaltransduktion in T-Lymphozyten beschrieben [46]. 5.7 Stoffaustausch
Die Zellmembran stellt zunächst eine unüberwindliche Barriere dar, die den beliebigen Ein- und Austritt von Stoffen verhindert und so das innere Milieu der Zelle bewahrt. 5.7.1 Ionen- und Wassertransport
Für Ionen hat die Zellmembran eigene Pforten verfügbar, die Ionenkanäle mit weitgehender Selektivität, ebenso wie Pumpen, die durch Hydrolyse von ATP in Betrieb gehalten werden, also ATPasen sind (primär aktiver Transport). Eine von ihnen, die Na+/K+-ATPase/Pumpe, wurde regelrecht als „die Transport-ATPase“ schlechthin bezeichnet. Allerdings blieb sie für den Entdecker, den Dänen J. C. Skou (1957), Nobelpreisträger für Chemie 1997, noch namenlos. Allgemein gilt für tierische Zellen die Regel, dass Na+ in der Zelle in geringer, K+ dagegen in hoher Konzentration eingestellt wird. Da es auch an der Zellmembran immer eine gewisse Leckrate gibt, muss andauernd nachreguliert werden. Etwa ein Viertel bis ein Drittel unseres ATP-Umsatzes benötigen wir für diese Ionenhomöostase. Der Konstanzer Elektrophysiologe H.-J. Apell hat die Erforschung
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dieses komplexen Moleküls bis in feinste Details vorangetrieben. In seinen historischen Rückblicken aus den letzten paar Jahren [47] erwähnt er auch Mutationen mit medizinischen Folgen, so bei bestimmten Formen von Migräne und Herzaktivität, bis hin zu Teilaspekten der Parkinsonund der Alzheimer-Krankheit. Der selektive Ionentransport lässt offensichtlich nicht viel Spielraum für eine mutierte Primärstruktur der Na+/K+-ATPase zu. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Gegentransportsysteme (Antiporter), die z. B. ein Kation im Austausch gegen ein anderes importieren. Auch Symporter (griech. „σύν, syn“ = zusammen, lat. „portare“ = tragen) gibt es, wie für verschiedene Zucker, die als Komplex gemeinsam mit bestimmten Ionen, z. B. Na+ im Falle von Glukose, aufgenommen werden. Jardiance, ein modernes Medikament gegen die Zuckerkrankheit, wurde 2014 zugelassen. Es stellt einen Inhibitor des Glukose/ Na+-Kotransporters dar, der in den proximalen Tubulusepithelzellen der Niere die physiologische Rückresorption der Glukose hemmt. In den 1960er-Jahren führte Giorgio Semenza an der ETH Zürich hierzu wichtige Untersuchungen durch. Semenza, den ich in den 1960er-Jahren erstmals wegen eines anstehenden Projekts konsultiert und später im Beirat eines Max-Planck-Instituts wieder getroffen hatte, konnte 1975 den Internationalen Preis für Moderne Ernährung entgegennehmen. Das mit den Zuckermolekülen huckepack mit importierte Na+ wird vermittels der Na+/K+-(Transport)-ATPase wieder exportiert. Der Transport dieser Ionen verbraucht direkt ATP und ist ein primär aktiver Transportprozess, wohingegen der Import von Zuckermolekülen ein sekundär aktiver Prozess ist, weil er ATP nur indirekt für die Wiederherstellung der intrazellulären Na+-Konzentration, [Na+]i, verbraucht. Darüber hinaus gibt es Transportsysteme für Aminosäuren, Nukleotide, Phosphat, Ca2+ und Mg2+ und einige mehr.
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Kapitel 5 · Zelluläre Membranen. Die Zellmembran: Umschlagplatz für Stoffe und Information
Selbst für Wasser gibt es von Bakterien bis zu den höchstentwickelten Eukaryoten, Pflanzen wie Tiere, selektive Porenproteine für die erleichterte Diffusion, die Aquaporine. Sie beschleunigen den Ausgleich des osmotischen Drucks. Die molekulare Identität dieses Porenproteins wurde ab 1986 erkannt, und ab 1992 erschloss sich die etwas ungewöhnliche Molekularstruktur. Dazu wurden die cDNA (7 Abschn. 6.10) und gezielt mutierte Varianten davon heterolog in den großen Oocyten des Krallenfrosches (Xenopus laevis) exprimiert – einerseits, weil diese kein derartiges Protein enthalten, und andererseits, weil eine korrekte Glykosylierung gewährleistet ist. Dies ist eine Mustervorlage für die Vorgehensweise für Kanalproteine, wie sie bis ganz rezent für derlei Probleme appliziert wird, denn die Moleküle lassen sich auf diese Art einerseits in situ funktionell über Elektrophysiologie analysieren und andererseits in großer Menge isolieren. Daraus resultierte 1994 das Uhrglasmodell von P. Agre, Baltimore: Das Aquaporin-Protein besteht aus zwei zusammenhängenden Hälften von ähnlicher Sequenz, jede mit je drei Transmembranbereichen [48]. Von jeder der beiden Hälften wölbt sich eine Schleife bis zur Hälfte der Lipiddoppelschicht, eine von der Cytoplasma- und die andere von der Außenseite, sodass sie sich in der Mitte der Membran zu einer Pore zusammenlagern können. In Zusammenarbeit mit P. Agre wurde durch den Schweizer A. Engel das Modell mittels Kryoelektronenmikroskopie konsolidiert. 5.7.2 Transport von Aminosäuren
Erst in den letzten paar Jahrzehnten wurde die molekulare Identität zahlreicher Transporter aufgeklärt, einschließlich der Aminosäurentransporter. Eine wesentliche Motivation hierfür kam von der Tatsache, dass derlei Moleküle einerseits Aminosäuren mit
Neurotransmitterfunktion transportieren, wie Glycin und Glutamat, und andererseits das Ziel zahlreicher Toxine, Suchtgifte und Pharmaka sind. Sie sind Mitglieder der SLC-(„solute carrier family“-)Superfamilie. Es sind dies Aminosäuretransporter vom Typ EAAT, ASCT, GLYT, B0AT und LAT, wie sich seit Anfang der 2000er-Jahre ergeben hat. In abgekürzter Darstellung gilt Folgendes: EAAT transportiert die sauren Aminosäuren Glutamat und Aspartat, ASCT neutrale Aminosäuren, und GLYT transportiert Glycin; LAT ist für kationische Aminosäuren zuständig und B0AT für eine ganze Palette von Aminosäuren (Glutamin, Leucin, Cystein, Valin, Isoleucin, Methionin, Phenylalanin, Alanin, Serin und Asparagin). Die althergebrachte Saga, es gebe drei Carriertypen, jeweils einen für saure, basische und neutrale Aminosäuren, ist daher nur eingeschränkt weiter gültig. Eine spezifische Expression gibt es je nach Gewebetyp. Dieses zähe Stück Arbeit verlief immerhin schneller als die Entdeckung der verschiedenen Aminosäuren selbst, die sich über 13 Jahrzehnte (!) hingezogen hatte: Die Erste war 1806 das Asparagin aus der Spargelpflanze (Asparagus spec., Spargelgewächse), gefolgt von Cystin 1810 (Dimer von Cystein, 1884), Glycin und Leucin (1820) und schlussendlich Threonin (1935). 5.7.3 Freier Durchtritt
oder Kontrolle durch Membranporen
Manche Substanzen sind seit Jahrzehnten als besonders gut lipidlöslich bekannt; sie können direkt durch die Lipiddoppelschicht der Zellmembran hindurchdiffundieren (permeieren). Dazu gehört nicht nur der in 7 Abschn. 5.2 angesprochene Harnstoff, der unter dem vornehmer klingenden Namen Urea vielen Hautcremes zugemischt wird; dazu gehören auch Steroide,
95 Zitierte Literatur
einschließlich der Steroidhormone wie Cortisol und der Sexualhormone. Einmal in der Zelle, treffen sie auf frei gelöste Rezeptoren, mit denen sie durch die Kernporen in den Zellkern eindringen, wo sie spezifische Bindestellen vorfinden und dergestalt spezifische Gene aktivieren. Ähnliches gilt für die Schilddrüsenhormone T3 und T4 (Tri- und Tetrajodthyronin), nur dass hier die Rezeptoren bereits an den Zielgenen bereitliegen. Dieses Prinzip wurde erstmals um 1960 für das steroidale Häutungshormon Ecdyson erkannt, das an den Riesenchromosomen von Drosophila im Lichtmikroskop sichtbare „Puffs“ (aufgelockerte Chromosomenstrukturen) induziert – ein untrügliches Zeichen von Genaktivierung (. Abb. 6.1 und Abschn. 10.5). Es gibt noch weitere Pforten zum Durchtritt durch bestimmte Membranen: die Außenmembran gramnegativer Bakterien und die Außenmembran von Mitochondrien und Chloroplasten (7 Abschn. 8.3.3) besitzen tunnelartige Proteine, die Porine. Entdeckt wurden die Porine in der bakteriellen Zellmembran durch den japanischstämmigen US-Mikrobiologen H. Nikaido, wovon an die 70 Publikationen aus der Zeit von 1973 bis 1994 zeugen. Porine sind Transmembranproteine, die aus 16 bis 18 antiparallel angeordneten Motiven bestehen (β-Sheets), den Dauben eines Fasses („barrel“) vergleichbar (β-Fass-Struktur = β-Faltbatt-Struktur). Dabei halten sie eine Pore von wenigen Nanometern (10–9 m) frei. Porine erlauben den freien Durchtritt von Ionen und kleinen Molekülen bis ungefähr 600 Dalton Größe (passive Diffusion) und sind für den Durchtritt mancher Antibiotika entscheidend. Daneben sind sie in Eukaryotenzellen am Import von Proteinen in die autonomen Organellen maßgeblich beteiligt. Die großen Verdienste des „Porinologen“ Nikaido um 1976/1977 wurden bereits früher gewürdigt (7 Abschn. 5.4).
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Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung Inhaltsverzeichnis 6.1 Historischer Rückblick: ein Start mit Hindernissen mit Nachwirkung uralter Vorurteile – 102 6.2 DNA ab origine – wie sie als Erbträger entdeckt wurde – 103 6.3 Strukturelle und funktionelle Organisation des Zellkerns – 108 6.4 Der Randbereich des Zellkerns im Fokus – 116 6.5 Kernmembran mit Kernporen: Stoffaustausch zwischen Cytosol und Zellkern – 117 6.6 Wer „sagt“ dem Kerngenom, was zu tun ist – Befehle an den Befehlshaber? – 121 6.7 Das Geschlecht ist im Zellkern einer jeden unserer Zellen festgelegt – 122 6.8 Ein paar Worte zu Nukleolus, Telomeren und Ribozymen – 124
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 H. Plattner, Abenteuer Zellbiologie – Streifzüge durch die Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66740-8_6
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6.9 Umsetzung von „Befehlen“ aus dem Zellkern und das zentrale Dogma der Molekularbiologie – 127 6.10 Moderne Methoden der Genetik in der Zellbiologie – 128 6.11 Genaue Zielansprache im Genom ist gefragt – 132 Zitierte Literatur – 136
101 Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ …
Der Zellkern dient mit seiner DNA als Informationsspeicher für die Synthese von Proteinen, die für Struktur und Funktion in der gesamten Zelle relevant sind. Daneben kodiert und produziert er Transfer- und ribosomale RNAs. Nach dem Umschreiben der DNA in messenger-RNA (mRNA) geht die Botschaft zur Umsetzung ins Cytosol. Über die Kernporen läuft ein intensiver, kontrollierter nukleocytoplasmatischer Transport in beide Richtungen. Die Proteinkodierung betrifft allerdings nur einen geringen Anteil der DNA, wohingegen die restliche DNA nach Erkenntnissen der vergangenen 20 Jahre für epigenetische Steuerungsprozesse vorgesehen ist (7 Abschn. 12.9). In unseren Zellkernen sind ca. 2,3 m DNA in einem Kern von wenigen µm Größe unterzubringen. Dies wird nach Befunden in den 1970er-Jahren durch die Speicherung als DNA-Histon-Komplexe in Form von Nukleosomen erleichtert, wobei ein Gen sich über viele Nukleosomen erstreckt. Übergeordnete Strukturen des Histon-DNA-Komplexes stehen immer noch zur Diskussion. Überraschenderweise konnte die Elektronenmikroskopie über lange Zeit nur in relativ bescheidenem Ausmaß zur Aufklärung der strukturellen und funktionellen Integration des Genoms im Zellkern beitragen; dabei waren lichtmikroskopische Markierungen erfolgreicher. Die Anordnung der aufgelockerten Interphasechromosomen im Kern setzt vielfach an der Kernlamina an und scheint nicht völlig willkürlich zu sein. Der nukleocytoplasmatische Stoffaustausch über die Kernporen erschloss sich auf molekularer Basis seit den späten 1960er-Jahren – in jener Zeit, als auch Restriktionsenzyme und die physiologische Relevanz der Telomere und Telomerasen bekannt wurden. Auch ist zu diskutieren, dass das Kerngenom zwar die
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Blaupause für den Bau der Zelle enthält, dass aber im Laufe der Evolution in zunehmendem Maße weitere Faktoren und Mechanismen bei der Umsetzung dieser Blaupause mitspielen. Dabei stellte sich in den vergangenen zwei Dekaden heraus, dass die sogenannte „junk DNA“ („Abfall-DNA“) mit über 98 % Anteil an der Gesamt-DNA einer Säugetierzelle nichtproteinkodierende Gene enthält und ein Sortiment an regulatorischen RNAs produziert. Neue methodische Entwicklungen ermöglichen gezielte Eingriffe in Gene und Beobachtungen in vivo.
Es ist nicht übertrieben, den Zellkern als die Kommandozentrale der Zelle zu bezeichnen, wenngleich der Kern nicht alle Information enthält. Dazu kommt nämlich noch der sehr geringe Anteil an DNA der Mitochondrien und bei Pflanzenzellen zusätzlich die DNA der Plastiden (Chloroplasten), mtDNA bzw. ptDNA, die auch als Chondriom und Plastom bezeichnet werden. Die Gesamtheit der Gene, nukleäre und extranukleäre, bezeichnet man zwar als das Genom, aber im Alltag meint man unter Genom meistens nur die Kern-DNA. Mit 3 × 109 Basenpaaren (bp) bei Säugetieren übertrifft das Kerngenom bei Weitem das Genom von Bakterien mit 106 bis 107 bp. Die Länge der gesamten DNA eines einzigen menschlichen Zellkerns beträgt 2,3 m. Dies übertrifft den Kerndurchmesser, der im Allgemeinen bei wenigen Mikrometern liegt (≈5 µm), etwa um das Millionenfache; daher musste die Zelle Vorkehrungen treffen, damit es nicht zum Verheddern der sehr dünnen (2 nm) und sehr langen DNA kommt. Dazu gibt es zwei Mechanismen: die Bildung von DNA-Histon-Komplexen und die Aufteilung des Genoms in mikroskopisch sichtbare Kopplungsgruppen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts bekannten Chromosomen.
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Kapitel 6 · Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung
Kehren wir zu den Anfangszeiten der Zellbiologie zurück. Antonie van Leeuwenhoek hat im 17. Jahrhundert wohl als Erster den Zellkern gesichtet. Max Schultze hatte bereits 1861 den Zellkern als Charakteristikum der tierischen Zellen mit einbezogen, und dasselbe gilt ja auch für Pflanzenzellen, d. h., der Zellkern ist das Charakteristikum aller Eukaryotenzellen („ευ, eu“ = schön, gut; „κάρυον, karyon“ = Kern). Um den Kern und seine Veränderungen in verschiedenen Funktions- und Teilungsstadien zu untersuchen, wurden verschiedene lichtmikroskopische Färbemethoden eingeführt. Standardmäßig wird der Kern durch Hämatoxylin angefärbt, was sich gegenüber der Eosinfärbung großer Teile des umgebenden Cytoplasmas abhebt. Diese immer noch gängige Differenzialfärbung wurde in England 1848 von dem Histologen J. T. Quekett und in Deutschland 1863 von seinem Kollegen H. Wilhelm Waldeyer eingeführt. Ein kleines Körperchen innerhalb des Kerns wurde erst als Kernkörperchen, später dann als Nukleolus bezeichnet, das im „Ruhekern“, aber nicht im teilungsaktiven Kern hervorsticht. (Der Ausdruck Ruhekern ist irreführend, weil er sich nur auf die Teilungsaktivität bezieht und nicht auf seine sehr ausgeprägte Stoffwechselaktivität. „Interphase-Kern“ wäre besser.) Die anfangs ungenügenden Färbemethoden hatten H. W. Waldeyer allerdings genügt, um bereits 1888 den geformten Elementen im Zellkern die Bezeichnung Chromosomen zu geben („χρῶμα, chroma“ = Farbe; „σώμα, soma“ = Körper). Für die DNA entwickelte Robert J. W. Feulgen, aus Essen-Werden stammend, 1926 die nach ihm benannte, fortan häufig verwendete Färbemethode [1], die spezifischer war als die früher verfügbaren Methoden. Der geringere Anteil an organelleigener DNA wurde nicht wahrgenommen. Ab 1936 wurden die Kernfärbungen teilweise durch die UV-Mikroskopie ersetzt, die der Schwede Torbjörn O. Caspersson eingeführt hat. Er mikroskopierte
hromosomen in verschiedenen FunktiC onsstadien und isolierte auch DNA aus Kalbsthymus, dessen Zellen wenig Cytoplasma und dafür umso mehr Kernanteil haben. Da die Feulgen-Methode relativ umständlich ist und die UV-Abbildung teures Gerät benötigt und nicht gut mit weiteren Färbungen spezifischer Zellkomponenten kombinierbar ist, suchte man nach weiteren spezifischen Färbemethoden.
6.1 Historischer Rückblick:
ein Start mit Hindernissen mit Nachwirkung uralter Vorurteile
Einige der heutigen Kenntnisse wurden sowohl vom Vater der Genetik, Gregor Mendel, zur Zeit der K.-u.-k.-Monarchie in Brünn (heute Tschechien) als auch von dem englischen Evolutionsforscher Charles Darwin irgendwie vorausgeahnt. Mendel darf man als Begründer der Genetik (1866), Darwin als den Begründer der Evolutionsforschung sehen (1838). Sie wussten um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch nichts von Genen, haben sie aber indirekt wohl postuliert, wo sie doch eine physische Grundlage für Vererbung bzw. deren Änderung während der Evolution ins Auge gefasst hatten. Mendel hatte sein Opus „Versuche über Pflanzen-Hybriden“ 1866 in den Verhandlungen des Naturforschenden Vereines zu Brünn publiziert [2] und an einige führende Gelehrte geschickt. Bei einem fand man die Druckbögen noch ungeöffnet, sodass er die Seiten nicht gelesen haben konnte. Mendels „strategischer“ Nachteil war wohl, dass seine Aussagen auf einer statistischen Analyse von Eigenschaften beruhten – wo doch die untersuchten Eigenschaften in jedem Fall konkret waren, z. B. die Blütenfarbe oder die Oberflächenbeschaffenheit der Erbsensamen. Wenn Mendel von Kaiser Franz-Joseph 1872 mit dem Komturkreuz des Franz-Joseph-Ordens
6.2 · DNA ab orgine – wie sie als Erbträger entdeckt wurde
a usgezeichnet wurde, so war dies „… in Anerkennung seines verdienstlichen und patriotischen Wirkens …“. Nicht auszudenken, wenn es zu einer Begegnung der beiden Gelehrten Mendel und Darwin gekommen wäre! Der böhmische Vererbungsforscher Mendel, nach seiner „Wiederentdeckung“ hochgeschätzt, ist auch ein großartiges Beispiel für brillantes Versagen: In der Lehramtsprüfung ließ ihn ein altmodischer Prüfer, der die Vorstellung einer Verschmelzung von weiblichen und männlichen Zellen in der Pflanzenblüte als Zumutung empfand und strikt ablehnte, erst einmal durch die Prüfung rasseln. Darwins Pangenesis-(oder Panspermie-) Theorie – die Annahme von materiellen Erbeinheiten (Gemmulae), die von den Eltern auf die Nachkommen übergehen sollten [3], mit lamarckistischen Tendenzen – sollte seine 1859 publizierte Arbeit „On the Origin of Species by Means of Natural Selection“ ergänzen. Noch 1889 formulierte der holländische Genetiker H. de Vries eine intrazelluläre Pangenesis mit Sitz im Zellkern. 1885 postulierte der deutsche Entwicklungsbiologe August Weismann, dass kleine Einheiten von Material in den Zellen, die über Generationen weitergegeben werden, der Genetik zugrunde liegen (Keimplasmatheorie). Dieses Konzept wurde in seinem 1892 erschienenen Buch „Das Keimplasma“ [4] zu einer „Theorie der Vererbung“ weiter popularisiert. Er formulierte auch das Konzept von Stammzellen, das ebenfalls in seiner Theorie der Keimbahn zum Tragen kam (haploide Keimzellen, 7 Abschn. 6.2). Weismann hat nicht nur bedeutende Konzepte begründet, er ist auch ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die Weiterentwicklung von Methoden für den wissenschaftlichen Fortschritt genutzt werden kann. Im konkreten Fall war es die Verbesserung der mikroskopischen Präparationstechnik, insbesondere die Herstellung ausreichend dünner Gewebeschnitte (Mikrotomie).
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Der Erfolg im Bereich Zellbiologie und Genetik ist also konzeptionellen Entwicklungen in Verschränkung mit methodischen Entwicklungen zu verdanken. Dies ist eine allgemeine Tendenz in der Zellbiologie. Dennoch widmete beispielsweise der deutsch-amerikanische Evolutionsforscher Ernst Mayr [54] lediglich einen kleinen Absatz in seinem 1982 erschienenen, fast 1000 Seiten starken Buch „The Growth of Biological Thought“ (7 Kap. 1) der Relevanz von methodischen Entwicklungen. Insgesamt erfolgte in der Zellbiologie, wie in vielen anderen Sparten auch, eine schleichende Annäherung der Konzepte an die Realität, basierend auf vielerlei Aspekten. Die Ursprünge liegen oft in einer dumpfen Ahnung. So meinte der griechische Philosoph Anaxagoras, ein Vorsokratiker des 5. Jahrhunderts v. Chr., dass der Embryo bereits im Spermium vorgeformt sei. Diese Vorstellung nahm der große Philosoph Aristoteles auf, indem er den männlichen Beitrag bei der Befruchtung als formgebendes Element und den weiblichen Beitrag als bloß materielles Substrat ansah. Derlei Vorstellungen gingen als Hylemorphismus („ὕλη, hýlē“ = Stoff; „μορϕή, morphḗ“ = Form) in die Philosophie ein. Sie sollten über die Jahrhunderte die Soziologie und das soziale Leben bestimmen (7 Abschn. 12.5.1), wie der britische Biologe C. D. Darlington in seinem Buch „Die Wiederentdeckung der Ungleichheit“ eindringlich dokumentierte [5]. 6.2 DNA ab origine – wie sie als
Erbträger entdeckt wurde
Die DNA des Zellkerns (das Kerngenom) ist also der Hauptinformationsträger einer Zelle, und jede Zelle eines Organismus hat prinzipiell dieselbe Information. Verrechnet man die Länge der DNA pro Zellkern (2,3 m) mit der Gesamtzahl an Zellen (30 bis 40 × 1015) in unserem Körper, so ergäbe sich eine Strecke von ≈1014 km, also das
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Kapitel 6 · Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung
über 108-Fache der Entfernung zwischen Erde und Mond. Nur im Kern wird die DNA als Komplex mit Histonproteinen gespeichert. Diesen Komplex nennt man Chromatin. Diesen Terminus führte wegen der starken Anfärbbarkeit 1879 der deutsche Anatom W. Flemming ein. Von der relativ geringen Menge an DNA in den semiautonomen Organellen, dem Chondriom und Plastom, wird in 7 Abschn. 8.3 die Rede sein. DNA verschiedener Form wird in RNA verschiedener Art umgeschrieben, also messenger- (mRNA), ribosomale (rRNA) und Transfer-RNA (tRNA), sowie zusätzlich in epigenetisch aktive RNA-Formen verschiedener Art; 7 Abschn. 12.9. 1869 hat der Schweizer Mediziner Friedrich Miescher, nach dem noch heute Forschungsinstitute benannt sind, Nukleinsäuren aus den im Eiter enthaltenen Leukocyten isoliert und im Zellkern lokalisiert [6]. Die Funktion blieb noch spekulativ. Der Begriff Nukleinsäure wurde bereits 1889 von R. Altmann geprägt, und zwar zeitgleich mit der Erstbeschreibung der Mitochondrien. (Gleichzeitig berichtete er von deren Vorkommen auch in pflanzlichen Zellen.) Erst um 1902 erkannten der US-amerikanische Genetiker W. S. Sutton und der deutsche Zoologe T. Boveri die Chromosomen als die Träger der Erbfaktoren [7], deren Existenz vom mährisch-österreichischen Augustiner-Mönch und Abt Gregor Mendel postuliert worden war. Getragen wurde diese Chromosomentheorie 1875/1876 von den Beobachtungen des deutschen Anatomen O. Hertwig und des deutschen Botanikers E. Strasburger, dass auch bei Pflanzen die Befruchtung auf der Verschmelzung zweier Keimzellen beruht. (Bei Blütenpflanzen sind dies die Eizelle und die „spermatogenen Zellen“ des Pollenschlauchs.) Zusätzlich hatten T. Boveri und andere gefunden, dass bei der Bildung der Keimzellen die Zahl der „Kernkörperchen“ auf die Hälfte reduziert wird. Alle diese Beobachtungen passten
gut zusammen. Darauf baute der deutsche Zoologe A. Weismann 1885 seine Theorie von der Keimbahn auf. Später ließen sich mithilfe von Casperssons UV-Mikroskopie die Halbierung der DNA bei der Bildung der Keimzellen ebenso wie deren Verdoppelung nach der Befruchtung direkt am lebenden Objekt beobachten. 6.2.1 Aufbruch in die Moderne
Der in die USA ausgewanderte litauische Biochemiker A. T. L. Phoebus entdeckte 1909 die Ribose und 1929 die Desoxyribose; er prägte den Begriff Nukleotid für den Komplex aus Ribose bzw. Desoxyribose, Phosphatresten und den Basen Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T). Diese hatte, neben Uracil (U), 1910 der deutsche Mediziner A. Kossel entdeckt (Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 1910). Ihr paarweises Auftreten in der DNA wurde dann erst zwischen 1950 und 1952 von dem in den frühen 1930er-Jahren aus Österreich in die USA ausgewanderten Biochemiker Erwin Chargaff entdeckt [8]. Als er, bereits Emeritus, in den 1990er-Jahren als Gastredner zu einem Kongress in Konstanz eingeladen war, bat ich ihn, den wissenschaftskritischen Buchautor, um eine Diskussionsrunde mit unseren Studenten – und er kam. Was die Studenten wohl nicht wussten, war, dass ihn die „Chargaff’schen Regeln“ sehr nahe an den Nobelpreis gebracht hatten. Sie besagen, dass die DNA von Spezies zu Spezies unterschiedlich, innerhalb einer Spezies von Gewebe zu Gewebe jedoch gleich und vom Alter sowie vom physiologischen Zustand unabhängig ist. Von besonderer Wichtigkeit war auch Chargaffs Befund, dass der relative Anteil an Cytosin und Guanin bzw. Thymin und Adenin sich jeweils entsprechen. Damit war die Entdeckung der spezifischen Basenpaarung greifbar nahe, obwohl sich deren Bedeutung als Informationskode in der DNA für Chargaff nicht erschloss. D ieses
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6.2 · DNA ab orgine – wie sie als Erbträger entdeckt wurde
war dem US-Amerikaner James D. Watson und seinem britischen Gastgeber Francis H. C. Crick vorbehalten. Bis es so weit war, hielt man jedoch an der Vorstellung fest, es müssten wohl Proteine sein, welche die Erbinformation repräsentieren, denn die DNA erschien viel zu einfach strukturiert – mit nur vier Variablen: A, C, G, T. Bis Anfang der 1950er-Jahre gab es für die Interaktion von Proteinen und DNA im Zellkern denn auch recht komplizierte bis bizarre Modelle. Dass tatsächlich DNA und nicht, wie bis dato vielfach angenommen, Proteine die Essenz der Informationsspeicherung, also der Erbanlagen, darstellen, konnte zunächst nur an Bakterien und niederen Pilzen wie Neurospora crassa (Schlauchpilze, Ascomyceten) nachgewiesen werden. Prokaryoten sind in genetischer Hinsicht viel übersichtlicher, weil primitiver, da sie nur ein einziges, meist ringförmig geschlossenes DNA-Molekül (ohne Histone) als Erbträger besitzen. Pilze sind als Eukaryoten zwar komplexer, jedoch gibt es Formen bzw. Mutanten, die auxotroph, also auf die externe Zufuhr essenzieller Stoffe wie Vitamine, Lipidkomponenten usw. angewiesen sind. Spontane oder experimentell induzierte Änderungen (Mutationen) können daher relativ leicht nachgewiesen werden. (Das Phänomen der Auxotrophie für verschiedene Substanzen wurde später auch ausgenutzt – ebenfalls an Neurospora –, um den Nachweis der Vermehrung von Mitochondrien durch Teilung zu führen; 7 Abschn. 8.3.1.) 1941 produzierten G. W. Beadle und E. L. Tatum durch Röntgenstrahlung Mutanten des Pilzes Neurospora crassa, die bestimmte biochemische Prozesse nicht mehr ausführen konnten: beispielsweise die Vitamin-B6-Synthese, die Synthese des Thiazolteils von Vitamin B1 oder von p-Aminobenzoesäure. Nach Zugabe der fehlenden Stoffe können die Neurospora-Zellen wieder normal wachsen. Die Befunde implizierten die Theorie „ein
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Gen – ein Protein“ [9]. Die Autoren wurden 1958 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin bedacht. (Mit der durch Röntgenstrahlen induzierten Mutagenese wurde indirekt auch der erste Nobelpreisträger für Physik [1901], Wilhelm C. Röntgen, geehrt.) Aus heutiger Sicht stimmt die Theorie „ein Gen – ein Protein“ insofern nicht mehr ganz, als bei Eukaryoten die meiste mRNA als prä-mRNA synthetisiert und dann zu verschiedenen „gebrauchsfertigen“ mRNAs gespleißt wird (7 Abschn. 6.3.3 und 6.9.), sodass mehrere Isoformen eines Proteins gebildet werden können. Es folgten Oswald T. Avery und seine Mitarbeiter, die 1944 an Bakterien experimentell nachweisen konnten, dass DNA der Informationsträger ist [10]. In Pneumokokken Typ II kann durch Transfer einer aus DNA bestehenden, aus Typ-III-Zellen isolierten „aktiven Fraktion“ die Fähigkeit zur Kapselbildung wiederhergestellt werden. Diese Verpaarung läuft unter dem Terminus „Konjugation“. Im Orginaltext heißt es:
» Conclusion:
The evidence presented supports the belief that a nucleic acid of deoxyribose type is the fundamental unit of the transforming principle…
» [Schlussfolgerung:
Die vorgelegte Evi‑ denz unterstützt die Annahme, dass eine desoxyriboseartige Nukleinsäure die fundamentale Einheit des Transfor‑ mationsprinzips darstellt.]
Der Nobelpreis blieb dem kanadisch/ US-amerikanischen Team jedoch versagt, obwohl ihre Publikation im Journal of Experimental Medicine heute als eine Schlüsselarbeit des vergangenen Jahrhunderts angesehen wird. Hier fehlten seinerzeit dem schwedischen Nobelkomitee wohl die Experten. Was Avery an Prokaryoten gezeigt hat, zeigte der deutsche Botaniker Joachim Hämmerling in den 1930er- bis 1950er-Jahren an der bis zu 6 cm großen,
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Kapitel 6 · Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung
editerranen einzelligen Alge Acetabulam ria (Schirmalge). Sie besteht aus einem Hut und einem Stiel und ist mit einem „Rhizoid“ am Substrat verankert; in der Stielbasis enthält sie einen einzigen Zellkern. Die Hutform ist bei verschiedenen Populationen unterschiedlich. Wird der Hut weggeschnitten, so lebt die Alge weiter und kann den Hut regenerieren. Das erlaubte auch auf einfachstem Weg den Austausch von Zellkernen aus verschiedenen Populationen, die nunmehr die Hutform bestimmten. Diese Experimente zeigten insgesamt, dass die morphogenetische Information von der DNA des Zellkerns ausgeht. Die Struktur der DNA als Doppelhelix wurde 1953 von dem US-Amerikaner James Watson und dem Briten Francis Crick, damals beide in Cambridge (GB), in der Zeitschrift Nature publiziert [11]. Die kurze Abhandlung wirkte wie ein epochaler Paukenschlag und bestimmt die Molekularbiologie bis heute. Hintergründe, die zu dieser Entdeckung führten, erfuhr man aus dem Buch des US-amerikanischen Gastes James Watson, „The Double Helix“ (1968; deutsch „Die Doppelhelix“ [12]). Darin wirkt er nicht immer so ernsthaft, wie es seine und Cricks Entdeckung war; das sollte wohl auch der Untertitel „A Personal Account of the Discovery of the Structure of DNA“ andeuten. Hinlänglich bekannt ist die paarweise Bindung von Adenin und Thymin sowie Guanin und Cytosin, die jeweils am Desoxyribosephosphat-Rückgrat hängen, wobei die Basenpaare über Wasserstoffbrücken zwischen den beiden gegenüberliegenden Strängen der Doppelhelix verbunden sind. Ebenso ist wohl allgemein bekannt, dass ein Triplett solcher Basenpaare eine Aminosäure kodiert. Allerdings dürfte weniger bekannt sein, dass es ein Kern- bzw. Astrophysiker war, der so nebenbei die Tripletttheorie der Informationsspeicherung in der DNA ersonnen hat: Der aus der Ukraine stammende, später in den USA arbeitende Physiker George Gamow war 1954 durch Berechnungen
zur notwendigen Anzahl an Nukleotiden pro Aminosäure auf den Triplett-Kode gekommen [13]. Seine Bücher wie „The Origin of Chemical Elements“ waren zu meiner Zeit ein begehrtes Thema für die Nebenfachprüfung zum Dr. phil. (philosophiae). Sein Hauptinteresse galt der Bildung verschiedener Elemente nach dem Urknall, also quasi der frühesten Evolution. (Diese Sparte wurde von Edwin Salpeter, dem Mitarbeiter des deutschstämmigen Departmentchefs Hans Bethe [Abschn. 17.1.3] an der Cornell University weiterverfolgt; Bethe war auch Mitautor des genannten Buches von Gamow.) Hier traf die Kosmologie auf die Genetik – Kerne hier wie dort, wie E. Chargaff in seinem Buch „Heraclitean Fire“ (1978; deutsch: „Das Feuer des Heraklit“ [14]) diskutiert, in dem er auf die Gefahren der Kernphysik und der Manipulation des Zellkerns abhebt. 1966 publizierte auch der österreichische Biologe Jörg Klima im Journal of Theoretical Biology vielbeachtete Berechnungen zum „Informationsfluss beim Nachbau von Kettenmolekülen“. Die Berechnungen der entsprechenden Kurven erfolgten mithilfe einer Handrechenmaschine mit Walzen (die wir, seine Studenten und Mitarbeiter, wegen der Bedienungsweise respektlos die „Kaffeemaschine“ nannten). Dabei zeigte er, dass von der Effizienz her die Triplettlösung optimal war. 6.2.2 Vieles blieb noch zu klären
Noch blieb zu klären, wie die DNA repliziert wird, sodass von einer Zelle wieder doppelsträngige DNA weitergegeben werden kann. Eines der schönsten und einfachsten Experimente der Zellbiologie veröffentlichten 1958 die beiden US-Amerikaner M. Meselson und F. Stahl in den Proceedings of the National Academy of Science USA [15]. Sie züchteten Bakterien zunächst auf einem Nährmedium mit dem Stickstoffisotop der Masse 15, 15N. Nach
6.2 · DNA ab orgine – wie sie als Erbträger entdeckt wurde
20 min, der Verdoppelungszeit der Bakterien, übertrugen sie diese Bakterien auf ein Medium mit 14N. Bei der anschießenden Dichtegradienten-Ultrazentrifugation sollte der Dichteunterschied von 15N und 14N sichtbar werden; es zeigte sich jedoch eine einzige Bande bei intermediärer Dichte. Eine konservative Replikation konnte damit ausgeschlossen werden, weil in diesem Falle zwei Banden hätten auftreten müssen, je eine für 15N- und eine für 14N-markierte DNA. War die Markierung mit 14N zufallsmäßig über die neuen DNA-Moleküle verteilt? Sie erhitzten die Proben für 30 min auf 100 °C, um die einzelnen DNA-Stränge zu trennen. Die anschließende Ultrazentrifugation ergab zwei Banden, jeweils eine für die beiden Stickstoffisotope. Damit war gezeigt, dass der 15N-Strang als solcher erhalten blieb, während der 14N-Strang neu gebildet wurde (semikonservative Replikation der DNA). Dabei dient der 15N-Strang als Vorlage für den neu gebildeten 14N-Strang. 1961 hatten die US-Amerikaner M. W. Nirenberg und J. H. Matthaei ebenfalls in den Proceedings of the National Academy of Sciences USA über „dependence of cellfree protein synthesis in E. coli upon naturally occurring or synthetic polyribonucleotides“ berichtet [16]. Welch ein Fortschritt seit der ersten Feststellung von Friedrich Wöhler 1828, dass synthetische Moleküle solchen aus der Natur durchaus äquivalent sind (7 Abschn. 1.1) – und dies nun im quasiheiligen Bezirk der Erbanlagen. 1962 starteten die Autoren mit der Enthüllung des Triplett-Kodes, und 1963 konnte Nirenberg einen Artikel mit dem Titel „On the coding of genetic information“ publizieren, in dem eine Liste der Tripletts für verschiedene Aminosäuren bei E. coli enthalten war [17]. Weitere Gruppen fanden im selben und im darauffolgenden Jahr, dass dieser Kode im Organismenreich weitgehend eingehalten wird. Nirenberg erhielt 1968 gemeinsam mit dem pakistanischstämmigen US-Forscher Har G. Khorana
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und dem US-Biochemiker Robert W. Holley den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Khorana hatte experimentell zur Entzifferung des genetischen Kodes beigetragen, Holley dagegen zum Verständnis, wie dieser Kode umgesetzt wird, indem er die erste tRNA isolierte. Daraus ergab sich insgesamt ab Anfang der 1960er-Jahre das Bild, dass der genetische Kode aus Nukleotidtripletts die Abfolge der Aminosäuren eines Proteins kodiert (Primärstruktur), dass der Kode in der mRNA weitergegeben wird (Transkription) und die jeweiligen Aminosäuren von jeweils spezifischen tRNAs für die Proteinsynthese antransportiert werden (Translation). Notiz am Rande: 1974 fand die Biochemikerin T. Stadtman ein Derivat der Aminosäure Cystein mit einer selenhaltigen Seitenkette (HSe-) [18]. Selenocystein besitzt ein geringeres Reduktionspotenzial, sodass selenocysteinhaltige Proteine häufig unter anti-oxidativen Enzymen gefunden werden, beispielsweise in manchen Dehydrogenasen, Reduktasen und Dejodasen. Bemerkenswert ist, dass es für Se-Cystein eine eigene tRNA gibt. Se-arme Böden resultieren in pathologischen Mangelerscheinungen. Aus der Verwendung von vier Nukleotidspezies in Tripletts als Kode ergäben sich jedoch 43 mögliche Tripletts; es stünden also 64 Tripletts für die 20 Aminosäuren unserer Proteine zur Verfügung. Dieses Potenzial wird nicht voll ausgenutzt; andererseits wurde gezeigt, dass es mehrere Tripletts für jede einzelne Aminosäure gibt, d. h., der Kode ist degeneriert. Obwohl man in der Folge allgemein von einem „universellen genetischen Kode“ spricht, gilt das nicht für das gesamte Organismenreich. So verwenden niedere Tiere bzw. Protozoen teilweise abweichende Tripletts. So berichteten 1985 vier (!) Gruppen unabhängig voneinander, dass bei Ciliaten ein oder zwei von drei Stoppkodon-Tripletts zu Kodons für Glutamin umfunktioniert wurden. Ab 1989 wurde Ähnliches von anderen Einzellern, der Grünalge
Kapitel 6 · Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung
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cetabularia und den parasitären DiplomoA naden (Flagellaten), berichtet. Die Gruppe des polnischstämmigen, nun in der Schweiz forschenden jungen Molekularbiologen M. Nowacki spürte genetische Kodestrukturen ohne dezidierte Stoppkodons auf; die Autoren fanden 2016 eine Beendigung der Transkription aus dem gegebenen Kontext heraus und postulierten dieses Phänomen als Grundlage für die Weiterentwicklung des genetischen Kodes. All dies schränkt daher in gewisser Weise den Lehrbuchsatz‚ der genetische Kode sei universell, ein. In der Nature-Publikation von Watson und Crick 1953 [11] ist folgender Passus besonders interessant:
» It
has not escaped our notice that the specific pairing we have postulated immediately suggests a possible copying mechanism for the genetic material.
» [Es
ist nicht unserer Aufmerksamkeit entgangen, dass die von uns postulierte spezifische Paarung unmittelbar auf einen möglichen Kopiermechanismus für das genetische Material hinweist.]
In der Tat läuft ein DNA-Faden vom einen zum anderen Ende eines Chromosoms durch und wird vor der Kern- und Zellteilung verdoppelt, wie A. C. Howard und S. Pelc zeitgleichzeitgleich mit Watsons und Cricks Erkenntnis der Doppelhelixstruktur festgestellt haben. Dazu passt auch die von Meselson und Stahl gefundene semikonservative Replikation [15]. Watson und Crick wurden inspiriert durch die Röntgenbeugungsdiagramme der Biophysikerin Rosalind Franklin, die am Kings College in London forschte. Dass sie vom Nobelpreis-Komitee übergangen wurde, sieht heute unglücklich aus, aber die Möglichkeit einer nachträglichen oder gar posthumen Ehrung ist nicht vorgesehen, ebenso wenig wie eine nachträgliche Aberkennung. (Nur der Immunologe Ralph Steinman hat 2011 den Nobelpreis nach seinem erst mit einigen Tagen
erzögerung bekannt gewordenen Tod erV halten.) Die 1962 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geehrten Autoren Watson und Crick versuchten auch, den Sohn von Linus Pauling „anzuzapfen“, um zu erfahren, wie der Grandseigneur der makromolekularen Strukturen über das Problem dachte; so liest es sich in Watsons Buch „The Double Helix“ (1968). Von Erwin Chargaff wurden sie in seinem Buch „Das Feuer des Heraklit“ dafür mit einem Seitenhieb bedacht [14], hatte er doch die so suggestive Stöchiometrie der Nukleotidbasen in der DNA entdeckt! Allein: Der Funke war nur bei Watson und Crick übergesprungen, und das machte den großen Unterschied.
6.3 Strukturelle und funktionelle
Organisation des Zellkerns
Der Mensch hat einen diploiden Satz von insgesamt 46 Chromosomen, davon je zwei gleichartige Autosomen und zwei gleiche oder verschiedene Geschlechtschromosomen (Gonosomen): XY für männliche und XX für weibliche Determination. (Früher hatte sich wohl jemand einmal verzählt und zwei Autosomen zu viel, also insgesamt 48 Chromosomen angegeben.) Nach einer 1949 in Nature publizierten zweiseitigen Arbeit von M. L. Barr und E. G. Bertram [19] kann das zweite X-Chromosom der Frau zu einem Barr-Körperchen kondensiert werden. Das bot eine einfache Möglichkeit zur Bestimmung des biologischen Geschlechts, beispielsweise bei verdächtig leistungsstarken Sportler*innen mit virilem Habitus. Ein solcher Fall betraf die österreichische Skirennläuferin Erika Schinegger. Erfolg und Erscheinungsbild verlangten einen Geschlechtstest: Sie/er war zwar genetisch männlich determiniert, jedoch war die Ausbildung der primären Geschlechtsorgane ungewöhnlich. Nach dem Chromosomentest wurde der Name in Erich geändert und
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6.3 · S trukturelle und funktionelle Organisation des Zellkerns
eine medizinische Korrektur angestrebt. Nach einer Kommissionssitzung zu einer zellbiologisch orientierten Habilitation in Innsbruck hat mich der Inhaber des Lehrstuhls und der Klinik für Urologie, Hans Marberger, der hohes Ansehen genoss und auch Prominente und Spitzenpolitiker unter dem Messer hatte, in sein Büro eingeladen, um mir zu erklären, wie er operativ und hormonell vorging, um aus Erika den Erich zu machen, wie er sich uns heute im Internet offenbart. Derlei Fälle sind ja selten. Übrigens wird aktuell auch das „dritte Geschlecht“ („Diverse“; 7 Abschn. 14.1) bei Bewerbungen nur zu 0,01 % angegeben. Lediglich in bestimmten Tiergruppen gibt es im Laufe des Alters einen physiologischen Wechsel des Geschlechts: bei manchen Knochenfischen und bei Mollusken (manche Schnecken und Muscheln). Hier gibt es zumeist einen proterandrischen Hermaphroditismus, d. h., die Umstellung erfolgt von männlich zu weiblich, sodass beispielsweise bei der tropischen Crepidula-Schnecke in einer Art Gruppensex männliche Tiere in einer Paarungskette zunehmend auf weiblich umgestellt werden. Der derzeit staatlicherseits akzeptierte Egalitarismus sieht über biologische Fakten in endlosen Diskussionen hinweg. Die biologisch definierte Sexualität ist eines der wichtigsten Prinzipien tierischen und menschlichen Lebens, weil sie die Häufigkeit genetischer Schäden stark reduziert (7 Abschn. 6.7). Darüber hinaus bringt die beliebige, zeitvariable Wahl eines angeblichen Geschlechts erst jene Schwierigkeiten hervor, die sie beseitigen will. In der Zeitschrift Der Spiegel, Ausgabe vom 19.2.2002, warnte R. Pfister vor der „Befreiung des Menschen von den Grenzen der Biologie“ und in einem „World News“-Artikel der Zeitschrift Nature vom 29.9.2022 warnte P. Currah (New York):
» It is naive to think that politics and social
mores have no place in lawmaking, but seldom has policy been so disconnected from science and data.
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» [Es
ist naiv anzunehmen, dass Politik und soziale Sitten keinen Platz in der Gesetzgebung fänden, jedoch selten hat sich die Politik so sehr von der Wissenschaft und der Datenlage entfernt.]
Dagegen lassen einige Politiker und Befreiungskämpfer*innen verlauten, dass es kein biologisches Geschlecht gäbe, jeder könne sein Geschlecht selbst bestimmen und sich von überkommenen Ideen befreien, in einer Phantasmagorie der beliebigen Machbarkeit. Im öffentlichen Leben werden derzeit international wie kaum je zuvor wissenschaftliche Fakten verdreht – „corriger la nature“ in allen Bereichen. Gleichheit feiert auch beim Thema Sexualität fröhliche Urständ: Mann und Frau sind gleich, heißt es, und man kann sich transformieren lassen. (Wozu eigentlich, wenn eh alle gleich sind?) Eigenartig ist nur, etwa im Hinblick auf den Sport, dass eine Frau im Durchschnitt ein wesentlich geringeres Lungenvolumen und wesentlich geringere Muskelmasse besitzt. Die Konsequenz ist, wie die Zeitschrift Der Spiegel, ebenfalls am 19.02.2022, berichtete, dass allein in einem Jahr der 100-m-Weltrekord der Frauen beinahe 3000-mal von Männern unterboten wurde. Wenn sich ein geborener Mann nach der Pubertät transformieren lässt, tritt er mit besserem Atemvolumen und mit größerer Muskelmasse an, sodass er beim Kraftsport unübertroffen punkten kann. Aber man kann ja hormonell „dimmen“, heißt es, und damit wieder Waffengleichheit herstellen. Wieder einmal ist Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ auch auf dieser Front im Anmarsch. Dazu passt die Forderung nach „gendergerechter“ Sprache: Doktoren und Doktorinnen, Professoren und Professorinnen, als ob es heutzutage nicht trivial wäre, dass „es“ auch Frauen können. Das meinen zumindest wohl all jene, die den Frauen geschwisterlich zugewandt sind und sie gefördert haben. Gleichberechtigung soll ja nicht Gleichmacherei heißen. Und Frauen werden doch nicht degradiert, wenn
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Kapitel 6 · Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung
man akzeptiert, dass sie so sind, wie sie sind, und dabei über ihre spezifischen Vorteile verfügen. Welch eine Diskussion um das identitätsstiftende XY und XX – vergleicht man die Aufgabenteilung der Geschlechter im Ukraine-Krieg 2021/2022: Entsprechend ihren spezifischen Fähigkeiten blieben Männer im Land und kämpfen, die Frauen zogen mit dem Wertvollsten der Familie, den Kindern, in sichere Länder. Dies sind wohl keine alten Vorurteile (wie sie allerdings immer noch auftauchen), sondern eine Reflexion der spezifischen Ausstattung von XYund XX-Menschen – praxisorientierte Zellbiologie im Überlebenskampf. Jenseits aller derzeitigen Gleichmacherei soll noch einmal betont werden, dass es ganz offensichtlich physiologische Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern gibt – Unterschiede im zellulärem Stoffwechsel und Signalsystem (z. B. Hormone). Daher ist es seit 2004 in Deutschland verpflichtend, den Effekt von Pharmaka in klinischen Studien jeweils für die beiden Geschlechter getrennt zu untersuchen. Bliebe noch die Auswahl des Geschlechts bei der Befruchtung und darüber hinaus. Bereits der Talmud hat darüber philosophiert. In manchen rezenten „Kulturen“ wird einfach abgetrieben – nach Schätzungen betraf dies über die Jahre Dutzende von Millionen weiblich determinierter Föten. 2019 berichteten japanische Forscher über eine bei Mäusen erprobte Methode (Umehara et al. 2019 PLOS Biol; 7 https:// doi.org/10.1371/journal.pbio.3000398). Die pränatale Auswahl des Geschlechts geht wie folgt. Die „Toll-like receptors 7/8“ (TLR7/8) sind Teil des angeborenen Immunsystems und werden vom X-Chromosom kodiert. (Beim Menschen enthält X ca. 3000, Y ca. 700 Gene). TLR7/8 binden Resiquimod (R848, Imidazochinolinamin), welches die XX-tagenden Spermatozoen verlangsamt, und steigert auf diese Weise im Mausexperiment die Chancen für m ännliche
achkommen auf bis zu 90 %. ResiquiN mod ist beim Menschen nur für die Krebstherapie zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob sich auf dieser Schiene etwas in Richtung Geschlechtswahl bewegen wird. Eine Alternative ist die MicroSort-Methode, die in den 1980er-Jahren in den USA zur Trennung von Spermien mit X- und Y-Chromosomen aus Ejakulaten von Zuchtbullen entwickelt wurde. Diese Methode arbeitet nach dem Prinzip des Zellsorters (7 Abschn. 7.1). Spermien nehmen eine fluoreszierende Substanz auf, die an Chromosomen bindet; Spermien mit X-Chromosomen leuchten stärker als solche mit dem kleineren Y-Chromosom. Diese Methode wird auch zur Erkennung erblicher Chromosomenanomalien (7 Abschn. 14.1) in Betracht gezogen. Normalerweise lässt sich der Chromosomensatz nur kurze Zeit während der Zellteilung, am besten während der Metaphase, beobachten, in der die Chromosomen kondensiert vorliegen. Wird das Weiterlaufen der Zellteilung durch Mitosegifte wie Colchicin unterbunden (7 Abschn. 14.7.1), so können auch normale, also nichtpolytäne Chromosomen, wie sie den meisten Tieren und Pflanzen zu eigen sind, aufgrund von Form, Länge und Bandenmuster individuell identifiziert werden, indem man eine Abbildung des Chromosomensatzes herstellt (Karyogramm). Dabei haben die Chromosomen eine X-förmige Gestalt, weil sie (wegen der in der Synthesephase vorausgegangenen DNA-Verdoppelung) in der Metaphase aus zwei am Centromer aneinandergehefteten Chromatiden bestehen, die erst in der Anaphase voneinander getrennt werden (7 Abschn. 12.1 und 12.2). In der Regel werden Chromosomen als Träger der nukleären Erbanlagen nur für eine anstehende Zellteilung kondensiert und damit sichtbar. Eine Ausnahme bilden die Riesenchromosomen der Fruchtoder Taufliege Drosophila und einiger anderer Organismen. Durch zahlreiche Replikationen werden immer weitere Chromatiden
6.3 · S trukturelle und funktionelle Organisation des Zellkerns
gebildet, die nicht auseinanderweichen (Endomitosen), sodass die Chromosomen sehr dick werden (Polytänie). Dieses Phänomen war 1881 von E. G. Balbiani entdeckt worden. Sie sind im Lichtmikroskop unter Phasenkontrastbedingungen in den Speicheldrüsen von Drosophila melanogaster sehr leicht sichtbar (. Abb. 6.1). Bemerkenswerterweise hat Drosophila dieselbe genotypische Geschlechtsbestimmung wie der Mensch, mit XX und XY für weiblich bzw. männlich. Dabei sieht man auf allen Chromosomen, Autosomen und Gonosomen, ein unregelmäßiges Bandenmuster. In den 1920er-Jahren konnte T. H. Morgan einzelnen Chromosomenabschnitten bestimmte Gene zuweisen – eine Koordination, die er vorher infrage gestellt hatte. Er mutierte sozusagen vom ungläubigen Saulus zum Verkünder der Wahrheit, zum Paulus. Morgan beobachtete also distinkte Banden entlang der Riesenchromosomen von Drosophila, die er als Chromomeren bezeichnete, deren Lokalisierung in Relation zueinander auf den einzelnen Fliegenchromosomen fortan in Morgan-Einheiten angegeben wurde. Sie sind jedoch keine einfachen Äquivalente einzelner Gene, wie a
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nachfolgend erläutert wird. Während der Entwicklung sah er die Auflockerung bestimmter Chromomeren oder Gruppierungen davon, die als „Puffs“ (. Abb. 6.1) bezeichnet wurden [19] und später mit Markierungstechniken als aktivierte Gene oder Gengruppen identifiziert werden konnten; u. a. wurde hierzu radioaktives Bromodesoxyuridin (BrdU) in Verbindung mit Autoradiographie verwendet. Mit der von ihm entwickelten CLB-Methode konnte Morgan Mutationen in den X-Chromosomen identifizieren. CLB steht für „crossing over-lethal-bar“ und bezieht sich auf die Kombination dreier Merkmale im X-Chromosom der entsprechend manipulierten Weibchen: eines Inhibitors des Crossing-over (also des Austauschs von Chromatiden im X-Chromosom während der Chromosomenpaarung), eines Letalitätsgens und der bandförmigen Ausbildung der Augen. In Kürze: Verpaarte er CLB-Weibchen, die ein CLB- und ein normales Chromosom besaßen, mit einem Männchen mit einer Mutation in seinem X-Chromosom, so konnte er die Mutation in der Folge indirekt erkennen bzw. sie wird durch ihren letalen Effekt erkannt. Die Arbeiten von Morgan mit seinem einmaligen Modell Drosophila gaben der Genetik, und damit auch der Zellbiologie, einen enormen Schub, der mit dem bisher üblichen Mausmodell nicht möglich gewesen wäre. 1933 konnte Morgan für seine genetischen Arbeiten den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin entgegennehmen. 6.3.1 Perlenketten aus Chromatin
. Abb. 6.1 Puffbildung in einem polytänen Chromosom von Drosophila vor (a) und nach (b) der Aktivierung. Je nach Entwicklungsabschnitt werden unterschiedliche Gene aktiviert, was durch ihre Auflockerung in Form von „Puffs“ sichtbar wird. Im Gegensatz dazu bleiben andere, nichtaktivierte Abschnitte der Chromosomen als kondensierte Chromomeren sichtbar. (Quelle: [20])
Zu Anfang setzte man große Erwartungen in die hohe Auflösung des Elektronenmikroskops, die jedoch in einer herben Enttäuschung mündeten. Im Elektronenmikroskop sieht man im Zellkern lediglich helle und dunkle, wolkige Bereiche. Man nennt sie Euchromatin und Heterochromatin („ευ, eu“ = schön, gut;
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„ἕτερος, heteros“ = unterschiedlich, der andere; „χρώμα, chroma“ = Farbe). Die Bezeichnungen stammen ursprünglich von der Lichtmikroskopie und entsprechen dem Färbeverhalten: Das Heterochromatin wird stärker gefärbt als das Euchromatin. Man versuchte, an Ultradünnschnitten Unterschiede in der Feinstruktur zu sehen – jedoch ohne stringente Überzeugungskraft. Versuche mit isolierten Chromosomen erschienen ebenfalls problematisch. Immerhin wusste man um die Präsenz von DNA und Proteinen in den Chromosomen. Noch zu Ende der 1960er-Jahre gab es sehr fantasievolle Modelle zur Anordnung beider Komponenten in Relation zueinander: Manche Forscher zeichneten Proteine wie Fahnenstangen, an denen DNA angehängt war, oder wie Wäscheständer, an denen die DNA aufgespannt sein sollte. An die Form repetitiver Komplexe aus einem Proteinkern, um den ein DNA-Faden wie auf einer Zwirnspule oder einem Solenoid herumgewickelt sein könnte, dachte zunächst niemand. Derartige strukturelle Einheiten wurden erst 1974 von Ada und Donald Olins [21], damals am renommierten Oak Ridge National Laboratory, erkannt, als sie im Elektronenmikroskop perlenkettenähnliche Strukturen in gequollenen Zellkernen wahrnehmen und in der Zeitschrift Science publizieren konnten. Das Quellen machte den Unterschied! Diese Hypothese zur Struktur des Chromatins wurde sehr schnell akzeptiert, zumal der US-Amerikaner Roger D. Kornberg und J. O. Thomas bereits 1974 weitere Details enthüllten [22]: Der Proteinkern umfasst einen oktameren Satz von relativ kleinen basischen Proteinen, die Histone H2A, H2B, H3 und H4; diese sind jeweils in doppelter Zahl, also als Oktamere, in einer Perle des Chromatinstranges assembliert. Die Histone haben eine molekulare Größe von ca. 11–15 kDa. Diese perlenartigen Einheiten des Chromatins wurden Nukleosomen genannt. Histon H1 (≈21 kDa) verbindet die Nukleosomen (. Abb. 6.2).
Auf welche Weise ließ sich feststellen, wie DNA und Histonproteine relativ zueinander angeordnet sind? Eine gewisse Einsicht konnte durch den Einsatz von Enzymen, DNasen und Proteasen erzielt werden. Es war überraschend, dass DNasen viel besser arbeiteten als Proteasen, dass also Histonproteine eine Art Grundstruktur bilden, um welche die DNA nach späteren Befunden mit ca. 200 Nukleotidpaaren in etwa zweieinhalb Umdrehungen herumgewickelt ist. Die DNA, welche die Nukleosomen verbindet, ist besonders leicht durch DNase erreichbar. Daraus ergeben sich Fragmente, bestehend aus den „Kern“-Histonen, um die DNA aus 147 Basenpaaren herumgewickelt ist. Zählt man die die Nukleosomen verbindende DNA, an der Histon H1 angelagert ist, hinzu, so ergibt sich eine Länge von jeweils ca. 200 Basenpaaren für ein Nukleosom und dessen Verbindung zu benachbarten Nukleosomen. In der Gelelektrophorese ergibt dies eine Einheit genau dieser Größe und eine Abfolge von multiplen Größen davon, die als DNA-Leiter bezeichnet wird. All diese grundlegenden Erkenntnisse der molekularen Genetik und Zellbiologie gehen auf einen engen Zeitraum in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre zurück. Interessanterweise ergibt sich eine derartige DNA-Leiter auch beim programmierten Zelltod (Apoptose; „ἀπό, apo“ = ab-, weg; „πτῶσις, ptosis“ = Fall, Senkung), wo ebenfalls DNasen im Spiel sind (7 Abschn. 13.5). Weiterhin sei vorweggenommen, dass Modifikationen von Histonproteinen eine wesentliche Grundlage epigenetischer Phänomene sind (7 Abschn. 12.9). Elektronenbeugungsstudien des in Großbritannien forschenden, aus Litauen stammenden Biophysikers Aaron Klug zeigten eine solenoidähnliche Grundstruktur (Zwirnspule aus Histonen mit herumgewundenem DNA-Faden) [23]: Nukleosomen aus DNA und Histonproteinen mit 11 nm Durchmesser waren nun definitiv als stereotype Einheit der Chromatinstruktur
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Eukaryoten
Prokaryoten
. Abb. 6.2 Organisation des genetischen Materials. Oben: Chromosom von Eukaryoten aus zwei über ein Centromer zusammengehaltenen Chromatiden, die sich in der Metaphase der Kernteilung trennen würden. Die DNA ist als roter Faden bzw. als Doppelhelix gezeichnet, die sich um Histonkugeln windet (Nukleosomen). Zwischen der Chromosomenstruktur und dem Detail mit Nukleosomen sind komplexere Strukturen wie eine 30-nm-Faser und weitere Verdrillungen gezeichnet, deren Existenz in vivo kontrovers diskutiert wird oder die aber nur lokal ausgebildet sein könnten. Ganz unten ist eine bakterielle DNA („Bakterienchromosom“) dargestellt; sie ist meist ringförmig geschlossen und ohne Histone organisiert. (Quelle: [53])
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etabliert („10 nm-fiber“). Klug erhielt dafür und für weitere Leistungen 1982 den Nobelpreis für Chemie zugesprochen. Zwar waren fädige Strukturen verschiedener Dicke in Elektronenmikrographien bereits vorher publiziert, aber als nicht zuverlässig taxiert worden, denn die Struktur hängt ganz wesentlich von der Präparationsmethode ab. Dieser Einwand wurde in den letzten zwei Jahrzehnten wieder aktuell, als man höhere Komplexitätsgrade der Chromatinstruktur anzuzweifeln begann. Dies betrifft eine weitere Verdrillung der Perlenschnüre aus Nukleosomen zu 30-nm-Fasern und noch dickeren Supertwists. In vitro konnte diese Struktur nur bei erheblich gesteigerter Ionenstärke in Anwesenheit von Histon H1 beobachtet werden, wenn DNA zusammen mit den Histonen auf elektronenmikroskopischen Trägern mit Schwermetall bedampft wurde (Spreitpräparate). Inwieweit sie auch in vivo – vielleicht auch nur lokal oder temporär – vorhanden sind, war nicht definitiv zu klären. Die beschriebene Kompaktierung ist wohl erforderlich, denn die Länge der gesamten DNA eines jeden menschlichen Zellkerns ist – wie bereits erwähnt – etwa das Millionenfache des Kerndurchmessers. Zusammenfassend „lernte“ also die Zelle, ihre DNA durch Komplexierung mit Histonen in kompakte Form zu bringen und sie durch Aufteilung in Kopplungsgruppen (Chromosomen) während der Kernteilung besser zu handhaben. Die Kompaktierungsdichte ist in heterochromatischen Bereichen, wo nicht(protein)kodierende DNA angehäuft ist, wesentlich stärker als in euchromatischen Abschnitten, in denen die Transkriptionsaktivität unter Bildung von (prä-)mRNA höher ist. (Eu-)Bakterien haben keine vergleichbaren Probleme – ihre DNA ist ringförmig und bleibt intron- und histonfrei. (Bei Archaebakterien kann die Situation ein wenig abweichen.)
6.3.2 Die Monotonie der Struktur
des Genoms
Irgendwann erhob sich für die Zellbiologen die Frage: Welche Strukturen entsprechen einem Gen? Allein die Tatsache, dass die von Morgan in den 1920er-Jahren bei Drosophila beschriebenen Chromosomenbanden sehr verschieden dick sind, legte nahe, dass es keine 1:1-Korrelation geben kann. Einerseits könnte eine einzelne der von Morgan untersuchten Banden mehrere bis viele Gene enthalten. Andererseits enthält ein Nukleosom ≈200 Nukleotidpaare (67 Tripletts), was für ein Peptid von ca. 7500 Da kodieren könnte. (Eine Aminosäure bringt es im Durchschnitt auf 110 Da.) Für die Kodierung eines durchschnittlichen Proteins von 55.000 Da sind also in etwa sieben Nukleosomen erforderlich. Die Zahlen sind in Wirklichkeit größer, fallweise viel größer, weil neben den Exon- häufig auch die 1977 entdeckten Intronabschnitte kodiert werden; diese Entdeckung gelang bei der Untersuchung der Genexpression von Adenovirus 2. Für unser größtes Protein, das Titin des quergestreiften (Skelett-)Muskels von 3.000.000 Da Größe, sind für dieses größte proteinkodierende Gen theoretisch wenigstens ≈43.000 Nukleosomen erforderlich. Da die Exons (proteinkodierende DNA-Abschnitte) hier nur ungefähr ein Drittel ausmachen, wären für das gesamte Titin-Gen des Menschen an die 105 Nukleosomen erforderlich. Introns sind Genabschnitte, die herausgeschnitten („gespleißt“) und nicht translatiert werden. Einer der Beteiligten, P. A. Sharp, fasste 2005 diese unerwartete Erkenntnis zusammen [24], zu der auch elektronenmikroskopische Methodik einen überzeugenden Beitrag lieferte (unten). An Introns kann es zwischen null und Hunderten oder ausnahmsweise noch viel mehr pro Gen geben. Die kodierende Sequenz eines Gens erzeugt eben zumeist nicht direkt die mRNA, sondern eine prä-mRNA.
6.3 · S trukturelle und funktionelle Organisation des Zellkerns
Im historischen Rückblick konnte also ein Gen nicht über den monotonen molekularen Aufbau aus Nukleosomen als strukturelle Einheit erfasst werden. So hat sich der Genbegriff von einer strukturellen Vorstellung zu einer operationellen Einheit gewandelt, zu der distinkte Einheiten wie die Promotordomäne und Transkriptionsstartstelle dazukommen. Retrospektiv brachten Morgans Experimente mit der kleinen Fruchtfliege einen wesentlichen Erkenntnisschub. Sie bringen mit 25 mg gerade einmal ein Tausendstel des Gewichts einer schlanken Maus auf die Waage. Hätte man die Genetik mit Mäusen fortgesetzt, so wäre man, um dieselben Ergebnisse zu erzielen, bereits vor 50 Jahren weltweit knietief in Mäusen gewatet – wie es damals hieß. 6.3.3 Abbildung von DNA und von
DNA-Protein-Komplexen
Es bestand sehr wohl bereits vor 50 Jahren mehrmals die Absicht, die Abfolge von Nukleotiden entlang proteinfreier DNA direkt im Elektronenmikroskop abzulesen, jedoch sind solche Bemühungen nie über Projektanträge hinausgekommen. Erst zu Anfang der 2000er-Jahre wurden völlig neuartige Methoden für die DNA-Sequenzierung entwickelt, die genau dieses ohne optische Hilfsmittel zu leisten vermögen (7 Abschn. 6.10). Auch das umgekehrte Problem, die Synthese von Polynukleotiden bzw. auch von DNA-Abschnitten, wurde ab 1980 angegangen. Anfangs war es sensationell, wenn ein Chemiker mehr als drei Nukleotide meistern konnte. Seit einigen Jahren erhält man kommerziell Polynukleotide zu einem Preis von 0,1 € pro Nukleotidpaar „maßgeschneidert“. Freie DNA mit 2 nm Dicke ist für die meisten Methoden zu dünn, um sie direkt abzubilden. Später wurde ab der Zeit um 1980 die Rastertunnelmikroskopie zu
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einer geeigneten Methode entwickelt, die allerdings auf molekulare Präparate beschränkt blieb. Ähnlich war zu Anfang die Abbildung des bakteriellen Genoms wegen des Fehlens von Histonen eine Verlockung. Die realitätsnächste Abbildung von freier DNA mittels Elektronenmikroskopie ist nur an Spreitpräparaten auf elektronenmikroskopischen Trägern möglich, bevorzugt, wenn man sie entweder mit einer künstlichen dünnen Proteinschicht belegt und routinemäßig mit Schwermetall schräg bedampft. Die Abbildung ohne adsorbierte Proteine ist mittels hochauflösender Tantal/ Wolfram-Bedampfung durch Elektronenstoßverdampfer möglich. Diese Methode wurde von Luis Bachmann (Innsbruck und München) um 1970 entwickelt; sie ist jedoch gerätetechnisch einigermaßen aufwendig, sodass in der Praxis zumeist die folgende Methode bevorzugt wurde. Der Deutsche Albrecht K. Kleinschmidt erfand in einer 1959 in der Zeitschrift für Naturforschung (und 1962 genauer in den Biochimica et Biophysica Acta) publizierten Arbeit mit Bakteriophagen-DNA die Oberflächenspreitungsmethode [25]: An die DNA wird basisches Protein, z. B. Cytochrom c, als monomolekulare Schicht adsorbiert; die Proteine werden beim Abschöpfen von der Wasseroberfläche denaturiert. Für die elektronenmikroskopische Analyse können sich dann konventionelle Schwermetallbedampfungsmethoden anschließen (ähnlich wie bei der Gefrierätztechnik [Abschn. 4.8 und 5.4]), oder aber es kann das Verfahren der Negativkontrastierung eingesetzt werden. Dabei werden chemisch inaktive Schwermetallsalze wie Phosphorwolframsäure an die Strukturen, auch an feinste Details, angelagert (7 Abschn. 7.1). Auf der Basis derartiger Methoden untersuchte ab ca. 1970 der US-Amerikaner Jack Griffith, seinerzeit Postdoc-Kollege an der Cornell University, die Interaktion distinkter DNA-Abschnitte mit verschiedenen Proteinen nach der damals
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üblichen Schwermetallbeschichtung. Später arbeitete er mit Arthur Kornberg zusammen, beispielsweise an Komplexen mit DNA-Polymerase aus Escherichia coli. Ganz allgemein ist die Methodik zur Analyse von DNA-Fragmenten und für Hybridisierungsexperimente sowie zur Darstellung von DNA-Ringen aus den autonomen Organellen brauchbar, wie der US-Amerikaner D. Luck in Arbeiten mit mitochondrialer DNA bereits ab 1964 gezeigt hatte (7 Abschn. 8.3.1). Der Wert dieser Methodik erhellt sich besonders eindrucksvoll aus der Entdeckung von Introns 1977 (oben): Die Autoren ließen DNA-Abschnitte mit der translatierten, komplementären mRNA interagieren und bemerkten, dass es keine durchgehende Paarung gab – eben wegen der herausgespleißten Introns. 6.4 Der Randbereich des
Zellkerns im Fokus
An der Peripherie des Zellkerns steht Chromatin in Kontakt mit der an der inneren Kernmembran anliegenden Kernlamina und mit nukleärem F-Aktin. Die Identifizierung der Kernlamina gelang zunächst 1952 den US-Amerikanern P. Harris und T. W. James an Amoeba proteus [26], in Vertebratenzellen 1966 dann ihrem Landsmann D. Fawcett. Beachtenswert ist die Präsenz von F-Aktin innerhalb des Zellkerns insofern, als seine Existenz über Jahrzehnte heftig umstritten war. In der Tat sind Strukturen mit einem Überschuss an geladenen Molekülen wie DNA anfällig für supravitale Umverteilungen, z. B. während der relativ langsamen Aldehydfixierung. Derlei von anderen Autoren publizierte Artefakte ließen sich mit chromaffinen Granula des Nebennierenmarks reproduzieren. Schließlich hat jedoch die deutsche Zellbiologin Brigitte Jockusch um die Mitte der 2000erJahre die Existenz nukleären Aktins glaubhaft verifiziert. Sie postulierte, dass die Aktinpolymerisation ein Signal zur Regulation
der Genexpression darstellt. 2006 konnte sie einen erfolgreichen Rückblick geben [27] – der Kampf hat sich gelohnt. Intranukleäre Proteine vom Typ der Intermediärfilamente sind die Lamine. Sie wurden 1975 von R. P. Aaronson in Günter Blobels Labor an der Rockefeller University, New York, als Komponente der Kernlamina identifiziert [28]. Später wurde Spektrin, das allgemein als Stabilisator der Erythrocytenmembran bekannt ist, als Komponente der Kernlamina in die Diskussion eingebracht. Die Vesikulation der Kernmembran und ihre Wiederherstellung in Abhängigkeit von der Phosphorylierung bzw. Dephosphorylierung der Lamine vor bzw. nach Ablauf der Kernteilung werden in 7 Abschn. 12.1 besprochen. Die Kernlamina hat über mehrere Proteine Kontakt zur inneren Kernmembran. Dazu gehört Emerin, dessen Existenz 1994 im Rahmen genetischer Kartierungsstudien im Zusammenhang mit der Emery-Dreifuss-Muskeldystrophie entdeckt wurde [29]. Außerdem nimmt man an, dass die einzelnen Chromosomen jeweils in eigenen Domänen liegen, die aber auch ineinander reichen und interagieren können. Bereits um 1900 hatten die deutschen Zellbiologen C. Rabl und T. Boveri entsprechende Beobachtungen gemacht und sich zu einer Zonierung des Zellkerns geäußert. Ihnen stand jedoch eine Auflösung gerade im Submikrometerbereich zur Verfügung. Diese Forschungssparte, die sich mit der 3D- oder der zeitvariablen 4D-Struktur des Genoms befasst, läuft derzeit unter dem Stichwort „nucleom network“. In Deutschland ist im Arbeitsfeld Chromosomen u. a. C. Cremer seit mehreren Jahrzehnten unter Einsatz neu entwickelter mikroskopischer Techniken zugange [30]. Chromatin wird in bestimmten Bereichen durch Transkriptionsfaktoren, Transkriptionsrepressor-Proteine und den Cohesin-Komplex zusammengehalten. Cohesin, ein multimerer Proteinkomplex, der die Chromatiden bis vor der Anaphase zusammenhält, wird
6.5 · Kernmembran mit Kernporen: Stoffaustausch zwischen …
seiner zellbiologischen Wichtigkeit gemäß seit Anfang der 2000er-Jahre intensiv untersucht. Als Gegenspieler wurde u. a. 2010 Soronin ausgemacht; das Zusammenspiel beider und noch weiterer Proteine gewährleistet die Trennung der Chromatiden während der Mitose. Insgesamt wird auf diese Weise in verschiedenen Bereichen des Zellkerns eine flexible, lockere Ordnung geschaffen. Wird Cohesin eliminiert, so gehen alle Schleifendomänen und die Genregulation verloren [31] – eine ziemlich unerwartete Korrelation von Struktur und Funktion im „Leben“ eines Zellkerns. In einem Übersichtsartikel von Sivakumar et al. (2019) werden folgende Bereiche unterschieden [32]: 1. TADs „(topologically associated domains“ A und B), wobei TAD-B nahe der Kernlamina transkriptionsinaktiv ist; 2. laminaassoziierte Domänen; 3. lokale, durch architektonische Proteine und Cohesin stabilisierte Chromatinschleifen. Diese Zonierung wurde erst in der Evolution der Vertebraten ausgebildet und ändert sich auch während der Entwicklung. Inwieweit diese Flexibilität Einfluss auf die Aktivierung spezifischer Gene hat, versucht man u. a. mit der CRISPR/Cas9-Methode zu ergründen (7 Abschn. 6.11). Heute ringt man immer noch, allerdings mit immer mehr verfeinerten Methoden, um die detaillierte Anordnung von nichtkondensierten Chromosomen im Interphasekern. Die Methoden sind vielfältig. Schon seit Langem wird die FiSH-Methode (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) praktiziert; hierzu werden fluoreszenzmarkierte DNA-Sonden für spezifische Abschnitte eines Chromosoms verwendet. Weiter verfeinerte Methoden reichen weit in molekulare Details der Anordnung von DNA-Komponenten und assoziierten Proteinen hinein. Konfokale Detektion von Einzelmolekülen ist ebenso möglich wie die Bestimmung der
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molekularen Wechselwirkungen benachbarter Moleküle mit der FRET-Methode (7 Abschn. 4.3 und 4.7). Hierbei ergibt sich ein Fluoreszenzsignal, wenn von einem fluoreszenzmarkierten Molekül Energie abgegeben wird, die ein zweites Molekül mit unterschiedlicher Fluoreszenzmarkierung anregt; diese indirekte Aktivierung ist nur innerhalb einer Distanz im Nanometerbereich möglich (Förster-Radius). Seit Langem wird eine Anreicherung von Heterochromatin am Rand des Interphase-Zellkerns beobachtet, und es wurde berichtet, dass die Centromeren der Chromosomen hier angeheftet seien. Dies trifft aber nicht allgemein zu, ist für verschiedene Chromosomen unterschiedlich und kann sich auch zeitlich ändern. Aus neuerer Sicht können Gene auch in heterochromatischen Bereichen transkribiert werden. Das alles unterliegt einem andauernden Turnover durch Einwirkung von RNA-induziertem, transkriptionellem „Silencing“ (Abschaltung eines Gens). Pauschal gesehen geht die alte, einfache Rechnung „Euchromatin = hohe Transkription, Heterochromatin = geringe Transkription“ nicht mehr ganz auf, wiewohl Euchromatin zwar weniger sichtbar in Erscheinung tritt, jedoch anscheinend durchweg aktiver ist. Auch an der äußeren Kernmembran sind (cytoplasmatisches) F-Aktin, Intermediärfilamente und Mikrotubuli angebunden. Insgesamt vermittelt die Anbindung verschiedener cytoskelettaler Elemente innen- und außenseitig dem Zellkern wohl mechanische Festigkeit und eine meist zentrale Positionierung in der Zelle. 6.5 Kernmembran mit Kernporen:
Stoffaustausch zwischen Cytosol und Zellkern
Die doppelte Kernmembran ist ein Derivat des endoplasmatischen Retikulums, mit dem sie in offener Verbindung steht. Allerdings sind derlei Verbindungen bei der
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Kapitel 6 · Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung
praktischen elektronenmikroskopischen Arbeit weit weniger offenkundig als in den Lehrbuchschemata. Das Studium der Kernmembran begann bereits vor 1970, u. a. mit Arbeiten von Werner W. Franke an Peter Sittes Lehrstuhl für Zellbiologie an der Universität Freiburg im Breisgau. (Damals hat ihn Sitte bei einer Unterhaltung einmal als das beste Pferd in seinem Stall bezeichnet.) Schon 1970 fassten W. W. Franke und Ulrich Scheer aus allen verfügbaren Befunden im Journal of Ultrastructure Research
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zusammen [33], der Kernporenkomplex sei universell oktagonal aufgebaut und habe ein Zentralgranulum (später als Proteine „im Durchmarsch“ erkannt; . Abb. 6.3). Eine um die Wende 2019/2020 erschienene, Franke gewidmete Ausgabe der Zeitschrift Cell and Tissue Research erinnert an seine vielfältigen Interessen. Er hatte seine Karriere mit der Erforschung der Kernporen an Kernen von Froscheiern begonnen. Bereits 1984 hatten G. Blobel und andere bemerkt, dass die Durchschleusung b
1 µm
0,1 µm
c
0,1 µm . Abb. 6.3 Membran des Zellkerns mit Kernporen, Ribosomen und endoplasmatisches Retikulum (ER). (a) Gefrierbruch und (b) Ultradünnschnitt der Kernmembran, (c) ER mit Ribosomen. (a) vermittelt die Häufigkeit von Kernporen (kp) und (b) deren Bildung, wo die äußere und innere Kernmembran (äkm, ikm) miteinander lokal fusionieren. (a) ist ein Beispiel dafür, wie die komplexe elektronenmikroskopische Struktur einer Zelle allein nach Kryofixation, d. h. ohne chemische Vorbehandlung, erhalten werden kann. (b) gibt den Anschein relativ großer Poren, die realiter durch angelagerte Proteine auf einen wesentlich kleineren Durchmesser eingeengt werden (hier: nach Standardpräparation nicht sichtbar). In (c) liegen auf der linken Seite quergeschnittene Säcke (Zisternen) des ER mit Ribosomenbesatz, wo jene Proteine synthetisiert werden, die während der Synthese (Translation) ins Lumen des ER hineingeschoben werden (kotranslationale Sequestrierung). Die Kreise liegen um Polysomen, das sind Ribosomen, die in tangentialen Schnitten an ER-Zisternen durch eine mRNA verbunden sind (blau) und sequenziell alle das gleiche Protein synthetisieren (rote Fäden). Solche Polysomen kommen auch als freie Ribosomen vor, die Proteine ins Cytosol abgeben (rechts: roter Knäuel = lösliches Protein). (Quelle: [53]; ergänzt)
6.5 · Kernmembran mit Kernporen: Stoffaustausch zwischen …
des T-Antigens von SV40-Viren von einem kurzen Aminosäurenabschnitt abhängt. Ab 1990 erzielten die Arbeiten von Blobel eine Schlüsselstellung zum Verständnis des nukleocytoplasmatischen Transports, indem er systematisch nach zielgebenden Sequenzen, analog zur Durchschleusung von Proteinen durch die Membran des endoplasmatischen Retikulums (7 Abschn. 9.4.1), nunmehr an den Kernporen suchte – und sie dort auch fand [34]. Die Kernmembran bildet eine Barriere zum Cytoplasma hin, ist dabei jedoch zur Abgabe stofflicher „Befehle“ und zur Aufnahme von stofflichen Botschaften aus dem Cytoplasma über die Kernporen, wiewohl mit Einschränkungen, befähigt (nukleocytoplasmatischer Transport). Nur Proteine, die ein „Visum“ in Form von Kernlokalisierungssignalen (NLS, „nuclear localization signals“) vorweisen können, dürfen „einreisen“. Ähnliches gilt für den Export, wozu nukleäre Exportsignale dienen (NES, „nuclear export signals“). Solche Signale bestehen aus nicht sehr konstanten Aminosäuren in der Primärstruktur der Proteine. Es gibt nicht nur Signale für den Export und Import, sondern auch für den Transport in beide Richtungen („Shuttle“). Kleine Moleküle einschließlich Ionen, Steroiden und Nukleotiden, aber auch kleine Proteine können ungehindert durchtreten. Diese können spezifische Effekte im Kern ohnehin nur dann erzielen, wenn sie eine spezifische Bindestelle finden. Nach einer Übersicht von 2016 gibt es normalerweise einige Hundert, im Extremfall wohl bis zu über 1000 Kernporen pro Säugetierzellkern. Das andere Extrem ist am Zellkern von Spermatozoen zu sehen, bei dem die wenigen Poren auf einen Restzipfel beschränkt sind („redundant nuclear membrane“), wie in den 1960er-Jahren beobachtet wurde. An diesen Kernen findet ja kein Stoffaustausch statt, sie sind in Hinsicht auf Transkription inaktiv, denn sie haben lediglich als schnelle Überbringer genetischer Information bei der Befruchtung zu dienen.
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Die Kernporen wurden ab ca. 1990 intensiv studiert. Derzeit kennt man eine Fülle an verschiedenen Proteinen, davon kann man an die 200 Arten genauer ansprechen. Die Analysemethoden reichen von Proteomanalyse (Proteomics), Immunlokalisation, zielgerichteter Mutagenese („site-directed mutagenesis“) bis zur Echtzeitanalyse des Transports von fluoreszenzmarkierten Proteinen. Die Objekte sind klein; eine Kernpore misst zwar im Elektronenmikroskop objektabhängig zwischen ≈60 und 150 nm, aber nur, weil die randlichen Proteine unsichtbar bleiben, es sei denn, man verwendet spezielle Methoden. Dazu gehören Kryofixation, gefolgt von elektronenmikroskopischer Tomographie. Unter derlei Bedingungen ist der freie Kanal der Kernporen nur ≈30–60 nm weit. Einen wesentlichen Anteil der Kernporenproteine bilden Oktamere aus jeweils 50 bis 100 verschiedenen Proteinen (Kernporenkomplex aus Nukleoporinen), an denen noch flexible fädige Proteine hängen. Insgesamt besteht ein einzelner Kernporenkomplex aus geschätzten 700 bis 1000 Nukleoporinmolekülen. Auch RNAs müssen den Kern durch die Kernporen passieren: tRNA und gespleißte mRNA, die beide für die Proteinsynthese an cytoplasmatischen Ribosomen gebraucht werden. Umgekehrt müssen die zahlreichen Proteine der ribosomalen Untereinheiten in den Kern gelangen, um im Nukleolus mit ribosomalen rRNA-Spezies zu ribosomalen Untereinheiten für den Export durch die Kernporen zusammengefügt zu werden. Dergestalt müssen Import und Export von „Bauteilen“ gegenläufig vonstatten gehen. Die Größe der größeren ribosomalen Untereinheit mit einem Durchmesser von annähernd 25 nm bzw. einer molekularen Größe von ≈2800 kDa macht das Durchschleusen zu einer schweren Geburt, braucht doch bereits ein kleines P rotein von 17 kDa Größe zwei Minuten für die Passage durch eine Pore. Ab 40 kDa Größe benötigt ein Protein die Hilfestellung von
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Kapitel 6 · Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung
kleiden; hier bilden die Nukleoporine eine Art molekulares Filter für die verschiedenen Karyopherine. Etwa 20 verschiedene Karyopherine sind von Metazoen bekannt, die jeweils mehr oder weniger selektiv unterschiedliche Proteine importieren bzw. exportieren. Die Selektivität der Karyopherine in Kooperation mit den anderen beteiligen Proteinen ist immer noch Gegenstand von detaillierten Untersuchungen, obwohl das Prinzip bereits 1995 von M. Rexach und G. Blobel [55] erkannt worden war. Sehr sparsam ging es in der Evolution mit den Ran-GTPasen her, denn üblicherweise steht hierfür nur ein Gen zur
Importinen bzw. Exportinen; dies kann nur durch Deformation des Transportgutes und durch aktiven Transport mit ATP-Verbrauch erfolgen (. Abb. 6.4). Der nukleocytoplasmatische Transport wird insgesamt von vier Komponenten bestimmt [35]: 1) Karyopherine („κάρυον, káruon“ = Kern; „ϕέρειν, ferein“ = tragen), welche die zu transportierenden Proteine binden; 2) die Importine gehören auch in diese Kategorie, wogegen für den Export noch ein CAS-Protein hinzukommt; 3) niedermolekulare GTPasen des Typs „Ran“. Schließlich spielen 4) noch die Proteine eine Rolle, welche die Kernporen aus-
Protein mit NLS
Importin
GAP
+ Ran GDP
GDP + P, GTP
Ran GTP
Protein-ImportinKomplex (Protein-Importin) Cytosol
perinukleäre Zisterne
(Ran-GTP)
Kernplasma
Ran GDP GTP GEF GDP +
Ran GTP
Ran GTP
. Abb. 6.4 Passage von Proteinen durch Kernporen: nukleocytoplasmatischer Stoffaustausch. Ab einer gewissen Größe benötigen Proteine eine Erkennungssequenz für die Passage durch die Kernporen; ein solches „nuclear localization signal“ (NLS) ist eine kurze, definierte Abfolge von Aminosäuren. Erst im Komplex mit dem Protein Importin kann die Passage erfolgen. Dazu muss aber Importin durch die GTPase Ran aktiviert werden, indem es durch Hydrolyse von GTP freigegeben wird. Nach Passage der Kernporen wird das Protein freigesetzt und kann an jeweils bestimmte Gene binden (Genaktivierung, z. B. durch Transkriptionsfaktoren, Hormone etc.). RanGDP kann im Zellkern zu Ran-GTP phosphoryliert und zusammen mit Importin für einen neuen Transportzyklus exportiert werden. Auch kleinere Proteine, die frei durch die Kernporen diffundieren können, können einen Effekt im Genom erzielen, aber nur, wenn sie eine Bindestelle im Genom finden. Dieser und der komplexere Mechanismus mit NLS-Beteiligung vermitteln eine hohe Selektivität. (Quelle: [53])
6.6 · Wer „sagt“ dem Kerngenom, was zu tun ist – Befehle …
odierung zur Verfügung. (Dies ist wohl K der weitgehenden Universalität der Maschinerie des nukleocytoplasmatischen Transports geschuldet, wogegen die meisten anderen GTPasen weitreichende topologische Spezifitäten vermitteln müssen; 7 Abschn. 9.4 und 9.8) Die Wirkungsweise der Ran-GTPasen wurde ab den 1990er-Jahren aufgeklärt und, damit im Zusammenhang, ab ca. 2000 auch ihre Konformation in verschiedenen Funktionsstadien. Letzterer Aspekt wurde von Alfred Wittinghofer am Max-Planck-Institut in Dortmund mittels Kernmagnetresonanz („nuclear magnetic resonance“) und auch von anderen Autoren mittels Röntgendiffraktometrie bearbeitet. Der Ran-vermittelte nukleocytoplasmatische Transport von Proteinen läuft in Kürze wie folgt ab [36]. Im Cytosol bindet ein GTP-Ran-Protein ein Importinmolekül, wobei GTP zu GDP hydrolysiert wird. Importin wird so in die Lage versetzt, ein mit einem Kernlokalisierungssignal bestücktes Cargoprotein zu binden und eine Kernpore zu passieren. Freies GDP-Ran kann ebenfalls die Kernpore passieren und wird wieder zu Ran-GTP phosphoryliert. (Eine Bemerkung am Rande: Die Zelle kann jederzeit GTP durch Transphosphorylierung von GDP mit Phosphat aus ATP erneuern.) Das Cargoprotein wird aus dem Komplex mit Importin freigesetzt. Auch ein GTP-Ran-Exportin-Komplex steht zur Verfügung, um ein mit einem Exportsignal versehenes Cargoprotein zusammen mit einem Exportinmolekül durch eine Kernpore ins Cytosol durchzuschleusen. Früh in den 1990er-Jahren wurde gefunden, dass die Ran-Proteine auch an der Regulation des Mitoseablaufs beteiligt sind. Im perinukleären Spalt zwischen der äußeren und inneren Kernmembran ist Ca2+ gespeichert. Jedenfalls sind in der äußeren Kernmembran InsP3-Rezeptoren lokalisiert (7 Abschn. 10.2), für die innere wird dies zumeist nicht angenommen. Wie erwähnt, binden cytoskelettale Elemente an
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die äußere und innere Kernmembran und positionieren so den Kern, den sie gleichzeitig stabilisieren.
6.6 Wer „sagt“ dem Kerngenom,
was zu tun ist – Befehle an den Befehlshaber?
Hier ist ein Einschub aus dem Reich der Bakterien angebracht. In den 1960er-Jahren entdeckten die Franzosen Jacques Monod und François Jacob an Bakterien, dass es eine Rückkopplung zwischen dem Translationsprodukt (Protein) und dem kodierenden Gen gibt; die Rückkopplung der Translation zur Transkription kann positiv (Induktion) oder negativ sein (Hemmung). Auch prägten sie den Begriff des Operons als funktionelle Einheit bakterieller Gene. 1965 erhielten sie gemeinsam mit ihrem früheren Mentor, André Lwoff, den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Bei den Eukaryoten ist die Situation nicht so einfach, und Operons im engeren Sinn sind praktisch auf autonome Organellen beschränkt. Im Kerngenom sind anstatt von Aktivatoren und Repressoren Transkriptionsfaktoren am Werk, von denen der Kern selbst Tausende kodiert, aber räumlich und zeitlich sehr selektiv exprimiert, abhängig von Zellart und Aktivitätsstadium. Hier ist ein anderer Blickwinkel interessant, indem gezeigt wurde, dass die Stimulation eines komplexen intrazellulären Vorgangs die Transkription einer Vielzahl von Genen hervorruft. Das wohl erste Beispiel lieferte der US-amerikanische Molekularbiologe und Protozoologe Aaron Turkewitz, Chicago, 1997 in den Proceedings of the National Academy of Sciences USA unter dem Titel „Analysis of exocytosis mutants indicates close coupling between regulated secretion and transcription activation in Tetrahymena“ [37]. Das war eine innovative Arbeit, wohl eines Editorials wert. Hier gibt es noch vieles zu erforschen, denn es sind
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Kapitel 6 · Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung
auch Gene mitbetroffen, die man in keinem direkten Zusammenhang mit dem getriggerten Prozess sehen kann. Neuerdings besteht auch Bedarf, lokale Modifikationen von DNA und Histonen als epigenetische Effektoren zu lokalisieren; auch in diesem Zusammenhang ist die räumliche Umgebung für die resultierenden Effekte wichtig. Der Fortschritt der molekularen Genetik gibt auch hier den Zellbiologen wichtiges Werkzeug an die Hand. Das reicht von Knockout- sowie Überexpressionsexperimenten und heterologer Expression (Fremd-DNA) bis zur CRISPR/Cas-Methode als letzter Entwicklung. Man ist versucht zu sagen, dass in zunehmendem Maße der evolutive Fortschritt versucht, der Kommandozentrale Zellkern „reinzureden“, was zu tun sei. Allerdings sind für die Zelle Mechanismen wichtig, mit denen sie sich gegen den Einbau von Fremd-DNA (Transposons) wehren können. Der CRISPR/Cas-Mechanismus (7 Abschn. 6.11) wurde in der Evolution genau für diesen Zweck „erfunden“. Darüber hinaus muss die Zelle die Möglichkeit haben, das Gefüge der Nukleosomen aufzulockern, etwa um die Transkription eines Gens einzuleiten. Dazu dienen die zu Beginn des Jahrhunderts von verschiedenen Gruppen entdeckten Modellierproteine („remodeling protein complex“), die unter ATP-Verbrauch eine lokale Lockerung bewirken. Diese Proteine bilden Komplexe aus 17 kleinen Proteinen (RSC = „chromatin structure remodeling complex“) mit DNA-abhängiger ATPase-Aktivität. Man könnte sie daher auch als molekulare Hebemaschinchen betrachten. 6.7 Das Geschlecht ist im Zellkern
einer jeden unserer Zellen festgelegt
Das Geschlecht unseres Körpers wird – wie bei anderen Mammaliern auch – in jeder einzelnen Zelle über die Geschlechts-chromosomen (Gonosomen) festgelegt. Diese
genotypische Geschlechtsbestimmung kommt unter Tieren sehr viel häufiger vor als die phänotypische, bei der das Geschlecht durch äußere Faktoren, wie durch die Außentemperatur etc., festgelegt wird (Beispiel: Proteus anguineus, Grottenolm). Komplizierter ist die phänotypische Geschlechtsbestimmung beim Grünen Igelwurm (Bonellia viridis, Echiurida, Annelida), den wohl nur wenige beim Schnorcheln im Mittelmeer wahrgenommen haben, denn er ist ganz grün und verbirgt sich mit seinem pflaumengroßen Körper in Felsspalten. Hier bestimmt das Weibchen, welche Larve sich nach der Landung auf der einige Zentimeter großen Rüsselscheibe zu einem kümmerlich kleinen Männchen entwickelt und das Weibchen, im Inneren von dessen Geschlechtsorgan lebend, mit Spermien beglücken darf. Die Determination erfolgt durch den vom Weibchen synthetisierten grünen Farbstoff Bonellin, ein Tetrapyrrol-Ring (Porphyrin) ohne zentrales Metall-Ion. Bonellin wurde zwischen den 1930er- und 1990er-Jahren analysiert; es ist hochtoxisch für andere Organismen und wird als Antibiotikum in Betracht gezogen. Bei Säugetieren sind es die zwei Gonosomen: zweimal X im weiblichen sowie je ein X und ein Y im männlichen Geschlecht, die sich von den Autosomenpaaren (zweimal 22) abheben. Der komplette Satz an 46 Chromosomen beim Menschen lässt sich – wie bereits erwähnt – sichtbar machen, indem man eine Zelle in der Metaphase durch Zugabe eines Hemmstoffs/Cytostatikums wie Colchicin hemmt. Zeigt das resultierende Karyogramm Abweichungen (Aneuploidie), so kann dies schwerwiegende Folgen für Entwicklung und Gesundheit haben (7 Abschn. 14.1). Gibt es eine ähnliche Festlegung des Geschlechts auch bei Pflanzen? Carl von Linné hat bekanntlich in seinem „Systema Naturae“ die Blütenpflanzen hauptsächlich nach den Geschlechtsorganen eingeteilt, also nach der Zahl der Staubgefäße
6.7 · Das Geschlecht ist im Zellkern einer jeden unserer Zellen …
(Stamina; Singular: Stamen) und der Art des Fruchtknotens etc. Die maßgebliche 10. Auflage stammt von 1758. Sex bei Pflanzen – das wurde von Gesellschaft und katholischer Kirche als unmöglich empfunden: Diese „unschuldigen Wesen“ würden der „verabscheuungswürdigen Unzucht“ beschuldigt, mit „zwanzig und mehr Männern in demselben Bett mit einer Frau“, hieß es. Linnés Buch wurde von Seiner Heiligkeit in Rom auf den Index verbotener Bücher gesetzt (Index librorum prohibitorum). Dazu noch der „Originalton“ Johann Wolfgang von Goethes, dem Beschreiber der „Urpflanze“:
» Wenn
unschuldige Seelen, um durch eigenes Studium weiter zu kommen, botanische Lehrbücher in die Hand nehmen, können sie nicht verbergen, dass ihr sittliches Gefühl beleidigt sei; die ewigen Hochzeiten, die man nicht los wird, wobei die Monogamie, auf welche Sitte, Gesetz und Religion gegründet sind, ganz in vage Lüsternheit sich auflöst, bleibt dem reinen Menschensinn unerträglich.
Und das schrieb ein Frauenkenner, der von Käthchen Schönkopf bis Ulrike von Levetzow viele Frauen angehimmelt hat. Dabei hätte die Tatsache, dass auch Staubgefäße (Stamina) und die Hülle des Fruchtknotens (Karpelle) abgewandelte Blätter sind, so trefflich zu seinem „Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären“ von 1790 gepasst, also zur Vorstellung, dass die verschiedenen Pflanzenteile aus einem „Urblatt“ hervorgebracht wurden. Linné wollte nicht die Kreationen der Gärtner als systematische Einheiten einbeziehen; Goethe betonte die Metamorphosefähigkeit, die es den Gärtnern ermöglicht, aus Staubgefäßen gefüllte Blüten zu erzeugen. Auch hätten folgende Beobachtungen in das Bild von Goethes „Metamorphose der Pflanze“ gepasst: Bei den auf pazifischen Inseln wachsenden Blütenpflanzen der Familie Amborellidae kommt es zu keinem
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Verschluss der Blätter des Fruchtknotens (Kronblätter, Petalen) – ein Merkmal, das regulär nicht die Angiospermen, sondern die Gymnospermen (Nacktsamer) kennzeichnet. Goethe hat auch nicht die Entdeckung seines Landsmannes C. C. Sprengel, 1790, einzuordnen vermocht, dass die Blüten des Schmalblättrigen Weidenröschens (Epilobium angustifolium, Onagraceae, Nachtkerzengewächse) unter Vermittlung von Insekten Pollen ausschließlich von anderen Pflanzen derselben Art, also nicht den eigenen Pollen zur Befruchtung annehmen (Fremdbestäubung). Erst 1877 schloss Darwin, dass dieses bei Blütenpflanzen die Regel ist. Bei Windbestäubern wie Getreide haben die Südtiroler Bauern nachgeholfen, indem sie bei Wallfahrten Getreideproben mitbrachten, die dann vermischt wurden. Eheaufgebote wurden von der Kanzel verlesen, damit bei zu enger Verwandtschaft ein Veto eingelegt werden konnte. Die Naturforscher Linné († 1778) und Darwin († 1882) sind irgendwie Antipoden aus zwei Generationen, und Goethe († 1832) steht irgendwie dazwischen. Der Erste betont die Konstanz der Arten mit dem Dictum: „Tot numeramus species quod ab initio Deus creavit.“ [Wir zählen so viele Spezies auf, wie Gott zu Anfang erschuf.] Allerdings vermuten manche, dass er sich damit von den beliebigen Variationen, Sorten und Züchtungen der Gärtner abheben wollte. Der Zweite steht für eine fortschreitende Dynamik der Evolution. Der Dritte argumentierte geschickt mit seiner Urblatttheorie und kommt damit in die Nähe der Gärtner, die fortlaufend Stamina in Petalen verwandeln, um gefüllte Blüten für den Markt zu erzielen. Und doch ist er so konservativ, dass er die Sexualität der Pflanzen empört in Abrede stellt. Auch unter Pflanzen wurde eine genotypische Festlegung des Geschlechts seit den 1950er-Jahren beobachtet, allerdings nur bei zweihäusigen (diözischen) Pflanzen wie der Esche, Fraxinus excelsior (Oleaceae, Ölbaumgewächse). (An diesen B äumen
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Kapitel 6 · Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung
sieht man, sehr selten zwar, einzelne Äste vom anderen Geschlecht.) Sind dagegen beide Geschlechtsorgane, also (männliche) Staubgefäße mit Pollen und Eizelle, innerhalb einer Blüte entwickelt, so erfolgt die Festlegung über die Aktivierung geschlechtsspezifischer Gene in den jeweiligen Geschlechtszellen erst in späten Entwicklungsstadien. Quer durch das Organismenreich hat die Sexualität ihren (zell-)biologischen „Sinn“ in der Vermeidung von Inzuchtschäden durch Homozygotie (Heterozygotie ist die Regel). Bereits unter Einzellern setzen sich zunehmend diploide Entwicklungsstadien (Diplonten) gegenüber Haplonten durch. Länger dauernde haploide Stadien gibt es bei gewissen Algen. Bei den meisten Blütenpflanzen dient ein komplexes System aus genetischen, funktionellen und morphologischen Merkmalen (Selbststerilität, unterschiedliche Reifezeit von männlichen und weiblichen Anlagen, unterschiedliche Länge des Griffels etc.) der Verhinderung von Inzucht. Die zugrunde liegenden Mechanismen wurden ab 1950 von verschiedenen Gruppen untersucht. Inzucht ist auch bei Tieren einschließlich Menschen mit Nachteilen verbunden und daher auch bei Säugetieren selten. Beim Menschen ist die Verwandtenehe zumeist kulturell ausgeschlossen. Ausnahmen sind einige Pharaonen und – bis vor wenigen Generationen – die Heirat nicht allzu naher Verwandter in einigen dynastischen Familien (Habsburger). Völkische und kulturell-religiöse Abschottung führten zu gehäuften Volkskrankheiten, z. B. bei den deutschen Einwanderern in Pennsylvanien (USA), den Amischen („Amish people“), bei denen Kleinwuchs, Angelman- und Ahornsirup-Syndrom gehäuft auftreten (diffuse neuronale und muskuläre bzw. metabolische Störungen). Allein wegen des Umfangs an Negativfaktoren, einschließlich Stoffwechselkrankheiten, von einem geschätzten halben Dutzend
im menschlichen Genom war die Heterozygotie ein Gewinn. Die „reine Rasse“ war ein Wahn. Der Zweite Weltkrieg hat insgesamt 65–70 Mio. Tote, davon ein Zehntel aus „rassistischen“ Gründen gefordert. Bei derlei Betrachtungen stehen wir im Brennpunkt von Zellbiologie, Evolution, Medizin, Sozialwissenschaften und Politik. Was sind dagegen die heutigen Probleme von „gender studies“? Damit sei weder die individuelle noch die kulturelle Überlagerung durch biologische Vorgaben, persönliche Präferenzen oder durch Kultur und Religion in Abrede gestellt, ebenso wenig wie dies für die Überlagerung von Sex, Reproduktion und Liebe gilt. Auch der Biologe kennt jenseits des Faktischen die faszinierende Sublimation der Sexualität oder Liebe ganz losgelöst von animalischem Trieb. Wie schön ist doch das chinesische Liebesgedicht „Der zahme Vogel“ von Su-tung-po (1036–1101 n. Chr.):
» Ich habe einen zahmen Vogel. Streichelst
du ihn mit zarten Händen, glaubt er aus Furcht vor deiner Liebe zu verenden. Du lässt ihn frei ins freie Waldrevier. Er springt zurück in deinen Käfig, singt und singt – von dir.
Das hätte auch den armen Petrus Abaelardus (Zeitgenosse des chinesischen Dichters) erfreuen können, könnte auch einen hormonell kastrierten Alten erfreuen, ebenso wie alle Menschen ohne Gender-Diskussionsschaum vor dem Mund. Übrigens: Vögel haben XX für männliche und XY für weibliche Determination.
6.8 Ein paar Worte zu Nukleolus,
Telomeren und Ribozymen
Hier bewegen wir uns von molekularen bis zu lichtoptisch erkennbaren Strukturen des Zellkerns.
6.8 · Ein paar Worte zu Nukleolus, Telomeren und Ribozymen
6.8.1 Der Nukleolus – eine
Ansammlung von Synthesewerkzeugen
Lange Zeit war der Thymus, den man aus Kälbern herausgeschnitten hatte, die Hauptquelle für DNA; ja es wurden sogar DNAarme Bereiche eines Chromosoms mit dem Ausdruck SAT belegt, für „sine acido thymonucleinico“ („ohne Thymonukleinsäure“). Dies erklärt sich daraus, dass diese Bereiche der Bildung des Nukleolus dienen (Nukleolusorganisator), der eine Ansammlung naszenter ribosomaler Proteine und ribosomaler RNA (rRNA) zur Ausbildung ribosomaler Untereinheiten darstellt. Der Nukleolus ist besonders im transkriptionsaktiven Kern von nicht teilungsaktiven Zellen, und hier insbesondere in solchen mit hoher Proteinsekretion, am deutlichsten ausgeprägt (Interphase-Kern). Dies konnte bereits vor einem halben Jahrhundert durch verschiedene Färbeverfahren gezeigt werden. Die ribosomalen Proteine werden zwar vom Kerngenom kodiert, aber von Ribosomen im Cytoplasma synthetisiert, von wo sie in den Kern importiert werden. Die fertigen großen und kleinen Untereinheiten werden dann aus dem Kern exportiert. Es mutet einen wie ein Perpetuum mobile an: Eine Synthesemaschine, das Ribosom, ist an der Produktion seiner eigenen Bauteile beteiligt – ein typisches Henne-Ei-Problem. Wie das wohl während der Evolution vonstatten ging? 6.8.2 Telomerasen – Werkzeuge
zur Wahrung der Integrität der Chromosomen
Telomere sind die Endbereiche der Chromosomen („τέλος, telos“ = Ziel; „μέρος, meros“ = Teil). Stellt man sich vor, dass die DNA die gesamte Länge eines Chromosoms (bzw. einer Chromatide) durchläuft, des Weiteren auch, dass die gesamte DNA zur Weitergabe an Folgezellen repliziert w erden
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muss, so stellt sich die Frage: Wie kann die DNA-Polymerase die letzten Nukleotidabschnitte replizieren, ohne abzufallen? Die Antwort ist: Sie kann es nicht. Hier übernimmt in Eukaryotenzellen eine Telomerase („terminal transferase“), ein Enzym mit der Funktion einer reversen Transkriptase (7 Abschn. 6.10). Zunächst besteht ein Telomer aus repetitiven Nukleotidsequenzen an beiden Enden eines Chromosoms, wo Gene durch diese Sequenzen vor Schaden durch enzymatischen Abbau oder Fusion geschützt werden. Die Telomerase enthält nicht nur Proteinkomponenten, sondern auch eine nichtkodierende RNA. Diese paart sich mit dem 3′-seitigen Überhang der repetitiven Telomersequenz und bildet ihrerseits einen Überhang von Nukleotiden, an dem Telomer-DNA angekoppelt wird, sodass diese durch DNA-Polymerase in einem progressiven Prozess verlängert werden kann. Telomerasen wurden 1973 von dem sowjetischen Biologen Alexey Olovnikov entdeckt, also in einer Zeit, als das repressive Wissenschaftsklima der Stalin-Ära überwunden war. (Der Diktator war 1953 gestorben.) Diese Spur nahmen 1984 die US-Amerikanerin Carol W. Greider und die australischstämmige US-Amerikanerin Elizabeth Blackburn wieder auf [38]; die beiden Molekularbiologinnen erhielten 2009 gemeinsam mit Jack W. Sztostak, einem Kanadier polnisch-britischer Herkunft, den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Der Fortschritt hing weitgehend von der Beobachtung extensiver Chromosomenfragmentation bei Ciliaten ab; insbesondere Tetrahymena entwickelte sich zur Quelle von Material und Information. Erst 2018 konnte die molekulare 3D-Struktur der menschlichen Telomerase mittels Kryoelektronenmikroskopie aufgeklärt werden. Vorausgegangen war 2013 die Ermittlung der Molekularstruktur dieses Proteins bei Tetrahymena, womit Vorinformationen für weitere Arbeiten verfügbar waren. Telomerasen sind üblicherweise in adulten Zellen nicht aktiv. Deren Telomere verbrauchen sich daher mit jeder
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Kapitel 6 · Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung
ellteilung. Üblicherweise sind dies 50 bis Z 70 Teilungen, die sogenannte HayflickGrenze, benannt nach einer Publikation eines Autors dieses Namens im Jahr 1961 [39]. Nach dieser Vorstellung würden sich die Telomere im Laufe des Lebens so weit reduzieren, dass die Zellen sterben. Ausnahmen sind Zellen mit Bedarf an übermäßig hoher Teilungsaktivität, wie spermatogene Zellen, Zellen unserer Epidermis (Hautzellen), Lymphocyten (Immunabwehr) und adulte Stammzellen. Ausnahmen können aber auch Tumorzellen sein. Langfristig kultivierbare Zelllinien erhalten sich ebenfalls nach diesem Prinzip. Ein Beispiel sind die Hela-Zellen, die 1951 vom Zervixkarzinom einer Patientin mit diesem Namenskodex (Henrietta Lacks) gewonnen und über ihren Tod hinaus bis heute weiterkultiviert werden konnten. Weitere Beispiele sind: N2a-Zellen (Neuroblastomzellen aus der Maus), AtT-20-Zellen aus dem Hypophysenvorderlappen (Tumorzellen aus der Maus) und PC12-Zellen, abgeleitet von einem Tumor des Nebennierenmarks der Ratte (Phäochromocytom). Aus dieser Konstellation heraus gab es auch Überlegungen, die Altersbegrenzung zu überwinden. Rezent wird auch ein Zusammenhang zwischen der Verkürzungsrate der Telomere und der Instabilität von Chromosomen, Alterung (Seneszenz), Apoptose, oxidativem Stress und Onkogenese (Krebsentstehung) diskutiert. Die hohe Inzidenz der Expression von Telomerase in Tumoren führte zu Experimenten in Hinblick auf eine Tumortherapie. 6.8.3 Ribozyme – eine
Provokation für althergebrachte Ansichten zur Biokatalyse durch Proteine
Der Name Ribozym deutet an, dass es sich um ein Ribonukleinsäuremolekül mit enzymatischer Fähigkeit handelt. Sie sind im
Kern als snRNA („small nuclear RNA“) der Spleißosomen für die Bildung der intronfreien, fertigen mRNA zuständig (7 Abschn. 6.9), wie sich bereits im Laufe ihrer Entdeckungsgeschichte gezeigt hatte. Die Enthüllung der Struktur und Funktion von Ribozymen hing ebenfalls von Beobachtungen an Tetrahymena thermophila ab, wo ihr Effekt 1982 von der Gruppe um den US-Amerikaner T. R. Cech als selbstspleißender Vorgang entdeckt wurde [40]. Dabei wurde das Selbstspleißen der ribosomalen 28S-rRNA beobachtet. Seitdem hat sich dieses Forschungsfeld stark erweitert. Ribozyme sind jedoch nicht ausschließlich im Zellkern aktiv. Im Ribosom sowohl der Pro- als auch der Eukaryoten knüpfen bei der Translation Ribozyme – und nicht die ribosomalen Proteine – die Peptidbindung. Darüber hinaus vollbringt der Ribonuklease-P-Anteil des Ribozyms die Spaltung von Vorläufer-tRNA in die fertige tRNA, wie der kanadisch/US-amerikanische Molekularbiologe S. Altman ebenfalls in den 1980er-Jahren gezeigt hat. Es war unerwartet, dass der Lehrsatz, es seien nur Proteine zu derartigen katalytischen (Synthese-)Leistungen in der Lage, je gekippt würde. So führte der Befund, dass es Ribonukleinsäuren mit enzymatischer Fähigkeit (Ribozyme) gibt, konsequenterweise im Jahre 1989 zur Ehrung von Thomas R. Cech und Sidney Altman mit einem Nobelpreis für Chemie. Es gibt eine Vielzahl an Ribozymen. Weiterhin motivierend für die Forschung waren ihr Vorkommen bei Viren, ihre Einsatzmöglichkeit bei der Gentherapie und ihre mögliche Beteiligung an Prozessen der frühen Evolution (7 Abschn. 17.1). In der medizinischen Virologie wurde bereits im Jahr 2000 der Effekt von Ribozymen auf humane Immundefizienzviren (HIV) angepeilt; 2015 hieß es:
» Studies
on anti-HIV1 ribozymes have provided valuable information on the optimal expression strategies and clinical
6.9 · Umsetzung von „Befehlen“ aus dem Zellkern und das zentrale …
protocols for RNA gene therapy and remain competitive candidates for future therapy. [41]
» [Untersuchungen zu Anti-HIV-1-Ribozymen
haben wertvolle Informationen zu optimalen Expressionsstrategien und klinische Proto‑ kolle für eine RNA-Gen-Therapie ergeben, und sie werden Kandidaten im Wettbewerb um künftige Therapien sein.]
2003/2004 gab es bereits einen erfolgreichen Einsatz gegen Hepatitis-C-Viren. Hoffnung wird auch für die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit vermeldet (Demenz; 7 Abschn. 12.9.3).
6.9 Umsetzung von „Befehlen“
aus dem Zellkern und das zentrale Dogma der Molekularbiologie
Jede Zelle ist ein vierdimensionales Gebilde; sie ist also mit zeitvariabler 3D-Struktur ausgestattet. Eine von zahlreichen Grundvoraussetzungen hierfür ist die Fähigkeit zur lokalen Selbstorganisation als Folge lokaler Self-assembly-Prozesse (was man mit Selbstzusammenbau übersetzen könnte). Wichtige Aspekte davon hat der Franzose E. Karsenti 2008 [56] in einem „Timeline“-Artikel in Nature Reviews of Molecular Cell Biology zusammengefasst. Die zahlreichen Zelltypen in einem Säugetierkörper oder in einer Blütenpflanze lassen sich rein morphologisch/ histologisch voneinander unterscheiden. Auch kann ein Zelltyp je nach systematischer Stellung eines Organismus unterschiedlich aussehen. Erythrocyten von Säugetieren lassen sich beispielsweise von jenen niederer Klassen wie Vögeln durch ihre verschiedene Form aufgrund des Fehlens eines Zellkerns unterscheiden; diesen stoßen die Erythrocyten von Säugern aktiv aus, um vier Monate lang unbeschwert und optimal ihrer Aufgabe des Gastransports nachzukommen. Das hätten jene ost-
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asiatischen Geisterheiler wissen müssen, die versprochen hatten, „böses Gewebe“ in einem nahezu unblutigen Eingriff aus dem Körper zu entfernen. Spuren von Blut mussten jedoch sichtbar sein, um einen aktiven Eingriff vorzutäuschen. Die Zellkerne, die im Mikroskop in den Erythrocyten zu sehen waren, wiesen indes wohl auf Hühnerblut hin. Gänzlich ohne Hämoglobin und teilweise ohne rote Blutzellen kommen die antarktischen Fische der Familie Channichthyidae aus. Dies wird durch die mit abnehmender Temperatur zunehmende Löslichkeit von Sauerstoff begünstigt, sodass die Hämoglobingene reduziert wurden und kaum noch exprimiert werden. Zusätzlich erlaubt ihr temperaturbedingt stark verlangsamter Stoffwechsel diese Reduktion. Manche Speziesunterschiede erkennt man erst im Elektronenmikroskop, etwa, wenn man eine Leberzelle eines Nagetiers mit der eines Primaten vergleicht: Nur Peroxisomen von Nagern enthalten Uratoxidase in kristalliner Form in den Peroxisomen. Auch sehr formvariable Zelltypen, wie Wanderzellen bzw. Fresszellen, haben zwar eine gewisse Grundform, mit viel Aktomyosinfasern; diese sind allerdings in verschiedenen Funktionsstadien unterschiedlich angeordnet. Das Kerngenom kann all diese Grundstrukturen mit ihrer Variabilität nur unvollständig kodieren. Zunächst war man wohl der Meinung, man könne wie aus einem elektronischen Datenfile auf das endgültige Umsetzungsprodukt schließen. Man erinnert sich an die mediale Euphorie, als man 1990 an die Entschlüsselung des humanen Genoms ging, man könne bald das menschliche Leben dekodieren, getreu dem zentralen Dogma der Molekularbiologie zum unipolaren Informationsfluss: DNA → Protein. Aber so läuft es mitnichten mit den Informationen des Kerngenoms. Mein junger Kollege Martin Simon kommentierte das in einem gemeinsamen Übersichtsartikel 2014, wie folgt [42]:
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Kapitel 6 · Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung
» Knowledge
about the ‚blueprint‘ of the human genome did not tell us how regulation occurs and why genetically identical cells in different parts of our body differentiate into different phenotypes – the tissues.
» [Die
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Kenntnis der Blaupause des menschlichen Genoms hat uns nichts darüber mitgeteilt, wie die Regulation erfolgt und aus welchem Grund genetisch identische Zellen in verschiedenen Teilen unseres Körpers sich zu unterschiedlichen Phänotypen differenzieren – die Gewebe.]
Das heißt verkürzt: Die Blaupause sagt nichts über die Regulation und Differenzierung des Endprodukts. Neben der Datenspeicherung braucht es Kommandos für den selektiven, zeitvariablen Abruf, die Umsetzung in reale Strukturen, deren Kooperation, die Unterdrückung anderer Informationen, die Wechselwirkungen mit Nachbarzellen und mit der abiotischen Umgebung. Die Hierarchie der Kommandozentrale benötigt nachgeordnete Instanzen bzw. Befehlsgewalten, um die zeitvariable 3D-Struktur einer Zelle und ihrer Funktionen zu realisieren. Ein interessanter Aspekt im Zusammenhang mit der Etablierung zunehmender Komplexität ist, dass die Zelle viel „herumgekleistert“ hat. Die präzisen Vorgaben des Genoms für Aminosäurensequenzen sind viel zu wenig dynamisch, um ein derart komplexes Gebilde wie eine Zelle in die Realität umzusetzen. Zahlreiche Modifikationen wurden „erfunden“ und interne Signale in der Primärstruktur von Proteinen als untergeordnete Signale für deren Positionierung eingesetzt („targeting signals“ = Zielgebungssignale, Importsignale etc.). Bereits seit Jahrzehnten gibt es Websites für die Vorhersage von organellspezifischen Zielgebungssignalen. Ein aktuelles Beispiel für posttranslationale Modifikationen, partielle Proteolyse und Zielgebung kann unter 7 https://www.expasy.org/resources/search/
keywords:subcellular%20location abgerufen werden. Die von den (protein-)kodierenden Abschnitten von Genen abgelesene mRNA ist erst einmal zumeist eine prä-mRNA. Diese enthält noch die transkribierten Intronbereiche, die – wie bereits erwähnt – in einem Reifungsprozess zur Gänze oder teilweise herausgeschnitten werden müssen (Spleißen), um fertige mRNA durch die Kernporen ins Cytosol zu exportieren. Entdeckt wurde der Spleißvorgang 1977 unabhängig von zwei US-amerikanischen Gruppen, als sie – wie erwähnt – fanden, dass die im Zellkern enthaltene prämRNA wesentlich länger ist als jene im Cytosol. Beide arbeiteten mit demselben System und mit denselben Methoden. Als sie DNA-RNA-Hybride von Adenoviren mit der Spreitmethode und Schwermetallbedampfung analysierten, sahen sie nichtgepaarte Abschnitte, eben die Introns. Zu alledem kommen noch posttranslationale Modifikationen und epigenetische Effekte hinzu. 6.10 Moderne Methoden der
Genetik in der Zellbiologie
Die Entwicklung molekulargenetischer Methoden hat der Zellbiologie viele Perspektiven eröffnet und zunehmend die Entwicklung einer „Molekularbiologie der Zelle“ erlaubt. Fortan war oft nur noch von „Molekularbiologie“ die Rede, obwohl damit die Arbeiten mit anderen Molekülen als der DNA diskreditiert wurden. Ausgangspunkte waren die Errungenschaften ab den 1950er-Jahren, mit Watsons und Cricks Doppelhelixmodell der DNA als Leuchtturm. Von herausragender Bedeutung war die zunehmende Verfeinerung der Methoden, DNA-Moleküle zu sequenzieren. Den Anfang machte 1977 der britische Biochemiker Frederick Sanger mit seiner Kettenabbruchmethode [43], wofür er 1980
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den Nobelpreis erhielt. Dabei war er schon einmal 1958 auf dieselbe Weise, damals für die Sequenzierung von Proteinen, geadelt worden.
6.10.1 Restriktionsenzyme und
rekombinante (heterologe) Expression von Proteinen
Die Identifikation von Restriktionsenzymen durch den Schweizer Genetiker und Mikrobiologen Werner Arber in der Zeit um 1967/1968 war ein weiterer Impulsgeber [44]. Sein Ausgangspunkt waren die Transposons genannten Abschnitte von FremdDNA viraler oder bakterieller Herkunft, die mit passgenauen Enzymen herausgeschnitten werden können. Dafür hat die Evolution die sogenannten Restriktionsenzyme entwickelt, ebenso wie die Ligasen, die zum Einbau von Fremd-DNA dienen. Als ein Beispiel für den präzisen Schnitt der DNA in den beiden Strängen sei das Restriktionsenzym EcoRI erwähnt:
EcoRI stammt aus E. coli; weitere Beispiele aus einer langen Liste sind BamHI aus Bacillus amyloliquefaciens, HindIII aus Haemophilus influenzae usw. mit jeweils spezifischen Schnittstellen. W. Arber erhielt 1978 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Viele Experimente benötigen DNA-Moleküle mit einer spezifischen Sequenz und in großer Zahl; also benötigt man Amplifikationsmethoden. Bei der Polymerasekettenreaktion („polymerase chain reaction“, PCR) genügt theoretisch ein DNA-Molekül, um zu großen Mengen an DNA zu gelangen. (Deshalb wird PCR so hochgeschätzt, nicht nur in der Zellbiologie und
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Medizin, sondern auch in der Paläontologie, Kriminalistik und neuerdings, 2020, in der CoV-2-Diagnostik.) Die DNA wird mit Desoxynukleotiden und einer DNA-Polymerase zusammengegeben. Die Polymerase baut an einen Einzelstrang die komplementären Nukleotide an und verlängert so das DNA-Molekül. Wird die Probe relativ hoch erhitzt (z. B. auf 95 °C), so trennen sich die Stränge („die DNA schmilzt“), und ein jeder Strang kann wieder komplementär reproduziert werden. So erhält man in vielen Durchgängen eine beliebige Zahl von Kopien der ursprünglichen DNA. Der US-Amerikaner Kary Mullis hat die PCR-Methode 1983 erfunden [45], wofür er 1993 den Nobelpreis für Chemie erhielt. Die Entwicklung dieser Methode hat wohl nur wenige Wochen bis Monate beansprucht. Mullis beschädigte seinen eigenen Ruf durch die Leugnung des AIDS-Virus – eine seltsame Ambivalenz, wogegen die PCR-Technik inzwischen für die Identifikation von Virusinfektionen und von Tumormarkern in der personalisierten Krebsdiagnostik unentbehrlich wurde. RNA-Abschnitte können der Herstellung von cDNA („complementary DNA“) durch Kopieren mittels reverser Transkriptase dienen. Solche DNA-Abschnitte können in „Vektoren“ eingebaut werden, um „Konstrukte“ für die zelluläre Anwendung zu erhalten (Transfektion). Vektoren sind meist kurze, linearisierte Abschnitte viraler DNA mit einer Promotorsequenz und definierten Enden, in die beliebige DNA-Abschnitte, z. B. aus dem PCR-Verfahren, eingebaut werden können. Häufig werden Abschnitte aus Masern- oder Baculoviren als Vektor eingesetzt. Über solche Konstrukte können DNA- oder RNA-Sequenzen in beliebige Zellen eingeschleust und zur Expression gebracht werden. Mit der PCR-Methodik war der Weg bereitet für gezielte Eingriffe wie die Implantation von Fremd-DNA in andere Zellen. Fast gleichzeitig mit der Erfin-
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dung der PCR-Technik hat man die Methodik an Bakterien erprobt; dabei waren die US-Amerikaner H. Boyer und S. Cohen [57] die Ersten, denen dies 1973 gelang. Dies erlaubt die heterologe Expression von Fremdproteinen in Bakterien oder tierischen bzw. pflanzlichen Eukaryotenzellen, z. B. für die Gewinnung von medizinisch relevanten Proteinen (Hormone und andere Wirkstoffe). Dazu kam es im großen Maßstab in der pharmazeutischen Industrie ab den 1980er-Jahren. Vor 50 Jahren mussten noch 50 Schweine herhalten, um aus ihren Bauchspeicheldrüsen den Jahresbedarf eines Diabetikers an Insulin zu decken, oder 20.000 Hypophysen vom Schaf, um Wachstumshormon für die Behandlung eines kleinwüchsigen Kindes zu erzielen. (Bald tauchte übrigens das Problem der Übertragung von Prionkrankheiten durch Präparate tierischen Ursprungs auf; 7 Abschn. 12.9.) Die Einführung der Rekombinationstechnik durch die beiden US-Amerikaner S. N. Cohen und H. W. Boyer, 1972, förderte die Wende in der Produktion rekombinanter Proteine [46], womit eigentlich die Herstellung auf der Grundlage rekombinanter DNA (rDNA) gemeint ist. Die anfängliche Expression in Bakterien hatte den Nachteil, dass keine Glykosylierungen erfolgen. Ab den 1980er-Jahren konzentrierte sich die heterologe, rekombinante Expression daher auf Eukaryoten, von Tetrahymena bis zu Pflanzen- und Säugetierzellen. Eine andere Anwendung ist z. B. das posttranskriptionale „Silencing“ (Ruhigstellung), wobei von den eingeschleusten Konstrukten Sequenzen freigesetzt werden, die zur mRNA eines Zielproteins komplementär sind. Dadurch wird die endogene mRNA blockiert, sodass das entsprechende Protein nicht mehr gebildet werden kann. In der Praxis haben sich beispielsweise in der Ciliatenforschung transfizierte E.-coli-Zellen bewährt, die phagocytiert wer-
den und die entsprechenden hemmenden RNA-Sequenzen (RNAi) ins Cytosol freisetzen. Ähnliches gilt für die massenweise Expression über komplementäre DNA (cDNA) von Kanälen und Rezeptoren in Zellen, die dazu normalerweise nicht in der Lage sind (rekombinante Proteine). So ist es auch möglich, nach Expression in großen Empfängerzellen Leitfähigkeiten zu messen, wozu die Ursprungszellen zu klein oder zu unhandlich sind. Ein Beispiel ist die Expression verschiedener Proteine in Eizellen des südafrikanischen Krallenfrosches, einem beliebten Modellsystem zur Expression und Analyse von Fremdproteinen. Daneben besteht Interesse an der Herstellung rekombinanter Proteine für therapeutische Zwecke. Dies nahm in den 1980er-Jahren den ersten Anlauf mit Somatotrop(h)-in (Wachstumshormon), gefolgt von Insulin, Erythropoetin, β-Interferon etc. (Interferone sind endogene Glykoproteine, die von unserem Körper gebildet und gegen Viren, Tumoren sowie gegen Zellproliferation aktiv werden; dabei üben sie einen immunmodulierenden Effekt aus.) Heute steht die Methode zur Herstellung von Impfstoffen zur Diskussion. Voraussetzung für derlei Arbeiten ist die Verfügbarkeit von Restriktionsenzymen und der PCR-Methodik. Auch mussten Verfahren entwickelt werden, um FremdDNA als Konstrukte in die Zellen einzuschleusen. Für die Transfektion mit Fremdgenen werden Zellen mit Nano-Goldpartikeln oder mit magnetischen Nanopartikeln bombardiert („magnetofection“), mit einem Elektroporationsgerät permeabilisiert oder aber mit schonend permeabilisierenden Chemikalien, etwa mit Lipofectamin von Thermo Fisher Sci., behandelt. An derlei Methoden haben verschiedene Gruppen in den vergangenen Jahrzehnten gearbeitet.
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6.10.2 Eine neue Vielfalt
molekularbiologischer Methoden in Zellbiologie und Medizin
Einige der Methoden wurden an verschiedenen Stellen dieses Buches angesprochen bzw. erläutert. Hier folgen eine kurze Zusammenfassung und Erweiterung. Die Namen neuer Methoden sind Programm: „next-generation sequencing“ oder „turbo sequencing“. Sie beruhen auf verschiedenen Methoden und erlauben jedenfalls einen schnellen Probendurchsatz und damit immer schnellere Ergebnisse. Die „Illumina NovaSeq Technologie“ sowie die „NanoString“-Methode und gerätetechnische Entwicklungen weiterer Firmen geben Beispiele für die derzeitige schnelllebige Entwicklung, bei denen von einzelnen DNA-Molekülen bzw. -fragmenten ausgegangen wird. Eine neue Variante dieser Methodenentwicklung aus der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts ist beispielsweise das „nanopore sequencing“; dabei wird DNA durch natürliche Poren aus biologischem Material oder aber durch künstliche Poren getrieben, wobei über die Leitfähigkeit die Nukleotidabfolge abgelesen wird. „Multiwell-Analysen“ („well“ = Loch, Vertiefung) im Minimaßstab („Nanowells“ – nano dürfte wohl übertrieben sein) werden für die Bewältigung großer Proben angepriesen. Eine Alternative ist das „ion semiconductor sequencing“ (Ionen-Halbleiter-Sequenzierung). Hier werden einer einzelsträngigen „template“ DNA die vier Nukleotidbausteine als Desoxyribonukleotid-Triphosphate angeboten. Die Messung der nukleotidspezifischen Leitfähigkeit (H+-Signale) erlaubt es, die Sequenz während der Synthese des komplementären DNA-Stranges zu ermitteln („ion torrent sequencing“; torrent = Fluss, Schwall). Es ist dies also eine „synthetische Analysemethode“. Die verschiedenen Methoden erlauben einerseits eine sehr präzise Sequenzanalyse und andererseits höchste Sequenziergeschwindigkeiten.
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Für eine Vielfalt an Modellorganismen wurden in den vergangenen drei Jahrzehnten – meist von internationalen Konsortien – Datenbasen etabliert. Sie sind allgemein zugänglich und geben eine Übersicht über DNA-Sequenzen, die auf Ähnlichkeiten mit etablierten Genen bzw. Proteinen und deren Domänen hin durchforstet werden können, meist im Vergleich mit den gut etablierten Sequenzen von Säugetieren (Maus, Mensch) oder von Pflanzen (Arabidopsis thaliana). Damit hat die Kombination von molekularer Genetik und Informatik einen wesentlichen Fortschritt in der Zellbiologie erbracht. Die Analyse großer Datenmengen („big data analysis“) erlaubt den Vergleich der verschiedensten, aktuell verfügbaren Genome über international zugängliche Datenbanken und strahlt aus in die molekulare Evolutionsforschung. Diese methodische Expansion auf große Datenmengen wurde durch den stetigen Zugewinn an Speicherdichte der technischen Medien ermöglicht. Der Unterschied zwischen einer Festplatte von IBM aus dem Jahr 1956 und heute ist um einen Faktor 2 × 108 gestiegen. Ein Zuse-Computer, der in den 1960er-Jahren in zwei klimatisierten Sterilräumen untergebracht war, wird heute bei Weitem von einem „Handy“ übertroffen. Es gibt auch Dateien für die Analyse von spezifischen Arten von Proteinen oder Domänen etc. (Beispiele: Proteinkinasen und Phosphatasen, Cyclasen, SNAREs und deren typische Domänen). Dies dient dann als Einstieg in verschiedene Methoden: Von etablierten Sequenzabschnitten ausgehend können ganze Gene rekonstruiert werden. Dem kann eine Vielzahl an Methoden folgen, von denen die Literatur voll ist: Knockout-Experimente zum Ausschalten spezifischer Gene, In-vitro-Expression, Prognostizierung von immunogenen Abschnitten zur Herstellung von monospezifischen Antikörpern für Immunlokalisationen (vom Western Blot bis zur licht- und elektronenmikroskopischen Lokalisierung des entsprechenden Proteins/Antigens),
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erstellung von Konstrukten für posttranH skriptionales Gene Silencing oder von siRNAs („small interfering RNAs“) und Morpholinos für denselben Zweck (Interferenz mit mRNA). Diese und die weitere Möglichkeit von genomischen Veränderungen, beispielsweise mit der CRISPR/Cas9-Methode, werden nachfolgend in 7 Abschn. 6.11 genauer ausgeführt. 6.11 Genaue Zielansprache im
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Genom ist gefragt
Eine der Methoden, endogene RNA- oder DNA-Abschnitte spezifisch intrazellulär, auch in Geweben, zu lokalisieren, war die In-situ-Hybridisierung. Beispiele waren Lokalisierungen in den autonomen Organellen oder das Studium der heterogenen Verteilung von mRNAs in Oocyten. Die Methode wurde ab den 1960er-Jahren als Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FiSH), zunächst auf licht- und dann auf elektronenmikroskopischem Niveau entwickelt. Große Einzelstrangbereiche können komplementäre, markierte Sequenzen binden, womit die Lokalisierung gewährleistet war. In weiterer Folge wurde eine „nick translation“ entwickelt, d. h., man nutzte die Reparaturfunktion von DNA-Polymerase I, um an Einzelstrangbrüchen markierte Nukleotide einzubauen. Eine breite Palette von Markierungsmethoden stand bereit. Besonders elegant war der Ansatz eines österreichisch-schweizerischen Kooperationsteams, 1986 im Journal of Cell Biology publiziert [47]. Bei ihrer elektronenmikroskopischen Lokalisierung mit ultradünnen Gefrierschnitten oder Lowicryl-K4M-Schnitten von Gewebe, war der erste Markierungsschritt die Bindung von bioninyliertem Uridintriphosphat (UTP), gefolgt von Anti-Biotin-Antikörper – oder Protein-A-Gold-Komplexen (7 Abschn. 4.5.1). Damit konnten die Autoren die bis dato übliche radioaktive Markierung vermeiden.
Seit ein paar Jahren wird die CRISPR/ Cas-Methode hoch gehandelt – Nobelpreise waren quasi garantiert. Dazu folgende Termini: CRISPR bedeutet „clustered regularly interspaced short palindromic repeats“, Cas steht für „CRISPR-associated“. Diese Methode dient dem zielgenauen Anpeilen, der Ausschaltung oder der Manipulation spezifischer Gensequenzen, eben dieser „clustered regularly interspaced short palindromic repeats“. (Palindromische Sequenzen sind Nukleinsäureabschnitte, zu deren Basenabfolge in einem Strang der DNA es im Komplementärstrang eine spiegelverkehrte Abfolge von Nukleotiden gibt.) Ab Ende der 1980er-Jahre widmete der Spanier Francisco Mojica seine Arbeit ebenfalls diesem Phänomen bei Eu- und Archaebakterien; er verwendete die Bezeichnung „short regularly spaced repeats“, SRSR. Mehr solcher Abschnitte wurden seit 1987 von dem Japaner Y. Ishina in Bakterien identifiziert. Den Namen CRISPR führte erst 2002 der Niederländer R. Jansen ein. Inzwischen weiß man, dass 45 % der Eubakterien und 83 % der Archaebakterien zumindest einen CRISP-Repeat enthalten. Diese können die Zellen vor dem Einbau von Fremd-DNA schützen. In Kombination mit Cas9 (CRISPR-associated), einem Enzym mit Endonuklease- und Helicasefunktion, und einer genspezifischen RNA-Sequenz („guide/leader RNA“, Leitsequenz), kann das entsprechende Gen aufgefunden werden. Die Repeats werden von Spacern unterbrochen. Das hat folgende Bedeutung. Im CRISPR-Genlocus von Bakterien wurden repetitive Cas-Gene (z. B. Cas7, Cas9), eine „Leitsequenz“ und wiederholte Repeat/Spacer-Sequenzen festgestellt. 2005 wurde offensichtlich, dass es sich bei den Spacern um Abkömmlinge von Phagen-DNA aus aufeinanderfolgenden Infektionen handelt; der erste Spacer stammt aus der letzten Phagenattacke. (Damit es nicht zu einer andauernden Vermehrung der Spacer kommt, kön-
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nen die Bakterien Spacer teilweise auch wieder entfernen.) Das RNA-Transkript des Spacers aus der letzten Phagenattacke bzw. die Leitsequenz dient der Erkennung der Zielsequenz bei der aktuellen Infektion. Hier kann das Enzym Cas einen spezifischen Schnitt setzen und die FremdDNA des Invasors entfernen. Dieser Erkennungsmechanismus wurde in weiterer Folge in der Zellbiologie dazu benutzt, entweder spezifische DNA-Sequenzen zu entfernen ( Knockout-Experimente) oder zu verändern, oder aber, um neue Sequenzen einzuführen (Transfektion). Beides läuft pauschal unter dem Motto „gene editing“ (vulgo „Genmanipulation“ in der Trivialliteratur). Die Publikation dieser komplexen Situation kann wohl zu Recht als ein Hindernislauf bezeichnet werden. F. Mojica hatte systematisch solche Repeats im Genom von Bakterien gesammelt. Ab 2000 hat er das CRISPR/Cas-System als bakterielle Immunantwort identifiziert. Auch hat er bereits realisiert, dass diese Forschung weitreichende praktische Konsequenzen mit sich bringen wird. (Diese liegen heute nicht nur im Bereich der zellbiologischen Forschung [„genome editing“], sondern auch in der Praxis von Medizin und Pflanzenzüchtung.) 2003 versuchte Mojica, seine Arbeit in Nature zu publizieren. Es brachte ihm vierfache Ablehnung, auch durch andere Journale – in langen 18 Monaten. 2012 publizierten die heute meist schlichtweg als Erfinderinnen der Methode gefeierten Autorinnen Jennifer A. Doudna (USA) und Emmanuelle Charpentier (Frankreich, heute Leiterin eines Max-Planck-Instituts in Berlin) in der Zeitschrift Science eine entscheidende praktische Verbesserung der Methode [48]. Ihre Arbeit erlaubt eine vielfältigere Einsetzbarkeit der CRISPR/ Cas9-Methode. Sie brachten die Erkennungssequenz mit der Endonuklease so zusammen, dass diese unmittelbar am betreffenden Ort schneiden kann. Auch hier gab es Interferenzen mit dem litauischen Bio-
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chemiker Virginijus Šikšnys, der seine Arbeit 2012 bei der Zeitschrift Cell eingereicht hatte, wo sie zwar als bedeutsam eingestuft, aber dennoch abgelehnt wurde, bis sie im selben Jahr online in den Proceedings of the National Academy of Science USA erscheinen konnte [49]. Das Potenzial zu einer pränatalen Gentherapie liegt nahe, allerdings auch unnotwendige Genmanipulation: Bereits 2018 wurde diese von einem jungen chinesischen Wissenschaftler am Menschen praktiziert (unten). Die Büchse der Pandora war geöffnet. Die Reaktion der Öffentlichkeit war weltweit verheerend, auch in China. Öffnet es doch den Weg zu so etwas wie Designerbabys, klonierten Menschen nach Maß und anderen Horrorvisionen. Derlei hatte Aldous L. Huxley, britischer Schriftsteller mit der Fama eines Universalgelehrten aus der Familie der seit Darwins Zeiten bekannten Familie der Huxleys in seinem Buch „Brave New World“ 1932 vorweggenommen und dazu Jahrzehnte später mit Zusatzkommentaren aktualisiert [50]. Inzwischen gibt es immer wieder Erfahrungsberichte und Übersichtsarbeiten, die belegen, dass die Methode nicht immer und überall die Präzision hat, die versprochen wurde. Das kann auch bei der Elimination eines definierten Genabschnitts zutreffen (Knockout-Experimente). So ist es unter Zellbiologen heute wiederum üblich, wie früher, Kontrollversuche mit siRNAs und Morpholinos durchzuführen. Dies sind synthetische, inhibitorische RNAs (RNAi), deren P-Atom als Phosphodiamidat-Gruppe derivatisiert wurde. Morpholinos sind stabil und binden an prä-mRNAs und RNAs, wodurch sie Spleißen und Translation unterbinden. Sie wurde von J. E. Summerton und D. D. Weller [58] bei US-Pharmafirmen entwickelt und 1997 unter dem Titel „Morpholino antisense oligomers: design, preparation, and properties“ publiziert. Auch Morpholinos können therapeutisch eingesetzt werden, und dies ohne dauerhafte Veränderungen des Genoms.
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Allerdings ist auch von dieser Methode bekannt, dass sie nicht zu 100 % verlässlich ist. Jedoch wurde 2018 gemeldet: „The US Food and Drug Administration’s decision breathes new life into RNA-interference therapies.“ Ein Knockout-Experiment an der Maus wurde erstmalig Ende der 1980er-Jahre – bevor die CRISPR/Cas9 -Methode verfügbar wurde – von den US-Amerikanern Mario R. Capecchi und Oliver Smithies sowie dem Briten Martin Evans vollbracht [51], wofür ihnen 2007 der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zugeteilt wurde. Jetzt, 30 Jahre danach, kann man ermessen, wie schnell sich die Methoden weiterentwickeln. In der Anwendung auf die menschliche Keimbahn wurde 2018 durch die erwähnte chinesische Gruppe der Rezeptor für das AIDS-Virus in humanen Blastocystenzellen ausgeschaltet („ausgeknockt“), um die Zellen – trotz erheblicher Unsicherheiten beim derzeitigen Stand der Technik – der weiteren Entwicklung zum voll ausgewachsenen Organismus zuführen zu können. (Ende 2019 war der leitende Wissenschaftler offiziell verschollen.) Dies war nicht nur ethisch verwerflich, sondern auch überflüssig, zumal 2019 ein Pharmakon verfügbar wurde, PrEP (Präexpositionsprophylaxe), welches das Andocken des HI-Virus verhindert. Worin bestehen die Unsicherheiten der CRISPR/Cas9-Methode? Im Praxistest erwies sich die Genschere Cas9 als unzuverlässig, und erst 2018 hat die Gruppe um David R. Liu von der Harvard University, Cambridge (Mass., USA) die künstliche Variante xCas9 mit wesentlich verbesserter Zielsicherheit hergestellt und in der Zeitschrift Nature publiziert [52]. In der Zeitschrift Nanoscale wurde, ebenfalls 2018 durch chinesische Molekularbiologen, eine Variante zum schnelleren „gene editing“ auf der Basis von graphitoxidgebundener Cas9/ sgRNA publiziert (sgRNA = „single guided RNA“ [59]). Die Autoren zeigen zunächst die Problemanfälligkeit früherer Varian-
ten der Methode auf (also doch!) und versprechen Verbesserungen. Dann präsentieren sie folgende Weiterentwicklung: Sie binden einen Komplex aus der Nuklease Cas9 und einer zielgebenden sgRNA mit einer passenden genomischen Sequenz und einer Spacer-Sequenz (PAM sequence) auf Monoschichten von Graphitoxid in kleinstem Maßstab. Die resultierenden planaren Nanopartikel werden sehr leicht endocytiert, gefolgt von der Freisetzung des adsorbierten M olekülkomplexes aus Endo-(lyso-)somen und dessen Transfer in den Zellkern aufgrund eines an Cas9 angefügten nukleären Lokalisierungssignals. So können selektiv spezifische Gene angesprochen werden. Man darf sich schon fragen, ob hier wieder einmal eine Expansion gentechnischer Arbeiten mit verbesserter Präzision an menschlichen Oocyten angepeilt wird, insbesondere nach der ausführlichen Kritik an bisherigen Methoden, mit der die Autoren ihre Arbeit einleiten. Es gibt aber auch Positives für die CRISPR/Cas9-Methode in der Zellbiologie zu vermelden. In den letzten Jahren konnte selektiv und simultan etwa ein halbes Dutzend Stellen im Genom topologisch angesprochen, markiert und in Echtzeit verfolgt werden. Dies ergibt neue Möglichkeiten in einem komplexen Feld, das wohl die Arbeit der kommenden Jahre mitbestimmen wird. Eine weitere Möglichkeit wurde neuerdings wie folgt entwickelt. CRISPR/Cas9 wurde auf einem Chip aus Graphit so fixiert, dass es die gesuchte Gensequenz zwar erkennen, aber nicht schneiden kann. (Graphit ist eine bienenwabenartige Verkettung von Kohlenstoffatomen.) Diese Verfahrensweise sollte die Identifikation von Mutationen an einem einzigen DNA-Molekül ohne den Aufwand der üblichen Gentests bzw. Sequenzierung erlauben. Die CRISPR/Cas9-Methode wurde 2015 als ein Höhepunkt der zeitgenössischen zellbiologischen Forschung gefeiert. Nach all den Irrungen und Wirrungen war über einige Jahre die Frage: Welche der an
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der Entwicklung beteiligten Wissenschaftler werden wohl mit einem zu erwartenden Nobelpreis ausgezeichnet werden? Die Antwort findet sich im letzten Abschnitt (7 Abschn. 18.3). Was ist von molekularbiologischen Technologien aktuell zu erwarten? Hier ein paar Beispiele: Methoden wie die RNA-Interferenz (Antisense-RNA), die lokale Induktion der Expression des Tumor-Nekrosefaktors zur Bekämpfung von Krebs, z ielgenaue monoklonale Antikörper gegen distinkte Epitope und passgenaue Designerdrogen werden bereits therapeutisch eingesetzt, unter anderem bei der Krebstherapie. Mit Antisense-Oligonukleotiden wurde wieder einmal ein Versuch gestartet, Malaria-Erreger (Plasmodium falciparum) über Hemmung des essenziellen Glykolyse-Enzyms Aldolase zu deaktivieren. Erfolgreicher könnte die breitflächige Bekämpfung der Anopheles-Mücke mit der CRISPR/Cas-Methode sein (7 Abschn. 18.3). Auch wurden Ribozyme entwickelt, die beliebige mRNA-Moleküle erkennen und durch Fragmentierung deaktivieren können. Auf der Basis der CRISPR/Cas9-Methode wurden unter anderem Verfahren zum „Screenen“ von Zellen, z. B. von Stammzellen, entwickelt. Der breitflächige Einsatz in der Gentherapie am Menschen wird wegen unabsehbarer Effekte zwar zumeist noch als verfrüht beurteilt. Kulturzellen jedoch werden mit der CRISPR/Cas9-Methode für eine Reihe von Krankheiten systematisch untersucht. Ebenso wird diese Methodik an Tiermodellen und in der Pflanzenzucht erprobt. Man nähert sich langsam einer molekularbiologischen Therapie an. So wurde für die Therapie einer erblichen Erblindung die Retina eines Patienten einer CRISPR/Cas9-Behandlung unterzogen [60], wie die Zeitschrift Nature 2020 berichtete. Einer Anwendung an Eizellen für die In-vitro-Fertilisation stehen noch erhebliche Bedenken wegen nicht abschätzbarer Risiken entgegen. Vieles ist im Gang und das Spektrum an Einsatzmöglichkeiten molekulargenetischer Methoden
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wird bunter und lässt wesentliche Erfolge erwarten. Dabei ist die Beachtung ethischer Prinzipien oberstes Gebot. Zunehmend haben molekularbiologische Analysen wichtige Erkenntnisse zu Erbkrankheiten verschiedenster Art und zur Tumorbiologie beigetragen. Die moderne Gentechnik eröffnet enorme Chancen für die Medizin. Für die meisten Syndrome wurden polygene Ursachen festgestellt, beinahe 20 für Innenohrschwerhörigkeit und zahllose für Komponenten der extrazellulären Matrix, für neuronale Proteine oder für verschiedene Rezeptoren, um ein paar Beispiele zu nennen. In der Tumorbiologie ist seit Jahrzehnten eine Karte der Verteilung von Mutationen des Proteins p53 verfügbar. Dies ist ein als Tumorsuppressor tätiger Transkriptionsfaktor bzw. ein Protoonkogen, da es normalerweise den Austritt von sich nicht korrekt teilenden Zellen aus der G1-Phase des Zellzyklus unterbindet; je nach der Position der Mutation im Molekül kann diese in Krebs einmünden. Bei ≈50 % der menschlichen Tumoren wurde eine Mutation von p53 festgestellt; es wurde daher 1993 zum Molekül des Jahres gekürt. Es gibt Datenbanken für eine Palette von Krankheiten: Die German Mouse Clinic ist hierfür ein Beispiel, mit dem man neue potenziell pathogene Mutationen aufzeigen kann (7 Kap. 14). Derlei Ansätze prägen die moderne Medizin, einschließlich der Identifikation exogener Pathogene (Viren, Parasiten). Persönliche Variationen können in Auftragsanalysen eruiert werden (DNA-Profiling; 7 Abschn. 12.4 und 12.5); sie können in eine individualisierte Therapie einmünden. Den Fortschritt brachte die kombinierte Attacke von Zellbiologie, Molekularbiologie und Medizin. Welch ein Fortschritt: „bên zi bêna, bluot zi bluoda“ (Bein zu Bein, Blut zu Blut; Merseburger Zaubersprüche, althochdeutsch) hieß die Zauberformel in der Mitte des 10. Jahrhunderts. Zu Ende des 19. Jahrhundert hieß die Zau-
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berformel der Homöopathie „similia similibus curentur“ (Homöopathie: Ähnliches mit Ähnlichem zu bekämpfen; „ὁμοῖος, homóios = gleich; „πάθος, páthos = Leid). In dieser Formel klingt die mittelalterliche Signaturenlehre nach (7 Abschn. 14.8.1); dennoch findet diese Formel noch heute ihre Adepten, auch wenn bei hochpotenzierten Präparaten kein einziges Wirkmolekül mehr vorhanden ist. Dieser Fortschreibung des Mittelalters stehen ungeahnte moderne Diagnose- und Therapiemöglichkeiten gegenüber. Größer könnte der Kontrast kaum sein. Aufschlussreich sind aktuell auch exemplarische Informationsblätter der Forschungslabors pharmazeutischer Firmen, z. B. des PrimBio Research Institute, Exton (Pennsylvania, USA). Sie verweisen darauf, dass – abgesehen von Chromosomenanomalien – die meisten Krebsarten durch Abweichungen in einzelnen Nukleotiden entstehen oder aber durch kleine Einschübe oder Deletionen. Ein „hot spot gene panel“ (Brennpunkt-Gentabelle) bietet Primer an, die etwa 3000 Mutationen von 50 Schlüsselgenen, die bei der Entstehung sehr verschiedener Krebsarten eine Rolle spielen, entdecken können (Gensonden). Darunter befinden sich unter vielen anderen EGFR („epithelial growth factor receptor“), FGFR („fibroblast growth factor receptor“), PDGFR („platelet-derived growth factor receptor“), NOTCH, PIK3CA, PTEN und SMAD. Das NOTCH-Gen wurde 1917 vom Altvater der modernen Genetik, Thomas H. Morgan, bei Drosophila melanogaster gefunden, als eine Mutation gekerbte Flügel hervorbrachte („notch“ = Kerbe). PIK3CA bedeutet Phosphatidylinositol-4,5-bis-phosphat3′-kinase, ein Enzym des Phosphatidylinositol-(PI-)Signalweges (7 Abschn. 10.7); dieser ist an sehr unterschiedlichen Prozessen beteiligt und eben auch bei der Regulation des normalen Zellwachstums. PIK3CA wird durch den Tumorsuppressor PTEN reguliert. SMAD ist nach der kleinen („small“) Größe einer Mutante des Faden-
wurms Caenorhabditis elegans (Nematoda) benannt. SMAD-Proteine erwiesen sich nach ihrer Entdeckung 1996 als wesentliche Signaltransduktoren für den „transforming growth factor beta“ (TGF-β), der zusammen mit anderen Faktoren Wachstum und Entwicklung steuert. Passend zu den molekularbiologischen Befunden werden von verschiedenen Firmen monoklonale Antikörper gegen fehlerhafte Stellen in tumorauslösenden ( onkogenen) Schlüsselproteinen angeboten (antineoplastischer Effekt). Auch sie folgen einer genauen Zielansprache. In summa lässt sich feststellen, dass es überwiegend Mutationen von Proteinen verschiedener Signalwege sind, die Krebs verursachen. Sie können mit molekularbiologischen Methoden „zielgenau“ angesprochen werden und erlauben eine personalisierte Behandlung, obwohl die Zielgenauigkeit immer noch verbessert wird. Ein therapeutischer Ansatz mittels „Genmanipulation“ erscheint aus ethischen Gründen zwar noch verpönt, wer aber kann heute sagen, wie das die kommende Generation handhaben wird? Die Ansätze hierzu werden in 7 Kap. 12 diskutiert.
