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German Pages 224 Year 2014
Gudrun Bucher
Abenteuer Nordwestpassage Der legendäre Seeweg durch die Arktis
Meiner Mutter, Anneliese Bucher, mit der ich das Fernweh teile
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2013 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 1. Auflage 2013 Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Umschlagabbildung: Kanada – Arktis – Nordwestpassage © picture-alliance/dpa/dpaweb Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Bickenbach Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-24960-2 Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag. Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Umschlagabbildungen: Expedition zum Nordpol © akg-images/ RIA Nowosti; Entdeckungsreise von Sir John Ross (1777–1856) zur Erkundung der Nordwestpassage © bpk/Dietmar Katz ISBN 978-3-86312-335-2 www.primusverlag.de Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72775-9 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-72776-6 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-86312-920-0 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-86312-921-7 (Buchhandel)
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Inhalt Vorwort
1. Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert) 1.1 Italiener in englischen Diensten 1.2 Portugal und Spanien mischen sich ein Gaspar und Miguel Corte Real Esteban Gómez 1.3 Frankreich und ein gescheiterter Kolonisierungsversuch 1.4 Gründung von Handels kompanien zur Suche nach den Nordpassagen 1.5 Von einer Idee besessen 1.6 Es ist nicht alles Gold, was glänzt Frobishers zweite Reise 1577 Frobishers dritte Reise 1578 1.7 Die Suche wird nicht aufgegeben John Davis 1585, 1586, 1587
2. Galante Hüte – Pelze statt Gewürze (17. Jahrhundert) 2.1 Neue Aktivitäten der Handelskompanien 2.2 Henry Hudson sucht in allen Richtungen Die Entdeckung der Hudson Bay 2.3 Über jeden Zweifel erhaben 2.4 Eine falsche Spur Thomas Buttons vergebliche Hoffnungen Bylot und Baffin – ein gutes Gespann 2.5 Mit letzter Kraft 2.6 Belebt Konkurrenz das Geschäft?
7 9 11 13 13 14 15
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3. Wissensdurst und Machthunger (18. Jahrhundert) 49 3.1 Noch immer ein Rätsel – das Verschwinden von James Knight 1719
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3.2 Straße zwischen den Kontinenten – die Straße von Anián 3.3 Russland schaltet sich ein 3.4 Interessen und Intrigen des Arthur Dobbs Die erste Marineexpedition zur Suche nach der Nordwestpassage Wie fiktive Berichte zu Fakten werden Jetzt winkt eine offizielle Belohnung Dobbs gibt nicht auf 3.5 Die Hudson’s Bay Company dehnt ihren Wirkungskreis aus 3.6 Zu Fuß zum Arktischen Ozean 3.7 Vielleicht durch die Hintertür? 3.8 5000 Kilometer im Kanu
4. Zum Wohle der Krone (19. Jahrhundert) 4.1 Die Suche nach dem offenen Polarmeer 4.2 John Ross und die Croker Mountains (1818) 4.3 Erste arktische Überwinterung einer Expedition der Royal Navy (1819) 4.4 Der Mann, der seine Stiefel aß 4.5 William Edward Parry erneut unterwegs (1821 – 1823) 4.6 Die zweite Landexpedition von John Franklin (1825 – 1827) 4.7 Das verpasste Treffen 4.8 Gescheitert mit der Griper 4.9 Schon wieder Pech für John Ross (1829 – 1833) 4.10 George Back erkundet den Großen Fischfluss 4.11 Mit der Terror im Eis 4.12 Dease und Simpson – die HBC engagiert sich für die Geographie 4.13 Die letzte Expedition von Sir John Franklin
53 54 57 58 65 67 67 72 75 78 81 83 84 85
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Abenteuer Nordwestpassage
5. Die vergebliche Suche nach Franklin – wenigstens ein Fort schritt für die Kartographie 113 5.1 Die Suche nach der verschollenen Franklin-Expedition beginnt 5.2 1848 – drei Expeditionen suchen nach Franklin 5.3 Die Unruhe wächst – eine ganze Flotte durchkämmt die Arktis Schlittentouren im Frühjahr 1851 5.4 Zweite groß angelegte Suche nach Franklin (1852) Lady Franklin lässt nicht locker Ein unverhofftes Wiedersehen 5.5 Ohne Schiffe zurück nach England 5.6 Schockierende Neuigkeiten 5.7 Ein makabrer Gruß aus dem Eis 5.8 Die Admiralität gibt auf 5.9 Franklins Schicksal bewegt weiterhin die Gemüter
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6. Endlich geschafft – aber wozu? 147 6.1 Roald Amundsen findet das fehlende Stück 6.2 Auf Skiern und Schlitten durch die Nordwestpassage – Knud Rasmussens Fünfte Thule-Expedition 6.3 Zweite und dritte Durchquerung der Nordwestpassage mit der St. Roch (1940 – 1942; 1944) 6.4 Der Riesentanker Manhattan in der Nordwestpassage (1969)
7. Menschen in der Nordwestpassage 7.1 Eskimo oder Inuit? 7.2 Der Norden als Lebensraum 7.3 Begegnungen Missverständnisse, Geisel nahmen und Menschenraub Scharmützel in der Frobisherstraße Baffinland-Inuit Zwei Winter bei den Iglulik
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155 160 165 165 166 168 168 169 172 174
Reichtümer für die Netsilik oder wie wertvoll ist ein Wrack? Inuinnait (Kupfer-Eskimo) lösen geografische Rätsel Franklin und die Mackenzie delta-Eskimo Verdrängungen Innerarktischer Fernhandel Geschichte und Geschichten – oder zur Interpretation münd licher Überlieferung 7.4 Veränderungen Umsiedlungen Ein trauriges Beispiel Nichts bleibt wie es ist Neue Wege
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8. Neues Interesse am kurzen Seeweg
199 8.1 We agree to disagree – beiderseitig akzeptierte Uneinigkeit 201 8.2 Umweltschutzmaßnahmen 204 8.3 Das Seerechtsübereinkommen von 1982 205 8.4 Tourismus in der Nordwest passage 206 8.5 Orte in der Nordwestpassage 207 Beechey Island (74° 71' N 91° 85' W) 208 Resolute (74° 42' N 94° 50' W) 209 Bellotstraße (östlicher Eingang 71° 59' N 94° 24' W) 210 Gjøa Haven (68° 37' N 95° 53' W) 210 Cambridge Bay (69° 02' N 105° 10' W) 211 Holman (70° 44' N 117° 46' W) 211 Herschel Island (69° 33' N 138° 57' W) 213 Barrow (71° 34' N 155° 27' W) 214 8.6 Franklins Schicksal beschäftigt weiter 214
Literaturverzeichnis
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Register
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Abbildungsnachweis
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Vorwort Der Wunsch, einen kürzeren Seeweg zu den Reichtümern Chinas, Japans und der Gewürzinseln zu finden, trieb die Suche nach der Nordwestpassage vom späten 15. bis ins 17. Jahrhundert an. Im Zeitalter der Aufklärung erweiterte sich die Motivation um Erkenntnisinteresse, und im 19. Jahrhundert kam Prestigedenken hinzu. Nordwestpassage – gemeint ist damit der Seeweg vom Atlantik in den Pazifik entlang der nördlichen Küsten Kanadas und Alaskas. Genau genommen kann man gar nicht von der einen Nordwestpassage sprechen, da sieben verschiedene Routen durch das Inselmeer der Arktis in Frage kommen. Das Gegenstück zur Nordwestpassage bildet die Nordostpassage oder der sogenannte Nördliche Seeweg. Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine Verbindung vom Atlantik zum Pazifik, aber in diesem Fall an der Nordküste Russlands entlang. Beide Passagen hatten sich als fixe Idee in den Köpfen der Menschen festgesetzt und wurden voller Phantasie und im festen Glauben an ihre Existenz auf zeitgenössischen Landkarten eingezeichnet, lange bevor die ersten Schiffe auch nur Hinweise auf eine mögliche Durchfahrt mitbrachten. Als die Passagen erstmals von einem Schiff gemeistert wurden, die Nordostpassage von Adolf Erik Nordenskjöld 1878/79 und die Nordwestpassage von Roald Amundsen 1903 – 1906, ging es nur noch um Ruhm, Ehre und Neugierde. Man hatte längst eingesehen, dass die nördlichen Abkürzungen nicht den erwarteten wirtschaftlichen Vorteil bringen würden, da das Eis immer aufs Neue die Durchfahrt blockierte oder zumindest erheblich verzögerte. Das hat sich im 21. Jahrhundert verändert: Das Eis im Nordpolarmeer geht immer weiter zurück, und die Nordwestpassage ist wieder im Gespräch. Sollte der 400 Jahre alte Traum von der Abkürzung im Norden doch noch Wirklichkeit werden?
Baffin Bay
Grönland
Baffin Bay
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Grönland
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Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert) Ba
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Davisstraße
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500 Meilen 500 Kilometer
Cartier 1535–1536 Frobisher 1576 Frobisher 1578 Davis 1585 Davis 1587
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
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ereits seitdem Phytheas von Massilia im 4. Jahrhundert vor Christus von seiner Reise nach Norden zurückgekehrt war und unter anderem darüber berichtet hatte, dass er die Insel Thule und gefrorenes Meerwasser gesehen und extrem lange Helligkeit am Tage erlebt habe, verfügte man in Europa zumindest über eine vage Vorstellung vom Norden, von der Region unter dem Sternbild des Bären (griech. Arktos), der Arktis. Wo genau Phytheas allerdings gewesen ist, bleibt bis heute ungeklärt. Wikinger aus Norwegen, sogenannte Nordmänner, wagten sich mit ihren robusten Handelsbooten über das nördliche Meer und besiedelten ab ca. 870 n. Chr. Island, nachdem sie sich auch auf den Orkneyinseln und den Färöern niedergelassen hatten.
Abb. 1.1: Karte der Expeditionen im 16. Jahrhundert.
Cartier 1535–1536 Frobisher 1576 Frobisher 1578 Davis 1585 Davis 1587
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Abenteuer Nordwestpassage
Von Island aus erkundete Erik der Rote während seiner Zeit der Verbannung aus Island in den Jahren 882 – 885 Grönland und schaffte es nach seiner Rückkehr, eine Auswanderungswelle in das Grüne Land, wie er es beschönigend nannte, in Gang zu setzen. In zwei Siedlungen, der Ost- und der Westsiedlung, die sich aber beide an der Westküste Grönlands befanden, errichteten die Nordmänner ihre Farmen. In den ersten zwei Jahrhunderten hatten sie regelmäßigen Kontakt nach Norwegen und zahlten ihre Steuern dorthin. Rom entsandte, nachdem die Nordmänner in Grönland um das Jahr 1000 das Christentum angenommen hatten, ab ca. 1055 Bischöfe nach Grönland, die aber nicht alle ihr Ziel erreichten. Der Erste, der dort vermutlich ankam, war Erik Gnupsson im Jahr 1121, sicher verbürgt ist Bischof Arnald ab 1124 (Seavers 1996, S. 33). Eigentlich waren es jene Nordmänner, die Amerika entdeckten. Wie durch Ausgrabungen in Anse aux Meadows nachgewiesen werden konnte, hielten sie sich von ca. 1003 bis 1006 an der Nordspitze Neufundlands auf. Ob sie von dort aus auch weiter nach Süden vorgedrungen waren, bleibt vorerst umstritten. Ab ca. 1400 rissen die Kontakte nach Norwegen ab und um 1500 waren die Wikinger aus Grönland verschwunden. Zu Beginn der Neuzeit wusste man in den gebildeten Kreisen Europas kaum etwas vom Schicksal der Nordmänner vor allem, dass sie südwestlich von Grönland Land entdeckt hatten, war unbekannt. Wichtigste Informationsquelle über Grönland waren bis ins Jahr 1480 die Schriften des Adam von Bremen aus dem Jahr 1075, in denen er sowohl Grönland als auch die wikingischen Entdeckungen im von ihnen so genannten Vinland erwähnte. Teile Grönlands tauchten erstmals im Jahr 1427 auf einer Landkarte auf – Claudius Clavus zeichnete westlich von Island eine Halbinsel namens Grolandia ein. Ganz vergessen war das ferne Siedlungsgebiet offenbar nicht, denn der dänische König Christian I. gab 1473 eine Expedition nach Grönland in Auftrag. Sie wurde von den beiden Hildesheimern Dietrich (oder Didrik) Pining (1422 oder 1428 bis um 1490/91) und Hans Pothorst durchgeführt. Ob die beiden auch die Küsten Amerikas im Bereich Neufundlands oder Labradors sichteten, bleibt ebenso umstritten wie die Anwesenheit von João Vaz Corte-Real (gest. 1496) als Agent des portugiesischen Königs Alfonso V. auf ihrem Schiff (Hughes 2003, S. 79 – 81; Stefansson 1971, S. xxxvii). Vermutlich gab es weitere frühe Reisen in das Gebiet um Neufundland. So soll eine englische Expedition um 1480 von Bristol aus auf der Suche nach einer Insel gewesen sein, die unter dem Namen Brasylle bekannt war und irgendwo im westlichen Atlantik liegen sollte. Das generelle Problem in der Entdeckungsgeschichte ist, dass wir nur Kenntnis haben von Reisen, die schriftlich dokumentiert wurden. Häufig wurden neue Entdeckungen aber aus wirtschaftlichen Gründen geheim gehalten oder fanden nur mündliche Verbreitung bzw. wurden als Gerüchte weitergegeben. Viele Orte mussten deshalb mehrfach gesichtet werden, bis sie nachvollziehbar dokumentiert wurden. Manchmal dauerte es, bis deutlich wurde, dass der gleiche Punkt bereits mehrmals entdeckt worden war und unter verschiedenen Namen an unterschiedlichen Stellen auf den zeitgenössischen Landkarten auftauchte.
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
Bereits während des ausgehenden Mittelalters gelangten Gewürze und Seide auf dem Landweg nach Europa. Da diese Transportwege nicht nur langwierig und gefährlich waren, sondern auch unzählige Zwischenhändler an den Waren verdienten, war der Wunsch groß, China, Indien und die Herkunftsgebiete der Gewürze auf dem Seeweg zu erreichen. Hinzu kam, dass sich mit Beginn der frühen Neuzeit wieder die alte griechische Vorstellung von der Kugelform der Erde durchsetzte. Dieser Gedanke machte die Vorstellung möglich, nach Indien oder China zu gelangen, indem man von Europa aus nach Westen segelte, und führte letztlich zur Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus im Jahr 1492. Zwar war noch nicht klar, ob die von ihm gesichteten Inseln vor einem neuen Kontinent lagen – , er selbst glaubte ja bis zu seinem Tod daran, vor der Ostküste Indiens gewesen zu sein – aber das Bild von der Welt begann sich langsam zu wandeln. Unmittelbar nach Kolumbus’ Entdeckungen gab es einen Streit zwischen den führenden Seemächten Portugal und Spanien, der mit dem Abschluss des Vertrags von Tordesillas endete. In diesem 1494 geschlossenen Vertrag wurde unter Vermittlung von Papst Alexander VI. die Welt in zwei Hälften aufgeteilt, indem man ungefähr 2000 km (370 spanische Leguas) westlich der Kapverdischen Inseln eine Linie zog. Alles östlich davon wurde zu portugiesischem und alles westlich davon zu spanischem Einflussgebiet. Portugal konnte folglich den Seeweg nach Indien um die Südspitze Afrikas herum für sich beanspruchen, eine vergleichbare Route Richtung Westen war nun Spanien vorbehalten und wurde 1521 von Fernando Magellan entdeckt. Diese Aufteilung der Welt zwischen Spanien und Portugal führte dazu, dass die neu aufstrebenden Seemächte England und Holland sich im Norden nach einem Seeweg umsahen, der sie zu den Gewürzinseln führen sollte. Und damit begann die Suche nach der Nordwestpassage. In der Vorstellung der Menschen existierten die Seewege im Norden bereits – sie mussten nur noch in der Realität gefunden werden. Beispielsweise war auf Karten von Sebastian Münster (1488 – 1552) eine imaginäre Nordwestpassage eingezeichnet, die zu den Molukken führte: In einer Legende nördlich der VerrazanoSee, die Florida von „Francisca“ (heutiges Kanada) trennt, heißt es: „per hoc fretu iter patet ad Molucas“.
1.1
Italiener in englischen Diensten
Die Motivation zur Suche nach einer nördlichen Durchfahrt war also zunächst eine rein wirtschaftliche. So wundert es auch nicht, dass die frühen Expeditionen meist von Konsortien verschiedener Kaufleute finanziert wurden, die sich einen gewissen Profit aus den Reisen erhofften. Giovanni Caboto (um 1450 – 1498) stammte aus Genua und hatte ähnlich wie Kolumbus die Idee, auf der Westroute – allerdings weiter nördlich als Kolumbus – zu den Gewürzinseln vorzudringen. Weder in Italien noch in Spanien oder Portugal fand er
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Abenteuer Nordwestpassage
Unterstützung für seinen Plan. Darum trug er, zwei Jahre nachdem Kolumbus glaubte, Westindien entdeckt zu haben, dem englischen König Heinrich VII. sein Anliegen vor und schaffte es, ihn für seine Ideen zu begeistern. Heinrich VII. stellte ihm einen Schutzbrief aus, der ihn ermächtigte: „to sail to all parts, regions and coasts of the eastern, western and northern sea, under our banners, flags and ensigns ...“ 1. Er änderte seinen Namen in John Cabot und begann mit den Vorbereitungen. Finanzielle Unterstützung erhielt er von Kaufleuten aus Bristol. Im Mai des Jahres 1497 war es so weit. John Cabot stach mit einem kleinen Schiff namens Matthew (50 Tonnen) und einer Crew von 18 Mann in See. Vermutlich war sein Sohn, Sebastian Cabot, mit an Bord. Von dieser Reise ist bedauerlicherweise keine direkte Quelle in Form eines Tagebuchs oder wenigstens einer Landkarte überliefert. Man kann den Verlauf aber aus verschiedenen brieflichen Mitteilungen rekonstruieren. Als wichtigste Quelle für Cabots erste Reise gilt ein Brief von John Day an Kolumbus, der erst im Jahr 1996 im Archivo General de Simancas entdeckt wurde (vgl. Henze). Wahrscheinlich hat Cabot nach 35 Tagen, in denen er von Irland aus nach Westen segelte, erstmals Land gesehen. Einem der Briefe zufolge glaubte er, das Land des Groß-Khans erreicht zu haben, ein anderer Briefschreiber behauptet, er habe die Insel der Sieben Städte gesehen. Cabot taufte das Land Prima Terra Vista und eine große Insel in der Nähe erhielt den Namen des Tagesheiligen, St. John. Tatsächlich hatte er vermutlich die Küsten von Nova Scotia und Neufundland erreicht. Es ist nicht eindeutig geklärt, ob Cabot vielleicht sogar bis an die Küste Labradors gelangt war. Auf jeden Fall ist seine Reise ein erstes Beispiel für die unglaublichen Selbsttäuschungen, die die Suche nach der Nordwestpassage prägten. Häufig erwies sich die Phantasie der Entdecker stärker als jede Realität. So sah auch Cabot Zeichen dafür, dass er bewohntes Land vor sich hatte, traf aber die Bewohner nicht an. Und obwohl Cabot nur Bäume und einfache Hinterlassenschaften fand, glaubte er fest an die Reichtümer, die weiter im Landesinneren zu entdecken wären. Zur Überprüfung blieb ihm keine Zeit, weil die Vorräte knapp wurden und er deshalb umkehren musste. Am 6. August 1497 war er wohlbehalten nach England zurückgekehrt, wo man dem Ausländer mit Skepsis begegnete, da er weder Seide, Gewürze noch Gold mitgebracht hatte. Da Cabot aber Männer aus Bristol an Bord hatte und man diesen vertraute, glaubte man schließlich auch ihm und er erhielt nicht nur eine jährliche Pension, sondern gleichfalls ein vom König ausgerüstetes Schiff für weitere Entdeckungsreisen. Zusätzlich finanzierten Kaufleute aus London und Bristol vier weitere Schiffe, mit denen er erneut in die von ihm gesichtete Region vordringen und dieses Mal unbedingt die erwarteten Reichtümer mitbringen sollte. Immerhin hatte er nach seiner ersten Fahrt über große Mengen von Kabeljau in den Gewässern vor seiner neu entdeckten Küste berichtet: Man brauche nur einen Korb ins Wasser zu halten und könne ihn kurze Zeit später wohlgefüllt an Bord ziehen. Diese Nachricht wurde begeistert aufgenommen und sorgte dafür, dass nun auch englische Schiffe zu den Küsten Neufundlands zum Kabeljaufang fuhren.
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
John Cabot war genau wie Kolumbus davon ausgegangen, dass Indien am westlichen Rand des Atlantiks liegen müsse, wenn die Erde kugelförmig sei. Dass noch ein ganzer Kontinent dazwischen lag und ihm den Weg versperrte, wusste er nicht, obwohl er ja selbst Teile davon gesehen hatte, die er aber für Asien hielt. Grönland war in seinen Augen ein vorgeschobener Teil von Asien und Neufundland eine Insel vor der asiatischen Küste. Im Mai des Jahres 1498 startete Cabot seinen zweiten Versuch, die nördliche Route zu den Gewürzen und anderen Reichtümern zu finden, dieses Mal gleich mit fünf Schiffen. Die Erwartungen in England waren hoch: Schließlich wollte Cabot Cipango (alte Bezeichnung für Japan) erreichen, was er für die Heimat aller Gewürze der Welt hielt und wo es Juwelen zuhauf gäbe. Fünf Schiffe seiner Flotte verließen Bristol und nur eines kehrte zurück und erreichte in Seenot gerade noch die irische Küste. John Cabot hingegen wurde nie wieder gesehen. Die Suche nach dem nördlichen Seeweg hatte nun schon im 15. Jahrhundert ihre ersten Opfer gefordert. Sein Sohn, Sebastian Cabot (1484? – 1557), war auf Cabots erster Reise im Sommer 1497 mit an Bord gewesen, ob er sich später in den Jahren 1508 – 1509 an der Suche nach der nordwestlichen Durchfahrt beteiligte, bleibt zweifelhaft. Es sind keine Originalquellen vorhanden, die die von ihm selbst aufgestellte Behauptung, hoch im Norden nach der Passage gesucht zu haben, belegen würden. Sebastian Cabots Erfolge als Entdecker liegen in Südamerika, denn er war der Erste, der den Paraná und den Paraguay in den Jahren 1526 bis 1530 befuhr, womit die Erschließung der Flüsse ins Innere Südamerikas ihren Anfang nahm. Außerdem gehörte er zu den Mitbegründern der Company of Merchant Adventurers, aus der 1555 die Muscovy Company hervorging, die sich aktiv an der Suche nach einer östlichen Durchfahrt beteiligte. Zwar waren die ersten Versuche, die Nordroute zu den Gewürzinseln zu nehmen, gescheitert, die Idee hatte sich aber in den Köpfen festgesetzt und der Glaube an das Vorhandensein einer Nordwestpassage erwies sich während der nächsten 400 Jahre trotz hoher Verluste an Schiffen und Menschenleben als unerschütterlich.