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Kapitel 6 · Der Zellkern als Kommandozentrale. Modulation von „Befehlen“ bei der Umsetzung
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Wie man Zellen in ihre Bestandteile zerlegen kann Inhaltsverzeichnis 7.1 Techniken zur Isolierung von Organellen – 140 7.2 Isolierung von Molekülen – 144 Zitierte Literatur – 147
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 H. Plattner, Abenteuer Zellbiologie – Streifzüge durch die Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66740-8_7
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Kapitel 7 · Wie man Zellen in ihre Bestandteile zerlegen kann
Nachdem zahlreiche Strukturen im Elektronenmikroskop sichtbar geworden waren, versuchte man ab 1930, einzelne Komponenten, Organellen und später auch Nukleinsäuren und Proteine zu isolieren. Dazu wurden verschiedene Zentrifugationsmethoden entwickelt. Die Identifikation von charakteristischen Stoffen wie DNA oder RNA und Enzymen, begleitet von deren Lokalisierungen in situ, ergab eine zunehmend genaue funktionelle Topologie der Zelle. Auf die Isolierung von Proteinen folgte die Isolierung von DNA und schließlich von RNA (in den 1960er- bzw. 1970er-Jahren). Die Strukturanalyse von Proteinen wurde ab den 1950er-Jahren mit Röntgenbeugung vorangebracht. Dank der letzten methodischen Entwicklungen konnten mit hoher Präzision die dreidimensionale Struktur integraler Proteine wie Oberflächenrezeptoren und die passgenaue Bindung von physiologischen oder künstlichen Liganden erforscht werden – ein wesentlicher neuer Entwicklungstrend der Zellbiologie und ihrer medizinischen Anwendung. Die meisten Methoden sind im Ansatz also bereits seit über einem halben Jahrhundert verfügbar, sei es für die Auftrennung von Zellkomponenten, sei es für deren molekulare Analyse; sie wurden jedoch stetig verfeinert.
Die Möglichkeit, mit spezifischen Färbetechniken bestimmte Organellen auch in situ zu identifizieren, war lange Zeit der wichtigste Ansatz zu einer funktionellen Topologie der Zelle. Zunehmend wurden histo- und cytochemische Methoden der Licht- und Elektronenmikroskopie entwickelt. Erinnert sei an die verschiedenen lichtmikroskopischen Färbemethoden in 7 Abschn. 4.4. Erst die Fraktionierung von Zellen in ihre Bestandteile vermittelte den Zugang zu biochemischen Methoden.
amit wurden beide Ansätze auch miteinD ander korrelierbar (. Abb. 7.1).
7.1 Techniken zur Isolierung von
Organellen
Ab 1930 begann der Belgier Albert Claude, die Zellen in ihre Bestandteile zu zerlegen [2]: Er homogenisierte die Zellen und zentrifugierte die Homogenate; so wurde es mit der Zeit möglich, bestimmte Zellkomponenten in bestimmten Fraktionen voneinander zu trennen (Zellfraktionierung). Mittels der Elektronenmikroskopie, die im Claude’schen Labor bereits etabliert war, konnten die einzelnen Fraktionen mit den Strukturen in situ verglichen werden. Claude erhielt so Fraktionen von Mitochondrien, verschieden großen und unterschiedlich dichten Vesikeln und von Fragmenten des endoplasmatischen Retikulums. Dadurch konnten er und die Kollegen im Umfeld die In-vitro-Befunde auf die detaillierte Innenstruktur der Zelle beziehen; sie erzielten dabei auch die Möglichkeit, biochemische Analysen durchzuführen. Auch wurden von einzelnen Zellbiologen bald einmal radioaktive Markierungen eingesetzt, um den zeitvariablen Durchgang durch die Zelle zu untersuchen, einerseits in Zellfraktionen, andererseits in Autoradiographien in situ (7 Abschn. 4.6). Über die Kombination der beiden Methoden konnten daher auch dynamische Prozesse zu verschiedenen Zeitabständen untersucht werden. Beispiele hierfür geben die Arbeiten des belgischen Biochemikers Christian de Duve (später Rockefeller University, New York) und des rumänischstämmigen US-Zellbiologen George E. Palade. Beide erhielten für ihre Forschungen in den vorangegangenen zwei Jahrzehnten gemeinsam mit A. Claude 1974 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
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7.1 · Techniken zur Isolierung von Organellen
7
Aufreinigung eines Proteins
Sequenzierung
Primärstruktur
Synthese von Oligonukleotiden (Primer) gegen konservierte Abschnitte Polymerasekettenreaktion (PCR) zur Herstellung einer Sonde für die Isolierung des Gens Klonierung und Isolierung der DNA (des Gens) Polymerasekettenreaktion (Amplifikation der DNA)
Transkription in vitro
DNA Überexpression in E. coli
mRNA
Antisense-RNA
Überexpression in Eukaryotenzelle
Protein (Antigen) Biochemische Tests, Röntgenbeugung, immuncytochemische Lokalisierung
Funktionelle Tests, In-situHybridisierung (mRNALokalisierung)
. Abb. 7.1 Flussschema von Methoden und Methodenkombinationen in der Zellbiologie. Ein isoliertes Protein kann als Ausgangspunkt für mehrere Methoden dienen: Bestimmung seiner Primärstruktur (Aminosäuresequenz), Ableitung der Nukleotidabfolge des kodierenden Gens, Synthese von Sequenzabschnitten (Oligonukleotide), Amplifikation des Gens mittels Polymerasekettenreaktion (PCR), Herstellung einer abgeleiteten mRNA zu deren Translation in vitro oder in vivo, heterologe Expression des Proteins in E. coli oder in Metazoenzellen als „rekombinantes Protein“, das seinerseits zur Herstellung von Antikörpern eingesetzt werden kann. Diese erlauben die Lokalisierung mit Methoden der Immunhisto- und -cytochemie im Licht- bzw. Elektronenmikroskop. Eine andere Möglichkeit ist die Herstellung von „antisense-RNA“, die in der Zelle durch Hybridisierung mit der normalen, endogenen mRNA die Translation eines definierten Proteins zu hemmen vermag (posttranskriptionales Gene Silencing). Für weitere molekularbiologische Methoden vgl. Text. (Quelle: überarbeitet nach einer Vorlage in [1])
Damit die Organellen nicht osmotisch geschädigt werden, erfolgen die Homogenisation und Zentrifugation in einem isotonen Medium, z. B. in einem Puffer mit physiolo-
gischen Ionenkonzentrationen bei pH ≈ 7, unter Zusatz von Polymeren, welche die Organellen osmotisch stabilisieren können. Darunter sind Saccharose (Rohrzucker),
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7
Kapitel 7 · Wie man Zellen in ihre Bestandteile zerlegen kann
Dextran oder andere Medien. 1982 wurde Nycodenz (5-[N-2,3-Dihydroxypropylacetamido]-2,4,6-triiodo-N,N′-bis[2,3–dihydroxypropyl]-isophthalamid) als Medium für die Zellfraktionierung eingeführt. Zur Homogenisation werden entweder Ultraschall, Schermesser oder ein in einem Glasrohr eng sitzender Kolben verwendet (Dounce-Homogenisator). Die ersten beiden Methoden wirken eher zerstörend, die letzte braucht Fingerspitzengefühl. Zur Zentrifugation werden Ultrazentrifugen eingesetzt, die nach ihrer ersten Entwicklung in den 1920er-Jahren durch den Schweden Theodor Svedberg über die Jahrzehnte sehr verbessert wurden [3]. Er bekam 1926 den Nobelpreis für Chemie. Präparative Ultrazentrifugen arbeiten mit Beschleunigungen bis zum 100.000-Fachen der Schwerkraft (100.000 × g). Bei Verwendung eines Mediums mit gleicher Dichte von oben nach unten in den Zentrifugengläschen wird in mehreren Durchläufen mit steigender g-Zahl zentrifugiert (Differenzialzentrifugation); dabei kann man nach dem ersten Schritt bei geringer g-Zahl die Zellkerne und bei höherer g-Zahl die Mitochondrien und ähnliche Organellen als Sediment erhalten. Man kann aber auch Rohrzucker, Dextran oder Nycodenz in einer von oben nach unten im Zentrifugenröhrchen steigenden Konzentration einsetzen. Während der Zentrifugation von Homogenaten bilden sich Banden, die durch ihre Trübung erkannt werden und die der Schwebedichte der jeweiligen Organellen im Dichtegradienten entsprechen (Gradientenzentrifugation). Differenzial- und Gradientenzentrifugation können auch nacheinander kombiniert werden. Der Überstand nach 100.000 × g-Zentrifugation (100.000-g-Supernatant) enthält cytosolische Komponenten und eventuell auch kleine Membranbruchstücke. Enthält ein Homogenat Organellen von ähnlicher Größe bzw. Schwebedichte, so sind diese oft nur voneinander zu trennen, indem man – soweit dies möglich ist
– die Dichte der Organellen in vivo verändert. Dies kann für Lysosomen, beispielsweise aus der Rattenleber, relativ leicht erreicht werden, indem man dem Tier endocytosefähige Substanzen von geringer bzw. hoher Dichte injiziert. Beispiele sind das nichtionische Detergens Triton WR1339 bzw. kolloidale Goldpartikel (7 Abschn. 13.1.2). Beides wurde zur Abtrennung von Lysosomen von anderen Organellen, insbesondere von den ähnlich großen Mitochondrien, entwickelt: Die Triton WR-1339-Methode wurde ab 1955 von der Gruppe um de Duve entwickelt [4, 5], die kolloidale Goldmethode ab 1974 in Kooperation mit Roland Henning, damals in Köln. Diese Methoden ergaben durchaus enzymatische Unterschiede, weil mit der ersten Methode Lysosomen bevorzugt aus den Hepatocyten, mit der zweiten Methode dagegen weitgehend von den Kupffer-Sternzellen isoliert werden. Ihr „Appetit“ auf die beiden Marker ist demnach wohl doch sehr unterschiedlich. Palade zeigte mir anlässlich eines Besuchs an der Yale University seinen experimentellen Ansatz. Er hatte Ratten im Trinkwasser erhebliche Mengen an Alkohol (Ethanol) angeboten, wodurch die Bildung von Lipoproteinpartikeln in der Leber stark gefördert wurde; so konnte er Golgi-Fraktionen auf dem Gradienten flottieren und ernten. Die Methode der trägerfreien Elektrophorese wurde von K. Hannig in den 1960er-Jahren in München entwickelt [6] und im nachfolgenden Jahrzehnt unter Mitarbeit von H. G. Heidrich zur Betriebsreife gebracht. Hier kann die Oberflächenladung von nativen, d. h. unbeeinflussten, Organellen ausgenutzt werden, um sie in einem elektrischen Feld aufzutrennen. Obwohl das Gerät noch immer als schwierig galt, wurde es trotzdem in den 1980er-Jahren in den Orbit geschickt. Im Labor diente es zur Isolierung „normaler“ Lysosomen aus der Rattenleber ohne Injektion von Triton WR1339 oder kolloidalem Gold. Bodo Brauser, ebenfalls in München, zeigte mit seiner
7.1 · Techniken zur Isolierung von Organellen
Differenzialspektroskopie, dass auch diese „nativen“ Lysosomen Abbauprodukte aus der Autophagie von Mitochondrien und endoplasmatischem Retikulum enthielten (7 Abschn. 13.1). Zellen und Zellfraktionen können auch im Zellsorter isoliert werden, sei es über Fluoreszenzmarkierung oder – weniger üblich – über Lichtstreueffekte. Eine frühe Variante wurde 1934 von dem Kanadier A. Moldavan als Kurzmitteilung in der Zeitschrift Science präsentiert [7]. 1953 wurde W. Coulter ein Patent zuerkannt (Coulter Counter), aber erst der US-amerikanische Immunologe L. A. Herzenberg erzielte 1970 mit seinem Verfahren der Durchflusscytometrie („fluorescence activated cell sorting“, FACS) die heute übliche Qualität. Für kleinere Partikel, wie Makromoleküle und Viren, stand ab den 1940er-Jahren die analytische Ultrazentrifuge zur Verfügung, die mit höherer g-Zahl (z. B. 1.000.000 × g) läuft und wegen der hohen Reibung mit Luft nur unter sehr gutem Vakuum betrieben werden kann. Aus dem Sedimentationsverhalten lässt sich das Molekulargewicht errechnen. Nach dem Erfinder der Ultrazentrifuge, Svedberg, wird die relative Masse von Proteinen in S-Einheiten angegeben. Eine potenzielle Schwierigkeit kann sich hierbei aus der Form eines Moleküls und dessen Hydratationsgrad ergeben. Als ein Beispiel dieser Art wird nachfolgend auf das Fibrinogenmolekül eingegangen. Um anhand von elektronenmikroskopischen Bildern die Struktur von isolierten Proteinen sichtbar zu machen, kann man die Moleküle reinigen und mit dem Negativkontrastverfahren auf Spreitpräparaten abbilden. Solche Verfahren benutzen Schwermetalllösungen wie Phosphorwolframsäure (H3PW12O40), um die Konturen von Proteinen durch Umhüllung darzulegen. Die Methode wurde 1955 von C. E. Hall ursprünglich für Viruspartikel entwickelt [8]. Lange Zeit wurden Moleküle in vergleichbarer Form aus Fotos ausgewählt und überlagert, um auf diese Weise
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aus Einzelbildern in gleicher Orientierung die molekulare Gestalt zu ermitteln (Markham-Analyse). (Mit dieser Methode wurde übrigens bereits im Ersten Weltkrieg das durchschnittliche Gesicht der im Dienste Ihrer Majestäten stehenden Soldaten eruiert.) Die Methode bringt natürlich eine persönliche Voreingenommenheit („bias“) mit ein. Während der Präparation kann allein schon die Adsorption auf einem Trägerfilm die molekulare Struktur deformieren. Diese Filme werden ja meist leicht aufgeladen, damit die Moleküle adsorbiert werden. Es ist allerdings fast wie eine Einladung: „take a seat on the electric chair“ – auch wenn ganze Lehrbücher voll von derlei Bildern sind. Ganz so schlimm muss es aber nicht immer, kann es aber im Einzelfall dennoch sein. So hat Luis Bachmann in seinen Arbeiten an der TU München Mitte der 1970er-Jahre mit dem löslichen Fibrinogenmolekül gezeigt, dass nicht die lehrbuchmäßige Struktur einer Doppelhantel, sondern eine – bajuwarisch ausgedrückt – wurstförmige Struktur auftritt, wenn die Abbildung im gefroren-hydratisierten Zustand mittels Gefrierätzreplikas erfolgt [9]. Dieser Fall aber mag wohl dem über das Molekül ungleich verteilten Grad der Hydratisierung geschuldet sein, was bei Membranproteinen weniger zu erwarten wäre. Die Zellfraktionen können, wie gesagt, nicht nur strukturell, sondern auch biochemisch untersucht werden. Dazu wurden ab Mitte des vorigen Jahrhunderts zunehmend Leitenzyme und Leitsubstanzen etabliert. Beispiele sind DNA, DNA- und RNA-Polymerase für den Zellkern; RNA, Glukose-6-Phosphatase und Calreticulin für das raue endoplasmatische Retikulum; Hydroxylierungsenzyme für das glatte endoplasmatische Retikulum; Galaktosyltransferase für den Golgi-Apparat; saure Phosphatase und andere Hydrolasen für die Lysosomen; Katalase für die Peroxisomen („microbodies“); Cytochromc-Oxidase oder Succinat-Dehydrogenase für Mitochondrien und schließlich Na+/
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Kapitel 7 · Wie man Zellen in ihre Bestandteile zerlegen kann
K+-ATPase oder 5′-Nukleotidase für die Zellmembran. Sekretorganellen sowie Endo- und Lysosomen können anhand ihrer jeweils spezifischen Proteine erkannt werden, auch wenn diese in vielen Fällen keine Enzymaktivität besitzen, so z. B. LIMP-Proteine der lysosomalen Membran oder Rab-Typ-GTPasen für mobile Zellorganellen (7 Abschn. 9.8). Enzyme werden im Spektralphotometer gemessen, am besten im Doppelstrahl-Spektralphotometer. Britton Chance war an seiner Entwicklung beteiligt, nachdem er während des Zweiten Weltkrieges an der Entwicklung des Radars bei den US-Streitkräften mitgearbeitet hatte. (Auch ihn lernte ich 1978 kennen, als ich ihm anlässlich eines Biochemie-Kongresses in Prag außer Programm die Gefrierbruchbilder von Promitochondrien von anaerob gezüchteten Hefezellen von Gottfried [„Jeff“] Schatz zeigen konnte.) Es ist dies ein Beispiel für das Diktum „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ (Heraklit, 5. Jahrhundert v. Chr.). Ein früherer Mitarbeiter, K. A. Kang, fasste die spektroskopischen Entwicklungen von Chance 2014 zusammen [10]. In beiden Fällen, beim Radar wie beim Spektralphotometer, war die Physik von Strahlen gefragt, beide Male zu Identifikationszwecken: einmal von feindlichen Fliegern und ein andermal von zellulären Komponenten. Der Strahl wird abwechselnd durch die Probe und durch eine Leerprobe mit allen Stoffen außer dem biologischen Material geführt. Außerdem ist es erforderlich, auch die Leitenzyme/Leitstoffe anderer Organellen zu messen, um die Kontamination der jeweiligen Fraktionen zu ermitteln. Seit über fünf Jahrzehnten ist all dieses Standard in der zellbiologischen Forschung. 7.2 Isolierung von Molekülen
Aus Zellen und Zellfraktionen lassen sich Proteine isolieren, wofür es für membranassoziierte (periphere/lösliche) und integrale
Membranproteine sowie für nicht membrangebundene lösliche Proteine verschiedene Verfahren gibt, deren detaillierte Besprechung den Rahmen sprengen würde. Eine Möglichkeit ist die Bindung an Antikörper, die an ein Trägermolekül gebunden sind; diese Bindung kann bei pH 2,8 wieder gelöst werden, um das Antigen/Protein in reiner Form abzutrennen (Affinitätschromatographie). Insgesamt lassen sich Proteine mit verschiedenen Methoden der Chromatographie auftrennen (Gas-, Säulen-, Dünnschichtchromatographie). Ironie des Schicksals: Die Gaschromatographie wurde bereits in den Jahren 1945 bis 1947 im Labor von Erika Cremer, Ordinaria für Physikalische Chemie an der Universität Innsbruck, entwickelt. Jedoch hatte der befreundete Atomphysiker Otto Hahn sinngemäß gemeint: „Lass das lieber sein, das wird nichts bringen.“ Errare humanum est. Viel später wurde ein Nachbau für das Deutsche Museum in München angefertigt. Die verschiedenen Reinigungsmethoden erlauben es, Proteine zu isolieren, um Molekulargewicht, Aminosäuresequenz, Ladung und 3D-Struktur zu ermitteln. Hierzu gibt es verschiedene Methoden, wovon einige in den letzten Jahrzehnten zur biologischen Anwendbarkeit gebracht wurden: Die Kernspinresonanzspektroskopie in Lösung (NMR, „nuclear magnetic resonance“) bzw. die Flugzeitmassenspektrometrie („time-of-flight mass spectrometry“). Die Wurzeln der NMR-Technik reichen bis in die 1940er-Jahre zurück; die Technik war jedoch für die Biologie lange Zeit kaum praktisch anwendbar. Die NMR-Technik untersucht die elektronische Umgebung einzelner Atome sowie die Wechselwirkung mit benachbarten Atomen und gelangt so zu einer Strukturdarstellung. Weitere Verfeinerungen machten die Methode auch für die Zellbiologen praktikabel, deren wesentliche Entwicklung A. G. Palmer und D. J. Patel 2002 in einem kurzen Exposé in der Zeitschrift Structure
7.2 · Isolierung von Molekülen
zusammenfassten [11]. Bei der Flugzeitmassenspektroskopie werden aus einer Probe Ionen erzeugt, die nach ihrem Masse-zu-Ladungs-Verhältnis aufgetrennt werden. MALDI (matrixunterstützte Laserdesorption/Ionisation) ist eine Sonderform mit besonders schonender Ionenerzeugung, mit serienreifen Geräten ab den 1990er-Jahren. Der Japaner Koichi Tanaka hat für die Biologie entscheidende Verbesserungen der Strukturanalyse von Proteinen erarbeitet und konnte dafür 2002 gemeinsam mit dem Schweizer Kurt Wüthrich für weitere, biologisch relevante Verbesserungen den Nobelpreis für Chemie entgegennehmen. Sofern Proteine kristallisierbar sind, kann ihre 3D-Struktur mittels Röntgen- bzw. Elektronenbeugung mit einer Auflösung von 0,1 nm bestimmt werden (0,1 nm = Durchmesser eines Wasserstoffatoms). Die Röntgenbeugung wurde in den 1950er-Jahren im Cavendish Laboratory of Molecular Biology in Cambridge (GB) von dem britischen Biochemiker und Molekularbiologen John C. Kendrew [12] und von dem 1936 aus Österreich nach England emigrierten Chemiker Max F. Perutz zur Höchstform entwickelt, als sie u. a. die Struktur zunächst des kleinen Myoglobins (Größe: 19 kDa) und dann die des größeren Hämoglobins (67 kDa) aufklärten und auch auf dessen pathologische Varianten eingingen. Beide erhielten 1962 den Nobelpreis für Chemie. Insgesamt gingen aus diesem Labor 15 Nobelpreisträger hervor; u. a. hatten hier F. Crick, H. Huxley, J. Watson, F. Sanger und A. Klug gearbeitet – Namen, denen wir bereits begegnet sind und denen wir gleich wieder begegnen werden. Ein weiterer Fortschritt war die Strukturaufklärung des photosynthetischen Reaktionszentrums von Purpurbakterien mit einer verbesserten Röntgenbeugungsanalytik durch die Deutschen Johann Deisenhofer, Robert Huber und Hartmut Michel (1988 Nobelpreis für Chemie). In weiterer Folge konnten der aus Deutschland stammende US-Biophysiker Joachim Frank
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und der Brite Richard Henderson, Cambridge (GB), im Kryoelektronenmikroskop die 3D-Struktur von Makromolekülen wie Ribosomen ermitteln. Sie erhielten 2017 den Nobelpreis für Chemie, gemeinsam mit dem Schweizer Jacques Dubochet, der die Arbeit mit tiefgefrorenen Proben in einem Kryoelektronenmikroskop ab den 1980er-Jahren initiiert hatte. In den 1970er-Jahren wurde Synchrotronstrahlung, eine harte (kurzwellige) Röntgenstrahlung, zur Analyse von Proteinstrukturen eingeführt. Weil eine Analyse in sehr kurzer Zeit durchgeführt werden kann, konnte damit das Hamburger Biophysikerehepaar E. und E. Mandelkow 1980 die Polymerisation von Mikrotubuli studieren. Eine weitere Entwicklung in der 3D-Analyse von komplexen polymeren Proteinen in situ war die Kryoelektronenmikroskopie im Rastertransmissionsmodus in 400-kV-Geräten durch die Gruppe von Wolfgang Baumeister am Max-Planck-Institut in Martinsried bei München. Hier wurde die Methode in den letzten drei Dekaden zur Reife gebracht, sodass Cytoskelett und Proteasomen etc. (7 Abschn. 4.1) in situ analysiert werden konnten. Die Analyse von Kryoproben nimmt den Vorteil wahr, dass hier Strahlenschäden kaum evident werden und daher die Strukturanalyse nicht stören. Zu Beginn seiner Untersuchungen hatte Baumeister gezeigt, dass sogar kovalente Bindungen gecrackt werden. Mit der 3D-Struktur eines Proteins erhält man auch Informationen zu möglichen Interaktionspartnern. Dies gilt auch für Rezeptor-Ligand-Komplexe oder für die Selbstassemblierung von Proteinen. Aus der Sicht der Pharmakologie ergibt dies die Möglichkeit, medizinisch relevante Drogen im Computer an ihre putativen Bindepartner anzupassen („Drug Design“) – ein wichtiger aktueller Trend der molekularen Zellbiologie und Entwicklung neuer Pharmaka. 2019 hat die American Food and Drug Administration
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Kapitel 7 · Wie man Zellen in ihre Bestandteile zerlegen kann
auf dieser Basis 22 wesentliche neue Pharmaka freigegeben. Häufig genügt es den Zellbiologen jedoch, die Proteine aus Homogenaten, Organellen oder angereicherten Fraktionen mittels Gelelektrophorese zu untersuchen. Proteine wandern hier in einer Kunststoffgel-Matrix im elektrischen Feld und trennen sich nach ihrer Größe auf, wenn die Proteine mit SDS („sodium dodecylsulfat“) versetzt wurden. Die SDS-Gelelektrophorese wurde 1969 von dem Deutschen Klaus Weber zusammen mit seiner britischen Ehefrau Mary Osborn (damals beide Harvard University, Cambridge, Mass., USA; später beide in Göttingen) eingeführt [13]. Es kann aber auch eine Auftrennung nach Ladung erfolgen (isoelektrische Fokussierung). Werden beide Methoden sequenziell eingesetzt, so werden Proteine im Kunststoffgel zweidimensional hintereinander nach Ladung und Größe aufgetrennt (2D-Gelelektrophorese). Dabei werden häufig verschiedene Isoformen identischer Größe, aber unterschiedlicher Ladung sichtbar. Vom Gel können die Proteine ansequenziert werden, sodass es möglich wird, auf die Nukleotidsequenz zu schließen und die Arbeiten entsprechend weiterzutreiben. Alternativ können die Proteine vom Gel auf eine geeignete Folie übertragen werden, die mit Antikörpern getränkt wird, welche ihrerseits mit markierten Sekundärantikörpern sichtbar gemacht werden (Western Blots). Die Western-Blot-Technik wurde 1979 von zwei US-Gruppen voneinander unabhängig entwickelt. Die Kombination mit Fluoreszenzanalysen in situ wurde ebenfalls von Weber und Osborn entscheidend verbessert (Immunfluoreszenz). Eine frühe Methode für die Proteinsequenzierungen wurde 1953 von Frederick Sanger in Cambridge (GB) entwickelt [14] und erlaubte die Aufklärung der Struktur des Insulins, wie A. Stretton 2002 zusammenfasste [15]; mit von der Partie war Hans Tuppy, späterer Präsident des Österreichischen Forschungsfonds und For-
schungsminister in Wien. 1952 entwickelte Sanger auch noch eine Methode zur Entschlüsselung der Basenabfolge in der DNA [16]. Für die Proteinanalyse erhielt er 1958 seinen ersten Nobelpreis für Chemie. (Den zweiten gab es 1980 für seine Methode der DNA-Sequenzierung; 7 Abschn. 6.10.) Cytochrom c und andere Proteine folgten. Ihre Sequenz in verschiedenen Spezies wurde verglichen, um evolutionäre Zusammenhänge zu rekonstruieren, bis die verlässlicheren DNA-Sequenzen verfügbar wurden. Auch für RNA und DNA wurden ab den 1960er-Jahren Extraktionsmethoden entwickelt. mRNA lässt sich nach einer Methode aus den 1970er-Jahren aufgrund ihres Polyadenylschwanzes isolieren. Mittels Elektrophoresemethoden können auch RNA- und DNA-Moleküle aufgetrennt werden. Letzteres wurde von E. M. Southern 1975 entwickelt; daher fuhr man in den Bezeichnungen für die verschiedenen Blots von Southern Blot (DNA) über Western (Proteine) zu Northern Blot (RNA) fort; nur Eastern Blots gib es keine. Anschließende Sequenzierungsarbeiten leiten in die molekularbiologische Arbeit über. Auf der Basis von mRNAs lassen sich Expressionsbibliotheken („expression libraries“) erstellen. Es wird ja immer nur zell- und entwicklungsspezifisch ein kleiner Teil der Gene exprimiert. Isolierte mRNAs lassen sich mittels PCR in cDNA (7 Abschn. 6.10) umschreiben und amplifizieren – eine von H. Okayama und P. Berg 1982 an der Stanford University etablierte Methode. Bestimmte Gene werden erst nach Stimulation verschiedener Prozesse hochreguliert – auch das lässt sich verfolgen. Sozusagen im Blindflug starteten zunächst folgende Experimente: Es war für A. Turkewitz 1997 überraschend zu sehen, dass bei Stimulation in manchen Zelltypen, z. B. bei Ciliaten, auch unerwartete Gene zum Zug kommen (7 Abschn. 6.10), deren Bedeutung auf diese Weise der Aufklärung zugeführt werden.
147 Zitierte Literatur
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Biogenese verschiedener Zellorganellen Inhaltsverzeichnis 8.1 Das endoplasmatische Retikulum: Proteinsynthese und Entgiftungsfunktion – 150 8.2 Apparato reticolare interno – der Golgi-Apparat: ein schwieriges Objekt bis in die Gegenwart – 153 8.3 Mitochondrien und Plastiden (Chloroplasten) – 155 8.4 Peroxisomen – 162 8.5 Späte Einsichten in Sonderfälle: Biogenese von Fetttropfen und des Golgi-Apparats bei der Zellteilung – 166 8.6 Cilien und Flagellen – 167 Zitierte Literatur – 169
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 H. Plattner, Abenteuer Zellbiologie – Streifzüge durch die Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66740-8_8
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Kapitel 8 · Biogenese verschiedener Zellorganellen
Das endoplasmatische Retikulum (ER) liegt in zwei Formen vor, die ineinander konvertierbar sind. Das raue ER mit Ribosomenbesatz wurde 1945 als elektronenmikroskopisches Äquivalent zu lichtoptisch mit basischen Farbstoffen färb baren Bereichen („Garnier-Plasma“, 1897) beschrieben. Es wird besonders stark in Zellen mit hoher Proteinsyntheseleistung exprimiert, kann aber nach Erkenntnissen in den 1960er-Jahren – induzierbar – für Detoxifikationsprozesse durch die „glatte“ Form ersetzt werden. Die von der „rauen“ Form knospenden Vesikel füttern den Golgi-Apparat, von dem einerseits Sekretvesikel und andererseits Lysosomen abknospen. Nach diesen fundamentalen Ergebnissen ab den 1960er-Jahren wurden für diese Abläufe in den vergangenen paar Jahrzehnten die molekularen Grundlagen erarbeitet. Die Vesikulationsprozesse („membrane fission“) hängen teils von Coatomer-Proteinen und zum Teil von Clathrin ab, die Fusionsprozesse dagegen – nach Ergebnissen der vergangenen Jahrzehnte – von SNARE-Proteinen und GTPasen. Mitochondrien und Chloroplasten benötigen für ihre Teilung andere Proteine, die teilweise nicht nur in beiden Organellen eine Rolle spielen, sondern auch in Peroxisomen. Bei Mitochondrien und Chloroplasten spielt ein von Bakterien abgeleitetes Teilungsprotein, FtsZ, eine Rolle, wohingegen nur in Peroxisomen PEX-Proteine an der Teilung beteiligt sind. Es gibt spezifische Importmechanismen für Proteine in Mitochondrien, Chloroplasten und Peroxisomen. Mitochondrien und Chloroplasten werden nie de novo gebildet – ein Faktum, das bis in die 1960er-Jahre umstritten blieb. Die Entschlüsselung der Biogenese von Cilien (und Flagellen) in den vergangenen zwei Jahrzehnten zeigte, dass Proteinkomponenten entweder in freier mo-
lekularer Form in die Organellen angeliefert oder aber als Vesikel in der Nähe der Cilienbasis in die nichtciliäre Zellmembran eingebaut werden, von wo sie kontrolliert in die Organellmembran hineindiffundieren. Der Achse endoplasmatisches Retikulum – Golgi – Sekretvesikel – Lysosomen ist nachfolgend ein vertiefter Abschnitt gewidmet (7 Kap. 9).
8.1 Das endoplasmatische
Retikulum: Proteinsynthese und Entgiftungsfunktion
Das lichtoptische Äquivalent des endoplasmatischen Retikulums wurde ab 1897 von C. Garnier als Ergastoplasma beschrieben. Es dauerte jedoch ein halbes Jahrhundert, bis die US-Amerikaner K. R. Porter und C. Thompson 1945 das endoplasmatische Retikulum als flache Säcke mit aufgesetzten Punkten im Elektronenmikroskop zu Gesicht bekamen. Porter gab diesen Strukturen 1953 den Namen endoplasmatisches Retikulum (ER) und meinte damit das „raue endoplasmatische Retikulum“ – rau wegen seines Ribosomenbesatzes. Ich erinnere mich an zwei Publikationen von 1969, jeweils in zwei verschiedenen Zeitschriften, jedoch mit gleichem Inhalt und mit gleicher Illustration. Sie zeigten, wie das ER (ich glaube, es war in einer Zelle eines Lebermooses) von der Kernmembran bis zur Zelloberfläche hindurchzog, mit jeweils offener Verbindung zur perinukleären Zisterne und nach außen. Das wird wohl ein seltener Glücksfall gewesen sein, weil auch fleißige Mikroskopiker dieses kaum je so zu Gesicht bekamen; in Zusammenhang mit evolutiven Betrachtungen werden derlei Schemata gerne gezeigt. Die Verbindung mit der äußeren Kernmembran ist ja quasi legal, weil auch diese einen Ribosomenbesatz aufweist und damit einen Hinweis auf
8.1 · Das endoplasmatische Retikulum: Proteinsynthese …
gemeinsame Komponenten und vielleicht auch auf biogenetische Prozesse gibt. In funktioneller Hinsicht wiesen folgende Beobachtungen schon frühzeitig in die richtige Richtung: Das raue ER ist gut ausgeprägt in metabolisch aktiven Zellen (Hepatocyten der Leber), in Erythroblasten sowie in proteinproduzierenden und -sezernierenden Zellen (Drüsen). Es fehlt dagegen in reifen Erythrocyten der Säugetiere (die ja keine Innenstrukturen mehr besitzen) und in unbefruchteten Eizellen. Diese besitzen dagegen Aggregate von „glattem ER“, aus denen bei der Befruchtung Ca2+ freigesetzt wird, um die Entwicklung in Gang zu setzen. Die glatte Form des ER ist am reichlichsten ausgeprägt in Zellen, die Glykogen, Fette oder Sterole synthetisieren bzw. speichern. In Hepatocyten sieht man Glykogen als Rosetten häufig am Übergang zwischen der rauen und der glatten ER-Form. All dies spricht für eine gewisse Differenzierung, oft innerhalb eines Membrankontinuums. Dies wird durch folgende Beobachtungen gestützt: Die Umwandlung von rauem zu glattem ER kann in der Leber durch die ehemals als Narkose- bzw. Schlafmittel verwendeten Barbiturate wie Phenobarbital (mit GABAergem Effekt; 7 Abschn. 10.7) und andere Xenobiotika erzwungen werden, die auf diese Weise durch das glatte ER detoxifiziert werden. Dahinter steht die Hydroxylierung durch das organelleigene Cytochrom P450 in Verbindung mit Monooxygenase-Aktivität, mit dem „Ziel“, die Fremdsubstanz in wasserlöslicher Form zur Ausscheidung über die Galle zu bringen (. Abb. 8.1). Die Schweizer W. Stäubli, R. Hess und E. Weibel erfassten 1969 den Grad an Vervielfachung des glatten Anteils der Organelle, parallel zum Anstieg der entsprechenden Enzyme, mittels morphometrischer Methoden [1]. Parallel zur strukturellen Umwandlung erfolgt die Enzyminduktion. Binnen einiger Tage nach Aussetzen der Pharmaka erfolgt die Rückbildung über massive Autophagie (7 Abschn. 13.1.2) bei gleichzeitiger Ab-
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nahme von Cytochrom P450. Diese Arbeiten um 1970 gaben eine Handhabe zum systematischen Studium der reversiblen Biogenese der rauen zu Lasten der glatten Form des endoplasmatischen Retikulums und umgekehrt. Membranen des ER werden expandiert durch molekularen Einbau von Lipidkomponenten (Intussuszeption), der Einbau der jeweiligen Proteine bewirkt die Biogenese der jeweiligen Form des ER. Die Entgiftungsreaktion kann jedoch auch erst die Gefahr heraufbeschwören, die sie eigentlich beseitigen sollte. So werden die Aflatoxine der Schimmelpilze erst in der Leber zu Toxinen, wenn die Zelle sie nach dem üblichen Entgiftungsschema verändert. (Ähnliches gilt für eine zweite Art von Toxinen aus Schimmelpilzen, die Ochratoxine.) Diese widersprüchliche Situation wurde erst in den 1980er-Jahren bekannt, nachdem die karzinogene Wirkung Ende der 1970erJahre erkannt worden war. Um 1990 stand fest, dass eine Epoxidform von Aflatoxin an Guaninreste der DNA bindet und ein mutagenes Additionsprodukt mit karzinogenem Effekt bildet. Nur die Membran des rauen ER besitzt Ribophorine; das sind die 1987 am EMBO Labor Heidelberg entdeckten Transmembranproteine für die Anheftung der Ribosomen (Crimaudo et al. 1987) [2], sowie Transloconproteine für die kotranslationale Sequestrierung naszenter Proteinketten durch die Membran in das Lumen. Als Sensor für die Expansion des rauen ER wird ein Überhandnehmen ungefalteter Proteine gesehen. Dies löst eine „unfolded protein response“ (UPR) aus, sodass über die Bildung von ER-eigenen Chaperonen, Disulfidisomerase und weiteren Enzymen die Differenzierung neuer Membranbereiche eingeleitet wird. Die UPR-Reaktion wurde 2007 von den US-Amerikanern D. Ron und P. Walter vorgestellt [3] und 2011 in einer Arbeit in der Zeitschrift Science konsolidiert. Dabei haben sich drei Zweige der UPR herausgeschält: 1) über den Tran-
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Kapitel 8 · Biogenese verschiedener Zellorganellen
ez
ka
rer mv mi
po
8
po
po
gly ger
po
1 µm
. Abb. 8.1 Strukturen mit Entgiftungsfunktionen: Glattes ER und Peroxisomen in der Säugetierleber nach Standardfixierung mit Glutaraldehyd und OsO4. Im Abschnitt an der linken oberen Ecke ist eine Kapillare (ka; Leberkapillare = „Sinusoid“) mit perforiertem Endothel erkennbar (ez = Endothelzelle). Dies erlaubt einen schnellen Stoffaustausch zu der rechts anschließenden Leberepithelzelle („Leberzelle“, Hepatocyt). Diese ist gegenüber dem Sinusoid mit Mikrovilli (mv) besetzt, die durch ihre große Oberfläche ebenfalls die Transportprozesse in die Leberzelle hinein beschleunigen können. Dadurch ist ein intensiver Stoffaustausch in der Leber gewährleistet. Im Cytoplasma liegen Mitochondrien (mi), raues ER (rer), Peroxisomen (po) und insbesondere vesikuläres glattes ER (ger). Das glatte ER kann Glykogen (gly, als dunkle Rosetten imponierende Aggregate) mobilisieren und zusammen mit Peroxisomen der Entgiftung dienen, erstens durch Hydroxylierung von Stoffen im glatten ER zur erleichterten Ausscheidung in die Galle bzw. zweitens von reaktiven Sauerstoffverbindungen durch Katalase und Peroxidase in den Peroxisomen. Schräg durch die Mitte verläuft die Grenze zwischen zwei Leberzellen, die einen unterschiedlichen Struktur- und Funktionszustand erkennen lassen. (Quelle: [41])
8.2 · Apparato reticolare interno – der Golgi-Apparat: ein …
skriptionsfaktor ATF6, 2) über die ER-residente Transmembrankinase PERK und 3) über IRE1, eine Transmembrankinase/ Endoribonuklease. Letztere ist übrigens ein Beispiel eines eher seltenen bifunktionellen Enzyms. All dies wird begleitet vom Abbau irreversibel fehlgefalteter Proteine über die in den 1990er-Jahren entdeckte „ER-associated protein degradation“ (ERAD) durch Proteasomen (7 Abschn. 13.3). Eine Spezialform des glatten ER ist das sarkoplasmatische Retikulum von Muskelzellen, das als Ca2+-Speicher der Kontraktionsaktivität zu Diensten steht (7 Abschn. 10.1). Hier war die Frage, ob die Biogenese durch lokale Reifung eines kontinuierlichen Membransystems erfolgt oder über den Transport von Vesikeln, die miteinander verschmelzen. Seit den 1990er-Jahren hat sich wohl die zweite Hypothese durchgesetzt.
8.2 Apparato reticolare interno
– der Golgi-Apparat: ein schwieriges Objekt bis in die Gegenwart
Unter diesem Namen hat Camillo Golgi 1898 das später nach ihm benannte Organell der Wissenschaft vorgestellt – zunächst in einer Kongressmitteilung [4]. Dafür wurde ihm 1906 der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zugesprochen. Seine Existenz als reale Struktur, also nicht nur als reproduktives Artefakt (auch das gibt es), wurde lange Zeit diskutiert [5]. Klärung konnte nur die Elektronenmikroskopie bringen. Sie zeigte eine Abfolge von flachen Säcken gleicher Breite (Diktyosomen; „δίκτυο, diktyo“ = Netz; „σῶμα, sóma“ = Körper), frei von Ribosomen und umgeben von Vesikeln. Dies gilt für die dem endoplasmatischen Retikulum zugewandte Seite (cis-Seite) ebenso wie für die trans-Seite, von der Vesikel verschiedener Größe abzuknospen scheinen.
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Es gibt meistens viele, eventuell einige Hundert Diktyosomen pro Zelle, die in ihrer Gesamtheit den Golgi-Apparat bilden. Sie sind bei Protozoen – im Gegensatz zu Algen – meist sehr klein und wenig strukturiert. Dies gilt beispielsweise für Ciliaten wie Paramecium, wo ein Diktyosom mit ca. drei Membransäcken und benachbarten Vesikeln aufscheint, wo dafür aber Hunderte Diktyosomen in einer Zelle vorhanden sind. Bei Trypanosomen wird der Golgi-Apparat lediglich durch ein Diktyosom repräsentiert. In Deutschland hat derlei vergleichend ultrastrukturelle Analysen an Protozoen besonders der Berliner Klaus Hausmann über viele Jahrzehnte vorangetrieben. Die Geschichte der Erforschung der Biogenese des Golgi-Apparats durchlief einige kontroverse Situationen. Zu entscheiden war, ob die einzelnen Stapel („stacks“) von der cis- zur trans-Seite weitergeschoben werden und dabei reifen (Reifungsmodell, „cisternal progression/maturation model“) oder ob sie stationär sind und ein Vesikelverkehr von Stapel zu Stapel deren Komponenten verändert (Konversionsmodell). Beim zweiten Modell war zu klären, ob es einen anterograden Transport von cis nach trans und zusätzlich einen retrograden Transport gibt. Später galt es noch, die Relation zur Biogenese der Lysosomen und von Sekretvesikeln aus dem Golgi-Apparat festzustellen, ebenso wie auch die eventuelle Anbindung von Teilen des Endocytosesystems („recycling endosome“) (. Abb. 8.2). Bei beiden Modellen spricht man von der Bildungs- und der Reifungsseite. Für das Reifungsmodell wurden zwei Kronzeugen aufgerufen: 1) die Bildung von Oberflächenschuppen („scales“) bei Goldalgen (Chrysophyceae, wie Pleurochrysis und Ochromonas) und 2) die Biogenese von Kollagen in Säugerzellen. Exponent für die erste Hypothese war zu Ende der 1960er-Jahre zunächst der US-Amerikaner R. M. Brown mit Pleurochrysis scherffelii. 1970 kam es zu einer Publikation im
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Kapitel 8 · Biogenese verschiedener Zellorganellen
8
. Abb. 8.2 Golgi-Apparat (Diktyosom) in einer Insektendrüse. An das raue ER (rer) schließen Übergangselemente (üe) an, mit einseitig vermindertem Ribosomenbesatz, und Transportvesikel (tv), welche die im rauen ER synthetisierten Proteine in die flachen Zisternen des Golgi-Apparats an dessen Bildungsseite einschleusen (cisSeite). Auf der Reifungsseite (trans-Seite, trans) knospen Sekretvesikel unterschiedlicher Größe ab (sv1, sv2), um Sekretprodukte weiter an die Zellmembran zur Freisetzung über Exocytose zu transportieren. (Quelle: [42])
Journal of Cell Biology, in Kooperation mit der Gruppe um P. Sitte und W. W. Franke in Freiburg/Br. Brown RM, Franke WW, Kleinig H, Falk H, Sitte P (1970) Scale formation in chrysophycean algae. I. Cellulosic and noncellulosic wall components made by the Golgi apparatus. J Cell Biol 45:246-271 Die Vorstellung, dass die im Elektronenmikroskop sichtbaren Oberflächenschuppen dieser Algen als ganze Einheiten gleichbleibender Breite den Golgi-Apparat durchlaufen, geht aus folgender Formulierung hervor:
» The formation and secretion of the scales can be followed along the maturing Golgi cisternae starting from a pronounced dilated „polymerization center“ as a completely intracisternal process which ends in the exocytotic extrusion of the scales. [6]
» [Die
Bildung und Sekretion der Schup‑ pen kann entlang der Golgi-Zisternen ab dem ausgeprägten, erweiterten Poly‑ merisationszentrum als ein ausschließlich intrazisternaler Prozess beobachtet werden, der mit der exocytotischen Freisetzung der Schuppen endet.]
B. Becker, B. Böllinger und M. Melkonian schlossen sich aus ihrer Erfahrung mit Algen noch 1995 in einem Artikel mit dem klaren Titel „Anterograde transport of algal scales through the Golgi complex is not mediated by vesicles“ diesem offensichtlichen Weg an [7]. Der zweite Exponent von Hypothese (1) war der Italiener Alberto Luini, der an Befunde anderer Autoren aus der Zeit zwischen 1957 und 1977 anschloss. Wiederum birgt der Titel einer Schlüsselarbeit von 1998, in
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8.3 · Mitochondrien und Plastiden (Chloroplasten)
Kooperation mit dem niederländischen Immuncytochemiker H. J. Geuze und anderen, die klare Grundaussage:
» Procollagen
traverses the Golgi stack without leaving the lumen of cisternae: evidence for cisternal maturation. [8]
» [Prokollagen
durchquert den GolgiStapel, ohne das Lumen der Zisternen zu verlassen: Hinweise für Reifung in den Zisternen.]
Bereits in den 1980er-Jahren gab es die ersten Anhaltspunkte, dass der anterograde Transport, d. h. die Einschleusung in die cisSeite der Golgistapel, eine aktivierte Fettsäure, Palmitoyl-Coenzym A, benötigt. Im darauffolgenden Jahrzehnt konsolidierte sich dieses Prinzip. Erst in den 2010er-Jahren wurde für einige Proteine, wie β-adrenerge und GABA-Rezeptoren im Detail gezeigt, wie relevant eine Fettsäureacylierung (d. h. das kovalente Anhängen eines Fettsäurerestes) für die Durchschleusung durch das cis-Golgi-Netzwerk ist. Eine Komponente dieses Aspekts ist das Erfordernis eines fettsäureacylierten ADP-Ribosylierungsfaktors (ARF, Arf) für das Abknospen von Vesikeln beim vesikulären Transsport zum und im Golgi-Apparat (7 Abschn. 9.4 und 9.6). Vom stetigen anterograden Vesikeltransport im Golgi-Apparat, wie es das Konversionsmodell postuliert, müsste man erwarten, dass tatsächlich die Membransäcke ihre Zusammensetzung von Zisterne zu Zisterne verändern. Dies stünde im Widerspruch zur stereotypen Abfolge von Glykosylierungsschritten (7 Abschn. 9.4.2). Dementsprechend fand 2000 der Schweizer L. Orci in Kooperation mit dem US-Amerikaner J. Rothman, dass es Golgi-residente Proteine gibt, die über retrograden Transport in die vorhergehende Zisterne zurückgeholt werden [9]. Aus dieser Sicht erscheint heute das stationäre Modell mit antero- und retrogradem Transport das dominierende Modell, das Reifungsmodell dagegen ein Spezialfall zu sein.
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Es gibt Übergangskompartimente auf beiden Seiten des Golgi-Apparats: Das ERGIC („endoplasmic reticulum-Golgi intermediate compartment“), früher treffend „salvage compartment“ genannt, auf der cis-Seite, und das trans-Golgi-Netzwerk. Diese Aspekte, ebenso wie molekulare Details zur Bildung und Reifung des Golgi-Apparats, werden in 7 Kap. 9 (Dynamik intrazellulärer Prozesse) behandelt, spezielle Aspekte des Organells in Pflanzenzellen dagegen in 7 Kap. 16. Immerhin konnten H. H. Mollenhauer, J. Morréa und L. Bergmann 1967 die „homology of form in plant and animal Golgi apparatus“ feststellen [10] – Vorstellungen, die inzwischen auch weitgehend auf die molekular-funktionellen Aspekte ausgedehnt werden konnten. 8.3 Mitochondrien und Plastiden
(Chloroplasten)
Beide Organellen sind den grünen Pflanzen zu eigen, wohingegen tierische Zellen nur Mitochondrien enthalten, wenn wir einmal von wenigen Spezialfällen absehen: Apicoplasten der parasitären Protozoen Plasmodium und Toxoplasma sind nach rezenten Erkenntnissen stark reduzierte Abkömmlinge von Chloroplasten, die vor Zeiten endocytotisch aufgenommen worden waren (7 Abschn. 17.6.2). Undifferenzierte Vorläufer von Mitochondrien sind auf einfache Pilze wie Saccharomyces cerevisiae (Bäckerhefe, Ascomyceten, Schlauchpilze) beschränkt, während Vorläufer von Plastiden/ Chloroplasten ohne differenzierte Innenmembranen und ohne Chlorophyll (Proplastiden; . Abb. 17.1) normale Biogenesestadien sind. Demnach ist der Biogeneseweg beider Organellen zwar prinzipiell gleich, im Fall der Hefezellen je nach experimentellen Bedingungen fallweise jedoch verschieden. Beide Organellen werden als autonom bezeichnet, weil sie DNA enthalten; eigentlich sollte es „semiautonom“ heißen, weil sie nur einen Teil ihrer Komponenten, wie
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Kapitel 8 · Biogenese verschiedener Zellorganellen
mRNAs für Proteine, rRNAs und tRNAs, selbst kodieren. Immerhin besitzen sie mitochondriale DNA, mtDNA, bzw. Plastiden-DNA, ptDNA. Dieser Teil des Genoms, des Chondrioms und Plastoms bzw. des organelleigenen Transkriptoms muss daher von nukleär kodierten Produkten ergänzt werden; dazu ist ein intensives und gut austariertes Wechselspiel erforderlich. Die Organellen importieren, exportieren aber keine der genannten Produkte – sie geben lediglich energetisch wichtige Metaboliten ins Cytosol ab. Der Vergleich mit einem Staat mit extrem negativer Handelsbilanz liegt nahe.
8
8.3.1 Mitochondrien
Mitochondrien sind formvariabel, von rund bis stäbchenförmig („μίτος, mitos“ = Faden; „χονδρίον, chondrion“ = Korn). D. Luck hatte 1963 eine Mutante des fädigen Pilzes Neurospora crassa als Versuchsobjekt gewählt, die auxotroph für Cholin ist, d. h., sie kann die Substanz nicht selbst synthetisieren, sondern ist auf exogene Zufuhr angewiesen [11]. Daher wurde 3H- oder 14C-markiertes Cholin dem Kulturmedium zugesetzt; seine Aufnahme und der Einbau in die Mitochondrien wurden mittels lichtmikroskopischer Autoradiographie studiert. Mit zunehmender Zeit verdünnte sich die radioaktive Markierung und verteilte sich gleichmäßig auf alle Mitochondrien. Da es statistisch gesehen keine unmarkierte Subpopulation gab, war dies ein klares Argument gegen die De-novo-Biogenese. Die Biogenese der Mitochondrien findet also durch Teilung bereits vorhandener Mitochondrien statt. Dabei wird auch die mtDNA weitergegeben. Die mtDNA wurde durch zweifachen Methodenansatz als ringförmig geschlossenes Molekül identifiziert, einmal 1963 mittels Elektronenmikroskopie durch das US-amerikanische Forscherpaar Margit M. K. Nass und Sylvan Nass [12] und ein
zweites Mal 1964 am Lehrstuhl für Biochemie der Wiener Universität unter dem späteren österreichischen Forschungsminister Hans Tuppy und seinem Mitarbeiter Gottfried Schatz [13]. Sie wandten Ultrazentrifugation bzw. biochemische Methoden an. Die mtDNA des Menschen ist ca. 10 µm lang und wie in allen Eukaryoten ringförmig und ohne Histone, sodass die Situation sehr an jene bei Bakterien erinnert (7 Abschn. 17.6). Ein Mitochondrium enthält mehrere identische Kopien der mtDNA. Die mtDNA kodiert im Laufe der Evolution immer weniger Proteine, bis es beim Menschen nur noch 13 sind, darunter einzelne Komponenten der Atmungskette und der ATP-Synthase (wohingegen der Rest vom Kerngenom kodiert wird). Letztere werden an freien cytosolischen Ribosomen translatiert und dann in die Mitochondrien importiert. Vergleichsweise kodiert die mtDNA der Hefe noch zusätzliche Untereinheiten der ATP-Synthase und einiges mehr. Dennoch enthalten Mitochondrien der Hefezelle nur ca. 1000 Proteine, jene des Menschen dagegen größenordnungsmäßig 1500 – auch das spricht für zunehmenden Import während der Evolution. Dazu kommen autonom kodierte rRNAs und tRNAs (jeweils zwei bzw. 22 beim Menschen). Letzteres war unerwartet, weil man noch in den 1970er-Jahren angenommen hatte, „Werkzeuge“ wie tRNAs würden aus dem Cytosol importiert. Eine reversible Entdifferenzierung von Mitochondrien konnte nur an der Hefe S. cerevisiae nachgewiesen werden: Unter Sauerstoffentzug schienen die Mitochondrien zu verschwinden, um bei O2-Zufuhr wieder aufzutauchen (. Abb. 8.3). So publizierte der Australier A. Linnane eine Reihe von Arbeiten mit elektronenmikroskopischen Bildern, welche die De-novo-Genese von Mitochondrien belegen sollten. In Kooperation mit G. Schatz ließ sich 1969 unter Einsatz alternativer elektronenmikroskopischer Protokolle, später auch mit radioak-
8.3 · Mitochondrien und Plastiden (Chloroplasten)
tiver Markierung und Autoradiographie zeigen („label transfer experiments“), dass sich Mitochondrien lediglich zu strukturarmen Promitochondrien entdifferenzieren (. Abb. 8.3) und nach O2-Zufuhr wieder redifferenzieren [14]. In den USA haben die populären Chemical and Engineering News Anfang 1969 mit dem Tenor „Austrian research“ darüber berichtet. Das Schatz’sche Konzept wurde etwa ein Jahrzehnt später auch für Leberzellen aufgegriffen, jedoch ohne Widerhall – es gibt nicht nur keine De-novo-Bildung von Mitochondrien, sondern auch keine Ent- und Redifferenzierung bei höheren Organismen. Allerdings lässt sich nach einer 2013 publizierten Übersicht einer US-amerikanischen Gruppe jetzt feststellen, dass die Expression mitochondrialer Cytochrome bzw. der Cytochromoxidase in Abhängigkeit von der verfügbaren O2-Konzentration abläuft. Dagegen gibt es Stimuli, welche die Biogenese über vermehrte Teilung der Organellen steuern. Dazu gehört die Aktivität der Adenosinmonophosphat-(AMP-) aktivierten Proteinkinase (AMPK), wie in den 2000er-Jahren gefunden wurde. Der AMP-Spiegel wirkt dabei wohl als Sensor für den aktuellen ATP-Bedarf. Ein derartiger Mechanismus kann vielleicht auch erklären, warum Mitochondrien in Bereichen der Zelle mit hohem ATP-Bedarf angereichert sind. Beispiele sind das basale Labyrinth von resorbierenden Nierenepithelzellen der Säugetiere und die Mikrovilli von Malpighi-Gefäßen (Ausscheidungsorgane) von Insekten. Sie enthalten Mitochondrien jeweils basal bzw. apikal stark angereichert, also an den jeweiligen Bereichen höchster Transportleistung der Zellmembran. 8.3.2 Plastiden
Die Biogenese der Plastiden mit den Endstufen Chloroplasten und Chromoplasten ist komplexer als jene der Mitochondrien
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8
(„χλωρός, chlōrós“ = grün; „χρῶμα, chroma“ = Farbe; „πλαστός, plastós“ = geformt). Zunächst gibt es bei grünen Blütenpflanzen Proplastiden als farblose Vorläufer mit einerdoppelten Membranumhüllung, aber ohne Einfaltungen der Innenmembran. Proplastiden befinden sich in etiolierten Pflanzen, z. B. in Gräsern, wenn sie von einem lichtdichten Gegenstand bedeckt sind. Nimmt man diesen weg, so ergrünen die Gräser, und die Innenmembran ihrer Chloroplasten bildet zahlreiche Einfaltungen. Dabei induziert Licht die Synthese von Phospholipiden, Proteinen und Chlorophyll (Blattgrün; „ϕύλλον, phýllon“ = Blatt). Für die Aufklärung der Struktur des Chlorophylls erhielt der deutsche Chemiker Hans Fischer 1930 den Nobelpreis für Chemie. Da viele Proteine der Chloroplasten von Genen des Zellkerns und nur eine Minderzahl an Proteinen von Genen der ptDNA kodiert werden, bedarf es auch hier wieder eines intensiven Wechselspiels zwischen den beiden Genomen (7 Abschn. 8.3.4). Wie die Mitochondrien werden auch die Chloroplasten nicht de novo gebildet. Den vollen Durchblick zur Ultrastruktur ausdifferenzierter Chloroplasten brachten Anfang der 1960er-Jahre die sorgfältigen Analysen des deutschen Elektronenmikroskopikers W. Wehrmeyer [15]. Er zeigte, dass das Innenmembransystem und die Grundsubstanz, das Stroma, von der Außenmembran eingeschlossen werden. Überdies beobachtete er, dass sich die Innenmembran dergestalt auffächert, dass lokal scheibenförmige Ausfaltungen übereinander zu liegen kommen und so die im Lichtmikroskop wahrnehmbaren „Grana“ bilden. So gibt es das Stroma als ungeformten Anteil und die es durchziehenden Stromalamellen, von denen sich die Grana mit ihren dicht gepackten Lamellen ableiten. Fallweise liegen noch Stärkekörner in den Chloroplasten. Bereits bei den Cyanobakterien sind die photosynthetisch aktiven Innenmembransäcke völlig in sich geschlossen, wie 2006 mit kryoelek-
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8
Kapitel 8 · Biogenese verschiedener Zellorganellen
tronenmikoskopischen Methoden sichergestellt wurde, aber Grana bilden sie nicht aus. Die cpDNA/ptDNA (für Chloroplasten/Plastiden) wurde zwischen 1951 und 1971 beim Moosfarn Selaginella und bei zwei Spezies von Blütenpflanzen entdeckt [16], wie R. Kolodner und K. K. Tewari 1975 zusammenfassten [17]; das war über eine Dekade vor der Entdeckung der mtDNA. Erst 1986 folgte die Sequenzierung in einem Lebermoos und in der Tabakpflanze (Nicotiana tabacum, Solanaceae, Nachtschattengewächse). Die cpDNA ist 30–60 µm lang, teils ringförmig und teils linear, und liegt in mehrfachen, bis zu 50 identischen Kopien vor. Sie kodiert demnach für mehr Produkte als die mtDNA, nämlich bis zu 20 % der Proteinspezies. Darunter sind Teile des Kopplungsfaktors (ATP-Synthase), und zwar mehr als in den Mitochondrien. Des Weiteren kodiert die ptDNA einige Proteine von Photosystem I und II und Teile der Cytochromkette sowie die große Untereinheit des Schlüsselenzyms der Assimilation, Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase (oder Ribulose-1,5-diphosphat-Carboxylase). Dies ist insofern beachtlich, als dieses Enzym im Stroma liegt, die organelleigenen DNAs ansonsten aber nur Membranproteine kodieren. Im Vergleich zu verwandten Bakterien liegt immerhin eine 30-fache Reduktion des Genoms in der ptDNA vor. Auch die ptDNA kodiert rRNAs und tRNAs; die Zahlen sind für N. tabacum 16 rRNAs bzw. 21 tRNAs, wie in den 1990er-Jahren genauer untersucht wurde. 8.3.3 Import mit
„Verkehrskontrolle“
Für die autonome Proteinsynthese verfügen die beiden Organellen über 70S-Ribosomen, die Translation beginnt mit N-Formyl-Methionin, beides ist also in bei-
den Organellen wie bei Eubakterien. Auch die Empfindlichkeit auf Antibiotika ist ähnlich; die Proteinsynthese spricht in beiden Organellen auf Chloramphenicol, nicht aber auf Cycloheximid an (im Gegensatz zur cytosolischen Proteinsynthese). Nach diesem Prinzip ließ sich ermitteln, welche Proteine vom Organell selbst stammen und welche importiert werden. Abgesehen von einzelnen Details sind diese Aspekte seit Jahrzehnten bekannt. Die Art der DNA und die Zahlen organelleigener Kodierungsprodukte belegen, dass die Mitochondrien wohl wesentlich früher als die Chloroplasten über Endocytose von Bakterienvorläufern entstanden sind (7 Abschn. 17.6). Beide zeigen auch noch weitere bakterielle Züge; das betrifft die Permeabilität für niedermolekulare Verbindungen und die Membrandurchquerung von Importproteinen. Wie gramnegative Bakterien haben Mitochondrien und Chloroplasten in ihrer äußeren Membran Porine, die Metaboliten bis ≈ 600 Dalton durchlassen. (Die Biochemiker wussten schon lange Zeit davon und haben einen immer wieder gefragt, ob man im Gefrierbruch je solche Poren gesehen habe. Die Frage war ob der verfügbaren Auflösung obsolet.) Proteine, die für das Organell im Kern kodiert und an freien Ribosomen synthetisiert werden, können mit weiteren Proteinen im Verbund ebenfalls durch die äußeren Organellmembranen eingeschleust werden. Zwar wusste man also bereits vor Nikaidos Entdeckung bakterieller Porine ab den 1970er-Jahren (7 Abschn. 5.7.3), dass die äußere Membran von Mitochondrien und Chloroplasten porös ist, aber erst seine nachfolgend geschilderte Entdeckung führte zur Identifikation von OMPs, also der „outer membrane proteins“, als Porenbildner. Die innere Organellenmembran enthält keine Porine, sondern andere Transporter einschließlich solcher für Metaboliten.
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8.3 · Mitochondrien und Plastiden (Chloroplasten)
a
b
0,1 µm
0,1 µm
*
c
d
*
1 µm
0,1 µm
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t
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Kapitel 8 · Biogenese verschiedener Zellorganellen
. Abb. 8.3 Biogenese von Mitochondrien aus Promitochondrien in Hefezellen (Saccharomyces cerevisiae), kultiviert unter anaeroben Bedingungen (Sauerstoffentzug), mit Zusatz von (a) Tween 80 (Emulgator) oder (b) Ergosterol; (a), (b) ohne bzw. (c), (d) mit Glukosezusatz (zur weiteren Repression der Reifung von Mitochondrien). (b) ist eine aus Kulturen der Art (a) isolierte Fraktion von Promitochondrien, die für biochemische Analysen und für Label-Transfer-Experimente mittels Autoradiographie verwendet wurde. Über die Kontrastumkehr durch eine geeignete Präparation (Gefriersubstitution mit Aldehydfixans) wurden im Elektronenmikroskop Innenstrukturen sichtbar, wie Promitochondrien (Sterne), die unter Standardpräparationsbedingungen nie sichtbar gewesen waren und daher kontrovers diskutiert wurden. (Quelle: [14])
Die Durchschleusung von kernkodierten und cytosolisch synthetisierten Proteinen durch die äußere und innere Mitochondrienmembran erfolgt insgesamt über Poren der Transmembran-Transportproteine vom Typ TOM und TIM („translocase of the outer/inner membrane“); beide sind integrale Membranproteine. Nur TOM umfasst Porinproteine. Am Transport durch die Innenmembran sind neben den TIM-Transportern das elektrische Membranpotenzial, ATP, Chaperone, Zielgebungssequenzen („leader sequences“) und deren proteolytische Abspaltung beteiligt (Letzteres wie auch bei der Translation und limitierten Proteolyse am rauen ER; 7 Abschn. 9.4.1). Die entscheidenden Arbeiten an Mitochondrien begannen in den 1970er-Jahren und konzentrierten sich auf die Zeit der 1980er- bis zu den 2000er-Jahren. Hauptbeteiligte Gruppen in Deutschland waren jene von W. Neupert und N. Pfanner. Beide Autoren veröffentlichten 1989 eine erste Übersicht über den mitochondrialen Proteinimport [18] und 2014 eine mehr rezente [19]. Bei Chloroplasten greifen im Prinzip dieselben Mechanismen für den Proteinimport, nur heißen hier die Transloconkomplexe TOC und TIC für „translocon on the outer/inner chloroplast membrane“. Wie bei Mitochondrien wird auch bei Chloroplasten für den chaperonunterstützten Transmembrantransport ATP verbraucht, und das Membranpotenzial ist relevant; ebenso wird eine Leitsequenz (Zielgebungssequenz) nach Durchtritt beider Membranen in beiden Organellen entfernt. Zieht man die Zahl der Proteinspezies pro Organell in Betracht und vergleicht damit
den relativen Anteil an autonom kodierten Sequenzen, so ist die Situation quantitativ bei Chloroplasten und Mitochondrien recht unterschiedlich: Erstere enthalten (im Jahr 2018 geschätzte) 2000 bis 3000 Proteine, wovon um die 100 autonom kodiert sind; das entspricht einem Anteil von 95– 97 % an Importproteinen. Mitochondrien enthalten (2014 geschätzt) mehr als 1000 Proteine, von denen ≈ 99 % importiert werden. Evolutionäre Aspekte werden in 7 Abschn. 17.6 angesprochen. Da die grüne Pflanze auch über Mitochondrien mit einem ähnlichen Aufnahmemechanismus für Proteine verfügt, musste sie, um Selektivität zu gewährleisten, ebenfalls einen Erkennungsmechanismus (Rezeptor) an der Außenmembran der Chloroplasten entwickeln. An diesen Problemen begannen 1978 zwei Gruppen zu arbeiten, eine in den USA mit der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii und die andere in England mit Pisum sativum (Gartenerbse). Die zweite Gruppe, P. E. Highfield und R. J. Ellis, hat 1978 in einer Publikation in Nature auch das Problem der Aufnahme cytosolisch produzierter Proteine mit folgenden Worten angesprochen [20]:
» … in the case of mitochondria as well as chloroplasts, cytoplasmically synthesised polypeptides enter the organelle by an envelope carrier type of mechanism and control the synthesis of the polypeptides with which they ultimately associate.
» […
im Falle der Mitochondrien und Chloroplasten gelangen die cyto‑ plasmatisch synthetisierten Polypeptide über den Mechanismus einer Art
8.3 · Mitochondrien und Plastiden (Chloroplasten)
Membrantransporter in das Organell und kontrollieren die Synthese der Polypeptide, mit denen sie schließlich zusammengehen.]
Diese Diktion reflektiert zusätzlich, dass sich die Autoren an Ergebnissen mit Mitochondrien ausgerichtet haben (weil sich damit mehr Wissenschaftler befasst hatten als mit den grünen Objekten) und dass die Synthese der Untereinheiten aus der nukleären und der organelleigenen Kodierung aufeinander angepasst werden müssen. Dies blieb noch lange Zeit ein schwieriger Aspekt. 8.3.4 Ein Beispiel zum
Zusammenspiel zweier Genome – wie Pflanzen ergrünen
Es war schwierig, das Wechselspiel von Molekülen und Mechanismen beim Ergrünen einer Pflanze aufzuklären. Im Detail konnte dies erst in den letzten beiden Dekaden bewältigt werden. 2010 konnte eine US-amerikanische Gruppe (M. Chen et al.) in einer Arbeit, die in der Zeitschrift Cell publiziert wurde, das Schlüsselprotein für die Einlagerung von Chlorophyll in den Chloroplasten ausfindig machen [21]: Es ist ein Kodeprodukt des nukleären Gens Hemera, das spezifische Transkriptionsfaktoren aktiviert („ἡμέρα, Hēméra“ = die Personifikation des Tages). In vorausgehenden Studien wurde in den 2000er-Jahren das Gen pTAC12 als transkriptionsrelevant entdeckt, und zwar an der Modellpflanze Arabidopsis thaliana (das Unkraut „Ackerschmalwand“, dessen Namen wohl kein Bauer kennt, aus der Familie der Cruciferae = Kreuzblütler). Da dieses Genprodukt strukturell dem Polyubiquitin-Bindeprotein RAD23 sehr ähnlich ist, nahm man an, dass seine Wirkung auf einem proteolytischen Schnitt an einem der Phytochrome beruht. (Phytochrome sind Lichtsensoren; „ϕυτόν, phyton“ = Pflanze.) Phytochrom
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8
A wird auf diese Weise im Dunkeln entaktiviert, womit ein negativer Regulationsschritt ermöglicht wird. Dagegen werden durch Licht aktivierte Phytochrome nach ihrer Synthese im Chloroplasten ins Cytosol und überwiegend in den Kern transportiert. Hier interagieren Phytochrome mit verschiedenen nukleär kodierten Proteinen („phytochrome interacting factors“, PIFs). Diese PIFs regulieren verschiedene weitere nukleäre Gene, einschließlich Transkriptionsfaktoren, die für die Biogenese von grünen Chloroplasten entscheidend sind. Phytochrome sind Dimere, die ihrerseits heterodimer aufgebaut sind, mit einem Tetrapyrrol und einem Proteinträger (Apoprotein). Das Tetrapyrrol ist der Ausgangspunkt für die Synthese von Chlorophyll. Eine weitere Besonderheit ist die duale Lokalisierung, auch des Hemera-Proteins, sowohl im Chloroplasten als auch im Zellkern, wofür jeweils differenzielle Transportmechanismen durch die Membranen erforderlich sind. Schließlich illustriert auch die Einbeziehung einer ptDNA-kodierten RNA-Polymerase an der Proteinsynthese das sehr komplexe Wechselspiel zwischen beiden Genomen bei der Differenzierung von Chloroplasten der höheren Pflanzen (Blütenpflanzen) unter dem Einfluss von Licht. Den Chloroplasten ähnliche, doch im Detail abweichende Strukturen sind die Chromoplasten. Die entsprechende Literatur geht weit zurück und schloss, sobald verfügbar, bald auch die Elektronenmikroskopie mit ein. Sie enthalten zwar ptDNA, bilden jedoch kein Chlorophyll, dagegen enthalten sie rote und gelbe Farbstoffe wie Carotine und Xanthophylle („ξανθός, xanthós“ = gelb; „ϕύλλον, phýllon“ = Blatt). In Blütenblättern dienen sie dem Anlocken von bestäubenden Insekten, jedoch färben sie auch verschiedene Früchte und Wurzeln wie Paprika und Karotten. Chromoplasten können aus ungefärbten Leukoplasten oder aus jungen
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Kapitel 8 · Biogenese verschiedener Zellorganellen
Chloroplasten entstehen. Auch die Rückverwandlung in Chloroplasten wurde in den 1970er-Jahren von P. Sitte am Milzkraut beschrieben (heimische Spezies: Chrysosplenium alternifolium und C. oppositifolium, Saxifragaceae, Steinbrechgewächse). 8.3.5 Teilung von Organellen
8
Wenn ein Tier oder eine Pflanze wächst und die Zellen sich teilen, teilen sich auch Mitochondrien (. Abb. 4.1) bzw. Chloroplasten und werden zufallsmäßig auf die Tochterzellen weitergegeben. Doch welche Mechanik steckt hinter dem Teilungsprozess? Da beide „autonome“ (eigentlich: semiautonome) Organellen von bakteriellen Vorläufern abstammen, stellte sich die Frage, ob die bakterielle Teilungsmaschinerie mit dem FtsZ-Protein, das eine GTPase-Funktion hat, noch eine Rolle spielt. Ein FtsZ-Ring ist wesentlich für die Teilung der meisten Bakterien, Eu- wie Archaebakterien, und findet sich tatsächlich in den semiautonomen Organellen symbiotischer Herkunft wieder (7 Abschn. 17.6). Ab Ende der 1990er-Jahre wurden zunächst dynaminähnliche Proteine (Drp, „dynamin-related proteins“) sowie FtsZ und dann noch weitere Proteine für die Teilung von Mitochondrien ins Spiel gebracht. (Wie wir in 7 Abschn. 9.9 sehen werden, ist Dynamin ein relativ großes GTPase-Molekül, das an vielen intrazellulären Teilungsprozessen beteiligt ist, etwa an der Abschnürung von Membranvesikeln.) Dazu tragen noch weitere Proteine zur Teilung der Mitochondrien bei, etwa FIS-Proteine, z. B. FIS1 (Fission 1) [22]. Jedenfalls scheint eine erhebliche Ähnlichkeit mit der Teilung von Bakterien zu bestehen. Darüber hinaus werden für Mitochondrien auch eine Anbindung von Drp1 an das endoplasmatische Retikulum und die Beteiligung von Aktin erwogen.
An der Teilung von Chloroplasten beteiligt sich ebenfalls ein FtsZ-Ring (GTPase), der interessanterweise unterhalb der inneren Chloroplastenmembran lokalisiert wurde; diese Beteiligung von FtsZ entspricht überraschend genau der Symbiosetheorie zum Ursprung dieses Organells. Außenseitig lagern sich dynaminähnliche Proteine an, wie ARC-Proteine (ARC abgeleitet von „accumulation and replication of chloroplasts“), sowie PDR-Proteine („plastid-dividing ring“), darunter PDR1 (eine Glykosyltransferase). Interessanterweise bildet sich eine Polyglukanfibrille als Widerlager für die angehende Teilung. Die komplexen Zusammenhänge dokumentierten Chen und Mitarbeiter 2018 in der Zeitschrift Plant Physiology [23]. Insgesamt lässt sich also sowohl bei den evolutiv jüngeren Chloroplasten als auch bei den älteren Mitochondrien ein Rest an bakterieller Teilungsmaschinerie erkennen. FtsZ kommt allerdings nicht in den Mitochondrien aller systematischen Gruppen vor, und es kann sich fallweise um ein nukleär kodiertes Protein handeln, sodass – wie für viele andere mitochondriale Proteine – ein Gentransfer vom Organell in den Kern im Laufe der Evolution angenommen werden kann. Beide Organellen werden in zwei Teile auseinander geschnürt, wie man es gelegentlich im Elektronenmikroskop beobachten kann. (Auch Peroxisomen werden wie andere Organellen durch dynaminverwandte Moleküle zur Teilung gebracht; 7 Abschn. 8.4). 8.4 Peroxisomen
Noch bis in die frühen 1970er-Jahre haben manche Autoren die damals „microbodies“ genannten Peroxisomen als bloße Auskropfungen des endoplasmatischen Retikulums betrachtet, in denen lokal definierte Enzyme wie Katalase angereichert seien. 1964 äußerte sich der US-Amerikaner A. Novikoff zu einer möglichen
8.4 · Peroxisomen
eteiligung der Peroxisomen am FettstoffB wechsel. Später wurde gesichert, dass neben den Mitochondrien auch die Peroxisomen einen variablen Anteil am Fettsäureabbau leisten (β-Oxidation). Ab 1965 wurden hypolipämische Drogen, insbesondere Clofibrat (Ethyl-α-chlorophenoxyisobutyrat), eingesetzt, um experimentell eine starke Vermehrung von Peroxisomen herbeizuführen. Fibrate gehören ebenso wie die heute von Ärzten häufig verschriebenen Statine zur Gruppe der Lipidsenker (hypolipämischer Effekt); Erstere senken die Triglyceridwerte im Blut, Letztere reduzieren das Gesamtcholesterin und dienen dazu, Plaquebildung in den Blutgefäßen zu reduzieren. Die Manipulation der Ausstattung mit Peroxisomen durch Clofibrat gab eine gute Handhabe für induktive Experimente. Der belgische Biochemiker C. de Duve studierte 1969/1970 „synthesis and turnover of rat liver peroxisomes“ und fand Katalase und weitere oxidative Enzyme im Organell. Dabei ging es auch um die Abgrenzung zu Lysosomen, die ebenfalls eine einzige Membranumhüllung und diffusen Inhalt aufweisen. 1976 publizierte de Duve gemeinsam mit dem US-Amerikaner P. B. Lazarow eindrucksvolle elektronenmikroskopische Bilder mit Diaminobenzidinfärbung für endogene Katalase in der stark vermehrten Population von Peroxisomen der Rattenleber (de Duve & Lazarow 1976). 1983 fasste C. de Duve die frühen Daten in einem Übersichtsartikel zusammen [24]. Neue Peroxisomen bilden sich nach derzeitiger Ansicht durch Abknospung aus vorhandenen Peroxisomen, jedoch unter Zulieferung von Material aus dem endo plasmatischen Retikulum. Letzteres war eine Überraschung, die sich erst allmählich konsolidiert hat. Zunächst wurde aufgrund elektronenmikroskopischer Analysen von Novikoff, der cytochemische Methoden mit 3,3′-Diaminobenzidin zum Nachweis (per-)oxidativer Enzyme eingesetzt hatte (7 Abschn. 4.3), ausschließlich von einer Proliferation aus dem endoplasmatischen
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etikulum ausgegangen – Stand 1972. 1978 R erkannten Barbara Goldman und Günter Blobel (Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin 1999) die Zulieferung peroxisomaler Matrixkomponenten aus freien Ribosomen des Cytosols [25]. Dazu notwendige „Targeting“-Motive wurden ab den 1980er-Jahren erkannt. Erst als neben der Knospung eines Teils des Membranmaterials aus dem endoplasmatischen Retikulum auch noch die kleinvesikuläre Anlieferung an Peroxisomen dazukam (nachfolgend), gerieten Ende der 1990erJahre auch die PEX-Proteine ins Blickfeld (. Abb. 8.4). Zusammenfassend ergaben sich also mehrere wesentliche und zum Teil überraschende Aspekte zur Biogenese von Peroxisomen, die über Jahrzehnte hinweg unklar geblieben war. Die Knospung aus dem endoplasmatischen Retikulum in Form kleiner prä-peroxisomaler Vesikel war der Wissensstand des Lazarow-Fujiki-Modells von 1985. Dann fand man, dass diese Vorstufen über weiteren Vesikeltransport aus dem endoplasmatischen Retikulum und Vesikelfusion ihre Membran expandieren können. Dazu wurden interessanterweise SNARE-Proteine praktisch nicht diskutiert. Diese wurden lediglich indirekt 2010 in einer Publikation der US-Gruppe von Randy Schekman angesprochen [26]. (Schekman war Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin 2013, gemeinsam mit den SNARE-Experten J. Rothman und T. Südhof [Abschn. 9.8].) Auch GTPasen sind beteiligt. Die Gruppe von S. J. Gould, Johns Hopkins University (Baltimore, USA) arbeitete ab der zweiten Hälfte der 1980erJahre an Membranproteinen wie PRS1 und PEX16. 1999 fanden sie an Peroxisomen von Patienten mit Morbus Zellweger (mit defekten Peroxisomen, 7 Abschn. 14.3.9) nach Transfektion mit PEX16 eine Proliferation von Peroxisomen mit robustem Einbau von Membran- und Matrixkomponenten. Dazwischen liegt eine Arbeit, 1998, einer Heidelberger Gruppe unter Beteiligung
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Kapitel 8 · Biogenese verschiedener Zellorganellen
8 . Abb. 8.4 Import von Proteinen in Peroxisomen. Um aus dem Cytosol durch die Membran eines Peroxisoms in dessen Matrix eingeschleust zu werden, muss das Protein eine Zielgebungssequenz aus bestimmten Aminosäuren aufweisen. Diese Funktion wurde zuerst für die Sequenz SKL (Serin-Lysin-Leucin) erkannt. Mit dieser bindet das Protein an einen Importrezeptor (PEX5) und kann sodann vom Dockkomplex (PEX 13 + 14 + 17) erkannt und durch die Membran geschleust werden. Eine einfache Ubiquitin(yl)ierung erlaubt die Rückkehr des Rezeptors ins Cytosol. Hier kann er über mehrfache Ubiquitinierung dem proteasomalen Abbau zugeführt werden. (Quelle: [ 41])
von F. Wieland und W. W. Just, die zeigt, dass an der Biogenese von Peroxisomen ARF und Coatomer-Proteine beteiligt sind [27], ein klares Indiz dafür, dass das endoplasmatische Retikulum zur Biogenese beiträgt (. Abb. 8.5). Peroxisomale Matrixproteine werden an freien Ribosomen synthetisiert und mittels einer Zielgebungssequenz über Carrier importiert. Dies gilt auch für Katalase, die zumeist als peroxisomales Leitenzym herangezogen wird. Die Signalsequenz am Katalasemolekül ist: Serin-Lysin-Leucin, die SKL-Erkennungssequenz. Diese gilt quasi als Eintrittskarte, die einem SKL-Rezeptor vorzuweisen ist. Dem war die Beobachtung durch die Gruppe von S. Subramani im kalifornischen La Jolla im Jahre 1987 vorausgegangen, dass das Enzym Luciferase des
Leuchtkäfers („firefly“ = Leuchtkäfer, Photinus pyralis, aus der Familie Lampyridae) in seinen Peroxisomen lokalisiert ist. Darauf aufbauend stellten sie fest, dass diese Lokalisierung von einer kurzen Aminosäurensequenz am carboxyterminalen Ende abhängt. In einem weiteren Schritt exprimierten sie dieses Protein in Säugetierzellen. Bei dieser heterologen Expression wurden einzelne Aminosäuren gezielt mutiert („site-directed mutagenesis“). Aus den Resultaten, die sie erhielten, ergab sich, dass die SKL-Sequenz ausschlaggebend für den Import in Peroxisomen ist [28]. Diese Zielgebungssequenz bindet an einen cytosolischen Importrezeptor, der wiederum an einen Dockkomplex aus verschiedenen PEX-Proteinen in der Membran des Peroxisoms bindet und das peroxisomale Enzym
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8.4 · Peroxisomen
ARF GTP
F AR P GT
AR GTPF
A GT RF P GEF
ARF GTP
ARF GTP
ARF GTP
ARF GTP
Coat
GDP
ARF GTP
F AR P GT
GTP
ARF GTP
AR GTPF
A G T RF P ARF GTP
ARF GDP
A GT RF P
F AR TP G
AR GT F P
ARF GTP
ARF GTP
ARF GTP
ARFP GT
F AR TP G
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Zellmembran
. Abb. 8.5 Abknospung von Membranvesikeln (beispielsweise) vom endoplasmatischen Retikulum und vom Golgi-Apparat. Dazu bedarf es eines „Coatomer“-Komplexes aus mehreren Proteinen (blau; „coat“ = Belag, „meros“ = Teil), der sich mittels der GTPase ARF (Adenosin-Ribosylierungsfaktor, rot) an die Membran anlagert. ARF wiederum muss erst durch einen Guaninnukleotid-Austauschfaktor (GEF = „guanine nucleotide exchange factor“, ein Membranprotein) aktiviert werden, indem es den Austausch von GDP für GTP beschleunigt; dabei wird ein Fettsäurerest des ARF-Moleküls entfaltet, was seinerseits erst seine Bindung an die Membran ermöglicht. Durch die Anlagerung von Coatomers krümmt sich die Membran, bis ein Vesikel entsteht und abknospt. Im Elektronenmikroskop wird vor dem Abknospen ein homogener elektronendichter Belag sichtbar, der vor der Bindung an die bzw. vor der Fusion mit der Zielmembran abgestreift wird. (Quelle (verändert): [41])
durchschleust [29, 30]. Schlägt dies fehl, so resultiert als Folge eines genetischen Fehlers, wie in 7 Abschn. 14.3.9 besprochen wird, die Zellweger-Krankheit. Außer der SKL-Sequenz gibt es jedoch noch weitere peroxisomale Erkennungssequenzen. Der Importrezeptor kann recycelt oder über Polyubiquitinylierung dem Abbau anheimgegeben werden. Daneben findet auch ein membranfreier Transport von Lipiden in die peroxisomale Membran statt. Peroxisomen können sich teilen. Was man als Phänomen bereits lange kannte,
sollte sich als kompliziert herausstellen. Ab den späten 1990er-Jahren wurden PEX-Proteine gefunden, wobei zunächst das Protein PEROXIN11 (PEX11) die Streckung des Organells fördert. Die Abknospung wird durch das Protein FIS1 (fission1) und dynaminverwandte Proteine („dynamin-related proteins“, DRPs) ermöglicht, ähnlich wie wir es bereits von Mitochondrien her kennen. Die japanische Gruppe um M. Honsho hat die Situation 2016 für Säugerzellen zusammengefasst [31]. An Hefezellen wurde das P rotein
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Kapitel 8 · Biogenese verschiedener Zellorganellen
INP1 als relevant für die Mobilität der Peroxisomen und als Voraussetzung für die Bindung der weiteren Proteine PEX 25p, Pex30p und Vps1p sowie für die Bindung des Organells an das kortikale Cytoskelett gefunden [32]; dagegen bindet Myosin Typ Myo2p an intrazelluläre Aktinfilamente. In Wechselwirkung mit diesen Strukturen werden die Peroxisomen auf Mutter- und Tochterzelle aufgeteilt. In den Zellen höherer Pflanzen (Angiospermen) kommen zwei verschiedene Formen von Peroxisomen vor. Die „eigentlichen“ Peroxisomen haben die Zusatzaufgabe der Photorespiration übernommen. Dies ist ein komplexer Prozess, der zur Entlastung der grünen Pflanzenzellen bei hohem O2-Partialdruck, aber ungenügender Verfügbarkeit von CO2 der Photosynthese dient; es ist dies ein metabolisches Ventil zur Vermeidung toxischer Oxidationsprozesse (7 Abschn. 16.6.3). Daneben gibt es die Glyoxisomen (7 Abschn. 16.4), die über die Mobilisierung von Lipidvorräten in den Keimblättern durch β-Oxidation von Fettsäuren das Auskeimen ermöglichen. (In Säugetierzellen findet diese β-Oxidation auch in Peroxisomen statt, jedoch in geringerem Umfang als in der Mitochondrienmatrix.) Überraschend war der Befund von einer US-amerikanischen Gruppe aus dem Jahr 1997, also eine Dekade nach entsprechenden Befunden an Säugetieren, dass auch in Glyoxisomen die Einschleusung von Matrixproteinen über eine SKL-Zielgebungssequenz stattfindet. Generell gelten auch für pflanzliche Peroxisomen die Biogenesemodelle, die für ihr Gegenstück in tierischen Zellen beschrieben wurden: Teilung vorhandener Organellen, Nachlieferung von Membranmaterial aus dem endoplasmatischen Retikulum, Import von Matrixproteinen und Teilung. SKL- und andere Zielgebungssequenzen sind am Import von Enzymen, PEX-, FIS- und DRP-Proteine dagegen an der Teilung der Organellen beteiligt.
Im Rückblick hat sich die Biogenese der Peroxisomen und ihrer pflanzlichen Varianten trotz ihres sehr einfachen Baus doch als überraschend kompliziert herausgestellt und ebenso als sehr verschieden von jener der Mitochondrien und Chloroplasten. Dies mag wohl auch C. de Duve Kopfzerbrechen bereitet haben, wie in 7 Abschn. 17.7.1 ausgeführt wird. 8.5 Späte Einsichten
in Sonderfälle: Biogenese von Fetttropfen und des Golgi-Apparats bei der Zellteilung
8.5.1 Ein neuer Blick auf die
Biogenese von Fetttropfen
Wesentliche organelltypische Proteine der Fetttropfen sind Mitglieder der PAT-Familie, TIP47 (47 kDa „tail-interacting protein“), Adipolipin und Perilipin. Sie sind anfangs bei jungen Tröpfchen auch im Inhalt, später jedoch nur noch in der Membran des Organells zu finden. Der eigentliche Knackpunkt der Biogenese von intrazellulären Fetttropfen wurde jedoch erst erstaunlich spät, nämlich 2005, von der Gruppe von H. Robenek, Universität Münster, aufgeklärt. Sie haben in einer seltenen Kombination von Gefrierbruchtechnik und Immunogoldmarkierung den eleganten Nachweis geführt, dass sich Lipid tropfen anfangs lokal zwischen den beiden Lipidschichten der Membran des endoplasmatischen Retikulums bilden, bevor sie als eigene Organellen abknospen [33]. Die äußersten beiden Lipidschichten bilden dann automatisch eine Doppelschicht, wie in einer Biomembran. So wird die in den 1970er-Jahren und noch später diskutierte Frage obsolet, ob Fetttropfen eine eigene Membran besitzen.
8.6 · Cilien und Flagellen
Fetttropfen können beinahe das gesamte Cytoplasma von Fettspeicherzellen (Adipocyten) einnehmen, z. B. im Unterhautbindegewebe oder im Mesenterium (Gekröse) der Eingeweide, wo dies einem den „Bierbauch“ bescheren kann. Von den Fettzellen kann es zur Metabolisierung mobilisiert werden – was vielfach nicht einfach ist. So werden viele Menschen im Alter zunehmend dicker, was nach aktuellen Markierungen mit Kohlenstoffisotopen auf die abnehmende Mobilisierbarkeit zurückgeführt wird. Zur Regulation gibt es das Proteohormon Leptin aus 146 Aminosäuren, das hauptsächlich in Adipocyten synthetisiert wird und das Auftreten von Hungergefühlen hemmt („λεπτός, leptos“ = dünn). So hoffte man, Leptin als biologischen Appetit zügler einsetzen zu können, was allerdings bei fettleibigen Menschen (Adipositas, engl. „obesity“) an der Leptinresistenz scheitert. Daneben greifen noch verschiedene andere Hormone, wie auch Insulin, in die Bildung oder Aktivierung von Fettdepots ein. Rezent wurde ein leichter Weg zur Gewichtskontrolle aufgezeigt, und zwar mittels Pharmaka, die ursprünglich gegen Altersdiabetes (Typ 2 Diabetes) entwickelt worden waren, um pathologischen Effekten von zu hohem Blutzuckerspiegel gegenzusteuern. Das verführerische Motto könnte lauten: „kleine Pille statt starker Wille“ zu Hungerdiät und schweißtreibendem Sport. Tirzepatid der US-Firma Eli Lilly (2020) beispielsweise ist ein dualer GIP/GLP-1-Rezeptor Agonist, der nicht nur den Blutzuckerspiegel unter Kontrolle hält sondern auch das Körpergewicht. GIP steht für Glucose-dependent Insulinotropic Polypeptide, GLP-1 bedeutet Glucagon-like-Peptide-1. Beide gehören zu den im Darm produzierten, in den 1960er Jahren entdeckten Inkretinen, die zusätzlich zur Insulin/ Glukagon-Schiene den Blutzuckerspiegel mit-regulieren. Hier zeigt sich wieder einmal die mehrfache Regulierung wichtiger Zell- und Körperfunktionen.
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8
8.5.2 Biogenese des Golgi-
Apparats bei der Zellteilung
Man könnte sich vorstellen, dass bei der Zellteilung auch die Vielzahl einzelner Diktyosomen einfach statistisch auf die Tochterzellen aufgeteilt würde. De facto unterliegt der Golgi-Apparat mit jeder Zellteilung einer Vesikulation, wie G. Warren 1995 an der Rattenleber fand. Sobald die Teilung vollendet ist, erscheinen auch die Diktyosomen im üblichen Aspekt wieder. Dieser Prozess der „reassembly“ benötigt ATP und GTP. Im Jahre 2000 machte Warren die Entdeckung, dass die Fragmentierung des Golgi-Apparats bei jeder Zellteilung mit der Phosphorylierung eines Serylrestes des Golgi-Matrixproteins GM130 einhergeht [34]. Zu Ende der Teilung erfolgt die Dephosphorylierung durch eine Phosphatase 2A. Wie in den 2000er-Jahren beobachtet wurde, hängt die Stapelbildung („stacking“) von GRASP-Proteinen ab („Golgi reassembly and stacking protein“). Trypanosoma brucei, der Erreger der Schlafkrankheit, hat nur ein Diktyosom. Diese Tatsache wurde 2004 vom Team des Briten G. Warren, ab 2007 Direktor an den Max F. Perutz Laboratories in Wien, ausgenutzt, um nach GFP-Markierung die Biogenese vor der Zellteilung zu studieren [35]. Sie fanden eine De-novo-Bildung Seite an Seite zum alten Organell an einer neuen Exportflanke des endoplasmatischen Retikulums. 8.6 Cilien und Flagellen
Der ultrastrukturelle Bau von Cilien und Flagellen ist praktisch identisch: Membranumhüllung, eine Gruppierung von 9 × 2 Mikrotubuli (periphere Mikrotubulipaare) und zwei zentrale Mikrotubuli. Dazu kommen verschiedene feine Proteinstrukturen, die oft erst mit speziellen Kontrastierungsmethoden im Elektronenmikroskop zutage treten
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Kapitel 8 · Biogenese verschiedener Zellorganellen
(Tanninimpregnation + OsO4); darunter sind die Dyneinärmchen, welche die Mikrotubulipaare reversibel verbinden und durch ihre Konformationsänderung den Cilienschlag bewirken (Funktion als Motorproteine). 1989 erschien in der Zeitschrift Cell ein Artikel der Gruppe des hochgeschätzten US-amerikanischen Zellbiologen David Luck, in dem der Beweis für die Existenz von DNA im Basalkörper von Flagellen geführt werden sollte. (Luck wird uns in 7 Abschn. 17.6 durch seinen Nachweis der mtDNA und den stringenten Beweis zur Biogenese von Mitochondrien imponieren.) Das hätte sehr gut in das Konzept der Symbiosetheorie von Lynn Margulis gepasst (7 Abschn. 17.4.3). Jedoch wurden die Ergebnisse bereits ein Jahr später durch eine andere Gruppe als methodisches Artefakt gebrandmarkt. Es sind eben auch hervorragende Wissenschaftler nicht völ lig vor Artefakten und Fehlinterpretationen gefeit, vielleicht besonders dann, wenn einem eine quasiideologische Erwartungshaltung einflüstert. M. J. Chapman hat 1998 einige Kernpunkte der Biogenese von Cilien und Flagellen in der Zeitschrift International Microbiology unter dem Titel „One hundred years of centrioles: the Henneguy Lenhossek theory“ herauskristallisiert [36]. Diese Theorie hatte ein Jahrhundert zuvor die Äquivalenz von Basalkörpern von Cilien und Flagellen mit Centriolen erkannt (7 Abschn. 9.5 und 16.7.3). Die Biogenese von Cilien und Flagellen fand besonders im medizinischen Sektor Interesse, und zwar in Hinblick auf Zystenbildung in der Niere, Unfruchtbarkeit von Spermien und die Regeneration des Außensegments von Sehstäbchen, die seit Langem als Cilienderivate bekannt waren. Einerseits wusste man, dass Nierenzellen in frühen Entwicklungsstadien ein Primärcilium besitzen, andererseits hatte der Norweger B. Afzelius über das Fehlen der Dyneinärmchen in Spermien unfruchtbarer Männer berichtet (7 Abschn. 14.2), und schließlich wur-
den entsprechende Mutationen im Genom der cilienkodierenden Gene beobachtet (Ciliom). Demnach erhält ein Cilium oder Flagellum seine durchweg nukleär kodierten Proteine über folgende Transportmechanismen, wie ab ca. 2010 – fallweise etwas früher – gesichert ist: 5 Es gibt keinen Vesikelfluss direkt an die Cilienmembran. 5 Membranlipide und -proteine werden über Vesikel und konstitutive Exocytose mehr oder weniger nah an die Cilienbasis herangebracht, um zunächst in die Zellmembran nahe der Cilienmembran eingebaut zu werden. 5 Der Transport zwischen der nichtciliären Zellmembran und der Cilienmembran wird durch eine Diffusionsbarriere kontrolliert. 5 Innerhalb der Organellen erfolgt der Transport über „Rafts “ (engl. für Flöße) entlang der Membran. Diese Fakten gelten gleichermaßen für Flagellen. 5 An der Basis der Cilien von Ciliaten wurde 2012 von der Gruppe um J. Beisson ein komplexes Wechselspiel zwischen Centrin und centrinbindenden Proteinen gefunden, ebenso wie 2018 von einer polnischen Gruppe die Erfordernis von γ-Tubulin in phosphoryliertem Zustand. Dieses Protein war bereits seit 1991 als Nukleationskeim für Mikrotubuli erkannt worden [37], indem es den ersten Ring aus 13 Tubulin-Untereinheiten bildet, auf denen alle weiteren α- und β-Untereinheiten eines jeden Mikrotubulus, auch im Cilium und im Flagellum, als 13 Protofilamente aufbauen. 5 Ebenfalls wurde 2018 erkannt, dass zusammen mit γ-Tubulin das Protein XMAP215 als Tubulinpolymerase beteiligt ist. 5 An der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii beobachtete ab 2013 eine US-amerikanische Gruppe, dass die Flagellenlänge durch bestimmte apikale Proteine beschränkt wird. An Ciliaten wurde 2018
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von der Gruppe des polnischstämmigen US-Zellbiologen J. Gaertig und seiner polnischen Kollegen bekannt, dass es auch an der Spitze eines jeden Ciliums definierte Proteine gibt. Damit die Organellen nicht beliebig lang werden, also bei einer mechanisch sinnvollen Länge zu wachsen aufhören, gibt es einen Regulationsmechanismus, der bei Tetrahymena und Chlamydomonas um 2003/2004 aufgeschlüsselt wurde. Dabei spielt die Glycylierung der terminalen Tubulin-Untereinheiten des zentralen Mikrotubuluspaares eine Rolle, ebenso wie die Präsenz spezifischer Proteine. All das kann wie folgt zusammengefasst werden. Der intraflagellare Transport wurde 1993 von K. G. Kozminski beschrieben; 2012 gab er einen kurzen Rückblick [38]. Der Ausschluss eines Vesikeltransports innerhalb von Cilien und Flagellen, der Transport über „Rafts“ und die Präsenz einer Diffusionsbarriere an der Basis des Organells werden seit den 1990er-Jahren diskutiert [39]. Der Einbau in organellnahe Regionen der Zellmembran wurde aber erst seit den 2000er-Jahren erkannt. Ein polnisch-US-amerikanisches Team zeigte, dass die Länge der Cilien durch zusätzliche Proteine an den terminalen Tubulinmolekülen begrenzt wird [40]. Erst allmählich, anfangs nur für die Biogenese der Außensegmente der Sehstäbchen (Cilienderivate), später auch am Ciliaten P. tetraurelia, wurde die Beteiligung von SNARE-Proteinen und von GTPasen für die Cilienbiogenese erkannt. Dazu kam die Beteiligung eines IFT-Komplexes in BBSomen (IFT = „intraflagellar transport complex“; BBS = Bardet-Biedl-Syndrom) für den Antransport einer Reihe von ciliären Proteinen, einschließlich eines GPCR („G protein-coupled receptor“; 7 Abschn. 10.7) für die Signaltransduktion. Die Motorproteine Kinesin und Dynein sind ebenfalls beteiligt („κύττος, kytos“ = Zelle; „κίνησις, kinesis“ = Bewe-
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gung; „δύναμις, dýnamis“ = Kraft), und zwar am Transport der verschiedenen Komponenten der „Rafts“. (Diese „Flöße“ haben nichts mit den ebenfalls als „Rafts“ bezeichneten Mikrodomänen in vielen Membranen zu tun, die eine lokale, inselartige Heterogenität in der Zusammensetzung beschreiben [Abschn. 5.6].) Dyneinmoleküle sind es auch, die den Schlag des Ciliums oder Flagellums durch ihre wiederholte Konformationsänderung in die Wege leiten. Diese Einsicht verdanken wir Publikationen des schwedischen Zoologen Björn Afzelius ab Mitte der 1970er-Jahre (7 Abschn. 14.2). So ist es nicht erstaunlich, dass es eine Reihe von Krankheiten gibt, die auf Mutationen verschiedener organelleigener Proteine von Cilien und Flagellen zurückzuführen sind (7 Abschn. 14.2). Davon ausgeschlossen sind spannungsabhängige Ca2+-Influxkanäle, die ja nur in Cilien- und Flagellenmembranen von Ciliaten (Paramecium) bzw. Flagellaten (Chlamydomonas) vorkommen – wie für Ciliaten allerdings bereits ab den 1960er-Jahren bekannt war. Dagegen kommen sie bei Säugetieren nur im Primärcilium vor. Hier haben sie jedoch in nichtciliären Membranen eine essenzielle Funktion bei der Neurotransmission übernommen – ein überzeugendes Beispiel für topologische Umfunktionierung während der Evolution. Der Biogenese von Organellen, die am intrazellulären Vesikeltransport teilhaben, gilt das Augenmerk im folgenden Kapitel über dynamische Prozesse.
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Kapitel 8 · Biogenese verschiedener Zellorganellen
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Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“ Inhaltsverzeichnis 9.1 Signale für die Zielgebung und Lokalisierung von Proteinen – 175 9.2 Posttranslationale Modifikationen zur Zielfindung – 177 9.3 Qualitätskontrolle und Einbau von Proteinen in die Membran – 179 9.4 Zielfindung von Proteinen auf der Schiene raues endoplasmatisches Retikulum → Golgi-Apparat und darüber hinaus – 182 9.5 Reise vom und zum Mittelpunkt der Zelle: ein System von Gleitschienen an die Peripherie – 188 9.6 Exocytose – Paketlieferung an die Zellmembran – 194 9.7 Das lange Rätselraten über den Mechanismus der Membranfusion – ein langes Vorspiel – 201 9.8 Dock- und Fusionsproteine – 202 9.9 Endocytose – 205 9.10 Exocytose-Endocytose-Kopplung – 207
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 H. Plattner, Abenteuer Zellbiologie – Streifzüge durch die Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66740-8_9
9
9.11 Molekulare Filter – 209 9.12 Phagocytose – 210 9.13 GPI-verankerte Proteine als Spezialfall – 212 9.14 Intrazelluläre Filamente – 213 9.15 Wanderung immer der Nase nach: Chemotaxis – 215 Zitierte Literatur – 219
175 Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge …
Organellen haben oft eine ganz bestimmte Anordnung in der Zelle. Diese wird durch mehrere Faktoren vorbestimmt. Eine gezielte Anlieferung von Vesikeln ist grobflächig durch die Anordnung des Cytoskeletts vorgegeben, wie in den 1970er-Jahren erkannt wurde. Dies trifft zu, wo immer die Gleitschienen der Mikrotubuli, die von Organisationszentren ausgehen („microtubule organizing centers“, MTOC), einen zielgerichteten Transport bewerkstelligen. Man kann dies als Fernbereichssignale betrachten. Außerdem gibt es eine gezielte Zulieferung an bestimmte Membranen („Targeting“) aufgrund von Erkennungssignalen („targeting signals“), die als Nahbereichssignale funktionieren. Unterschiedliche monomere GTP-Bindeproteine (GTPasen) binden jeweils spezifisch an Membranen von Vesikeln, die am Vesikelverkehr teilnehmen – eine Erkenntnis aus den 1980er-Jahren. Dabei zeigte sich 2006, dass die Ansäuerung des Vesikellumens durch eine H+-ATPase/Pumpe die Bindung der jeweils organellspezifischen GTPasen mit steuert. Diese wiederum interagieren mit SNARE-Proteinen, die nach Befunden der vergangenen 20 Jahre mehr oder weniger spezifisch für bestimmte Organellmembranen sind. Der enge Kontakt und die Fusion zweier Vesikel werden nach Ergebnissen ab 1988 durch SNARE-Proteine unter Beteiligung eines hochaffinen Ca2+-Bindeproteins vom Typ Syn aptotagmin vermittelt. Man hat über Jahrzehnte mit verschiedenen Modellsystemen und Methoden um den molekularen Mechanismus der Membranfusion gerungen, bis sich das große Problem der Bildung einer extrem kleinen und kurzlebigen Exocytoseöffnung klären ließ.
Manchmal interessiert nur, ob ein Gen transkribiert wird und wie die Transla-
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tionsprodukte aussehen. Bereits in den 1970er-Jahren wurde die Methode zur Translation von mRNAs in Proteine in vitro etabliert. Als „Maschinerie“ dienten Extrakte von Weizenkeimen oder von Säugetierretikulocyten. Das Funktionsprinzip ist also bei Tieren und Pflanzen dasselbe. Als ein Beispiel wird in 7 Abschn. 10.5 die Translation von Proopiomelanocortin diskutiert, dessen Translationsprodukt in mehrere Peptidhormone zerschnitten wird. In der Zelle ist die Situation jedoch insofern schwieriger, als neu synthetisierte Proteine an den richtigen Ort gebracht werden müssen (Zielgebung, Targeting). Auch die organelltypische Co-Lokalisation interagierender Proteine ist eine Voraussetzung für die optimale Funktion, weil ja diverse Proteine oft Hand in Hand arbeiten müssen und daher rein zufälliges Aufeinandertreffen nicht optimal wäre. 9.1 Signale für die Zielgebung
und Lokalisierung von Proteinen
Die meisten Proteine „wissen“, wo sie sich zu positionieren haben. Dieses wird jedoch auf unterschiedlichen Wegen erreicht.
9.1.1 Zusammenfinden von
Untereinheiten zu einem funktionellen multimeren Protein
Bereits für Proteine, die aus verschiedenen Untereinheiten aufgebaut sind, muss die Partnerfindung gewährleistet sein. Das Hämoglobin von Wirbeltieren ist ein einfaches Beispiel für die Co-Assemblierung von Proteinkomponenten, die durch einfache molekulare Bindekräfte erfolgt: Zwei Alphaund zwei Betaketten (2α2β) lagern sich zusammen, eine jede mit einer F e(II)-haltigen
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
prosthetischen Hämgruppe aus vier Pyrrolringen, und assoziieren zu einem vollen Hämoglobinmolekül. (Hämoglobin kommt übrigens auch bei einigen Invertebraten vor.) Es ist dies ein Beispiel für eine Quartärstruktur, die sich je nach dem pH-Wert im Blut verändert: Im Gewebe ist das Blut wegen der Kohlensäure, CO2, aus dem Stoffwechsel angesäuert. Damit geht die verschiedene Affinität zu Sauerstoff im Gewebe und in den Lungen einher. Dieser Effekt optimiert einerseits die Aufnahme von O2 bzw. die Abgabe von CO2 in der Lunge und andererseits die umgekehrten Effekte im (angesäuerten) Gewebe. Dieser Effekt wurde eigentlich bereits 1904 von dem Deutschen C. Bohr und seinen Mitarbeitern beschrieben und lange Zeit als Bohr-Effekt bezeichnet. Erst ab 1965 näherte man sich einer präziseren molekularen Interpretation an und führte einen neuen Namen ein, als der Nobelpreisträger J. Monod und der molekulare Tausendsassa J. P. Changeux die Arbeit „On the nature of allosteric transitions: a plausible model“ im Journal of Molecular Biology publizierten [1] („ἄλλως, allos“ = anders; „στερεός, stereós“ = festes Objekt, Ort). 9.1.2 Ko-Assemblierung von
cytoskelettalen Elementen: Filamente und Tubuli
Hierbei haben wir es mit Multimeren höherer Ordnung zu tun. Dieses gilt insbesondere für Elemente des Cytoskeletts wie Aktin, Aktomyosin und Mikrotubuli. Sie assoziieren von selbst zu Filamenten bzw. tubulären Strukturen („Self-assembly“). Aufgrund der leichten Bindungskräfte kommt es zur „Polymerisation“ (was strikt genommen nur eine unscharfe Nomenklatur der Biologen ist) durch das sterische Zusammenpassen von Untereinhei-
ten und moderaten Bindekräften; auf diese Weise können die langen Aktin- oder Aktomyosinfilamente und die Mikrotubuli gebildet werden, deren Assemblierung auch die Möglichkeit eines Zerfalls in Untereinheiten gegenübersteht. Wie seit Jahrzehnten bekannt ist, kann die Disassemblierung jedoch von der Zelle durch kovalente Modifikation geblockt werden: Acetylierung, Glycylierung oder Detyrosylierung von Tubulin erreichen jeweils, dass lokal spezifische Subpopulationen von Mikrotubuli mit verschiedener Stabilität entstehen. Derartige posttranslationale Modifikationen stabilisieren Mikrotubuli, manche in Cilien und Flagellen, andere im Cytoplasma. Zur Lokalisation cytoskelettaler Elemente, wie Aktinfilamenten, in unterschiedlichen Orten der Zelle kann auch die Interaktion mit Bindeproteinen beitragen, die ihrerseits in der Zelle spezifische Bindepartner vorfinden, etwa über aktinassoziierte Proteine. Dabei ergibt sich eine breite Variabilität von Zelltyp zu Zelltyp oder von Organismus zu Organismus. Beispielsweise weichen Aktin und Tubulin in Apicomplexa-Parasiten (Erreger der Malaria und Toxoplasmose) in ihren Eigenschaften ganz erheblich von jenen der Säugetiere ab. Das aberrante Aktin der Apicomplexa wird einerseits über GAC („glidosome-associated connector“) an die Plasmamembran, andererseits über Myosin A an den „inner membrane complex“ (Alveolarsäcke) angelagert. So kann dieser Komplex die Plasmamembran nach vorne in das sich bildende Phagosom der Wirtszelle hineintreiben, wo der Parasit gastlich aufgenommen wird [2]. Auch die Sensitivität dieser Aktinform auf destabilisierende Drogen ist aberrant, ebenso wie bei nichtparasitären Verwandten (Paramecium, I. M. Sehring). Die gesamte Situation ist also spezifisch für diese Organismen.
9.2 · P osttranslationale Modifikationen zur Zielfindung
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9.1.3 Zielführung zu bestimmten
9.2 Posttranslationale
Schwieriger herauszufinden war die präzise Zielführung der meisten anderen Proteine einer Zelle; sie wurde innerhalb der letzten Jahrzehnte präzisiert. Ein oder zwei distinkte kurze Abschnitte in der Primärstruktur eines Proteins, meist am aminooder carboxyterminalen Ende oder knapp daneben, dienen als Lokalisierungssignale und erlauben so im komplexen Zusammenhang der Zellstruktur, dass sie ihr Ziel an oder in distinkten Organellmembranen finden. Diese Art von Assemblierung, Molekül für Molekül, bringt die richtigen Interaktionspartner zusammen, mit dem Ergebnis optimaler Wechselwirkung auf kleinstem Raum innerhalb eines Organells. (Zahlreiche Beispiele hierfür werden besprochen, z. B. in 7 Abschn. 11.4). Dies ist ein besonders schwieriges Problem für Organellen mit doppelter Membranumhüllung, bei dessen Aufklärung im Bereich der Mitochondrien sich der Münchner Zellbiologe W. Neupert ab 1979 besondere Verdienste erwarb. Ein weiteres Beispiel ist die Zielführung peroxisomaler Enzyme durch eine SKL-Sequenz (7 Abschn. 8.4 und 14.3.9), wie dies 1988 von US-Amerikanern publiziert wurde. Bereits 1985 konnten W. T Wickner und H. F. Lodish (Autor eines der bekanntesten dicken Lehrbücher der molekularen Zellbiologie) zur Thematik „Multiple mechanisms of protein insertion into and across membranes“ einen autoritativen Übersichtsartikel in der Zeitschrift Science publizieren [3]. Weitere Details zur Zielfindung in der Achse endoplasmatisches Retikulum – Golgi-Apparat werden nachfolgend in 7 Abschn. 9.2 erörtert.
Eine der Möglichkeiten für die Zelle, lysosomale Enzyme aus dem trans-Golgi-Netzwerk, also aus dem äußersten Sack heraus, in die Lysosomen abzuschieben, ist die Markierung mit einem Mannose-6phosphat-Rest. Diese Entdeckung konkretisierte sich zu Anfang der 1970er-Jahre [4]. Ganz allgemein üben Glykosylierungsprozesse im sekretorischen Pfad eine wichtige Funktion aus (7 Abschn. 9.4). So vermitteln Glykosylreste den Transport bestimmter Glykoproteine an die Zelloberfläche, wo sie beispielsweise als Blutgruppendeterminanten medizinisch relevant sind (Kompatibilität von Blutgruppen für die Transfusion). Somit stellt sich die Frage: Gilt auch hier das „zentrale Dogma der Molekularbiologie“, also der Informationsfluss: DNA → Protein? Ja, das Dogma ist gewährleistet, denn hier wird der Prozess über die DNA-kodierten Transferasen bewirkt, indem sie das noch nicht glykosylierte Protein erkennen und ihre – allerdings ziemlich stereotype – Glykosyltransferfunktion ausüben. Im Prinzip werden alle Modifikationen durch DNA-kodierte Proteine vollzogen, aber aus dem Genom allein ist die Abfolge der Realisierung nicht unbedingt abzulesen. Erst in den 1970er-Jahren erkannten japanische Forscher die Anheftung eines Isoprenylrestes als posttranslationale Modifikation, die dann die Anheftung an Membranen vermitteln kann. So wurde man bei der Analyse von GTPasen (7 Abschn. 9.4.4) auf Isoprenylierung von Proteinen mit Geranyl- und/oder Farnesylres-
Membranen
Modifikationen zur Zielfindung
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
ten aufmerksam; die Membranbindung kann transient sein [5]. Fallweise kann derselbe Effekt auch mit einem Fettsäureschwanz erzielt werden (Fettsäureacylierung). An manchen Proteinen vermittelt die Anheftung eines Glykosylphosphatidylinositol-(GPI-)Ankers im endoplasmatischen Retikulum die dauerhafte Anbindung von Proteinen mit dem Endziel Zellmembran. Diese Zielgebung wird in den meisten Fällen über die Integration eines Proteins mit einem oder mehreren hydrophoben Transmembranabschnitten in Biomembranen gewährleistet. Manche Autoren nehmen an, dass auch GPI-Proteine fallweise eine derartige Interaktion eingehen und dadurch sogar Signale transduzieren können. Es gibt also unterschiedliche posttranslationale Modifikationen (PTM) von Proteinen, u. a. Sulfatierung, Sumoylierung (SUMO), Ubiquitinylierung (7 Abschn. 13.3.1), Isoprenylierung und Fettsäureacylierung. SUMO bedeutet „small ubiquitin-like modifier“, eine Familie kleiner Proteine, die reversibel an Proteine angehängt werden können, um den nukleocytoplasmatischen Transport, die Transkription und die Stabilität von Proteinen sowie den Durchgang durch den Zellzyklus mit zu beeinflussen. Aus Tausenden bis Zigtausenden experimentell verifizierten Einzelfällen wurden 2018 von einer Gruppe in Singapur für Acetylierung, Methylierung, Ubiquitinylierung und Phosphorylierung alle verfügbaren Daten zusammengestellt, um die Wahrscheinlichkeit solcher Modifikationen vorherzusagen. Mit dem entsprechenden Algorithmus (PTMscape) kann für ein Protein die Wahrscheinlichkeit der jeweiligen Modifikation abgeschätzt werden: 7 https://cran.r-project.org, zur Verfügung gestellt vom GitHub Repository über 7 https://github.com/ginnyinrifa/PRMscape. C. D. Allis und T. Jenuwein haben 2016 in der Zeitschrift Nature Reviews in Genetics eine Übersicht über die historische Entwicklung dieser Sparte der Epigenetikforschung ab 1996 erstellt [6].
Um die Situation noch weiter zu flexibilisieren, gibt es für die Zelle noch die Möglichkeit, PTM „sites“ durch eine andere PTM unzugänglich zu machen. Diese Verfahrensweisen lassen die Zelle in der Tat ganz schön „zusammengekleistert“ aussehen. So ist etwa die Acetylierung ein Instrument nicht nur der Stabilisierung von axonemalen Mikrotubuli (7 Abschn. 9.1.2), sondern auch für die Modifikation von Histonen im Rahmen epigenetischer Steuerung der Genexpression (7 Abschn. 12.9). Die vielen Phosphorylierungsprozesse an Tyrosylresten durch Tyr-Kinasen einerseits und durch andere Kinasen an Serylund Threonylresten andererseits werden im Zusammenhang mit Signaltransduktionsprozessen erörtert (7 Kap. 10 u. a. m.). Eindrucksvoll waren in den 1980er-Jahren der mikroskopisch-histochemische und biochemische Nachweis, dass sich Proteinkinase C (PKC) innerhalb von ungefähr einer Minute nach Zellstimulation vom Cytosol an die Zellmembran umlagert, um dort Zielproteine durch Tyrosylphosphorylierung zu stimulieren. Wer sollte all dieses aus der Genomanalyse vorhersehen können? Ein Teil dieser Modifikationen bewirkt eine Bindung an eine Zielstruktur, sei es als transienter Prozess (PKC; Isoprenylierungen, Fettsäureacylierung) oder in dauerhafter Form (ebenfalls Fettsäureacylierung, GPI-Derivatisierung). Manche der Modifikationen bestimmen den Turnover eines Proteins. Aus all diesen Fakten, die im vergangenen halben Jahrhundert sukzessive evident wurden, geht hervor, dass auch posttranslationale Modifikationen sowohl zur topologischen als auch zur zeitlichen Realisierung des vierdimensionalen Gebildes Zelle wesentlich beitragen. Offensichtlich kann all dies aus der Nukleotidabfolge im Genom nicht erschlossen werden. Die Bauanleitung für Einzelteile ergibt eben nicht zwingend das Betriebsschema, zumindest nicht bei der gegebenen Komplexität. Um detaillierte Ergebnisse mit räumlicher und zeitlicher
9.3 · Qualitätskontrolle und Einbau von Proteinen in die Membran
Auflösung zu erhalten, wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Methoden entwickelt, wie konditionelle und zellspezifische Proteinexpression, Einsatz von Reportergenen und andere optogenetische Visualisierungstechniken usw. (7 Abschn. 4.7). 9.3 Qualitätskontrolle und
Einbau von Proteinen in die Membran
Proteine können entweder an Ribosomen, die an der Membran des endoplasmatischen Retikulums (ER) angeheftet sind, oder an freien Ribosomen synthetisiert werden (membrangebundene bzw. freie Ribosomen). Hier liegt bereits der erste Mechanismus eines zielgerichteten Verteilerschlüssels vor (Targeting = zielgerichteter Transport). Prinzipiell kann ein und dasselbe Ribosom nämlich entweder in der „Werkstatt“ des ER arbeiten oder aber „freischaffend“ tätig sein. Entscheidende Gedanken hierzu wurden ab den 1970er-Jahren von dem US-Amerikaner David Sabatini und dem deutschstämmigen US-Forscher Günter Blobel entwickelt [7]. Bevor experimentelle Beweise vorlagen, formulierten sie die richtungweisende Hypothese, dass es spezifischer Erkennungssignale an Proteinen bedarf, damit sie in die jeweiligen Organellen wie Peroxisomen, Mitochondrien, Chloroplasten sowie in die vom ER abgehenden Vesikel gebracht werden können. Sie durchlaufen dabei meistens Qualitätskontrollen. 9.3.1 Chaperone – die
„Anstandsdamen“: wohlbehütete Proteindynamik auf molekularem Niveau
In der „guten alten Zeit“ wurden heranwachsende Mädchen aus „besseren Krei-
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9
sen“ wohlbehütet durch „Anstandsdamen“ (engl. „chaperons“) ins reproduktionsfähige Alter begleitet, indem sie das aufkeimende innere Feuer unter Kontrolle hielten; diese Chaperone hatten also die Aufgabe, von der Familie unerwünschte Partner (bzw. anders gesehen von deren Genpool oder schlechter Finanzlage) fernzuhalten. Chaperone im zellbiologischen Sinn sind sowohl im Cytosol als auch im ER und in den Organellen mit doppelter Membranumhüllung in Aktion. Dieser Sachverhalt ist nicht erstaunlich, weil Chaperone bereits bei Bakterien vorkommen. Einige tragen die Bezeichnung „hsp“ für Hitzeschockproteine („heat shock proteins“), weil sie bei erhöhter Temperatur eine Schutzfunktion gegen Denaturierung ausüben (fehlerhafte Umfaltung). Das Konzept der Chaperone hat sich in den 1980er-Jahren konkretisiert. So hat Hugh R. B. Pelham 1986 das bekannteste Chaperon hsp70 entdeckt, was er allerdings im Titel seiner dreiseitigen Veröffentlichung als noch spekulativ bezeichnete [8]. Vorausgegangen war die Entdeckung von A. Ciechanover, A. Hershko und I. Rose zu Beginn der 1980er-Jahre, dass der normale Proteinumsatz (Turnover: Auf- und Abbau) in Zellen von derartigen Proteinen abhängt [9]. Im Endeffekt wurden Hitzeschockproteine/Chaperone bei allen Organismen gefunden, von Bakterien, Protozoen bis zu höheren Tieren und Pflanzen. Dabei ist Hitzeschock relativ zu sehen: Bei den mikroskopisch kleinen Bärtierchen (Tardigrada), die sogar Einfrieren überleben (Parabiose), kann die Hitzeschockreaktion bereits bei wenigen Plus-Graden auftreten, wie 2004 von einer Tübinger Gruppe berichtet wurde; in ihrer Publikation diskutieren sie auch eine Reihe von Mechanismen bei verschiedenen Tieren, mit tiefen Temperaturen fertigzuwerden. Die hsp70-Regulation war von der italienischen Gruppe um Cristina Miceli und Piero Luporini 2001 auch bei Protozoen der antarktischen Eisregionen gefunden worden.
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
Zellen benötigen Chaperonproteine, um einerseits „falsche“ Bindungspartner von noch ungefalteten Proteinen fernzuhalten und um andererseits die richtige Faltung zu gewährleisten. Bis zu ihrer Entdeckung nahm man an, dass Proteine allein aufgrund ihrer Primärstruktur (Aminosäuresequenz) von selbst die richtige Sekundärstruktur (Konfiguration Typ α-Helix, β-Faltblattstruktur), Tertiärstruktur (übergeordnete Struktur) und eventuell Quartärstruktur (Zusammenbau aus differenziell kodierten Untereinheiten) annehmen und sich richtig falten würden. Teilweise sind die Faltungsmöglichkeiten tatsächlich allein durch die Primärstruktur vorgegeben, wie der US-Amerikaner Christian B. Anfinsen an dem aufgereinigten, 100 Aminosäuren langen Protein Ribonuklease A (RNase A) zeigen konnte. Noch ehe die Existenz und Funktion von Chaperonen erkannt wurde, erhielt er 1972 den Nobelpreis für Chemie. Aber nicht immer läuft das so glatt, und das Erreichen der richtigen Faltung wird durch die Chaperone nicht nur ermöglicht, sondern auch wesentlich beschleunigt. Auch wird so bei multimeren Proteinen die korrekte Kombination von Proteinuntereinheiten gewährleistet. Es ist daher kein schlechter Vergleich, wenn man Chaperone entweder mit Hebammen oder – in Reminiszenz an frühere Zeiten – mit Anstandsdamen vergleicht. Neuerdings bemüht man weniger einen sozialkritischen als vielmehr einen technologischen Vergleich mit Nanomotoren, wie wir in 7 Abschn. 17.7.2 sehen werden. Anfinsen hatte sich für seine Studien der spontanen Faltung ein Protein ausgesucht, das nicht nur klein ist, sondern auch nur wenige Sulfhydrylgruppen mit beschränkten Faltungsmöglichkeiten enthält (Haber E, Anfinsen CB, 1962; 7 https://doi.org/10.1016/S0021-9258(19)739453). Erst in den letzten Jahren wurden Algorithmen entwickelt, welche es erlauben, die 3D-Struktur von beliebigen Proteinen
zu errechnen. Demis Hassabis und John Jumper erhielten dafür 2022 einen von reichen IT-Größen gestifteten „Breakthrough Prize“, wogegen ihnen der erwartete Nobelpreis für Chemie versagt blieb. Die beiden Namen stehen für den ersten bzw. den letzten Autor eines Vielautorenartikels in der Zeitschrift Nature [10]. Dabei wurden auf der Basis von gut betreuten Datenbanken mit experimentellen Ergebnissen Algorithmen für die fortschreitende Korrektur bzw. Annäherung an die reale Struktur mit atomarer Genauigkeit erarbeitet. Da die Analysen über verfeinerte Computerprogramme durchgeführt werden, wurde in der Fachliteratur bereits gespöttelt, ob in Zukunft auch ein Computer einen Nobelpreis bekommen könnte. Chaperone können gewissermaßen auch eine gewisse Notversorgung gewährleisten; beispielsweise werden bei übermäßiger Wärme Hitzeschockproteine (Hsps) exprimiert, wie man Mitte der 1980er-Jahre beobachtet hatte. Darüber hinaus fand man eine Vielfalt von Chaperonen allein im endoplasmatischen Retikulum, wo sie weitere Aufgaben übernehmen. Sie lassen sich einteilen in: 5 allgemeine Chaperone mit den Designationen BIP („binding immunoglobulin proteins“) oder GRP („glucose-regulated proteins“), 5 Lektin-Chaperone (Calnexin, Calreticulin, die als „high capacity/low affinity“ Ca2+-Bindeproteine Ca2+ für die Signalgebung binden; vgl. unten und 7 Abschn. 9.4.2), 5 nichtklassische Chaperone inkl. HSP47 und ERp29 und 5 Faltungschaperone; darunter fallen Proteindisulfidisomerase und Peptidyl-prolyl-cis-trans-Isomerase (beides Leitenzyme des rauen ER) [11]. Allein die erwähnten Isomerasen lassen auf faltungsrelevante Aktivitäten schlie-
9.3 · Qualitätskontrolle und Einbau von Proteinen in die Membran
ßen. Nicht zu übersehen sind darüber hinaus Chaperone außerhalb des endoplasmatischen Retikulums, im Cytosol und in den semiautonomen Organellen. Besonders erwähnenswert ist noch der Hsp60-Komplex aus GroL und GroES von E. coli, der auch in Mitochondrien vorkommt und so der Symbiosetheorie der Mitochondrienevolution in die Hände spielt. GroL, das den Hauptteil des Komplexes bildet, wird gelegentlich durch Transfektion mit Fremdgenen in Eukaryotenzellen zur Koexpression gebracht, um die Expression eines richtig gefalteten, funktionsfähigen Fremdproteins in den Zellen zu erleichtern. Der Komplex macht tatsächlich den Eindruck einer Nanomaschine, die bei ihrer Aktivität ATP verbraucht (7 Abschn. 17.7). Besonders komplex ist die Situation von Chaperonen, die an der Durchschleusung von Proteinen durch Chloroplasten und Mitochondrien beteiligt sind: Hier bindet cytosolisches Hsp70 an Proteine, die in das Organell eingeschleust werden sollen. Innerhalb der Mitochondrien bindet mtHsp70. Das erste dient der Erhaltung einer ungefalteten Struktur, das zweite der Herstellung der endgültigen funktionellen Konformation unter ATP-Verbrauch. 9.3.2 Konfiguration von Proteinen
in der Membran
Viele Proteine verweilen in der Membran (integrale Membranproteine), soweit sie im endoplasmatischen Retikulum gebildet wurden, und erreichen dort freie Beweglichkeit (Diffusion). Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit: Manche integralen Membranproteine werden an freien Ribosomen gebildet und erst sekundär, spontan, in Membranen integriert („membrane-triggered folding“, „spontaneous insertion
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model“, spontane Einfügung). Um 1980, als man noch ernsthaft über Biogenese und Topologie von Membranproteinen stritt, wurde u. a. das Hymenopterengift Melittin (das z. B. im Bienengift enthalten ist) zu einem der Kronzeugen für die spontane Einfügung deklariert (7 Abschn. 4.9.1), u. a. vom österreichischen Biochemiker G. Kreil. Ein weiteres Beispiel ist der V0-Teil der H+-ATPase/Protonenpumpe bzw. deren Untereinheiten, wie sich später herausstellte. Direkt oder indirekt sind aber stets Signale oder Sequenzbereiche, wenn auch verschiedener Art und nicht immer leicht identifizierbar, in die korrekte Positionierung involviert. 1985 haben W. T. Wickner und H. F. Lodish in einer bereits angesprochenen Publikation in der Zeitschrift Science eine Liste von endogenen Proteinen als Kandidaten für diese Mechanismen zusammengestellt [3]. Vertiefte Analysen und Mechanismen für Membranproteine mit einem einzigen Membrandurchgang wurden im Jahre 1986 mit dem Plasmamembranprotein M13 von E. coli und dem Promelittin der Honigbiene im endoplasmatischen Retikulum vorgelegt. Unter den Modellen, die Wickner und Lodish für Einfügungsmechanismen gezeichnet haben, findet man interessanterweise auch U-förmige Konfigurationen mit halber Membranpassage, wie dies heute wieder für Caveolin (7 Abschn. 5.6.3) und Mitglieder der Reticulon-Superfamilie gezeichnet wird, beispielsweise für das für die Neuroregeneration wichtige Nogo-Protein. Die Kenntnis der genauen Membrantopologie ist wichtig, will man Antikörper zur Steuerung neuronaler Regenerationsprozesse einsetzen. (Derlei Arbeiten wurden über Jahrzehnte von dem Züricher Neurobiologen Martin Schwab vorangetrieben.) Allgemein sind Reticulon-Proteine auch für die Formgebung des endoplasmatischen Retikulums verantwortlich.
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
9.4 Zielfindung von Proteinen
auf der Schiene raues endoplasmatisches Retikulum → Golgi-Apparat und darüber hinaus
9.4.1 Raues endoplasmatisches
Retikulum
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Die Anheftung einer mRNA an ein Ribosom und dann die Anheftung dieses Komplexes an das endoplasmatische Retikulum (ER) erfolgen nur dann, wenn das naszente Protein eine Signalsequenz aus 15 bis 40 Aminosäuren an seinem aminoterminalen Ende enthält (Signalhypothese von Blobel und Dobberstein [12]). G. Blobel und seine Mannschaft konnten dies mit In-vitro-Rekonstitutionsexperimenten beweisen. Blobel erhielt hierfür und für zahlreiche weitere Entdeckungen 1999 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Die Signalsequenz wird von einem cytosolischen Protein, dem Signalerkennungspartikel erkannt („signal recognition particle“, SRP), das aus einer doppelsträngigen RNA und aus mehreren kleinen bis mittelgroßen Proteinen besteht. Das SRP seinerseits dockt an einen SRP-Rezeptor in der Membran des ER an, der als Ribophorin bezeichnet wird. So erlangt dieser Teil des endoplasmatischen Retikulums sein raues Aussehen im Elektronenmikroskop (raues ER). Der SRP-Rezeptor Ribophorin ist kombiniert mit einem Komplex aus hydrophoben (integralen) Membranproteinen, die einen Kanal zum Durchtritt der naszenten Proteine bilden. An der Pore ist ein von dem (ost-)deutschstämmigen US-Biologen Tom Rapoport ab dem Jahr 1996 charakterisierter Sec-Protein-Komplex beteiligt, der als Translocon in die Literatur Eingang fand [13]. Ist die Translocon-Pore unbesetzt, so hat sie einen Durchmesser von 0,9–1,5 nm, ist sie von einer durchtretenden Proteinkette besetzt, so erweitert sie sich auf 4–6 nm, in etwa dem
Durchmesser eines α-helikalen Proteins entsprechend. In Deutschland trug ab Ende des vergangenen Jahrhunderts insbesondere B. Dobberstein von der Universität Heidelberg zur Thematik des kotranslationalen Proteintransports im endoplasmatischen Retikulum bei. Hat das Signalpeptid die Membran durchquert, so wird es durch eine Signalpeptidase gekappt (limitierte Proteolyse) und das freie Protein mithilfe von einem der luminalen Chaperonproteine korrekt gefaltet. Dazu bedarf es für manche Proteine allerdings auch noch einiger Glykosylierungsschritte, wenn sie von Chaperonen vom Typ der Lektine weiter „betreut“ werden sollen. Solche Chaperone des endoplasmatischen Retikulums sind Ca2+-abhängige Lektine (Zucker erkennende Proteine; 7 Abschn. 4.4.2 und 13.3.1). Günter Blobel († 2018) ist wohl der prominenteste Pionier der Zielfindung von Proteinen und des transmembranären Transports. Er stammt aus Schlesien, kam als Kind in den Osten Deutschlands, wo er das kunstreiche Dresden, allerdings auch den Feuersturm der Alliierten im Februar 1945 erlebte. Daran dachte ich, als ich im Oktober 1989 knapp vor der Wende, mit einem Passierschein der Volkskammer der DDR versehen, zu einem Vortrag zu Ehren des Histochemikers Hans Lupa in Leipzig eingeladen war und einen Abstecher nach Dresden machte. Ich stand auf den Trümmern der Frauenkirche, von der mein obligater Begleiter sagte, die Ruine und der Steinhaufen würden nie wiederaufgebaut, sondern als Mahnmal so bleiben, wie sie sind. Dabei blieb es aber bekanntlich nicht: Blobel half tatkräftig mit, spendete sein Nobelpreisgeld – und da steht sie wieder als Mahnmal der anderen Art. (Unvergesslich bleiben mir auch die stehenden Ovationen für den Dirigenten Kurt Masur im Leipziger Gewandhaus, nachdem er sich für eine gewaltfreie Systemänderung eingesetzt hatte.) Günter Blobels wissenschaftliche Größe lag in dem Konzept von topo
9.4 · Zielfindung von Proteinen auf der Schiene …
genen Sequenzen für die zielgerichtete Anlieferung von Proteinen an verschiedene Zellstrukturen („τόπος, tópos“ = Ort). Das Konzept wurde bereits 1971 gemeinsam mit David Sabatini formuliert [7], noch bevor nach experimentellen Evidenzen gefahndet wurde, die sich nach und nach einstellten. Nach der kotranslationalen Sequestrierung werden lösliche wie auch membran integrierte Proteine und Glykoproteine nur zum Teil im rauen ER zurückbehalten, überwiegend jedoch über Vesikelverkehr zum Golgi-Apparat weitergeschoben. Zwischen dem rauen ER und dem Golgi-Apparat liegt eine Akkumulation von Vesikeln, die mit dem Sammelnamen „salvage compartment“ (Rettungskompartiment) oder mit dem Namen cis-Golgi-Netzwerk bzw. mit dem Akronym ERGIC belegt wurde („ER-Golgi intermediate compartment“). Genauer zu fassen war ERGIC als distinkte strukturelle Einheit erst, als der Züricher Zellbiologe H.-P. Hauri in den 2000er-Jahren ein ERGIC-53 benanntes Lektin entdeckte (unten) [14]. Für die Rückführung von Proteinen zum endoplasmatischen Retikulum gibt es eine typische Erkennungssequenz: Das Rückhaltesignal ist eine KDEL-Sequenz (Lysin–Asparaginsäure–Glutaminsäure–Leucin), oder es sind ähnliche kurze Sequenzen. Dieses Prinzip wurde von H. R. B. Pelham aufgeklärt. Proteine, die im rauen ER bleiben sollen, werden dorthin über Recycling-Vesikel zurückgeholt, wenn sie kein „Ausreisevisum“ für den Golgi-Apparat bekommen haben, also den KDEL-„Stempel im Pass“ haben. Der retrograde Rücktransport in das raue ER gewährleistet sozusagen den Eigenbedarf. Die Briten S. Munro und Pelham berichteten dies 1987 als Erste, illustriert mit Immunofluoreszenzlokalisationen, in der Zeitschrift Cell [15]. Darauf folgte 2003 durch eine italienische Gruppe eine Erweiterung um ähnliche Sequenzen unter Einbeziehung von Immunogold-Lokalisationsexperimenten. Weniger distinkt sind die Signale für den Übergang vom Golgi-Apparat
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in den „regulierten“ sekretorischen Pfad, und keine Signale sind zumeist für den konstitutiven („nichtregulierten“) Ausschleusungsmodus bekannt („default pathway“, Fehlweg). Die Sortierung von bestimmten Sekretprodukten hängt nach Befunden der in den USA forschenden deutschen Zellbiologin D. C. von Blume (2016) von der Ca2+-abhängigen Oligomerisierung eines löslichen Proteins, Cab45, ab (7 https://doi. org/10.1083/jcb.201601089). Der Transport von Proteinen innerhalb des Golgi-Apparats ist in 7 Abschn. 8.2 dargestellt, welcher der Biogenese von Organellen gewidmet ist. 9.4.2 Glykosylierung
von Proteinen im endoplasmatischen Retikulum und im GolgiApparat
Bereits 1949 hatte I. Gersh aus dem Stapelbau des Golgi-Apparats eine geordnete Abfolge von Prozessen postuliert. Was die funktionelle Abfolge bedeuten könnte, hat James E. Rothman ab Anfang der 1980erJahre ergründet. Die Forschung zur Glykosylierung bestimmter naszenter Proteine im endoplasmatischen Retikulum hatte bereits Anfang der 1960er-Jahre begonnen, Arbeiten am Golgi-Apparat folgten mit Verzögerung. Zuerst wird im endoplasmatischen Retikulum (ER) N-Acetylglukosamin (GlcNAc) am N-Atom eines Asparaginsäurerestes angebaut (N-Glykosylierung). Es folgen zahlreiche verzweigte Mannosereste („high mannose“-Form) und die Anbindung von Glukoseresten. Dieser Vorgang wird als „core“-/Kernglykosylierung bezeichnet. („core“ bedeutet, dass die Glykosylreste am Protein-„Kern“ angehängt werden.) Die „core“-Glykosylierung ist für manche Proteine notwendig, weil auf diese Weise nichtoptimale Faltungen vermieden werden
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
können. Im Detail konnte H.-P. Hauri ab 1990 zeigen, dass die Glykosylierung in Zusammenarbeit mit den luminalen Lektinen Calreticulin und Calnexin, die beide „high capacity/low affinity Ca2+“-Bindeproteine darstellen („Ca2+-binding proteins“, CaBPs), wichtig für die korrekte Faltung von neu gebildeten Proteinen im ER sind. Diese beiden Proteine sind daher definitionsgemäß Chaperone (Faltungsvermittler; 7 Abschn. 9.3.1). Gibt es dabei Faltungsfehler, so wird die Ausschussware umgehend dem Abbau zugeführt, wie Hauri in einem Minireview 2000 in FEBS Letters ausführt, in dem er die Arbeiten zur Glykosylierung bis 1990 zusammengefasst hat [14]. 1983 fand J. E. Rothman die weitere Glykosylierung von Proteinen, die bereits Zuckerreste an Asparaginresten vom endoplasmatischen Retikulum her mitgebracht hatten, im Golgi-Apparat [16]. Hier wird die Glykosylierung weitergetrieben, indem einzelne Mannosereste entfernt werden (Trimmen) und die Glykosylierung durch weitere, periphere Glykosylreste erweitert wird. Dabei werden u. a. terminal am zunehmend verzweigten „Zuckerbäumchen“ weitere Glykosylreste angebunden (periphere Glykosylierung); proximal wird an einem Mannoserest, sozusagen am Stamm dieses Bäumchens, zusätzlich noch der Zucker Fukose angeknüpft. Nachdem gesichert war, dass Mannosylreste das Lektin Concanavalin A einigermaßen spezifisch binden (7 Abschn. 4.4.2), konnte man auch in situ den Übergang von frühen, ER-gebundenen („high mannose“-Form) zu späteren Glykoproteinformen im Golgi-Apparat aufzeigen. Selbstverständlich stand dabei auch die zunehmende Zahl an bekannten Lektinen zur Verfügung, die spezifische Zucker oder Zuckergruppierungen erkennen können. Ebenso lernte man frühzeitig, verschiedene Glykosylierungsstufen mit unterschiedlichen Antibiotika zu hemmen bzw. zu identifizieren. So standen Tunicamycin und Desoxynojirimycin, ebenso wie das
Alkaloid Swainsonin aus nordamerikanischen Leguminosensamen (Swainsonia) oder dem parasitären Pilz Rhizoctonia leguminicola zur Verfügung. Das Toxin Brefeldin A aus dem Pilz Eupenicillium brefeldianum wurde 1985 von den Japanern A. Takatsuki und G. Tamara entdeckt und 1992 von J. B. Helms und J. E. Rothman als Diagnostikum für die Unterscheidung von Proteinen im endoplasmatischen Retikulum bzw. im Golgi-Apparat erkannt. Sie konnten den Übergang ER → Golgi mit Brefeldin A hemmen, weil es die Anlagerung von COP-Proteinen (Coatomere; 7 Abschn. 9.11.1) und damit das Abknospen von Vesikeln in Richtung Golgi-Apparat verhindert. Sein direkter „Ansprechpartner“ ist ein ARF genannter ADP-Ribosylierungsfaktor, der normalerweise den Zugang der COPs an die Membran ermöglicht (unten). Ein weiteres Kriterium ist die Empfindlichkeit auf Endoglykosidase, die im Golgi-Apparat verschwindet. Zusammenfassend wird die Glykosylierung von Proteinen im rauen ER begonnen, aber erst im Golgi-Apparat fertig ausgebaut. Diese beiden Schritte heißen „core“-Glykosylierung und periphere Glykosylierung. (Den Ausdruck „Kernglykosylierung“ vermeiden wir lieber, weil auch im Kern Glykoproteine zu detektieren sind, allerdings in O-glykosylierter Form, mit Glykosylresten an Seryl- oder Threonylresten.) Diese Prozesse sind nicht nur für die korrekte Faltung wichtig, sondern in der Folge auch für die richtige Positionierung in der Zelle und eventuell auch für die korrekte Funktion (Beispiel: Na+/K+-ATPase). Vom rauen ER knospen Vesikel ab, um mit der cis-/Bildungsseite eines Diktyosoms des Golgi-Apparats zu fusionieren, damit sie bis zur trans-/Reifungsseite weitergereicht werden können. Das Abknospen wird durch Coatomer-Proteine (COPs) bewerkstelligt, die gleichzeitig 1996 von J. Rothman und F. Wieland bzw. R. Schekman und L. Orci identifiziert und beide in der Zeitschrift Science publiziert wurden.
9.4 · Zielfindung von Proteinen auf der Schiene …
Die Vesikelknospung erfolgt unter Beteiligung des genannten Ribosylierungsfaktors „Arf“, einer in den 1990er-Jahren identifizierten GTPase, wie Eugster und Mitarbeiter (2000) zusammenfassten [17]. Dabei dienen COP II der Vesikulation im ER, COP I dagegen der Vesikulation im Golgi-Apparat. Die Weitergabe von Vesikeln und deren Fusion benötigt auch Golgi-spezifische GTPasen (unten) und SNAREs (7 Abschn. 9.6.2). 9.4.3 Lysosomen und
Exocytosevesikel entspringen dem transGolgi-Netzwerk
Am trans-Golgi-Netzwerk müssen lysosomale Enzyme von sekretorischen Proteinen getrennt und in primäre Lysosomen – derzeit auch als lysosomale Transportvesikel bezeichnet – verpackt werden. Auch lysosomale Enzyme sind Glykoproteine. Hierzu wurde in einem langen Prozess ab 1971, basierend auf vielen Einzelbeobachtungen, entdeckt, dass es eines Mannose-6-phosphat -(M6P-)Restes bedarf, um lysosomale Enzyme zu kennzeichnen [4]. Es muss also ein Mannoserest phosphoryliert werden, damit lysosomale Hydrolasen durch Vermittlung eines M6P-Rezeptors ab dem Golgi-Apparat einen vom Exocytoseprozess gesonderten Weg einschlagen können. Mutationen der beteiligten Proteine führen zu lysosomalen Speicherkrankheiten (7 Abschn. 14.3.6). Dies ist übrigens nur einer der Mechanismen, über welche die Zelle für die Kennzeichnung des lysosomalen Weges verfügt. Eine andere Möglichkeit, Proteine in Richtung Lysosomen zu verschieben, ist die Spaltung durch die Serinprotease Subtilisin. (Dieses Enzym hat seinen Namen von Bodenbakterien der Gruppe Bacillus subtilis und wird als Löser von Proteinflecken auch Waschmitteln zugesetzt.) Eine rich-
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tungweisende erste Arbeit publizierte 1994 die Gruppe um S. D. Emr in der Zeitschrift Cell; darin wurde gezeigt, dass in Hefezellen das Transmembranprotein Sortilin als proteinsortierender Rezeptor für Hydrolasen mit Destination zur Vakuole dient [18]. (Diese große Vakuole kann man als ein großes Lysosom ansehen.) Erst in den 2000er-Jahren wurde ein sortilinbasierter Mechanismus in tierischen Zellen für die Zielgebung für Proteine in Richtung auf den lysosomalen Pfad festgeschrieben. Da bleiben für die Sekret- und die Neurotransmittervesikel nur noch weniger distinkte Sortiermerkmale, und für die Vesikel für die konstitutive Exocytose nimmt man überhaupt nur eine Sortierung durch „Versäumnis“ („sorting by default“) an. 9.4.4 GTPasen vermitteln
zielgenauen Membrantransport
Dass Isoprene in der Biologie der Zelle eine Rolle spielen sollten, war zunächst doch sehr überraschend, weil man Isoprene als Grundstoff von Naturkautschuk (Gummi) aus der brasilianischen (und später kosmopolitischen) Tropenpflanze Hevea brasiliensis (Euphorbiaceae, Wolfsmilchgewächse) kannte. Verschiedene Typen von monomeren GTPasen liegen im Cytosol bereit, um vermittels Isoprenen jeweils an die Membran distinkter Transportvesikel anzudocken. Meistens sind Geranyl- und Farnesylreste im Tandem im Einsatz. Am Anfang stand die Beobachtung einer Gruppe um den Japaner K. Takahashi 1978, dass ein Peptid aus dem Pilz Rhodospiridium toruloides isoprenyliert ist. Gleich in den 1980er-Jahren wurde dieser Faden an höheren Zellen weitergesponnen. Den Isoprenylierungsprozessen als eine treibende Kraft im Vesikelverkehr kam man bei Arbeiten mit Compactin auf die Spur, einem Inhibitor der Biosynthese von
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
Mevalonsäure, dem Vorläufer von Isoprenoiden. Davon betroffen sind nach jetzigem Kenntnisstand eine bestimmte Untereinheit der trimeren G-Proteine (GTP-Bindeproteine) und die monomeren GTPasen vom Typ der Rab- und Ras-Proteine. Die Isoprenylierung ist eine Voraussetzung für die Interaktion eines GTPase-Moleküls mit der Membran, sobald das gebundene GTP hydrolysiert wird. Ein ähnliches Beispiel ist das vorhin erwähnte Arf-Protein, welches das Abknospen von Vesikeln im sekretorischen Pfad ermöglicht (7 Abschn. 9.11.1), nur dass hier anstatt eines Isoprenrestes ein Fettsäurerest eingesetzt wird. Beiden Modifikationen ist gemeinsam, dass sie erst bei Aktivierung freigelegt werden – das „Schwänzle“ reicht dann aus dem Proteinmolekül heraus und kann, weil es lipophil ist, in die Membran eintauchen. Für das Andocken mancher GTPasen ist die Ansäuerung des Vesikellumens durch die organelleigene H+-ATPase mit entscheidend. Wie A. Hurtado-Lorenzo und Mitarbeiter in einer Publikation 2006 in Nature Cell Biology gefunden haben, führt die luminale Azidifizierung zu einer Konformationsänderung der H+-ATPase, und erst auf dieses transmembranäre Signal hin kann der für das Andocken der für GTPasen entscheidende GTPase-Modifikator GAP gebunden werden [19]. GAP steht für „GTPase aktivierendes Protein“. Die GTPasen haben eine sehr spezifische Affinität zu bestimmten Membranen und steuern so weitgehend den Vesikelverkehr (. Abb. 9.1). 1989 kam man dem G-Protein-Aktivatorprotein GAP auf die Spur [20]. Dies ist besonders wichtig in Anbetracht des geringen enzymatischen Turnovers dieses allerträgsten aller Enzyme. GAP beschleunigt die Spaltung von GTP zu GDP, womit die GTPase erst einmal aktiviert ist. Dann wird noch GEF, der GTP-Austauschfaktor („guanine nucleotide exchange factor“) benötigt. Ohne diese GTPase-modulierenden Faktoren hydrolysiert eine GTPase die extrem geringe Menge von ≈ 10–3 bis 10–
2
GTP-Molekülen/min, mit den Modulatoren dagegen bis zu ≈ 104. Das reicht wohl aus, um den Vesikelverkehr im Fluss zu halten, ist aber immer noch gering im Vergleich zu einem der schnellen Enzyme mit hoher Turnover-Zahl (wie Acetylcholinesterase mit 7 × 105 Molekülen/min oder Katalase mit 2,4 × 109 Molekülen/min). Daher leuchtet auch ein, dass schnelle Neurone die Neurotransmittervesikel bereits „abschussbereit“ an der Zellmembran positioniert haben. (Ebenso wie es wichtig ist, dass ein sehr kurzer neuronaler Erregungsimpuls auf die nachgeschaltete Zelle zur Aktivierung durch den Neurotransmitter ausreicht.)
9.4.5 Die Ansäuerung des
Vesikellumens mit ihren Konsequenzen
Die H+-ATPase wird wegen ihres Vorkommens in der Membran intrazellulärer Vesikel auch als V-ATPase bezeichnet. Sie ist in tierischen und pflanzlichen Geweben weit verbreitet und dient der Ansäuerung verschiedener Vesikel, vom frühen Endosom bis zu den Lysosomen und den pflanzlichen Vakuolen. Ihre Existenz in synaptischen Vesikeln wurde ab 1965 von R. J. Hosie vermutet und ab ungefähr 1980 zunehmend konkretisiert, einerseits durch Messung der ATPase-Funktion und andererseits über die strukturelle Identifikation als Knötchen an der Membranoberfläche („knob-like protrusions“). So konnten H. Stadler und S. Tsukita 1984 im EMBO Journal eine erste Zusammenfassung ohne molekulare Details erstellen [21]. Eine breite Übersicht über molekulare und funktionelle Aspekte in verschiedenen Zelltypen bietet 2009 der Band 457 des European Journal of Physiology. Die „knob-like protrusions“ entsprechen dem cytosolseitig angelagerten multimeren V1-Teil, der ATP hydrolysiert (primär aktiver H+-Transport) und dadurch
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187
9.4 · Zielfindung von Proteinen auf der Schiene …
Cilium RAB8 RAB17
RAB3 RAB26 RAB37
RAB23
RAB34
RAB25
RAB17
RAB27
RAB5 MakropinocytoseVesikel
apikales RecyclingEndosom
Sekretvesikel
RAB15
RAB8
frühes Endosom RAB5
RAB22
RAB15
RAB22
Trans-GolgiNetzwerk
RAB11 RAB6 RAB33 RAB40
RAB35
perinukleäres RecyclingEndosom
RAB2
RAB18
ES + MVB
Lysosom
frühes Phagosom RAB5
Endoplasmatisches Retikulum
ERGIC
RAB5
RAB9 RAB7
Golgi-Apparat RAB1
RAB5
RAB4
RAB22
RAB7 RAB24
Zellkern
RAB14
RAB7
spätes Phagosom
RAB33
Lipidtropfen
AutophagosomVorläufer
Autophagosom
RAB5 Caveosom
RAB32
frühes Endosom RAB21
Mitochondrien
Integrin
Fokalkontakt
. Abb. 9.1 Der intrazelluläre Vesikelverkehr wird durch GTPasen vom Typ Rab gesteuert. Von den Rab-Proteinen gibt es von Protozoen bis Säugetieren einige Dutzend, von denen sich einzelne oder mehrere sehr spezifisch an definierte Membranvesikel anlagern. Zusammen mit den etwas weniger spezifischen SNARE-Proteinen vermitteln sie spezifische Membran/Membran-Wechselwirkungen und Fusionen. ES = Endosom, MVB = „multivesicular body“. Beispiele sind – neben anderen – Rab3 für die Exocytose (darunter Rab3A für Neurotransmittervesikel), Rab5 für die Bildung von Caveosomen und von frühen Endosomen sowie Rab21 für Endosomen aus Fokalkontakten. Rab7 ist ein Diagnostikum für späte Endosomen, Autophagosomen und Lysosomen, Rab11 dagegen für das „Recycling“-Endosom. Oft sind mehrere Rab-Proteine für die Biogenese eines Organells zuständig, so Rab33 und Rab24 für die Initiation der Autophagosomenbildung und Rab 8, 17 und 23 für die Biogenese von Cilien/Flagellen, d. h. die Anlieferung von Membranvesikeln. (Allerdings erfolgt diese an die Zellmembran um die Cilienbasis herum und nicht direkt ins Cilium, wo es keine Vesikel gibt; Ähnliches gilt für Flagellen.) Beachtlich ist die Zahl an Rab-Proteinen in verschiedenen Bereichen eines Diktyosoms des Golgi-Apparats. Schema basierend auf einer Datenzusammenstellung von Stenmark, H. (2009) [52]
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
den membranären V0-Teil zur Rotation bringt, begleitet vom Durchtritt der Protonen (H+-Pumpe). Die V-Typ-H+-ATPase gewährleistet die Entkopplung von Rezeptor-Ligand-Komplexen nach Endocytose und einen selektiven Transport, einerseits über Recycling-Vesikel zurück zur Zelloberfläche (Rezeptor) und andererseits den Abbau von Cargo in Lysosomen. Dazu zeigten 2006 A. Hurtado-Lorenzo et al. [19] die bereits oben erwähnte Bedeutung für die Fusionsfähigkeit der Vesikel (vgl. . Abb. 13.2). 9.5 Reise vom und zum
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Mittelpunkt der Zelle: ein System von Gleitschienen an die Peripherie
9.5.1 Das Gleitschienensystem für
den Vesikeltransport
Viele Zellen haben einen markanten Mittelpunkt (Cytozentrum), mit dem Centrosom als distinkter Struktur. Das heißt: Es besteht eigentlich aus einem zentralen Körnchen, dem Centriol, das von einer strukturlosen Masse umgeben ist, die als solche auch im Lichtmikroskop wahrgenommen werden kann. Das Centrosom existiert in vielen – jedoch nicht in allen – Zellen und ist in der Nähe des Zellkerns positioniert. Diese Struktur verdoppelt sich vor jeder Zellteilung. So sahen es die Erstbeschreiber, der belgische Embryologe E. van Beneden, 1883, und der deutsche Zoologe Theodor Boveri, der dieser Struktur 1895 ihren Namen gab: Boveris-Centriol, das in seiner Gesamtheit (das Körnchen mit seinem opaken Hof) heute besser als Centrosom bezeichnet wird. Viele der Details sind bereits über ein Jahrhundert bekannt oder wenigstens vermutet worden. Der dominierende Teil eines Centrosoms, sein strukturierter Innen-
teil (Centriol), ist im Bau mit einem Basalkörper von Cilien und Flagellen identisch: neun Tripletts von kurzen Mikrotubuli, nach der Formel 9 × 3, ohne zentrale Mikrotubuluselemente. Die Identität dieser drei Strukturen und ihr Feinbau konnten allerdings erst mit dem Elektronenmikroskop ab den 1940er-Jahren aufgeschlüsselt werden. In den 1960er-Jahren offenbarten zahlreiche Untersuchungen an vielen Zelltypen verschiedener Organismen, vom Protozoon bis zum Menschen, denselben stereotypen Bau; nur den Zellen der höheren Pflanzen fehlt ein Centriol. Bereits vor über einem Jahrhundert wurde ein frappierender Zusammenhang zwischen dem Centriol und den Basalkörpern von Cilien und Flagellen erahnt und kurz vor 1900 in der Henneguy-Lenhossek-Hypothese formuliert ([22]; 7 Abschn. 16.7.3). Anderthalb Jahrhunderte später zeigten sich für das Centriol folgende Details: Diese Strukturen treten immer paarweise auf, wobei die „Zwillinge“ senkrecht aufeinander stehen; jeder ist ≈ 0,5 µm lang und weist eine „9 × 3-Struktur“ aus Mikrotubuli auf. Wenn sie sich vor jeder Zellteilung vermehren, gehen diese Zwillinge auseinander, und es bilden sich zwei neue Zwillinge. Das Phänomen mutet über Jahrzehnte so geheimnisvoll an wie die Geburt der Pallas Athene aus dem Haupte des Zeus, und so rätselhaft blieb seine Biogenese über Jahrzehnte. Peripher ist an das Centriol eine diffuse Masse von Protein angelagert, die lange Zeit nicht isoliert werden konnte. Erst monoklonale Antikörper (7 Abschn. 4.5) verschafften tiefere Einsicht und erlaubten die Isolierung von Proteinkomplexen. Offensichtlich ist die diffuse Masse rund ums Centriol sehr wichtig. Sie enthält jeweils in allen Organismen die Proteine Centrin und Sas6a, neben einem Ring aus 13 γ-Tubulin-Molekülen für jede dieser kurzen, neu zu bildenden Tubulin-Aggregate, die den Nukleationskeim für einen neuen „Zwillingsbruder“ bilden. Dabei stellte sich in
9.5 · Reise vom und zum Mittelpunkt …
Arbeiten einer polnisch/US-amerikanischen Gruppe 2018 heraus, dass die multiple Phosphorylierung von γ-Tubulin wichtig ist. γ-Tubulin wurde 1989 durch die Arbeit der US-Amerikaner C. E. Oakley und B. R. Oakley mit dem Pilz Aspergillus nidulans als Nukleationskeim für Mikrotubuli erkannt und in der Zeitschrift Nature erstmals publiziert [23]. Zusammen mit der diffusen Masse heißt die Struktur nun Centrosom. Die um 2000 identifizierten Komponenten der diffusen Masse sind wahrscheinlich noch wichtiger als das gut strukturierte Centriol. Diese Meinung kann man damit begründen, dass in den Zellen höherer Pflanzen keine Centriolen vorkommen, sondern nur die diffuse Masse einer „Polkappe“. Das gilt für Blütenpflanzen und Nadelhölzer (für Angiospermen bzw. einen Teil der Gymnospermen wie die Koniferen). Erst in den 2000er-Jahren wurde berichtet, dass die Bildung eines Centriols auf dem „kanonischen Weg“, d. h. als Neubildung an einem vorhandenen Centriol, von einer Serin/Threonin-Kinase abhängt. Die Möglichkeit einer De-novo-Biogenese wurde zwar in den 2010er-Jahren experimentell gezeigt, ohne dass der molekulare Mechanismus im Detail bekannt wäre. Darüber berichtet eine rezente Übersicht [24]. Vom Centrosom bzw. von der Polkappe der Pflanzenzelle strahlen Mikrotubuli in alle Richtungen aus; sie dienen als Organisationszentrum für die Bildung von Mikrotubuli („microtubule organizing center“, MTOC). Auch können die Mikrotubuli als Gleitschienen dem Transport von Vesikeln ab dem Golgi-Apparat dienen, mit dem das Centrosom eng assoziiert ist; die hier gebildeten Sekretvesikel können auf diese Förderbänder aufspringen und an die Peripherie transportiert werden. Frühe Analysen von P. E. Lacy und Mitarbeitern zeigten dies 1968 in einer Kombination von Lichtund Elektronenmikroskopie für sekretorische Zellen und unter Einsatz der mikrotubulizerstörenden Droge Colchicin ([25]; 7 Abschn. 14.7.1). Ähnliches dokumen-
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tierte E. G. Gray mittels Elektronenmikroskopie an motorischen Endplatten von neuromuskulären Verbindungen im Jahre 1978 in den Proceedings of the Royal Society [26]. Dieses Schema mit einem Cytozentrum für den „Versand“ von Sekretprodukten ist in vielen Zellen wie Leukocyten, Neuronen, hormonsezernierenden und neurosekretorischen Zellen zu beobachten, z. B. in chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks. Angetrieben wird dieser Transport von kleinen Motorproteinen, vom Kinesin, einer Transport-ATPase (Motorprotein; nachfolgend) für den „orthograden“ Transport an die Zellperipherie. Sobald eine Zelle in die Prophase der mitotischen Zellteilung eintritt, werden alle diese Strukturelemente neu sortiert. Alles „Schienenmaterial“ wird durch Depolymerisation eingezogen, weil es nun für die Bildung der Teilungsspindel (Cytospindel) benötigt wird. Sekretionsprozesse erliegen. Die Centrosomen verdoppeln sich zu zwei Pärchen, die an entgegengesetzte Pole wandern, von denen aus die Teilungsspindel gebildet wird (7 Abschn. 12.1). Centrosomen sind demnach vielseitig verwendbare Strukturen, zumal sie auch – wie erwähnt – Basalkörper von Cilien oder Flagellen bilden können und umgekehrt. Im Jahr 1975 konnte der US-Zellbiologe Marc Kirschner diese Plastizität zeigen, indem er Basalkörper aus der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii und aus dem Ciliaten Tetrahymena pyriformis isolierte und in Eizellen des Krallenfrosches, Xenopus laevis, injizierte [27]; die Zellen verwendeten die injizierten Basalkörper als Pole der Teilungsspindeln und teilten sich. Die Faktenlage kann auch noch anders liegen – Sekretion kann zwar mithilfe von Mikrotubuli erfolgen, die jedoch in manchen tierischen Zellen nicht aus dem Cytozentrum entspringen. 1982 beobachteten wir, dass in nichtteilungsaktiven Paramecium-Zellen die Nukleation von Mikrotubuli von den Basalkörpern der Cilien aus erfolgt [28]. Sie hängen dann ins Innere der
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9
Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
Zelle und fischen aus dem Cytosol neu gebildete Sekretorganellen (Trichocysten). Diese sind spindelförmig, mit einem eigentlichen Körper und einer aufgesetzten Spitze innerhalb der Membran. Solange die Trichocysten frei im Cytoplasma liegen, werden sie von Aktomyosin angetrieben und gleiten unter der Zelloberfläche langsam dahin (Cyclose). Kommen sie in Berührung mit einem der Mikrotubuli, der immer von einer Cilienbasis in ≈ 0,5 µm Nähe einer unbesetzten potenziellen Exocytosestelle (Dockstelle) entspringt, so bewegen sich diese Sekretorganellen sprungartig über µm-große Distanzen (saltatorischer Transport), mit der Spitze voraus in Richtung einer Dockstelle (polarer Transport). Dann wird mit ruckartigen Bewegungen angedockt – ein Prozess unter Einbeziehung von distinkten Dockproteinen. Dieses Prinzip der peripheren Nukleation von Mikrotubuli wurde auch in drei Publikationen (alle im Journal of Cell Biology, wie unsere) in den Jahren 1989 und 1990 von zwei Gruppen am European Molecular Biology Laboratory (EMBL), Heidelberg, aufgezeigt; eine davon arbeitete mit Epithelzellen in Kultur („Madin-Darby canine kidney cells“, MDCKs). 2009 hielt die britische Immunbiologin Gillian M. Griffiths einen Vortrag zur immunologischen Synapse, das ist die Zone, wo ein T-Lymphocyt Kontakt mit einer virusinfizierten Zelle aufnimmt [28], um sie durch Sekretion lytischer Enzyme abzutöten (zelluläre Immunantwort). Sie zeigte, wie Mikrotubuli auf eine unterhalb der Zellmembran (!) liegende Region zusammenlaufen – mit lytischen Sekretvesikeln exocytosebereit in unmittelbarer Nähe (. Abb. 9.2). Die Vortragende betonte, dass sie trotz intensiver Suche keine entsprechende Literaturstelle gefunden habe. Meine Erzählung von unserer Trichocysten-Geschichte fand sie interessant und sie meinte, es sei also wohl ein altes Prinzip, das von den Protozoen aufwärts bis in unsere Immunabwehrzellen konserviert wurde. Jedenfalls hat sie dieses, ebenfalls im Journal of Cell Biology, Rocke-
feller University Press, 2010 publiziert und die beiden Systeme Seite an Seite abgebildet [29] (. Abb. 9.2). 9.5.2 Weitere
Regulationsmechanismen für den An- und Abtransport von Vesikeln an die und von der Zellmembran
Im präsynaptischen Abschnitt von Neuronen reguliert ein fein gesponnenes Aktinfilamentsystem Ca2+-abhängig die Zugänglichkeit von Neurotransmittervesikeln zur Zellmembran. Dies ist aber nur ein Vorspiel zur Exocytose, das sowohl in neuroneuronalen als auch in neuromuskulären Synapsen und in nichtneuronalen Systemen abläuft. Die Transmittervesikel sind zunächst über das Protein Synapsin I der Vesikelmembran an Aktomyosin gebunden. Bei Stimulation schwappt jedoch genügend Ca2+ in die Nervenendigung hinein, um die Ca2+/Calmodulin-aktivierte Proteinkinase („CaMKinase“) zu aktivieren, die Synapsin I phosphoryliert und so die Bindung an Aktomyosin löst. Erst dann können Transmittervesikel des tiefer liegenden Reservepools an die Zellmembran andocken und bei neuerlicher Stimulation über Exocytose Transmittermoleküle freisetzen. Dies gehörte zu den wichtigsten Forschungsergebnissen des US-Amerikaners Paul Greengard seit den 1970er-Jahren. Er war es, der 1995 fand, dass die Phosphorylierung des synaptischen Vesikelproteins Synapsin I durch die CaMKinase Vesikel für das Andocken an die Zellmembran verfügbar macht [30]. Über die Rolle subplasmalemmaler Aktin- bzw. Aktomysosinfilamente bei der Sekretion insgesamt gab es eine Zeit lang langwierige und zeitweise langweilige Diskussionen für beinahe alle untersuchten Zelltypen. Was sicher erscheint, ist wohl eine gewisse Kontrollfunktion über die Zugänglichkeit, fallweise im eben skizzierten Sinn.
b
a
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Target CTL
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9.5 · Reise vom und zum Mittelpunkt …
3 5
5
1
7
7
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3
1
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4 6 6
Immune Synapse
Trichocyst Secretion
. Abb. 9.2 Andocken von Sekretvesikeln (braun) über Mikrotubuli als Gleitschienen für die Exocytose an der Zellmembran. Bei den gezeigten Beispielen entspringen die Mikrotubuli (a) in T-Lymphocyten (cytotoxische T-Lymphocyten, CTL) aus peripher gelagerten Centriolen (rote, aufeinander senkrecht stehende Blocksymbole) bzw. (b) von ciliären Basalkörpern aus (Paramecium). Es handelt sich also um einen Transport von plus → minus im Sinne der Polarität der Mikrotubuli („plus“ bedeutet die polymerisationsaktive Seite). Abkürzungen in (a): 1 = Centriol, 2 = Exocytoseort, 3 = Ansätze der Mikrotubuli, 4 = Golgi-Apparat/Diktyosom (grün), 5 = endoplasmatisches Retikulum (blau), 6 = Sekretvesikel bzw. Trichocysten. (Nicht dargestellt ist der in tierischen Zellen häufigere Dockprozess, ausgehend von zentral gelegenen Centriolen, an die Zellmembran – die dominierende Variante bei sekretorischen Zellen.) Abkürzungen in (b) 1 = Basalkörper eines Ciliums (2), 3 = Ansatzstelle von Mikrotubuli. In (a) wird Perforin zur Durchlöcherung und Abtötung einer virusinfizierten Zelle freigesetzt, in (b) werden Inhaltstoffe der Trichocysten (u. a.Trichynine) zur physischen Abwehr von räuberischen Zellen ausgestoßen, wodurch die Überlebensrate enorm steigt. (Quelle: [29])
Im Jahr 2000 wurde der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zu gleichen Teilen an Paul Greengard, den schwedischen Neurobiologen Arvid Carlsson und den österreichischstämmigen US-Neurobiologen Eric Kandel verliehen „for their discoveries concerning signal transduction in the nervous system“ [für ihre die Signaltransduktion im Nervensystem betreffenden Entdeckungen], wie das Nobel-Komitee die Preisverleihung begründete. Auf das Werk von Carlsson und Kandel wird in 7 Abschn. 10.6 und 17.11 Bezug genommen.
Zwei weitere Fakten sind bemerkenswert, zum einen die meistenteils Unabhängigkeit der konstitutiven Exocytose von Mikrotubuli und zum anderen deren Beteiligung an der Vorbereitung stimulierter Exocytoseprozesse (Dockprozess), sobald die Vesikel einen gewissen Abstand von der Zellmembran erreicht haben. An der Cornell University zeigte M. M. Salpeter um 1974, dass in Knorpelzellen sulfatierte Matrixkomponenten auch in Zellen mit DNA-Synthese- und Teilungsaktivität synthetisiert werden. Dazu wurden
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
Zellen mit doppelter radioaktiver Markierung (35S-Sulfat und 3H-Thymidin), gefolgt von elektronenmikroskopischer Autoradiographie, ausgewertet; eine Differenzierung der beiden Isotope für Matrixproteine und DNA ist wegen der sehr unterschiedlichen Halbwertszeit möglich, wenn in zeitlichem Abstand Autoradiographien angefertigt werden. Da Komponenten der extrazellulären Matrix konstitutiv (also ohne Stimulus) sezerniert werden, ist der Befund mit 35S-Sulfat-Markierung kompatibel mit der heute gängigen Ansicht, dass hierzu keine Mikrotubuli benötigt werden. Nach Befunden um 2000 sind in manchen polar gebauten Zellen jedoch sehr wohl Mikrotubuli auch an konstitutiven Exocytoseprozessen beteiligt – als Gleitschienen für den Antransport der Vesikel. Die exocytosegekoppelte Endocytose wurde früh als ein besonders wirksames Prinzip an neurosekretorischen Zellen (Nebennierenmark) und Nervenendigungen erkannt: Nach Stimulation wurde gefunden, dass leere Vesikel binnen etwa 15 Minuten wieder mit Neurotransmitter aufgeladen und erneut für die Neurotransmission zur Verfügung gestellt werden (Membranrecycling). Dieses Prinzip wurde erstmals 1973 von den US-Amerikanern J. E. Heuser und R. S. Reese publiziert. Sie hatten den Musculus sartorius über verschiedene Zeiträume stimuliert und die neuronalen Endigungen (neuromuskuläre Kontaktzonen, motorische Endplatten) im Elektronenmikroskop untersucht; in Gegenwart von Meerrettichperoxidase (7 Abschn. 4.5.1) wurde die exocytosegekoppelte Endocytose offensichtlich [31]. Eine Darstellung für chromaffine Zellen des Nebennierenmarks gaben 1985 in Scientific American Steve W. Carmichel und Hans Winkler (Innsbruck), bei dem ich einige Zeit arbeiten durfte.
9.5.3 Motorproteine Kinesin und
Dynein
Der Transport von Organellen entlang von Mikrotubuli vom Zentrum der Zelle an die Peripherie wird als orthograder Transport bezeichnet. Er benötigt Kinesin als Motorprotein. Diese „Schienenstränge“ – es sind tatsächlich viele – laufen ab dem Centrosom als Nukleationskeim am nahe gelegenen Golgi-Apparat als „Bahnhof“ radiär auseinander. Der retrograde Transport von der Peripherie nach innen wird entlang derselben Mikrotubuli mit Dynein als Motorprotein abgewickelt. Das „Schienennetz“ ist also in beide Richtungen befahrbar. Der retrograde Transport kann bei Endosomen enden oder zu (Phago-/Endo-)Lysosomen bzw. Lysosomen führen. Diese Abläufe konnten über die Jahrzehnte festgeschrieben werden. Dabei kamen endogene und exogene Marker (wie Peroxidase) ebenso zum Einsatz wie mikrotubulizerstörende Drogen (7 Abschn. 14.7.1). In Deutschland befasste sich Manfred Schliwa in München schwerpunktmäßig mit dem Transport mittels mikrotubuliassoziierter Motorproteine. Für die Endocytose zum Recyceln von leeren Vesikeln wie auch für die vorangehende Exocytose werden dieselben Mikrotubuli als Gleitschienen verwendet. Summa summarum dient dabei Kinesin für den orthograden Transport an die Peripherie, Dynein dagegen für den retrograden Transport leerer Vesikel. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde offenkundig, dass beide Motorproteine gleichzeitig an die Neurotransmittervesikel gebunden werden können, jedoch differenziell aktiviert werden; dabei üben Phosphorylierungsprozesse und das Protein Huntingtin die Rolle von „Kippschaltern“ (zur Pathologie von Huntingtin bei der Huntington-Krankheit vgl. 7 Abschn. 14.3.5).
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9.5 · Reise vom und zum Mittelpunkt …
Diese Langstreckenverbindungen wurden in Drüsenzellen in den 1960er-Jahren und für Motoneurone in den 1970er-Jahren etabliert. Um 1980 war zunächst nur Myosin als Motorprotein bekannt, und zwar in Verbindung mit Aktinsträngen. Die US-Amerikaner M. Sheetz und J. Spudich zeigten dies unter Einsatz von videounterstützter Lichtmikroskopie elegant mit myosinbeschichteten Partikeln in Gegenwart von ATP als „Treibstoff“ für den Myosinmotor [32]. Zu ihnen gesellte sich 1983 der junge Wissenschaftler Ron Vale, um den Transport entlang von Mikrotubuli zu analysieren, allerdings mit einer gewissen Voreingenommenheit:
» I was inspired by the strong visual impres-
sion made by Sheetz’s and Spudich’s movies and could imagine a similar mechanism working in axons. (zitiert nach The Scientist, Archive, September 2017) [Ich war sehr vom visuellen Eindruck von Sheetz’ und Spudichs Filmsequenzen beeindruckt und konnte mir vorstellen, dass ein ähnlicher Mechanismus in Axonen am Werk sein könnte.]
Binnen kurzer Zeit identifizierte er jedoch ein anderes Motorprotein: Kinesin. Es folgte eine wohl einmalige Serie von fünf (!) Publikationen, alle 1985, in einer der wohl höchstrangigen Zeitschriften, Cell, mit der Autorenschaft der drei Genannten, z. B. [33]. Daran schlossen sich molekulare Analysen über die molekulare Struktur und den ATP-getriebenen Bewegungsablauf an. Dabei erinnert ein Kinesinmolekül am ehesten an einen Pinguin, wenn das Molekül im In-vitro-Assay seine zwei „Füße“ in kleinen Schritten von einem Tubulinmonomer (bzw. αβ-Dimer) eines Mikrotubulus zum nächsten bewegt. Die Bewegung der transportierten Organellen in vivo erfolgt saltatorisch, also in von Stillstand unterbrochenen Sprüngen, bevor es mit einigen Mikrometern (µm) pro Sekunde weitergeht.
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Ein weiteres Motorprotein, Dynein, wurde zwar bereits Mitte der 1960er-Jahre von dem britischstämmigen US-Zellbiologen I. R. Gibbons entdeckt [34], jedoch anfangs nur in Cilien von Tetrahymena, wo es den Kraftschlag vollzieht („power stroke“); später wurde Dynein auch aus Axonemata (Singular: Axonem) von Geißeln der Grünalge Chlamydomonas bekannt. Erst 1987 gelang den US-Amerikanern B. M. Paschal und Mitarbeitern der Nachweis des retrograden Transports. Das mikrotubuliassoziierte Protein MAP 1 C wurde als Dynein identifiziert [35]. In Nature wurde die Arbeit von J. S. Hyams wie folgt kommentiert:
» Thus,
MAP 1C could be the molecular motor for endocytosis, for fast retrograde transport in neurons and even for the positioning of organelles such as the Golgi apparatus and lysosomes near the nucleus of cells. [36] [So könnte also MAP 1C der molekulare Motor für die Endocytose sein, für den schnellen rückläufigen Transport in Neuronen und sogar für die kernnahe Positionierung von Organellen wie dem Golgi-Apparat und den Lysosomen.]
Diese Vorhersage erfüllte sich voll und ganz, denn Dynein ist nicht nur im Cytoplasma sowie in Cilien und Flagellen im Einsatz, sondern auch in der Zellteilungsspindel. Wiederum lässt sich aus der Molekülstruktur dieses Motorproteins sein Bewegungsablauf ableiten. Sein multimerer Aufbau zeigt in einer funktionell sehr suggestiven Darstellung der Britin V. J. Allan 2011 zwei schwere Ketten, die entlang des Mikrotubulus in großen Schritten einherzuschreiten scheinen, ganz im Gegensatz zu den Trippelschritten des Kinesins. Zur Kraftentfaltung der verschiedenen Motorproteine vgl. 7 Abschn. 14.2 und 17.7.2.
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
9.6 Exocytose – Paketlieferung
an die Zellmembran
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Sehr unterschiedliche Vesikel transportieren sehr unterschiedliche Produkte zur Abgabe an der Zellmembran durch Membranfusion. Dieser Exocytosevorgang kann ohne oder mit Stimulation erfolgen und ist im letzteren Fall mit einer oft komplexen und im einzelnen Fall sehr unterschiedlichen Signaltransduktion verbunden (7 Kap. 10), wiewohl dabei immer Ca2+ als Zweitbote beteiligt ist. Die zur Abgabe von Stoffen über Exocytose an der Zellmembran bestimmten „Pakete“ können verschieden groß sein und äußerst verschiedene Stoffe enthalten. Es gibt große, seltener kleine Vesikel mit elektronenoptisch dichtem Inhalt („dense core vesicles“) und kleine mit hellem Inhalt („clear vesicles“). Zu Ersteren gehören die Sekretvesikel von Verdauungsdrüsen (exokrines Pankreas), von proteohormonproduzierenden Zellen (endokrines Pankreas), von Mastzellen und von neurosekretorischen Drüsen (Nebennierenmark, Hypophyse), um ein paar Beispiele zu nennen. Zu den vielen kleinen Vesikeln gehören insbesondere Neurotransmittervesikel der Nervenendigungen. Beide Formen, große/dichte und kleine/klare Exocytosevesikel gibt es bei allen Eukaryoten. Weniger für dichte, aber mehr für klare Vesikel gibt es Beispiele einer Abgabe ohne einen distinkten, erkennbaren Stimulus; man nannte das früher „ungeregelte Exocytose“. Da die Zelle jedoch alles irgendwie regelt, ist es besser, von „unstimulierter“ oder „konstitutiver Exocytose “ zu sprechen. Auf diesem Wege bildet und ergänzt sich stetig die Zelloberfläche mit ihrer Glykokalyx. Bei Pflanzen sind es auch Komponenten der Zellwand inklusive Proteinen. Neurone geben nach Stimulation Neurotransmitter aus kleinen, klaren Vesikeln über Exocytose frei.
In Pflanzenzellen sind elektronendichte Sekretvesikel sehr rar. Eines der seltenen Beispiele ist, wie in den 1980er-Jahren publiziert wurde, die Freisetzung von elektronendichten Vesikelinhalten mit Capsaicinoiden – Substanzen aus Pepperonifrüchten. (Capsaicine sind Schmerzen erzeugende Substanzen.) Bei karnivoren Gattungen wie Sonnentau (Drosera) kann ein Sekret in Form eines klebrigen Schleims auf der Blattoberseite durch Ausstülpen der Zellmembran und Abschnürung freigesetzt werden (apokrine Sekretion), wie 1974 mittels Elektronenmikroskopie dokumentiert wurde. Auch die Milchfette werden aus Zellen der Brustdrüse durch apokrine Sekretion freigesetzt – ein weniger abgeklärter Mechanismus der Sekretion. Erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde der Mechanismus eingeengt: Das den Lipidtropfen eigene Protein Perilipin-2 bindet an Butyrophilin1a1 und das Redoxenzym Xanthinoxidoreduktase. Erst dann kann der Lipidtropfen mit der Plasmamembran fusionieren, die sich dabei nach außen vorwölbt. Während der Laktation, also beim Stillen, erleichtert der Effekt von Oxytocin auf die glatte Muskulatur die Abgabe der Lipidtropfentropfen. Dagegen beschreitet das Protein Casein den Exocytoseweg. Es existiert also eine Fülle von Varianten der Sekretion. Es gibt immer wieder unerwartet Neues in der alten Exocytoseforschung oder Altes wird infrage gestellt. In unserem Darm und in der Leber werden Serumlipoproteine („Blutfette“ wie HDL, LDL, VLDL [ „high/low/very low density lipoproteins“]) als membranumhüllte Vesikel zur konstitutiven Exocytose gebracht. VLDL transportieren Triglyceride, wohingegen HDL und LDL Cholesterin transportieren, mit antagonistischem Effekt auf die unerwünschte Ablagerung von Cholesterin an den Gefäßwänden („gute“ und „schlechte Blutfette“ – gemeint sind HDL bzw. LDL). Jedoch wird aktuell
9.6 · Exocytose – Paketlieferung an die Zellmembran
über die Relevanz dieser früheren Interpretation gestritten. Vor etlichen Jahren, 2004, konnte in Zusammenarbeit mit der Gruppe von C. Stürmer auch die Exocytose von großen Fetttropfen aus Jurkat-Zellen (Abkömmlinge von T-Lymphocyten) gezeigt werden. Weiterhin konnte 2009, ebenfalls mittels elektronenmikroskopischer Analytik, nachgewiesen werden, dass auf diesem Exocytoseweg Prionproteine aus ScN2a-Zellen abgegeben werden können (7 Abschn. 13.3.2; . Abb. 13.3). (ScN2a steht für Scrapie-[PrPsc-]infizierte Neuroblastomzellen, N2a.)
9.6.1 Ablauf des Transports
von Sekretvesikeln an die Zellmembran
Im Elektronenmikroskop konnte der klassische Weg vom endoplasmatischen Retikulum über den Golgi-Apparat, kondensierende Vakuolen und fertige Zymogengranula (Sekretvesikel) bis zur Exocytose gezeigt werden. Die Schlüsselarbeiten kamen Mitte der 1960er-Jahre aus dem Labor von George E. Palade [37]. Hier wurden Gewebestücke des exokrinen Pankreas mit radioaktiven Aminosäuren inkubiert und für die licht- und elektronenmikroskopische Autoradiographie aufbereitet; parallel dazu wurde der Einbau in sekretorische Proteine und deren Abgabe über Exocytose analysiert. Damit war der klassische Weg der Proteinsekretion im Prinzip aufgeklärt. Man könnte die Autoradiogramme, die israelische Kollegen von der Giftdrüse der Levanteotter (Macrovipera lebetina) angefertigt haben, kaum von jenen des exokrinen Pankreas unterscheiden – so stereotyp können Struktur und Funktion dieser proteinsezernierenden Zellen sein. Ich hatte großes Interesse an dieser Technik, zumal in den unmittelbar folgenden Jahren, um 1970, als Postdoc an der Cornell University meine erste Aufgabe da-
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rin bestand, den Passageweg von Sekretprodukten an einer Insektendrüse aufzuschlüsseln. Es ging ja die Mär, Insekten könnten keine Glykoproteine produzieren, womit eine Passage durch den Golgi-Apparat wohl entfallen würde. Die Situation war insofern nicht einfach, als meine Gastgeberin Miriam („Mika“) Salpeter noch auf Sabbatical in Cambridge (GB) weilte und die Arbeiten zwar im Salpeter-Labor vonstattengingen, jedoch eine Zeit lang unter der Obhut von Thomas Eisner, einem renommierten Entomologen am weit entfernten Department of Neurobiology. Es wurde klar – die Sekrete gingen den klassischen Weg durch die Zelle. Eine wesentliche neue Einsicht brachte der Nachweis, dass manche Sekretproteine zur Aktivierung einen proteolytischen Schritt durchlaufen müssen (partielle Proteolyse). Dies gilt für das Insulinmolekül, in dem nach Befunden von F. Sanger in den 1950er-Jahren eine mittlere Aminosäuresequenz herausgeschnitten wird. Das fertige, biologisch aktive Insulinmolekül besteht daher aus zwei Ketten, die durch zwei Cysteinbrücken zusammengehalten werden. Die Frage blieb offen, wo in der Zelle diese Aktivierung durch partielle Proteolyse stattfindet. Nach Befunden des Schweizers Lelio Orci (Genf) wird Insulin auf dem Weg vom Golgi-Apparat zum Exocytoseort in den leicht angesäuerten kondensierenden Vakuolen zur biologisch aktiven Form geschnitten [38]. Die Ansäuerung wird durch die H+-ATPase (Protonenpumpe) der Vesikelmembran nach dem in 7 Abschn. 9.4.5 erklärten Prinzip vollführt. Die Ansäuerung durch die H+-ATPase gewährleistet also die Prozessierung von sekretorischen Proteinen. Insgesamt ergibt sich folgender Verlauf: Synthese eines Prä-Pro-Proteins → Entfernung des Signalpeptids noch im endoplasmatischen Retikulum → Pro-Protein → Trimmen zum fertigen Protein. Dass eine proteolytische Prozessierung von Sekretprodukten in naszierenden angesäuerten Sekretvorläufer-
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
vesikeln des Exocytoseweges vielfach obligat ist, aber im Detail gänzlich anders verlaufen kann, wurde 1988 für die Hormone des Hypophysenvorderlappens durch die US-Amerikaner R. E. Mains und V. May an den von diesem Gewebe abgeleiteten AtT-20-Zellkulturen gezeigt: Zunächst wird das Vorläuferprodukt Proopiomelanocortin (Pro-ACTH/Endorphin) synthetisiert; daraus werden ACTH (adrenocorticotropes Hormon und Endorphin sowie Melanotropin (zur Steuerung der Melaninsynthese und für komplexe Systemfunktionen) und andere mehr „geschneidert“ (7 Abschn. 10.5). Daher kodiert in diesem Fall ein Gen mehrere Peptide. Die Ansäuerung der Sekretvesikel, in denen dies vonstattengeht, wurde durch einen pH-sensitiven Fluorochrom gezeigt. Ähnlich wie bei Orcis Experimenten verhinderte die Aufhebung des sauren pH-Wertes durch das Antibiotikum Monensin (7 Abschn. 15.6.1) die Reifung des Vorläuferproteins. 9.6.2 Selbstassemblierung von
Exocytoseorten
Unerwartet war die Beteiligung des „low capacity/high affinity“ Ca2+-Bindeproteins Calmodulin an der Assemblierung der Exocytosestellen, sei es an Ciliatenzellen oder an Stellen der Neurotransmitterfreisetzung in Säugerzellen. Zuerst konnten wir 1986 die Bindung von Calmodulin an Exocytoseorten bei Paramecium zeigen, dann folgten 1993 eine molekularbiologische Analyse an denselben Zellen durch die französische Gruppe von J. Cohen und schließlich ähnliche Analysen ab 2002 durch US-amerikanische Gruppen an Nervenendigungen [39]. Demnach ist Calmodulin nicht am Exocytoseprozess beteiligt; jedoch hängt die Assemblierung von Exocytoseorten bei den doch sehr verschiedenen Systemen von Calmodulin und einem gewissen, wenn auch geringen
[Ca2+]i-Ruhewert ab. 2017 wurde Calmodulin auch im Conoid von Toxoplasma gondii gefunden, also am Ort der Freisetzung der Rhoptrien (elektronendichte Sekretvesikel; 7 Abschn. 15.5) bei der Wirtszellinvasion. Unausgesprochen hatte ich sehr früh vermutet, Calmodulin könne der Ca2+-Sensor für die Exocytose sein, bis mich Erwin Neher bei einer informellen Diskussion am Rande eines Biophysik-Kongresses 1988 in Jerusalem aufgrund kinetischer Überlegungen davon abgebracht hat. (Den ersten Kontakt hatte ich mit ihm, als er als Postdoc an das MPI Göttingen kam, wo ich mich öfters mit H. P. Zingsheim aus derselben Arbeitsgruppe traf. Ein späterer Kontakt ergab sich aus einer Kooperation zu Ende der 1990er-Jahre.) Erst 1990 hatten M. S. Perin, R. Jahn und T. Südhof Synaptotagmin als den exocytoserelevanten „high affinity“ Ca2+-Sensor beschrieben (7 Abschn. 9.6.3). 9.6.3 Stimulus-Sekretions-
Kopplung
Nur die Abgabe von Stoffen aus elektronendichten Sekretvesikeln konnte bereits im Lichtmikroskop beobachtet werden. Ein frühes Modell hierfür war die Degranulation von Mastzellen. Die Aktivierung erfolgt bei lokaler Entzündung, nach einem Insektenstich oder bei Sonnenbrand über Immunglobulin E (IgE), wenn IgE-Rezeptoren (FcєRI) über exogene Antigene vernetzt werden. Hierbei werden Ca2+-Influxkanäle aktiviert, und der subplasmalemmale [Ca2+]-Anstieg stimuliert die Fusion der Vesikelmembran mit der Zellmembran und in der Folge mit tiefer gelegenen Vesikeln („compound exocytosis“), bis alle Vesikel entleert sind. Man meinte, hier ein einfaches Modellsystem gefunden zu haben, noch dazu von medizinischer Bedeutung für die Entwicklung von Antihistaminika. Auch konnte auf schnellem Wege eine Sti-
9.6 · Exocytose – Paketlieferung an die Zellmembran
mulation mit polykationischen Verbindungen wie „compound 48/80“ erreicht werden. Diese Pionierarbeiten erfolgten in der Zeit ab 1975 in P. Greengards Labor unter Beteiligung von William W. Douglas. Zunehmend wurden weitere Mechanismen erkannt, wie die Beteiligung von InsP3 und rezent von Orai/Stim (unten), einerseits für die Mobilisierung von intrazellulärem Ca2+, andererseits für den Einstrom von Ca2+. Eine Übersicht eines Multiautorenteams in Physiological Reports 2017 dokumentiert, wie komplex die Vorgänge bei der Rötung unserer Haut durch die Ausschüttung von Histamin aus Mastzellen sind. Das Prinzip der Ca2+-basierten Stimulus-Sekretions-Kopplung hatten die US-Amerikaner William Douglas und Ronald Rubin in den 1970er-Jahren erkannt und verallgemeinert. Die Benennung des Phänomens erfolgte in Anlehnung an die bereits seit den 1950er-Jahren bekannte Stimulus-Kontraktions-Kopplung. Im Elektronenmikroskop sieht man an Zellen des Nebennierenmarks zunächst einmal eine große Zahl an Vesikeln mit elektronendichtem Inhalt (chromaffine Granula mit Adrenalin bzw. Noradrenalin) (. Abb. 9.3a). Gelegentlich sind Ω-förmige Profile zu erkennen, wobei ein Sekretvesikel spontan mit der Zellmembran fusioniert und seinen Inhalt freisetzt (. Abb. 9.3b). Solche Bilder sind nur beim Nebennierenmark des Goldhamsters häufig, ansonsten jedoch auffällig unauffällig, d. h. selten. Auch nach Stimulation durch Depolarisierung sind die Ω-Profile unerwartet selten. Daher erschien es notwendig, die Dynamik dieses Prozesses aufzuklären. Er könnte ja sehr schnell verlaufen und unsichtbar bleiben, etwa, wenn die leeren Exocytosevesikel schnell internalisiert würden. . Abb. 9.3c illustriert die Wechselwirkung von SNARE-Proteinen, die aus den zu fusionierenden Membranen herausragen. Im Juni 1983 nahm ich, wie noch mehrmals später, an einer Konferenz der Federation of the American Societies of Ex-
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perimental Biology (FASEB) in Saxtons River, Vermont, USA, teil. Es ging um Mechanismen der Sekretionssteuerung. Die freundlichen US-Kollegen Ronald Rubin und James W. Putney hatten mich eingeladen, ab Boston mitzufahren. Rubin hatte mit William Douglas, der auch angekündigt war, über Ca2+-Signalgebung beim Sekretionsprozess gearbeitet. Ihnen beiden verdanken wir das Konzept von der Stimulus-Sekretions-Kopplung, das 1974 von Rubin in einem – noch dünnen – Buch zusammengefasst wurde [40]. Das Folgende illustriert, wie komplex nicht nur die Ca2+-Steuerung, sondern auch die Begrifflichkeit in diesem Feld sein kann. Putney hat um 1985 das Konzept des kapazitativen Ca2+-Einstroms („capacitative Ca2+ entry”) propagiert; heute bevorzugt man den Ausdruck „store-operated Ca2+ entry “ (SOC[E] = speichergesteuerter Ca2+-Einstrom) oder „store-operated Ca2+ influx“. Der entsprechende Kanal wurde mit dem Namen CRAC („Ca2+-influx and Ca2+-release-activated Ca2+ channel“) belegt, dessen Natur jedoch jahrzehntelang mysteriös blieb. Dieses Konzept besagt, dass in manchen Zellen ein Ca2+-Einstrom erst sekundär als Folge der Leerung intrazellulärer Speicher erfolgt. Dieser Mechanismus ist in vielen Zelltypen bis hinunter zum Ciliaten Paramecium tetraurelia nachgewiesen, wo die Alveolarsäcke in den SOC-Mechanismus eingebunden sind. (Er steht im Gegensatz zu jenem der Ca2+-induzierten Ca2+-Freisetzung [„Ca2+-in2+ duced Ca release“, CICR], den wir von der Kontraktion des Herzmuskels kennen.) Alle Teilnehmer, insbesondere aber William Douglas, freuten sich, dass der komplexe Prozess der Sekretionssteuerung nun eine solide experimentelle Grundlage bekommen hatte. Wer hätte damals geahnt, wie viel Arbeit noch bevorstand … Erst in der Zeit um 2005/2006 wurde die molekulare Grundlage für das SOC-Phänomen erkannt: Es gibt im zellmembrannahen endoplasmatischen Retikulum (ER) ei-
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
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. Abb. 9.3 Exocytose und Steuerung der Membranfusion. (a), (b) Zelle aus dem Nebennierenmark des Rindes, (c) Schema des Andockens und der Fusion von Biomembranen. (a) Ultradünnschnitt einer kryofixierten und ultradünn geschnittenen chromaffinen Zelle. Solche Zellen enthalten im Durchschnitt ungefähr 26.000 elektronendichte Sekretvesikel (chromaffine Granula), von denen nur etwa 500 direkt an der Zellmembran angedockt sind und daher – allerdings nur teilweise – auf einen Stimulus hin schnell Adrenalin freisetzen können. (b) Bei der Exocytose zeigen sich im Gefrierbruch die typischen Ω-förmigen Exocytoseprofile. c) Vesikel docken an einer Zielmembran über SNARE-Proteine an, die carboxyterminal in den Membranen verankert sind. Q- und R-SNAREs, benannt nach der Aminosäure im „zero layer“ der SNARE-Domäne (Q = Glutamin, R = Arginin), interagieren nach dem Prinzip eines Reißverschlusses, bis die Membranen eng aneinandergelagert sind und auf einen Ca2+-Impuls hin (nicht gezeichnet) fusionieren können. (Quellen: a) [75]. b) [76]. c) [77])
9.6 · Exocytose – Paketlieferung an die Zellmembran
nen Ca2+-Sensor namens STIM („stromal interaction molecule“), der physisch gekoppelt ist mit einem plasmalemmalen porenformenden Protein namens Orai („calcium release-activated calcium channel protein“). Zeigt der Sensor eine Entleerung von Ca2+ aus dem corticalen ER, so strömt über Orai Ca2+ in die Zelle, um das Signal zu amplifizieren. Untersuchungen an immundefizienten Patienten waren für diese Entdeckung ausschlaggebend, bis sich das Konzept 2006 in zwei Arbeiten in der Zeitschrift Nature konsolidiert hatte [41]. Ein präziser Zugriff zur Biophysik der Membranfusion eröffnete sich bereits mit einer der ersten Publikationen zur neu entwickelten Patch-Clamp-Analyse aus dem Labor von E. Neher, Göttingen. So zeigten E. Neher und A. Marty 1982 in den Proceedings of the National Academy of Science USA, dass die Membranfusion bei Exocytose extrem schnell und auf kleinstem Raum stattfindet [42]. Sie setzten auf die Zelloberfläche von chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks eine feine Pipette auf, die gut abgedichtet war, und verwendeten sehr leistungsfähige Verstärker, sodass elektrophysiologische Parameter mit hoher zeitlicher Auflösung auf kleinstem Raum registriert werden konnten (Patch-Clamp-Analytik). Dabei stellten sie fest, dass sich bei Exocytose Porenöffnungen von anfangs 1 pSi (Pico-Siemens) Leitfähigkeit bilden, entsprechend einem Durchmesser von ≈ 1 nm, und dies im Submillisekundenbereich. Mit der Patch-Clamp-Elektrophysiologie konnten sie also an die volle Bandbreite lokaler Umstrukturierungen mit hoher zeitlicher Auflösung im Nanometerbereich herankommen. Die Methode wurde verfeinert [43], auch um schnelle Prozesse zu verfolgen. Bei Arbeiten mit Kryofixation, gefolgt von Gefrierbruch und Elektronenmikroskopie, mit Paramecium-Zellen haben wir 1991 ebenfalls Punktfusion festgestellt [44], jedoch mit der zusätzlichen Beobachtung, dass – im Unterschied zu den in 7 Ab-
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schn. 9.5.2 dargestellten Experimenten von John Heuser – integrale Membranproteine direkt am Ort der Fusion für die Fusion notwendig waren. In diesen Zellen konnten wir präformierte, regelmäßig verteilte Fusionsorte identifizieren, an denen bei Stimulation eine Art Abwehrwaffen (die als Trichocysten bekannten „dense core“-Sekretvesikel) explosiv freigesetzt werden. (Die damals verfügbare „ultraschnelle“ Kinematographie zeigte uns, dass der Ausschuss weniger als 1 ms benötigt. Heute wäre es spielend leicht, weit in den Submillisekundenbereich hinein zu analysieren.) Die Proteine am Fusionsort sind nach Gefrierbruch nur an exocytosekompetenten Stämmen von Paramecium tetraurelia (exo+) vorhanden, fehlen dagegen bei exocytoseunfähigen Stämmen (exo−-Mutanten aus dem Labor von Janine Beisson, Gif-surYvette, Frankreich), die wir im Rahmen einer Kooperation verwenden konnten. Mit der Charakterisierung molekularer Details bei der exocytotischen Membranfusion haperte es eine Weile. Erst die Entdeckung der SNARE-Proteine ab 1988 durch den US-Amerikaner James E. Rothman, über Jahre unterstützt vom deutschen Biochemiker Thomas Söllner, brachte die Wende. (Söllner kehrte 2005 nach Deutschland zurück, wo er an der Thematik weiterarbeitete.) Rothman fasste die jahrzehntelange Entwicklung 2014 in seiner Nobel-Rede zusammen [45]. Das Akronym SNARE steht für „soluble N-ethylmaleimide sensitive factor (NSF) attachment protein receptors“. Hinzu kamen, wie in 7 Abschn. 9.8 erläutert wird, der Exocyst-Komplex von P. Novick für eine erste Anbindung der Sekretvesikel an die Zellmembran sowie die GTPasen und last but not least der Ca2+-Sensor Synaptotagmin. 2002 konnte ich Rothman für einen Vortrag bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Zellbiologie in Konstanz gewinnen. Wie 2006 der US-Amerikaner J. Rizo und Mitarbeiter ermittelten, hat Synapto-
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
tagmin zwei wenig geordnete C2-Domänen, C2A und C2B, denen jeweils eine Bindestelle für Ca2+ aufgesetzt ist [46]. (C2-Domänen bestehen aus ca. 130 Aminosäuren, angeordnet in antiparalleler β-Faltblattstruktur; sie dienen als eine Art elektrostatische Schalter.) Synaptotagmin ist aminoterminal in der Membran von Sekret- und Neurotransmittervesikeln verankert. Ein lokaler Anstieg von [Ca2+]i bei Stimulation bewirkt eine Konformationsänderung dieser C2-Schleifen dergestalt, dass sie in die Zellmembran eintauchen und über eine lokale Unordnung („perturbation“) der Lipide die Fusion der beiden Membranen einleiten. Dies ist aber nicht die gesamte Funktion. 2009 zeigten S. M. Young und E. Neher mit einer Kombination von molekularbiologischen und elektrophysiologischen Methoden (Patch-Clamp), dass Synaptotagmin auch zur Positionierung eines schnell freisetzbaren Pools von Neurotransmittervesikeln beiträgt. Nach jahrzehntelangen Bemühungen mit verschiedenen Methoden ist heute die molekulare Grundlage der Neurotransmission über Exocytose gut etabliert, wie Rizo et al. (2006) zusammengefasst haben [46]. Erst mit Verspätung wurden diese komplexen Zusammenhänge auch bei Protozoen untersucht. Das plasmalemmale SNARE Syntaxin 1, GTPasen und eine erweiterte Form von Synaptotagmin (eSyntag; 7 Abschn. 16.6.1) wurden auch bei Ciliaten gefunden. Meine Gruppe trug ab 2006 zur Spezifikation und intrazellulären Verteilung der SNAREs und jene des US-amerikanischen Kollegen A. Turkewitz im Jahr 2010 zur Kenntnis der GTPasen bei [47]. Interessanterweise steigt von den Einzellern bis zu den am höchsten evolvierten Eukaryoten die Zahl dieser Interaktionspartner bei Membranfusionen quer durch die Zelle, einschließlich Exocytose, nicht an. Es muss also früh in der Evolution eine Differenzierung dieser wichtigen Proteine stattgefunden haben.
9.6.4 In-vitro-Systeme für die
Exocytose
Ab 1970 verstärkte sich das Anliegen, die zahlreichen potenziell relevanten Parameter für die Exocytose, insbesondere für die Membranfusion, einzuengen und zu spezifizieren. Zu dieser Zeit wurde auch erkannt, dass Agenzien mit Bindefähigkeit an 3-OH-Steroiden wie Cholesterin, namentlich Digitonin, Filipin oder Saponin, die Zellmembranen schonend zu permeabilisieren vermögen (7 Abschn. 4.5.2). Diese Möglichkeit wurde für zahlreiche Analysen ausgenutzt, um Substanzen von Interesse in die Zellen einzuschleusen. 1972 erfand der deutsche Biophysiker U. Zimmermann – eigentlich aus einer anderen Problemstellung heraus – die Elektroporation. Durch kurze Pulse des Entladungsstroms eines Kondensators können Poren gesetzt werden, deren Lebensdauer sich später je nach Zelltyp als unterschiedlich lang herausstellte. Viele Arbeitsgruppen nahmen mit ihm Kontakt auf und sammelten Daten. Zu den frühen Interessenten in den 1980er-Jahren gehörte die britische Gruppe von Peter Baker, gefolgt von der Gruppe um Bastien Gomperts, beide Kings College, London. Im Fokus standen Ca2+, Mg2+, ATP und als letztes GTP. Bereits beim ATP gingen die Ansichten auseinander. Die deutsche Gruppe von Manfred Gratzl kam zu der Auffassung, dass ATP in chromaffinen Zellen nicht fusionsrelevant sei. Nach erfolglosen Versuchen anderer Gruppen mit der Elektroporation an Paramecium-Zellen entwickelte meine Doktorandin J. Vilmart-Seuwen – nach einjährigen vergeblichen Anläufen – in einer Publikation 1986 im Journal of Cell Biology die isolierten Oberflächenkomplexe („Cortices“) als Modell [48]: Sie bestehen aus Zellmembranfragmenten mit angedockten „dense core“-Sekretorganellen (Trichocysten) plus angehefteten corticalen Ca2+-Speichern (Alveolarsäcke). Der Befund war,
9.7 · Das lange Rätselraten über den Mechanismus …
dass ATP nicht zur Membranfusion benötigt wird, jedoch als Primer dient; des Weiteren, dass das System durch Mg2+ geblockt und beim gleichzeitigen Senken von Mg2+ auf 0,5 mM und Anheben von Ca2+ auf ≥ 10 μM Niveau schlagartig zur exocytotischen Membranfusion aktiviert wird. Wesentlich bedeutsamer wurden für den Zugang zum Problem Exocytose und Membranfusion die Experimente der Gruppe von B. Gomperts ab Ende der 1980erJahre. Die Gruppe kombinierte viele Parameter, Ionen, Nukleotide bzw. deren Derivate mit unterschiedlichen stabilisierenden oder destabilisierenden Eigenschaften, sodass am Ende das Postulat eines exocytoserelevanten GTP-Bindeproteins, GE, herauskam [49]. Wie in 7 Abschn. 9.8 im Detail ausgeführt wird, wurde dieses GE später als kleine, monomere GTPase identifiziert. Versuche zur Rekonstitution einer zellfreien Wechselwirkung zwischen chromaffinen Granula und Plasmamembranen in den 1980er-Jahren im Labor des Belgiers W. de Potter fanden großes Interesse. Jedoch haben die eingesetzten Zellmembranvesikel nach elektronenmikroskopischer Bestimmung 1986 durch meinen israelischen Gast Kurt Rosenheck vom Weizmann Institute of Science, Rehovot, eine „right side-out“-Orientierung gezeigt, sodass Sekretvesikel gar nicht andocken und ihren Inhalt in vitro freisetzen könnten. Eine Nachprüfung der Daten durch de Potter offenbarte, dass die In-vitro-Daten seiner Mitarbeiter unhaltbar waren, wie er 1987 mit großem Bedauern bekanntgab. 9.7 Das lange Rätselraten über
den Mechanismus der Membranfusion – ein langes Vorspiel
Wie Membranen bei Exocytose fusionieren, wurde lange Zeit kontrovers diskutiert. George E. Palade zeigte 1968 die Bildung eines
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flächigen Diaphragmas im Dünnschnitt, andere sekundierten dieses Konzept, indem sie im Gefrierbruch partikelfreie Zonen als Exocytoseorte auswiesen. Die niederländische Gruppe um B. DeKruijff und A. J. Verkleij ordnete in den 1970er-Jahren in Arbeiten mit künstlichen, proteinfreien Membranen Lipidstrukturen in lokaler, nichtlaminarer Anordnung Fusionsfähigkeit zu (hexagonale Phase HII-Mizellen von ≈ 10 nm Durchmesser). Sie führten korrelative Untersuchungen mit NMR („nuclear magnetic resonance“) und Gefrierbruch unter Bedingungen durch, unter denen sich invertierte Mizellen vom „hexagonale-Phase-Typ II“ bilden können, die im Gefrierbruch als Partikel mit ähnlicher Größe wie Transmembranproteine aufscheinen. Ihre Häufigkeit, so hieß es, steige mit dem Anteil an fusogenen Lipidkomponenten. John Heuser, University of Minnesota, hatte ab den 1970er-Jahren Nervenendigungen elektrisch getriggert und dabei extrem schnell eingefroren (Kryofixation; 7 Abschn. 4.8). Er fand, dass die Fusionsstelle von keinen Membranpartikeln begleitet ist und ca. 20 nm Durchmesser hat, bevor diese Fusionspore expandiert [50]. Erst langsam setzte sich die Idee durch, dass Proteine für die Membranfusion ausschlaggebend sein könnten. Dazu fanden wir ab den 1970er-Jahren, auch unterstützt durch die Molekulargenetiker um Janine Beisson am CNRS in Gif-sur-Yvette, Frankreich, dass Proteine an der präsumptiven Fusionsstelle notwendig sind. Ab den 1970er-Jahren kamen auch wesentliche Impulse für das Verständnis der Membranfusion von membranumhüllten („nackten“) Viren (7 Abschn. 15.3), die jedoch nicht die originär zellulären fusogenen Proteine („Fusionsproteine“) repräsentierten. In den 1980er-Jahren hatte der US-Amerikaner C. E. Creutz nachdrücklich für die Proteingruppe der Annexine als Mediatoren der Membranfusion plädiert. Sie binden in Gegenwart von Ca2+ an Phospholipide und
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
sind auch an Exocytosestellen immuncytochemisch nachweisbar. Creutz zeigte immer Bilder von aggregierenden und schließlich fusionierenden chromaffinen Sekretvesikeln aus dem Nebennierenmark. Aber das stellte sich als wenig relevant für die Situation in vivo heraus. Der Deutsche Wolf Almers propagierte um 1990 korrespondierende („matching“) multimere Proteine in den zu fusionierenden Membranen, deren Untereinheiten bei Fusion auseinanderweichen und einen hydrophilen Kanal freigeben sollten. Andere Autoren hatten bereits in den späten 1980er-Jahren Synaptophysin als Fusionsporenbildner in neuronalen Systemen vorgeschlagen, weil dieses Protein Hexamere bilden kann, die auseinanderdriften könnten. Auch das war nicht die Lösung, wie sich bald herausstellte und von dem Deutsch-Amerikaner Thomas Südhof sowie dem Deutschen Reinhard Jahn binnen weniger Jahre auf den Punkt gebracht wurde. Eine ähnliche Sicht mit konkreten Kandidaten wurde später von dem deutschstämmigen Schweizer Zellbiologen Andreas Mayer in die Diskussion eingebracht. Ab Ende der 1990er-Jahre bis in die 2000er-Jahre propagierte er die Bildung einer Fusionspore durch die hexameren Aggregate des V0-Basisteils der H+-ATPase in beiden zu fusionierenden Membranen als trans-Komplex, deren sechs Untereinheiten bei Fusion in beiden Membranen auseinanderdriften würden, um auf diese Weise eine Fusionspore zu bilden. Eine Art Kronzeuge war die schnelle Punktfusion, begleitet von der Dispersion von Untereinheiten der Rosettenpartikel an der präformierten Exocytosestelle in Paramecium-Zellen bei Stimulation. Dieses hatten wir 1991 mittels Quenched-Flow/Kryofixation/Gefrierbruch-Elektronenmikroskopie gefunden. Es wäre zu schön gewesen, aber wir konnten bei allen Bemühungen H+-ATPase-Komponenten nicht am Exocytoseort vorfinden, und Knockout-Experimente griffen in zu viele Einzelschritte ein. Andreas Mayer hat
seine Hypothese der V0/H+-ATPase-basierten Bildung von Fusionsporen 2011 noch einmal mit der SNARE-Hypothese verglichen, bevor Erstere zunehmend in den Hintergrund trat. Die allgemein akzeptierte Lösung ist heute die SNARE-Theorie in Kooperation mit dem Ca2+-Sensor Synaptotagmin zur Einleitung einer Punktfusion. Der Laie mag sich fragen: Was für ein Aufwand für ein nanometergroßes Loch in der Zellmembran, das sich rasant erweitert und Sekretinhalte oder Neurotransmitter freigibt! Aber immerhin geschieht dieses in jeder Sekunde unzählige Male in all unseren Körperzellen und in besonders dramatischer Weise bei der neuronalen Signalgebung. Für die vielen vorangegangenen Erklärungsversuche hat mir ein weiterer Akteur, der Portugiese Pedro Pinto da Silva an der Harvard University, eine schöne Parabel aus seiner Heimat erzählt. Ein armer Mann wollte vor seinem Haus eine Gemüsesuppe kochen. In Ermangelung von Gemüse legte er Steine ins Wasser. Jedem vorbeikommenden Bauern erzählte er die Sachlage, und jeder gab ihm etwas von seinem Gemüse, bis es eine gute Suppe abgab. Pedro war sichtlich prädestiniert für den diplomatischen Dienst, den er alsbald antrat. 9.8 Dock- und Fusionsproteine
Die meist über Mikrotubuli als Gleitschienen angelieferten Exocytosevesikel werden an der Zellmembran durch einen oktameren Komplex von Exocyst-Proteinen und GTPasen vom Typ Rab angebunden. (Dasselbe gilt übrigens weitgehend auch für die Interaktion intrazellulärer Vesikel.) Die ersten Befunde des US-Amerikaners Peter Novick, Yale University, USA, zu Exocyst-Proteinen als Dockproteine tauchten in den 1980er-Jahren in der Literatur auf, noch Jahre bevor der Terminus Exocyst formuliert wurde. Bevorzugt an Hefezellen wurden molekulare Genetik und
9.8 · Dock- und Fusionsproteine
Elektronenmikroskopie kombiniert, um die Relevanz der neuen Proteine für das Andocken intrazellulärer Vesikel an Zielmembranen zu dokumentieren. Heute sind für den Exocyst-Komplex sehr verschiedene Funktionen bekannt, wie Steuerung von Exocytose, Cytokinese (Trennung von Zellen bei der Zellteilung), Autophagie und Biogenese von Cilien. Erst 2018 wurde die Struktur des Exocyst-Komplexes mittels Kryoelektronenmikroskopie dargestellt. Die weiteren Schritte erfolgten unter Beteiligung der um 1990 entdeckten SNARE-Proteine (vgl. nachfolgend) und fusogenen Ca2+-Bindeproteine, ebenfalls sowohl zwischen intrazellulären Vesikeln als auch zwischen Vesikeln und der Zellmembran (Exocytose). Dabei geben die Rab-Proteine weitgehend die Spezifität der Interaktion bis zur Fusion vor, wiewohl auch die SNAREs organelltypisch sind. Novick fasste seine Daten zu Exocyst, GTPasen und deren Regulatorproteinen 2012 zusammen [51], der Norweger H. Stenmark hat die Topologie der GTPasen in Säugetierzellen in der Zeitschrift Nature Reviews in Molecular and Cellular Biology skizziert [52] (. Abb. 9.1). Die Bedeutung der monomeren G-Proteine (GTPasen) Rho und Rac für die Regulation der Polarität von Epithelzellen wird in einer rezenten Zusammenfassung von K. Ebnet und V. Gerke skizziert (7 https://doi. org/10.3389/fcell.2022.948013). Knapp vor 1990 konkretisierte sich die fundamentale Rolle von GTPasen, die damals als GTP-Bindeproteine bezeichnet wurden, wenigstens für die Exocytose oder deren Vorbereitung. (Die Benennung ist verwirrend: Als „GTPasen“ bezeichnet man nur die monomeren GTP-spaltenden Proteine, wohingegen die sich reversibel aus α-, β- und γ-Untereinheiten im Zuge der Signaltransmission zusammenfügenden Proteinkomplexe als „trimere G-Proteine“ bezeichnet werden, obwohl auch deren α-Untereinheit GTP spaltet.) Es waren zum einen molekularbiologisch fundierte Studien, nicht nur von Novick, sondern auch
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von anderen Gruppen; zum anderen wurden Analysen mit schonend permeabilisierten Zellen vorgenommen, denen verschiedene Nukleotide wie ATP und GTP sowie Derivate derselben eingeschleust wurden (7 Abschn. 9.6.4). B. Gomperts hatte ja bereits in den 1980er-Jahren den Terminus „GE-Proteine“ (G-Proteine) in die Diskussion gebracht. Der Effekt des nicht hydrolysierbaren Daueraktivators GTP-γ-S, also γ-Thio-GTP, unter Beteiligung von Ca2+, wies bereits auf eine GTPase-Funktion für den weiteren Verlauf der Membraninteraktion hin. Dementsprechend betitelte er seinen Übersichtsartikel 1990 in Annual Reviews of Physiology: „GE: a GTP-binding protein mediating exocytosis“, ohne dass er GE molekularbiologisch fassen konnte [49]. Die Gomperts-Leute hatten derartig viele Details variiert, dass bei der Diskussion im Rahmen einer Jacques-Monod-Konferenz schon auch einmal der Meister bei der Frage passen musste: „For the sake of completeness, did you also try … ?“ Die fast nicht mehr überschaubare Kombination von Substanzen und Randbedingungen führte zu einer gewissen Resignation im Publikum, und es war offensichtlich, dass ohne molekulare Details kein Weiterkommen zu erwarten war. Damals wurden hinter der Szene von Kollegen die Schwierigkeiten beklagt, die sie anfangs beim Versuch hatten, ein derlei neues Konzept wie das der monomeren GTPasen zu publizieren. In allen Untersuchungen war GTP relevant für Exocytose. Insgesamt war der Identifikation des molekularen Apparats für die Fusion von Membranen verschiedenster Art eine lange Debatte vorausgegangen, in der die Beteiligung von Proteinen an der Membranfusion zeitweise überhaupt pauschal in Abrede gestellt worden war, und zwar aufgrund biophysikalischer Modellversuche und wenig überzeugender elektronenmikroskopischer Analysen (Abschn. 9.7). Die Arbeiten von Janine Beisson, CNRS Gif-sur-Yvette (Frankreich), auch in
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
Kooperation mit unserer Gruppe, mit Paramecium-Zellen (Ciliaten) haben von jeher eine proteinvermittelte Membranfusion gestützt – indes fehlten molekulare Details. Der Wendepunkt kam mit biochemischen Arbeiten, die Ende der 1980erJahre zur Entdeckung der SNAREs durch den US-Amerikaner James („Jim“) Rothman unter Beteiligung des Deutschen T. Söllner führten [53]. Daran schlossen sich detaillierte Untersuchungen an neuronalen Systemen durch Reinhard Jahn und Thomas Südhof (beide in/aus Göttingen) und molekularbiologische Analysen insbesondere zu fusionsrelevanten GTPasen in Hefezellen durch den US-Amerikaner Randy Schekman an. Damit begann sich ab Anfang der 1990er-Jahre das Konzept von GE und von SNARE-Proteinen ebenfalls zu konsolidieren. J. Rothman arbeitete anfangs mit einem In-vitro-System, das ihm guten Zugriff mit Chemikalien bot, beispielsweise mit N-Ethylmaleimid. Dies ist ein von der Maleinsäure abgeleitetes Imid, das Sulfhydrylgruppen blockiert und so ab 1988 Zugriff zum NSF-Protein („N-ethylmaleimide-sensitive factor“) und den SNAREs verschaffte. Dieser Effekt beruht nach einer Erstbeschreibung 1993 in der Zeitschrift Nature darauf, dass NSF die Funktion einer ATPase vom Typ Triple-A-ATPase ausübt [53]; (AAA-ATPases = „ATPases associated with diverse cellular activities“). NSF enthält zahlreiche SH-Gruppen, worauf seine Sensitivität für N-Ethylmaleimid beruht. Von diesen Erkenntnissen profitierend konnten R. Kissmehl et al. (2002) an schonend permeabilisierten Paramecium-Zellen durch nicht hydrolysierbares ATP-γ-S potenzielle Fusionsstellen blockieren und dann mit fluoreszenzmarkierten Anti-NSF-Antikörpern markieren. Es sind dies Stellen, für die Fusionsvorgänge zum Teil bekannt und zum Teil von R. D. Allen und Y. Naitoh (University of Hawaii) aus elektrophysiologischen Messungen postuliert worden waren.
SNAREs sind Membranproteine mit nur einem Membrandurchgang („single span membrane protein“) am carboxyterminalen Ende. Vom Menschen bis zu den Protozoen hinunter sind ungefähr 50 oder etwas mehr essenziell verschiedene Formen bekannt (abgesehen von sehr ähnlichen Paralogen bzw. „Ohnologen“ aus rezenten Gesamtgenom-Duplikationen bei Paramecium; Abschn. 17.10.5), die einigermaßen distinkte Organellspezifität zeigen. Im Endeffekt ist für die Fusion bei allen Exocytosesystemen einschließlich Synapsen die Interaktion von Ca2+ mit dem SNARE-Protein-gekoppelten Ca2+-Sensor-Protein Synaptotagmin entscheidend. Synaptotagmin ist ein „low capacity/high affinity“ CaBP, das in enger Verbindung mit den SNARE-Proteinen die Exocytose durch eine punktuelle Membranfusion einleitet. Viele detaillierte Analysen mit einer Palette an biochemisch-biophysikalischen sowie molekularbiologischen Analysen begleiteten diese Entwicklung. Synaptotagmin wurde von der Göttinger Gruppe um R. Jahn und T. Südhof 1991 als exocytoserelevant erkannt [54]. Südhof nahm sich des Ca2+-Bindeproteins Synaptotagmin weiterhin an; wie erwähnt, tauchen seine Ca2+-Bindedomänen nach Bindung von Ca2+ in die Lipiddoppelschicht ein und initiieren so die Fusion. Für diese Einsichten, auch in die Rolle der GTPasen und des Ca2+-Sensors Synaptotagmin, erhielten James E. Rothman, Thomas C. Südhof und Randy W. Schekman 2013 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Hätten das Nobel-Stiftungsstatut mehr als drei Preisträger erlaubt, wäre R. Jahn wohl dabei gewesen. Reinhard Jahn und sein Team am Max-Planck-Institut in Göttingen erkannten 1998 an SNAREs die sogenannte SNARE-Domäne. Hier gruppieren sich Aminosäuren um eine zentrale „0-Schicht“ („zero layer“) und gewährleisten so den reißverschlussartigen Verschluss („zipper“) der SNAREs zweier benachbarter Membranen in Richtung Membrananker, sodass die
9.9 · Endocytose
Membranen in fusionsbereiter Anordnung immer enger aneinandergebunden werden. R- und Q-SNAREs wurden unterschieden, je nach der Aminosäure in der 0-Schicht: Arginin oder Glutamin. Sie wurden vordem v- und t-SNAREs genannt, als kämen sie selektiv an Vesikel- bzw. Targetmembranen vor, was zwar häufig, aber nicht immer zutrifft. Das „Zippen“ der SNAREs allein aber genügt nicht. Wie mein mehrmaliger Gastforscher Kurt Rosenheck vom Weizmann Institut, Rehovot, Israel, bei Kongressen vorgerechnet hat, ist die elektro statische Abstoßung zu stark, um einen direkten Kontakt der beiden Membranen zu erzwingen. Es wird der Effekt des Synaptotagmins benötigt. (Kurt Rosenhecks Frau Alma verwaltete die Institutsbibliothek, wo sie mir stolz einige Memorabilien des Staatsgründers Chaim Weizmann zeigte.) Thomas Südhof ist ein interessanter Fall der Geschichte der Zellbiologie. Es war bereits alles für seine Rückkehr nach Deutschland vorbereitet (wie man mir anlässlich eines Seminarvortrags in Göttingen zeigte). Er wollte es aber nicht hinnehmen, dass er zu einer finalen Qualitätsprüfung einer Anhörung unterzogen werden und dann permanent vor Ort präsent sein sollte. Jedenfalls hat er sich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 3. Oktober 2015 entsprechend geäußert. „German super-correctness“ als Hindernis in der zellbiologischen Forschung bzw. deren internationaler Würdigung? Am Rande sei angemerkt, dass Thomas Südhof zur Preisverleihung wieder mit deutschem Pass einreiste und diesen bei Ankunft demonstrativ vorzeigte: „Ich habe wieder einen deutschen Pass“ (Berliner Zeitung vom 10. März 2014). 9.9 Endocytose
Unter Endocytose versteht man die Aufnahme von molekularen Komponenten über Vesikelabschnürung von der Zellmembran. (Dagegen wird die Aufnahme
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von geformten Partikeln wie Bakterien als Phagocytose bezeichnet, die bereits È. Metchnikoff in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Lichtmikroskop zugänglich war (7 Abschn. 9.12). Wenn Endocytose mit der Durchschleusung durch die Zelle verbunden ist, handelt es sich um Transcytose). Dabei kann es sich um gelöste Proteine oder um an Membranrezeptoren adsorbierte Proteine handeln (Liganden). Die Unterscheidung zwischen Flüssigphase-Endocytose („fluid phase endocytosis“ oder Pinocytose; „πινειν, pínein“ = trinken; „κύττος, kytos“ = Zelle) und adsorptive Endocytose ist so alt, wie man Oberflächenrezeptoren und die Bindung extrazellulärer Botenstoffe (Liganden) kennt. Diese Bindung verursacht dann das „Clustern“ von Rezeptor-Ligand-Komplexen und die innenseitige Anlagerung spezifischer Proteine (molekulare Filter) zur Einleitung der Endocytose. Frühe Untersuchungen hierzu mit elektronendichten Markern stammen ab den späten 1970er-Jahren von den US-Amerikanern Z. A. Cohn, I. S. Mellman und R. M. Steinman sowie von dem Schweizer J. Gruenberg. Steinman, US-Forscher kanadischer Herkunft, interessierte sich für Endocytose als Immunologe und wurde 2011 mit einem Nobelpreis bedacht. Zwischen Endocytose und Phagocytose liegt eine bereits in den 1930er-Jahren entdeckte, jedoch erst in den 1990er-Jahren vermehrt untersuchte Form der Endocytose, die Makropinocytose. (Sie ist immer noch weniger im Detail untersucht als andere Formen der Endocytose.) Der US-Amerikaner W. H. Lewis kam ihr ab 1931 in Makrophagen und Sarkomzellen auf die Spur. Hierbei überstülpt ein flächiger Zellfortsatz mit F-Aktin einen relativ großen Bereich (± 1 µm), fusioniert mit der Zellmembran und bildet auf diese Weise einen flüssigkeitsgefüllten Hohlraum, der ins Innere abgeschnürt wird. Der exocytosegekoppelten Endocytose ist ein eigener Abschnitt gewidmet, ebenso wie der Phagocytose (7 Abschn. 9.10 und 9.12).
Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
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Die adsorptiven Endocytosevesikel werden durch fortschreitende Eindellung der Zellmembran, etwa nach Rezeptor-Ligand-Bindung, durch cytoplasmaseitige Anlagerung des molekularen Filters Clathrin („κλῇθρα, klēthra“ = Gitter), das eine Art Gitter bildet, bis zur Kugelform deformiert und durch einen Ring aus Dynaminmolekülen abgetrennt. (Molekulare Filter werden in 7 Abschn. 9.11 vorgestellt.) Ähnliche Vesikel mit membranintegriertem Caveolin bilden sich ohne Clathrin, jedoch ebenfalls unter Beteiligung von Dynamin. Daneben wurde immer wieder bis in die jüngste Zeit eine clathrin- und caveolinfreie Form von Endocytosevesikeln diskutiert. Dies betrifft insbesondere die angeblich Flotillin/Reggie-basierten Endocytosevesikel, deren Existenz aktuell allerdings zu Recht infrage gestellt wird (7 Abschn. 5.6). Dynamin ist eine GTPase von ungewöhnlich hohem Molekulargewicht von nahezu 100 kDa; das ist ein Mehrfaches anderer GTPasen. Es wurde 1989 von H. S. Shpetner und R. B. Vallee als mechanochemisches Protein entdeckt [55]. Die entscheidende Funktion erkannten sie jedoch noch nicht, wenn sie schreiben:
» …
the likely role of the 100 kD protein in vivo is to bridge microtubules and generate force between them. Die wahrscheinliche Rolle des 100 kD Proteins in vivo ist, zwischen den Mikrotubuli Brücken zu bilden und zwischen ihnen Kraft auszuüben.
Zur Erkenntnis von Dynamin als Treiber der Endocytosevesikel trug 1991 die Analyse der shibire-Mutante von Drosophila durch eine kalifornische Gruppe bei [56]; bei dieser Mutante erschöpft sich der Neurotransmitterpool nach Stimulation sehr rasch, weil die Membranen der Neurotransmittervesikel wegen defekten Dynamins nicht recycelt werden. Im Elektronenmikroskop treten dann Aggregate von „coated vesicles“ in Erscheinung. Wenn Dynamin in Neuronen überexprimiert wird oder unter
dem Einfluss von GTP-γ-S steht (ein nicht hydrolysierbares γ-Thio-Derivat von GTP), sieht man langhalsige Endocytosevesikel an der Zellmembran, die einen unmittelbar an Afrikanerinnen oder Frauen aus Hinterindien erinnern, deren Hals durch immer mehr Halsringe im Wachstumsalter extrem lang gemacht wird („Giraffenhalsfrauen“). GTP-γ-S wirkt über eine Daueraktivierung der GTPase Dynamin. Eindrucksvolle Bilder dieser Art zeigte der italienischstämmige US-Amerikaner P. DeCamilli ab Mitte der 1990er-Jahre. Nach Erkenntnissen der 1970er-Jahre werden verschiedene Proteine, von Proteinen des Blutserums bis hin zu den Proteohormonen, an Oberflächenrezeptoren bestimmter Zellen selektiv gebunden und endocytiert (adsorptive Endocytose). Sie werden zunächst in ein peripher gelegenes netzartiges Kompartiment eingespeist (endosomales Kompartiment). Anfang der 1980er-Jahre sah die niederländische Gruppe von Hans Geuze nach Immunmarkierung von Liganden und/oder Rezeptoren an ultradünnen Gefrierschnitten, dass sich diese Moleküle in jenem Kompartiment aufgrund der Ansäuerung durch eine H+-ATPase/Pumpe voneinander trennen. Es wurde fortan ab 1983 auf das Akronym CURL getauft („compartment of uncoupling receptor and ligand”) [57]; heute trüge es den Namen „frühes Endosom“ oder besser „Recycling-Endosom“. Die Autoren hatten ein Glykoprotein des Blutserums untersucht, das nach Entfernung eines Sialinsäurerestes verlässlich abgebaut wird (Asialoglykoprotein). Dabei schnüren sich Vesikel zum Abtransport der Liganden in die Lysosomen ab, in denen sie abgebaut werden. Der Rezeptor hingegen kann bis zu Dutzenden Malen einen Recyclingprozess durchlaufen, wird aber früher oder später ebenfalls durch lysosomalen Abbau entsorgt und durch Neusynthese ersetzt. Dasselbe gilt auch für Lipoproteine des Blutserums und für manche Hormone. Dieser Vorgang kann einerseits einem regenerativen Prozess dienen,
9.10 · Exocytose-Endocytose-Kopplung
um defekte/alte Proteine abzubauen, andererseits jedoch auch helfen, die Zellen reaktiv zu halten, beispielsweise durch den dauernden Umsatz von Insulin. Dasselbe gilt, mit geringerer Umsatzrate, auch für die entsprechenden Rezeptoren. Eine weitere Funktion ist die Versorgung mit Lipiden und mit Cholesterin aus dem Abbau von Serumlipoproteinen. Da diese Funktionen die Lysosomen mit einbeziehen, sei hier auf 7 Abschn. 13.2 verwiesen. Als Transcytose bezeichnet man das Durchschleusen von gelöstem Material, bevorzugt Proteine, in unveränderter Form mittels kleiner Vesikel durch die Zelle. Beispielhaft gilt dies für Hormone, die unter Erhaltung ihrer Wirksamkeit durch Endothelzellen geschleust werden müssen. Hier werden die Liganden nicht innerhalb der Zelle von ihren Rezeptoren getrennt. Hormone können unverändert durch Blutgefäße geschleust werden oder aber auch Immunglobulin E und andere Immunglobuline aus der Muttermilch durch die Darmwand bei der passiven Immunisierung des Säuglings; hier erfolgt die Freisetzung der Antikörper auf der Gegenseite aufgrund des lokalen pH-Wertes. Die entsprechenden „Fährboote“ sind die von Caveolae abgeleiteten Caveosomen; ihnen ist ein eigener Abschnitt gewidmet (7 Abschn. 5.6.3). Anfangs, bereits 1957, war dieser Vorgang von D. H. Moore und Helmut Ruska (dem Bruder des „Erfinders“ des Elektronenmikroskops) mit dem hässlichen und unhaltbaren Namen Cytopempsis belegt worden. 9.10 Exocytose-Endocytose-
Kopplung
Nach erfolgter Abgabe des Inhalts könnte die Membran eines Exocytosevesikels entweder in die Zellmembran integriert oder als leeres Endocytosevesikel zurückgeholt werden. Letzterer Mechanismus dominiert bei Weitem in den verschiedenen Systemen. Drei Gruppen versuchten daher um 1980
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voneinander unabhängig die Exocytose-Endocytose-Kopplung an chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks intravital zu untersuchen, z. B. durch Immunmarkierung der endogenen Dopamin-β-Hydroxylase. Diese wird auf der Innenseite der chromaffinen Sekretvesikelmembran zugänglich, sobald sich eine Exocytoseöffnung gebildet hat. Die Kopplung erwies sich in allen drei Labors als sehr langsam. Das passte nicht zum elektronenmikroskopischen Bild, wo man Endocytosesprozesse auch nach massiver Stimulierung nur selten zu sehen bekam. Aus der Sicht späterer Experimente musste hierbei wohl die Markierung im Vitalzustand zu einer beträchtlichen artifiziellen Verlangsamung geführt haben, wahrscheinlich durch eine Vernetzung des luminalen Antigens. Dass dies der Fall ist, konnte allerdings erst etwa ein Jahrzehnt später, und zwar unabhängig voneinander mit neuartigen Methoden, aufgeklärt werden: (i) mit der Kryofixation und Elektronenmikroskopie an Paramecium-Zellen (unser Labor) bzw. (ii) mit Patch-Clamp-Analytik an chromaffinen Zellen (Labor Neher). Ein wesentlicher Faktor für die Synchronisierung von Exocytose und Endocytose ist wohl der subplasmalemmale Anstieg von [Ca2+]i bei der Exocytose, von dem der nachfolgende Endocytoseschritt noch profitieren kann. Für ihre Patch-Clamp-Analysen (7 Abschn. 9.6.3) setzen Erwin Neher und Bert Sakmann auf die Zelloberfläche feine Pipetten auf, die gut abgedichtet sind, und verwenden sehr leistungsfähige Verstärker, sodass elektrophysiologische Parameter bis zu einzelnen Exocytoseöffnungen von 1 pSi Leitfähigkeit, entsprechend einem Durchmesser von ≈ 1 nm, im Submillisekundenbereich gemessen werden können. (Weder die räumliche noch die zeitliche Auflösung wären mit elektronenmikroskopischen Präparations- und Analyseverfahren je erreichbar gewesen.) Die Methodik erlaubte bereits ganz zu Anfang ihrer Entwicklung, ab 1982, hochaufgelöste Analysen des Exocy-
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Kapitel 9 · Dynamik intrazellulärer Prozesse: Gleitschienen, Zugstränge und gezielte „Paketzustellung“
toseprozesses [42]. Es erlaubte den Fortschritt der Exocytoseanalyse vom Steinzeitalter in ein goldenes Zeitalter, wie ich es einmal bei einem Kongress formuliert habe, als ich Erwin Neher als Vortragenden einführen durfte. Nur für die Analyse der schnellen Ankopplung der anschließenden Endocytose musste noch die Entwicklung stärkerer Signalverstärker abgewartet werden. Eine detaillierte Analyse der Exocytose-Endocytose-Kopplung erreichte 1991 eine in unserem Labor (G. Knoll) etablierte Technikkombination [44]: Quenched-Flow/ Kryofixation (Schnelleinfrieren) während synchroner Triggerung des Exocytose-Endocytose-Prozesses an Paramecium-Zellen, gefolgt von Gefrierbruchanalysen, die an diesem Objekt die Exocytoseorte im Elektronenmikroskop klar identifizieren lassen. Aus Messungen mit Mini-Thermoelemen-ten von P. Pscheid habe ich die Abkühlrate auf ≥ 40,000°C (K) geschätzt – die etwas niedereren Originaldaten sind wohl eine systembedingte Unter-schätzung, u. a. trotz der sehr geringen Eigenmasse des Sensors. Für alle Exocytoseereignisse in der gesamten untersuchten Zellpopulation fanden wir eine Zeitdauer von 80 ms nach Stimulation, gefolgt von 320 ms für die Wiederversiegelung. Dies entspricht einer unerwartet schnellen Exocytose-Endocytose-Kopplung mit einer apparenten Zeitkonstante für die beiden Schritte, τexo = 57 ms bzw. τendo = 126 ms. Eine Extrapolation aus der Anzahl von Punktfusionen auf deren Lebensdauer ergab einen Schätzwert von [Na+]i und [K+]i >> [K+]e. Aus der Ungleichverteilung ergibt sich ein elektrisches Ruhepotenzial. Bei elektrischer Erregung, durch einen Nervenimpuls ausgelöst, ändert sich die Permeabilität der jeweiligen Ionenkanäle, und Na+ strömt in die Zelle, begleitet von einem nur leicht verzögerten Auswärtsstrom von K+. Das resultierende Aktionspotenzial reflektiert die anfängliche Depolarisation durch den Einstrom von Na+ und die anschließende Repolarisierung durch den K+-Auswärtsstrom. Die Ladungskurve startet also beim Ruhepotenzial von größenordnungsmäßig –50 mV (bedingt durch die Verteilung aller Kationen [und Anionen wie Cl−]) und steigt als Aktionspotenzial binnen ≈ 1 ms auf grö-
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ßenordnungsmäßig +30 mV, um sogleich binnen weniger Millisekunden auf das Ruhepotenzial (oder leicht darunter) abzufallen. Diese richtungweisenden Experimente führten die Briten A. L. Hodgkin und Andrew F. Huxley mit Riesenaxonen einer Tintenfischart durch, die sich zu Anfang der Elektrophysiologie leichter bearbeiten ließen. Sie erhielten 1963, zusammen mit dem Australier Sir John C. Eccles (den ich noch als Gast und Vortragenden an der Universität Konstanz erleben konnte), den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Im Übrigen sei daran erinnert, dass die Ruheverteilung von Na+ und K+ durch die Na+/K+-ATPase (7 Abschn. 5.7.1) unter ATP-Verbrauch wiederhergestellt wird. Sie beansprucht nahezu ca. 30 % unserer Energiebilanz, allein um Neurone handlungsfähig zu halten, also bevor wir noch zu denken beginnen. Von besonderer Wichtigkeit war auch die Erfindung der Spannungsklemme 1947 durch die US-Amerikaner K. S. Cole und G. Marmont; dabei wird das Membranpotenzial festgehalten, und rechteckige Impulse werden aufgesetzt, um den Anteil verschiedener Ionen am Signal in Abhängigkeit von der Spannung zu bestimmen (7 Abschn. 5.2). Leider vertrugen sich die beiden Erfinder nicht besonders gut, sodass konkrete Problemlösungen erst durch die beiden Briten Hodgkin und Huxley ein paar Jahre später zustande gekommen sind [2]. Was aus diesen Arbeiten noch nicht ersichtlich war, ist die Rolle von Ca2+-Ionen als Auslöser der Kontraktion der Muskelzelle, genauer gesagt: des intrazellulären Aktomyosinsystems. Ca2+ war wohl der erste intrazelluläre Zweitbote, der in den 1950er-Jahren identifiziert wurde, und zwar als Auslöser der Muskelkontraktion. Es entstand das Konzept der Stimulus-Kontraktions-Kopplung („excitation-contraction coupling“). Es wurde zunehmend erkannt, dass die Depolarisierung der Zell-
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
membran das obligate Vorspiel für die Aktivierung von zwei Arten von Ca2+-Kanälen ist, die sich einerseits in der Zellmembran und andererseits im sarkoplasmatischen Retikulum der Muskelzelle befinden. (Nomenklatorische Ergänzung: Allgemein wird die Zellmembran auch als Plasmalemm(a) bezeichnet [„λῆμμα, lēmma“ = eigentlich das „Genommene“ oder das „Angenommene“], als Sarkolemm dagegen speziell die Zellmembran der Muskelzelle; das sarkoplasmatische Retikulum ist eine Spezialform des endoplasmatischen Retikulums einer Muskelzelle). Zunächst ein paar Erläuterungen zu den Ca2+-Kanälen [3]. Ca2+ ist der am weitesten verbreitete Second Messenger. Es kann von außen in die Zelle einströmen, aus inneren Speichern freigesetzt werden, oder
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beide Mechanismen können miteinander kombiniert sein. Auch kann Ca2+ mit anderen Second Messengers kooperieren, wobei das eine das andere bedingen kann. Häufig sind die Ca2+-Signale räumlich und zeitlich eng begrenzt, und es ist wichtig, dieses mit Ca2+-Fluorochromen visualisieren zu können (. Abb. 10.2). In der Zellmembran der Muskelzelle befindet sich ein spannungssensitives Protein, der Dihydropyridinrezeptor (DHPR); hier steht eine Droge Pate bei der Identifikation eines wichtigen Proteins. Dieser Rezeptor ist ein Ca2+-Influxkanal, der in der Skelettmuskelzelle physisch jeweils an einen Ca2+-Freisetzungskanal im sarkoplasmatischen Retikulum gekoppelt ist. (Insgesamt gibt es davon natürlich viele in den jeweiligen Membranen.) Letztere sind vom
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10 µm
. Abb. 10.2 In-vivo-Registrierung von Ca2+-Signalen mit Fluorochromen am Beispiel der Paramecium-tetraurelia-Zelle, (a) in Falschfarbenabbildung und (b) in zeitlich aufgelösten Diagrammen. Der Fluorophor musste injiziert und die Zellen mussten mechanisch ruhiggestellt werden, bevor lokal (Pfeilspitze) Sekretagog appliziert wurde. In (a) ermöglichte dies die kalibrierte Doppelwellenlängen-Registrierung (f/f0) in einem Zeiss-405-Umkehrmikroskop mit mechanischem Filterwechsel und dem Fluorophor Fura Red für Falschfarbenabbildungen über 20 s. In (b) wurde an der immobilen Mutante d4-500r eine zeitlich wesentlich besser aufgelöste Analyse über 6 s mit Doppelwellenlängen-Registrierung mit dem Fluorochrom Fluo-3 in einem konfokalen Laserrastermikroskop mit schnellem optoakustischem Wellenlängen-Filterwechsel durchgeführt. Durch Registrierung in einem 10 µm breiten Bereich im Zellcortex und in einem gleich breiten Bereich mit den Cilien in dieser Mutante, die keine relevanten Ca2+-Influxkanäle besitzt, konnte belegt werden, dass hier Ca2+ während der Exocytose in die Cilien hineingespült wird (Spill-over-Effekt). (Normalerweise wird die Cilientätigkeit, wie die stimulierte Schlagumkehr, nur über Ca2+ gesteuert, das von außen über ciliäre Kanäle einströmt.). (Quellen: (a) [48], (b) [12])
10.1 · Elektrische Signale mit und ohne Zweitboten und Ca 2+ als Zweitbote
Typ Ryanodinrezeptor (RyR). (Ryanodin ist das Toxin der Ryania-Pflanze, die zu den Weidengewächsen [Salicaceae] gehört.) Es ist interessant festzustellen, dass die Identifikation – wie so häufig in der Zellbiologie – über Toxineffekte erfolgte, bevor die weitere Charakterisierung durch die Identifikation physiologischer Aktivatoren und durch die Molekularbiologie verfügbar wurde. Die physische Kopplung der Kanalproteine Dihydropyridinrezeptor und RyR in den beiden Membranen der Muskelzelle zeigt an, dass sie auch funktionell miteinander gekoppelt sind, und zwar wie folgt. Die Depolarisation der Zelle bewirkt eine konformationelle Änderung des Sensorproteins (Dihydropyridinrezeptor), die sich auf die Ca2+-Freisetzungskanäle im sarkoplasmatischen Retikulum überträgt, sodass die Depolarisation zum Auswärtsstrom von Ca2+ aus dem sarkoplasmatischen Retikulum führt. Diese konformationelle Kopplung („conformational coupling“) der Kanäle wurde ab 1996 von mehreren Autoren aufgeklärt. An Herzmuskelzellen wurde dagegen gefunden, dass nach der Depolarisation der Einstrom von Ca2+ über den Dihydropyridinrezeptor eine Ca2+-induzierte Ca2+-Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum hervorruft („Ca2+-induced Ca2+ release“,CICR-Mechanismus; 7 Abschn. 9.6.3). Dies ist ein Mechanismus, der in den 1980er-Jahren beschrieben wurde und auch in Nicht-Muskelzellen vorkommt. Welches sind die intrazellulären Effekte von Ca2+ bei der Muskelkontraktion? Die Hauptakteure sind filamentäres (F-) Aktin und Myosin, die jeweils 1943 bzw. 1930 entdeckt wurden. Zunächst muss man sich die Anordnung zweier kontraktiler fadenförmiger Proteine, Aktin und Myosin, im Muskel vor Augen halten. Die Strukturierung war bereits seit Langem aus der Lichtmikroskopie bekannt, wurde jedoch erst in den 1950er-Jahren von Hugh E. Huxley durch Röntgenbeugung und elektronenmikroskopische Bilder erhärtet [4]. Eigentlich sind die einzelnen Proteine für sich al-
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lein ja nicht kontraktil, sondern nur durch die Verschiebung gegeneinander wird eine Kontraktion erzielt, und zwar auf folgender Basis: Im Skelettmuskel sind die beiden Filamente parallel zur Zelloberfläche abwechselnd hintereinander angeordnet, und zwar in vielen aufeinander gesetzten, „Sarkomere“ genannten Abschnitten. Viele solcher nur wenige Mikrometer großen Sarkomere folgen in einer Muskelzelle (Myocyt) in ganzer Länge aufeinander, sodass die Muskelzelle im Lichtmikroskop quergestreift aussieht. Aktin ist in jedem Sarkomer an einer Z-Scheibe mit α-Aktinin verankert, das dickere Myosin liegt dazwischen. Jedes Myosinmolekül hat einen Schwanzteil und ein Köpfchen. Die Schwänze lagern sich zu einigen Dutzenden antiparallel aneinander, sodass an beiden Enden nur die Köpfchen frei bleiben. Die Anordnung der Myosinmoleküle sieht aus, wie wenn zwei Blumensträuße mit den Stielen ineinandergeschoben wären. Diese sind es, die unter Beteiligung von Ca2+ mit den Aktinfilamenten wechselwirken können, indem diese teleskopartig parallel zu den beiden Z-Scheiben hin verschoben werden (Gleitfilamenttheorie von Huxley aus dem Jahr 1953). So kontrahiert sich das Aktomyosin in jedem Sarkomer und in allen Sarkomeren eines Muskels, woraus sich die makroskopisch sichtbare Kontraktion ergibt, wenn wir die Muskeln spielen lassen. Da die Zellmembran über ihre gesamte Fläche depolarisiert wird, ermöglicht dies eine synchrone Kontraktion aller Sarkomere über die gesamte Muskelzelle. Der ungarisch-amerikanische Nobelpreisträger (1937) Andrew G. Szent-Györgyi konzentrierte seine Arbeiten von Anfang der 1940er- bis in die 1970er-Jahre hin auf die Aufgabe, die einzelnen Proteinkomponenten und biochemischen Akteure in ein Gesamtbild zu integrieren. Die Wechselwirkung von Aktin und Myosin ist nur möglich, wenn ein Ca2+-Anstieg an einem dazwischen gelagerten Protein, dem Troponin C, über eine Konformationsänderung
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
die Bindestelle für Myosin am Aktinfilament freigibt. Dies ist der Anteil von Ca2+ an der Kontraktion. Troponin C wurde als kritischer Faktor ab den 1950er-Jahren vermutet, aber erst in den 1970er-Jahren konkretisiert. Unter Hydrolyse von ATP kann die Bindung von Myosin über Troponin C an Aktin wieder gelöst werden. Diese Weichmacherfunktion von ATP entfällt naturgemäß im Stadium der Totenstarre, bis lytische Prozesse eine endgültige Erschlaffung bewirken. Eine spezielle Modifikation von quergestreiften Muskelzellen sind die Elektroplax („elektrische Organe“) verschiedener Fische, an denen sie bereits im 18. Jahrhundert identifiziert wurden. Erst im vergangenen Jahrhundert wurde festgestellt, dass hier modifizierte Muskelzellen in Serie geschaltet sind, mit einer Innervation einer jeden einzelnen Zelle, die den neuromuskulären Kontaktzonen der quergestreiften Muskulatur sehr ähnlich ist. Ihre Serienschaltung erlaubt auf einen nervösen Impuls hin die Erzeugung elektrischer Signale mit bis zu ~ 860 V Spannung beim südamerikanischen Zitteraal Electrophorus electricus und mit ungefähr zehnfach geringerer Spannung beim atlantischen und mediterranen Zitterrochen Torpedo marmorata, der bis zu 60 V-Signale mit einer Stromstärke von 60 Ampère zuwege bringt. Damit lassen sich Beutefische lähmen oder Feinde abschrecken; für einen Taucher wäre es das Erlebnis eines starken Faustschlages. Stärker sind die Spannungsschläge des Zitterwelses (Malapterurus electricus, 350 V), deren Elektroplax sich aus Drüsenzellen der Haut entwickelt hat. Dies ist wieder einmal ein Beispiel für den „Erfindungsreichtum“ der Natur. Zellen von Elektroplax haben eine reduzierte Innenstruktur; dafür ist ihr postsynaptischer Faltenapparat stark ausgeprägt, mit dicht gepackten Rezeptoren für den Neurotransmitter Acetylcholin. Dies zog in den 1970er-Jahren das Interesse der Zell-
biologen auf sich – einmal, um diese Acetylcholinrezeptoren zu isolieren, und zum anderen, um an Membranen die Ultrastruktur der Rezeptorproteine mit Methoden der molekularen Elektronenmikroskopie zu untersuchen (7 Abschn. 14.9.3). Indes gab es medizinisches Interesse an „elektrischen Fischen“ bereits im klassischen Altertum und im Mittelalter: Die Ärzte Dioscurides (1. Jahrhundert n. Chr.), Galen (129–199 n. Chr.) und Avicenna (Ibn Sina aus Usbekistan, 980–1037) empfahlen sie für die Therapie von Epilepsie und von chronischen Kopfschmerzen. Da hier auch die moderne Medizin heute noch einigermaßen hilflos ist, hört sich das recht modern an. Dagegen greift die auf Distanz eingesetzte Elektroimpulswaffe („Elektroschockpistole“ oder „Taser“), die von der Exekutive aus verschiedenen Gründen zur Inaktivierung von Einzelpersonen eingesetzt wird, nicht auf alte Kenntnisse der Biologie zurück. Hier werden vielmehr zwei nadelförmige Projektile mit Verbindung zur Waffe abgeschossen, um durch einen Stromfluss eine Immobilisierung einzuleiten. Die in den vergangenen paar Jahren entwickelten drahtlose Modelle mit Stromstärken im Milliampère-Bereich kommen – ob man es will oder nicht – den biologischen Systemen etwas näher. Erst nach den zahlreichen Befunden am quergestreiften Muskel konnten mit Verzögerung an glatten Muskelzellen und an unterschiedlichen Nicht-Muskelzellen ähnliche Befunde erhoben werden. In glatten Muskelzellen ist Aktomyosin weniger stringent, also nicht in deutlich erkennbaren Sarkomeren angeordnet. In Motoneuronen und neurosekretorischen Zellen (Nebennierenmark) strömt Ca2+ überwiegend über spannungsabhängige Ca2+-Kanäle aus dem extrazellulären Raum ein, sobald die Zellen durch Depolarisation aktiviert werden (was wiederum durch Neurotransmitter aus vorgeschal-
10.1 · Elektrische Signale mit und ohne Zweitboten und Ca 2+ als Zweitbote
teten Neuronen als Primärboten eingeleitet wird). Es erfolgt die Transmitterfreisetzung im nachgeschalteten Neuron. Hier erbrachte die Identifikation von biogenen Ca2+- Kanalblockern ab 1995 wesentliche Erkenntnisse (7 Abschn. 14.9). Das soll nun nicht allzu detailliert dargestellt werden, aber es gibt auch in Neuronen Ca2+- Freisetzungskanäle vom RyRTyp. Daneben gibt es Kanäle, die durch Inositol-1,4,5-trisphosphat aktiviert werden (InsP3-Rezeptoren, InsP3R; vgl. 7 Abschn. 10.2). (Beide Kanaltypen gibt es bereits bei Ciliaten wie Paramecium, RyR als Vorläuferstrukturen sowie „echte“ InsP3-Rezeptoren.) Ab den 1980er-Jahren konnte der Konstanzer Biochemiker Dirk Pette Muskeltypen verschiedener Art durch Elektrostimulation mit unterschiedlicher Frequenz umdifferenzieren und dabei das Expressionsmuster von mRNA und Proteinen verfolgen [5]. Damit können Muskelzellen gestärkt oder auch in ein anderes Aktivitätsmuster umgeformt werden. Aktuell wird das Verfahren therapeutisch und unter dem Stichwort Elektromyostimulation (EMS) in eigenen Studios für die kosmetische Verbesserung zu athletischem Aussehen angeboten. In Neuronen spielt zwar das schwach ausgebildete Aktomyosinsystem nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle; der Anstieg von [Ca2+]i auf eine Depolarisierung hin schwappt jedoch ausreichend tief in die Nervenendigung hinein und bewirkt dort eine Ablösung der Transmittervesikel von den Aktinfilamenten, sodass neue Vesikel an die Zellmembran angedockt werden können (7 Abschn. 9.5.2). Dies sind nur einige Beispiele dafür, mit welcher Komplexität und gegenseitiger Verzahnung einzelne Schritte des Zellgeschehens miteinander in Wechselwirkung treten. Ca2+ ist ein wesentlicher Faktor auf allen Ebenen der Bildung und Prozessierung
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von Keimzellen in tierischen (und teilweise auch in pflanzlichen) Organismen, bei deren Reifung, bei der Befruchtung und darüber hinaus. Bereits in den 1980er-Jahren hat man an den relativ großen Eizellen der Seeigel wesentliche Grundkenntnisse einholen können, denn ihre Größe machte sie frühzeitig zugänglich für die Mikroinjektion von Fluorochromen. In der Eizelle ist eine Reihe verschiedener Ca2+-Kanäle beteiligt, sei es in der Zellmembran, sei es im endoplasmatischen Retikulum (ER). Dies gilt von den Nematoden bis zu den Vertebraten. Bei den Vertebraten beobachtete man in allen Ordnungen während der Befruchtung über Minuten hinweg cytosolische Ca2+-Signale, die bei Muscheln und Säugetieren oszillieren. Spezifische Details wurden von Stein et al. (2020) in Open Biology zusammengefasst (7 http://dx.doi.org/10.1098/ rsob.200118). Den Signalen folgen die Wiederaufnahme in das ER und die Extrusion von Ca2+ über die PMCA der Zellmembran. Ebenfalls ab den 1980er-Jahren wurden Details zur Rolle von Ca2+ in Spermatozoen bekannt. Ca2+ wird nicht nur für die oszillierende Bewegung des Flagellums und die Chemotaxis der Spermatozoenzelle, sondern auch für den Befruchtungsvorgang benötigt. Ein Ca2+-Signal ist erforderlich für die „Capacitation“, d. h. für die Bindung an der Zona pellucida der Eizelle – die Akrosomenreaktion und die Fusion der Gameten (7 Abschn. 14.7.2). Die Akrosomenreaktion umfasst die Exocytose des Akrosoms, das als ausgedehntes, flaches subplasmalemmales Lysosom dem Kern oberseits überlagert ist. Auch hier werden Oszillationen von [Ca2+] beobachtet (Mata-Martínez et al. 2021; 7 https:// doi.org/10.1016/j.biosystems.2021.104524). Zusammenfassend lässt sich schließen: Ohne Ca2+ gäbe es keine Fortpflanzung.
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
10.2 Kleine organische Moleküle
(Metaboliten) als Zweitboten
10
Das vorhin angesprochene InsP3 wird bei Stimulation aus Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat gebildet. (Inositol ist eine Hexose, also ein Zucker mit einem Ring aus sechs Kohlenstoffatomen.) InsP3 aktiviert die InsP3-Rezeptoren, die als Ca2+-Freisetzungskanäle dienen. Beide Kanaltypen, InsP3- und Ryanodinrezeptoren, können in manchen Zelltypen nebeneinander vorkommen. Die gilt auch für die Spines von Purkinje-Zellen und Pyramidenzellen des Kleinhirns bzw. des Cortex unseres Großhirns, die zusätzlich auch noch spannungsabhängige Ca2+-Influxkanäle und Glutamatrezeptoren mit Ca2+-Kanal-Funktion in ihrer Zellmembran bzw. auch in Endomembranen aufweisen (7 Abschn. 17.10). Die Etablierung von InsP3 als Zweitbote beruht auf einer speziellen Konstellation in der Forschung um 1980. Relata refero: Der Brite Michael Berridge interessierte sich breitflächig für Ca2+ als Zweitboten, der US-Amerikaner Robert H. Michell beschäftigte sich mit dem Metabolismus von Inositolphosphaten und hatte bereits einen Effekt bei deren Fehlsteuerung in einem neuronalen System beobachtet. Da kamen die Arbeiten der Deutschen Irene Schulz gelegen, die es verstand, Zellen schonend zu permeabilisieren. So konnte exogenes InsP3 in die quasiüberlebenden Zellen eingeschleust und sein Effekt untersucht werden, und es wurde der InsP3-Rezeptor gefunden, wie Michell 2013 berichtet hat [6]. Die unterschiedlichen Arten von Ca2+-Freisetzungskanälen sind in der Zelle häufig differenziell positioniert. Damit kann ein sehr lokal begrenzter Ca2+Puls gesetzt werden. Dies ist wichtig für die präzise Lokalisierung des Effekts eines Ca2+-Signals sowie für die Vermeidung einer Überschwemmung mit Ca2+ und die Rückführung von [Ca2+]i zum Ruhewert
unter geringem Energieaufwand. Dazu muss man sich noch einmal vor Augen halten, dass Ca2+ wegen der schlechten Löslichkeit der allgegenwärtigen Phosphatverbindungen eigentlich toxisch wäre, würde es nicht räumlich und zeitlich in seiner Konzentration beschränkt. Darauf wird im 7 Abschn. 17.8 zur Evolution der Zelle noch einmal zurückzukommen sein. Ein in vielen Zelltypen beobachteter Aktivierungsmodus läuft über 3‘,5‘-cyclisches Adenosinmonophosphat (cAMP), das über eine Adenylatcyclase aus ATP gebildet wird. Amüsant ist die Entdeckungsgeschichte von cAMP als Second Messenger durch Leon Heppel, Mikrobiologe an der Cornell University und Mitglied der US-Academy of Science. (Heppel war mir bekannt, weil ich im selben Department bei Gottfried Schatz einen Teil meiner Arbeiten als Postdoc abwickelte und er für uns eine Publikation in den Proceedings of the National Academy of Science USA aus der Taufe hob.) Er war als sehr höflich bekannt, weil er Besucher immer großzügig durch die Türen vorausgehen ließ. Mit Schmunzeln war ihm nachgesagt worden, dass ihm, dem Mikrobiologen, Türklinken als Mikrobenfallen nicht ganz geheuer seien – so wie wir das heute während der Corona-Pandemie auch selbst empfinden. Damals waren die Sicherheitsstandards noch unterentwickelt, wohingegen sie wenige Jahrzehnte später übertrieben wurden, indem z. B. alle Enterobacteriaceae, auch nachweislich ungefährliche, – entgegen dem Expertenrat – in einer verschärften Sicherheitsstufe aufgelistet wurden. Damals hätten wir beinahe unser Labor schließen müssen, aber im Endeffekt musste lediglich ein zusätzlicher Seifenspender montiert werden. Zellbiologie ohne Not am Existenzlimit wegen nicht-zielführender Verordnungen! Als hoch angesehener Kollege erhielt Heppel viel Post, deren Lektüre ihm jedoch zu viel Zeit von seiner wertvollen Forschungsarbeit weggenommen hätte. So
10.2 · Kleine organische Moleküle (Metaboliten) als Zweitboten
hatte er sich entschlossen, Briefe zu stapeln und nur in größeren Zeitabständen zu beantworten. Da gab es einmal in zeitlichem Abstand Post von zwei Kollegen: Einer von ihnen berichtete über eine eigenartige, neuartige niedermolekulare Verbindung; der andere hatte ein neuartiges Phänomen an seinen Zellen beobachtet. Heppel durchschaute die Problematik, zögerte nicht lange und ermunterte die beiden Kollegen, sich auszutauschen. Lesen wir seinen Bericht in „JBC centennial 1905–2005. 100 years of biochemistry and molecular biology: Reminiscences of Leon A. Heppel“ im Journal of Biological Chemistry:
» Later on, I had an interesting interaction
with Markham and Sutherland. Dr. Markham found that heating ATP with dilute alkali caused the formation of substantial quantities of a new compound whose properties puzzled him, as he related in a letter to me. At a later date, Dr. Sutherland wrote about a compound isolated from liver in minute quantities. It was biologically active. The two letters ended up in different parts of a pile of mail. However, one day I chanced to reread both letters and I figured that these compounds were the same. This turned out to be so, and thus cyclic adenylic acid became readily available. [7]
» [Später
hatte ich eine interessante Interaktion mit Markham und Sutherland. Dr. Markham fand, dass die Erhitzung von ATP in einer verdünnten Alkalilösung die Bildung beträchtlicher Mengen einer neuen Verbindung hervorbrachte, deren Eigenschaften ihn erstaunten, wie er in einem an mich gerichteten Brief darstellte. Später berichtete Dr. Sutherland über eine aus der Leber in geringer Menge isolierte Substanz. Sie war biologisch aktiv. Beide Briefe endeten in zwei verschiedenen Stapeln meiner Post. Jedoch hatte ich eines
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10
Tages zufällig beide Briefe wieder gelesen, und ich ahnte, dass beide Substanzen identisch sind. Es stellte sich heraus, dass es sich genau so verhielt, und so wurde cyclische Adenylsäure leicht verfügbar.]
So wurde die Karriere von cAMP als Zweitbote in den späten 1950er-Jahren eingeläutet. Als der eigentliche Entdecker von cAMP als intrazellulärem Botenstoff, 1957, gilt der US-Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin Earl W. Sutherland [8], dem wir in 7 Abschn. 10.7 in breiterem Zusammenhang der Signaltransduktion noch einmal begegnen werden. cAMP wirkt häufig in Verbindung mit Ca2 + und Proteinkinase-A-Aktivierung (PKA). Dazu gesellte sich später cGMP als cyclisch gebauter Zweitbote zur Aktivierung der Proteinkinase G (PKG). Die Phosphorylierung verschiedener Zielproteine durch PKA oder PKG kommt dann der Umsetzung eines extrazellulären Befehls gleich, der durch den Erstboten übermittelt worden war. cAMP und cGMP werden aus den jeweiligen Nukleosidtriphosphaten, ATP bzw. GTP, unter Vermittlung der jeweiligen Cyclasen durch Abspaltung zweier Phosphatreste (Pyrophosphat) gebildet. Dazu kam – allerdings erst um das Jahr 2010 – die cyclische Adenosindiphosphoribose (cADPR) als physiologischer Aktivator der Ca2+-Freisetzungskanäle vom RyR-Typ in Membranen intrazellulärer Speicher wie dem endoplasmatischen Retikulum ([9]; 7 Abschn. 10.4.3). (Bis dahin hatte man sich mit dem pflanzlichen Alkaloid Koffein [„caffeine“] als Aktivator beholfen.) cADPR entsteht unter Vermittlung der ADP-Ribosylcyclase aus dem allgegenwärtigen Metaboliten Nikotin(amid) adenindinukleotidphosphat (NADP), das im Cytosol, etwa beim Fettsäuremetabolismus, als Akzeptor von Protonen (H+) dient. Der deutsche Biochemiker A. H. Guse hat ab den 2000er-Jahren seine Arbeit auf diese Signale konzentriert.
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
10.3 Flexible Ca2+-Signalgebung
und Nachweismethoden
10
Wenn man sehen wollte, ob ein Ion wie Ca2+ für bestimmte Funktionen wichtig ist, wurde erst einmal auf Ca2+ im Medium verzichtet. Mit Ca2+ ist dies jedoch ein gefährliches Unterfangen, weil manche Zellen sehr rasch und ultimativ auf eine solche Null-Calcium-Diät reagieren. Dieses erfährt ein jeder, der beispielsweise mit Ciliatenzellen arbeitet. Eine ähnliche Erfahrung machte der britische Physiologe Sidney Ringer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als er seine Gewebeproben – wie in 7 Abschn. 5.1 angedeutet – sorgsam und präzise in destilliertem Wasser angesetzt hatte. Er war erfolglos – im Gegensatz zu seinem Adlatus, der sich kurzerhand am Leitungswasserhahn bedient hatte und stets Erfolg vermelden konnte. Wiederum so ein kreativer Irrtum… 10.3.1 Intrazellulärer Nachweis
von Ca2+ und Registrierung seiner Dynamik
Wie kann man intrazelluläre Werte von Ca2+-Konzentrationen, [Ca2+]i, und deren Änderungen überhaupt messen? Dieses Ziel der Ca2+-Registrierung wurde mit zwei Methoden angepeilt: (i) mit Ca2+-spezifischen Elektroden und (ii) mit Ca2+-spezifischen Chelatoren, die in weiterer Folge zu Ca2+- Fluorochromen (Ca2+-Fluorophore) ausgebaut wurden. Ca2+-„Selektroden“ wurden zwar ab 1950 verfügbar, blieben jedoch bis 1970 viel zu dick, um sie in Zellen einzuführen. Wesentliche Fortschritte wurden mit Ca2+-Chelatoren erzielt, die – mit verschiedener Bindekonstante KD und Zeitkonstante τ ausgestattet – über Konzentration und Zeitverlauf von [Ca2+]i innerhalb von Zellen im Verlauf einer Stimulation Auskunft geben können. Dazu gehören EGTA (Ethylenglykol-bis[a-
minoethylether]-N, N, N′, N′-tetraacetat) und BAPTA (1,2-bis[o-Aminophenoxy]ethan-N,N,N′,N′-tetraacetat). Davon abgeleitete Fluorochrome, wie Fura-2, Indo-1, Fluo-4 und Calcium Green-1, erlauben es, noch besser die Änderungen von [Ca2+]i sichtbar zu machen und in seiner Dynamik zu lokalisieren. Der chinesischstämmige US-Forscher Roger Y. Tsien hatte 1980 den neuartigen Ca2+-Fluoreszenzindikator Quin-2 synthetisiert. Um die Indikatoren nicht mühsam in die Zellen injizieren zu müssen, wurden auch membrangängige Derivate, Acetoxymethylester, produziert; das erste derartige Produkt wurde 1981 von R. Tsien publiziert [10]. In der Regel spalten cytosolische Esterasen den Esterteil ab und aktivieren so den Fluoreszenzindikator. Für Roger Tsien war dies einer der Schritte zum Nobelpreis für Chemie (2008), wozu überdies auch seine Befassung mit GFP („green fluorescent protein“) und seinen Derivaten als molekulargenetisch einsetzbare Marker entscheidend beigetragen hat (7 Abschn. 4.7). Inzwischen gibt es eine Palette von weiteren Ca2+-spezifischen Fluorochromen und fluoreszierenden Proteinen mit entsprechenden Eigenschaften. Zur Erinnerung: Diesem Anspruch werden die mit dem Akronym GECIs („genetically encoded calcium indicators“) belegten künstlichen Sensorproteine gerecht, die ab 2000 entwickelt wurden (7 Abschn. 4.7). Die gemessenen Werte für freies Ca2+, [Ca2+]i, in Zellen schwanken zwischen einem Ruhewert um ≤ 0,03 µM (mikromolar) und 0,1 bis einige Hundert µM nach maximaler Aktivierung. Diese Werte heben sich um Größenordnungen von den Konzentrationen des Gesamt-Calciumgehalts in Cytosol und Organellen ab, weil in der Regel der weitaus größere Teil an Ca2+-Bindeproteinen gebunden vorliegt. Gesamt-Ca2+ umfasst demnach ional gelöstes, also freies, Ca2+, ebenso wie gebundenes Calcium. In allen Zellen ist der Anteil an freiem Ca2+ immer wesentlich geringer und ändert sich
10.3 · Flexible Ca2+ -Signalgebung und Nachweismethoden
bei Signaltransduktion reversibel-dynamisch. Diese bunte Palette ergab sich im letzten Vierteljahrhundert. All dieser Fortschritt war an die Entwicklung synthetisch-chemischer und gentechnischer Methoden und neuer Gerätetechniken gebunden. Die Quantifizierung erfordert in vielen Fällen die Anregung der Fluorochrome mit einem Doppelwellenlängensystem, wobei die Anregungswellenlänge in möglichst kurzen Zeitabständen gewechselt wird. Da die Filter anfangs mechanisch gewechselt wurden, bewegte man sich im Sekundenbereich für die einzelnen Messpunkte. Ab den 1980er-Jahren konnte die Wellenlänge mit einem optoakustischen System im Subsekundenbereich, z. B. ab größenordnungsmäßig 10 µs, gewechselt werden, sodass sich die Ca2+-Dynamik mit zunehmend besserer zeitlicher Auflösung erfassen ließ. 10.3.2 Elektrophysiologische
Methoden
Neben der Lichtmikroskopie war in der Zellbiologie die elektrophysiologische Methodik am frühesten etabliert und im Laufe der Zeit zunehmend verfeinert worden. Die ersten Anläufe unternahm 1842 E. du Bois-Reymond in Berlin (7 Abschn. 2.4). Aber es dauerte rund ein Jahrhundert, bis Analysen an Neuronen und Muskelzellen ab den 1950er-Jahren durch Verfeinerung der Messelektroden und der Registriereinheiten die elektrophysiologische Methodik entscheidend voranbrachten. Die Spannungsklemmtechnik („voltage clamp“) brachte eine weitere Verbesserung. Diese Technik wurde ebenfalls bereits in den 1950er-Jahren an Riesenaxonen von Tintenfischen entwickelt und zunehmend für kleinere Objekte verfeinert. Sie erlaubt es,
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10
Membranpotenziale beliebig zu verändern, um den Membranstrom in Abhängigkeit vom Membranpotenzial zu messen. Umgekehrt kann auch der Strom fixiert werden, um den Effekt auf das Membranpotenzial zu studieren. Dabei können einzelne Ionen im Medium verändert werden. Mit beiden Methoden können auch spezifische Inhibitoren für einzelne Kanäle getestet werden. Zunehmend erkannte man auch die elektrische Erregbarkeit weiterer Zelltypen. Wegen ihrer besonderen Größe wurden Protozoen aus der Gruppe der Ciliaten – neben den Riesenfasern von Tintenfischen – in den 1950er-Jahren bevorzugte Studienobjekte des deutschen Zellphysiologen Roger Eckert, teilweise in Kooperation mit japanischen Kollegen [11]. (Paramecium-Zellen sind je nach Spezies ≈ 100–120 µm lang und 30– 50 µm dick.) Auch wurde offenkundig, dass die gegen Calmodulin gerichteten Drogen, wie W7 (N-[6-Aminohexyl]-5-chloro-naphthalinsulfonamid), Chlorpromazin oder Calmidazolium, von Säugetierzellen bis hinunter zu den meisten Protozoen gleich wirksam und daher – im Gegensatz zu vielen anderen Drogen – fast universell als Hemmdrogen einsetzbar sind. Dies ist eine interessante positive Ausnahme unter den vielen in der Zellbiologie, insbesondere auch in der Elektrophysiologie gerne verwendeten Drogen. Ein später entscheidender Schritt war ab 1982 die Patch-Clamp-Analytik (vgl. unten und 7 Abschn. 9.6.3). Ergänzend zur Elektrophysiologie verfügt man über spannungsabhängige Fluorochrome. Mit derlei Substanzen konnten aktivierte Bereiche im Gehirn lokalisiert werden. Diese Fluorochrome werden über Kohlenwasserstoffketten in der Membran verankert, und eine hydrophile Gruppe unterliegt bei elektrischer Erregung einem Ladungsshift mit der Emission von Licht einer definierten Wellenlänge.
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
10.3.3 Röntgenfluoreszenz-
Mikroanalyse
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Neben der Elektrophysiologie gibt es die selten verwendete, weil aufwendige Methode der energiedispersiven Röntgenmikroanalyse (EDX), die es gestattet, in einer Kombination von Schnelleinfrierverfahren und elektronenmikroskopischer Analyse calciumspezifische Fluoreszenzsignale punktuell (ø ≈ 60 nm in früheren Arbeiten) und zeitvariabel (im Subsekundenbereich) innerhalb der Zelle zu analysieren. Voraussetzung ist die Retention von Calcium durch geeignete Gefriersubstitutionsfixierung ohne artifizielle Umverteilung. Die analytische Grundlage bildet die Emission von elementspezifischen Röntgenfluoreszenzsignalen, wenn Objekte mit Elektronen beschossen werden, wie dies bei den elektronenmikroskopischen Abbildungsverfahren ohnehin als Voraussetzung für die Bildgebung zutrifft. Der US-Amerikaner A. P. Somlyo, K. Zierold vom Max-Planck-Institut Dortmund und die Deutsche M. F. Wendt-Gallitelli betätigten sich hier ab den späten 1970er- bzw. 1980er-Jahren als Pioniere. Im Gegensatz zu den anderen Methoden erfasst die EDX-Methode beispielsweise lokale Konzentrationen des gesamten Calciums, [Ca2+]gesamt, also gelöstes [Ca2+]frei und gebundenes [Ca2+]gebunden, zusammen. Die Methode wurde, allerdings mit methodischen Verbesserungen, auch an Protozoen erfolgreich eingesetzt, womit an Paramecium-Zellen bei Exocytosestimulation der SOC-Mechanismus („store-operated Ca2+ influx“; 7 Abschn. 9.6.3) nachgewiesen werden konnte. Eine andere, noch schwieriger zu handhabende und daher noch seltener verwendete Variante der Calciumlokalisation ist die ESI-Methode („electron spectroscopic imaging“; . Abb. 10.3). Auch hier muss Calcium durch schnelles Einfrieren der Proben und Gefriersubstitution physikalisch „fixiert“ werden. Die Analyse erfolgt über
die Registrierung des Energieverlusts der Elektronen bei der Passage extrem dünner Ultradünnschnitte. 10.3.4 Korrelative Analysen
Zur Illustration dieser Aspekte sei als interessantes Beispiel die Komplementarität von Elektrophysiologie und EDX am System der Paramecium-Zelle diskutiert. Lokale Werte für [Ca2+]i und deren Änderung während und im Nachlauf nach Stimulation sind schwer präzise zu fassen. Mehr oder weniger pauschal konnten Ca2+-Fluxe elektrophysiologisch bestimmt werden, wie die eleganten Arbeiten von Roger Eckert, Yutaka Naitoh und Hans Machemer mit Paramecium-Zellen bereits ab den 1960er-Jahren gezeigt haben. Die deutschen und japanischen Autoren befassten sich mit der durch Depolarisation erzielbaren Schlagumkehr der Cilien am Ciliaten Paramecium caudatum. Eckert stellte in seiner Übersicht 1972 in der Zeitschrift Science fest, dass die Calciumantwort mit dem Grad der Depolarisierung steigt [11]. Unter Berücksichtigung der relativen Membranfläche der gesamten Cilien und der elektrophysiologischen Messdaten konnte er die minimale Anzahl an Ca2+-Ionen abschätzen, die durch die Cilienmembran in die Cilien gelangen müssen, um eine Schlagumkehr einzuleiten. Ähnliche Daten wurden von einer anderen Gruppe mit der Spannungsklemmtechnik erarbeitet. Überraschend waren die Befunde, dass nur etwa ≥ 300 Ca2+-Ionen die Schlagumkehr der Cilien auslösen können und dass zweitens das einströmende Ca2+ von innen her über einen Ca2+/Calmodulin-Komplex den spannungsabhängigen Ca2+-Einstrom deaktiviert. Dieses Phänomen der Ca2+/Calmodulin-basierten negativen Rückkopplung wurde an Neuronen erst 1999, mit fast 30-jähriger Verzögerung, von einer kalifornischen Gruppe in der Zeitschrift Neuron publiziert.
10.3 · Flexible Ca2+ -Signalgebung und Nachweismethoden
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10
. Abb. 10.3 Querschnitt durch den Cortex einer Paramecium-Zelle, mit Falschfarbenlokalisierung von Calcium (proteingebundenes plus gelöstes Ca2+) mit der ESI-Methode („electron spectroscopic imaging“) in einem analytischen Elektronenmikroskop, EM). Es ist dies eines der seltenen ESI-Bilder, da die Methode schwierig ist: Kryofixation, gefolgt von Gefriersubstitution unter Bedingungen der Fixierung von Calcium, Herstellung sehr dünner Ultradünnschnitte und spektroskopische Analyse am analytischen EM mit Energiefilter. Calcium ist sichtbar in den corticalen Speichern (as = Alveolarsäcke), aber auch entlang der Membran von Cilien (c) vorhanden. (Quelle: [49], basierend auf Material aus [50])
Die elektrophysiologischen Ergebnisse an Cilien von Ciliaten sind trotz grundlegend verschiedener Methodik gut vergleichbar mit jenen, die in meiner Gruppe (Martin Hardt) in den 2000er-Jahren mittels energiedispersiver Röntgenmikroanalyse an Paramecium tetraurelia erhoben wurden [12], obwohl Spezies und einzelne experimentelle Parameter in den beiden sehr verschiedenen Ansätzen einigermaßen verschieden waren. Der Befund war, dass etwa 700 Ca2+-Ionen in das Cilium einströmen, wenn die Umkehr des Cilienschlages chemisch induziert wurde, bevor sich der Prozess durch die oben beschriebene Rück-
kopplung von selbst wieder abschaltet. Die Diskrepanz um den fiktiven Mittelwert aus beiden Methoden, 500 Ca2+-Ionen, beträgt +200 Ca2+-Moleküle pro Cilium; dies ist angesichts der verschiedenen Paramecium-Spezies und der sehr unterschiedlichen Methodik verständlich. Die Signalgebung wird begleitet von der Phosphorylierung bestimmter Proteine. Der deutsche Biochemiker Joachim E. Schultz und der US-amerikanische Biochemiker David Nelson haben sich auf Phosphorylierungsprozesse bei Paramecium konzentriert. (Nelson ist Herausgeber des von A. L. Lehninger begründeten
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
tandardlehrbuchs der Biochemie. Ich war S erstaunt von der Vielseitigkeit seiner privaten Bibliothek und von der Masse an Literatur in seinem Büro.) Beide befassten sich seit den 1980er-Jahren eingehend mit der Einbindung von Nukleotidcyclasen und davon abhängiger Proteinkinasen sowie mit Proteinphosphatasen bei der Steuerung der Cilienaktivität bei P. tetraurelia. Cilien von Metazoen enthalten keine spannungsabhängigen Ca2+-Kanäle, arbeiten jedoch im Übrigen nach ähnlichen Funktionsprinzipien. Manche experimentelle Fragestellungen sind in hervorragender Weise mit der zu Anfang der 1980er-Jahre von E. Neher und B. Sakmann entwickelten PatchClamp-Technik realisierbar, sogar auf kleinster Membranfläche, sodass einzelne Ionenkanäle messbar werden, wie die Autoren 1995 zu Buche brachten [13]. Voraussetzung ist die dichte Versiegelung der Messzone durch Ansaugen mit einer sehr dünnen Pipette an die Membran und hohe Verstärkerleistung, sodass das Hintergrundrauschen minimiert und die Signalausbeute maximiert wird. Diese Methode erlaubte profunde neue Einsichten in die normale Funktion und in die Pathologie von Ionenkanälen (Beispiel cystische Fibrose; 7 Abschn. 5.4.3), wofür die Erfinder Erwin Neher und Bert Sakmann – wie bereits erwähnt – 1991 mit einem Nobelpreis geehrt wurden. Im Falle lokaler Ereignisse, wie [Ca2+]i-Anstieg bei der Bildung einer naszenten Exocytoseöffnung (Pore), wären eigentlich Messungen im Nanometerbereich notwendig, was natürlich nicht ohne Weiteres realisierbar ist; man kennt ja nicht den Abstand eines aktivierten Ca2+-Influxkanals vom Exocytoseort, und Ca2+ wird schnell durch Bindung an Ca2+-Bindeproteine herunterreguliert. E. Neher fand daher Mitte der 1990er-Jahre folgenden Ausweg: Zellen werden mit Ca2+- Chelatoren versehen (z. B. in membrangängiger Form oder durch Mikroinjektion); je nach der
Zeitkonstante τ und der Bindekonstante (Affinität) KD lässt sich die Entfernung vom nächstliegenden Ca2+-Influxkanal bzw. der lokale Wert für [Ca2+]i am Exocytoseort rechnerisch relativ genau abschätzen [14]. Der Wert für die Exocytoseaktivierung liegt im Allgemeinen bei 5–10 µM, ist jedoch in manchen neuronalen Systemen wesentlich höher. In allen Fällen zeigte sich, dass die nach kombinierter Chelatoren/PatchClamp-Analyse errechneten aktuellen lokalen Werte im Vergleich zu den mittels Ca2+-spezifischen Fluorochromen ermittelten [Ca2+]i-Werten um etwa eine Größenordnung höher liegen. Der Grund hierfür ist leicht einzusehen: Man kann nicht im Nanometerbereich eine Abbildung des lokalen [Ca2+]i-Wertes erreichen. Auch für den Prozess der Exocytose von Trichocysten bei Paramecium konnte mit Christian Erxleben, Konstanz, 1997 eine gewisse Korrelation von Elektrophysiologie und Fluorochromanalyse erreicht werden. Wegen der Größe dieser Zellen und ihrer starren Oberfläche und deren Cilienbesatz verbietet sich zwar eine Patchclamp-Analyse, jedoch können ganze Zellen „gepatcht“ werden [15]. Dabei können die Ca2+/Calmodulin-abhängigen Kationenströme in summa registriert und mit dem Ausmaß der Exocytose korreliert werden. Einzelereignisse ergeben ein Ca2+-Signal von τ = 21 ms (mittlere) Dauer. Massive Stimulation erzeugt ein additives Signal. Der pauschale [Ca2+]icort-Anstieg nach 100 % Stimulation der Exocytose, gemessen mit injizierten Ca2+-Chelatoren im Zellkortex über eine Dicke von 1 µm, resultiert in einem Wert von [Ca2+]icort = 5–7 µM binnen 0,1 s. Die Höhe des Signals und sein Abfall auf den Ruhewert hängen sehr von Ca2+ im Medium, [Ca2+]o, ab. Der Abfall dauert 1,5 s bei [Ca2+]o = 30 nM, dagegen > 30 s ab [Ca2+]o ≥ 50 µM. Dies zeigt den wesentlichen Einfluss des Einstroms von Ca2+ auf das Gesamtsignal bei Exocytose im Sinne eines Ca2+-Einstroms bei einem SOC-Mechanismus (7 Abschn. 9.6.3).
10.4 · Calciumsensoren dienen der Signalvermittlung …
10.4 Calciumsensoren dienen
der Signalvermittlung, als Effektoren und zur Beendigung der Stimulation
Ca2+-Sensoren sind Ca2+-Bindeproteine (CaBPs), von denen zwei wesentlich unterschiedliche Gruppen hervorzuheben sind: 5 „High affinity/low capacity“ CaBPs, die direkt der Signalübermittlung durch eine Ca2+-induzierte Konformationsänderung dienen, indem sie Ca2+ sehr schnell zu binden und über Konformationsänderung ein Signal weiterzugeben in der Lage sind. 5 „Low affinity/high capacity“ CaBPs sind durch eine Vielzahl an sauren Aminosäureresten ausgezeichnet, die Ca2+ an mehreren sauren Aminosäuren reversibel binden können. Sie kommen im Cytosol ebenso vor wie im Lumen von Ca2+-Speichern. Im ersten Fall dienen sie der Herunterregulierung von [Ca2+]i, im zweiten Fall, um Ca2+ in leicht mobilisierbarer Form zu speichern und auf Stimulation hin abzugeben. Diese sind also nur indirekt in die Signalgebung eingebunden. 10.4.1 „High affinity/low capacity“
Ca2+-Bindeproteine
Unter den „high affinity/low capacity“ CaBPs ist Calmodulin am längsten bekannt. Es wurde ab 1967 von dem US-Amerikaner W. Y. Cheung in zunehmenden Details beschrieben [16], zunächst aber vor allem als Aktivator der cAMP- und der cGMP-Phosphodiesterase gesehen, wobei Letztere bei der Einstellung des Gefäßtonus mitspielt (7 Abschn. 10.10). Dazu kam mit der Zeit eine breite Palette von weiteren Enzymen und nichtenzymatischen Funktionen bis hin zur Aktivierung der PMCA-Typ-Ca2+ATPase/Pumpe (unten). Auch wurde bald
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deren universelle Verbreitung in Eukaryotenzellen festgestellt. Calmodulin ist der Prototyp eines sogenannten „EF-Hand“-CaBP. Die Bezeichnung führte 1973 der US-Amerikaner R. H. Kretsinger nach der röntgendiffraktometrischen Analyse für das Muskelprotein Parvalbumin ein. Die Bezeichnung „EFHand“ gibt die Ähnlichkeit des aus etwa einem Dutzend Aminosäuren bestehenden Ca2+-Bindemotivs mit einer Art Schwurhand wieder; darin wird Ca2+ kooperativ gebunden. Ein Calmodulinmolekül besitzt vier solche EF-Hand-Motive, I bis IV, die Ca2+ hierarchisch mit abnehmender Affinität von Schleife I bis IV binden und dabei jeweils eine abgestufte Konformationsänderung induzieren. Hier setzt die molekulare Wirkung von Calmodulin als Signalvermittler ein. Die zweite prominente Art von „high affinity/low capacity“ CaBPs sind Proteine mit C2-Domänen. Eine C2-Domäne ist ein in 7 Abschn. 9.6.3 charakterisierter Proteinabschnitt mit der Fähigkeit, Ca2+ zu binden und dabei in eine Lipiddoppelschicht einzutauchen. Das kann an einer von zwei fusionsbereit aneinander liegenden Membranen geschehen, wovon nur die Vesikelmembran für die Fusion mit einem derartigen Protein ausgestattet ist. Synaptotagmin ist der Prototyp eines C2-CaBP, das bei der Freisetzung von Neurotransmittern, aber auch bei anderen Exocytoseprozessen entscheidend ist. Die Lipide werden dabei lokal in ihrer Ordnung so gestört („perturbation“), dass sie sich von einer Membran zur anderen im Mikrosekundenbereich zunächst chaotisch umorientieren und auf diese Weise die Fusion benachbarter Vesikelmembranen im Sub-Nanometerbereich einleiten; dies hat der deutsche Biophysiker Helmut Grubmüller in den 2010er-Jahren in einer Computersimulation berechnet. Anschließend expandiert die exocytotische Fusionspore, sodass sich ein Membrankontinuum bildet. Mikrochaos als Grundlage für die Entwicklung
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
höherer geistiger Funktionen! Nur bei Bakterien konnte bis dato kein Synaptotagmin oder synaptotagminähnliches Protein gefunden werden – wozu auch, wo sie doch keine intrazellulären Vesikel besitzen. 10.4.2 „Low affinity/high capacity“
Ca2+-Bindeproteine
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Zu den „low affinity/high capacity“ CaBPs ist Folgendes zu sagen. Die Rückführung von [Ca2+]i nach Stimulation zum Ruhewert erfolgt sehr schnell über cytosolische Ca2+-Bindeproteine, zwar mit geringer Affinität, jedoch mit hoher Bindefähigkeit. Die Zahl von derlei Proteinen im Organismenreich ist Legion (7 Abschn. 17.8), oft mit spezifischer Lokalisierung und jeweils optimalen Bindeeigenschaften. In tierischen Zellen wurden einige Tausend identifiziert, sodass ihre Entdeckung über die Jahrzehnte viele Väter hat. Centrin ist zum Beispiel im Cytosol im Einsatz. Typisch sind die CaBPs Calsequestrin, Calreticulin und Calnexin in Speichern wie dem sarkoplasmatischen und dem endoplasmatischen Retikulum, wo sie massiv Ca2+ binden, aber auf einen Stimulus hin über Ca2+-Freisetzungskanäle auch wieder schnell ins Cytosol abgegeben können. Die zwei Kanadier David H. MacLennan und Marek Michalak waren hier ab den 1970er- bzw. 1980er-Jahren Pioniere, ebenso wie der deutsche Biochemiker H.-D. Söling. Hierzu kam eine weitere Funktion, nämlich die von Calreticulin und Calnexin als lektinartige Chaperone, welche die korrekte Faltung von Proteinen noch im endoplasmatischen Retikulum unterstützen. Grundlage ist die Glykosylierung von Proteinen in Form der „core“-Glykosylierung im endoplasmatischen Retikulum (7 Abschn. 9.4.2), die erst im Golgi-Apparat durch die „periphere“ Glykosylierung erweitert wird.
10.4.3 Ca2+-Pumpen
Daneben laufen zur Herunterregulierung von [Ca2+]i nach Stimulation langsam, aber stetig die Ca2+-ATPasen/Pumpen der Zellmembran (PMCA) und jene des sarkoplasmatischen und endoplasmatischen Retikulums (SERCA). Hier ist zum einen die Initiative des Italieners E. Carafoli (PMCA) ab 1978 und zum anderen ab den 1960er-Jahren jene des Deutschen W. Hasselbach (SERCA) hervorzuheben [17]. Beide Pumpen, PMCA und SERCA, gehören zu den P-Typ-ATPasen, d. h., ihre Funktion beinhaltet ein phosphoryliertes Intermediat. Da wird erkennbar, wohin die Energie beim Pumpen von Ca2+ geht. Bei jedem Pumpvorgang verändert sich die molekulare Konformation des Proteins sehr leicht und reversibel, womit der Durchtritt von Ca2+-Ionen vollzogen wird (. Abb. 10.4). Nur die PMCA besitzt eine Calmodulin-Bindedomäne, die zur Enzymaktivität beisteuert. Dagegen wird nur die SERCA durch das Sesquiterpen Thapsigargin gehemmt, wenigstens bei höheren Eukaryoten. Thapsigargin ist ein Sesquiterpenlacton aus Thapsia garganica (Umbelliferae, jetzt Apiaceae). Diese Pflanze war als Todeskarotte schon bei den alten Griechen gefürchtet, weil sie Weidetiere töten kann. Therapeutisch wurde die Pflanze von Medizinkoryphäen des Altertums, wie Hippokrates (um 400 v. Chr.), Theophrastus (um 300 v. Chr.) und dem griechischstämmigen römischen Militärarzt und führenden Pharmakologen seiner Zeit, Dioscurides (1. Jahrhundert n. Chr.), eingesetzt, insbesondere bei Fieber, Lungenkrankheiten und Katarrh. In jüngerer Zeit wurde die Substanz für die Krebstherapie erprobt – allerdings ohne Erfolg, wie 2012 verlautete. Gutachter unserer Forschungsanträge hatten moniert, wir sollten diese Verbindung als Diagnostikum einsetzen, um an Paramecium-Zellen zwischen PMCA- und SER-
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10.4 · Calciumsensoren dienen der Signalvermittlung …
10
a N ATP-Bindedomäne
Phosphorylierungsstelle
S1
S2
S3
S4
C
S5
Cytosol
Membran M1
M2
M3
M4
M5
M6
M7
M8
M9 M10
SR-Lumen
b
c
Cytosol
Membran
SR-Lumen
. Abb. 10.4 Molekulare Struktur der endo-/sarkoplasmatischen Ca2+-ATPase/Pumpe (SERCA). (a) Das Molekül besitzt zehn Transmembrandomänen (M1 bis M10) und cytosolseitige N- und C-Termini sowie verschieden große Schleifen, von denen eine die ATP-Bindedomäne und eine andere die Phosphorylierungsstelle enthält. Vergleich von (b) und (c): Das SERCA-Molekül hat in verschiedenen Aktivitätsphasen unterschiedliche Konformationen, die das Durchschleusen von Ca2+ in das Lumen der Organellen unter ATP-Verbrauch und lokaler Phosphorylierung zu erklären vermögen. (Eine der zehn Transmembrandomänen ist in (b) und (c) verdeckt.) (Quelle: [47] unter Heranziehung von Daten aus [51])
CA-Aktivität zu unterscheiden. (Die Analyse der Paramecium-SERCA war schwierig, weil die Molekularbiologie dieses Organismus erst in den nachfolgenden Jahren entwickelt wurde. Karin Hauser aus un-
serem Labor schaffte es 1998.) Die Differenzierung zwischen beiden Ca2+-Pumpen mit Thapsigargin war nicht möglich, weil SERCA von Ciliaten keine distinkte Thapsigargin-Bindestelle besitzt.
242
Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
10.4.4 Ein Seitenblick auf die
systemische Regelung der Ca2+-Homöostase
10
Ein Blick auf die organismisch-systemische Regelung des Ca2+-Haushalts bei Säugetieren zeigt zellbiologisch interessante Regelmechanismen, deren Aufklärung ein Jahrhundert benötigte. 99 % unseres Ca2+ sind in den Knochen als Hydroxylapatitkristalle, Ca10(PO4)6(OH)2, gebunden. Die Regelung erfolgt u. a. über zwei Proteohormone, Parathormon und Calcitonin, sowie über Vitamin D3 (Calcitriol). Parathormon wird aus den Nebenschilddrüsen (Parathyreoidea) sezerniert, die als kleine linsenförmige Gebilde der Thyroidea anhängen. Das Absinken von [Ca2+] im Blut steigert die Freisetzung des Hormons, das seinerseits zu einer Freisetzung von Ca2+ aus den Knochen führt und abhängig von [Ca2+] im Blut die Rückresorption über die Nieren beeinflusst. Calcitonin wird u. a. von weiteren Zellen der Nebenschilddrüsen freigesetzt, sobald [Ca2+] im Blut zu hoch ist, und bewirkt eine Einlagerung von Ca2+ in die Knochen sowie ebenfalls eine verstärkte Rückresorption in den Nieren. Calcitriol ist aktives Vitamin D, ein Derivat eines Steroidmoleküls der Niere, in dem der mittlere C6-Ring (B-Ring) geöffnet ist. Es verstärkt die Aufnahme von Ca2+ aus dem Darm und ebenso die renale Rückresorption. Damit liegen mehrere Rückkopplungsschleifen vor, wobei Parathormon und Calcitonin antagonistisch die Freisetzung bzw. die Aufnahme von Ca2+ aus/in Knochensubstanz regeln. Dazu bedarf es offensichtlich eines Sensors für [Ca2+] im Blut. Dieser ist in den parathormonproduzierenden Zellen der Nebenschilddrüse in Form eines Ca2+-sensitiven Rezeptors („Ca2+-sensing receptor“) vorhanden, der ein G-Protein-gekoppelter Rezeptor ist (GPCR, 7 Abschn. 10.7). Sinkt [Ca2+] im Blut, so bewirkt dies eine vermehrte Sekretion von Parathormon. Ebenso ist der Calcitoninre-
zeptor ein GPCR, allerdings von einem anderen Typ. Die Aufnahme über den Darm, die renale Rückresorption und der Einbau in bzw. die Mobilisierung aus den Knochen sind diesem Regelwerk unter Beteiligung eines plasmalemmalen Ca2+-sensitiven Rezeptors mit wechselseitigen Kontrollmöglichkeiten überlagert. Als die Chirurgen sich an die ersten Kropfoperationen wagten, erlitten die Patienten tetanische Krämpfe, weil das damals noch nicht identifizierte Nebenschilddrüsengewebe mit entfernt worden war. Zwar hatte der angehende schwedische Mediziner I. Sandström nach mehreren beiläufigen Angaben anderer Autoren bereits um 1880 die Nebenschilddrüsen als eigenständige Strukturen beschrieben. Sein Fehler war jedoch, dass er sein Manuskript an Virchows Archiv für Anatomie und Physiologie geschickt hatte, dessen Herausgeber der Pathologiepapst R. Virchow war. Dieser kannte zwar die Strukturen auch, aber ihre Bedeutung erkannte er nicht und gab folglich auch Sandströms Arbeit nicht zum Druck frei. Erst wesentlich später verstärkte sich das Interesse an den linsengroßen Anhängseln. 1925 identifizierte der Kanadier J. B. Collip das Parathormon und 1967 das Calcitonin. Trotzdem gab es immer noch problematische Fälle von Thyreoidektomie, die mit Spasmen einhergingen; jedoch konnte man zunehmend in die komplexen Verknüpfungen zellulärer und systemischer Mechanismen Einblick gewinnen. Die Handhabung von Ca2+ ist in verschiedenen Strukturen der Niere unterschiedlich und greift auch in einigen anderen Organen. Die Chaostheorie hebt ab den 1980er-Jahren hervor, dass die Toleranz für gewisse Abweichungen vom [Ca2+]-Sollwert im Blut für ein effizientes Einpendeln über mehrere Regulatoren vorteilhafter sei als eine strikte Regulierung (7 Abschn. 11.1). Mit der systemischen Regelung von Calcium ist auch die des Phosphats eng verbunden. Diese Allianz findet sich bis in die
10.5 · Steroidhormone und weitere Primärboten
Zelle hinein wieder, wo die Evolution das Problem der Unlöslichkeit der meisten Calcium-Phosphat-Verbindungen, von PO43−, Nukleotiden und DNA, zu meistern lernen musste (7 Abschn. 17.8). 10.5 Steroidhormone und weitere
Primärboten
Die ersten Steroidhormone, von denen sehr viele Steuermöglichkeiten bekannt wurden, wurden ab den 1930er-Jahren von dem deutschen Chemiker Adolf Butenandt größtenteils aus Pferdeharn isoliert und sogar kristallisiert [18]. Darunter waren männlich (Androsteron) und weiblich determinierende Hormone (Estron und Progesteron). (Estron ist ein natürliches Östrogen.) So isolierte er Östrogene („οἶστρος, oístrŏs“, latinisiert „oestrus“ = Stachel, Leidenschaft), indem er 500.000 L Harn trächtiger Pferdestuten destillierte. Später isolierte er noch das Pheromon Bombykol aus dem Seidenspinner (Bombyx mori) und wies nach, dass nur eines der vier Stereoisomere den Pheromoneffekt ausübt (extrakorporaler Botenstoff; „ϕέρειν, phérein“ = tragen). Dies ist eine Grundeinsicht zur hohen Spezifität von derlei Signalstoffen. Bis 1960 war Butenandt Direktor des Instituts für Physiologische Chemie an der Universität München. Auch der in der Schweiz forschende Lavoslav S. Ružička, der aus dem Königreich Kroatien und Slawonien stammte, das damals zur österreichisch-ungarischen K.-und-k.-Monarchie gehörte, war auf diesem Forschungsgebiet tätig. Beide erhielten 1939 den Nobelpreis für Chemie zugesprochen. Aus politischen Gründen konnte Butenandt den Preis jedoch erst nach dem Ende der großen Diktatur (1945) im Jahre 1949 entgegennehmen. Der Fall des Häutungshormons der Insekten, Ecdyson, verdient besondere Beachtung („ἐκδύω, ekduo“ = ausziehen). Hier wurde erstmals gezeigt, dass der Effekt auf
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der Aktivierung spezifischer Gene beruht. Dies wurde durch die Beobachtung ermöglicht, dass während der Entwicklung holometaboler Insekten in zeitlicher Abfolge spezifische Abschnitte ihrer mikroskopisch gut sichtbaren polytänen Chromosomen aufgelockert werden (Puffs; . Abb. 6.1). Mit der Applikation variabler Dosen von Ecdyson konnte die Puffbildung gesteuert werden. Entsprechende Arbeiten begannen 1959 mit Drosophila und wurden in den 1960er-Jahren durch P. Karlson forciert (Autor des bis in die neuere Zeit führenden Lehrbuchs der Biochemie). Er verwendete radioaktive Markierung von Steroiden, einschließlich Ecdyson, für die Lokalisierung per Autoradiographie. Die erste Arbeit in der Zeitschrift für Naturforschung Abt. B widmete er A. Butenandt zum 60. Geburtstag [19]. Es war also ein langer Weg zurückzulegen, bis im Jahre 1951 der in Mexiko und USA forschende Österreicher Carl Djerassi gemeinsam mit G. Pincus und J. Rock die erste empfängnisverhütende „ Antibabypille“ entwickeln konnte. Djerassi – Autor auch von populären, lesenswerten Büchern wie „Cantors Dilemma“ – mochte den Ausdruck „Antibabypille“ nicht – er betonte, er habe nichts gegen Babys. Konventionelle Ethiker liefen gegen die „Pille“ Sturm. Aus heutiger Sicht könnte sie jedoch der fatalen Bevölkerungsexplosion, besonders in Afrika, entgegenwirken. Weltweit hat sich die Weltbevölkerung von Goethes Zeiten bis heute von etwa einer Milliarde auf heute 7,8 Mrd. vervielfacht bzw. in den letzten 70 Jahren verdreifacht! Es gibt viele Mythen, in denen sich Zellbiologie und Religion vermengen. Da ist einmal die haarige Geschichte von Samson und Delilah aus dem Alten Testament. Die schöne Philisterin schert Samson nächtens sein Haupthaar, und er verliert seine Kraft. Das eindrucksvolle Gemälde von Rembrandt im Städel Museum (Frankfurt/M.) jagt einem den Schauer über den Rücken, wenn man den Augenblick nach-
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
vollzieht, wie Samson gerade geblendet wird. Mit Haarwuchs hatte man lange Zeit die Manneskraft in Verbindung gebracht, und man meinte auch, das einzig probate Mittel gegen die Glatze sei die Kastration. (Jedoch so ein-fach ist die Relation nicht, denn nur die erbliche Männer-glatze bildet sich unter dem Einfluss des noch aktiveren Tes-tosteronderivats Dihydrotestosteron und der Verteilung seiner Rezeptoren.) Die genetische Grundlage der androgenetischen Alopezie wurde erst 2005 aufgeklärt. Testosteron hat eine maskulinisierende Wirkung, auch im Sinne stärkerer Muskelbildung (anaboler Effekt) und ausgeprägterer Aggressivitätsbereitschaft. Dann gab es seit dem 4. Jahrhundert den Heiligen Onophrius, der entweder mit langem Bart oder mit fellartiger Körperbehaarung gezeigt wird (Hypertrichose). Es gibt ihn auch bei den koptischen und den orthodoxen Christen, denn er wurde bereits vor dem großen Schisma verehrt, als Anno Domini 1054 die päpstliche Bannbulle auf den Altar der Hagia Sophia in Konstantinopel (Byzanz, heute Istanbul) gelegt wurde. Und schließlich finden wir bei unseren Wanderungen im süddeutsch-tirolischen Raum gelegentlich die Heilige Wilgefortis, volkstümlich auch als Kummernis bekannt, die der Vater an einen Heiden verheiraten wollte, woraufhin ihr ein Bart spross (Fazialhirsutismus). Hinter diesen „Wundern“ stehen Hormone aus dem Hypothalamus oder androgene Steroidhormone, wovon insbesondere die Letzteren für die Haarbildung außerhalb des Kopfbereiches unlängst als relevant erachtet werden. Nach den heilig-asketischen Mythen sei noch ein prosaischer und ein nachgerade lustvoller Aspekt der Signaltransduktion eingeschoben. Prosaisch ist eine lokale Kur mit Prostaglandinen, die heutzutage der Transformation weiblicher Augenwimpern zu Superlänge dient, um einen angeblich superoptimalen Reizeffekt auszustrahlen. Dessen ungeachtet sind die aus Fettsäuren abgeleiteten Prostaglandine sehr vielsei-
tige Gewebehormone, die Second-Messenger-Systeme beeinflussen. Ob es den Einsatz am gesunden Auge wert ist, wo sie doch ursprünglich zur Senkung von zu hohem Augeninnendruck verwendet worden waren? Auch andere Signalmoleküle können direkt an Bindestellen in Chromosomen ihre Aktivität entfalten. Dazu gehören die niedermolekularen, jodierten Hormone T3 und T4, die in den Follikeln der Schilddrüse (Thyreoidea) als Thyreoglobulin, ein Glykoprotein von 660 kDa, gespeichert und ohne den Proteinteil freigesetzt werden (7 Abschn. 5.7.3). Sie sind wichtige Regulatoren von Stoffwechsel und Wachstum: Überproduktion verursacht einen rastlosen, mageren Körper, Mangel dagegen Trägheit und Übergewicht. Jodmangel befördert die Bildung von Kröpfen (Strumata), was sich in Europa besonders in alpinen Gegenden mit geringem Jodgehalt der Böden entsprechend auswirkte. Kröpfe waren damals so häufig, dass Mütter ihre Kinder angeblich ermahnten, sie sollten nicht die kropflosen fremden Gäste verspotten – „seid dankbar, dass ihr selbst gesund seid“. Das Kropfproblem ist in Seenähe und noch in einigem Abstand dahinter gering, weil sich hier Jodomethan in der Luft bildet und weil mehr marine Ernährung gepflogen wird. T4 (Thyroxin) wurde 1914 vom US-Amerikaner Edward Kendall beschrieben (Kendall EC [1915]; [20]). Bereits um diese Zeit hatte der Schweizer Landarzt Heinrich Hunziker die Verabreichung von Jod als Gegenmittel propagiert. Heute wird es in den meisten Ländern als jodiertes Speisesalz unter die Menschen gebracht und dennoch gib es weltweit noch Mangelgebiete. Eine ähnlich diffuse, direkte Aktivierung verschiedener, allerdings anderer Gene kann auch durch Cortison erfolgen (unten). Lustvoll geht’s weiter: Aus dem im Hypothalamus (basaler Teil des Zwischenhirns/ Diencephalons) gebildeten Prohormon Proopiomelanocortin werden durch limitierte Proteolyse verschiedene Folgepeptide abgespalten (7 Abschn. 9.6.1) – u. a. auch eines der Endorphine – und über Exocytose aus-
10.5 · Steroidhormone und weitere Primärboten
geschieden. Es sind dies Opiatpeptide (Opioide) mit derselben Funktion wie pflanzliche Opiate. Die Natur hat uns die Endorphine zur Stimmungsaufhellung ohne Suchtgefahr geschenkt – als „Glückshormone“ und Schmerzmittel (Analgetika). Sie wurden 1974 von zwei unabhängigen Gruppen durch Extraktion aus Schweine- bzw. Kalbshirnen entdeckt [21]; daher auch der ältere Name Enkephaline („ἐγκέϕαλον, enképhalon“ = Gehirn), wogegen der Name Endorphine sich von „ἔνδον“ („endo“ = innerhalb) und dem Namen des griechischen Gottes der Träume, Μορϕεύς (Morpheús), ableitet. In den 1960er-Jahren, zur Zeit der glücklichen Blumenkinder (Hippies), stieg nicht nur das Interesse an Opium bzw. Morphium, sondern auch an der Erforschung der Rezeptoren für endogene Opioide (Opiatrezeptoren). Deren Aktivierung durch Bindung exogener Opiate aus dem Schlafmohn (Papaver somniferum, Papaveraceae, Mohngewächse) ist für die Sucht verantwortlich. Grundlage ist das Belohnungsmodell, mit dem das Gehirn antwortet. Vor Generationen wurden kleine Stoffbeutel mit Mohnabsud getränkt und als Schnuller verwendet, damit die Babys bei der harten Arbeit ihrer Eltern Ruhe geben. (Das englische Wort „pacifier“ – Friedensstifter – passt dazu recht gut.) Die Schotten J. Hughes und H. Kosterlitz sowie der US-Amerikaner S. H. Snyder konzentrierten in den 1970er-Jahren ihre Arbeit auf die Identifikation eines Rezeptors für endogene Opioide. Erst 2018 wurde die dreidimensionale Struktur des Opiatrezeptors im Ruhezustand und im aktivierten Zustand nach Opioidbindung mittels Kryoelektronenmikroskopie und Bildanalyse aufgeklärt (7 Abschn. 7.2). Die Aufklärung von Proopiomelanocortin als Vorläufer mehrerer Peptidhormone begann 1976 durch den Japaner S. Nakanishi (Kyoto) und wurde 1978 unter Beteiligung des US-amerikanischen Gruppe um S. N. Cohen (Stanford) fortgeführt. A. J. L. Clark hat dies 2016 im Journal of Molecular Endocrinology nachgezeichnet [22]. Wesent-
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lich war die In-vitro-Expression, entweder in Weizenkeimextrakten oder in Lysaten von Kaninchen-Reticulocyten. Die Translationsprodukte in vitro wurden dann mit den isolierten, in vivo translatierten Hormonen und der Gesamtstruktur des Proopiomelanocortin-Gens verglichen. Das antidiuretische Hormon (ADH, Adiuretin oder [Arginin-]Vasopressin) ist ein weiteres Hormon, das aus einem anderen Vorläuferprotein des Hypothalamus geschneidert und von der Hypophyse über Exocytose freigesetzt wird. ADH stellt ein hexacyclisches Nonapeptid dar und befördert die Rückgewinnung von Wasser aus dem Primärharn, der uns pro Tag ohne ADH immerhin ca. 150 (!) Liter Wasser entziehen würde. (Das ist in etwa eine halbe Badewanne.) Verläuft der Schnitt falsch oder ist der ADH-Rezeptor mutiert, so kommt es zu einem Diabetes insipidus mit großem Wasserverlust und andauerndem Trinkbedürfnis. Allerdings wird der Wasserhaushalt auch noch durch weitere Hormone bzw. Mechanismen reguliert (vgl. unten). Wasser wird sowohl aus dem Harn als auch aus dem Verdauungssaft rückresorbiert (renale und intestinale Rückresorption), teilweise über erleichterte Diffusion unter Vermittlung von Aquaporin (Wasserkanäle, 7 Abschn. 5.7.1). Sammelt sich Wasser im Gewebe (Ödeme), so kann die Rückresorption durch Pharmaka wie Furosemid oder seit den 1990er-Jahren noch effizienter mit Torasemid zurückgefahren werden (Diuretika). Alkoholliebhaber nehmen – auch ohne Ödeme – die harntreibende Wirkung in Kauf, weil auch Alkohol die renale Rückresorption von Wasser hemmt. Zurück zu den Steroiden und ihrer Regulation durch ein Hormon, das durch Schnitt aus dem gemeinsamen Vorläufer Proopiomelanocortin entsteht. (Zu den Steroiden gehören u. a. das Cortison und verschiedene Derivate davon, die ihren Namen ihrem Syntheseort verdanken – der Nebennierenrinde [Corticosteroide; lat.