1.2
Portugal und Spanien mischen sich ein Gaspar und Miguel Corte Real
Kurze Zeit war auch Portugal an der Suche nach der Nordwestpassage beteiligt, allerdings war die Motivation hier eine andere. Die Portugiesen sahen ihre Interessen in den reichen Kabeljaugebieten durch das Vordingen von John Cabot bedroht. Die Söhne des bereits erwähnten João Vaz Corte Real – Gaspar und Miguel – erhielten 1501 von König Manuel den Auftrag dorthin zu segeln, wo John Cabot 1497 gewesen war. Mit drei Schiffen erreichten sie Labrador und Neufundland, wo sie auf Beothuk Indianer trafen, von denen sie 50 entführten, um zu beweisen, dass sie in Asien gewesen waren. Zwei
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Abenteuer Nordwestpassage
Schiffe kehrten zurück und Gaspar Corte Real erkundete die Küste weiter Richtung Süden. Er gelangte nie nach Lissabon zurück, und auch sein Schicksal wurde ebenso wie das von John Cabot nie aufgeklärt. Sein Bruder Miguel startete 1502 eine Suchexpedition, von der gleichfalls nur zwei Schiffe zurückkehrten. Miguel blieb genau wie sein Bruder verschollen. Trotz aller Rückschläge ging die Suche nach einer Passage weiter. Giovanni da Verrazano (ca. 1485 – 1528) war ein italienischer Seefahrer in französischen Diensten. 1523 stach er von Dieppe aus in See, um zwischen Florida (von Spanien erkundet) und Neufundland (von Engländern und Portugiesen erkundet) nach der Durchfahrt zu suchen. Bankiers und Kaufleute aus Lyon finanzierten Verrazanos Unternehmung, die darüber hinaus die Protektion des französischen Königs genoss. Als Verrazano von seiner Erkundung der Küste zwischen Florida und Neufundland zurückkehrte, war er überzeugt, nicht an den Ausläufern Asiens gewesen zu sein, sondern an einer neuen Landmasse. Dennoch hoffte er, dass eine Durchfahrt zum Pazifik zu finden sein würde. Selbst als sich immer deutlicher abzeichnete, dass es sich bei der Landmasse am westlichen Rand des Atlantiks um einen bislang unbekannten Kontinent handelte, hielt man diesen Kontinent noch viele Jahre, ja Jahrhunderte für erheblich schmaler als er insbesondere im Norden eigentlich ist (Thomson 1977, S. 20).
Esteban Gómez Kaum war Verrazano zurückgekehrt, beauftragte Kaiser Karl V. (König Carlos I. von Spanien) den gebürtigen Portugiesen in spanischen Diensten Esteban Gómez (ca. 1474 – ca. 1528), den kurzen Weg zu den Molukken zwischen Florida und Neufundland zu suchen. Gómez hatte an der Weltumsegelung von Magellan teilgenommen, war aber während der Durchquerung der Magellanstraße desertiert und vorzeitig auf der ihm bekannten Route im Mai 1521 nach Spanien zurückgekehrt. Gómez war nach der Desertion im Gefängnis gelandet, aber sein Vorschlag, nach der Durchfahrt im Norden zu suchen, war so überzeugend, dass er freigelassen und mit der Suche beauftragt wurde. Seine Karavelle (75 Tonnen) hieß Anunciada und er verließ La Coruña am 24. September 1524. Zwar fehlt ein Beispiel mit genauen Angaben über seine Reise, aber vermutlich sichtete er die Küste auf der Höhe von Kap Breton im Februar des folgenden Jahres. Er fand den St.-Lorenz-Golf zu sehr von Eis blockiert als dass er eine Durchfahrt nach Westen sein könnte, dann segelte er in den Penobscot in Maine hinein, stellte aber bald fest, dass es sich lediglich um einen Fluss handelte. Als er erkannte, dass er keine Durchfahrt finden würde, wollte er Handel treiben, um sein Vorhaben dennoch lukrativ zu gestalten, aber er fand weder Gewürze noch Seide oder Arzneien. Er fing Indianer ein und brachte sie mit nach La Coruña, wo er aber gezwungen wurde, diese wieder frei zu lassen. Trotz aller Rückschläge hatte er nicht das Vertrauen des Kaisers verloren, der ihn 1533 für seine Verdienste zum Ritter erhob (Thomson 1977, S. 21).
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
1.3
Frankreich und ein gescheiterter Kolonisierungsversuch
Auch Frankreich beteiligte sich kurze Zeit an der Suche nach einer Durchfahrt. Jacques Cartier (1491 – 1557), ein Seemann aus der Bretagne, verließ am 20. April 1534 St. Malo mit zwei 60-Tonnen-Schiffen und 61 Mann Besatzung. Sein Auftrag lautete zwar nicht, nach der nördlichen Durchfahrt zu suchen, sondern bestimmte Inseln zu entdecken, von denen es hieß, dass Gold und andere Reichtümer dort in großer Menge zu finden seien. Aber im Hinterkopf hatte er natürlich die Abkürzung nach China, die er nehmen musste, um besagte Inseln erreichen zu können. 20 Tage nach seiner Abreise sah Cartier Cape Bonavista an der Ostküste von Neufundland. Offenbar hielt er Verrazanos Aussage, dass südlich von Neufundland keine Durchfahrt zu finden sei, für glaubwürdig. In den insgesamt viereinhalb Monaten, die Cartier im Jahr 1534 unterwegs war, segelte er durch die Belle-Isle-Straße, kartierte den sich dahinter öffnenden St.-Lorenz-Golf und war maßlos enttäuscht, als die Chaleurbucht sich nicht als die erhoffte Durchfahrt erwies. Am 5. September war er zurück in St. Malo und begann sofort Unterstützung für eine weitere Expedition zu suchen. Denn nun glaubte er zu wissen, wo er die Passage finden könne. Im Mai 1535 war er erneut unterwegs. Dieses Mal hatte er über 100 Mann Besatzung auf drei Schiffen zur Verfügung. Seine Schiffe waren die Grand Hermine (120 Tonnen), Petite Hermine (60 Tonnen) und die Pinasse Emerillon (40 Tonnen). Zwei Indianer, Söhne des Huronenhäuptlings Donnaconna, die er im Jahr zuvor mit nach Frankreich genommen hatte, dienten ihm nun als Informanten und brachten ihn in ihren Heimatort Stadacona an der Stelle, wo sich heute die Stadt Quebec befindet (Thomson 1977, S. 23). Die Indianer nannten den großen Fluss ihrer Heimat Hochelaga, Cartier taufte ihn den Großen Fluss – den Namen St. Lorenz erhielt er erst später. Die Indianer teilten Cartier mit, dass der Fluss zum Königreich Saguenay führe, das reich an Gold und Edelsteinen sei. Mit der Pinasse versuchte Cartier das geheimnisvolle Königreich zu erreichen. Er gelangte bis zu einer indianischen Siedlung am Fuße eines Hügels, wo er aufgrund von unüberwindlichen Stromschnellen seine Suche aufgeben musste und den Ort Mont Réal taufte. Heute befindet sich dort die Stadt Montreal. Da die Indianer ihm mitteilten, Saguenay sei erst nach mehreren Wochen Reisezeit zu erreichen, entschloss er sich, nach Stadacona zurückzukehren und dort in der Nähe zu überwintern. 25 seiner fähigsten Seeleute verlor er während des Winters durch die Vitaminmangelkrankheit Skorbut. Im nächsten Frühjahr kehrte er unverrichteter Dinge und reichlich enttäuscht nach Frankreich zurück. Auch wenn sich Misserfolg an Misserfolg reihte, wollte man nicht aufgeben. Cartiers dritte Expedition wurde noch besser ausgestattet als die beiden vorherigen. Denn jetzt lautete sein Auftrag, in dem Gebiet, das er auf der vorigen Reise erkundet hatte, eine französische Siedlung und eine Missionsstation zu gründen. Insgesamt zehn Schiffe standen für die Expedition zur Verfügung und das Oberkommando erhielt Sieur de Roberval. Im Mai 1541 segelte Cartier mit fünf Schiffen voraus und gründete eine
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Abenteuer Nordwestpassage
Siedlung etwas oberhalb des heutigen Quebec. In Booten setzte er die Suche nach den Reichtümern des Königreichs Saguenay fort, die ihm nicht aus dem Kopf gehen wollten. Aber die Stromschnellen erwiesen sich als unüberwindlich und er musste sein Vorhaben schweren Herzens aufgeben. Hinzu kam, dass seine frisch gegründete Siedlung von Indianern bedroht wurde, was zu der Entscheidung führte, den Siedlungsversuch aufzugeben und ein drittes Mal unverrichteter Dinge nach Frankreich zurückzukehren. Alles, was er an Schätzen gefunden hatte, waren geringe Mengen von Gold und Diamanten. Einer genaueren Untersuchung hielten diese Funde allerdings nicht stand, das „Gold“ erwies sich als Pyrit und bei den „Diamanten“ handelte es sich um einfachen Quarz. Erst als Cartier sich schon auf dem Rückweg befand, traf er mit Roberval zusammen, der inzwischen zur Freibeuterei übergegangen war, weil er nicht über die Finanzmittel verfügte, um seine Gläubiger zu befriedigen. Erfolglos versuchte Roberval Cartier zu zwingen, mit ihm in die neu entdeckten Gebiete zurückzukehren, aber Cartier hatte genug von der ganzen Unternehmung und segelte zurück nach Frankreich. Zwar hat Cartier mit den beiden ersten Reisen weder die ersehnten Reichtümer noch eine Passage zum Pazifik gefunden, aber immerhin hatte er eine Wasserstraße ins Innere des neuen Kontinents erschlossen und jene Stellen erkundet, an denen später die wichtigen französischen Städte Quebec und Montreal gegründet wurden, wenn auch seine erste Überwinterung mit hohen Verlusten an Menschenleben verbunden war. Die großangelegte dritte Reise wurde zur noch größeren Enttäuschung, denn weder fand er das sagenhafte Königreich Saguenay noch glückte der Versuch, eine französische Kolonie am St.-Lorenz-Strom zu gründen.
1.4
Gründung von Handelskompanien zur Suche nach den Nordpassagen
In England schlossen sich nun mehrere Kaufleute zusammen, um Gelder für die Suche nach einem nördlichen und kürzeren Seeweg aufzubringen. Sebastian Cabot, Richard Chancellor und Sir Hugh Willoughby ergriffen die Initiative und gründeten gemeinsam die Company of Merchant Adventurers. Im Jahr 1553 erhielten sie die Gründungsurkunde von König Edward. Die Bereitschaft zu investieren und die Hoffnungen auf Gewinn waren groß, 240 Kaufleute erwarben Anteile. Zunächst konzentrierten sich die Aktivitäten der Merchant Adventurers auf die Ostroute. Noch 1553 stachen Willoughby und Chancellor in See, um nach der Nordostpassage zu suchen. Sie mussten überwintern, was Willoughby und seine Crew das Leben kostete. Chancellor war erfolgreicher. Er reiste von der Mündung des Flusses Dwina über Land nach Moskau und schloss dort mit Zar Iwan IV. ein Handelsabkommen, was nach seiner Rückkehr zur Gründung der Muscovy Company führte, die sich auf das Handelsmonopol mit Russland konzentrierte.
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
1555 gelangte Stephen Burough immerhin bis Nowaja Semlja und zur Insel Waigatsch. Auch die niederländischen Versuche scheiterten aufgrund der extremen klimatischen Bedingungen an ähnlichen Stellen (Dreyer-Eimbcke 1994, S. 145). Die berühmteste Expedition zur Suche nach der Nordostpassage war mit Sicherheit die von Willem Barents, nach dem die Barentssee benannt wurde. Mit zwei Schiffen segelte Barents 1596 nach Norden in unkartierte Gewässer nördlich von Norwegen. Er entdeckte die Bäreninsel und Spitzbergen. Die beiden Schiffe trennten sich, das eine versuchte in nordöstlicher Richtung weiterzukommen, gab aber bald auf und kehrte nach Holland zurück. Barents wandte sich Richtung Osten in das Meer, das nun nach im benannt ist. Nicht weit von der Nordspitze von Nowaja Semlja entfernt geriet Barents’ Schiff in Eispressungen und wurde erheblich beschädigt. Die Mannschaft musste überwintern und errichtete an Land eine robuste Hütte aus Treibholz. Zwei der 17 Seeleute starben im Winter an Skorbut, drei weitere, unter ihnen Willem Barents, starben im Sommer 1597 während einer 80-tägigen verzweifelten Fahrt in offenen Booten, denn ihr Schiff war nicht aus dem Eis freigekommen. Die Überlebenden erreichten die russische Festlandküste bei der Petschoramündung. Anfang September hatten sie riesiges Glück: Bei der Halbinsel Kola trafen sie auf ein holländisches Schiff, das unter dem Kommando des Kapitäns stand, der im Vorjahr vorzeitig nach Holland zurückgekehrt war. Er nahm die erschöpften Seeleute an Bord und brachte sie zurück nach Holland, wo schon ein Jahr nach der geglückten Heimkehr ein anschaulicher Bericht dieser ersten europäischen Überwinterung in der Hocharktis erschien. Autor war Gerrit de Veer (Henze 2011, Bd. 1, S. 165 – 167; Lehane 1981, S. 38 – 41; Mayers 2005, S. 144). Nach dieser Erfahrung konzentrierte man sich in Holland wieder mehr auf die Südrouten, während England weiterhin intensiv nach der nordwestlichen Durchfahrt suchte.
1.5
Von einer Idee besessen
Die Idee, dass es eine nördliche Verbindung vom Atlantik zum Pazifik geben müsse, grub sich immer tiefer in die Köpfe der Gelehrten ein. Bereits im 16. Jahrhundert waren insbesondere Schreibtischgelehrte felsenfest davon überzeugt, dass es die Passage gebe und sie nur noch gefunden werden müsse. Robert Thorne gehörte zu den vehementen Verfechtern der Nordroute. Er war Beamter der Admiralität in Bristol und später als Kaufmann in Sevilla erfolgreich. Bedenken, dass die Nordroute aufgrund klimatischer Gegebenheiten, insbesondere aufgrund der hohen Eisbedeckung auch während des Sommers, nicht befahrbar sei, wischte er mit den Worten vom Tisch, dass es weder unbewohnbares Land noch unbefahrbare Gewässer gebe. Unverbesserliche Optimisten, die mit warmen Füßen in ihren Studierstuben auf und ab gingen, ignorierten die Berichte der Seefahrer von Eis, Stürmen und unbekannten Landmassen und blieben von der Existenz einer befahrbaren Passage überzeugt. Auch Humphrey Gilbert gehörte zu den
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Abenteuer Nordwestpassage
Schreibtischgelehrten, die sich durch Schilderungen der tatsächlichen Wetterbedingungen nicht beirren ließen. Auf den Argumenten von Robert Thorne und Roger Barlow aufbauend, schrieb er Mitte der 1560er Jahre eine Abhandlung, die 1576 in überarbeiteter Form gedruckt wurde und unter den Titel „A Discourse of a Discoverie for a New Passage to Cataia“ erschien. Gilbert argumentierte darin, dass eine Nordwestpassage leichter zu durchfahren sei als eine Nordostpassage. Schließlich seien mit der östlichen Route ja bereits schlechte Erfahrungen gemacht worden, wie man am Tod von Willoughby und Barents hatte sehen können. Um das etwas abgeflaute Interesse an der Nordwestroute erneut zu stimulieren, behauptete Gilbert außerdem, die Nordwestpassage sei kürzer als die Nordostroute zu den Molukken. Darüber hinaus verlaufe sie weiter südlich und führe demzufolge durch weniger vereistes Gebiet als die Nordostpassage. Aber als größten Vorteil stellte er heraus, dass man auf der Westroute nicht durch das Reich des Zaren fahren müsse (Williams 2009, S. 16). Erschwerend kam hinzu, dass Konkurrenz um die Gelder möglicher Investoren herrschte. Manche wollten ihr Geld allerdings nur für die Südroute durch die Magellanstraße bereitstellen, wie z. B. Richard Grenville und William Hawkins. Da diese Route aber durch die spanische Einflusssphäre führte, entschied die englische Königin Elisabeth I. die Erkundung der Nordwestpassage zu unterstützen, um diplomatischen Verwicklungen aus dem Weg zu gehen (Williams 2009, S. 16). Die Suche nach der Nordwestpassage war, wie die Schriften von Gilbert und anderen zeigen, durch die völlige Unkenntnis der Geographie der arktischen Welt geprägt, die Raum ließ für unrealistisch-optimistische Einschätzungen der dort herrschenden Lebens- und Reisebedingungen. Man ging davon aus, dass die Durchquerung der Passage problemlos sei, sobald man sie gefunden habe. Landkarten, auf denen die falschen Vorstellungen dokumentiert wurden, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Suche nach der Nordwestpassage und haben die Suche immer wieder aufs Neue in Gang gebracht. Schon die ersten erhalten gebliebenen Karten des Nordens zeigen ein offenes, d. h. eisfreies Meer am Pol, das von einem Eisgürtel umgeben ist. Es galt also lediglich, diesen Eisgürtel zu durchstoßen, um dann das offene Meer überqueren zu können. Die Idee vom offenen Polarmeer hielt sich bis ins 19. Jahrhundert und wurde zum Motor für viele gescheiterte Versuche, den Nordpol per Schiff zu erreichen. Immer wieder beeinflusste das Erscheinen neuer Landkarten die Suche nach der Nordwestpassage, aber auch die generelle Vorstellung, die man sich in Europa vom Norden machte. Im Jahr 1555 erschien von Olaus Magnus eine Beschreibung der nördlichen Völkerschaften mit einem Überblick über Natur und Geschichte Schwedens, Norwegens und Dänemarks und den Fischreichtum in nördlichen Gewässern. Ursprünglich in Latein abgefasst, aber in weitere Sprachen übersetzt, zirkulierte diese Schrift unter europäischen Gelehrten und prägte das Bild vom Norden (Williams 2009, S. 10f.). Der venezianische Kartograph Giacomo Gastaldi brachte 1561 eine Karte heraus, auf der Amerika
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
Abb. 1.2: Gerhard Mercators Karte der Arktis aus dem späten 16. Jahrhundert. und Asien durch die schmale Straße von Anián getrennt dargestellt wurden. Die Darstellungsweise auf Gastaldis Karte wurde bald von anderen Kartenmachern übernommen, so von Abraham Ortelius im Jahr 1564. Im Jahr 1569 brachte Gerhard Mercator eine Weltkarte heraus, die einen riesigen nördlichen Ozean nördlich des amerikanischen Kontinents zeigte. Dieser hyperboräische Ozean ist durch eine Straße mit dem Pazifik verbunden, deren pazifisches Ende Anián heißt (Williams 2009, S. 11f.). Zwar unterschieden sich die Karten von Gastaldi, Ortelius und Mercator in der Darstellung der Arktis, waren sich aber darin einig, dass es eine Passage auf der Nordroute an Amerika vorbei vom Atlantik in den Pazifik geben musste. Und auch die Straße von Anián ging den Gelehrten bis ins 18. Jahrhundert nicht mehr aus dem Kopf. (Abb. 1.2)
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Abenteuer Nordwestpassage
1.6
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Geographische Spekulationen und wirtschaftlicher Ehrgeiz waren die Kennzeichen der drei Reisen von Martin Frobisher (1535 – 1594) in den Jahren 1576, 1577 und 1578. Mit jeder neuen Expedition traten geographische Entdeckungen gegenüber den wirtschaftlichen Interessen mehr und mehr in den Hintergrund. Frobishers erster Versuch, die Nordwestpassage zu finden, wurde weitgehend von der Company of Cathay finanziert. Insgesamt 18 Investoren brachten 875 Pfund zusammen und ließen davon zwei Schiffe eigens für die Suche nach der nördlichen Route Richtung China bauen. Die beiden Dreimaster Gabriel und Michael (ca. 20 bzw. 25 Tonnen und eine Besatzung von 15 Mann) wurden von einer Pinasse (ca. 10 Tonnen, 4 Mann Besatzung) begleitet. Die Expedition wurde mit den modernsten verfügbaren Karten ausgestattet, darunter Mercators Weltkarte aus dem Jahr 1569 und Ortelius’ Weltatlas von 1570. Im Juni 1576 waren die Vorbereitungen abgeschlossen und Frobishers Suche nach der nordwestlichen Durchfahrt konnte beginnen (Abb. 1.3, Farbtafel). Leider sind die Instruktionen für Frobishers erste Reise nicht erhalten geblieben, aber vermutlich lautete seine Aufgabe, die Straße von Anián zu erreichen, die auf 60° N eingezeichnet war – zumindest war dies der Kurs, den Frobisher verfolgte. Frobisher oblag das Oberkommando über die Expedition. Jedes der Schiffe hatte einen eigenen Kapitän: Christopher Hall kommandierte die Gabriel und Owen Griffyn die Michael. Am 11. Juni 1576 kam Land in Sicht. Das, was Frobisher sah, hielt er für das Frisland der Brüder Zeno, tatsächlich handelte es sich aber um die Südspitze Grönlands. Als die drei Schiffe die Davisstraße überquerten, gerieten sie in einen heftigen Sturm, dem die Pinasse mitsamt Crew zum Opfer fiel (Williams 2009, S. 18). Die beiden verbliebenen Schiffe verloren sich aus den Augen. Die Michael kehrte am 1. September nach London zurück und berichtete dort, die Gabriel sei verschollen. Frobisher hatte jetzt nur noch ein einziges Schiff, dennoch gab er nicht auf. Er erreichte die Ostküste Grönlands etwas nördlich von Cape Farewell, hielt das Land aber für Frisland auf der fiktiven Karte von Nicolo Zeno. Mit vier Männern versuchte Frobisher in einem Boot an Land zu rudern, aber sie fanden keine geeignete Stelle für ihren Landgang, obwohl sie mehrfach versuchten, die „monstrous great islands of ise which lay dryving all alongst the coast therof“2 zu durchdringen (Stefansson 1971, S. cv). Da Nebel aufkam, ließen sie von ihrem Vorhaben ab, fuhren nach Süden und gerieten in einen Sturm, der beinahe zum Verlust von Schiff und Mannschaft führte. Frobisher wollte sein Vorhaben aber unter keinen Umständen aufgeben, er war bereit: „rather to make a sacrifice onto God of his lyfe than to return home without the discovery of Kathay except by compulsion of extreme force and necesity“3 (zit. nach Stefansson 1971, S. cv). Am 28. Juli sah er erneut Land, das er für Labrador hielt. Frobisher hatte den Eindruck, sich am Eingang einer großen Wasserstraße zu befinden, und nannte die Landspitze südlich davon Elizabeth’s Foreland. Es handelte sich dabei um Resolution Island am Eingang zur
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
Hudsonstraße (Williams 2009, S. 18). Christopher Hall untersuchte eine der vorgelagerten Inseln (Little Hall Island), auf der er einen Brocken schwarzen Gesteins fand. In der Hoffnung, es könne sich um Seekohle handeln, nahm er es mit an Bord, was zu weitreichenden Konsequenzen in der Zukunft führen sollte (Williams 2009, S. 18). Frobisher untersuchte die Bucht hinter den Inseln, die er für eine Straße hielt, nämlich für die gesuchte Passage zum Pazifik. Er nannte sie nach sich selbst Frobisherstraße (heute Frobisher Bay). Nachdem sie 150 Meilen hineingefahren waren, sichteten sie Feuer sowie weitere Zeichen menschlicher Aktivitäten. Sie gingen an Land, um zu schauen, was dort war. Von einem Hügel aus sah Frobisher Männer in kleinen Lederbooten auf sie zukommen (Williams 2009, S. 20). So kam es zu einer Begegnung mit Inuit, die in den Augen der Crew asiatisch aussahen und damit bestätigten, dass sie tatsächlich in Asien waren und es auf der Westroute erreicht hatten. Jetzt konnte es nicht mehr weit sein bis zu den Reichtümern Chinas. Es kam zur vorsichtigen Annäherung, zwischen den Inuit und den Engländern und zum Austausch von Geschenken. Ein Inuk schien zuzustimmen, als Lotse fungieren zu wollen, um den Fremden zu zeigen, wie sie zum offenen Meer gelangen würden, das man, hatte man die Straße hinter sich gelassen, in zwei Tagen erreichen könne. Das Beiboot brachte den Inuk an Land, damit er sein Kajak holen könne. Fünf Mann von Frobishers Besatzung waren im Boot mit der Anweisung, unter keinen Umständen an Land zu gehen, aber als sie um eine Landspitze ruderten, gerieten sie außer Sicht. Was dann geschah ist nicht bekannt. Offenbar landeten sie freiwillig oder gezwungenermaßen und wurden von den verbliebenen Engländern nie wieder gesehen. Die Stelle, wo sie verschwunden waren, wurde Five Men’s Sound genannt und die Geschichte ihrer vermeintlichen Entführung wurde als Beispiel der Hinterlist und Blutrünstigkeit der Eskimo angesehen (Williams 2009, S. 20). Nach dem Verschwinden seiner fünf Männer nahm Frobisher eine Geisel. Als ein Inuk sich dem Schiff in seinem Kajak näherte, um Handel zu treiben, wurde er mitsamt Kajak aus dem Wasser gehievt. Es kam nicht zum erhofften Austausch, so dass Frobisher sich entschied, seine Geisel mit nach England zu nehmen, als Beweis dafür, dass er ein entferntes, fremdes Land besucht hatte. Er war nur noch 20 Meilen vom Ende der Bucht entfernt gewesen, was er aber nicht wusste. Da seine Crew nun fünf Mann weniger zählte, das Beiboot fehlte und es anfing zu schneien, entschloss er sich, nach England zurückzukehren (Williams 2009, S. 21). Ende September 1576 erreichte die Gabriel die Orkneyinseln und am 6. Oktober segelte Frobisher die Themse hinauf. Man war sehr erfreut und erstaunt, da man die Gabriel nach der Rückkehr der Michael bereits als verloren betrachtet hatte. Frobisher war zwar nicht durch die Passage gesegelt, hatte aber mit der von ihm entdeckten Straße doch zumindest ihren Eingang gefunden. Frobisher war der gefeierte Held, es wurden Porträts von ihm und Michael Lok, dem Hauptfinanzier und Fürsprecher der Expedition, angefertigt, sowie ein kleineres von Hall und dem entführten Inuk, der aber kurz nach der Ankunft in England starb (Williams 2009, S. 21) (Abb. 1.4, Farbtafel).
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Freudig wurde Frobishers Bericht in London aufgenommen und man glaubte sich dem Ziel, der nördlichen Durchfahrt, jetzt sehr nahe. Da man die Passage schon fast für gefunden hielt, stand fest, dass es eine weitere Reise geben würde, um zu vollenden, was man so erfolgreich begonnen hatte. Bei den Planungen zeigte sich deutlich, dass wirtschaftliche Interessen die geographischen ausgestochen hatten. Das Stück Stein, das Hall von Little Hall Island mitgebracht hatte, wurde von mehreren Erzprüfern für wertlos gehalten, einer aber war der Ansicht, dass die Probe Gold enthalte. Das führte dazu, dass die Suche nach der Nordwestpassage in den Hintergrund trat und eine Expedition in Begleitung eines Schiffes Ihrer Majestät und finanziert von offiziellen Geldgebern entsandt wurde, um mehr von diesem Erz zu holen. Erkenntnisgewinn musste zugunsten des Profits in den Hintergrund treten und damit war die Triebfeder für die zweite Reise eine rein ökonomische.
Frobishers zweite Reise 1577 Dennoch lautete die Aufgabe zunächst, dass die beiden Barken Gabriel und Michael das Ende der Frobisherstraße erkunden sollten, während die Ayde so viel wie möglich von dem goldhaltigen Erz mitbringen sollte. Als Zeichen der veränderten Motivation hinter der Expedition lässt sich die Tatsache sehen, dass weniger Handelsgüter an Bord waren, dafür aber ein tragbarer Schmelzofen und ein Erzprüfer – Jonas Schutz. Auch was die Dokumentation der Reise anbelangt, hatte man nun besser vorgesorgt, denn mit Geoffrey Best und Dionyse Settle waren zwei „gentlemen-soldiers“ an Bord, deren Aufgabe darin bestand, über die Reise ausführlich zu berichten (Williams 2009, S. 22). Im Mai 1577 waren die Vorbereitungen abgeschlossen und die Expedition verließ England. Mitte Juli erreichte sie Little Hall Island und Ende Juli landeten sie auf einer Insel, die sie Countess of Warwick tauften (heute Kodlunarn Island). Dort hielten sie sich längere Zeit auf, weil sie größere Mengen von dem goldglänzenden Erz fanden. Settle behielt wohl für sich, was er heimlich seinem Tagebuch anvertraute: „the stones ... be altogether sparkled, and glister in the Sunne like Gold: so likewise doth the sande in the bright water, yet they verifie the old Proverbe: All is not golde that glistereth“.4 In der dritten Augustwoche hatte man die Schiffe mit Erz vollgeladen, das in mühevoller Arbeit dem gefrorenen Boden abgerungen werden musste. Nachts bildete sich nun Eis um den Schiffsrumpf, was bedeutete, dass es Zeit wurde, an die Rückkehr zu denken. Folglich wurden am 24. August die Segel gesetzt. Während eines Sturms wurden die drei Schiffe voneinander getrennt, erreichten aber alle unabhängig voneinander heimatliche Gewässer: die Ayde und Gabriel in Bristol und die Michael in Yarmouth (Williams 2009, S. 24). Die Schiffe hatten 200 Tonnen, wie man glaubte goldhaltiges, Erz an Bord. Darüber geriet die ursprüngliche Aufgabe der Suche nach der Nordwestpassage völlig in Vergessenheit. Man dachte nicht einmal daran, Frobisher einen Vorwurf zu machen, weil er die Suche nicht weiter verfolgt hatte. Das von Frobisher entdeckte Land wurde Meta Incognita genannt (Williams 2009, S. 24). Mit diesem Namen wies man stolz darauf hin,
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Erstentdecker zu sein, noch niemand vorher hatte Meta Incognita gesehen oder in Besitz genommen (Williams 2009, S. 24). Die „Goldfunde“ erregten natürlich die Aufmerksamkeit der spanischen und französischen Diplomaten in London und sie berichteten darüber in ihren Heimatländern. Wenn man späteren Berichten von Michael Lok über Frobisher trauen kann, war Frobishers Dünkel nach der zweiten Reise derart, dass er sich einbildete, bedeutender zu sein als Kolumbus oder Cortés (Williams 2009, S. 24). Der Erzprüfer Jonas Schutz, der ja an der Reise teilgenommen hatte, behauptete, das Gestein enthalte sowohl Gold als auch Silber. Es wurden Pläne entwickelt, neue Schmelzstätten in Dartford am Südufer der Themsemündung zu bauen. Da sich herausstellte, dass pro Tonne Erz weniger Edelmetall gefördert werden konnte als erwartet, musste mehr investiert werden, um noch mehr von dem Gestein nach England zu holen. Dies führte dazu, dass der Ruf nach einer dritten Reise laut wurde, und dies obwohl weder die erste noch die zweite Reise ihre Kosten gedeckt hatten.
Frobishers dritte Reise 1578 Die Planungen für Frobishers dritte Reise begannen gleich im nächsten Frühjahr (1578). Das Projekt wurde von Woche zu Woche immer ehrgeiziger. Letztlich wurden 15 Schiffe, was einem Zehntel der gesamten englischen Handelsflotte entsprach, damit beauftragt, noch mehr von dem Erz zu holen – 400 Mann Besatzung, von denen 100 in Hütten am Strand überwintern sollten, um weiter Erz abzubauen, während die Hauptflotte zurück nach England fahren sollte. Ziel dieser ersten englischen Kolonie in der Neuen Welt wäre allerdings nicht die dauerhafte Besiedlung, sondern nur der Abbau von Erz gewesen. Und all das, obwohl noch gar nicht mit Sicherheit festgestellt worden war, ob das bereits nach England geschaffte Gestein genügend Metall enthielt, um den Abbau rentabel zu machen. Spanien beobachtete das gesamte Unternehmen mit Argwohn und hatte offenbar sogar einen Spion an Bord eingeschleust (Williams 2009, S. 25). (Abb. 1.5) Die eigentliche Suche nach der Nordwestpassage spielte nun gar keine Rolle mehr. Die Flotte verließ England im Juni 1578. In der Nähe der Öffnung zur Frobisherstraße gerieten die 15 Schiffe in driftendes Eis und starke Winde. Der Bericht von Geoffrey Best darüber war einer der ersten Berichte in Englisch über die Bedrohung von Schiffen im Eis. Eines der Schiffe sank: Die Denys „received such a blowe from a rocke of ise, that she sunke downe therewith, in the sighte of the whole fleete“.5 Die Crew konnte gerettet werden, aber das Baumaterial für das Winterhaus befand sich an Bord des gesunkenen Schiffes. Da nun das gesamte Baumaterial verloren war, musste der Plan einer Überwinterung aufgegeben werden (Williams 2009, S. 26). Die einzelnen Schiffe der Flotte verloren einander in dichtem Nebel aus der Sicht. Sie glaubten in die Frobisherstraße hineinzufahren, stellten aber nach einiger Zeit fest, dass sie sich geirrt hatten, und nannten die Bucht, in die sie fälschlicherweise geraten waren, Mistaken Strait. Später zeigte sich, dass Frobishers Mistaken Strait die Hudsonstraße war, die den Eingang zur Hudson Bay bildet, was damals natürlich noch nicht bekannt war. Best schrieb, dass Frobisher beein-
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Abb. 1.5: Vier Ansichten eines einzigen Eisbergs. Zeichnung von Thomas Ellis, der an Frobishers Reise von 1578 teilnahm. druckt von der Breite der neuen Straße und von der Stärke der Tide gewesen sei und „hath since confessed that, if it had not bin for the charge and care he had of ye fleete and fraughted shippes, he both would and could have gone through to the south sea“6 (zit. nach Williams 2009, S. 27). Am 17. Juli klarte es auf und sie konnten endlich ihre Breite bestimmen. Sie stellten fest, dass sie ein Grad zu weit südlich waren. Vier Schiffe waren, geleitet von Hall, sowieso schon abgedreht, der Rest der Flotte folgte nun, um die Insel Kodlunarn, die sie damals Countess of Warwick nannten, aufzusuchen. Erneut gab es Schwierigkeiten mit Eis und extrem niedrigen Temperaturen, den Matrosen gefror sogar die Kleidung am Leib. Das Erz aus dem gefrorenen Boden zu holen war überaus mühsam (Wiliams 2009, S. 27f.). Sie gruben bis zum 22. August und bauten ein kleines Steinhaus, das sie mit einigem Tand sowie einem Ofen und gebackenem Brot ausstatteten. Dies sollte ein Freundschaftszeichen für die Inuit sein, weil sie erstaunt waren, dass sich niemand von ihnen zeigte, während sich Hunderte bewaffneter Männer dort zu schaffen machten. Da die Engländer in diesem Fall deutlich in der Überzahl und gut bewaffnet waren, wundert es eigentlich gar nicht, dass die Inuit sich möglichst versteckt hielten. Voller Überzeugung glaubten Frobishers Leute, dass das englische Gebäude den arktischen Winter bestens überstehen würde. In ungebremstem Optimismus und Verleugnung der Härte des arktischen Klimas säten sie auch noch Getreide aus, um zu beweisen, wie fruchtbar
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
der Boden dort sei. Die Männer glaubten offenbar, dass sie bald, vermutlich sogar schon im nächsten Jahr nach Kodlunarn Island zurückkehren würden, um noch mehr von dem goldhaltigen Erz zu holen. Insgesamt hatten sie jetzt schon 1250 Tonnen Erz nach England geschafft. Bald stellte sich allerdings heraus, dass das Gestein kein Gold enthielt, es handelte sich dabei nur um Pyrit, das seither auch fools gold (dt. Narrengold) oder auf Deutsch auch Katzengold genannt wird. Alle waren maßlos enttäuscht, das Unternehmen entpuppte sich als gewaltige Fehlinvestition. Die neuen Öfen wurden nur ein Jahr nach ihrem Bau aufgegeben, das Gestein wurde verwendet, um Straßen zu reparieren und um Mauern zu bauen. „Some of it can still be seen today, glistening when the light catches it“7 (Williams 2009, S. 29). Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war dies die größte Expedition mit der höchsten Anzahl von Schiffen und Männern, die in die Arktis geschickt wurden. Zwei Schiffe waren verloren gegangen und 40 Männer kostete die Expedition das Leben. Dennoch war es gemessen an den Schwierigkeiten, die es zu überwinden galt, eine beeindruckende Leistung, die da Ende des 16. Jahrhunderts vollbracht wurde (Williams 2009, S. 29). Wenn die geographischen Entdeckungen von Martin Frobisher auch zugunsten der Gold-Euphorie in den Hintergrund getreten waren, so wurden sie dennoch in neuen Landkarten dokumentiert. Schon 1578 erschienen gleich zwei Karten. Auf der Karte von George Best ist die Frobisherstraße nördlich von Amerika als direkte Verbindung nach China eingezeichnet. Sie geht in die schmalere Straße von Anián über, die wiederum in
Abb. 1.6: George Bests Karte von 1578. Die „Frobußhers Straightes“ ist hier als direkte Verbindung nach „Cathaia“ (China) eingezeichnet.
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den Pazifik führt. Unmittelbar am Ausgang der Straße von Anián wurden die Molukken eingezeichnet, um zu implizieren, wie einfach es wäre, sie zu erreichen, sobald man die Frobisherstraße durchquert hat. Die Motivation, weiter nach der Durchfahrt zu suchen, wurde durch diese Karte angeheizt (Williams 2009, S. 30). Die zweite Karte stammt von Jane Baere. Auf ihr wird eine Verbindung zwischen der Frobisherstraße und der Mistaken Strait dargestellt, bevor Kathay erreicht wird. Vermutlich zeigen beide Karten aus Geheimhaltungsgründen nur wenige Details. Richard Hakluyt, der höchst aktive halboffizielle Dokumentar von Reiseberichten, gab zu, dass er navigatorische Details von Bests eigentlicher Vorlage entfernt habe (Williams 2009, S. 30) (Abb. 1.6).
1.7
Die Suche wird nicht aufgegeben
Es ist möglich, dass die Entdeckung der Frobisherstraße die Route des berühmten Korsaren Francis Drake beeinflusst hat, der von 1577 bis 1580 unterwegs war. Offenbar erfuhr Drake von den beiden ersten Reisen Frobishers und von der Entdeckung der Straße, die man ja für eine direkte Verbindung zum Pazifik hielt. Die Vermutung liegt nahe, dass Drake, nachdem er in der Nähe von Panama reiche Beute durch das Aufbringen einer spanischen Galeone gemacht hatte, nicht auf direktem Weg zurückkehrte, sondern noch weit nach Norden fuhr, um den westlichen Eingang zur Passage, nämlich die Straße von Anián zu suchen (Williams 2009, S. 31). Das teure Fiasko von Frobishers Reisen dämpfte den englischen Schwung für neue Abenteuer dieser Art, konnte aber nicht den Glauben derjenigen erschüttern, die die Existenz der Passage in ihren Köpfen trugen. Selbst wenn sich die Frobisherstraße als Bucht erweisen sollte, gab es ja noch die Mistaken Strait weiter südlich als möglichen Durchlass zum Pazifik (Williams 2009, S. 32). John Dee und Humphrey Gilbert beharrten weiterhin auf einer Erkundung des Nordens und zogen den Staatssekretär Walsingham auf ihre Seite. Mit dieser Unterstützung erhielten sie ein Patent der Königin, „to travelle and seeke ... the Passage unto China and the Iles of the Moluccas, by the Northwestward, Northeastward, or Northward“.8 Geld investierte die Königin dieses Mal aber nicht und überließ die Finanzierung dem Kaufmann William Sanderson, der mit einer Nichte Gilberts verheiratet war. Er schlug John Davis als Kapitän vor, da er ein versierter Navigator sei.
John Davis 1585, 1586, 1587 John Davis (1543 – 1605) war damals Mitte 30 und brachte auch ein theoretisches Interesse für Fragen der Navigation mit. Er hatte sogar wissenschaftliche Abhandlungen verfasst. Außerdem gilt Davis als der Erfinder des Davisquadranten (backstaff) für Sonnenpeilungen. John Janes übernahm die Verantwortung für den wirtschaftlichen Teil der Reise und schrieb ein Tagebuch, das 1598 von Richard Hakluyt publiziert wurde.
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
Die Schiffe umrundeten die Südspitze Grönlands und folgten dann der Westküste nach Norden, auf der Höhe des heutigen Nuuk gingen sie an Land und nannten die Stelle Gilbert Sound (Williams 2009, S. 33). Das war die Stelle der verlassenen Westsiedlung der Wikinger. Statt auf Wikinger traf Davis dort auf Inuit. Da die Engländer mit gehörigem Geschrei empfangen wurden, ließ Davis als Reaktion darauf seine Musikanten aufspielen und er selbst und einige seiner Matrosen tanzten zur Musik, was die Situation entspannte. Sie kauften den Inuit die Kleidung aus Robbenfell und Vogelbälgen ab, die sie auf dem Leib trugen. Janes schrieb, dass dort das Gestein vorkomme, das Frobisher von seinen Reisen mitgebracht habe (Williams 2009, S. 33). Am 31. Juli verließ John Davis die Küste Grönlands und segelte sechs Tage Richtung Nordwesten, bis er eine eisfreie Küste auf einer Breite von 66° 40‘ N sah. Er hatte den engsten Teil der Straße überquert, die heute seinen Namen trägt. Die Schiffe fuhren der Küste entlang nach Süden, bis sie „a very faire entrance or passage“9 fanden (Williams 2009, S. 33). Dabei handelte es sich um Cumberland Sound, ca. 150 Meilen nördlich der Frobisherstraße. Sie fuhren 180 Meilen in die Einfahrt hinein, ein Schiff folgte der Nordseite, das andere der Südseite. Alles deutete auf die ersehnte Passage hin, sie segelten die gesamte Zeit in Salzwasser und je weiter sie nach Westen vordrangen, desto tiefer wurde es. Sie sahen Wale, von denen sie annahmen, dass sie aus dem westlich gelegenen Meer stammten, und ein starker Tidenhub machte sich aus dem Südwesten bemerkbar (Williams 2009, S. 34). Am 19. August wehte der Wind von vorne, was sie gepaart mit der fortgeschrittenen Jahreszeit zur Umkehr bewegte. Davis war aber von der Existenz der Passage überzeugt. Im nächsten Jahr – also 1586 – war John Davis erneut unterwegs, und zwar mit drei Schiffen (Sunshine, Moonshine und Mermaid) sowie einer Pinasse (North Star). Als die kleine Flotte sich Island näherte, versuchten die Sunshine und North Star die Theorie von Robert Thorne zu prüfen, der zufolge es eine eisfreie Passage über den Pol gebe (Williams 2009, S. 34). Schon auf 66° N gerieten sie in undurchdringliches Eis. Davis suchte erneut seinen Ankerplatz im Gilbert Sound auf, den er vom Vorjahr kannte. Die Engländer blieben fünf Wochen und hatten wechselhafte Beziehungen zu den dort lebenden Grönländern. Sie hatten Spaß an gemeinsamen Wettkämpfen im Springen und Ringen, aber Davis beklagte sich auch über die lästigen Diebereien der „people of the country“, wie er sie nannte. Immer wieder verschwanden Kleinigkeiten von den Schiffen; als aber plötzlich einer der Anker entwendet wurde, verlor Davis seine Geduld und die Engländer eröffneten das Feuer. Die Schüsse wurden mit nicht weniger schlagkräftigen Steinschleudern beantwortet (Williams 2009, S. 34). Es gab aber auch immer wieder ruhige, friedliche Phasen, die Davis nutzte, um ein kurzes Grönländisch-Englisch-Vokabular anzufertigen. Davis zeigte sich außerdem beeindruckt vom geschickten Umgang der Grönländer mit ihren Kajaks. Am 30. August war es an der Zeit, mit der Rückreise zu beginnen, die Pinasse ging dabei in einem Sturm verloren, ähnlich wie bei Frobishers Expedition. Zwar waren diese
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winzigen Schiffe praktisch, wenn es darum ging, küstennah in flachem Wasser oder in Flüssen zu kartieren, für das offene Meer waren sie allerdings denkbar ungeeignet (Williams 2009, S. 35). Während die Mermaid auf direktem Weg nach England zurückfuhr, setzte Davis seine Erkundung mit der Moonshine fort. Er erreichte die gegenüberliegende Küste auf der Breite von 66° 30‘ N, ungefähr dort, wo er im Vorjahr gewesen war. Offenbar verpasste er den Eingang zum Cumberland Sound, der Hoffnungen auf die Passage geweckt hatte, und fuhr nach Süden bis 57°. Aufgrund von schlechtem Wetter und geringer Sicht hatte er sich weit von der Küste entfernt halten müssen, was erklärt, warum er den Eingang zum Sund schlichtweg nicht gesehen hatte. Er erwähnte weder die Frobisher Bay noch Frobishers Mistaken Strait (heute Hudsonstraße). Schließlich landete er in der Nähe von Hamilton Inlet, wo bei einem Angriff aus dem Hinterhalt zwei seiner Männer getötet und zwei weitere verwundet wurden durch „the brutish peoples of this countrey“10, wie er es formulierte (Williams 2009, S. 36). Am 11. September begab er sich auf den Rückweg und erreichte England Anfang Oktober. Glücklicherweise hatte die Sunshine über 500 Robbenfelle mit zurückgebracht, was zumindest einen Teil der Investitionen wieder einbrachte. Das Interesse der Geldgeber war merklich abgekühlt, lediglich William Sanderson wollte noch nicht aufgeben und finanzierte eine weitere Expedition. Diese fand gleich im folgenden Jahr (1587) statt. Die Sunshine war als Schiff wieder dabei, außerdem eine Bark Elizabeth sowie eine Pinasse Ellen. John Janes, der Neffe von William Sanderson, war erneut mit von der Partie und verfasste wieder einen Bericht. Von dieser dritten Reise ist auch ein Logbuch von John Davis erhalten geblieben (Williams 2009, S. 36). Die beiden großen Schiffe fuhren nach Neufundland, um dort zu fischen, während Davis mit der Pinasse zu Erkundungszwecken an der westgrönländischen Küste nach Norden fuhr. Er erreichte als seinen nördlichsten Punkt eine Breite von 72° 12‘ N und nannte die Stelle Hope Sanderson (heute Upernavik). Zwar war das Meer noch offen, der Wind kam aber kalt aus Norden. Davis wandte sich nach Westen über die Davisstraße, wo sie sich nur noch rudernd aus Eisfeldern befreien konnten (Williams 2009, S. 37). Nun ging es weiter Richtung Süden und Davis gelangte ohne Schwierigkeiten in den Cumberland Sound, wo er seine Erkundungen wieder aufnahm, bis er, wie er enttäuscht in seinem Logbuch notierte „the bottome of the sayd supposed passage“11 erreichte und umkehrte (Williams 2009, S. 37). Ende Juli erreichte er Resolution Island, wo die Strömung so stark war, dass ein Eisberg das Schiff überholte. Nun befand er sich am Eingang von Frobishers Mistaken Strait, der heutigen Hudsonstraße. Er fuhr aber nicht hinein, sondern setzte die Erkundung an der Ostküste von Labrador fort. Als er eine Breite von 52° N erreicht hatte, war es Mitte August und an der Zeit, nach England zurückzukehren, wo er Mitte September ankam. Auch die Sunshine und Elizabeth waren nach einem erfolgreichen Kabeljaufang bereits zurückgekehrt. Als Fazit schrieb Davis in einem Brief an Sanderson: „I have bene in 73 degrees, finding the sea all open, and forty leagues betweene land and land. The passage
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
is most probable, the execution easie, as at my coming you shall fully know“12 (zit. nach Williams 2009, S 38). Obwohl sich Davis so optimistisch, ja fast überschwänglich über die Passage geäußert hatte, kam es nicht zu einer vierten Reise, weil alle drei Expeditionen ein Verlustgeschäft waren. Der Verlust hatte sich nur dank der Robbenfelle und des Kabeljaus in überschaubaren Grenzen gehalten (Williams 2009, S. 38f.). Der Bericht der Brüder Zeno sorgte für einige Unstimmigkeiten auf den Karten der Zeit und verhinderte, dass Davis erkannte, dass er die Frobisherstraße und auch den Eingang zu Frobishers Mistaken Strait gesehen hatte. Er hielt für neue Entdeckungen, was er gesehen hatte, weil die Entdeckungen von Frobisher viel zu weit östlich eingezeichnet waren (Williams 2009, S. 39f.). Mit einiger Hartnäckigkeit wurden immer wieder Gerüchte verbreitet, die Spanier hätten die Straße von Anián gefunden, was auch englische Seefahrer motivierte, danach zu suchen. Ähnlich wie Francis Drake wollte auch John Davis den Eingang zur Straße von Anián vom Pazifik aus finden, wurde aber vor dem Eingang zur Magellanstraße in starken Stürmen und Strömungen weit nach Osten abgetrieben und sichtete im Jahr 1592 mit dem Schiff Desire erstmals die Falklandinseln, landete aber nicht auf den Inseln, die er nach sich selbst Davis Islands nannte. Sanderson sorgte 1592 dafür, dass der Kartenmacher Emery Molyneux die Resultate von Davis’ Erkundungen auf dem ersten in England hergestellten Globus darstellte. Und sechs Jahre später erschienen sie auch auf der Weltkarte, die von Richard Hakluyt in seinen „Principall Navigations“ publiziert wurde, in die er auch die Berichte von John Davis und John Janes aufnahm (Williams 2009, S. 39). Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte John Davis als Lotse auf englischen und holländischen Schiffen, die Handel trieben. Im Jahre 1605 kam er dabei zu Tode. Vorher hatte John Davis aber noch zwei einflussreiche Bücher veröffentlicht: „The Seamen’s Secrets – a practical guide to navigation and included a section explaining how to use his invention of the back staff to determine latitude“13 (1594). Dieses Werk wurde in den nächsten 60 Jahren noch acht Mal neu aufgelegt. Das zweite Buch trug den Titel „The Worldes hydrographical description“ (1595). Auch Davis schrieb, dass es im Norden ein offenes Meer gebe, was die Forscher bis ins 19. Jahrhundert in Atem hielt. Während Davis über das eisfreie Meer schrieb, wurde die Expedition von Willem Barents vorbereitet, die im Eis stecken blieb und einen extrem schwierigen Winter auf Nowaja Semlja verbrachte, bevor sich die Männer in offenen Booten nach Süden retten konnten. So stand die Idee vom offenen Polarmeer über Jahrhunderte den Erfahrungen von Seeleuten ge genüber, deren Schiffe vom Eis eingeschlossen oder zerdrückt wurden. 1
„...unter unseren Flaggen und Fahnen zu allen Teilen, Regionen und Küsten des östlichen, westlichen und nördlichen Meers zu segeln...“ 2 „ungeheuer großen Inseln aus Eis, die entlang der Küste trieben“
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nzie cke
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„eher sein Leben zu opfern als ohne die Entdeckung von Kathay zurückzukehren, außer er werde durch extremen Druck und Unumgänglichkeiten zur Rückkehr gezwungen“ 4 „die Steine.... glitzern allesamt und glänzen in der Sonne wie Gold. Aber der Sand im hellen Wasser glitzert genauso und bestätigt das alte Sprichwort: es ist nicht alles Gold, was glänzt“ 5 „erhielt solch einen Schlag von einem Felsen aus Eis, dass sie auf der Stelle in Sichtweite der gesamten Flotte sank“ 6 „bekannt habe, dass er, wenn er nicht die Verantwortung für die gesamte Flotte und die beladenen Schiffe gehabt hätte, er durch die Straße ins südliche Meer hätte fahren wollen und können“ 7 „Einiges davon ist heute noch zu sehen und glitzert, sobald Licht darauf fällt“ 8 „zu reisen und die Passage nach China und den Molukken im Nordwesten, Nordosten und Norden zu suchen“ 9 „einen anständigen Eingang oder eine Passage“ 10 „die brutalen Einwohner dieses Landes“ 11 „das Ende der vermuteten Passage“ 12 „Ich war auf 73° und fand dort offenes Meer und 40 Leguas von Land zu Land. Die Passage ist gut möglich, die Ausführung einfach, wie sie nach meiner Rückkehr ausführlich erfahren werden“ 13 „Die Geheimnisse des Seemanns – ein praktisches Handbuch der Navigation mit einer Sektion über die Handhabung seiner Erfindung des Davisquadranten zur Bestimmung der geographischen Breite“
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Grönland Baffin Bay
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Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert) Ba
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Baffin Bay
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Foxebecken Labrador
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Labrador 500 Meilen 500 Meilen 500 Kilometer 500 Kilometer
Neufundland
Hudson 1610 –1611 Button 1612 –1613 Baffin 1615 Baffin 1616 Foxe 1631
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Galante Hüte – Pelze statt Gewürze 500 Meilen (17. Jahrhundert)
2.1
500 Kilometer
Neue Aktivitäten der Handelskompanien
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as erste wichtige Ereignis im 17. Jahrhundert für die Suche nach der Nordwestpassage war die Gründung der Company of Merchants Trading into the East Indies, die später nur noch als East India Company bezeichnet wurde. Am 12. Dezember 1601 erhielt sie ihren Freibrief, der gestattete, für den Handel alle bekannten oder noch zu entdeckenden Passagen um Asien, Afrika oder Amerika zu nutzen. Mit diesem Freibrief wurde das Interesse nach einer nördlichen Route zu suchen wiederbelebt, denn
Abb. 2.1: Karte mit den Routen der Expeditionen von Hudson (1610 – 1611), Button (1612 – 1613), Baffin (1615 und 1616) und Foxe (1631).