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
„cortex“ = Rinde]; „εἶδος, eîdos“ = das zu Sehende, Gestalt.) Die Zellen der Nebennierenrinde werden durch das Hypophysenhormon ACTH (adrenocorticotropes Hormon = [Adreno-]Corticotropin) aktiviert, ebenfalls ein Produkt der limitierten Proteolyse von Proopiomelanocortin, das die Sekretion von Steroidhormonen aus der Nebennierenrinde steuert. Der verschlungene Weg zur Erkenntnis der Effekte von Corticosteroiden wird nachfolgend nachgezeichnet. Sie werden – wie andere Steroidhormone auch – ohne Membranumhüllung produziert und freigesetzt. Ihrerseits entfalten sie ihre Aktivität entweder als Glukocorticoide (Beispiel Cortisol = 11-Dehydro-17-hydroxycorticosteron) oder als Mineralocorticoide (Beispiel Aldosteron) im folgenden Sinn: Sie beeinflussen zum einen den Metabolismus von Kohlenhydraten, Proteinen und Lipiden, regulieren zum anderen aber den Elektrolyt- und Wasserhaushalt. Die Bildung von Kohlenhydraten aus Proteinen (Glukoneogenese) fällt ebenso in die Kompetenz der Glukocorticoide wie die Speicherung von Glukose als Glykogen, die Aktivität des Nerven- und Muskelsystems ebenso wie die Immunantwort. Sie sind membrangängig und können daher an cytosolische Rezeptoren binden, durch die Kernporen in den Kern eindringen und an spezifische Gene andocken, deren Transkription sie auf diese Weise einleiten. (Dieser Effekt wurde erstmals in den 1960er-Jahren durch Arbeiten am Häutungshormon der Insekten, Ecdyson, erforscht). Allerdings bewirken manche Glukocorticoide auch die Einbindung eines GPCR. So heißt es 2013 in einem Übersichtsartikel von M. Kadmiel und J. A. Cidlowski von den National Institutes of (Environmental) Health in Trends of Pharmacological Sciences:
» Since all glucocorticoids are not created equal, conclusions drawn from one glucocorticoid may not be equivalent to that of another glucocorticoid. [23]
[Da »
nicht alle Glukocorticoide gleich beschaffen sind, kann man Schlussfolgerungen nicht von einem Glukocorticoid auf ein anderes übertragen.]
Überdies gibt es keinen eigenen Rezeptor für Cor-tison, das einen glukocorticalen (und auch mineralocorticoiden) Breitbandeffekt ent-faltet und entsprechend therapeutisch viel-fältig eingesetzt wird. Wie in den 2010er Jahren im Detail untersucht wurde, kommt hier der membrangängige Glukocorticoid-Rezeptor vom Typ NR3C1 zum Einsatz – Voraussetzung für die Bindung an verschiedene Gene und deren Aktivierung. (Die Unterscheidungsmerkmale zwischen Cortisol und Cortison sind in der Literatur nicht immer klar erkennbar.) All dieses offenbart die breite Variabilität der Signaltransduktion durch diese niedermolekularen Hormone. Entdeckt wurde Cortison um 1929/1930, als man Tieren die Nebennieren entfernte und die Effekte durch Gabe von Nebennierenextrakten kompensieren konnte. In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre wurde Cortison von dem US-Amerikaner Edward C. Kendall und von dem ukrainischstämmigen Schweizer Tadeus Reichstein isoliert und 1948 von dem befreundeten US-Mediziner Philip S. Hench in der innovativen Mayo-Klinik, Rochester, N. Y., erstmals Patienten zur Behandlung von Rheumaschmerzen injiziert. Der Titel der resultierenden Publikation lautet: „The effects of the adrenal cortical hormone 17-hydroxy-11-dehydrocorticosterone (Compound E) on the acute phase of rheumatic fever; preliminary report“, 1949 in den schwer zugänglichen Mayo Clinic Proceedings publiziert. Eine Würdigung gab A. K. Saenger 2010 [24]. Hench, Kendall und Reichstein erhielten dafür 1950 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Inzwischen wird die entzündungshemmende („antiphlogistische“) Wirkung von Cortison breitflächig therapeutisch ausgenützt. Cortison und Hydrocortison wurden in den
10.6 · Weitere niedermolekulare Verbindungen als neuronale Primärboten
1980er-Jahren auch im Fett des Alpenmurmeltiers (Marmota marmota) gefunden, das in alpinen Gegenden schon seit Generationen gegen Entzündungen, Rheuma sowie Muskel- und Gelenkschmerzen eingesetzt wird (Volksmedizin). Die praktische Erfahrung kann eben auch dem theoretischen Wissen manchmal vorauslaufen… 10.6 Weitere niedermolekulare
Verbindungen als neuronale Primärboten
Darunter fällt eine Reihe von Neurotransmittern, die von verschiedenen Neuronen oder neurosekretorischen Zellen freigesetzt werden: Catecholamine (Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin und L-DOPA = L-3,4-Dihydroxyphenylalanin als Catecholaminvorstufe), Acetylcholin, Glutamat, Serotonin (5-Hydroxytryptamin), GABA (γ-Aminobuttersäure), um nur einige wichtige zu nennen. Ihre Rezeptoren an der Zellmembran sind zum Teil GPCRs, jedoch gibt es daneben öfters für ein und denselben Botenstoff eine Signaltransduktion ohne GPCR-Beteiligung. Daher seien die wichtigsten Vertreter vorgestellt und ihre Rezeptoren sowie deren Entdeckungsgeschichte hier nachgezeichnet. Dabei zeigt sich, dass unser Zentralnervensystem nicht nur anatomisch, sondern auch in seiner lokalen Feinstruktur mit zahllosen Zell-Zell-Kontakten und in der diversifizierten Signalgebung als hochkomplexes System arbeitet. Zu den im 7 Abschn. 10.7 im Detail besprochenen GPCRs sei hier kurz das für das Verständnis der multiplen Interaktionen Wesentliche vorweggenommen. Nach Bindung eines Liganden binden GPCRs innenseitig weitere signalgebende Moleküle, z. B. Adenylatcyclase. Diese wiederum bildet in großer Zahl den sekundären Botenstoff cAMP, der seinerseits zahlreiche Proteinkinase-A-(PKA-)Moleküle aktivieren
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kann, was schlussendlich über die Phosphorylierung spezifischer Proteine zu einem terminalen Stimulationseffekt in der Zelle führt. So wird die Signaltransduktion in einer Kaskade ins Innere der Zelle geleitet, wobei die Primärbotschaft erheblich verstärkt wird (Signalamplifikation). Auf dieses Prinzip und die mehrfache Würdigung durch Nobelpreise werden wir zurückkommen. Am längsten als Neurotransmitter bekannt ist Adrenalin, auch Epinephrin genannt; beides bedeutet die Herkunft von den Nebennieren bzw. deren Mark („ἐπί, epi“ = auf; „νεϕρός, nephrós“ = Niere). Der Effekt von Drüsenextrakten wurde erstmals 1895 von dem polnischen Physiologen N. Cybulski studiert. Die Aufreinigung gelang 1901 dem Japaner J. Takamine, 1904 gefolgt von der Synthese. Es wird in Kampfoder Fluchtsituationen und in emotionalen Situationen aktiviert, wobei der Mandelkern (Amygdala) an der Hirnbasis über das sympathische Nervensystem entsprechende Alarmsignale aussendet. Unter den Rezeptoren gibt es α- und β-adrenerge Formen, jeweils mit Untertypen und mit Unterschieden in der Pharmakologie, in der Anbindung an GPCRs und in physiologischen Effekten wie Herz- und Atemtätigkeit, Blutdruck etc. Zunächst wurde 1856 vom Franzosen A. Vulpian entdeckt, dass das Nebennierenmark eine Substanz freisetzt, deren besondere pharmakologische Eigenschaften in den 1890er-Jahren in verschiedenen Ländern aufgeschlüsselt wurden. Die Synthese von Epinephrinen erfolgt aus der Aminosäure Phenylalanin bzw. aus dem davon abgeleiteten Tyrosin, über L-DOPA und Dopamin zu Noradrenalin und teilweise weiter unter Beteiligung einer Methyltransferase zu Adrenalin. (Phenylalanin ist eine der essenziellen Aminosäuren, die vom Menschen nicht synthetisiert werden können, sondern mit der Nahrung aufgenommen werden müssen.) (Nor-)Adrenalin ist auch von Invertebraten bekannt,
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
jedenfalls von Bilateria ab den Ringelwürmern (Anneliden). Dopamin ist wichtig für die Feinmotorik, also für das Zusammenspiel von Anspannung und Entspannung der Muskeln. Dieser Transmitter wird von Neuronen der Substantia nigra im Bereich des Mittelhirns (Mesencephalon) sezerniert. (Ihren Namen verdankt diese Zone dem hohen Gehalt an Eisen und Melanin – dem Stoff, der auch Haut und Haare dunkel färben kann.) Die S. nigra hat zahlreiche afferente und efferente Verbindungen, ihre Funktion ist daher komplex. Die Zahl der Zellen der S. nigra nimmt physiologischerweise mit dem Alter ab. Erfolgt jedoch der Abfall vorzeitig, entwickelt sich ein Morbus Parkinson. Die betroffenen Patienten sind an ihren kleinen, schlurfenden Schritten und den unkontrollierten Fingerbewegungen (wie beim Geldzählen) erkennbar. Wesentliche Einsichten gehen auf den schwedischen Pharmakologen und Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin des Jahres 2000, Arvid Carlsson, zurück [25]. (Der Preis wurde mit E. Kandel und P. Greengard geteilt; 7 Abschn. 17.11.) Er hatte in den 1950er-Jahren seinen Versuchstieren Reserpin gegeben, das Parkinson-Symptome auslöste. Dieses konnte er vermindern, sobald er den Tieren L-Dopa applizierte. Therapeutische Effekte mit l-Dopa konnte der österreichische Neurologe Walther Birkmayer erzielen. Ihn lernte ich als Postdoc an der Universität München anlässlich der Habilitation seines Sohnes kennen; Birkmayer hatte auch den alten Mao Tse-tung (Mao Zedong) behandelt. Weitere zellbiologische Details kommen in 7 Abschn. 14.5 zur Sprache. Einer der wichtigsten Neurotransmitter im peripheren Nervensystem ist Acetylcholin. Diese Erkenntnis kam in Stufen: 1904 sah der US-Amerikaner W. B. Elliott, dass durch chemische Stoffe nach Blutübertragung bestimmte neuronale Effekte ausgelöst werden. Ab 1914 zeigte der britische Physiologe und Biochemiker Henry H. Dale, dass das stimulierende Agens Ace
tylcholin sein könnte – der Neurotransmitter von neuromuskulären Verbindungen. Das deutete darauf hin, dass Neurone ihre Impulse als chemische Botschaft absetzen würden. Genau dies bewies Otto Loewi 1921 mit Experimenten am Froschherzen; er nannte den Neurotransmitter ursprünglich Vagusstoff [26], weil er vom Nervus vagus ausgehend eingesetzt wird. (Allerdings wurde Acetylcholin/Vagusstoff später – neben dem dominierenden Adrenalin – auch als Transmitter im sympathischen Funktionsbereich identifiziert.) Damit war erstmals die chemische Natur der Neurotransmission bewiesen. Dale und Loewi wurden 1936 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet – ein bitterer Preis für den jüdisch-deutsch-österreichischstämmigen Wissenschaftler Otto Loewi, der 1946 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb. Von Loewis Verdiensten und Schicksal wird in 7 Abschn. 18.3 die Rede sein. Mit immuncytochemischen Methoden konnten ab ca. 2010 SNAREs und weitere dock- und fusionsrelevante Proteine an der präsynaptischen Membran lokalisiert werden; vorher hatte die radioaktive Markierung kombiniert mit Autoradiographie belegt, dass die postsynaptische Membran mit Acetylcholinrezeptoren gepflastert ist. Der synaptische Spalt enthält Esterasen, die nach der Neurotransmission einen Überschuss an Acetylcholinmolekülen spalten und auf diese Weise inaktivieren. Damit ist ein kurzer Aktivierungsimpuls gewährleistet. Die nachfolgende Aktivierung der Muskelzelle, die ebenfalls über Depolarisation erfolgt, ist gleichfalls von einem Ca2+-Signal begleitet, das die Kontraktion auslöst (. Abb. 10.5). Im Tierreich ist Acetylcholin ein weitverbreiteter Transmitter, jedenfalls ab den Bilateria (primitive Würmer). Dagegen ergaben Untersuchungen an Nesselquallen 2009 Anhaltspunkte lediglich für Taurin, β-Alanin und eventuell für GABA als potenzielle Neurotransmitter. Allerdings ist die Existenz von GPCRs für die Myxa-
10.6 · Weitere niedermolekulare Verbindungen als neuronale Primärboten
10
249
c
a
~10 µm
b Nerv
~10 µm
Muskel
1 µm
. Abb. 10.5 Neuromuskuläre Kontaktzone (motorische Endplatte). (a, b) Zwei unterschiedliche lichtmikroskopische Vergrößerungen eines sich hin zu Endplatten verzweigenden Nervs, der quergestreifte Muskelfasern versorgt. (c) Endplatte im Diaphragma („Zwerchfell“) der Maus im Elektronenmikroskop. Links reicht das Ende eines Fortsatzes eines Motoneurons (nz = Nervenzelle) an eine quergestreifte Muskelzelle (mz, rechts) heran. „sz“ bezeichnet eine Hüllzelle des Neurons (Schwann-Zelle). Die Nervenzelle enthält zahlreiche Mikrotubuli (mt) zur Stützung der längsgestreckten Zellform und als Gleitschienen für die Anlieferung von Neurotransmittervesikeln (ntv, mit Acetylcholin). Das Neuron enthält in der Kontaktzone zahlreiche dieser kleinen Vesikel angereichert; seine (präsynaptische) Membran (prm) steht einer stark gefalteten postsynaptischen Membran (pom) der Muskelzelle gegenüber, die zahlreiche Mitochondrien (mi) enthält. Prä- und postsynaptische Membran umschreiben den synaptischen Spalt (ss). Die Aktivierung des Neurons wird vom Einstrom von Ca2+ über spannungsabhängige Ca2+-Kanäle begleitet (orangefarbene Symbole mit Pfeil). (Quellen: (a), (b) unveröffentlicht, (c) scl = synaptic cleft (synaptischer Spalt) [52])
möbe Dictyostelium gut etabliert (7 Abschn. 9.15.1), während von Ace-tylcholin wohl kaum je die Rede war. Erst 2023 wurde in einer molekularbiologischen Analyse die Existenz von GPCRs in zahlreichen Alveoata (Ciliaten und Apicomplexa-Parasiten, einschließlich Paramecium und Plasmodium) belegt [53]. Es gab über die ver-
gangenen 20 Jahre mehrere fragmentarische Berichte über einen mutmaßlichen GPCR bei Paramecium. Für den Parasiten Toxoplasma wurde 2022 im EMBO Journal im Zusammenhang mit der Freisetzung von Rhoptry-Sekret bei der Kontaktnahme mit Wirtszellen argumentiert, dass ein GPCR-ähnlicher Rezeptor eine zentrale Stel-
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
lung ausübe (7 https://doi.org/10.15252/ embj.2022111158). Glutamat wird oft als der wichtigste Neurotransmitter im zentralen Nervensystem betrachtet (soweit man überhaupt Grade von Wichtigkeit in einem vielstimmigen Orchester angeben kann). Unter den verschiedenen Klassen von Glutamatrezeptoren befinden sich solche mit und andere ohne Anbindung an GPCRs bzw. mit ionotroper oder mit metabotroper Wirkung. („Ionotrop“ bedeutet, dass die Bindung eines Transmitters einen Effekt über Ionenkanäle ausübt; metabotrop beschreibt einen Effekt über aktivierende Stoffwechselprodukte, eventuell unter Beteiligung von G-Proteinen und GPCRs.) Glutamat ist in den „spines“ (Dornfortsätze) jener Neurone der Großhirnrinde aktiv, deren reversible Bildung und Aktivierung mit Gedächtnis und Denkvorgängen verknüpft ist (7 Abschn. 17.11). Glutamat wird bereits von Rippenquallen (Ctenophora), Nematoden und Insekten als Neurotransmitter eingesetzt. Die erste Anregung, Glutamat könne ein Neurotransmitter sein, brachte 1952 der Japaner T. Hayoshi auf, jedoch wurde der Gedanke erst in den 1970er-Jahren salonfähig, bis er in den 1980er-Jahren allgemein akzeptiert war. Bereits um 1970 hat eine Post-Doktorandin im Labor von Miriam M. Salpeter an der Cornell University an neuromuskulären Präparaten der großen tropischen Schabe Gomphadorhina portentosa autoradiographische Studien zur Wiederaufnahme von Glutamat durchgeführt und 1974 publiziert: Der „Neurotransmitter-Reuptake“ erfolgte an den Hüllzellen („sheath cells“) – war also keine Neurotransmitter-Wiederaufnahme im heute vielfach diskutierten Sinn. Die Entdeckungsgeschichte von Serotonin wurde umfassend 2013 von M. Göthert als „Contemporary Witness Report“ in der Zeitschrift Pharmacological Reports dargestellt. Als gefäßaktive Substanz 1912 von J. M. O’Connor erkannt, 1937 von V. Erspamer im Verdauungstrakt nachgewiesen
und 1948 von M. M. Rapport als Serotonin beschrieben, wurde dieser Transmitter 1949 von Rapport als 5-Hydroxytryptamin identifiziert [27]. Es handelt sich um ein Derivat der für den Menschen essenziellen (d. h. nicht selbst synthetisierbaren) Aminosäure Tryptophan, die an Schnittpräparaten über seine Fluoreszenz detektierbar ist. Ab 1950 haben sich viele Daten zur Wirkung von Serotonin angesammelt. Angeblich wird ein Hummer mit Serotonin ebenso dominant wie ein Makakenmännchen. Entsprechend einer angeblich (!) aufheiternden Funktion versorgen sich viele Menschen, die dem wohltuenden Effekt von Serotonin anhängen, mit tryptophanreichen Nahrungsmitteln; das sind allen voran dunkle Schokolade, aber auch Nüsse sowie verschiedenes Obst und Südfrüchte. Ein Mensch – so heißt es – wird durch Serotonin glücklich gemacht („Glückshormon“). Es kontrolliert angeblich unsere Laune und Emotionen, ebenso wie unsere sensomotorischen Funktionen und das sexuelle Lustvermögen. Daraus konnte man sich die Folgen eines Serotoninmangels leicht ausmalen. „Der Mensch ist, was er isst“, so meinte der deutsche Philosoph des Materialismus Ludwig Feuerbach, Vorläufer des Materialisten Karl Marx, bereits anno 1850. Neueste Forschungsergebnisse, die nicht im Schlepptau von Pharmafirmen zustande kamen, zeigen jedoch, dass die Verbindung von Serotonin und Glücksempfinden im Sinne einer in mancher Literatur suggerierten Manipulationsmöglichkeit nicht haltbar ist. Jedenfalls hat eine Erhöhung des Serotoninspiegels bei depressiven Patienten keine positive Wirkung auf deren Stimmung ergeben, und umgekehrt hat eine Senkung des Serotoninspiegels bei Gesunden keinen Stimmungsabfall bewirkt. Somit lässt sich die Hypothese, dass Serotonin sich positiv auf die Stimmung auswirkt, nicht aufrechterhalten. Überdies konnte noch niemand den Serotoninspiegel im synaptischen Spalt messen, obwohl unter-stellt wurde, es gälte, dort den Sero-
10.6 · Weitere niedermolekulare Verbindungen als neuronale Primärboten
toninspiegel hoch zu halten. 2023 konnte ein chinesisches Team im Gehirn von Meerschweinchen mit Serotonin-sensitiven Mikrosensoren immerhin einerseitis einen Anstieg unter Stimulationsbedingung feststellen, und andererseits berichteten sie, dass Escitalopram als gängiger „Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitor“ die (extrazellulären) Messwerte erhöht – allerdings um lediglich 10 bis 20 % [54]. Das ist nicht überwältigend - es liegt im Bereich von Placebos - und die Methode erlaubt keine präzisere strukturelle Zuordnung. Insgesamt ergibt nach Meinung unabhängiger, kompetenter Zell- und Neurobiologen der therapeutische Einsatz von Inhibitoren der Serotonin-Wiederaufnahme („serotonin reuptake inhibitors“) bei Depressionen keinen Sinn – ganz entgegen der landläufigen Ansicht und dem ungebrochenen Einsatz von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (7 Abschn. 12.9.1). Warner und Mitarbeiter legten 2017 wohl ungewollt offen, wes Geistes Kind die Argumente sind, als sie auf der Basis eines angeblich durch Serotoninüberschuss verursachten sogenannten „Serotonin-Syndroms“ eine Liste von auslösenden Substanzen aufführten [28]; die Substanzen gehen querfeldein durch das Feld der Pharmakologie. Ein neues Reklamepamphlet für Tebonin behauptet auch justament dieses; man kann ja so leicht auf das Förderband aufspringen. Und leider gibt es für Serotonin kein auf zwei Zellen reduziertes Modellsystem wie bei den neuromuskulären Verbindungen (vgl. oben). Außerdem strahlen serotonerge Neurone, ausgehend von der im Stammhirn gelegenen Raphe-Struktur, in weite Teile des Gehrins aus. Der Hammer über die Depression/Serotonin-Hypothese fiel wohl endgültig im Jahre 2022, als ein britisch dominierter Autorenverbund in einer umfangreichen Tabelle die vielen Primär- und Metadaten auswertete und zum stringenten Schluß kam: „The main areas of serotonin research provide no consistent evidence of there being an association bet-
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ween serotonin and depression [55]“ – es besteht also kein Zusammenhang zwischen Serotonin und Depression. Dieses mag man sowohl als bedauerlich als auch als überraschend erleben, gibt es doch gut fundierte Analysen zur Molekularbiologie und molekularen Struktur sowohl des Rezeptors für die Signalgebung [56] als auch des Transporters von Serotonin/NMDA für die Aufnahme in die Zelle [57]. Die entsprechenden 5-Hydroxytryptamin-Rezeptoren (5-HTR2) sind multimere GPCRs (7 Abschn. 10.7). Das Mosaik von bisher verfügbaren Details lässt sich also nicht zu einem unanfechtbaren Gesamtbild für die Bekämpfung von Depressionen zusammenfügen. Ganz allgemein ist für den Zellbiologen unübersehbar, dass es einen großen Geschäftsbereich mit Wunderdrogen, Kosmetika und Nahrungsergänzungsmitteln gibt, deren suggestive oder konkrete Versprechungen nicht selten dreist sind. Hier wäre der Gesetzgeber in der Pflicht, zumal ein Zuviel an „Kraftstoffen“, Vorbeugungsmitteln und angeblichen Heilmitteln sehr wohl auch kontraproduktiv sein kann. Neuerdings wird ein Bräunungsmittel mit „Hyaluron“ beworben, als ob das eine mit dem anderen zu tun hätte. Aber Hyaluron ist ein guter Werbeträger. Serotonin wird hauptsächlich im Gehirn und im Darm produziert. Da Serotonin einerseits die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren kann, andererseits aber seine zahlreichen mit Rezeptoren ausgestatteten Zielzellen in verschiedenen Bereichen des Körpers liegen, ist die Synthese an enterochromaffinen Zellen von Wichtigkeit. Manche der Serotoninrezeptoren an der Oberfläche verschiedener Zellen sind an unterschiedliche GPCRs gekoppelt oder funktionieren ohne diese Kopplung. Doch das Verwirrspiel geht noch tiefer. Bereits der Nematode Caenorhabditis elegans verfügt über Serotonin. Wiederum irritiert der Befund, dass die pathogene Amöbe Entamoeba histolytica, Erreger der Amöbenruhr, ebenfalls Serotonin produziert – so ein Bericht in Science
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
1983. Dabei scheidet auch der infizierte Darm über seine enterochromaffinen Zellen vermehrt Serotonin aus, vielleicht als Gegenwehr gegen die Infektion. Und was soll Serotonin in Pflanzen bewirken? Sie produzieren Serotonin wohl bei der Entsorgung von giftigem Ammoniak (NH3). Eine ursprünglich als Faktor I bezeichnete Substanz wurde von der Gruppe um Ernst Florey, damals USA, später Universität Konstanz, in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre zunächst im Hummer als γ-Aminobuttersäure (GABA) identifiziert [29]. GABA kommt in unserem Zentralnervensystem ebenso vor wie in peripheren Neuronen. Es kann neuronale Aktivität modulieren, indem es teils stimulierend, bei Säugetieren jedoch immer inhibierend wirkt. Die verschiedenen Möglichkeiten der Signalgebung durch GABA wurden ebenfalls 1959 von der Florey-Gruppe entdeckt. Ein tieferes Verständnis war jedoch erst später möglich, als die GPCRs in ihrem breiten Wirkungsspektrum erkannt wurden. Dieser Aspekt ist nachfolgend zur Illustration der funktionellen Diversifikation dargelegt. Die Etablierung eines Tag-NachtRhythmus bei Vertebraten war vielleicht deren Heterothermie geschuldet (Poikilothermie; Wechsel- oder Kaltblüter), die im Allgemeinen mit reduzierter Aktivitätsphase in der Nacht und erhöhter Tagesaktivität einhergeht. 1998 wurden die Orexine („Hypocretine“) in US-amerikanischen Laboren als Regulatoren erkannt: Orexine sind „Weckhormone“ [30]. Sie werden im Hypothalamus als Prä-Pro-Proteine gebildet (7 Abschn. 9.6.1). Beim Menschen ergibt dies Orexin A/Hypocretin 1 aus 33 Aminosäuren und Orexin B/Hypocretin 2 aus 28 Aminosäuren. Ihre Ausschüttung aus dem Hypothalamus über Exocytose wird durch das Neuropeptid Y ausgelöst. Orexine sind auch Gegenspieler der „Sättigungshormone“ vom Typ Leptine (7 Abschn. 8.5.1). Diese und der Blutzuckerspiegel werden als
Steuermechanismus diskutiert, der mit der Aktivierung über zwei Rezeptoren vom Typ GPCR eingeleitet wird (7 Abschn. 10.7.2); die Funktion beider Rezeptoren war hier vorher nicht bekannt („orphan proteins“ – ein Hinweis auf die Bezugslosigkeit; orphan = verwaist). Orexine werden auch im Darm-, Magen- und Pankreasgewebe gebildet. Das ergibt eine seltsame „DarmHirn-Achse“ zur Steuerung von Aktivität und Nahrungsaufnahme. Mit Pharmaka, welche die Orexin-Rezeptoren blockieren, kann man korrigierend eingreifen, wobei der Wachzustand gedämpft wird. Ein Gegenspieler ist das Melatonin, ein niedermolekulares Hormon (N-Acetyl-5-Methoxytryptamin), dessen Entdeckung von A. Lerner et al. 1958 im Journal of the American Chemical Society berichtet wurde. Seinen Einfluss auf die Dauer der Schlafphasen etablierte der Österreicher F. Waldhauser in den 1980er-Jahren [31]. Melatonin wird in der Zirbeldrüse (Pinealis) aus Tryptophan über Serotonin synthetisiert. Melatonin beteiligt sich ebenfalls bei der Regulation des Tag-Nacht-Rhythmus und wird aktuell bei Schlafstörungen angepriesen, wiewohl ein monovektorieller Ansatz auf Dauer nicht unbedingt erfolgreich sein muss. (Jedenfalls waren Melatoninpräparate beim Flugpersonal immer schon populär.) Die Zirbeldrüse verdankt ihren Namen der alpinen Zirbe oder Zirbelkiefer (Pinus cembra) und hängt dorsal am Zwischenhirn, also auf der der Hypophyse abgewandten Seite (7 Abschn. 10.8). Sie wurde früh in der Evolution der Vertebraten angelegt, wo sie ein drittes (Scheitel-) Auge in einer kleinen Öffnung zwischen den Scheitelbeinen (Ossa parietalia) bildet. Man kann sie am Kopf von Eidechsen leicht als kleines Knöpfchen am Schädeldach orten. Dass es sich um ein Auge handelt, wurde erst mit elektronenmikroskopischen Analysen sichtbar. Von primitiven Fischartigen (Cyclostomen, Neunaugen) bis zu Reptilien sieht man klar, dass der periphere Teil der Pinealocyten – wie bei den Stäbchenzellen
10.7 · Proteine und Peptide als Primärboten und Signaltransduktion …
unserer Retina – aus dicht gepackten Membranstapeln bzw. Säcken besteht und dass dieser Teil mit dem kernhaltigen Zellkörper über ein Cilienderivat verbunden ist (7 Abschn. 8.6 und 14.2). Bei Vögeln sieht man diese Strukturen noch rudimentär und gar nicht mehr bei Säugetieren. Bei allen Vertebraten verarbeitet die Zirbeldrüse Lichtsignale und übernimmt damit ene Funktion bei der Steuerung des Tag-Nacht-Rhythmus. Die Erregung durch Licht wird zum Nucleus suprachiasmaticus im Hypothalamus geleitet, der somit das primäre chronobiologische Zentrum, also den Hauptzeitgeber, der „inneren Uhr“ darstellt. Mano und Fukuda gaben 2007 eine gute Zusammenfassung der evolutiven Zusammenhänge (Mano H, Fukuda Y 2007; 7 https://doi.org/10.1562/2006-02-24-IR-813). So ganz danebengegriffen hat Umberto Eco in seinem mittelalterlichen Schelmenroman „Baudolino“ also nicht, wenn er im fernen Orient einäugige Monster auftreten lässt… 10.7 Proteine und Peptide
als Primärboten und Signaltransduktion über G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs) – eine vertiefte Übersicht
Komplizierter ist die Signaltransmission bei komplexeren Primärbotenstoffen, wie bei den Peptid- oder mit den noch größeren Polypeptid-(Protein-)Hormonen, den sogenannten Proteohormonen. Zur Erinnerung: Die Botschaft wird an der Zellmembran „abgegeben“, indem die Signalmoleküle wiederum an einen spezifischen Rezeptor binden und diesen so aktivieren, dass im Innern – fallweise über GPCRs – ein zweiter Botenstoff gebildet wird, der schlussendlich spezifische Zielmoleküle aktivieren kann. Dieser Weg gilt im Übrigen auch für manche niedermolekularen Primärboten.
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10.7.1 Allgemeine Erörterungen
Dabei gibt es prinzipiell folgende Möglichkeiten. Zuerst ein Negativbeispiel. 5 Im Falle des Proteohormons der Bauchspeicheldrüse, Insulin, bindet ein konstitutiv dimerer Rezeptor den Primärboten, und der so aktivierte Rezeptor bewirkt im Innern Folgereaktionen ohne Einbeziehung eines GPCR. Bei Insulin hat dies zur Konsequenz, dass der Insulinrezeptor durch Phosphorylierung aktiviert und der Glukosetransporter über Vesikeltransport in die Zellmembran eingebaut wird. Damit wird für die Zelle vermehrt Glukose zur Speicherung als inertes Glykogen verfügbar gemacht und als Glykogen gespeichert, wodurch der „Blutzuckerspiegel“ sinkt. Weitere Effekte wirken über bestimmte Proteinkinasen und Proteinphosphatasen sowie über den Inositolphosphatstoffwechsel. Im Endeffekt können Glykogen- und Proteinsynthese ebenso wie Genexpression und Zellproliferation angekurbelt werden. 5 Der Weg der Entdeckung von Insulin war lang. 1889 hatten der litauisch-deutsche Internist O. Minkowski und der deutsche Mediziner J. von Mering Hunden das Pankreas entfernt, um den Effekt auf die Verdauung zu studieren. Nachdem sie eine Ansammlung von Fliegen beobachtet hatten, fanden sie Zucker im Harn der Versuchstiere – ein beachtenswerter, wenn auch primitiver Bionachweis. Während des Ersten Weltkrieges gelang es dem rumänischen Physiologen N. C. Paulescu, einen antidiabetischen Extrakt zu gewinnen und Hunde nach Pankreasexstirpation zu behandeln [32]. Jedoch kamen ihm andere knapp zuvor: Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ging 1923 an den kanadischen Mediziner Frederick Banting sowie seinen schottischstämmigen zeitweisen Gastgeber John J. R. Macleod. (Der hier maß-
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
geblich beteiligte Student Charles H. Best ging leer aus.) Sie hatten Hunden das Pankreas entfernt (wo nach späteren Erkenntnissen in den Langerhans-Inselzellen Insulin erzeugt wird). Mit injizierten Pankreasextrakten konnten sie die Hunde am Leben erhalten, und bald gelang dieses auch mit Diabetikern – sogar über Jahrzehnte. Wie in 7 Abschn. 9.6.1 dargelegt, wurde die Struktur von Insulin 1953 von F. Sanger aufgeklärt; das Pro-Protein bedarf zur Aktivierung einer limitierten Proteolyse. 5 Eine zweite Möglichkeit der Signaltransduktion, die hier angeschnitten werden soll, läuft über GPCRs. In allen Fällen wird, von einem aktivierten Oberflächenrezeptor für den Primärboten ausgehend, eine intrazelluläre Signalkaskade mit vielfacher Amplifikation des Sekundärsignals und der Aktivierung der Effektorproteine eingeleitet. Dieser Aktivierungstyp wurde ab den 1960er-Jahren aufgeklärt und erbrachte mehrere Nobelpreise (unten). Die in 7 Abschn. 10.6 angeschnittenen β-adrenergen Rezeptoren sind ein Beispiel hierfür. 5 Für diesen zweiten Aktivierungsmechanismus sei vorweg das erstaunliche Beispiel des Peptidhormons Oxytocin erwähnt, das 1906 Sir Henry Dale entdeckte [33] und dem in den 1950er-Jahren der US-Amerikaner Vincent du Vigneaud zum Durchbruch verhalf [34]. Oxytocin ist ein cyclisches Nonapeptid (neun Aminosäuren), wovon 5 + 1 in einem Ring vernetzt sind. (Cyclische Peptide sind bei Eukaryoten rar: Phalloidin und Amanitin, Toxine der Knollenblätterpilze, sind sogar bicyclische Peptide.) Es läuft auch unter dem Trivialnamen „Liebeshormon“ oder „Kuschelhormon“, da es für entsprechendes Verhalten, vom mütterlichen Stillen (Laktation) bis zur Mutter-Kind- und Partnerbindung (und einigem mehr), verantwortlich ist. Seinen
Namen erhielt es von seiner Funktion, die Geburt zu erleichtern („ὠκύς, ōkys“ = schnell, „τόκος, tokos“ = Geburt; insgesamt also „leicht gebärend“ durch wehenfördernde Funktion). Oxytocin ist bei allen Vertebraten nachgewiesen. Irritierend ist allerdings ein Bericht vor einigen Jahren, Oxytocin käme auch bei Lymnaea vor – jener wasserlebenden Lungenschnecke, die dem Großen Leberegel, Fasciola hepatica, als Zwischenwirt dient – nicht gerade eine Liebesheirat. Eigenartig mutet auch der Titel von du Vigneauds Nobel-Vortrag 1955 an: „A trail of sulfa research: From insulin to oxytocin”. Eigenartig ist das Verhalten der leiblichen Mutter, die ihr Kind beim „Salomonischen Urteil“ im Alten Testament aufgibt (1 Kön 3,16–28). 5 An dieser Stelle ist ein Rundumblick über eine komplexe Situation der Signaltransduktion nach diesem zweiten Mechanismus, also über G-Proteine und GPCRs, angebracht [35]. Dies führte zu mehrfachen Auszeichnungen durch das Nobel-Komitee und betrifft zahlreiche Botenstoffe. 5 Neben dem soeben abgehandelten Fall können folgende niedermolekulare Neurotransmitter fallweise über GPCRs wirken: Adrenalin, Dopamin, Serotonin, Glutamat und Acetylcholin; dazu kommt der Neurotransmitter GABA aus GABAergen Neuronen. Alle sind in die höchsten Funktionen unseres Gehirns eingebunden. Dasselbe gilt für den Ca2+-Sensing-Rezeptor an der Oberfläche mancher Zellen. Allerdings werden die genannten Primärboten nicht immer an GPCRs gekoppelt, weil manche direkt wirken, etwa als Ionenkanäle. Ein Beispiel ist der GABA-Rezeptor, dessen Formen GABAAR und GABABR jeweils als ionotrope bzw. metabotrope Rezeptoren bezeichnet werden, und nur GABABR wird bei der Signaltransduktion an einen GPCR gebunden, den es
10.7 · Proteine und Peptide als Primärboten und Signaltransduktion …
aktiviert. GABA-Neurone kontrollieren andere Neurone und können sedierende und schlaffördernde Wirkung entfalten. Damit ist die Entdeckung von GABA als Neurotransmitter in den 1950er Jahren durch Florey in ungeahnter Weise komplex geworden. 5 Schlussendlich greift die Aktivierung von GPCRs auch für Oligo- bis Polypeptide des Hypothalamus, die ihrerseits die Abgabe von Freisetzungsfaktoren bzw. von einzelnen Hormonen der Hypophyse bewirken („releasing factors“, Freisetzungshormone; 7 Abschn. 10.8). Ebenfalls über GPCRs wirken weitere Peptide und Proteine, wie das follikelstimulierende Hormon (FSH) der Hypophyse und das 24 Aminosäuren lange Polypeptid Glukagon, wie Insulin aus dem Inselorgan des endokrinen Pankreas. Es wirkt über GPCRs, im Gegensatz zu seinem Gegenspieler Insulin (Glukagon aus den A-, Insulin aus den B- Zellen). Die Entdeckungs- und Fortentwicklungsgeschichte des Insulins wurde von L. Rosenfeld nachgezeichnet [36]. Ohne GPCRs wird auch das 191 Aminosäuren lange Wachstumshormon der Säugetiere mit 22 kDa molekularer Größe aktiv. Neben diesen altbekannten Hormonen gab es um das Jahr 2000 auch noch eine Überraschung: Das vom Hypothalamus bereitgestellte Peptidhormon Kisspeptin („Kiss“) wurde als Ligand für einen GPCR gefunden, dessen Aktivierung beim Menschen das Durchlaufen der Pubertät einleitet. Wie Pasquier et al. (2014) im Journal of Molecular Endocrinology zusammenfassen [35], kennt man Kiss inzwischen ab den Selachiern (Haifische) und seinen Rezeptor oder Fragmente davon ab den Knochenfischen (Teleostier); sie kommen aber vielleicht schon ab den Echinodermen (Stachelhäutern), also bei allen Deuterostomiern vor. Was Kisspeptin bei diesen Organismen wohl bewirken mag?
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5 Im Zusammenhang mit GPCRs ist folgendes zu bemerken. Am Regulationsmechanismus der Geschlechtsreife sind auch Steroidhormone beteiligt, die u. a. direkt durch Genaktivierung, jedenfalls ohne GPCRs, wirken. Der Stimmbruch, der bei Jungen damit einhergeht, wurde noch vor ein, zwei Jahrhunderten und sogar noch später nicht einfach hingenommen. Man kastrierte junge Sänger mit guter Stimme, um den wertvollen Knabensopran für die Kunst und zur Ehre Gottes zu erhalten. Köstlich war ein Fernsehauftritt des österreichischen Burgschauspielers Josef Meinrad in der Rolle des Komponisten Joseph Haydn († 1809), als er lustvoll-schalkhaft erzählte, er sei nur knapp der „Sopranisierung“ entkommen. Sein Vater hatte die Einwilligung versagt. Es war ein langer Weg von den ersten Beobachtungen bis zum Konzept der Signalamplifikation über GPCRs. Am Anfang standen Beobachtungen des US-Amerikaners Earl Wilbur Sutherland [8], der 1971 den Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin zugesprochen bekam. Seine Arbeiten zeigten, dass Hormone nicht in die Zelle eindringen, sondern durch eine Signaltransduktion über die Zellmembran hindurch aktiv werden. „For their discovery of G-proteins and the role of these proteins in signal transduction in cells“ [37] [für ihre Entdeckung der G-Proteine und die Rolle dieser Proteine bei der Signaltransduktion in den Zellen], wie es in der Begründung hieß. Dies sollte nicht der letzte Nobelpreis im Zusammenhang mit GPCRs sein – es sollten insgesamt neun werden, wenn man alle direkt oder indirekt damit in Zusammenhang stehenden Arbeiten von 1947 bis 2012 berücksichtigt, davon drei nach 1994. Wie viel Spürsinn die Aufklärung von derlei komplexen Signalkaskaden erforderte, illustriert die kuriose Geschichte von der Entdeckung von cAMP als Zweitbote (7 Abschn. 10.2).
Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
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In einem Review des Jahres 2007 von Lutz Birnbaumer, selbst ein Experte in Sachen trimere G-Proteine, liest sich das wie folgt:
» By
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an interesting coincidence the 1977 Oct 25 issue of the Journal of Biological Chemistry carried two landmark papers on the same subject. One was Thomas Pfeuffer’s full length article on the reconstitution of fluoride-stimulated activity by a guanine nucleotide-binding component (Pfeuffer, 1977). The other was a short communication by Elliott Ross and Alfred Gilman, then at the University of Virginia, Charlottesville, on the resolution of a hormone and fluoride stimulated adenylyl cyclase system into an enzyme proper and a stimulatory regulatory component mediating the activation by guanine nucleotides and fluoride (Ross and Gilman, 1977). This discovery would later earn Alfred Gilman the sharing with Martin Rodbell of the 1994 Nobel Prize in Medicine for the discovery of the G protein mediated signal transducing systems. [38]
» [Durch
einen interessanten Zufall beinhaltete die Ausgabe des Journal of Biological Chemistry vom 25. Oktober 1977 zwei richtungweisende Publikationen zum gleichen Thema. Die eine war Thomas Pfeuffers Volllänge-Artikel über die Rekonstitution der fluoridstimulierten Aktivierung durch eine Guaninnukleotidbindende Komponente (Pfeuffer, 1977). Die andere war eine Kurzmitteilung von Elliott Ross und Alfred Gilman, damals an der University of Virginia in Charlottesville, über die Trennung eines Hormons und eines fluoridstimulierten Adenylatcyclase-Systems in ein eigentliches Enzym und eine stimulatorische Regu lationskomponente, welche die Aktivierung durch Guaninnukleotide und Fluorid vermittelt (Ross und Gilman, 1977) etc.].
Diese Entdeckung würde später Alfred Gilman mit Martin Rodbell einen Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für die Entdeckung der G-Protein-vermittelten Signaltransduktion einbringen. Das liest sich ähnlich spannend wie die Entdeckung von cAMP in 7 Abschn. 10.2. Demnach war die Beobachtung des stimulatorischen Effekts von Fluoridionen auf die Bildung cyclischer Nukleotide bzw. die Hormonwirkung entscheidend für diese Entdeckungen. Experimentell-pharmakologisch kann die Produktion von cAMP auch beträchtlich über die Stimulation der Adenylatcyclase durch Forskolin gesteigert werden. Forskolin gehört zur Gruppe der Diterpene und kann aus tropisch bis subtropisch weitverbreiteten Plectranthus-Arten isoliert werden (Harfensträucher, Lippenblütler, Lamiaceae). Dies ist insofern bemerkenswert, als die Zellbiologie insgesamt weit mehr auf inhibitorische (!) Effekte pflanzlicher Toxine abhebt. Zusammenfassend können auf diese Weise die genannten Botenstoffe – und viele weitere – verschiedene Zielzellen über GPCRs aktivieren. Unter 7 https://www.guidetopharmacology.org/ GRAC/ReceptorFamiliesForward?type=GPCR kann man sich einen Eindruck von der Vielfalt von GPCRs in verschiedenen Zelltypen und bei unterschiedlicher Stimulation verschaffen. Hier stellt sich die Frage, warum eine Zelle nicht durchdreht, wenn so viele primäre Botenstoffe auf sie einwirken können. Die Lösung der Evolution ist, dass es zahlreiche verschiedene Rezeptoren in der Zellmembran für viele jeweils verschiedene Botenstoffe gibt, an die GPCRs mit unterschiedlicher Molekularstruktur ankoppeln, sobald ein spezifischer Ligand andockt. (Als Gegenbeispiel findet Oxytocin beim Menschen einen einzigen GPCR-Rezeptortyp vor.) Was ergibt also die Spezifität der ins Zellinnere vermittelten Botschaft durch den jeweiligen außenseitig andockenden Liganden?
10.7 · Proteine und Peptide als Primärboten und Signaltransduktion …
10.7.2 Das Prinzip der
Signaltransduktion über G-Protein-gekoppelte Rezeptoren und Ca2+
Es gibt G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs) für zahlreiche Botenstoffe. Beim Menschen stehen sagenhafte 865 Gene für die Kodierung zur Verfügung; sie alle haben sieben TM-Domänen. GPCRs binden bei Stimulation innenseitig ein GTP-Bindeprotein („G-Protein“), das sich aus den drei von Gilman und Rodbell ab 1980 entdeckten Untereinheiten besteht, die erst bei Stimulation koassemblieren. Von der α-Untereinheit gibt es zahlreiche Isoformen wie α0, αs und αi usw., die eine Differenzierung der Signaltransduktion erlauben. (Einige Subtypen von α-Untereinheiten können durch Pertussis- und Choleratoxine selektiv „angesprochen“ und identifiziert werden; 7 Abschn. 15.4.2) Bindet auf der Zelloberfläche ein Ligand, z. B. ein bestimmtes Proteohormon, so bindet am GPCR erst die passende α-Untereinheit, an die sich der Komplex aus β- und γ-Untereinheit anlagert. Seit 2018 kann die Signalgebung über manche trimere G-Proteine in Echtzeit sichtbar gemacht werden: Ein Sensor aus einer spezifischen cAMP-Bindedomäne und einem Fluoreszenzmarker verändert seine Fluoreszenz, sobald ein GPCR aktiviert und durch die Aktivierung des passenden G-Protein-Komplexes seinerseits die Adenylatcyclase zur Bildung von cAMP angeregt hat, das dann am Sensor gebunden wird. Die Aktivität der intrazellulären Signaltransduktion über GPCRs ist durch verschiedene Parameter jeweils auf die „Botschaft von außen“ zugeschnitten. 1. Zum einen sind spezifische Rezeptoren auf bestimmte Zielzellen beschränkt, wie beispielsweise der Oxytocinrezeptor auf die Brustdrüse sowie Zellen des Urogenitaltrakts und verschiedener innerer Organe beschränkt ist.
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2. Die unterschiedlichen Kombinationen von Untereinheiten der G-Proteine tragen ebenfalls zur Diversifizierung des Signals bei, vor allem die funktionell wichtigen α-Untereinheiten, z. B. αs und αi, für stimulierende bzw. inhibierende Effekte (wie man nach anfänglichen Ergebnissen differenzierte). Auch manche Geschmacksrezeptoren und der Sehsinn geben über spezifische G-Proteine ihre Signale weiter. Dies trifft für einen Teil der Geschmacksrezeptoren (z. B. Bittergeschmack) und für das Transducin der Sehzellen zu. Insgesamt sind es bei höheren Säugern 21 unterschiedliche α-, fünf β- und zwölf γ-Untereinheiten, was weitere spezifische Varianten der Signaltransduktion ermöglicht. 3. An diesen Komplex aus Ligand (außenseitiger primärer Botenstoff) + Rezeptor (Transmembranprotein) und cytosolseitigen trimeren G-Proteinen lagern sich nach der Aktivierung eines der GPCRs jeweils unterschiedliche Effektormoleküle aus dem Cytosol an. 4. 1996 zeigten zwei US-Amerikaner in Zellkulturen, dass es auch ein „Zwiegespräch“ zwischen zwei verschiedenen GPCRs gibt, die jeweils für Proteinkinase C bzw. für eine cAMP-abhängige Proteinkinase „zuständig“ sind (Liu M, Simon M 1996 [39]). Einen Anklang an Rezeptoren kann man aus der Abhandlung „De rerum natura“ (Band 4) des römischen Dichters und Philosophen Lucretius († 55 oder 53 v. Chr.) erahnen. Darüber schrieb die Zeitschrift Scientific American 1964:
» Two
thousand years ago the poet Lucretius suggested a simple explanation of the sense of smell. He speculated that the “palate” contained minute pores of various sizes and shapes. Every odorous substance, he said, gave off tiny “molecules” of a particular shape, and the odor was perceived when these molecules
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
entered pores in the palate. Presumably the identification of each odor depended on which pores the molecules fitted. [40]
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Das heißt in Kürze, dass duftende Substanzen auf unterschiedliche Poren im Gaumen treffen und auf diesem Wege differenziell wahrgenommen werden. Hier wurde das Schloss-Schlüssel-Prinzip für Rezeptor und Ligand vorweggenommen. Die Aufschlüsselung molekularer Details hat indes Jahrzehnte gedauert. Erst 2023 konnten Billesbølle et al. mittels der sehr anspruchsvollen Methode der Kryo-Elektronenmikroskopie die genaue Einpassung von Geschmacksstoffen in den olfaktorischen Rezeptor OR51E2 zeigen [58], der ein GPCR ist. Der Vielzahl an Gerüchen entspricht (beim Menschen) die selektive Einbindung von annähernd der Hälfte aller über 800 an (trimere) G-Proteine gekoppelten Rezeptoren (GPCR) für eine differenzierte Geruchswahrnehmung. Effektormoleküle können Phospholipase C (PLC) oder Adenylatcyclase sein, um nur zwei Beispiele zu nennen; der erste Mechanismus würde aus Diacyl-Phosphatidylinositolbisphosphat (PInsP2) die Signalstoffe Diacylglycerin (DAG) und Inositol-1,4,5-triphosphat (InsP3) freisetzen, der andere aus ATP cAMP bilden. Somit können verschiedene Folgeprodukte aktiviert werden, die ihrerseits verschiedene Ziele aktivieren: DAG aktiviert Proteinkinase C (PKC), die sodann innerhalb der Zelle umverteilt wird und an ihre Zielmoleküle bindet, deren Phosphorylierung sie bewirkt; InsP3 bindet an spezifische Ca2+-Kanäle (InsP3R, 7 Abschn. 10.2) und cAMP bindet an die Proteinkinase A (PKA), die ihrerseits über Phosphorylierung anderer Proteine deren Aktivierung herbeiführt. Wenn man alle möglichen Alternativen, die in diesen Kombinationen liegen, in Betracht zieht, so ergibt dies eine beträchtliche Diversifikation der Signalgebung und der durch sie erzielten Effekte. Dabei wird jeder Schritt in der Folge durch Bildung vie-
ler Zweitbotenmoleküle (Second Messengers) erheblich amplifiziert. So verwundert es nicht, dass im Zusammenhang mit GPCRs mehrere Nobelpreise vergeben wurden. Als Letztes wurde 2012 der Nobelpreis für Chemie Brian Kobilka und Robert Lefkowitz für detaillierte Arbeiten in den 1980er-Jahren zu den sehr diversifizierten G-Protein-gekoppelten Rezeptoren und ihrer Netzwerkregulation als Wirkprinzip zugesprochen. Diese Erfolgsgeschichte ist ein eminentes Beispiel für den Wert zellbiologischer Grundlagenforschung. Da alle Preisträger in Zusammenhang mit GPCRs US-Amerikaner sind, belegt es aber auch die Effizienz erfolgreicher Forschungsförderung, die weit mehr als in Europa von Bürokratie unabhängig und viel besser dotiert war – allerdings nur, bis ein gewisser Donald Trump das Kommando übernahm. Der Aktionsbereich von GPCRs ist so vielfältig, dass heute mehr als ein Drittel bis zur Hälfte aller Pharmaka an diesem Scharnier subzellulärer Signaltransmission ansetzt – ein wahrhaft riesiger Markt. Als Beispiel seien Drogen erwähnt, die den Blutdruck zu senken vermögen – ein zunehmendes Problem mit zunehmender Lebensspanne. Bluthochdruck ist als Verursacher von Schlaganfall und Herzinfarkt mit 42 % die häufigste Todesursache. Ein Schlüsselprotein ist der Angiotensinrezeptor Typ AT1. Dieser fungiert cytosolseitig als ein GPCR, der die Phospholipase C aktiviert, was zur Erhöhung von [Ca2+]i führt; dieser Ca2+-Anstieg bewirkt die Vasokonstriktion (Gefäßverengung) und dadurch eine Erhöhung des Blutdrucks. Als Gegenmittel wird die Stoffgruppe der Sartane eingesetzt, die auf der regulatorischen Renin-Angiotensin-Aldosteron-Achse wirkt. Inhibitoren des Angiotensinrezeptors AT1, wie Candesartan, binden an diesen Rezeptor und dienen als Blutdrucksenker. Candesartan wurde 1982 von der japanischen Firma Takeda entwickelt, die auch in Deutschland (u. a. in Konstanz) vertreten ist, und kam bei uns 1995 auf den Markt. Aktuell sind
10.8 · Man glaubte es anfangs nicht: Hormone zur Steuerung …
AT-Rezeptoren als Dockproteine für Coronaviren von Interesse (7 Abschn. 15.1.1). Bei Diabetes mellitus Typ 1 („Zuckerkrankheit“) – einer anderen Volkskrankheit – erschiene es sinnvoll, sich auf Insulin bzw. seinen Rezeptor zu konzentrieren. Insulin verstärkt die Aufnahme von Glukose in Zellen und vermindert dabei deren Anstieg im Blut zu Konzentrationen auf ein unschädliches Niveau, das dann für die Gewebezellen nicht mehr durch verschiedene extrazelluläre Mechanismen schädlich werden kann (Schäden durch Hyperglykämie). Wie erwähnt, ist der Insulinrezeptor kein GPCR. Will man dennoch über den GPCR etwas bewirken, so stand die Frage im Raum, ob man auf seinen Gegenspieler, das Glukagon, abheben könnte, das seine Wirkung über GPCRs entfaltet. Seit Ende des letzten Jahrhunderts wurden Inhibitoren des Glukagonrezeptors entwickelt, um in das Wechselspiel Insulin/Glukagon einzugreifen. Derlei Entwicklungen laufen noch, wie aus einem Bericht der American Diabetes Association 2017 hervorgeht. Das komplexe Wechselspiel zwischen Insulin und Glukagon wird rezent in der Zeitschrift Diabetes auf dem neuesten Stand beleuchtet [Habegger K (2022); 7 https://doi.org/10.2337/dbi22-0002]. Werfen wir noch einen Seitenblick auf den Diabetes mellitus Typ 2 (Altersdiabetes), die zunehmende Volkskrankheit: Hier brachten andere, von G-Proteinen unabhängige Medikamente den Fortschritt. Davon greift das seit 1968 verfügbare Biguanid Metformin in den Glukosestoffwechsel ein, indem es die Neubildung von Glukose in den Zellen hemmt und überdies vielleicht auch die Resorption aus dem Darm. Das seit 2015 zugelassene Medikament Jardiance hemmt die Rückresorption von Glukose in der Niere über den Na+/Glukose-Transporter. Metformin übt angeblich nebenbei auch einen Hemmeffekt gegen Tuberkulose, Parkinson und die Entwicklung von Demenz aus. Gegen Diaetes Typ 1 wurde kein geeignetes Medikament gefunden. Erst ab den
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2010er Jahren wurde Dapagliflozin, ein Inhibitor des Na+-Glukose Kotransporters Typ2, erprobt, in den 2020er Jahren wegen der Gefahr einer gefährlichen Ketoazidose (über Abbauprodukte des Fettstoffwechsels) jedoch weitgehend abgelehnt. Beide Formen von Diabetes mellitus, 1 und 2, schädigen unbehandelt das Nerevensystem über noch nicht genau geklärte Effeke, möglicherweise über Zucker-Abbauprodukte und Bildung von Radikalen. Statt Insulin zu injizieren wird 2023 für Diabetes 1 die orale Verabreichung in Kapseln erprobt, die die Magensäure überstehen, aber im höheren pH-Regime des Dünndarms aufgelöst werden. Ganz allgemein ist das eine interessante Perspektive für Proteinmedikamente.
10.8 Man glaubte es anfangs
nicht: Hormone zur Steuerung und Freisetzung von Hormonen
Sprechen wir nun einen weiteren Mechanismus an: Zahlreiche Hormone werden zwar in peripheren Drüsen gebildet, um dann aber auf die jeweiligen terminalen Zielzellen in verschiedenen Organen einzuwirken. Die Zellen der Hormondrüsen ihrerseits werden durch jeweils spezifische Proteohormone stimuliert, die aus der Hypophyse per Exocytose abgegeben werden. Beispiele sind das follikelstimulierende Hormone (FSH) für die Aktivierung der weiblichen Keimdrüsenfollikel, das Thyreoidea-stimulierende Hormon (TSH = Thyr[e]otropin oder thyreotropes Hormon) für die Aktivierung der Schilddrüse, das Wachstumshormon (GH = „growth hormone“) und die bereits erwähnten Hypothalamushormone ACTH und Gonadotropin etc. FSH und TSH sind Glykoproteine. Die Hypophyse ist an der Basis des Gehirns, an der Sella turcica oberhalb des Keilbeins (Os sphenoidale), also oberhalb der Schädelbasis gele-
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
gen. Diese und die auf der entgegengesetzten Seite gelegene Zirbeldrüse (Epiphyse) hatten bereits den altgriechischen Arzt Hipporates († ~ 370 v. Chr.) und den Rationalisten René Descartes in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu kühnen Spekulationen verleitet: Die eine sei der Sitz der Seele, die andere diene dem Abtransport von Schleim (könnte man sagen: „Hirnrotz“?); das zielt zwar an der Bedeutung des Organs vorbei, sieht es jedoch immerhin als sekretorisches Organ an. Für zahlreiche derartige Hypophysenhormone gibt es bei Säugetieren Freisetzungshormone („releasing hormones“, ursprünglich „releasing factors“ genannt), die ihrerseits im Hypothalamus gebildet und über die Hypophyse freigesetzt werden. Es sind dies Oligo- bis Polypeptide von nur drei Aminosäuren („thyreotropin-releasing hormone“, TRH/TRF = „thyreoidea-stimulating hormone-releasing hormone/factor“, TSH-RH), elf („gonadotropin-releasing hormone“) oder 44 („growth hormone-releasing hormone“, GHRH) Aminosäuren, um ein paar Beispiele zu nennen. Für verschiedene dieser Hormone wurden antagonistische Peptidhormone gefunden, so 2007 ein Dodecapeptid für das Gonadotropin-Freisetzungshormon durch ein japanisch/US-amerikanisches Team. Die Mehrfachsteuerung ist also auch hier wieder ein Prinzip der Hormonbiologie. Die Entdeckung der Hormonfreisetzungshormone begann 1969 mit der Isolierung und Strukturbestimmung des TRH/ TSH-RH durch den französisch-US-amerikanischen Physiologen und Biochemiker Roger C. Guillemin und den polnisch-amerikanischen Endokrinologen Andrew V. Schally. Guillemin beschrieb das ganze Rundherum um seine Pionierarbeit 1998 in einem Band „The History of Neuro science in Autobiography“ [41]. Beide wurden 1977 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet. Dazu gab es ab 1924 Vorarbeiten, in denen der US-amerikanische Chemiker J. J. Abel ge-
zeigt hatte, dass wässrige Extrakte des Hypothalamus einen Stimulationseffekt auf die Abgabe von Hormonen aus der Hypophyse ausüben. Eine entsprechende Arbeit, die diese Zusammenhänge stringent zeigen konnte, wurde 1969 von Guillemin bei der Zeitschrift Science eingereicht; sie wurde nicht zum Druck angenommen. Die Einwände der Reviewer waren nicht gut nachvollziehbar. Die weitere Forschung konzentrierte sich in den 1970er- und 1980er-Jahren auf die Releasing-Hormone für Gonadotropin und für ein weiteres Hormon aus der Hypophyse, das luteinisierende Hormon (gelbkörperbildendes Hormon). Das Freisetzungshormon für das Wachstumshormon wurde 1982 von zwei Gruppen, einschließlich jener von R. Guillemin, aus Akromegalie verursachenden Pankreastumoren isoliert. (Akromegalie verursacht übermäßiges Wachstum von Nase, Zunge, Ohren und Gliedmaßen; „ἄκρος, akros“ = äußerst, spitz; „μέγας, megas“ = groß). 2000 wurden entsprechende Sequenzen bei allen untersuchten Chordaten aufgespürt. Die Pathologie im Zusammenhang mit den Freisetzungs- und den Stimulationshormonen ist zu weitläufig, um darauf weiter einzugehen. Manche führen zu Krebs, andere zu spezifischen Symptomen wie Hirsutismus (übermäßige Körperbehaarung) usw. In seltenen Fällen kann GHRH außerhalb seiner normalen Produktionsstätte, also ektopisch, in neuroendokrinen Tumoren hergestellt und aus ihnen freigesetzt werden, was auch zu Akromegalie führt. Defektes ACTH oder Corticotropin-Releasing-Hormon kann das Cushing Syndrom (Morbus Cushing) mit komplexen Symptomen verursachen. Wie vielschichtig die Steuerung über G-Proteine und G-Protein-gekoppelte Rezeptoren auch aus anderer Sicht sein kann, geht – um ein Beispiel zu nennen – aus der Aktivierung und dem Effekt von Gonadotropin hervor. Zunächst wird im Hypothalamus das Gonadotropin-Freiset-
10.8 · Man glaubte es anfangs nicht: Hormone zur Steuerung …
zungshormon („gonadotropin-releasing factor“) gebildet und an den Vorderlappen der Hypophyse (Adenohypophyse) abgegeben. Die Freisetzung des fertigen Hormons, Gonadotropin, von der Hypophyse steht bereits unter Kontrolle eines G-Protein-gekoppelten Rezeptors. Dies gilt aber ebenso für den Effekt vor Ort, also wenn Gonadotropin die Gonaden und weitere
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Zielzellen erreicht, wo es ebenfalls unter der Kontrolle von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren seine Funktionen entfaltet. Wie ab den 1970er-Jahren aufgeklärt werden konnte, haben wir es also insgesamt mit einer hierarchischen Aktivitätsstruktur zu tun: vom Hypothalamus über die Hypophyse bis zu den Zielorganen. Jede Stufe bedeutet eine Signalamplifikation, die mit
. Abb. 10.6 Molekulare Organisation und Signalgebung an einem Fokalkontakt mit Zelladhäsionsmolekülen (vom Typ der Integrine) und Komponenten der extrazellulären Matrix, wie Kollagen, Proteoglykane und Fibronectin. Wo man im Elektronenmikroskop an der Grenzfläche von (Bindegewebs-)Zellen und extrazellulärer Matrix eine wenig auffällige Verdichtung sieht, wird über stationäres Verweilen im Gewebeverband oder aber über Migration, fallweise auch über Normalität oder Entartung und Metastasenbildung entschieden. Die Wechselwirkungen sind dabei vielfältig, wie dieses Schema zusammenfasst, mit einer negativen Korrelation zwischen Verankerung der Zelle und ihrer Fähigkeit zur mitotischen Teilung einerseits und der Migrationsfähigkeit andererseits. Die Anbindung der Integrine an die Matrixkomponenten kann gelöst werden, um Zellmigration zu ermöglichen. Dabei spielen Phosphorylierungsprozesse eine Rolle, unter Einschluss der fokalen Adhäsionskinase (FAK, „focal adhesion kinase“) und der „Sark“-Kinase“ (Src) sowie von der GTPase (Ras-GTP) ausgehenden Signalkaskaden. Diese sind über mehrere hierarchisch aktive Kinasen mit dem Zellkern und dessen Transkriptionsaktivität vernetzt. Hier ist die Abfolge RAF („rapidly growing fibrosarcoma“ = eine MAP-Kinase-KinaseKinase), MEK (MAP- und Erk-Kinase) sowie MAP-Kinase (= Erk; „mitogen-activated protein kinase“). Die Namen geben an, dass einzelne Kinasen weitere und noch weitere Kinasen hierarchisch phosphorylieren, bevor schlussendlich die Phosphorylierung von Zielproteinen erfolgt. (Quelle: [ 47])
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
einer weiteren Amplifikation in der Zielzelle endet. Dazu gibt es noch endogene Antagonisten oder neuronale Rückkopplungen. Die Forscher, die hier initiativ waren, verdienen Bewunderung, zumal sie, wie Guillemin, diese anfangs nicht immer erhielten – zu weit gezielt erschien, was de facto der große Wurf werden sollte (7 Abschn. 18.3). Wenigstens ebenso komplex ist die Signaltransduktion mittels Ca2+ als intrazellulärem Zweitboten, die an der Zellmembran beginnen kann – aber nicht muss. Weitere Details zum Thema Ca2+ als Zweitbote und die geschichtliche Entwicklung werden in den 7 Abschn. 9.6, 10.3, 10.4 und 17.8 besprochen. 10.9 Die fokale Adhäsionskinase
– Signalgeber auch an unerwarteter Stelle
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In den 1980er-Jahren fand man in den Fokalkontakten, also den Bindestellen einer Zelle an der extrazellulären Matrix, verschiedene Nicht-Rezeptor-Tyrosinkinasen; darunter die Kinase vom Src-Typ und jene, die ab 1992 unter dem Namen „focal adhesion kinase“ (FAK, fokale Adhäsionskinase) firmierte. Dieses Kinasemolekül hat drei Domänen: (i) eine Ezrin-Radixin-Moesin-ähnliche Domäne, die den entsprechenden cytosolseitigen Proteinen ähnelt, (ii) eine mittlere Kinasedomäne und (iii) eine „focal adhesion targeting“-Domäne. Diese kann ihrerseits Talin und Paxillin binden. Das FAK-Molekül ist mehrfach reversibel phosphorylierbar, auch an den drei Domänen. Es kann die Src-Kinase binden und bindet über Talin an Integrinen der fokalen Adhäsionsplaques („focal adhesion plaques“), deren Assemblierung durch FAK eingeleitet wird. Auf dieser Grundlage wird die Zelladhäsion hergestellt oder auch auf-
gelöst, wie während Chemotaxis bzw. amöboider Bewegung (7 Abschn. 9.15). Dabei werden die Integrine freigegeben, recycelt und umverteilt bzw. zum Abbau endocytiert. FAK hat aber auch Einfluss auf die Ausbildung der Adhäsionsgürtel („adherens junctions“, 7 Abschn. 5.5) bzw. die Assemblierung von deren Cadherinen (. Abb. 10.6). Schließlich wurde in den 2000er-Jahren der Fokus auf den Transfer von FAK in den Zellkern gelegt. Der Titel einer kurzen Übersicht 2017 in Current Opinions in Cell Biology bringt es auf den Punkt: „Focal adhesion kinase signaling in unexpected places“ [42]. Im Zellkern kann FAK an Transkriptionsfaktoren binden, die über Ubiquitin(yl)ierungsschritte dem Abbau anheimgegeben werden. FAK hat auf diese Weise einen regulatorischen Einfluss auf die Genexpression und die Zellproliferation. Das ist schon sehr weit entfernt vom ursprünglichen FAK-Konzept. An diesem Punkt setzte das große Interesse der Krebsforscher an FAK ein. Darüber gibt ein rezenter (2019) Übersichtsartikel einer chinesischen Gruppe im Journal of Experimental & Clinical Cancer Research Auskunft [43], in dem annähernd 20 Proteine aufgelistet werden, die mit nukleärer FAK interagieren. Eines davon ist der Mitoseregulator bzw. Tumorsuppressor p53 (7 Abschn. 6.11.1 und 12.7), dessen Funktion damit obsolet wird. Konsequenterweise wurden FAK-Inhibitoren gesucht, von denen einige selektiv in Krebsstammzellen ihre Wirkung entfalten. Damit avancierte die fokale Adhäsionskinase zu einem hochinteressanten Signal- und Regulationsmolekül, das nicht nur die Transkription von Protoonkogenen beeinflusst, sondern auch die Fähigkeit der Zellen, sich vom Gewebeverband zu verabschieden und Metastasen zu bilden. Es erscheint wie ein perfekter Pakt zum Bösen.
263 10.10 · Stickoxid (NO) als Signalmolekül – eine erstaunliche Geschichte
10.10 Stickstoffmonoxid (NO)
als Signalmolekül – eine erstaunliche Geschichte
Die Signalgebung durch die Stickstoffmonoxid-Synthase (NOS) bei Säugetieren ist insofern ein vielfältiger Mechanismus, als verschiedene Mechanismen über weitere Signalmoleküle laufen und sehr verschiedene Effekte bewirken können. NOS setzt aus Arginin Stickstoffmonoxid (NO) frei. NO hat wegen der Valenz III des Stickstoff- und der Valenz II des Sauerstoffmoleküls ein ungepaartes Elektron; es ist daher als Radikal zu betrachten:
vereinfacht NO● und noch mehr vereinfacht: NO. (Radikale sind Moleküle mit einem ungepaarten Valenz-[Hüll-]Elektron, das in der Formel mit einem Punkt angegeben wird.) Die vielfältigen Funktionen reichen von neuronalen Effekten, Steuerung der Herzmuskeltätigkeit bis zur Erschlaffung glatter Muskelzellen, die u. a. allgemein den Blutdruck steuern und in einem lokalen Effekt durch Gefäßdilatation die Peniserektion einleiten können. Auch in anderen Organen ist NO als Botenstoff im Einsatz. In der Leber wurde gezeigt, dass die NO-Synthase nicht direkt an einen GPCR angeschlossen ist, sondern nur indirekt über ein vasoaktives Signal, Endothelin B; auf diese Weise wird auch der Blutfluss über das Pfortadersystem geregelt (Blutzufluss aus den Eingeweiden). Die Geschichte von NO als Pharmakon bzw. als Botenstoff strotzt vor Überraschungen, Komik und brillanter Forschung. Als ich anlässlich eines FEBS-Kongresses 1968 in Prag Antiquariate durchstöberte, in der Erwartung von deutschsprachigem Nachlass aus der grausam verfolgten jüdischen Gemeinde, fand ich ein Apothekerbüchlein, in dem vielen Rezepten eine Empfehlung angehängt wurde: „Und dazu ein Quentlein Sal-
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peter“. Man glaubte also an einen wohltuenden, wenn nicht gar heilenden Effekt von Nitrat (NO3−). Allerdings hatte bereits der chinesische Alchemist und Arzt Tao Hongjing im 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung empfohlen, Nitrat als „qi“ (Lebenskraftspender) unter die Zunge zu legen. Die ganze Geschichte um Nitrat und Nitroverbindungen hat einige sehr komische Aspekte. Der italienische Chemiker Asciano Sobrero wollte hocheffiziente Sprengstoffe herstellen und kam dabei auf Nitroglycerin; warum er ausgerechnet Glycerin und Salpetersäure zusammengab, bleibt ein Rätsel. Dabei kam es schon auch einmal zu einer Explosion mit Gesichtsverletzungen. Alfred Nobel lernte während seines Studiums Sobrero kennen, der Nitroglycerin für praxisuntauglich hielt. Sobrero war aufgefallen, dass Arbeiter, die mit der Substanz befasst waren, rote Wangen bekamen und eine hohe Pulsfrequenz aufwiesen, wie wenn sich die Blutgefäße erweitern würden. Diese Informationen erreichten auch den englischen Arzt William Murell, der am University College, London, tätig war und 1877 durch die Mitgliedschaft im Royal College of Physicians geehrt wurde. 1879 publizierte er auf der Basis zahlreicher Fallanalysen eine Abhandlung mit dem Titel „Nitroglycerine as a remedy for angina pectoris“: Nitroglycerin zur Behandlung von Angina Pectoris, die mit Beklemmungsgefühlen einhergeht! Angina Pectoris bedeutet wörtlich: Brustenge; es ist eine vorübergehende Durchblutungsstörung des Herzens durch Verengung der Herzkranzgefäße, die den Herzmuskel versorgen. Wie sollte ein kleines Quantum NO3− gut tun – Nitrat oder sogar Nitroglycerin als Heilmittel? Als Alfred Nobel, der Stifter, Herzprobleme hatte, verschrieb ihm sein Arzt Nitroglycerin (Glycerintrinitrat), die Sprengstoffkomponente des Dynamits, das der berühmte Patient 1867 erfunden hatte. Er nahm es weder an noch ein. Kurz vor seinem Tod 1896 schrieb er einem Freund:
Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
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» Ist
es nicht eine Ironie des Schicksals, dass mir Nitroglycerin zum Schlucken verschrieben wurde. Sie nennen es Trinitrin, um Chemiker und Öffentlichkeit nicht zu erschrecken.
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Es dauerte noch an die 100 Jahre, bis es einen Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für die Entdeckung von Stickstoffmonoxid, NO, als bioaktives Gas geben sollte. Auch hierbei, als von NO noch gar nicht die Rede war, gab es zunächst konträre Ergebnisse, als der US-Biochemiker R. F. Furchgott Experimente mit Endothelgewebe durchführte: Nur wenn dieses intakt war, konnte der Primärbote Acetylcholin eine Entspannung der Blutgefäße bewirken. Furchgott schloss auf die Bildung eines „endothelium-derived relaxing factor“ (EDRF), der die glatten Muskelzellen der Gefäßwand zum Erschlaffen bringen sollte. Furchgott und der US-Amerikaner Louis J. Ignarro identifizierten diesen Faktor gleichzeitig als Stickstoffmonoxid. In einer Arbeit von Furchgott 1989 Im FASEB Journal heißt es:
» There is strong evidence that EDRF from many blood vessels and from cultured endothelial cells is nitric oxide (NO) and that its precursor is L-arginine. [44]
» [Es
gibt starke Indizien dafür, dass EDRF von vielen Blutgefäßen und von Endothelzellen in Kultur Stick stoffmonoxid (NO) ist und dass sein Vorläufer L-Arginin ist.]
Unabhängig davon experimentierte Ferid Murad, ein US-amerikanischer Pharmakologe, mit Nitroglycerin, das einzunehmen sich Alfred Nobel so standhaft geweigert hatte, und konnte tatsächlich die Bildung von NO sowie dessen vasodilatatorischen Effekt zeigen. Noch bis in unsere Tage wurde Nitroglycerin als Pharmakon gegen Angina Pectoris und Linksherzinsuffizienz sowie bei akutem Herzinfarkt und anderem mehr angeboten; dabei wurde vor zu star-
kem Abfall des Blutdrucks gewarnt (wegen des vasodilatatorischen Effekts). Man kann sich das so vorstellen: Nitrat (NO3−) hat zwar keinen direkten physiologischen Effekt, aber Reduktion führt zur Bildung von NO2− und schließlich zum kurzlebigen NO. Welch schmaler Grat zwischen Nutzen und Schaden! Die Vasodilatation wird begleitet von der Bildung eines weiteren Botenstoffs, nämlich cyclischem Guanosinmonophosphat (cGMP), wie Louis Ignarro herausfand. Ignarro hatte ab 1981 nach der Informationsübertragung von NO auf cGMP gesucht und beobachtet, dass NO den cGMP-Spiegel in die Höhe treibt. Wie dieses geschieht, beschrieb er in seinem Beitrag bei der Verleihung des Nobelpreises [45]:
» …
we found the heme in purified guanylate cyclase. Subsequent experiments revealed that the presence of enzymebound heme was an absolute requirement for guanylate cyclase activation by nitric oxide. We went on to propose that nitric oxide reacts with heme iron to alter the configuration of the catalytic binding site for GTP and promote the conversion of GTP to cyclic GMP and pyrophosphate.
» […
Wir fanden die Hämguppe in aufgereinigter Guanylatcyclase. Nachfol gende Experimente enthüllten, dass die Präsenz von enzymgebundenem Häm eine absolute Notwendigkeit für die Aktivierung der Guanylatcyclase durch Stickstoffmonoxid war. Wir folgerten, dass Stickstoffmonoxid mit dem Hämeisen so reagiert, dass es die Konfiguration der katalytischen GTP-Bindestelle verändert und die Umwandlung von GTP in cyclisches GMP und Pyrophosphat bewirkt.]
Am Ende der Signaltransduktionskette bildet die Guanylatcyclase also cGMP, das die Proteinkinase G (PKG) aktiviert, die ihrerseits mehrere Proteine phosphoryliert. Es gibt auch eine Ankopplung an Ca2+/Calmo-
265 10.10 · Stickoxid (NO) als Signalmolekül – eine erstaunliche Geschichte
dulin-aktivierte Prozesse, wie der „myosin light chain kinase“ (MLCK), die ihrerseits den Tonus des Aktomyosins in der glatten Muskelzelle steuert. cGMP wird von manchen als NO-Rezeptor klassifiziert, ist jedoch eigentlich ein Effektormolekül. Sein Wirkungsradius liegt im Bereich von Millimetern und einigen Sekunden, muss also räumlich und zeitlich über die betroffenen Organe ausgedehnt werden. Bei einer Prüfung stellte ich einmal Fragen zu Details. Der junge Mann wusste nicht viel und kommentierte die ganze Geschichte nach bestandener Prüfung: „Ganz schön kompliziert – gut, dass man das für’s praktische Leben nicht alles wissen muss.“ Mutter Natur hat eben für alles vorgesorgt. „Die Nacht ist tief und tiefer als der Tag gedacht“ (Friedrich Nietzsche, Kulturgeschichte der Nacht). Nachdem der Kreis stringenter (zell-) biologischer Experimente geschlossen war, erhielten Robert F. Furchgott, Ferid Murad und Louis J. Ignarro 1998 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Zur aktuellen Problematik der Stickstoffmonoxidkontamination sei bemerkt, dass die Erzeugung von NO in Dieselmotoren nur wegen der hohen Betriebstemperatur möglich ist, da es sich um eine stark endotherme Reaktion handelt, und dass es als metastabiles Gas bereits bei 700 °C (973 K) mit einer Zeitkonstante zerfällt, die nur knapp von jener seiner Bildung abweicht, bevor es zu NO2 oxidiert wird. Die biologische Signalgebung mittels NO bei Körpertemperatur ist eine Meisterleistung der Natur, und ebenso war auch ihre Aufklärung eine bewundernswerte Meisterleistung. Auf der Basis der Nobelpreis-geehrten Grundlagenforschung wurden Potenzmittel entwickelt. Diese verlängern die Aktivierungsphase der glatten Muskulatur der Blutgefäße des penilen Schwellkörpers durch Inhibition der organtypischen Phosphodiesterase (PDE) Isoform 5 (PDE5). Diese inaktiviert normalerweise cGMP
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durch Spaltung zu 5‘-GMP und bringt so das Organ wieder zum Abschwellen. Weitere Experimente führten 1996 zur Vorstellung eines neuen Medikaments, Sildenafil, das 1998 von der US-amerikanischen Firma Pfizer unter dem Handelsnamen Viagra® auf den Markt gebracht wurde. Es wird bei Potenzschwäche eingesetzt (erektile Dysfunktion, Erektionsstörung). Dieser Effekt war eigentlich nur ein zufälliger Nebenbefund, als die Droge erfolgreich für ihre Brauchbarkeit bei Bluthochdruck und Angina Pectoris untersucht wurde. Welch eine Zickzack-Karriere für das kleine Molekül NO mit seinen Umsetzungsprodukten NO2 und NO3− im Schlepptau: Dreckschleuder, biologischer Botenstoff, Lustvermittler, Heilmittel … Stickstoffmonoxid ist jedoch nicht der einzige Regulator des Blutdrucks. 2020 zeigten Liu et al. (7 https://doi.org/10.1161/ ATVBAHA.119.313897), dass auch das RNA-bindende Protein HuR („human antigen R“) diesen Effekt ausübt, und zwar über GPCR-Beteiligung. Dass dieses auch unabhängig vom Effekt von NO und der penilen Erektion stattfinden kann, leuchtet ein. Anzufügen wären die rührenden Versuche durch die Jahrhunderte, die männliche Potenz zu steigern. Selbst die 2012 heiliggesprochene Äbtissin Hildegard von Bingen (1098–1179), gelehrt und heilkundig wie sie war, hat sich damit auseinandergesetzt. Aus ihrer Heiltätigkeit blieben ihr auch Details zum männlichen Glied nicht unbekannt, und sie hat sich Aphrodisiaka ausgedacht: Man nehme … Petersilie, Pfeffer, Sellerie und Knoblauch, denn das „machet Neigung und Lust zu den ehelichen Werken“. Knoblauch?! Das Ziel war wohl die Zeugung möglichst vieler Kinder, welche die Ehre Gottes erkennen und mehren sollten, wie dies vor ein paar Jahrzehnten auch ein römischer Kardinal zur Leitschiene erklären wollte – er wurde zurückgepfiffen. Oder wenn 2013 ein einflussreicher deutscher Kardinal anregte, Frauen müssten „öffent-
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
lich ermutigt werden, zu Hause zu bleiben und drei, vier Kinder auf die Welt zu bringen“ [46].
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Kapitel 10 · Extra- und intrazelluläre Signalgebung: Wahrnehmung, Verstärkung und Umsetzung
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Energieversorgung der Zelle: Frühe Erfindung von Turbine und ATP als Einheitswährung Inhaltsverzeichnis 11.1 Prinzipielle Voraussetzungen: Offene Systeme im Fließgleichgewicht und die Gesetze der Thermodynamik – 270 11.2 Eine kurze Übersicht: Woher bezieht die Zelle ihre Energie? – 272 11.3 Eine lange Vorgeschichte: Einsichten in kleinen Portionen – 275 11.4 Tiefere Einsichten kamen erst im 20. Jahrhundert – 278 11.5 Ergebnisse aus neuerer Zeit – 285 11.6 Nachlauf in jüngster Zeit und Rückblick – 288 Zitierte Literatur – 291
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 H. Plattner, Abenteuer Zellbiologie – Streifzüge durch die Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66740-8_11
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Kapitel 11 · Energieversorgung der Zelle: Frühe Erfindung von Turbine und ATP als Einheitswährung
Die folgenden Aspekte sind seit einem halben Jahrhundert gut etabliert: Glykolyse im Cytosol und die oxidative Phosphorylierung in den Mitochondrien gewährleisten die Energieversorgung tierischer und pflanzlicher Zellen durch Synthese der „Einheitswährung“ Adenosintriphosphat (ATP) aus dem Umsatz von Glukose. Pflanzenzellen besitzen zusätzlich Chloroplasten, um Sonnenlicht als Primärenergie zur Synthese von Glukose bzw. Vorstufen oder Polymeren davon zu nutzen. Beide Organellen haben eine doppelte Membranumhüllung, beide haben eine innere Matrix (Mitochondrien) bzw. ein Stroma (Chloroplasten), wie die Elektronenmikroskopie seit den 1950er-Jahren offenlegte. Beide Organellen haben nach Erkenntnissen aus den 1910er- und 1920er-Jahren in ihrem inneren Membransystem eine Cytochromkette für den Elektronentransport – ein weiterer gemeinsamer Aspekt, wiewohl die Cytochrome unterschiedlich sind. Dritte Gemeinsamkeit: Mit den transportierten Elektronen laufen Protonen mit, die sich im Spalt zwischen Innenmembraneinfaltungen (Mitochondrien) bzw. im Lumen der Stromalamellen anreichern. In beiden Organell-Innenmembranen befinden sich als vierte Gemeinsamkeit H+-ATPase/ Synthase-Moleküle, die den Protonengradienten chemiosmotisch ausnutzen. Dabei strömen aus dem H+-„Stausee“ im Spalt zwischen den Organellmembranen Protonen wie durch eine rotierende Turbine aus multimeren ATP-Synthase-Molekülen in die Matrix bzw. das Stroma – Energie, die zur Bildung von ATP aus ADP und Phosphat genutzt wird (chemiosmotische Theorie aus den 1970er-Jahren). Die Zelle hat also die Turbine und somit auch das Rad erfunden. Zu guter Letzt bedient die Elektronentransportkette eine Reduktionskaskade: Aus H+ + e– und O2 wird H2O
(Zellatmung in den Mitochondrien), oder aus H+ + e– + NADP wird NADPH gebildet. Ersteres ist die molekulare Erklärung für die um 1910 von Warburg entdeckte Zellatmung. ATP aus den Mitochondrien kommt in tierischen und pflanzlichen Zellen der gesamten Zelle zugute, jenes von Chloroplasten wird dagegen noch im Organell in der Dunkelreaktion für Syntheseleistungen verbraucht. CO2 wird durch die bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts identifizierte Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase (RuBisCo) in Chloroplasten an Ribulose-1,5-bisphosphat gebunden, sodass im Endeffekt Glukose gebildet werden kann. Davon leben nicht nur die autotrophen Pflanzen selbst, sondern auch heterotrophe Organismen wie wir Menschen. Die Entschlüsselung all dieser Vorgänge war vor einem halben Jahrhundert weitgehend erreicht. Jedoch sind in letzter Zeit noch wesentliche Einsichten wie zum tubulären oder flächigen Bau der Innenmembranen von Mitochondrien und die Funktion der Organellen als Ca2+-Speicher dazugekommen.
Zunächst seien ein paar historische Entwicklungen und Überlegungen grundsätzlicher Art vorweggenommen. 11.1 Prinzipielle
Voraussetzungen: Offene Systeme im Fließgleichgewicht und die Gesetze der Thermodynamik
Die Zelle ist ein offenes System im Fließgleichgewicht, mit Aufnahme und Abgabe von Stoffen, Energie und Information. Dieser Zustand bedarf stetiger Regelung und verbraucht andauernd Energie. Ab den 1930er-/1940er-Jahren mit Aufkommen
11.1 · Prinzipielle Voraussetzungen: Offene Systeme …
der Kybernetik hat dies mehrere Biophysiker und frühe Informatiker zur Betrachtung der Zelle als Automat verleitet: mit Sollwert- und Stellwert-/(Ist-Wert-)Vorgaben. Überlegungen mit Pioniercharakter stammen von Ludwig von Bertalanffy (ab den 1930er-Jahren) und vom russischstämmigen Belgier Ilya Prigogine in den 1940er-Jahren. L. von Bertalanffy war Österreicher, der später in London, Montreal und in den USA forschte. Er prägte die Begriffe „offene Systeme“ und „Fließgleichgewicht“. Studien zur irreversiblen Thermodynamik („Nichtgleichgewichts-Thermodynamik“, [1]) wurden 1977 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Später, ab den 1980er-Jahren, erkannten die Chaostheoretiker die Bedeutung von Sollwertabweichungen innerhalb von Grenzen, die eben nicht ganz strikt vorgegeben sind, sondern sich mit einer gewissen Unschärfe einpendeln. Damit wurde die Meinung verbunden, dass derlei oszillierende Abweichungen das Einpendeln zu einem nicht ganz starren Sollwert erleichtern. So wurden insbesondere für die rhythmische Aktivität des Herzens und für die Osteogenese (Verknöcherung) Spiel und Gegenspiel von regulatorischen Komponenten binnen Schranken als vorteilhaft gegenüber einer starren Regelung erkannt. Ähnliches kann man für die Energetik der Zelle voraussetzen. Prinzipiell sei betont, dass alle biologischen Systeme wegen ihrer Komplexität, die höher als jene der Umgebung ist, aus thermodynamischen Gründen nur durch stetigen Energieverbrauch aufrechtzuerhalten sind. 11.1.1 Was die Zelle stetig zu
regeln hat
Dazu seien nun folgende praktische Beispiele angeführt. Die Signalgebung durch Ca2+-Ionen (7 Abschn. 9.6 und 10.1 bis 10.4) ist ein gutes Beispiel: Zunächst muss
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die intrazelluläre freie Ca2+-Konzentration, [Ca2+]i, gering gehalten werden – einerseits, um toxische Effekte zu vermeiden, und andererseits, damit freies Ca2+ überhaupt als Signalgeber in lokalen, kurzen Pulsen dienen kann. (Toxische Effekte würden wegen der Präzipitation von Phosphat und von phosphathaltigen Verbindungen auftreten, weil deren Ca2+-Salze unlöslich sind.) Zur pauschalen Regulierung dienen Ca2+-Pumpen in der Plasmamembran und in den intrazellulären Speichern, die Plasmamembran-Ca2+-ATPase (PMCA) bzw. die „sarcoplasmic/endoplasmic reticulum Ca2+-ATPase“ (SERCA); beide sind Formen von Ca2+-ATPasen/Pumpen, die Energie verbrauchen („σάρξ, sark[o]“ = Fleisch, nach dem Vorkommen in Muskelzellen). Sie wurden ab 1960 bzw. 1978 gefunden bzw. untersucht (7 Abschn. 10.4.3). D. G. Swan hat 1987 sogar ein PMCA-homologes Protein im Bakterium Streptomyces erythraeus ausgemacht. Nach einem kurzen Ca2+-Signalpuls kann Ca2+ zwar durch Bindung an cytosolische „high capacity/low affinity“ Ca2+-Bindeproteine (CaBPs) „zwischengelagert“ werden, muss aber im Endeffekt wieder aus der Zelle entfernt werden. Ähnlich verhält es sich mit anderen Ionen. Besonders Na+ und K+ sind asymmetrisch über die Zellmembran verteilt (7 Abschn. 5.7.1). Passive Diffusion durch die Membran, die ja keine strikte, sondern eine etwas lecke Barriere bildet, versucht andauernd, entsprechend den Gradienten und den Gesetzen der Thermodynamik einen Ausgleich hervorzubringen. Dies würde die Zelle funktionslos machen. Die spezifische intra-/extrazelluläre Verteilung von Ionen ist Voraussetzung für wichtige Prozesse wie die Reizleitung durch Nervenzellen, die schnelle Signale über Umkehr der Ionengradienten geben können (Depolarisation). Danach muss die Ruhesituation unter Energieverbrauch wieder hergestellt werden. Leben kostet dauernden Einsatz von Energie in Form von ATP.
Kapitel 11 · Energieversorgung der Zelle: Frühe Erfindung von Turbine und ATP als Einheitswährung
272
Ebenso will der Stofftransport in die Zelle und gegebenenfalls auch der Export finanziert werden. Die Zelle hat ein einfaches System erfunden: Beim Import des „Betriebsstoffes“ Glukose muss zwar nicht direkt „bezahlt“ werden, jedoch sehr wohl indirekt, weil Glukose einem Kotransport mit Na+ unterliegt, das seinerseits wieder aus der Zelle entfernt werden muss. So „finanziert“ die 1957 von dem Dänen J. C. Skou entdeckte Na+/K+-ATPase nicht nur die direkte Verteilung beider Ionen [2], sondern auch den Import von Glukose, die – einmal in der Zelle – in Stufen so abgebaut wird, dass dabei energiereiche Verbindungen produziert werden. Darunter sind fast ausschließlich Phosphatverbindungen kleiner organischer Moleküle zu verstehen. 11.1.2 Die Gesetze der
Thermodynamik gelten auch in der Zellbiologie
11
Auch für alles Nachfolgende bedarf es einiger prinzipieller Überlegungen. Die Zelle ist voller Enzyme, die als Biokatalysatoren Prozessabläufe beschleunigen. Auch dabei werden die Gesetze der Thermodynamik eingehalten. Das erste Gesetz, dessen Erkenntnis dem deutschen Arzt und Forscher Julius Robert von Mayer zu verdanken ist, wurde 1842 in Justus von Liebigs „Annalen der Chemie und Pharmacie“ in einem Aufsatz mit dem wenig aussagekräftigen Titel „Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur“ publiziert. Später wurde dieser 1. Hauptsatz der Thermodynamik zu folgender Formulierung verfeinert:
» Bei
einem thermodynamischen Prozess geht keine Energie verloren, sondern mechanische Arbeit und Wärme werden ineinander umgewandelt.
Das bedeutet: Wenn Energie lediglich in andere Formen umgewandelt werden kann, bleibt die Energie insgesamt konstant. Es
wird daher auch das Gesetz von der Erhaltung der Energie genannt. Anschließend wurde der 2. Hauptsatz der Thermodynamik von dem deutschen Physiker Rudolf Clausius, ebenfalls um die Mitte des 19. Jahrhunderts, wie folgt formuliert:
» Wenn
keine Arbeit aufgewendet wird, kann Wärme nur von Warm nach Kalt fließen.
Das heißt, die Energie wird verstreut. Nie kommt das Umgekehrte vor, etwa, dass eine Kerze Energie anzieht, bis sie sich von selbst entzündet. Oder noch anders ausgedrückt: Die Unordnung nimmt zu, und diese Unordnung heißt im Fachjargon Entropie. Nur ein Teil der Energie ist für definierte Reaktionen verfügbar, die sogenannte „freie Enthalpie“. Auf dieser Basis werden biologische Prozesse finanziert. Beispiele sind Muskelarbeit (Kontraktion des Aktin-Myosin-Filamentsystems; 7 Abschn. 10.1), Transport von Ionen und Molekülen gegen den Konzentrationsgradienten (Ionenpumpen etc.; 7 Abschn. 5.7.1) und chemische Arbeit (Synthesen). 11.2 Eine kurze Übersicht:
Woher bezieht die Zelle ihre Energie?
Primärenergie ist das Licht der Sonne, das in Chloroplasten als chemische Energie in Form von Stärke (Polyglukose) fixiert wird. Deren Abbauprodukte können dann im Cytosol und weiter in den Mitochondrien zur chemischen Speicherform des ATP (Adenosintriphosphat) umgesetzt werden. Bei den allermeisten biologischen Prozessen wird als Energielieferant ATP eingesetzt, das in ADP + PO43– gespalten wird, um Energie verfügbar zu machen. Ein Wirkungsgrad von maximal ≈ 40 % wurde bei biologischen Systemen festgestellt – ein Wert, der nach und nach auch von der Technik erreicht wurde
11.2 · Eine kurze Übersicht: Woher bezieht die Zelle ihre Energie?
(Verbrennungsmotoren); der Rest an Energie verpufft als Wärme (exergone bzw. exotherme Reaktion). Die ursprüngliche Form der Energiegewinnung – besser gesagt: der Energiekonservierung – ist die im Cytosol ablaufende Glykolyse („γλυκύς, glykys“ = süß; „λύσις, lysis“ = Auflösung). Die ersten Einsichten hierzu unter Beteiligung von Hefezellen gehen auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück (L. Pasteur) [3] und wurden erst 1907 durch In-vitro-Untersuchungen von E. Buchner konsolidiert [4]. Hier werden kleine Substratmoleküle phosphoryliert (Substratkettenphosphorylierung bei der Glykolyse). Es ist die Urform der energetischen Versorgung der Eukaryotenzelle, die wir in der Evolution von unseren entferntesten Vorläufern geerbt haben. Seitdem während der Evolution durch die Tätigkeit grüner Pflanzen der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre angestiegen ist, entwickelte sich die zweite Form der Energiekonservierung: Phosphorylierung überwiegend von Adenosindiphosphat (ADP) zu energiereichem ATP – die oxidative Phosphorylierung in den Mitochondrien. An dieses Konzept konnte man sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts annähern. ATP kann als Einheitswährung der Zelle bezeichnet werden; besonders der dritte Phosphatrest kann unter Freisetzung maximaler Energie zahlreiche Prozesse „finanzieren“: Transportprozesse über Membranen, Signalgebung, Metabolismus, Bewegung, ja sogar die Beseitigung überalterter Proteine (quasi die Müllbeseitigung; 7 Kap. 13). Dieser heterotrophe Aspekt kommt nicht nur in tierischen, sondern auch in pflanzlichen Zellen vor. Bei Pflanzen kommt noch der autotrophe Aspekt hinzu („αὐτός, autos“ = selbst; „τροϕή, trophi“ = Ernährung; „ἕτερος, héteros“ = anders, unterschiedlich). Das Blattgrün (Chlorophyll) der grünen Pflanzen ist in den Chloroplasten lokalisiert („χλωρός, chlōrós“ = grün; „ϕύλλον, phýllon“ = Blatt; „πλαστός, plastós“ = geformt). Die bis
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ins 18. Jahrhundert zurückgreifende Geschichte ist nachfolgend nachgezeichnet. Dies befähigt die grüne Pflanzenzelle zur Gewinnung (besser: Konservierung) von Primärenergie, die als Sonnenlicht einstrahlt. Dabei wird in einem ersten Schritt Wasser gespalten: H2O → 2 H+ + 2e– + ½ O2, oder chemisch weniger exakt ausgedrückt: 2 H2O → 4 H + O2 (Hydrolyse des Wassers). Ein eindrucksvoller Versuch im chemischen Unterricht demonstriert, dass die beiden Komponenten H und O eine hohe Affinität zueinander besitzen und sich schnell mit einem Knall wieder zu H2O vereinigen (Knallgasexplosion). Das würde für die Zelle nicht gut ausgehen, würde sie nicht die Reaktion in kleinen Schritten auffangen und so entschärfen. Zum einen ist also während der Evolution über dreieinhalb Milliarden Jahre durch die Tätigkeit grüner Cyanobakterien, Algen und Pflanzen der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre stetig auf jetzt konstante 21 % angestiegen [5]. (Aktuell produzieren Cyanobakterien in etwa so viel O2 wie Wälder und Wiesen zusammen.) Zweitens wurde der Sauerstoff als Toxin wahrgenommen, weil er zur Bildung von reaktiven Radikalen neigt (7 Abschn. 17.5). Drittens jedoch wurde der Sauerstoff umgepolt zum „Wohltäter“ aller Organismen, die ja ihre Energie hauptsächlich über ATP aus der oxidativen Phosphorylierung beziehen. Deren Effizienz ist 18-mal höher als jene der Glykolyse; beide zusammen beziehen aus einem Molekül Glukose theoretisch 38 Moleküle ATP. Dieses erlaubte erst die Evolution immer komplexerer Organismen. Jetzt, 3,5 Mrd. Jahre nach der schicksalhaften Erfindung der Photosynthese mit der Spaltung von Wasser als erstem Schritt durch blaugrüne Bakterien („Blaualgen“ = Cyanobakterien), besinnt sich die Technik auf die elektrisch getriebene Hydrolyse von Wasser (Elektrolyse) als Prinzip beim Versuch einer Ausbeutung als Brennstoffe: entweder direkt als Wasserstoffgas (Wasserstoffantrieb) oder – nach
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Kapitel 11 · Energieversorgung der Zelle: Frühe Erfindung von Turbine und ATP als Einheitswährung
msetzung mit CO2 – mit Methan als BeU triebsmittel (CO2-neutrale Brennstoffe). Die grüne Pflanze verwendet die bei der Wasserspaltung frei werdende Energie über weitere chemische Prozesse zur Produktion von Glukose bzw. ihres Bausteins Glycerin‑ aldehyd-3-phosphat (zwei davon können sich zu Glukose vereinigen). Dieser Prozess schließt die Bindung von Kohlenstoffdi‑ oxid, CO2, an einen organischen Träger mit ein. Dieser Träger ist ein doppelt phosphorylierter Zucker mit fünf C-Atomen: Ribulose-1,5-bisphosphat (C5-Zucker). Die Bindung von CO2 erfolgt unter Vermittlung des Enzyms RuBisCo (Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase). Dieses ist das häufigste Protein auf unserer Erde und eines der wichtigsten, denn RuBisCo macht die Pflanze sich selbst ernährend (autotroph). Die Entdeckungsgeschichte und der Verlauf der weiteren Arbeiten sind einigermaßen komplex und wurden zunächst dominant von zwei US-Gruppen betrieben. So schreiben A. R. Portis und M. A. Parry 2007 [6] in einem Übersichtsartikel in der Zeitschrift Photosynthesis Research:
» This review provides a historical timeline
of important discoveries and observations in RuBisCo. We have elected to start in 1947 with the first purification of RuBisCo, although by doing so, we realize that we will omit some significant earlier work, later shown to be directly relevant to RuBisCo (e.g., Warburg 1920).
[Diese »
Übersicht vermittelt eine Chronik wichtiger Entdeckungen und Beobachtungen zu RuBisCo. Wir haben uns dafür entschieden, mit dem Jahr 1947 und damit der ersten Reinigung von RuBisCo zu beginnen, obwohl wir uns im Klaren darüber sind, dass wir damit einige frühere, wichtige Arbeiten außer Acht lassen, die sich später als relevant für die Entdeckung von RuBisCo herausgestellt haben (z. B. Warburg 1920).]
Substrat und Enzym wurden ab Anfang der 1950er-Jahre grundlegend erforscht [7] und u. a. von G. Bowes, S. Ochoa und E. Racker weiter „betreut“. Die Kodierung erfolgt teils durch das Kerngenom und teils durch das Genom der Chloroplasten (cpDNA) – eine wahrlich komplizierte Geschichte. Darauf hoben bereits die Engländer P. E. Highfield und R. J. Ellis ab, als sie 1978 „Synthesis and transport of the small subunit of the chloroplast ribulose bisphosphate carboxylase“ erforschten [8]; diese Untereinheit muss aus dem Cytosol importiert werden, und die Autoren zeichnen ein noch sehr vages Schema für den Import. Die Schweden um I. Andersson nahmen sich ab 1983 mit Röntgenbeugung der 3D-Struktur des aktiven Zentrums dieses komplexen Moleküls an, das aus einem Oktamer von großen und einem Oktamer von kleinen Untereinheiten besteht [9]. Mit der Zeit untersuchte man auch Varianten aus unterschiedlichen Ökosystemen und von unterschiedlichen Pflanzen, z. B. von arktischen Algen usw., die entsprechende Anpassungen zeigen. Mit viel Fantasie bemüht sich die moderne Forschung, den gesamten Prozess mit der Konstruktion eines künstlichen Blattes nachzubauen. Noch einmal wird in die Schatzkiste der Evolution gegriffen, denn RuBisCo aus Archaebakterien soll besonders gut geeignet sein. Dennoch: Was ist ein Imitat von erheblicher Masse aus der Hand des Menschen im Vergleich zum leichten Blatt einer Pflanze, das bei einer leichten Windbrise im Sonnenlicht schaukelt und Zucker produziert? Davon zehren alle heterotrophen Organismen, auch wir Menschen. Als Physikochemiker hatte Tributsch die grüne Pflanzenzelle als Zusammenschaltung von Chloroplasten und Mitochondrien in der Art einer Brennstoffzelle dargestellt (. Abb. 11.1, reproduziert mit Genehmigung von H. Tributsch). Zwei
11
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11.3 · Eine lange Vorgeschichte: Einsichten in kleinen Portionen
CO2 (CH2O)n solar energy
Calvincycle e-,h+
Krebscycle ATP
e-,h+
O2
electron transfer chain
ATP
electron transfer chain
chlorophyl
ATP
H2O
chemical energy electrochemical energy
chemical energy (ATP)
fuel cell principle mitochondrion
. Abb. 11.1 Die grüne Pflanzenzelle als Brennstoffzelle (vgl. Erklärung im Text)
Kompartimente wirken zusammen: (i) Im Chloroplasten setzt das Sonnenlicht Protonen und Elektronen frei (H+, e−), und es wird ATP gebildet; H+ und e− werden in den Calvin-Zyklus eingespeist, der seinerseits CO2 aufnimmt. O2 wird abgegeben (entsprechend 7 Abschn. 11.4.3). (ii) In den Mitochondrien werden über die Elektronentransportkette Protonen und Elektronen aus dem Krebs-Zyklus und O2 aus der Umgebung aufgenommen und ATP gebildet, das mit Netto-Überschuss bei gleichzeitiger Bildung von H2O exportiert wird (entsprechend 7 Abschn. 11.4.1). Es ist dies eine perfekte Zusammenschaltung nach Art einer Brennstoffzelle, nicht nur in der Pflanzenzelle sondern ceteris paribus auch in globaler Betrachtung… Damit haben wir knapp umrissen, woher wir unsere Kraft nehmen, d. h. die
Kraft unserer Zellen, als offene Systeme im Fließgleichgewicht zu leben. Doch wie kam es zu diesen fundamentalen Einsichten?
11.3 Eine lange Vorgeschichte:
Einsichten in kleinen Portionen
Chloroplasten wurden erstmals 1864 vom deutschen „Vater der Pflanzenphysiologie“, Julius von Sachs, erkannt, aber erst später so benannt. 1883 befand Andreas F. Schimper in einer Serie von Arbeiten in der Botanischen Zeitung, dass Chloroplasten den Cyanobakterien („Blaualgen“) sehr ähnlich sähen und endosymbiotischen Ursprungs seien [10]. Dieser A. F. S. war der Visionär des Schimper‘schen Forscherclans (von
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11
Kapitel 11 · Energieversorgung der Zelle: Frühe Erfindung von Turbine und ATP als Einheitswährung
dem einer seine Vorlesungen gerne barfuß vortrug, wie mein alter Botaniklehrer Helmut Gams erzählte). Es dauerte bis 1953, dass es den Schweden J. B. Finean und F. S. Sjöstrand mittels Elektronenmikroskop gelang, die Komplexität des Innenmembransystems von Mitochondrien zu erkennen. Die Ultrastruktur von Chloroplasten wurde verlässlich aber erst Anfang der 1960erJahre von dem deutschen Elektronenmikroskopiker W. Wehrmeyer analysiert [11]. Er zeigte, dass sich – wie erwähnt – das Innenmembransystem in das Stroma, also in die Grundstruktur, einfaltet und dass das gesamte Organell von einer Außenmembran umschlossen wird. Mitochondrien wurden erstmals 1850 von dem Schweizer Biologen A. von Kölliker in quergestreiften Muskelzellen angesprochen und ab 1890 als Sarkosomen bezeichnet. (Diesen Namen tragen die Mitochondrien von Muskelzellen dieser Art immer noch.) Der Deutsche Richard Altmann, der in den Mitochondrien symbiotische Bakterien („Elementarorganismen“) in tierischen Zellen erkannte [12], nannte sie 1890 – schon lange nicht mehr gebräuchlich – Bioblasten. Erst C. Benda prägte 1897 den Terminus Mitochondrien. (Übrigens hatte Altmann Osmiumtetroxid für die Gewebefixierung eingeführt und ebenfalls als Erster den Terminus Nukleinsäure geprägt.) Es dauerte noch bis 1904, bis Mitochondrien auch in Pflanzenzellen wahrgenommen wurden. Blenden wir nun zurück zu den Anfängen der Bioenergetik – in die Zeit, bevor weder von biochemischen noch von bioenergetischen Aspekten die Rede sein konnte. Die essenzielle Frage war über viele Forschergenerationen: Was braucht die Pflanze zum Überleben und was ein Tier? Des Weiteren: Welche Gase aus der Luft benötigen sie, und welche geben sie im Gegenzug ab? In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass der Franzose J. Senebier 1796 das Kohlenstoffdioxid, CO2, und der Brite J. Priestley zeitgleich mit dem Franzosen A.
Lavoisier († 1794) im Jahre 1774 den Sauerstoff, O2, als wichtige Komponenten der Luft entdeckt haben. (Tragik am Rande: Lavoisier wurde, weil er Steuereintreiber war, von den Revolutionären guillotiniert, trotz seiner Bitte um Aufschub, weil er eine wissenschaftliche Abhandlung fertig schreiben wollte. Es wurde geurteilt: „La république n’a pas besoin des savants.“ [Die Republik braucht keine Gelehrten.]) Jedoch war der Weg zu der Einsicht, wer was produziert oder konsumiert, verschlungen. Pflanzen wurden in geschlossenen Glasbehältern beobachtet, mit oder ohne Licht, und fallweise wurde auch eine Kerze in den Behälter gestellt. Der Engländer J. Priestley beobachtete 1774, dass eine Kerze allein im Behälter etwas von der Luft verbraucht, und konnte zeigen, dass dies Sauerstoff ist. Eine Maus, die er in den Behälter einbrachte, überlebte nicht, weil sie ebenfalls Sauerstoff braucht. Wurde jedoch CO2 gemeinsam mit einer grünen Pflanze in den Behälter eingebracht, so blieb die Kerze am Leuchten bzw. die Maus überlebte. Vier Jahre später, 1778, beobachtete der am Hofe von Kaiserin Maria Theresia tätige Hofarzt J. Ingenhousz aus den Niederlanden, dass Wasserpflanzen Gasbläschen freisetzen – er vermutete Sauerstoff – aber nur bei Licht. Insgesamt konnte Senebier, unterstützt von Ingenhousz zeigen, dass Pflanzen CO2 verbrauchen und O2 freisetzen. Erst 1804 bewies der Schweizer Pflanzenphysiologe Nicolas de Saussure in Experimenten mit vorbildlicher Exaktheit, dass grüne Pflanzen Wasser und Kohlenstoffdioxid in ihre Gewebe einbauen [13]. Wenn man korrekterweise annimmt, dass der Sauerstoff aus der Hydrolyse von Wasser stammt – wie noch zu diskutieren ist –, war man damit schon nahe an einer Pauschalformel für die Photosynthese: 6 H 2O + 6 CO 2 + Licht → C 6H12O6 + 6 O 2, also die Bildung von Zucker (Glukose) bzw. seiner polymeren Form (Stärke) und Sauerstoff. Der Kohlenstoff wird also von einer
11.3 · Eine lange Vorgeschichte: Einsichten in kleinen Portionen
anorganischen in eine organische Form angeglichen (Assimilation). Dass dabei Wasser gespalten wird, vermutete bereits 1842 Matthias Schleiden, der uns ja als erster Pflanzenhistologe in Erinnerung ist (7 Abschn. 2.2). Einen Zusammenhang mit dem Blattgrün, Chlorophyll, war ebenfalls um diese Zeit (1837) von dem französischen Botaniker René Dutrochet postuliert worden. Die Transformation von Lichtenergie in chemische Energie (Zucker) brachte erst 1845 der bereits erwähnte Physikochemiker J. R. von Mayer, ein Begründer der Thermodynamik, auf den Punkt. Bald konnte die eben gezeigte Formel für die Photosynthese von dem französischen Chemiker und Agrarexperten Jean-Baptiste Boussingault formuliert werden (1864). Die bioenergetischen Verhältnisse sind also offensichtlich bei Pflanzen komplizierter als bei Tieren, allein schon, weil sie neben den Mitochondrien auch noch Chloroplasten besitzen. Daher erscheint es sinnvoll, zuerst die Schiene der Zoophysiologen zurückzuverfolgen. Den Blutkreislauf als Grundlage für den Gasaustausch im Säugetierkörper hatte bereits 1628 der britische Anatom William Harvey, wenn auch mit Fehlern, in einer Studie mit dem Titel „Exercitatio Anatomica de Motu Cordis et Sanguinis in Animalibus“ [Anatomische Studien über die Bewegung des Herzens und des Blutes] beschrieben. Einsichten zur Aufnahme von Sauerstoff und zur Abgabe von Kohlenstoffdioxid über die Lunge gab es, wie bereits erwähnt, aber erst später. Der Gas austausch über die Lunge erfolgt auf folgende Weise: Bei der Atmung wird CO2 in die Lunge transportiert und dort abgegeben, während ein umgekehrter Verlauf für den Sauerstoff gilt, der schlussendlich in den Mitochondrien verbraucht wird (Zellatmung). Also wird O2 in den tierischen Gewebezellen verbraucht und CO2 gebildet. Bei grünen Pflanzen gibt es den Prozess der Zellatmung auch, aber er ist von einem umgekehrten Prozess in den Chloroplas-
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ten überlagert. Über die zugrunde liegenden Fakten gab es zunächst nur vage Vorstellungen. Bevor konkrete Einsichten verfügbar wurden, erblühte erst einmal im späten 17. Jahrhundert die von dem deutschen Vielseitigkeitstalent Georg E. Stahl postulierte Phlogistontheorie, die bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierte. Das Phlogiston ist eine hypothetische Substanz, die alle brennbaren Substanzen enthalten, von denen sie beim Verbrennen entweicht. Aus heutiger Sicht würden wir von O2-abhängigen Oxidationsprozessen sprechen. (Noch heute liest man im Bereich der Pharmakologie manchmal, eine Heilsalbe habe „antiphlogistische Wirkung“ [„ϕλογιστός, phlogistós“ = verbrannt] – gemeint ist eine entzündungshemmende Wirkung.) Daneben war im 19. Jahrhundert die Gärung als Mechanismus des Zuckerstoffwechsels im Visier der Forschung. Louis Pasteur fand ab 1850, dass der Glukoseabbau durch Hefezellen unter anaeroben Bedingungen schneller verläuft als in Gegenwart von Sauerstoff. Dieser Effekt ging als Pasteur-Effekt in die Literatur ein. Es wurde erkannt, dass die alkoholische Gärung durch Hefezellen vollbracht wird. Erst der Deutsche Eduard Buchner erzielte eine zellfreie Vergärung von Glukose und erhielt dafür 1907 den Nobelpreis für Chemie. Der Betriebsstoff Glukose wird in Zellen in polymerer Form gespeichert. In tierischen Zellen ist dies Glykogen aus α-1,4-glykosidisch verbundenen Glukosemolekülen mit zahlreichen α-1,6-glykosidischen Verzweigungen. Im Elektronenmikroskop wird Glykogen als rosettenartige Strukturen sichtbar. Pflanzliche Zellen speichern zwei Polymerformen, die untereinander und von Glykogen mehr oder weniger abweichen (7 Abschn. 16.7). Durch die Speicherung als Polymere wird die osmotische Belastung der Zelle, d. h. ihr Innendruck, gering gehalten.
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Kapitel 11 · Energieversorgung der Zelle: Frühe Erfindung von Turbine und ATP als Einheitswährung
11.4 Tiefere Einsichten kamen
erst im 20. Jahrhundert
Hier machen wir drei Sprünge, erst zu Details der Glykolyse, dann zur Zellatmung und zu guter Letzt zur Photosynthese – ein Sprung, der erst ab Beginn des vorigen Jahrhunderts gelang. Die Zellatmung geht im Hinblick auf die energetische Ausbeute weit über die Verstoffwechselung von Zucker über
die Glykolyse hinaus und wurde erst später im Laufe der Evolution entwickelt, indem die Eukaryotenzelle Mitochondrien als Energiequelle mit Höchstleistung erwarb. Es sind dies Organellen mit einer doppelten Membranumhüllung, deren innere Einfaltungen sich in die Grundsubstanz (Mitochondrienmatrix) vorschieben (. Abb. 11.2a). Zunächst in Kürze die wesentlichen Entwicklungen zur Glykolyse. 1905 fan-
c
a
0,1 µm 10 µm b d
11
0,1 µm
tierische Mitochondrien
pflanzliche Chloroplasten
. Abb. 11.2 Ultrastruktur von energetisch wichtigen Organellen. (a) Mitochondrien sind von zwei voneinander unabhängigen Membranen umhüllt, wovon die innere vielfach eingefaltet ist und so die Cristae mitochondriales (cm) bildet; allerdings sieht man normalerweise den Ansatz von Cristae in Ultradünnschnitten wesentlich seltener als in diesem Bild (Pfeilspitzen). (b) Die Abbildung eines Mitochondriums im Gefrierbruch lässt zahlreiche runde Öffnungen erkennen, die engen Ansätze der Cristae mitochondriales (Pediculae cristae, untere Hälfte). (c) zeigt die prinzipiell ähnliche Struktur von Mitochondrien (links) und Chloroplasten (rechts), indem beide von einer Doppelmembran umhüllt sind. Dabei enthält die innere Membran der Chloroplasten Chlorophyll (grün) und weist keine randliche Anheftung auf; sie ist vielmehr als durchziehende Stromalamellen und Stapel von Granalamellen organisiert (gelb: Stärkekorn). Nur die Stromalamellen enthalten die ATP-Synthase („Lollipops“, orange). Beide Organellen, Mitochondrien und Chloroplasten, enthalten organelleigene zirkuläre DNA. (d) gibt schematisch den multimeren Aufbau der organelleigenen ATP-Synthasen wieder, links für Mitochondrien und rechts für Chloroplasten. Nur der orangefarbene Teil wird von der mtDNA bzw. ptDNA (cpDNA) kodiert und in den Organellen exprimiert, wohingegen der Rest im Zellkern kodiert, im Cytosol an Ribosomen translatiert und in die Organellen importiert wird. Die cpDNA kodiert wesentlich mehr Proteine als die mtDNA. (Quellen: (a), (c) [ 39]; (b) [40])
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11.4 · Tiefere Einsichten kamen erst im 20. Jahrhundert
den die Briten A. Harden und W. J. Young phosphorylierte Zwischenprodukte, von denen sie Fruktose-1,6-bisphosphat isolierten. Dann konnte der Deutsche Otto Meyerhof in sehr umfangreicher Publikationstätigkeit um 1928 zeigen, dass bei der alkoholischen Gärung und der Milchsäuregärung im Muskel dieselben Enzyme tätig sind und sie sich nur im Endprodukt unterscheiden. Die weitere Aufklärung der Glykolyse durch G. Embden, O. Meyerhof sowie den polnisch-sowjetischen Biochemiker J. K. Parnas war in den 1940er-Jahren weitgehend abgeschlossen und führte zur Bezeichnung Embden-Meyerhof-Parnas-Weg; auch der Terminus Substratkettenphosphorylierung wurde gebraucht, weil bei der Glykolyse verschiedene Substrate phosphoryliert werden. (Dies steht im Gegensatz zum weiteren Abbau über den sogenannten Trikarbonsäure-, Zitronensäure- oder Krebs-Zyklus.) Die Schottin Linda A. Fothergill-Gilmore zeichnete 1986 eine Übersicht über die Verkopplung einzelner Glykolyseenzyme im Laufe der Evolution [14]. 11.4.1 Energetik der
Mitochondrien
Nahezu kurios mutet heute die Aufklärung der essenziellen Aspekte der Zellatmung ab den 1910er-Jahren an. Otto H. Warburg in Berlin stellte den Vorgang pauschal als Abfolge von Oxidationsprozessen unter Beteiligung von Metallen wie Eisen und Kupfer dar. Sein Kontrahent Heinrich O. Wieland dagegen propagierte ab 1912 die Relevanz von reversiblen Hydrogenisierungs- und Dehydrogenierungsschritten (Reduktion/ Oxidation). Im Rückblick ließ sich beides gut vereinbaren, denn die zur Diskussion stehenden Prozesse beinhalten eine Serie von reversiblen Oxidoreduktionsschritten mit Bildung von Reduktionsäquivalenten, wie es später hieß. Auch die Beteiligung von Fe- und Cu-Atomen konnte belegt werden.
11
Warburg begann seine Arbeiten zur Zell‑ atmung 1908 mit einem Artikel in Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für Physiologische Chemie unter dem Titel „Beobachtungen über die Oxydationsprozesse im Seeigel“ [15]. Er hatte die Respiromanometrie erfunden – Geräte, die noch Jahrzehnte später vor dem Aufkommen O2-sensitiver Elektroden im Labor verwendet wurden; so konnte er also Sauerstoff bzw. O2-Verbrauch messen. 1914 beobachtete er, dass Seeigeleier vor der Befruchtung wenig O2 aufnehmen, nachher jedoch wesentlich mehr, auch während der folgenden Teilungsschritte [16]. Er homogenisierte die Proben durch Verreiben mit Sand und erhielt dabei ein dichtes Sediment von partikulären Zellbestandteilen, eine „Körnchensuspension“. Er schrieb:
» (Die)
Körnchensuspensionen (nahmen) nicht nur Sauerstoff (auf), sondern produzierten auch eine dem Sauerstoff‑ verbrauch entsprechende Menge Kohlen‑ säure. Sie ‚atmeten‘ [16].
Somit hat er die Zellatmung charakterisiert; die „Körnchen“ sollten später als Mitochondrien identifiziert werden. Cyanid und Kohlenstoffmonoxid hemmten diesen Prozess, der überdies vom Eisengehalt im Medium abhing. Daher war es naheliegend, auf einen oxidativen/reduktiven Wechsel der Valenz von Fe(II) zu Fe(III) und umgekehrt zu schließen. In der Tat wurden später in der Cytochromkette (deren einzelne Glieder jeweils Fe als Zentral‑ atom enthalten) der mitochondrialen Innenmembran abgestufte, reversible Valenzänderungen (Fe[II]/Fe[III]) gefunden, gefolgt von Cytochromoxidase mit Cu als Zentralatom in der Endoxidation (. Abb. 11.3). (Cytochromoxidase wurde seinerzeit als Warburg‘sches Atmungsferment bezeichnet.) Weiterhin entdeckte Warburg das Coenzym NADP (Nikotinamidadenindinukleotidphosphat, ein Wasserstoffakzeptor: NADP/NADPH), das allerdings in nicht phosphorylierter Form
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Kapitel 11 · Energieversorgung der Zelle: Frühe Erfindung von Turbine und ATP als Einheitswährung
NADH
NAD+
H+ ADP + Pi
ATP Mitochondrien-Matrix
PyruvatShuttle H+ + e–
II
4H+ + 4e– + O2
I
III
H+ H+
11
Cytosol
ADP ATP Pi CO2
IV
Cytochrom c
Pyruvat(Diffusion)
2H2O
H+
O2 (Diffusion)
H+
H+ H+
H+ H+
ADP ATP Pi
ADP ATP Pi CO2 (Diffusion)
. Abb. 11.3 Funktionelle Organisation der mitochondrialen Membranen (Innenmembran: Lipiddoppelschicht mit integralen Proteinen und Cytochrom c als membranassoziiertem Protein). Die äußere Mitochondrienmembran ist weitestgehend permeabel für die angegebenen niedermolekularen Substanzen, darunter Pyruvat (Brenztraubensäure) aus dem Glykolysestoffwechsel, ADP, ATP und anorganisches Phosphat (Pi), für die es jeweils Carrierproteine gibt. O2 und CO2 können als einzige leicht auch durch die Innenmembran diffundieren. Die in der Mitochondrienmatrix gebildeten Reduktionsäquivalente (NADH) dissoziieren zu NAD+, Protonen und Elektronen (H+, e−). Die Elektronen werden entlang der Cytochromkette (I–III und Cytochrom c) über ein Redoxgefälle bis zur Cytochromoxidase (IV) durchgetunnelt; Letztere gibt die Elektronen in die Matrix ab. Die Protonen diffundieren aufgrund der Ladung den Elektronen hinterher und reichern sich als „Stausee“ im perimitochondrialen Spalt an. Sie finden nur einen einzigen Weg zurück in die Matrix, nämlich durch die ATP-Synthase (orange), deren Basisteil (Kopplungsfaktor CF0) in Rotation kommt und wie eine Turbine chemische Energie durch Synthese von ATP aus ADP und Pi speichert. ATP kann über ein Transportsystem ins Cytosol abgegeben werden, wo es für unterschiedlichste Arbeitsleistungen zur Verfügung steht. Diese funktionelle Organisation wurde weitgehend in den 1980er-Jahren aufgeklärt. (Quelle: [ 39])
als NAD/NADH an Glykolyse und Zellatmung teilnimmt. Ebenso beschrieb er ein „gelbes Atmungsferment“ (Flavoprotein), das u. a. am mitochondrialen Energiestoffwechsel, und zwar in den damals noch nicht fassbaren Schritten der Atmungskette, und am Trikarbonsäurezyklus beteiligt ist. FAD (Flavinadenindinukleotid) und NAD werden dabei reversibel reduziert. 1931 erhielt Warburg den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zugesprochen, primär zwar wegen seiner Arbeiten zur Zellatmung, jedoch nicht zuletzt auch wegen seiner Überlegungen zum Thema Krebserkrankungen (7 Abschn. 12.7, . Abb. 11.3).
Wieland war bereits 1927 vom Nobelkomitee mit einem Preis für Chemie geehrt worden, allerdings für seine Studien zur Struktur der Gallensäuren und der Steroide, zu denen Cholesterin und Sexualhormone gehören, die über Jahrzehnte noch zu weiteren Nobelpreisen führten. Zu diesen Erfolgreichen gesellte sich Wielands Schwiegersohn Fedor Lynen. Seine wichtigsten Arbeiten betrafen den Cholesterin- und den Fettsäurestoffwechsel. Dafür erhielt er gemeinsam mit dem jüdischstämmigen, in die Schweiz emigrierten US-Biochemiker Konrad Bloch 1964 den Nobelpreis für Physiologie oder
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edizin. Lynen war 1951 in der Lage, aktiM vierte Essigsäure (Acetat) als Acetyl-Coenzym-A-Komplex zu isolieren [17]. Er zeigte, dass Fettsäuren unseres Körpers stets in C2-Stufen auf- und abgebaut werden – die sogenannte Lynen-Spirale. Dieser in der Mitochondrienmatrix angesiedelte Ablauf erklärt, warum unsere Fettsäuren immer eine gerade Anzahl von C-Atomen besitzen. (C18H36O2 und C18H34O2 sind Beispiele für eine gesättigte und eine ungesättigte Fettsäure: Stearinsäure bzw. Ölsäure.) Jeder Abbauschritt geht mit der β-Oxidation der Fettsäuren einher und mündet mit der Einspeisung von Acetyl-Coenzym A (CoA) in den Krebs-Zyklus. (Zusätzlich findet β-Oxidation von Fettsäuren auch in den Peroxisomen statt; 7 Abschn. 8.4.) In den Mitochondrien befindet sich eine Reihe von Metaboliten, an die Acetyl-CoA über den Krebs-Zyklus Anschluss findet. In Kürze gibt es folgenden Ablauf: Acetyl-CoA wird mit Oxalacetat (C4) zum C6-Produkt Zitronensäure (Citrat) verbunden, von dem unter Abspaltung von CO2 und Umwandlung von NAD zu NADH Bernsteinsäure (Succinat) gebildet wird, die zu Oxalacetat zurückgeführt wird. Weitere Reduktionsäquivalente werden in Form von FADH und NADH gebildet. Das musste erst einmal auf die Reihe gebracht werden. Darüber machte sich Hans Krebs, später Sir Hans, Gedanken, der zu Beginn der großen Diktatur in den 1930er-Jahren aus Deutschland nach Großbritannien geflüchtet war. Er reichte seine Arbeit bei der Zeitschrift Nature ein. Der Bescheid war niederschmetternd. Nach vier Tagen erhielt er die wenig frohe Botschaft, das Journal habe bereits so viele Zuschriften, dass es beim üblichen Erscheinungsrhythmus von sieben bis acht Wochen ausgebucht sei. Aber es gäbe ja noch andere Journale (womit mich auch einmal einer der „weiter oben“ Tätigen zu trösten versuchte, weil er dieselbe Erfahrung gemacht hatte). 1936 erfolgte dann doch die Publikation in der Zeitschrift Nature unter dem Titel „Inter-
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mediate metabolism of carbohydrates“ [18] – der Artikel ist nicht einmal eine Seite lang und hat doch Biologiegeschichte geschrieben, denn seitdem gibt es den Krebs-Zyklus, auch Citrat- oder Trikarbonsäurezyklus genannt. FADH und NADH geben ihren Wasserstoff als Elektronen (e–) und Protonen (H+) an die Atmungskette bzw. an die ATP-Synthase ab. 1953 erhielt Sir Hans Krebs den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. (Er war Vorsitzender bei einem meiner lausigsten Vorträge in meiner wissenschaftlichen „Steinzeit“.) Hier gab es noch einige harte Nüsse zu knacken: Wie erfolgt die Energiekonservierung? Was war bekannt, bevor eine überzeugende Hypothese erstellt werden konnte? Bekannt war, dass in den Mitochondrien ATP synthetisiert wird, und dasselbe galt für die Chloroplasten (wo es gleich verbraucht wird). Indessen war noch unbekannt, dass beide Organellen eine an ihr inneres Membransystem gebundene ATPase besitzen, die unter In-vivo-Bedingungen als ATP-Synthase läuft. Ferner war noch unbekannt, dass es ein Membranpotenzial über die entsprechenden Membranen gab. Dazu hatte A. T. Jagendorf von der Cornell University beobachtet, dass die ATP-Synthese in Chloroplasten von der pH-Differenz über diese Membran abhing [19]. Diese und die Beobachtungen anderer waren wieder einmal eine Weichenstellung für die Verfeinerung der Einsichten in die Bioenergetik. Der Brite Peter D. Mitchell war schnell und erstellte auf noch wenig solider Basis seine Hypothese der chemiosmotischen ATP-Synthese in Mitochondrien und Chloroplasten (wo ATP allerdings nicht direkt in die Nettoenergiebilanz eingeht, sondern in die Dunkelreaktion eingespeist wird) [20]. Diese Hypothese wurde in den folgenden Jahren vielfach überprüft und schließlich zur Theorie erhoben: Die an die Innenmembran diffundierenden Reduktionsäquivalente NADH und FADH geben Wasserstoff ab, und zwar als Proto-
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nen plus Elektronen, H+ + e–. Während die Elektronen in beiden Organellen über eine Cytochromkette weitergereicht werden, diffundieren die Protonen vom Spalt in den Einfaltungen der Innenmembran der Organellen schließlich über die Innenmembran hindurch. Es ist jedoch keine einfache passive Diffusion, sondern die Protonen werden durch einen submolekularen Kanal der ATP-Synthase-Moleküle hindurchgeflutet, wie ein Wasserschwall, der durch eine Turbine rauscht. In der Tat dreht sich der in der Membran verankerte Teil des ATPase/ATP-Synthase-Moleküls einige Hundert Male pro Sekunde, wie erst in den 2000er-Jahren konkret erfasst werden konnte. 2001 wurde von einer japanischen Gruppe die Rotation des ATP-Synthase-Moleküls gezeigt, indem unterschiedliche Markerpartikel an den Rotorschaft angekoppelt und visualisiert wurden [21]. Welche der zahlreichen Untereinheiten der hochpolymeren ATP-Synthase rotieren, wurde 2011 in einer Übersicht von Okuno et al. im Journal of Biochemistry aufgeschlüsselt (7 https://doi.org/10.1093/jb/ mvr049). 1978 erhielt Peter D. Mitchell den Nobelpreis für Chemie; Jagendorf, der so wesentliche Schlüsselbeobachtungen zum H+-Gradienten für die ATP-Synthese gemacht hatte, ging leer aus. In den Jahren zuvor waren einige Labors weltweit bemüht, Mitchells Hypothese teils zu bekämpfen und teils durch Experimente zur Theorie zu erheben. Dies gilt sowohl für Mitochondrien als auch für Chloroplasten. Auch hier gab es Zweifel und die Wandlung einzelner vom Saulus zum Paulus. Der US-amerikanische Biochemiker Paul D. Boyer erhielt 1997 ebenfalls einen Nobelpreis für Chemie, zusammen mit dem britischen Molekularbiologen John E. Walker und dem bereits erwähnten dänischen Mediziner und Biophysiker Jens Christian Skou. Boyer hat zum Mechanismus der ATP-Synthese beigetragen, während W alker die ATP-Synthase kristallisiert und ihre räumliche Struktur aufgeklärt hat. Skou hatte 1957 die Na+/
K+-ATPase/Pumpe (7 Abschn. 5.7.1 und 10.1) als erste Ionenpumpe entdeckt und so angeblich Mitchell einen indirekten Anhaltspunkt geliefert, obwohl dieser Antiport-Mechanismus völlig anders funktioniert (Konformationsänderung der Untereinheiten in der Membranebene) als die ATP-Synthase (Rotation).
11.4.2 Disput zwischen
Biochemikern und Elektronenmikroskopikern
An dieser Stelle soll die strukturelle Grundlage der Bioenergetik etwas nachjustiert werden. Das innere Membransystem der Mitochondrien konnte erst mit dem Elektronenmikroskop enthüllt werden. Und schon entwickelte sich in den 1950er-Jahren folgende Kontroverse: Sind die flachen Säcke (Cristae; lat. „crista“ = Kamm) eigenständige Strukturen, wie dies der Schwede F. S. Sjöstrand behauptete, oder sind sie Einfaltungen der Innenmembran, wie vom rumänischstämmigen US-Amerikaner G. E. Palade propagiert? Palades Ansicht setzte sich durch [22], obwohl man nur selten eine Kontinuität zwischen der randständigen Innenmembran und den Cristae sieht. Mit Serienschnitten konnte der Niederländer Eddie Wisse 1966 den Grund hierfür finden [23]: Die Verbindungen sind enge, runde Öffnungen zum perimitochondrialen Spalt hin, die Wisse dann „Pediculae cristae“ getauft hat. (Pedicula kommt von lat. „pes, pedis“ = Fuß; „pedicula“ = Füßchen.) Auch im Gefrierbruch sind die runden Öffnungen der Pediculae deutlich erkennbar (. Abb. 11.2b). Später sah man auch den Vorteil dieser Konstruktion: Der Protonengradient, ΔH+, der sich über die Innenmembran aufbaut (unten), ist auf die Einfaltungen der Innenmembran, also auf die Cristae beschränkt; diese beherbergen eben auch die ATP-Synthase-Moleküle, die den ΔH+ zur
11.4 · Tiefere Einsichten kamen erst im 20. Jahrhundert
Energiekonservierung ausnutzen. (Dennoch gibt es rezente, falsche Schemata mit der ATP-Synthase auch an der randlichen Innenmembran.) Ein weiterer hartnäckiger Streitpunkt war die Anordnung der ATP-Synthase in Bezug zur Membranebene, wobei Sjöstrand annahm, dass die Moleküle erst bei der Präparation aus der Innenmembran herauspoppen. (Anlässlich einer Kooperation habe ich mir ausbedungen, dass ich keine der endlosen einschlägigen Arbeiten mehr lesen muss.) Ironischerweise wurden sie später als Lollipops bezeichnet, wobei man auf gestielte Lutscherbonbons abhob. Wie E. Racker an der Cornell University in den 1960er-Jahren fand, besteht die ATP-Synthase, abgesehen vom Basisteil (F0 oder CF0 für „coupling factor“ von Mitochondrien bzw. Chloroplasten) zur Verankerung in der Membran, aus einem im Elektronenmikroskop an Negativkontrastierungspräparaten (7 Abschn. 7.1) klar sichtbaren, aus der Membran herausragenden Kopf (F1 bzw. CF1), einen kaum wahrnehmbaren Stiel zwischen dem Kopf und dem membranintegrierten Basisteil (. Abb. 11.2d), wobei der Kopf also – im Gegensatz zu Sjöstrands Meinung – klar aus der Membran herausragt. Ähnliches gilt für die Chloroplasten, in denen die ATP-Synthase-Moleküle selektiv an die Stromalamellen gebunden sind. Wesentliche Einsichten in die organelleigene Kodierung von Teilen der multimeren ATP-Synthase-Moleküle in Mitochondrien und Chloroplastendetails ergaben sich ab den 1960erund 1970er-Jahren. Die ATP-Synthase-Moleküle von Mitochondrien und Chloroplasten wurden fürderhin als Kopplungsfaktoren betitelt, da ihre Aktivität mit der Synthese von ATP aus ADP und Phosphat (PO43–) gekoppelt ist. Die ATP-Synthase besteht also aus zwei multimeren Einheiten: F1 + F0 für Mitochondrien bzw. CF1 + CF0 für Chloroplasten, d. h. den in der Membran integrierten Rotorteil (F0, CF0) und den über den Stiel aufgesetzten Statorteil (F1, CF1).
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Mit jeder Rotation wird durch die Bindung eines Phosphatrestes an ADP energiereiches ATP synthetisiert. Bleibt noch anzufügen, dass H+-ATPasen außerhalb der bioenergetisch aktiven Organellen zwar im Prinzip ähnlich gebaut sind, jedoch an Membranen von verschiedenen Organellen lokalisiert sind, die am Vesikelverkehr teilnehmen. Hier wird nicht ein ∆H+ ausgebeutet, sondern hier pumpt die H+-ATPase/Pumpe Protonen unter ATP-Verbrauch in diese Organellen hinein, um ihr Lumen anzusäuern (7 Abschn. 9.4.5). Beispiele sind Endosomen und Lysosomen. Über lange Zeit wurden im Elektronenmikroskop Kontakte zwischen der mitochondrialen Außenmembran und dem endoplasmatischen Retikulum gesehen, und vereinzelt wurde sogar eine Kontinui‑ tät beider Membranen postuliert. Rezent wurde sichergestellt, dass es solche Kontakte über einen Komplex aus vier Proteinen gibt, die den Transfer von Lipiden in die Mitochondrien bewerkstelligen. Es besteht jedoch keine Kontinuität zwischen der Außenmembran der Mitochondrien und dem endoplasmatischen Retikulum. Auch gibt es die Assoziation von Mitochondrien mit distinkten Bereichen der Zellmembran. In resorbierenden Epi‑ thelien, insbesondere von proximalen Tubulusepithelzellen unserer Niere, beobachtet man die basale Anreicherung von Mitochondrien. Hier sind sie mit den Einfaltungen des „basalen Labyrinths“ eng assoziiert, also mit jenen Bereichen der Zellmembran, welche indirekt die meiste Transportleistung bei der Rückresorption wichtiger Stoffe aus dem Primärharn vollbringen. Damit liegen die Kraftwerke nahe am Ort des Energieverbrauchs (was sich derzeit bekanntlich der Staat für unsere Energieversorgung wünscht). Funktionell ähnliche Epithelien bei bestimmten Gruppen von Insekten haben die Mitochondrien in Mikrovilli lokalisiert, wo in diesem Fall der ATP-Verbrauch am höchsten ist.
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Kapitel 11 · Energieversorgung der Zelle: Frühe Erfindung von Turbine und ATP als Einheitswährung
11.4.3 Energetik der
Chloroplasten
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Wie bereits erwähnt, dient der Kopplungsfaktor in den Chloroplasten der Bildung von ATP in der Lichtreaktion (Photophosphorylierung); dieses ATP wird in der Dunkelreaktion verbraucht. Nun gilt es, die Geschichte für die grünen Pflanzen fortzuspinnen. Dabei ist erst einmal hervorzuheben, dass nur sie – abgesehen von photosynthetisch aktiven Bakterien – in der Lage sind, das Sonnenlicht als Primärenergie in chemischer Form zu speichern. Die moderne Bioenergetikforschung an grünen Pflanzen begann mit Experimenten des britischen Biochemikers Robert Hill ab 1932. Im Jahr 1939 stellte er fest, dass isolierte Chloroplasten unter Belichtung Sauerstoff freisetzen, sobald eine reduzierende Verbindung beigegeben wird. Kalium‑ hexacyanoferrat ist dafür geeignet; wenn das Fe-Atom dreiwertig ist, so ist die Verbindung rot, bei Zweiwertigkeit jedoch gelb (rotes und gelbes „Blutlaugensalz“, K3Fe[III]CN6 bzw. K4Fe[II]CN6). Bei dieser Reaktion, die als Hill-Reaktion in die Literatur einging, wird Sauerstoff freigesetzt. Später fand der katalanischstämmige US-amerikanische Biochemiker Severo Ochoa, dass die biologischen Äquivalente NADP+ bzw. NADPH sind. Die Reaktion läuft pauschal so ab: 2 H2O + 2 NADP+ + Licht → 2 NADP H + 2 H+ + O2. (Den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt Ochoa 1959 jedoch aufgrund seiner Arbeiten zur biologischen Synthese von RNA und DNA.) Der Vorgang beinhaltet also eine Spaltung von Wasser (Hydrolyse) unter Freisetzung von Sauerstoff. Dieses wiederum konnte 1941 in einer sehr kurzen, aber bedeutenden Studie des US-Amerikaners S. Ruben und seiner Mitarbeiter mit Kulturen der einzelligen Grünalge Chlorella in 18O-markiertem Wasser, H218O, gezeigt werden [24]; 18O2 wird freigesetzt.
Weiter ging es mit physiologischen Arbeiten mit Chlorella und einer weiteren Grünalge, Scenedesmus, die sich beide leicht züchten lassen. Sehr früh, in den 1940er-Jahren, hatte der US-amerikanische Biochemiker Melvin Calvin das eben neu entdeckte radioaktive Kohlenstoffisotop 14C, einen β-Strahler, als 14CO2 seinen Algenkulturen angeboten, und zwar mit und ohne Belichtung. Die Originalarbeit, erschienen 1948 in der Zeitschrift Science, zeigt den Einbau von CO2 bei Licht [25]. Ebenso rasch fällt dieser Einbau bei Dunkelheit ab. Mittels Dünnschichtchromatographie fand er je nach Belichtungsdauer verschiedene Verbindungen. Dabei fand er auch Ribulose-1,5-bisphosphat. Dieser C5-Körper kann sich unter Mithilfe der RuBisCo mit CO2 zu einer C6-Verbindung vereinen, die dann in zwei C3-Körper zerfällt. Der Vorgang läuft in einem Zyklus ab, der dann als Calvin-Zyklus bekannt wurde. 1961 erhielt Calvin für die Aufklärung dieser recht komplexen Zusammenhänge den Nobelpreis für Chemie. Die Debatte, ob dieser Vorgang ein direkter Effekt des Lichtes sei, war unvermeidlich. De facto beschreibt der Calvin-Zyklus die Dunkelreaktion. Jedoch wird dabei neben ATP auch NADH verbraucht, die beide in der Lichtreaktion, genauer gesagt in dem als Photosystem I bezeichneten zweiten (!) Abschnitt, gebildet werden. Der polnisch gebürtige US-Amerikaner D. I. Arnon konnte ab den 1950er-Jahren nicht nur noch eindringlicher als Ruben [24] belegen, dass O2 durch die Photolyse des Wassers gebildet wird; zusätzlich war er in der Lage zu zeigen, dass die an den Thylakoiden (Innenmembransystem der Chloroplasten) gebildeten Stoffe ATP, NADPH und CO2 in einer R eaktion des Chloroplastenstromas zur Bildung von Glukose, ADP und NADP führen. Darüber hinaus konnte, wie bereits erwähnt, die Bildung von ATP 1967 von dem US-Ame-
11.5 · Ergebnisse aus neuerer Zeit
rikaner André T. Jagendorf mit isolierten Thylakoiden dargelegt werden, indem er den pH-Wert von 8 auf 4 senkte (oben). Der dabei entstehende Protonengradient ΔH+ trieb in Übereinstimmung mit Mitchells chemiosmotischer Hypothese die Bildung von ATP durch die chloroplasteneigene ATP-Synthase an. Die Dunkelreaktion profitiert also von Produkten der Lichtreaktion, ist aber eine von ihr getrennte Reaktionsabfolge, zumal die Lichtreaktion am inneren Membransystem, die Dunkelreaktion dagegen im Stroma abläuft. Auf diese Weise sind beide Aspekte der Photosynthese in den Chloroplasten eng miteinander verbunden. Die Photosynthese verläuft insgesamt nach dem sogenannten Z-Schema mit folgendem Ablauf: 1. Trifft Licht auf den Antennenkomplex P680 (maximale Anregung durch Licht von λ = 680 nm), so wird er aktiviert, und Wasser wird hydrolysiert: H2O → 2 H+ + ½ O2 + 2 e–; es bilden sich also Protonen, freie Elektronen und Sauerstoff. P680 wird dabei auf ein höheres Energieniveau gehoben. 2. Die freigesetzten Elektronen werden entlang einer Cytochromkette zum Antennenkomplex P700 transportiert (maximale Absorption bei λ = 700 nm). 3. Das auf diese Weise energetisierte P700 vermittelt einerseits die Reduktion von NADP+ zu NADPH nach der Formel: NADP+ + H+ + 2e– → NADPH. 4. Die freien Protonen werden andererseits auch verwendet, um über die ATP-Syn thase ATP aus ADP + PO43– zu synthetisieren, wie oben für Mitochondrien beschrieben. Das Z-Schema bezeichnet also zwei durch Licht verschiedener Wellenlänge bewirkte Energetisierungsprozesse und eine dazwischen operierende Elektronentransportkette. Dieses Z-Schema der Photosynthese wurde 1957 von dem US-Amerikaner Robert Emerson zunächst lediglich in ei-
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nem Abstract begründet [26]; er setzte zwei Lichtstrahlen mit den angegebenen Wellenlängen ein und erzielte damit additive Effekte. Damit sind die Voraussetzungen für die Synthese von Glukose in der Dunkelreaktion geschaffen. Die historische Entwicklung dieser Theorie ab den 1940er-Jahren wurde von R. Govindjee et al. in Büchern und Übersichtsartikeln bis 2017 nachgezeichnet [27]. 11.5 Ergebnisse aus neuerer Zeit
Als Vorlauf zu diesem Nachlauf sei Folgendes vermerkt. Photosystem I und II enthalten jeweils einen Lichtsammelkomplex („light harvesting complex“, LHC1 und LHC2) mit Chlorophyll b bzw. Chlorophyll a im Reaktionszentrum, umgeben von einigen Hundert Pigmentmolekülen aus Carotin und Xanthophyll, zusammen mit einer Proteinmatrix. Chlorophyll besteht aus einem Porphyrinring und ähnelt insofern dem Blutfarbstoff Hämoglobin. Allerdings enthält Hämoglobin Fe[II] in komplexierter Form, Chlorophyll dagegen enthält Mg2+ und ist mit einem Phytolschwanz im inneren Membransystem des Chloroplasten verankert. Photonen werden von den Pigmentmolekülen absorbiert und die Energie durch Fluoreszenz weitergeleitet, die auf diese Weise das Reaktionszentrum aktiviert.