Hudson 1610 –1611 Button 1612 –1613 Baffin 1615 Baffin 1616 Foxe 1631
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die Company würde von einem kürzeren Seeweg nach China und Indonesien erheblich profitieren. Hinzu kam, dass man sich dank der Veröffentlichung von Hakluyts „Principall Navigations“ leicht über die Ergebnisse der vorangegangenen Reisen wie der von Frobisher und Davis informieren konnte. Zunächst war die East India Company vorsichtig und verständigte sich mit der Muscovy Company, die sozusagen die älteren Rechte auf die Suche nach den Nordrouten hatte (Day 2009, S. 86f. und 290f.). Da aber die Muscovy Company zu Beginn des 17. Jahrhunderts kein Interesse zeigte, vermutlich weil die bitteren Erfahrungen mit Willoughby und Barents, die beide auf der Suche nach der nordöstlichen Durchfahrt ums Leben gekommen waren, noch nachwirkten, stand der East India Company offen, aktiv zu werden. Sie beauftragte George Waymouth mit dem nächsten Versuch, nach der westlichen Durchfahrt vom Atlantik zum Pazifik zu suchen. Im Jahr 1602 verließ Waymouth England mit den Schiffen Discovery und Godspeed. Wie groß die Zuversicht war, dass Waymouth die Passage ohne weiteres finden würde, zeigt die Tatsache, dass er einen Brief von Königin Elisabeth an den Kaiser von China bei sich trug, der ins Lateinische, Spanische und Italienische übersetzt war. Im Erfolgsfall wurde ihm eine Belohnung von 500 Pfund versprochen, was das Fünffache des Betrags war, der ihm zur Ausrüstung der Expedition zur Verfügung stand (Williams 2009, S. 45). Am 18. Juni 1602 sichtete Waymouth die Südküste Grönlands und fuhr in die Davisstraße hinein. Er drehte nach Süden und fuhr auf der Breite von 61° 40‘ N in eine Straße hinein, bei der es sich vermutlich um die heutige Hudsonstraße handelte. Waymouth berichtete, er sei ungefähr 300 Meilen in südwestlicher Richtung in die Straße hineingefahren. Da seine Mannschaft befürchtete, in der ungastlichen Region überwintern zu müssen – Waymouth hatte immerhin Vorräte für 16 Monate an Bord –, begann sie zu meutern und zwang ihn zur Rückkehr nach England. Waymouth hielt die Einfahrt für aussichtsreich, auch wenn er sie nicht bis zum Ende hatte verfolgen können. Vermutlich war Waymouth nach den Corte-Reals oder Sebastian Cabot, Frobisher und Davis schon der vierte oder fünfte Seemann, der in die Hudsonstraße hineingefahren war, ohne die sich dahinter öffnende Bucht entdeckt zu haben. Die East India Company und die Muscovy Company schlossen sich 1605 zusammen und gaben sich den Namen Society of English Merchants for the Discovery of New Trades. Eine der ersten Aktivitäten der Society of English Merchants bestand darin, eine 40-Tonnen-Bark, die Hopewell, auszurüsten und John Knight zu beauftragen, nach der Nordwestpassage zu suchen. Er verließ Gravesend am 18. April 1606. Auf der Breite von 56° 85‘ N sichtete er Land. Am 14. Juni wurde sein Schiff während eines Sturms vor der Küste von Labrador stark beschädigt. Da er keinerlei Spuren von Menschen gesehen hatte, ging er am 26. Juni in Begleitung von fünf Mann bei Cape Grimington an Land. Offenbar waren die Engländer aber doch nicht alleine und Knight sowie seine Begleiter verschwanden spurlos und wurden nie wieder gesehen. Knights Stellvertreter Oliver Brownel (oder Brunel) ließ einige Zeit nach Knight suchen, fand aber keinerlei Spuren
Galante Hüte – Pelze statt Gewürze (17. Jahrhundert)
und zog sich zurück, als seine Suchmannschaft, die aus acht Mann und einem großen Hund bestand, von Inuit angegriffen wurde. Ohne die Hopewell reparieren zu können, fuhr Brownel in der Folge zurück nach England und berichtete dort von dem letzten Zusammenstoß mit den Einheimischen, die sich zurückgezogen hätten, nachdem die Engländer ihnen resolut entgegengetreten seien. Dies war nun schon das zweite feindliche Zusammentreffen mit Bewohnern der nördlichen Küsten, bei denen Europäer spurlos verschwunden waren. Dies zeigte, dass zu den navigatorischen Problemen bei der Suche nach der Nordwestpassage noch weitere Schwierigkeiten hinzukamen.
2.2
Henry Hudson sucht in allen Richtungen
Ein weiterer Seemann, der sein Leben gewissermaßen der Suche nach der Nordroute Richtung China opferte, war Henry Hudson (um 1550 – 1611). Hudson unternahm insgesamt vier Reisen, um den nördlichen Seeweg zu finden. Im Jahr 1607 versuchte er im Auftrag der Muscovy Company eine Durchfahrt zwischen Grönland und Spitzbergen zu finden; so erreichte er am 27. Juni 1607 als Zweiter nach Willem Barents Spitzbergen und hatte zu diesem Zweck offenbar die von Barents entworfene Karte dabei. Hudson berührte verschiedene Punkte der Westküste und berichtete bei seiner Rückkehr, dass er Wale gesehen hatte, was die Muscovy Company dazu veranlasste, ab 1610 Fangfahrten nach Spitzbergen zu organisieren. Während seiner Rückfahrt nach England entdeckte Hudson auf 71° N eine Insel und gab ihr den Namen Hudson’s Touches. Diese Insel wurde im Jahr 1614 von Jan Jacobs May van Schellinkhout erneut angelaufen und erhielt von ihm den Namen, unter dem sie noch heute bekannt ist, nämlich Jan Mayen. Hudsons zweiter Versuch, Richtung Osten eine Durchfahrt zu finden, fand im Jahr 1608 statt, war wieder ein Auftrag der Muscovy Company und führte ihn bis Nowaja Semlja, wo er aber kein Durchkommen sah und nach England zurückkehrte. Schon ein Jahr später war Hudson erneut unterwegs. Dieses Mal allerdings im Auftrag der holländischen Ostindienkompanie. Am 25. März 1609 lief er von Amsterdam aus und schaffte es bis zum Nordkap. Dort meuterte die Mannschaft, weil sie nicht weiter nach Norden wollte, und zwang ihn zu einer Kursänderung. Daraufhin segelte Hudson zur Ostküste von Nordamerika und stieß Mitte Juli auf die Küste von Maine, der er bis Cape Cod folgte (das 1602 von B. Gosnold so benannt und von Verrazano entdeckt worden war). Er stellte fest, dass das Kap seinen Messungen zufolge 225 Meilen weiter westlich lag als es auf den zeitgenössischen Karten eingezeichnet war. Am 11. September lief er in einen von Verrazano entdeckten Hafen ein – den Hafen von New York – und sah, dass ein Fluss dort mündete, den er als Erster nun befuhr und der heute seinen Namen trägt. Hudson fuhr den Fluss bis zur heutigen Stadt Albany hinauf. Begeistert von dem Land und seinen Bewohnern musste Hudson doch erkennen, dass die Passage hier
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nicht zu finden war und kehrte zurück nach Europa. Am 7. November traf er in Dartmouth, England ein. Es gibt keine Originalkarte von ihm, aber seine Erkenntnisse wurden auf der Velasco-Karte von 1610 dargestellt. Eine unmittelbare Folge von Hudsons dritter Fahrt war die Ansiedlung holländischer Pelzhändler am Hudson-Fluss, von dort hatten sie leichten Zugang zum Landesinneren und zu den Irokesen.
Die Entdeckung der Hudson Bay Hudsons vierte und letzte Expedition zur Suche nach der Nordroute ging nun Richtung Westen und wurde wieder von englischen Geldgebern finanziert. Zu diesen gehörten der Kaufmann Sir Thomas Smith von der East India Company, Sir Dudley Digges, ein reicher junger Gutsbesitzer, der einen Artikel über die Nordwestpassage verfasst hatte, sowie ein Landedelmann aus Yorkshire, John Wolstenholme. Digges war ein vehementer Befürworter der Suche nach der Nordwestpassage, versprach er sich doch Ruhm und Ansehen für England sowie bessere Handelsbedingungen davon. Hudsons vierter Versuch begann am 17. April 1610. Sein 55-Tonnen-Schiff hieß Discovery. Er fuhr um die Südspitze Grönlands herum und hielt dann auf jene westliche Öffnung zu, die Davis den „wütenden Sturz“ genannt hatte. Hierbei handelte es sich um die Einfahrt in die Hudsonstraße (Frobishers Mistaken Strait). Im Gegensatz zu seinen Vorgängern gelang es Hudson sich vollständig durch die Straße zu kämpfen, und er wurde zum Entdecker der riesigen Bucht dahinter, der Hudson Bay. Nach der Erkun-
Abb. 2.2: Hudsons Schiff Discovery bahnt sich einen Weg durch das Eis.
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
Abb. 2.3: Hudson, sein Sohn und sieben Getreue, nachdem sie von der meuternden Mannschaft der Discovery ausgesetzt wurden. dung der Ostküste der Hudson Bay gelangte er bis in die James Bay (die damals natürlich noch nicht so hieß), wo er einen langen und grimmigen Winter verbrachte (Abb. 2.2). Als das Eis im Frühling aufzubrechen begann, begegneten sie einem einzelnen „Wilden“ (vermutlich ein Cree-Indianer) und tauschten zwei Hirschhäute und zwei Biberpelze gegen ein Messer, ein Beil und einige billige Schmuckstücke. Der Indianer kam nicht, wie angeblich versprochen, mit seinen Kameraden zum Schiff zurück, aber dieses flüchtige Zusammentreffen wurde zum Auftakt eines lukrativen Pelzhandels in der Hudson Bay (Williams 2009, S. 48). Die Discovery kam erst am 12. Juni 1611 aus dem Eis frei und Hudson wollte die Suche nach der Passage jetzt endlich fortsetzen. Mit seiner ungebrochenen Entdeckerlust
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stand er allerdings im Widerspruch zur Stimmung seiner Mannschaft, die nur noch auf dem schnellsten Weg zurück nach England wollte. Es kam zur Meuterei und Hudson wurde gemeinsam mit seinem Sohn und sieben ihm treu ergebenen Seeleuten im Beiboot ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen. Man hörte nie wieder etwas von Hudson und seinen Getreuen (Abb. 2.3). Vier der Meuterer wurden auf dem Rückweg bei einem Angriff von Inuit getötet (Williams 2009, S. 51). Die restliche Mannschaft erreichte unter dem Kommando von Robert Bylot im September die englische Küste. Geschickt verstanden es die zurückgekehrten Offiziere, die Schuld und Hauptverantwortung für die Meuterei den unterwegs Getöteten anzulasten, so dass sie einer Verurteilung wegen Meuterei entgingen. Und nicht nur das, sobald die Suche nach der Passage in der neu entdeckten Bucht fortgesetzt werden sollte, waren sie, da sie ja nun über begehrtes Wissen und Erfahrungen verfügten, wieder dabei, teilweise sogar in leitenden Funktionen. Insbesondere Robert Bylot beteiligte sich im weiteren Verlauf an der Suche nach der Nordwestpassage.
2.3
Über jeden Zweifel erhaben
Die Grundstimmung bezüglich der Passage war optimistisch und ließ sich auch durch Rückschläge nicht verderben. Man war fest davon überzeugt, dass es die Durchfahrt geben müsse – gegnerische Stimmen wurden kaum gehört, obwohl es sie durchaus gab, wie z. B. Sir William Monson (1568 – 1643). In seinem „Discourse concerning the Northwest Passage“ äußerte er erhebliche Zweifel am Vorhandensein der Passage. Und wenn es sie gäbe, befürchtete er, sei sie nicht innerhalb eines Sommers zu meistern. Damit äußerte er als einer der wenigen seine pessimistische Einstellung. Es herrschte noch Unklarheit über die Hudsonstraße, langsam dämmerte aber, dass sie schon von den Corte-Reals oder Sebastian Cabot gesichtet worden war und Frobisher sie gesehen und als Mistaken Strait bezeichnet hatte. Und was Davis 1587 als „mighty overfal“14 bezeichnet hatte, war wohl auch dieselbe Straße. Waymouth hatte ebenfalls angegeben, einer Straße gefolgt zu sein, die ungefähr auf der Breite von Frobishers und Davis’ Entdeckung lag. Aber erst Hudson hat Klarheit geschaffen, indem er bis in die Hudson Bay gefahren war (Williams 2009, S. 46).
2.4
Eine falsche Spur
Die Entdeckung der Hudson Bay brachte die Suche nach der Nordwestpassage für lange Zeit auf die falsche Spur, denn man war nun fest davon überzeugt, an der Westseite der großen Bucht einen Ausgang bzw. Durchgang zum Pazifik finden zu können. Man glaubte, dass der westliche Ausgang der Bucht direkt in den Pazifik führen würde, weil
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noch immer die wahre Ausdehnung des nördlichen Teils des amerikanischen Kontinents erheblich unterschätzt wurde. Obwohl Hudsons Expedition gescheitert war, inspirierte sie zu weiteren Unternehmungen. In den nächsten 20 Jahren folgten zehn Expeditionen seinen Spuren, alle wurden mit Ausnahme der dänischen Expedition unter Leitung von Jens Munk von England aus organisiert.
Thomas Buttons vergebliche Hoffnungen Schon im Jahr nach der Rückkehr der Discovery erhielt der Marinekapitän Thomas Button von Heinrich Prinz von Wales eine Instruktion, die ihn beauftragte, von der Hudson Bay aus eine Durchfahrt in die Südsee zu suchen. Falls der Winter des Jahres 1612 früh einsetze, solle er ihn möglichst weit im Süden in einem passenden Hafen verbringen. Erneut war man in England zuversichtlich, dass es ein Leichtes sein werde, die Durchfahrt zu finden oder falls sie tatsächlich nicht existierte, genügend Beweismaterial für ihre Nichtexistenz zusammenzubringen. Die Suche nach der Durchfahrt sollte Buttons einzige und ausschließliche Aufgabe sein. Dazu sollte er die Richtung bestimmen, aus der die Tide kam und die Suche nach der Passage nach den Resultaten dieser Messungen ausrichten. Noch bis ins 18. Jahrhundert wurde die Beobachtung der Tidenrichtung als Hinweis genommen, in welcher Richtung die Passage zu suchen sei. Button erhielt 1612 Hudsons ehemaliges Schiff, die Discovery, sowie ein weiteres Schiff der Marine, die Resolution. Auf der Discovery befanden sich auch Robert Bylot und Abacuk Pricket, die Überlebenden der Meuterei gegen Hudson, da man von ihrem neu gewonnenen Wissen profitieren wollte. Bei der Einfahrt in die Hudson Bay kam es bei Digges Island, wo auch die Meuterer im Vorjahr angegriffen worden waren, zu einem Zusammenstoß mit Inuit, bei dem Button fünf Mann verlor. Dennoch fuhr er weiter Richtung Westen und glaubte sich schon auf direktem Weg in die Südsee, als plötzlich Land vor ihm auftauchte. Das westliche Ufer der Hudson Bay war erreicht. Button ermittelte seine Breite mit 60° 40‘ N und taufte den Ort Hopes Check’d. Von dort fuhr er nach Süden, um einen geeigneten Ort zum Überwintern zu finden. Er wählte eine Flussmündung an der Westseite der Bucht und nannte den Ort Port Nelson, nach dem Kapitän der Resolution, da dieser dort starb. Während des harten Winters verlor Button weitere Besatzungsmitglieder, weil die Expedition nicht angemessen auf die extreme Kälte vorbereitet war. Die Verluste waren so groß, dass er die weitere Erkundung nur mit der kleineren Discovery durchführen konnte (Williams 2009, S. 53). Als die Discovery im Frühjahr endlich vom Eis befreit war, segelte Button an der Westküste entlang nach Norden bis 65° N, wo er beim Roes Welcome Sound, den er damals Ne Ultra nannte, seinen nördlichsten Punkt erreichte. Weiteren auffälligen Landmarken gab er Namen wie Hubbart’s Hope oder Hopes Advanced, was deutlich macht, in welche Wechselbäder der Gefühle er geraten war. Immer wieder gab es Anlass für neue Hoffnungen, die kurze Zeit später zerstört wurden.
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Abenteuer Nordwestpassage
An Digges Island vorbei kehrte er zurück nach England. Button war der erste Kapitän, der die gesamte Hudson Bay durchquert hatte, 600 Meilen ihrer westlichen und nördlichen Küste erkundet und die Mündungen der Flüsse Nelson und Churchill kartiert hatte. Und obwohl er die Passage nicht gefunden hatte, kehrte er Ende September 1613 mit der Überzeugung nach England zurück, dass man die Durchfahrt von der Hudson Bay aus finden werde. Button machte noch Karriere innerhalb der Marine, fuhr aber nicht mehr ins nördliche Meer. Die Company of the Merchants of London, Discoverers of the North-West Passage war ein Zusammenschluss illustrer Persönlichkeiten, die mit Verve nach der Nordwestpassage suchen ließen. Geführt wurde die Kompanie von Heinrich Prinz von Wales, Mitglieder waren sowohl Abkömmlinge von Adelsfamilien als auch Kaufleute. 1614 rüsteten sie bereits eine Expedition aus, die aber nicht weiter als bis zur Labradorküste gelangte, und 1615 schickten sie die Discovery erneut zur Hudson Bay. Kapitän war dieses Mal Robert Bylot und als Lotse war William Baffin dabei. Baffin verfügte bereits über erhebliche Erfahrung in nördlichen Gewässern, da er an Walfangfahrten nach Grönland und Spitzbergen teilgenommen hatte. Seine Fähigkeiten im Bereich der Navigation und des Kartierens waren seiner Zeit weit voraus. Die Aufgabe für Bylot und Baffin lautete, im Nordwesten der Hudson Bay bei Buttons Ne Ultra, d. h. in der Bucht westlich von Southampton Island nach der Passage zu suchen (Williams 2009, S. 54). Den Namen Roes Welcome erhielt die Bucht erst später. Baffin fertigte eine sehr exakte Karte der Hudsonstraße an (Abb. 2.4). Bylot und Baffin untersuchten den nördlichen Rand der Hudson Bay und kartierten die Nordküste von Southampton Island. Im Foxebecken angekommen, wurden sie durch Eis und schlechtes Wetter zur Umkehr gezwungen. Baffin begann daran zu zweifeln, dass die Durchfahrt tatsächlich von der Hudson Bay aus gefunden werden könne. Als er im September zurück in England war, glaubte er nicht mehr daran, dass die riesige Bucht voller Eis der Weg zu den Schätzen des Ostens sein sollte. Er wollte lieber von der Davisstraße aus nach der Nordwestpassage suchen (Abb. 2.4).
Bylot und Baffin – ein gutes Gespann Schon ein Jahr später waren Bylot und Baffin erneut gemeinsam unterwegs. Ihr Schiff war wieder Hudsons Discovery, die sich nun schon auf ihrer sechsten Arktisreise befand. Am 26. März 1616 stachen sie mit einer Crew von 14 Mann in See und hatten eine Instruktion im Gepäck, die sie aufforderte, bis 80° N zu segeln, sich dort nach Westen zu wenden und nach Japan zu segeln (Delgado 1999, S. 41). Nicht mehr und nicht weniger. Ende Mai passierten sie Sandersons Hoffnung. Das war der nördlichste Punkt, den John Davis seinerzeit erreicht hatte. Sie kämpften sich bis knapp 78° N nach Norden und entdeckten nacheinander den Smith, Jones und Lancaster Sund, die sie nach ihren Hauptsponsoren benannten. Für weit über 100 Jahre hatten sie den nördlichsten Punkt erreicht und mit dem Lancaster Sund, ohne es zu wissen, den tatsächlichen Eingang zur
Galante Hüte – Pelze statt Gewürze (17. Jahrhundert)
Abb. 2.4: William Baffins Skizze der Hudsonstraße, 1615. Passage gesichtet. Da sie Eis zwischen sich und der Küste hatten und extrem unter der Kälte litten, umso mehr als dass bereits mehrere Matrosen an Skorbut erkrankt waren, entschied Bylot zur grönländischen Küste zurückzukehren. Dort stärkten sie sich mit pflanzlicher Kost, die die Skorbut-Symptome linderte und die Mannschaft wieder so weit arbeitsfähig machte, dass sie England erreichen konnten. Baffin gelangte zu der Überzeugung, dass auch in den nördlichen Breiten, die er mit Bylot abgesucht hatte, keine Durchfahrt sei und schrieb an Sir John Wolstenholme, den Hauptinitiator der Expedition: „... there is no passage nor hope of passage in the North of Davis straights. Wee having coasted all, or neere all the circumference thereof, and finde it to be no other than a great bay, as the voyage doth truely show“15 (zit. nach Delgado 1999, S. 41). Baffin hielt zwar die Suche nach der Passage für sinnlos, wies aber auf seine Sichtungen von Walen, Walrossen und Narwalen hin. Dies führte dazu, dass die nächsten Schiffe, die in die Davisstraße fuhren, keine Entdeckerschiffe mehr waren, sondern Walfänger (Williams 2009, S. 43). Teile aus Baffins Tagebuch wurden von Samuel Purchas im Jahr 1625 in seiner Reisesammlung veröffentlicht. Baffins und Bylots Expedition gehörte zu den wichtigsten ihrer Zeit, auch wenn den beiden das offenbar damals nicht bewusst war. Sie hatten gezeigt, dass man bei günstigen Eisverhältnissen
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weiter nach Norden vordringen konnte als es den vorherigen Expeditionen gelungen war. Und sie hatten die Dimensionen der riesigen Bucht, die nach Baffin benannt wurde, erfahren und dokumentiert (Williams 2009, S. 43). Letztlich bestanden die Entdeckungen von Hudson und Baffin in weitestgehend eisgefüllten Buchten, und da keine Öffnung in Richtung Westen gefunden werden konnte, bremste das den Enthusiasmus der Geldgeber und die Suche nach der Nordwestpassage geriet in England ins Stocken.
2.5
Mit letzter Kraft
König Christian IV. von Dänemark und Norwegen hatte schon seit einiger Zeit Interesse an der Arktis gezeigt. Er war selbst im Jahr 1599 um das Nordkap bis Murmansk gesegelt. In den Jahren 1605, 1606 und 1607 schickte er Expeditionen mit einem englischen Lotsen, James Hall, nach Grönland, um die norwegischen Kolonien zu suchen, zu denen der Kontakt abgebrochen war. Außerdem sollte geschaut werden, was die Region an Verwertbarem, wie z. B. Walrosse, Narwale oder andere interessante Ressourcen zu bieten habe. Im Jahr 1610 hatte er eine Walfang- und Entdeckungsexpedition unter der Leitung des Norwegers Jens Munk nach Norden geschickt, um nach einer Nordostpassage Ausschau zu halten (Abb. 2.5). 1619 erhielt Jens Munk einen weiteren königlichen Auftrag. Dieses Mal sollte er in die andere Richtung fahren und eine nordwestliche Durchfahrt suchen. Munk war gerade aus England zurückgekehrt, wo er Informationen über die Reisen von Baffin er-
Abb. 2.5: Jens Munks Karte seiner Reise in die Hudson Bay.
Galante Hüte – Pelze statt Gewürze (17. Jahrhundert)
Abb. 2.6: Jens Munks Männer bereiten sich auf den Winter vor. halten hatte. Außerdem nahmen William Gorden, der mit Bylot und Baffin unterwegs gewesen war, sowie John Watson, der mit Button in der Hudson Bay gewesen war, an Munks Expedition teil. Munk hatte also jene Männer mit an Bord, die sich am besten in der Region auskannten. Zwei Schiffe standen ihm zur Verfügung, die Enhiörningen und die Lamprenen. Seine 65 Mann starke Besatzung schloss auch zwei Ärzte und einen Geistlichen ein (Williams 2009, S. 55). Jens Munk erlebte eine erschütternde Geschichte: Am 9. Mai 1619 fuhr er mit seinen beiden Schiffen los. Ohne besondere Ereignisse gelangten sie bis zum Churchillfluss an der Westseite der Hudson Bay, wo sie überwinterten und während des Winters extrem unter Skorbut litten. Am schlimmsten war der Monat Mai, einer nach dem anderen aus Munks Mannschaft starb und selbst Munk ging es so schlecht, dass er sich dem Tode nahe wähnte und in sein Tagebuch schrieb: „Hiermit der Welt gute Nacht und meine Seele in Gottes Hand.“ Aber Munk und zwei seiner Männer überlebten bis zum Sommer; sie setzten eines der Schiffe instand, stachen Mitte Juli in See und schafften zu dritt die 3500 Meilen bis Kopenhagen (Abb. 2.6).
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2.6
Belebt Konkurrenz das Geschäft?
Trotz der von Baffin geäußerten und aus eigener Anschauung gewonnenen pessimistischen Einstellung gab es weiterhin Lehnstuhlgeographen, die voller Begeisterung und Überzeugung über die Nordwestpassage schrieben, als sei sie schon entdeckt oder als sei man kurz davor, sie zu finden. Zu diesen gehörte auch Henry Briggs (1561 – 1630), ein gefeierter Mathematiker und Professor für Astronomie in Oxford. Briggs veröffentlichte im Jahr 1622 seinen „Treatise of the North-west Passage to the South-Sea through the continent of Virginia, and by Fretum Hudson“. Briggs illustrierte seine Abhandlung mit einer Karte, auf der die Nordwestpassage von der Westseite der Hudson Bay direkt in den Golf von Kalifornien führte (Abb. 2.7). Im Sommer 1631 gab es gleich zwei Expeditionen, die von der Hudson Bay aus nach der Durchfahrt suchen sollten. Beide verfügten über die Bewilligung von König Charles I., wurden aber von konkurrierenden Handelsgesellschaften finanziert, die sich im Erfolgsfall ein Handelsmonopol erhofften. Die eine Expedition wurde von einem Konsortium Londoner Kaufleute ausgerüstet, hinter der anderen stand die Society of Merchant Venturers aus Bristol. Selbst die verwendeten Schiffe waren annähernd gleich groß, das eine ein Schiff des Königs, die Charles, das andere ein privates Schiff, die Henrietta Maria. Die beiden Kapitäne waren Luke Foxe auf der Charles und Thomas James auf der Henrietta Maria. Luke Foxe ist ein Beispiel für die seltsame, ideengeleitete Begeisterung, mit der viele Jahrzehnte nach der Nordwestpassage gesucht wurde. Wie Frobisher stammte er aus Yorkshire. Foxe las gerne und viel, besonders befasste er sich mit Navigation und der nördlichen Durchfahrt. Das erregte irgendwann die Aufmerksamkeit von Briggs, der auch noch an die Nordwestpassage glaubte, als Baffin voller Skepsis aus der Hudson Bay zurückgekehrt war. Briggs hatte eine Karte gezeichnet und erklärt, dass die Einfahrt zur kürzesten Passage nach Japan und China nördlich der Hudson Bay liege. Er begründete das mit dem höheren Tidenhub im Norden. Briggs erkannte in Foxe eine verwandte Seele, ebenso fanatisch im Glauben an die Passage verhaftet wie er selbst. Foxe formulierte mit Briggs’ Hilfe eine Anfrage an den König, in der er um Geld bat für die „Entdeckung einer Passage zur Südsee im Nordwesten, wo Hudson und Button eine große Wasserstraße entdeckt und große Hoffnungen erweckt hätten“, es ginge jetzt nur noch darum, die kurze restliche Strecke ausfindig zu machen. Foxe versicherte sich auch der Unterstützung des Diplomaten Sir Thomas Roe (Thomson 1977, S. 108). Ob das Unternehmen Aussicht auf Erfolg habe, fragte einer der Lords der Admiralität bei Sir Thomas Button an. Oh ja, antwortete dieser, wenn ein erfahrener und tapferer Mann die Leitung übernehme. Die Straße existiere so sicher wie jene zwischen Dover und Calais. Allerdings meinte Button, man solle nicht direkt in der Hudson Bay suchen, sondern bei der am Eingang zur Bucht gelegenen Insel Nottingham der Strömung nach Nordwesten folgen. So könne man die Passage leicht finden.
Galante Hüte – Pelze statt Gewürze (17. Jahrhundert)
Abb. 2.7: Henry Briggs’ Karte von Nordamerika aus dem Jahre 1622. Thomas James hatte ursprünglich Jurisprudenz studiert, hielt sich aber für einen ausgezeichneten Navigator und behauptete von sich, schon von Kindesbeinen an Interesse für die Nordwestpassage gehabt zu haben. Damit seine Autorität an Bord nicht untergraben würde, wollte James in seiner Mannschaft unter gar keinen Umständen Seeleute mit Erfahrung im Nordmeer oder im Eis haben. Foxe hatte genau die gegenteilige Einstellung, er wollte möglichst viele Matrosen mit Erfahrung im Eis, konnte aber keinen finden, der bereit gewesen wäre, ein zweites Mal in die nördlichen Gewässer zu fahren (Williams 2009, S. 61) (Abb. 2.8). Beide Schiffe wurden mit Vorräten für 18 Monate ausgestattet und machten sich Anfang Mai, um ein paar Tage versetzt, auf den Weg. Es dauerte eine Weile, bis Foxe sich durch die Hudsonstraße gekämpft hatte, er erreichte aber im Laufe des Monats Juli die Westküste der Hudson Bay auf einer Breite von 64° 10‘ N und nannte dort eine Insel Thomas Roe’s Welcome. In seinem Logbuch vermerkte er eine starke, von Westen kommende Tide und viele Wale. Heute wird der Name Roes Welcome für die Meerenge zwischen Southampton Island und dem Festland verwendet, die Button Ne Ultra genannt hatte. Genau wie Button fuhr Foxe nicht allzu tief in den Sund hinein, weil das Segeln
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Abenteuer Nordwestpassage
Abb. 2.8: Thomas James’ Karte seiner Reise in die Hudson Bay in den Jahren 1631 und 1632. dort wegen der starken Strömung gefährlich war. Ende Juli sichtete Foxe eine Insel aus weißem Stein, die später den Namen Marmorinsel erhielt und für die Suche nach der Nordwestpassage noch eine tragische Rolle spielen sollte (Williams 2009, S. 64). Foxe tastete sich weiter an der Westküste der Hudson Bay Richtung Süden, bis er die Mündung des Nelson River entdeckte, wo er Überreste von Buttons Überwinterung fand, die nun schon fast 20 Jahre zurücklag. Die Fahrt von James war bis dahin dramatischer verlaufen; die Henrietta Maria war vor der grönländischen Küste tagelang in Gefahr gewesen, von Eis zermalmt zu werden. Auch in der Hudsonstraße hatten sie erheblich mit Eis zu kämpfen und das Schiff drohte zu kentern. Und an Bord jagte ein Unglück das nächste, es gab eine Reihe von Unfällen mit z. T. schwer verletzten Seeleuten, einem musste sogar das zerquetschte Bein abgenommen werden. Beim Zusammentreffen stellte sich heraus, dass sowohl Foxe als auch James Briefe Seiner Majestät an den Kaiser von Japan beförderten. Sie führten lange, schwierige Gespräche und als sie sich wieder trennten, sah Foxe zu, möglichst schnell
Galante Hüte – Pelze statt Gewürze (17. Jahrhundert)
eine größere Entfernung zwischen sein eigenes und James’ Schiff zu bringen (Thomson 1977, S. 112). Foxe beschrieb die Zeit, die er mit James verbracht hatte, als „the worst spent of any time on the voyage“16 (Williams 2009, S. 66). Nottingham, die Insel, in deren Nähe Button die Durchfahrt vermutet hatte, erwies sich als Enttäuschung, weil Foxe aufgrund einer Eisbarriere dort nicht weiterkam. Darüber hinaus wurde es kalt, Raureif machte sich an den Tauen bemerkbar. Dennoch setzte Foxe die Fahrt fort, er war an der Hudsonstraße vorbei weiter nach Norden in eine unbekannte Wasserstraße eingedrungen. Er glaubte, dort die Passage zu finden, „denn diese großen Tiden müssen doch mit Sicherheit in Verbindung mit einem anderen Ozean stehen“ (Thomson 1977, S. 119). Am 20. September überquerte Foxe den Polarkreis. Am 1. Oktober entschied er sich, zurück nach England zu segeln – reichlich spät im Jahr, aber er schaffte es gerade noch, bevor die Eisdecke sich schloss. Am 31. Oktober erreichte er England ohne auch nur einen Mann, einen Schiffsjungen oder ein Stück der Takelage verloren zu haben. Sechs Monate hatte die Reise insgesamt gedauert (Thomson 1977, S. 120). Foxe war mit seinen Ergebnissen zufrieden, obwohl er die Durchfahrt nicht gefunden hatte. Sir Thomas Roe sah dies völlig anders und warf ihm unzufrieden vor, er sei der Strömung von Nottingham Island nach Nordosten gefolgt. Es sei nicht nachzuvollziehen, wie man eine Nordwestpassage an einer Nordostküste suchen könne. Roe lobte nun Kapitän James, der offenbar entschlossen war, nicht wie ein Faulpelz nach Hause zu kommen, sondern zu überwintern und die Suche fortzusetzen – oder vielleicht die Passage schon gefunden hatte? Foxe hatte unter spitzen Bemerkungen zu leiden und man zog ihn damit auf, dass James bald um das Kap der Guten Hoffnung wieder zurückkehren würde. Foxe reagierte mit den Worten: „Wenn er das tut, dann will ich so schwer bestraft werden, wie ich es verdiene. Wenn aber Kapitän James nicht so viel getan hat wie ich, dann will ich mit dem belohnt werden, was ich eingespart habe, nämlich mit Schiffsproviant für elf Monate und 75 Pfund im Monat“ (Thomson 1977, S. 121). James war im Süden der später ihm zu Ehren so benannten James Bay, als der Winter begann, nicht weit von der Insel Charlton. Es blieb ihm also nichts anderes übrig als dort zu überwintern. Um das Schiff gegen Eispressungen zu schützen, setzte er es auf Grund. Während des Winters verlor er vier Männer, zwei erlagen Verletzungen, die sie sich bei Unfällen zugezogen hatten, zwei weitere starben an Skorbut. Mit großer Anstrengung machten sie das Schiff im nächsten Frühjahr wieder flott und erreichten mit Mühe England, ohne nennenswerte Erkundungen durchgeführt zu haben. Sowohl Foxe als auch James veröffentlichten einen Bericht über ihre Unternehmungen. Weil beide sich jeweils weit von der Küste ferngehalten hatten, lieferten ihre Reisen keinen wesentlichen Beitrag zur Geographie der Hudson Bay. Das Buch von Thomas James erschien 1633 unter dem Titel „The Strange and Dangerous Voyage of Captaine Thomas James“. James schrieb einen halbwegs literarischen Stil und sparte nicht mit Melodramatik, wie schon im Untertitel deutlich wurde: „The miseries indured, both Going, Wintering, Returing“. Es war das erste Mal, dass ausschweifend die Auswirkun-
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Abenteuer Nordwestpassage
gen der Kälte beschrieben wurden, was später zum Standardrepertoire arktischer Reisebeschreibungen wurde: Festgefrorener Branntwein – sehr schlimm, durch den Frost zusammenklebende Augenlider, mit Eis überzogene Kessel, selbst während sie über dem Feuer hängen, erstaunten und schockierten erstmals die britischen Leser. James’ Bericht fand eine weite Verbreitung und wurde während des 18. Jahrhunderts ganz oder gekürzt noch ein Dutzend Mal neu aufgelegt (Williams 2009, S. 75). Foxes Werk dagegen war etwas schrullig und erschien erst 1635 mit dem Titel „North-West Foxe: or Foxe from the North-West Passage“. Der Leser erhielt darin einen wirren Bericht von Foxes Expedition, der noch dazu schlecht geschrieben war. Foxe gab selbst zu, dass sein Buch „roughhewn, like ship-wright’s timber“17 sei (Williams 2009, S. 60). Absurderweise starben die beiden Kontrahenten im gleichen Jahr – 1635 – relativ bald nach dem Erscheinen ihrer Expeditionsberichte. Die Nordwestpassage weckte immer aufs Neue Begehrlichkeiten, die dazu führten, dass konkurrierende Expeditionen losgeschickt wurden. Statt Kräfte zu bündeln und größere Gebiete abzusuchen, kam es häufiger zu Doppelungen und einer unglaublichen Verschwendung von Ressourcen, weil zwei Expeditionen im gleichen Gebiet suchten. Aber der Profit, mit dem im Erfolgsfall gerechnet wurde, führte zu diesem aus heutiger Sicht absurd anmutenden Vorgehen. Oft floss alle Energie in die Überwinterungen, so dass für die eigentliche Erkundung kaum noch Kraft blieb. Und da die eisfreie Zeit insbesondere in der Hudson Bay extrem kurz war, konnte man in einer Saison nicht viel ausrichten. Meist reichte die Zeit nur, das Innere der Bucht zu erreichen, so dass man überwintern musste, um rechtzeitig vor Ort zu sein. Wie man es auch anpackte, in keinem Fall konnte man auf ein günstiges Ergebnis hoffen, weil die Zeit immer zu kurz war. Und trotz dieser Erfahrungen wurde die Idee nicht aufgegeben, im Gegenteil, man hatte sich derart darauf versteift, dass es einen westlichen Ausgang aus der Hudson Bay geben müsse, dass immer wieder neue Expeditionen entsandt wurden, die immer mit den gleichen Problemen zu kämpfen hatten. Nach den Expeditionen von Thomas James und Luke Foxe 1631 entstand eine längere Pause in der Suche nach der Nordwestpassage. Der Traum, einen Ausgang aus der Hudson Bay zu finden, trat vorläufig in den Hintergrund. Die beiden Expeditionen waren fast gleichzeitig mit demselben Ziel unterwegs gewesen und hatten nachgewiesen, dass es aus der Bucht keinen Seeweg nach China oder zu den Gewürzinseln gab. Und falls es die so hartnäckig erwünschte Passage doch geben sollte, so sei sie James zufolge eng, voller Eis und vermutlich sogar länger als die Ostroute um das Kap der Guten Hoffnung. Nun ruhte die Suche nach der Nordwestpassage für etwa 100 Jahre, um dann nach genau dem gleichen Muster fortgesetzt zu werden. In den veröffentlichten Berichten war die Hudson Bay als Ausbund von Trostlosigkeit und Elend erschienen. Deshalb dauerte es fast 40 Jahre, bis sich wieder ein Schiff aus Europa in die Hudson Bay traute (Williams 2009, S. 83). Auch wenn man sich nun von der Suche nach der Nordwestpassage verabschieden musste, so hatten die Reisen doch gezeigt, dass die Hudson Bay andere Schätze barg als
Galante Hüte – Pelze statt Gewürze (17. Jahrhundert)
die erwarteten. James hatte z. B. berichtet, dass es dort die allerfeinsten Pelztiere der Welt gebe. Diese Nachricht wurde dem englischen Hof im Jahr 1666 noch einmal mit Nachdruck von zwei pfiffigen französischen Händlern vorgetragen. Diese hießen PierreEsprit Radisson und Médard Chouart Sieur Des Groseilliers. König Charles II. von England war beeindruckt von den Erzählungen der beiden und versprach ihnen königliche Protektion sowie eine wöchentliche Pension. Nachdem ein erster Versuch, Schiffe in die Hudson Bay zu schicken, halbwegs geglückt war – zumindest eines der Schiffe kehrte mit Biberfellen beladen zurück –, wurde die Hudson’s Bay Company (HBC) im Jahr 1670 gegründet. Es wurden Handelsstützpunkte an Flussmündungen in der Bucht angelegt und die lange und wechselhafte Geschichte der Hudson’s Bay Company begann (Newman 1989) (Abb. 2.9, Farbtafel). Im Vergleich zu den finanziellen Investitionen und Erfolgen im Walfang nahm sich die Suche nach der Nordwestpassage eher bescheiden aus. Während im Jahr 1614 gerade einmal ein einziges Schiff nach der Nordwestpassage suchte, schickte die Muscovy Company 14 Walfangschiffe nach Spitzbergen, wo sie eine noch größere holländische Flotte antrafen, die noch dazu von Kriegsschiffen eskortiert wurde. Man schaffte es in England nicht, die Vorherrschaft im Spitzbergenwalfang an sich zu reißen, dieser blieb holländisch dominiert. Im Jahr 1684 fuhren nicht weniger als 246 holländische Walfangschiffe in die Arktis. Dieser intensive Walfang führte dazu, dass der Bestand an Grönlandwalen um Spitzbergen bald so stark dezimiert war, dass die Walfänger auf die gefährlicheren Gewässer zwischen Spitzbergen und der Ostküste Grönlands bzw. auf die Davisstraße ausweichen mussten. Die Walfangkapitäne entwickelten sich zu Experten in der Eisnavigation, allerdings versuchten sie möglichst eine Überwinterung in der Arktis zu vermeiden. Sie suchten offene Wege durchs Eis, sägten Kanäle, wenn nötig, stießen Eisschollen mit langen Stangen vom Schiff und zogen oder schoben ihre Schiffe vorwärts. Jene Erfahrungen mit der Schifffahrt in arktischen Gewässern, die es lohnte aufzuschreiben und als Hinweise für andere Schiffe zu verwenden, wurden auf den Walfangschiffen gemacht. Der Beitrag der im Vergleich wenigen Entdeckungsreisen war eher gering. Da aber Entdeckungsreisen meist besser dokumentiert wurden, weiß man darüber erheblich mehr. Walfänger hielten lieber geheim, wo sie besonders guten Fang gemacht hatten, und auch ihr Wissen, wie man ein Schiff durch das Eis steuert ohne Beschädigungen zu erleiden, war ein Vorteil gegenüber der Konkurrenz, den man nicht unbedingt öffentlich machen wollte. Als man die Suche nach der Nordwestpassage wieder verstärkte, versuchte man sich die Erfahrungen der Walfänger zunutze zu machen (Williams 2009, S. 78f.). 14 „wütenden Sturz“ 15 „... es gibt keine Passage noch die Hoffnung auf eine Passage im Norden der Davisstraße. Wir haben die gesamte Küste abgefahren und festgestellt, dass es nichts anderes als eine große Bucht ist, wie unsere Reise beweist“
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16 „die am schlechtesten verbrachte Zeit, während der gesamten Reise“ 17 „roh behauen, wie Schiffsbauholz“
Ba
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Icy Cape
Grönland
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Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
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Baffin Bay Foxebecken
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Hudson Bay
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Hudson Bay 500 Meilen 500 Meilen 500 Kilometer 500 Kilometer
Hearne 1770 –1771 Cook 1776 –1779 Mackenzie 1789
Wissensdurst und Machthunger (18. Jahrhundert)
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Ab dem Jahr 1670 war England mit dem Aufbau der Hudson’s Bay Company beschäftigt, was das Interesse an der Nordwestpassage in den Hintergrund drängte. Wer Geld investieren wollte, steckte es lieber in den Handel mit Biberfellen oder anderen Pelzen als in ein Wagnis mit ungewissem Ausgang. Die Hudson’s Bay Company war vorerst mit sich selbst beschäftigt und dachte nicht an weitere Erkundungen. Während des gesamten 18. Jahrhunderts wechselte das Interesse an der Passage wie Ebbe und Flut, mal ging es zurück, mal schwoll es extrem an. Häufig glaubte man kurz vor dem Ziel zu stehen und die nächste Reise werde auf alle Fälle das Ergebnis bringen, manchmal verabschiedete man sich gänzlich von der Idee der nördlichen Durchfahrt (Williams 2002, S. xviii). Heute liegen viele Tagebücher der einzelnen Expeditionen publiziert vor, was es erheblich einfacher macht, Erfolge und Rückschläge sowie die unsäglichen Bedingungen, unter denen die Reisen stattfanden, nachzuvollziehen. Hinzu kommen neuerdings archäologische Ausgrabungen, die ein völlig anderes Bild der jeweiligen Sachverhalte
Abb. 3.1: Expeditionsrouten im 18. Jahrhundert.