11.5.1 Erkenntnisse aus
der molekularen Elektronenmikroskopie
Die Komponenten von Photosystem I sind also im Lichtsammelkomplex LHC1, jene von Photosystem II dagegen im Komplex LHC2 integriert, und man fragte sich, ob im Elektronenmikroskop strukturelle Untereinheiten sichtbar sein könnten. Im Innenmembransystem von Chlo-
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roplasten haben verschiedene Autoren nach Negativkontrastierung oder Gefrierbruch im Elektronenmikroskop häufig reguläre, komplexe Strukturen von durchschnittlich ca. 155 × 185 nm gesehen, allerdings je nach Autor in ziemlich variabler Größe. Diese hat man Quantasomen genannt. Quantasomen wurden in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre von R. B. Park beschrieben. Somit stellte sich damals umgekehrt die Frage nach deren molekularer Identität. Sind es Äquivalente von LHC1 bzw. LHC2? Im Jahre 1985 wurde erstmals die hochaufgelöste Struktur eines photosynthetischen Reaktionszentrums, und zwar vom Bakterium Rhodopseudomonas viridis, von einer deutschen Gruppe um Johann Deisenhofer publiziert (7 Abschn. 7.2) [28]. Die Röntgenbeugungsanalyse zeigte Einheiten von 115 × 225 nm Größe. Es war eine Annäherung an eine komplexe Struktur-Funktions-Einheit, die sich aber deutlich vom Quantasomenkonzept unterschied. Deisenhofer wurde zusammen mit seinem Chef Robert Huber und seinem Mitstreiter Hartmut M ichel am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München 1988 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. In einer rezenten Arbeit, 2018 in Nature publiziert, wurde das Lichtsammelreaktionszentrum („light-harvesting 1 reaction center“, LH1-RC) des Bakteriums Blastochloris viridis durch eine britische Gruppe (P. Qian und Mitarbeiter) untersucht [29]. Hier war die Flächenansicht 120 × 125 nm groß. Die Zuordnung zu Quantasomen scheint daher auch hier unsicher. Sogar der Schöpfer dieses Begriffs, R. B. Park, hatte sich bereits zu Ende der 1980er-Jahre von diesem Konzept verabschiedet, weil die im Elektronenmikroskop sichtbaren Strukturen Verschiedenes darstellen könnten, obwohl sie auch nach Kryofixation aufscheinen (unveröffentlicht). Nun gibt es zum einen ja auch reproduzierbare Artefakte, die immerhin ein Äquivalent zu einer intravitalen Struktur sein und Information enthalten
könnten; zum anderen mag es nicht statthaft sein, bakterielle Strukturen mit denen grüner Pflanzen zu vergleichen. Die Causa Quantasom scheint nicht ausdiskutiert zu sein. Schlussendlich noch ein Blick auf weitere Entwicklungen in Sachen Mitochondrien: In den 1960er-Jahren haben Elektronenmikroskopiker eine granuläre Struktur in der mitochondrialen Innenmembran gesehen. Sie meinten, diese Oxysomen genannten Granula seien Strukturäquivalente zu komplexen Proteinen von Atmungskette und Zellatmung. Dieses Konzept der Oxysomenstruktur der mitochondrialen Innenmembran (7 Abschn. 5.2) konnte sich nur kurz halten. 1966 findet man im Annual Report der National Academy of Sciences des National Research Council (Nationaler Forschungsrat) zwei Vortragstitel, die das Thema formulieren: „Isolation and characterization of the unit of electron transfer in heart mitochondria“ (D. E. Green, USA) und „Subunit organization of the mitochondrial membranes“ (H. Fernández-Morán, Caracas, Venezuela). Der zweitgenannte Autor war fortschrittlich in Sachen Kryopräparation für die Elektronenmikroskopie, indem er trotz der hohen Kosten sogar flüssiges Helium als Kryogen verwenden konnte. Aus Caracas wurden auch die ersten der sehr begehrten Diamantmesser für optimale Ultradünnschnitte geliefert. Fernández-Morán war ein brillanter Redner. Er hatte wohl auch wegen seines politischen Einflusses in Caracas ein attraktives Forschungsinstitut bekommen, das später unter dem Namen Instituto Venezolano de Investigaciones Científicas lief. (Als das Institut von einem US-Amerikaner übernommen werden sollte, hat er den „totalen Krieg“ erklärt. Von diesem Status ist die Forschung in Venezuela bis heute unendlich tief abgesackt.) Die beiden Proponenten wollten in den nachfolgenden Publikationen glaubhaft machen, die mitochondriale Innenmembran habe eine partikuläre
11.5 · Ergebnisse aus neuerer Zeit
Struktur, die sie der oxidativen Tätigkeit zuordneten und daher eben als Oxysomen bezeichneten. (Ein simpler Einwand ist, dass bereits eine leichte Defokussierung des Elektronenstrahls in beliebigen Membranen solche granulären Bilder erzeugt [Abschn. 5.2], sodass man fortan immer die Vorlage von Fokusserien verlangte.) Später haben andere Autoren gemeint, in Oxysomen seien spezifische Proteinkomponenten funktionell verbunden. Spätestens seit den 1980er-Jahren war jedwedes Oxysomenkonzept hinfällig, als der US-Amerikaner Charles Hackenbrock, teilweise unter Beteiligung seines Schweizer Postdocs Matthias Höchli, demonstrieren konnte, dass die Proteine der Innenmembran in der Lipidschicht frei mobil sind, wenn die Organellen einem elektrischen Feld ausgesetzt werden [30]. 1986 beschrieb er dies als „random collision model“. Die Membranproteine, unter ihnen auch jene der Elektronentransportkette, treffen also rein zufällig durch Diffusion in der Lipiddoppelschicht aufeinander. Dennoch konnten in Sachen Bau und Funktion von Mitochondrien neue molekulare Details – allerdings recht spät – enthüllt werden. Dazu sei vorausgeschickt, dass es zwei morphologische Typen von Mitochondrien gibt: solche mit flächigen Cristae und andere mit tubulären Einfaltungen (Crista- bzw. Tubulustyp). Etwa zwei Dekaden nach der Aufklärung von Bau und Funktion von mitochondrialer ATP-Synthase/F1F0-Kopplungsfaktor ergaben sich ganz überraschend noch folgende neue Aspekte. Unser hawaiianischer Kollege Richard D. Allen beobachtete 1995 bei kryoelektronenmikroskopischen Studien mit Paramecium-Zellen eine Tandemanordnung des mitochondrialen Koppelungskomplexes F0F1 [31]. (Viele Algen und Protozoen, aber auch humane Zellen mit der Fähigkeit, steroidale Hormone zu synthetisieren, besitzen tubuläre Mitochondrien.) Allen meinte, diese Tandemstrukturen könnten die tubuläre Struktur der Innenmembraneinfaltungen erklären. 2008 und 2012 konnten andere
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Autoren jedoch derlei Tandemstrukturen mittels dreidimensionaler Tomographie (optische Schnittfolgen) im Elektronenmikroskop auch an Mitochondrien vom Cristatyp zeigen. Ein internationales Team (C. Jiko et al. 2015) bestätigte dies nach 3D-Rekonstitution von ATP-Synthase aus Rinderherzen in künstlichen Membranen [32]. Allens Konzept muss allerdings etwas modifiziert werden, denn Valentina Giorgio, Padua, Italien, fand 2013 eine präzisere Erklärung im Zusammenhang mit der Fähigkeit von (wohl allen) Mitochondrien, Ca2+ sehr rasch in ihre Matrix aufzunehmen (unten). Was einem Mitochondrium entweder Cristae oder Tubuli beschert, wurde erst 2016 von der Gruppe von Walter Neupert, München, entschlüsselt [33]. Die Ausbildung von flachen Cristastrukturen hängt von einer intakten mitochondrialen Fusionsmaschinerie ab, die auch für die Ca2+-Homöostase der Mitochondrien und ihrer DNA benötigt wird, und zusätzlich von dimeren F1F0-Komplexen der ATP-Synthase. Die Ausbildung von Tubuli ist dagegen von der Fusionsmaschinerie unabhängig, benötigt aber ebenfalls die dimeren F1F0-Komplexe. Beide Mitochondrientypen enthalten, von Einzellern bis zum Menschen, Septin-Proteine zu ihrer strukturellen Stabilisierung. 11.5.2 Unerwarmtete Befunde
Mitochondrien werden allgemein als O2-aktive Organellen betrachtet, die durch Bindung von Kohlen(stoff)monoxid (CO) oder Cyanid (CN–) an die Cytochrome geblockt werden – mit bekanntlich schnellem, letalem Effekt für den Organismus. Dies gilt jedoch nicht für alle Organismen. Die Mitochondrien von Pflanzenzellen und manchen Protozoen (z. B. Paramecium) und Hefen besitzen gegenüber Cyan unempfindliche Mitochondrien. Das Phänomen der cyanresistenten Zellatmung wurde 1937 von dem niederländischen Botaniker A. van
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Herk an Sauromatum guttatum (Eidechsenwurz), einem Aronstabgewächs (Araceae), entdeckt. Diese cyanresistente Atmung ist jedoch auf Salicylhydroxamsäure empfindlich. Die dabei auftretenden Stoffwechselwege und ihre Entdeckung wurden 2003 anschaulich von einer portugiesischen Gruppe in der Zeitschrift FEMS Yeast Research dargestellt [34]. Im Jahre 2019 gelang einem US-amerikanisch/deutschen Team im EMBO Journal der Nachweis einer unerwarteten funktionellen Subtypisierung einzelner Cristae [35]. Sie entwickelten eine Methode, das mitochondriale Membranpotenzial, Δψ, von einzelnen Cristae zu registrieren. Zum Einsatz kam ein Δψ-sensitives Fluorochrom, mit dem gezeigt werden konnte, dass das Membranpotenzial in einzelnen Cristae eines Organells durchweg voneinander abweichen kann. Feinregulierung im submikroskopischen Bereich … Mitochondrien dienen auch als Ca2+-Speicher; sie können in verschiedensten Zellen Ca2+ sehr rasch aufnehmen, wenn es in großer Menge bei unterschiedlichen Stimulationsprozessen das Cytosol überschwemmt, was in den 1990er-Jahren von verschiedenen Gruppen erkannt wurde. (Dies gilt nicht nur für Mitochondrien vom Cristatyp, sondern nach unseren Befunden mit der EDX-Technik [Abschn. 10.3.3] können auch jene vom tubulären Typ Ca2+ sehr schnell aufnehmen und größtenteils wieder abgeben.) Dabei werden bioenergetische Prozesse hochgefahren, weil mehrere energetisch wichtige Detailschritte (Dehydrogenasen) in den Organellen durch Ca2+ stimuliert werden. Allerdings bleibt nur relativ wenig vom eingeschwemmten Ca2+ in den Mitochondrien, weil es auch schnell wieder durch die Pore ins Cytosol zurückfließt; dabei bleibt das verbleibende Ca2+ weiterhin aktivierend tätig. Die ATPaseTandemstrukturen sind zwar nicht geeignet, um – wie ursprünglich von Allen anvisiert – die tubuläre Natur der Innenmembraneinfaltungen zu erklären. Diese Tandemstrukturen, so fand Valentina Giorgio
2013, seien das Äquivalent der lang gesuchten „permeability transition pore“ [36], also des mitochondrialen Kanals für schnelle Ca2+-Aufnahme und -Abgabe. 11.6 Nachlauf in jüngster Zeit und
Rückblick
Der Mensch produziert über einen Tag eine Menge an ATP, die der Hälfte des eigenen Körpergewichtes entspricht. Da jedoch einerseits in den meisten Zellen innerhalb von etwa zwei Minuten das gesamte ATP umgesetzt wird, bleibt uns eine Verdoppelung unseres Körpergewichts im Laufe zweier Tage erspart. Andererseits sind unsere Zellen, auch die des Gehirns, binnen weniger Minuten Sauerstoffentzug dem Tod geweiht. Die O2-Sensoren im Glomus caroticus an der Verzweigung der Halsschlagader (Arteria carotis externa und interna) reagieren bei O2-Mangel. Wir ersticken (wenn wir nicht gerade gut trainierte Rekordtaucher sind), weil in dieser Zeit der gesamte ATP-Pool verbraucht wird und daher regeneriert werden muss. Der Tod erfolgt durch Destabilisierung von Struktur und Funktion der Zellen, und zwar mit ähnlicher Geschwindigkeit in verschiedenartigen Zelltypen, denn die ATP-Produktion verschiedener Zelltypen hängt von deren Ausstattung mit Mitochondrien ab, genauer gesagt von deren Innenmembranen: Stoffwechselintensive Zellen haben davon mehr als stoffwechselträge. (Die höchste Dichte haben die Mitochondrien des Herzmuskels von Kolibris). Der Tod ereilt daher alle Zellen einigermaßen gleichzeitig binnen Minuten. Auf eine Zeit der Totenstarre (wegen Fehlens des „Weichmachers“ ATP; 7 Abschn. 10.1) folgen Erschlaffung und Verwesung. Vergleicht man die Leber verschieden großer Säugetierarten, so hat die Maus bezogen auf das Körpergewicht ein relativ großes Organgewicht und nach morphometrischen Auswertungen der Hepatocyten (Leber[Parenchym]zellen) mehr
11.6 · Nachlauf in jüngster Zeit und Rückblick
r elativen Volumenanteil an Mitochondrien, und die Mitochondrien haben relativ mehr Cristae-Membranen. Die Leber steuert nicht nur den Energiestoffwechsel in beträchtlichem Ausmaß, sondern ihre Matrix ist auch an wichtigen Stoffwechselprozessen beteiligt; auch dieses spiegelt sich im relativen Anteil von Mitochondrien. Dabei vermittelt beispielsweise die Glutamat-Oxal‑ acetat-Transaminase (GOT) die Bildung von Glutaminsäure aus α-Ketoglutarsäure aus dem Krebs-Zyklus (7 Abschn. 11.4.1). Bei Schäden an Leber- oder Herzmuskelzellen tritt dieses Enzym aus und kann im Blut als Diagnostikum bestimmt werden (Serum-GOT, SGOT). Schließlich sei noch erwähnt, dass die energetische Optimierung auch in Richtung Langsamkeit bei wenig Energieverbrauch gehen kann. Die rezenten süd- bis mittelamerikanischen Faultiere vom Genus Zweifinger- (Choloepus) und Dreifingerfaultier (Bradypus) haben extreme Langsamkeit als Überlebensstrategie entwickelt. Ihre Körpertemperatur ist unter jener von Säugetieren ähnlicher Größe und kann bis auf 24 °C reduziert werden. Wie in den 2000er-Jahren ermittelt wurde, liegt der Grundumsatz bei bis zu 60 % unter jenem von Säugern vergleichbarer Größe. Die Umstände implizieren, dass hier keine Entkoppelung der oxidativen Phosphorylierung in den Mitochondrien vorliegt (wiewohl Analysen nicht bekannt sind). Ihre Blattnahrung ist wenig ergiebig; Proteine holen sie sich von den Motten, die sich im Fell einnisten. Der wöchentliche Abstieg, um zu urinieren und zu defäkieren, erzeugt den Lebensraum für Schmetterlingslarven, die als Imagines für den Nachschub von Proteinen sorgen. Die Langsamkeit schützt die Tiere vor Räubern; hektisch werden sie nur, wenn es zur Paarung geht oder wenn sie ihren Hauptfeind, eine Harpyie (ein Greifvogel), hören. Einheimische Naturführer imitieren den Ruf der Harpyie, um sich über die ausbrechende Hektik der Tiere zu amüsieren.
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Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2019 wurde an die US-Amerikaner Gregg L. Semenza und William G. Kaelin sowie den Briten Sir Peter J. Ratcliffe für ihre Untersuchungen zur O2-Versorgung von Zellen vergeben oder, wie es im Originaltext der Nobelförsamlingen des Karolinska Institutet heißt [37]: „… for their discoveries of how cells sense and adapt to oxygen availability“ [für ihre Entdeckungen, wie Zellen Sauerstoff wahrnehmen und sich an seine Verfügbarkeit adaptieren]. Steigt der O2-Verbrauch bei körperlicher Anstrengung oder sinkt der O2-Partialdruck in der Luft (Hypoxie), so wird eine komplexe Maschinerie in den Erythropoetin (EPO)produzierenden Zellen der Niere angeworfen, die ihrerseits die vermehrte Bildung von Erythrocyten in Gang setzt (Erythropoese) [38]. Wie aus der zusammenfassenden Würdigung der Laureaten in den Nobel Media AB 2019 [37] hervorgeht, erfolgt die Regelung nach folgenden Mechanismen: 5 Der Transkriptionsfaktor HIF-1 („hypoxia inducible factor“) bindet zusammen mit einem weiteren Protein, ARNT („aryl hydrocarbon receptor nu‑ clear translocator“), an hypoxyregulierten Genen (HRE) inkl. EPO-Gen, die damit aktiviert werden und die Bildung von Hämoglobin und Erythrocyten beschleunigen. 5 Bei ausreichender O2-Konzentration wird dagegen HIF-1 im Cytoplasma über eine Hydroxylase an Prolinresten hydroxyliert (Prolylhydroxylierung) und somit zur Bindung von VHL befähigt. (Das Akronym ist benannt nach dem Von-Hippel-Lindau-Syndrom, das mit erhöhtem Krebsrisiko einhergeht.) Das VHL-Protein ist Teil eines Komplexes, der über die Ubiquitinylierung den proteasomalen Abbau von HIF-1 einleitet. Mutation von VHL verhindert den proteasomalen Abbau von HIF-1, das dann zusammen mit ARNT an hypoxieregulierten DNA-Sequenzen gebunden
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wird, welche damit aktiviert werden. Auf diese Weise werden in Krebsgewebe vermehrt Blutgefäße gebildet, was wiederum die Proliferation und Tumorbildung beschleunigt. In gewisser Weise erinnert dies an die beinahe 100 Jahre alte „Warburg-Hypothese“ – insofern, als sie einen Zusammenhang zwischen Tumorbildung und O2-Verbrauch herzustellen versuchte (7 Abschn. 12.7.1). Nur im religiösen Bereich wird sogar der physische Tod kurzfristig rückgängig gemacht. So heißt es im Johannes-Evangelium zum Tod des Lazarus (Joh. 11, 38–39, 43–44):
» Es war eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war. Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! Marta, die Schwester des Verstorbenen, entgegnete ihm: Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag. …
» Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit 11
lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus …
Viele der biblischen Wunder wollen durch die Aufhebung der Naturgesetze, z. B. die Gesetze der Thermodynamik, überzeugen (oder imponieren?). Unbedingtes Glauben auch des Unglaubwürdigen wurde eingefordert und prallte so auf Ratio und Empirie, wie die damals neue christliche Ethik des Vergebens auf das alte „Aug um Auge, Zahn um Zahn“ prallte. Wenn es schon heißt, „der Glaube kann Berge versetzen“, warum sollte er nicht auch Grabsteine versetzen können. Dazu finden wir ein modernes Analogon: Trotz klarer wissenschaftlicher Erkenntnisse lassen sich heute Menschen in flüssigem Stickstoff einfrieren, in der Hoffnung, später wiederbelebt zu werden – eine illusorische Wissenschaftsgläubigkeit all jener, die nicht wissen, wie sehr die Zellen bei dieser Prozedur zerstört werden. Auf der anderen Seite gibt es sowohl in der Bibel als auch im Koran die Lobpreisung der Natur
als Beweis von Gottes Allmacht. In der Tat – wie wundervoll ist doch die Natur eingerichtet – für den Gottgläubigen wie für den Agnostiker, sowohl mit vielen großen, richtungweisenden systemischen Problemlösungen als auch mit kleinen Speziallösungen auf zellulärem Niveau – von beiden ist dieses Buch voll. Die ausgefeilte Komplexität der Bioenergetik legt davon Zeugnis ab. In diesem Zusammenhang seien daher noch spezielle Problemlösungen angesprochen. Seit Langem kennt man das braune Fettgewebe von winterschlafenden Säugetieren und am Rücken von Neugeborenen. Es ist wegen des hohen Eisengehalts seiner sehr zahlreichen Mitochondrien bräunlich gefärbt. Diese sind hier jedoch energetisch schlecht gekoppelt, sodass viel freie Energie in Form von Wärme entsteht. 2018 hat der Zellbiologie K. Simons in einer vergleichenden Proteomics-Studie den Versuch begonnen, spezifische Unterschiede zwischen braunem und dem üblichen weißen Fettgewebe zu ergründen. Auch die Augenmuskeln antarktischer Fische sind zur energetischen Entkopplung unter Wärmefreisetzung befähigt, wie ebenfalls seit Jahrzehnten bekannt ist. Ja sogar heimische Pflanzen wie der Aronstab (Arum maculatum, Araceae, Aronstabgewächse) können dieses in ihrem Blütenstand (Kolben, Spadix) vollführen – ein Zufallsbefund aus 1972. Es war wohl von der Evolution so „gewollt“, dass hier ein Teil der Energie – entgegen den allgemeinen „Sparauflagen“ – verpufft, um einem besonderen Bedürfnis entgegenzukommen: Denn für manche Bestäuber mag dies eine freundliche Einladung sein, nach dem Motto „Manche mögen’s heiß“. (Die tropische Aracee namens Titanwurz (Amorphophallus titanum) erreicht dies weniger elegant, aber wirkungsvoller durch weithin wahrnehmbaren Kadavergestank.) Darüber hinaus können Zellen Energie über „Verbrennung“ eigener Substanz durch verstärkte Autophagie mobilisieren (7 Abschn. 13.1.2), sei es, bis das Neuge-
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borene eine mütterliche Zitze erwischt, sei es in langen Hungerzeiten. So tut die Zelle alles, um den Organismus energetisch über eine kritische Zeit hinwegzuretten. Wie immer man es sehen mag: Was wir glauben, ist eines, was wir als Zellbiologen sehen, ist ein anderes, und dennoch ist beides wunderbar. Es genügt, nur die Blickrichtung zu ändern: vom Ist-Zustand in Richtung Evolution oder umgekehrt. Hier sei noch auf 7 Abschn. 13.5 verwiesen, in dem die Rolle der Mitochondrien beim programmierten Zelltod (Apoptose) zur Sprache kommt.
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Kapitel 11 · Energieversorgung der Zelle: Frühe Erfindung von Turbine und ATP als Einheitswährung
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Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik Inhaltsverzeichnis 12.1 Der Zellzyklus aus historischer Sicht: frühe Einsichten in ein komplexes Geschehen – 295 12.2 Ablauf der Mitose: alte und neue Erkenntnisse im Einklang – 297 12.3 Reduktionsteilung: auch hierzu gibt es rezente Erkenntnisse – 299 12.4 Neue Ansätze aus der Molekularbiologie – ein kurzer Überblick – 300 12.5 Ein erster Blick auf Stammzellen – 301 12.6 Stammzellen und Vorläuferzellen: Ersatzteillager und Material für gentechnische Medizin – 305 12.7 Einige Bemerkungen zum Phänomen Krebs – 310 12.8 Es muss nicht immer Krebs sein: evolutive Umprogrammierung am Beispiel von Giftdrüsen – 314 12.9 Epigenetik – ein neues Feld der Zellbiologie – 316 Zitierte Literatur – 327
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 H. Plattner, Abenteuer Zellbiologie–Streifzüge durch die Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66740-8_12
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
Zellkerne teilen sich im Rahmen von Mitosen, um über vielfache Zellteilungen und nachfolgende Differenzierung einen vielzelligen Körper aus unterschiedlichen Geweben aufzubauen. Die Regulationsmechanismen einzelner Mitosestadien wurden ab den 1970er-/1980er-Jahren erkannt. Im Allgemeinen wird das potenzielle Differenzierungsspektrum nach der Befruchtung, ab der Zygote bis zum Blastulastadium, immer enger. Die Stammzellen werden zu Vorläuferzellen („progenitor cells“), die bereits eine teilweise Differenzierung aufweisen, aber zu weiteren Differenzierungen induziert werden können (iPS oder IPSC, „induced pluripotent stem cells“). Seit 2011 ist auch die Entdifferenzierung somatischer (differenzierter) Zellen möglich geworden. Auch derlei Zellen können experimentell unter definierten Wachstumsbedingungen in mehrerlei Zelltypen umgeformt werden. Auf Stamm- und Vorläuferzellen greifen neue, teilweise ethisch umstrittene Methoden der Reproduktionsbiologie und der Medizin zurück, die ein breit gefächertes Potenzial an reproduktiven und regenerativen Methoden entwickelt hat (In-vitro-Fertilisation, Stammzelltherapie etc.), bis zu den heiß diskutierten Eingriffen in die Keimbahn am Menschen. Die identische Reproduktion von Zellen wird durch Signale aus der inneren und äußeren Umgebung modifiziert, u. a. auch über epigenetische Prozesse, deren Analyse in den vergangenen zwei Jahrzehnten aufgeblüht ist. Hierbei können nicht(protein)kodierende Transkripte des früher als „Abfall“-DNA („junk DNA“) bezeichneten Genomanteils vermittels unterschiedlicher, nichtkodierender RNA-Formen mit konventionellen genetischen Prozessen interferieren. Derzeit ist die Frage nach einer transgenerationalen Weitergabe epigenetischer Effekte Gegenstand intensiver Diskussionen. Davon abgehoben ist die
1982 entdeckte epigenetisch induzierte Missfaltung von Prionproteinen nach einer entsprechenden Mustervorlage. Ein anderer Aspekt ist die Entdifferenzierung von normal differenzierten Zellen zu Krebszellen, für die es zahlreiche unterschiedliche Ursachen gibt. Dabei rückten zunehmend auch onkogene Viren und immunologische Aspekte in den Fokus. Aus medizinischer Sicht steigt bei Krebserkrankungen derzeit das Interesse an Netzwerkregulationsmechanismen und damit am therapeutischen Einsatz molekularbiologisch fundierter Methoden, von Antikörpern und spezifischen Pharmaka.
In 7 Abschn. 6.1 wurden die Verdienste von August Weismann gewürdigt. Er hatte 1885 materielle Einheiten für die Vererbung über Generationen und damit auch die Konzepte von Keimbahn und Stammzellen vorweggenommen. Implizit zielt dieser Abschnitt auch auf das Phänomen des Alterns vielzelliger Organismen. Dazu gibt es mehrere Modellsysteme. Patienten mit Progerie (7 Abschn. 14.3.7) sind ein nicht sehr praktikables Modell für die Erforschung des Alterungsprozesses. Untersuchungen an Telomeren und der mtDNAMenge pro Mitochondrium in Zellkulturen sind praktikabler. Man könnte die Devise ausgeben: „Zeig mir deine Telomere und Mitochondrien, und ich sage dir, wie alt du bist.“ Auf diese Spur kamen 1985 die Molekularbiologinnen und Nobelpreis-Trägerinnen von 2009, C. W. Greider und E. H. Blackburn [1] (7 Abschn. 6.8.2). Die „Telomererosion“ ist eine Determinante für den Alterungsprozess. Eine andere ist die Zahl der mtDNA-Moleküle pro Organell. Nach Untersuchungen in den 2000er-Jahren nimmt die mtDNA beim Altern ab. Die koreanische Gruppe um J. H. Baek berichtete 2019, dass bei der Maus beide Parameter am stärksten in Leukocyten und im
12.1 · Der Zellzyklus aus historischer Sicht: frühe Einsichten …
Skelettmuskel auffallen [2] – kein Wunder also, dass man „immunträge“ und altersmüde wird. Doch gibt es auch interessante Methusalems unter Bäumen und Säugetieren, wie den Ginkgobaum, Ginkgo biloba, und den Nacktmull, Heterocephalus glaber. (Methusalem soll nach einem Bericht im Alten Testament 969 Jahre alt geworden sein [Genesis 5, 21–27] – Thomas Mann hat im über 70-seitigen Vorwort seines vierbändigen Werkes „Joseph und seine Brüder“ glaubhaft argumentiert, dass in den alttestamentarischen Genealogien oft viele Generationen subsumiert wurden.) Der Ginkgo wird 1000 Jahre alt, nach einzelnen Berichten sogar bis zu 3000 Jahre; dies erreicht er dank seines unerschöpflichen Kambiums, wie unlängst bekannt wurde. Vom mausgroßen Nacktmull berichtet das „Portal MDR Wissen“ unter dem Titel „Nicht schön, aber immun gegen das Altern“ von einem Alter über 15, maximal über 40 Jahren. Dagegen hat eine Maus eine Lebenserwartung von nur zwei bis drei Jahren. Das molekulare Geheimnis des extravaganten Nacktmulls bleibt noch zu erforschen.
12.1 Der Zellzyklus aus
historischer Sicht: frühe Einsichten in ein komplexes Geschehen
Bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts begannen Biologen, sich mit der Kern- und Zellteilung und ab Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem Zellzyklus zu befassen. Unsere Körperzellen verbringen ihr Leben in verschiedenen Stadien des Zellzyklus, einschließlich der Zellteilung (mitotische Teilung), bei der insbesondere der Zellkern beachtliche Veränderungen durchmacht. So ließ sich die mitotische Kernteilung (Karyokinese) nach auffälligen strukturellen Veränderungen klar beschreiben, welche durchlaufen werden, bevor sich die
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12
Folgezellen voneinander trennen, die Zelle sich also teilt (Cytokinese) und der Zyklus von Neuem einsetzt (Mitose: „μίτος, mitos“ = Faden; „κάρυον, karyon“ = Kern; „κίνησις, kinesis“ = Bewegung). Diese mikroskopischen Einsichten ließen sich seit den 1950er-Jahren, als die Synthesephase (S-Phase: DNA-Synthese) durch radioaktive Markierung der DNA entdeckt worden war ([3] 7 Abschn. 4.6), in weitere distinkte Phasen funktionell differenzieren. Im Auge ist dabei zu behalten, dass die DNA nach den Experimenten von Meselson und Stahl 1958 semikonservativ, aber identisch repliziert wird (7 Abschn. 6.2.1). Die S-Phase dauert einige (bis zu acht) Stunden. Daran schließen sich zwei Phasen an, die ebenfalls maximal einige Stunden beanspruchen: die G2-Phase und die Mitose, bei welcher der DNA-Gehalt wegen der Chromatidentrennung während der sehr kurzen Anaphase (dritter Schritt in der Mitose) wieder auf „normal“ reduziert wird. Die der S-Phase vorangehende Phase wurde als G1 bezeichnet (G steht für „gap“ = freier Raum), wohingegen die Phase zwischen S-Phase und Mitose als G2-Phase bezeichnet wird. An die Mitose schließt sich wiederum die G1-Phase usw. Die Mitose selbst wird manchmal als M-Phase apostrophiert. Die meiste Zeit verbringen die Zellen in der „Ruhephase“ (entsprechend der G1-Phase); sie gehen in diesem Stadium ihrer normalen Tätigkeit nach und „ruhen“ nur in Bezug auf ihre Aktivität, welche die Teilung und deren Vorbereitung betrifft. Die G1-Phase kann zwischen Tagen (bei sich schnell teilenden Geweben) und Jahren dauern (z. B. bei Neuronen). Es kann ein Zeitpunkt durchschritten werden, in dem manche Zellen erneut eine Teilungsaktivität einleiten. Diesen Zeitpunkt nennt man den „restriction point“ (R point). Diesem folgt ein nun G0-Phase genannter Abschnitt. Hier können die Zellen kurzfristig unter optimalen Ernährungsbedingungen von einem Ruhe- in ein teilungsaktives Stadium über-
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12
Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
gehen. Arthur B. Pardee, der Entdecker dieser Feinregulation, hat in seinem entscheidenden Artikel in den Proceedings of the National Academy of Science USA 1974 von einem „restriction point“ und einem Übergang „quiescent → proliferation state“ (Ruhe → Vermehrung) für den Übergang G1 → G0 gesprochen [4]. Die Stadien der (mitotischen) Kernteilung umfassen Pro-, Meta-, Ana- und Telophase („τέλος, telos“ = Ziel) und wurden bereits in den 1870er-Jahren mit dem Lichtmikroskop erkannt. 1875 beschrieb der deutsche Botaniker E. Strasburger (Begründer eines generationenüberdauernden Standardlehrbuchs der Botanik) in sich teilenden Zellen verschiedene Teilungsstadien, darunter solche mit Teilungsspindel [5]. Bekannt ist auch ihre distinkte historische Darstellung in der 1858 gegründeten „Gray’s Anatomy“ (Auflage 1918). Wie seit über einem Jahrhundert bekannt ist, kondensieren die Chromosomen erst in der Prophase, sodass sie lichtoptisch sichtbar werden. In der Prometaphase vesikuliert, wie im Elektronenmikroskop sichtbar wurde, die Kernmembran durch Phosphorylierung der Lamine (7 Abschn. 6.4), eingeleitet durch einen „mitosis (maturation) promoting factor“ (MPF, Mitose-Förderfaktor). Gleichzeitig baut sich die Teilungsspindel (Cytospindel) in einem „Self-assembly“-Prozess auf, abgehend von den Centrosomen in tierischen Zellen bzw. von den Polplatten in pflanzlichen Zellen (denen die Centriolen fehlen). Auch dieser Prozess ist im Prinzip seit einem halben Jahrhundert bekannt. Aber wie ist es um die molekularen Details bestellt? Ab 1966 haben einige Gruppen nach einem MPF im plasmodialen, vielkernigen Schleimpilz Physarum polycephalum gesucht, in der Erwartung, von dessen synchronen Kernteilungen profitieren zu können. Der Heidelberger Pionier H. P. Rusch kam zu folgender Ansicht:
» The
results suggest that substances responsible for mitosis are formed in the cytoplasm and increase in amount during the mitotic cycle, reaching a maximum just prior to mitosis. [6]
» [Die Ergebnisse legen nahe, dass die für
die Mitose verantwortlichen Substanzen im Cytoplasma gebildet werden, dass ihre Menge während des Mitosezyklus zunimmt und dass sie genau vor der Mitose ein Maximum erreichen.]
Daran anschließende Arbeiten mit demselben System durch Peter Gröbner, Biochemiker an der Universität Innsbruck, haben weitere Details zur Mitoseregulation erkennen lassen. Im Vorlauf zum eigentlichen Problem MPF erzielten zwei US-amerikanische Gruppen 1971 die Auslösung der Mitose, indem sie Cytoplasma aktivierter Oocyten in Froscheier mikroinjizierten. In der Dekade 1971–1980 folgten zudem Arbeiten mit genetischem Schwerpunkt mit der Hefe Schizosaccharomyces pombe, wie P. Nurse 1990 in der Zeitschrift Nature zusammenfasste [7]. Der entscheidende Durchbruch wurde jedoch erst erzielt, als der US-Amerikaner Tim Hunt das Problem der Mitoseregulation mit Seeigeleiern als Modell anging. Sein Team fand 1983, dass nach der Befruchtung einzelne Proteine zyklisch synthetisiert und andere abgebaut werden; sie nannten diese Proteine „Cycline“ (Evans et al. 1983 in der Zeitschrift Cell) [8]. Diese Entdeckung erlaubte in weiterer Folge auch die Entdeckung der cyclinabhängigen Kinasen („cyclin-dependent kinases“, CDKs) und der „cell division cycle“-Proteine (cdc). Außerdem erkannte man die Bedeutung spezifischer Phosphatasen für die teilweise Dephosphorylierung der CDKs bei deren voller Aktivierung der anfangs doppelt phosphorylierten CDK-Moleküle in den CDK/cdc-Komplexen. Dabei dienen die Cycline als regulatorische Komponenten der CDKs.
12.2 · Ablauf der Mitose: alte und neue Erkenntnisse im Einklang
Im Zusammenhang mit der Aktivität des Mitose-Förderfaktors assoziieren CDK1 (oder cdc2 benannt) mit Cyclin A oder B; dieser Komplex phosphoryliert nicht nur Lamine, sondern auch Histon H1, das die Nukleosomen verbindet (7 Abschn. 6.3.1). In weiterer Folge wurden für die einzelnen Schritte der Kernteilung jeweils spezifische cdk-Proteine gefunden, die mit einem ebenfalls spezifischen cdc interagieren und so die einzelnen Schritte des Teilungszyklus weitertreiben, z. B. der „anaphase-promoting factor“ etc. Für den Übergang in und den Austritt aus der jeweils folgenden Phase dienen wiederum reversible Phosphorylierungs- und Dephosphorylierungsschritte der beteiligten Proteine. Für diese Vorstellungen wurden 2001 der US-Amerikaner Leland Hartwell und die beiden Briten Paul M. Nurse und Richard T. Hunt mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geehrt. Hartwell hatte in den frühen 1970er-Jahren mit temperatursensitiven Hefemutanten die DCD-(„cell division cycle“-)Gene gefunden [9], Nurse fand um 1980 herum das cdc2-Gen und Hunt 1982 die Cycline. Hunt hatte humane Gene in Hefezellen zur Expression gebracht, um die Translationsprodukte daraus zu reinigen. Ein Artikel von Swaffer und Mitarbeitern (2016 in der Zeitschrift Cell) gibt eine Vorstellung über rezente Aspekte [10]. Seit Ende der 1990erJahre befasst sich Th. U. Mayer, seit 2007 in Konstanz, mit der Feinregulation einzelner Mitoseschritte in den Modellsystemen Xenopus-Oocyten (Krallenfrosch) und humane Krebszellen. Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass sich immer jeweils phasenspezifische CDKs und Cycline assoziieren und dass für die reversible Bindung bzw. Aktivierung weiterer Proteine des Zellzyklus Phosphorylierungs- und Dephosphorylierungsprozesse an den CDKs ausschlaggebend sind.
297
12
12.2 Ablauf der Mitose: alte
und neue Erkenntnisse im Einklang
Chromosomen und verschiedene Stadien der Zellteilung waren bereits von August Weismann 1892 beschrieben worden [11]. Wenn die Entscheidung zur Mitose ansteht, also zur Kernteilung und zur nachfolgenden Zellteilung, werden die Chromosomen verdichtet und damit sichtbar; gleichzeitig verdämmert der Nukleolus, und die Centriolen teilen sich und beginnen an entgegengesetzte Pole zu wandern. Diese Ereignisse markieren die Prophase. Kondensierte Chromosomen liegen irgendwo innerhalb der Teilungsspindel. Erst während der Metaphase werden die Chromosomen alle paarweise in einer Äquatorialplatte oder Metaphaseplatte angeordnet, die bereits W. Flemming gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Äquatorialplatte bezeichnete (. Abb. 12.1). Da sich die DNA in der S-Phase verdoppelt hat, zeigen sich die Chromosomen nach ihrer Kondensierung in der Metaphase mit zwei Chromatiden. (In jedem davon läuft ein DNA-Faden vom einen zum anderen Ende durch.) Diese werden durch das Protein Cohesin miteinander verbunden. Die Entdeckung von Cohesin war ein langer Prozess, 1971 beginnend mit dem Screenen von Drosophila-Mutanten in der Meiose [12] bis zur Konsolidierung des Konzepts zwischen 1998 und 2000 [13]. Bevor in der Metaphase die Chromosomen in einer Metaphaseplatte angeordnet werden, erreicht jeweils ein von beiden Spindelpolen ausgehender Mikrotubulus zufällig das Centromer eines jeden Chromosoms („κέντρον, kéntron“ = Mittelpunkt; „μέρος, méros“ = Teil), an das er bindet (Kinetochormikrotubuli). An dieser Stelle wurde später ein angelagerter Proteinkomplex gefunden, das Kinetochor
298
Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
12
. Abb. 12.1 Die Entdeckung der mitotischen Zellteilung durch Walther Flemming. Die Bilder zeigen im Detail eine Metaphaseplatte (links oben), gefolgt von Anaphase und Telophase in weiteren Detailbildern. Diese Arbeit mit ihren klaren Illustrationen war ausschlaggebend für das Verständnis der Kern- und Zellteilung. (Quelle: [57])
(„κίνησις, kínesis“ = Bewegung; „χῶρος, chōros“ = Ort). W. Waldeyer hatte zwei wichtige Begriffe eingeführt: nicht nur 1888 jenen des Chromosoms, sondern 1903 auch den Begriff des Centromers. Erst in den 1960er-Jahren wurden Erkenntnisse zum Kinetochor von Elektronenmikroskopikern
beigesteuert; sie stellten einen zweifach geschichteten Bau fest. Die Biochemiker und Molekularbiologen erhielten sicheren Zugriff ab 1980, nachdem mittels fluoreszenzmarkierter Antikörper von Patienten mit der Autoimmunkrankheit Scleroderma pigmentosa eine Identifizierung in situ möglich
12.3 · Reduktionsteilung: auch hierzu gibt es rezente Erkenntnisse
geworden war [14]. (Vergleichbare Resultate wurden 1990 auch an Blütenpflanzen erzielt.) Daran schloss sich die Identifikation von mehr als 20 Proteinen im Kinetochor an. Die Teilungsebene (Äquatorialebene) der sich teilenden Zellen wird durch den Hippo-Signalweg festgelegt. Dieser wurde in den 2000er-Jahren bei Drosophila melanogaster entdeckt, findet sich jedoch von Protozoen (Ciliaten) bis zu den Säugetieren, wo er die Organgröße reguliert. Bevor sich die am Kinetochor ansetzenden Mikrotubuli in der Anaphase zu verkürzen beginnen, wird an den Chromosomen die Cohesinbindung aufgelöst, und die Chromatiden eines jeden Chromosoms werden getrennt. Die resultierenden „Ein-Chromatid-Chromosomen“ werden an die jeweiligen Pole der Spindel gebracht, die durch die stetige Längenzunahme der Polmikrotubuli immer weiter auseinanderrücken. In der anschließenden Telophase werden die Chromatiden/Chromosomen wieder von einer regenerierenden Kernmembran umhüllt. Daran schließt sich die Cytokinese an.
12.3 Reduktionsteilung: auch
hierzu gibt es rezente Erkenntnisse
Bei der Reduktionsteilung (Meiose; „μείωσις“, meiosis = Verminderung) wird der Chromosomensatz im Laufe der Bildung von Geschlechtszellen von diploid auf haploid reduziert (2n → n). Damit kann bei der Befruchtung, wenn zwei haploide Geschlechtszellen (Eizelle und Samenzelle) miteinander zur Zygote fusionieren, der diploide Chromosomensatz der sich bildenden Körperzellen wiederhergestellt werden. Die Erstbeschreibung der Meiose erfolgte 1876 durch den deutschen Biologen Oscar Hertwig in Zusammenhang mit Arbeiten an Seeigeleiern. Dem folgte eine verfeinerte Beschreibung 1883 durch den belgi-
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12
schen Zoologen E. van Beneden aufgrund von Untersuchungen am Pferdespulwurm, Ascaris megalocephala [15]. Der Terminus Meiose wurde erst 1905 nachgeschoben. Die Meiose verläuft in zwei großen Schritten. In Meiose I werden nicht die Chromatiden, sondern die Chromosomen als Ganzes getrennt. Dabei gibt es eine Prophase I mit Teilstadien, die mit exotischen Namen belegt wurden: Leptotän, Zygotän, Pachytän, Diplotän (lat. „taenia“ = Band; die griechischen Wurzeln „lepto, zygo, pachy, diplo“ bedeuten „dünn, Joch, dick, Doppel“ und sollen damit das Erscheinungsbild der Chromosomen wiedergeben). Erst im Pachytän werden durch Kondensation der Chromosomen Details ihrer Struktur sichtbar. Von besonderer Wichtigkeit war die Beschreibung von Chiasmen (Kontaktstellen) und des Crossing-over (Austausch von Chromatidenabschnitten) in der meiotischen Prophase 1911 durch den US-Amerikaner Thomas Hunt Morgan an den polytänen Chromosomen von Drosophila melanogaster [16]. Dabei werden ganze Abschnitte homologer Chromosomen väterlicher und mütterlicher Herkunft ausgetauscht (Rekombination). Morgan konnte auf Beschreibungen des Belgiers F. A. Janssens (1909) zurückgreifen. Janssens war katholischer Priester mit einer nachträglichen Ausbildung in Biologie, die ihm färbetechnisch-mikroskopische Meisterschaft vermittelte. Im Pachytän, vor dem Crossing-over, kommt es bei manchen Spezies zur Ausbildung eines synaptonemalen Komplexes, bei anderen dagegen nur zur Bildung weniger differenzierter Chiasmata. Der synaptonemale oder synaptische Komplex verbindet und stabilisiert homologe Chromosomenabschnitte, sodass diese beim Crossing-over präzise ausgetauscht werden können. Dabei spielen zahlreiche Proteine in komplexer Weise zusammen [17]. Gemeinsam mit Chromosomenachsenproteinen interagieren auch Cohesine bei der Bildung des synaptonemalen Komplexes. Eines der beteiligten Enzyme
300
Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
bekommt dabei nach mehrerer Gruppen (ab 2013) mehrfach [71] SUMO-Ketten als posttranslationale Modifikation angehängt (7 Abschn. 9.2), was für die reversible Bildung des synaptonemalen Komplexes wichtig ist. Dabei greifen nach Befunden der letzten Jahre verschiedene Cohesinkomplexe wahrscheinlich selektiv in verschiedene Funktionen ein – wichtig für den Austausch von Chromosomenabschnitten beim Crossing-over. Erst in Meiose II werden die Chromatiden getrennt.
12.4 Neue Ansätze aus der
Molekularbiologie – ein kurzer Überblick
12
Seitdem 2001 das Humangenomprojekt mit hohem finanziellem Aufwand erfolgreich zu Ende gebracht wurde (7 Abschn. 2.4), suchte man nach Abweichungen bzw. Veränderungen vom Durchschnittsgenom, die mit Krebs korrelieren (DNA-Profiling). Derlei kann heutzutage von Einzelpersonen kommerziell in Auftrag gegeben werden, ebenso wie „expression profiling“ von mRNAs. In der folgenden Dekade waren auch Sequenzierungsarbeiten erstaunlich billiger geworden. Der direkten Suche nach einzelnen Abweichungen im DNA-Profil folgte das Aufspüren von Netzwerkverbindungen im Genom, denen derzeit besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Es sind also Konstellationen von mehreren Komponenten im Spiel; dabei sind auch Komponenten der Immunabwehr ins Visier der Tumorbiologie geraten. All dieses führte zu einer „Checkpoint-Therapie“. Dass sie hierfür die Grundlagen geschaffen haben, hat dem US-Amerikaner James P. Allison und dem Japaner Tasuku Honjo 2018 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin eingebracht, „for their discovery of cancer therapy by inhibition of negative immune regulation“, wie das Nobelkomitee am Karolinska Institutet verkündete
[18]. Beide konzentrierten sich in den vergangenen zehn Jahren auf Proteine, die im Immunsystem eine Art Bremswirkung an einem kritischen Punkt („checkpoint“) des Netzwerks ausüben. Die Aufhebung dieser Bremswirkung ermöglicht es der Immunabwehr einzuschreiten. Allison befasste sich zunächst mit dem Protein CTLA-4 auf T-Lymphocyten und Honjo mit dem Protein PD-1, auch ein Oberflächenprotein der T-Lymphocyten. (PD-1 steht für „programmed death-1“.) Beide Forscher erreichten eine Aufhebung der Immunbremse, Allison durch Antikörper gegen das von ihm untersuchte CTLA-4 Protein und Honjo durch einen chemischen PD-1 „checkpoint inhibitor“. „Therapeutische Antikörper“ sind zumeist monoklonal (gegen einen definierten Abschnitt eines Proteins [Epitop] gerichtet) und zielen auf Wachstumsfaktoren verschiedener Art (z. B. auf den epithelialen Wachstumsfaktor), auf Tyrosinkinasen oder auf Immun- und Apoptoseregulatoren (PD-1) und andere mehr. Mit ihnen kann man einen Heileffekt bei verschiedenen Tumoren wie Melanomen, Nieren- und Blasenkrebs erzielen. Jetzt werden beide Ansätze in Kombination analysiert. Inzwischen gibt es eine Palette von entsprechenden Antikörpern im Handel. Auch hat die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) 2014 bereits einen „PD-1 checkpoint inhibitor“, Pembolizumab, für die Behandlung von Melanomen zugelassen. Derlei Behandlungen sind wegen der hohen Entwicklungskosten bei relativ geringen Fallzahlen allerdings sehr teuer. Der in 7 Abschn. 4.5.2 erwähnten, 2022 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichneten „Click-Chemie“ wird auch ein Potenzial für die Krebsbekämpfung zugesprochen. Die von der Biochemikerin Bertozzi entwickelte „bioorthogonale“ Variante für die Anwendung in vivo soll in Zukunft den spezifischen Zugriff auf Krebszellen erlauben, um sie mit therapeutisch interessanten Molekülen, auch mit klickbaren Antikör-
12.5 · Ein erster Blick auf Stammzellen
pern, zu bestücken und sie so therapeutisch zugänglich zu machen. Auch die Epigenetik spielt eine zunehmende Rolle bei Krebs und dessen Bekämpfung. Beispielsweise ist in den letzten paar Jahren die Interferenz von micro-RNAs (miRNAs) bei spezifischen Krebsarten bekanntgeworden. All das weist über die geschichtliche Entwicklung bereits hinaus. Zum Thema Epigenetik vgl. 7 Abschn. 12.9. 12.5 Ein erster Blick auf
Stammzellen
Wodurch zeichnen sich Stammzellen aus? Sie sind undifferenziert, jedoch teilungsund differenzierungsfähig. Sie bedürfen für die Aufrechterhaltung ihres Status bestimmter Nischen und chemischer Signale, die sich ändern müssen, um die Zellen zur Differenzierung zu bringen. Omnipotente Stammzellen unseres Körpers sind differenzierungsfähig und können z. B. Fibroblasten, Chondroblasten, Osteoblasten (für Knorpel- bzw. Knochenbildung), Endothelzellen, Fettzellen und pluripotente hämatopoetische (blutbildende) Stammzellen, hervorbringen (NB: „αἷμα, haima“ = Blut; „βλαστός, blastos“ = Spross, Keim; ποιέω, poiéō = machen). Aus hämato poetischen Stammzellen gehen hervor: Erythroblasten (→ Erythrocyten), verschiedene Granulocyten (eosinophile, basophile, neutrophile, je nach Färbbarkeit), Lymphocyten, Plasmazellen, Megakaryocyten (welche zu Thrombocyten fragmentieren, die die Blutgerinnung einleiten) etc. Am Anfang dieser Unterscheidungsmöglichkeit standen neue lichtmikroskopische Färbemethoden, insbesondere jene von Waldeyer ab 1863 (7 Abschn. 4.4.1), gefolgt von vielen Neuentwicklungen. Es gibt also verschiedene Grade der Differenzierung. Erythrocyten wurden erstmals durch den holländischen Na-
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turforscher Jan Swammerdam 1658 im Mikroskop im Froschblut gesehen. Die differenzierte Beschreibung der Leukocyten erstreckte sich über einen langen Zeitraum, bis sie mit immunologischen Methoden entsprechend ihrem Funktionsprofil unterteilt werden konnten. Erst der Deutsche Artur Pappenheim († 1916) entwickelte eine Differenzialfärbung zur Unterscheidung unterschiedlicher Leukocyten in zwei Stufen (Pappenheim-Färbung): erst mit einer basischen Methylenblau- und dann mit einer sauren Eosin-Lösung; damit werden basophile bzw. eosinophile Sekretorganellen angefärbt oder diese bleiben farblos (Neutrophile). Natürlich wurde auch diese Prozedur verfeinert und automatisiert und sie gehört seit Langem routinemäßig zur Erstellung eines klinisch relevanten Blutbildes. Die Teilung einer Vorläuferzelle zu einer Abfolge von Tochterzellen wird manchmal unmittelbar evident, beispielsweise beim Phänomen der nokturnen paroxysmalen Hämaturie (oder Hämoglobinurie; „anfallartiges nächtlichen Blutharnen“) – ein bereits 1882 von P. Strübling erstmals beschriebenes Phänomen: Man findet nach der langen Nachtruhe Blut im Harn, weil sich im Gen einer Oberflächenkomponente eines Erythroblasten spontan eine Mutation gebildet hat. Dieses betrifft ein an einen Glykosylphosphatidylinositol-(GPI-)Rest (7 Abschn. 5.4.4) gebundenes Protein, das den Angriff des Immunsystems nicht mehr verhindern kann, sodass es zur Cytolyse aller Folgezellen des Klons kommt. Von der Erstbeschreibung bis zur Kausalanalyse dauerte es etwa ein volles Jahrhundert… Bevor wir weitere Details betrachten, sind einige prinzipielle Erörterungen angebracht. Im Vorlauf beeindrucken folgende historische Meilensteine: 5 Aus einzelnen Zellen konnten komplexe Pflanzen kloniert werden. So gelang es 1958 dem US-Amerikaner F. C. Steward, aus einer isolierten Zelle der Ka-
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
rotte eine ganze Pflanze zu ziehen. Davon wurde nicht groß berichtet, bis es Experimente mit tierischen Zellen gab. 5 Die Zellkerne differenzierter Organismen sind so aktivierbar, dass sie ein komplettes genetisches Programm bis zur Bildung eines komplexen Organismus abspulen können. 1962 entkernte der Brite J. B. Gurdon Eizellen des Krallenfrosches und übertrug in sie die Kerne differenzierter Darmzellen. Das Ergebnis waren quietschlebendige Fröschlein. 5 Schließlich konnte durch Transfer eines Zellkerns in eine entkernte Zelle aus somatischem Gewebe ein ganzes Tier erzeugt werden. Dieses vollbrachten die schottischen Reproduktionsbiologen Keith Campbell und Ian Wilmut durch dem Transfer eines Zellkerns aus der Milchdrüse in eine entkernte EIzelle und so wurde 1996 das Klonschaf „Dolly“ geboren. Bald wurden derlei Reproduktionsverfahren als „Schöpfung aus zweiter Hand“ apostrophiert, so 2001 im Band „The Second Creation“ [19].
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Die Schöpfer von Dolly wurden nicht mit dem höchsten Wissenschaftspreis geehrt – man sah dieses Vorgehen eher skeptisch, vielleicht, weil man gleich an das Klonen von Menschen mit all den negativen Implikationen dachte. So kam es dann ja auch (7 Abschn. 18.3 und 18.4.2). Mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin wurden dagegen 2012 der Brite John Gurdon und der Japaner Shinya Yamanaka geehrt. Gurdon fasste sein Programm 2003 anlässlich eines Kolloquiums unter dem Titel „Nuclear reprogramming and stem cell creation“ in den Proceedings of the National Academy of Science USA zusammen [20]. Yamanaka war die Herstellung pluripotenter Stammzellen aus (differenzierten) Fibroblasten der Maus gelungen, indem er mit retroviralen Vektoren vier bestimmte Gene für Transkriptionsfaktoren einschleuste [21].
12.5.1 Rückblick: Die normale
Entwicklung einer befruchteten Eizelle und lang währende Mythen
Nach der Befruchtung teilt sich die Eizelle (Zygote). Bei Säugetieren sind alle Zellen bis zum Acht-Zell-Stadium (Morulastadium; Morula = Maulbeere) für die Ausbildung jeder Art von Körperzellen und eines kompletten Körpers befähigt, d. h., sie sind voll differenzierungsfähig (omnipotente Stammzellen). Man kann also eine Zelle entnehmen und daraus einen vollen Organismus schaffen; umgekehrt können sich auch die verbleibenden sieben Zellen zusammen zu einem intakten Organismus differenzieren. Das wird bei der pränatalen Diagnostik bzw. einer Präimplantationsdiagnostik ausgenützt, indem eine vereinzelte Zelle einem DNA-Profiling (oder „Fingerprinting“) unterzogen wird; wenn keine Übertragung eines genetischen Schadens zu erwarten ist, lässt man den restlichen Zellhaufen sich weiterteilen, gegebenenfalls zur Implantation in einen adulten Organismus. Ebenso kann man solche Zellen zur Herstellung multipotenter Zellen abzweigen, sozusagen als Vorrat für späteren Bedarf. Auch aus den nach innen in die Blastocyste abgedrängten Zellen („βλάστη, blástē“ = Keim; „κύστις, kýstis“ = Blase“), aus denen sich der Embryo entwickelt (während die äußere Zellschicht sich an der Bildung der Plazenta beteiligt), können multipotente Stammzellen entnommen werden (embryonale Stammzellen) (. Abb. 12.2). Zunächst sei ein kurzer Überblick gegeben, wie man sich in der vormolekularen Ära der Embryonalentwicklung annäherte. Die frühen Entwicklungsstadien waren schon seit Langem bekannt. 1827 hatte der baltisch-deutsche Naturforscher im weitesten Sinn, Karl Ernst Ritter von Baer Edler von Huthorn († 1876), kurz Karl Ernst von Baer genannt, die menschliche Eizelle
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12.5 · Ein erster Blick auf Stammzellen
befruchtete Eizelle (Zygote) omnipotent
Zwei- und Vier-Zell-Stadium omnipotente Stammzellen
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Morula-Stadium pluripotente Stammzellen
Trophoblast Blastocoel mit Flüssigkeit Zona pellucida (Hüllschicht) Embryoblast mit pluripotenten Stammzellen
Blastocyste
. Abb. 12.2 Stammzellen aus einer befruchteten Eizelle von Säugetieren. Aus der Zygote entstehen zunächst omnipotente Zellen im Zwei- und Vier-Zell-Stadium. Über das Morulastadium hinaus wird die Differenzierungsfähigkeit auf immer weniger Zellen eingeschränkt; jedoch gibt es pluripotente Stammzellen noch im Zellhaufen (Embryoblast) der Blastocyste. (Beachtlich ist die experimentell geschaffene, hier nicht dargestellte Möglichkeit, differenzierte Zellen verschiedener Art wieder zur mehr oder weniger vollen Entdifferenzierung zu bringen.) (Quelle: [58])
entdeckt, obwohl sie wegen ihres geringen Dottergehalts nur ≈ 0,15 mm groß ist (oligolecithales Ei). Spermien waren leichter zu identifizieren. Einmal, nachdem der frühe Mikroskopiker Antonie van Leeuwenhoek (7 Abschn. 2.1) sich mit seiner Ehefrau in Liebe vereint hatte (er ihr also beigewohnt hatte, würde man wohl gesagt haben), eilte er zu seinem kleinen Mikroskop, um zu sehen, was es da so zu beobachten gab. Und so hatte er bereits 1677 Spermien in einer Abhandlung „De natris e semine genital animalcules“ als bewegliche „animalculae“ beschrieben: „moving like a snake or like an eel swimming in water“ [die wie eine Schlange oder ein Aal im Wasser schwimmen]. (Wie 2020 gefunden wurde, drehen sich die Spermatozoen bei dieser Schlängelbewegung, deren Amplitude viel geringer ist als die des Aals; die Rotation erleichtert es, Spur zu halten.) Spätestens da muss van Leeuwenhoek de facto den Zellkern gesehen – wenn auch nicht als Strukturelement wahrgenommen – haben, da dieser (abgesehen vom flachen und dünnen Akrosom)
praktisch den gesamten Spermienkopf einnimmt. Bald darauf, 1695, zeichnete der niederländische Naturforscher N. Hartsoeker einen Homunculus auf den Spermien kopf, als wäre hier ein Mensch präformiert. Hier standen sich die Präformationshypothese und die Epigenesishypothese gegenüber, Erstere mit vorgebildeten, Letztere mit neu zu entwickelnden Strukturen. Hier traf die Sicht des Hylemorphismus (7 Abschn. 6.1) auf ein Korrelat aristotelischer Philosophie, nach der Gegenstände nach zwei Prinzipien organisiert seien: Materie und Form. Die Frau bringt die ungeformte Materie ein, der Mann das anspruchsvolle Formprinzip, obwohl Aristoteles kein Präformist, sondern ein Anhänger der Epigenesis war. Der Streit zog sich über Jahrhunderte hin, indem in Adelshäusern nur die männlichen Nachkommen ihren Status weitervererben konnten. (Im Tiroler Schloss Tratzberg, häufig von Kaiser Maximilian I. [† 1519] besucht, zeigt ein Stammbaum grüne Äste für die männliche,
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
braune/dürre dagegen für die weibliche Linie.) Dieses lag ähnlich daneben wie die derzeitige Leugnung des biologischen Geschlechts durch einen irrlichternden Genderismus. Fakt ist, dass erst die Vereinigung von XX bzw. XY einen Menschen ergibt und erst die Vereinigung beider Genome die Embryogenese anlaufen lässt. (Wie schleppend die Einsicht in die nachfolgenden, frühen Entwicklungsstadien vonstattenging, erhellt sich aus einer lichtmikroskopischen Analyse des US-Amerikaners M. R. Kalt 1971 im Journal of Embryology and Experimental Morphology: Er hatte am Krallenfrosch den Zusammenhang zwischen Zellteilung und Blastocoelbildung studiert, was damals offensichtlich noch nicht so klar war.) Bei dieser Diskussion werden biologische Einsichten von kulturellen Ansichten, Erziehung und Politik überlagert. Der entsprechende „Slogan“ lautet heute: „nature meets nurture“ (Natur trifft Erziehung). Aber noch 2022 fühlte sich Nobel-Preisträgerin Nüsslein-Volhard genötigt, der Öffentlichkeit zu erklären, dass man das biologische Geschlecht nicht einfach austricksen kann. 12.5.2 Jenseits von Mythen:
Entwicklung ab ovo
Erst mit einiger Verzögerung gewann man Einblick in die molekularen Grundlagen der Stammzellforschung und der Differenzierung. Ein experimenteller Zugriff eröffnete sich erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Embryonale Stammzellen sind u. a. durch eine sehr kurze G1-Phase ausgezeichnet, wohingegen etwa zwei Drittel dieser Zellen in der S-Phase angetroffen werden. Letzteres wurde durch den Einbau von Bromodesoxyuridin (BrdU) bewiesen – ein synthetisches Analogon zu Thymidin. Diese Standardmethode kann über radio aktive Markierung oder über fluoreszente Anti-BrdU-Antikörper anzeigen, ob Zellen
sich in der S-Phase befinden. Auch die Relation einzelner CDKs und Cycline weicht von jener in somatischen Zellen ab. Besonders das Mesenchym (Zellaggregate aus nachfolgenden Embryonalstadien) verfügt über Vorläuferzellen für die spätere Differenzierung von Bindegewebs-, Knochen-, Knorpel- und Fettzellen (mesenchymale Stammzellen). Der Prototyp sind mesenchymale Stammzellen aus der Nabelschnur, die seit einem Vierteljahrhundert wohl als Erste zur Konservierung für späteren Bedarf angeboten wurden. Auch nichtmesenchymale Gewebe mit hoher Teilungsrate für andauernde Regenationsprozesse wie Haut, Leber, Darm und Knochen enthalten solche Vorläuferzellen. So ist insbesondere für Gewebe mit hohem Turn over an Zellen vorgesorgt. Beispielsweise werden in unserem Knochenmark täglich 3 × 1011 Blutzellen neu gebildet, davon sind die Mehrzahl Erythrocyten mit einer Lebensdauer von etwa vier Monaten. Bereits seit Langem ist die Differenzierung von Hämocytoblasten („αἷμα, haima“ = Blut; „βλαστός, blastos“ = Spross, Keim) des Knochenmarks zu Vorläufern von Blutzellen bekannt. Solche Vorläufer sind die Erythroblasten, Myeloblasten, Lymphoblasten, Monoblasten und Megakaryoblasten mit der Fähigkeit, rote und weiße Blutzellen (Erythrocyten und Leukocyten) zu bilden, ebenso wie Megakaryocyten für die Abschnürung von Thrombocyten zur Blutgerinnung. Neuronale Stammzellen des Neuroektoderms produzieren Glia-Vorläuferzellen und neuronale Vorläuferzellen zur weiteren Differenzierung. Jedoch war lange Zeit die Meinung allgemein etabliert, dass es im Zentralnervensystem keinerlei Stammzellen und damit auch keinerlei Regeneration gäbe. Es dauerte lange, bis – zwar in beschränktem Umfang – das Gegenteil bewiesen werden konnte (7 Abschn. 12.6.1). Auch in verschiedenen anderen Geweben können einige totipotente oder multipotente Zellen als „adulte Stammzellen“
12.6 · Stammzellen und Vorläuferzellen: Ersatzteillager und Material …
oder als Vorläuferzellen in distinkten Nischen verweilen, um noch im Adultstadium zur Differenzierung zu gelangen. Unsere Haut beispielsweise regeneriert sich alle vier Wochen. Dazu werden die Zellen vom Stratum germinativum aus immer weiter hochgeschoben und unterliegen dabei einer mikroskopisch deutlich sichtbaren Umdifferenzierung. Ähnliches gilt für die Zellen der Dünndarmkrypten, die lumenwärts weitergeschoben werden und sich zu funktionalen Darmepithelzellen differenzieren. Auch von anderen Gewebetypen (derzeit ca. 20) kennt man diskrete Nischen von Stammzellen, die wegen ihrer meist organtypischen Differenzierungsfähigkeit als multipotent bezeichnet werden; dies gilt auch für den Herzmuskel [22]. Auch höhere Pflanzen haben Stammzellen. Sie sind an der Spitze von Sprossen und feinsten Wurzeln lokalisiert, in einer Nische, die man als Spross- und Wurzelmeristem bezeichnet. Sie gewährleisten durch Teilung und Differenzierung das Wachstum dieser Pflanzenteile. Daneben gibt es bei Bäumen noch das Kambium als teilungsaktives Gewebe aus Vorläuferzellen, die zwischen Bast (Phloem) und Holzteil (Xylem) liegen und die jeweils organisches bzw. anorganisches Material (Ionen, Wasser) zu leiten vermögen. Die Teilungstätigkeit des Kambiums gewährleistet das (sekundäre) Dickenwachstum der Bäume. 12.6 Stammzellen und
Vorläuferzellen: Ersatzteillager und Material für gentechnische Medizin
Nachdem wir kurz die Differenzierungsfähigkeit von Zellen früher embryonaler Stadien und ihre Einschränkung im Laufe des Wachstums erörtert haben, konzentrieren wir uns nun auf die aus der rezenten zellbiologischen Forschung resultierenden medizinischen Perspektiven.
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1981 wurden embryonale Stammzellen von frühen Mäuseembryonen und 1998 von humanen Embryos bekannt, mit der Möglichkeit, sie in Kultur wachsen zu lassen. Diesen Status können diese Zellen nach einer Zusammenfassung von D. Papatsenko et al. (2018) vermittels spezieller Rückkopplungsprozesse unter Beteiligung mehrerer Signalschleifen, Transkriptionsaktivität und Epigenetik mit Beteiligung von Chaperonen aufrechterhalten [23]. In Deutschland wurde ab 2000 der Mediziner O. Brüstle in Bonn zu einem Pionier der Stammzellforschung mit Zielrichtung auf neuronale Regeneration – jedoch mit erheblichen Hindernissen: Attacken wegen fundamental-ethischer Bedenken zur Gewinnung von Stammzellen aus (legal) abgetriebenen Embryonen führten zu einer Eskalation bis hin zum Polizeischutz von Stammzellforschern in Deutschland. Allerdings ist es ein Widerspruch, dass in Deutschland zwar Abortus legal, die Verwendung abgetriebener Feten für die Stammzellforschung dagegen illegal ist. Inzwischen stehen einige Alternativen zur Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen zur Verfügung. Gang und gäbe ist die Transplantation von Blutstammzellen, etwa bei Leukämie oder nach Chemotherapie im Zuge einer Krebsbehandlung, bei der Blutstammzellen bzw. die Hämatopoese Opfer der mitosehemmenden Cytostatika werden. Allein in Deutschland sind einige Zigtausend Patienten betroffen. Ab 2006 eröffnete sich die Möglichkeit, adulte, differenzierte Zellen in einen stammzellartigen Zustand zu bringen (iPS cells, „induced pluripotent stem cells“). Aus pluripotenten Vorläuferzellen konnten Gewebe für die Transplantation hergestellt werden, wie Blutgefäße, Herzklappen, Muskelgewebe, Hautgewebe und einige mehr. Damit befassten sich mehrere Reviews, beispielsweise eine aus dem Jahr 2016 [24] und eine aus 2019 [25]. Man denkt insbesondere an die Implantation von iPS-Zellen im Herzen bei Störungen der Herzklappen oder
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
des Myokards, bei der Parkinson-Krankheit oder – in noch weiterer Ferne – bei der Regeneration des Rückenmarks bei Querschnittlähmung. Realistische, erfolgreiche Beispiele sind die Herstellung von Blutgefäßen (2013) am Massachusetts General Hospital oder die kürzliche Ersatztherapie der Haut von Kindern mit genetisch bedingter Epidermolysis bullosa (blasenbildende Hautkrankheit; 7 Abschn. 14.3.8). Eine Übersicht zum therapeutischen Einsatz von Stammzellen ist unter 7 www.stemcell.net. in/stemcelltreatment abrufbar. Ein entsprechendes Basisprogramm für regenerative Medizin wurde 2009 von der US-amerikanischen FDA genehmigt, die Genehmigung jedoch bereits 2011 wieder zurückgezogen. Offensichtlich setzte sich dabei die alte Angst durch, die das Harvard Stem Cell Institute 2008 wie folgt auf den Punkt brachte:
» Stem cells will rescue us from diseases of
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which drugs can only treat the symptoms. But they may have another role in our lives, one that is not so beneficial. They may in fact be the source of some, and possibly most cancers. [26]
» [Stammzellen werden uns vor Krankheiten
retten, von denen Medikamente nur die Symptome behandeln können. Sie könnten jedoch noch eine andere Rolle in unserem Leben spielen, wovon eine nicht so günstig ist. Sie könnten in der Tat die Ursache einiger, wahrscheinlich sogar der meisten Formen von Krebs sein.]
Derlei Ängste schwebten schon lange im Raum. Es muss gewährleistet sein, dass Stammzellen – im Gegensatz zu Medikamenten – einerseits zu einer kausalen, also nicht nur symptomatischen Therapie taugen und andererseits nicht zu einer Form von Krebs umkippen. Dabei ist viel von Versuch und Irrtum bei der Zusammensetzung der Kulturmedien im Spiel. So konnte in einer Studie die Bildung von Krebszellen
durch geeignete Manipulation des Kulturmediums vermieden werden. Natürlich muss man das geeignete Kulturmilieu herausfinden, mit den geeigneten Nährstoffen, Vitaminen, Hormonen, Ionen, Wachstums- und Transkriptionsfaktoren etc. 2011 konnte die Münsteraner Gruppe um H. Schöler erstmals die Entdifferenzierung von differenzierten Hautzellen erzielen. Dabei stellte sich der Wachstumsfaktor Brn4 als besonders kritisch heraus. Die Autoren sprechen von Körperstammzellen, aus denen sich auch neuronale Zellen erzielen ließen. Die Reprogrammierung muss also nicht zwingend über pluripotente Stammzellen laufen. Stammzellen teilen sich asymmetrisch, d. h., die Stammzelle bleibt als solche erhalten und die davon abgeleiteten Zellen gehen mehr oder weniger bald einer teilweisen bis kompletten Differenzierung entgegen. Dazu gibt es zahlreiche Ansätze, von denen zwei exemplarisch erwähnt seien. Bei der Maus konnte eine US-amerikanische Gruppe 2008 zeigen, dass der Status einer Stammzelle durch die Hemmung des GSK3B- und des MAPK/Erk-Signalweges aufrechterhalten wird. (GSK ist Glykogensynthase-Kinase; MAPK ist mitogenaktivierte Proteinkinase, Erk dagegen eine durch ein extrazellulläres Signal regulierte Kinase.) Für die Aufrechterhaltung des Status einer menschlichen Stammzelle wurden 2005, ebenfalls von einer US-Gruppe, die Transkriptionsfaktoren OCT-4, NANOG und SOX2 als relevant gefunden. Beide Arbeiten zusammen enthüllten wichtige Grundsatzaspekte. Wie komplex sich die molekularen Wechselwirkungen von nahezu drei Dutzend Partnern präsentierten, zeigt eine Übersichtsarbeit von D. Papatsenko und Mitarbeitern 2018 in der Zeitschrift Stem Cell Research [23], mit einer hierarchischen Wechselwirkung zahlreicher Komponenten, darunter die eben erwähnten Transkriptionsfaktoren. Zum Gesamtbild kommen noch epigenetische
12.6 · Stammzellen und Vorläuferzellen: Ersatzteillager und Material …
egulationsmechanismen wie Histon- und R DNA-Modifikationen hinzu (. Abb. 12.3). Im Detail gibt es aber zu den zahlreichen bekannten und teilweise wohl noch unbekannten Wechselwirkungen wohl noch einiges zu erforschen; für die Optimierung der Arbeiten mit iPS-Zellen müssen die Rezepte genau auf den jeweiligen Typ von Stammzellen abgestimmt werden. Die Stammzellforschung sollte überdies von anderen Forschungsrichtungen begleitet werden. In der Übersicht mit dem Titel „A decade of iPS cells“ 2016 in der Zeitschrift Nature [24] werden einerseits gezielte Mutationen mit der CRISPR/Cas9-Methode (7 Abschn. 6.11) zur Erkennung relevanter Störungen bei neuronalen Krankheiten und andererseits eine intensive Zusammenarbeit mit Pharmafirmen angemahnt; diese sollte aus 7000 kleinen Molekülen, die aus einem Kollektiv von Patienten mit neuronalen Entwicklungsstörungen gesammelt wurden, das Potenzial neuer Drogen herausfinden. Bei derlei Engagement muss bedacht werden, dass es im Durchschnitt an die 20 Jahre dauert, bis eine wissenschaftliche Entwicklung die klinische Anwendbarkeit erreicht. Ähnlich wie bei der Krebs-
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forschung wird eine Unterstützung dieser Forschungsrichtung durch offizielle Institutionen erforderlich sein. Besonderes Interesse haben Stammzellen aus der Amnionflüssigkeit gefunden, in welcher der Embryo schwebt. Hatte man früher Zellen aus Amnionpunktierung (Amniozentese) für die pränatale Dia gnostik verwendet, was häufig zur Abtreibung von Feten mit genetischen Störungen führte, so wurden Stammzellen der Amnionflüssigkeit in den vergangenen 20 Jahren interessant für die regenerative Medizin. Beispielsweise konnten auf diese Weise Retinatransplantate gezüchtet werden. 2010 jubelte der Osservatore Romano, das Publikationsorgan des Vatikans, in einem Interview mit einem italienischen Genetiker, dies sei „die Zukunft der Medizin“: Keine Embryonen werden verbraucht, keine Genmanipulation ist im Einsatz – die Methode ist ethisch unangefochten. (Über Schölers Körperstammzellen würde sich der Vatikan wohl noch mehr gefreut haben.) Hatte doch im vergangenen Jahrzehnt ein Paar mit einer genetischen Störung unter Zuhilfenahme der pränatalen Diagnostik und mittels Methoden der In-vitro-Fertilisation
. Abb. 12.3 Epigenetische Modifikationen von Histonproteinen und DNA regeln die Transkriptionsaktivität von Genen. Wesentliche Mechanismen der Epigenetik sind die Acetylierung und Methylierung von Histonen sowie die Methylierung von DNA, mit den jeweils angegebenen Pauschaleffekten. (Quelle: [58])
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
e inen Embryo „er-zeugen“ lassen, der nach molekularbiologischer Untersuchung als Ersatzteillager für die Stammzelltherapie eines genetisch geschädigten Geschwisterchens dienen sollte. Derlei Praktiken sind in Deutschland und anderen Kulturstaaten per Gesetz untersagt. Auch Arbeiten, welche die Keimbahn betreffen, sowie Eingriffe mit der CRISPR/Cas9-Methode, treffen auf fundamentale Ablehnung – allerdings könnte es sein, dass das nicht immer so bleiben wird. Eine der Erwartungen für die Zukunft ist wohl die lokale Applikation von gentechnisch aus adulten Stammzellen oder iPS-Zellen hergestellten gesunden Stammzellen [24, 25]; aber auch hier gibt es neben ethischen Einwänden auch Vorbehalte wegen noch beschränkter Erfahrung. In Anbetracht des rasanten Fortschritts der Stammzellforschung hat inzwischen immerhin sogar Sir Ian Wilmut, der schottische Erzeuger des ersten Klonschafs, Dolly (1996), angeblich dem weiteren Transfer von Zellkernen in entkernte Eizellen abgeschworen… Die neuen Erkenntnisse und Technologien weckten aktuell noch weitere, sogar näherliegende Hoffnungen. Man denkt an den Ersatz defekter Blutzellen bei Leukämien, bei Sichelzellenanämie (7 Abschn. 3.3) oder bei Immundefizienz. Beispielsweise stellten bereits 2011 US-amerikanische Mediziner eine Strategie für die Therapie der β-Thalassämie durch induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) vor, unter Erwähnung der zu erwartenden Schwierigkeiten [27]. Bereits Ende 2019 meldeten mehrere Medizinergruppen Therapie-Erfolge bei β-Thalassämie. In induzierten pluripotenten Stammzellen wurde mit der CRISPR/Cas9-Methode die Mutation korrigiert, und diese Zellen wurden als Ersatz in den Patienten zur Entwicklung gebracht. So schreiben die Autoren aus China und Singapur (2015):
» From this study, our strategy of targeting
realized by the CRISPR/Cas9 system had successfully corrected one allele of mutated HBB genes without off-targeting and restored the HBB gene expression during hematopoietic differentiation. [28]
» [Aus dieser Studie geht hervor, dass unsere Strategie mit dem CRISPR/Cas9-System die Expression des mutierten HBB-Gens während der Blutzelldifferenzierung erfolgreich korrigiert.] Die Kosten einer individualisierten Gentherapie sind derzeit selbst für US-amerikanische Verhältnisse noch atemberaubend.
In weiterer Ferne hat man wohl auch den Zellersatz bei den Volkskrankheiten Diabetes, Alzheimer-Demenz und Parkinson-Krankheit im Visier. Vor Jahrzehnten hatte man bei Parkinson-Erkrankten in Schweden, wo die Abtreibung früh legalisiert worden war, embryonale dopaminerge Zellen ins Gehirn implantiert, allerdings mit zeitlich beschränktem Erfolg für den Patienten. Nun meldete 2017 eine japanische Gruppe in der Zeitschrift Nature Erfolge mit humanen iPS am Makakenmodell und betonten, dass es keine Anzeichen von Krebs gegeben habe [29]. Dieses Feld sucht jedoch erst seine stabile Grundlage. So wurde ein Therapieversuch von Rückenmarksverletzungen mit Stammzellen 2019 in der Zeitschrift Nature harsch kritisiert. In den vergangenen zehn Jahren zeigte sich andeutungsweise eine Wende, indem Pilotexperimente am Menschen von den japanischen und US-amerikanischen Behörden zur Heilung mit Stammzellen zugelassen wurden. Dieses gilt z. B. für die Duchenne-Muskeldystrophie und verschiedene Störungen des Sehapparats. Ist die Cornea des Auges betroffen, so können iPS-Zellen flächig gezüchtet und transplantiert werden; die Verfahren ähneln also dem, das in 7 Abschn. 14.3.8 für die Epidermolyse erwähnt wird. Wie schnell die Stammzellforschung fortschreitet, ist aus dem aktuellen Bemühen ei-
12.6 · Stammzellen und Vorläuferzellen: Ersatzteillager und Material …
ner britischen und einer israelischen Gruppe ersichtlich, aus Stammzellen von der Maus in vitro frühe Stadien von Embryonen von etwas über einer Woche zu züchten; dabei entsprechen sechs Tage ca. 14 Tagen beim Menschen. Das Ziel ist die Züchtung von Geweben und Organanlagen für therapeutische Zwecke. Als ethischer Knackpunkt gilt jedoch immer noch die angehende Entwicklung von Organanlagen. Jenseits dieser Grenze denken wohl viele unwillkürlich an die Kulturgläser in Huxleys Buch „Brave New World“ (7 Kap. 18) oder an Frankensteins Horrorfilme. 12.6.1 Die Atombombe und die
Stammzellen unseres Gehirns
Im Rückblick ist interessant festzustellen, dass bis in die erste Zeit unseres Jahrhunderts eine feststehende Annahme war, dass es im Gehirn keine Stammzellen gäbe und regenerative Prozesse daher erst gar nicht zu suchen seien. Im Jahre 2013 erschien in der Zeitschrift Cell ein Artikel eines internationalen Autorenteams [30], der Furore machte. K. L. Spalding et al. untersuchten an menschlichen Gehirnen die Ablagerung von 14C nach dem Atombombenabwurf über Hiroshima im Jahr 1945. Die Gehirne stammten von Personen, die zum Zeitpunkt der Katastrophe bereits erwachsen waren. Unerwartet zeigte sich in einem Teil der Neuronen des Hippocampus (einer Struktur, die mit Gedächtnis und der Verarbeitung emotionaler Prozesse zu tun hat) radioaktive Markierung der Kern-DNA. Obwohl doch der Lehrsatz galt, dass das Gehirn Erwachsener keine neuen Neurone mehr bildet, wurde lokal schätzungsweise ein Drittel der Neurone auf diese Weise ersetzt. Dass neue Neurone im Hippocampus entstehen, steht nun außer Frage; es gibt also auch im Säugetiergehirn adulte Stammzellen. Außerhalb des Hippocam-
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pus jedoch, insbesondere im Rest des cerebralen Cortex, scheinen keine Neurone mehr hinzuzukommen. Das bedeutet, dass wir weitestgehend mit den corticalen Neuronen ins Grab gehen, mit denen wir geboren wurden (abgesehen von den neu gebildeten hippocampalen und von jenen, deren wir verlustig wurden). Ähnliche Schlüsse wurden bereits eine Dekade vorher aus Tierexperimenten und aus der postmortalen Untersuchung von Patienten erzielt, denen bei bestimmten Therapien Substanzen verabreicht worden waren, die für intrazelluläre Nachweismethoden geeignet erschienen. Diese Befunde wurden durch Untersuchungen an Mäusen gestützt. 12.6.2 Neuere Befunde zur
Neurogenese
Für die Resistenz adulter Neurone wurden in humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPSCc) mehrere molekulare Bremsen aufgespürt, welche die Apoptose verhindern (7 Abschn. 13.5): Herunterregulierung von Caspasen, Reduktion von Apoptosomen (evolutionär konservierter Komplex aus apoptoserelevanten Proteinen) und reduzierte Permeabilität der äußeren Mitochondrienmembran [31]. Die Ansichten zur Neurogenese entwickelten sich folgendermaßen. In den 1960er-Jahren erlangte der US-Amerikaner J. Altman bei Mausembryonen erste Einblicke in Stammzellen im Embryonalstadium und 1965 DOI: 10.1002/cne.901240303 in postnatalen Stadien am Riechkolben [32]. Auch in der Retina von Fischen gibt es nach Befunden von Steve S. Easter, Pamela Raymond (später P. Jones) und Claudia A. O. Stürmer 1978 bis 1984, damals alle USA, einen äußeren Ring von Stammzellen, die während des Wachstums des Fisches neue retinale Neurone produzieren und damit die Retina vergrößern. (NB: Fische haben ein offenes Wachstum bis ins hohe Al-
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
ter, und Retinazellen g ehören zum Zentralnervensystem.) Damit geht die Erhöhung des Sehvermögens einher. Der argentinischstämmige US-Amerikaner F. Nottebohm beobachtete Neurogenese im Gehirn von Singvögeln (Parus atricapillus, Schwarzkopfmeise) beim Erlernen ihres Gesangs [33]; dabei wurde in den 1990er-Jahren im Hippocampus als ausgewiesenem Bereich von Lernprozessen das Einsetzen von Neurogenese festgestellt. Ab 1992 wurde allgemein das Konzept der Neurogenese aus echten Stammzellen forciert. So fasst ein multinationales Autorenteam 2018 in der Zeitschrift Cell Stem Cell unter dem Titel „Human adult neurogenesis: Evidence and remaining questions“ zusammen: „…(data) not only further questions the interpretation that there is minimal or undetectable adult neurogenesis in the human hippocampus…“, mit dem Zusatz, es bräuchte mehr quantitative Daten [34] [… die Daten stellen nicht nur die Interpretation infrage, dass es nur eine minimale oder undetektierbare Neurogenese im adulten Hippocampus gäbe…]. 2018 gelang auch die Implantierung von neuronalen Vorläuferzellen durch Injektion in die Cerebrospinalflüssigkeit. Die eindrucksvollsten und innovativsten Untersuchungen zur Neurogenese im Gehirn in situ präsentierte die gemischt schweizerisch-englische Gruppe von G.-A. Pilz et al. (2018) in der Zeitschrift Science [35]. Es bedurfte optogenetischer Markierungen (7 Abschn. 4.7) und der Zwei-Photonen-Fluoreszenzmikroskopie (7 Abschn. 17.11), um hier in der Tiefe des Gehirns – ≈ 1 mm tief im Hippocampus der Maus – Einsichten in die Dynamik der Stamm- und Vorläuferzellen in situ über zwei Monate hinweg zu bekommen. Sie transfizierten die Mäuse mit einem induzierbaren Marker und mit einem durch langwelliges Licht aktivierbaren Ca2+-Fluorochrom. Ihr Fazit: Neuronale Stammzellen und Vorläuferzellen bringen andauernd durch asymmetrische Teilungen neue Neurone hervor. Inzwischen wurde von der
Firma Carl Zeiss, Jena, ein neuartiges Fluoreszenzmikroskop entwickelt, das wegen reduzierter Strahlenbelastung für Analysen in vivo vorteilhaft ist und mit dem Deutschen Innovationspreis 2022 ausgezeichnet wurde. Derlei Untersuchungen werden aktuell sicherlich für unterschiedliche Fragestellungen forciert werden, denn langfristig peilt man Therapien für verschiedene Erkrankungen des Zentralnervensystems an, wie Parkinson-Krankheit, Alzheimer-Demenz und Rückenmarksverletzungen. 12.7 Einige Bemerkungen zum
Phänomen Krebs
Mediziner unterscheiden heute nach konventioneller Einteilung an die 200 Arten von Krebs (Tumoren) – oder auch wesentlich mehr, wenn man einem molekularen Einteilungsprinzip folgt. Die Zahl liegt wohl beträchtlich höher, wenn man die unterschiedlichen molekularbiologischen Grundlagen in Betracht zieht, wie allein die Vielzahl von Mutationen in kritischen Proteinen wie p53 (unten) nahelegt. Insofern erscheint es gewagt, von Programmen zu sprechen, die „den Krebs“ besiegen wollen, wie eben wieder aus Politikermund zu hören war. Immerhin haben sich bis heute viele wichtige Details herausgeschält, und die Therapien machen Fortschritte, u. a. mit therapeutischen Antikörpern und neuen Pharmaka. Ein „Cancer Transcriptome Atlas“ wächst bereits auf Tausende Möglichkeiten an und wird bei der Feintypisierung zunehmend hilfreich. Krebszellen teilen sich – im Gegensatz zu Stammzellen – symmetrisch nach dem Motto „aus eins mach zwei!“, und sie tun dies ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse des jeweiligen Gewebes, seiner Stoffwechsellage und Harmonisierung im Gesamtverband. Die Zellen können die Integration im Gewebe aufgeben und über Umorganisation der Mikrofilamente zu wandern beginnen (amöboide Bewegung; 7 Abschn. 9.15), um dann Metastasen in an-
12.7 · Einige Bemerkungen zum Phänomen Krebs
deren Organen zu bilden. Grundlage bildet die Ausbildung von spontanen oder induzierten Mutationen. Davon bekommen wir bereits bei der Geburt einige Dutzende ab, von denen die meisten allerdings unentdeckt bleiben, weil sie harmlos sind oder durch den doppelten Chromosomensatz abgedeckt werden. Schädigungen von Zellen durch karzinogene Stoffe wie Teerfarbstoffe oder durch hochenergetische Strahlung wie Radioaktivität bzw. hochenergetisches UV-Licht können über Mutationen Krebs induzieren. Bei Krebs können folgende Zellmechanismen betroffen sein, auf die nachfolgend nur zum Teil eingegangen werden kann: 5 DNA-Reparaturproteine: Beispiel BRCA-Gen, dessen Mutation Brustkrebs verursacht. Hier kann durch eine Radikalresektion der Brüste vorgebeugt werden. 5 Moleküle der intrazellulären Signaltransduktion: Hier sind die Kinasen vom Typ Src im Rahmen von intrazellulären Tyrosin-Phosphorylierungsprozessen hervorzuheben. 5 Transkriptionsfaktoren, von denen wir einige Tausend besitzen. 5 Wachstumsfaktoren oder Hormone bzw. Rezeptoren sind beteiligt; ein Beispiel hierfür ist der „insulin-like growth factor“ IGF1 sowie EGF („epidermal growth factor“). Auch dagegen sind neuerdings therapeutische Antikörper verfügbar. 5 Proteine der Steuerung des Zellzyklus: Dazu zwei Beispiele für die unterschiedliche Variabilität von Proteinen oder Proteinabschnitten je nach funktionaler Bedeutung, die bereits seit Jahrzehnten bekannt sind: 1. Rb-Gen, das normalerweise eine Kontrollfunktion bei der Mitose ausübt und dessen Mutation zu einem Retinoblastom, d. h. Krebs in der Retina, führt [36]. 2. p53, das normalerweise den Austritt aus der G1-Phase des Mitosezy-
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klus steuert; für dieses Protein gibt es Genkarten mit Mutationen verschiedener Häufigkeit über das gesamte Gen verteilt [37]. 5 Onkogene (tumorerzeugende) Viren können Krebs verursachen (unten). Kürzlich wurde geschätzt, dass ca. 15 % der Krebsfälle des Menschen zu Lasten onkogener Viren gehen. Darunter ist das HI-Virus (humanes Immundefizienzvirus) und manche Typen von Papillomaviren, die bei der Frau ein Zervixkarzinom, beim Mann dagegen nur harmlose Hautwarzen hervorrufen können. 5 Bestimmte Fettsäuren können über entsprechende Rezeptoren zur Metastasierung beitragen. Auch dagegen lassen sich Antirezeptor-Antikörper einsetzen. 5 Bei verschiedenen Krebsarten werden aktuell auch Komponenten der extrazellulären Matrix als treibende Faktoren erkannt. 5 Apoptosebezogene Proteine: Derlei Störungen verhindern die Beseitigung entarteter bzw. funktionsuntüchtiger Zellen durch Apoptose (7 Abschn. 13.5). Auch hierzu gibt es therapeutische Antikörper. 5 Ebenso wurde vor Kurzem entdeckt, dass Exosomen (7 Abschn. 13.3.2) die Einnistung von metastasierenden Tumorzellen vorbereiten können. Auch hierbei können Antikörper therapeutisch eingesetzt werden. 5 Erst in den letzten zehn Jahren kam das Immunsystem so richtig ins Visier der Tumorbiologie, und es gelang, dessen Aktivierung therapeutisch einzusetzen. Die Schlüsselarbeiten der Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin 2018, Allison und Honjo, wurden in 7 Abschn. 12.4 gewürdigt. Der Einsatz von Antikörpern über gentechnische Methoden hat als Voraussetzung, individuelle Abweichungen von Oberflächenproteinen in Tumorzellen zu kennen (personalisierte Krebs immuntherapie). Dies lässt sich gut an der Entwicklung einer Impfung gegen
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
alignen schwarzen Hautkrebs (Melam nome) nachvollziehen. Erst hatte Nobelpreisträger (2011) Ralph Steinman ab 1973 eine neue Grundlage durch Arbeiten an dendritischen Zellen gelegt, deren Bedeutung bis dahin unterschätzt worden war. Sein Mitarbeiter war ab 1982 der österreichisch-stämmige deutsche Dermatologe Gerold Schuler, Universität Erlangen. Zusammen mit seiner Frau Beatrice Schuler-Thurner widmete er sich dem Einsatz dendritischer Zellen, die isoliert, mit tumorspezifischen Antigenen beladen und in die Haut injiziert werden und so der individuellen Behandlung von Melanomen dienen. In der Folge bildet das Immunsystem T-Killerzellen, die den Tumor erkennen und ausschalten können. Ich war bewegt, als er mir anlässlich seiner Emeritierung schrieb, er hätte ohne die Möglichkeit, bei mir zu werkeln, wohl nicht Anschluss an die moderne Wissenschaft bekommen. Meine Hilfestellung war allerdings sehr bescheiden.
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Krebs stellt also ein sehr vielschichtiges zellbiologisches und genetisches Problem dar, mit polykausalem Hintergrund, aber auch mit vielfältigen Eingriffsmöglichkeiten. In 2022 identifizierte die Bonner Arbeitsgruppe von E. Kiermaier (A. Kopf et al. 2020, J. Cell Biol.) einen neuen Mechanismus, welcher die Wechselwirkung von Krebszellen und den sie bekämpfenden dendritischen Zellen zu beschleunigen vermag (7 https://doi.org/10.1083/ jcb.201907154). Wenn Letztere in Kontakt mit einem geeigneten Antigen kommen, bilden sie vermehrt Centrosomen aus, von denen Mikrotubuli abstrahlen und damit eine polare Zellform erzeugen, welche die Auffindung des Antigens beschleunigt. Auffällig ist die Ähnlichkeit der polaren Umorientierung der Mikrotubuli in Immunzellen, die bei Gicht in Gelenke einwandern (7 Abschn. 14.8.1).
Vertiefte Studien motivierten H. zur Hausen ab 2016, vor einer Reihe von potenziell gefährlichen, noch wenig erforschten Viren in rohem Rindfleisch zu warnen. Dabei ist das Thema krebsinduzierende Viren uralt: Die Hypothese wurde erstmals von A. Borrel geäußert, 1903 in einer Mitteilung in den Annales de l’Institut Pasteur, und 1908 vertieft [38]. Gleichzeitig wurde von der Erzeugung einer Leukämie beim Hühnchen durch ein zellfreies Filtrat durch die Deutschen V. Ellermann und O. Bang berichtet [39]. Ähnliches gilt für die Induktion eines Sarkoms beim Huhn durch ein zellfreies Filtrat, 1911 durch den US-Amerikaner P. Rous. Es waren zugleich die ersten Begegnungen mit Retroviren (7 Abschn. 14.6). Keine der drei Gruppen wusste damals etwas von Viren – diese waren erst ein Postulat. 1965 fasste Rous die Problematik unter dem Titel „Viruses and tumor causation“ in der Zeitschrift Nature zusammen [40]. Darin beschrieb er auch, dass nach seinen Befunden aus dem Jahr 1933 Papillomaviren bei Säugetieren (Kaninchen) Tumoren auslösen können. Ebenso notierte er, dass Viren nach Erkenntnissen in den 1930er-Jahren obligat eine Zellpassage durchlaufen müssen. Peyton Rous erhielt für seine umsichtigen und klärenden Arbeiten 1967 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Onkogene Viren können RNA-Viren wie z. B. HIV sein. RNA-Viren schreiben ihr RNA-Genom mittels reverser Transkriptase in DNA um (Retroviren), die in die Wirtszell-DNA für die spätere Transkription integriert werden kann. Das HI-Virus war ursprünglich als Ursache für das Kaposi-Sarkom und das B-Zell-Lymphom erkannt worden, bevor AIDS als Krankheit identifiziert wurde. Die reverse Transkriptase wurde 1970 von zwei US-Gruppen gleichzeitig entdeckt: D. Baltimore sowie H. M. Temin und S. Mizutani; ihre beiden Arbeiten wurden Seite an Seite in der Zeitschrift Nature publiziert und von Coffin und Fan kommentiert [41].
12.7 · Einige Bemerkungen zum Phänomen Krebs
Jene Arten von Krebs, in denen der genetisch vorgegebene Programmablauf gestört ist, erinnern an Stammzellen. Dieser wird jedoch bei Tumorzellen nicht auf ein basales Programm reduziert, sondern es sind jeweils verschiedene Einzelabläufe gestört. Zellen können sich sogar auf ein identisches Niveau entdifferenzieren: Während das Profil der Genexpression in verschiedenen Zelltypen normalerweise sehr verschieden ist, beispielsweise in Prosta tazellen bzw. Lungenepithelzellen, ändert sich dies beim Übergang in Krebszellen. Dabei wird das Expressionsprofil nahezu identisch, wie 2018 in Science von einer US-Gruppe berichtet wurde. Dies kann im Sinne einer Entdifferenzierung gesehen werden. Zellen nehmen ihre Teilungsaktivität wieder auf, sodass eine Wucherung entsteht. Derlei Fehlentwicklungen haben Konsequenzen für das jeweilige Organ oder für den Gesamtkörper, bis hin zu unerträglichen Schmerzen, welche die Palliativmedizin durch Opioide ausschalten kann. Unterschiedlich ist auch der Ablauf der Zellteilung. Wie bereits erwähnt, verläuft diese bei Stammzellen asymmetrisch, d. h., durch die Teilung wird eine neue Zelle zur weiteren Differenzierung abgegeben; bei Tumorzellen ist die Teilung dagegen symmetrisch, d. h., es entstehen zwei gleichartige Zellen. Ein weiteres Merkmal von Tumorzellen ist, dass sie häufig ihren Energiestoffwechsel durch Glykolyse, also viel weniger effizient ausüben als normale Zellen, die über die viel effizientere Zellatmung verfügen. Daraus versuchte man seit einigen Jahrzehnten eine Ernährungstherapie gegen Krebserkrankungen zu entwickeln (unten). 2019 haben die Bundesforschungsministerin und der Bundesgesundheitsminister eine „Nationale Dekade gegen Krebs“ mit entsprechenden Forschungsmitteln angekündigt. Ähnliches hat man doch schon einmal gehört, nur viel hochtrabender. Unter dem Eindruck der ersten Mondlandung 1969 hatte US-Präsident Richard Nixon be-
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reits 1971 als nächstes Ziel angekündigt, „den Krebs“ zu besiegen:
» „… I will also ask for an appropriation of an extra $100 million to launch an intensive campaign to find a cure for cancer…“.
» [„…Ich werde außerdem die Bereitstellung
von extra 100 Millionen US-Dollar für eine intensive Krebstherapie beantragen…“]
Dabei wurde die molekularbiologische Komplexität des Phänomens Krebs schwer unterschätzt. Die Ursachen beispielsweise allein von Brustkrebs sind vielfältig. Zwar ist vieles erreicht worden, aber das Ziel, Krebserkrankungen auszurotten, wird allein schon durch die zunehmende Lebenserwartung konterkariert. Je älter wir werden, umso weniger kann die mit dem Alter sich abschwächende Immunantwort dagegenhalten. Dabei wurden in den vergangenen paar Jahren auf immunologischer Basis beachtliche Erfolge erzielt. Für eine antikörperbasierte Therapie, insbesondere mit monoklonalen Antikörpern, versprechen bioinformatische Ansätze mit exakter Strukturbestimmung relevanter Antigene eine gute Voraussetzung. Neuerdings wurde die Effizienz mit einem neuartigen Methodenansatz weiterentwickelt: mit der Methode der CAR-T-Zellen. CAR-T steht für „chimäre Antigenrezeptor-T-Zellen“. Sie werden aus der vom Patienten isolierten Leukocytenfraktion hergestellt. Die Zellen werden transformiert mit einem Virusvektor, dessen Genom um ein spezielles Gen, das lymphocytenspezifische CD19-Oberflächenprotein, oder mit BCMA („B-cell maturation antigen“), erweitert wurde. Die Translationsprodukte werden von den transformierten Zellen an die Oberfläche geschleust, sodass sie andere Immunzellen, wie B-Zellen und davon abgeleitete Tumoren, erkennen können, die sonst bei Blutzell-Krebs nicht angesprochen werden
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
önnen. Der cytoplasmatische Bereich diek ser Oberflächenproteine enthält Signalmoleküle für die Stimulation dieser Zellen. Es wird also ein hybrides Protein erzeugt, mit einer rekombinanten Rezeptordomäne an der Zelloberfläche und einem cytosolseitigen Signalabschnitt (erste Generation von CAR-T-Zellen). Neuerdings kann die Aktivität durch eine weitere Signaldomäne noch weiter aktiviert werden (Antigenrezeptoren der zweiten Generation). Diese CART-Zellen vermögen Krebs von unterschiedlichen Leukocyten zu erkennen, die sonst – wie gesagt – von den körpereigenen Immunzellen nicht angegriffen werden können. Aktuell ist die CAR-T-Zell Methode allerdings nur für Formen von „Blutkrebs“ verfügbar. Ist Krebs eine Stoffwechselkrankheit mit Einfluß der Ernährung? 5 Zu Anfang sei an den Befund von Otto Warburg in Arbeiten ab 1926 erinnert. Er hatte beobachtet, dass viele Tumorzellen viel mehr glykolytisch als oxidativ arbeiten. Davon eine allgemeine Krebstheorie abzuleiten, erschien zwar lange nicht mehr zeitgemäß, wo doch Störungen auf der Basis des Genoms im Vordergrund stehen. Jedoch erlebt die „Warburg-Hypothese“ eine gewisse Renaissance. Zum einen konnten an manchen Tumorgeweben sehr wohl Abweichungen vom normalen Energiestoffwechsel nachgewiesen werden. Heute ist dieses mittels Positronenemissionstomographie (PET) nach Injektion des kurzlebigen Positronenstrahlers Fluor-18-Desoxy glukose (FDG) möglich (FDG-PET-Methode). (Positronen sind positiv geladene Antiteilchen zu den negativ geladenen Elektronen, also e+ statt e–, die sich experimentell erzeugen lassen.) 5 Zum anderen wurde als die Grundlage des zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckten Von-Hippel-Lindau-Syndroms, das mit hohem Krebsrisiko einhergeht, in den letzten Jahrzehnten eine Mutation des VHL-Proteins realisiert; dieses
verstärkt die Kapillarisierung und damit die O2-Versorgung von Tumoren. Damit ergibt sich neuerdings die Hoffnung, über derlei Phänomene auf die Entwicklung von Tumoren Einfluss gewinnen zu können. Ernährungsexperten sind über Jahrzehnte immer wieder auf diesen „Warburg-Effekt“ zurückgekommen. Sie verweisen auf die Abhängigkeit der Tumorzellen von Kohlenhydraten und propagieren eine kohlenhydratarme Diät. Ihr Schlagwort lautet „ketogene Ernährung“. Bei extrem fettreicher und kohlenhydratarmer Ernährung bilden sich Keto(n)verbindungen. (Solche Verbindungen bilden sich auch beim Typ-1-Diabetes, wobei das einfachste Keton, nämlich Aceton, gebildet und über die Atemluft wahrnehmbar ausgeschieden wird.) Im Intermediärstoffwechsel können Ketone aus zwei aktivierten Essigsäuremolekülen (Acetyl-CoA, das Abbauprodukt von Fettsäuren; 7 Abschn. 11.4.1) gebildet werden. In weiterer Folge entsteht auch die oft als ketonbildend angesehene 3-OH-Buttersäure. Ketone können die Aufnahme und Verwertung von Glukose hemmen und angeblich Krebszellen zum Absterben bringen. Wie die „Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Onkologie (PRiO) der Deutschen Krebsgesellschaft“ im Juni 2014 in einer „Stellungnahme zur ketogenen und kohlenhydratarmen Diät“ feststellte, konnte jedoch kein Effekt auf das Tumorwachstum bzw. auf den Erfolg von Chemo- und Strahlentherapie festgestellt werden.
12.8 Es muss nicht immer
Krebs sein: evolutive Umprogrammierung am Beispiel von Giftdrüsen
Dieser Aspekt mag zunächst weit hergeholt erscheinen, ist es aber nicht. Die Zellen eines jeden Gewebes haben die Aufgabe,
12.8 · Es muss nicht immer Krebs sein: Evolutive Umprogrammierung …
bei identischem Genom unter dem Einfluss spezifischer Signale oder Transkriptionsfaktoren spezifische Proteine zu exprimieren. Dies gilt beispielsweise für die Verdauungsdrüsen der Mundhöhle und für das exokrine Pankreas. In unserem Speichel befindet sich die α-Amylase namens Ptyalin, zusammen mit Lipase und Mukoproteinen und Nicht-Proteinen verschiedener Funktion. Eine wesentlich größere Zahl an enzymatischen Komponenten sind im Sekret des exokrinen Pankreas enthalten: Trypsin, Chymotrypsin, Carboxypeptidasen, Elastase, Lipasen, Ribo- und Desoxyribonukleasen. Insgesamt handelt es sich also um ein buntes Spektrum an hydrolytischen Enzymen, die dem Abbau von Nahrung im Dünndarm dienen. Würden derlei Enzyme am falschen Ort, also ektopisch („εκτός, ektós“ = außen; „τόπος, tópos“ = Ort) in den „falschen“ Zellen exprimiert, so hätten wir eine Situation wie bei Krebs – mit fatalen Folgen. Die Evolution hat indes für bestimmte Zwecke Ausnahmen geschaffen. Schlangen haben dieses Problem im Laufe Ihrer Evolution gemeistert, ja sogar meisterlich ausgenutzt, seitdem ihre beinlosen Vorfahren vor etwa 130 bis 100 Mio. Jahren (Unter-/Oberkreideformation) in zunehmendem Maße eine eigene Morphologie und Verhaltensweise ausgebildet haben. Dazu gehörte zunächst eine Reduktion der Gliedmaßen durch Mutation der ZRS-Sequenz, einem gliedmaßenspezifischen Verstärker des Sonic-hedgehog-(Shh-)Gens. In einer Vielautorenpublikation in der Zeitschrift Cell wurde 2016 experimentell ein entsprechender Effekt an Mäusen gezeigt [42]. Spontane Mutationen zeitigen ähnliche Verstümmelungen an Gliedmaßen auch am Menschen. Das Shh-Gen selbst wurde 1980 von den Nobelpreisträgern für Physiologie oder Medizin 1995, Christiane Nüsslein-Volhard und Eric Wieschaus, bei Drosophila identifiziert [43]. Giftschlangen haben sich erst relativ spät entwickelt. Bei ihnen kam es zur Herausbildung eines toxischen Proteincocktails
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in den modifizierten Speicheldrüsen (Giftdrüsen), eines Applikationsapparats (verstellbare Fänge) und eines entsprechenden Verhaltens (Zuschlagen). Bei den Giftdrüsen handelt es sich um umgewandelte Verdauungsdrüsen, die funktional umprogrammiert wurden. Zahlreiche Verdauungsenzyme und andere Proteine werden dem Opfer für systemische Schädigung (Inaktivierung) und fallweise für extrakorporale Vorverdauung injiziert. Darunter sind, ohne auf die differenzielle Expression in verschiedenen Arten einzugehen, verschiedene Hydrolasen, Phospholipasen, Serinproteasen, Metalloproteasen etc. zu finden. Dazu kommen Proteine, die nicht in Verdauungsdrüsen anderer Tiere vorhanden sind, wie Lektine, Disintegrine, Inhibitoren neuronaler Rezeptoren und weitere Komponenten, welche die Blutgerinnung entweder verhindern oder fördern, und noch einiges mehr. Disintegrine wurden in den 1980er-Jahren zunächst aus Schlangengiften bekannt. Bereits 1992 gab es Kurzberichte zum Thema: „‚Of particular interest‘ – in the opinion of cell biologists“ in Current Biology, mit Anklängen an mögliche therapeutische Nutzanwendungen. In der Folge lockten Anwendungen bei Krebs und bei Gerinnungsstörungen. Disintegrine sind bis zu ungefähr 85 Aminosäuren lange, nichtenzymatische Peptide aus verschiedenen Schlangengruppen. Sie sind Toxinkomponenten von Lanzenottern, Puffottern, Sandrasselottern, Mambas und der Levanteotter (Macrovipera lebetina). Letztere ist die größte, an sich nicht aggressive, aber potenziell doch letale Otternart der Levanteländer, Zypern und Vorderasien bis nach Pakistan. Die Levanteotter ist sehr plump und pumpt sich, wie ich auf Zypern beobachten konnte, peristaltisch vorwärts, am liebsten in Richtung Wasser, und sei es zu einem Schwimmbecken wohlhabender Leute. Erst 1995 wurden Disintegrine unter dem Namen ADAM-Proteasen bekannt;
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
die entsprechende Arbeit im Journal of Cell Biology trug den Titel: „ADAM, a novel family of membrane proteins containing A Disintegrin And Metalloprotease domain: multipotential functions in cell-cell and cell-matrix interactions“. Der Titel einer Arbeit von J. Schlöndorff und C. P. Blobel (1999) im Journal of Cell Science gibt wesentliche Funktionen der Disintegrine an [44]:
» Metalloprotease-disintegrins:
modular proteins capable of promoting cell-cell interactions and triggering signals by protein-ectodomain shedding.
» [Metalloproteasen-Disintegrine: modulare
Proteine mit der Fähigkeit, Zell-ZellKontakte und Signale durch das Ablösen von Protein-Ektodomänen zu vermitteln.]
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Disintegrine haben u. a. mit Zell-Zell-Interaktion, Differenzierung, Migration etc. zu tun. Zur ADAM-Gruppe gehören auch α-Sekretasen, die das Amyloid-Precursor-Protein (APP, 7 Abschn. 12.9.4 und 14.5.1) ohne pathogene Folge schneiden können. Global können die vielen Disintegrine bzw. ADAM-Proteine eine adhäsive oder auch eine antiadhäsive Funktion entwickeln. Manche sind an der Fusion und Differenzierung von Myoblasten zu Myocyten beteiligt, andere an der Fusion eines Spermiums mit der Eizelle bei der Befruchtung. (Wer denkt da nicht an die verführerische Schlange von „Urmutter“ Eva.) Erinnerlich ist aber auch der Versuch der USGruppe um W. J. Strittmatter von 1985, Disintegrine in den Fusionsapparat bei Exocytose zu integrieren – eine Vorstellung, die sich jedoch bald selbst „disintegriert“ hat. (Zell-Zell-Fusionen funktionieren anders als intrazelluläre Fusionsprozesse; 7 Abschn. 9.8.) Während der Evolution kamen einige Toxine neu ins Sortiment: das α-Kobratoxin der Brillenschlange und Chinesischen Kobra (Naja naja bzw. N. atra) und das α-Bungarotoxin von Bungarus multicinctus
(Vielgebänderter Krait, eine Giftnatter; 7 Abschn. 14.9.3), beide in Südostasien heimisch. Sie hemmen den Acetylcholinrezeptor an der postsynaptischen Membran von neuromuskulären Verbindungen und damit die Neurotransmission. Diese Situation bewirkt den Verlust der Bewegungsfähigkeit des Opfers – es erstickt. α-Kobratoxin war ein Ausgangspunkt für die Erforschung der Autoimmunkrankheit Myasthenia gravis 1980 durch eine Gruppe in Baltimore. Dabei ist der Acetylcholinrezeptor degeneriert, wie sich durch das Toxin modellhaft reproduzieren ließ, und die Reizleitung ist unterbrochen. So seltsam es klingen mag: Die Zellbiologie hat von Schlangentoxinen neue, funktionell wichtige Proteine und Funktionsprinzipien kennengelernt, die auch in unserem Körper stattfinden. Die Aktivierung der Transkription von einer Reihe von Proteinen, die mit der ursprünglichen Funktion als Verdauungsdrüsen nichts zu tun haben, zeigt eine Umfunktionierung an, wie sie in schädlicher Form auch in Krebszellen auftritt. Es wäre interessant, die evolutiven Mechanismen dieser „stillen“ Umfunktionierung in den Zellen der Speicheldrüsen zu Giftdrüsen, also die Evolution der ektopischen Proteinexpression, genauer kennenzulernen.
12.9 Epigenetik – ein neues Feld
der Zellbiologie
Der Begriff „Epigenetik“ wurde 1942 vom britischen Entwicklungsbiologen C. H. Waddington geprägt. Damit meinte er „the branch of biology which studies the causal interactions between genes and their products which bring the phenotype into being“ [… jenen Zweig der Biologie, der die kausalen Wechselwirkungen zwischen Genen und ihren Produkten studiert, die also den Phänotyp hervorbringen]. Bereits diese Definition hat unterschiedliche Deutungen erfahren.
12.9 · Epigenetik – ein neues Feld der Zellbiologie
Epigenetik als Forschungsgebiet dümpelte seit den 1950er-Jahren über Jahrzehnte unter Stichwörtern wie „extrachromosomale/ nichtmendelnde/cytoplasmatische Vererbung“ dahin, ist aber inzwischen ein hochaktuelles Gebiet molekularbiologisch-zellbiologischer Forschung geworden. Dass vieles im Fluss ist, merkt man daran, dass verschiedene Autoren den Begriff „Epigenetik“ völlig unterschiedlich fassen. Im weitesten Sinn ist es die Weitergabe von nicht direkt DNA-kodierten molekularen Modifikationen bzw. Eigenschaften. Es können demnach verschiedene Phänotypen produziert werden, ohne den Genotyp zu verändern. Prinzipiell kann es sich nach den Arbeiten aus den vergangenen zwei Jahrzehnten um verschiedene Prozesse handeln, und zwar um Modifikationen 1. der DNA durch die Methylierung von Cytosin, 2. von Histonen durch Methylierungsoder Acetylierungsprozesse, 3. von mRNA, ebenfalls über Methylierung, unterstützt durch die Bildung vielfältiger regulatorischer RNAs. Davon abgehoben sind 4. dauerhafte Konformationsänderungen von Proteinen, z. B. von Prionen. Die ersten drei Modifikationen sind reversibel; es sind also auch Demethylasen und Deacetylasen im Einsatz. Demnach spielen „Writer-“ und „Eraser“-Funktionen eine Rolle („Schreiber“ und „Radierer“). Am häufigsten werden epigenetische Modifikationen in Zusammenhang mit Stress erörtert. Nach einer rezenten Schätzung sind am wenigsten dauerhaft die Modifikationen der Histone: Sie überleben geschätzte ≈ 102 Generationen (gemeint ist: von Mitosen), gefolgt von DNA-Methylierung (≈ 104 Generationen) und den am längsten persistierenden Proteinmodifikationen (Prionen): ≈ 105 „Generationen“ (von Mitosen). Diese Schätzwerte entstammen einem umfassenden Übersichtsartikel der US-Amerikaner Z. H. Harvey, Y. Chen und
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D. F. Jarosz, Stanford University, der 2018 in der Zeitschrift Molecular Cell publiziert wurde [45]. Diese Schätzungen suggerieren die Möglichkeit einer transgenerationalen Epigenetik – eine Einschätzung, die hochumstritten ist, ja sogar für den überwiegenden Teil der Fälle in Abrede gestellt wird (7 Abschn. 12.9.1; Ausnahmen: vgl. 7 Abschn. 12.9.2). Nebenbei sei bemerkt: Unerwartet, aber eindrucksvoll ist, wie die Autoren die am Ursprung stehenden Beobachtungen zur Epigenetik in einem Abschnitt mit dem Titel „From Paramecia to Prions“ nachzeichnen. Dabei wäre der eigentliche Ursprung sogar auf eine frühere Arbeit aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts mit dem Pilz Podospora zurückzuführen (7 Abschn. 12.9.4). Alle drei erstgenannten Modifikationen haben Effekte auf die selektive Expression von Proteinen bzw. auf Merkmale in definierten Entwicklungs- bzw. Differenzierungsphasen der Zelle. Es gibt in unserem Genom geschätzte 800.000 DNA-Methylierungsstellen. Der Effekt kann verschieden sein; je nachdem ob eine Promotorregion oder ein „open reading frame“ betroffen ist, kann die Transkription gesteigert bzw. gehemmt werden. Die regulatorischen „non-coding RNAs“ (ncRNA) haben ihren Ursprung in 60 % der nicht(protein)kodierenden DNA, die früher als „junk DNA“ abgetan wurde. Unter den ncRNAs (zu denen übrigens auch die normalen tRNAs und die rRNAs gehören) gibt es kurz- und langkettige Formen mit verschiedenem Einfluss auf die Transkription. Die kurzen ncRNAs können Doppelstrang-RNA (dsRNA) aus etwa 20 Nukleotiden sein, darunter die „small interfering RNAs“ (siRNAs), die an die mRNA binden und auf diese Weise mit der Expression bestimmter Gene interferieren können, wohingegen die micro-RNAs (miRNAs) zur Regulation des Chromatins beitragen. Dazu kann die Zelle auch Einzelstrang-DNA einsetzen („single stranded DNA“, ssDNA). Auch diese nichtkodierenden Transkripte unterliegen
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
odifikationen. So weit eine ZusammenM stellung auf der Basis von Literatur des vergangenen Jahrzehnts. C. D. Allis und T. Jenuwein gaben 2016 in der Zeitschrift Nature Reviews of Genetics eine Übersicht über die vielfältigen „molekularen Merkmale epigenetischer Kontrolle“, eingebunden in die historische Entwicklung [46], und in derselben Zeitschrift fassten Y. Atlasi und H. G. Stunnenberg 2017 die Rolle der Epigenetik während der Stammzelldifferenzierung und Entwicklung zusammen [47]. Die vielen Details übersteigen allerdings das Ziel dieses Buches. Das ist keine leichte Vorgabe für das Forschungsgebiet Epigenetik. Allerdings wurden rezent hierzu Lokalisierungsmethoden auf der Basis von Aptamerformen entwickelt (lat. „aptus“ = geeignet, passend; griech. „μέρος, meros“ = Teil). Dies sind kurze DNA- oder RNA-Abschnitte, die in sehr großen Zufallsbibliotheken mit unterschiedlicher Basenabfolge hergestellt werden und von denen jene herausgefiltert werden, welche die stärkste Bindung an das Zielmolekül zeigen. Sie können über sehr kleine Fluoreszenzmarker sichtbar gemacht und lokalisiert werden, indem ihr Signal bei Komplexbildung verstärkt wird. Die „long ncRNAs“ (lncRNA, > 200 Nukleotide) sind eine eigene Kategorie von epigenetisch relevanten RNAs; sie beteiligen sich an der Entscheidungsfindung, welche Introns gespleißt werden und welche nicht. Liegen mehrere Introns vor, kann es zu alternativem Spleißen kommen, d. h., nicht alle Introns müssen notwendigerweise entfernt werden. Dieser Prozess kann durch die lncRNA epigenetisch gesteuert werden, und zwar unterschiedlich in verschiedenen Zellen und Organismen. Durch diese gelockerte Stringenz bei der Umsetzung des genetischen Kodes ergibt sich eine Palette an Proteinvarianten mit unterschiedlichen Eigenschaften und mit unterschiedlicher intrazellulärer Lokalisation. Spleißvarianten sind z. B. von SNAREs, Ca2+-Freisetzungskanälen, Ca2+-ATPasen/Pumpen,
Ca2+-Bindeproteinen und vielen anderen Proteinen bekannt. Dies gilt in geringem Ausmaß auch für mono- und bikonte Protozoen wie Dictyostelium und Paramecium, die jeweils nahe an der Basis von höheren Tieren bzw. Pflanzen stehen. Am eindrucksvollsten ist die enorme Zahl an Spleißvarianten in dem neuronalen Zelladhäsionsmolekül DSCAM („Down syndrome cell adhesion molecule“). Über 2800 Spleißvarianten könnte es nach der Zahl an Introns theoretisch geben. Wie um die Mitte der 2010er-Jahre festgestellt wurde, werden davon allerdings nur wenige realisiert, und dies in verschiedener Zahl und Form in verschiedenen Organismen; aus unerfindlichen Gründen sind es wesentlich mehr bei Drosophila als bei Säugetieren (7 Abschn. 17.10.3). Die aufgezeigten Mechanismen sind beteiligt an der selektiven Expression verschiedener Proteine oder Protein-Isoformen in den jeweiligen Geweben bzw. Zelltypen und deren Entwicklungsstadien. Es ist dies ein neuer, kräftiger Impuls für die Entwicklungsbiologie und auch für die Biologie des Alterns. Interessant ist auch die Bewahrung epigenetischer Mechanismen über die Evolution, was aber nicht heißen muss, dass die Evolution von solchen Mechanismen getragen würde (unten). Immer wieder wird der ansatzweise Versuch, die Vererbung erworbener Eigenschaften im Sinne eines Lamarckismus durch die Hintertür der Epigenetik zu propagieren, expressis verbis zurückgewiesen. Diese Ablehnung scheint derzeit bei Biologen viel stringenter zu sein als bei Geisteswissenschaftlern (Soziologen und Psychologen). DNA-Methylierung als epigenetischen Mechanismus gibt es bereits bei Bakterien. Mit einiger Verzögerung wurden epigenetische Effekte auch an Mitochondrien berichtet. Noch 2018 wurde dieses Thema mit Fragezeichen betitelt, z. B. „New challenge: mitochondrial epigenetics?“. Indes weiß man von Mitochondrien, dass auch sie lncRNAs (long non-coding RNAs)
12.9 · Epigenetik – ein neues Feld der Zellbiologie
und außerdem mitomiRNAs (mito-microRNAs) von jeweils 20 bis über 30 Nukleotiden Länge produzieren. Ebenso wurde in den 2010er-Jahren die Methylierung von mtDNA sichergestellt. Es wird verschiedentlich angemahnt, das Zusammenspiel mit dem nukleären Genom ins Visier zu nehmen, denn das könnte sowohl für Mitochondriopathien als auch für die Stammzell- und Altersforschung von Belang sein. Einige der wesentlichen, auch zellbiologisch relevanten Aspekte der Epigenetik werden in folgenden rezenten, beispielhaft ausgewählten Übersichtsartikeln diskutiert: i) die Rolle von nichtkodierenden RNAs [Wei et al. (2017); 7 https://doi. org/10.3892/or.2016.5236], ii) der Effekt auf die Chromatinstruktur bzw. „Chromatinopathien“ [Di Fede et al. (2022); 7 https://doi.org/10.3389/fcell.2022.979512], iii) der Einfluss auf den Alterungsprozess [Sikder et al. (2022); 7 https://doi.org/10.3389/ fcell.2022.943519] und iv) die Zusammenhänge mit Krebsbildung und Krebstherapie [Lu et al. (2020); 7 https://molecular-cancer.biomedcentral.com/articles/10.1186/ s12943-020-01197-3].
12.9.1 Gibt es eine
transgenerationale Epigenetik?
Um die Antwort vorwegzunehmen: „Es gibt sie, es gibt sie nicht, es gibt sie vielleicht“, je nach dem zur Diskussion stehenden System und vielleicht auch, je nachdem, ob man als Biologe oder Psychologe auf das Problem Epigenetik eingeht. Es gibt sie jedoch sicher bei Ciliaten (7 Abschn. 12.9.2). Eine direkte Weitergabe von erworbenen Eigenschaften bei höheren Organismen im Sinne eines Neolamarckismus kann heute aufgrund der Datenlage von niemandem ernsthaft vertreten werden. In der Stalinära dagegen propagierte der Botaniker Iwan W. Mitchurin den Ein-
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fluss der Umwelt bzw. von aufgepfropften Reisern aus guten Obstbaumsorten auf die Folgegenerationen („Mentormethode“ für die Züchtung besserer Sorten). Sein Schüler Trofim Lyssenko avancierte zu Stalins Liebling als „Diktator der sowjetischen Biologie“, indem er über den Einfluss der Erziehung auf den neu zu formenden, idealen sowjetischen Bürger, Arbeiter und Soldaten ein irreales Ideal versprach. Ein besonderer Fall ist die „genomische Prägung“ „genomic“ oder („genetic imprinting“). Dies betrifft die Expression von Genen je nach Ursprung vom einen oder anderen Elternteil; es gibt also maternale oder paternale Ausprägung. Man muss einerseits bedenken, dass in den Spermien die Histone für besonders dichte Packung der DNA durch andere basische Proteine, die Protamine, ersetzt werden. Andererseits bringt eine Eizelle sehr viel vorgeformte RNAs, z. B. prä-mRNA, als „Aussteuer“ mit. Deren Topologie ist mittels In-situ-Hybridisierung analysierbar (7 Abschn. 6.11). Dazu kommen RNA-Bindeproteine, Regulatoren von Transkription und Translation einschließlich Transkriptionsfaktoren. Es lassen sich daher allein aufgrund wesentlicher Unterschiede zwischen Ei- und Samenzelle Unterschiede erwarten. Damit ist ein Expressionsmuster vorgegeben, dessen epigenetische Beeinflussbarkeit derzeit zur Debatte steht. Gilt das aber auch für eine eventuelle Übertragung epigenetischer Modifikationen in die nächste Generation („transgenerational epigenetic inheritance“, transgenerationale Epigenetik)? Abgesehen von potenziellen epigenetischen Mechanismen kann der Embryo jedenfalls auch direkt intrauterinem Stress oder anderen Faktoren ausgesetzt sein, deren Effekte nicht leicht von epigenetischen Effekten unterschieden werden könnten. Also: metabolische oder psychische Fehlleistungen bei Kindern von Eltern nach schweren Hungerperioden oder verhaltensgestörte Kinder von Kriegsopfern – läuft das automatisch auf
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
der epigenetischen Schiene? Dicke Kinder von überfütterten Eltern? Oder positiv gesehen: Klaviermusik für Feten? Die Vorstellungen dazu sind alt. Im Alten Testament, erstes Buch Moses, und in Thomas Manns Tetralogie „Joseph und seine Brüder“ lesen wir, wie Jakob seinen unbotmäßigen Dienstherrn und Schwiegervater Laban austrickste. Er erbat sich unter den neugeborenen Tieren die gefleckten Lämmer und Zicklein. Deren Anteil erhöhte er, indem er fleckig geschälte Äste von Bäumen in den Futtertrog legte, sobald die Böcke sich zur Paarung anschickten. Und er wurde reich… Ganz allgemein gilt die Frage nach einer Übertragung epigenetischer Modifikationen auf die nächste Generation beim Menschen als derzeit noch nicht definitiv entschieden; sie wird jedoch häufig pauschal abgelehnt. Daher erscheint es angebracht, mehrere Wortführer anzuhören. Allein der Titel der rezentesten kritischen Übersicht von S. D. van Otterdijk und K. B. Michels 2019 im FASEB Journal verrät die Unsicherheit: „Transgenerational epigenetic inheritance in mammals: How good is the evidence?“. Diese Unsicherheit wird bei Sichtung des Forschungsmaterials nicht aufgehoben. Sie stellen fest:
» … intrauterine exposure to environmental stressors (that) may affect establishment of the newly composing epigenetic patterns after fertilization. [48]
» [… der Umgebungsstress bei intrauteriner
Exposition könnte das neue epigenetische Muster nach der Befruchtung beeinflussen.]
Auch die negative Denkrichtung findet keine allgemeine Unterstützung. Ganz anders liest sich der oben zitierte Artikel von Z. H. Harvey et al. (2018) in der Zeitschrift Molecular Cell:
» Although most mechanisms of epigenetic inheritance permit robust transmission of phenotypes through mitotic cell divisions, their stability varies widely … Although
some recently discovered prion states have stabilities akin to those of histone modification …, many others are at least as mitotically stable as DNA methylation … In this regard, the heritability of prions differs substantially from other protein aggregates, which are often retained in mother cells. [45]
Die Autoren meinen also, die Weitergabe von epigenetischen Effekten gäbe es zwar, sie sei jedoch im Allgemeinen hochvariabel, außer bei den Prionproteinen. Im Allgemeinen dürfte bei Säugetieren die Reprogrammierung im Laufe der Keimzellenbildung die Weitergabe epigenetischer Modifikationen unterbinden, meint der Essener Humangenetiker B. Horsthemke (2018). Unter Soziologen und Psychologen dagegen scheint die transgenerationale Epigenetik eine tendenziell weitverbreitete Meinung zu sein. Eine maßgebliche Publikation, die in diese Richtung weist, ist die Analyse des Serotonin-Wiederaufnahmehemmers (vgl. 7 Abschn. 10.6) Fluoxetin an männlichen Zebrafischen, 2018 aus dem Labor des kanadischen Biologen V. L. Trudeau in den Proceedings of the Academy of Science USA publiziert [49]. Fluoxetin wird häufig Patientinnen gegen die schwangerschaftsbedingte Depression verschrieben, und es erreicht über die Plazenta auch den Feten. Wegen der experimentellen Komplikationen bei Amnioten (Reptilien, Vögel, Säugetiere) und noch mehr bei Plazentaliern (die meisten Säugetiere) wichen die Autoren auf den Zebrafisch aus. Beim Zebrafisch dauerten folgende Effekte über drei unbehandelte Folgegenerationen an: Reduktion des Cortisolspiegels (den die Psychologen allgemein als Stressindikator messen) und Veränderungen einzelner Synthesewege von Cortisol bei vermindertem explorativem Verhalten (wie bei Depression). Hier werden zelluläre Effekte mit systemischen Konsequenzen angesprochen. Allerdings ist die Serotonin-Wiederaufnahme ein ungelöstes Problem für sich (7 Abschn. 10.6).
12.9 · Epigenetik – ein neues Feld der Zellbiologie
Der Aspekt einer transgenerationalen Fixierung epigenetischer Effekte betrifft auch die wiederaufflammende Diskussion zum Thema „Vererbung erworbener Eigenschaften“, obwohl man unter Biologen allgemein von einem derartigen Neolamarckismus nichts wissen will. Zu Vererbung und Nichtvererbung epigenetischer Eigenschaften kennen wir jedoch zwei klar etablierte, sichere Beispiele: i) Ciliaten bzw. ii) die Honigbiene. Ganz klar auf eine Generation ist der epigenetische Effekt bei der Honigbiene beschränkt (die bei den Zoologen offiziell unter dem Namen Apis mellifera, bei anderen unter A. mellifica läuft („Honig-Trägerin“ bzw. „Honig-Macherin“). Wenn eine Larve mit Gelée royale gefüttert wird, entwickelt sie sich zur Königin und ist fortan nur noch mit Eierlegen beschäftigt. Der Münchner Biochemiker Heinz Rembold hat ab Mitte der 1950er-Jahre, zunächst als Doktorand von A. Butenandt, später mit einem eigenen Programm, dieses Vorzugsfutter untersucht. Er fand mittels chromatographischer Methoden im Endeffekt, dass man alle Komponenten bei Chemiefirmen kaufen kann, wie er sagte, um eine Königin zu küren. Kürzlich hat man bei der epigenetischen Determination zur Königin Histonmodifikationen gefunden. Ergänzend fand man dazu Methylierungsprozesse im Gehirn und im Fettkörper der Arbeiterinnen. Die Königin legt jedoch keine Königskinder-Eier, sondern solche für Arbeiterinnen (wie sie ohne Gelée royale selbst eine geworden wäre) und für Drohnen. Das legendäre Gelée royale enthält angeblich auch antivirale und bakterizide Komponenten und wird von Geschäftemachern gegen Altern, Stress und einiges mehr angepriesen. Völlig umgekehrt liegt der Fall bei Ciliaten wie Paramecium, von denen durchweg nur eine transgenerationale Epigenetik bekannt ist (7 Abschn. 12.9.2), dagegen bisher keine entsprechenden Phänomene durch Stressfaktoren erzielt werden konn-
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ten – es wurde allerdings auch nicht sonderlich sorgfältig danach gesucht. Die Vielzeller setzen auf Epigenetik besonders dort, wo es gilt, eine Invasion von Fremd-DNA in Form von Transposons zuverlässig zu vermeiden. Dazu gehören insbesondere die mitotische und meiotische Teilungsaktivität und die Bildung der Keimzellen. Diese Aspekte kamen ungefähr ab dem Jahr 2000 in den Fokus und bergen noch viele ungeklärte Details. Die Nomenklatur einiger Schlüsselmoleküle klingt exotisch und wurde von Mutationen abgeleitet, an denen die entsprechenden Entdeckungen in Tieren und Pflanzen gemacht wurden. Im Fokus stehen ARGONAUT-Proteine als Teil des RISC-Komplexes. ARGONAUT leitet sich vom Papierboot Argonauta argo (Octapoda, Cephalopoda [Kopffüßer, Tintenfische]) ab, nach dem die Mutation AGO1 bei der Pflanze Arabidopsis thaliana benannt wurde. RISC ist abgeleitet von „RNA-induced silencing complex“ (RNA-induzierte Hemmung der Genexpression). Dabei binden ARGONAUT-Proteine „kleine RNA“ (small RNA, sRNA) vom Typ siRNA (short interfering RNA) und miRNA (microRNA) und bewirken durch RNA-Interferenz (RNAi) eine Gen-Expressionshemmung („gene silencing“), die manchmal mit der Ausbildung von Heterochromatin verbunden ist. Dazu kommen PIWI-interagierende RNAs (piRNA), welche die Entwicklung von Zellen der Keimbahn mitkontrollieren. Das Akronym PIWI ist abgeleitet von einer Mutation bei der Taufliege Drosophila melanogaster (P-element induced wimpy testes = P-Element induzierte kümmerliche Hoden; P-Element ist ein bei der Taufliege gefundenes Transposon [!]). PIWI umfasst Proteine, die von Protozoen (Paramecium, Tetrahymena) über Caenorhabditis elegans bis zum Homo sapiens vorkommen, wo sie die Spermatogenese und die Entwicklung des Embryos kontrollieren; bei Ciliaten kontrollieren sie die Umstrukturierung
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
des Genoms vom generativen Mikro- zum vegetativen Makronukleus. Die Zahl von Genen für ARGONAUT/PIWI-Proteine liegt bei P. tetraurelia (nach mehrfacher Gesamtgenom-Duplikation) bei 15 und bei einem bei der Spalthefe (Schizosaccharomyces pombe, mit reduziertem Genom); 27 sind es bei C. elegans und acht bei verschiedenen Säugern. Bei Ciliaten sind sie – analog zu Soma und Keimbahn – in die Formung des Makronukleus aus dem Mikronukleus eingebunden, wobei „internal eliminated sequences“ (IES) herausgeschnitten werden, welche aus evolutiver Sicht von transposablen Elementen abstammen (7 Abschn. 12.9.2 und 18.4.1). Die Keimzellen „verteidigen“ daher die Authentizität ihres Genoms. So mögen sie es auch bei einer von manchen Forschern postulierten transgenerationalen Weitergabe von „Neuerungen“ halten. Unter Metazoen konnte allein bei C. elegans 2017 eine transgenerationale Epigenetik nachgewiesen werden, und zwar über bis zu 14 Generationen, wie eine spanische Gruppe (A. Klosin et al.) in der Zeitschrift Science zeigte [50]. Die eindrucksvollste Ausnahme sind Organismen wie die Ciliaten, bei denen eine transgenerationale Epigenetik in der Evolution quasi „institutionalisiert“ wurde. Die beteiligten Mechanismen unterstützen die althergebrachte Einordnung von Mikround Makronukleus als generative bzw. somatische Strukturäquivalente. Was die Spermatozoen von Säugetieren betrifft, so sollte man noch einmal genauer hinterfragen, ob sie nicht doch ein molekulares Instrumentarium für epigenetische Effekte haben könnten. Immerhin fand man in Zellen der Keimbahn, auch von Säugern, PIWI-Proteine (oben), die mit nichtproteinkodierenden RNAs interagieren. Im Detail wurde, ebenfalls in den 2010er-Jahren, in der Epididymis (Nebenhoden), wo die Spermatozoen ihren reifen Zustand erlangen, der Transfer von PIWI-interagierender RNA (piRNA) über kleine Vesikel registriert [51]. Somit könnte bei Spermatozoen von Säuge-
tieren doch ein „Schlupfloch“ für transgenerationale epigenetische Effekte vorhanden sein. Die Frage der transgenerationalen Epigenetik bei Säugetieren bleibt daher offen. 12.9.2 Ciliaten als Modelle für
Epigenetik
Der Ciliat Paramecium erlaubte frühzeitig, bereits ab den 1960er-Jahren, das Studium einer sogenannten cytoplasmatischen (nichtchromosomalen oder nichtmendelnden) Vererbung. Zunächst war es die Französin Janine Beisson, die nach ihren Beobachtungen epigenetischer Phänomene am Pilz Podospora anserina (7 Abschn. 12.9.4) in das Labor von Tracy M. Sonneborn an der Indiana University in Bloomington, USA, ging, um dort das gemeinsame Interesse an epigenetischen Phänomenen an Paramecium weiterzuverfolgen. Sonneborn hatte bereits ab 1950 den nichtmendelnden Charakter von Paarungsfaktoren („mating types“) und damit – im heutigen Fachjargon – deren epigenetische Kontrolle bei einem Teil der Paramecium-Spezies gefunden. (Andere Spezies zeigten normale „caryonidal inheritance“.) 1965 stellten Beisson und Sonneborn fest, dass auch das regelmäßige Oberflächenmuster der Paramecium-Zellen epigenetisch determiniert ist. Diese Arbeitsrichtung – neben anderen – interessierte Beisson fortdauernd. Im Nachlauf zu ihrer langjährigen Vorarbeit kam es ab etwa 1995 zu einem „groupement de recherche européen“ unter französischer Regiemit Schwerpunkt Genom-analyse, was dann zu einem „groupement international“ erweitert wurde; dieser Verbund konzentrierte sich ab etwa 2010 zunehmend auf Epigenetik. Eine Diskussion im Rahmen eines Kongresses 2016 ergab, dass von Paramecium bisher nur Beispiele von postgenerationaler Epigenetik bekannt sind, also epigenetische Kontrollmechanismen, die über Generationen weitergegeben werden.
12.9 · Epigenetik – ein neues Feld der Zellbiologie
Da derlei Befunde an Metazoen, insbesondere Säugetieren einschließlich Menschen, immer wieder sehr kritisch angegangen wurden, wurde Ciliaten als Systemen für Epigenetikforschung berechtigterweise großes Interesse zuteil. Der US-Amerikaner J. Frankel hat 1973 an sich teilenden Ciliaten vom Genus Euplotes beobachtet, dass die für Ciliaten charakteristische regelmäßige Oberflächentextur nach der Konjugation in einem der Exkonjuganten nicht immer korrekt abgeschnürt und an die betreffende Tochterzelle weitergegeben wird. (Die Konjugation ist eine Art Sex über den Austausch von Zellkernen.) Vielmehr kann einer der Exkonjuganten ein Stück des anderen Exkonjuganten in verkehrter Orientierung bei der Teilung mitnehmen. Diese Orientierung wird beim weiteren Wachstum beibehalten – ein weiteres Indiz für eine nichtchromosomale Festlegung des Oberflächenmusters dieser Zellen. Dazu kamen in den vergangenen 30 Jahren zahlreiche Arbeiten der Gruppe von J. Beisson und ihrer polnischen Kooperationspartner. In Deutschland konzentrieren sich Martin Simon (Wuppertal) und Estienne Swart (Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen) auf epigenetische Steuermechanismen bei P. tetraurelia. Hier erschiene es nun interessant, die Grundlage für den präzisen Nachbau vorgegebener Strukturen zur Folgegeneration zu entschlüsseln, sich die Art von nichtkodierenden RNA-Spezies genauer anzusehen, ebenso wie ihre Lokalisierung und jene der verschiedenen mRNAs. Könnte es hier distinkte Lokalisierungen geben, wie man dies für mRNAs von Eizellen bereits seit Langem kennt? Der Ciliat Stentor besitzt einen perlschnurartigen Zellkern und teilt sich quer zur Zelllängsachse. Die vordere und die hintere Hälfte lassen sich auch außerhalb der Teilung trennen, und sie können den jeweils fehlenden Teil regenerieren; dabei fand eine schwedische Gruppe 2018, dass in
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den beiden Hälften sehr unterschiedliche Gene aktiviert werden. Es sieht so aus, als ob hier differenziell exprimierte mRNAs eine Rolle spielten, mit einem Positionierungseffekt, den man sonst nur von Eizellen kennt. So könnte dieser Einzeller wohl als Modell für die Zellregeneration dienen. Auch in diesem Zusammenhang sollte die Epigenetikforschung an Ciliaten eine Zukunft haben. Eine weitere wichtige Entdeckung epigenetischer Phänomene bei Ciliaten war die folgende Beobachtung. Nach der Konjugation werden bei der Bildung eines neuen vegetativen Makronukleus aus dem generativen Mikronukleus spezifische Sequenzen herausgeschnitten. Es handelt sich dabei um die früher erwähnten, von den US-Amerikanern L. A. Klobutcher und G. Herrick 1995 entdeckten „internal eliminated sequences“ (IES, [52]). Der Eliminierung der IES-Sequenzen geht die Bindung von entsprechenden, im Mikronukleus produzierten „scan RNAs“ voraus, denn diese binden an die Genabschnitte der IESs im neuen MAC und leiten damit deren spezifische Elimination ein – eine klare epigenetische Kontrolle. Verändert man diese Schnittstellen, sodass die „Mustervorlage“ falsch ist, werden die IES auch nicht aus dem Genom des angehenden neuen Makronukleus herausgeschnitten. Damit wäre Spielmasse für die weitere Evolution verfügbar; dies wurde in einem seit Ende 2020 verfügbaren Vorabdruck einer französisch dominierten Studie mit deutscher Beteiligung (S. Krenek und Th. Berendonk, TU Dresden) konkretisiert, indem die selektive Retention einzelner IES-Abschnitte demonstriert werden konnte. Ursprünglich wurde dieser Mechanismus von Bakterien entwickelt, um sich gegen Infektionen mit Transposons zu schützen; jedenfalls sind dieselben molekularen Details zu beobachten, wie sie denn auch zur Entdeckung der IES und ihrer epigenetischen Handhabung geführt hatten.
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Kapitel 12 · Selbstreproduktion: Zellteilung, Krebs, Stammzellen und Epigenetik
12.9.3 Tatort Säugetiergehirn:
Epigenetik der Prionproteine
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Bereits die normale Form des Prionproteins, PrPc („cellular prion protein“), hat eine schwer fassbare Funktion; zur Diskussion stehen immer noch die Beteiligung an Zelladhäsion, Zellproliferation und Zelldifferenzierung. Deutlich auffälliger sind die Effekte einer Missfaltung von PrPc zu PrPsc, das nach der Traberkrankheit (Scrapie) von Schafen benannt ist. PrPsc ist eine epigenetisch gebildete, nichterbliche Konformationsvariante, die zur Degeneration des Gehirns, zu Gedächtnisverlust, zu unkoordinierten Bewegungen und schließlich zum Tod führt. Beim Menschen verursacht dies eine „neue Variante des Creutzfeldt-Jakob-Syndroms“, also Demenz, beim Rind spricht man vom Rinderwahnsinn. Welch tragische „Karriere“ eines GPI-Proteins! Eine frühe Vermutung zur Ursache kam von einer Tierärztin: Margit Herbst reklamierte (1994) die Verwendung von tierischen Abfällen als Futtermittel, auch wenn diese hoch erhitzt wurden, und schloss auf eine Übertragung auf den Menschen über die Nahrungskette. Dafür wurde sie entlassen und verklagt, wofür sie in wenigen Jahren jedoch dankbar rehabilitiert wurde. (Notizen am Rande: Der Koran verbietet, Tieren Nahrung zu geben, die nicht ihrer Natur entspricht. Entsprechende Bestimmungen scheint es im Judentum nicht zu geben.) Es war undenkbar, welche Temperaturen die missgefaltete Form des Prionproteins vom Typ PrPsc bei der Produktion von Futtermitteln aus Schlachtabfällen übersteht. In Großbritannien stiegen die BSE-Fälle ab 1987 dramatisch an, bis zu einem Maximum um 1992/1993. Intensive Forschungen, insbesondere des US-Amerikaners Stanley B. Prusiner, der ab 1982 beharrlich missgefaltetes Protein als Ursache vertrat [53], und des Schweizer Immunolo-
gen Adriano Aguzzi, ließen das Prionprotein bereits ab den 1980er-Jahren als pathogene Ursache erkennen. Dies erfolgt, sobald das Protein aus der normalen PrPcForm in die PrPsc fehlgefaltet wird. Die Patienten enden als „lebende Tote“ ohne Kontaktvermögen. Aguzzis Prognose für Großbritannien bei einem Vortrag zu der Zeit, als humane Infektionsfälle deutlich zunahmen, waren 380.000 Fälle pro Jahr, falls sich Forschung und Prophylaxe nicht als effizient erweisen sollten. Wo es verdächtige Tiere gab, wurden Herden gekeult und aus dem Nahrungszyklus von Tier und Mensch verbannt. Von der dramatischen Infektionsprognose blieben nur 500 pN bei Cilien des Seefrosches (Rana ridibunda) bzw. von Mytilus edulis (Miesmuschel). Die von den einzelnen Dyneinmolekülen erzeugten Kräfte wurden auf Werte zwischen 1 pN und 7 pN geschätzt. Die Daten wurden zumeist mittels AFM erhoben. Dasselbe gilt für spätere Messungen einer Gruppe aus Taiwan, die ähnliche Werte für humane und bovine Spermien erhielten [9]. Namenspate des Kartagener-Syndroms war der Züricher Mediziner Manes Kartagener, der 1933 folgende Merkmalkombination beschrieb: Unfruchtbarkeit wegen Akinese der Spermien und Anfälligkeit für Infektionen der oberen Atemwege durch fehlenden Schleimtransport. Die 1933 in den Beiträgen zur klinischen Tuberkulose erschienene Schlüsselarbeit trug den Titel: „Zur Pathogenese der Bronchiectasie bei einem Patienten mit Situs viscerum inversus.“ (Bronchiektasie = Ausweitung der größeren Lungenwege; „situs viscerum inversus“ = verkehrte Lage der Eingeweide). Daraus geht hervor, dass auch die inneren Organe nicht normal, sondern verdreht gelagert sind, dass also beispielsweise das Herz nicht „am rechten Fleck“, also links, sondern rechts positioniert ist. Zunächst wurden Mutationen in einem der für Dyneinkomponenten kodierenden Gene als Störungen bei der Cilienbiogenese ausgemacht. Allein bis zum Jahr 2000 waren 24 Gene als relevant für die Rechts-links-Asymmetrie beschrieben worden. Immer noch blieb das Rätsel der Rechts-links-Asymmetrie des Körpers mit Ursache im Cilienbau schwer zu deuten, bis Cilien an sich teilenden Zellen früher
e mbryonaler Entwicklungsstadien gefunden wurden, die sogenannten Primärcilien, eines pro Zelle. Leider hat es derjenige, der das Primärcilium wohl als Erster gesehen hatte, nicht ernst genommen und – in der ehrlichen Annahme, es sei ein Artefakt – wegretuschiert. (Weiteres zu sagen verbietet sich, zumal seinerzeit in bester, nachgerade panischer Absicht auf die Vermeidung von Artefakten in der Elektronenmikroskopie geachtet wurde. Es erinnert beinahe an die allseitigen politischen Verdächtigungen in der McCarthy-Ära in den 1950er-Jahren.) Bald wurde das 1993 entdeckte Nodal ins Spiel gebracht. Dieses Protein ist ein Mitglied der Familie der „transforming growth factors“, TGF-β, und als solches ein Schlüsselfaktor für die embryonale Entwicklung, auch für die Festlegung der Rechts-links-Körperachse. Dieses Signalmolekül ist mit einer komplexen intrazellulären Signalkaskade verbunden, und die Verteilung von TGF-β-Komponenten hängt von der Tätigkeit des Primärciliums ab, das auf diese Weise die Rechts-links-Asymmetrie bestimmt. Nach einer Übersicht in Nature Reviews Nephrology (2019) erfolgt die Signaltransduktion durch das Primärcilium über den „Hedgehog“-Signalweg mit einem G-Protein-gekoppelten Rezeptor (GPCR), in Wechselwirkung mit TGF-β [10]. Hedgehog (engl. Igel; Hh-Gen) bezieht sich auf das Erscheinungsbild von Drosophila-Larven mit Mutation des Hh-Gens, eines morphogenen Liganden, dessen Entdeckung der Deutschen Christiane Nüsslein-Volhard und dem US-Amerikaner Eric F. Wieschaus den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 1995 bescherte. WNT ist ein weiterer Signalweg. Komponenten der TGF-β-Signalkaskade können auch für die Entstehung von Krebs relevant sein. 2019 wurde Calaxin, ein Ca2+-bindendes dyneinassoziiertes Protein, als relevant für die Funktion des Primärciliums erkannt; Nullmutanten zeigen Bewegungsunfähigkeit (ciliäre Dyskinesie). Ein weiterer Krankheitskreis auf der Basis von hereditären Störungen von
14.2 · Störungen an Cilien und Flagellen – mit Folgen …
K omponenten des Cilien-/Flagellenapparats ist das 1925 etablierte Laurence-Moon-Biedl-Bardet-Syndrom, d erzeit als Bardet-Biedl-Syndrom bezeichnet, mit zahlreichen Unterteilungen. Es sind pleiotrope Störungen an vielen Organen, die über Jahrzehnte hinweg in Zusammenhang gebracht und letztendlich nach dem österreichischen Arzt Artur Biedl und dem französischen Arzt Georges Bardet benannt wurden. Nach ihnen ist auch das BBSom benannt, was man als Bardet-Biedl-Syndrom-Körper übersetzen könnte: Es ist ein Komplex, zu dem die Proteine BBS1 bis BBS19 gehören und der den intraciliären bzw. intraflagellären Transport von Proteinen über „Rafts“ (Flöße, Mikrodomänen) bewerkstelligt. Einige der Merkmale sind als Konsequenz ciliärer Störungen direkt verständlich: (i) Retinopathie aufgrund des defekten Transports von Komponenten des photosensitiven äußeren Teils der Sehzellen, der ja ein Cilienderivat darstellt, und (ii) gestörte Geruchswahrnehmung (Cilienepithel im Nasenraum). Andere Symptome wie Polydaktylie (Vielfingrigkeit) oder Syndaktylie (zusammengewachsene Finger), Kardiomyopathien (Herzmuskelstörungen), gastrointestinale Fibrose, verschiedene Störungen im Urogenitaltrakt etc. sind dagegen nicht so direkt verständlich. Letzteres galt zunächst auch für die polycystische Nierenkrankheit, zu der auch einzelne Formen des Bardet-Biedl-Syndroms gezählt werden, wenn BBS-Proteine betroffen sind. Es handelt sich also um eine polygen verursachte Krankheitsform, die speziell die Niere betrifft. Es ist ein klassisches Beispiel, was im Zellgeschehen alles schieflaufen kann: Allein die PKD-Gene (PKD = „polycystic kidney disease“), welche die PKD-Proteine PKD1 und PKD2 kodieren, können einer somatischen oder Keimbahnmutation unterliegen und aufgrund von Nonsense-, Frameshift-, In-frame- (im Leseraster-), Spleiß- und Missense-Mutationen an verschiedenen Stellen der Proteine die pathogenen Effekte auslösen. Der Zu-
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sammenhang wird verständlich, seit man weiß, dass PKD1, PKD2 und das Protein PKHD1 (Fibrocystin) an der Basis des Primärciliums lokalisiert sind, für dessen Biogenese sie offenbar relevant sind. Auch eine Anzahl von BBS-Proteinen kann am Bardet-Biedl-Syndrom beteiligt sein. Neben den BBSom-Komplexen gibt es in Cilien und Flagellen IFT-Komplexe aus ungefähr 22 Untereinheiten. Wie Q. Wang und Mitarbeiter 2018 beschreiben, dient IFT172 dem Transport von Vesikeln ab dem Golgi-Apparat zur Zellmembran [11]; IFT172 ist mit ≈ 200 kDa die größte unter den für die Cilienbiogenese essenziellen IFT-Untereinheiten. Die Vesikel werden an der Cilienbasis über konstitutive Exocytose in die Zellmembran nahe der Cilienbasis eingebaut und abhängig vom Motorprotein Kinesin-II weiter bis zur Cilienspitze transportiert. Bei Chlamydomonas haben G. J. Pazour und Mitarbeiter 2000 ein Gen namens IFT88 gefunden, das als ein Homologes zu Tg737 bei Säugetieren erkannt wurde [12], wo seine Mutation eine der vielen Ursachen der polycystischen Nierenkrankheit sein kann. IFT-Komponenten binden, wie 2012 am Nematoden Caenorhabditis gezeigt wurde, an den BBSom-Komplex und erreichen so die Cilienspitze, wo sie IFT-Recycling vermitteln. Es wurden immer weitere Ursachen von ciliären Störungen als Krankheitsursache bekannt. Ein Beispiel ist das Joubert-Syndrom, das mit vielfachen, auch neuronalen Störungen einhergeht. Den Ursprung in drei ciliären Proteinen ergab 2018 eine Analyse von Proteinen bei Tetrahymena thermophila durch die Gruppe des polnischstämmigen US-Molekularbiologen und Protozoologen Jacek Gaertig. Inzwischen wurde eine Datenbank eingerichtet, die nicht nur die Proteine der Cilien/Flagellen, sondern auch die pathologischen Entgleisungen berücksichtigt: 7 https://cildb.cgm.cnrs-gif.fr (von einer französisch-polnischen Gruppe) oder 7 www.sfu.ca/~leroux/ciliome_database.htm usw.