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Abenteuer Nordwestpassage
liefern. Schriftliche Zeugnisse waren ja oft zu einem bestimmten Zweck verfasst worden und verbogen die Wahrheit hin und wieder im Sinne des Autors oder des Auftraggebers. Auch wurden solche Berichte oft im Rückblick und aus der Erinnerung heraus geschrieben, wodurch sie so manchen Wandel erfuhren. Trotz erheblicher Schwierigkeiten mit der Versorgung schafften es die Engländer, im Süden und Westen der Hudson Bay ganzjährig besetzte Handelsposten zu gründen, was bewies, dass ein Überleben in der unwirtlichen Region zwar heikel, aber durchaus möglich war. Eines der Hauptprobleme beim Aufbau der Hudson’s Bay Company war, dass die Hudsonstraße für maximal drei bis vier Monate im Jahr schiffbar war. Der Winter in der Bucht war extrem lang und manches Mal hatten die Schiffe sogar während des kurzen Sommers in der Hudsonstraße mit Eis zu kämpfen. Es konnte auch geschehen, dass ein Schiff zwar die Bucht erreichte, aber einen der versteckt gelegenen Handelsstützpunkte nicht fand und, ohne die Menschen dort mit Nachschub zu versorgen, wieder zurück nach England segelte. Obwohl man mit dem Aufbau der Hudson’s Bay Company alle Hände voll zu tun hatte, blieb die Nordroute nach China weiterhin verlockend. Optimisten glaubten, sie würde eine zwölfmonatige Schiffsreise auf sechs Wochen verkürzen. In der Argumentation stützte man sich zunehmend auf Tidenbeobachtungen vorangegangener Reisen und auf ältere Berichte, die zu ihrer Entstehungszeit durchaus als fiktiv bekannt waren. Mit dem zeitlichen Abstand und dem festen Willen, die Passage zu finden, suchte man zunehmend nach einem Körnchen Wahrheit darin und war sogar gewillt, ihnen vollends zu glauben, weil sie perfekt zu den Vorstellungen passten, die man sich von der Passage machte. Selbst Seeleute neigten dazu, was sie vorfanden, ihren vorgefassten Meinungen und Erwartungen gemäß zu interpretieren, statt sich auf die eigene Beobachtung zu verlassen. Wie schon im 16. Jahrhundert ließ sich auch im 18. Jahrhundert die Suche nach der Nordwestpassage nicht vom Ehrgeiz trennen, Edelmetalle zu finden. Und oft – wie im Fall von James Knight – war die Suche nach Erzen die stärkere Motivation, die Strapazen einer Expedition auf sich zu nehmen. Auch im 18. Jahrhundert spielten sich im Rahmen der Suche nach der Nordwestpassage große Dramen ab, die allerdings weit weniger bekannt sind als das Verschwinden der Franklin-Expedition im 19. Jahrhundert.
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Noch immer ein Rätsel – das Verschwinden von James Knight 1719
James Knight war seit 1676 in verschiedenen Positionen für die HBC tätig gewesen. In seiner Funktion als Gouverneur der HBC gründete er 1717 das Fort Prince of Wales an der Mündung des Churchillflusses und zwar genau an der Stelle, an der Jens Munk
Wissensdurst und Machthunger (18. Jahrhundert)
knapp 100 Jahre zuvor einen elenden Winter verbracht hatte, den nur er und zwei seiner Begleiter überlebt hatten. Das neue Fort befand sich außerdem an der Grenze der Jagdgebiete der Chipewyan und der Inuit. Die beiden Gruppen waren erbitterte Feinde, was es für die Engländer nicht einfacher machte, dort zu überleben und Handel zu treiben. Außer Chipewyan und Inuit lebten auch Cree in der Nähe der Küsten der Hudson Bay. Da die Cree mit den Chipewyan verfeindet waren und Knight mit beiden Gruppen zu tun hatte, versuchte er immer wieder in Konflikten zu vermitteln (Williams 2009, S. 86). Eine junge Indianerin namens Thanadelthur half ihm dabei. Von ihr erfuhr er auch, dass es weiter nordwestlich Kupfervorkommen geben solle. Außerdem komme dort auch gelbes Metall vor, das von den dortigen Völkerschaften genutzt werde. Diese Nachrichten feuerten Knights Elan an, nach den begehrten Erzen zu suchen und dabei gleichzeitig nach der Durchfahrt zum Pazifik zu schauen. Die Kupfervorkommen seien an der Mündung eines großen Flusses zu finden, der dann folgerichtig auch den Namen Coppermine River erhielt (Thomson 1977, S. 146; Williams 2009, S. 86). Als Knight im Sommer des Jahres 1718 durch Henry Kelsey als Gouverneur der HBC abgelöst wurde und man ihm erlaubte, im Alter von inzwischen fast 70 Jahren nach London zurückzukehren, beschloss er, jetzt selbst nach dem Gold und der Abkürzung nach China zu suchen. In London trug er seine Expeditionspläne mit Nachdruck vor und drohte, anderweitig Unterstützung zu suchen, sollte die HBC sein Vorhaben nicht bewilligen. Konkurrenz in ihrem Gebiet war aber das Letzte, was die Company wollte, darum stimmte sie – wenn auch zähneknirschend – Knights Expeditionsplänen zu. Anfang Juni des Jahres 1719 waren alle Vorbereitungen abgeschlossen und Knight verließ Gravesend am Themseufer mit der Fregatte Albany und der Schaluppe Discovery. Kapitän der Albany (80 Tonnen) war George Berley und die Discovery (40 Tonnen) wurde von Kapitän David Vaughan kommandiert. Die Discovery war erst wenige Monate zuvor in Auftrag gegeben worden und dies sollte nun die Jungfernfahrt des brandneuen Schiffs werden (Geiger und Beattie 1993, S. 100). Vermutlich bestand die Mannschaft der Albany neben dem Kommandanten aus 17 Personen, auf der Discovery versahen 10 Mann ihren Dienst. Zusätzlich waren an der Expedition noch 10 Personen beteiligt, die keine Seeleute waren, so dass insgesamt 40 Menschen auf den beiden Schiffen in See stachen. Die Expedition wurde für eine mögliche Überwinterung auch mit Baumaterial für eine adäquate Behausung ausgestattet. Angeblich waren sogar eisenbeschlagene Kisten an Bord, in denen die Gold- und Kupferfunde zurücktransportiert werden sollten (Geiger und Beattie 1993, S. 102), und Knight hatte Anleitungen formuliert, wie mit den Goldund Kupferminen umzugehen sei (Williams 2002, S. 24). Die Segelinstruktionen für die beiden Kapitäne lauteten, an jeden Ort zu segeln, den Knight ihnen befahl, d. h., Knight erhielt absolute Befehlsgewalt über die Expedition. Falls die Schiffe sich aus den Augen verlieren sollten, wurde als Treffpunkt Resolution Island am Eingang der Hudsonstraße angegeben. Sollten sie sich später verlieren, lautete der Auftrag, die Reise getrennt voneinander fortzusetzen. Berley hatte dann den
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Anweisungen Knights zu folgen, der ja mit an Bord war, während Vaughan zum 64. Breitengrad segeln und dort nach der Straße von Anián suchen sollte. Mit dem Beiboot sollte er unterwegs immer wieder an den Strand fahren, um zu dokumentieren, wie hoch die Flut steigt und aus welcher Richtung die Strömung kommt. Hintergrund dieser Anweisung war, dass Luke Foxe im Gebiet von Roes Welcome 1631 eine vermeintlich von Westen kommende Strömung entdeckt hatte und hoffte, dass die Passage dort sei (Williams 2002, S. 24). Schon vor ihm hatte Thomas Button 1613 in der Nähe, der von ihm Ne Ultra genannten Wasserstraße eine heftige Strömung beobachtet (Geiger und Beattie 1993, S. 103). Diese Strömungen wurden als Beweis für das Vorhandensein einer Passage zum Pazifik gewertet. Einige Karten zeigten Roes Welcome als große Öffnung, andere als geschlossene Bucht (Williams 2002, S. 21). Knight fand Übereinstimmungen in den Karten der Indianer und denen der Europäer und wollte die Passage bei Roes Welcome im Nordwesten der Hudson Bay suchen. Ein Punkt seiner Instruktion, der auf die HBC zurückging, führte vermutlich zum erschreckenden Ende der Expedition, er besagte nämlich, dass die Expedition an keinem der Handelsposten der Kompanie an Land gehen und auch möglichst nicht südlich von 64° N segeln dürfe, es sei denn Schiffe und Crew seien in Lebensgefahr. Die Verwalter der Hudson’s Bay Company wollten mit den Entdeckern möglichst nichts zu tun haben. Hinzu kam, dass Knight als ehemaliger Gouverneur der Hudson’s Bay Company ein angespanntes und konkurrierendes Verhältnis zu seinem Nachfolger hatte, so dass die Company den Eindruck hatte, Kontakte zwischen den beiden verhindern zu müssen. Außerdem gab es in den Forts nicht ausreichend Vorräte, um die Überwinterung einer ganzen Expedition zu gewährleisten. Inzwischen nahm sogar eine breitere Öffentlichkeit von den geplanten Expeditionen Kenntnis, wenn auch mit völlig falschen Vorstellungen. So wurde Knights Expedition sogar in Zeitungsmeldungen aufgenommen. Die Saturday’s Post schrieb am Tag nach Knights Abfahrt, er sei zum Nordpol unterwegs, um eine Goldmine in Terra Borealis ausfindig zu machen. Bis zum Ende der Hudsonstraße wurde Knight von zwei Schiffen der HBC begleitet, die auf ihrer jährlichen Versorgungsfahrt waren. Der weitere Verlauf von Knights Expedition, nachdem er sich von den Schiffen der HBC getrennt hatte, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Fest steht nur, dass weder Knight oder seine Leute noch eines seiner Schiffe jemals wieder lebendig gesehen wurden. Die Jungfernreise der Discovery fand offenbar ein jähes Ende. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass Knight vermutlich auf Marble Island überwintert hatte, was aber weiter aus seiner Expedition geworden ist, konnten selbst archäologische Untersuchungen im 20. Jahrhundert nicht klären. Nach dem Verschwinden Knights wurden mehrere Sommer lang Schaluppen in den Norden der Hudsonbucht geschickt, die mit den Inuit Handel treiben sollten. Hin und wieder brachten diese Hinweise auf die verschollene Expedition mit, so beispielsweise John Scroggs, der 1722 auf Marble Island Teile einer Hütte, einen Medizinkoffer, Eisenstangen und einen
Wissensdurst und Machthunger (18. Jahrhundert)
Holzmast fand, Letzterer im Besitz der Inuit. Die Inuit berichteten außerdem von Zelten aus Segeln und einem Kupfertopf. Scroggs ging davon aus, dass Knights Schiffe Schiffbruch westlich von Marble Island vor dem Festland erlitten hatten. Er war überzeugt, dass es keine Überlebenden gab, und als er zurück in Churchill war, berichtete er, dass er an der Stelle gewesen sei, wo die Albany und die Discovery Schiffbruch erlitten hätten und dass alle Männer von den Eskimo getötet worden seien. Damit schien das Schicksal der Expedition geklärt, und man war nicht in der Pflicht, weitere Nachforschungen anzustellen. Ganz anders sah es im 19. Jahrhundert mit der geradezu ausufernden Suche nach der verschollenen Expedition von John Franklin aus (s. Kap. 5). Das Verschwinden Knights rief innerhalb der HBC kaum Reaktionen hervor, offenbar verschmerzte man den Verlust der Schiffe leichter, weil man insgeheim froh war, den unbequemen Knight los zu sein (Williams 2002, S. 29). Außerhalb der HBC war so gut wie nichts über die Knight-Expedition bekannt, abgesehen von der grotesk falschen Zeitungsmeldung kurz nach der Abreise.
3.2
Straße zwischen den Kontinenten – die Straße von Anián
Die Straße von Anián war erstmals Mitte des 16. Jahrhunderts auf Karten aufgetaucht, und zwar als schmale Straße, die Asien von Amerika trennte, ungefähr an der Stelle, wo sich heute die Beringstraße befindet. Bis zu Knights Expedition 1719 war die Straße von Anián auf den Karten immer weiter nach Süden gewandert. Oft wurde sie direkt nördlich von Kalifornien eingezeichnet. Knight sprach immer von der Straße von Anián, nicht von der Nordwestpassage. Das ist ein Zeichen dafür, dass er die holländischen und französischen Karten kannte und dass er weiter südlich suchen wollte als seine Vorgänger. In Frankreich glaubte man an ein riesiges Westmeer, das auf den Landkarten große Teile des heutigen Nordamerika einnahm. Aus dem östlichen Teil kommende Flüsse mündeten in dieses Meer, so dass es aussah, als könne man die Passage über dieses Flusssystem finden. Die Art der Darstellung geht auf den Geographen Guillaume de l’Isle zurück. Häufig wurde versucht, neue Erkenntnisse geheim zu halten, aber rechtliche Streitigkeiten zwischen ein-
Abb. 3.2: Zeichnung der Straße von Anián von Ferrer Maldonado aus dem Jahre 1609, um die Reise zu illustrieren, die er angeblich 1588 unternommen hatte.
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zelnen Kartenmachern ließen doch Einiges an die Öffentlichkeit dringen. Vermutlich kannte Knight auch die Karte von Jean Baptiste Nolin, auf der ein kleines Westmeer eingezeichnet ist und eine längliche Straße von Anián diagonal über den Kontinent führt und von Nordkalifornien direkt in die Hudson Bay mündet (Abb. 3.2).
3.3
Russland schaltet sich ein
Nachdem Knights Expedition verschollen blieb, wandte sich die HBC wieder ausschließlich dem Fellhandel zu. Inzwischen nahmen andere Staaten die westliche Küste des amerikanischen Kontinents ins Visier. Da nicht klar war, ob das Russische Reich im Osten mit dem amerikanischen Kontinent verbunden war, oder ob es dazwischen eine Wasserstraße wie z. B. die Straße von Anián gab, schaltete sich nun auch Peter der Große in das Geschehen ein. Neben der geographischen Frage, ob es eine Landverbindung zwischen Russland und Amerika gebe, standen für ihn vor allem die Sicherheit seiner Grenzen und die Erkundung weiterer Expansionsmöglichkeiten im Vordergrund. Kurz vor seinem Tod beauftragte er Vitus Bering, über Land nach Ochotsk zu reisen, dort ein Schiff zu bauen, nach Kamtschatka zu segeln und von Kamtschatka aus nach Norden vorzudringen, um den Küstenverlauf kartographisch aufzunehmen. Mitte Juli 1728 stach Bering von Kamtschatka aus mit der St. Gabriel in See, um seinen Auftrag auszuführen (Abb. 3.3). Auf etwas über 67° N beschloss Bering umzukehren, da sich die Küste nicht weiter nach Norden erstreckte, sondern nach Westen abbog und er damit seinen Auftrag für erfüllt hielt. Er hatte die St.-LorenzInsel sowie eine der Diomeden-Inseln gesichtet, wegen nebeligen Wetters aber nicht das amerikanische Festland sehen können. Somit hatte er zwar den Beweis erbracht, dass Russland und Amerika nicht miteinander verbunden waren, aber über die genaue Lage Amerikas wusste man noch immer nicht Bescheid. Eines der hervorragenden Ergebnisse der Ersten KamtschatkaExpedition war eine Karte, die einerseits viel genauer, als bis zu dieser Zeit üblich, den Verlauf der Küstenlinien Kamtschatkas und Tschukotkas zeigt und andererseits Abbildungen der einzelnen Völker mit charakteristischer Kleidung und sonstigen Attributen enthält. Insgesamt war Vitus Bering fünf Jahre lang unterwegs gewesen und kehrte im März 1730 mit seinen Ergeb-
Abb. 3.3: Karte der ersten Bering-Expedition, ca. 1729.
Wissensdurst und Machthunger (18. Jahrhundert)
nissen nach St. Petersburg zurück. Da die genaue Lage Amerikas im Verhältnis zu den östlichen Rändern des Russischen Reiches weiterhin von großem Interesse für Russland war, schlug er selbst eine zweite Expedition zur Klärung dieser Frage vor. Zarin Anna Iwanowna war bereit, eine weitere Expedition zu finanzieren. Ökonomische und politische Interessen sollten mit wissenschaftlichen verbunden werden, deshalb wurde auch die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften beauftragt, Gelehrte für die Expedition abzuordnen. Diese sollten alles erforschen, was „den Wissenschaften ersprießlich wäre“ (Dahlmann 1999, S. 91). Das großangelegte Forschungsprojekt bestand letztlich aus vier Abteilungen mit unterschiedlichen Aufgaben: Chariton Laptew sollte die Nordküste Sibiriens erkunden, also faktisch nach einer Nordostpassage suchen. Martin Spangbergs Auftrag lautete von Ochotsk nach Japan zu segeln. Vitus Bering oblag es, von Kamtschatka aus den Weg nach Amerika zu suchen und die Akademische Abteilung sollte nicht weniger als ganz Sibirien erforschen. Insgesamt waren an der Expedition über 3000 Menschen beteiligt, sei es als Matrosen, Offiziere, Soldaten oder als Dolmetscher, Zeichner, Kopisten, Schiffsbaumeister, sonstige Handwerker und Hilfskräfte. Dies verdeutlicht den Umfang des Unternehmens, das gerade aufgrund seiner Größe und der damit verbundenen schier unüberwindlichen Transport- und Versorgungsprobleme im weitgehend unerschlossenen Sibirien immer wieder zu scheitern drohte (Abb.3.4, Farbtafel). Als Grundlage für die Expedition diente eine Karte von Joseph Nicolas de l’Isle, einem Bruder des berühmten Geographen Guillaume de l’Isle. Wie es damals üblich war,
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zeichnete de l’Isle auch Jeso, Staatenland, Compagnieland und Gamaland in seine Karte ein. Weil man wegen der Suche nach diesen Ländern von Kamtschatka aus Kurs nach Süden genommen hatte und damit der Weg nach Amerika viel weiter als nötig wurde, wurde diese Karte im Rückblick für die vielen Schwierigkeiten und Verluste von Berings See-Expedition verantwortlich gemacht (Urness 1986, S. 36). Lediglich die Anweisungen, die den Punkt betrafen, ob Asien und Amerika miteinander verbunden waren, durften der Öffentlichkeit mitgeteilt werden. Diese sollten offiziell als Motivation für die Expedition angesehen werden, um zu vertuschen, dass der eigentliche Zweck militärischer und politischer Natur war, denn das Russische Reich sollte nach Osten erweitert, Bodenschätze erschlossen sowie bessere Handelsrouten erkundet werden. Die Kartierung der Nordküste fand in verschiedenen Abschnitten statt und ging nur schleppend voran, dennoch wurden die Ergebnisse streng geheim gehalten. Alle Berichte und Karten mussten der Marineakademie übergeben werden und waren selbst den Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften nicht zugänglich. 1746 wurden aus den Resultaten Generalkarten zusammengestellt, die genauer waren als alle bislang vorhandenen Karten (Hoffmann 1959, S. 238). Das wesentliche Ergebnis der beiden Reisen von Martin Spangberg war die kartographische Erfassung des Seewegs von Kamtschatka entlang der Kurilenkette nach Japan und der Nachweis, dass weder Compagnieland noch Gamaland existierte (Fjodorowa und Hintzsche 1996, S. 127f.). Nach langwierigen Vorbereitungen (er war bereits seit 1733 unterwegs) konnte Bering am 29. Mai 1741 Kamtschatka mit seinen beiden Schiffen, St. Peter und St. Paul, verlassen. Bering befehligte die St. Peter, und Tschirikow, der schon an der Ersten Kamtschatka-Expedition teilgenommen hatte, die St. Paul. Die beiden Schiffe verloren sich bald in heftigen Stürmen aus den Augen und setzten die Fahrt unabhängig voneinander fort. Einen Tag vor Bering sichtete Tschirikow am 15. Juli 1741 Land im AlexanderArchipel (Prince-of-Wales-Inseln). Er verlor beide Beiboote, die er zur Erkundung ausgesandt hatte, und trat aus diesem Grund sofort die Rückreise an, die nur durch einen kurzen Aufenthalt vor der Insel Adak unterbrochen wurde. Im Oktober 1741 erreichte die St. Paul mit einer durch Skorbut geschwächten und dezimierten Mannschaft ihren Ausgangspunkt in Kamtschatka. Am 16. Juli 1741 sichtete auch Bering Land und ankerte vier Tage später vor der Kajak-Insel. Der Berg, der in der Ferne sichtbar war, wurde, da es der Eliastag war, Eliasberg getauft. Aufgrund der fortgeschrittenen Jahreszeit drängte Bering zur Rückreise. Die gesamte Rückreise Berings verzögerte sich durch heftige Stürme, so dass er beschloss, als im November Land in Sicht war, vor diesem Land zu ankern. Dies tat er in der Hoffnung, es könne sich um Kamtschatka auf der Höhe der Mündung des Kamtschatka-Flusses handeln. Bereits in den ersten Tagen nach der Ankunft stellte sich allerdings heraus, dass sie sich nicht auf Kamtschatka, sondern auf einer unbekannten Insel
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befanden, auf der es nun, da die St. Peter im Sturm an Land gespült und zerstört worden war, zu überwintern galt. Am 8. Dezember 1741 starb Vitus Bering auf der Insel, die heute seinen Namen trägt. Im nächsten Sommer bauten die Überlebenden aus den Resten der St. Peter ein kleineres Schiff, mit dem sie Ende August Kamtschatka erreichten, wo man mit ihrer Rückkehr schon gar nicht mehr gerechnet und ihr Hab und Gut verkauft hatte. Da sie aber einige wertvolle Fuchspelze an Bord hatten und sich auch die Kunde von den Seeotterfellen, die Tschirikows Mannschaft mitgebracht hatte, verbreitet hatte, erschienen Reisen in die Gebiete östlich von Kamtschatka den Händlern nun als äußerst lukrativ. Der weiteren Ausdehnung des Russischen Reiches stand nun nichts mehr im Wege. Unzählige private Expeditionen wurden zur Ausbeutung des Pelzreichtums der Aleuten organisiert und die Bewohner der Aleuten zur Seeotterjagd gezwungen und versklavt. Teile des heutigen Alaska wurden in der Folge als Russisch-Amerika dem Zaren unterstellt. Die wichtigen Ergebnisse dieses Teils der Expedition waren der Beweis der Nichtexistenz von Compagnieland bzw. Gamaland, die Entdeckung der Bering-Insel, der Aleuten und der Kajak-Insel sowie genauere Karten des gesamten Gebietes. Die westliche Einfahrt zu einer Verbindung vom Pazifik zum Atlantik hatte die Expedition aber nicht gefunden.
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Interessen und Intrigen des Arthur Dobbs
Der gebürtige Ire Arthur Dobbs (1689 – 1765) engagierte sich fast 20 Jahre lang mit einiger Vehemenz und erheblichem Durchsetzungsvermögen verwoben mit persönlichem Ehrgeiz für die Suche nach der Nordwestpassage. Im Jahr 1731 argumentierte er ausschweifend auf 70 Manuskriptseiten, dass die Passage existiere und nur noch gefunden werden müsse. Eile sei geboten, damit andere Staaten England mit der Entdeckung des wichtigen Wasserwegs nicht zuvorkämen. Dobbs glaubte, die Passage müsse bei Roes Welcome zu finden sein. Die Fluthöhe, die bei vorherigen Expeditionen gemessen worden war, sei ein Hinweis auf die Existenz der Passage. Das Vorkommen von Grindwalen sah Dobbs als Beweis, dass bei Roes Welcome der Ausgang aus der Hudson Bay sein musste. Da es keine Berichte darüber gab, dass je Grindwale in der Hudsonstraße gesehen worden waren, mussten sie aus dem Westen, dem Pazifik an den Westrand der Hudson Bay geschwommen sein, nämlich durch die gesuchte Meeresstraße (Abb. 3.5). Erst 1733 erfuhr Dobbs vom Scheitern der Knight-Expedition. Als er die Urkunde der Hudson’s Bay Company von 1670 las, wurde ihm klar, dass eine Entdeckung der Nordwestpassage nicht allen britischen Kaufleuten zugute käme, sondern ausschließlich der HBC, weil sich ihr Monopol weit in alle Richtungen auch in noch unbekannte Gebiete ausdehnte. Es fuchste ihn, dass die Company so wenig Gebrauch von ihren Privilegien machte. Im Gespräch mit dem Gouverneur der Company, Sir Bibiye Lake, versuchte Dobbs ihn zu überzeugen, dass die HBC nach der Passage suchen müsse, weil sie von der
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Auffindung als Einzige profitieren würde. Zu Dobbs’ Leidwesen interessierte sich die HBC nicht sonderlich dafür, sandte aber häufiger im Sommer eine Schaluppe in den Nordwesten mit dem Ziel, bei den Inuit Walbarten und Walöl einzutauschen (Williams 2002, S. 53, 56).
Die erste Marineexpedition zur Suche nach der Nordwestpassage Bereits 1734 hatte Arthur Dobbs Kontakt zum Ersten Lord der Admiralität, Sir Charles Wager, aufgenommen und sich dessen Unterstützung versichert. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis die erste Marineexpedition zur Suche nach der Nordwestpassage starten konnte. Zunächst war allerdings das Interesse der Regierung und der Admiralität an der Nordwestpassage gering, deshalb schlug Wager Abb. 3.5: Arthur Dobbs. eine private Expedition vor. Private Investoren waren aber aufgrund des existierenden Handelsmonopols der HBC in der Region nicht aufzutreiben. Nur wenn die Suche nach der Passage mit einem Angriff auf die Vorrangstellung der HBC kombiniert würde, wären Kaufleute bereit zu investieren (Williams 2002, S. 57). Es ist nicht ganz eindeutig geklärt, ob Dobbs sich letztlich mehr für die Zerstörung des Monopols der HBC interessierte oder für die Suche nach der Passage. Im Jahr 1739 während des Krieges zwischen England und Spanien wurde die Passage wieder interessant, weil man glaubte, auf diesem Weg die spanischen Besitzungen an der Westküste des amerikanischen Kontinents schneller erreichen zu können. Vorteil der Passage wäre außerdem, dass Engländer in Kriegszeiten in den Pazifik gelangen könnten, ohne durch die spanischen Besitzungen fahren zu müssen (Williams 2002, S. 49). Lord Anson sollte mit sechs Kriegsschiffen um Kap Hoorn in den Pazifik segeln und dort den spanischen Schiffsverkehr und Handel stören und Rebellionen in den spanischen Kolonien anzetteln sowie die Manila-Galeonen abfangen. Jetzt war der Zeitpunkt günstig, einen Versuch zu starten, auch von der Atlantikseite zu den spanischen Besitzungen durchzudringen. Wager wandte sich an König George II. Dieser befürwortete eine Expedition zur Suche nach der Nordwestpassage, weil er die Kosten für gering hielt. Die Admiralität erhielt den Auftrag, zwei Schiffe zur Verfügung zu stellen. So kam es, dass 1741 die erste offizielle Marineexpedition zur Suche nach der Nordwestpassage stattfand (Williams 2009, S. 60). Als Oberkommandant der Expedition brachte Dobbs Christopher Middle-
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ton ins Spiel, der bereits seit 1721 für die HBC arbeitete und im Dienste der Company schnell aufgestiegen war. 1734 war ihm sogar das Kommando über das neueste und größte Schiff der HBC, die Seahorse, übertragen worden. Aufgrund seiner wissenschaftlichen Interessen wurde Middleton sogar zum Fellow der Royal Society ernannt. Middleton gab seinen Posten bei der HBC auf, allerdings so kurzfristig, dass die Reise des Schiffs der HBC, die er hätte befehligen sollen, abgesagt werden musste, was zu erheblichem Ärger führte. Die Schiffe für die erste Marineexpedition waren zunächst die Schaluppe Furnace (265 Tonnen), die im Sommer 1740 als Minenwerfer gebaut worden war und für die Expedition etwas umgebaut wurde. Sie wurde unter Middletons Kommando gestellt. Als Begleitschiff kaufte die Marine ein neues 150-Tonnen-Kohlentransportschiff, das sie Discovery taufte. Dieser Schiffstyp war ein Vorläufer der berühmten Schiffe Endeavour und Resolution von James Cook und zeichnete sich durch Robustheit, geringen Tiefgang und große Ladekapazität aus. Middleton überredete die Marine, seinen Cousin William Moor als Kapitän für die Discovery zu engagieren (Williams 2002, S. 65). John Rankin wurde als Erster Leutnant für die Furnace angeheuert und ein gewisser Edward Thompson fuhr als Schiffsarzt mit, obwohl seine Qualifikation höchstens für einen Assistenten ausgereicht hätte. Auch der Schiffsarzt der Discovery war nicht examiniert. Aufgrund des Krieges standen Middleton nur unerfahrene und schlecht ausgebildete Seeleute zur Verfügung, die zudem nicht mit ausreichend warmer Kleidung ausgestattet wurden. Die HBC schäumte vor Wut über die geplante Reise, die noch dazu von einem ehemaligen Mitarbeiter geleitet wurde. Außerdem fürchtete sie, die Expedition könne sich negativ auf ihre Handelsaktivitäten auswirken. Zu allem Überfluss musste die HBC auch noch die Order der Admiralität befolgen, die Expedition im Notfall zu unterstützen und an einem ihrer Posten überwintern zu lassen. Eigentlich wäre ihr lieber gewesen, der Expedition ähnliche Auflagen zu machen wie damals James Knight. Dobbs war ein erklärter Gegner der HBC. Aus Prinzip war er für freien Handel. Er wollte aber auch selbst in der Region Handel treiben. Ihn ärgerte das schlecht genutzte Monopol der HBC: Wenn man schon solche Privilegien genieße, müsse man auch mehr daraus machen. Darum schaffte Dobbs eine kleine Menge von Handelswaren an Bord und versprach sich einen Profit von 2000 %. Middleton wusste, dass er würde überwintern müssen, und die Erfahrungen von Munk und Knight hatten gezeigt, dass es sinnvoller war, an einem Posten der HBC zu überwintern. Middleton erhielt eine von Dobbs verfasste Instruktion, in der er aufgefordert wurde, sobald er die Hudson Bay erreicht habe, nach Ne Ultra (Roes Welcome) zu segeln und dort nach dem von Scroggs beobachteten starken Tidenhub auf 65° N zu suchen. Dort sei die Passage nach Westen zu finden. Viel ausführlicher waren die Instruktionen darüber, was er alles tun solle, sobald er an der Westküste Nordamerikas angekommen sei. Wenn er auf volkreiche Nationen treffe, möge er Verträge mit ihnen aushandeln, außerdem solle er nach einer Insel Ausschau halten, die zur Besiedlung geeignet sei. Sobald er im wärmeren Klima angekommen sei, solle er Korn für seine Nachfolger säen.
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Gefundenes Land sei in Besitz zu nehmen, falls es Einwohner gebe, mit deren Einvernehmen, falls nicht, indem er entsprechende Inschriften hinterlasse. Außerdem solle er Lord Anson unterstützen, dessen Aufgabe es war, an der Westküste des amerikanischen Kontinents Manila-Galeonen zu überfallen. Der Kontrast zwischen all diesen Forderungen und der minderwertigen Ausrüstung, die Middleton zur Verfügung gestellt worden war, hätte größer nicht sein können (Williams 2002, S. 71). Am 8. Juni, einige Wochen später als die HBC-Schiffe, segelte Middleton endlich los. Die erste Marineexpedition auf der Suche nach der Nordwetpassage verließ England ohne Abschiedszeremonie und auch die Zeitungen nahmen kaum Notiz davon. Die wenigen Berichte, die es gab, waren auch noch falsch und schrieben, die Expedition sei auf der Suche nach der Nordostpassage oder auf dem Weg nach Russland. Vielleicht war dies aber auch eine gezielte Fehlinformation seitens der Marine, um das öffentliche Interesse während des Krieges von der Expedition, die ja in Gebiete des Kriegsgegners führen sollte, abzulenken. Nach einem Zwischenhalt auf den Orkneyinseln am 27. Juni und dem vergeblichen Versuch, die Crew zu vervollständigen, ging die Expedition dann endlich richtig los, hatte aber zu wenige Besatzungsmitglieder. Am 25. Juli erreichten die Schiffe die Hudsonstraße. Da sie so spät im Jahr unterwegs waren, war die Straße fast eisfrei und sie kamen in nur fünf Tagen hindurch. Trotzdem entschied Middleton sich, nicht direkt in den Nordwesten der Hudson Bay zu Roes Welcome zu fahren, sondern zunächst nach Churchill, um dort zu überwintern, damit er früh in der nächsten Saison mit der Erkundung würde beginnen können. In Churchill mussten behelfsmäßige Behausungen für seine Männer gebaut werden. Die Bucht, in der die Schiffe überwintern sollten, musste aufgrund des zu großen Tiefgangs der Furnace ausgehoben werden. Dies konnte nur mit unglaublicher Anstrengung bewältigt werden, weil der Untergrund aus Permafrostboden bestand. Obwohl die Expeditionsmitglieder unfreundlich empfangen worden waren, erhielten sie die nötige Hilfe von den Mitarbeitern der HBC (Abb. 3.6). Für die Versorgung mit frischem Fleisch waren die Überwinterer in Churchill auf die Hilfe der Cree-Indianer angewiesen. Einige hatten ihr Leben im Landesinneren aufgegeben und sich um den Posten angesiedelt und wurden von der HBC als Jäger und Fischer engagiert. Außerdem transportierten die Indianer auch Nachrichten zwischen den einzelnen weit auseinander liegenden Posten. Die Frauen stellten warme Kleidung und Schneeschuhe her. Jeder Posten hatte ca. 100 bis 200 sogenannte Home-Indians in der Umgebung. Die HBC hatte es geschickt verstanden, die Indianer im Gegenzug von ihren Waren und Alkohol abhängig zu machen, so dass man nun gegenseitig aufeinander angewiesen war (Williams 2002, S. 83). Die Seeleute hatten keine Schneeschuhe, diese waren aber absolut notwendig, um sich im Winter draußen bewegen zu können. Noch herrschte die klirrende Kälte der Kleinen Eiszeit (Williams 2002, S. 87). Anfang Oktober war der Churchill River schon komplett zugefroren.
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Abb. 3.6: Inschriften in einem Felsblock in der Nähe von Churchill, Manitoba.
Die Probleme in Churchill waren kaum zu bewältigen. Es gab nicht genug warme Kleidung und zu wenige Indianer, die jagen konnten. Ein Bote wurde wegen Hilfe nach York Factory (130 Meilen entfernt) geschickt, kam aber mit der Nachricht zurück, dass keine Hilfe möglich sei, weil man dort selbst knapp an allem war. Schon um Weihnachten gab es die ersten Fälle von Skorbut. Middleton schrieb eine Abhandlung über die Kälte und ihre Auswirkungen auf Mensch und Natur, die später in den Philosophical Transactions, dem Publikationsorgan der Royal Society veröffentlicht wurde (Williams 2002, S. 90). Erfrierungen und Skorbut waren die Hauptfeinde der Männer, hinzu kamen noch Rippenfellentzündungen vor allem bei Middleton selbst. Als der Frühling nahte, befürchtete der Leiter des Postens, James Isham, die Seeleute würden ihm den Handel verderben, so dass Middleton, seinen Leuten strikt verbot, mit den ankommenden Indianern irgendwelche Tauschgeschäfte anzufangen. Da während des Winters zwölf Männer der Expedition gestorben waren, versuchte Middleton der HBC gesunde Leute abzuwerben, um seine Verluste auszugleichen. Das gelang aber nur bei wenigen und verschärfte den Konflikt zwischen der HBC und Middleton (Williams 2002, S. 97). James Isham schrieb in einem Brief an den Hauptsitz der HBC in London: „The Captn etc. has been a Very Troublesome Guess [sic], I Humbly Desire if any Ships Come again to winter, Your Honrs will please to send a More fuller Order in What manner to Act“18 (zit. n. Williams 2002, S. 101f.). Isham war froh, als die Expedition sich endlich wieder auf den Weg gemacht hatte. Diese erreichte am 9. Juli 400 Meilen nördlich von Churchill Roes Welcome, wo Middleton Tidenmessungen durchführte. Es gab Probleme mit Eisschollen, die im Wind gegen den Schiffsrumpf schlugen, außerdem wurden sie gefährlich nahe an die Küste von Southampton Island getrieben. Middleton erreichte 65° 10‘ N, das war nördlicher als Scroggs 1722 gekommen war, und vermutlich nördlicher als je ein europäisches Schiff
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in der Hudson Bay bis zu diesem Zeitpunkt gesegelt war. Middleton sah eine Landzunge, die er Cape Dobbs taufte. Hinter dem Kap war eine Einfahrt und Middleton beschloss, dort Schutz zu suchen. Die Bucht, Straße oder den Fluss, man wusste nicht was es war, benannte er nach Sir Charles Wager. Damit hatte Middleton seinen ersten Entdeckungen die Namen seiner beiden Hauptförderer verliehen. Inuit kamen an Bord, hatten aber kaum etwas zum Handeln anzubieten. John Rankin unternahm Erkundungstouren mit dem Beiboot und untersuchte die Tide. Die Flut kam aber von Süden, d. h. von da, wo sie hergekommen waren. Die Sichtung von Grindwalen ließ die Hoffnung erneut aufflammen, dass dort doch die Passage sein könne (Williams 2002, S. 105). Nun gingen sie dazu über, die Erkundungen möglichst küstennah mit Beibooten fortzusetzen. Am 4. August verließen sie die Wagerbucht und fuhren noch weiter nach Norden; ständig durch Eis behindert, kamen sie nur mühsam voran. Die Flut kam von Osten. Da wo Roes Welcome enger wurde, war die Strömung so stark, dass die Schiffe kaum noch gesteuert werden konnten. Am 6. August sahen sie eine Landspitze, die sie „Cape Hope“ nannten und glaubten, die Passage gefunden zu haben. Am nächsten Morgen sahen sie aber, dass ringsum Land war, und Middleton gab die Hoffnung auf die Durchfahrt auf. Er nannte die Bucht, in der er vergeblich gesucht hatte, Repulse Bay. Später ging er auf White Island an Land und kletterte auf einen Berg, um auf die andere Seite schauen zu können. Er entdeckte eine Straße, die er Frozen Strait nannte, weil sie voller Eis war. Daraufhin beschloss er umzukehren. Offenbar hatte er Chesterfield Inlet nicht gesehen. Während sie sich auf dem Rückweg auf Marble Island mit Süßwasser versorgten, fand William Moor dort Teile des Wracks der Knight-Expedition, untersuchte die Teile aber nicht eingehend. Allerdings ermahnten sie die Wrackteile, was ihnen bevorstehen könnte, wenn sie die Gegend nicht rechtzeitig vor dem Wintereinbruch verließen. Darum machten sie sich schleunigst auf den Rückweg. Um sechs Wochen Erkundungsarbeit zu leisten, waren sie über ein Jahr unterwegs gewesen, von dem sie fast 11 Monate in ihrem Winterquartier in Churchill verbracht hatten. Moor fasste die Ergebnisse der Expedition kurz und bündig in seinem Tagebuch zusammen: „There is no Passage into the other Ocean between Churchill and the Latid. 67° N.“ 19 (Williams 2002, S. 108). Die Rückreise verlief ohne besondere Vorkommnisse und am 16. September erreichten sie die Orkneyinseln (Stromness). Einer der jüngeren, gebildeteren Teilnehmer der Reise schrieb von dort in einem Brief: „There was no such thing as a Passage into the Western Ocean, as was expected.“ Das heißt, alle waren sich zu diesem Zeitpunkt über das Resultat ihrer Erkundungsfahrt einig. Drei Wochen später waren sie zurück an der Themse. Middleton beklagte sich über seine Besatzung: „No Ship was ever pester’d with such a Set of Rogues, most of them having deserv’d hanging before they entered with me ...“20 (Williams 2002, S. 108f.). Middleton war sich sicher, er wollte nicht noch einmal nach der Passage suchen. Schwierig war für ihn, dass er jetzt keinen Mentor mehr hatte, weil Sir Charles Wager in der Zwischenzeit gestorben war.
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Middleton veröffentlichte 1743 eine Karte mit seinen Resultaten. Dies war der erste Versuch einer exakten Kartierung der Westküste der Hudson Bay und ein echter Fortschritt gegenüber den vorhandenen Karten. Alle wichtigen Landschaftsmarken waren eingezeichnet, bis auf – und das hatte Folgen – Chesterfield Inlet. Für seine Veröffentlichung „Surprizing Effects of Cold“ verlieh man ihm die Copley-Gold-Medaille. Das war zwar eine große Ehre, löste aber nicht seine finanziellen Probleme, die er jetzt hatte, weil er seinen Job bei der HBC aufgegeben hatte. Dobbs versteifte sich nun darauf, das Monopol der HBC zu unterwandern und die Bucht für alle britischen Kaufleute zu öffnen. Nachdem er im Dezember 1742 Middletons Tagebuch gelesen hatte, schrieb er ihm: „You have made a much greater Progress in the Discovery of the Passage, than you imagined when there ... I really think that you have prov’d the Passage, tho’ you were not at once able to perfect it ... I think I may congratulate you upon your having found the so-much-wish’d for Passage“21 (Williams 2002, S. 111). Er hätte den Wager Inlet nur weiterfahren müssen, war sich Dobbs sicher, dann hätte er es bis zum Pazifik geschafft. Middleton war verblüfft, dass Dobbs Straßen und Kanäle in der Hudson Bay von seinem Schreibtisch aus in Dublin sehen konnte, die sich Middletons Aufmerksamkeit entzogen hatten, als er dort war. Kurz nachdem Dobbs festgestellt hatte, dass Middleton die Passage entdeckt hatte, ohne es gemerkt zu haben, erreichten ihn zwei Briefe, die Middleton unterstellten, seine Entdeckung geheim halten zu wollen. Diese Briefe waren mit einem Pseudonym unterschrieben, gingen aber wahrscheinlich auf Edward Thompson, den unqualifizierten Schiffsarzt der Furnace, und John Wigate, den Buchhalter, zurück. Beide überzeugten Dobbs davon, dass Middleton seine Tagebücher und Karten gefälscht habe, um die Entdeckung der Passage zu verheimlichen. Wigate hatte einen guten Grund, Middleton zu verleumden, da dieser die Auszahlung der Heuer an Wigate verhindern wollte. John Rankin schloss sich Dobbs, Thompson und Wigate in seiner Opposition zu Middleton an. Das war besonders bitter für Middleton, da Rankins Wort als Leutnant zur See mehr zählte als die Aussagen von Arzt und Schreiber. Darüber hinaus hatte Middleton Rankin noch einige Wochen zuvor in einer für Rankin peinlichen Situation in Schutz genommen. Middleton wurde aufgefordert, sich schriftlich zu den Anwürfen zu äußern, was er im Juli 1743 mit einem 150-seitigen Manuskript tat, das später auch veröffentlicht und zum Auftakt einer zweijährigen Schriftenschlacht wurde (1743 – 1745), die insgesamt 1200 Seiten in acht Bänden umfasste. Die ganze Auseinandersetzung nahm groteske Züge an. Je weniger zu sagen war, desto länger wurden die Titel der einzelnen Abhandlungen. Rankins Tagebuch war plötzlich verschwunden, als Middleton es sich während der Kontroversen ausborgen wollte, es hätte nämlich Middletons Ansichten bestätigt. Auch Moors Tagebuch enthielt keinen Hinweis darauf, dass er mit dem Verlauf der Expedition nicht einverstanden gewesen wäre und im April und Mai 1743 schrieb er noch voller Verachtung, dass Thompson, Wigate und Rankin gegen besseres Wissen behaupteten, es gebe eine Passage. Wigate gab 1746, als die Kontroverse
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Abb. 3.7: Zwei verschiedenen Karten, die auf Middletons und Wigates Aufzeichnungen zurückgehen. mit Unterstellungen von Fälschungen und dergleichen schon in vollem Gange war, eine Karte heraus, die auf der von Middleton basierte, aber bedeutende Änderungen aufwies. Sie zeigte Wager als eine nach Südwesten offene Straße ohne Öffnung nach Norden, wo Middleton die Frozen Strait eingezeichnet hatte (Abb. siehe Williams 2002, S. 120 – 121) (Abb. 3.7). Dobbs unterstellte Middleton schließlich, er sei von der HBC bestochen worden, die Suche nach der Nordwestpassage zu verhindern. Dobbs brauchte die Passage unbedingt bzw. die Hoffnung, sie noch zu finden, um das Handelsmonopol der HBC brechen zu können. Darum ging es ihm. Neben Thompson, Wigate und Rankin fand Dobbs schließlich auch noch die Unterstützung von William Moor, der ja Middletons Cousin war. Dass auch Moor sich auf Dobbs’ Seite schlug, kränkte Middleton tief, da er Moor unter seiner Obhut gehabt und seine Karriere gefördert hatte. Die vier gaben sogar eidesstattliche Erklärungen ab. Möglicherweise waren die mit Pseudonym unterschriebenen Briefe sogar von Dobbs selbst verfasst worden und er überzeugte die vier erst bei einem Treffen in London, sich offen gegen Middleton auszusprechen. Offenbar belohnte Dobbs die Leute für ihre falschen Aussagen, indem er ihnen lukrative Posten vermittelte. Zum
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Beispiel erhielt William Moor das Kommando über Dobbs’ privat finanzierte Expedition in die Hudson Bay im Jahr 1746. Auch Thompson und John Wigate sollten auf dieser Expedition wieder dabei sein. Dobbs war weiterhin optimistisch und die Crew sollte doppelten Lohn erhalten und die Offiziere Anteile am Gewinn, wenn die Passage gefunden war. Middleton behielt letztlich in allen Punkten recht, bis auf einen. Der einzige Vorwurf, den man ihm machen konnte, war, dass er auf dem Rückweg nicht nah genug an der Küste gesegelt war und so den Eingang zum Chesterfield Inlet übersehen hatte, der auf 64° N lag. Wenn man aber seine Instruktion beachtet, in der er nördlich von 65° N nach der Passage suchen sollte und eben nicht südlich davon, hat er sich nicht wirklich etwas zuschulden kommen lassen. Dennoch hatte Middleton Mühe, wieder ein Kommando zu erhalten, und wurde 1745 auf der Schaluppe Shark eingesetzt. Eine eher untergeordnete Tätigkeit, aber besser als nichts. Dobbs griff die HBC nun auch öffentlich an, unterstellte z. B., die Härte des Winters würde übertrieben, um andere davon abzuhalten, sich dort zu engagieren. Er machte vieles publik, was die HBC bisher geheim gehalten hatte, und stützte sich dabei auf Papiere, die Middleton ihm hatte zukommen lassen (Williams 2002, S. 127). Dobbs fürchtete, dass die französischen Coureurs de Bois mit ihrem dynamischeren Umgang mit den Lebensumständen die Passage vor ihm finden könnten. Mit der Hilfe von französischen Reisenden fertigte Dobbs eine neue Karte an (Abb. siehe Williams 2002, S. 130 – 131) (Abb. 3.8).