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
Ein Cilium von Säugetieren enthält über 600 Proteine, und bei Ciliaten werden es kaum weniger sein. Dennoch kann es nützlich sein, auf einfacher zu handhabende Modellsysteme zurückzugreifen. Um die Bedeutung verschiedener BBS-Proteine in immer mehr Details zu verstehen, griff die US-amerikanische Gruppe von Judy van Houten 2012 in Kooperation mit der französischen Gruppe von Janine Beisson auf das Modellsystem des Ciliaten Paramecium tetraurelia zurück. Sie kombinierten verschiedene Methoden der Molekularbiologie, wie Gene Silencing, Elektronenmikroskopie und Verhaltensanalysen [13]. Letztere bestanden in der Analyse des Schwimmverhaltens auf der Basis des elektrophysiologisch bekannten Hintergrunds (7 Abschn. 10.3.4). Sie fanden zehn Orthologe zu BBS-Proteinen der Säugetiere. Wurde die Expression reduziert, so zeigte sich für verschiedene BBS-Formen jeweils ein Verlust der Cilien oder eine Reduktion der Cilienlänge, oder aber der selektive Verlust einzelner Ionenkanäle bzw. eine Veränderung des entsprechenden Schwimmverhaltens. Im Rückblick fragt man sich, was der Unterschied zwischen Primärcilium, Cilienderivaten (wie Sehstäbchen) und motilen Cilien ist. Dazu haben Steven Kleene und Judith („Judy“) van Houten einen lesenswerten Übersichtsartikel in der Zeitschrift BioScience verfasst [14]. 14.3 Weitere genetische
Störungen durch Mutationen, Deletion oder Genverlängerung
Es gibt zahlreiche Beispiele von pathogenen Mutationen, Deletionen und Genverlängerungen („gene expansion diseases“). Die Folgen können sein: Enzymdefekte bei Stoffwechselkrankheiten, mechanische Schäden bei Störungen cytoskelettaler oder skelettaler Elemente, neuronale Defekte
verschiedener Art und einiges mehr. Zu bedenken ist auch, dass viele Syndrome durch Störungen verschiedener Gene verursacht werden können (polygene Ätiologie). Ein überzeugendes Beispiel hierfür liefert die Innenohrschwerhörigkeit. Hier wurden über die Jahrzehnte Defekte in der Aktinpolymerisation, an Myosin, in Gap Junctions, an Protonenpumpen, an Lipiden der Zellmembran und im Gangliosidstoffwechsel ausgemacht. 14.3.1 Mutationen in Hämoglobin,
Glykogenstoffwechel und Muskeldystrophie
Ab Mitte des letzten Jahrhunderts wurden zahlreiche Mutationen von Hämoglobin beschrieben, die zunehmend auf distinkte Genorte zurückgeführt werden konnten. Zeitweise gab es beinahe jede Woche einen derartigen Bericht. Man verwendete oft die Namen von Städten, in denen sie gefunden wurden, z. B. HBV-Baltimore etc., wobei HBV für Hämoglobinvariante steht. Die meisten dieser Mutationen waren irrelevant – ganz im Gegensatz zu den bereits vorher entdeckten Mutationen der Sichelzellenanämie und der Thalassämie („Θάλαττα, thalatta“ = Meer; „αἷμα, haima“ = Blut), die ihren Namen 1932 erhielt. Nach der Region mit höchster Endemie und längster Bekanntheit, der Mittelmeerregion, wurde sie entsprechend auch als Mittelmeeranämie bezeichnet. Eine schwere Form wurde erstmals 1925 von dem US-Pädiater T. B. Cooley beschrieben [15]. Seitdem wurden vielerlei genetisch bedingte Abweichungen von der normalen Struktur des Hämoglobins bzw. seiner vier Ketten (2α2β) im tetrameren Hämoglobinmolekül beschrieben. Thalassämien gehen mit aberrantem Eisenstoffwechsel, Anämie („Blutarmut“), Leistungsminderung und Atemnot einher. Je nach Schwere der Krankheit unterscheidet man z wischen
14.3 · Weitere genetische Störungen durch Mutationen …
Thalassaemia (T.) minor und T. major. (Der US-amerikanische Biochemiker und doppelte Nobelpreisträger [1954 Chemie, 1962 Frieden] Linus Pauling prägte hierfür den Terminus „molekulare Krankheiten“.) Die in früheren Abschnitten und in 7 Abschn. 3.3 angesprochene Sichelzellenanämie ist homozygot letal, heterozygot bereitet sie ebenfalls einige Schwierigkeiten (Verstopfung von Blutgefäßen, Schmerzen und Organschäden), schützt jedoch gegen Malaria. Als Therapie bei Hämoglobinopathien wurden bisher die Blutstammzellen der Patienten regelmäßig gegen gesunde ausgetauscht. Es gibt auch Versuche, die defekten Gene über die CRISPR/Cas9-Methode molekularbiologisch zu reparieren, und 2019 ging eine vorläufige Erfolgsmeldung durch die Presse. Ebenfalls über Jahrzehnte wurden verschiedene Störungen des Glykogenstoffwechsels gefunden (Glykogenosen [16]), wie die defekte Aktivierung von Glukose über Glukose-6-phosphat (Van-Gierke-Syndrom) oder ein Defekt im „debranching enzyme“/ Verzweigungsenzym (Cori-Syndrom). Derartige Glykogenosen gehen mit schweren Krämpfen bereits bei geringer Belastung einher. Sie wurden bereits ab den 1920er-Jahren erkannt und teilweise beschrieben. Auch viele der Varianten der Muskeldystrophie (Muskelschwund) gehen auf Mutationen verschiedener Art zurück. Dutzende von verschiedenen Proteinen des quergestreiften Muskels sind durch jahrzehntelange Forschung als Ursache ausfindig gemacht worden, von integralen oder assoziierten Membranproteinen und Proteinen der extrazellulären Matrix bis zu Proteinen des kontraktilen Apparats. Auch eine gestörte O-Glykosylierung kann im Spiel sein. Die Duchenne-Muskeldystrophie, die häufigste und lehrbuchmäßig bekannteste, wurde in den 1860er-Jahren von dem französischen Arzt Guillaume B. A. Duchenne beschrieben [17]. (Er war zusammen mit E. du Bois-Reymond [Abschn. 2.4 und 10.3.2] einer der ersten, der elektro-
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physiologische Untersuchungen durchführte.) Diese Form der Muskelschwäche beruht auf Deletionen im Gen für Dystrophin, welches das größte proteinkodierende Gen des Menschen (und vielleicht generell) ist, jedoch zum weit überwiegenden Teil (>99,5 %) aus Introns besteht. (Unser größtes Protein ist mit 3,6 MDa [Megadalton] das Titin der quergestreifen Muskelzellen, deren Elastizität und Stabilität es gewährleistet.) Dystrophin als Komplex mit Dystroglykan unterlagert das Sarkolemm, das es auf diese Weise verstärkt. Mutationen schwächen die intrazelluläre Anbindung des kontraktilen Aktomyosinapparats. Dieses an sich negative Merkmal mögen wohl, auf der Basis vorwissenschaftlicher Beobachtungen, neolithische Schweinezüchter selektiert haben, um zartes Fleisch zu erhalten. In gewisser Weise, um mit Konrad Lorenz zu sprechen, ist dies ein wörtlich zu nehmendes Analogon zur „Verhausschweinung“, wie es Lorenz auf zivilisatorisch abgestumpftes menschliches Verhalten gemünzt hatte. 14.3.2 Mutationen im
Bindegewebe
Sind Proteine extrazellulärer elastischer Bindegewebsfasern vom Typ Fibrillin gestört, wie in den Kapillarwänden und den Gelenken, so kann dies zu Aneurysmen oder Überdehnung der Gelenke führen („ἀνεύρυσμα, aneúrysma“ = Aufweitung, Erweiterung). Aneurysmen können das spontane Platzen von Blutgefäßen, schlimmstenfalls mit schneller innerer Verblutung auslösen. Ähnliche Störungen sind auch am Marfan-Syndrom beteiligt. Die Veränderung der extrazellulären Fibrillen bewirkt eine Überdehnung der Gelenke. So mag es sein, dass der angeblich virtuoseste Geiger aller Zeiten, Niccolò Paganini, seine übermäßige Fingerfertigkeit dem Marfan-Syndrom schuldete (was manche bestreiten). Als
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
Konsequenz aus den mutmaßlichen Störungen starb er an einer inneren Hämorrhagie (Verblutung, vielleicht durch ein Aneurysma). Zwar wurde Paganini 1827 von Papst Leo XII. geehrt, jedoch vermutete die katholische Kirche zu Genua bei seinem Tode 1840 wegen seiner überwältigenden Geigerkunst, er sei mit dem Teufel im Bunde gewesen, und verweigerte ihm ein kirchliches Begräbnis. Erst nach einem halben Jahrhundert, 1896, hat der französische Kinderarzt A. Marfan das nach ihm benannte Syndrom klar umrissen. Beim Ehlers-Danlos-Syndrom ist das Kollagen fragmentiert oder nicht richtig gebündelt und die Kollagenschicht der Haut (Corium, Lederhaut) übermäßig dehnbar. (So hörte ich als Kind von alten Dorfbewohnern nicht ohne Bewunderung, es habe einen Mann gegeben, der sich mit der Bauchhaut schneuzen konnte.) Bereits in den 1890er-Jahren wurde die Krankheit histologisch bearbeitet und 1901 allgemein verbindlich als Cutis laxa (schlaffe Haut) wissenschaftlich definiert. Dem folgten elektronenmikroskopische Untersuchungen ab
Mitte des vorigen Jahrhunderts [18]. Auch hier können häufige Blutungen auftreten, wie dies bereits der griechische Arzt Hippokrates von der Insel Kos um 400 v. Chr. beschrieben hatte. Im Elektronenmikroskop sieht man statt der straffen Kollagenfibrillen und -fasern gekringelte Fragmente oder mehr oder weniger wirr angeordnete Kollagenfibrillen (. Abb. 14.2). Eine ähnliche Störung liegt der Glasknochenkrankheit (Osteogenesis imperfecta) zugrunde, die jedoch spezifisch die Kombination von Kollagen-Isoformen von Knochen betrifft. Diese Patienten brechen sich bereits aus relativ geringem Anlass die Knochen. Berühmtes Beispiel ist der kleinwüchsige Jazzpianist Michel Petrucciani († 1999), der Hunderte Knochenbrüche erlebte. Erläuternd sei angemerkt, dass sich normales Kollagen aus fibrillären Einheiten einer Kombination von drei gleichen oder unterschiedlichen Isoformen aufbaut. Dabei wird die Aminosäure Prolin hydroxyliert, was seinerseits zur kovalenten Verbindung von Monomeren und damit zur Stabilisierung der Kollagenfibrillen führt. Die Hy-
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. Abb. 14.2 Beispiel einer molekularen Bindegewebskrankheit: die Ehlers-Danlos-Krankheit unter dem Raster-Elektronenmikroskop. In der freipräparierten Dermis (Corium = Lederhaut) von Patienten mit Ehlers-Danlos-Syndrom (a, b, d, e) imponiert die wirre Anordnung von Kollagenbündeln – im Gegensatz zu jener normaler Menschen (c, f). (Der deutsche Name Lederhaut weist auf die Verwendung zur Lederproduktion hin.) (Quelle: [18])
14.3 · Weitere genetische Störungen durch Mutationen …
droxylierung von Prolin benötigt Vitamin C (Ascorbinsäure); mangelt es an diesem, so entsteht Skorbut. Dies war lange Zeit ein Hindernis bei transozeanischen Entdeckungsreisen, bis Captain James Cook Sauerkraut an Bord nahm. Sein Schiffsarzt Dr. Monkhouse hatte jedoch diesen einen Posten einfach von der Proviantliste gestrichen: „Ich hielt es für einen Irrtum, Sir“, rechtfertigte sich Monkhouse bei Cooks Inspektion, „kein englischer Seemann isst deutsches Sauerkraut“ [19] – wurde es doch noch vor wenigen Jahren aus Anlass der Eröffnung eines Gourmetrestaurants in der New York Times als Ethnofood der „Krauts“ verunglimpft. Cooks unbeirrte, kluge Antwort: „Meine Matrosen werden Sauerkraut essen und täglich einen Schluck Zitronensaft trinken.“ Damit war der Skorbut besiegt, die Entdeckungen konnten ihren Lauf nehmen und das British Empire konnte zu einem Weltreich expandieren – dank Sauerkraut. Skorbut war schon im Alten Ägypten vor dreieinhalb Jahrtausenden bekannt, ebenso dem Griechen Hippokrates. Der Zusammenhang mit der Ernährung wurde Mitte des 18. Jahrhunderts von Cooks Zeitgenossen, dem britischen Schiffsarzt James Lind, erkannt. Der Mechanismus von Vitamin C wurde erst 1932 vom ungarischstämmigen US-amerikanischen Biochemiker und Mediziner Andrew G. Szent-Györgyi aufgeklärt, wofür er 1937 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zugesprochen bekam. 14.3.3 Störungen im
Aktinfilamentsystem
Störungen ergeben sich auch aus Mutationen, welche die Assemblierung von Aktinfilamenten beeinflussen, besonders in den amöboid beweglichen Zellen. Das bekannteste Beispiel ist das Wiskott-Aldrich-Syndrom, das nach den in den 1950er-Jahren tätigen Pädiatern A. Wiskott (Deutschland) und R. A. Aldrich (USA) benannt ist. Hier ist das nach diesem Syndrom benannte Pro-
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tein WASP betroffen, sodass die für die Immunabwehr zuständigen Zellen nicht mobilisiert werden können. WASP ist eine RhoTyp-GTPase, die über das Adaptorprotein Arp2/3 die Bildung von Aktinfilamenten fördert. (Es handelt sich um einen evolutiv konservierten Mechanismus, der bereits bei der Myxamöbe Dictyostelium vorkommt.) Der US-Amerikaner J. M. Derry hat 1994 das betreffende Gen isoliert, und in den darauffolgenden zwei Jahren wurde der Zusammenhang zwischen Mutationen und Funktion ermittelt [20]. Den betroffenen Kindern müssen zur Vorbeugung gegen opportunistische Infektionen Antibiotika verabreicht werden, damit sie die kritischste frühkindliche Zeit überhaupt überleben können. Die Transplantation von genetisch modifizierten Stammzellen erwies sich in den letzten Jahren als problematisch. Nach wie vor erreichen die Kinder kaum das zehnte Lebensjahr. Die andere Seite der Medaille ist, dass die Erkenntnisse zu WASP das Verständnis des Prozesses der Aktinpolymerisation, insbesondere bei der amöboiden Bewegung und der Phagocytose, eben auch von Immunzellen, entscheidend gefördert hat. Dazu gesellte sich das Protein SCAR, das 1998 von J. E. Bear bei Dictyostelium erstmals beschrieben wurde. Es ist von Protozoen bis zum Menschen konserviert und kann nach molekularbiologischen Analysen von D. M. Veltman 2012 den Effekt von WASP aufheben. Die entsprechenden Arbeiten wurden im Journal of Cell Science bzw. im Journal of Cell Biology publiziert – beides nicht gerade die schlechtesten Adressen für Arbeiten mit Protozoen. 14.3.4 „Konformationskrank
heiten“ und Störungen in der Sauerstoffentgiftung – ALS
Fehlerhafte Faltung (Konformation) eines Proteins kann „Konformationskrankhei-
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
ten“ verursachen. Ein Beispiel, die cystische Fibrose oder Mukoviszidose, betrifft den Chloridkanal und wurde bereits in 7 Abschn. 5.4.3 erläutert. Hier führt die fehlerhafte Faltung des 1990 von dem Deutschen T. J. Jentsch klonierten Kanals [21] zum Abbau des Proteins. Dagegen resultiert die fehlerhafte Faltung des Ca2+-Freisetzungskanals vom Typ eines Ryanodinrezeptors (7 Abschn. 10.1) in maligner Hyperthermie: Unter dem Einfluss volatiler Anästhetika (z. B. Halothan) kann bei betroffenen Patienten die Körpertemperatur um ca. 1 °C pro Minute ansteigen; wird nicht sofort ein Antidot wie Dantrolen (Kanalinhibitor) gespritzt, kann das rasch lebensgefährlich werden. Allerdings versichern einem die Anästhesisten, dass diese Situation in der Anamnese abgeklärt wird und extrem selten vorkommt. Superoxid-Dismutasen tragen sowohl in Mitochondrien als auch im Cytosol zur Entgiftung von reaktivem Sauerstoff bei. Als Folge defekter Superoxid-Dismutase-Aktivität kommt es zur amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Diese involviert die Degeneration von Neuronen und vielleicht auch von Gliazellen, mit der Konsequenz schwerer Bewegungsstörungen. Das ALS-Syndrom wurde durch den Fall des herausragenden Astrophysikers Stephen Hawkings bekannt, Nachfolger von Isaac Newton auf dem Lehrstuhl für Mathematik an der University of Cambridge (GB). Er ist 2018 im relativ beträchtlichen Alter von 76 Jahren verstorben. Allerdings stellte sich in den 1990er-Jahren heraus, dass nur etwa 20 % der ALS-Patienten eine Mutation in einem der Superoxid-Dismutase-Gene aufweisen. Als weitere Ursachen wurden Veränderungen an Genen gefunden, die für die RNA-Regulation verantwortlich sind, sowie Mutationen in einem Genabschnitt namens C9ORF72 (Chromosom 9-open reading frame-72) mit einer übermäßigen Vervielfachung von repetitiven Abschnitten. Abgesehen von der mangelnden Enzymaktivität wird auch die Agg-
regation des defekten Proteins, unabhängig von dessen Aktivität, als Ursache von ALS diskutiert (Amyloidbildung). All dies kann zu einem Syndrom mit ähnlichen Folgen führen. Das Beispiel zeigt ein weiteres Mal, dass bestimmte Syndrome durch multigene Störungen verursacht sein können (polygene Ätiologie), die mit weitgehend ähnlichen Folgen einhergehen [22]. 14.3.5 Genexpansion
Krankheiten können auch durch Triplett-Repeats, also durch ungewöhnlich lange Abschnitte mit identischen Tripletts in der DNA des entsprechenden Gens bzw. mit Verlängerung des carboxyterminalen Ende des Translationsprodukts, verursacht werden („gene expansion diseases“). Hier wird als eine Ursache ein Defekt in der DNA-Reparatur angenommen. Ein Beispiel ist der Poly-Glutaminschwanz bei der Huntington-Krankheit. Das Huntington-Syndrom, auch Morbus Huntington oder Chorea Huntington genannt, ist bedingt durch eine genetische Störung des Huntington-Gens, die mit unwillkürlichen Bewegungen der Gliedmaßen, zunehmenden psychischen Veränderungen und Demenz einhergeht. Der Name ist dem Erstbeschreiber dieser Merkmalskombination, dem US-amerikanischen Arzt George S. Huntington, 1872, geschuldet. Eine pränatale Diagnostik ist seit 1993 möglich. Aber auch beinahe 150 Jahre nach der Erstbeschreibung ist eine kausale Therapie immer noch nicht möglich: „Prognose infaust“; allerdings kann das fatale Ende in unterschiedlichem Alter einsetzen. In diesem Sinne hat 1993 ein Autorenkonsortium in der Zeitschrift Cell berichtet [23]. Betroffene Personen haben mit diesem Damoklesschwert zu leben. Über die beträchtliche Zahl von „repeat expansion diseases“ (Krankheiten durch repetitive DNA-Verlängerung) erstellte H. Paulson 2018 eine Übersicht mit dem Fokus auf neurolo-
14.3 · Weitere genetische Störungen durch Mutationen …
gische Störungen [24]. Die Störung wird wahrscheinlich erst dadurch pathogen, dass die Zelle versucht, die DNA zu reparieren [25]: Krankheit durch Heilungsversuch. Die Zelle kennt nicht das alte Prinzip des Hippokrates: „primum non nocere“ („vor allem nicht schaden“). Die progressiven neurodegenerativen Störungen und unkoordinierten Bewegungen (Chorea = Tanz) haben die Vorstellungen einfacher Menschen provoziert. Früher einmal meinte man, dass dies auch beim Biss einer Tarantelspinne aufträte – so wenigstens der süditalienische Volksglaube. Wie auch immer: Am Südende des italienischen Stiefels wurde als „Heilmittel“ der Taranteltanz erfunden: der Volkstanz Tarantella, benannt nach der Stadt Taranto. Nach manchen Berichten betraf der „Tarantismus“ meistens Frauen, denen man ungeliebte Ehemänner zugemutet hatte. Man ließ sie bis zur Erschöpfung tanzen, bis das „Unheil“ ausgeschwitzt war – hier waren wohl Freud‘sche Ideen der Tiefenpsychologie im Spiel. Nach manchen Berichten jedoch wurden die Betroffenen bis zum Hals ins Erdreich eingebuddelt, mit dem „Erfolg“, dass die Zwangsbewegungen aufhörten; die „Helfer“ tanzten um das Opfer herum – und wünschten dauerhafte Genesung. Es waren dies Versuche einer vorwissenschaftlichen Erklärung auf volkstümlich-mystische Art bei fehlenden biologischen Kenntnissen (Eine wissenschaftliche Erklärung befindet sich in 7 Abschn. 14.10.2) Abgesehen davon hat es uns wunderschöne Tarantellatänze in der Musikgeschichte beschert: von Rossini, Schubert, Chopin und anderen bis zum neapolitanischen Volkslied Funicolì-Funicolà… 14.3.6 Lysosomal bedingte
Krankheiten
Aberrante posttranslationale Modifikationen wurden ebenfalls als Ursache von Krankheiten nachgewiesen. Diese Ursache betrifft die Verteilung von einigen lyso-
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14
somalen Enzymen ab dem Golgi-Apparat. Dieser Weg kann verfehlt werden, wenn Enzyme nicht am C6-Atom eines Glykosylierungsrestes phosphoryliert werden. Dies betrifft die Phosphorylierung eines Mannoserestes zu Mannose-6-phosphat (M6P) als zielgebende posttranslationale Modifikation [26]. Der Fehler liegt dann an einer mutierten Mannosyltransferase. Der Defekt kann aber auch an einem defekten M6P-Rezeptor liegen. In beiden Fällen wird die lysosomale Hydrolase nicht vom Golgi-Apparat an die Lysosomen weitergegeben (7 Abschn. 9.4.3). Lysosomen reichern dann Substanzen und Strukturen an, die sie normalerweise abbauen würden. Man könnte als Metapher sagen: Entweder ist die Adresse für die Zustellung fehlerhaft, oder der Postbote ist fußkrank. Der M6P-Rezeptor führt zur Bindung von Clathrin an der trans-Seite des Golgi-Apparats und ist so für das Abknospen von lysosomalen Transportvesikeln verantwortlich [27]. Beispielsweise kann bei der 1967 erstmals beschriebenen „I-Zell-Krankheit“ („I-cell disease“, I steht für „inclusion“) die M6P-Markierung fehlen [28]. Diese Erbkrankheit geht mit der Anreicherung von Mukolipiden in Lysosomen einher (Mukopolysaccharidose), ähnlich wie beim Hurler-Syndrom, bei dem ebenfalls Mukopolysaccharide betroffen sind. Weitere Beispiele sind die Tay-Sachs- und die Gaucher-Krankheit sowie die Sandhoff-Krankheit mit lysosomaler Speicherung anderer Lipidkomponenten (Glykolipide, sogenannte Ganglioside; . Abb. 14.3). Beim Niemann-Pick-Syndrom werden Sphingomyeline (Lipidkomponenten) gespeichert. Der deutsche Biochemiker Konrad Sandhoff beispielsweise hat die nach ihm benannte Krankheit als „infantile amaurotic idiocy“ beschrieben, molekular erklärt und gegen andere Lipidosen abgegrenzt [29]; die ursprüngliche Bezeichnung der Sandhoff-Krankheit spiegelt die Folge des genetischen Schadens in Form von Blindheit („ᾰ̓μαύρωσῐς = amaúrōsis“) und m entaler
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
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. Abb. 14.3 Beispiel einer lysosomalen Speicherkrankheit: die Sandhoff-Krankheit im elektronenmikroskopischen Bild (Ultradünnschsnitt). Die gezeigten Beispiele (a) in einem corticalen Neuron und (b) in einem Makrophagen beruhen auf dem Fehlen eines wirksamen lysosomalen Enzyms, der Hexosaminidase. Typisch für diese Speicherkrankheit ist die Anreicherung von Lipidschichten zumeist in radiär angeordneten konzentrischen Aggregaten, manchmal mit weniger Regularität (im Original mit großem Pfeil markiert) oder in flachen lamellaren Schichten (kleiner Pfeil). Hierbei werden Ganglioside der Zellmembran, die insbesondere in Neuronen sehr häufig sind, nicht dem normalen Turnover bzw. Abbau unterzogen, sondern mit pathologischen Folgen angereichert. (Quelle: [69])
Störung wider. Sandhoff gehört zu den zahlreichen in der medizinischen Biochemie bzw. Zellbiologie Deutschlands herausragenden Persönlichkeiten meiner Generation. So gibt es eine Palette von lysosomalen Speicherkrankheiten, die durchaus noch
andere Ursachen haben können. Alle lysosomalen Speicherkrankheiten können für die betroffenen Kinder stark schädigend sein, bis hin zur Letalität. So verwundert es nicht, dass ein Kinderarzt federführend wurde: In einem sehr ausführlichen Artikel brachte der US-Amerikaner William
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S. Sly[26] die Thematik 1982 im Journal of Cellular Biochemistry auf den Punkt. Sly und andere haben auch intensiv die Möglichkeit untersucht, lysosomale Enzyme von außen in die Zelle einzubringen und so das Defizit zu kompensieren (lysosomale Enzymersatztherapie). In Deutschland hatten sich der Zellbiologe K. von Figura und der bereits erwähnte Biochemiker Konrad Sandhoff auf diese spezielle Forschungsrichtung konzentriert. Insgesamt hat nicht nur die Medizin, sondern auch die zellbiologische Forschung sehr von den beschriebenen Defekten profitiert, weil sie Einsichten in die physiologischen Prozessabläufe erbrachten. Hier hat die Zellbiologie in den vergangenen Jahrzehnten praktische Konsequenzen eröffnet, weil fallweise exogene Enzyme als Ersatz eingeschleust werden können. Für eine solche Substitutionstherapie benötigt man isolierte oder gentechnisch hergestellte lysosomale Enzyme (allerdings mit Zielgebungssequenz), die über Bindung an Rezeptoren der Zelloberfläche, wo derlei Rezeptoren in beschränktem Maße vorkommen, endocytiert werden können. Für das in den USA „enzyme-replacement therapy“ genannte Verfahren steht derzeit eine beschränkte Auswahl an rekombinanten lysosomalen Enzymen zur Verfügung. Dies gilt für den Morbus Gaucher, die häufigste lysosomale Erbkrankheit, die den Abbau zuckerhaltiger Fettstoffe betrifft (Glukocerebroside). Bereits ab 1974 wurde an lysosomalen Enzymersatztherapien gearbeitet. Jedoch erst 1991, ebenfalls nach einer Publikation im New England Journal of Medicine, wurde von der U.S. Food and Drug Administration die Zulassung erteilt. 2017 waren für die 50 bis 60 bekannten lysosomalen Hydrolasen des Menschen nur acht für dieses Verfahren zugänglich. Wie langsam sich Erfolge einstellen, zeigt auch ein Aufruf dieser Behörde, zusammen mit dem U.S. Department of Health and Human Services, im Jahre 2018 mit dem sper-
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rigen Titel: „Slowly progressive, low-prevalence rare diseases with substrate deposition that results from single enzyme defects: Providing evidence of effectiveness for replacement or corrective therapies guidance for industry“. Der Titel bringt kaum zum Ausdruck, dass sich pharmazeutische Firmen nicht leicht für Therapeutika mit geringem Umsatz begeistern lassen.
14.3.7 Störungen der Kernlamina
(Progerie) und das Phänomen des Alterns
Zwar ist das Altern eines Organismus ein normaler Prozess, der bei Zellen anfängt und stetig fortschreitet. Doch es gibt Formen des vorzeitigen Alterns (Progerie; „πρό, pró“ = vor; „γήρας, géras“ = Alterung) als Erbkrankheit, die den Zellbiologen wichtige Einsichten in den physiologischen Alterungsprozess vermittelt haben. Die Progeria infantilis (Hutchinson-Gilford-Syndrom) geht mit einer fünf- bis zehnmal schnelleren Alterung als normal sowie einer Reihe von körperlichen Anomalien einher; die betroffenen Kinder erreichen nicht die Geschlechtsreife. Die Zellkerne sind stark deformiert, weil die Kernlamina, die der Kernmembran innenseitig als Stütze angelagert ist (7 Abschn. 6.4), nicht richtig ausgebildet wird. (Die Lamina ist nicht nur eine mechanische Stütze, sondern sie ist funktionell wichtig für die Anheftung von Chromosomen, abgesehen von ihrer Rolle bei der Neubildung der Kernumhüllung nach der Zellteilung.) Detaillierte Analysen eines US-amerikanischen Teams, 2003 in der Zeitschrift Nature publiziert, offenbarten eine Reihe von Mutationen im Gen für Lamin A [30]. (NB: Lamine sind Komponenten der Kernhülle, Laminine dagegen sind Bestandteile der extrazellulären Matrix.) Die Autoren stellten fest:
Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
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» The discovery of
the molecular basis of this disease may shed light on the general phenomenon of human aging.
» [Die Entdeckung der molekularen Grundlage dieser Krankheit könnte Licht in das Phänomen des Alterns bringen.]
Die Progeria adultorum (Werner-Syndrom) tritt besonders in Japan vermehrt auf und beruht auf anderen Mutationen, hauptsächlich in einer DNA-Helicase Typ RecQ, die für die Integrität der DNA wichtig ist. Dagegen gibt es noch eine atypische Form der adulten Progerie, bei der wiederum Lamine betroffen sind. Im normalen Alterungsprozess ist die Verkürzung der Telomere ein wichtiger Aspekt (7 Abschn. 6.8.2). 2018 meldete LIDSEN Pulishing Inc. die klinische Relevanz, indem zunehmend an den klinischen Einsatz gedacht wird [31]:
» …
we have the nascent ability to treat disease by extending telomeres and thereby resetting gene expression … The experimental results in animal studies have been remarkable and FDA (Food and Drug Administration) human trials are planned.
» [Wir sind zunehmend in der Lage, Krank14
heiten durch die Verlängerung von Telomeren zu behandeln und dabei die Genexpression wieder auf normal zu setzen. Die experimentellen Ergebnisse aus Tierversuchen waren beachtlich, und FDA-unterstützte Versuche am Menschen sind geplant.]
Pharmafirmen bieten „Assay Kits“ zur Messung der Telomerlänge an. Mit einer Fallhäufigkeit von ca. 1:4.000.000 in der Gesamtpopulation dürfte die infantile Progerie wohl eine der seltensten molekularen Erkrankungen sein. Auch die adulte Progerie ist mit einer Häufigkeit von 1:1.000.000 sehr selten. Vergleichsweise wird die Häufigkeit des Fragiles-X-Syndroms mit ca. 1:1000 angege-
ben. Nur das Huntington-Syndrom reicht mit drei bis sieben pro 100.000 Menschen in Europa an die adulte Progerie heran, wohingegen diese Erbkrankheit bei Japanern, Chinesen und Afrikanern deutlich seltener ist. Die Häufigkeit dieser Erbkrankheiten ist also vergleichsweise geringer als bei der infantilen Progerie, aber es gibt ethnische Unterschiede in der Häufigkeit. 14.3.8 Zell-Zell-Verbindungen
Es gibt eine große Zahl an pathologischen Störungen im Bereich der Zell-Zell-Verbindungen, deren Erforschung wesentlich zum Verständnis von Bau und Funktion der molekularen Komponenten geführt hat (7 Abschn. 5.5). Es können innere Organe, vom Herz bis zu den Eingeweiden, aber besonders auch die Haut als Körperhülle und Eintrittspforte für pathogene Bakterien betroffen sein. Eine Übersicht bietet ein Spezialheft von Cell and Tissue Research, 2015 [32]. Nachfolgend kann nur eine kleine Auswahl aus der großen Vielfalt an Störungen angesprochen werden. Die Situation ist vielfach sehr komplex, weil meist mehrere Arten von Zell-Zell-Verbindungen nebeneinander auftreten, so auch im Herzmuskel. Gap Junctions sind im Herzen in den lichtmikroskopisch imponierenden Glanzstreifen lokalisiert; sie vermitteln die elektrotonische Kopplung, sodass die Zellen auf den Taktgeber mit koordinierter Kontraktion antworten. (Das erklärt, warum ältere Medizinprofessoren noch in den 1960er-Jahren vom Herzen als Syncytium gesprochen haben – der Herzmuskel als Aggregat verschmolzener Zellen, was er nicht ist.) Von den Baueinheiten dieser Strukturen, den zu hexameren Connexonen zusammengefügten Connexinproteinen, gibt es beim Menschen zwar an die 20 Paraloge, aber nur vier davon sind im Herzen vertreten. Mutationen stören die Signalweiterleitung und führen zu einem abnormalen Herzrhythmus. Je-
14.3 · Weitere genetische Störungen durch Mutationen …
doch sind in den 2000er-Jahren noch eine Reihe von Mutationen von Komponenten weiterer Zell-Zell-Verbindungen, der Gürteldesmosomen (Adhäsionsgürtel), als Ursache der arrhythmogenen Kardiomyopathie bekannt geworden: Die extrazellulären Proteine Desmocollin und Desmoglein (aus der Gruppe der Cadherine) sowie die intrazellulären Desmoplakin, Plakophilin und Plakoglobin können mutiert sein. Wie komplex und oft unerwartet die Pathogenese von Arrhythmien des Herzens sein kann, zeigt eine Diskussion 2022 in den Frontiers in Cell and Developmental Biology (7 https://doi.org/10.3389/fcell.2022.986718). Der Übersichtsartikel verweist insbesondere auf die vielseitige Anbindung von Desmin an Strukturen zwischen Zellmembran und Kernmembran. Neu für die Zellbiologen war, dass defekte Connexine auch eine der zahlreichen Ursachen von Innenohrschwerhörigkeit sein können. Hier sind Ionenleitfähigkeiten gestört, wie um das Jahr 2000 gefunden wurde. In den 2000er-Jahren wurde beobachtet, dass genetisch gestörte Gap Junctions mehrere Hautkrankheiten verursachen können, entweder über Störung des intrazellulären Antransports über den Ve sikelverkehr oder aber durch eine hohe Ionenleckrate, wenn sich Halbkanäle (Hemidesmosomen, „hemichannels“) ohne Gegenstück bilden, weil keine Nachbarzelle vorhanden ist. Die Zahl der über die Jahrzehnte molekular entschlüsselten Hautkrankheiten ist erwartungsgemäß besonders groß, weil hier die meisten Arten von Zell-Zell-Verbindungen bzw. des Verbindungskomplexes (7 Abschn. 5.5) und auch noch das zugehörige System intermediärer Filamente, wie Keratin, mitspielen. Seit den 1960er-Jahren wurden sie mit genetischen, (ultra-)strukturellen und nachfolgend mit molekularbiologischen Methoden intensiv bearbeitet. Von den acht Untergruppen sind jeweils verschiedene Syndrome bekannt. Die molekularen Schäden betreffen u. a. Lipidkomponen-
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ten und Enzyme, besonders aber Connexine der Gap Junctions und – außerhalb der Gap Junctions – besonders Laminin und Keratin. Dieses bildet verstärkende intrazelluläre Faserstränge, die auch an Desmosomen und Hemidesmosomen andocken. Proteine der Gürteldesmosomen können ebenfalls eine Rolle spielen. In der Haut sind verschiedene destruktive Formen besonderes offensichtlich (Epidermolyse; „ἐπί, epi“ = über, darauf; „δέρμα, derma“ = Haut). Die Bilder von manchen Fällen der Epidermolysis bullosa hereditaria bei Kindern sind erschütternd, mit Dauerblutungen der Körperoberfläche und fallweise missgestalteten Gliedmaßen. Wer hat das Recht, durch Infragestellung einer Pränataldiagnose solchen Kindern ein kurzes Leben unter endlosen Qualen zuzumuten? Die Gesellschaft, der Papst? (Bereits ein Darwin hat sein christliches Ethos hinterfragt, als sein gesundes Lieblingstöchterchen unerwartet früh dahinstarb.) Oder doch Zellbiologen und Mediziner in Diskussion mit Ethikern? 1991 zeigten Mutagenesestudien das zellpathologische Potenzial von Keratin auf, wie die US-Amerikanerin Elaine Fuchs in einem Review in der Zeitschrift Cell [33] sowie ihr Mitarbeiter P. A. Coulombe ein Vierteljahrhundert später in der Zeitschrift Molecular Biology of the Cell zusammengefasst haben. Und dennoch gibt es einen Lichtblick. Ende 2017 wurde in Nature berichtet, dass bei einem Kind 60 % der Haut ersetzt wurden. Ein unbeschädigtes Hautstück war dem Kind entnommen worden, um daraus Stammzellen zu züchten. In diesen wurde das Gen für ein defektes Laminin, LAMB3, gentechnisch mit einem Virusvektor durch die gesunde Variante ersetzt, um anschließend gesundes Gewebe in vitro zu züchten und zu transplantieren. Dies ist ein überzeugendes Beispiel, wie die zellbiologische Forschung, einschließlich Stammzellforschung und molekularbiologische Technikentwicklungen, medizinischen Fortschritt ermöglicht. Dies schafft
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
Hoffnung, wenngleich zunächst nur für Defekte an der Körperoberfläche, die für diese Art von Therapie viel leichter zugänglich ist. Getrennt zu erörtern wäre – wie in allen ähnlich gelagerten Fällen – die ethische Frage nach der Weitergabe defekter Gene mit derlei schwerwiegenden Auswirkungen an Folgegenerationen. Das Gegenteil, übermäßige Verhornung, gibt es ebenfalls. Solche Hyperkeratosen („κέρας, kéras“ = Horn) fallen besonders an den Handflächen auf, kommen aber auch an den Fußflächen vor (palmoplantare Hyperkeratosen). Für Keratosen gibt es Dutzende von Ursachen, weil sehr unterschiedliche Proteine mutiert sein können; beispielsweise bringt mutiertes Keratin defekte Polymerisation und massive Ablagerung eine verdickte Hornschicht mit sich. Andere Mutationen dagegen führen zur Blasenbildung. Der gegensätzliche Effekt hängt wohl auch mit der gewebetypischen Expression von Paralogen zusammen. Auch Elemente der verschiedenen Proteine bzw. des „Verbindungskomplexes“ (7 Abschn. 5.5) etc. können an Hyperkeratosen beteiligt sein. Das „Screening“ möglicher Mutationen lief in den 2010er-Jahren an.
auch die Ursachen der nach ihm benannten Krankheit offen. Wesentlich zur Aufklärung der Ursachen hat 1973 die Beobachtung beigetragen, dass bei diesem Syndrom in Leberzellen (Hepatocyten) und in den Epithelzellen der Nierentubuli die Peroxi somen fehlten; es waren im Elektronenmikroskop nur leere Membranhüllen zu sehen. Die kausale Ursache wurde auf verschlungenem Wege gefunden: Der Grund kann eine fehlerhafte SKL-Sequenz der Katalase oder ein fehlerhafter SKL-Rezeptor in der peroxisomalen Membran sein (SKL = Serin-Lysin-Leucin). Wie in 7 Abschn. 8.4 dargestellt, hat die Gruppe des US-Amerikaners S. Subramani im Jahr 1987 das Enzym Luciferase des Leuchtkäfers Photinus pyralis („firefly“; aus der Familie Lampyridae) in dessen Peroxisomen lokalisiert und die dort gefundene Zielgebungssequenz auch als relevant für den Import peroxisomaler Enzyme bei Säugetieren gefunden [35]. In einer Zellweger-Zelllinie wurden mikroinjizierte normale peroxisomale Enzyme nicht aufgenommen, wie die Autoren 1992 zeigten. 14.4 Störungen in den (semi-)
autonomen Organellen
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14.3.9 Peroxisomale Störungen
Störungen in der Entgiftung von reaktivem Sauerstoff bzw. von Peroxiden durch Mutationen der dazu benötigten Gene/ Enzyme ziehen gesundheitliche Konsequenzen nach sich, ebenso wie deren gestörte intrazelluläre Verteilung. Beim Menschen werden bei defektem Katalaseimport in die Peroxisomen durch fehlerhaftes „Targeting“ bereits bei der Geburt schwere Entwicklungsstörungen sichtbar: das Zellweger-Syndrom. Die Kinder sterben in den ersten Lebensjahren. H. Zellweger beschrieb 1988 in einem im South Medical Journal erschienenen Artikel seinen Forschungsweg ab 1964 [34] und legte darin
Auch die organelleigene DNA sowohl von Mitochondrien als auch von Chloroplasten kann Mutationen unterliegen. In diesem Fall spricht man von extrachromosomaler, nichtmendelnder oder plasmatischer Vererbung. Es war ein langer Weg von der Beobachtung funktionell-biochemischer Störungen in Hefezellen (Saccharomyces cerevisiae, Petite-Mutante) 1949 durch die in Paris arbeitenden Forscher B. Ephrussi und P. P. Slonimski, russischer bzw. polnischer Herkunft, bis zur Erkenntnis medizinisch relevanter Störungen durch Mutationen in der mtDNA. Mitochondriopathien können durch Mutationen in der mtDNA oder von einigen der ca. 1000 nukleären Gene (bei Säu-
14.4 · Störungen in den (semi-)autonomen Organellen
getieren), welche die meisten mitochondrialen Proteine kodieren, hervorgerufen werden [36]. Beides könnte entsprechend der geteilten Kodierung oligomerer Proteine gleichzeitig zutreffen, beispielsweise für Cytochrom-c-Oxidase oder Cytochrom b. Genetische Störungen durch mutierte mtDNA sind nicht unbeträchtlich, obwohl nukleäre Gene naturgemäß häufiger betroffen sind. Die Störungen reichen vom Fettstoffwechsel und Citratzyklus bis zur Atmungskette. Oft werden die Störungen in ganz bestimmten Zell- oder Gewebetypen manifest, z. B. im Auge oder am Herzmuskel. Ein Beispiel für kombinierte Gewebeeffekte ist das Kearns-Sayre-Syndrom, mit Veränderungen in Netzhaut, Herzmuskel, Leber und Zentralnervensystem. Für die zellbiologische Forschung sind Mitochondriopathien nicht sehr ergiebig und gelten allgemein als unheilbar. Die oft mosaikartige Verteilung im Körper reflektiert die nicht determinierte Verteilung der Mitochondrien – ob intakt oder defekt – ab der befruchteten Eizelle; dazu ist schon seit den 1900er-Jahren gesichert, dass bei Säugetieren keine Mitochondrien des Vaters über die Zygote weitergegeben werden. Öffentliches Interesse erfuhren Mitochondriopathien, als eine betroffene Frau sich zu einer In-vitro-Fertilisation entschloss, wobei der Eizelle vor der Befruchtung Mitochondrien von einem gesunden Spender injiziert wurden. So wurde 2016 ein Drei-Eltern-Baby geboren. Ein analoges Verfahren (Injektion von Mitochondrien aus einem anderen Stamm) wurde 1988 am Ciliaten Paramecium tetraurelia angewandt, war jedoch an Inkompatibilität gescheitert, denn die injizierten Mitochondrien wurden abgebaut. Aus zellbiologischer Sicht könnte das Bedenken bei der Mitochondrienersatztherapie wecken: Sechs Jahre später wurde für diese Ersatztherapie jedoch Entwarnung gegeben; allerdings sind Spätschäden noch nicht auszuschließen. Kulturzellen der Maus wurden kürzlich (2018) als Modell für Genome Edi-
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ting der mtDNA verwendet [37]. So ist es gelungen, eine mtDNA-bedingte Störung in Herzzellen zu korrigieren: Mittels eines Vektors (Adenovirussystem), einer auf Mitochondrien zielenden Zinkfingernuklease und des korrekten Genabschnitts konnte im Tierexperiment ein korrektes Gen zur Expression gebracht werden. Es bleibt die Frage, ob, wann und wie derartige Verfahren für therapeutische Zwecke im Zusammenhang mit einer pränatalen Diagnostik am Menschen angepeilt werden können, sollen oder dürfen. Auch bei grünen Pflanzen können genetische Störungen in der organelleigenen ptDNA sichtbare Folgen zeigen, wie das Fehlen der grünen Farbe in Teilen der Blätter (Panaschierung). Bereits 1909 hatten C. Correns und E. Baur postuliert, dass es „nichtmendelnde“ Erbanlagen in den Chloroplasten geben müsse, um dieses Phänomen zu erklären. Der Deutsche Carl Correns gilt immerhin gemeinsam mit dem Niederländer Hugo de Vries und – mit Vorbehalt wegen Unverständnisses wichtiger Aspekte – mit dem Österreicher Erich Tschermak aufgrund von voneinander unabhängigen Veröffentlichungen im Jahre 1900 als Wiederentdecker der Vererbungsgesetze von Gregor Mendel (1866). Bis Vermutungen zu einer organelleigenen DNA für Mitochondrien geäußert wurden, dauerte es noch viel länger – genau ein halbes Jahrhundert (7 Abschn. 8.3.1). 14.5 Rezente Volkskrankheiten 14.5.1 Alzheimer-Krankheit
Von den bisherigen Schemata zur Pathogenese verschiedener Krankheiten weicht die Alzheimer-Krankheit erheblich ab. Der deutsche Mediziner Alois Alzheimer hat sie ab 1901 beschrieben und histologisch untersucht [38]. Er fand Proteinablagerungen im Gehirn vorwiegend alter Menschen, die unter Demenz litten, was damals schlicht
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„Altersblödsinn“ genannt wurde. Die Ablagerungen machten als „senile Plaques“ (Amyloid) Karriere; sie liegen zwischen den Neuronen, wohingegen die Illustration zum Thema „Eigenartige Krankheit der Hirnrinde“ auch intrazelluläre „Neurofbrillenbündel“ zeigte. Die biochemische Aufarbeitung der Plaques in den 1980er-Jahren enthüllte sie als Fragmente des „Alzheimer precursor protein“ (APP, Alzheimer-Vorläuferprotein), eines im Gehirn weitverbreiteten Membranproteins. APP-Gene wurde 1987 gleichzeitig von drei Gruppen kloniert, von denen eine ihre Ergebnisse in der Zeitschrift Nature, zwei in Science publizierten; Letztere sei hier stellvertretend zitiert [39]. Die Gene der Protease, die für die Abspaltung des pathogenen Amyloids zuständig ist, der β-Sekretase (= BACE1, für „β-site of APP cleaving enzyme“) und der γ-Sekretase wurden dagegen erst später identifiziert. Dass der Schnitt mit der β-Sekretase maßgeblich für die Pathogenität ist, zeigte eine Studie von 2012 in der Zeitschrift Nature Reviews in Neurology, in welcher die Daten von 1700 Isländern mit einer spontanen Mutation des BACE1-Gens ausgewertet wurden. Innerhalb der Neurone fielen bereits A. Alzheimer bei seinen Patienten Ansammlungen von Fibrillen auf, deren pathogene Bedeutung jedoch lange umstritten war, wohingegen das fragmentierte APP seit Langem als kausatives Agens der Alzheimer-Krankheit betrachtet wird. Erst in den 1990er-Jahren fanden die Hamburger Eva-Maria und Eckhard Mandelkow, dass die intrazellulären fibrillären Ablagerungen aus dem mikrotubuliassoziierten τ-Protein (τ = tau) bestehen [40]. Von C. elegans und Drosophila bis zum Menschen ist die Grundstruktur der Alzheimer-Proteine weitgehend identisch [41]. Die physiologische Rolle des APP ist diffus, indem es wohl in verschiedene neuronale und synaptische Aspekte eingebunden ist, und zwar durch Wechselwirkung mit Zelladhäsionsproteinen. Die Rolle des
hyperphosphorylierten τ-Proteins, das von der normalen Funktion als mikrotubuliassoziiertes Protein in den Neuronen abweicht, ist weniger bekannt. Es blieb lange Zeit umstritten, ob hyperphosphorylierte τ-Proteine ursächlich an der Erkrankung beteiligt sind oder ob es sich nur um ein irrelevantes Epiphänomen handelt. Letzteres war lange Zeit die Meinung des deutschen Molekularbiologen und prominenten Alters- und Alzheimer-Forschers Konrad Beyreuther. Er hatte 1986 zusammen mit anderen das Gen für APP identifiziert. Seine Meinung zu den τ-Proteinen stand im Gegensatz zu jener des deutschen Forscherpaares Eckhard und Eva-Maria Mandelkow und anderer. In den letzten 20 Jahren wurden zunehmend beide Theorien für die Alzheimer-Pathogenese in Betracht gezogen, und neue kamen hinzu. Wie Proteinaggregate ganz allgemein neuronale Funktionen stören (z. B. auch bei der Huntington-Krankheit, 7 Abschn. 14.3.5), ist nicht gesichert. Der österreichischstämmige Brite Max Perutz, Biophysiker und Nobelpreisträger für Chemie 1962, hat hierzu, wie andere auch, im Laufe der Zeit verschiedene Hypothesen vorgeschlagen. So könnten wichtige Moleküle in den Aggregaten „getrappt“, also eingeschlossen, und so inaktiviert werden. Jedenfalls kommt es zu Proteinaggregaten außerhalb der betroffenen Neurone (Amyloid mit Plaquebildung), die wegen ihrer Zunahme mit dem Alter auch als „senile Plaques“ angesprochen werden. Noch Ende September 2022 wurde in einem „Nature News“-Artikel gespöttelt: „Amyloid is ‚associated‘ with the problem, but it isn‘t the problem.“ Rezent wurde ein Programm zur Bekämpfung der Alzheimer-Krankheit mit Antikörpern gegen β-Amyloid und mit verschiedenen Pharmaka erfolglos abgebrochen. Noch im Oktober 2019 vermeldete ein Rundbrief der „forschenden Pharmafirmen“ sogar eine Misserfolgsquote von 99,6 % [42]. Gleichzeitig wurde Aducanu-
14.5 · Rezente Volkskrankheiten
mab, ein Antikörper gegen ein gentechnisch hergestelltes Antigen, angepriesen, weil es den Abbau von β-Amyloid fördere, sowie Solanezumab wegen seiner Fähigkeit, die Bildung von Plaques zu hemmen. (Es sind monoklonale Antikörper, wie die Endung -mab angibt.) Auch diese erbrachten bei verschiedenen Patientengruppen nur einen geringen bis gar keinen Erfolg. Aktuelle Neuentwicklungen für molekulare Impfungen (7 Abschn. 15.1.2) lassen auch hier einen Fortschritt erhoffen. Als weitere Verfahrensweise wurde vorgeschlagen: Eine verfeinerte Röntgenbeugungsanalyse mit wesentlich geringerem Strahldurchmesser könnte die Analyse von sehr kleinen Amyloidstrukturen und dann eine genaue Einpassung von Pharmaka und Antikörpern erlauben. 2018 stellte ein multinationales Team einen neuen methodischen Anlauf zur Analyse von Amyloidfibrillen im Ångströmbereich (1 Å = 0,1 nm) zur Diskussion: „nanofokussierte Röntgenpulse im Femtosekundenbereich aus einem röntgenstrahlfreien“ [43]. Für einen neuen Anlauf wurde vonseiten des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen die Notwendigkeit diskutiert, gleichzeitig τ-Proteine mit einzubeziehen und mit der Therapie vor Sichtbarwerden der ersten klinischen Zeichen zu beginnen. Die Berichterstattung der FAZ (2019) ließ offen, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen und wie jetzt Erwachsene prophylaktisch therapiert werden sollten. Dieses wäre nach nichtinvasiven Abbildungsverfahren angezeigt. Im Großen und Ganzen könnte es in der Praxis bei der gängigen Empfehlung zu einer „gesunden Lebensführung“ bleiben: täglich 10.000 Schritte gehen und mediterranes Essen. Immerhin wurden 2023 neue Programme aufgelegt, in denen Alzheimer- und τ-Proteine mittels potentieller Pharmaka und Antikörpern (bevorzugt Lecanemab, Donanemabd) zeitlich gestaffelt angesprochen und der Effekt über Blutproben kontrolliert werden sollen.
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Seit 2022 wird von der Firma BioTrend ein ELISA-Diagnose-Satz zur Erkennung von oligomerisiertem ß-Amyloid angeboten, der OAß-Test für Alzheimer-Plaques in Blutproben. (ELISA steht für „enzyme-linked immunosorbent assay“; auch ohne Proteine elektrophoretisch aufzutrennen, kann hier die Präsenz eines Antigens mit einem markierten Antikörper sichtbar gemacht werden.) Alternativ wird 2022 von Swaddiwudhipong et al. in der Zeitschrift Alzheimer & Dementia die Registrierung diverser kognitiver und verhaltensmäßiger Leistungen nach einem bestimmten Schlüssel empfohlen (7 https://doi.org/10.1002/ alz.12802). Schließlich wird jetzt die Werbetrommel für den therapeutischen Einsatz eines monoklonalen Antikörpers gerührt, Lecanemab, der an fast 2000 Probanden (inkl. Placebo-Gruppe) erprobt wurde und klinische Parameter um 27 % verbessern konnte. Der Erfolg wäre demnach nicht gerade überwältigend. Ein neuer Trend ist die Vermutung, dass das Alzheimer-Amyloid-β-Protein (Aβ) eine Abwehrfunktion gegen Viren, Bakterien oder Pilze hätte bzw. dass sich der Morbus Alzheimer als Reaktion auf solche Pathogene entwickeln würde. Derlei Vermutungen ging man seit den 1980er-Jahren nach. 2018 erschien dann in der Zeitschrift Neuron eine Studie mit dem Titel „Multiscale analysis of independent Alzheimer’s cohorts finds disruption of molecular, genetic, and clinical network by human Herpesvirus“ [44]. Darin wird berichtet, dass in Gehirnen von Patienten mit Morbus Alzheimer postmortal vermehrt Herpesviren Typ 6 A und 7 gefunden wurden und dass es mehrfache Überlappungspunkte zwischen Wirt-Virus-Wechselwirkung und Genen gibt, die für erhöhtes Alzheimer-Risiko stehen. In ähnlicher Weise wurde 2019 von einem internationalen Forscherteam in der Zeitschrift Science Advances in komplexen Langzeitanalysen am Menschen ein Zusammenhang zwischen Morbus Alzheimer und der Infektion
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mit dem gramnegativen Bakterium Porphyromonas gingivalis gezeigt, dem Erreger von Zahnfleischentzündung (Gingivitis) [45]. Seine Virulenzfaktoren sind verschiedene „Gingipain“ genannte Cysteinproteasen, die vom Bakterium teilweise sezerniert werden und die Bildung von Plaques im Gehirn bewirken. Entsprechende Hemmstoffe aus dem Labor von Drogendesignern haben am Menschen Erfolge gebracht. Gesundes Zahnfleisch – gesundes Gehirn, würde demnach der Schluss lauten. 2023 gab es mehrere Arbeiten, die allgemein feststellen, dass Viruserkrankungen zu Gehirnschäden verschiedener Art führen [71]. Ebenfalls neu ist die Erkenntnis aus dem Jahr 2019, dass ein hochkonserviertes Protein, TDP-43, das normalerweise bei Transkriptions- und Spleißprozessen im Einsatz ist, an bestimmten Orten des Gehirns abgelagert wird und dann Symptome einer speziellen Form der Alzheimer-Krankheit entwickeln kann („limbic-predominant age-related TDP-43 encephalopathy“) [46]. Jedenfalls war es einem Sponsor wert, 1 Mio. Dollar für die Identifikation des Auslösers der Alzheimer-Krankheit bis zum Jahr 2020 auszuloben. Ist der Brückenschlag nicht abenteuerlich: von der Virusinfektion und Zahnfleischentzündung zur Altersdemenz? Das Mikrobiom – nicht nur das im Darm, wie heute viel diskutiert wird –, sondern auch im Mund wäre demnach ein Determinator unseres Wohlergehens…. Die anstehenden Fragen und Ziele wurden in der Zeitschrift Nature am 8. Februar 2021 in einem „News Feature“-Artikel von C. Willyard unter dem Titel „How gut microbes could drive brain disorders“ umrissen: Der weitschweifende Nervus vagus sollte angeblich eine Signalverbindung schaffen. Auch Entzündungen oder eine mit dem Alter zunehmende Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke könnten das Eindringen pathogener Komponenten mikrobiellen Ursprungs erleichtern.
14.5.2 Parkinson-Krankheit
Nicht viel einfacher ist die Sachlage beim Morbus Parkinson, einer weiteren Alterskrankheit, die mit Zittern und Bewegungsverlangsamung (Hypokinese) einhergeht. Sie ist nach dem englischen Arzt J. Parkinson benannt, dem die Erstbeschreibung im Jahr 1817 zu verdanken ist [47]; Nachdruck 2002 als Neuropsychiatry Classic]. Der Morbus Parkinson basiert auf lokalen Störungen des Dopaminstoffwechsels, vorwiegend – aber nicht ausschließlich – in der Substantia nigra im Bereich des Mittelhirns, wo dopaminerge Neurone stark angereichert sind. Die Störungen bewirken, dass die dopaminergen Zellen hier absterben. Die ausführliche Übersichtsarbeit von P. Maiti und Mitarbeitern (2017) fasst alle Aspekte zusammen, von der Klinik bis zur Molekular- und Zellbiologie [48]. Drei Aspekte sind im Wesentlichen hier zu diskutieren, basierend auf Effekten auf Mitochondrien und Störungen im Umsatz des Neurotransmitters Dopamin, und zwar wie folgt. 1. Mutationen in den Parkin- oder PINK1-Genen, deren Genprodukte normalerweise neuroprotektiv wirken: Parkin ist die Ubiquitinligase E3 und PINK1 eine Serin-/Threoninkinase. Sie kooperieren bei der normalen Qualitätskontrolle von Mitochondrien. Wenn Mitochondrien depolarisiert oder geschädigt vorliegen, bindet PINK1 an deren Außenseite und rekrutiert und aktiviert Parkin, das verschiedene Proteine der mitochondrialen Außenmembran ubiquitinyliert. Auf diese Weise werden defekte Mitochondrien der Autophagie zugeführt (Mitophagie). Mutationen der Schlüsselproteine ziehen einen Verlust dieser Qualitätskontrolle mit sich, in deren Anschluss die Bildung cytotoxischer reaktiver Sauerstoffspezies diskutiert wird („reactive oxygen species“, ROS). 2. Andere Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren unter Einsatz eines
14.6 · Protoonkogene und onkogene Viren
Technetium-(Te-)markierten Inhibitors des Dopamintransporters deuteten auf einen Defekt im Dopamintransporter hin. Jedenfalls ließ sich die Inhibitorbindung mit dem klinischen Bild korrelieren. Von derlei Drogen gibt es einige mit unterschiedlicher Spezifität; manche werden bei Parkinson-Krankheit eingesetzt, um den Turnover von Dopamin zu normalisieren. Von allgemeinem zellbiologischem Interesse ist, dass es Homologe von Parkin bereits bei der Fruchtfliege Drosophila und sogar schon beim Fadenwurm Caenorhabditis gibt. Hier wurde 2020 ein toxischer Effekt von in Mitochondrien gebildetem ROS („reactive oxygen species“, reaktiver Sauerstoff) als eine Ursache von Fehlleistungen, wie sie von der Parkinson-Krankheit bekannt sind, gefunden, und es wurde die Möglichkeit ihrer Unterdrückung durch das Anti-Diabetes-2-Pharmakon Metformin aufgezeigt. 3. Ebenso auf diesem evolutionären Niveau gibt es einen potenziellen dritten Mitspieler bei der Entstehung des Morbus Parkinson: α-Synuclein, das irgendwie an der Exocytose von dopaminhaltigen Neurotransmittervesikeln beteiligt ist. Pathologisch wird α-Synuclein als Lewy-Körperchen in den Neuronen abgelagert, was möglicherweise oxidativen Stress bewirkt und die Neurone abtötet. Erstaunlich ist, dass diese Krankheit heute, 200 Jahre nach ihrer Beschreibung, immer noch Rätsel aufgibt; indes gibt es unter Einbeziehung zellbiologischer Ergebnisse Ansätze in Richtung auf zu erwartende therapeutische Fortschritte. 14.6 Protoonkogene und
onkogene Viren
Auch Protoonkogene, onkogene Viren und DNA-Reparaturproteine würden allein ein umfangreiches Kapitel erfordern, was
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jedoch den Rahmen dieses Buches sprengen würde. In Kürze: Protoonkogene kodieren für Proteine, die zur Steuerung der normalen Proliferation und Differenzierung tierischer Zellen beitragen, nach Mutation jedoch onkogen wirken (krebserregend; „ὄγκος, onkos“ = Anschwellung). Dazu gehören Ras-Proteine (eine GTPase-Subfamilie), Rezeptor-Tyrosinkinasen sowie die Src-Typ-Tyrosinkinase und einige mehr. (NB: Tyrosinkinasen, auch endogenes Src, spielen eine vielseitige Rolle bei der Sig naltransduktion in der Säugetierzelle.) Die onkogene Eigenschaft von Src („sark“ ausgesprochen) wurde ab 1970 entdeckt [49], als man es – zunächst an Vögeln – als ein von Viren übertragenes Protein erkannte, dessen Sequenz 1980 entschlüsselt wurde. Dabei handelt es sich um onkogene Retroviren. („Retro“ ist abgeleitet von reverse Transkriptase.) Retroviren sind z. T. Onkoviren, deren einzelsträngige RNA durch eine reverse Transkriptase in DNA umgeschrieben und in das Genom der befallenen Zelle eingebaut wird, sodass von dort aus das virale Src transkribiert wird. Es ist dieses ein Modell für eine gefährliche Form pathogener Viren, die bereits 1908 aufgespürt wurden, natürlich ohne zu wissen, womit man es zu tun hatte. Ein weiterer Meilenstein war die Entdeckung, dass mit filtrierten Extrakten von Hühnersarkomen (ein maligner Tumor) gesunde Hühner infiziert werden konnten. Der US-Amerikaner Peyton Rous hatte dies 1911 entdeckt [50], 1961 wurde das verantwortliche Agens als RNA-Retrovirus identifiziert, aber erst 1966 erhielt Rous dafür den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Zu den onkogenen Viren gehören auch die Papillomaviren, deren es beim Menschen über 150 gibt, von denen allerdings nur ein Teil eine onkogene Funktion ausübt. Es sind dies doppelsträngige DNA-Viren, von denen einige Gene den programmierten Zelltod (Apoptose, 7 Abschn. 13.5) verhindern und damit das Überleben von Krebszellen fördern. Sind es
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
im männlichen Geschlecht harmlose Hautwarzen, so produzieren einige dieser Papillomaviren im weiblichen Geschlecht Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom). Ein Tumorsuppressor, das Retino blastom-Protein (Rb-Protein), wurde 1988 von P. Whyte und Mitarbeitern durch eine Mutation entdeckt [51]. Dieses Protein wird erst durch Phosphorylierung durch eine cyclinabhängige Kinase aktiviert (cdk, „cyclin-dependent kinase“; 7 Abschn. 12.1), womit die Transkription von Genen aktiviert wird, die für die Mitose relevant sind. Fehlsteuerung führt zu unkontrollierter Teilungsaktivität, also zur Tumorbildung. Eine erbliche Mutation der Gene der Art BRCA bringt eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit zur Ausbildung von Brustund Ovarialkarzinomen mit sich (7 Abschn. 14.1). In den 1990er-Jahren erkannte man BRCA-Mutationen als Ursache dieser hochaggressiven Form der genannten Tumoren mit sehr schlechter Prognose. Die BRCA-Proteine wurden um 2000 als DNA-Reparaturproteine erkannt. Erhebliches Aufsehen erregte die Schauspielerin Angelina Jolie, als sie sich 2013 einer prophylaktischen bilateralen Mastektomie (Totalresektion beider Brüste) mit nachfolgendem plastisch-chirurgischem Brustaufbau unterzog.
14 14.7 Lobpreisung von
Eukaryotengiften – Geschenke für die Zellbiologen
Die Natur hält viele Gifte bereit, sei es bei Bakterien, Pflanzen oder Tieren. Wir sprechen anthropozentrisch von Giftpflanzen und Gifttieren, wobei der Effekt in der Palette von Organismen sehr verschieden sein kann. Sogar innerhalb der Säugetiere gibt es sehr unterschiedliche Empfindlichkeit für bestimmte Toxine; so wird berichtet, dass Pferde besonders empfindlich sind
für die Gifte der Eibe (Taxus baccata, Coniferae). Das Gift der Eibe hat seit Langem in die zellbiologischen Labors Einzug gehalten und seit 2010/11 auch in die Krebskliniken. In Pflanzen sind Toxine oftmals Produkte des Sekundärstoffwechsels, die quasi so nebenher entstanden sind, sich aber gelegentlich zur Abwehr tierischer Besucher als nützlich erwiesen haben. „Gifte“ sind nur im Kontext mit ihrer zellbiologischen und systemischen Wirkung als Gifte zu verstehen. Dabei interessieren kaum cytolytische/hämolytische Toxine, welche die Zellen so beschädigen, dass sie sich zersetzen. Beispiele sind die Gifte der zentraleuropäischen Giftschlangen wie der Kreuzotter und ihrer Verwandten; sie schädigen überwiegend die Zellmembran durch Lipasen. Zerstörerische Toxine wurden 2022 aus Anlass des verheerenden Fischsterbens in der Oder aktuell: Hier scheidet unter „versauten“ ökologischen Bedingungen die Goldalge Prymnesium parvum (Chrysophyceae) Polyäther aus (Prymnesine), die mit Ca2+ oder Mg2+ eine cytotoxische bzw. hämolytische Wirkung entfalten. Den Zellbiologen bieten aber viele Toxine ein Repertoire an unverzichtbaren Werkzeugen. Dieses Repertoire steigt, seitdem man sich die Kenntnisse von Schamanen aneignet, indem man ihnen in Busch und Wüste folgt und in ethnopharmakologischen Forschungseinrichtungen die Effekte der natürlichen Drogen prüft. Eine vielfältige Rolle nehmen cyclische und nichtcyclische Peptidverbindungen aus Pilzen ein, sei es als Ionophoren, cytoskelettaktive Drogen, Antibiotika oder Immunsuppressiva. Beispiele in dieser Reihenfolge sind Valinomycin, Jasplakinolid, Actinomycin D und Ciclosporin A. Sie werden nicht nur in der zellbiologischen Grundlagenforschung, sondern teilweise auch in der Medizin eingesetzt. Hier gilt der Satz des Paracelsus: „Dosis sola facit venenum.“ (Nur die Dosis [Konzentration] macht das Gift aus.) Manche Tiere und Pflanzen verfügen über Toxine, die auch im „normalen
14.7 · Lobpreisung von Eukaryotengiften – Geschenke für die Zellbiologen
eben“ als Botenstoffe im Einsatz sind. PaL radebeispiel ist das Histamin, ein Derivat der Aminosäure Histidin. So sind unsere Mastzellen Hauptproduzenten von Histamin, für das es unterschiedliche Rezeptoren gibt (Thangam et al. [2018]; 7 https://doi. org/10.3389/fimmu.2018.01873. Sonnenbrand, Entzündungen oder Allergien setzen Histamin frei, das fallweise sogar einen lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock auslösen kann; dagegen sind Antihistaminika verfügbar. Die Brennhaare der Brennnessel (z. B. Urtica urens, Urticaceae) setzen bei Berührung nicht nur Histamin frei, sondern auch Serotonin und Acetylcholin. In australischen Küstengewässern ist die Würfelqualle Chironex fleckeri (Seewespe) gefürchtet, deren Gift neben kardio-, myound neurotoxischen Komponenten auch Histamin enthält. Bei einer „gefährlichen Begegnung“ kann durch Stillstand der Atmung und der Herztätigkeit binnen Minuten der Tod eintreten, und das ist von sehr starken Schmerzen begleitet. Die auch an europäischen Küsten vorkommende, ebenfalls gefährliche Nesselqualle Physalia physalis (Portugiesische Galeere) ist eine aus vielen Einzelpolypen zusammengesetzte Staatsqualle, die mit einer ca. 15 cm langen Gasblase auf der Meeresoberfläche dahintreibt. Sie enthält nekrotische Enzyme (Elastase, Endonuklease, Kollagenase etc.), die indirekt auch die Kationen-Homöostase stören können, mit dem Resultat von Muskelkrämpfen, Störungen der Herztätigkeit und starken Schmerzen. Von den Schmerzen bekommt jeder eine Ahnung, der beim Schwimmen vor einer der Kanarischen Inseln plötzlich einen heftigen Stich verspürt, auch wenn weit und breit keine Qualle sichtbar ist – kein Wunder, können doch die mit Nesselkapseln bewehrten Tentakel von Physalia bis zu 50 m lang werden, abreißen und frei dahinflottieren. Bemerkenswert ist auch, dass die Gasblase 1,2 % Argon enthält, was sogar etwas mehr als der Argon-Gehalt der Luft wäre. Damit segeln diese Quallen passiv dahin und werden bei
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Wind oft an die Küste angetrieben. Bleibt für den Zellbiologen die Frage: Wie können die Zellen ihres Trägerpolypen Argon in so hoher Konzentration anreichern? Nach diesen toxischen Attacken, die den Quallen zum Beutefang dienen, wollen wir uns in der Folge auf Toxine konzentrieren, die in der Zellbiologie als potente Werkzeuge dienen können.. 14.7.1 Toxine, die gegen das
Cytoskelett gerichtet sind
Für den Zellbiologen nahmen Drogen, die das Cytoskelett beeinflussen, besondere Bedeutung an. Sie betreffen die beiden Grund elemente zellulärer Dynamik, Mikrotubuli und Mikrofilamente, und in beiden Fällen gibt es stabilisierende und destabilisierende Drogen. Ihr Einsatz ist deshalb möglich, weil beide Strukturen im normalen Zellgeschehen in einem dynamischen Gleichgewicht zwischen Aufbau und Abbau stehen (Monomer ↔ Polymer), das sich durch Toxine in die eine oder andere Richtung verschieben lässt. Die klassischen Drogen werden in reiner Form seit vielen Jahrzehnten in der zellbiologischen Forschung verwendet. Colchicin, ein tricyclisches Alkaloid aus der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale, Liliaceae, heute Colchicaceae), ist nicht nur das am längsten bekannte, sondern auch eines der am längsten eingesetzten Pharmakons. (Bereits Hippokrates hatte es um 400 v. Chr. angewendet.) Die Grundlage ist die Destabilisierung der Mikrotubuli, von deren Integrität entzündliche Prozesse in mehrfacher Weise abhängen (vgl. Signaturenlehre, 7 Abschn. 14.8). Dazu kamen Toxine aus den „Immergrün“ genannten Pflanzen (Vinca) aus der Familie der Hundsgiftgewächse (Apocynaceae). Vinblastin wird aus der Pflanze Catharanthus roseus (früher Vinca rosea) gewonnen und in der Chemotherapie aggressiver Tumoren eingesetzt, ebenso wie das synthetische Nocodazol. Sie alle haben ihre mehr oder
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
eniger spezifische Anwendung in der Zellw biologie ebenso gefunden wie in der medizinischen Praxis. Ein wesentlicher Aspekt ist, dass derlei Alkaloide die Ausbildung einer Teilungsspindel und damit die Zellteilung hemmen (Cytostatika); gleichzeitig hemmen sie aber auch vitale mikrobubulibasierte intrazelluläre Transportprozesse (7 Abschn. 9.5), und die Chemotherapie ist wegen der Nebenwirkungen ein Vabanquespiel. Eine Vielfalt anderer Toxine kam hinzu. Die Bindung der verschiedenen Drogen ist bei verschiedenen Organismen, Pflanzen, Protozoen, Metazoen, sehr unterschiedlich. Beispielsweise ist Colchicin bei Ciliaten so gut wie unwirksam, im Gegensatz zu Nocodazol. Dieses oder Parbendazol wird auch als Mittel gegen Infektionen mit Fadenwürmern (Nematoden) angewendet (Antihelminthikum). Als solches wurde Nocodazol in einem Screeningverfahren 1975 von M. de Brabander und Mitarbeitern entdeckt [52]. In Pflanzen wirken manche der „Unkrautvernichter“ durch die Zerstörung von Mikrotubuli, es sind jedoch andere Arten von „Anti-Tubulin-Drogen“. Dieser Vergleich legt einerseits nahe, dass bei zellbiologischen Arbeiten mit verschiedenen Zellsystemen die Effekte mit den üblichen Konzentrationen erreicht werden müssen oder andernfalls auf andere Drogen ausgewichen werden muss. Andererseits kann eine wesentlich geringere Sensitivität des Menschen prinzipiell den Einsatz an evolutionär weit entfernten Organismen, z. B. an Pflanzen, erleichtern. Auch Bindestudien sind angebracht, denn die verschiedenen Drogen haben meist sehr unterschiedliche Bindemotive am Zielmolekül, wie beispielsweise an Tubulin verschiedener Spezies beobachtet wurde. Auf diese Weise wurde z. B. das bakterielle Epothilon 1987 von den Deutschen G. Höfle und H. Reichenbach als Alternative zu Paclitaxel aus der Eibe (unten) als Mittel gegen bestimmte Krebsarten entdeckt.
Ein umgekehrter Effekt, also die Stabilisierung von Mikrotubuli, wird durch das Toxin der Eibe (Taxus, Coniferae) erzielt. Taxol ist in Rinde und Nadeln enthalten, nicht aber im beerenartigen „Fruchtfleisch“ (Arillus), und wird zumeist aus der pazifischen Spezies T. brevifolia gewonnen. Die stabilisierende Wirkung, auch auf die Mikrotubuli der Teilungsspindel, hemmt deren Dynamik, sodass auch das Wachstum von Krebszellen zum Erliegen kommt. Erhebliche Nebenwirkungen verzögerten den Einsatz von Taxol (Paclitaxel®) bei Krebs, und es wurde nach jahrelangen Kontroversen in Deutschland für die Behandlung von Ovarialkrebs erst 2011 zugelassen, während die FDA-Zulassung bereits vor 2010 erfolgt war. (Von der FDA konnte man für experimentelle Zwecke eine „Kostprobe“ anfordern: „not for human use“ [nicht für menschlichen Gebrauch] – doppelte Unterschrift). Unter den Kelten und Germanen war die Eibe (Taxus baccata) ein Mittler zum Jenseits. Die hochgeschätzten Pferde – einst als Opfergabe für die Götter gehängt – sind bekannt für ihre besondere Empfindlichkeit auf Taxol. Die vergleichende Analyse von „Anti-Mikrotubulus-Drogen“ auf die Zellteilung im Ciliaten Paramecium tetraurelia ergab, dass Taxol ebenso wirksam ist wie Nocodazol oder Vinblastin – in überaus deutlichem Gegensatz zu Colchicin. Allgemein ist Taxol eine gute Droge für zellbiologische Experimente. Dies könnte noch gebräuchlicher werden, denn seit den 1990er-Jahren kennt man Pilze, die vielleicht über horizontalen Gentransfer die Fähigkeit zur Taxolproduktion weitergegeben haben. Aus medizinischer Sicht ergab sich allerdings mit Epothilon eine Alternative zu Taxol, mit höherer Wirksamkeit und weniger Nebenwirkungen. Es wurde 1987 erstmals aus dem gramnegativen Bodenbakterium Sorangium cellulosum (Myxobakterien) isoliert, 1993 patentiert und 2007 insbesondere für die Behandlung von Mamma- und Kolonkarzinomen zugelassen. Paclitaxel und Epothilon zeigten eine
14.7 · Lobpreisung von Eukaryotengiften – Geschenke für die Zellbiologen
sehr verschiedene Molekülstruktur, Ersteres mit vielen cyclischen Bereichen. Ebenso bedeutsam für die experimentelle Zellbiologie sind die Drogen mit stabilisierendem oder destabilisierendem Effekt auf Aktinfilamente (filamentäres Aktin, Mikrofilamente). Allerdings gibt es hier in medizinischer Hinsicht Schlimmes zu berichten. Berüchtigt ist das Toxin der heimischen Knollenblätterpilze, Amanita virosa und A. phalloides (Kegelhütiger bzw. Grüner Knollenblätterpilz), wohingegen A. rubescens (Perlpilz) und A. caesarea (Kaiserling) gut genießbare bzw. hervorragende Speisepilze sind. À propos Kaiserling: Die nahe verwandte Art A. phalloides wird beschuldigt, für den Meuchelmord am römischen Kaiser Claudius († 54 n. Chr.) verantwortlich zu sein. Ob dieser Unterschiede zwischen eng verwandten und häufig recht ähnlich aussehenden Organismen sollte jeder Laie Vorsicht walten lassen. Die Knollenblätterpilze enthalten bicyclische Oktapeptide vom Typ Amatoxine, z. B. Amanitine, sowie die bicyclischen Heptapeptide vom Typ der Phallotoxine wie Phalloidin. Ihre Doppelringstruktur macht sie für Verdauungssäfte kaum angreifbar und hochtoxisch. Eine erste Krise wird binnen eines Tages durch die Amatoxine und eine zweite, oft letale, binnen drei Tagen durch die Phallotoxine ausgelöst. Amatoxine sind RNA-Polymerase-Inhibitoren, wohingegen Phallotoxine F-Aktin stabilisieren und so die Mikrofilamentdynamik unterbinden. Schlüsselarbeiten zur Isolierung und Chemie dieser beider Toxingruppen wurden um 1940 von U. und H. Wieland durchgeführt [53]. Ab den 1950er-Jahren synthetisierte Theodor Wieland fluoreszenzmarkiertes Phalloidin, und noch in den 1980er-Jahren konnte man von ihm großzügig Proben geschenkt bekommen, die bereits fluoreszenzmarkiert waren. Dies bot die einmalige Möglichkeit, F-Aktin über Affinitätsmarkierung in tierischen und pflanzlichen Zellen sowie Protozoen zu lokalisieren; allerdings musste man die Zellen
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ermeabilisieren oder das Toxin in die Zelp len mikroinjizieren. Dagegen werden die unter dem Sammelnamen Cytochalasine bekannten Alkaloide aus Schimmelpilzen gewonnen (Helminthosporium und andere). Sie sind frei membrangängig und können Aktinfilamente zerstören, indem sie das Gleichgewicht zu monomerem, globulärem Aktin verschieben (F-Aktin → G-Aktin). Durch die Verschiebung des Gleichgewichts kann das Mikrofilamentsystem manipuliert werden, um Zellteilung, Plasmaströmung, amöboide Bewegung und anderes mehr zu studieren. In diesem Sinne kann auch das Makrolid antibiotikum Latrunculin aus Hornkieselschwämmen eingesetzt werden. (Makrolide sind ringförmige organische Moleküle verschiedener Größe mit einer intramolekularen Estergruppe. Sie werden aus Bakterien, Schwämmen oder Pilzen isoliert und als Antibiotika eingesetzt.) Latrunculin wurde um 1970 im Roten Meer entdeckt. Die Schwämme schützen sich vor dem eigenen Toxin, indem sie es in Vakuolen speichern, in denen das Toxin seine Zielstruktur, die Mikrofilamente, nicht „sehen“ kann. Die potenzielle pharmazeutische Verwendung wird in Einzelfällen diskutiert, etwa zur Reduktion des Augeninnendrucks, wenn Prostaglandine nicht eingesetzt werden sollten. Aus alledem ist ersichtlich, wie die Natur eine Vielfalt von Toxinen entwickelt hat, die über systemische Schäden Fressfeinde abhalten und so nebenbei den Zellbiologen, fallweise auch den Medizinern, als nützliche Substanzen für Experimente und Therapien dienen können. 14.7.2 Antikonzeptiva
und Abortiva aus zellbiologischer Sicht
Was hat sich seit der Entdeckung der Spermatozoen im Jahre 1677 durch A. van Leeuwenhoek und der Entdeckung der menschlichen Eizelle 1827 durch K. E.
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
von Baer alles getan, um den Befruchtungsvorgang zu verstehen? Die Ejakulation von Spermien führt zu einem Massenstart, der auf der Zielgeraden in ein regelrechtes Rennen übergeht. Unser Leben beginnt mit einem Schwimmen der Spermien gegen den abwärts gerichteten Strom des Cilienepithels im Ovidukt (negative Rheotaxis; „ϱ̔έος, réos“ = Fließen, Strom; „τάξις, táxis“ = Ordnung, Aufstellung). Dieser Strom leitet die Eizelle (Oocyte), die aus dem Zellhaufen eines Cumulus oophorus („eitragender Hügel“) eines Follikels freigesetzt wird, in die entgegengesetzte Richtung, also zum Uterus hin. Nach der „Hochzeit“ wird das „Nest“ gebaut – die Nidation der befruchteten Eizelle im Uterus. Der deutsche Chemiker und Biophysiker Benjamin Kaupp fand 2011, dass dieser Endspurt angetrieben wird von einem Ca2+-Einstrom über einen progesteronstimulierten pH-sensitiven Ca2+-Kanal, den er CatSper nannte [54]. Progesteron wird von den Zellen des Cumulus bereitgestellt: keine Zeit für Signaltransduktion über metabotrope Effekte, also keine Bildung von metabolischen Aktivatoren à la InsP3. Es muss schnell gehen, es geht ums Ganze: „survival of the fittest“ – Darwins „struggle for life“ bis auf das zelluläre und molekularbiologische Niveau. Es folgen Schritte, die bereits seit über einem halben Jahrhundert bekannt sind: die Akrosomenreaktion, d. h. die Ausschüttung von einer Art lysosomaler Enzyme aus dem Akrosom, einem flachen Sack, der dem kompakten Zellkern aufliegt. Diese Form der Exocytose wird induziert durch Kontakt mit der Zona pellucida, welche die Eizelle umgibt. Erst dann können sich Ei- und Samenzelle vereinen. Dabei wird das Flagellum abgeworfen; die väterlichen Mitochondrien, soweit sie ins Ei gelangt sind, werden bei Säugetieren abgebaut, der Spermakern gibt die Protamine zugunsten von Histonen ab und lockert sich auf. (Während der Spermiogenese werden die Histone gegen die ebenfalls basischen
Protamine ausgetauscht. Dies ermöglicht Ladungsabschirmung und Dichtestpackung von DNA für den schnellen Massentransport des genetischen Materials.) Bereits im alten Ägypten, in den klassischen mediterranen Kulturen und in der Ayurvedakultur versuchte man, die Befruchtung oder die Nidation zu verhindern oder gegebenenfalls abzubrechen. Dioscurides, der griechische Militärarzt unter den römischen Kaisern Claudius und Nero (1. Jahrhundert n. Chr.), kannte an die 100 derartige Pflanzen. Im Mittelalter bis in die angehende Neuzeit nahmen sich Kräuterkundige, meist Frauen, des Problems ungewollter Schwangerschaften an. Sie wurden als Hexen verfolgt, ertränkt oder verbrannt. „Der Hexenhammer“ („Malleus maleficarum“), 1486 von dem Dominikanermönch Heinrich Kramer verfasst, gab Anhaltspunkte zum sicheren Erkennen von Hexen. Wanderer durch den bodenseenahen Hegau kennen die Hexenorte… Es wurden Substanzen gefunden, von denen wir heute wissen, dass sie spermizide Wirkung haben, andere, welche die Viskosität des Schleimbelags ändern bzw. das Vordringen der Spermien behindern (Antikonzeptiva), oder schlussendlich solche, die zum Abstoßen des Embryos führen (Abortiva). Es sind zum Teil irrationale Verfahren mit hoher Gefahr für die betroffene Frau. Dazu gehören die Samen der wilden Möhre (Daucus carota, Apiaceae, Doldenblütler), die häufig auf trockenen Wiesen gedeiht, die Haselwurz (Asarum europaeum) und der lokal in warmen Felsgebieten heimische Sadebaum (Juniperus sabina, eine Wacholderart); dieser wurde wegen seines abortiven Effekts auch als Jungfernpalme oder Mägdebaum apostrophiert. Hierzu kann die Zellbiologie wenig sagen. Wenig Glück hatte man mit Gossypol aus Baumwollsamen (Gossypium spec., Malvaceae, Malvengewächse) als Antikonzeptivum, obwohl es einst in Ostasien als „empfängnisverhütende Droge ohne Reue“
14.7 · Lobpreisung von Eukaryotengiften – Geschenke für die Zellbiologen
für Männer gefeiert wurde. Es handelt sich um ein dimeres Sesquiterpen. 1929 wurde in China eine Korrelation zwischen der Verwendung von Baumwollsamenöl und der männlichen Fertilität beobachtet. Systematische Studien hierzu gab es in China ab 1970. Ab Mitte der 1980er-Jahre wurde eine Hemmung cytosolischer und mitochondrialer Dehydrogenasen sowie der cytosolischen Phospholipase A2 registriert, die einerseits die Energetik und andererseits die Akrosomenfunktion gewährleisten; beides könnte den Befruchtungsvorgang stören. Gossypol beeinträchtigte jedoch auch die K+-Homöostase im Blut und führte zu beträchtlichen Ermüdungserscheinungen. Mitte der 1990er-Jahre produzierte eine brasilianische Pharmafirma eine Pille für den Mann mit dem aussagekräftigen Namen Nofertil, ein niedrig dosiertes Gossypolpräparat. Nofertil führte jedoch in vielen Fällen zu dauerhafter Sterilität wegen mangelnder Spermienbildung (Azoospermie). Das war das Ende von Gossypol und Nofertil als Antikonzeptiva. Die „Pille für den Mann“ gibt es immer noch nicht, aber sie erscheint in Reichweite, denn an ihr wird seit 2009 gearbeitet: Das Versuchspräparat HC.056456 (3,4-bis[2-thienoyl]-1,2,5-Oxadiazol-NOxid) hemmt den Einstrom von Ca2+ in die Spermatozoen und damit ihren Flagellenschlag, also ihre Fortbewegung. „Rien ne va plus, faites vos jeux!“. 14.7.3 Lob und Tadel für
Mutterkornalkaloide und ähnliche Psychedelika
Interessant wird es beim Mutterkorn. Das sind Roggenkörner, die durch den parasitären Pilz Claviceps purpurea zu übergroßen schwarzgrauen Körnern umgebildet wurden (Sklerotien). Diese enthalten das Alkaloid Ergotamin, das zu Uteruskontraktionen führt. Es wurde früher als Abortivum, später in geringerer Dosis als wehenunterstützende Droge eingesetzt und
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hat somit eine entfernt ähnliche Funktion wie das Neuropeptid Oxytocin (7 Abschn. 10.7). Der Effekt zielt dabei auf die glatte Muskulatur des Uterus. Im Brot allerdings verursachte das Mutterkorn besonders im Mittelalter, bevor seine Bildung durch Beizen des Saatgutes verhindert und es wirksam von den Getreidekörnern abgetrennt werden konnte, Epidemien von Ergotismus. Dieser führt wegen der Kontraktion der glatten Muskulatur zur Verengung der Blutgefäße und zu Durchblutungsstörungen bis zum Absterben von Gliedmaßen (Gangrän). Weitere Symptome sind Geschwüre, Lähmungserscheinungen, Wahnvorstellungen und schlussendlich Herz- und Atemstillstand. Man nannte dies das Antoniusfeuer, denn hier konnte nur der Heilige Antonius helfen; die ihm geweihten Klöster boten Hilfe an. Besondere Heilkraft wurde erreicht, wenn die Patienten vor der Heilkur vor dem (äußerst eindrucksvollen) Isenheimer Flügelaltar (1516, Colmar im Elsass) des Matthias Grünewald verweilten. Hier zeigt die Tafel zur Versuchung des Heiligen Antonius einen von Geschwüren übersäten Patienten. Das klösterliche Geheimnis: Es gab unverseuchtes Antoniusbrot – St. Antonius hat geholfen. Einen Nachlauf des Ergotismus gab es in den 1980er-Jahren in Deutschland als Folge einer bedingungslosen Rohkost-/Biowelle. Noch vor 15 Jahren erstaunte mich ein Roggenacker im Hegau mit Dutzenden Mutterkörnern pro Quadratmeter. Hier sei die Bemerkung eingefügt – obwohl vom Thema etwas wegführend –, dass die synthetische Chemie aus Naturdrogen noch viel wirkmächtigere Drogen produzieren kann. Ein Beispiel ist das Psychopharmakon LSD, das auf das Ergotamin des Mutterkorns aufbauend entwickelt wurde. Der Schweizer Chemiker Albert Hofmann experimentierte 1938 mit Mutterkorn in der Erwartung, eine kreislaufstützende Sub stanz zu entwickeln. Er erhielt Lysergsäurederivate, die allerdings im Tierversuch keine auffälligen Reaktionen auslösten.
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Erst 1943, als er die Versuche dennoch wiederaufnahm, erfuhr er selbst seltsame Empfindungen: Schwindel, Sehstörungen, Lachreiz, Verwandlung vertrauter Gegenstände und Personen. Dazu kam ein nie gesehenes Farbenspiel wie in einem Kaleidoskop. Er hatte die psychedelische Droge LSD, Lysergsäurediethylamid, entdeckt („ψυχή, psychḗ“ = Seele; „δῆλος, dẽlos“ = offenkundig, offenbar), wie er 1979 in seinem Buch „Mein Sorgenkind“ berichtet [55]. Es ist dies ein schweres Suchtgift, das Künstler und der heroische Weltkrieg-I-Veteran Ernst Jünger zur Erweiterung der Sinne anwendeten. Die Wirkung von LSD ist ähnlich jener der Kahlkopfpilze (Psilocybe), die als Teonanacatl bereits von den Azteken kultisch eingesetzt wurden, wie ein Chronist im 16. Jahrhundert in seiner „Historia General de las Cosas de Nueva España“ beschrieb. Psilocybe kommt auch bei uns vor, besonders auf Almwiesen, wo man gelegentlich eifrige junge Pilzsucher sieht. Das Pilzgift Psilocybin ist relativ gut beherrschbar und wurde daher bei jungen Leuten beliebt. Seine Struktur wurde ebenfalls von A. Hofmann aufgeklärt, der es 1959 auch erstmals synthetisieren konnte. Überraschend wurde es im Oktober 2018 von der American Food and Drug Administration für eine große Studie zu einer Break through Therapy gegen behandlungsresistente Depressionen freigegeben. Ähnliches ergibt sich auch aus der groß angelegten Studie des Schweizers Franz X. Vollenweider, der 1998 in der Zeitschrift Neuroreport publizierte [56], dass Psilocybin auf Serotoninrezeptoren wirkt, im Gegensatz zu LSD, das auf Dopaminrezeptoren wirkt. Seitdem ist der Kahlkopfpilz auch in den Medien populär. Dieselbe Empfehlung wurde am 12. Februar 2019 für Ketamin (Acrylcyclohexylamin, ein Anästhetikum mit zwei C6-Ringen) ausgesprochen; die Substanz wurde bereits 1962 vom US-Chemiker C. Stevens synthetisiert, wurde aber über ein halbes Jahrhundert als zu gefährlich auf
die Seite gelegt. Ein entsprechendes Präparat wurde unter strengen Bedingungen (wegen seines Suchpotenzials) zugelassen. 2022 beschrieben J. Lopez et al., dass Ketamine spannungsabhängige K+-Kanäle der Subfamilie Q2 (KCNQ2) in glutaminergen Neuronen des ventralen Hippothalamus hemmen [72]. Für das bisher schwierige Feld der Depressionen ist die Spannweite der Nutzung weiterer möglicher zellbiologischer Effekte noch groß, von mRNAs bis zu N-Methyl-d-Aspartat-(NMDA-)Rezeptoren im Gehirn, wo es eine Subpopulation von Glutamatrezeptoren aktiviert. Die Zeitschrift Cell wertete Ketamin 2019 als Durchbruch bei der Behandlung von Depressionen. Für Ketamin wurde rezent der spannungsabhängige K+-Kanal KCNQ2 als Zielmolekül in glutaminergen Neuronen, unter anderen im Hippocampus, ausgemacht. Da es für diesen Kanal jeweils einen spezifischen synthetischen Inhibitor und Aktivator gibt, könnten sich hier neue experimentelle und möglicherweise auch neue therapeutische Ansätze eröffnen [93]. Wie für alle Modellvorstellungen zu einer serotonergen Wirkungsweise von Pharmaka (oben) scheint derzeit noch keine Hypothese, auch für das 1958 von A. Hofmann isolierte und 2018 von der FDA für behandlungsresistente Depressionen provisorisch freigegebene Psilocybin, unanfechtbar zu sein. So wird aktuell die früher propagierte Aktivierung von Hydroxytryptamin-Rezeptoren vom Typ 5-HT2R wiederum in Frage gestellt [73]. Hier muss wohl einmal ausgesprochen werden, dass die Natur dem Menschen nicht nur Positives, Lebensförderndes bietet. Dies gilt – auf den ersten Blick wenigstens – für verschiedene Alkaloide aus Nachtschattengewächsen (Solanacaeae) wie dem Schwarzen Bilsenkraut (Hyoscyamus niger), dem Weißen Stechapfel (Datura stramonium), der Tollkirsche (Atropa belladonna) und der Alraune (Mandragora officinarum). Bilsenkrautdämpfe dienten im griechischen Altertum der Wahrheits-
14.8 · Aus der Natur ins Zelllabor: Kanalhemmer, Pfeilgifte …
findung in Orakeln, ein Stechapfeltrunk wurde in der Neuzeit Reisenden als eine Art K.-o.-Tropfen verabreicht. Der Saft der Tollkirsche hat sympathomimetische Eigenschaften, d. h., er aktiviert Neurone des sympathischen Nervensystems. Die alten Ägypter und die neuzeitlichen Italiener wussten davon noch nichts, verwendeten aber Tollkirschensaft, um die Pupillen ihrer Frauen so zu erweitern, wie dies physiologisch während des Orgasmus der Fall ist. Daher kommt der Name Belladonna – schöne Frau. Denselben Effekt nützen die Augenärzte aus, damit sie bei der Augenspiegelung den Augenfundus besser untersuchen können. Anstelle des Sympathikomimetikums Atropin kann das synthetische Parasympathikolytikum Tropicamid eingesetzt werden. „Ophthalmika“ können also entweder den einen Teil des vegetativen Nervensystems aktivieren oder seinen antagonistischen Teil hemmen. Atropa ist der Name der Schicksalsgöttin, die den Lebensfaden abschneidet, und in der Tat genügen dazu nur wenige Beeren dieser Pflanze. Auch der Alraune haftet über Jahrtausende ein mystischer Ruf an; sie wurde als Halluzinogen und auch als Aufputschmittel in Kriegen eingesetzt. Insgesamt ist es sicherlich nützlich, stets auch die Risiken von Naturstoffen genau abzuwägen. Diese können von laborchemisch hergestellten Syntheseprodukten oft sogar noch übertroffen werden. 14.8 Aus der Natur ins Zelllabor:
Kanalhemmer, Pfeilgifte und weitere Gaben der Natur
Menschen versuchten seit alters her, sich die Natur zunutze zu machen, nicht nur als Nahrung, sondern auch über beobachtete oder mutmaßliche Wirkungen auf den Körper. Heute ist eines der Therapieziele bei klassischen Krankheiten, ein Pharmakon zu finden, das zielgerichtet auf ein kausal beteiligtes Molekül abhebt und dieses akti-
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viert oder meistens wohl deaktiviert. Handelt es sich um einen pathogenen Mikroorganismus, so sollte das Ziel ein Protein sein, dessen Homologes beim Menschen durch dieses Pharmakon nicht beeinträchtigt wird. Beispiele derartig unterschiedlicher Wirkungen gibt es für bakterielle und für eukaryotische Toxine: 5 Bakterielle Toxine können sehr unterschiedliche Effekte auf die Proteintranslation bei Bakterien und Mitochondrien einerseits und im Cytosol von Säugetieren andererseits ausüben (7 Abschn. 8.3.3). 5 Eukaryotische Toxine können an Elementen des Cytoskeletts durch verschiedene Bindeeigenschaften unterschiedliche Effekte bei Protozoen und Säugern bewirken. Heute ist die Hilflosigkeit früherer Jahrhunderte weitgehend überwunden. Aber auch vor Jahrhunderten versuchte man sein Bestes und wurde, obwohl man dabei im Dunkeln tappte, gelegentlich fündig. Im christlichen Abendland nahm man an, dass ein gütiger Schöpfergott seinen pflanzlichen Geschöpfen eine sichtbare Gebrauchsanleitung, eine Signatur als Hinweis auf den Nutzen für den Menschen, mitgegeben habe. Diese „Signaturenlehre“ war ein vorwissenschaftlicher Anlauf zur Einschätzung möglicher medizinischer Nutzanwendungen. Die Naturwissenschaften profitierten von der Neugier kluger Menschen, welche die Natur verstehen wollten, als die notwendigen Werkzeuge noch nicht verfügbar waren. Die Alchemisten des Mittelalters und der frühen Neuzeit versuchten Gold herzustellen und fanden eine Rezeptur für das „weiße Gold“ (Porzellan). Der Chemiker Georg Ernst Stahl versuchte um 1700 zu verstehen, warum sich das Gewicht beim Verbrennen verringert; sein Phlogiston („ϕλογιστός, phlogistós“ = verbrannt) legte die Suchspur zu Oxidoreduktionsprozessen, zum CO2 und zur (Kohlenstoff-)Assimilation. Vorläufer von Biologen
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
und Medizinern, die eigentlich noch nicht als solche bezeichnet werden konnten, zielten auf Heilpflanzen. Sie meinten, ein gütiger Gott habe jeweils einen Hinweis auf Heilkräfte über morphologische Merkmale gegeben. „Glaubt ihr denn, dass die Wissenschaften entstanden und groß geworden wären, wenn ihnen nicht die Zauberer, Alchymisten, Astrologen und Hexen vorangelaufen wären…“, schreibt der Dichter Friedrich Nietzsche in seinem Werk „Die fröhliche Wissenschaft“. Die Relevanz der Signaturenlehre für die Zellbiologie erschließt sich aus der Bedeutung beim Aufspüren von Pharmaka im Mittelalter. Um uns das zu vergegenwärtigen, machen wir einen kurzen Exkurs in vorwissenschaftliche Zeiten, als man vor dem Problem stand, die richtigen Heilpflanzen (oder auch tierische Produkte) für die richtige Krankheit zu erkennen. Das Alte Testament erwähnt zahlreiche Pflanzen, auch solche mit „Heilkraft“. Der Reichenauer Benediktinermönch und Abt Walahfrid Strabo († 849) hat in seinem aus 444 Hexametern bestehenden Lehrgedicht „Hortulus“ 24 Heilpflanzen gepriesen, einige davon wegen ihres Duftes (Wermut, Salbei, Raute). In einem mittelalterlichen Klostergärtlein liest man noch heute ein apodiktisches Junktim: „Kräuter, die duften und heilen.“ Zur Pestzeit zogen sich die Doctores eine Maske mit langem Schnabelfortsatz über, in den duftende Heilkräuter gepackt wurden. Sie wurden daher als „Doctor Schnabel“ bezeichnet – und waren erfolglos. Heute verweisen Apotheker und Psychologen auf angebliche Glückshormone, die durch Aromen freigesetzt würden. Aromatische Düfte wurden – teilweise wohl zu Recht – als wirksam eingestuft, da fragte niemand nach weiteren Hinweisen. Die gelehrte Nonne Hildegard von Bingen († 1179) hat in diesem Sinne geschrieben, ebenso wie später der legendäre Arzt und Apotheker Paracelsus (alias Theophrastus Bombastus von Hohenheim, † 1541). Sehen wir uns einige der zahlreichen Kandidaten aus der Sicht der Zellbiologie
an, denn irgendwo bräuchte es doch ein zelluläres Zielmolekül, um einen eventuellen Effekt zu erklären. 5 Eine Signatur wäre etwa die lappige Blattform des Leberblümchens (Hepatica nobilis, Ranunculaceae); jedoch führte dies auf eine falsche Spur, weil die Pflanze unwirksam ist. 5 Warum wird Hypericum perforatum (Johanniskraut, Hypericaceae, Johanniskrautgewächse) immer noch als Heilkraut angesehen? Hier hat die Signaturenlehre einen Treffer gelandet. Der Speziesname bezieht sich auf die feinen, im Gegenlicht sichtbaren Punkte in den Blättern, die Drüsen mit ätherischen Ölen enthalten. Tatsächlich wurde vor wenigen Jahrzehnten von einem „antiphlogistischen Prinzip“ berichtet, das die Entzündung von (Stich-)Wunden hemmen kann. 5 Ein anderes Beispiel: Tee vom chinesischen Baum Ginkgo biloba wurde bereits in der traditionellen chinesischen Medizin als Heilmittel eingesetzt, und neuerdings wurde ein positiver Effekt auf das Gehirn proklamiert. Die Reklame für Tebonin (7 Abschn. 10.6) überlagert immer das zweigelappte Blatt als Signatur mit den beiden Hirnhemisphären und suggeriert so eine Verbesserung des Gedächtnisses durch bessere Durchblutung. Das könnte theoretisch ja sein, weil Durchblutung auf zellulärem Niveau ja durch mehrere Mechanismen geregelt wird. Das hohe Alter, das der Ginkgo erreicht, mag die Fantasie beflügelt haben. Ginkgotee wird auch von prominenten Psychiatern empfohlen. Eine mit Oktober 2017 datierte Übersicht der US-amerikanischen Mayo-Klinik, die sich auf das Aufspüren von neuen Therapien spezialisiert hat und 2019 zum „#1 hospital in U.S.“ gekürt wurde, schreibt jedoch in Bezug auf Demenz: „There isn’t enough evidence to support the use of ginkgo to prevent dementia … reseach suggests that
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taking ginkgo has no significant benefits“ (7 https://www.mayoclinic.org/patient-care-and-health-information. [Es gibt keine ausreichende Evidenz, welche die Einnahme von Ginkgo zur Vorbeugung von Demenz stützt … Die Forschung legt nahe, dass Ginkgo keinen signifikanten Vorteil bringt.] – Also trotz intensiver Werbung: kein Effekt. 5 Warum wurden „signaturlose“ Pflanzen wie der Giersch (Aegopodium podagraria, Apiaceae, Doldenblütler) so hoch als Gegenmittel für Gicht gehandelt? Hier gibt es keine Signatur und auch keine Wirkung, es sei denn in gekochter Form als Vitamin-C-Spender anstelle von Spinat. Dennoch hatten ihn die alten Römer als „Gichtkraut“ regelrecht kultiviert. Heute wird er von Gärtnern wegen seiner invasiven Verbreitung durch Wurzelsprosse gehasst. 5 Dagegen hat es die Herbstzeitlose (Colchicum autumnale, Liliengewächs der Familie Colchicaceae) aufgrund der Signaturenlehre zum Heilmittel bei akuten Gichtanfällen geschafft, wofür sie noch bis in jüngster Zeit in der Medizin sehr geschätzt wurde. Ursache der Gicht ist die Anreicherung von Harnsäure in den Gelenken. (Das betraf über Jahrhunderte vor allem reiche Leute und Herrscher mit übermäßigem Fleischkonsum, denn Harnsäure ist ein Abbauprodukt von Purinen.) Das Alkaloid Colchicin zerstört Mikrotubuli, was nicht nur seinen cytostatischen Effekt erklärt, sondern auch die Hemmung der Einwanderung von Leukocyten in die Gelenke, die bei Gicht als Auslöser der schmerzhaften Entzündung fungieren. Diese Leukocyteninvasion erfolgt zwar über amöboide Bewegung mit Chemotaxis durch Umstrukturierung der Aktinfilamente (7 Abschn. 9.15.1), aber nur wenn Mikrotubuli die polare Zellform vorgeben. Erstaunlich ist der Fingerzeig, der zur therapeutischen Verwendung führte: Es war die Ähnlichkeit der
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Colchicum-Zwiebel mit einer gichtgeplagten Zehe – welch eine Signatur! Bereits Hippokrates hatte Colchicum um 400 v. Chr. gegen „Gichtarthritis“ eingesetzt, und dabei ist es lange Zeit geblieben. Neuere Präparate hemmen die Harnsäurebildung durch Hemmung der Xanthinoxidase bzw. sie fördern den Abbau der Harnsäure zu Allantoin durch Stimulation der Uricase. Das ist hervorragende, zellbiologisch fundierte kausale Schmerztherapie. Wie viel hätten die spanischen Habsburger-Kaiser des 16. Jahrhunderts, Karl V. und sein Sohn Phillip II., in deren Reich die Sonne nie unterging, gegeben, wenn sie über derlei Medikamente verfügt hätten. Ihr hoher Fleischkonsum bescherte ihnen die Gicht – die Krankheit der Reichen. So aber ließen sie sich in der Palastkirche des Escorial in Altarnähe eine Seitenkapelle einbauen, in der sie unter Schmerzen, liegend und dem Volke unsichtbar, dem Gottesdienst beiwohnen konnten. 5 Zum Schluss der Kuriosität halber noch zwei bizarre Signaturen tierischer Produkte, deren Wirkung den Signaturadepten direkt ersichtlich scheint: Es sind dies Potenzmittel aus Tigerknochen und aus dem Horn des Rhinozeros. Der Penisknochen (der übrigens auch anderen Raubtieren wie Dachs und Bär zu eigen ist und den auch manche Affenarten besitzen) hat die Fantasie beflügelt. Im Falle des Horns des Nashorns handelt es sich um gebündelte Haare (Keratin) und man könnte daher ebenso gut empfehlen, seine Fingernägel zu kauen. Das hätte genauso viel oder genauso wenig Wirkung und würde diese fantastischen Tiere schonen. Niemand im Westen konnte ahnen, dass Ähnliches dem in Afrika und Südostasien beheimateten Schuppentier (Manis) bevorstünde, wie kürzlich die Presse in Zusammenhang mit der Übertragung von CoV-2 berichtete (Zoonosen). Auch seine Schuppen leiten sich von Haarbündeln ab.
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
Den sehr beschränkten Informationen standen über Jahrhunderte viele Geschichten und Legenden gegenüber, die immer weiter aus- und in deduktive Schlüsse umgebaut wurden. Das Ganze rundherum um die Signaturenlehre war also wohl der Versuch, deduktiv Rationalität in eine zunächst weitgehend faktenfreie mittelalterliche Argumentation zu bringen. Dieser vorwissenschaftliche Ansatz hat einige wenige Treffer gelandet, die allerdings auch den Zellbiologen interessierten. Erst mit dem Empirismus begann um 1600 die induktive Forschung – eine Voraussetzung für die induktive (zell-)biologische, pharmazeutische und medizinische Forschung in den folgenden Jahrhunderten. Noch aber war die Zeit, da ein „vir clarissimus“ (ein hoch angesehener Mann – ja Mann) ein Semester lang eine Vorlesung über das Gefieder der hochheiligen Erzengel halten konnte. 14.9 Spätere Anläufe zu
vertieftem Verständnis von „Gaben“ der Natur in der Zellbiologie
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Betrachten wir nun Toxine, die einerseits in der Natur eine Rolle spielen und andererseits in der Hand des Zellbiologen zu wertvollen Instrumenten wurden. 14.9.1 Effekte auf Ionenkanäle
Die Abwehr von Fressfeinden durch Produkte des pflanzlichen Metabolismus mag manchmal gut funktionieren, wie bei Weissen Germer (Veratrum album, Liliaceae) auf unseren Almwiesen zu beobachten ist: Das Weidevieh lässt ihn stehen, während rundherum alles abgegrast wird. Der aktivierende Effekt seines Toxins, des Steroidalkaloids Veratridin, auf Na+-Kanäle wirkt sich spürbar auf die inneren Organe aus, sodass er gerne gemieden wird. Dazu ist im Portal „Homöopathie online“ zu lesen:
» Hahnemann schrieb, Veratrum album sei
hilfreich ‚zur Beförderung der Heilung fast eines Drittels von den Wahnsinnigen in den Irrenhäusern‘, die wichtigste Arznei in der Psychiatrie bei Zerstörungswut, Manie, Geldverschwendung und Lügen. Die körperliche Symptomatik sind Brechdurchfall, Ohnmachtsneigung, plötzliche Kraftlosigkeit mit kaltem Schweiß. [58]
Dazu ein kurzer Einschub. Mit der Homöopathie ist es so eine Sache, die hier nicht vertieft werden soll. Nur so viel: Wenn bei „hochpotenzierten“ Präparaten statistisch kein einziges Drogenmolekül mehr präsent sein kann, bliebe immer noch ihre „Impression“ im Wasser – zumindest, wenn man von der komplex-dynamischen Struktur von flüssigem Wasser nichts weiß. Flüssiges Wasser bildet mit der hohen Frequenz von 1010 bis 1011 pro Sekunde kurzlebige dynamische Cluster, sodass keine „Impressionen“ von Fremdmolekülen bleiben können. Derlei wurde von Medizinern als „Fervor-Effekt“ für das thermale „Heilwasser“ von Bad Gastein postuliert, bis der österreichische Pharmakologe Carlo Job dieses „Wirkprinzip“ in eleganten Experimenten ad absurdum führte. Es bleibt zu entscheiden, ob man solche Präparate in geringer Konzentration als kontrollierbare Placebos beibehalten und weiterfinanzieren will. Das erinnert mich an die Beichte eines hervorragenden Mediziners, er glaube jetzt nach all seinen Beobachtungen, dass man Warzen wegbeten könne – nicht ohne vorweg anzumerken, dass ich ihn jetzt wohl für verrückt erklären würde – was ich nicht tat. (Ich kenne die Kraft der Suggestion im positiven wie im negativen Sinn bei vermeintlichen Pilzvergiftungen.) Zurück zu den Ionenkanälen. Veratridin hält Na+-Kanäle offen, und darin liegt das Interesse der Zellbiologen. Einen ähnlichen Effekt wie Veratridin hat auch das Diterpenalkaloid Aconitin des Eisenhuts (Aconitum, Ranunculaceae), das bei den von Al-
14.9 · Spätere Anläufe zu vertieftem Verständnis …
exandre Dumas d. Ä. im 19. Jahrhundert in seinem Roman „Der Graf von Monte Christo“ beschriebenen Intrigen zum Einsatz kam. Auch manche Tiere produzieren Stoffe mit ähnlichem Effekt auf Na+-Kanäle, wie das Steroidalkaloid Batrachotoxin – ein Gift der Amphibienhaut („βάτραχος, batrachos“ = Frosch). Dazu gibt es Gegenstücke für K+-Kanäle. Eine der Giftkomponenten der Honigbiene (Apis mellifera), Apamin, ist ein Inhibitor von Ca2+-abhängigen K+-Kanälen; wegen seiner geringen Größe und seines lipophilen Charakters kann es die Blut-Hirn-Schranke durchdringen und die neuronale Aktivität kompromittieren. Das Bienengift enthält – wie die meisten anderen Gifte auch – einen Cocktail von Giften, einschließlich Melittin. (Dieses stört die Lipidschicht von Biomembranen und galt in den 1970er-Jahren als Kronzeuge für die spontane Integration von Proteinen in Biomembranen; 7 Abschn. 9.3.2) Auch Skorpiongifte haben verschiedene toxische Hauptkomponenten, wie Inhibitoren von K+-Kanälen, aber auch solche für Ca2+-Kanäle vom Typ Ryanodinrezeptor. K+-Kanäle werden durch Imperatoxine des afrikanischen Skorpions Pandinus imperator geblockt; sie sind membrangängige Peptidtoxine und wurden erst in den 1990er-Jahren bekannt. In der Zellbiologie erwiesen sich derlei Gifte, besonders die Aktivatoren und Inhibitoren von Ionenkanälen, zumal in der Elektrophysiologie ab dem 20. Jahrhundert, von unschätzbarem experimentellem Wert. Da gab es in Übersichtsartikeln fast so etwas wie ein leises Wehklagen: Den Zellbiologen blieben lange Zeit biogene Inhibitoren für spezifische Subtypen von Ca2+-Kanälen versagt. Der Aufbruch erfolgte erst mit Beobachtungen an langsam kriechenden Schnecken des Meeresbodens, den Kegelschnecken (Conus), die auch im südlichen Mittelmeer häufig anzutreffen sind. Es wurde beobachtet, wie sich diese sprichwörtlich langsamen Schnecken gemächlich einem ruhenden, normalerweise sehr agilen
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Tier nähern und plötzlich einen Pfeil mit einem Sekret ausstoßen, das die Beute lähmt und tötet. Es ist der Effekt von Conotoxinen, eines komplexen Giftcocktails. Conotoxine sind relativ kurze Peptide, die 1995 erstmals beschrieben wurden [59]. Dann mussten die geschätzten 100 toxischen Peptide mit sehr unterschiedlichen toxischen Effekten voneinander getrennt, aufgereinigt und elektrophysiologisch analysiert werden. Dies ging als „konzertierte pharmakologische Entdeckung“ in die Geschichte der Toxikologie ein. Als man Omega-(ω-)Conotoxin genauer untersuchte, entpuppte sich dieses als ein hochtoxischer Inhibitor von spannungsabhängigen Ca2+-Influxkanälen. Eine Neurotransmission kann nicht mehr stattfinden – die Beute wird gelähmt. Die Evolution hat sich für langsame Dicke offensichtlich eine alternative „schlaue“ Strategie einfallen lassen und auf diesem Wege auch den Zellbiologen ein wertvolles Instrument an die Hand gegeben. Da ω-Conotoxin Schmerzen bis zu tausendmal wirkungsvoller als Morphin unterdrückt, wird eine synthetische Form als Analgetikum verwendet („ἄλγος, álgos“ = Schmerz). In der Alltagsmedizin werden dagegen Abkömmlinge des synthetischen Dihydropyridinwirkstoffs Nifedipin, wie Lercanodipin, zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt. Dieser von den erwähnten Substanzen unabhängige Wirkstoff wurde Ende der 1960er-Jahre in Deutschland synthetisiert – seine Wirkungsweise wurde ab 1969 von dem renommierten Pharmakologen und Physiologen A. Fleckenstein bei der Bayer AG aufgeklärt – und wird immer noch viel verwendet. 1983 fasste Fleckenstein die weiteren Entwicklungen zu unschätzbaren Therapeutika in der Zeitschrift Circulation Research zusammen [60]. Sie blockieren den Einstrom von Ca2+ in glatte Muskelzellen mit dem Effekt einer Gefäßerweiterung und Senkung des Blutdrucks. Es ist dies ein überzeugendes Beispiel dafür, dass Mutter Natur auch nicht alles erfunden hat, was für unser Heil möglich wäre.
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
14.9.2 Effekte auf Ionenpumpen/
Transporter
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Die Entdeckung des Fingerhuts (Digitalis, Scrophulariaceae, Rachenblütler) als Heilmittel geht auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück. Der englische Botaniker William Withering erfuhr von einem Kräuterweiblein, dass die Pflanze „foxglove“ gegen Ödeme („dropsies“) verwendet werden kann. Er wurde von Erasmus Darwin, dem Großvater von Charles Darwin, zu einem problematischen Fall konsultiert. 1785 publizierte E. Darwin beim College of Physicians in London eine Arbeit mit dem Titel „An account of the successful use of foxglove in some dropsies and in pulmonary consumption“. Die Digitalispflanze produziert herzwirksame Digitalisglykoside, in denen ein Desoxyzucker mit einem Steroidmolekül gekoppelt ist (Steroidglykoside). Sie haben in der Sprache der Physiologen einen positiv inotropen und einen negativ chronotropen Effekt auf die Herztätigkeit, d. h., sie erhöhen die Schlagkraft bei gleichzeitiger Senkung der Frequenz. Dem liegt eine Hemmung der allgegenwärtigen Na+/ K+-ATPase zugrunde, von deren herausragender Bedeutung für die Zelle mehrfach die Rede war. (Sie wurde lange Zeit als die „Transport-ATPase“ schlechthin bezeichnet.) In diesem Zusammenhang wird die Konzentration von Na + und über den Na+/ Ca2+-Austauscher auch jene von Ca2+ in den Zellen beeinflusst. Wegen der umweltabhängigen variablen Biosynthese mussten besondere Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden, indem die Komponenten Digoxin und Digitoxin sorgfältig standardisiert wurden, bevor sie als herzwirksame Drogen eingesetzt werden konnten. Allerdings gab das Ärzteblatt 2016 unter dem Titel „Kann man Digitalis noch verordnen?“ folgende Empfehlung: 1. Für die evidenzbasierte Herzinsuffizienztherapie benötigen wir Digitalis heute nicht mehr.
2. Das tachyarrhythmische (langsam und unregelmäßig) Vorhofflimmern wird durch Betablocker und Calciumantagonisten in der Regel effektiver behandelt, da die Kammerfrequenz dann auch unter Belastung reduziert wird. In Erinnerung bleiben die schönen Porträts, die Vincent van Gogh 1890 von Dr. Gachet mit einer Digitalis-Pflanze in der Hand komponiert hat – einst ein frühes Sammelstück deutscher Kultur und später von faschistischer Unkultur als „entartet“ verfemt. Bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte g-Strophanthin (identisch mit Ouabain), auch ein sterolhaltiges Glykosid, als herzwirksames Heilmittel, bis es durch Digitalispräparate verdrängt wurde. g-Strophanthin wurde ursprünglich von Afrikanern als Pfeilgift von höchster Toxizität verwendet, gegen das es kein Gegengift gibt. Es wird mit anderen Strophanthinformen aus der Rinde von überwiegend tropisch-afrikanischen Hundsgiftgewächsen (Apocynaceae) wie Strophanthus isoliert. Seine Wirkung wurde von einem Botaniker im Gefolge des legendären Afrikaforschers D. Livingstone erprobt. Ouabain ist noch heute der klassische Inhibitor, den die Zellbiologen zur Hemmung der Na+/K+-ATPase bzw. deren Identifizierung einsetzen. Es war eine große Überraschung, als 1991 eine US-amerikanische Gruppe um M. P. Blaustein eine endogene ouabainartige Substanz („ouabain-like compound“) im menschlichen Körper entdeckte [61]; dies blieb jedoch ohne medizinische Konsequenzen. 2014 schrieb Blaustein einen Rückblick mit dem Titel „Why isn’t endogenous ouabain more widely accepted?“ [62]. [Warum findet endogenes Ouabain nicht mehr Akzeptanz?] Seine Antwort: „I usually simply shrug and express disappointment that EO is not yet a ‚mainstream hormone‘“ (EO steht für „endogenous ouabain“.) Und am Ende seiner Diskussion:
14.9 · Spätere Anläufe zu vertieftem Verständnis …
» These considerations should provide novel insight into therapeutics.
» [… Meist zucke ich bloß mit den Schultern
und drücke meine Enttäuschung darüber aus, dass EO eben noch kein ‚allgemein bekanntes Hormon‘ ist … Diese Überlegungen sollten neue Einsichten in therapeutische Aspekte bringen…]
In den unmittelbar folgenden Jahren wurde diese Substanz („endogenous ouabain“) intensiv untersucht. Sie ist um einen C6-Ring kürzer als das pflanzliche Ouabain, wird im Hypothalamus und in den N ebennieren gebildet und tritt vermehrt bei chronischem Bluthochdruck (Hypertonie) auf, sodass eine Funktion bei der Regulierung des Blutdrucks angenommen wird. 14.9.3 Pfeilgifte und Ziele für
Giftpfeile
Pfeilgifte haben es ebenfalls in sich, auch für die Zellbiologen. Sie sind zum Paradigma des Begriffs Toxins geworden („τόξον, toxon“ = Pfeil), entstammen aber sehr verschiedenen Pflanzen und Tieren. Einige der bekanntesten Pfeilgifte der südamerikanischen Indios laufen unter dem Namen Curare. Eines der Alkaloide wird aus Wurzeln der Pflanze Strychnos toxifera aus der Familie der Brechnussgewächse (Loganiaceae) gewonnen. Was unter „Strychnin“ im Allgemeinen gemeint ist, ist ein Alkaloidgift aus der Brechnuss (Strychnos nux-vomica), das in Südostasien als Pfeilgift verwendet wurde. Toxine der Gruppe (Tubo-)Curare dagegen werden aus der Rinde der Liane Chondrodendron tomentosum gewonnen (Menispermaceae, Mondsamengewächse). Curare bezeichnet also eine Sammlung verschiedener Alkaloide. 1856 zeigte der Franzose Claude Bernard, dass Curare die neuromuskulären Synapsen und damit die Muskelkontraktion hemmt. Um 1980 herum
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wurde gezeigt, dass der Effekt auf der Bindung an Acetylcholinrezeptoren der postsynaptischen Membran der neuromuskulären Kontakte („neuromuscular junctions, end plates“) und deren Blockierung beruht. Da es sich um ligandaktivierte Ionenkanäle handelt, wird die Neurotransmission unterbunden. Ähnliches gilt für das erwähnte „Strychnin“ aus der Brechnuss, das ein Antagonist des Glycinrezeptors ist. (Dieser ist neben dem GABA-Rezeptor einer der Rezeptoren mit Hemmeffekt auf Neurone des Rückenmarks.) Der Glycinrezeptor ist ein Chloridkanal, und Strychnin hemmt den hemmenden Effekt von Glycin, wodurch die entsprechenden Neurone aktiviert werden. Für die Aufklärung der Struktur von Strychnin und seine chemische Synthese ging der Nobelpreis für Chemie 1947 an Sir Robert Robinson und 1965 an Robert B. Woodward. Neurotoxisch wirken auch, obwohl nach einem anderen Mechanismus, andere Pfeilgifte wie das bereits angesprochene Steroidalkaloid Batrachotoxin. Da es die Inaktivierung von Na+-Kanälen hemmt, die auf diese Weise offen bleiben, ist es als Pfeilgift geeignet und wird sowohl in Südamerika als auch in Papua-Neuguinea eingesetzt. Davon hebt sich die Wirkungsweise des bicyclischen Alkaloids Epibatin der kleinen Baumsteigerfröschchen Südamerikas ab, die wiederum mit dem Acetylcholinrezeptor interagieren. (Derlei Fröschlein kann man leicht an Bäumen inmitten mittelamerikanischer Dörfer beobachten.) Zu den Toxinen, die an die Acetylcholinrezeptoren des postsynaptischen Faltenapparats binden, zählt auch das hochtoxische Protein α-Bungarotoxin der schönen, schwarzweiß gebänderten, zarten ostasiatischen Schlange Bungarus multicinctus; es wurde in den 1970er-Jahren zur Lokalisierung der Acetylcholinrezeptoren durch licht- und elektronenmikroskopische Autoradiographie eingesetzt. Die Rezeptoren wurden dabei auf der oberen Hälfte des postsynaptischen Faltenapparats loka-
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
lisiert. Bei der Autoimmunkrankheit Myasthenia gravis konnte in den 1970er-Jahren mit Affinitätsmarkierung gezeigt werden, dass der postsynaptische Faltenapparat zunehmend obliteriert und dabei die Acetylcholinrezeptoren abnehmen. Unerwartet haben die 1978 von den Briten Sir Bernard Katz und R. Miledi publizierten elektrophysiologischen Untersuchungen einen wesentlichen Unterschied zwischen den inhibitorischen Effekten von Curare und α-Bungarotoxin aufgezeigt. (Der erste Autor ist der Vater der geschätzten Protozoologin und Evolutionsforscherin Laura Katz, wie sie mir anvertraute. Er hatte 1969 für seine bahnbrechenden Arbeiten an Muskelzellen den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhalten.) Die molekularen Bindestellen von α-Bungarotoxin am Acetylcholinrezeptor konnten von H.-P. Zingsheim, Göttingen, mit Niederdosis-Elektronenmikroskopie im Rastermodus und digitaler Auswertung („single particle averaging“) eingeengt werden. Die Arbeit erschien 1982 in der Zeitschrift Nature [63]. Es waren eine Methodik und ein Programm, deren Spur sich bis zu den Nobelpreisen von 2017 weiterverfolgen lässt (7 Abschn. 4.1). Inzwischen ist daraus ein breites Feld von kombinierten Techniken ähnlicher Art für die Analyse einzelner Makromoleküle geworden. 14.10 Toxine, Zivilisation und
Zellbiologie
14.10.1 Suchtgifte aus der Natur
und Zellbiologie – wie geht das zusammen?
Die Natur hat uns bestechlich gemacht, und dies aus gutem Grund. Für förderliche Erlebnisse werden wir nach herkömmlicher Meinung emotional belohnt – mit einer Serie von Hormon- und Transmitteref-
fekten: Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, Endorphine und Oxytocin. Sie werden teilweise als „Glückshormone“ gesehen, deren zentralnervöse Ausschüttung positive Emotionen im Gehirn erzeugt, die komplex verrechnet werden. (Dem Konzept von „Glückshormonen“ sind jedoch im Einzelfall ernsthafte Einwände entgegenzuhalten; 7 Abschn. 10.5). Die Emotionsverarbeitung startet im Thalamus, der Mandelkern (Amygdala) vermittelt Gefühle in Richtung Vorsicht und Angst, und das limbische System steuert Emotionen, psychischen Antrieb und Gedächtnis. Es ist ein komplexes Wechselspiel mit verschiedenen Neurotransmittern und deren Rezeptoren, jeweils mit distinkter Verteilung in den verschiedenen Hirnzonen. Zugrunde liegt die Interaktion von verschiedenen Hirnbereichen wie dem ventralen tegmentalen Areal (VTA), dem Hippocampus, dem limbischen System an der Basisseite des Thalamus (mit Endorphinausschüttung), der Amygdala, dem Nucleus accumbens und dem präfrontalem Cortex. Sie werden präferenziell von verschiedenen Neurotransmittern „bespielt“, wie Dopamin, Glutamat und γ-Aminobuttersäure (GABA), Letzteres mit modulatorischem Effekt. Suchtdrogen sprechen verschiedene Bereiche an, indem sie die entsprechenden Rezeptoren aktivieren und so wegen ihrer supraoptimalen Wirkung einen Belohnungseffekt auslösen, dessen Wiederholung angestrebt wird (Sucht), denn „alle Lust will Ewigkeit – will tiefe, tiefe Ewigkeit“ (Friedrich Nietzsche). Eine besondere Rolle beim Lustempfinden und beim Effekt verschiedener Pharmaka kommt dem mesolimbischen System und dabei insbesondere dem im basalen Bereich des Vorderhirns (Telencephalon) gelegenen Nucleus accumbens zu. Nach ihrer Benennung 1904 dauerte es bis in die 1970er Jahre, dass Opiatrezeptoren und Dopaminrezeptoren mittels Autoradiographie im N. accumbens entdeckt wurden, gefolgt von Acetylcholin. Unter Beteiligung seiner dopaminergen Neuronen ver-
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mittelt er emotionale Tönungen negativer oder positiver Empfindungen und trägt sogar zum „Doping-Effekt“ von Extremsport bei. Wie der Neurobiologe Eric Kandel betont, ist ein anderer Aspekt dieser komplexen neuronalen Interaktionen die Untrennbarkeit von Gefühlen und im Laufe des Lebens abgespeicherten Erlebnissen [64]. Wie allgemein bekannt, lernt sich’s denn auch besser, wenn man für ein Thema besonderes Interesse hegt. Manche nennen das psychosomatischen oder psychophysischen Parallelismus und betonen – wie Kandel – die Untrennbarkeit von Geist und Körper und somit implizit auch von Geistes- und Naturwissenschaften. Neben der äußerst komplexen, hierarchischen Organisation sehen wir im Gehirn das Ineinandergreifen von elektrischen und chemischen Signalen, seien es Transmitter oder Hormone, mit vielfältigen Kooperations- und Interferenzmöglichkeiten. Endorphine kennen wir aus 7 Abschn. 10.5, ebenso wie ihre pflanzlichen Äquivalente. Säugetiere und Blütenpflanzen haben also äquivalente Substanzen erfunden. Als Opium bezeichnet man den Milchsaft der angeritzten Kapsel der Mohnpflanze Papaver somniferum (Schlafmohn), die zur großen Gruppe der Rhoeadales gehört (trivial: Milchsaftgewächse). Morphium oder Morphin ist sein Hauptalkaloid. Opiate waren bereits der traditionellen chinesischen Medizin vertraut, ab etwa um 4000 v. Chr. Sie waren auch im antiken Rom bekannt, wie aus Walahfrid Strabos „Hortulus“ ersichtlich ist: Ceres (Latona) soll ihren Kummer wegen des Raubes ihrer Tochter Proserpina (Persephone) mit Mohn gestillt haben. Noch heute finden Opiate in der Schmerztherapie Verwendung und dienen auch in der Palliativmedizin als starke Analgetika. Allerdings wurden Opioide in letzter Zeit in den USA derartig freizügig über lange Zeiträume auch bei wenig Leidensdruck verschrieben, dass es zu einer Suchtepidemie kam, die 2019 geahndet wurde.
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Zu den populären Drogen zählen Alkohol, Nikotin und Cannabis. Während Nikotin im öffentlichen Raum zunehmend geächtet wird, wird die Liberalisierung von Cannabis immer wieder gefordert und von manchen Staaten auch praktiziert. Der Effekt von Cannabis, eigentlich Tetrahydrocannabinol, beruht auf der Bildung von 2-Arachidonglycerol, einem Endocannabinoid, das ein angenehmes Grundgefühl erzeugt. Diese Substanz wurde 1995 von dem israelischen Forscher R. Mechoulam entdeckt, nachdem er sie aus dem Hundedarm isoliert hatte [65]. Arachidonsäure ist eine vierfach ungesättigte Omega-6-Fettsäure, die verschiedentlich in den Metabolismus integriert ist, beispielsweise bei Entzündungsprozessen. Der Cannabinoidrezeptor gehört zu den G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR; 7 Abschn. 10.7), seine Aktivierung stimuliert die Adenylatcyclase-Aktivität und führt zu Schmerzlinderung und Entspannung. Von Alkohol und Nikotin sind die pathogenen Nebeneffekte hinlänglich bekannt, von Cannabis weniger. Zur Diskussion steht eine erhöhte Anfälligkeit für Schizophrenie und Psychosen. Für Zellbiologen wichtiger sind jene Toxine, die ihnen die Subtypisierung von Acetylcholinrezeptoren ermöglicht haben. Nikotin, das Alkaloid aus der Tabakpflanze Nicotiana tabacum (Solanaceae, Nachtschattengewächse), bindet an nikotinerge Acetylcholinrezeptoren, deren Leitfähigkeit für Na+ sie im Zentralnervensystem von Vertebraten erhöhen; auf diese Weise übt Nikotin zumeist einen erregenden Effekt aus. Die Pflanze kommt aus Mittel- bis Südamerika. In der mexikanischen Mayastadt Palenque kann man auf einem Flachrelief einen Schamanen eine dicke Zigarre rauchen sehen; bei dem gezeigten Kaliber konnten Visionen wohl nicht ausbleiben. Synthetische Derivate, „Neonikotinoide“, wirken wesentlich stärker auf die Rezeptoren von Insekten als auf jene von Vertebraten, weil hier kein Abbau über Acetylcholinesterase stattfindet. Sie wurden
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
zu Beginn der 1970er-Jahre entwickelt und ab 1991 von der Firma Bayer kommerzialisiert. Im Zusammenhang mit aktuellen ökologischen Diskussionen zum Insektensterben sind sie ähnlich problematisch wie das Glyphosat derselben Firma (7 Abschn. 15.8). Ein anderer Subtyp des Acetylcholinrezeptors bindet das Gift des Fliegenpilzes (Amanita muscaria) und wird dadurch in seiner Aktivität beeinflusst. Was der vorwissenschaftliche Mensch schon so alles beobachtet hat! So haben die nordasiatischen Völkerschaften der Samojeden, Ostjaken, Tungusen und Jakuten irgendwie Folgendes herausgefunden: Von Muscarin abgeleitete Substanzen sind harnpflichtig. Ein Reisender brachte folgende Beobachtung ins zivilisierte Europa:
» Das berauschende Prinzip des Pilzes geht
in den Harn über, und so unwahrscheinlich es klingen mag, berichten doch verschiedene Reisende, dass bei den genannten Völkerschaften auch der Urin der Berauschten benützt und auf diese Weise die Berauschung selbst auf die vierte und fünfte Person übertragen werde (zitiert nach [66]).
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14.10.2 Weitere Toxine, die aus
der Sicht von Zivilisation und Forschung wichtig sind
Betrachten wir abschließend noch die Toxine mit der höchsten Toxizität aus dem Nahbereich unserer Zivilisation, soweit sie für die Zellbiologie Bedeutung haben. Die Beispiele sind Toxine (i) aus der „Eigenproduktion“ von Pflanzen und (ii) von Tieren sowie (iii) Toxine, die Tiere von Bakterien gekapert haben. Einige prinzipielle Aspekte hierzu wurden bereits in den 7 Abschn. 14.7, 14.8 und 14.9 besprochen. Als die giftigsten aller Pflanzengifte, wenn nicht aller Gifte überhaupt, gelten die
Proteine Ricin und Abrin (das 30-mal toxischer ist als Ricin). Angeblich kann ein Molekül Abrin eine Zelle töten (was sich bei Kenntnis der Wirkmechanismen allerdings nur schwer vorstellen lässt). Ricinus communis aus der Familie der Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae) ist als Zierpflanze auch hierzulande weitverbreitet. Abrin fällt in manchen Ländern, auch in Deutschland, unter das Kriegswaffenkontrollgesetz, denn es hat das Potenzial zur „Biowaffe“. Ein Fall schreckte in den 1980er-Jahren die Weltöffentlichkeit auf, als ein bulgarischer Emigrant, ein unbotmäßiger Journalist, von einem Geheimdienstagenten in London auf un auffällige Weise getötet wurde. Er wurde an einer Bushaltestelle angeblich versehentlich von einer Regenschirmspitze gestochen, in der sich ein Platinschwamm mit Ricin befand. Der Tod erfolgte langsam durch Nieren-, Herz- und Atmungsversagen. Ähnliches wäre mit Ricin möglich, und tatsächlich gab es 2019 in Deutschland Vorbereitungen zu einer terroristischen Attacke mit Ricin aus Ricinus-Samen. Beide Toxine sind Lektine (Agglutinine; 7 Abschn. 4.4.2). Abrin kommt von der Abrusbohne der tropischen Paternostererbse (Abrus precatorius, Fabaceae, Hülsenfrüchtler). Auch ausgereifte Gartenbohnen (Phaseolus vulgaris) sind ja leicht toxisch, wenn sie nicht abgekocht werden. Derlei Toxine dienen wohl als Fraßschutz; ihre Giftigkeit durch den Lektineffekt in ungekochtem Zustand wurde seinerzeit von allzu begeisterungsfähigen Blumenkindern wiederentdeckt (Hippiekultur, ca. 1965 bis Ende der 1970er-Jahre). Beide Toxine, Ricin und Abrin, sind Heterodimere; das eigentliche Toxin braucht die andere Untereinheit, um in die Zelle aufgenommen zu werden (wie das auch für manche bakteriellen Toxine zutrifft, z. B. für die Clostridium-Toxine aus C. tetani und C. botulinum; Abschn. 15.4.2). Diese Erkenntnis geht auf die Zeit knapp vor 1990 zurück. Die dreidimensionale Struktur bei-
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der Toxine wurde ab Ende der 1980er-Jahre mittels Röntgendiffraktion als sehr ähnlich gefunden. In eben dieser Zeit wurde der zellbiologische Befund erhoben, dass beide Toxine über Endocytose aufgenommen und über den Golgi-Apparat bis ins endoplasmatische Retikulum transportiert werden, wo sie cytosolseitig ein Adenin der 28S-rRNA der (großen) 60S-Untereinheit der Ribosomen abspalten. Damit ist es aus mit der Proteinsynthese, und die Zelle ist lahmgelegt. Der Aufnahmemechanismus ist demnach jenem von Shiga-Toxin sehr ähnlich (7 Abschn. 15.4.3). Eine gewisse Ähnlichkeit besteht auch mit dem Toxin des Diphtherieerregers, der nach Aufnahme über Endocytose den Elongationsfaktor EF-2 an den Ribosomen deaktiviert und somit ebenfalls die Proteinsynthese lahmlegt. Wie bereits in 7 Abschn. 4.4.2 erwähnt wurde, ist seit Langem bekannt, dass neben vielen Pflanzen auch Invertebraten Lektine herstellen. Hier dienen die Lektine in Abwesenheit eines Immunsystems wohl als eine Form primitiver Abwehr gegen die Invasion von Fremdzellen. Die potenziell lebensgefährliche, relativ kleine mediterrane Spinne mit dem Namen Schwarze Witwe (Latrodectus tredecimguttatus) wird in primitiven Behausungen gefunden. In den Südstaaten der USA wurde sie angeblich oft in Plumpsklos entdeckt, wo sie lauert und nicht ungestraft gestört werden will. Sie appliziert ihr Gift, das Protein Latrotoxin mit assoziiertem Latrodectin, durch den Biss ihrer Kieferklauen (Cheliceren). Wie in den 1980er-Jahren gefunden wurde, führt dieses ohne weiteren Stimulus zur Entleerung der synaptischen Vesikel, sodass dadurch die Motilität des Opfers schwer beeinträchtigt wird, begleitet von schmerzhaften Krämpfen mit fallweise letalem Ausgang. Latrodectus tredecimguttatus kommt bereits in mittleren Breiten Italiens vor, wo sie nur schwer zu finden war (Aktuell ist sie im Vormarsch). Eine Gruppe von italienischen Zellbiologen fürchtete um den Fortgang ihrer Ar-
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beiten und machte sich entsprechend Sorgen um das Wohlergehen ihres bejahrten Lieferanten. In Süditalien kam in der Umgebung der Stadt Taranto der Begriff des Tarantismus auf, den man dort allerdings irrtümlich der weitaus harmloseren Tarantelspinne (Lycosa tarantula) zugeschrieben hatte (7 Abschn. 14.3.5). Altweltspinnen sind Leichtgewichte, die leicht durch Winde verfrachtet werden – alpinen Gletscherwanderern ist das vertraut; so hat es mich nicht überrascht, ein solches schwarzes, kugeliges Tier mit der typischen roten Zeichnung auf der Unterseite des prallen Abdomens in einer aufgelassenen Hütte auf der Kanareninsel Teneriffa vorzufinden. Um sie beobachten zu können, ließ ich sie auf meine Hand krabbeln; als sie sich jedoch in den Hemdärmel verkriechen wollte, hatte sie allerdings ihr Gastrecht verwirkt. Latrodectin ist für den Zellbiologen faszinierend und wichtig, denn es führte zur Entdeckung eines wichtigen Proteins an neuronalen Synapsen, wobei der Latrotoxinrezeptor lange Zeit so etwas wie ein Mythos war. Als ein Interaktionspartner wurde 1997 von der US-Gruppe um R. Holz ein neuronaler G-Protein-gekoppelter Rezeptor (GPCR) ausgemacht. 2017 wurde unter der Regie von Tom Südhof der Latrotoxinrezeptor als Latrophilin-2 identifiziert, ein synaptisches Zelladhäsionsprotein, das an den GPCR bindet [67]. Diese Arbeiten wurden bis rezent von T. Südhof vertieft (7 Abschn. 17.10.6). Toxine, die von anderen Organismen gekapert werden, sind nicht sehr häufig, dafür aber umso eindrucksvoller (wie Tom Eisner, mein erster Betreuer an der Cornell University, mehrmals gefunden hat). Für das Taxol der Eibe wird diese Vermutung bereits seit Langem berichtet. Sicherer trifft dieser Toxintransfer für zwei Toxine zu: für das Pfeilgift Batrachotoxin, das Steroidalkaloid speziell aus der Haut tropischer Frösche; und für Tetrodotoxin, das sehr potente Alkaloidgift von Kugelfischen (verschiedene Takifugu-Arten), von dem fallweise gezeigt werden
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Kapitel 14 · Erkenntnisse zu und aus Krankheiten. Eukaryotengifte als Impulsgeber für die Zellbiologie
konnte, dass es von Bakterien in der Fischhaut produziert wird. Auch das Batrachotoxin tropischer Frösche stammt nicht aus Eigenproduktion, sondern wird über Käfer mit der Nahrung aufnommen. 2023 wurde über giftige Vögel auf Neuguinea berichtet, ebenfalls mit improtiertem Batrachotoxin, das im Federkleid wohl eine Abwehrfunktion hat. Eine Mutation des Toxin-bindenden Na+-Kanals (unten) macht sie für dieses Toxin unempfindlich. Seit Jahrhunderten wird einerseits die starke Giftigkeit von Teilen des Kugelfisches gefürchtet, andererseits jedoch der kulinarische Genuss hoch geschätzt. Das Alkaloid wird von Bakterien in den Kulturen produziert (Pseudomonas und andere), von den Fischen aufgenommen und je nach Bakterienspezies bevorzugt in Innereien oder in der Haut abgelagert. Erste Versuche, Tetrodoxin zu isolieren, gab es bereits vor 120 Jahren, jedoch ist dies erst 1950 aus den Ovarien von Kugelfischen gelungen. Ab den 2000er-Jahren gibt es toxinfreie Zuchten. Bekannt ist die Vorschrift, dass die Fugu-Köche eine eigene Ausbildung benötigen; auch die Importbestimmungen in westlichen Ländern sind sehr restriktiv. Der Tod tritt durch fortschreitende Lähmung ein, weil das Toxin die neuronale Aktivität unterbindet, indem es spannungsabhängige Na+-Kanäle hemmt. In diesem Sinne ist Tetrodotoxin ein großartiges Instrument der Zellbiologie, das sehr viel eingesetzt wurde und immer noch wird. Als Antidot könnte man die in 7 Abschn. 14.9.3 vorgestellten Aktivatoren der Na+-Kanäle wie Batrachotoxin empfehlen: Pfeilfroschgift gegen Fugugift oder umgekehrt – das hieße wohl wieder einmal, den Teufel mit Beelzebub austreiben. Die Überschwemmung der Umwelt mit Plastik und Nanopartikeln birgt ihre eigenen Gefahren. Das eine ist die feminisierende und tumorbildende Wirkung von Weichmachern wie Phthalaten aus Plastik, wie bereits vor Jahrzehnten zunächst an Fröschen im Freiland beobachtet wor-
den war. Das zweite sind Nanopartikel, die über die Luft an das Riechepithel und von dort über Endocytose bis ins Gehirn gelangen können, denn es handelt sich um primäre Sinneszellen, deren distale Enden des Nervus olfactorius außerhalb der BlutHirn-Schranke liegen. Dieser retrograde axonale Transportweg wurde bereits in den 1970er-Jahren von dem Münchner Neurobiologen G. W. Kreutzberg und weiteren Gruppen mit exogener Peroxidase elektronenmikroskopisch demonstriert [68]. Was die Nanopartikel im Gehirn alles bewirken können, ist trotz einer Dekade Forschung noch unbekannt. (Im Zusammenhang mit der Corona-Krise ist dies als ein sicherer Weg für den Eintritt pathogener Viren in unseren Körper zu betrachten.) Immerhin wurden inzwischen Coronavirus-Rezeptoren auf der Riechschleimhaut verortet. 2022 wurde vermeldet, dass in China eine Immunisierung durch ein orales Spray entwickelt wurde. Weitere „Errungenschaften“ menschlicher Syntheseleistung mit Gefährdungspotenzial sind Herbizide wie Glyphosat, auf das in 7 Abschn. 15.8 ein kritischer Blick geworfen wird. 14.10.3 Schmerzwahrnehmung
und Anästhesie
An dieser Stelle sind einige Bemerkungen zu Schmerzmitteln und Anästhetika angebracht. Als Vorläufer von Schmerzmitteln waren bereits im 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung in China Hanfextrakte im Gebrauch, später Alraune und Opium (7 Abschn. 14.7.3 und 14.10.1), auch durch arabische Ärzte im Mittelalter. Vor etwa 150 Jahren begann man sich dafür zu interessieren, dass ein Extrakt von Chilischoten brennende Empfindungen hervorruft und seine Hauptkomponente wurde zunehmend zu einem Standardinstrument der Schmerzforschung. Als experimenteller Auslöser von Schmerz wird standardmäßig
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Capsaicin, ein Alkaloid aus der Chilischote Capsicum annuum (Solanaceae), verwendet. (Der Pflanze hilft es gegen Pilzinfektionen.) So wurde Capsaicin auch von den Schmerzforschern und Nobelpreisträgern für Physiologie und Medizin 2021, David Julius und Ardem Papapoutian, eingesetzt, begleitet von Experimenten mit Menthol und anderen Substanzen. Mittels Elektrophysiologie wurde über jahrzehntelange Forschung gefunden, dass die Empfindung von schmerzhafter Hitze bzw. Kühlung mit der Aktivierung von Ionenkanälen des Typs „transient receptor potential“-Kanäle (TRPV) unterschiedlichen Typs einhergeht. Diese Kanäle aktivieren die Funktion von mechanosensitiven und thermosensitiven Schmerzrezeptoren in freien Nervenendigungen, „Nozizeptoren“ (lat. „nocere“ = schaden), beispielsweise in der Haut. Ähnlich sind auch purinerge R ezeptoren vom Typ P2X an der Schmerzwahrnehmung beteiligt. (NB: In Hinblick auf die Pflanzenneurobiologie sei erwähnt, dass sowohl TRPV- als auch P2X-Kanäle den Pflanzen fehlen; 7 Abschn. 16.6.3.) Das Spektrum wird ergänzt durch Rezeptoren für 5-Hydroxytryptamin (7 Abschn. 10.6), Bradykinin und Prostaglandine, ein jedes mit differenzieller Signaltransduktion. Diese primären Botenstoffe werden aus verschiedenen Zellen der Haut (Cutis und Subcutis) freigesetzt. Hitze-, Kälte- und Schmerzreize werden über die sensiblen Hinterwurzelganglien des Rückenmarks in verschiedene Areale des Gehirns eingespeist, wo sie verarbeitet werden. Und damit können wir wieder zurückblenden zur Descartes‘schen Annahme einer hydraulischen Schmerzleitung über die Expansion der Rückenmarksflüssigkeit bei Hitze (7 Abschn. 17.10.1) – wahrlich eine eindrucksvolle, frühe Metapher, die der Autor in seiner Abhandlung „L’Home et un Traité de la Formation du Foetus du Mesme [même] Autheur“ 1662 gezeichnet hat. Opioide („Opiate“) dagegen können die Schmerzempfindung im peripheren und im zentralen Nervensystem dämpfen.
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Im Wasser und zu Lande gibt es Tiere, die dafür berüchtigt sind, unübertroffene Schmerzen zu verursachen. Dazu gehört das Gila-Monster (Krustenechsen, Heloderma a horridum, H. suspectum) der Sonora-Wüste im südlichen US-Saat Arizona und in Nord-Mexiko. (Sie tauchen neuerdings in europäischen Reptiliensammlungen auf.) Ihr Gift ist ein Gemisch aus sehr unterschiedlichen Substanzen, einschließlich toxischen Proteinen, mit extremem Schmerzpotenzial. Der Pfauenaugen-Stachelrochen (Potamotrygon motoro) des Amazonasgebiets appliziert mehrere Proteine (Hyaluronidase, Cystatin und Calglandulin) und mehrere Genprodukte, deren Wirkungsweisen noch der Aufklärung harren (7 https://doi.org/10.3390/ toxins10120544). Der mich im Amazonas/ Rio Negro-Gebiet begleitende erfahrene Waldläufer erzählte mir, dass vor Kurzem die Schmerzschreie eines von diesem Rochen gestochenen Mannes quer über den kilometerbreiten Amazonas zu hören gewesen seien. (Mein vorsichtiger Landgang bescherte mir jedoch „nur“ das Steinbeil eines Indios.) Des Weiteren pries er für den Notfall seine Therapie an: die heiße, teerhaltige Flüssigkeit einer angerauchten Pfeife. Inzwischen ist die Thermolabilität des Toxins allgemein bekannt, und es wird jetzt die Erhitzung der Stichstelle möglichst über die Schmerzgrenze empfohlen. Äußerst schmerzhaft ist auch der Stich des Stachelrochens europäischer Meeresküsten (Dasyatis-Arten). Nach einer solchen Begegnung vor Korsika teilte der populäre Erste-Weltkrieg-Veteran Ernst Jünger († 1998), Autor des Buches „In Stahlgewittern“, sein Leben in die Zeit vor und nach dem Rochenstich ein. Dazu kommen die Stiche von Fischen im Strandbereich von Mittelmeer und Atlantik, wie Petermännchen (Trachinus draco) und Steinfisch (Synanceia verrucosa). Auch deren Toxine enthalten weitere Komponenten wie Serotonin (5-Hydroxytryptamin), das hier alles andere als Glücksgefühle vermittelt („Glückshor-
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mon“; 7 Abschn. 14.10.1). Von schmerzhaften Begegnungen mit Quallen war bereits oben die Rede. Der gegenteilige Effekt, Vermeidung von Schmerzen bei Operationen, wird in der Narkose angestrebt. In den 1840er-Jahren wurden mehrere Anästhetika (Narkosemittel) gefunden, darunter Chloroform, Lachgas (N2O, Distickstoffmonoxid) und Äther (Diethyläther). Erst wurde die narkotisierende Wirkung von Chloroform festgestellt. Neben dem ab 1844 in der Zahnmedizin verwendeten Lachgas wurde zur Minderung der Geburtswehen, bei Zahnoperationen und anderen chirurgischen Eingriffen auch Diethyläther eingesetzt, der ab 1846 sehr gebräuchlich wurde. Chloroform wurde populär, als sich Königin Victoria 1853 unter Chloroformbetäubung von ihrem siebten Kind entbinden ließ. Zwei Generationen früher war ein chirurgischer Eingriff noch eine schmerzhafte Angelegenheit. Trotzdem ertrug Konteradmiral Nelson, als ihm in der Schlacht vor der Kanareninsel Teneriffa sein rechter Arm durch einen Kanonenschuss schwer verletzt wurde, die Amputation am 25. Juli 1797 gleichmütig – er beklagte sich lediglich über das kalte Amputationsbesteck. Daraufhin wurden auf englischen Schiffen obligat Amputationsbesteckwärmer mitgeführt. Ab den 1840er-Jahren fand also eine nicht hoch genug einzuschätzende Revolution in der Schmerzbekämpfung durch Narkose statt, allerdings auf einer wenig definierten Grundlage im Hinblick auf eine spezifische Wirkung, dafür mit umso mehr unangenehmen Nebenwirkungen. Diese Entwicklung wurde anfangs angefeindet, weil Gott angeblich insbesonders die Geburtsschmerzen als Sühne vorgesehen hatte. Ein bibelfester Pionier hat den Widersachern dann aus dem Alten Testament vorgelesen, dass Gott bei der Erschaffung Evas dem Adam eine Rippe im Schlaf entnommen hatte (1. Buch Mose) – Gottvater als der erste Anästhesist.
Moderne Anästhetika werden lokal oder systemisch appliziert (Vollnarkose, lokale Betäubung, künstlicher Schlaf). Die heute verwendeten Wirkstoffe und deren Zielmoleküle sind äußerst unterschiedlich. Dazu gaben Eckle et al. 2009 eine Übersicht [70]). Unter den Targets finden wir u. a. Rezeptoren der Zellmembran, z. B. Rezeptoren für γ-Aminobuttersäure (GABA), Glycin, Acetylcholin, N-Methyl-d-Aspartat (NMDA) und Serotonin (7 Abschn. 10.7), aber auch Ionenkanäle wie solche für Calcium und Kalium. Dabei wird auf die elektrischen Eigenschaften und die Leitfähigkeit in sehr unterschiedlichen Bereichen des Nervensystems abgehoben. Anästhesie ist demnach die Applikation sehr vielfältiger und komplizierter zellbiologischer Details.
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Infektiöse Agenzien: Viren, Bakterien, niedere Pilze und Protozoen Inhaltsverzeichnis 15.1 Die Vielfalt von Viren, Viren als Pathogene und Entwicklungshelfer – 405 15.2 Cytopathologische Effekte von Viren – 414 15.3 Viren als Werkzeuge in der Zellbiologie – 416 15.4 Pathogene Bakterien und Bakterienpathogene – 418 15.5 Pathogene Protozoen: Plasmodien und Trypanosomen im Fokus – 427 15.6 Mikrobielle Antibiotika – eine Fundgrube für Zellbiologie und Medizin – 430 15.7 Antihelminthika – Drogen gegen Wurminfektionen – 435 15.8 Von Menschen erfundene Toxine und wirkungslose Pharmaka – 436 Zitierte Literatur – 437
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 H. Plattner, Abenteuer Zellbiologie–Streifzüge durch die Geschichte, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66740-8_15
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Kapitel 15 · Infektiöse Agenzien: Viren, Bakterien, niedere Pilze und Protozoen
Immer wieder wurde spekuliert, in welchem evolutionären Verhältnis Viren zu echten Zellen stehen bzw. ob sie selbst primitive Zellen oder deren Vorläufer seien. Die obligate Passage durch echte Zellen, Pro- oder Eukaryoten, und das Fehlen eines eigenen Metabolismus mit eigener energetischer Versorgung qualifizieren Viren nicht als Zellen. Nach der frühen Entdeckung des Tabakmosaikvirus als bakterienfreies infektiöses Agens zu Ende des 19. Jahrhunderts und seiner Identifikation im Elektronenmikroskop um 1940, ungefähr zeitgleich mit den Bakteriophagen, wurden Viren in Bakterien, Pflanzen und Tieren identifiziert. Das virale Genom ist entweder RNA oder DNA, jeweils in Einzel- oder Doppelstrangform. In der Zellbiologie wurden einzelne virale Proteine ab den 1970er-Jahren wegen ihrer Fähigkeit, virale mit zellulären Membranen zur Fusion zu bringen, als Modellsysteme für Membranfusion interessant. Ab den 1980er-Jahren kamen Viren zum Studium von Domänen in der Zellmembran (basolateral bzw. apikal in Epithelzellen) und von intrazellulären Transportwegen von Vesikelproteinen zum Einsatz. Darüber hinaus fand die reverse Transkriptase von onkogenen Viren ab 1970 besonderes Forschungsinteresse, das insbesondere wegen des krebserregenden Effekts mancher Viren noch immer andauert (onkogene Viren); viele Viren werden derzeit auf dieses Potenzial hin untersucht. Virale Sequenzen werden derzeit auch vielfach als Vektoren zum Einschleusen von Fremd-DNA in Zellen eingesetzt. Ähnlich bedeutsam wurden auch zahlreiche bakterielle Toxine, denen in der aktuellen zellbiologischen Forschung hohe Bedeutung zukommt, z. B. zur Identifikation proteinspezifischer Effekte. Ebenso wird auf den aktuellen Stand der Bekämpfung pathogener Protozoen eingegangen (Plasmodien, Trypanosomen),
weil sie schwere Schädigungen von Zellen und Organismen hervorrufen können. Diesem versucht man durch intensive zellbiologische Forschung, die mit vielen aberranten Details der Parasiten zu kämpfen hat, beizukommen – allerdings bisher mit wenig Erfolg.
Virus bedeutet im Lateinischen „Gift“ oder „schädliches Agens“. Gifte im molekularen Sinn sind bei Viren jedoch die große Ausnahme; nur ihr direkter Einfluss auf die Wirtszelle übt insgesamt einen schädlichen bis letalen Effekt aus. Viren sind weder Zellen noch Vorstufen davon, sondern organische Molekülkomplexe aus Nukleinsäuren und Proteinen. Sie besitzen ihr eigenes Genom, aber keinen Energiestoffwechsel und können daher nur durch zeitweisen Aufenthalt in Zellen überdauern, von deren Substanz und Energie sie zehren. Die Wirtszellen können Bakterien sein (Bakteriophagen), auch Archaea, oder aber tierische und pflanzliche Zellen sowie Pilze. Bevor wir uns mit der Rolle von Viren in der Zellbiologie befassen, erscheint es ratsam, uns einen kurzen Überblick über Bau und Funktionsweise von Viren und ihre Rolle als intrazelluläre Parasiten zu verschaffen. Morphologie und Größe von Viren können sehr unterschiedlich sein. Pockenviren sind mit einem Durchmesser von ≤0,4 µm ungefähr so groß wie die kleinste (Bakterien-)Zelle. Auch die Größe des Genoms ist unterschiedlich, mit beispielsweise 400 Genen beim Pockenvirus und acht Genen beim Poliovirus. Mit Viren als Tier- und Menschenpathogenen war man schon lange konfrontiert, ohne zu wissen, worum es sich handelt. Bestenfalls konnte man sie durch Filtration anreichern. Für die lichtmikroskopische Identifikation waren sie zu klein. Das Pockenvirus, mit 400 nm Durchmesser das größte Virus, konnte von einem Ham-
15.1 · Die Vielfalt von Viren, Viren als Pathogene …
burger Arzt 1906 im Lichtmikroskop gerade so erkannt und als „Elementarkörperchen“ beschrieben werden, die später nach ihm als Paschen-Körperchen benannt wurden. Erst die neu entwickelte Elektronenmikroskopie war Ende der 1930er-Jahre in der Lage, zunächst einmal das Tabakmosaikvirus (TMV) abzubilden, das ab den 1870er-Jahren lediglich als partikuläre Komponente eines Filtrats aus homogenisierten Blättern bekannt war. 1960 gelang die komplette Sequenzierung des Hüllproteins aus 158 Aminosäuren. Die Oberflächenstruktur des TMV wurde mit Methoden der molekularen Elektronenmikroskopie zunächst (1972) mit einer Auflösung von 10 Å (1 nm) von der deutschen Gruppe um E. Mandelkow und P. von Sengbusch, anschließend mit viel besserer Auflösung von Aaron Klug (Nobelpreis für Chemie 1982) erfasst. Bis zur Ausrottung der Pocken 1979 wurde das Elektronenmikroskop für die Schnelldiagnose einer Pockeninfektion eingesetzt, und zwar mit dem sehr schnell zu handhabenden Negativkontrastierungsverfahren (7 Abschn. 7.1). Bereits 1939 lag eine ausreichende Zahl an Publikationen über Viren im Elektronenmikroskop vor, sodass die Zeitschrift Naturwissenschaften dieser Thematik ein eigenes Heft widmen konnte. Fast zeitgleich mit TMV rückten Bakteriophagen ins Interessenspektrum der Elektronenmikroskopiker. 1940 reichten zwei deutsche Forschergruppen am selben Tag beim selben Journal ultrastrukturelle Befunde mit keulenförmigen Bakteriophagen ein: die Deutschen Helmut Ruska (Mediziner, Bruder von Ernst Ruska) sowie E. Pfankuch und G. A. Kausche. Fragen wir nun unter besonderer Berücksichtigung pathogener Formen, welche Viren es gibt und wie sie als Pathogene wirken bzw. nach welchen Mechanismen sie Zellen infizieren, bevor wir zellbiologische Details ansprechen.
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15.1 Die Vielfalt von Viren,
Viren als Pathogene und Entwicklungshelfer
Unter den Zehntausenden Virenarten sind ungefähr 100 humanpathogen, wovon einige Gruppen trotz weiter Verbreitung nur fakultativ pathogen sind. Darunter fallen nicht-sexuell übertragbare Herpesviren (meist im Mundbereich), Papillomaviren (Körperoberfläche, Nase und Vagina) sowie Adenoviren (unterschiedliche Körperoberflächen) und Influenzaviren (Atemtrakt). Sie können gelegentlich aber auch zu gefährlichen Pathogenen entgleiten: in Form von Herpes, Krebs, Konjunktivitis (Bindehautentzündung) und Grippe („Erkältung“). Viren sind für den Zellbiologen jedoch nicht nur als Zellpathogene interessant, sondern auch als Werkzeuge in der Molekularbiologie und als Lieferanten wichtiger Gene im Laufe der Evolution. Viren haben ihre genetische Spur nicht nur in Bakterien und niederen Eukaryoten hinterlassen; zu Beginn dieses Jahrhunderts wurden rund 8 % der humanen DNA als virale Neuerwerbungen erkannt. Bei manchen Viren kann DNA – wie unten erörtert – zeitweise ins humane Genom integriert werden (Retroviren), von wo diese auch nach langen Zeiträumen wieder „ausbrechen“ können. Andere virale Genabschnitte haben sich allerdings auf Dauer eingemietet. Als derlei Dauergäste haben sie jenen Säugetieren zu einer evolutiven Karriere verholfen, welche als Plazentatiere (Placentalia) den Kloakentieren (Monotremata) und den Beuteltieren (Marsupialia) gegenübergestellt werden. Darüber haben 2013 die französischen Autoren Lavialle et al. berichtet (Zitierte Lit.: 7 https://doi.org/10.1098/ rstb.2012.0507). Der Fortschritt hat mit der Geborgenheit des Embryos in einer Plazenta zu tun, über welche Nähr- und Wirkstoffe aus den Blutgefäßen der Uteruswand über Kontakte der Plazenta an das Blutge-
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. Abb. 15.1 Freie HI-Viren außerhalb der Zellen. Die HIV gehören wegen der Umhüllung mit einer Lipiddoppelschicht (Membran; dünner Pfeil) mit angebundenen Proteinen (kleine Pfeilspitze) bei Fehlen einer bloßen Proteinhülle zu den sogenannten „nackten Viren“. Das virale Genom (Pfeilspitze) ist von einem (Nukleo-)Capsid (dicke Pfeilspitze) aus Proteinen umgrenzt. Vergrößerung ca. 100.000-fach. (Quelle: [45])
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fäßsystem des Embryos und des Fötus gelangen. Die den Embryo umhüllende Plazenta lässt u. a. zwei Schichten erkennen: Die embryonahe Schicht ist zellulär gegliedert (Cytotrophoblast), im Gegensatz zu einer peripheren Schicht aus miteinander fusionierten Zellen (Syncytio-Trophoblast; τρόϕος, trophos = nährend; βλάστη, blástē = Spross). Hier kamen die Viren ins Spiel. Die fusogenen Proteine Syncytin-1 (Enverin) und Syncytin-2 (aus verschiedenen viralen Genomen) bewirken laterale Zellfusionen, durch welche ein ballonartiges Kontinuum ohne interzelluläre Kontakte gebildet wird. Damit wird den Leukocyten, die normalerweise gerne durch solche Kontakte zwischen Epithel- und Endothelzellen hindurchkriechen (Diapedese), der Weg versperrt – das mütterliche Immunsystem ist abgekoppelt (Plazentaschranke). Die Errichtung dieser Sperrzone ist wichtig, denn Embryo und Fötus sind Fremdkörper, die normalerweise vom mütterlichen Immunsystem bekämpft würden. Die molekularen Arbeiten hierzu konzentrierten sich ungefähr ab dem Jahr 2000 und lassen Retroviren als Ursprung der beteilig-
ten Proteine vermuten. Ihre Fusogenität erinnert an andere Viren mit Membranumhüllung (7 Abschn. 15.3). Unter den gefürchteten pathogenen Viren wurde das Poliovirus (Erreger der Poliomyelitis) 1908 als Erstes isoliert, 1927 gefolgt vom Gelbfiebervirus. Der Erreger von Mumps wurde 1934, das Denguevirus 1943 identifiziert, gefolgt vom Masern- (1954) und Hepatitis-B-Virus (1963). Mit diesen Viren sind wir immer noch konfrontiert, können uns aber mit Impfungen schützen. Das 1967 identifizierte Marburg virus hat seinerzeit quasi als Schrecken aus dem Nichts Furore gemacht, ähnlich dem Ebolavirus 1976; beide sind Einzelstrang-RNA-Viren. Das Marburgvirus wurde mit Versuchsaffen für die BehringWerke aus Uganda in Marburg eingeschleppt, und beim Ebolavirus 1983 war schon länger vermutet worden, dass es in dunklen afrikanischen Höhlen beheimatet sei; Flattertiere kamen als Überträger in Verdacht – wie 2020 wieder im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Das HI-Virus wurde 1983 bekannt (. Abb. 15.1).
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Dazu eine kurze Einführung. Das virale Genom liegt vor in Form von ein- oder doppelsträngiger RNA oder DNA („single stranded“ und „double stranded“ RNA- und DNA-Viren). ssRNA-, dsRNA-, ssDNAund dsDNA-Viren können tierische und pflanzliche Eukaryotenzellen befallen (aber sie bleiben jeweils auf Tiere oder Pflanzen beschränkt). Das ergibt – zusammen mit Bakterienviren – eine breite Palette: 5 DNA: ein- oder zweisträngig in Bakteriophagen, die – ihrem Namen gemäß – Bakterien infizieren und dabei zerstören („ϕαγεῖν, phageĩn“ = fressen). Dieselbe genomische Situation findet man bei einzelnen Pflanzenviren. 5 Zweisträngige DNA: Hepatitis-B-Virus (Serum-Hepatitis und Leberkarzinom), Adenoviren (Atemwegserkrankungen), Pockenviren, Herpesviren und Papillomaviren (onkogener, d. h. krebserregender Effekt bei Frauen), Vacciniaviren (mit mehreren pathogenen Vertretern), ebenso einzelne Pflanzenviren. 5 Eine weitere Gruppe von Viren sind jene mit doppelsträngiger RNA (einzelne Pflanzenviren); dazu gehören die Reoviren, die Pflanzen, Invertebraten und Vertebraten befallen. 5 Einzelsträngige RNA (Tabakmosaikvirus und weitere Pflanzenviren), Krankheitserreger in verschiedenen tierischen Wirtszellen: Influenzavirus (Grippe), Rhinoviren (Schnupfen), Rabiesviren (Tollwut), Polioviren (Kinderlähmung), - und Klauenseuche-Viren, Semliki-Forest-Viren (wenig Effekt beim Menschen) und Masernviren. Zikaviren (teratogener Effekt) und das Ebolavirus folgten – Letzteres als Ursache von lokalen Epidemien mit hoher Letalitätsrate in den 2010er-Jahren im westlichen Afrika. In letzter Zeit haben zwei einzelsträngige RNA-Viren hohe Aktualität erreicht: (i) Das Hepatitis-C-Virus wurde seit den 1970er Jahren (zusätzlich zu den bekannten Erregern von Hepatitis A und B) als Erreger von dieser spe-
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ziellen Form von Hepatitis identifiziert, von der weltweit ca. 70 Mio. Menschen betroffen sind. Die US-amerikanischen Virologen Harvey J. Alter und Charles M. Rice wurden dafür zusammen mit dem britisch-stämmigen Michael Houghton 2020 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet. (ii) Hohe Aktualität erreichten Coronaviren, insbesondere CoV-2, durch die das Jahr 2020 prägende COVID-19-Pandemie (7 Abschn. 15.1.1). Diese Auflistung soll lediglich umreißen, wie vielfältig Viren in struktureller und funktioneller Hinsicht und wie verschiedenartig ihre pathogenen Effekte sind. Von diesen werden einige von allgemeinem Interesse unten kurz andiskutiert. Es lässt sich kaum ein systematischer Unterschied zwischen pflanzlichen und tierischen Virengruppen nach Genom finden. Allerdings ist die Zahl an pflanzlichen Viren mit doppelsträngiger RNA auffallend groß; diese sind in tierischen Zellen selten, und ihr Einfluss wirkt sich – wie das ssRNA-Virus CoV-2-Virus – auf mehrere Organe aus. Auch die weitere Systematik nach der Virenhülle ist nicht auf die eine oder andere Gruppe begrenzt. Die Oberfläche kann eine Lipidmembran sein („nackte Viren“, mit Nukleocapsid aus Proteinen um das virale Genom herum) oder aus einem Capsid bestehen (quasikristalline Hülle aus zahlreichen identischen Proteinen). Dementsprechend kann sich der Eintrittsweg in die Wirtszelle unterscheiden: Nur membranumhüllte Viren können über Fusion mit der Zellmembran oder über Endocytose aufgenommen werden, wobei der niedere pH-Wert in den Endocytosevesikeln die Freisetzung des viralen Genoms bewirkt. Einmal im Wirt, kann die virale RNA durch eine seit 1970 bekannte reverse Transkriptase ([1]; 7 Abschn. 12.7 und 14.6) in DNA umgeschrieben werden – und dies nicht nur in tierischen, sondern überraschenderweise auch in wenigen pflanzlichen
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Kapitel 15 · Infektiöse Agenzien: Viren, Bakterien, niedere Pilze und Protozoen
Formen –, um das virale Genom oft über Jahre unauffällig im Wirtsgenom zu integrieren. Dies betrifft beispielsweise bei Pflanzen die wirtschaftlich bedeutsamen Caulimoviren und beim Menschen das HI-Virus (HIV = „human immunodeficiency virus“), das AIDS verursacht („acquired immunodeficiency syndrome“ = erworbene Immunschwäche). Viren, deren RNA-Genom in DNA umgeschrieben wird (um evtentuell im Kern der Wirtszelle gespeichert bzw. ins Genom integriert zu werden), gehören zur Gruppe der Retroviren; dieser Begriff ist abgeleitet von reverse Transkriptase. Das Genom kann im Kern integriert werden, wo es lange Zeit überdauern kann, sodass die Infektionsfähigkeit fallweise lange andauert. Manche Retroviren wurden als Krebserreger (Onkogene) identifiziert, die Sarkome und Leukämien hervorrufen, aber nicht alle verwandten Viren haben diese „Fähigkeit“. Beide, Retro-Transkription und onkogener Effekt, betreffen nur jeweils einen Teil von mehr oder weniger verwandten Gruppen. AIDS wurde 1981 als eigene Krankheit identifiziert und verbreitete sich bis ca. 2015, wobei es etwa 35 Mio. Tote forderte (derzeit ca. 750.000 pro Jahr). Es gelang zwar nicht, eine Schutzimpfung zu erzielen, jedoch führten Medikamententwicklungen, insbesondere gegen die reverse Transkriptase, zur Beherrschung der Symptome, wiewohl nicht zur Heilung. Anfangs des jetzigen Jahrhunderts wurde AIDS besonders bedrohlich, bevor es zunehmend durch anti-retrovirale Therapien in den Griff bekommen werden konnte. Der Angriffsmechanismus der HI-Viren ist die letale Attacke auf T-Helferzellen, das sind jene Zellen, die „hauptberuflich“ für ihre Entschärfung zuständig wären. Nachdem sich Viren verschiedener Art in der Wirtszelle vermehrt und diese fallweise sogar getötet haben, müssen die neu gebildeten Viruspartikel die Zelle verlassen. Dies kann wenig elegant durch Cytolyse erfolgen (cytolytische Viren), oder aber Viren
knospen von der Zellmembran ab, wie beispielsweise HIV. Der „Lebenslauf“ von Viren insgesamt umfasst daher einige Kapitel der Zellbiologie. 15.1.1 Ein akuter Fall: die 2020er-
Corona-Pandemie durch Viren mit einzelsträngiger RNA
In diese genomische Kategorie fallen auch jene Viren, die akut 2020 bedrohlich wurden: Die von SARS-Viren („severe acute respiratory syndrome“ = schweres akutes Atemnotsyndrom) abgeleiteten, Anfang 2020 akut auftretenden Coronaviren vom Typ CoV-2 können eine letale Lungenkrankheit und schwere Gewebeschäden auslösen; auch andere Organe einschließlich des Gehirns können in Mitleidenschaft gezogen werden. Diese Viren sind von einer Lipidmembran mit integralen Proteinen umhüllt, die im Elektronenmikroskop nach Negativkontrastierung als „Spikes“ (Dornfortsätze) sichtbar werden. Elektronenmikrographien können unter MERS-CoV (7 http://www.flickr.com/photos/niaid/albums/72157634229836113) abgerufen werden. Aktuell richtet sich das Interesse auf das neue Coronavirus (SARS-)CoV-2, das uns die pandemische Lungenkrankheit COVID-19 („Coronavirus disease 2019“) beschert hat. 2020 wurde definitiv das „angiotensin converting enzyme 2“ (ACE2), ein integrales Membranprotein der Zellmembranen der Blutgefäßendothelien, als der Rezeptor für das SARS-CoV-2-Virus (Corona) ausgemacht, zum einen von einer gemischt chinesisch-US-amerikanischen Gruppe, zum anderen von einem deutsch-österreichisch-russischen Team in der Zeitschrift Science [2]. ACE2 steht normalerweise im Dienste der Blutdruckregulation über das Gewebehormon Angiotensin. Unter den Angiotensin-II-Rezep-
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toren kommt der Rezeptortyp AT1 in den Fokus, weil er weiter als AT2 verbreitet ist und auch im Gefäßsystem der Lunge vorkommt. Dazu wurde von einer Pharmafirma bereits für die Vorläufer-SARS-Viren ein passgenauer Ligand konzipiert; jedoch wurde gleichzeitig gewarnt, dass ACE2 für die Regulation des Kreislaufsystems unentbehrlich ist. Inzwischen modellieren Biophysiker die passgenaue Bindung von monospezifischen Antikörpern mit Komponenten der Dockstrukturen (Spike-Fortsätze). Neben ACE2 erwies sich das Protein TMPRSS2 („transmembrane protease serine subtype 2“, transmembrane Serinprotease 2) als relevant für die Infektion. Dieses Protein ist eine Serylprotease, die eine eher endocytoseunabhängige Aufnahme ermöglichen könnte. Zumeist wurde die Fusion des Virus mit der Zellmembran zur Abgabe des viralen Genoms angenommen. Als Kandidat wurde ein Protein an der Spike-Basis diskutiert. Aber erst im April 2020 wurde von einer US-amerikanischen Gruppe in der Zeitschrift Cell das als wahrscheinliches Fusogen für die Fusion mit der Zellmembran identifiziert. Damit die beiden Lipiddoppelschichten in Kontakt kommen und fusionieren können, müssen die Spikes biegbar sein. Dementsprechend hat ein deutsches Vielautoren-Team mittels kryoelektronenmikroskopischer Analyse gelenkartige Bereiche in den Spikes beobachtet, die sie unerwartet biegsam machen: „A stalk with three flexible hinges connects S(pike surface protein) to the viral membrane“ [3]. Schließlich kommt es zur Vermehrung in der Zelle mit Beteiligung von RNA-Polymerase- und Transkriptase-Aktivität. In einer rezenten Übersicht (7 https://doi.org/10.1016/j.it.2020.10.004) wird die frühere Mutmaßung unterstützt, dass CoV-2-Viren prinzipiell nicht nur durch Fusion mit der Zellmembran, sondern auch über Endocytose aufgenommen und aus endosomalen Vesikeln freigesetzt werden können. Eventuelle Unterschiede in der Pathogenese bleiben offen.
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Eine weitere Protease, die seit einigen Jahrzehnten im Fokus des Lübecker Biochemikers Rolf Hilgenfeld stand [3], rückteim Zusammenhang mit der Corona-Pandemie in den Fokus des Interesses. Die von ihm als SARS-CoV-2-Hauptprotease benannte virusspezifische Protease (Mpro, 3CLpro) spaltet ein von der viralen RNA kodiertes Polyprotein in zahlreiche Untereinheiten, die den Zusammenbau mit der replizierten RNA zu neuen Virionen ermöglichen. Diese können die infizierten Zellen verlassen, um neue Infektionen zu gewährleisten. Diese Infektionskette kann von innen her durch einen Protease-Inhibitor vom Typ α-Ketoamid unterbrochen werden. Unter den Autoren der beiden zitierten Studien [3, 4], die in den renommiertesten Journalen erschienen sind, ist auch der Direktor des Instituts für Virologie der Charité, Berlin, Christian Drosten. Noch wurde unter einigen Tausend Kandidaten mit potenzieller Bindung an die 3D-Struktur dieser Protease kein entsprechender membrangängiger Inhibitor gefunden, der Patienten gegeben werden könnte. Nach molekularbiologischen Analysen Anfang 2020 hat sich das CoV-2-Virus durch spontane Mutation aus einem SARS-Vorläufer in China entwickelt, wo es wahrscheinlich über Fledermäuse (?) weitergegeben und vom Schuppentier oder Marderhund (dessen sibirischer Vetter aktuell auch in den Nordosten Deutschlands vordringt) auf den Menschen übergesprungen ist (Zoonose: Chinesisches Schuppentier oder Ohrenschuppentier, Manis pentadactyla, Familie Manidae; chinesische Marderhunde, Unterarten von Nyctereutes procyonoides). Von da aus hat es über den weltumspannenden Verkehr eine weltweite Pandemie ausgelöst. Das ließ sich aus Sequenzvergleichen der in diesen Tieren gefundenen Viren mit dem CoV-2-Genom erschließen. Übrigens stehen beide Tiergruppen in Ostasien auf dem Speiseplan. Dabei sollte doch die Warnung der
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irologen a nlässlich sehr lokaler Ebola-ErV krankungen in Afrika in den Jahren 1976 und 2014 bis 2016 noch in Erinnerung sein: In diesem Zusammenhang wurde immer wieder auf die Gefahren von „bush meat“ (Fleisch von Dschungeltieren) in Hinblick auf Vireninfektionen gewarnt. Unter 7 http://vis.csh.ac.at./sars-ani/?utm_source werden zahlreiche Haus- und Wildtiere genannt, die global das CoV-2-Virus beherbergen können. Verschwörungshypothesen wurden widerlegt. Ein wertvoller Vorsprung in der Produktion von Impfseren und virostatischen Pharmaka wurde vertan, indem entsprechende Entwicklungen um die Mitte der 2010er-Jahre für die verwandten SARS- und MERS-Viren aufgegeben wurden, weil sie wegen abflauender Infektionshäufigkeit für die Pharmafirmen uninteressant geworden waren. Bis zu Anfang 2021 Impfstrategien entwickelt werden konnten, waren u. a. die Virostatika Remdesivir, Paxlovid und Favipiravir im Einsatz. Remdesivir ist ein Nukleosidanalogon, das anlässlich der Ebola-Epidemien 2014 bis 2016 entwickelt worden war; es gab Hoffnung, weil die Hemmung der (Ebola-)Virusreplikation nachgewiesen werden konnte, jedoch war der Erfolg beschränkt. Paxlovid ist ein Hemmer der Protease, der an ihrem aktiven Zentrum bindet und so die erforderliche Prozessierung der viralen Proteine hemmt. Unter 7 https://www.vfa.de/print/ de/arzneimittel-forschung/coronavirus/zugelassene-zur-zulassung-eingereichte-medikamente-covid-19 kann eine ausführliche Liste von Antikörpern und Medikamenten abgerufen werden. Analysen mit manchen Drogen laufen trotzdem, vielleicht unter dem Aspekt von „drug repurposing“ (7 Abschn. 3.2). Wer jetzt entsprechende Aktien besitzt, muss nicht automatisch verdächtig sein. Trump empfahl ja auch Antibiotika und die intrakorporale Applikation von Desinfektionsmitteln gegen die Virusinfektion. (Da wird offenkundig, wohin die Wissenschaftsfeindlichkeit eines Politikers
führt, wenn nur „Deals“ mit Aussicht auf direkten Profit angestrebt werden.) Es gab also einige wenig fundierte Versuche, der Corona-Pandemie 2020 Herr zu werden. Abgesehen von neuen aktiven Impfstrategien (unten und 7 Abschn. 15.1.2) gibt es aktuell die passive Immunisierung durch Injektion eines Cocktails von Antikörpern, die gegen virale Spike-Proteine hergestellt wurden. Die Aktionen zur Epidemiologie von COVID-19 liefen in den USA gründlich schief; das steht ganz im Widerspruch zu den stringenten Forderungen von George W. Bush, die er am 1. November 2005 im Hinblick auf die Abwehr einer pandemischen Grippeprophylaxe persönlich vorgetragen hatte. Nichts davon wurde bis zum Jahr 2020 vorbereitet. Eine relevante Frage ist: Setzt das CoV2-Virus sein RNA-Genom durch Fusion mit der Zellmembran frei, oder muss es endocytiert werden, um über die Fusion mit Endo-/Lysosomen bei angesäuertem luminalem pH sein Genom freizusetzen? Die Lipidhülle des Virus könnte beides gewährleisten. Publikationen listen um 2010, als es CoV-2 noch nicht gab, beide erwähnten Möglichkeiten für verschiedene SARS-Viren auf – es könnte also Unterschiede zwischen den SARS-Viren geben. Zusätzlich wurde die Bedeutung von Mikrodomänen („Rafts“) angesprochen. Eigenartig fällt aber auf, wie die Internet-Information „Review InvivoGen“ unter dem Titel „Spotlight on COVID-19“ („The infection cycle of SARS-CoV-2“) [5] die angesprochenen kritischen Punkte 2020 in einem Schema so verschleiern konnte, wie man es einem Studenten wohl nicht durchgehen ließe. Dasselbe gilt für die Übersichtsarbeit eines chinesischen Autorenteams 2020 in der Zeitschrift Frontiers in Cell and Developmental Biology. Man hätte ja zwei theoretische Möglichkeiten darstellen können. Allein die Tatsache, dass TMPRSS2 für die Aufnahme des viralen Genoms erforderlich ist, wie Hoffmann und Koautoren 2020 [3])
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z eigen konnten (oben), spricht überwiegend für die Fusion mit der Zellmembran und Abgabe des viralen RNA-Genoms in das Cytoplasma der Wirtszelle. Aktuelle Studien mit Zellkulturen scheinen beide Möglichkeiten zu belegen (wobei allerdings der Fusion mit der Zellmembran im Allgemeinen der Vorrang eingeräumt wird). Und das hätte Folgen für die Art der Antikörperbildung (7 Abschn. 15.1.2). Die Suche nach verlässlichen Virostatika und die Versuche, Impfstoffe und Seren für die Diagnostik bei „stillen“ (symptomfreien) Infektionen herzustellen, laufen derzeit auf Hochtouren. Wir erleben seit 2020 die COVID-19-Pandemie als bedrohlich, sollten sie aber auch zum Anlass nehmen zu reflektieren, wie viel Last uns die zellbiologische Forschung unter Einbeziehung von Virologie, Bakteriologie und Immunologie von den Schultern genommen hat (7 Abschn. 15.1.2). Sehen wir uns also die Letalitätsraten einiger heute noch aktuellen Infektionen an (unbehandelt): 100 % für Lungenpest, 50–90 % bei Ebola, 40–60 % für Beulenpest, 3–7 % bei Tuberkulose, dagegen angeblich nach allerdings bisher sehr unsicheren Angaben im Prozentbereich bei CoV-2-Infektion (mit zunehmender Impfmöglichkeit). Mögen die Schätzwerte wegen der großen Varianz aufgrund von Vorerkrankungen, Altersabhängigkeit und stiller Infektionen etc. auch unzuverlässig sein, so gab dies doch Hoffnung, zumal viel Erfahrung und weltweite Bemühungen eine immunologische Lösung erzielen ließen. 15.1.2 Impfungen: Antikörper
„neutralisieren“ die Oberfläche von pathogenen Bakterien und Viren
Die Impfung gegen Pocken ist die älteste. Bereits in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts wurden am osmani-
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schen Sultanshof Pockenimpfungen durchgeführt. Ähnliches wurde 1768 in gegenseitiger Abstimmung von den niederländischen Ärzten Gerard van Swieten und Jan Ingenhousz (dem wir in 7 Abschn. 11.3 schon begegnet sind) am Wiener Hof unter Kaiserin Maria Theresia vollbracht. Hierzu wird berichtet, dass sie weniger virulente Stämme zur Impfung verwendet haben – eventuell Kuhpocken (Orthopoxvirus bovis), obwohl man Genaues nicht sagen kann; auffallend war immerhin, dass Milchmädchen immer eine schöne, glatte Haut hatten. Diese Methode praktizierte jedenfalls der englische Arzt Edward A. Jenner, der 1796 Kuhpocken verwendete und dann effiziente Impfverfahren entwickelte. Vom Präsidenten der neu gegründeten USA, Thomas Jefferson, wurde er mit dem Satz geehrt:
» Medicine has never before produced any single improvement of such utility.
» [Noch nie zuvor hat die Medizin eine einzige Verbesserung von derartigem Nutzen hervorgebracht.]
Zu Hause jedoch brachte ihm die Verwendung von Kuhpocken den Vorwurf der „Verjauchung des Blutes“ ein. „Nemo propheta in patria.“ [Zu Hause gilt der Prophet nichts.] 1807 wetterte der geistliche Beistand des Tiroler Freiheitskämpfers Andreas Hofer, der Kapuzinerpater Joachim Haspinger, gegen die von der bayerisch-französischen Verwaltung verordnete Schutzimpfung gegen Blattern (Pocken): Man müsse sich Gottes Willen fügen und nicht mit einer „verdammten Maßnahme den teuflischen Versuch machen, Gottes Werk zu durchkreuzen und ‚bayerisches Denken‘ einimpfen. Inwieweit das der Freischärler-Kommandeur, der in seinem Land noch immer als der „Held von Anno 9“ (1809) gefeiert wird und ein ethischer Fundamentalist war, in Betracht gezogen hat, bleibt offen. So weit zu den Ur-Impfgegnern. Immerhin hatte – wie gesagt – bereits
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die österreichische Kaiserin Maria Theresia ihre Töchter mit Material von Kuhpocken impfen lassen – daher die Bezeichnung Vakzination (lat. „vacca“, Kuh) – und ab 1800 gab es in Bayern und Österreich offen zugängliche Blatternimpfungen. Erfreulich war die Deklaration der World Health Organization (WHO), unterschrieben von zahlreichen Vertretern verschiedener Nationen am 9. Dezember 1979 in Genf, dass die Pocken ausgerottet sind [6]. Vorausgegangen war eine Art Preisausschreiben, in dem ein Preis jenem Menschen zugesprochen werden sollte, der den weltweit letzten Pockenfall vermelden kann. Dieser Fall wurde aus Somalia gemeldet. Weltweit sind Pockenviren heute offiziell nur in zwei Hochsicherheitstrakten, in den USA und in Russland, tiefgefroren gelagert. Sie könnten jederzeit aktiviert und als Biowaffe eingesetzt werden – jetzt, da es keine prophylaktische Pockenimpfung mehr gibt. Sollten diese letzten Pockenviren nicht auch vernichtet werden? Nun, der Klimawandel bringt einiges an den Tag, was bisher verborgen lag. Was wäre, wenn der Gletschermann „Ötzi“ mit Pockenviren infiziert gewesen wäre oder wenn dies für eine Leiche aus dem zunehmend tauenden Permafrost Sibiriens zuträfe? Die restlichen Proben könnten immerhin für die Entwicklung eines Impfserums eingesetzt werden. So war die Ausrottung der Pocken ein epochales Ereignis, auf das Forscher und WHO stolz waren (. Abb. 15.2). Für Polio wurde in den 1950er-Jahren eine Impfung verfügbar. Bei den Polioviren zeigt ein Vergleich der Verbreitungsgebiete eine stetige Abnahme seit 1988, als Poliomyelitis in Asien und Afrika sowie in Teilen Europas und Mittel- bis Südamerikas verbreitet war; Europa wurde 2002 für poliofrei erklärt. 2018 gab es gehäufte Fälle nur noch in Pakistan und Nigeria. Für viele virale Krankheiten sieht man ein stochastisches Aufflammen und Abklingen. Akut war die Bedrohung durch Masernviren, die in den 2000er-Jahren in Osteuropa über-
handnahmen und von dort ausgehend auch Mitteleuropa bedrohten, sobald die Impfaktionen vernachlässigt wurden. Derlei Epidemien können auch sehr lokal begrenzt sein oder wie 2019 bei den Masern weltweit ansteigen. Daher diskutierten deutsche Politiker Anfang 2019 über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht für Masern. Dem Abgang der Pockenviren steht ein stetiger Zugang neuer Viren gegenüber, so des HI-Virus ab den 1920er-Jahren im Kongo, in den 1960er-Jahren auf Haiti und ab den 1980er-Jahren in den USA. Dazu drangen in den 2010er-Jahren das SARS-Virus, das Ebolavirus und das Zikavirus in das Bewusstsein der westlichen Zivilisation ein. Zikaviren werden durch die aktuell nach Mitteleuropa vordringende Ägyptische Tigermücke (Aedes aegypti) übertragen; sie wirken teratogen (embryoschädigend). Der deutsche Mediziner Harald zur Hausen († 2023) hat in seiner in den 1980er-Jahren begonnenen Forschungsinitiative den Nachweis erbracht, dass einige der zahlreichen bekannten Papillomaviren im Innern des weiblichen Geschlechtsorgans Krebs (meist Zervixkarzinom) auslösen können [7]. Dafür hat er 2008 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin bekommen. Nachdem eine Impfung für junge Mädchen eingeführt (und von den Krankenversicherungen bezahlt) wurde, denkt man derzeit an eine prophylaktische Impfung auch für Jungen, die zwar nicht beeinträchtigt werden, jedoch die HI-Viren übertragen können. Mit vielen Virusinfektionen hat man sich insofern arrangiert, als wirksame Impfseren entwickelt wurden, so u. a. gegen Grippe, Kinderlähmung, Masern, Röteln, Hepatitis A und B, Mumps, Gelbfieber, die schmerzhafte Gürtelrose (Herpes zoster), die von Zecken (Ixodes ricinus) übertragene Frühsommer-Meningoenzephalitis, neuerdings gefolgt von Papilloma- und Coronaviren (CoV-2). Leider trifft dies nicht für HIV und für das Schnupfenvirus zu.
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. Abb. 15.2 Dokument der World Health Organization (WHO) zur Ausrottung der Pocken, datiert mit 9. Dezember 1979: 7 https://www.who.int/archives/fonds_collections/bytitle/fonds_6/en/. Mit freundlicher Genehmigung der World Health Organization
Sehr kleine Genome sind sehr viel mutationsfreudiger, und den Immunzellen läuft die Antikörperproduktion davon. Die Entwicklung von Impfseren ist insbesondere gegen kleine Viren problematisch. Für AIDS gibt es immer noch keine Impfung. Schon seit einigen Jahrzehnten werden, ausgehend vom Institut Pasteur, für das Grippevirus wahrscheinliche Mutationen vorweggenommen bzw. prognostiziert, um gegen immunogene Epitope Antikörper zu produzieren. Diese als immunogen prognostizierten viralen Proteinabschnitte, für die eine hohe Auftretenswahrscheinlichkeit prognostiziert wurde, werden synthe-
tisch oder rekombinant hergestellt und als Antigene zur Produktion von Antikörpern verwendet. Dass dies nicht immer gelingt, zeigte die Grippeschutzimpfung 2017/2018, wo nur eines von drei angebotenen Seren, ein Mischserum gegen vier Epitope, effektiven Schutz bot. Ab 2018 wurde erst einmal der umgekehrte Versuch aufgenommen, Seren gegen konstante Bereiche der Oberfläche von Grippeviren für Massenimpfungen herzustellen. Auf Hochtouren läuft derzeit die Produktion von Antiseren und genbasierten Impfstoffen (unten) gegen CoV-2, das zu Beginn 2020 die COVID-19-Pandemie ausgelöst hat.
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Neu ist seit 2020 die molekularbiologisch gesteuerte Produktion der Immunreaktion über Injektion von mRNA, die virale Spike-Proteine bzw. Komponenten davon kodiert (immunogene Epitope); diese mRNA wird mit einem Lipidträger und weiteren Zusätzen in den Patienten injiziert, wo sie in verschiedene Körperzellen aufgenommen und translatiert wird. Diese „mRNA-basierte Impfung“ bewirkt im Patienten – abhängig vom Aufnahmemechanismus – unter Beteiligung verschiedener Lymphocytenpopulationen und dendritischer Zellen die Bildung von Antikörpern. Führend bei der methodischen Entwicklung zum Einsatz gegen CoV-2-Infektion waren zwei türkisch-stämmige Immunologen der deutschen Firma BioNTech: ihre Gründer Uğur Şahin und seine Frau Özlem Türeci (7 https://de.euronews.com/2020/11/11/wer-steckt-hinter-der-mainzer-firma-biontech-und-impfstoff-bnt162b2. b2.) Hatte man früher den Patienten antigene Virusoberflächen-Proteine injiziert, die dann die Antikörperbildung bewirken, so injiziert man jetzt den Bauplan (Nukleotidsequenz) des Antigens in Form von mRNA. Voraussetzung für den Erfolg von mRNA-Impfstoffen waren die Arbeiten des US-Amerikaners Drew Weissman und seiner aus Ungarn stammenden Kooperationspartnerin Katalin Karikó. Die beiden forschten an Medikamenten auf mRNA-Basis, indem sie synthetische Nukleoside so modifizierten, dass ihr Abbau im Körper verringert wurde und unerwünschte Immun- und Entzündungsreaktionen vermieden werden konnten. Beide wurden als Spitzenkandidaten für den Nobelpreis für Chemie 2022 „gehandelt“. Doch es kam ganz anders (7 Abschn. 4.5.2). Mit dem molekularbiologischen Ansatz eröffnen sich neue Möglichkeiten auch für andere Infektionen und Krankheiten wie Krebs. Der Vorteil ist, dass über DNA-Profiling (7 Abschn. 12.4) spezifische Subtypen von molekularbiologisch polymorphen
Tumoren angesprochen werden können (individualisierte Medizin). (Wie breit gestreut die Möglichkeiten des DNA-Profiling in der Zukunft sein werden, wird aus aktuellen Ansätzen in der Ökologie ersichtlich, indem als Antwort auf die globale Klimaerwärmung hitzeresistente Varianten von Nutzpflanzen selektiert werden – eine Umgehung der ungeliebten „Genmanipulation“.) Beispielsweise sind inzwischen, 2021, klinische Versuche mit mRNAbasiertem Impfstoff gegen den schwarzen Hautkrebs (Melanome) angelaufen. Erst im Dezember 2020 wurden von verschiedenen Firmen Erfolge mit einem antikörperbasierten CoV-19-Blocker vermeldet, der nach Injektion am ACE2-Protein bindet und die Infektion auf zellulärem Niveau unterbindet – eine wichtige Ergänzung zu den molekularbiologischen Impfungen. Da die üblichen Antikörpermoleküle vom Typ IgG (Immunglobulin G) relativ groß sind (7 Abschn. 4.5.2), finden neuerdings die wesentlich einfacheren Antikörper der Cameliden (Familie Kamele) Interesse. Diese Antikörper (z. B. von Alpaka-Zuchten) bestehen aus nur zwei schweren Ketten und diese sind überdies kürzer als bei anderen Säugetieren. Der variable Teil kann abgespalten werden und die „Nanobodies“ präventiv oder therapeutisch zum Abdecken von sonst schwer zugänglichen Spike-Proteinen etc. verwendet werden. Auch auf diese Weise kann die Infektion unterbunden werden. 15.2 Cytopathologische Effekte
von Viren
Auf welchem Wege entfalten Viren ihre Pathogenität in den Wirtszellen? Zunächst ist festzuhalten, dass Viren jeweils Oberflächenproteine besitzen, die nur an bestimmte Proteine (Rezeptoren) jeweils spezifischer Zellen andocken können. So docken Lentiviren bevorzugt an neuronalen Zellen an, die sie auf diese Weise infizieren,
15.2 · Cytopathologische Effekte von Viren
Adenoviren dagegen docken u. a. an Epithelzellen des Atemtrakts an. Die Abgabe von Viren aus infizierten Zellen läuft wie folgt. Bei den sogenannten lytischen Viren ist es klar der Zerfall der Zellen (Cytolyse), der erforderlich ist, um die neu gebildeten Viruspartikel freizugeben. Darunter fallen außer den Bakteriophagen auch andere Viren mit Capsidhülle, einschließlich humanpathogener Formen wie Herpesviren. Es handelt sich demnach um Viren mit verschiedenem Genom sowie verschiedener RNA und DNA. Dagegen werden bei nichtlytischen „nackten Viren“ (mit einer Lipidmembran), ebenfalls aus verschiedenen Gruppierungen, die Viruspartikel von der Zelle abgeknospt. Im Endeffekt beruht der cytotoxische Effekt einer Virusinfektion auf der Schwächung der Zellen durch die viralen Parasiten, welche die Syntheseleistung und Energieversorgung der Wirtszellen derart in Anspruch nehmen, dass es für sie selbst gerade noch zum Überleben reicht – oder eben nicht mehr. Ein Viruspartikel kann die Synthese von Tausenden neuen Partikeln erzwingen, sodass Zellen an dieser enormen Überforderung zugrunde gehen können. Das trifft wohl auch für die Coronaviren zu. Eine besondere zellbiologische Situation liegt dem Effekt des HI-Virus zugrunde. 1983 isolierten Luc Montagnier und sein Team am Institut Pasteur in Paris als Erste das HIV genannte Retrovirus und zeigten neben biochemischen Daten auch Elektronenmikrographien von knospenden Viren [8]. Eine latente Kontroverse zur Priorität der Entdeckung mit dem US-Amerikaner R. C. Gallo konnte zu Montagniers Gunsten aufgeklärt werden. Montagnier konnte zusammen mit H. zur Hausen und Françoise Barré-Sinoussi 2008 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin entgegennehmen. Dass HIV die antikörperproduzierenden Zellen attackiert, verhindert die Bildung von eigenen Antikörpern bzw. die Attacke durch Killerzellen (T-Lymphocyten). Einen Ausweg suchte man an-
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fangs in der Produktion von Antagonisten zum Chemokinrezeptor CCR5, der einerseits unter normalen Umständen die Aktivierung von Leukocyten und Makrophagen und andererseits leider auch die Bindung und Aufnahme des HI-Virus bewerkstelligt. Auf dieser Basis wurde der Co-Rezeptor-Antagonist Maraviroc oder Celsentri von der Fa. Pfizer als „entry inhibitor“ entwickelt. 2019 wurden, gegenüber anderen Ländern etwas verspätet, auch in Deutschland Medikamente, die das Andocken von HI-Viren blockieren, für die Prophylaxe gegen HIV zugelassen und werden sogar von der Krankenkasse bezahlt. Bisher sind 32 Mio. Menschen an einer HIV-Infektion gestorben, und jährlich kommt immer noch beinahe eine Million dazu. Die Erwartung, Viren würden generell cytotoxische Substanzen ausscheiden, hat sich nicht erfüllt. Bis 2018 wurden bei nichtcytolytischen Viren kaum virale Toxine identifiziert: Das virale Toxin NSP4 wird von Rotaviren produziert [9]. Diese Viren gelangen durch zufällige Kontamination in den Darm und verursachen dort schwerwiegende Schäden, begleitet von schwerem Durchfall mit Wasserverlust und Brechreiz. Das pathogene Agens NSP4 ist eine RNA-Polymerase, die in den Jahren 1996 bis 2000 beschrieben wurde [10]. Bis zur Entwicklung eines Impfstoffes, der 1988 in den USA zugelassen wurde, waren dort jährlich etwa eine halbe Million Kinder infiziert, und bis zu 60 Kinder starben. Weltweit wurde die Zahl der Todesfälle noch vor einigen Jahren mit über einer halben Million angegeben, was sich bei der derzeitigen Weltlage kaum gebessert haben dürfte. Inzwischen wird die Pathogenität des Chikungunya-Virus beim Menschen in Hinblick auf eine mögliche Verbreitung aus den Tropen nach Europa andiskutiert. Es gehört zur Familie der Togaviren und enthält ein Einzelstrang-RNA-Genom. Auch hier hat ein als NSP4 bezeichnetes Protein die Funktion einer RNA-Polymerase. Das 1953 entdeckte Chikungunya-Virus verursacht
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Kapitel 15 · Infektiöse Agenzien: Viren, Bakterien, niedere Pilze und Protozoen
das Chikungunya-Fieber und Kopfschmerzen. Da es über verschiedene Mückenarten, auch durch die aktuell nach Norden vorrückenden Tiger- und Gelbfiebermücken, übertragen wird, könnte diese virale Krankheit auch uns erreichen. Für die Zellbiologen sind einige Details von Rotaviren bzw. des NSP4-Toxins interessant. Erstens befällt es Epithelzellen des oberen Dünndarms (Jejunum) über endocytotische Aufnahme. Zweitens führt NSP4 bei extrazellulärer Bindung zur Aktivierung von Phospholipase C und zur Freisetzung von Ca2+ aus inneren Speichern (7 Abschn. 10.4), zumal aus dem endoplasmatischen Retikulum, und zur Aktivierung eines Ca2+-abhängigen Chlorid-Auswärtsstrom. Drittens kommt es zur Auflösung der Tight Junctions, nachweisbar über die Zunahme der transepithelialen elektrischen Leitfähigkeit (7 Abschn. 5.5.1). In summa ergibt sich ein Wasser- und Ionenverlust des Gewebes mit den Symptomen einer Diarrhö („διάρροια, diárrhoia“ = Durchfall). Die Inder S. Srivastava und A. Jain haben 2015 im Journal of Applied Pharmaceutical Science diese Effekte zusammengefasst [10]. Neben der Impfung wird im Tierversuch auch versucht, antidiarrhöische Medikamente zu entwickeln. Hier sei angemerkt, dass sich die pathogenen Einzelschritte der Erkrankung deutlich von jenen abheben, die durch Bakterien verursacht werden. Wie labil die Situation in Hinblick auf eine Invasion durch neue Virenarten ist, zeigte in den vergangenen paar Jahren die weltweite Gefährdung durch das Ebolavirus – an sich tropisch, jedoch flexibel genug, auch uns potenziell in einer Pandemie heimzusuchen. Strikt koordinierte epidemiologische Gegenmaßnahmen und die Entwicklung eines Impfserums konnten die Gefahr bannen. Zum Abschluss sei noch eine skurrile Situation aus der Geschichte der pflanzlichen Virologie angesprochen: Im 17. Jahrhundert hatte sich eine „Tulpenmanie“ entwickelt, die nach besonders lebhaften Farb-
mustern in Blüten gierte. Für Zwiebeln von derlei Exemplaren wurden horrende Spitzenpreise bezahlt. Es waren allesamt Zwiebeln von Pflanzen, die mit einem Tulpenmosaikvirus infiziert waren. 15.3 Viren als Werkzeuge in der
Zellbiologie
Viren sind in mehrfacher Hinsicht für Zellbiologen von Interesse: 5 Allein die Wechselwirkung von Viren mit Zellen ist wesentlich für die Aufrechterhaltung und Vermehrung von Viren, denn es gibt keine Viren ohne „Zwischenaufenthalt“ in einer Pro- oder Eukaryotenzelle. Um die obligate Zellpassage zu gewährleisten, sind Viren mit distinkten Oberflächenproteinen ausgestattet, die mit distinkten Oberflächenkomponenten der „Gastzelle“ interagieren – eine klare Rezeptor-Ligand-Situation. Solche Proteine sind für den Infektionsmechanismus von Interesse. Als Rezeptordeterminanten dienen spezifische Glykoproteine, u. a. solche mit Neuraminsäure. 5 Viren mit Membranumhüllung („nackte Viren“) durchlaufen bei der Infektion Prozesse der Membranfusion. Bei Paramyxoviren erfolgt die Internalisierung an der Zellmembran. Dagegen werden Semliki-Forest-Virus und „vesicular stomatitis virus“ über clathrinbeschichtete Endocytosevesikel, Vacciniaviren und die tubulären Ebolaviren dagegen über Makropinocytose aufgenommen (7 Abschn. 9.9). Sie gelangen so in Endosomen, deren Ansäuerung (7 Abschn. 9.4.5 und 13.1) die viralen Fusionsproteine durch Konformationsänderung aktiviert. Derlei Viren dienten daher ab den 1970er-Jahren eine Zeitlang als Modelle für den Mechanismus der Membranfusion. Der gemeinsame Nenner mit dem Mechanismus der endogenen Fusionsmaschinerie ist
15.3 · Viren als Werkzeuge in der Zellbiologie
retrospektiv freilich nur die Freilegung einer lipophilen Proteinsequenz. Rezent ergibt sich für Coronaviren die Frage, welchen Pfad sie in die Zelle nehmen. Davon hängt ab, ob Pharmaka mit Effekt auf endosomale Freisetzung des Genoms ins Cytosol sinnvoll wären; ohne konkrete Grundlage wird in diesem Zusammenhang gelegentlich das Antimalariamittel Chloroquin diskutiert. Viel wahrscheinlicher ist überwiegend eine Fusion mit der Zellmembran. 5 Manche Viren können ihr Genom vermittels der seit 1970 bekannten reversen Transkriptase latent in das Genom der Wirtszelle integrieren (kryptischer Infektionszyklus). Wie wichtig es ist, eine kryptische Infektion zu überspielen, zeigten die Versuche, eine Heilung von AIDS mittels antiretroviraler Therapie oder Transfer von exogenen Stammzellen des Immunsystems zu erzielen; würde nur der endogene Mechanismus ausgeschaltet, so könnte immer noch kryptisches Virusgenom reaktiviert werden. Vor dem Hintergrund von weltweit 38 Mio. Toten (2018) war es ein wesentlicher Fortschritt, als 2019 ein effizienter Rezeptorblocker, PrEP (Präexpositionsprophylaxe), zur Verhinderung des Andockens und der Aufnahme des HI-Virus entwickelt wurde [11]. 5 Für viele Viren kennt man auch den intrazellulären Ort, an dem sie zusammengebaut werden. Das kann von verschiedenen cytoplasmatischen Membranen ausgehen und von der Kernmembran über das raue ER und den Golgi-Apparat bis zur Zellmembran reichen. 5 Viren wurden zeitweise sehr hoch geschätzt, um Mikrodomänen zu markieren oder um als Marker für den basolateralen bzw. apikalen Abschnitt der Zellmembran von polar gebauten Epithelzellen zu dienen. Beispielsweise positionieren sich Influenzaviren und Semliki-Forest-Viren in polaren Epithelzellen jeweils differenziell, sodass der
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zugrunde liegende Mechanismus untersucht werden konnte. Dafür stehen die Arbeiten von K. Simons und der US-Amerikanerin Ann Hubbard in den 1980er-Jahren. 5 Wie vielfach Viren über Jahrzehnte hinweg als Modellsystem für Endocytose Einsatz fanden, fasst ein Kurzartikel des finnischstämmigen Schweizer Zellbiologen A. Helenius aus dem Jahr 2012 in der Zeitschrift Molecular Biology of the Cell zusammen [12]. 5 Schließlich wurden virale Vektoren für die Transfektion von Zellen unentbehrlich (7 Abschn. 6.10.1). Bevor die SNARE-Hypothese der Membranfusion 1988 entwickelt worden war, meinte die US-amerikanische Virusforscherin Judy M. White, es sei schwer vorstellbar, dass die Natur für einen derartig basalen Prozess verschiedene Mechanismen entwickelt hätte. Aber sie hat! 1992 veröffentlichte sie im Wissenschaftsjournal Science einen Artikel über „Membrane fusion“, indem sie ihre Kenntnisse aus viralen Systemen Seite an Seite mit den zellulären Mechanismen zur Fusion über SNAREs stellte [13]. Darüber hinaus integrierte sie eine dritte Gruppe fusogener Proteine, welche die Fusion von Ei und Spermatozoon ermöglichen, in ihre sehr objektive Übersicht. Dabei handelt es sich um PH-30 oder Fertilin, ein Protein der ADAM-Familie (abgeleitet von „a disintegrin and a metalloprotease domain“; 7 Abschn. 12.8). Von einem einheitlichen Fusionsmechanismus nach Virenart konnte also keine Rede mehr sein. Die Identifikation eines ersten viralen Anheftungs- („Attachment“-) und Fusionsproteins reicht bis in die frühen 1970er-Jahre zurück, und zwar auf die Arbeiten des US-amerikanischen Virologen P. W. Choppin an der Rockefeller University [14]. Es gab eine intensive Wechselwirkung mit deutschen Gästen, A. Scheid und H. D. Klenk. Zu dieser Zeit hörte ich
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Kapitel 15 · Infektiöse Agenzien: Viren, Bakterien, niedere Pilze und Protozoen
aten aus erster Hand bei einem GastvorD trag von Choppin in Köln, als die Kooperation mit R. Henning am Lehrstuhl von W. Stoffel lief. (Dieser war der Nachfolger des Klenk-Vaters, des Biochemikers E. Klenk, dessen Riesenbottiche für das Einkochen von Gehirnen zur Gewinnung von distinkten Lipidkomponenten wie Gangliosiden noch standen.) Die Gruppe um Choppin hatte spezifische Oberflächenproteine verschiedener Viren aus unterschiedlichen Säugetierzellen untersucht. Sie spezifizierten Effekte auf die Infektion, Zellfusion und Hämolyse. Ebenso fanden sie eine verstärkte Infektivität durch definierte Proteolyse oder Beseitigung von Glykosylresten am Rezeptor. So wurde 1980 die Bedeutung der Neuraminidase für die Fusion mit Liposomen und Zellen beobachtet. Für Influenzaviren wurde das Membranprotein Hämagglutinin (HA1 und HA2) als Fusogen erkannt. 1985 stellte die Gruppe von J. White fest, dass dieses Protein in einem sauren Milieu eine Konformationsänderung durchführt; dies ist relevant wegen der Durchschleusung von Viren durch saure Kompartimente wie Endosomen, wo auf diese Weise die Fusogenität gewährleistet wird. Entscheidend ist die Exposition eines lipophilen Abschnitts des Fusionsproteins. 1994 folgte die Kristallanalyse unter Tieftemperaturbedingungen. Erst 2014 folgte eine molekulare Analyse von Hämagglutinin im Prä- und Postfusionszustand, ebenfalls durch US-Amerikaner, und eine weitere 2018 aus dem Francis Crick Institute in London – eine Überlagerung von molekularbiologischen Details und Kryoelektronenmikroskopie [15]. Die Dockproteine sind als coronaartige Fortsätze sichtbar. Einige Spikes müssten sich zurückfalten oder partiell abgebaut werden, damit das Viruspartikel am plasmalemmalen Fusionsprotein der Wirtszelle andocken und die Fusion einleiten kann. Es ist zu erwarten, dass für CoV-2 eine ähnliche Konstellation zutrifft wie für das Influenza-Virion. Wie für dieses wurde 2020 auch für das
CoV-2-Virus die Relevanz von Sialin- bzw. Neuraminsäure-Resten der Glykokalyx von Zielzellen für den Dockprozess erwogen. Eventuelle Zusammenhänge mit blutgruppenspezifischen Glykoproteinen oder mit „Histo-Blutgruppen-Antigenen“ (7 Abschn. 5.4.3) sind noch unklar, wiewohl angeblich Menschen mit Blutgruppe 0 am wenigsten und solche mit Blutgruppe A am meisten infiziert werden. 15.4 Pathogene Bakterien und
Bakterienpathogene
Angefangen hat die Entwicklung der Zellbiologie als ein vormodernes Forschungsgebiet in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der Identifikation der Erreger von Milzbrand, Typhus und Cholera sowie deren Bekämpfung. Impfungen sind seit 1881 (Milzbrand), 1897 (Typhus) bzw. 1884 (Cholera) verfügbar. Von manchen pathogenen Bakterien konnte die Zellbiologie viel lernen. Immer noch setzt man bakterielle Toxine in der Grundlagenforschung ein, wo sie wichtige Informationen liefern, von therapeutischen Ansätzen durch intensive Forschung ganz zu schweigen. 15.4.1 Schädigend bis letal,
aber von relativ geringem Nutzen für die zellbiologische Grundlagenforschung
Milzbrand ist bereits von Homer aus dem antiken Griechenland, von Ovid aus dem antiken Rom sowie von den mittelalterlichen arabischen Ärzten und aus dem europäischen Mittelalter bekannt. Die Unterscheidung gegenüber der Pest wurde wohl nicht immer richtig getroffen. Das Bakterium Bacillus anthracis wurde von dem deutschen Arzt Aloys Pollender 1849 entdeckt und in der zweiten Hälfte des
15.4 · Pathogene Bakterien und Bakterienpathogene
19. Jahrhunderts von L. Pasteur und R. Koch kompetitiv bearbeitet. Viele relevante Details wurden jedoch erst über Jahrzehnte hinweg zugänglich. Der erste als pathogen identifizierte Fall, der Bacillus anthracis als Erreger von Milzbrand, war allerdings eine harte Nuss für vertiefte Analysen, denn die kausal-mechanistische Enthüllung des komplexen zellulären Effekts war langwierig. Die Situation ähnelt einem Kriminalfall mit mehrfach abgesichertem Mordanschlag, der erst über Jahrzehnte aufgeklärt werden konnte. Das Anthraxtoxin hat immer noch die Potenz einer der gefährlichsten biologischen Waffen. Im Boden können die Sporen von B. anthracis ohne Weiteres ein halbes Jahrhundert überdauern. Das Drehbuch zu diesem bakteriellen Mordanschlag haben R. J. Collier und J. A. T. Young 2003 in Annual Review of Cell and Developmental Biology umrissen [16]. Das Toxin besteht aus mehreren Untereinheiten mit jeweils verschiedenen Effekten, nämlich dem Letalfaktor LF, dem Ödemfaktor EF und dem protektiven Antigen PA. Alle drei werden aus dem Bakterium entlassen (Ektotoxine). PA bildet bei Befall in der Zellmembran eine Präpore (Vorläufer einer Pore), die EF bindet, um dann über Endocytose internalisiert zu werden. Nach Verschmelzung mit einem Lysosom reift im sauren Milieu des Endolysosoms die Präpore zur Pore, die den Ödemfaktor freisetzt. Dieser kann nun einerseits an MAPK-Kinase (MAPKK, 7 Abschn. 12.6) binden und diese durch hydrolytische Spaltung inaktivieren. Andererseits kann EF unter Beteiligung von Calmodulin die Adenylatcyclase aktivieren und bestimmte Ionenkanäle so aktivieren, dass die Zelle durch ein Ödem kompromittiert wird. Ob dabei eine 2010 als „anthrax-like protein“ beschriebene Komponente mit Ähnlichkeit zum Choleratoxin über ADP-Ribosylierung mitmischt, ist offen. Dabei werden auch die Zellen des Immunsystems befallen und Interleukine in einem solchen Maß ausgeschüttet, dass
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es zu einem letalen Schockzustand kommt. B.-anthracis-Bakterien sind also in der Tat wie Mörder, die gleich mit mehreren Mordwaffen zuschlagen – ein prädeterminierter Kandidat für eine Biowaffe. Auch bei der Syphilis wurde nach Treponema-pallidum-Toxinen gesucht, jedoch wurden keine gefunden. Der Effekt beruht auf einer überbordenden Reaktion des Körpers auf Lipoproteinkomponenten als Endotoxin (strukturelle Komponente, die nicht freigesetzt wird). Dies ruft schwere Entzündungen und Gewebeschäden hervor. Nach den grausamen, hilflosen Bekämpfungsversuchen in der frühen Neuzeit blieb auch jeder weitere Bekämpfungsversuch erfolglos, bis in den 1900er-Jahren der Deutsche Paul Ehrlich Arsenophenylglycin als Therapeutikum entwickelte, das 1910 als Salversan auf den Markt gebracht wurde. Die beachtlichen Nebenwirkungen konnten erst mit der Zulassung von Neosalversan im Jahre 1912 gemildert werden. In den 1940er-Jahren wurde Penicillin, ein β-Lactam-Antibiotikum, als Therapeutikum verfügbar, bei Unverträglichkeit oder zunehmender Resistenz werden auch andere Antibiotika verabreicht. 15.4.2 Gefährlich, aber nützlich
für die zellbiologische Grundlagenforschung
Unter den zahllosen bakteriellen Toxinen sind Hemmer von Serin/Threonin-Proteinphosphatasen zellbiologisch-experimentell für die Subtypisierung der Phosphatasen bedeutsam. (Hierzu ist der Schotte Sir Philip Cohen die Autorität; bereits 1989 hat er eine autoritative Übersicht verfasst [17] und 2005 dazu ein Vielautorenbuch herausgegeben [18].) Unter diese Toxine fallen nicht nur die von Cyanobakterien erzeugten cyclischen Peptide wie Microcystine, sondern auch die von Dinoflagellaten produzierte Okadarsäure (Dinoflagella-
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Kapitel 15 · Infektiöse Agenzien: Viren, Bakterien, niedere Pilze und Protozoen
ten können sich ebenso wie gewisse Cyanobakterien in ausgedehnten Algenblüten auf der Oberfläche von wenig bewegten Gewässern, auf Süß- oder Salzwasser, entfalten.) In den 1980er-Jahren wurden sie als eine Verbindung aus linear angeordneten heterocyclischen Einheiten charakterisiert. Beide können onkogen wirken. (Das haben sie mit anderen Phosphatase-Inhibitoren gemeinsam: Mezerein vom Seidelbast [Daphne mezereum] oder Cantharidin, ein früheres Aphrodisiakum aus der Spanischen Fliege [Lytta vesicatoria].) Akut wirken die Toxine der Algenblüten bereits in nanomolaren Konzentrationen, besonders gefährlich werden sie jedoch, wenn sie über „Filterfeeder“-Organismen wie Muscheln angereichert wurden („Touristendiarrhö“). So können von Algenblüten befallene Seen und Meeresbuchten zu Risikogebieten werden. Heute erschrickt man beim Flug über die Ostsee, doch hat es diese „red tides“ auch schon im Mittelalter gegeben. Manche Bakterien werden zur Bekämpfung lästiger Insekten eingesetzt. Bacillus thuringiensis befällt bevorzugt Stechmücken, die Subspecies B. t. israelensis hauptsächlich deren Larven. B. t. israelensis wurde 1976 entdeckt, als auffallend viele tote Mückenlarven in den Wasserpfützen lagen. Im Mückendarm wird ein letales Endotoxin zugänglich, das gut degradierbar ist. Seit 1961 ist B. thuringiensis zur Mückenbekämpfung zugelassen, wird aber in Anbetracht der Nahrungskette in Gewässern nicht überall appliziert (so am Bodensee). Trotzdem ist es in mehr als 180 Pestizidprodukten enthalten. Für die Zellbiologen sind die Erreger von Keuchhusten und Cholera wesentlich interessanter und konstruktiver als der Milzbranderreger. Damit ist gemeint, dass beide Toxine Bedeutung als molekulare Diagnostika erreichten, als ihre Effekte über ADP-Ribosylierung der α-Untereinheit von trimeren G-Proteinen (7 Abschn. 10.7) bekannt wurden. Die entscheidenden Befunde stellten sich ab den 1980er-Jahren ein.
Zunächst erkannte der Franzose P. Chambon in den frühen 1960er-Jahren das Phänomen der ADP-Ribosylierung an Hühnerleber; ähnliche Befunde wurden in vielen Eukaryotenzellen und schließlich bei zahlreichen nicht miteinander verwandten Bakterien erhoben [19]. Darunter sind neben den Erregern von Cholera und Keuchhusten auch jener der Diphtherie sowie eine Form von Escherichia coli (Enterotoxin LT), Pseudomonas aeruginosa (Toxin A) und verschiedenen Bakteriophagen zu finden. Ist es beim Pertussistoxin ein Vertreter der Gαi-Gruppe von trimeren G-Proteinen, der ADP-glykosyliert wird, so ist es beim Choleratoxin ein anderer Typ der Gα-Untereinheit eines trimeren G-Proteins, nämlich Gαs. Die Indizes s und i stehen für stimulatorisch und inhibitorisch bezüglich des Effekts auf ein definiertes Zielprotein. Die beiden gegenläufigen Effekte werden in der Zellbiologie zur Identifikation der α-Untereinheiten eingesetzt. Da es auch endogene ADP-Ribosyltransferase gibt, z. B. im Gehirn, konnte man erahnen, dass die Gene im Laufe der Evolution verschleppt wurden; dementsprechend reifte zu Beginn der 2000er-Jahre die Idee ihrer Verbreitung über Gentransfer. Wie kommen Keuchhusten und Cholera zustande? Das vom gramnegativen Erreger des Keuchhustens, Bordetella pertussis, produzierte Pertussistoxin gelangt über Endocytose in die Zelle, jedoch dringt es seltsamerweise durch weiteren Transport ins Lumen des Golgi-Apparats und weiter bis ins endoplasmatische Retikulum vor. Von dort wird es über eine Pore ins Cytosol freigesetzt. Eine seiner Untereinheiten entfaltet eine ADP-Ribosyltransferase-Funktion und verursacht damit die Hemmung der Gαi-Untereinheit eines trimeren G-Proteins. Damit werden intrazelluläre Signalwege blockiert, mit mehreren Folgeschäden. Dazu kommt noch eine bakteriell kodierte Adenylatcyclase. Diese wirkt hier jedoch als „Adenylatcyclase-Toxin“, denn sie kann Poren in der Zellmembran
15.4 · Pathogene Bakterien und Bakterienpathogene
der infizierten Zellen hervorrufen. Ferner kommt in der Luftröhre ein tracheales Cytotoxin hinzu, das aus dem Peptidoglykan des (gramnegativen) Bakteriums gebildet wird und zum Stillstand der Cilien im Tracheaepithel führt. Das macht das Abhusten schwer und stabilisiert das „keuchende Husten“. Im Endeffekt resultiert all dieses auch in einer reduzierten Immunantwort und einem erhöhten Infektionsrisiko, zumal die Beseitigung des Bakteriums durch Phagocytose vermindert ist. Übersichtlicher ist die Situation für Choleratoxin, das Toxin von Vibrio cholerae. Von seinen beiden Untereinheiten A und B hat die A-Untereinheit die Fähigkeit, endogene Adenylatcyclase zu aktivieren. Der Anstieg des cAMP-Spiegels wirkt auf zwei Ionenkanäle; cAMP vermindert die Aufnahme von Na+ in die resorbierenden Darmepithelzellen und erhöht die Abgabe von Cl– in das Darmlumen. Durch die erhöhte Konzentration von NaCl im Darmlumen kommt es dort – osmotisch bedingt – zur Zunahme des Wassergehalts und zu Durchfall (Diarrhö). Beteiligt ist derselbe Cl–-Kanal, den wir aus 7 Abschn. 5.4.3 von der cystischen Fibrose her kennen („cystic fibrosis transmembrane conductance regulator“, CFTR). Die Zellbiologen freuen sich über solche Instrumente, mit denen sie verschiedene trimere G-Proteine selektiv manipulieren können, sei es über die Gαs- oder die Gαi-Untereinheit. Sie haben aber noch weitere, ebenso wichtige Waffen im Arsenal der pathologischen Bakterien gefunden. Die Clostridium-Spezies C. tetani und C. botulinum haben mit ihren „Clostridium-Toxinen“ beide jeweils ähnlich „schlaue“ Mechanismen erfunden, die allerdings mit der Dynamik der Neurotransmission zu tun haben [20]. Sie verursachen die häufig letale, als Tetanus bezeichnete Vergiftung ([Wund] Starrkrampf) bzw. Botulismus (eine Lebensmittelvergiftung mit extremer Muskelentspannung), also einerseits extreme Muskelkontraktion und anderseits totale
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Erschlaffung; beide können letal enden. Tetanus kann über Verschmutzung von Wunden, beispielsweise über Tierkot (Pferdemist wird oft erwähnt) oder alte Gartenerde, eingezogen werden (auch aus häuslichen Blumentöpfen, heißt es). Botulismus kann durch anaerob abgepackte Lebensmittel, wie schlechte Konserven, verursacht werden. Da beides durch gegensätzliche Beeinträchtigung der neuronalen Aktivität bedingt wird, kannte man bis zur Entdeckung der SNARE-Proteine ab den 1990er-Jahren (7 Abschn. 9.6.3 und 9.8) lediglich die elektrophysiologische Grundlagen hierzu, die auf eine Störung der Neurotransmission hinausliefen. Welche molekularen Mechanismen liegen im Detail den Effekten der Clostridium-Toxine zugrunde? Tetanustoxin und Botulinumtoxin funktionieren im Prinzip auf ähnliche Weise: Beide schneiden proteolytisch SNARE-Proteine. Ersteres blockt jedoch hemmende Synapsen, wodurch es zur bedrohlichen Kontraktion der Körpermuskulatur kommt (Tetanus), Letzteres führt zum Verlust des Muskeltonus (Botulismus). Wie in den 1980er-Jahren von dem leider früh verstorbenen Deutschen Heiner Niemann und dem Italiener C. Montecucco ermittelt wurde, gibt es distinkte Aminosäurenabschnitte, an denen die proteolytische Spaltung der Zielproteine durch das jeweilige Toxin erfolgt (Endopeptidasefunktion) [20]. Die Toxine nutzen die Fähigkeit – ohne jetzt weiter zu subtypisieren –, als molekulare Scheren zu agieren, und zwar wie folgt. Erst einmal braucht es die schweren Ketten, um über Endocytose in die Zellen zu gelangen. Den eigentlichen Toxineffekt üben die leichten Ketten aus, die eine Metalloendoprotease-Aktivität entfalten (z. B. mit Zn2+ als Aktivator). In den 1990er-Jahren arbeitete Heiner Niemann am Institut für Mikrobiologie, einem Bundesforschungszentrum in Tübingen, an den molekularbiologischen Effekten von Clostridium-Toxinen, speziell Tetanustoxine [21]. Botulinumtoxin
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schneidet SNARE-Proteine vom Typ Synaptobrevin/VAMP („vesicle associated membrane protein“) Syntaxin und SNAP25. Dadurch wird die Neurotransmission unterbunden. Dies ist genau der Wirkmechanismus der kosmetischen „Botox“-Behandlung. Das im Fachjargon „BoNT“ genannte Toxin wird injiziert und glättet die Falten im Gesicht nach einem Mechanismus, den Reinhard Jahn, einer der Spitzenexperten in Sachen SNAREs, 2006 in einem kurzen Artikel in der Zeitschrift Science erklärt hat [22]: Das Botulinumtoxin schneidet hier mit zwei Subtypen des Toxins zwei verschiedene SNARE-Proteine; BoNT-A schneidet SNAP-25, BoNT-B dagegen Synaptobrevin/VAMP. So wird die Ausschüttung von Acetylcholin an den Synapsen von Motoneuronen unterbunden und damit auch die faltenbildende Kontraktion. Darauf beruht die neuerdings so verbreitete „Botox“-Behandlung beim häufigen Erscheinungsbild „purse strings“ (Tabaksbeutelnaht), bei der durch Injektion des Toxins die Oberlippe geglättet wird; es werden so kurzerhand die lokalen Nerv enendigungen lahmgelegt. Eine von Niemann zur Verfügung gestellte Probe der leichten Kette von Botulinumtoxin, BoNT/E, injizierten wir auf Anregung von Reinhard Jahn in Paramecium-Zellen; dies geschah während der Phase, in der wir freie Trichocysten an die Zellmembran synchron andocken ließen. Es zeigte sich kein Hemmeffekt. Auch in vitro wurde das potenzielle Target, das SNARE SNAP-25, nicht geschnitten, im Gegensatz zu parallel laufenden Proben mit chromaffinen Granula aus dem Nebennierenmark. (Daher kam es erst nach einigen Jahren zu einer Erwähnung dieser Daten in einem Übersichtsartikel, als das potenzielle Targetprotein kloniert war.) Der Kontakt mit Heiner Niemann zeigte uns zweierlei: einmal, dass die Pharmakologie von Mammaliern nicht immer (ja sogar meistens nicht) auf Protozoen anwendbar ist; zum anderen machten wir die Erfahrung, wie schwer
es ist, in ein Institut für Infektionsbiologie einzudringen – es herrschen Hochsicherheitsbedingungen wie in einem Gefängnis, nur dass man leichter heraus- als hineinkommt.
15.4.3 Bakterien als Experten
in Sachen Eukaryotenzelle und Bakterien „undercover“
Auch bei den im Folgenden besprochenen bakteriellen Infektionen gewinnt man den Eindruck, dass Bakterien ihre potenziellen eukaryotischen Wirtszellen sehr gut „kennen“. Jedenfalls benutzen sie Mechanismen bzw. haben sie solche entwickelt, die von beachtlicher „Detailkenntnis“ zeugen. Typhus („typhoid fever“) kommt unter verschiedenen Namen daher, ebenso wie der Speziesname seines Verursachers (ursprünglich Salmonella typhi, heute S. enterica Serovar). Erst in den 2010er-Jahren wurden entscheidende Details zum Infektionsmechanismus bekannt. Diese gramnegativen Bakterien werden endocytiert und wieder abgegeben, um weitere Körperzellen zu befallen. Sie benutzen einen Proteinkomplex (Endolysin/Holin-Paar), den man ursprünglich von Bakteriophagen kannte (die Endolysine kodieren), um ihr Toxin freizusetzen. Dieses bewirkt lebensbedrohliches Fieber. Unter den Diarrhö verursachenden Bakterien sind weitere Salmonella-Arten und Shigellen (Ruhr) sowie Campylobacter-Arten wie C. jejuni und C. coli, die sich über kontaminierte Nahrungsmittel im Dünndarm bzw. Dickdarm einnisten. Sie sind zum Teil hochinfektiös. Der zugrunde liegende pathogene Mechanismus ist jeweils verschieden. Notleidende, physisch geschwächte Menschen, besonders in Kriegsgebieten, sterben massenweise an solchen Infektionen. Neben bakteriellen Ursachen sind auch Diarrhö verursachende Protozoen (Amöbenruhr, Entamoeba histolytica, etc.) nicht zu übersehen.
15.4 · Pathogene Bakterien und Bakterienpathogene
Die Toxine von Clostridium perfringens beschädigen mit einem Cocktail aus Proteasen, Ribonukleasen und Phospholipasen massiv das Gewebe (Gasbrand). Das Shiga-Toxin der Shigella-Bakterien hat eine ganz eigene Art der Schädigung der Wirtszellen entwickelt. Dabei wird, wie die Norwegerin K. Sandvig 2002 zusammenfasste [23], das Shiga-Toxin über Endocytose, Transport über den Golgi-Apparat bis zum endoplasmatischen Retikulum weitergegeben, gefolgt von Freisetzung einer toxischen Komponente. Diese attackiert die ribosomale 28S-RNA der 60S-Untereinheit und bringt so die Proteinsynthese der befallenen Zelle zum Erliegen. Shiga-Toxin wirkt auch auf Mikrotubuli, aber noch viel dramatischer, quasi fernsehtauglich, ist sein Effekt auf das Aktinsystem: Regelrechte Aktinbärte werden an das Bakterium einseitig anpolymerisiert, und dieses wird – in der Filmdokumentation sehr eindrucksvoll – durch die Zelle herumgetrieben, bis es durch Abknospen die Zelle verlässt, um neue Infektionen hervorzurufen: Der Pesterreger Yersinia pestis macht sich Aktin auf andere Weise zunutze: Er spritzt das Enzym YopO und weitere Enzyme in die Makrophagen ein, die der Bekämpfung dienen sollten, jedoch durch Bindung dieses Enzyms an Aktin deaktiviert werden. Als die Experten in Sachen Zellbiologie schlechthin kann man die Mykobakterien ansehen, zu denen der Lepra- und der Tuberkuloseerreger gehören. Da die Infektion mit Mycobacterium tuberculosis (Tbc) immer noch ein latentes, ja sogar zunehmendes Problem ist, stehen folgende Aspekte im Fokus. Das „Handbook of Tuberculosis: Immunology and Cell Biology“, 2008 bei Wiley erschienen, zeigt an Makrophagen mehrere Effekte. Die Bindung von M. tuberculosis erfolgt am Rezeptor vom Typ MR („macrophage C-type lectin mannose receptor“). Das Phagosom sei zwar zugänglich für den Antransport endocytierter Materialien über Rab5-GTPase-positive frühe Endosomen, eine Fusion mit Rab7-posi-
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tiven späten Endosomen und mit Lysosomenwird jedoch angeblich vom Bakterium unterbunden. Dabei hat bereits 1994 ein US-amerikanisches Kooperationsteam nachgewiesen, dass die Membranen der M.-tuberculosis-haltigen Phagosomen das lysosomale Markerprotein LAMP-1 enthalten („lysosomal-associated membrane protein 1“). Indes fanden diese Autoren eine reduzierte Bestückung mit der vakuolären H+-ATPase. Sie äußerten die Meinung, dass dies den cytokininduzierten bakteriostatischen Effekt beeinträchtigen würde. In einer Fluorochromanalyse durch ein USTeam (2011) hat sich der luminale pH-Wert in den Phagosomen tatsächlich als kritisch für das Überleben des Parasiten herausgestellt. Der Regulator wird kodiert durch das Gen aprABC („acid and phagosome regulated ABC locus“), dessen Expression die Expression von Proteinen der H+-ATPase/ Pumpe beeinflusst, wodurch die pH-abhängige Adaptation im Makrophagenphagosom moduliert wird. Das Bakterium wächst kaum noch bei pH 6,4 und stellt sein Wachstum bei pH 5,0 gänzlich ein. 2017 zeigte ein französisches Konsortium, dass M. tuberculosis noch einen weiteren Mechanismus zur Kontrolle des luminalen pH-Wertes in Phagosomen in die Wege leiten kann, nämlich den SOCS-Mechanismus („suppressor of cytokine signaling“). Nach Meinung der Autoren verläuft dieser Mechanismus über die Sekretion des GMCSF („granulocyte-macrophage colony-stimulating factor“), was die Expression eines durch Cytokine induzierbaren Proteins induziert, der seinerseits die A-Untereinheit (des V1-Kopfteils) der H+-ATPase ubiquitinyliert und so dem Abbau in Proteasomen zuführt. Damit werden die Ansäuerung des Phagosoms und folglich der lysosomale Abbau des Tuberkulosebakteriums sabotiert [24]. Weitere Forschung wird sich in Anbetracht der weltweit 1,5 Mio. Toten pro Jahr lohnen. Eine Arbeit aus 2021 in Nature Communications (12:6592) beschreibt die Freisetzung eines nekrotisierenden Fak-
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Kapitel 15 · Infektiöse Agenzien: Viren, Bakterien, niedere Pilze und Protozoen
tors aus mit Tuberkulose infizierten Makrophagen. Zur Problematik der Tuberkulose erschien 2022 der Band „The Phantom Plague: How Tuberculosis Shaped History“ von V. Krishnan bei Public Affairs. Die Autorin spricht darin auch das Problem der zunehmenden Antibiotikaresistenz mit Schwerpunkt Indien an. Da taucht in der Erinnerung eine kurze Begegnung auf, und zwar 1972 in Louvain (Belgien) anlässlich eines von der Gruppe um de Duve organisierten Lysosomen-Kongresses. Ein lebhafter alter Herr kam auf Roland Henning und mich zu, erzählte von seinem Interesse an der Bekämpfung der Tuberkulose und bedauerte seinen komplizierten Namen, Philip D’Arcy Hart (und das noch dazu ohne Bindestrich!), was die Propagierung seiner Publikationen erschwert habe. (Später stellte sich heraus, dass er der Sohn eines britischen Barons war; er hatte noch ein langes Leben vor sich, bis er 2006 im Alter von 106 Jahren starb.) Sein Interesse galt unseren Arbeiten an Lysosomen mit dem nichtionischen Detergens Triton WR-1339, das in Lysosomen angereichert wird (7 Abschn. 7.1 und 13.1.2). Er hatte nämlich ein diesem ähnliches „Surfactant“, Macrocyclon, auf seinen Effekt auf den Tuberkuloseerreger in Makrophagen hin untersucht. Frühere Berichte über einen bakteriziden Effekt hatten sich jedoch als falsch herausgestellt. So war er bereits 1943 als einer der Ersten auf die Antibiotikabehandlung der Tuberkulose gekommen, wofür ihm Patulin, das in faulendem Kernobst von Schimmelpilzen reichlich gebildet wird, und Streptomycin zur Verfügung standen. In neuerer Zeit wurden bessere Kombinationen von Antibiotika eingeführt, wie Ethambutol, Isoniazid, Pyrazinamid und Rifampicin. Das erste der genannten Antibiotika hemmt den Aufbau der Zellwand durch Störung der Biosynthese spezifischer Polysaccharide, das zweite hemmt die Zellwandbildung durch Störung der Mykolsäuresynthese, die Wirkung des dritten ist nicht
ganz gesichert, das vierte hemmt die Transkription mykobakterieller Gene durch eine DNA-abhängige RNA-Polymerase. Im Jahr 2013 waren jedoch 3,5 % der Neuinfektionen multiresistent gegen Antibiotika. Die zunehmende Resistenz ist ein ernstes Problem; nach Angaben des Robert Koch-Instituts gibt es in Deutschland pro Jahr 55.000 Fälle von Antibiotikaresistenz mit 2400 Todesfällen. Dies gilt umso mehr, als HIV-kompromittierte Patienten das Ihre zur verstärkten Verbreitung der Tuberkulose beitragen. Überdies ist man wegen des geringen Durchseuchungsgrades von 0,1 % inzwischen von Tbc-Schutzimpfprogrammen abgekommen. Seinen zellpathologischen Effekt bewirkt der Tuberkuloseerreger nach Befunden einer kalifornischen Gruppe 2009 durch Hemmung der Proteinsynthese, die erfolgt, sobald sich das Toxin von seinem artverwandten endogenen Antitoxin unter Stressbedingungen gelöst hat. Im Rückblick beeindruckt der Tbc-Erreger durch die Manipulationen des Eukaryoten-„Gastgebers“ dadurch, dass er sich im fremden Haus sehr gut „auszukennen“ scheint und einer unverträglichen Ansäuerung der ihn beherbergenden Phagosomen erfolgreich entgegenarbeiten kann. Manchmal haben jedoch pathogene Bakterien ihren Meister gefunden, indem die potenziellen Wirtszellen sich vor ungebetenen Gästen schützen. Dazu folgendes Beispiel: Lysozym ist eine Komponente von Hühnereiweiß, welche die Eier lange frischhält – auch wenn sie beim Bebrüten wochenlang höherer Temperatur ausgesetzt sind. Es hemmt das Wachstum von Bakterien, indem es deren Murein zerstört. Tuberkulosebakterien leben demnach gewissermaßen „undercover“, indem sie sich’s in einem an sich unerträglich sauren Milieu durch Hemmung der Azidifizierung gemütlich machen. Man kann es sich aber auch in noch lebensfeindlicherer Umgebung gemütlich machen. Eines der häufigsten, potenziell sehr gefährlichen Bakte-
15.4 · Pathogene Bakterien und Bakterienpathogene
rien macht justament dieses. Das gramnegative, begeißelte Bakterium Helicobacter pylori schiebt sich in die Schleimhaut des Magens hinein, wo es in Phagosomen vor der 1-normalen/molaren Salzsäure (pH ≈ 1) geschützt ist, welche die Belegzellen des Magenepithels stetig produzieren. Die Ansäuerung der Phagosomen ihrerseits kann das Bakterium ausschalten [24]. Dabei ist eine komplexe Signalkaskade beteiligt, die zur Ubiquitinylierung der A-Untereinheit der H+-ATPase und deren proteasomalem Abbau führt [24]. Noch dazu spaltet es mit seiner Urease Harnstoff in CO2 und NH3 (Ammoniak, NH4+), womit es in seinem Mikrohabitat der Ansäuerung entgegenwirkt. H. pylori wurde spät (1983) von den Australiern Barry Marshall und John R. Warren entdeckt, aber es kam erst 1989 zur Anerkennung als kausales Agens bei Magengeschwüren und Magenkrebs mit sehr schlechter Prognose. Marshall und Warren wurden 2005 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin bedacht. Sie hatten das Ziel der Nobelstiftung, Gutes für die Menschheit zu schaffen, wahrhaftig erfüllt. Die Durchseuchung liegt weltweit je nach Region zwischen 10 und 100 %. Die Bekämpfung erfolgt durch Kombination von Antibiotika (inzwischen leider auch mit fatalen Resistenzen) und einem „Säureblocker“ (Inhibitor der H+-ATPase). Dieser Ansatz geht auf Untersuchungen des italienischen Zellpathologen C. Montecucco in den 1990er-Jahren zurück. Das Zelltoxin VacA verursacht die Bildung von Vakuolen in den Epithelzellen, die sich mit Säure füllen, bis sie bersten und das Gewebe schädigen [26]. Außerdem werden Peptidoglykanfragmente freigesetzt, die ebenfalls zur Entzündung und weiteren Pathogenität beitragen. Die fortschreitenden Erkenntnisse aus der zellbiologischen Forschung haben es ermöglicht, innerhalb von 40 Jahren die Letalitätsrate von Magenkrebs auf ein Viertel zu drücken.
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15.4.4 Resistenzen – ein latentes
und akutes Problem
Seit jeher stehen wir bei vielen der angesprochenen bakteriell verursachten Krankheiten vor dem Problem, dass eine passive Immunisierung nicht immer möglich ist. (NB: Die prophylaktische Impfung mit exogenen Antikörpern steht im Gegensatz zur aktiven Immunisierung durch eine Infektion mit abgeschwächten Erregern oder mit gereinigten Antigenen.) Sie kann natürlich besser gesteuert werden als eine oft erfolglose Abwehr gegen den voll virulenten Erreger. Ein aktuelles und akutes Problem ist die Resistenz vieler Keime gegen Antibiotika (multiresistente Keime); das gilt zunehmend auch für jene Antibiotika, die bisher in Reserve gehalten wurden. Aktuell infizieren sich in Deutschland eine halbe Million Patienten mit multiresistenten Keimen; in Europa sterben jährlich 33.000 und weltweit geschätzte 700.000 Patienten daran. Das sei zu wenig, um den Pharmafirmen ein lohnendes Geschäft zu eröffnen, heißt es. Hier wären Politik und Sponsoren für entsprechende Grundlagenforschung gefordert. Abgesehen von der Forderung, die Anwendung von Antibiotika in der Tierzucht und in der Humanmedizin stärker zu kontrollieren, werden aktuell auch neue Konzepte angedacht, z. B. der Einsatz von Bakteriophagen. Das hat einen langen Vorlauf: 1896 hatte der britische Bakteriologe E. H. Hankin berichtet, dass im Wasser des Ganges irgendetwas vorhanden sein müsse, was die Cholerabakterien abtötet – daraus sollte sich das Konzept der Bakteriophagen entwickeln. Für die Bekämpfung auch von antibiotikaresistenten Bakterien in der Medizin sollten Bakteriophagen interessant sein, da sie ja einen bakterienspezifischen, sich selbst abschaltenden Mechanismus böten. Ein entsprechender Vorschlag geht laut einem Übersichtsartikel einer polnischen Gruppe, A. Cisek et al. (2017) in Current Microbiology [27], auf das Jahr 1921 zu-
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Kapitel 15 · Infektiöse Agenzien: Viren, Bakterien, niedere Pilze und Protozoen
rück, lange bevor von resistenten Bakterien die Rede war. Als die Antibiotika für die DDR zu teuer waren, setzte man als Alternative Bakteriophagen ein, fallweise einen Cocktail davon, um wie mit einer Schrotflinte die richtige Spezies zu treffen. Allerdings häufte sich die Evidenz, dass die Phagentherapie mit der angeborenen und erworbenen Immunität interferieren kann, sodass entsprechende Vortests notwendig wären. Seit 2014 bemüht man sich in Anbetracht zunehmender Antibiotikaresistenzen wieder mehr um therapeutische Einsatzmöglichkeiten von Bakteriophagen. Auch behält man die Möglichkeit, neue Antibiotika zu finden, im Auge. Darunter könnten solche sein, die mit der Synthese des Mureinsacculus interferieren. Dieser besteht aus komplexen Peptidoglykanen, deren Vernetzung durch bereits bekannte Antibiotika unterbrochen werden kann. Die Suche nach neuen Möglichkeiten wurde kürzlich angekündigt, mit Effekten von Antibiotika auf die Struktur des Mureinsacculus, gefolgt von osmotischer Schädigung der Bakterienzelle. Eine rezente Zusammenstellung weiterer Kandidaten ist unter 7 https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-212018/wie-gut-sind-dieneuen-antibiotika/ abrufbar. Als eine rezente Innovation wird 2023 Priscilicidin angepriesen, das auf einem natürlichen antibiotischen Peptid aufgebaut ist, mit der Erwartung einer geringen Resistenzbildung. Jedoch spielen nicht nur der Wirkmechanismus eines Antibiotikums bzw. dessen Verlust bei Resistenzbildung eine Rolle, sondern auch die Zugänglichkeit und Verträglichkeit. In manchen Fällen muss das Antibiotikummolekül ausreichend klein sein ( [K+]e sowie [Na+]i 10 µm). Sie bewegen Zellen durch ihren wellenförmigen Schlag. Beispiele sind Spermatozoen und Protisten vom Typ der Flagellaten
Exocytose die Freisetzung von Syntheseprodukten aus der Zelle durch Verschmelzung der Membran eines Exocytosevesikels (Sekret- bzw. Neurotransmittervesikels) mit der Zellmembran
Fließgleichgewicht Begriff aus der Kyber-
Exocytose-Endocytose-Kopplung beschreibt
Danielli-Modell
die zeitlich eng gekoppelte Abfolge der beiden Prozesse
Fluorochrome fluoreszente Chemika-
Exons jene Teile eines Eukaryoten-Gens,
die nach Entfernung der → Introns in messenger-RNA transkribiert und in Proteine translatiert werden Exosomen die kleinen Vesikel, die bei
der → Exocytose von → „multivesicular bodies“ freigesetzt werden Extensine Proteine der pflanzlichen → Zell-
wand Extrazelluläre Matrix → Matrix Fetttropfen Speicherform von intrazellulärem Fett von variabler Größe in tierischen Zellen; zu den Äquivalenten in Pflanzenzellen gehören die → Oleosomen Feulgen-Färbung Färbung von DNA nach
dem Histologen Robert J. W. Feulgen Fibrillin bildet extrazelluläre Filamente zur
Festigung von Strukturen, z. B. um Blutgefäße
netik (Regeltechnik), beschreibt ein dynamisches Gleichgewicht offener Systeme unter sich ständig verändernden Bedingungen Fluid membrane mosaic model → Davson-
lien oder Proteine, die bei geeigneter Anregung Fluoreszenzlicht emittieren. Beispiele sind Fluorescein, Rhodamin, Ca2+-spezifische Fluorochrome (z. B. Abkömmlinge der Ca2+-Chelatoren EGTA und BAPTA) und → „green fluorescent protein“ (GFP), das mit gentechnischen Methoden auch an ausgewählte Proteine gekoppelt und in vivo verfolgt werden kann Fokalkontakte eng umschriebene Bereiche, in denen Zellen lokalen Kontakt mit ihrem Untergrund (extrazelluläre → Matrix, Substrat von Zellkulturen) aufnehmen. Sie enthalten → Zelladhäsionsproteine und Proteine für → Signaltransduktion und die Anbindung von → Stressfasern Fusionsprotein kann zweierlei bedeuten: (i)
zwei miteinander fusionierte Proteine oder (ii) ein die Membranfusion einleitendes (fusogenes) Protein Gap Junctions bestehen aus Gruppierungen von sechs Transmembranproteinen in den Zellmembranen gegenüberliegender Z ellen
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tierischer Gewebe, die über eine zentrale Pore den Austausch von niedermolekularen Substanzen (wie Second Messengers) erlauben
Gene/Genome editing vulgo „Genmanipu-
GECIs („genetically encoded calcium indicators“) künstliche Ca2+-Sensorproteine, die
lation“ bedeutet künstliche Änderungen an Genen, sei es als medizinische Anwendung zur Korrektur von Mutationen (z.B. für die Rückführung von „korrigierten“ Stammzellen), sei es zum experimentellen Ausschalten von Genen („gene silencing“).
mit gentechnischen Methoden erzeugt und in Zellen eingeführt werden
Geschlechtschromosomen (Gonosomen) die
Gefrierätzung Verfahren wie bei der → Ge-
frierbruchmethode, mit dem Unterschied, dass man von der Bruchfläche etwas Eis wegsublimieren lässt („ätzen“), sodass eine etwas tiefere Schicht mit Membranoberflächen freigelegt wird Gefrierbruchmethode Zellen oder Gewebe
werden tiefgefroren, in einem Vakuumgerät aufgebrochen und die Bruchflächen mit Schwermetall in schrägem Winkel bedampft. Hierbei werden Membranen der Mitte nach gespalten. Löst man das biologische Material mit Säure weg, so erhält man → Replika für die Transmissionselektronenmikroskopie Gefriersubstitution eine Methode, bei der Zellwasser im gefrorenen Zustand gegen organische, meist mit chemischen Fixanzien versetzte Lösungsmittel ausgetauscht wird. Die Erwartung ist, dass hierbei Artefakte unterbunden werden Geißel Flagellum, → Flagellen Gelelektrophorese → Elektrophorese
das jeweilige Geschlecht festlegenden Chromosomen; die restlichen Chromosomen werden als → Autosomen bezeichnet GFP → green fluorescent protein Glykogen besteht aus α-1,4-glykosidisch verbundenen Glukosemolekülen mit α-1,6-glykosidischen Verzweigungen in wesentlich höherer Zahl als im pflanzlichen Äquivalent → Amylopektin Glykokalyx die Gesamtheit aller Glykosyl-
gruppen bzw. aller Glykoproteine und Glykolipide auf der Zelloberfläche. Sie wird durch Kontrastierung im Elektronenmikroskop sichtbar Glykolyse der Abbau von Glukose zu Pyru-
vat im → Cytosol mit dem Nettogewinn von zwei ATP Glykolyse Abbau von Glukose mit einem Net-
togewinn von zwei ATP-Molekülen im Cytosol zu Pyruvat, das für höhere Energieausbeute (beim Durchlaufen des → Krebs-Zyklus) in die → Mitochondrien transferiert wird
Genetischer Fingerabdruck („DNA finger-
print“) Damit meint man das aus Blut-, Sperma- oder Gewebeproben gewonnene DNA-Profil eines Individuums, womit dieses identifizierbar wird
Glykosaminoglykane (GAGs) der extrazellulären Matrix: Proteoglykane, also Proteine mit unterschiedlichen Zuckerresten Glykosylierung die kovalente Bindung von
Genom die Gesamtheit aller DNA-Arten in
einer Zelle bzw. in den Zellen eines Organismus, also Kern-DNA, Mitochondrien- und Chloroplasten-DNA
Zuckerresten, sei es direkt am Protein („core glycosylation“) oder an periphere Abschnitte („periphere Glykosylierung“)
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Glossar
Golgi-Apparat besteht aus → Diktyosomen
(eines bis Hunderte pro Zelle), die aus flachen membranumhüllten Säcken mit umgebenden Vesikeln bestehen. (Häufig werden auch einzelne Diktyosomen als „Golgi-Apparat“ bezeichnet.) Die einzelnen Säcke enthalten eine hierarchisch angeordnete Abfolge von Glykosyltransferasen. Galaktosyltransferase im äußersten/letzten Sack wird als Leitenzym für den gesamten Golgi-Apparat gewertet GPCR GTP-protein-coupled receptors (G-Protein-gekoppelte Rezeptoren), → GTP-Bindeproteine GPI-Proteine Proteine mit carboxyterminaler Anbindung eines GPI-Restes (Glykosylphosphatidylinositol) G protein-coupled receptors (GPCR; G-Protein-gekoppelte Rezeptoren) → GTP-Bin-
deproteine
G-Proteine → GTP-Bindeproteine (trimere) Gram-Färbung von Bakterien nach dem
Bakteriologen Hans C. Gram. Je nach Dicke des → Mureinsacculus unterscheidet man pragmatisch zwischen grampositiven und gramnegativen Bakterien Granalamellen die geldrollenartig aufge-
stapelten lokalen Ausfaltungen der → Stromalamellen in den → Chloroplasten, die im Lichtmikroskop als Körnchen (Grana) erscheinen Granulocyten weiße Blutkörperchen (Leu-
emittieren. Das ursprünglich aus der Qualle Aequorea victoria isolierte Gen kann gentechnisch an ein Protein von Interesse angekoppelt werden, um dessen Translationsprodukt dynamisch verfolgen zu können GTPasen monomere Proteine, die Guano-
sintriphosphat (GTP) binden und bei Aktivierung zu Guanosindiphosphat (GDP) hydrolysieren. Sie binden u. a. an Membranen, zu deren Andocken und Fusion sie beitragen (→ Rab-Typ-GTPasen). Andere GTPasen vermitteln den nukleocytoplasmatischen Stoffaustauch (Ran-Typ) oder die Umstrukturierung des Aktin-Cytoskeletts (Rho- und Rac-Typ) GTP-Bindeproteine (trimere) auch G-Pro-
teine genannt, bestehen aus je einer α-, βund γ-Untereinheit. Sie vermitteln nach Bindung von extrazellulären Botenstoffen verschiedenster Art an den jeweils kompetenten Oberflächenrezeptor eine intrazelluläre → Signaltransduktion (→ „G protein-coupled receptors“, GPCRs). Dabei wird unter der Vielfalt an α-Untereinheiten jeweils ein distinkter Subtyp rekrutiert, sodass unterschiedliche intrazelluläre Signale entstehen, je nach Primärsignal Gürteldesmosom → Adhäsionsgürtel Haplont Bei einzelligen Organismen mit Generationswechsel zwischen Formen mit einfachem und doppeltem Chromosomensatz (n/2n) nennt man die haploide Form einen „Haplonten“, im Gegensatz zur → Diplonten-Form
kocyten) mit unterschiedlich anfärbbaren Granula im Cytoplasma (acidophil, basophil und neutrophil – Letztere ohne distinkte Anfärbbarkeit)
Heitz-Leyon-Kristalle → Primärgranum
Green fluorescent protein (GFP) ein 27 kDa
Heterozygotie besagt, dass in einem diploi-
großes Protein mit fassähnlicher β-Faltblatt-Struktur, deren konjugierte Doppelbindungen (Doppel- mit Einfachbindungen abwechselnd) es befähigen, bei Bestrahlung mit geeignetem Licht Fluoreszenzstrahlung zu
den Organismus ein Gen in zwei zwar ähnlichen, aber doch im Detail verschiedenen Formen (Nukleotidsequenz der Allele) auftritt; vgl. → Homozygotie
Hemidesmosom → Punktdesmosom
559 Glossar
Histochemie Methode, um Zellkomponenten mit chemischen Methoden im Lichtmikroskop zu lokalisieren Histone die DNA-bindenden Proteine
des → Chromatins im Zellkern
eventuell auch als Fab‘ oder F(ab‘)2-Fragmente Immunlokalisation die Lokalisierung von Proteinen über jeweils spezifische Antikörper mittels Licht- oder Elektronenmikroskopie
Hitzeschockproteine („heat shock proteins“) → Chaperone mit Schutzfunktion ge-
Inositol-1,4,5-trisphosphat (InsP 3) ein → Second Messenger, der Ca 2+ -Kanäle (InsP3-Rezeptoren) aktiviert und Ca2+ aus Speichern freisetzt
Hochdruck-Einfriermethode Dabei werden Zellen kurz hohem Druck ausgesetzt und mit Kryogen beschossen. Der hohe Druck senkt den Gefrierpunkt von Wasser, wodurch sich die Bildung von Eiskristallen bei der → Kryofixation vermindern lässt
InsP 3 –Rezeptoren Rezeptoren für → Inosi-
gen Denaturierung (fehlerhafte Umfaltung, nicht nur) bei Hitzeeinwirkung
Homozygotie besagt, dass in einem diploi-
den Organismus ein Gen in zwei identischen Formen (Nukleotidsequenz der Allele) auftritt; vgl. → Heterozygotie Hormone extrazelluläre Botenstoffe unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung, wie → Steroide (Sexualhormone), Peptide (Oxytocin) und Proteine (Proteohormone: Insulin, Glukagon), mit jeweils spezifischen Funktionen, die sie nach Bindung an einen Rezeptor häufig über die Bildung von → Second Messengers bewirken Hyaluronsäure ein bis zu 10 MDa (Megadal-
ton) großes Polysaccharid mit vielen Negativladungen, das in der extrazellulären Matrix als „Träger“ für → Glykosaminoglykane (Proteoglykane) fungiert Ig-Domäne bezeichnet in einem Protein eine Auskropfung zwischen zwei über Disulfidbrücken kovalent verbundenen Cysteinen (wie in den namengebenden → Immunglobulinproteinen) Immunglobuline die nach einer geeigneten Immunisierung gewinnbaren Antikörper, die zur → Immunlokalisation eingesetzt werden,
tol-1,4,5-trisphosphat (InsP3)
Integrine Zelladhäsionsmoleküle mit einer extrazellulären → Ig-Domäne Intermediärfilamente erhielten ihren Namen wegen ihres Durchmessers, der zwischen Mikrofilamenten (6 nm) und Mikrotubuli (25 nm) liegt. Es handelt sich um sehr unterschiedliche intrazelluläre Proteinfilamente, wie Keratin Internal eliminated sequences (IES) DNA-Abschnitte im Genom der Ciliaten, die unter epigenetischer Kontrolle bei der Differenzierung eines (generativen) Mikro- in einen (somatischen, transkriptionsaktiven) Makronukleus herausgeschnitten werden Introns Nukleotidabschnitte in Eukaryoten-Genen, die aus der prä-mRNA durch Spleißen herausgeschnitten werden, um eine translationsfähige mRNA zu erhalten Ionenkanäle → Kanäle Ionenpumpen Transmembranproteine, die spezifische Ionen unter ATP-Verbrauch durch eine Membran hindurchpumpen, z. B. die verschiedenen Formen der Ca2+-ATPase/ Pumpe in der Zellmembran (→ PMCA) und im endoplasmatischen Retikulum (→ SERCA)
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Glossar
Ionophoren entweder Ionenkanäle (→ Kanäle) oder → Carrierproteine, die aus Bakterien oder Pilzen isoliert werden und die mehr oder weniger monospezifische Passage von Ionen erlauben Isoformen eines Proteins: gehen entweder
auf verschiedene verwandte Gene (Paraloge) oder auf unterschiedliche Formen aus alternativem → Spleißen der mRNA eines Gens zurück Isoprenylierung eine posttranslationale → Modifikation, z. B. von → GTPasen, durch kovalente Bindung eines Isoprenylrestes Junctional complex → Verbindungskomplex Kanäle dienen dem selektiven Durchtritt von
Ionen (Ionenkanäle, z. B. Na+, K+, Ca2+, eventuell Mg2+), H2O (→ Aquaporin) oder anderer Substanzen (→ Porine in der Außenmembran gramnegativer Bakterien und in der Außenmembran von Mitochondrien und Chloroplasten) Karyokinese beschreibt die mitotische Kern-
teilung
Klone aus einer einzigen Zelle abgeleitete Folgezellen; Ähnliches gilt für Organismen und Moleküle (Klonschaf, klonierte DNA) Kollagen ein extrazelluläres Faserprotein, das aus zahlreichen linear angeordneten, längs gestreckten Einzelmolekülen besteht, von denen je drei gleichartige oder verschiedene → Isoformen zu einer Tripelhelix kombiniert werden; diese bilden in linearer Anordnung die Protofilamente des Kollagens Kompartimente die membranumhüllten
Komponenten der Zelle, also endoplasmatisches → Retikulum, → Peroxisomen, → Lysosomen, → Mitochondrien etc.; der Zellkern wird üblicherweise gesondert betrachtet Konstrukte im Sinne der molekularen Gene-
tik sind → Vektoren mit eingebauter FremdDNA Krebs-Zyklus beschreibt den nach Einschleu-
sung von Pyruvat (aus der → Glykolyse) in den → Mitochondrien ablaufenden zyklischen Prozess, bei dem u. a. Citrat/Zitronensäure („Citrat-/Zitronensäurezyklus“) gebildet wird; dabei werden ATP-Moleküle in weit höherer Ausbeute als in der vorangehenden → Glykolyse gebildet
Karzinom eine aus epithelialem Gewebe ent-
standene Krebswucherung
Kryofixation → Kryomethoden
kDa Abkürzung für Kilodalton; bezeichnet
Kryomethoden verarbeiten biologische Prä-
die molekulare Masse („Molekulargewicht“) einer Substanz als Vielfaches der Masse eines Wasserstoffatoms (1 Da)
parate bei tiefer Temperatur, um die Bildung von Artefakten zu vermeiden, z. B. bei der Kryofixation (ultraschnelles Einfrieren) wie beim → Sprühgefrierverfahren und anderen Einfriermethoden für die → Gefrierätz-, → Gefrierbruch-, → Gefriersubstitutionstechnik und → Kryomikroskopie
Keratin ist als ein intrazelluläres faserbildendes Protein, Teil des → Cytoskeletts Kinase → Proteinkinase Kinetochor Jedes Chromosom besitzt ein
Kinetochor, an dem → Mikrotubuli (Kinetochormikrotubuli) der → Teilungsspindel ansetzen
Kryomikroskopie Hier werden gefrorene Proben (z. B. dünne Schichten von suspendierten Makromolekülen bzw. Ultradünnschnitte) in einem Kryoelektronenmikroskop untersucht
561 Glossar
LECA („last eukaryotic common ancestor“) nach vergleichenden Genomanalysen der letzte gemeinsame Vorfahr der Eukaryotenzelle
men und → Autophagosomen, deren Inhalt sie abbauen Makropinocytose große Pinocytosevesikel,
Leitenzyme/Leitproteine für je ein Kompar-
timent, einen Membrantyp oder eine Struktur typische Enzyme/Proteine, weil sie nur dort vorkommen. Beispiele sind 5‘-Nukleotidase und Na+/K+-ATPase/Zellmembran, DNA-Polymerase/Zellkern, Laktatdehydrogenase/Cytosol, Peroxidase und Katalase/Peroxisom, Glukose-6-Phosphatase/ raues endoplasmatisches Retikulum, Hydroxylierungsenzyme/glattes endoplasmatisches Retikulum, Galaktosyltransferase/ Golgi-Apparat, saure Phosphatase/Lysosom, Cytochrom-c-Oxidase/Mitochondrien, RuBisCo/Chloroplasten etc. Daneben gibt es → organelltypische Antigene. Vesikel des Vesikeltransports werden nach ihren jeweils typischen → GTPasen vom → Rab-Typ identifiziert Lektine di- bis multimere Proteine mit der
Fähigkeit, auf nichtenzymatischem und nichtimmunologischem Weg Zucker oder Zuckergruppierungen zu erkennen bzw. an diesen zu binden. Letztere können daher mit markierten Lektinen histo- und cytochemisch lokalisiert werden Liganden Substanzen wie Proteine, die an
bestimmte Zielstrukturen (wie → Rezeptorproteine) spezifisch binden LUCA („last universal common ancestor“) der durch Extrapolation aus Gensequenzen verschiedener Pro- und Eukaryoten extrapolierte letzte gemeinsame Vorfahr aller Zellen
die durch lokale, flächige Ausstülpung der Zelloberfläche und deren Rückfusion mit der Zelloberfläche entstehen. Dieser Mechanismus ist naturgemäß nicht so präzise wie die „konventionelle“ Bildung von → Endocytosevesikeln MALDI (Matrix-unterstützte [assisted] Laser-Desorption/Ionisation) eine Methode,
um den Aufbau von Proteinen zu untersuchen Matrix, extrazelluläre alle Materialen zwi-
schen den Zellen im Interzellularraum. Das beinhaltet u. a. → Kollagen, Proteoglykane und → Hyaluronsäure Matrix, mitochondriale Inhalt der →
Mitochondrien innerhalb des von der Innenmembran umschriebenen Bereichs
Meiose (Reifeteilung), Form der Kerntei-
lung, bei der aus der diploiden Form der haploide Zustand der Geschlechtszellen hergestellt wird (Chromosomensatz 2n → 2 × n) MHC-Proteine („major histocompatibility complex“) vermitteln die Bindung von Infekti-
onskeimen und den Transport von deren intrazellulär angedauten Bruchstücken an die Zelloberfläche, ebenso wie die Verträglichkeit von Organtransplantaten Microbody → Peroxisom Microtubule-organizing center (MTOC) Aus-
Lysosomen Organellen mit einfacher Mem-
branumhüllung und mit sauren Hydrolasen im Inhalt (substratspaltende Enzyme mit überwiegend saurem pH-Optimum). Sie entspringen dem → Golgi-Apparat und fusionieren mit → Endosomen, Phagoso-
gangspunkt für die Polymerisation mehrerer Mikrotubuli, z. B. am → Cytozentrum (→ Centrosom) Mikrodomänen kleine spezialisierte Bereiche in der → Zellmembran, entweder als flache Flecken (→ Rafts) oder Einbuchtungen (→ Caveolae), mit spezieller Zusammenset-
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Glossar
zung und dynamischer Funktion einschließlich Signalgebung
Mitochondrien synthetisieren auch einige Aminosäuren
Mikrofilamente filamentäre Aggregate (F-Aktin) von globulärem Aktin (G-Aktin). Die Zelle kann G-Aktin reversibel zu F-Aktin von 6 nm Dicke zusammenfügen. Unter den zahlreichen aktinassoziierten Proteinen gibt es solche, die eine Verzweigung einleiten. In tierischen Zellen ist F-Aktin in Gestaltgebung, amöboide Bewegung und Zellteilung involviert, in pflanzlichen Zellen in die Plasmaströmung
Mitose Kernteilung somatischer Zellen, bei
Mikrotubuli bestehen aus 13 Protofilamenten mit linear angeordneten, alternierenden α- und β-Tubulin-Untereinheiten, wohingegen ein Ring von 13 γ-Untereinheiten als Nukleationskeim dient. Sie sind 25 nm dick und unverzweigt, dienen als Gleitschienen für den Transport von Organellen und bauen die → Teilungsspindel auf Mikrovilli ≈ 0,1 µm dicke und bis zu ≈ 2 µm
lange Ausstülpungen der Zelloberfläche, die durch ein Aktinbündel von innen her in Form gehalten werden. Sie dienen der Vergrößerung der Zelloberfläche, z. B. in resorbierenden Epithelzellen, um ein mehrere Dutzendfaches
der die Chromatiden (die in der vorausgegangenen S-Phase verdoppelt wurden) als „Chromatid-Chromosomen“ getrennt werden, sodass ein Chromosomensatz von 2n weitergegeben wird Monokonta (Gegensatz → Bikonta) Tiere und deren Protozoenverwandte mit nur einer Geißel pro Zelle. Beispiele: Choanoflagellaten bis Spermatozoen der Säugetiere Morbus lat. für Krankheit Morpholinos inhibitorische, chemisch deri-
vatisierte und stabilisierte künstliche RNAs (→ RNAi) mRNA translationsfähige messenger-RNA (nach Heraussspleißen der Introns) mtDNA Abkürzung für die autonome mitochondriale DNA MTOC microtubule-organizing center (Mikrotubuli-Organisationszentrum) Mukocysten die (→ „dense core“) Sekretves-
MIPs Die im Gefrierbruch sichtbaren „mem-
ikel von Tetrahymena (Ciliaten)
brane intercalated particles“ werden in den meisten Fällen als membranintegrierte Proteine angesehen
Multivesicular bodies enthalten innerhalb
Mitochondrium atmungsaktives Zellorganell
mit doppelter Hüllmembran, ausgestattet mit einer Cytochromkette und einer H+-ATPase, die als ATP-Synthase arbeitet und ATP für den Betrieb der meisten energiebedürftigen Zellfunktionen herstellt. Hier findet die Zellatmung statt. Im Innenraum (→ Matrix) laufen wichtige metabole Prozesse ab, wobei der → Krebs-Zyklus ein Abbauprodukt von Fettsäuren (Acetyl-Coenzym A) aufnimmt;
einer Hüllmembran zahlreiche kleine Vesikel, die durch Sprossen nach innen gelangen. Diese können über Exocytose freigesetzt werden (→ „Exosomen“), wenn die Hüllmembran mit der Zellmembran verschmilzt Mureinsacculus Trivialname der Peptidoglykanhülle von Bakterien, die je nach ihrer Dicke unterschiedlich ausgeprägte → Gram-Färbung erhält
563 Glossar
Myosin Protein, das in Kooperation mit F-Aktin als → Aktomyosin Kontraktilität vermittelt
ytoplasma eingebettet ist, bei der cheC mischen Präparation jedoch zusammenschnurrt
Mxomyceten Protozoen, die zu schleimi-
Nukleosom Das Kerngenom ist als DNA/
gen Massen (Plasmodien) aggregieren können und zu chemotaktischer Bewegung befähigt sind
Histon-Komplex (→ Chromatin) organisiert, wobei in Nukleosomen die DNA um ein → Histonaggregat herumgewickelt ist
NADP (Nikotinamidadenindinukleotidphosphat) nicht nur ein H + -Akzeptor
Oleosom → Fetttropfen in Pflanzenzellen
(z. B. im Intermediärstoffwechsel), sondern auch die Ausgangssubstanz für die Bildung von → cyclischer Adenosindiphosphoribose (cADPR)
Onkogene Viren krebserzeugende Viren
NCAM Abkürzung für „neuronal cell adhe-
sion molecule“; Name eines definierten neuronalen Zelladhäsionsproteins ncRNA Abkürzung für „non(protein)-co-
ding RNA“ → nichtkodierende RNA; aus ncDNA Negativkontrastierung Technik, bei der kleine Objekte wie Makromoleküle mit einer elektronendichten Lösung umhüllt und nach Trocknung im Transmissionselektronenmikroskop betrachtet werden. Dabei werden die Konturen des Moleküls sichtbar Nichtkodierende DNA DNA-Abschnitte, die
keine Proteine oder rRNA bzw. tRNA kodieren NMR („nuclear magnetic resonance“, Kernmagnetresonanz) eine Methode zur Aufklärung
der dreidimensionalen Struktur von Proteinen Non-coding RNA → ncRNA
Organell ein geformter lichtmikroskopisch
wahrnehmbarer Bestandteil von Eukaryotenzellen. Darunter fallen membranumhüllte Organellen (→ Kompartimente) und solche ohne Membran wie → Basalkörper bzw. → Centriol Organelltypische Antigene Proteine, die nur in einem Organell vorkommen, z. B. EEA1 („early endosome antigen 1“) in frühen Endosomen, Lamp1 und Lamp2 („lysosomal associated und lysosomal integral membrane protein“) in Lysosomen sowie p11 und Golgin im Golgi-Apparat Osmose die Tendenz, zwischen wässrigen Lösungen unterschiedlicher Konzentration einen Konzentrationsausgleich herbeizuführen, wenn sie durch eine (semi-)permeable Membran voneinander getrennt sind Patch-Clamp-Methode Hierbei wird eine sehr feine Kapillare gut abgedichtet auf eine Zelle aufgesetzt, um elektrische Signale eines kleinsten Membranbereichs abzuleiten und zu verstärken. Dabei kann der durch einzelne Ionenkanäle fließende Strom gemessen werden
NSF Abkürzung für „soluble N-ethylmalei-
PCR Abkürzung für „polymerase chain reac-
mide sensitive factor“. NSF ist ein → Chaperon für → SNAREs
tion“ (Polymerasekettenreaktion). Bei dieser Methode wird der DNA-Doppelstrang durch Erhitzen geöffnet („geschmolzen“), um die Einzelstränge durch Anbau komplementärer Sequenzen bei Normaltemperatur
Nukleoid die aggregierte Form der bakteriellen DNA, die normalerweise locker im
564
Glossar
wieder zu Doppelsträngen zu ergänzen. Durch vielfache Wiederholung können geringe Mengen an DNA vermehrt werden (Amplifikation) Pektine gelierfähige Polysaccharide der pflanzlichen Zellwand Peptide entweder hochmolekulare Proteine
aus vielen Aminosäuren (Polypeptide) oder kurze Oligopeptide Peptidoglykan → Mureinsacculus Peroxisom Name eines Organells unter-
schiedlicher Größe mit einer einfachen Membranumhüllung, jedoch ohne Innenmembranen, ausgestattet mit peroxidativen Enzymen Phagocytose die Aufnahme von geformten Elementen (Bakterien, Bruchstücke von Zellen) durch lokale Einstülpung der Zellmembran in µm-Größenordnung
flanzenzellen, die durch Fusion die neue P Zellmembran und die neue Zellwand bilden Pilus (Plural: Pili) Fortsatz von Bakterien, der funktionell die Eigenschaften eines → Lektins erfüllt und somit das Andocken an der → Glykokalyx von Eukaryotenzellen gewährleisten kann; so können Pili die potenzielle Pathogenität von Bakterien vermitteln Pinocytose alte Bezeichnung für → Endocytose; bedeutet das „Trinken“ einer Zelle Plasmalemm(a) → Zellmembran Plasmodesmata (Singular: Plasmodesmos) enge Verbindungen zwischen zwei
Pflanzenzellen durch die Zellwand hindurch. Hier liegt ein Kontinuum der Zellmembranen vor, mit einem Pfropfen aus endoplasmatischem Retikulum, der das Lumen strukturell und funktionell einengt. Sie sind funktionelle Analoga zu den → Gap Junctions tierischer Gewebe
Phagosom ein durch → Phagocytose abge-
schnürtes Vesikel mit lichtmikroskopisch erkennbaren Strukturen Phosphatase → Proteinphosphatase Phosphorylierung die kovalente Anheftung eines Phosphatrestes (PO4 3–) an ein Molekül, die über Dephosphorylierung rückgängig gemacht werden kann
Plasmodium ein vielkerniges Gebilde, das entsteht, wenn Kernteilungen ohne nachfolgende Zellteilungen ablaufen. Das Ergebnis ist dasselbe wie bei einem → Syncytium, das auf die Fusion einzelner Zellen zurückgeht Plastiden → Chloroplasten und deren Deri-
vate wie → Chromoplasten oder der Apicoplast einzelliger Parasiten (Malaria- und Toxoplasmoseerreger)
Photolyse des Wassers der erste Schritt in
der → Photosynthese, nämlich die Spaltung von H2O in 2 H+ + 2 e– + ½ O2
Plastom alle Gene von Chloroplasten; vgl. → cpDNA, → ptDNA
Photosynthese die durch Licht katalysierte
PMCA Abkürzung für „Plasmamem-
Synthese von Zucker (Glukose) aus dem CO2 der Luft und H2O durch die grüne Pflanze unter Beteiligung von → Chlorophyll der → Chloroplasten
bran-Ca2+-ATPase/Pumpe“ der Zellmembran
Polplatte ersetzt das → Centrosom in
der → Teilungsspindel der Pflanzen
Phragmoplast eine Sammlung kleiner Ves-
ikel zwischen einem Bündel von Mikrotubuli in der Mitte von sich teilenden
Polysom wenig gebräuchliche Bezeichnung
von linear angeordneten Ribosomen, die an
565 Glossar
einer mRNA hintereinander quasi im Fließbandbetrieb, ein Ribosom nach dem anderen, jeweils ein und dasselbe Protein synthetisieren Porine molekulare Poren aus Proteinen
mit β-Fass-Struktur („β-barrel“), wie sie in der Außenmembranen von Bakterien, Mitochondrien und Chloroplasten vorkommen und dem Stoffaustausch dienen Posttranslationale Modifikationen Darunter fällt eine Reihe von Veränderungen von Proteinen durch kovalente Anheftung von Molekülen (Acetylierung, ADP-Ribosylierung, Methylierung, Glycin[yl]ierung, → Isoprenylierung, Ubiquitin[yl]ierung). Sie spielen eine Rolle u. a. bei der Stabilisierung von → Mikrotubuli, bei der → Signaltransduktion, beim → Turnover von Proteinen und in der → Epigenetik
Prionproteine → GPI-Proteine, die
in → Mikrodomänen der Zellmembran von Immunzellen und Neuronen angereichert sind. Die normal gefaltete Form, PrPc („cellular prion protein“), kann durch Kontakt mit der fehlgefalteten Form, PrPsc (PrP scrapie), ebenfalls umgefaltet werden und zu pathogenen Prozessen führen (Traberkrankheit der Schafe [Scrapie], neue Form der Creutzfeld-Jakob-Krankheit [Demenz]) Progenot → LUCA Programmierter Zelltod → Apoptose Prokaryot gleichbedeutend mit Bakte-
rien einschließlich Cyanobakterien („Blaualgen“), also Zellen ohne lichtmikroskopisch sichtbaren Zellkern, im Gegensatz zu den → Eukaryoten Proplastiden farblose Vorläufer von → Chlo-
Präbiotische Evolution versucht, chemische
roplasten; vgl. auch → Primärgranum
Prozesse zu erfassen oder zu erschließen, die vor der Entstehung der ersten Zellen abliefen und zur Bildung von Zellen geführt haben könnten
Pro-Protein → Prä-Pro-Protein
Prä-Pro-Protein Sekretorische Proteine wer-
den häufig in Stufen hergestellt. Bei der Synthese tragen sie eine Signalsequenz (→ „Signalpeptid“), welche die kotranslationale Sequestrierung über → Translocons ins Lumen des rauen endoplasmatischen Retikulums (ER) vermittelt. Durch die Abspaltung der Signalsequenz im ER wird das PräPro-Protein zum Pro-Protein, das erst durch eine weitere limitierte Proteolyse zum fertigen Produkt wird, z. B. für die → Exocytose; Beispiel: Insulin Primärgranum präsentiert sich im Elektro-
nenmikroskop als dicht gedrängte feintubulär bis feinlamellär aussehende Masse von Membranmaterial im → Stroma von → Proplastiden, bevor diese durch Lichteinwirkung zu funktionellen → Chloroplasten ergrünen
Proteasomen komplexe Proteinaggregate
im Cytosol, ausgestattet mit der Fähigkeit, ATP-abhängig → ubiquitinylierte Proteine durch Fragmentierung abzubauen (Proteasefunktion) Proteinkinasen Protein phosphorylierende
Enzyme Proteinphosphatasen Phosphoprotein dephosphorylierende Enzyme Proteoglykane → Glykosaminoglykane Protisten Einzeller z. T. tierischer und z. T. pflanzlicher Art (Protozoen bzw. Algen) Protobiont ein hypothetischer Vorläufer
echter Zellen in der frühen Evolution Protoplasma veralteter Ausdruck für → Cyto-
plasma
566
Glossar
ptDNA (oder → cpDNA) Bezeichnung für
die autonome DNA der → Plastiden
Reifeteilung → Meiose Rekombinant hergestellt ist ein Protein,
Pumpen → ATPasen
wenn es in vitro oder in Fremdzellen ab einer → cDNA synthetisiert wurde
Punktdesmosom häufig als „das Desmo-
som“ schlechthin empfunden, bezeichnet fleckartige kleine Zell-Zell-Verbindungen mit innenseitig angebundenen → Keratinfilamenten. Sie gehören zum interzellulären → Verbindungskomplex vieler Gewebe („junctional complex“) und wurden dort früher als Macula adhaerens eingeordnet. Sie dienen der mechanischen Festigung von Zellen. Als Hemidesmosomen verbindet so eine Macula die Zellmembran mit Elementen der darunterliegenden extrazellulären → Matrix. Während das Punktdesmosom → Cadherine enthält, sind es beim Hemidesmosom → Integrine Rab-Typ-GTPasen Leitmoleküle für je-
weils bestimmte Vesikel des Vesikelverkehrs: Rab3/Exocytose, Rab5/frühes Endosom, Rab7/spätes Endosom, Rab11/Recycling-Endosom Rafts (engl., Flöße) Darunter versteht man
entweder (i) flache → Mikrodomänen an der Zellmembran oder (ii) kleine molekulare Aggregate, die zur Biogenese in Cilien und Flagellen eingeschleust werden. Beides hat nichts miteinander zu tun Raucher, Weiße bilden sich im Boden der
Tiefsee, wo Schollen des Erdmantels wie im Atlantik durch tektonische Drift auseinanderdriften (1–3 cm pro Jahr). Dort treten vulkanische Gase und Mineralstoffe in das Tiefseewasser aus, das dadurch erhitzt wird, jedoch moderate Temperatur hat. Dadurch waren sie in der frühen Evolution vermutlich befähigt, Vorläufer echter Zellen hervorzubringen Reduktionssteilung → Meiose
Replika Schwermetallschicht (meist Pla-
tin), die man als Abdruck von Zellen bei der → Gefrierbruch- oder → Gefrierätztechnik erhält Retikulum, raues endoplasmatisches Seine verzweigten, dünnen, flachen Säcke sind mit Ribosomen bestückt, an denen Proteine synthetisiert und kotranslational entweder in die Membran eingebaut (Membranproteine) oder ins Lumen abgeschoben werden (lösliche Proteine). Mittels → Vesikeltransport über den → Golgi-Apparat werden diese Proteine in der Zelle weiterverteilt und die löslichen Proteine per → Exocytose aus der Zelle freigesetzt REM Abkürzung für Rasterelektronenmikroskop Retroviren Viren mit RNA als Erbmaterial, die nach Infektion in einer Wirtszelle mit einer → reversen Transkriptase in DNA umgeschrieben wird Reverse Transkriptase jenes Enzym, das die Nukleotidabfolge einer RNA abliest und in komplementäre DNA umsetzt; sie wurde erstmals bei → onkogenen Viren entdeckt Rezeptoren Proteine, die Botenstoffe bin-
den („Liganden“) und dabei ein intrazelluläres Signal produzieren. Botenstoffe können niedermolekulare Verbindungen sein, oder aber Peptide und Proteine (Proteohormone). Rezeptoren der Zelloberfläche sind membrangebundene Proteine, wo sie eine → Signaltransduktion über intrazelluläre Zweitboten (→ Second Messengers) bewerkstelligen. Für Nichtproteine, wie → Steroide oder
567 Glossar
Schilddrüsenhormone, gibt es frei bewegliche Rezeptoren im Cytosol bzw. im Zellkern
Pflanzenembryo, umgeben von Nährgewebe und Schutzhülle. Bei Tieren bedeutet es die Spermatozoen (Spermien) der Samenflüssigkeit
Ribosomen makromolekulare Aggregate aus ribosomaler RNA (rRNA) und ribosomalen Proteinen, die auf zwei Untereinheiten – eine große und eine kleine – aufgeteilt sind. Sie führen nach Bindung von messenger-RNA (mRNA) die Synthese von Proteinen durch (Translation), entweder als freie Ribosomen (cytosolische und manche Membranproteine) oder als membrangebundene Ribosomen (Membranproteine, lysosomale und sekretorische Proteine)
hen oder werden freigesetzt bei der → Signaltransduktion
Ribozyme Ribonukleinsäuremoleküle mit
Self-assembly heißt eigentlich „Selbstzu-
enzymatischer Fähigkeit
sammenbau“ (was niemand sagt); bedeutet den in molekularen Details vorgegebenen Zusammenschluss von molekularen Komponenten. Beispielsweise sind Monomere der cytoskelettalen Elemente zur Bildung von Filamenten (→ Mikofilamente) bzw. Tubuli befähigt (→ Mikrotubuli)
RNAi (inhibitorische RNA) epigenetisch auf-
tretende oder laborsynthetisch hergestellte RNA-Abschnitte, die durch Anlagerung an eine mRNA die Synthese eines Proteins hemmen
Scaffolding-Proteine → Mikrodomänen bil-
dende Proteine an der → Zellmembran
Schwindsucht veralteter Ausdruck für Tu-
berkulose Second Messengers (Zweitboten) entste-
Röntgenbeugung Methode zur Analyse der Struktur von Kristallen, die auch für Proteine eingesetzt wird
SEM Abkürzung für „scanning electron
Röntgenmikroanalyse → EDX
Semikonservative Vermehrung der DNA
RuBisCo (Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase) Enzym der Chloroplasten zur Bin-
dung von CO2 bei der Photosynthese bzw. Assimilation
micropcope“ (= REM, Rasterelektronenmikroskop) besagt, dass bei der Vermehrung der DNA-Doppelhelix jeweils ein Strang gewahrt bleibt, nach dem der zweite nachgebaut wird SERCA Abkürzung für „sarcoplasmic/en-
Ryanodinrezeptoren (RyR) eine Form von
Ca2+-Freisetzungskanälen
(„Ca2+-release
doplasmic reticulum Ca2+-ATPase“ (Ca2+Pumpe)
channels“) Signalpeptid Die mRNA von Proteinen, die Salvage compartment (Rettungskompartiment) ursprünglicher Name von → ER-
GIC; spielt auf die Rückführung von Proteinen an, die für den Verbleib im rauen endoplasmatischen Retikulum bestimmt sind Samen Dieser Begriff wird sehr heterogen gebraucht. Der Same von Pflanzen ist ein aus der befruchteten Eizelle hervorgegangener
an Ribosomen des rauen endoplasmatischen Retikulum (ER) synthetisiert werden sollen (→ Translation), muss ein terminales Signalpeptid kodieren, mit dem es über ein „signal recognition particle“ an das Ribophorinprotein des rauen ER gebunden wird, damit das Protein durch ein → Translocon kotranslational in das ER bzw. seine Membran abgegeben und in den → Vesikelfluss eingebracht werden kann
568
Glossar
Signaltransduktion die Weitergabe und Verstärkung von Information von der Zelloberfläche in das Zellinnere, beispielsweise, wenn ein → Rezeptor der Zellmembran einen → Liganden bindet und im Innern → Second Messengers (Zweitboten) gebildet werden und/oder Ca2+ aus Speichern freigesetzt wird oder von außen einströmt Singer-Nicolson-Membranmodell basiert
auf einer flüssigen Lipiddoppelschicht („bilayer“) mit eingelagerten und adsorbierten Proteinen („fluid membrane mosaic model“) SNARE Abkürzung für „soluble N-ethylmal-
eimide sensitive factor (NSF) attachment protein receptor“. SNAREs vermitteln, gemeinsam mit → GTPasen, das Andocken von Organellen an Membranen zur Fusion SOC(E) → Abkürzung für „store-operated
Ca2+-entry“
Spannungsklemme Methode zur Messung elektrophysiologischer Parameter unter konstant gehaltener Spannung SPFH-Protein-Superfamilie umfasst die → Mikrodomänenbildner Stomatin, Prohibitin, Flotillin/Reggie, HflC/K S-Phase → Zellzyklus Spines präsynaptische Ausbuchtungen von
Pyramiden- und Purkinje-Zellen des Gehirns Spleißen das Herausschneiden von → In-
trons aus der Prä-mRNA zur Bildung von translationsfähiger mRNA. Beinhaltet ein Gen mehrere Introns, so können alle oder selektiv einzelne davon bei der Bildung von translatierbarer mRNA durch Spleißen entfernt werden (alternatives Spleißen), wodurch Isoformen eines Proteins gebildet werden
chen eingesprüht und durch die relativ große Oberfläche mit hoher Abkühlrate kryofixiert (→ Kryomethoden) Stammzellen totipotente Zellen mit voller Differenzierungsfähigkeit Stärke die pflanzliche Speicherform von
Glukose, mit → Amylose (α-1,4-glykosidisch verbundene Glukose) und Amylopektin (wie Amylose aber mit α-1,6-glykosidischen Verzweigungen) Steroide bzw. Sterole vom Perhydrocyclophenanthren-Ring (drei C6-Ringe und ein C5-Ring) abgeleitete Komponenten von Biomembranen (Cholesterin) oder Steroidhormone (Sexualhormone) Stickoxide Verbindungen von Stickstoff und Sauerstoff. NOx steht für eine verschiedene Zahl von Sauerstoffatomen, wobei NO und NO2 besonderes Interesse verdienen: NO (Stickstoffmonoxid) als biologisches Signalmolekül und NO2 (Stickstoffdioxid) als Umweltgift Stimulus-Kontraktions-Kopplung beschreibt die stimulusabhängige Muskelkontraktion Stimulus-Sekretions-Kopplung beschreibt die enge Kopplung beider Prozesse Store-operated Ca2+-entry (SOC[E]) auch „sto-
re-operated Ca2+-influx“: Einstrom von Ca2+ von außen infolge einer vorausgehenden Mobilisierung von Ca2+ aus Speichern Stressfasern Bündel von → (F-)Aktin, die
ausgehend von → Fokalkontakten die Zelle durchziehen und mehr oder weniger regelmäßig → Myosinmoleküle eingelagert enthalten
Stroma Inhalt der Chloroplasten innerhalb Sprühgefrieren Hierbei werden Zellen oder
Makromoleküle in wässriger Suspension in ein Kühlmittel (Kryogen) als kleinste Tröpf-
des von der Innenmembran umschriebenen Bereichs, also die Grundsubstanz im Inneren von Chloroplasten
569 Glossar
Stromalamellen der → Chloroplasten: durchziehen das → Stroma und bilden lokal → Grana(lamellen) Supernatant der ungeformte Überstand nach der Zentrifugation, der überwiegend dem → Cytosol entspricht Symbiose beschreibt das Zusammenleben
verschiedener Zellen oder Organismen zum wechselseitigen Nutzen. Paradigmatisch ist die Symbiose von Algen und Pilzen bei den Flechten. Während der Evolution kam es zur Symbiose bestimmter Organellen mit der Eukaryotenzelle; → Symbiosetheorie Symbiosetheorie gibt die Ansicht wieder, dass die → Endocytose und „Domestikation“ von Purpur- und Cyanobakterien die Mitochondrien und Chloroplasten der Eukaryotenzelle hervorgebracht haben
Targeting-Sequenz → Zielgebungssequenz Teilungsspindel (auch Cytospindel genannt) die komplexe Anordnung von → Mikrotubuli zwischen zwei Polen (→ Centrosom bei Tieren bzw. → Polplatte bei Pflanzen) zur Trennung von Chromatiden bei der → Mitose und der Phase II der Meiose bzw. von Chromosomen bei der Phase I der Meiose Telomer Endabschnitt eines Chromosoms Telomerase eine → reverse Transkriptase, die bei der Duplikation von Chromosomen bzw. Chromatiden die komplette Herstellung der DNA-Struktur an einem → Telomer gewährleistet TEM Abkürzung für Transmissionselektronenmikroskop Tight Junctions Bestandteil des Verbin-
Synapse Bezeichnung von Kontakten zwi-
schen zwei Neuronen oder von einem Neuron mit einer Zielzelle (z. B. ein anderes Neuron oder eine Muskelzelle). Neuromuskuläre Kontakte (auch als „motorische Endplatten“ bezeichnet; „neuromuscular junctions“) sind eine spezielle Art von Synapsen. In beiden Fällen kommt es über Neurotransmitterfreisetzung (→ Exocytose) zu einer elektrischen Signalgebung von einem Neuron auf die Zielzelle
dungskomplexes zwischen den Zellen tierischer Gewebe, die der Abdichtung des Interzellularraums dienen Transcytose die Durchschleusung von Ma-
terialien (Proteine) durch die Zelle durch eine Art kombinierter → Endocytose und → Exocytose Transformierte Zellen unter dem Einfluss
von Chemikalien oder onkogenen Viren unkontrolliert wachsende (Krebs-)Zellen
Synaptotagmin ein „high affinity/low capa-
city“ Ca2+-Bindeprotein mit → C2-Domäne an Exocytosevesikeln zur Aktivierung der Membranfusion bei → Exocytose in der Folge von Ca2+-Signalen Syncytium die Verschmelzung von Zellen zu einem vielkernigen Gebilde mit einer alle Kerne umfassenden Zellmembran
trans-Golgi-Netzwerk der äußerste, in der
Funktionsabfolge letzte Teil eines → Diktyosoms – sozusagen das Gegenstück zu → ERGIC. Von hier aus werden Proteine in Richtung → Sekretvesikel für stimulierte und unstimulierte → Exocytose ebenso wie in lysosomalen Vesikeln abgegeben (→ Lysosomen)
Syndrom ein komplexes Krankheitsbild als
Transkription die Übersetzung von DNA in
Kombination charakteristischer Symptome
(prä-)mRNA
570
Glossar
Transkriptionsfaktoren Proteine, welche die Expression spezifischer Proteine steuern Translation wörtlich die „Übersetzung“
von → mRNA (entsprechend genomischer Information) in Proteine, also die Proteinsynthese Translocon Name der Pore, durch die naszente Proteine ins Lumen des rauen endoplasmatischen Retikulums eingeschleust werden Transport Die Zelle vollbringt Transportprozesse für sehr verschieden große Komponenten: von Ionen, Wasser, niedermolekularen Verbindungen und Proteinen bis hin zu ganzen Zellkompartimenten. Beteiligt sind: → Kanäle, → Carrier, → ATPasen (Pumpen), → Vesikelverkehr
Prozesse der Proteinsynthese und der Proteolyse durch → Proteasomen und der → Autophagie. Auch Enzyme haben einen Turnover im Sinne von umgesetzten Substratmolekülen pro Sekunde (Wechselzahl) Ubiquitin ein evolutiv sehr konserviertes Protein von 8,5 kDa Größe, das unter ATP-Verbrauch kovalent an Lysinreste von Proteinen angehängt wird (Ubiquitin[yl]ierung) und so den → Turnover eines Proteins bestimmt, meistens im Sinne von Abbau über → Proteasomen usw. Vektoren eine Art Träger-DNA („Gen-
fähre“), meist aus viralen Genomen entnommen, in die ein DNA-Abschnitt eingebaut wird, um diese Fremd-DNA in andere Zellen einzuschleusen bzw. in ihnen zur Expression zu bringen
Transporter übergeordneter Begriff für ver-
Verbindungskomplex Hauptsächlich in
schiedene Transmembranproteine, die kleinere Moleküle durchschleusen. Im weitesten Sinn gehören hierzu Ionenkanäle (→ Kanäle), → ATPasen/Pumpen, Aquaporine und die → Carrier für niedermolekulare Substanzen
Epithelien findet man eine stereotype Abfolge von Zell-Zell-Verbindungen, die rund um die Zellen verlaufen. → Tight Junctions schließen den Interzellularraum nach außen ab (Zonula occludens). Es folgen der → Adhäsionsgürtel (Gürteldesmosom, Zonula adhaerens, „adhesion belt“ = Adhäsionsgürtel) und schließlich das → Punktdesmosom („Desmosom“, „adhesion belt“, Macula adhaerens). Locker dazwischen gestreut können → Gap Junctions sein
Transposons in Pro- oder Eukaryotenzel-
len aufgenommene DNA-Abschnitte viraler Herkunft Trichocysten (→ „dense core“) Sekretvesikel
von Paramecium (Ciliaten) Triplett-Kode besagt, dass in der DNA jede Aminosäure eines Proteins durch eine jeweils typische Abfolge von Nukleotidtripletts festgelegt wird
Vesikelverkehr intrazellulärer Transport verschiedener Vesikel wie → Endosomen, → Lysosomen und Sekretvesikel Vitrifikation das amorphe Einfrieren wässriger Proben (Zellen) ohne Kristallbildung
Turgor osmotischer Innendruck von Zellen
Voltage-clamp → Spannungsklemme
Turnover bedeutet „Umsatz“, womit die Erneuerung von Proteinen oder Organellen gemeint ist. Grundlage sind die stetig laufenden
Vorläuferzellen nicht ausdifferenzierte Zel-
len mit eingeschränkter Differenzierungsfähigkeit
571 Glossar
Warburg-Effekt impliziert das verminderte ATP-Bedürfnis von Krebszellen, die demnach allein mit → Glykolyse auskommen Zelladhäsionsmoleküle verbinden die Zell-
membranen zweier Zellen oder die Zellmembran mit Elementen der → extrazellulären Matrix; → Adhäsionsgürtel, → Gap Junctions, → Hemidesmosom, → Punktdesmosom, → Tight Junctions
z. B. aus der Karotte, isoliert und auf Agargel vermehrt Zellmembran umhüllt als proteinbestückte Lipiddoppelschicht jede Zelle, übt also eine Grenzfunktion aus, allerdings mit der Fähigkeit zu selektivem → Transport von Stoffen (Ionen, selektive kleine Moleküle) und zur → Signaltransduktion Zellulose hochvernetztes, mechanisch stabiles
Zellatmung Darunter versteht man den
Verbrauch (die „Veratmung“) von Sauerstoff in den Mitochondrien im Anschluss an den Durchlauf von Elektronen durch die Cytochromkette der mitochondrialen Innenmembran (begleitet vom Durchstrom von Protonen durch die ATP-Synthase). Der pauschale Ablauf der Zellatmung über 2 H+ + 2 e– + ½ O2 „finanziert“ aus dem Abfluss des H+-Gradienten durch die ATP-Synthase (Turbinenfunktion) die Bildung von energiereichem ATP aus ADP und Phosphat (PO43–)
Glukosepolymer der pflanzlichen Zellwand Zellwand besteht überwiegend aus → Zellulose mit Beimengung weniger hochmolekularer Glukosepolymere und von Proteinen. Sie begrenzt und festigt die Pflanzenzellen als eine Art Exoskelett
Zellfraktionierung die selektive Isolierung
Zellzyklus Das Leben einer Zelle vollzieht sich zyklisch in distinkten, wiederkehrenden Abschnitten (Phasen) wie G1Phase, S-Phase, G2-Phase und → Mitose; (G steht für „gap“ [„Lücke“] = Zwischenabschnitt). Die meiste Zeit verbringen die meisten Zellen in der G1-Phase
von Zellorganellen (Zellfraktionen) mit Methoden der (Ultra-)Zentrifugation
Zielgebungssequenz Damit ein Protein sei-
Zellkultur die Züchtung von isolierten Zel-
len „in vitro“. (In vitro heißt „im Glas“, gemeint ist jedoch seit Langem: in Nährsubstrat auf Kunststoffunterlage.) Geeignet für die Weiterzüchtung bzw. Vermehrung sind insbesondere → transformierte/krebsartige Zellen mit weitgehend unbeschränkter Teilungsfähigkeit. „Primärkulturen“ sind Zellen, die aus Gewebe isoliert und in vitro angesetzt werden, sich fallweise jedoch nicht weitervermehren können, z. B. Hepatocyten aus der Leber. Dagegen werden Pflanzenzellen,
nen funktionell sinnvollen Platz in der Zelle findet, kann es mit einer Zielgebungssequenz („targeting sequence“) versehen sein. Ein Beispiel ist die SKL-Sequenz (Serin-Lysin-Leucin) für die Aufnahme von Katalase in die Peroxisomen Zweitbote → Second Messenger Zygote das Produkt der Verschmelzung von
einer Eizelle mit einer Samenzelle oder, bei Zellen höherer Pflanzen, mit einer spermatogenen Zelle des Pollenschlauchs
573
B–B
Personenverzeichnis A Aaronson, R. 116 Abaelardus, P. 124 Abbe, E. 40, 44, 45 Abedin, M. 508 Abel, J. 260 Afzelius, B. 168, 169, 356 Agre, P. 94 Aguzzi, A. 92, 322, 323, 341 Ahrens, M. 518 Albright, F. 355 Aldrich, R. 363 Alexander, E. 507 Allan, V. 193 Allen, R. 204, 212, 285 Allis, C. 178, 316 Allison, A. 34 Allison, J. 298, 309 Almers, W. 202 Alper, S. 345 Alter, H. 405 Altman, H. 333 Altman, J. 307 Altman, S. 126 Altmann, R. 42, 104, 274, 488, 494 Alzheimer, A. 372 Anaxagoras 103 Anderson, R. 51, 89 Anderson, T. 64 Andersson, I. 272 Anfinsen, C. 180 Apell, H.-J. 74, 93 Apfeld, J. 345 Arber, W. 129 Ardenne, M. von 65 Aristoteles 12, 103, 301, 468, 506 Arnon, D. 282 Arrhenius, S. 469 Asami, R. 461 Ashkin, A. 500 Atlasi, Y. 316 Aurel, M. 353 Avery, O. 105, 539 Avrameas, S. 48, 50 Axt, P. 49
B Bachmann, L. 23, 57–59, 62, 115, 143, 334 Bacon, F. 10, 530 Baek, J. 292 Baer, K. von 300, 379
Bahr, G. 47 Bainton, D. 330 Baker, P. 200 Balbiani, E. 111 Baltimore, D. 310 Baluška, F. 457 Bang, O. 310 Bannister, W. 491 Banting, F. 253 Bardet, G. 359 Barnard, C. 432 Barr, M. 108 Barré-Sinoussi, F. 413 Baumeister, W. 41, 45, 145, 338, 344 Baur, E. 371 Beadle, G. 105 Bear, J. 363 Beattie, D. 335 Becker, B. 154, 440 Becker, E. 216 Beda Venerabilis 469 Behring, E. von 30, 535 Beisson, J. 168, 199, 201, 203, 320, 321, 324, 360, 513, 539 Benda, C. 274 Beneden, E. van 188, 297, 483 Benzing, T. 523 Bercovici, T. 77 Berendonk, T. 321 Berg, H. 16 Berg, P. 146 Bergmann, L. 155 Berlepsch, H. von 473 Bernard, C. 389 Bernhard, W. 44, 52 Bernsel, A. 77 Berridge, M. 232, 346 Bertalanffy, L. von 269 Bertozzi, C. 56 Bertram, E. 108 Bethe, H. 106 Betz, W. 50 Beutler, B. 211 Beyreuther, K. 322, 372 Bezos, J. 469 Biedl, A. 359 Billroth, T. 539 Bingen, H. von 265, 384 Binnig, G. 65, 538 Birchmeier, W. 215 Birkmayer, W. 248 Birnbaumer, L. 256 Black, J. 226
574
Stichwortverzeichnis
Blackburn, E. 125, 292 Blaustein, M. 388 Blobel, C. 314 Blobel, G. 116, 118, 120, 163, 179, 182, 497 Bloch, K. 278 Blume, D. von 183 Blumwald, E. 452 Boccaccio, G. 27 Bock, H. 452 Bohr, C. 176 Bois-Reymond, E. du 235, 361, 521 Boland, W. 456 Böllinger, B. 154 Bonifacino, J. 210 Bonner, J. 216 Bonneville, M. 44 Booth, J. 432 Borrel, A. 310 Borries, B. von 14 Boussingault, J.-B. 275 Boveri, T. 104, 116, 188 Bowes, G. 272 Bowman, J. 498 Boyer, H. 130 Boyer, P. 280 Brabander, M. de 378 Brachet, J. 334 Branton, D. 76, 210 Brauser, B. 142, 335 Brenner, S. 345 Bretscher, M. 87, 210 Broglie, L. de 40 Browicz, T. 29 Brown, D. 88 Brown, M. 336 Brown, R. 153 Brüggeler, P. 62 Brüstle, O. 303 Buchner, E. 271, 275 Burdon-Sanderson, J. 456 Burger, G. 494 Burgoyne, R. 503 Bush, G. 408 Butenandt, A. 243, 319, 538, 543
C Calmette, A. 29 Calvin, M. 282 Campbell, K. 300 Capdeville, Y. 81, 213 Capecchi, M. 134 Carafoli, E. 240 Carlsson, A. 191, 248, 516 Carmichel, S. 192 Caro, L. 58
Carroll, S. 522 Caspary, X. 449 Caspersson, T. 102 Cavalier-Smith, T. 476, 477, 486 Cech, T. 126 Chagas, C. 32 Chain, E. 540 Chalfie, M. 60 Chambon, P. 418 Chamisso, A. von 484 Chance, B. 73, 144, 491 Changeux, J. 176 Chapman, M. 168 Chardin, T. de 471 Chargaff, E. 104, 106, 108, 539 Charpentier, E. 133, 535 Chen, L. 511 Chen, M. 161 Chen, Y. 315 Chen, Z.-H. 454 Cheung, W. 239 Chiba, Y. 494 Choppin, P. 415 Cidlowski, J. 246 Ciechanover, A. 179, 339, 343 Cisek, A. 423 Clark, A. 245 Clark, T. 81 Claude, A. 43, 140, 331 Claude, P. 82 Clausius, R. 270, 468 Coggeshall, R. 44 Cohen, J. 196 Cohen, P. 417 Cohen, S. 130, 245 Cohn, Z. 59, 205, 211 Cole, K. 73, 227 Collier, R. 417 Collinge, J. 323 Collip, J. 242 Cook, J. 363 Cook, N. 458, 507 Cooley, T. 360 Corcoran, B. 216 Correns, C. 371 Coulombe, P. 369 Coulter, W. 143 Crafoord, A.-G. 536 Cremer, C. 116 Cremer, E. 144 Creutz, C. 201 Crick, F. 106, 145, 521 Crick, H. 105 Cruz, O. 32 Cuvier, G. 484 Cybulski, N. 247
575 Stichwortverzeichnis
D Dacks, J. 476 Dale, H. 248, 254, 518 Damasio, A. 507, 521 Danielli, J. 71 Darlington, C. 103, 352, 543 D’Arcy Hart, P. 422 Darwin, C. 102, 123, 387, 457, 470, 485, 505, 506 Darwin, E. 387 Da Silva, P. 76 D’Assisi, F. 455 Davidovits, P. 45 Davson, H. 71 Debnath, J. 341 DeCamilli, P. 206, 210 Decker, J. 441 de Gaulle, C. 6 Deisenhofer, J. 145 DeKruijff, B. 201 Delbrück, M. 491 Derry, J. 363 Descartes, R. 506 Diederichs, K. 86 Dioscorides 240, 380 Ditfurth, H. von 506 Djerassi, C. 243, 537, 538, 543 Dobberstein, B. 182 Dobzhansky, T. 524 Docampo, R. 32, 427 Doherty, P. 211 Domagk, G. 30, 429 Domínguez, D. 504 Doolittle, R. 487 Dorrell, R. 494 Doudna, J. 133, 535 Douglas, W. 197 Drosten, C. 407 Dubochet, J. 15, 16, 55, 77, 145 du Bois-Reymond, E. 20 Dubouzet, J. 451 Duchesne, E. 539 Dumas d. Ä., A. 386 Dutrochet, R. 275 Duve, C. de 43, 140, 163, 166, 330, 489, 499, 540 Dyson, F. 522
E Easter, S. 307 Eberth, K. 29 Ebner-Eschenbach, M. von 507 Ebnet, K. 203 Eccles, J. 227 Eckert, R. 235, 236, 509 Eckle, V.-S. 396 Eco, U. 457
Edel, K. 453 Edelman, G. 53, 84, 85, 508, 521 Edidin, M. 76, 88 Edison, T. 507 Edsall, J. 214 Egger, D. 45 Ehlers, M. 517 Ehrlich, P. 30, 226, 333, 417, 536, 544 Eigen, M. 472, 473 Einstein, A. 541 Eisner, T. 393, 536 Ellermann, V. 310 Elliott, W. 248 Ellis, R. 160, 272 Embden, G. 277 Emerson, R. 283 Emr, S. 185 Engel, A. 94 Ephrussi, B. 370 Ernster, L. 494 Erspamer, V. 250 Erxleben, C. 238 Evans, M. 134
F Fahimi, D. 48 Falhof, J. 452 Faraday, M. 73 Farquhar, M. 43, 82 Fasshauer, D. 476, 488 Fawcett, D. 14, 116 Ferguson, M. 81, 213 Feringa, B. 502 Fernández-Morán, H. 284 Feuerbach, L. 250 Feulgen, R. 102 Figura, K. von 336, 367 Finean, J. 274 Fischer, E. 474 Fischer, H. 157 Fisher, S. 512 Fitzgerald, G. 533 Fleckenstein, A. 387 Fleming, A. 30, 539, 540 Flemming, W. 104, 295 Florey, E. 252 Florey, H. 540 Foissner, W. 50 Fok, A. 212 Ford, B. 355 Ford, G. 356 Ford, H. 507 Formanek, H. 440 Fothergill-Gilmore, L. 277 Fox, G. 474 Frank, J. 41, 145
D–F
576
Stichwortverzeichnis
Franke, W. 15, 83, 118, 154, 215 Frankel, J. 321 Franklin, R. 108 Freemont, P. 338 Frey-Wyssling, A. 440 Frisch, K. von 516 Frye, L. 76 Fuchs, E. 213, 369 Fujimoto, K. 59 Fujishima, M. 493 Fukuda, Y. 253 Furchgott, R. 264, 265
G Gachet, Dr. 388 Gaertig, J. 168, 359 Galilei, G. 2, 10 Gallo, R. 413 Galvani, L. 20 Gamow, G. 106 Gams, H. 274, 432 Gams, W. 432 Garcia, C. 426 Garnier, C. 42, 150 Gatzl, M. 200 Gerisch, G. 217 Gerke, V. 203 Gersh, I. 183 Geuze, H. 155, 206, 336 Gibbons, I. 193 Gierer, A. 215 Giesbrecht, P. 15 Gilman, A. 256 Giorgio, V. 285, 286 Gitler, C. 77 Glauert, A. 43 Glozman, R. 80 Goethe, J. von 123, 243, 353, 460, 484, 485, 518 Gogh, V. van 388 Goldman, B. 163 Goldstein, J. 51, 336 Golgi, C. 43, 153, 517 Gomperts, B. 201, 203 Gomperts, M. 200 Goodenough, D. 84 Gorer, P. 79 Gorter, E. 71 Görtz, H.-D. 493 Göthert, M. 250 Gould, S. 163 Govindjee, R. 283 Gozmanova, M. 462 Graham, R. 48 Gram, H. 13 Gray, E. 189 Gray, L. 57
Gray, M. 494 Green, D. 73, 284 Greengard, P. 190, 191, 197, 248, 516 Greider, C. 125, 292 Grendel, F. 71 Griffith, J. 115 Griffiths, G. 55, 190, 430 Gröbner, P. 294 Gröschel Stewart, U. 56 Grubmüller, H. 239 Gruenberg, J. 205 Grünewald, M. 381 Gruss, P. 514 Guarente, L. 339 Guérin, C. 29 Guillemin, R. 260, 535 Gurdon, J. 300, 538 Guse, A. 233 Gust. A. 446
H Haastert, P. van 217 Habegger, K. 259 Hackenbrock, C. 77, 285 Hackstein, J. 495 Haeckel, E. 474 Hahn, O. 144 Hahnemann, S. 26 Halbsguth, W. 450 Hall, C. 143 Halley, E. 11 Hämmerling, J. 105 Hanker, J. 49 Hankin, E. 423 Hannig, K. 142 Hansen, G. 27 Hanukoglu, I. 213 Harden, A. 277 Hardt, M. 237 Harreveld, A. van 64 Harrick, G. 321 Harris, P. 116 Hartl, U. 322 Hartsoeker, N. 301 Hartwell, L. 295 Harven, E. de 59 Harvey, E. 71 Harvey, W. 275, 455 Harvey, Z. 315 Hashimoto, M. 32, 427 Hassabis, D. 180 Hasselbach, W. 240 Haucke, V. 210 Hauri, H.-P. 183, 184 Hausen, H. zur 310, 410, 413 Hauser, K. 241
577 Stichwortverzeichnis
Hausmann, K. 153 Hawes, C. 444 Hawkings, S. 364 Hayashi, O. 209 Hayashi-Nishino, M. 340 Haydn, J. 255 Hayoshi, T. 250 He, C. 538 Hedges, S. 476, 486 Hedwig, J. 455 Heidegger, M. 6 Heidrich, H. 142, 335 Helenius, A. 415 Hell, S. 45 Hellmich, U. 428 Helmholtz, H. von 5, 530 Helms, J. 184 Hemmersbach-Krause, R. 510 Hench, P. 246 Henderson, R. 41, 145 Henneguy, L. 463 Henning, R. 142, 334, 416, 422 Heppel, L. 232 Herbst, M. 322 Herk, A. van 285 Herrick, G. 541 Hershko, A. 179, 343 Hertwig, O. 104, 297, 483 Herzenberg, L. 143 Herzog, V. 48 Heuser, J. 64, 89, 192, 199, 201 Highfield, P. 160, 272 Hilgenfeld, R. 407 Hill, R. 282 Hippokrates 29, 240, 362, 363, 365, 377, 385 Höchli, M. 285 Hodgkin, A. 75, 227 Hoffmann, E. 32 Hoffmann, J. 211 Hoffmann, M. 409 Höfle, G. 378 Hofmann, A. 381 Hohenheim, T. von 31 Holley, R. 107 Holtzer, H. 83, 213 Holz, R. 393 Homer 416 Hongjing, T. 263 Honjo, T. 298, 309 Honsho, M. 165 Hooke, R. 2, 10, 446 Hopf, L. 540 Horsthemke, B. 318 Horvitz, H. 345 Horwich, A. 322 Hosie, R. 186 Houghton, M. 318, 405
Houten, J. van 360 Houwink, A. 16 Howard, A. 57, 108 Howe, C. 494 Hubbard, A. 415 Huber, R. 145, 284 Hughes, H. 84, 506 Hughes, J. 245 Hugin 544 Hülser, D. 84 Hülsmann, N. 215 Hunt, R. 295 Hunt, T. 294 Huntington, G. 364 Hurtado-Lorenzo, A. 188, 488 Huttner, W. 514, 515 Hutton, J. 531 Huxley, A. 75, 133, 227, 542 Huxley, H. 145, 229 Hynes, R. 84
I Ignarro, L. 264, 265 Ingenhousz, J. 274, 409 Isenberg, G. 215 Ishina, Y. 132 Isselbacher, K. 52 Iterson, W. 16
J Jacob, F. 121 Jaeken, J. 80 Jagendorf, A. 279, 283 Jahn, I. 484 Jahn, R. 196, 202, 204, 420 Jain, A. 414 James, T. 116 Jamieson, J. 56 Jansen, R. 132 Janssen, Z. 10 Janssens, F. 297 Jarosz, D. 315 Jastrow, H. 44 Jefferson, T. 409 Jeffery, C. 513 Jékely, G. 476 Jenner, E. 409 Jennings, H. 509 Jentsch, T. 80, 364 Jenuwein, T. 178, 316 Jeon, K. 493 Jiko, C. 285 Jírovec, O. 425 Job, C. 386
I–J
578
Stichwortverzeichnis
Jockusch, B. 116 Jolie, A. 376 Jordan, A. 509 Julius, D. 394 Jumper, J. 180 Jünger, E. 382 Junger, E. 59 Just, W. 164
K Kadmiel, M. 246 Kaelin, W. 287 Kaempfer, E. 482 Kaiser Claudius 379 Kaiser Franz-Joseph 102 Kaiserin Maria Theresia 409 Kaiser Maximilian I. 301 Kalt, M. 302 Kandel, E. 191, 248, 390, 516 Kaneko, H. 509 Kang, K. 144 Kant, I. 522, 540 Karikó, K. 412 Karlson, P. 243 Karl V. 385 Karnovsky, M. 48 Kartagener, M. 358 Katz, B. 389 Katz, L. 389, 476 Kaupp, B. 380 Kaupp, G. 65 Kausche, G. 403 Kellenberger, E. 54 Kendall, E. 246 Kendrew, J. 145 Khorana, H. 107 Kierkegaards, S. 351 Kiermeyer, O. 448 Kikuyama, M. 456 Kinder, H. 471 King, N. 485, 508 Kinosita, K. 500, 502 Kirsch, I. 534 Kirschner, M. 189, 463 Kissmehl, R. 204 Kleene, S. 360 Kleinschmidt, A. 115 Klenk, E. 416 Klenk, H. 415 Klima, J. 23, 106 Klinefelter, H. 355 Klingenberg, M. 74 Klionsky, D. 337, 338 Klobutcher, L. 321, 541 Klosin, A. 320 Klug, A. 112, 145, 403
Knight, J. 79 Knoll, A. 476 Knoll, G. 63, 208 Knoll, M. 65 Kobilka, B. 258 Koch, R. 3, 4, 29, 417 Kodama, Y. 493 Köhler, C. 462 Köhler, G. 53 Kölliker, A. von 274 Kolodner, R. 159 Kolumbus, C. 31 Kopito, R. 344 Kornberg, A. 116 Kornberg, R. 112 Kossel, A. 104 Kosterlitz, H. 245 Koyabu, D. 515 Kozlov, M. 543 Kozminski, K. 168 Kraehenbuhl, J. 56 Kramer, H. 380 Krause, J. 505 Krebs, H. 279, 535 Kreil, G. 181 Kreis, T. 215 Krenek, S. 321 Kretsinger, R. 239 Kreutzberg, G. 394 Kudla, J. 453 Kung, C. 509
L Lacasse, J. 533 Lacy, P. 189 Ladenburger, E. 75 Lai, C. 512 Landsteiner, K. 79 Lang, B. 494 Läuger, P. 74, 429 Laveran, C. 32 Lavoisier, A. 6, 274 Lazarow, P. 163 Leeuwenhoek, A. van 2, 11, 102, 301, 379 Lefkowitz, R. 258 Lehninger, A. 237 Leidal, A. 341 Leitenstorfer, A. 518 Leo, J. 533 Leondaritis, G. 81 Lerner, A. 252 Levine, B. 341 Lewis, W. 205 Lickfeld, K. 15 Liebig, J. von 5, 530 Lind, J. 363
579 Stichwortverzeichnis
Linnane, A. 156 Linné, C. von 122, 123 Lipsky, N. 50 Lis, H. 52 Lister, J. 31 Liu, D. 134 Liu, S. 265 Livingstone, D. 388 Lodish, H. 177, 181 Loewi, O. 248, 518, 537 London, E. 88 Lopez, J. 382 Lorenz, K. 361, 457, 509, 516, 521, 522, 533 Lorenzo, A. 186 Luck, D. 116, 156, 167, 494 Lucretius 257 Luft, J. 78 Luini, A. 154 Luo, Z-X 515 Lupa, H. 182 Luporini, P. 179, 483 Lwoff, A. 121 Lynen, F. 278 Lyssenko, T. 317, 470
M Machemer, H. 236, 509 MacLennan, D. 240 Macleod, J. 253 Mains, R. 196 Maiti, P. 374 Malchow, D. 217 Mandelkow, E. 145, 372, 403 Mann, T. 29, 293, 318, 434, 474 Mano, H. 253 Mao Tse-tung s. Mao Zedong Mao Zedong 6, 248, 537, 538 Marberger, H. 109 Marfan, A. 362 Margraf, J. 534 Margulis, L. 167, 488 Markl, H. 18, 536 Marmont, G. 73, 227 Marshall, B. 423 Martin, H. 435 Martin, W. 472, 495 Marty, A. 199 Marx, K. 250 Mata-Martínez, E. 231 Matsubayashi, Y. 461 Matthaei, J. 107 Matthäus 451 Maxmen, A. 81, 532 May, V. 196 Mayer, A. 202
Mayer, E. 62 Mayer, J. von 270, 275 Mayer, R. von 468 Mayer, T. 295 Mayr, E. 18, 103, 537 McFadden, G. 495 McGurl, B. 461 Mechoulam, R. 391 Meinhardt, H. 215 Meinrad, J. 255 Meldal, M. 56 Melkonian, M. 154, 440 Mellman, I. 205 Mendel, G. 102, 104, 371, 532 Mendgen, K. 450 Mering, J. von 253 Meselson, M. 106, 293 Metchnikoff, E. 30, 205, 211, 216, 332 Methusalem 293 Meyer, A. 352, 353, 543 Meyerhof, O. 277 Miceli, C. 179 Michalak, M. 240 Michel, H. 145, 284 Michell, R. 232 Michels, K. 318 Miescher, F. 104 Miledi, R. 389 Miller, C. 460 Miller, F. 15, 23, 334 Miller, S. 470, 473 Milstein, C. 53 Minkowski, O. 253 Miranda, K. de 34 Mitchell, P. 279, 280, 535 Mitchurin, I. 317 Miyamoto, T. 445 Mizutani, S. 310 Mojica, F. 132, 133, 535 Moldavan, A. 143 Mollenhauer, D. 32 Mollenhauer, H. 155, 440, 443, 449 Monod, J. 6, 121, 176, 509 Monsigny, M. 52 Montagnier, L. 413 Montecucco, C. 419, 423 Moor, H. 61, 440 Moore, D. 207 Morgan, T. 5, 111, 136, 297 Morré, D. 443 Morré, J. 155 Morris, R. 86 Moses 318 Mühlethaler, K. 61, 440, 445, 446 Müller, M. 63, 495 Mullis, K. 129 Munin 544
M–M
580
Stichwortverzeichnis
Munro, S. 183, 531 Murad, F. 264, 265 Muralt, A. 214 Murell, W. 263 Musk, E. 469, 516 Mussolini, B. 34 Mutzel, R. 217
Orrenius, S. 346 Osborn, M. 146 Otegui, M. 447 Otterdijk, S. van 318 Overbeck, J. von 460 Overton, C. 71 Ovid 416
N
P
Naitoh, Y. 204, 236, 509 Nakagawa, Y. 461 Nakane, P. 48 Nakanishi, S. 245 Nass, M. 156, 494 Nass, S. 156, 494 Neher, E. 21, 196, 199, 207, 238, 535 Nelson, D. 237 Neupert, W. 160, 177, 285, 497 Newton, I. 469, 540, 541 Nichols, B. 210 Nicolson, G. 77 Niemann, H. 419, 420 Nietzsche, F. 32, 265, 383, 390 Nikaido, H. 76, 95 Nirenberg, M. 107 Nixon, R. 311 Nobel, A. 263, 534, 544 Noegel, A. 217 Nomarski, G. 47 Nordmann, J. 208 Northcote, D. 447 Nottebohm, F. 308 Novick, P. 202 Novikoff, A. 162, 331 Nowacki, M. 108 Nurse, P. 294, 295 Nüsslein-Volhard, C. 302, 313, 358
Pääbo, S. 505, 515 Paganini, N. 361 Pagano, R. 50 Palade, G. 14, 38, 43, 58, 82, 140, 195, 201, 280, 331, 334 Palmer, A. 144 Papapoutian, A. 394 Papatsenko, D. 303, 304 Pappenheim, A. 299 Papst Johannes Paul II. 470 Papst Leo XII 362 Paracelsus 31, 384 Pardee, B. 294 Park, R. 284 Parkinson, J. 374 Parnas, J. 277 Parry, M. 272 Paschal, B. 193 Pasteur, L. 3, 12, 28, 29, 271, 275, 417 Patel, D. 144 Paulescu, N. 253 Pauling, L. 108, 361, 474 Paulson, H. 365 Pavelka, M. 44 Pazour, G. 359 Pearse, M. 210 Pechstein, C. 542 Pedersen, H. 356 Pelc, S. 57, 108 Pelham, H. 179, 183, 444 Perin, M. 196 Perutz, M. 145, 372, 533 Pesaresi, P. 494 Petrucciani, M. 362 Pette, D. 231 Pettenkofer, M. von 3 Pfankuch, E. 403 Pfanner, N. 160, 497 Pfeffer, W. 71 Pfeuffer, T. 256 Phillip II 385 Phoebus, A. 104 Piatigorsky, J. 513 Pickett-Heaps, J. 447 Piekarski, G. 15 Pilz, G.-A. 308
O Oakley, B. 189 Oakley, C. 189 Ochoa, S. 272, 282 O’Connor, J. 250 Odin 544 Ohno, S. 514 Ohsumi, Y. 337, 341 Okayama, H. 146 Okuno, D. 280 Olins, D. 112 Olovnikov, A. 125 Onophrius 244 Oparin, A. 469, 471 Oppenheimer, R. 55 Orci, L. 51, 155, 184, 195, 209
581 Stichwortverzeichnis
Pincus, G. 243 Plato 507 Pluchino, S. 341 Pollender, A. 416 Poo, M. 516 Popper, K. 533 Porter, K. 14, 43, 44, 65, 150, 210 Portis, A. 272 Potter, W. de 201 Powers, P. 58 Priestley, J. 274 Prigogine, I. 269, 472 Pringsheim, E. 14 Proter, K. 42 Prusiner, S. 92, 322, 323, 539 Pscheid, P. 63, 208 Putney, J. 197
Q Qian, P. 284 Quekett, J. 102
R Rabl, C. 116 Racker, E. 73, 272, 281, 496 Rajendran, L. 323 Rajewsky, N. 462 Ramón y Cajal, S. 49, 517 Rapoport, T. 182, 338 Rapport, M. 250 Ratcliffe, P. 287 Rau, J. 536 Raymond, P. 307 Reddi, F. 13 Reese, R. 192 Reich, E. 494 Reichenbach, H. 378 Reichert, K. 515 Reichstein, T. 246 Reifenstein, E. 355 Reimer, L. 44 Rembold, H. 319 Revel, J. 84 Rexach, M. 120 Rice, C. 405, 423 Riehle, U. 63 Riemersma, J. 73 Ringer, S. 70, 234 Ris, H. 14 Rizet, G. 324 Rizo, J. 199 Robenek, H. 166, 449 Robertson, J. 73 Robinson, D. 440
Q–S
Robinson, R. 389 Rock, J. 243 Rodbell, M. 256 Roger, A. 477 Rohrer, H. 65, 538 Ron, D. 151 Röntgen, W. 105 Rose, I. 179, 343 Rosenfeld, L. 255 Rosenheck, K. 201, 205 Ross, E. 256 Roth, J. 44, 54, 56, 78 Roth, T. 210 Rothman, J. 155, 163, 183, 184, 199, 204, 209, 338 Rous, P. 310, 375, 539 Ruben, S. 282 Rubin, R. 197 Rusch, H. 294 Ruska, E. 14, 47, 65, 538 Ruska, H. 207, 403 Rutishauser, U. 84, 86, 511 Ružička, L. 243
S Sabatini, D. 42, 48, 179, 183 Sachs, J. von 273 Saenger, A. 246 Şahin, U. 412 Saint-Hilaire, G. 484 Sakmann, B. 21, 207, 238, 535 Sallai, I. 338 Salpeter, E. 106, 471, 473, 536 Salpeter, M. 42, 57, 58, 191, 250, 447, 473 Samson 243 Sandhoff, K. 365, 367 Sandström, I. 242 Sandvig, K. 421 Sanger, F. 128, 145, 146, 195, 254, 474 Saunders, J. 345 Saussure, N. de 274 Sauvage, J.-P. 502 Schaap, P. 480 Schally, A. 260, 535 Schatz, G. 156, 232, 494 Schaudinn, F. 32 Scheer, U. 118 Scheid, A. 415 Schekman, R. 163, 184, 204 Scherzer, O. 14 Schierwater, B. 487 Schiffmann, E. 216 Schimper, A. 273, 488, 494 Schinegger, E. 108 Schleiden, M. 11, 275 Schliwa, M. 192
582
Stichwortverzeichnis
Schlöndorff, J. 314 Schmitt, F. 72 Schmülling, T. 460 Schneider, S. 534 Schöler, H. 304 Schuler, G. 211, 310 Schuler-Thurner, B. 298, 310 Schultz, J. 237 Schultze, M. 12, 102 Schulz, I. 232 Schumacher, W. 450 Schwab, M. 181 Schwann, T. 11 Schwarz, R. 213 Schweiger, H. 440, 496 Semenza, G. 93, 287 Semmelweis, I. 31, 539 Senebier, J. 274 Sengbusch, P. von 403 Sethaphong, L. 448 Shah, S. 455 Sharon, N. 52 Sharp, P. 114 Sharpless, K. 56 Sheetz, M. 193 Shimomura, O. 59 Showell, H. 216 Shpetner, H. 206 Sibley, L. 427 Sies, H. 491 Šikšnys, V. 133, 535 Silva, P. da 202 Simon, M. 81, 127, 321 Simons, K. 88, 89, 288, 415 Sinclair, D. 339 Singer, S. 77 Singer, W. 517 Sitte, H. 23, 55 Sitte, P. 15, 22, 23, 118, 154, 162, 440, 446 Sjöstrand, F. 274, 280 Skoog, F. 460 Skou, J. 93, 270, 280, 501 Sleigh. M. 356 Sleytr, U. 448 Slonimski, P. 371 Sly, W. 367 Smith, H. 509, 521 Smith, J. 341 Smithies, O. 134 Snyder, S. 245 Sobrero, A. 263 Söling, H.-D. 240 Söllner, T. 199, 204 Somlyo, A. 236 Sonderegger, P. 86, 518
Sonneborn, T. 320, 539 Southern, E. 146 Souza, W. de 34 Špaček, J. 517 Spalding, K. 307 Spengler, O. 544 Sprengel, C. 123 Springer, N. 462 Springer, T. 85 Spudich, J. 193 Spurr, A. 43 Srivastava, S. 414 Stach, L. 338 Stadler, H. 186 Stadtman, T. 107 Staehelin, L. 440 Stähelin, H. 432 Stahl, F. 106, 108, 293 Stahl, G. 275, 383 Stalin, J. 125, 317, 470 Stebbins, G. 455 Steck, T. 88 Stein, P. 231 Steinman, R. 108, 205, 211, 310 Stenmark, H. 203 Stern, K. 491 Stetter, K. 19 Steward, F. 299, 447 Stewart, W. 53 Stoddart, F. 502 Stoffel, W. 416 Strabo, W. 384, 391 Strasburger, E. 104, 294, 455, 483 Straub, F. 83, 214 Straus, W. 331 Stretton, A. 146 Strindberg, A. 353 Strittmatter, W. 314 Strübling, P. 299 Stunnenberg, H. 316 Stürmer, C. 90, 92, 195, 210, 217, 307, 323, 517 Subramani, S. 164, 370 Südhof, T. 163, 196, 202, 204, 205, 393, 453, 515 Summerton, J. 133 Sutherland, E. 233, 255 Suttner, B. von 544 Sutton, W. 104 Su-tung-po 124 Svedberg, T. 142 Swaddiwudhipong, N. 373 Swammerdam, J. 299 Swart, E. 321 Swieten, G. van 409 Szent-Györgyi, A. 229, 363 Sztostak, J. 125
583 Stichwortverzeichnis
T Takahashi, K. 185 Takamine, J. 247 Takatsuki, A. 184 Takeichi, M. 82, 84 Tamara, G. 184 Tanaka, K. 145 Tatum, E. 105 Telfer, W. 210 Temin, H. 310 Tessier-Lavigne, M. 218 Tewari, K. 159 Thangam, E. 377 Theophrastus 240 Thimann, K. 461 Thomas, D. 338 Thomas, J. 112 Thompson, C. 150 Timofeev-Ressovskij, N. 491 Tinbergen, N. 516 Tokuyasu, K. 55 Tributsch, H. 502 Trudeau, V. 318 Trump, D. 47, 258, 531, 532 Tschermak, E. 371 Tsien, R. 60, 234 Tsukita, S. 82, 186 Tucker, P. 338 Tuppy, H. 146, 156, 494 Türeci, Ö. 412 Turkewitz, A. 121, 146, 200, 212 Turner, H. 355
U Ueda, K. 209 Ullrich, O. 355 Ungewickell, E. 210 Urey, H. 470 Ussher, J. 469
V Vale, R. 193 Vallee, R. 206 Vaniedonck, C. 79 van’t Hoff, J. 459 Veltman, D. 363 Venable, J. 44 Venter, C. 21 Verkhratsky, A. 508 Verkleij, A. 201 Vigneaud, V. du 254, 518 Vilmart-Seuwen, J. 200 Vincensini, L. 531
Virchow, R. 12, 31, 242, 351 Vögele, R. 450 Vogt, C. 345 Vollenweider, F. 382 Voltaire 12, 13 Vries, H. de 103, 371 Vulpian, A. 247
W Wächtershäuser, G. 471 Waddington, C. 314 Wahl, S. 216 Waldeyer, H. 102 Waldeyer, W. von 51, 102, 296 Waldhauser, F. 252 Walker, J. 280 Walter, P. 151 Wang, Q. 359 Wanner, G. 65, 440 Warburg, O. 4, 277, 312, 441, 491, 533 Ward, P. 216 Warren, G. 167, 430 Warren, J. 423 Wassmer, T. 210 Watson, J. 105, 106, 145 Wawilow, N. 470 Weber, K. 56, 146 Wehrmeyer, W. 157, 274, 441 Weibel, E. 151 Weidman, S. 82 Weiler, E. 454 Weismann, A. 103, 104, 292, 295, 483 Weissman, D. 412 Weller, D. 133 Welte, W. 86 Wendt-Gallitelli, M. 236 Went, F. 461 Weyrich, C. 58 White, J. 415, 416 Whiteheart, S. 338 Whyte, P. 376 Wickner, W. 177, 181 Wieland, F. 164, 184 Wieland, H. 277, 379 Wieland, T. 379 Wieschaus, E. 313, 358 Wilgefortis 244 Willyard, C. 374 Wilmut, I. 300, 306 Winkler, H. 23, 192, 211 Winnacker, E. 451 Wiskott, A. 363 Wisse, E. 280 Wistow, G. 513 Withering, W. 387
T–W
584
Stichwortverzeichnis
Wittinghofer, A. 121 Woese, C. 14, 17, 18, 473, 474, 537 Wöhler, F. 4, 107 Wohlfarth-Bottermann, K. 215 Woodward, R. 389 Woodward, W. („Bill“) 55 Wüthrich, K. 145, 323 Wyckoff, R. 440
X Xie, Z. 338
Y Yabuta, R. 460 Yamanaka, S. 300, 539 Yao, X. 538 Yersin, A. 28
Yoshida, M. 500, 502 Young, J. 417 Young, W. 277 Youyou, T. 426, 537, 538
Z Zeitler, E. 47 Zellweger, H. 370 Zenker, R. 432 Zernike, F. 47 Zhang, F. 535 Zhou, K. 463 Zierold, K. 236 Zimmermann, U. 200 Zingsheim, H.-P. 40, 65, 196, 390 Zinkernagel, R. 211 Zuckerkandl, E. 474
585
A–A
Stichwortverzeichnis 100.000-g-Supernatant 142 14CO2 282 16S-rRNA 17 28S-rRNA 392 2-Arachidonglycerol 391 2D-Gelelektrophorese 146 2α2β 175, 360 3,3′-Diaminobenzidin 53 3,3′-Dioctadecyloxacarbocyanin 50 30-nm-Faser 113, 114 3D-Struktur 144 3-Hydroxy-Steroid 55, 200, 493 3ʼ,5ʼ-Adenosinmonophosphat 84 3‘,5‘-Guanosinmonophosphat – cyclisches 217 5-Hydroxytryptamin 250 5ʼ-Nukleotidase 80, 144, 212 70S-Ribosom 159, 493 80S-Ribosom 493
A A23187 430 AAA-ATPase s. auch Triple-A-ATPase AB0-System 79 Abbe’sches Gesetz 40, 44 Abkühlrate 61 Abortivum 379–381 Abrin 35, 392 Abrus precatorius 392 Abschnitt 114 – immunogener 131 – transmembranärer 77 Abscisin 460 Abscisinsäure 445, 455, 459, 461, 498 accumulation and replication of chloroplasts 162 ACE2 406 Acetabularia 106, 107 Aceton 312 Acetylcholin 247–249, 489 Acetylcholinesterase 212, 213, 391 Acetylcholinrezeptor 55, 65, 248, 314, 389, 391 Acetyl-CoA s. Acetyl-Coenzym A Acetyl-Coenzym A 279 Acetylierung 176, 178, 315 Achillea millefolium 434 acid and phagosome regulated ABC locus 421 Acidocalcisom 33 Ackerbau, neolithischer 505 Aconitin 386 Aconitum 386 acquired immunodeficiency syndrome s. auch AIDS
Acridinorange 51 Acrylcyclohexylamin 382 ACTH 196, 246, 259 Actinomycin D 376 ADAM-Familie 415 ADAM-Protease 313 ADAM-Protein 314 Adaptin 210 Adaptorprotein 209 – 2 92 – Arp2/3 363 Adenohypophyse 261 Adenosindiphosphoribose, cyclische 233 Adenosinmonophosphat, 3,3-cyclisches 232 Adenosin-Ribosylierungsfaktor 165 Adenosintriphosphat s. ATP Adenoviren 114, 403, 405, 412 Adenylatcyclase 226, 256, 258, 391, 417–419 Adhäsionsgürtel 83, 215, 262, 369 Adhäsionskinase 261 – fokale 218, 262 Adhäsionsplaque 83 Adipocyt 167 Adipolipin 166 Adiuretin 245 ADP-Ribosylcyclase 233 ADP-Ribosylierung 417, 418 ADP-Ribosylierungsfaktor 155, 184, 209, 443, 460 ADP-Ribosyltransferase 418 Adrenalin 247, 488, 489 Adrenocorticotropes Hormon (ACTH) 196, 246 Aducanumab 373 Aedes aegypti 210, 410 Aegilops 451 Aegopodium podagraria 384 Aequorea victoria 59 Aerobiose 490 Affe 512 Affinitätschromatographie 144 Affinitätsmarkierung 48, 379 Aflatoxin 151 Aggregat, molekulares 65 Aggresom 344 AIDS 129, 310, 406, 411, 415 AIDS-Virus 134 AIF (Apoptose-induzierender Faktor) 346 Akinese 356, 357 Akromegalie 260 Akrosom 301, 357, 380, 381 Akrosomenreaktion 380 Aktin 33, 46, 83, 211–214, 229, 363, 421, 445, 461, 500, 513 Aktin-Bindeprotein 214
586
Stichwortverzeichnis
Aktinfilament 213, 363, 379 Aktinfilamentsystem 190 Aktin-Myosin-Filamentsystem 270 Aktinpolymerisation 363 Aktionspotenzial 227, 456, 507 Aktomyosin 127, 176, 190, 214, 217, 227, 265, 361, 458, 489 Alchemist 383 Aldolase 513 Aldosteron 246 Alexa-Farbstoff 53 Alge 271, 480 Alkalische Phosphatase (AP) 80, 212 Alkohol 391 allosteric transition 176 α-Aktinin 214, 229 α-Amylase 313 α-Bungarotoxin 314, 389 α-Fodrin 214 α-Helix 180 α-Kobratoxin 314 α-Proteobakterien 477, 494, 497 α-Sekretase 314 α-Synuclein 324, 375 Alraune 383 ALS-Syndrom 364 Altern 292, 368 Altersdemenz 324, 344 Altersdiabetes 259 Alveolarsack 176, 197, 200, 237 Alveolata 81, 426 Alveole 33 Alytes obstetricans 345, 347 Alzheimer-Amyloid-β-Protein 373 Alzheimer-Krankheit 306, 308, 323, 324, 341, 344, 372–374 Alzheimer precursor protein 372 Alzheimer-Protein 344, 372 Alzheimer-Vorläuferprotein 372 Amanita – muscaria 391 – phalloides 379 – virosa 379 Amanitin 379 Amatoxin 379 Amborellidae 123 American Food and Drug Administration 30, 145, 382 Aminoglykosid 78, 431 Aminosäure 94, 471 Aminosäurentransporter 94 Aminosäuresequenz 141, 144 Amintransporter 488 Amnion 305 Amniozentese 305, 354 Amöbe 332
Amöbenruhr 420, 495 Amoeba proteus 493 Amorphophallus titanum 288 AMP-aktivierte Proteinkinase (AMPK) 157 Amphibien 340, 345 Amygdala 247, 390 Amylase 459, 505 Amyloid 324, 344, 372 Amyloidbildung 364 Amyloidplaque 324 Amyloid-Precursor-Protein 314 Amylopektin 459 Amylose 459 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) 344, 364 Anabolismus 340, 343, 345 Anaerobiose 489 Analgetikum 245, 387, 391 Analyse, biochemische 140 Anämie 360 Anaphase 110, 116, 293, 296 anaphase-promoting factor 295 Anästhetikum 395 – volatiles 364 Ancylostoma 433 Anemonia sulcata 493 Aneuploidie 122, 352, 354 Aneurysma 361 Angina Pectoris 263–265 Angiogenese 218, 533 Angiospermen 123, 189, 447, 456 Angiotensin 406 angiotensin converting enzyme 2 406 Angiotensin-II-Rezeptor 406 Angiotensinrezeptor 258 Annexin 201 – V 346 Anopheles 425, 536 Ansäuerung 186, 196, 422 Antennenkomplex – P680 283 – P700 283 Anthraxtoxin 417 Anthropozentrismus 471 Antibabypille 243 Antibiotikaresistenz 422, 429 Antibiotikum 28, 30, 95, 122, 184, 363, 376, 422, 423, 429, 432, 433 Anti-Biotin-Antikörper 132 Antidiuretisches Hormon (ADH) 245 Antigen, blutgruppenspezifisches 79 Antigenpräsentation 211, 336 Antigenprozessierung 336 Antihelminthikum 378, 428, 433 Antihistaminikum 196, 377 Antikonzeptivum 379, 380 Antikörpe 412
587 Stichwortverzeichnis
Antikörper 4, 54, 141, 343 – 6H4 91 – monoklonaler 53, 56, 136, 188, 323 – therapeutischer 298 Antikörperproduktion 344 Antimalariamittel 415 antiphlogistisch 275 Antiporter 93 antisense-RNA 141 Anti-Tubulin-Droge 378 Antoniusbrot 381 Antoniusfeuer 381 AP-2 92 Aphrodisiakum 265 Apicomplexa 176, 513 Apicoplast 155, 428, 495 Apis mellifera 319, 386 Aplysia 516 Apoplast 448, 449, 461 Apoptose 87, 112, 126, 212, 289, 298, 309, 330, 340, 345, 347, 375, 430 Apoptose-induzierender Faktor (AIF) 346 APP 314 Appetitzügler 167 APP-Gen 372 Appressorium 450 Aptamerform 316 Apterygota 523 Aquaporin 74, 94, 455 Äquatorialebene 297 Äquatorialplatte 295 Arabidopsis 446, 453, 461, 477, 511 – thaliana 21, 161, 319, 444, 446, 454, 460, 476, 486 Araldit 43 Archaea 474, 475 Archaebakterien 14, 15, 17, 272, 474, 475, 511 ARC-Protein 162 Areal, tegmentales 390 ARF 155, 164, 165, 184, 209, 443 Arf-Protein 155, 185, 186, 209 Argonauta argo 319 ARGONAUT-Protein 319 Armleuchteralge 456, 459 ARNT 287 ARP2/3 445 Art 520 Artemisia annua 537 Artemisinin 425–427, 537, 538 Arthritis 343 Arthropoden 484 Arum maculatum 288 aryl hydrocarbon receptor nuclear translocator 287 Asarum europaeum 380 Ascaris 433, 483 – megalocephala 297 Ascorbinsäure 363 Asparaginsäure 443
A–A
Asparagus spec. 94 Aspergillus nidulans 189 Aspirin 498 Assimilation 275, 383 Astrocyt 83 Atg-Protein 337, 340, 341 Ätiologie, polygene 355, 360, 364 Atmosphäre 489 Atmungsferment, gelbes 278 Atmungskette 279, 371 Atombombe 307 atomic force microscope 65 ATP 7, 200, 268, 270, 271, 282, 339, 496, 497 ATPase associated with diverse cellular activities 204, 502 ATP-Rezeptor 446 ATP-Synthase 156, 159, 276, 278–281, 283, 285, 431, 477, 478, 492, 493, 496, 500, 535 Atropa belladonna 382 AtT-20-Zelle 126 AtT-20-Zellkultur 196 Attraktor 218 Attraktorfunktion 218 Auflösung 44, 58 Aufputschmittel 383 Augeninnendruck 379 Augenlinse 343 Augenmuskel 288 Aurosom 335 Auskeimen 166 Aussätziger 27 Autogamie 483 Autoimmunkrankheit 296 Autophagie 143, 288, 334, 335, 337, 338, 341, 344, 345, 374 Autophago(lyso)som 51, 334, 337, 340, 341 Autophagosom 51, 187, 338–340, 343 autophagy-related protein 337 Autoradiogramm 195 Autoradiographie 54, 57–59, 111, 140, 156, 192, 195, 243, 389, 443, 447, 473 Autosom 108, 122, 352 autotroph 271 Auxin 457, 460, 461, 498 auxotroph 156 Auxotrophie 105 avoidance reaction 508 Axon 218 axonale Lenkung 218 axonal guidance 85, 90 axonal regeneration 92 Axonem 193 Axonin-1/TAG-1 86, 87 Azidifizierung – luminale 186 Azoospermie 381 Azteke 382
588
Stichwortverzeichnis
B BACE1-Gen 372 Bacillus – amyloliquefaciens 129 – anthracis 3, 35, 416, 417 – cereus 80 – subtilis 185, 433 – thuringiensis 418 – thuringiensis israelensis 418 Bacitracin 431 Bad Gastein 386 Bakterien 18, 85, 95, 216, 225, 316, 321, 351, 383, 402, 471, 472, 489, 504 Bakterienchromosom 113 Bakteriengeißel 16 Bakteriophage 115, 402, 405, 413, 418, 423 BamHI 129 Banane 461 Bandenmuster 110 BAPTA 234 Barbiturat 151 Bardet-Biedl-Syndrom 169, 356, 359 Barr-Körperchen 108, 355 Bärtierchen 179 Basalkörper 46, 168, 188, 189, 356, 488, 513 – ciliärer 191 Bast 458 Batrachotoxin 386, 389, 393 Baumsteigerfröschchen 389 Baumwollpflanze 460 Baumwollwurm 445 BBSom 169, 359 Bedingung, anaerobe 159 Befruchtung 104, 314 – künstliche 541, 543 Behinderung, geistige 355 Belegzelle 423 Belladonna 382 Bestäuber 288 Best’sches Karmin 50 β-Adrenorezeptor 226 β-Alanin 248 β-Amyloid 324, 373 β-barrel 60, 497 β-Blocker 227 β-Faltbatt 95, 180, 218 β-Fass-Struktur 60, 76, 95 β-Interferon 130 β-Oxidation 163, 279 – von Fettsäure 166 β-Sekretase 372 β-Strahlen 57 β-Thalassämie 306 Beugungsbild 41 Beulenpest 409 Bevölkerungsexplosion 243, 544
Bewegung, amöboide 215, 216, 262, 308, 363, 379, 385 Bewusstsein 506, 509, 519, 521, 524 Bibel 288 Bienengift 387 Bienenruhr 4 big data analysis 131 bikont 476 Bikonta 489, 532 Bilateria 248 Bildungsseite 154, 184 Bilharzia 433, 434 Bilharziose 434 bimolecular leaflet 73 Bindegewebe 361 Bindegewebsfaser, elastische 361 Bindemotiv 378 Bindung, homophile 85, 86 Bioenergetik 274, 489 Biofilm 489 Biomembran 76, 428 Bionik 502 Biosemiotik 457 Biotin 54 Biowaffe 29, 35, 392, 417 Blastochloris iridis 284 Blastocyste 300, 301 Blastocystenzelle 134 Blattgrün 157 Blattsilikat 471 Blaualgen 14 Blei 40 Blepharisma 484 Blutdruck 263, 264 Blutdruckregulation 406 Blütenpflanze 297, 456, 504 Blutgerinnung 313, 509 Blutgruppe 177 Blut-Hirn-Schranke 83, 386, 394 Bluthochdruck 226, 258, 265, 387 Blutserum 489 Blutstammzelle 303 Bluttest 354 Blutzuckerspiegel 253 B-Lymphocyt 211 Bodenprobe 431, 432 BODIPY 53 Bohr-Effekt 176 Bombykol 243 Bombyx mori 243 Bonellia viridis 122 Bonellin 122 Bordetella pertussis 30, 418 Borrelia 85 Botenstoff 456 Botox 420 Botulinumtoxin 35
589 Stichwortverzeichnis
Botulismus 30, 419 bovine spongiform encephalopathia (BSE) 322 Brave New World 133 BRCA 376 BRCA-Gen 309, 355 BrdU 111, 302 Brechnuss 389 Brefeldin A 184, 443 Brennnesse 377 Brennpunkt-Gentabelle 136 Bromodesoxyuridin 111, 302 Bronchiektasie 358 Brustkrebs 309, 355 Bryonia dioica 454 BSE 322 Bungarus multicinctus 314, 389 bush meat 408 B-Zell-Lymphom 310
C 14C 57, 197 C2-Domäne 200, 239, 444, 453 C4-Pflanze 455 C9ORF72 364 Ca2+/Calmodulin-Komplex 236, 508 Ca2+ 7, 33, 60, 71, 77, 80, 83, 84, 121, 182, 183, 190, 194, 196–198, 200, 201, 207, 214, 217, 227, 229, 232–234, 236, 237, 242, 262, 269, 346, 358, 414, 426, 428, 450, 454, 457, 458, 461, 489, 503, 508, 518, 532 Ca2+-ATPase 239–241, 426, 453, 501, 537 – endo-/sarkoplasmatische 241 Ca2+-Bindeprotein 33, 196, 203, 234, 238–240, 444, 450, 453, 503, 510, 518 Ca2+-binding protein 184 Ca2+-Chelator 238 Ca2+-Einstrom 236, 380 – kapazitativer 197 – speichergesteuerter 197 Ca2+-Fluorochrom 234, 308 Ca2+-Freisetzung, Ca2+-induzierte 197 Ca2+-Freisetzungskanal 32, 231, 232, 364, 426, 427, 475, 517 Ca2+-Homöostase 285 Ca2+-Impuls 509 Ca2+-induced Ca2+ release 197, 229 Ca2+-influx and Ca2+-release-activated Ca2+ channel 197, 426 Ca2+-Influxkanal 169, 232, 434 – spannungsabhängiger 387 Ca2+-Influxkanal 232 Ca2+-Kanal 75, 77, 226, 228, 380, 387, 454, 487, 504, 508, 532 – mechanosensitiver 215, 454 – spannungsabhängiger 230, 249, 457
C–C
Ca2+-Kanalblocker 231 Ca2+-Pumpe 77, 269 Ca2+ release channel 426 Ca2+-Selektrode 234 Ca2+-sensing receptor 242 Ca2+-Sensing-Rezeptor 254 Ca2+-Sensor 196, 197, 204, 239 Ca2+-Signal 32, 228, 248, 518 Ca2+-Signalgebung 234 Ca2+-Speicher 33, 153, 286, 426 Cab45 183 CaBP 184, 503 Cadherin 83–85, 485–487, 508, 517, 518 cADPR 233 Caenorhabditis 359, 375, 477, 511 – elegans 21, 136, 251, 319, 345, 372, 511 Calaxin 358 Calcineurin 432, 444, 508 calcineurin B-like protein 453 Calcitonin 242 Calcitriol 242 Calcium 346, 452, 503, 541 calcium release-activated calcium channel protein 199 Calciumsensor 239 Caldesmon 214 Calmodulin 60, 196, 214, 217, 235, 239, 240, 264, 346, 417, 453, 532 Calnexin 184, 240, 338 Calpain 346 Calreticulin 143, 184, 240, 338, 444 Calsequestrin 240 Calsyntenin 510, 518 Calvin-Zyklus 282 CAM 84 CaM-Kinase 190 cAMP 84, 90, 226, 232, 233, 258 cAMP response element binding protein 516 cAMP-Rezeptor 217 Campylobacter 85, 420 Canavalia ensiformis 52 Candesartan 258 Canis lupus 519 Cannabinoidrezeptor 391 Cannabis 391 Cantharidin 418 capping 52, 93 Capping-Protein 214 Capsaicin 394 Capsaicinoid 194 Capsicum annuum 394 Capsid 405 Capsidhülle 413 Carbocyanin 50 Carboxypeptidase 313 Carotin 161, 283 Carrier 74, 534
590
Stichwortverzeichnis
Carrierprotein 74, 278 Carsonella ruddii 15 CAR-T-Zelle 311 Cas9/sgRNA 134 Casein 194 Caspary-Streifen 449 Caspase 346 CAS-Protein 120 Catecholamin 247 CatSper 380 Caulimoviren 406 Caveolae 77, 89, 90, 92, 207 Caveolin 89, 90, 181, 206 Caveosom 92, 187, 207 CBL 453, 454 CBL-interacting protein kinase 453 CD90 86 cdc 294 c-di-AMP 489 c-di-GMP 489 CDK/cdc-Komplex 294 CDK 294, 295 cDNA 129, 130 CDPK 453, 454 cell adhesion molecule 84 cell division cycle 294, 295 cellular prion protein 322 Centrin 168, 188, 240, 450, 514 Centriol 168, 188, 191, 295, 356, 463 Centromer 110, 113, 296 Centrosom 188, 192 Cephalosporin 431 Ceramid 50 cGMP 217, 264 cGMP-abhängige Proteinkinase 508 c-GMP-AMP 489 cGMP-Phosphodiesterase 239 Chagas-Krankheit 32, 427 Chameleon 60 Chaostheoretiker 269 Chaostheorie 242 Chaperon 79, 151, 160, 179, 182, 240, 338, 495, 497, 502 – GroL 513 Characeae 456, 494 Chargaff ’sche Regel 104 Charité 4 Charophyceae 481 Charophyta 498 Checkpoint-Therapie 298 chemiosmotisch 279 chemiosmotische Hypothese 283 Chemokinrezeptor 413 Chemotaxis 210, 214–218, 385 Chemotherapie 378 Chiasma 297 Chicha 459
Chikungunya-Virus 413 Chilischote 394 chinesische Medizin 384, 391 Chironex fleckeri 377 Chlamydomonas 168, 169, 193, 457, 477, 508, 511, 531 – reinhardtii 21, 160, 168 Chloramin T 59, 77 Chloramphenicol 28, 159, 431, 493 Chlorella 282, 441 Chlorid-Auswärtsstrom 414 Chloridkanal 80, 344, 364 Chloroform 395 Chlorophyll 157, 271, 275, 276, 478 – a 283 – b 283 Chloroplast 20, 95, 155, 157, 161, 270, 271, 273, 275, 276, 279, 281, 282, 370, 371, 441, 442, 477, 478, 488, 492–494, 496, 500, 541 Chloroplastenstroma 282 Chloroquin 415 Choanoflagellat 476, 485, 488, 508, 519 Cholera 3, 26, 27, 31, 416, 418, 423 Choleratoxin 257, 419 Cholesterin 55, 72, 88, 194, 200, 278, 336, 493 Cholin 156 Chondriom 101, 104, 156 Chondrodendron tomentosum 389 Chordatiere 488 Chorea Huntington 364 Chorionzotte 354 Chromatid 110, 113, 116, 125, 293, 295, 297, 486 Chromatin 104, 111, 116 chromatin remodeling protein 512 Chromatinstruktur 112 Chromomer 111 Chromoplast 157, 161, 541 Chromosom 5, 65, 101, 102, 104, 113, 114, 295, 296, 486 Chromosom 9-open reading frame-72 364 Chromosomenanomalie 136, 352 Chromosomenfragmentation 125 Chromosomenpaarung 111 Chromosomensatz 110 chronotrop 388 Chrysophyceae 153 Chrysosplenium alternifolium 162 Chymotrypsin 313 Ciclosporin A 376, 432 CICR 197, 229 ciliary reversal 63, 508 Ciliat 212 Cilienbiogenese 359 Cilienderivat 168, 169, 359 Cilienepithel 356, 359, 380 Ciliopathie 531 Cilium/Flagellum 187
591 Stichwortverzeichnis
Cilium 46, 167, 228, 237, 356, 360, 419, 463 CIPK 453, 454 cis-Golgi-Netzwerk 183 cisternal progression/maturation model 153 Citrat 279 Citratzyklus 371 Clathrin 206, 209, 365, 443, 445 Claudin 82 Claviceps purpurea 381 CLB 111 clear vesicle 194 click chemistry 56 Cl–-Kanal 419 Clofibrat 163 clonal variation 213 Clostridium 30 – botulinum 30, 35 – perfringens 421, 432 – tetani 30, 35 Clostridium-Toxin 419 Cluster 386 CO2 272 Co-Assemblierung 175 coated vesicle 210 Coatomer 164, 165, 184 Coatomer-Protein 209 Coccidiose 430 codon usage 541 Cohesin 116, 117, 295, 297 Colchicin 110, 122, 354, 377, 378, 385 Colchicum autumnale 377, 385 Compactin 185 compartment of uncoupling receptor and ligand 206, 336 complementary DNA 129 compound – 48/80 197 – exocytosis 196 Computersimulation 78 ConA 52 Concanavalin A 52, 184, 486 conformational coupling 229 Coniferae 482 Connexin 73, 84, 368, 369 Connexon 73, 84, 368 Conoid 196 Conotoxin 387 Contergan 28 Conus 387 COP 184, 209, 476 – I 185 – II 185 COP-Protein 184, 443 core glycosylation 430 core-Glykosylierung 183, 184, 443 Cori-Syndrom 361 Corium 362
C–C
Cornea 306 Corona 394, 531 Corona-Pandemie 406 Coronaviren 405, 406, 415 Cortex 19, 511, 517 – cerebraler 307 – präfrontaler 390 – telencephaler 509 Cortice 200 Corticosteroid 245 Cortinarius 522 Cortisol 95, 246, 318 Cortison 246 Corvus corax 544 Corynebacterium diphtheriae 30 Coulter Counter 143 CoV-19-Blocker 412 CoV-2-Diagnostik 129 CoV-2-Infektion 259, 409 CoV-2-Virus 353, 405–408, 416 COVID-19 353, 404 COVID-19-Pandemie 409, 411 cpDNA/ptDNA 159 cpDNA 159, 272, 276, 478, 492, 494, 495 CRAC 197 Crafoord-Preis 19, 536, 537 creatio continua 470 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit 322, 344 Creutzfeldt-Jakob-Syndrom 322 – neue Variante 322 CRISPR/Cas9 117, 122, 132, 134, 305, 306, 361, 451, 535 CRISPR/Cas9-Methode 133, 134 Cristae 280, 285 – mitochondriales 276 Cristallin-Protein 513 Cristatyp 285 Crossing-over 297 crossing over-lethal-bar 5, 111 Cryptosporidium parvum 495 Ctenophora 250 Cu/Zn-SOD 491 CuAAC-Methode 56 Cullin 461 Curare 389 CURL 206, 336 Cutis laxa 362 Cyanobakterien 14, 157, 271, 273, 469, 477, 492, 497 cyano fluorescent protein 49 Cyanophyceae 14 Cycaspalme 482 Cyclase 233 cyclic nucleotide-gated channel 454 Cyclin 294, 295 cyclin-dependent kinase 294, 376 cyclo-3‘,5‘-di-Guanosinmonophosphat 480 Cycloheximid 159, 431, 493
592
Stichwortverzeichnis
Cyclose 190, 458 Cylindrocarpon lucidum 432 Cysteinbrücke 195 Cysteinprotease 374 Cystobactamid 433 Cytochalasin 379 Cytochemie 48 Cytochrom 285, 335 – b 371 – c 278, 346 – mitochondriales 157 – P450 151 Cytochrom-c-Oxidase 143, 371 Cytochromkette 159, 278, 280, 283 Cytochromoxidase 277, 278 Cytokin 421, 427 Cytokinese 293, 297, 447 Cytokinin 460, 461 Cytologie 12 Cytolyse 413 Cytoplasma 70 Cytoskelett 42, 145, 377, 383 Cytosol 364 Cytospindel 294, 463, 486 Cytostatikum 122, 378 Cytostom 46, 212 Cytotoxin – tracheales 419 Cytotrophoblast 404 Cytozentrum 188, 189, 344
D DAB 48, 53 DAMP 51 Danio rerio 21 Dantrolen 364 Daphne mezereum 418 DAPI-Methode 50 Dapson 28 Darobactin 433 Datenbank 131 Dattelpalme 451 Datura stramonium 382 Daucus carota 380 Deacetylase 315, 325 debranching enzyme 361 default pathway 183 Defensin 424 Dehydrogenase 286 – mitochondriale 381 Dehydrogenierungsschritt 277 Delphi 509 Δψ-sensitives Fluorochrom 286 Demenz 259, 322, 324, 344, 364, 372 Demethylase 315, 325
dendritische Zelle 310 Denguevirus 404 Denisova 512 Denisova-Mensch 505 Denken 516, 517, 522, 545 De-novo-Biogenese 156 De-novo-Genese 156 dense core vesicle 194 Deplasmolyse 71 Depolarisation 74, 229, 230, 236 Depression 382, 533 Designerbaby 133 Designerdroge 227, 534 Desmoplakin 83 Desmosom 82 Desoxynojirimycin 184 Desoxyribonuklease 313 Desoxyribose 104 detergent-insoluble lipid cluster 88 detergent-resistant membrane 88 Detoxifikation 495 Detyrosylierung 176 Dextran 141 Diabetes 306 – insipidus 245 – mellitus 259 – mellitus Typ 2 259 Diabetiker 254 Diacylglycerin 258 Diacylglycerol 88, 226 Diacyl-Phosphatidylinositol-4,5-bisphosphat 226 Diacyl-Phosphatidylinositolbisphosphat 258 Diagnostik 409 – pränatale 364, 541 Diaminobenzidin 163 Diapedese 404 Diaphragma 201 Diarrhö 414, 419, 420, 495 Diatomeen 497 Dichtegradienten-Ultrazentrifugation 107 Dictyostelium 216, 217, 248, 316, 363, 432, 433, 477, 485, 489, 511, 519 – discoideum 21, 216 Diethyläther 395 Differenzialfärbung 102 Differenzialspektrometrie 335 Differenzialzentrifugation 142 Differenzierungsphase 315 Digitalis 387 Digitalisglykosid 388 Digitonin 55, 200 Dihexyloxacarbocyanin 50 Dihydropyridinrezeptor 228, 229 Dihydrotestosteron 244 Diktyosom 153, 154, 184, 447 Diktyosomen 167 Dinoflagellat 497
593 Stichwortverzeichnis
Dinosaurier 482 Dinukleotid, cyclisches 489 DiOC18 50 Dionaea muscipula 456 Diphtherie 30, 393, 418 Diplont 124, 480 diS-C3-(5) 50 Disintegrin 313, 314 Disulfidisomerase 151 Diverse 109 DNA 103, 115, 143, 305, 428, 488 – Fragmentierung 346 – humane 403 – komplementäre 130 – nichtkodierende 514 – nichtproteinkodierende 514 – rekombinante 130 DNA-Helicase 368 DNA-Histon-Komplex 101 DNA-Leiter 112, 346 DNA-Methylierung 316 DNA-Polymerase 125, 129 DNA-Profiling 135, 298, 300, 412 DNA-Reparatur 364 DNA-Reparaturprotein 309, 375, 376 DNase 331, 346 DNA-Sequenzierung 146 DNA-Sonde 117 Dockkomplex 164 Dockprozess 191 Dockstelle 190 Doctor Schnabel 384 Dogma, zentrales 79 – der Molekularbiologie 127, 177, 212 domain shuffling 86, 487 Domäne, typische 131 Dopamin 247, 248, 374, 390 dopaminerges Neuron 390 Dopaminrezeptor 382, 390 Doping, molekulares 542 Doping-Effekt 390 Doppelhelix 106 Doppelwellenlängen-Registrierung 228 Doppelwellenlängensystem 235 Dorfdepp 355 Dormin 460 Dornfortsatz 250, 406, 508, 509, 511, 515, 517 Dounce-Homogenisator 142 Down-Syndrom 354 Down syndrome cell adhesion molecule 87, 316, 511 Doxycyclin 425 Drei-Eltern-Baby 371 Droge – hypolipämische 163 – psychedelische 382 dropsy 387 Drosera 194
E–E
Drosophila 5, 86, 95, 110, 114, 206, 243, 295, 313, 316, 343, 354, 358, 372, 375, 477, 511 – melanogaster 21, 111, 136, 297, 319 Drp1 162 Druck, osmotischer 448 Drug Design 55, 145, 534 Drüse 151 DSCAM 316, 511 DSCAM-Protein 87, 541 dsRNA 315 Duchenne-Muskeldystrophie 306, 355, 361 Duft, aromatischer 384 Dunkelreaktion 282, 283, 478 Dünndarmkrypte 303 Dünnschichtchromatographie 144, 282 Durchflusscytometrie 143 Dynamin 90, 206, 445 dynamin-related protein 162, 165 Dynamit 263, 535 Dynein 169, 192, 193, 356, 357, 500, 502 Dyneinärmchen 167 Dyskinesie, ciliäre 358 Dystroglykan 361 Dystrophin 361, 541
E E. coli s. auch ItalicEscherichia coli 107, 129, 141, 500 Ebola 408, 409 Ebolavirus 404, 405, 410, 414 Ecdyson 95, 243, 246 Echtzeitanalyse 119 EcoRI 129 EDX-Methode 236 Effekt – antineoplastischer 136 – epigenetischer 462 – hypolipämischer 163 – karzinogener 151 – teratogener 405 EF-Hand-Ca2+-Bindeprotein 453 EF-Hand-CaBP 239 EF-Hand-Motiv 239 EGTA 234 Eheaufgebot 123 Ehlers-Danlos-Krankheit 362 Ehlers-Danlos-Syndrom 362 Ei 482 Eibe 378 Ein-Chromatid-Chromosom 297 Ein Gen – ein Protein 105 Einzeller 508 Einzelschichtzellkultur 63 Eisen(III)hydroxid 78 Eisenhut 386
594
Stichwortverzeichnis
Eisenmineral 471 Eizelle 300, 301, 317, 321, 371, 379, 380, 504 Ejakulation 520 ektopisch 313 Ektotoxin 29, 417 Elastase 313 electron capture 57 electron spectroscopic imaging 236, 237 Elektrolyse 271 Elektromyostimulation 231 Elektron 278, 522 Elektronenbeugung 75, 77, 84, 145 Elektronenbeugungsstudie 112 Elektronendiffraktometrie 75 Elektroneneinfang 57 Elektronenmikroskop 5, 23, 38–40, 42, 43, 47, 48, 50, 55, 56, 111, 206, 237, 249, 281, 284, 334, 344, 356, 362, 370, 430, 443, 522 Elektronenmikroskopie 13, 156, 199, 403 – molekulare 41, 403 Elektronenmikroskopiker 284, 341 Elektronenspinresonanz 62 Elektronenstoßverdampfer 115 Elektronenstreuung, elastische 42, 64 Elektronentransportkette 283 Elektrophorese 146 – trägerfreie 142, 335 Elektrophysiologie 20, 94, 238, 356, 387, 516, 517 Elektroporation 130, 200 Elementarfibrille 448 Elongationsfaktor EF-2 393 Embryo 404, 504 Embryoblast 301 Emergenz 472, 517 Emerin 116 Emery-Dreifuss-Muskeldystrophie 116 Emotion 390, 506 Empfängnisverhütung 543 Empirismus 385, 530 Encephalitozoon 497 – cuniculi 495 Encephalopathie – spongiforme 322 – transmissible spongiforme 322 Endocytose 205, 405, 415, 417–419, 445, 494 – adsorptive 205 – clathrinvermittelte 92 – exocytosegekoppelte 192 Endocytosesystem 153 Endocytosevesikel 334, 414 Endoglykosidase 184 Endolysin/Holin-Paar 420 Endolysosom 134, 417 Endomitose 111 Endonuklease 132 Endopeptidasefunktion 419 endoplasmatisches Retikulum s. auch ER; Retikulum
endoplasmic reticulum-Golgi intermediate compartment 155 Endorphin 196, 244, 390, 391 Endosom 187, 331, 341, 416 – frühes 186, 187, 206, 421 – spätes 187, 421 endosomal sorting complex required for transport 337 Endosymbiose, sekundäre 497 Endothelin B 263 endothelium-derived relaxing factor 264 Endothelzelle 90 Endotoxin 417, 418 Endplatte, motorische 189, 249 Energie 471 energiedispersive Röntgenmikroanalyse (EDX) 236 Energiestoffwechsel 312 Energieumsatz 489 Energieversorgung 268 Engramm 516, 518 enhanced GFP 60 enhanced synaptotagmin 453 Enhancer 514 Enkephalin 245 Enolpyruvat 435 eNOS 90 Entamoeba 497 – histolytica 251, 420, 495 Entdifferenzierung 304, 311 Entendermatitis 434 Enterobius vermicularis 433 enterochromaffine Zelle 251 Entgiftung 491 Entgiftungsreaktion 151 Enthalpie – freie 270 Entropie 270, 351 entzündlicher Prozess 216 Entzündung 384 Enverin 404 Enzym 4, 270 – bifunktionelles 153 – lysosomales 185, 365 Enzymdefekt 360 enzyme-replacement therapy 367 Enzymersatztherapie – lysosomale 367 Enzyminduktion 151 Eosin 51 Ephrin 86, 218, 508 Ephrinrezeptor 218 Epibatin 389 Epidemiologie 408 epidermal growth factor 309 Epidermis 126 Epidermolyse 306, 369 Epidermolysis bullosa 304, 369
595 Stichwortverzeichnis
Epigenesishypothese 301 Epigenetik 7, 22, 81, 299, 305, 314, 320, 322, 532, 538, 542 – transgenerationale 317, 318, 320, 462, 532 epigenetische Steuerung 178, 511, 514 Epilobium angustifolium 123 Epinephrin 247 epithelial growth factor receptor 136 Epitop 412 EPO 287, 542 EPO-Gen 287 Epon 43 Epothilon 378 Epoxid 43 ERAD 153, 338 ERAD-Komplex 499 ERAD-Mechanismus 337 ER-associated protein degradation 153, 337 Erbanlage, nichtmendelnde 371 Erbkrankheit 135 ERGIC 155, 183, 340 – -53 183 ER s. auch Retikulum – glattes 151, 152 – raues 51, 183, 184, 415 ER-Golgi intermediate compartment 183, 340 Ergosterol 505 Ergotamin 381 Ergotismus 381 Erkennungsmechanismus 160 Erkennungssignal 179, 533 Erk-Kinase 261 Ernährung, ketogene 312 Ernährungstherapie 311 Erythroblast 151 Erythrocyt 71, 127, 287, 542 Erythromycin 431 Erythropoese 287 Erythropoetin 130, 287, 542 Escherichia coli s. auch E. coli 31, 418 ESCRT-Protein 337, 341 ESI-Methode 236, 237 Esterase 48, 248, 448 eSyntag 200, 427, 453 Ethambutol 422 Ethnomedizin 432 Ethylen 457, 461, 498 Ethylmaleimid 204 Eubakterien 14, 15, 17, 474 Euchromatin 111, 117 Eukaryot 102, 475, 477 Eukaryotengift 376 Eupenicillium brefeldianum 184, 443 Euplotes 321
F–F
– raikovi 483 Evolution 7, 21, 123, 126, 232, 243, 271, 277, 289, 314, 316, 387, 455, 468, 470, 472, 477, 486, 489, 501, 502, 504, 508, 511, 514, 521, 523, 524, 536 – präbiotische 470, 473 Evolutionsforschung, molekulare 131 exchange factor 186 exergon 271 Exocyst 199, 202 Exocytose 43, 154, 191, 194, 198, 200, 226, 342, 359, 375, 380, 430, 445, 458 – getriggerte 226 – konstitutive 168, 191, 194 Exocytose-Endocytose-Kopplung 207, 208 Exocytoseprofil 198 Exocytoseprozess 239 Exocytosestelle 196 Exocytosevesikel 185, 194 Exon 114 Exosom 309, 341 exotherm 271 Exportin 120 Exportsignal, nukleäres 119 Expression – heterologe 75, 122, 462 – rekombinante 130 – selektive 315 expression library 146 expression profiling 298 Expressionsbibliothek 146 Expressionshemmung 319 Expressionsprofil 311 Extensin 444, 447, 448 Extremophile 475 Ezrin-Radixin-Moesin 262
F F(ab) 56 F(ab)2-Fragment 56, 91 F0F1 285 FACS 143 FAD 278 FADH 279 Fähigkeit, emotionale 506 FAK 262 F-Aktin 116, 117, 205, 214, 217, 379, 431 Faktor – GTPase modulierender 186 Färbemethode 49, 50 Färbetechnik 140 Farnesyl 177 Farnesylrest 185 Fasciclin-Domäne 486
596
Stichwortverzeichnis
Faultier 287 Favipiravir 408 Fazialhirsutismus 244 FCKW 490 Fc-Region 91 Fc-Teil 56 FcєRI 196 Fentanyl 534 Ferlin 427 Ferritin 49, 54, 334 – kationisiertes 49, 78 Fertilin 415 Fervor-Effekt 386 Fe-SOD 491 Fettgewebe, braunes 288 Fettsäureacylierung 155, 178, 209 Fettsäurestoffwechsel 278 Fettsäuresynthese 496 Fettstoffwechsel 163 Fetttropfen 166, 195, 449 Feulgen-Färbung 15 Feulgen-Reaktion 50 Fibrat 163 Fibrillin 361 Fibrinogen 143, 509 Fibroblast 216 fibroblast growth factor receptor 136 Fibrocystin 359 Fibronectin 86, 215, 261 Fibronectin-Repeat 86 Fibropeptid 509 Fibrose, cystische 80, 364, 531 Filament 176 – intermediäres 369 Filipin 55, 200, 433 Filter, molekularer 205, 206, 209 Fimbrie 16 Fingerhut 387 Fingerprinting 300 FIS1 (fission1) 165 Fische 288 Fischsterben 376 FiSH 117, 132 FIS-Protein 162 Flagellenmotor 16 Flagellin 501 Flagellum 13, 16, 167, 216, 356, 357, 380, 501 Flattertiere 404 Flavinadenindinukleotid 278 Flavoprotein 278 Flechte 493 Fliegenpilz 391 Fließgleichgewicht 268, 541 Flotillin/Reggie 90, 92, 206, 210 Flotillin 90 – -2 91 Flugzeitmassenspektrometrie 144
fluid mosaic model 76, 77 fluid phase endocytosis 205 fluid phase marker 48 Fluorescein 51, 54 fluorescence activated cell sorting 143 Fluoreszenzfarbstoff 51 Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung 117, 132 Fluoreszenzmarker 257, 316 Fluoreszenzmarkierung 143 Fluoreszenzresonanz-Energietransfer (FRET) 49, 60 Fluorochrom 48, 228, 235, 238, 518 – Δψ -sensitives 286 – pH-sensitives 196 Fluoxetin 318, 534 Flüssig-Mosaik-Modell 76, 77 FM1–43 50 fMLP 216 focal adhesion kinase 218, 261 focal adhesion plaque 83 focussed ion beam 65 Fokalkontakt 85, 215, 261, 262 Fokusserie 285 Fokussierung, isoelektrische 146 Follikelstimulierendes Hormon (FSH) 255, 259 Folsäure 217, 431 Formaldehyd 42 Formyl-Methionylleucylphenylalanin 216 Forschung, ethnopharmakologische 376 Forschungspreis 534 Forskolin 256 Förster-Radius 117 Fotoemulsion 57 Fötus 404 Fourier-Analyse 41 Fourier-Transformation 77 FOXP2-Gen 512 Fragiles-X-Syndrom 355, 368 Fragmentierung der DNA 346 Fraktionierung 140 Frauenkirche 182 Fraxinus excelsior 123 Freisetzungshormon 255, 260 Fremdbestäubung 123 Fremd-DNA 122, 132, 133 Fressvakuole 46 Fresszelle 210, 332, 346 FRET (fluorescence resonance energy transfer) 49, 60 FRET-Methode 117 Fruchtfliege 355 Fruchtknoten 123 FtsZ-Protein 162, 486 FtsZ-Ring 162 Fühlen 522 Fulguration 521 Fungizid 428, 434 Fusarium 460
597 Stichwortverzeichnis
Fusionspore 201, 239 Fusionsprotein 60, 201, 202, 416 Fusogen 407 Fusogenität 404 Fußpilz 428 Fyn 92 Fyn-Kinase 90
G G0-Phase 293, 309 G2-Phase 293 GABA 247, 248, 252, 254, 390 GABA-Rezeptor 155, 254, 389 G-Aktin 431 Galaktosyltransferase 143 Galle 151, 152 Gamet-Fusionsprotein 486 γ-Aminobuttersäure s. auch GABA 390 γ-Sekretase 372 γ-Tubulin 168, 188 Gamon 483 Gangliosid 365, 366 Gangrän 381, 432 GAP 186, 485 Gap 369 Gap Junction 82, 84, 368, 369 Gartenbohne 392, 442 Gärung 275 – alkoholische 277 Gasbrand 421, 432 Gaschromatographie 144 Gaucher-Krankheit 365 GDP-Ran 121 Geburtenkontrolle 541, 543 GECI (genetically encoded calcium indicator) 60, 234, 518 Gedächtnis 390, 508, 516, 518, 545 GEF 165, 485 Gefäßdilatation 90, 263 Gefäßkryptogame 481 Gefrierätzung 61, 76 Gefrierbruch 55, 61, 63, 76, 82, 166, 199, 201, 208, 276, 284, 433, 448 Gefriersubstitution 63, 159, 236, 237 Gefühl 519, 521 Gehirn 235, 307, 308, 322, 345, 346, 372, 394, 458, 506–508, 511, 516 Geißel 356, 463, 500 Gelbfiebervirus 404 Gelée royale 319 Gelelektrophorese 59, 146 Gelsolin 214 Gemmula 103 Genaktivierung 95, 120, 255, 512 Genamplifikation 487
G–G
Genderismus 302, 352 gender study 124 Gendiversifikation 487 gene editing 133, 134 gene expansion disease 360, 364 Generationswechsel 480 generatio spontanea 12 gene sharing 513 gene silencing 46, 319 – posttranskriptionales 141 Genesis 293 genetically encoded calcium indicator (GECI) 60, 234 genetic imprinting 317 Genexpansion 364 Genexpression 178, 253, 262, 514 – aktivitätsabhängige 516 Gen – geschlechtsspezifisches 124 – posttranskriptionales 132 – proteinkodierendes 477, 514 – TGA1, regulatorisches 452 Genmanipulation 133, 435, 543 Genom 101, 114, 490, 539 – virales 405 Genomanalyse 320, 352, 446, 476, 488 genome editing 133 Gentechnik 135, 451, 543 Gentherapie 126, 133, 543 Gentransfer 487, 493, 541 – horizontaler 475 Genverlängerung 360 GE-Protein 72, 80, 92, 167, 203, 213, 322, 428, 476 – trimeres 30, 186, 203, 216, 226, 418, 463 Geranyl 177, 185 German Mouse Clinic 135 Germer 386 Gerüstprotein 90 Gesamt-DNA 477 Gesamtgenomduplikation 487 Geschlecht 122 – biologisches 108, 352 – drittes 109 Geschlechtsbestimmung – genotypische 111, 122 – phänotypische 122 Geschlechtschromosom 108, 122, 352 Geschlechtsidentität 543 Geschlechtszelle 297 Geschmacksrezeptor 257 Getreide 487 Gewebeschaden 417 Gewebetransplantat 432 GFP 48, 59, 60, 234, 346 Giantin 476 Giardia intestinalis 495 Gibberella 460
598
Stichwortverzeichnis
Gibberellin 461, 498 Gibberellinsäure 459, 460, 498 Gichtarthritis 385 Gichtkraut 384 Giersch 384 Giftdrüse 313 Giftschlange 313 Ginkgo 482 – biloba 384, 479, 482 Glanzstreifen 368 Glasknochenkrankheit 362 Gleitfilamenttheorie 229 glidosome-associated connector 176 Glossina 32, 425 Glückshormon 245, 250, 390 Glukagon 255, 259, 335 Glukocerebrosid 367 Glukocorticoid 246 Glukoneogenese 246 Glukose 270, 271, 282 Glukose-6-Phosphatase 143 Glukosetransporter 253 Glutamat 247, 250, 390, 489, 517 Glutamatrezeptor 232, 250, 454, 488, 510, 517 Glutaraldehyd 39, 42 Glycerinaldehyd-3-phosphat 272 Glycerophospholipid 87 Glycinrezeptor 389 Glycylierung 168, 176 Glykogen 39, 152, 246, 253, 275 Glykogenose 361, 531 Glykogenstoffwechsel 361 Glykokalyx 17, 34, 52, 72, 78, 212, 424 Glykolipid 72 Glykolyse 271, 276–278, 311 Glykoprotein 72, 177, 183 Glykosylierung 78, 130, 177, 182, 183, 240, 338, 430 – periphere 184, 430 Glykosylphosphatidylinositol 72, 80, 178, 428 Glykosyltransferase 79, 443 Glyoxisom 166, 449 Glyoxylatzyklus 449 Glyphosat 434, 435, 533 GM130 476 Gold, kolloidales 54, 78, 142 Goldkonjugat 91 – kolloidales 55 Golgi-Apparat 22, 43, 49, 50, 54, 56, 78, 143, 153, 154, 165–167, 177, 183–185, 187, 191, 192, 195, 332, 338, 359, 365, 415, 441–444, 446, 476 Golgi-Fraktion 142 Golgi-Matrixprotein GM130 167 Golgin 476 Golgi-Protein 476 Golgi reassembly and stacking protein 167 Gomori-Methode 48
Gomphadorhina portentosa 250 Gonadotropin 259, 260 gonadotropin-releasing factor 261 gonadotropin-releasing hormone 260 Gonorrhö 26, 31 Gonosom 108, 122, 352, 354 Gossypium 460 Gossypol 380 GPCR (G protein-coupled receptor) 90, 92, 169, 216, 242, 247, 248, 251, 253–255, 257, 258, 358, 391, 393, 462, 519 GPCR 252 GPI-Anker 81, 86, 212, 218, 508 GPI-Protein 72, 80, 92, 213, 322, 428 GPI-verankertes Protein 92 G-Protein-Aktivatorprotein 186 G protein-coupled receptor 90, 169 G-Protein – trimeres 30, 186, 203, 216, 226, 418, 463 Gradientenzentrifugation 142 Gram-Färbung 13, 14 Gramicidin A 30, 429 Granalamelle 276, 442 Granulocyt, neutrophiler 211, 216 granulocyte-macrophage colony-stimulating factor 421 Granulum, chromaffines 197 Granum 157, 478 GRASP-Protein 167 Gravitaxis 510 green fluorescent protein (GFP) s. auch GFP 48, 53, 234 Grippe 27, 31, 403 Grippeviren 411 GroL 181 growth cone 218 growth hormone-releasing hormone 260 Grünalge 480 Grundumsatz 287 g-Strophanthin 388 GTPase 169, 185–187, 199, 200, 202, 203, 206, 214, 217, 336, 341, 375, 443, 444, 461, 476, 485, 488 – monomere 201 – Rab11 92 – Ran 120 GTPase-Modifikator 186 GTP-Bindeprotein 186, 201 GTP-Ran 121 Guajakholz 31 guanine nucleotide exchange factor 165 Guanosinmonophosphat, cyclisches 264 Guanylatcyclase 217, 264, 508 guide/leader RNA 132 Gürteldesmosom 82, 83, 215, 369, 487 Gyalecta jenensis 493 Gymnospermen 123, 189, 480, 481
599 Stichwortverzeichnis
H H+-ATPase 181, 186, 188, 195, 202, 206, 331, 333, 421, 423, 427, 452, 455, 488, 496, 500 Habsburger 124 Haemophilus influenzae 129 Haifisch 255, 488 Halluzinogen 383 Halothan 364 Hämagglutinin 416 Hämatopoese 303 Hämatoxylin 51, 102 Hämatoxylin-Eosin 51 Hämaturie 299 Hämgruppe 176 Hämocytoblast 302 Hämoglobin 34, 145, 175, 287, 360, 505, 538 Hämoglobinvariante 360 Hämorrhagie 362 Hämozoin 427 Hap2/GCS1 486 Haplont 124, 480, 482 Hapten 51 Harnsäure 385, 491 Harnstoff 4, 71, 94 Häutungshormon 95, 243 Hayflick-Grenze 126 Hbβ-Gen 35 HDEL 444 Hedgehog 358 Hefevakuole 338 Hefezelle 185, 275 Heilpflanze 383 Heilwasser 386 Hela-Zelle 126 Helicase 132 Helicobacter 85 – pylori 423 Helium, flüssiges 64 Helminthosporium 379 Heloderm 395 Hemera 161 Hemera-Protein 161 Hemidesmosom 83, 214, 369 Hemizellulose 448 Henneguy-Lenhossek-Hypothese 188 Henneguy-Lenhossek theory 168 Hepatica nobilis 384 Hepatitis B 404, 405 Hepatitis C 127, 405 Hepatocyt 142, 151, 152, 286 Heptapeptid, bicyclisches 379 Herbizid 434, 533 Herbstzeitlose 377, 385 Herpes 403 Herpesviren 373, 403, 405, 413 Herzinsuffizienz 388
H–H
Herzkrankheit 226 Herzmuskel 197, 286 Herzrhythmus 369 Heterochromatin 39, 111, 117, 319 Heterophagolysosom 332 Heterophagosom 332 Heterozygotie 124, 484 Hevea brasiliensis 185 Hexe 380 Hexokinase 513 Hexosaminidase 366 HflC/K 90 HIF-1 287 high affinity/low capacity CaBP 239 high capacity/low affinity Ca2+-Bindeprotein 269 high mannose-Form 52, 183, 443 high-performance calcium sensor 518 Hill-Reaktion 282 HindIII 129 Hippiekultur 392 Hippocampus 307, 308, 390, 510, 517 Hippo-Signalweg 297 Histamin 377 Histamin-H2-Blocker 226 Histamin-H2-Rezeptor 226 Histo-Blutgruppen-Antigen 79, 416 Histokompatibilitätskomplex 79, 81 Histon 112, 295, 305, 380, 509 Histonmodifikation 319 Histonprotein 104 Hitzeschockprotein 179 HIV s. auch HI-Virus 310, 406, 413, 422 HIV-Infektion 413, 425, 543 HI-Virus s. auch HIV 134, 310, 404, 406, 410, 413 Hochdruckeinfrieren 63 Hochleistungssport 542 Hoechst 33342 46, 50 Holzteil 458 Homo 477 – neanderthalensis 504, 505, 512 – sapiens 319, 476, 504, 505, 511, 512, 514, 519 – sapiens neanderthalensis 505 – sapiens sapiens 505 homo-cis/trans-Bindung 86 Homogenat 140, 334 Homöopathie 136, 386 Homoplasie 523 Homozygotie 124 Honigbiene 319, 386 Hormon 90, 196, 225, 226, 259, 309, 336 – adrenocorticotropes 196, 246 – antidiuretisches 245 – follikelstimulierendes 255, 259 – luteinisierendes 260 – Thyreoidea-stimulierendes 259 Hormonfreisetzungshormon 260 hot spot gene panel 136
600
Stichwortverzeichnis
Hox-Gen 487 Hsp70 179, 181, 513 Huanglongbin-Bakterium 424 Huflattich 434 Hühnereiweiß 422 Hühnersarkom 375 Humanbiologie 504 Humangenomprojekt 21, 298 human immunodeficiency virus 406 Hund 507, 519 Huntingtin 192 Huntington-Krankheit 192, 341, 344, 364 Huntington-Syndrom 368 HuR 265 Hurler-Syndrom 365 Hutchinson-Gilford-Syndrom 367 Hybridoma-Zelle 53 Hydratisierung 143 Hydrogenosom 495 Hydrolase 48, 313, 448 Hydrolyse 282 – des Wassers 271 Hydroxylapatit 242 Hydroxylierung 151, 152, 363 Hydroxylierungsenzym 143 Hylemorphismus 103, 301 Hyoscyamus niger 382 Hypercholesterinämie, familiäre 336 Hyperglykämie 259 Hypericum perforatum 384 Hyperkeratose 370 – palmoplantare 370 Hyperthermie, maligne 364 Hypertonie 389 Hypertrichose 244 Hyperzyklus 472, 473 Hypokinese 374 Hypophyse 194, 259 Hypophysenmittellappen 196 Hypophysenvorderlappen 126 Hypothalamus 244, 519 hypoxia inducible factor 287 Hypoxie 287
I 125I
77
125I-Insulin
59
125I-Markierung
59 iatrogene TSE 323 I-cell disease 365 Ichthiophthirius multifiliis 81 IES 321, 541 IFT-Komplex 169 Ig-Domäne 86, 87, 487, 508 IgE-Rezeptor 196
IgG 53 Ilford-L4-Kernemulsion 57 Illumina NovaSeq Technologie 131 immobilization antigen 81 Immunabwehr 363 Immunantwort 246, 432 – humorale 211 – zelluläre 190, 212 Immunbremse 298 Immuncytochemie 332 Immundefizienzvirus 126, 309 – humanes s. auch HIV Immundiagnostik 83 Immunfärbung 55 Immunfluoreszenz 146 Immunglobulin 207, 485 – E 196 Immunhistochemie 53, 54 Immunität, angeborene 424 Immunlokalisation 119, 131 Immunmarkierung 48, 340 – direkte 56 Immunofluoreszenz 183 Immunogold 448 Immunogoldlokalisation 183, 510 Immunogoldmarkierung 166 Immunophilin 432 Immunsuppressivum 376 Immunsystem 85, 309 Immunzelle 363 Imperatoxin 387 Impfserum 409, 410, 414 Impfstoff 130 Impfung 30, 409, 410, 414, 423 – molekularbiologische 412 Importin 119, 120 Importmaschinerie 497 Importrezeptor 164 Index librorum prohibitorum 123 Indolylessigsäure 461 induced pluripotent stem cel 303 Infektionsbiologie 420 Infektionszyklus, kryptischer 415 Influenzaviren 403, 405, 415, 416 Innenmembranpotenzial 497 Innenohr 454 Innenohrschwerhörigkeit 135, 360, 369 innere Uhr 253 inner membrane complex 176, 426 Inositol-1,4,5-trisphosphat 226, 258 inotrop 388, 430 Insekten 250 – holometabole 340, 345 Insektensterben 391 Inselorgan 488 In-situ-Hybridisierung 132 InsP3 88, 197, 226, 232, 258
601 Stichwortverzeichnis
InsP3-Rezeptor 121, 232, 426, 427, 454, 475 InsP3-Signalweg 462 Instituto Nacional de Metrologia 34 Instituto Venezolano de Investigaciones Científicas 284 Institut Pasteur 30, 411, 413 Insulin 130, 146, 253, 259, 336, 487, 488 insulin-like growth factor 309 Insulinmolekül 195 Integrin 83–85, 215, 485, 486 Interferenzmikroskop 47 Intermediärfilament 83, 116, 117, 213 internal eliminated sequence 320, 321, 541 Interphase-Kern 102, 125 Interzellularraum 82 intraflagellar transport 356 intraflagellar transport complex 169 Intron 114, 116, 128, 361, 475, 477 Intussuszeption 151 In-vitro-Expression 131, 245 In-vitro-Fertilisation 371, 543 Inzucht 124 Inzuchtschaden 124 ion beam milling 65 Ionencarrier 429 Ionen-Halbleiter-Sequenzierung 131 Ionenhomöostase 93, 450, 453, 487 Ionenkanal 74, 417, 419, 429, 453, 454, 517 Ionenpumpe 74, 270, 280, 387 Ionenregulation 452, 453 Ionomycin 430 Ionophor 376, 429, 430 ionotrop 250, 254 ion semiconductor sequencing 131 ion torrent sequencing 131 iPS-Zelle 303, 305, 306 IRE1 153 Isoniazid 422 Isopren 185 Isoprensynthese 496 Isoprenylierung 177, 178, 185 Isotop, α-strahlendes 58 I-Zell-Krankheit 365
J Jacobaea vulgaris 434 Jakobsgreiskraut 434 Janusgrün B 50 Jardiance 93, 259 Jasmonat 445 Jasmonsäure 457 Jasplakinolid 376 Jodnaphthalen Azid 77 Johannes-Evangelium 288 Johanniskraut 384
Joubert-Syndrom 359 Judentum 537 junctional complex 82 junk DNA 22, 315, 514 Jurkat-Zelle 91, 195
K K.-o.-Tropfen 382 K+-Kanal 355, 386, 387 K+-Konzentration 227 K+-Transporter 429 Kadavergestank 288 Käfigverbindung 518 Kahlkopfpilz 382 Kairomon 456 Kalaupapa 28 Kambium 293, 303 Kanal – druckempfindlicher 454 – mechanosensitiver 91 Kanalhemmer 383 Kanalisation 26 Kannibalismus 323 Kapazität, elektrische 73 Kaposi-Sarkom 310 Kapsel 78, 105 Kapverdische Inseln 543 Kardiomyopathie, arrhythmogene 369 Karpell 123 Kartagener-Syndrom 356–358, 531 Karyogramm 110, 122 Karyokinese 293 Karyopherin 120 Kastration 244 Katabolismus 340, 343, 345 Katalase 143, 152, 162–164, 370, 491 Kathodenstrahloszillograph 7, 65 KDEL-Sequenz 183, 444 Kearns-Sayre-Syndrom 371 Kegelschnecke 387 Keim, multiresistenter 31, 423 Keimbahn 104, 292, 306, 319, 483 – menschliche 134 Keimbahnmutation 359 Keimblatt 166, 449 Keimplasmatheorie 103 Keimung 498 Keimzelle 104, 319 Keratin 83, 213, 369, 370, 385, 463 Keratose 531 Kern-DNA 101 Kerngenom 103, 505 Kernlamina 116, 117, 367 Kernlokalisierungssignal 119 Kernmagnetresonanz 77, 121
J–K
602
Stichwortverzeichnis
Kernmembran 116–119, 486 – äußere 150 Kernpore 95, 117–121, 128, 246, 476 Kernporenkomplex 118, 119 Kernspinresonanzspektroskopie 144 Kernteilung 113, 114, 116, 293–295 Ketamin 382 Keuchhusten 418 Kiefergelenk 515 Killerzelle 413 Kinase 91 – cyclinabhängige 294 – rezeptorartige 460 Kindbettfieber 31, 539 Kinderlähmung 405 Kinematographie 199 Kinesin 169, 189, 192, 193, 359, 500, 502 Kinetin 460 Kinetochor 295 Kinetochormikrotubulus 295 Kippschalter 192 Kisspeptin 255 Klinefelter-Reifenstein-Albright-Syndrom 354 Klon 53 Klonierung 447, 538, 543 Klonschaf 300 Klostergärtlein 384 Knochenfisch 255, 514 Knockout 122 Knockout-Experiment 131, 133, 134 Knollenblätterpilz 379 Koazervat 471 Kochsalzlösung – isotone 70 Kode – genetischer 107 Kodierung – organellautonome 497 Koffein 233 kognitive Leistung 509 Kohlenstoffdioxid 272, 274 Koleoptile 461, 462 Kolibri 286 Kolkrabe 544 Kollagen 153, 215, 261, 343, 362 Kollagenfibrille 362 kolloidales Goldkonjugat 55 kommissurales Neuron 218 Kompartiment – endosomales 206 Komplex – synatonemaler 297 kondensierende Vakuole 195 Konformationskrankheit 364 Konjugation 105, 321, 482, 483, 486 Konjunktivitis 403 konstitutive Exocytose 168, 191, 194
Konstrukt 129, 130 Kontakt – neuronaler 511 Kontaktzone – neuromuskuläre 58, 192, 249 Kontraktion 430 Kontrastierung 38 Konversionsmodell 153 Kopfniere 523 Koppelungskomplex 285 Kopplung, elektrotonische 368 Kopplungsfaktor 278, 496, 500 Kopplungsgruppe 101, 114 Koran 288, 322 Kork 449 Kormophyta 481 Körperstammzelle 304 Kotransport 74 Kraft 358 Kraftschlag 193 Krallenfrosch 80, 300, 539 Krankheit 351 – molekulare 361 – neurodegenerative 343 Krankheitserreger 26, 27 Krebs 83, 85, 135, 262, 278, 288, 292, 295, 299, 303, 308, 312, 358, 378, 403, 434, 435, 533 Krebszelle 212, 217, 308 Krebs-Zyklus 279, 535 Kriegswaffenkontrollgesetz 7, 35, 392 Kristallin 343 Kritisch-Punkt-Trocknung 64 Krustenechse 395 Kryoelektronenmikroskop 77, 145 Kryoelektronenmikroskopie 78, 94, 125, 203, 245, 454, 495 Kryofixation 42, 61, 84, 89, 119, 199, 207, 208, 237 Kryomethode 61 Kryoschnitt 55 Kryostatschnitt 55 Kryoultramikrotom 55 Kryptogame 482 Kugelfisch 393 Kuhpocken 409 Kulturpflanze 450 Kupffer-Sternzelle 142 Kuru-Krankheit 323 Kuschelhormon 254 Kybernetik 269
L Labroides dimidiatus 509 Labyrinth, basales 157, 281 Lachgas 395 Lactoperoxidase 59, 77
603 Stichwortverzeichnis
Ladung 144 Lagerpflanze 481 Laktase 505 Laktation 254 Lamarckismus 316 Lamblienruhr 495 Lamin 116, 295 Lamina, extrazelluläre 86 Laminin 369 Landpflanze 486, 494 Langerhans-Inselzelle 254 Langmuir-Trog 71 Langzeitpotenzierung 517 Lanthan 82 Lanzenotter 313 Laserdesorption/Ionisation – matrixunterstützte 145 Laserrastermikroskop, konfokales 45, 228 last eukaryotic common ancestor s. auch LECA 476 last universal common ancestor s. auch LUCA Latenz 331 Lateralsklerose, amyotrophe 344, 364 Latrodectin 393 Latrodectus tredecimguttatus 393 Latrophilin 515 – -2 393 Latrotoxin 393, 515 Latrotoxinrezeptor 393 Latrunculin 379, 431 Lazarow-Fujiki-Modell 163 lck 91 LDL 194 L-DOPA 247 L-Dopa 248 leader sequence 160 Lebensmittelvergiftung 419 Leberblümchen 384 LECA 476, 492 Lecanemab 373 Lederhaut 362 Legionella pneumophila 493 Legionelle 532 Leishmania 531 Leitenzym 80, 143, 164, 212, 331, 332 Leiterdesmosom 83, 487 Leitgefäß 481 Leitsaum 217 Leitsequenz 132 Leitsubstanz 143 Leitungsbahn 425 Lektin 52, 78, 180, 182, 184, 313, 338, 430, 444, 485 Lektinrezeptorkinase 446 Lentiviren 412 Lepra 26, 27 Leprosenheim 28 Leptin 167 Leptinresistenz 167
Lercanodipin 387 Lernen 218, 518 Lernprozess 516 Letalfaktor 124, 417 Letalitätsrate 409 Leuchtkäfer 164, 370 Leukämie 306, 310 Leukocyt 216 Leukoplast 161 Levanteotter 195, 313 Lewy-Körperchen 375 Liberibacter africanus 424 Lichtmikroskop 40, 44, 45, 50 Lichtreaktion 282, 283, 478 Lichtsammelkomplex 283 Lichtsammelreaktionszentrum 284 Lichtstreueffekt 143 Liebeshormon 254, 518 Ligand 55, 205, 226 Ligase 129 light harvesting complex 283 limitierte Proteolyse 160, 182, 244 Limp-2 332 LIMP-Protein 144 Limulus-polyphemus-Agglutinin 52 Linksherzinsuffizienz 264 Lipase 313, 331, 449 Lipid 7 lipid bilayer hypothesis 72 Lipiddoppelschicht 71, 73, 87 Lipid-Nanopartikel 412 Lipidsenker 163 Lipofectamin 130 Lipophilie 71 Lipoprotein 336 Lipoproteinkomponente 417 Lipoproteinpartikel 142 Listeria monocytogenes 31 Listeriolysin 31 Listeriose 31 lncRNA 316 Lokalisierungssignal 177 Lollipop 276, 281, 431, 500 Longin 443 Longindomäne 443 long non-coding RNA 316 long-term potentiation 218 low affinity/high capacity CaBP 239, 240 Lowicryl 54 LSD 381 LUCA 474 Luciferase 164, 370 Lucifer Yellow 53 Lues 32 Lungenpest 35, 409 Lustempfinden 390 Lycosa tarantula 393
L–L
604
Stichwortverzeichnis
Lymphocyt 91, 126, 190, 343 Lynen-Spirale 279 Lysergsäurediethylamid 382 Lysosom 7, 39, 44, 51, 79, 80, 142, 143, 153, 185– 187, 209, 330, 332, 333, 336, 338, 341, 365, 421, 422, 540 – primäres 209 LysoTracker 51 Lysozym 422 Lytta vesicatoria 418
M M6P s. Mannose-6-phosphat M6P-Rezeptor 185, 365 Macrocyclon 422 macrophage C-type lectin mannose receptor 421 Macrovipera lebetina 195, 313 Madin-Darby canine kidney cells 190 Magenkrebs 423 magnetofection 130 Mais 451, 459 major histocompatibility complex 211, 336 Makroautophagie 340 Makronukleus 46, 320, 321, 483, 541 Makrophage 211, 216, 332, 346, 366, 422, 428 Makropinocytose 205, 414 Malaria 4, 32, 34, 81, 176, 361, 425, 536, 537 Malaron 425 MALDI 145 Malpighi-Gefäß 157 Mamba 313 Mammut 432 Mammutbaum 448 Mandragora officinarum 382 Manis pentadactyla 407 Mannose-6-phosphat 177, 185, 365 Mannose-6-phosphat-Rezeptor 336 mannose trimming 52 Mannosyltransferase 365 MAP1CC 193 MAP-Kinase 261 MAPK-Kinase 417 Marburgvirus 404 Marderhund 407 Marfan-Syndrom 361 Markham-Analyse 143 Markierung 50, 52 – indirekte 56 – optogenetische 308 – radioaktive 57, 192 Marmota marmota 247 Masern 31, 404 Masernvirus 129, 405, 410 Mastektomie 376 Mastzelle 194, 196
mating type 320 Matrix, extrazelluläre 261, 309 Matrixkomponente, sulfatierte 191 Matrixprotein 166 Maul- und-Klauenseuche-Virus 405 MDCK 190 Mebendazol 433 Mechanorezeptor 454 mechanosensitive channels of large conductance 454 Medizin 384 – chinesische 384, 391 MeDP2-Gen 355 Meerrettichperoxidase 48, 78, 192 Mehrfachmarkierung 54 Meiose 297, 483 MEK 261 Melanin 248, 490, 505 Melanom 211, 298, 310 Melanosom 490 Melanotropin 196 Melatonin 252 Melittin 181, 387 Membran 70, 404 – lysosomale 144 – postsynaptische 248 membrane fusion 415 membrane-intercalated particle 76 Membranfusion 50, 198, 201, 338, 414, 444, 453 – proteinvermittelte 204 Membrankompartimentierung 93 Membrankomplex 513 – innerer 33 Membranpore 94 Membranpotenzial 73, 160, 279 – elektrisches 160 – mitochondriales 286 Membranprotein 76, 144 – intrinsisches 76 Membranrecycling 50 Membranrezeptor 55 Membrantransporter 160 Mensch 504, 511 – moderner 512 Mentormethode 317 Meristem 303 Mesenchym 302 Mesenterium 167 mesolimbischen System 390 Mesosom 15 messenger-RNA s. mRNA metabotrop 250, 254 Metalloendoprotease 419 Metalloprotease 313, 314 Metamorphose 346 Metaphase 110, 113, 122, 295, 354 Metaphaseplatte 295, 296 Metastase 83, 218, 308, 341
605 Stichwortverzeichnis
Metastasenbildung 261 Metazoen 238, 321, 476, 486, 488 Metformin 259 Methacrylat 43, 54 Methode – biochemische 140 – elektrophysiologische 235 – molekularbiologische 131 – morphometrische 54, 151 – optogenetische 59, 61, 518 Methodenkombination 141 Methylenblau 51 Methylierung 178, 315 Methyltransferase 247, 325 Mevalonsäure 185 Mezerein 418 MHC 211, 343 – I 79 Miasma 3, 26 Micrasterias 448 microbody 44, 162 Microcystin 417 micro-RNA 299, 315, 319, 462 microtubule organizing center 189 midbody 447 Mikroautophagie 340, 341 Mikrodomäne 77, 87, 89, 90, 92, 323, 415, 433, 523 – flache 89, 91 Mikrofibrille 448 Mikrofilament 214, 215, 308, 377, 379 Mikrofilamentsystem 379 Mikrogliazelle 346 Mikronemata 33 Mikronukleus 46, 483, 541 Mikroskop 2, 10, 301 Mikroskopie 10 Mikrotomie 103 Mikrotubulus 117, 176, 191, 344, 357, 377, 378, 385, 433, 500 – axonemaler 178 Mikrovillus 152, 157, 214, 281 Milchfett 194 Milchmädchen 409 Milchsäuregärung 277 Milzbrand 26, 416, 417 Milzbranderreger 3 Mimosa pudica 456 Mimose 456 Mineralocorticoid 246 miRNA 299, 315, 462 mirror self-recognition 509 Mitochondrienersatztherapie 371 Mitochondrienmatrix 166, 279 Mitochondriopathie 371 Mitochondrium 39, 50, 95, 142, 143, 155, 156, 177, 181, 270, 271, 274–277, 279, 281, 284, 286, 287,
M–M
292, 335, 336, 357, 364, 370, 371, 374, 380, 383, 431, 442, 449, 477, 488, 492–494, 496, 500, 541 mitogen-activated protein kinase 261 mito-micro-RNA s. mitomiRNA mitomiRNA 317 Mitophagie 51, 374 Mitose 293, 295, 486 Mitose-Förderfaktor 294, 295 Mitoseregulator 262 mitosis (maturation) promoting factor 294 Mitosom 495 MitoTracker 50 Mittellamelle 448 MLCK 265 Mn-SOD 491 Modellierprotein 122 Modellorganismus 21 Modellsystem 21, 130, 196, 216, 217, 251, 292, 295, 345, 347, 360, 402, 415, 462, 530, 532 Modifikation 128 – posttranslationale 128, 176–178, 365, 477, 511 Mohn 391 Mohnpflanze 391 molecular modeling 226, 534 Molekularbiologie 403 – zentrales Dogma 127, 177, 212 Molekulargewicht 143, 144 Mondschein-Protein 513 Monensin 196, 430 Mongolismus 354 monokont 476 Monokonta 489 monolayer cultures 63 Monooxygenase 151 Monosiga brevicollis 476 Moos 454, 498 Moosfarn 482, 494 Morbus – Alzheimer s. auch Alzheimer-Krankheit 324 – Gaucher s. auch Gaucher-Krankheit – Parkinson s. auch Parkinson-Krankheit 375 – Zellweger s. auch Zellweger-Krankheit Morphin 391 Morphium 391 Morpholino 132, 133 Morulastadium 300, 301 Motoneuron 249 Motor, molekularer 500 Motorprotein 167, 189, 192, 500 MPF 294 mRNA 104, 114, 119, 128, 130, 132, 141, 155, 231 mRNA-Impfstoff 412 MscS-like-Kanal 454 mtDNA 101, 156, 276, 292, 371, 492, 494, 504 MTOC 189 Mukolipid 365 Mukopolysaccharid 216
606
Stichwortverzeichnis
Mukopolysaccharidose 365 Mukoviszidose 80, 364 multivesicular body 92, 332, 338, 341, 344 Multiwell-Analyse 131 Mumps 404 Murein 13, 422, 433 Mureinsacculus 13, 424, 428, 431, 475 Muscarin 392 Muskelarbeit 270 Muskeldystrophie 361 Muskelkontraktion 227, 229 Muskelzelle 228, 249 Mutagenese 490 – zielgerichtete 119 Mutation 309 – AGO1 319 Mutationsrate 509 Mutter-Kind-Bindung 519 Mutterkorn 381 MVB 341 Myasthenia gravis 55, 314, 389 Mycobacterium – leprae 27, 85 – tuberculosis 3, 29, 421 Myelinscheide 77 Mykoplasma 14 Myocyt 229, 314 Myoglobin 145 Myosin 213, 214, 229, 500, 502 – A 176 Myosin-leichte-Ketten-Kinase 346 myosin light chain kinase 217, 265 Myosinmolekül 229 Myosinmotor 193 Myxobakterien 433
N N2a-Zelle 126, 195 Na+/Ca2+-Austauscher 388, 501, 503 Na+/Glukose-Transporter 259 Na+/H+-Antiporter 430, 452 N-Acetylglukosamin 183, 443 N-Acetylmuraminsäure 13 N-Acetylneuraminsäure 78 Nacktmull 293 Nacktsamige s. auch Gymnospermen NAD/NADH 278 NAD 278 Nadelhölzer 482 NADH 278, 279, 282 NADP 233, 277 NADPH 283 Nagana-Krankheit 32, 425 Naja 314 – atra 314 – naja 314
Nanomaschine 181 Nanomotor 180, 500, 502 Nanopartikel 134, 394 nanopore sequencing 131 Narkose 395 Naturkautschuk 185 NCAM 84, 86, 508 – neuronale 84 ncRNA 315 Neandertaler 504, 512 Nebennierenmark 126, 192, 194, 198 Nebenschilddrüse 242 Nectin 86 Negativkontrastierung 115, 143, 281, 284, 403 Negativkontrastverfahren s. Negativkontrastierung Neisseria gonorrhoeae 31 Nematode 250 Neocortex 515 Neofunktionalisierung 513, 541 Neoglykoprotein 52 Neolamarckismus 317, 319 neolithische Revolution 451, 505 Neonikotinoid 391 Neopallium 509 Neosalversan 417 Nervenendigung 190, 192 Nervensystem 216, 511 Nesselqualle 248, 377 N-Ethylmaleimid-sensitiver Faktor (NSF) 204, 338 Netrin 215, 218, 508 Neufunktionalisierung 541 Neugeborenes 288 Neuraminidase 416 Neuraminsäure 414, 416 Neurexin 85, 515 Neuroblastom 342 Neuroblastomzelle 126, 195 Neurofbrillenbündel 372 Neurofilament 213 Neurogenese 308 Neurohypophyse 519 Neuroligin 85, 515 Neuron 190, 215, 231, 293, 364, 366, 427, 516–518 – dopaminerges 374 – kommissurales 218 – retinales 307 Neurospora crassa 21, 105, 156 Neurotransmission 30, 35, 169, 200, 248, 314, 387, 389, 419 Neurotransmitter 7, 226, 247, 248, 375, 489, 534 Neurotransmitter-Reuptake 250 Neurotransmittervesikel 186, 187, 190, 194 neutrophil extracellular trap 427 New York Times 473 next-generation sequencing 131 NFAT 432 N-Formyl-Methionin 159, 493 N-Glykosylierung 78, 183
607 Stichwortverzeichnis
Nichtgleichgewichts-Thermodynamik 269 nick translation 132 Nicotiana tabacum 159, 391 Nidation 380 Niemann-Pick-Syndrom 365 Nierenkrankheit, polycystische 356, 359 Nifedipin 387 Nike Oregon Project 542 Nikotin(amid)adenindinukleotidphosphat s. auch NADP 277 Nikotin 391 Nitella flexis 456 Nitrat 263 Nitroglycerin 263 NLS 120 NMDA 517 N-Methyl-D-Aspartat s. auch NMDA NMR s. auch Kernmagnetresonanz 201 NO s. auch Stickstoffmonoxid 461, 498 Nobelpreis 5–7, 21, 29, 30, 32, 41, 43, 45, 49, 51, 53, 56, 60, 78, 79, 93, 104, 105, 107, 108, 111, 114, 121, 125, 126, 129, 134, 135, 140, 142, 145, 146, 153, 157, 163, 176, 180, 182, 191, 204, 205, 211, 226, 227, 229, 233, 234, 238, 243, 246, 248, 253– 256, 258, 260, 264, 265, 269, 275, 278–280, 282, 284, 287, 292, 295, 298, 300, 310, 313, 323, 331, 333, 336, 337, 341, 343, 346, 358, 363, 372, 375, 389, 390, 394, 403, 405, 410, 412, 413, 423, 459, 472, 474, 500–502, 505, 515–518, 521, 533, 535– 540 Nocodazol 377, 378 Nodal 358 Nofertil 381 non-coding RNA 315 Noradrenalin 247, 390, 488 Northern Blot 146 Nosema apis 4 Nosema bombycis 4 NO-Synthase 498 NOTCH-Gen 136 Nozizeptor 394 NSF 204, 338 NSP4 413 NSP4-Toxin 414 nuclear export signal 119 nuclear factor activating T-cell 432 nuclear localization signal 119, 120 nuclear magnetic resonance 121, 144, 201 nucleom network 116 Nucleus accumbens 390 Nukleationskeim 188, 192 Nukleinsäure 104, 274, 471 Nukleocapsid 405 Nukleoid 15, 16 Nukleolus 51, 102, 125, 295 Nukleolusorganisator 125 Nukleoporin 119, 120
Nukleosom 112, 113, 122, 346 Nukleotid 104 – cyclisches 63, 454, 489 Nukleotidabfolge 141 Nukleotidcyclase 90, 238 Nutzpflanze 542 Nutztiere 542 Nycodenz 142 Nyctereutes procyonoides 407
O O2-Konzentration 157 O2-Versorgung 312 Oberflächenantigen 81 Oberflächengeometrie 64 Oberflächenkomplex 200 Oberflächenrezeptor 59 Oberflächenspreitungsmethode 115 Occludin 82 Ochratoxin 151 Ödem 387 Ödemfaktor 417 O-Glykosylierung 361, 443 Ohnologe 204 Okadasäure 417 Oktapeptid, bicyclisches 379 Öl, ätherisches 384 Oleosom 449 Oligomycin 431 Oligonukleotid 141 Omega-(ω-)Conotoxin 387 ω-Conotoxin s. Omega-(ω-)Conotoxin OMP 160 onkogen 405 Onkogen 406 Onkogenese 126 Onkoviren 375 Oocyte 132, 210, 294 Operon 121 Opiat 245 Opiatrezeptor 245, 390 Opioid 245, 311, 534 Opium 391 Orai/Stim 197 Orai 199 Orakel 382 Orellanin 522 Orexin 252 Orgasmus 382 Orientierungsreaktion, aktive 509 Ornithin-Decarboxylase 343 Ornithorhynchus 482 Orthologe 512 Orthopoxvirus bovis 409 OSCA-Ionenkanal 454, 456
O–O
608
Stichwortverzeichnis
Osmatester 73 Osmium 40 Osmiumtetroxid 39, 42, 274, 357 OsO4 s. Osmiumtetroxid Osteogenesis imperfecta 362 Östrogen 243 Ouabain 388 ouabain-like compound 388 outer membrane protein 160 Ovarialkrebs 376, 378 Oxalacetat 279 Oxidase 48, 490 Oxidoreduktase 428 Oxidoreduktion 383 Oxidoreduktionsschritt 277 Oxygenase 490 Oxysom 73, 284, 285 Oxytocin 254, 381, 390, 518–520 Oxytocinrezeptor 257
P P450-Monooxygenase 490, 491 p53 135, 262, 309 Paarungsfaktor 320 Pachytän 297 Paclitaxel 378 Palenque 391 Palliativmedizin 311, 391 Pallium 509 Palmitoyl-Coenzym A 155 Panaschierung 371 Pandemie 407 Pandinus imperator 387 Pangenesis 103 Pankreas 58 – endokrines 194, 488 – exokrines 194, 195, 313 Panspermie 103 Panspermietheorie 469 Pan troglodytes 514 Papaver somniferum 391 Papillomaviren 309, 310, 356, 375, 403, 405, 410 Papua-Neuguinea 323, 354, 389 Parabiose 179 Parallelismus, psychophysischer 390 Paramecium 46, 62, 63, 81, 169, 189, 196, 199, 200, 202, 204, 208, 219, 231, 235–238, 240, 285, 316, 319, 320, 351, 356, 360, 420, 426, 427, 432, 443, 477, 483, 489, 493, 509, 511, 521, 523, 531, 532, 539, 541 – caudatum 236 – tetraurelia 21, 81, 169, 197, 199, 228, 237, 320, 321, 371, 378, 500, 508 Paramyxoviren 414 Parasiten 135
Parathormon 242 Parathyreoidea 242 Parbendazol 378, 433 Pärchenegel 433, 434 Parkin 343, 374 Parkin-Gen 343 Parkinson-Krankheit 259, 304, 306, 308, 343, 344, 374 Parthenogenese 484 Partnerbindung 254, 519 Parus atricapillus 308 Paschen-Körperchen 403 Patch-Clamp-Analyse 199, 207, 235, 238, 457, 535 Patch-Clamp-Elektrophysiologie 21 PAT-Familie 166 Pathogenität 372, 412, 423 Patient, immundefizienter 199 Patulin 422 PC12-Zelle 126 PCR 129, 130, 141 PDE5 265 PDGF 216 PDR-Protein 162 Pébrine-Krankheit 3 Pediculae cristae 280 Pektin 448 P-element induced wimpy testes 319 Pembolizumab 298 Penicillin 30, 417, 428, 431, 539, 540 Penicillium 539, 540 – chrysogenum 539 – notatum 539 Peniserektion 263, 520 Penisknochen 385 Peptid, cyclisches 254 Peptidbindung 126 Peptidhormon 461 Peptidoglykan 13, 419, 428 Peptidyl-prolyl-cis-trans-Isomerase 180 Perforin 191 peribiliary dense body 335 Perilipin 166 permeability transition pore 286 Permeation 71 Peroxid 492 Peroxidase 54, 55, 152, 192, 208, 394, 448 PEROXIN11 (PEX11) 165 Peroxisom 39, 44, 127, 143, 152, 162, 164, 166, 279, 370, 442, 499 peroxisomale Störung 370 personalisierte Krebsdiagnostik 129, 130 personalisierte Krebsimmuntherapie 309 Pertussis 257 Pest 27, 31, 416, 431 PET 312 Petal 123 PEX-Protein 163–165
609 Stichwortverzeichnis
– PEX16 163 – PEX5 164 Pfad, regulierter sekretorischer 183 Pfeilgift 383, 388, 389 Pflanzen 19, 123, 131, 252, 271, 275, 282, 299, 303, 339, 354, 371, 376, 490, 503 Pflanzenhormon 459, 461, 498 Pflanzen-Immunologie 446 Pflanzenneurobiologie 455, 456, 458 Pflanzenviren 405 Pflanzenzelle 85, 155, 189, 194, 440, 442, 498 Phagen-DNA 132 Phagocytose 30, 205, 210, 212, 216, 346, 363, 427, 476 Phagophor 337, 338, 340 Phagosom 46, 211, 331, 338, 421–423 Phalloidin 335, 379 Phallotoxin 379 Phäochromocytom 126 Pharao 124 Phase HII, hexagonale 201 Phasenkontrastmikroskop 47, 458 Phaseolus vulgaris 392, 442 pH-Differenz 279 Phenobarbital 151 Phenylalanin 247 Pheromon 243, 456, 483 Phloem 424, 458 Phlogiston 275, 383 Phoenix dactylifera 451 Phosphatase 48, 167, 294, 432 – 2B 453 – alkalische 80, 212 – saure 143, 331, 332, 340 Phosphatidylethanolamin 88 Phosphatidylinositid 214 Phosphatidylinositol-(PI-)Signalweg 136 Phosphatidylinositol-3,4,5-trisphosphat 217 Phosphatidylinositol 88 Phosphatidylserin 88, 346 Phosphodiesterase 265 Phospholipase 313 – A2 217 – C 80, 226, 258, 414, 428 – D 213 Phosphoproteinphosphatase 508 Phosphorwolframsäure 143 Phosphorylierung 90, 167, 178, 247, 253, 261, 508 – oxidative 271 Photinus pyralis 164, 370 Photokonversion 50, 53 Photolyse 282 Photonen-Fluoreszenzmikroskopie 308 Photophosphorylierung 282, 496 Photorespiration 166, 441 Photorezeptorzelle 87 Photorhabdus australis 433
Photosynthese 166, 271, 492 Photosystem – I 159, 282 – I und II 159 Phragmoplast 447, 498 Phthalat 394 pH-Wert 421 Physalia physalis 377 Physarum 433 – polycephalum 294 Physcomitrella patens 21 Phytochrom 161 phytochrome interacting factors 161 Phytohormon 457, 461, 498 PIF 161 PIK3CA 136 Pilum 16, 17, 424 Pilze 402 Pilzvergiftung 386, 522 PINK1 374 Pinocytose 205 PInsP2 226, 258 Pinzette, optische 357 Pisum sativum 160 PIWI-interagierende RNA 319 PKC s. auch Proteinkinase 178 Placebo 386, 534 Placozoa 486 Plakozoen 476, 487, 488 Plaque 324, 372 – senile 372, 373 Plaqueablagerung 336 Plaquebildung 324 Plasmalemma 70, 72 Plasmamembran 176 Plasmamembran-Ca2+-ATPase 33, 269, 453, 501 Plasmodesmos 85, 449 Plasmodium 4, 32–34, 81, 155, 425, 536, 537 – falciparum 425 Plasmolyse 71 Plastid 155, 157, 454, 494, 495 plastid-dividing ring 162 Plastik 394 Plastom 101, 104, 156 platelet-derived growth factor 216 platelet-derived growth factor receptor 136 Plazenta 300, 403 Plazentaschranke 404 Plazentatiere 403 PLC s. Phospholipase Plectasin 424 PMCA 240, 269, 453, 501 Pneumocystis – carinii 425 – jirovecii 425 Pocken 31, 410 Pockenimpfung 409
P–P
610
Stichwortverzeichnis
Pockeninfektion 403 Pockenviren 27, 35, 402, 405, 410 Podocin 523 Podocyte 523 Podospora anserina 320, 324, 539 Polio 410 Poliomyelitis 404, 410 Poliovirus 404, 405, 410 Polkappe 189 Polplatte 294, 463 Polyglukanfibrille 162 polymerase chain reaction 129 Polymerasekettenreaktion s. auch PCR 141 Polymerisation 176 Polymyxin 433 Polyploidisierung 451 Polysaccharid 447 Polysialinisierung 511 Polysom 118 Polyubiquitin-Bindeprotein RAD23 161 Polyubiquitinylierung 165 Pontinische Sümpfe 34 Pore 94 Porenbildner 160 Porin 76, 95, 159, 424 Porinprotein 160 Porphyrin 122, 283 Porphyromonas gingivalis 374 Portugiesische Galeere 377 Positionierungseffekt 321 Positronenemissionstomographie 312 Potamotrygon motoro 395 Potenzmittel 385 Potenzschwäche 265 power stroke 193 PP2B 432, 508 PPLO (pleuropneumonia-like organism) 14 Präexpositionsprophylaxe 134, 415 Präformationshypothese 301 Prägung, genomische 317 Präimplantationsdiagnostik 300 prä-mRNA 105, 114, 128, 317 Pränataldiagnose 369 Prä-Pro-Protein 195 Praziquantel 434 PrEP 134 Primärantikörper 56 Primärbild 41 Primärbote 253 Primärcilium 168, 358, 359 Primärenergie 271 Primärstruktur 180, 513 Primat 509, 514
Prinzip – antiphlogistisches 384 Prion 315, 531 Prionkrankheit 130, 341 Prionprotein 81, 92, 195, 212, 322, 514, 539 Pro-ACTH/Endorphin 196 Prochordat 487 Profilin 445 Progenot 474 Progeria – adultorum 368 – infantilis 367 Progerie 292, 367 – adulte 368 – infantile 368 Progesteron 380 Prohibitin 90 Prokaryoten 13, 338, 504 Prokollagen 155 Proliferation 323 Prolin 362 Prolyl-cis-trans-Isomerase 432 Prolylhydroxylierung 287 Promitochondrium 159 Promotor 514 Proopiomelanocortin 175, 196, 244, 245 Prophase 295 Proplastid 155, 157 Propranolol 226, 227 Pro-Protein 195 Prostaglandin 244 Protamin 317, 380 Protease 331, 346 Proteasom 42, 80, 145, 153, 211, 287, 330, 336, 338, 339, 341, 343, 344, 423, 461, 504 Protein – A 56, 91 – aktinassoziiertes 176 – BAZ1B 512 – centrinbindendes 168 – extrazelluläres 369 – extrinsisches 73 – GPI-verankertes 88, 92, 212 – GTPase aktivierendes 186 – integrales 72 – in vitro 175 – lösliches 144 – membranintegriertes 183 – mikrotubuliassoziiertes 193 – rekombinantes 75, 130, 141 – sialisiertes 508 Protein-A-Gold-Komplex 132 Proteincocktail 313
611 Stichwortverzeichnis
Proteindisulfidisomerase 180 Proteinexpression, ektopische 314 Protein-Isoform 316 Proteinkinase 90, 238, 460 – A 233, 247, 258 – AMP-aktivierte 157 – C 178, 226, 258 – Ca2+/Calmodulin-aktivierte 190 – Ca2+-abhängige 453 – cGMP-abhängige 508 – G 233, 264 Proteinphosphatase 238 Proteinpore 499 Proteinsequenzierung 146 Proteinsynthese 51, 253, 392, 393, 421 Proteintranslation 383 proteinvermittelte Membranfusion 204 protektives Antigen (PA) 417 Proteoglykan 261 Proteohormon 206, 253, 259 Proteolyse – limitierte 160, 182, 244 – partielle 128, 195 Proteomanalyse 119 Proteomics 119 Proteus anguinus 122 Protobiont 471 Protofilament 168, 357 Proton 278 Protonengradient 16, 280, 283 Protoonkogen 135, 262, 375, 485 Protoplasmaströmung 214 Protoplast 445 Protozoen 402, 476 – pathogene 32 Prozess – dynamischer 140 – entzündlicher 216 – sekundär aktiver 93 Prozessierung, proteolytische 195 PrPc 81, 92, 212, 322–324, 342, 344, 539 PRS1 163 Prymnesium parvum 376 PSA-NCAM 86, 511 Pseudomonas 393 – aeruginosa 418, 424 Pseudomurein 15 Pseudopeptidoglykan 15 Psilocybe 382 Psilocybin 382 Psilophyta 481 Psilotum 481 Psychedelikum 381 pTAC12 161 ptDNA 101, 156, 157, 161, 371, 477, 478 PTEN 136 Pteridophyta 481
Ptyalin 313, 505 Pubertät 346 Puccinium 450 Puff 95, 243 Puffbildung 111 Puffotter 313 Pulse-Chase-Experiment 58 Punktdesmosom 83, 214 Punktfusion 199 Pupille 382 Purkinje-Zelle 232, 508 Purpurbakterien 145, 477, 494 purse strings 420 Putrescin 343 Putzerlippfisch 509 Pyramidenneuron 509 Pyramidenzelle 232, 508, 517 Pyrazinamid 422 Pyrrolizidin 434 Pyruvat 278
Q Qualle 377, 484 Quantasom 284 Quartärstruktur 176, 180 Quenched-Flow/Kryofixation/Gefrierbruch 202 Quenched-Flow 63, 208 Querstreifung 213 Quotenregulierung 353
R Rabe 509 Rabiesvirus 405 Rab-Protein 186, 187 – Rab11 323, 336, 517 – Rab21 187 Rab-Typ-GTPase 144 Rad 16, 500, 501 Radikal 7, 271, 490, 538 Radioaktivität 57 Radioimmunoassay 59 Radiojodierung 59, 77 RAF 261 Raft 88, 89, 91, 168, 169, 359, 408 random collision model 285 Ran-GDP 120 Ran-GTP 120 Ran-GTPase 120 Ran-Protein 444 Ras-Protein 186, 375 Rasse 519 – reine 124, 520 Rasterelektronenmikroskop 7, 59, 64 Rasterkraftmikroskop 65
Q–R
612
Stichwortverzeichnis
Rastertransmission 145 Rastertransmissionselektronenmikroskop 65 Rastertunnelmikroskop 65 Rastertunnelmikroskopie 115, 357, 538 Rationalismus, kritischer 533 Rb-Gen 309 Rb-Protein 376 rDNA 130 reactive oxygen species 346, 374, 427 Reaktionszentrum, photosynthetisches 145 reassembly 167 Rechts-links-Asymmetrie 358 Recycling 92, 323, 336, 343 Recycling-Endosom 187, 206, 517 recycling endosome 92, 153, 336 recycling vesicle 92 Recycling-Vesikel 183 red tide 418 Reduktionsäquivalent 277, 278 Reduktionsteilung 297, 483 redundant nuclear membrane 119 Reggie/Flotillin 323, 517 Reggie 90, 332 – -1 91 Regulator 514 Regulator-Hypothese 85 Reifungsmodell 153 Reifungsseite 154, 184 Reis 505 Reizleitung 269 Rekombination 297 Rekombinationstechnik 130 Rekristallisation 61 releasing factor 255 releasing hormone 260, 535 Remdesivir 408 remodeling protein complex 122 Renin-Angiotensin-Aldosteron-Achse 258 Reoviren 405 Repeat/Spacer-Sequenz 132 replica 61 Replikat 61 Replikation, semikonservative 107 Reproduktionsmedizin 543 Repulsor 218 Repulsorfunktion 218 Repurposing 28 Reserpin 248 Resistenz 423, 425 Respiromanometrie 277 restriction point 293 Restriktionsenzym 129, 130 Retardierung, mentale 355 Reticulon-Superfamilie 181
Retikulum – endoplasmatisches s. auch ER 39, 42, 50, 56, 78, 117, 118, 150, 162, 163, 165, 166, 177–180, 183, 184, 195, 211, 233, 240, 281, 336, 338, 340, 392, 414, 418, 421, 430, 443, 449, 450, 454, 475, 491, 499, 517 – glattes endoplasmatisches 143 – raues endoplasmatisches 143, 150, 182 – sarkoplasmatisches 77, 153, 228, 229 Retina 87, 307 Retinoblastom 309 Retinoblastom-Protein 376 Retinopathie 359 Retromerkomplex 210 Retroviren 310, 403, 404, 406, 413 – onkogene 375 Rett-Syndrom 355 Rettungskompartiment 183 Rezeptor 205, 226, 247, 309, 313, 406, 534 – β-adrenerger 155, 254 – G-Protein-gekoppelter 91, 217, 242, 253, 257, 261, 358, 391, 393, 462, 515, 519 – GTP-Bindeprotein-gekoppelter 90 Rezeptor-Antagonist 413 Rezeptorkinase 461 Rezeptor-Ligand-Komplex 49, 145, 188, 205 Rezeptor-Tyrosinkinase 218, 375 Rheotaxis, negative 380 Rhinoviren 405 Rhizoctonia leguminicola 184 Rhodamin 51 – 123 50 Rhodaminderivat 54 Rhodopseudomonas viridis 284 Rhodospiridium toruloides 185 Rhoptrien 33, 196, 427 Rho-Typ-GTPase 363 Rhynia 481 RIA 59 Ribonuklease-P-Anteil 126 Ribophorin 151, 182 Ribose 104 Ribosom 145, 392, 475 Ribosylierungsfaktor 185 Ribozym 125, 126, 473 Ribulose-1,5-bisphosphat 272, 282 Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase 159, 272 Ricin 392 Ricinus communis 392 Ricinus-Samen 35 Riechepithel 394 Riesenaxon 227, 235 Riesenchromosom 110, 111 Rifampicin 422
613 Stichwortverzeichnis
Rinderwahnsinn 322 RISC-Komplex 319 RNA-Bindeprotein 317, 355 RNA-Hybrid 128 RNAi 130, 133 RNA s. auch mRNA – inhibitorische 133 – nichtkodierende 341 – regulatorische 514 – ribosomale 474 RNA-Interferenz 319 RNA-Polymerase 143, 379, 475, 500, 502 – ptDNA-kodierte 161 RNA-Retrovirus 375 RNase 331 RNA-Transkript 514 Robert Koch-Institut 422 Rohrzucker 449 Röntgenbeugung 41, 62, 72, 145, 229, 272, 284, 373, 513 Röntgendiffraktion 392 Röntgendiffraktometrie 77, 121 Röntgenfluoreszenz-Mikroanalyse 236 Röntgenfluoreszenzsignal 236 Röntgenmikroanalyse 62, 63, 237 – energiedispersive 236 Röntgenstrahlung 492 Röntgenstrukturanalyse 86, 87 ROS 346, 374, 427, 457 Rosette 448 Rosettenpartikel 202 Rostpilz 450 Rotalge 480 Rotationsmotor 16, 500, 501 Rotavirus 414 R point 293 rRNA 104, 125, 156, 159 – ribosomale 119 RuBisCo 272, 282 Rückenmarksverletzung 306, 308 Rückhaltesignal 183, 444 Rückstreuelektron 59 Ruhekern 102 Ruhepotenzial 456 – elektrisches 227 Ruthenium-Rot 78 Ryania 229 Ryanodinrezeptor 75, 229, 364, 387
S Saccharomyces cerevisiae 21, 155, 156, 159, 370 Saccharopolyspora erythraea 431 Saccharose 141, 449 Salicylsäure 498 Salix 498
Salmonella 420 – enterica 29 – enterica Serovar 420 – typhi 29, 420 Salpe 484 Salpeter 263 salvage compartment 155, 183 Salvarsan 30, 417 Salzsäure 423 Samenpflanze 481 Samojede 391 Sandhoff-Krankheit 365, 366 Sandrasselotter 313 Saponin 55, 200, 433 sarcoplasmic/endoplasmic reticulum Ca2+-ATPase 269, 501 Sark-Kinase 261 Sarkolemm 361 Sarkom 310 Sarkomer 229 Sarkosom 274 SARS-CoV-2 s. CoV-2-Virus SARS-CoV-2-Hauptprotease 407 SARS-CoV-2 spike glycoprotein 407 SARS-Virus 410 Sartan 258 Sas6a 188 Saubohne 57 Sauerkraut 363 Sauerstoff 7, 274, 489, 541 – reaktiver 346, 364, 375, 456, 491 Sauerstoffgehalt 271 Sauerstoffradikal 491, 499 Sauerstoffspezies – reaktive 457, 490 Sauerstoffverbindung – reaktive 152 Säugetiere 131, 316, 354, 482, 485, 509 Säugetiergehirn 307, 515 Säugetierretikulocyt 175 Säulenheiliger 27 Säureblocker 423 Sauromatum guttatum 286 Saxifraga aizoon 452 Saxifraga seguieri 452 Scaffolding-Protein 89, 90, 323 scanning electron microscope 64 scanning transmission electron microscope 65 scan RNA 321 SCAR 363 Scenedesmus 282 Schafgarbe 434 Schamane 376, 432 Schermesser 142 Schiffsschraube 16, 500, 501 Schilddrüsenhormon 95 Schimmelpilz 151, 540
S–S
614
Stichwortverzeichnis
Schimpanse 514 Schistosoma 433, 434 – mansoni 434 Schistosomiasis 434 Schizosaccharomyces pombe 294, 320 Schlafkrankheit 32, 167, 213, 425, 427 Schlagumkehr 236 Schlange 313 Schlangentoxin 314 Schleifendomäne 117 Schleimtransport 358 Schließzelle 455 Schlitzdiaphragma 523 Schlussleiste 82 Schmerzen 387, 395 Schmerzvermeidung 395 Schmerzwahrnehmung 395 Schmetterling 354 Schnabeltier 482 Schnupfenvirus 410 Schock, osmotischer 454 Scholastiker 507 Schönheitsideal 354 Schuppe 154 Schuppentier 407 Schwämme 487 Schwann-Zelle 249 Schwarzer Raucher 471 Schwarze Witwe 393 Schwebedichte 334 Schwefeleisen 471 Schwefelwasserstoff 471 Schwermetallbedampfung 115 Schwindsucht 29 Scinderin 214 Scleroderma 296 – pigmentosa 296 ScN2a-Zelle 195 Scrapie 322 Screeningtest 355 Sdk-Protein 87 Second Messenger 63, 228 Sec-Protein-Komplex 182 Sedimentationsverhalten 143 Seehase 516 Seeigelei 294, 297 Seele 506, 507 Seewespe 377 Sehsinn 257 Sehstäbchen 169 Sehzelle 359 S-Einheit 143 Sekretion, apokrine 194 Sekretorganelle 144 Sekretprodukt 56, 154 Sekretvesikel 58, 78, 153, 189, 191, 195, 427 Sekundärelektron 64
Sekundärstoffwechsel 376 Sekundärstruktur 180 Selachier 488 Selaginella 494 – helvetica 482 – selaginoides 482 Selbstassemblierung s. auch Self-assembly Selbstdomestifikation 513 Selbstmordköfferchen 334, 533 Selbststerilität 124 Selbstwahrnehmung 509 Self-assembly 127, 176, 473 Semliki-Forest-Virus 405, 414, 415, 430 Seneszenz 126 Sensitivität 58 Sepsis 31, 432 septate junction 83 Sequenzanalyse 131 Sequenz – SKL 164 – topogene 183 – zielgebende 533 Sequestrierung, kotranslationale 118, 151 Sequoiadendron giganteum 448 SERCA 33, 240, 241, 453, 501, 537 SERCA-Pumpe 427 Serin-/Threoninkinase 374 Serin/Threonin-Proteinphosphatase 417 Serinprotease 185, 313 – 2 407 Serotonin 247, 250, 251, 390, 395, 489, 533 serotonin reuptake inhibitor 251 Serotoninrezeptor 382 Serotonin-Wiederaufnahme 318 Serotonin-Wiederaufnahmehemmer 251, 318 Serpentin 472 Serumlipoprotein 194, 207 severe acute respiratory syndrome 406 Sex 321 Sexualhormon 95, 538 Sexualität 123, 124, 353, 482, 484, 485 sgRNA 134 SH2-Domäne 485 Shh-Gen 313 shibire-Mutante 206 Shiga-Toxin 392, 421 Shigelle 420 Shikimatweg 435 short interfering RNA 319 Shuttle 119 Sichelzellenanämie 34, 306, 360 Sicherheitsbestimmung 59 Sidekick-Protein 86 Signal 20 – elektrisches 20, 74, 226, 227 Signalamplifikation 90, 247, 255, 261 Signalgebung 225, 257, 261, 323, 487
615 Stichwortverzeichnis
– intrazelluläre 83 Signalhypothese 182, 497 Signalmechanismus 456 Signalmolekül 84 Signalpeptid 195 Signalpeptidase 182 signal recognition particle 182 Signalsequenz 164 Signalstoff 88 Signaltransduktion 88–90, 92, 93, 178, 191, 215, 226, 247, 253, 255, 257, 447, 489 Signaltransmission 253 Signaturenlehre 136, 383 Signatur – humanspezifische 514 Silberimprägnierung 49 Sildenafil 265 Silencer 514 Silencing 117, 132 – posttranskriptionales 130 Silikat 472 single guided RNA 134 single particle averaging 390 single stranded DNA 315 Singsprache 512 Singvogel 308, 512 Sinusoid 152 siRNA 132, 133, 315 site-directed mutagenesis 164 Situs viscerum inversus 358 SKL-Erkennungssequenz 164 Sklerotium 381 SKL-Rezeptor 370 SKL-Sequenz 177, 370 SKL-Zielgebungssequenz 166 Skorbut 363 Skorpion 387 Skorpiongift 387 SMAD 136 small interfering RNA 132, 315 small nuclear RNA 126 small RNA 319 small ubiquitin-like modifier 178 SNAP-25 420, 476, 487 SNARE 35, 163, 169, 185, 187, 197–199, 202–204, 209, 226, 248, 337, 338, 340, 419, 443, 444, 476, 487, 488 SNARE-Protein s. SNARE snRNA 126 SOC(E) 197 social gene 513 SOC-Mechanismus 238 sodium dodecylsulfat 146 SOD s. Superoxid-Dismutase Solipsismus 524 soluble N-ethylmaleimide sensitive factor (NSF) attachment protein receptor 199
solute carrier family 94 Soma 483 Sonic-hedgehog-(Shh-)Gen 313 Sorangium cellulosum 15, 378 Soronin 117 sorting by default 185 SOS5-Protein 486 Southern Blot 146 Spaltöffnung 453–455 Spalt – perinukleärer 121 – synaptischer 251 Spanische Fliege 418 Spannungsklemme 72, 227 Spannungsklemmtechnik 235 Speicherkrankheit, lysosomale 185, 366, 531 Spektralphotometer 144 Spektrin 116, 214 Spermatophyta 481 Spermatozoen 62, 504 Spermatozoid 480 Spermatozoon 357, 482 Spermiogenese 380 Spermium 301, 356, 380 SPFH-Domäne 91 SPFH-Superfamilie 90 S-Phase 57, 293, 295 Sphingolipid 88 Sphingomyelin 365 Spike 406, 515 Spine 232, 508–511, 515, 517 – dendritischer 510 spine 250 Spine-Apparat 510, 517 spine apparatus 517 Spirochäten 32 Spleißen 86, 128 – alternatives 316, 541 Spleißform 511 – alternative 515 Spleißosom 126 Spleißvariante 316, 511, 541 Spleißvorgang 475 Spodoptera litura 445 Spongiaria 487 spontaneous insertion model 181 Sporenpflanze 454 Sprachfähigkeit 512 spray freezing 62 Sprechvermögen 512 Spreitmethode 128 Spreitpräparat 114, 115, 143 Sprosspflanze 481 Sprühgefrieren 62, 63 Spuckbier 459 Spulwurm 483 Src 261, 309
S–S
616
Stichwortverzeichnis
Src-Kinase 92 Src-Kinasefamilie 90 SRP 182 SRP-Rezeptor 182 ssDNA 315 Stachelhäuter 255 Stachelroche 395 Stamen 123 Stammbaum, phylogenetischer 18 Stammzelle 103, 292, 299–301, 303, 304, 307, 308, 346, 369, 447, 457 – adulte 126, 302, 307 – embryonale 300, 302, 303 – mesenchymale 302 – neuronale 302, 308 Stammzellforschung 302, 538, 539 Stammzelltherapie 306 Staphylokokken 31, 85 Stärke 270, 459 Starrkrampf 419 Statin 163 Staubgefäß 122 Stechmücke 418 STED-Methode 45, 47, 48, 53 Steinbrech 452 Steinkohlelager 481 Stentor 321 Stereocilium 215, 454 Stereoisomer 471 Steroid 94 Steroidhormon 243, 244, 246, 255, 520 Stickstoffmonoxid 7, 263, 264, 461, 498 Stickstoffmonoxid-Synthase 263 – endotheliale 90 STIM 199 Stimmbruch 255 stimulated emission depletion 45 Stimulus-Kontraktions-Kopplung 227 Stimulus-Sekretions-Kopplung 197 Stoffaustausch, nukleocytoplasmatischer 120 Stofftransport, nukleocytoplasmatischer 444 Stoffwechselkrankheit 124, 360 Stolon 484 Stoma 453, 455 Stomatin 90, 523 Stoppkodon 107 store-operated Ca2+ entry 197 store-operated Ca2+ influx 197, 236 Störung – peroxisomale 370 – pleiotrope 359 Strahlenbiologie 491 Strahlenschaden 469 Strahlenwirkung – direkte 491 – indirekte 492 Strahlung, ionisierende 491
Stratum germinativum 303 Streptavidin 54 Streptococcus – aureus 35 – faecalis 502 Streptokokken 31 Streptomyces 431 – cinnamonensis 430 – conglobatus 430 – erythraeus 269 Streptomycin 28, 422 Stress 454, 460–462, 498 – oxidativer 126 Stressfaser 215 Strobilation 484 Stroma 157, 274, 283, 442, 478 Stromalamelle 157, 276, 442, 478 stromal interaction molecule 199 Stromatolith 469, 492 Strophanthus 388 Strychnin 389 Strychnos – nux-vomica 389 – toxifera 389 Styrenfarbstoff 50 Suberin 449 Substantia nigra 248, 374 Substitutionstherapie 367 Substratkettenphosphorylierung 271, 277 Subtilisin 185 Succinat 279 Succinat-Dehydrogenase 143 Suchtgift 390 Sulfatierung 178 Sulfonamid 28, 30, 428, 431 SUMO 178, 298 Sumoylierung 178 Superathleten-Gen 505 Superoxid-Dismutase 364, 491 super-resolution microscopy 48 Supertwist 114 suppressor of cytokine signaling 421 SV40-Viren 119 Svedberg-Einheit 15 Swainsonia 184 Swainsonin 184 Symbiose 493 Symbiosehypothese 492 Symbiosetheorie 167, 488 Symplast 450 Symport 74 Symporter 93 Synanceia verrucosa 395 Synapse 19, 85, 323, 511, 515, 517 – immunologische 190 – neuromuskuläre 389 Synapsin I 190
617 Stichwortverzeichnis
Synaptobrevin/VAMP 420 Synaptobrevin 476, 487 Synaptogenese 346 Synaptophysin 202 Synaptotagmin 196, 199, 200, 202, 204, 205, 210, 226, 239, 444, 453 Synchrotron 55, 145 Syncytin-1 404 Syncytin-2 404 Syncytio-Trophoblast 404 Syntaxin 420, 476, 487 – 1 200 Synthesephase 57, 293 Syphilis 26, 30, 31, 417 Systemin 461 System – limbisches 390 – offenes 269 Szintillationszähler 59
T Tabakmosaikvirus 403, 405 Tabakpflanze 391 Tabaksbeutelnaht 420 Taenia 433 Tag-Nacht-Rhythmus 252, 253 tail-interacting protein 166 Takifugu 393 Tannin 209, 357 T-Antigen 119 Tarantel 365, 393 Tarantella 365 Tarantismus 393 Tardigrada 179 Targeting 370 Targeting-Effekt 79 Targeting-Motiv 163 targeting sequence 497 targeting signal 128 Tarnung, molekulare 81 TatD-like DNase 427 Taufliege 5 τ-Protein 372, 373 Taurin 248 Taxol 378, 393 Taxus 378 – baccata 376 Tay-Sachs-Krankheit 365 TDP-43 374 Techn(ik)osom 15 Teichonsäure 13 Teilungsaktivität 319 Teilungsspindel 189, 294, 295, 378, 463 Teilungszyklus 295 Telomer 125, 126, 292, 368
T–T
Telomerase 125, 532 Telomererosion 292 Telomersequenz 125 Telophase 296 template DNA 131 Teonanacatl 382 Teosinte 451 teratogen 28, 410 terminal transferase 125 Tertiärstruktur 180, 513 Test, pränataler 354 Testosteron 542 Tetanus 30, 419 Tetanustoxin 35 Tetracyclin 28, 431 Tetrahydrocannabinol 391 Tetrahymena 121, 125, 168, 193, 319, 359, 511, 531, 532, 541 – pyriformis 189 – thermophila 21, 81, 126 Tetrapoden 484 Tetrodotoxin 393 TGF-β 136, 358 TGF-β-Signalweg 487 Thalamus 390 Thalassämie 360 Thalidomid 28 Thallophyta 481 Thapsia garganica 240 Thapsigargin 240, 241, 537 T-Helferzelle 211 Therapie – antiretrovirale 415 – individualisierte 135 Therapiemöglichkeit 136 Thermodynamik 270, 351, 472 Threonylrest 178 Thy-1 81, 86, 92, 508 Thylakoid 282 Thymus 125 thyreoidea-stimulating hormone-releasing hormone/ factor 260 Tibet 505 TIC 160 Tieftemperatureinbettung 54 Tiere 275, 503 Tierschutzgesetz 59 Tight Junction 82, 414 TIM 160, 495, 497 time-of-flight mass spectrometry 144 TIM-Transporter 160 TIP47 166 Titin 114 T-Killerzelle 211, 310 T-Lymphocyt 90, 92, 191, 195, 413 TMEM 456 TMPRSS2 407
618
Stichwortverzeichnis
TMV 403 TOC 160 Todessignal 346 Togaviren 413 Tollkirsche 382 Tollwut 405 Tolypocladium inflatum 432 TOM 160, 495, 497 Tomographie 285, 340 – elektronenmikroskopische 119 Tonmineral 471 Tonoplast 457 topologically associated domain 117 Topologie, funktionelle 140 Torpedo marmorata 80, 213 Totenstarre 286 Touristendiarrhö 418 Toxin 376, 395 – virales 413 Toxoplasma 32, 81, 155 – gondii 196, 425, 495 Toxoplasmose 176 Traberkrankheit 322 Trachee 448 Trachinus draco 395 transcriptional repressor 355 Transcytose 89, 90, 92, 207, 336 Transducin 257 Transfektion 75, 129, 133, 415 transforming growth factor 358 – beta 136 Transglykosidase 448 trans-Golgi-Netzwerk 177, 185, 209 trans-Komplex 515 Transkriptase, reverse 129, 310, 375, 405, 406, 415 Transkription 121, 422 Transkriptionsfaktor 116, 121, 135, 161, 262, 287, 300, 304, 309, 317, 325, 432, 478, 487, 498, 511, 512, 514 – ATF6 153 – CREB 516 – FOXP2 512 Translation 118, 121, 126, 141 Translationsprodukt, mitochondriales 216 Translocase 497 Translocase-Komplex 497 translocase of the outer/inner membrane 160 Translocaseprotein 497 Translocon 182 Transloconkomplex 160 translocon on the outer/inner chloroplast membrane 160 Transloconprotein 151 Transmembranbereich 76 Transmembrandomäne 77 transmembrane protease serine subtype 2 407 Transmembrankinase/Endoribonuklease 153
Transmembrankinase PERK 153 transmissible spongiforme Encephalopathie 322 Transmissionselektronenmikroskop 40, 41, 47 Transmissionselektronenmikroskopie 538 Transmitter 390 Transmitterfreisetzung 231 Transmittervesikel 231 Transphosphorylierung 121 Transplantation 432 Transport-ATPase 93, 189, 388 Transporter – aktiver 74 – passiver 74 Transport – nukleocytoplasmatischer 119–121 – orthograder 189, 192 – primär aktiver 93 – retrograder 153, 155, 192, 193 – saltatorischer 190 Transportprotein 340, 495 Transportprozess 487 Transportvesikel 154 – lysosomales 185 Transposon 122, 129, 319 Trefferhypothese 491 Trentepohlia aurea 493 Treponema pallidum 3, 31, 32, 85, 488 Treponema-pallidum 417 Triatoma 32 Trichinella spiralis 433 Trichiurus 433 Trichobilharzia 434 Trichocyste 63, 190, 191, 199, 209, 238, 427 Trichoplax adhaerens 487 Trichynin 191 Trikarbonsäurezyklus 278, 279 Trimethylamin 490 Triple-A-ATPase 204, 337–339, 502 Triplett-Kode 106, 107 Triplett-Repeat 364 Triskelion 210 Trisomie 21 354 Triticum 451 Tritium 57 Triton-WR-1339 142, 334, 335, 422 Triton-X100 88 Tritosom 334 Tritrichomonas foetus 495 tRNA 104, 107, 119, 126, 156, 159 Troponin C 60, 229 TRPV-Kanal 394 Trypanosoma 32, 81, 531 – brucei 32, 167, 213, 425, 427 – brucei gambiense 425 – brucei rhodesiense 425 – cruzi 32, 427 – rhodesiense 32
619 Stichwortverzeichnis
Trypanosomen 4, 32, 34, 153, 425, 428, 488 Tryparedoxin 428 Trypsin 313 Tryptophan 250 TSE 322 – istrogene 323 Tsetsefliege 32, 425 Tuberkulose 3, 27, 259, 409, 422 Tubulin 46, 378, 486, 488, 513 Tubulinpolymerase 168 Tubulus 176 Tubulustyp 285 Tulpenmanie 414 Tumor, neuroendokriner 260 Tumorbiologie 135, 298 Tumormarker 129 Tumornekrosefaktor 427, 428 Tumorsuppressor 135, 262, 376 Tumorzelle 126 Tunicamycin 184 Turbine 16, 268, 280, 333, 500 turbo sequencing 131 Turgor 455 Turnover 178, 179, 302, 323, 335, 343 Turnover-Zahl 186 Tussilago farfara 434 two pore-channel 454 Typ-1-Diabetes 312 Typhus 3, 26, 27, 416, 420 Tyr-Kinase 92, 178 Tyrosinkinase 91, 92, 298, 375, 445, 460, 485 Tyrosinphosphorylierung 309, 485 Tyrosylkinase 488 Tyrosylphosphorylierung 178 T-Zelle – cytotoxische 211
U U.S. Food and Drug Administration 298, 367 Überexpressionsexperiment 122 Überlebenssignal 346 Übervölkerung 536, 544 Ubiquitin(yl)ierung 164, 178, 262, 287, 337, 339, 341, 343, 423 Ubiquitin 343, 504 Ubiquitinligase 339, 343, 374, 461 Ullrich-Turner-Syndrom 354 Ultradünnschnitt 42, 43 Ultraschall 142 Ultrazentrifugation 156 Ultrazentrifuge 15, 142 – analytische 143 Umfunktionierung 314 unfolded protein response 151 Unfruchtbarkeit 168
Unikonta 485 Universalienstreit 507 Unkrautvernichter 378 UPR 151 Upupa epops 432 Uratmosphäre 470 Urblatt 123 Urblatttheorie 123 Ur-Eukaryot 476, 488 Uricase 385 Uridintriphosphat – bioinyliertes 132 Urinsekt 523 Ursuppe 469–471 Urtica urens 377 Uterus 381, 403 Uteruskontraktion 381 UV-Licht 505 UV-Mikroskopie 102, 104 UV-Strahlung 490
V Vacciniavirus 405, 414 Vagusstoff 248 Vakuole 442, 444, 453, 454, 457, 459 – autophage 334 – kondensierende 195 – parasitophore 427 – pflanzliche 186 Vakuolenkomplex, kontraktiler 46 Valinomycin 376, 429 Vancomycin 431 Van-Gierke-Syndrom 361 variant surface antigens 81, 213 Vasokonstriktion 258 Vasopressin 245 V-ATPase 186 Vektor 5, 129 – retroviraler 300 Venusfliegenfalle 456 Veratridin 386 Veratrum album 386 Verbindung – neuromuskuläre 248 – polykatonische 197 Verbindungskomplex 82, 84, 370 Verblutung, innere 361 Vererbung, plasmatische 370 Vertebraten 254 Verwandtenehe 124 vesicular stomatitis virus 414 Vesikel 190 – prä-peroxisomales 163 Vesikelfluss 48, 168 Vesikeltransport 79, 163, 169, 188, 441, 443
U–V
620
Stichwortverzeichnis
Vesikelverkehr 35, 48, 72, 153, 183, 476 Vesikulation 167 VHL 287 VHL-Protein 312 Viagra 265 Vibrio cholerae 29, 30, 419 Vicia faba 57 Vimentinfilament 213 Vinblastin 354, 377, 378 Vinca rosea 377 Viren 5, 85, 126, 135, 201, 225, 402, 403, 412, 414 – cytolytische 406 – lytische 413 – nackte 405, 413, 414 – onkogene 309, 310, 375, 539 Virostatikum 408, 409 Virusinfektion 129 virusinfizierte Zelle 190 Viruspartikel 143 Virusvektor 369 vis vitalis 4, 468, 502 Vitalfarbstoff 50 Vitamin – C 363 – D2 242, 505 – D3 242, 505 Vitrifikation 62 Vögel 124 Volkskammer der DDR 182 Volkskrankheit 124, 259, 306 Volksmedizin 247 voltage clamp 72, 235 Von-Hippel-Lindau-Syndrom 287, 312 Vorfahr, letzter gemeinsamer 474 Vorhofflimmern 388 Vorläuferzelle 302, 303
W Wachsrose 493 Wachstumsfaktor 216, 304, 309, 336, 519 Wachstumshormon 130, 255, 259, 260 Wachstumskegel 218 Waffe, biologische 35, 530 Wahnvorstellung 381 Wahrnehmungsform 522 Warburg-Effekt 312, 533 Warburg-Hypothese 288, 312 Warburg‘sches Atmungsferment 277 Warze 356, 386 WASP 212, 214, 363 Wasser – Hydrolyse 271 Wassertransport 93 Wegführung, chemotrope 215 Weichmacher 394
Weide 498 Weidenröschen 123 Weißer Raucher 471 Weizen 451 Weizenkeim 175 Weizenkeimagglutinin 52 Werner-Syndrom 368 Western Blot 131, 146 WGA 52 whole-brain functional imaging 518 Widerstand, transepithelialer 82 Wiedehopf 432 Wiederkäuer 495 Williams-Beuren-Syndrom 512 Wilzbach-Methode 334 Windbestäuber 123 Wirkung – antiphlogistische 246 – karzinogene 151 Wiskott-Aldrich-Syndrom 212, 363 Wiskott-Aldrich-Syndrom-Protein 212, 214 Wochenbettfieber 31 Woesian revolution 474 Wolf 519 World Health Organization 227, 410, 411 Wundstarrkrampf 30 Wurzelhaar 447 Wurzelhärchen 445, 457 Wurzel-Hirn-Hypothese 457
X X-537A 430 Xanthinoxidase 490 Xanthophyll 161, 283 Xanthoria elegans 493 xCas9 134 Xenobiotikum 151 Xenopus 295 – laevis 94, 189 XMAP215 168 Xylella fastidiosa 425 Xylem 449, 458
Y yellow fluorescent protein 49 Yersinia pestis 28, 35 Yersinia pseudotuberculosis 28
Z Zahnfleischentzündung 374 Zahnrad 500 Zahnstange 500
621 Stichwortverzeichnis
Zaunrübe 454 Zea mays 451 Zebrafisch 318 Zein 452 Zelladhäsion 323, 485 Zelladhäsionsmolekül 81, 84, 85, 215, 485, 486, 511, 514, 515 – CD56 511 – neuronales 85, 508 Zelladhäsionsprotein 82, 212, 488 Zellatmung 275–278, 490 – cyanresistente 285 Zelle – chromaffine 488 – dendritische 211 – künstliche 22 – neurosekretorische 230 – spermatogene 104 – virusinfizierte 190 Zellfraktion 140, 334 Zellfraktionierung 59, 140 Zellkern 108, 116, 293, 301, 340, 346, 475 Zellkonstanz 345, 511 Zelllyse 425 Zell-Matrix-Verbindung 213, 215 Zellmembran 70, 72, 74, 78, 144, 190, 195, 225, 228, 414, 415, 444, 446 Zellpathologie 352 Zellproliferation 262 Zellsorter 143 Zellteilung 5, 292, 367, 486 – mitotische 189 Zellteilungsspindel 193 Zelltod, programmierter s. auch Apoptose 347 Zelltypen 19, 52, 75, 90, 127, 146, 186, 188, 190, 197, 208, 232, 235, 256, 286, 311, 316, 456, 500, 505, 512, 532, 537
Z–Z
Zellularpathologie 351 Zellulose 448 Zellulosepolymerase 448 Zellulosesynthase 448 Zellwand 13, 85, 422, 442, 444–446, 448 Zellweger-Krankheit 165 Zellweger-Syndrom 370 Zell-Zell-Adhäsionsmolekül 480 Zell-Zell-Kontakt 506 Zell-Zell-Verbindung 85, 368 Zellzyklus 57, 135, 293, 309 Zentralnervensystem 343, 489 Zentrifugation 334 Zervixkarzinom 309, 356, 376, 410 Zielfindung 177, 216, 218 Zielgebung 175 Zielgebungssequenz 160, 164, 166, 209, 367, 370, 497 Zielgebungssignal 128 Zielmolekül 384 Zielprotein 534 Zikaviren 405, 410 Zirbeldrüs 252 Zirkulardichroismus 77 Zn2+ 419 Zona pellucida 380 Zoonose 407 ZRS-Sequenz 313 Z-Scheibe 229 Z-Schema 283 Zuckerkrankheit 259 Zungenbein 512 Zwei-Photonen-Laserrastermikroskopie 518 Zweitbote 63, 227, 232 Zweitbotenmolekül 90 Zygote 297, 300, 301 Zystenbildung 168