Wie fiktive Berichte zu Fakten werden Der Glaube an die Nordwestpassage wurde immer wieder durch Berichte von Seeleuten, die vorgaben, durch die Passage gesegelt zu sein, angestachelt. So hatte auch Dobbs die Reise von Juan de Fuca erwähnt. Der Bericht war von Samuel Purchas 1625 veröffentlicht worden. Purchas hatte den Bericht von Michael Lok erhalten. Man weiß noch immer nicht, ob an dieser Geschichte ein Fünkchen Wahrheit ist oder nicht. Es gab immerhin einen in Griechenland geborenen Lotsen, der zwischen 1588 und 1594 Dienst in Mexiko tat und Michael Lok in Italien getroffen hat. Es gab aber kein spanisches Schiff, das weiter nördlich als 43° N gekommen war, die Straße sollte aber zwischen 47° und 48° N liegen (Williams 2002, S. 132f.). Dobbs nahm in sein Buch „Account of Hudson’s Bay“ aus dem Jahr 1744 auch den Bericht des spanischen Admirals Bartolomé de Fonte auf, der 1640 von Lima aus die Nordwestküste Amerikas erreicht haben soll. Dort habe er auf 53° N einen Fluss gefunden, den er Los Reyes getauft habe und der ihn auf einem Netz von Wasserstraßen weit ins Landesinnere geführt habe. Fonte sei weiter nach Osten gesegelt durch die Sea of Ronquillo und habe ein Bostoner Pelzhandelsschiff angetroffen, das von einem gewissen Captain Shapley kommandiert wurde. Die beiden Männer hätten Freundlichkeiten und Geschenke ausgetauscht und Fonte sei anschießend zur pazifischen Küste zurückgekehrt, die er am 5. September erreicht habe. Für Dobbs war dieses Treffen von spani-
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Abb. 3.8: Arthurs Dobbs’ neue Karte von Nordamerika. schen und Neuengland-Schiffen mitten im Kontinent der stichhaltige Beweis dafür, dass es die Passage geben müsse. Der Bericht von de Fonte erschien ursprünglich in einer Ausgabe der „Monthly Miscellany or Memoirs for the Curious“ im Jahr 1708 zu einer Zeit, als Berichte über erfundene Reisen groß in Mode waren. Vier Jahre vorher hatte Jonathan Swift „A Tale of a Tub“ veröffentlicht, in dem Lord Peter Terra Australis entdeckt und gekauft hatte und George Psalmanzar vorgab, aus Formosa zu stammen. Es folgte eine phantastische, aber gut aufgenommene Beschreibung von Formosa, in der sich der Autor auch seine eigene formosische Sprache ausdachte. Es gab noch weitere solcher Beispiele und in diesem Kontext ist vermutlich der Fonte-Brief zu sehen, der von einem unbekannten Autor stammt. Er wurde kaum zur Kenntnis genommen, bis Dobbs ihn 1744 wieder aus der Versenkung hervorzog. Bis heute ist nicht geklärt, woher Dobbs den Bericht von Fonte hatte. Dadurch, dass er ihn in sein Buch „Account of Hudson’s Bay“ aufgenommen hatte, erschien er seit 1708 erstmals wieder im Druck. Das Erscheinen in Dobbs’ Buch führte dazu, dass ihm erstmals ernsthafte Aufmerksamkeit zuteil wurde. Einige Jahre nach der Veröffentlichung durch Dobbs verursachte der Brief einige Aufregung in Frankreich, weil Joseph-Nicolas de l’Isle sich wegen der Fonte-Reise an die Akademie der Wissenschaften
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in Paris wandte. Kenner der Hudson Bay wussten natürlich, dass das meiste, was Dobbs in seinem Buch geschrieben hatte, den Fonte-Brief eingeschlossen, Unsinn war.
Jetzt winkt eine offizielle Belohnung Langsam wuchs in England ein offizielles Interesse, die Nordwestpassage endlich ausfindig zu machen. Um Anreize zu schaffen, wurden ähnlich wie bei der Suche nach einem Mittel, die geographische Länge exakt zu bestimmen, Belohnungen ausgesetzt. Erstmals verabschiedete das Parlament im Jahr 1745 eine Bestimmung, die jedem Untergebenen Seiner Majestät – d. h., Ausländer waren hier ausgenommen, weil es um nationales Prestige ging – eine Belohnung von 20 000 Pfund für die Auffindung der Nordwestpassage durch die Hudsonstraße versprach. Und erst 1776 nach vielen, vielen gescheiterten Versuchen, einen Ausgang aus der Hudson Bay zu finden, wurde das Gesetz dahingehend geändert, dass die Belohnung erhalte, wer eine Durchfahrt nördlich von 52° N finde, egal wo. Darüber hinaus wurde 1776 eine Belohnung ausgesetzt für denjenigen, der es schaffte, auf See 89° N zu erreichen. Manche argumentierten, dass die Entdeckung einer befahrbaren Nordwestpassage und eines brauchbaren Wegs, die Länge auf See exakt zu bestimmen, Britannien erlauben würde, die Ozeane der Welt zu dominieren (Williams 2002, S. 138). Das war die Triebfeder hinter den offiziell ausgeschriebenen Belohnungen. Zwar war der Betrag für die Auffindung der Nordwestpassage der gleiche wie für die Lösung des Längengradproblems, aber die Bedingungen waren unterschiedlich. Bei der Länge konnten sich Kandidaten aller Nationen bewerben, bei der Nordwestpassage war der Preis, wie bereits erwähnt, nur für Briten ausgeschrieben, was darauf hindeutete, dass die Nation, die die Passage fände, auch davon profitieren würde, und erklärt, warum Großbritannien mit so großem Engagement während des 19. Jahrhunderts anfing, nach der Passage zu suchen. Der Preis für die nördliche Durchfahrt war für „a perfect Discover“ ausgeschrieben, es war aber nie klar definiert worden, was genau das zu bedeuten hatte.
Dobbs gibt nicht auf Arthur Dobbs war jetzt bereit, seine Ziele mit einer eigenen Expedition durchzusetzen. Er wollte das Monopol der HBC unterlaufen und die HBC durch eine neue, von ihm gegründete Company ersetzen (Williams 2002, S. 190). Zwei Gruppen von Leuten investierten in Dobbs’ Expedition. Zum einen Politiker, deren Interesse an der Sache durch den Kontakt mit Dobbs geweckt worden war. Zu dieser Gruppe gehörte der Earl of Chesterfield, der 1746 Secretary of State for the Northern Department geworden war. Die zweite Gruppe bestand aus Londoner Kaufleuten. Viele von ihnen hatten auch Geld in den Afrika- und Westindien-Handel gesteckt oder auch schon anderweitig mit Dobbs zusammengearbeitet. Sieben von ihnen bildeten gemeinsam mit Dobbs das North West Committee.
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Die Schiffe, die das North West Committee kaufte, hießen Dobbs Galley und California. Die Dobbs Galley wurde von William Moor kommandiert und hatte 220 Tonnen. Die California (120 Tonnen) wurde von Francis Smith kommandiert. Smith war vorher für die HBC tätig gewesen. Der Seitenwechsel von Smith versetzte der HBC einen weiteren herben Schlag, ähnlich wie bei Middleton einige Jahre zuvor. Smith kannte sich aus, er hatte sechs Handelsreisen von Churchill aus nach Norden durchgeführt. Wigate fuhr letztlich doch nicht mit, aber zwei Supernumeraries wurden noch engagiert und spielten im weiteren Verlauf eine Rolle, weil sie Tagebücher führten, die nach der Reise veröffentlicht werden sollten. Sie wurden zu erbitterten Rivalen. Der eine war Henry Ellis, der in letzter Minute als Zeichner und Mineraloge zur Expedition gestoßen war. Ellis war 25 Jahre alt, stammte aus Irland und war bereits fünf Jahre zur See gefahren. Der zweite Bericht erschien unter dem Pseudonym „The Clerk of the California“, stammte aber von Theodore Swaine Drage, dessen Identität lange nicht geklärt war, weil er eine Zeitlang auch unter dem Namen Captain Charles Swaine gelebt hat (Williams 2002, S. 147). Am 20. Mai 1746 startete die Expedition, während deren Abwesenheit Dobbs einen scharfen und bissigen Wortwechsel mit Leonhard Euler über die Bedeutung von Berings Expeditionen führte (Williams 2002, S. 148). In der Hudsonstraße traf die Expedition auf Inuit, die in Kajaks herankamen, um Handel zu treiben. Für Kapitäne der HBC war das nichts Neues, die beiden Tagebuchschreiber Ellis und Drage stürzten sich aber darauf und beschrieben die „little-known and much-feared Eskimaux“22, da sie glaubten, das würde ihre künftige Leserschaft besonders interessieren. Ihre Beschreibungen von Erscheinung, Kleidung, Booten und Jagdmethoden der Südbaffin-Inuit waren die detailreichsten und genauesten ihrer Zeit und haben als frühe Dokumente zur Kultur der Inuit noch heute ihren Wert (Williams 2002, S. 154). War Middleton 1741 in fünf Tagen durch die Hudsonstraße gesegelt, so brauchten Moor und Smith 1746 fast einen Monat. Am 16. Juli kamen ihnen riesige Eisschollen in die Quere. Am 11. August erreichten die beiden Schiffe die Westküste der Hudson Bay, aber es war nicht klar, wo genau sie sich befanden, denn die beiden Kapitäne hatten verschiedene Breiten berechnet. Zwei Tage später sahen sie Marble Island und wussten nun, wo sie waren. Weil Dobbs so versessen auf Tidenmessungen war, verschwendeten sie Zeit damit, ohne klare Resultate zu erzielen, statt die Küste zu erkunden, was sinnvoller gewesen wäre. Moor und Smith entschieden sich, in York Factory zu überwintern, was südlicher lag als Churchill und den Vorteil hatte, klimatisch nicht ganz so streng zu sein. Der Nachteil war, dass im ohnehin kurzen Sommer der Weg nach Norden weiter war. In Fort York waren nur 33 Mann stationiert, was die Ankunft von 70 Seeleuten zu einer empfindlichen Bürde für die Nahrungsvorräte machte. Auch war nicht genug Wild in der Umgebung vorhanden, das die Home-Indians des Forts hätten jagen können. Sie lebten unter ähnlich schwierigen Bedingungen wie damals Middleton. Wieder war James
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Isham der Leiter der Station, er hatte inzwischen von Churchill nach York gewechselt. Man hatte insofern dazugelernt, als dass die Schiffsbesatzung wenigstens mit warmer Kleidung ausgestattet worden war. Streitigkeiten entwickelten sich zwischen den beiden Kapitänen, was die ohnehin schwierige Situation für Isham nicht leichter machte. Die Konflikte zwischen Moor und Smith eskalierten und übertrugen sich auf die jeweiligen Mannschaften, so dass es während der Überwinterung zwei verfeindete Lager gab. Schon im Dezember traten die ersten Fälle von Skorbut auf. Insgesamt verlor die Expedition in diesem Winter sieben Mann. Hinzu kam, dass dem Alkohol reichlich zugesprochen wurde, was die üblichen Gewalttätigkeiten nach sich zog. Im Vergleich zu Middleton 1741 hatten Moor und Smith 1746 es relativ leicht, ihre Schiffe vom Eis freizubekommen, so dass die Mannschaften schon Anfang April wieder auf die Schiffe umziehen konnten. Das Absurde an der ganzen Situation war, dass eine Expedition, die zum Ziel hatte, das Monopol der HBC zu brechen und die Interessen der HBC zu konterkarieren, nur mit Hilfe und in Abhängigkeit von der HBC überleben konnte. Erst im Mai, als die Gänse ankamen, löste sich das Hungerproblem. Der Sommer sei wegen der Moskitos noch schwieriger zu ertragen als der Winter, schrieben einige in ihren Tagebüchern. Als die mit Fellen beladenen Kanus der Indianer ankamen, befanden sich die beiden Kapitäne in der Zwickmühle. Ihre Geldgeber, vor allem Dobbs, wollten, dass sie Handel trieben und in jedem Fall die Preise der HBC unterboten. Die HBC hingegen tat alles, um den Kontakt zwischen der Expedition und den Indianern zu verhindern, um keine Geschäftseinbußen zu erleiden. Am 24. Juni verließen die Entdeckerschiffe York Factory, nicht ohne weitere Zusammenstöße mit Isham, der in höchstem Maße von den ungebetenen Gästen genervt war. Aufgrund des Zwists zwischen Moor und Smith segelten die beiden Schiffe jetzt nicht mehr gemeinsam, sondern vereinbarten jeweils bestimmte Treffpunkte. Die Berichte von Drage und Ellis erwecken den Anschein, als seien sie auf zwei grundverschiedenen Expeditionen gewesen. Dabei hatte das Unternehmen eigentlich gute Voraussetzungen, sie würden vor Ende Juni in der Gegend sein, wo sie nach der Passage suchen sollten. Damit waren sie einen Monat früher in der entscheidenden Region als die vorhergehenden Expeditionen. Als sie am 28. Juni Eskimo Point auf 62° N erreichten, beschloss Moor, die 100 Meilen Küste nach Norden bis Marble Island mit dem wendigen Beiboot zu erkunden. Smith hingegen wollte die Küste gegenüber von Marble Island – Rankin Inlet erkunden, aber ebenfalls in seinem umgebauten und verstärkten Beiboot. Letztlich hatte keine der Boot-Expeditionen Erfolg. Moor fand so wenig Interessantes, dass Ellis, der mit an Bord war, mehr über ihre Beziehungen zu den Inuit schrieb als über die eigentliche Erkundung der Küste. Eisschollen behinderten Moors Boot und als er eine große Öffnung auf 62° 50‘ N entdeckte, fuhr er nicht sehr weit hinein und behauptete, er habe das Ende der Bucht gesehen, wohingegen Ellis schrieb, dass ein Ende nicht zu sehen gewesen sei und es sich wahrscheinlich nicht um eine Bucht gehandelt habe. Da Moors Logbuch verschwunden ist, kann man nicht mehr genau rekonstruie-
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ren, wo exakt sie gewesen sind. Auch die Glaubwürdigkeit von Ellis’ Bericht ist in diesem Punkt anzuzweifeln, da er ihn nach der Reise mit dem Ziel geschrieben hatte, zu beweisen, dass noch immer eine gute Chance bestehe, die Passage zu finden. Smith fand nur drei Seen, in denen er, bis ihm voller Enttäuschung klar wurde, dass es eben nur Seen waren, gerne das westliche Meer gesehen hätte (Williams 2002, S. 181). Von Marble Island aus segelten sie weiter nach Norden, die beiden Beiboote in Küstennähe, um die Küsten zu kartieren. Das war nötig, weil Middleton fünf Jahre zuvor relativ weit von der Küste entfernt gesegelt war. Die beiden Schiffe wollten sich wieder bei Cape Fullerton, am Eingang zu Roes Welcome treffen. Dort kamen sie am 17. Juli an und warteten auf die Boote, die erst am 23. Juli eintrafen. Sie hatten unabhängig voneinander auf 63° 44‘ N einen Inlet entdeckt, in den sie hineingefahren waren. Drage nannte ihn Bowden’s Inlet nach William Bowden, einem Kaufmann, der an der Finanzierung der Reise beteiligt war, Ellis nannte ihn Chesterfield Inlet zu Ehren eines wichtigen Investors, dem Earl of Chesterfield. Letzterer Name wurde beibehalten (Williams 2002, S. 182). Die beiden Boote hatten den größten Einschnitt an der Westküste der Hudson Bay entdeckt, der 200 Meilen tief ins Innere reicht, aber von vorherigen Expeditionen nicht gesehen worden war, weil mehrere Inseln vor seinem Eingang liegen. Das eine Beiboot war ca. 60 Meilen (vier Tage) hinein gefahren, stellte dann aber fest, dass das Wasser flacher wurde und weniger salzig war und kehrte dann – auch aus Zeitgründen wegen des vereinbarten Treffpunkts – um. Auf dem Weg aus der tiefen Bucht trafen sie das andere Beiboot und kehrten gemeinsam zurück. Sie hatten zwar eine vielversprechende neue Öffnung entdeckt, wussten aber nicht, ob es sich um die Passage oder eine Bucht handelte. Als Nächstes fuhren sie in den Wager hinein, weil Dobbs sich sicher war, dass dort die Durchfahrt zum Pazifik sei. Es gehörte zu ihren wichtigsten Aufgaben, dies zu klären. Am 29. Juli erreichten sie den Eingang zum Wager und ankerten 40 Meilen weiter innen als Middleton das 1742 getan hatte. Von dort schickten sie die Boote weiter hinein, um nach der Passage zu suchen. Sie fuhren ca. 150 Meilen in den Inlet hinein, bis er nur noch drei Meilen breit war. Nach weiteren zwei Tagen – es war schon der 4. August – gingen sie an Land und sahen, dass ihre Straße zum Pazifik nicht existierte, sondern in zwei kleine, nichtschiffbare Flüsse auslief. Drage bezweifelte in seinem Bericht sogar, ob genug Wasser für ein Kanu vorhanden wäre. Eine zusätzliche Enttäuschung kam durch eine Gruppe Inuit, die man befragte und die weder von einem Meer im Westen noch von einer Kupfermine im Norden etwas wussten. Charakteristisch für die Konkurrenz zwischen den beiden Expeditionsteilen war, dass Ellis und Drage in ihren Berichten jeweils verschiedene Namen für neuentdeckte Landmarken verwendeten: Rankin Inlet, Chesterfield Inlet und Cape Montagu in Ellis’ Bericht wurden von Drage Douglas Bay, Bowden Inlet and Cape Smith genannt. Durch die unfruchtbare Doppelung der Aktionen und die Unfähigkeit zusammenzuarbeiten wurde viel Energie verschwendet und die Expedition war letztlich gescheitert (Williams 2002, S. 188).
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Immerhin kehrten beide Schiffe halbwegs unversehrt Mitte Oktober zurück nach England. Der Bericht von Henry Ellis erschien 1748, der von Drage in zwei Teilen 1748 und 1749. Die Konkurrenz zwischen den beiden Autoren wurde noch heftiger. Der Bericht von Ellis war kürzer, erhielt aber mehr Aufmerksamkeit. 1749 erfolgte der erste illegale Nachdruck und es erschienen französische und holländische Übersetzungen, was dazu führte, dass Ellis’ Buch als offizieller Expeditionsbericht angesehen wurde. Verärgert über den Erfolg von Ellis, unterstellte Drage ihm, er habe mit Moor gemeinsame Sache gemacht, die Erkundungen im Geheimen durchzuführen, und damit der Expedition Schaden zugefügt. Auch Isham war mit der Darstellung der Überwinterung in Ellis’ Bericht überhaupt nicht einverstanden, wenngleich auch Drage seiner Ansicht nach nicht wirklich bei der Wahrheit blieb (Williams 2002, S. 193). In Ellis’ Bericht erschien die HBC in extrem schlechtem Licht, wohingegen die Erkundungen im Sommer 1747 „seem to have firmly established the Certainty, that such a Passage there is“ 23 (Williams 2002, S. 193f.). Ein Kapitel im Buch trug ganz im Sinne von Dobbs die Überschrift: „The great Probability of a Passage ... notwithstanding the same was not actually discovered in the Last Expedition“24 (Williams 2002, S. 194). Jetzt vermutete man die Passage entweder im Chesterfield Inlet, weil man den nicht bis zum Ende verfolgt hatte, oder in Repulse Bay, was die vom Norden kommende Tide in Roes Welcome erklären würde. Abschließend wies Ellis darauf hin, dass die Gefahr bestehe, dass andere Nationen die Passage vor den Briten entdecken könnten, denn inzwischen hatten sich die Ergebnisse der russischen Expedition herumgesprochen. Alles in allem, argumentierte Ellis, würde eine neuerliche Expedition, sofern sie gut ausgeführt werde, mit absoluter Sicherheit klären können, ob es die Passage aus der Hudson Bay gebe oder nicht (Williams 2002, S. 194). Die Wogen in den Konflikten glätteten sich etwas, als von offizieller Stelle beschlossen wurde, keinen weiteren Freibrief für den Handel zu erteilen, da man nicht wollte, dass zwei Kompanien Freibriefe für dieselbe Region besäßen. Damit war Dobbs’ Wunsch, eine Konkurrenz zur HBC aufzubauen, gescheitert. Dennoch veröffentlichte er auch nach der Expedition weitere Schriften, in denen er für die Suche nach der Passage warb. Aber als er von mehreren Seiten aufgefordert wurde, selbst in die Hudson Bay zu fahren und die Gefahren des eisigen Wassers zu erleben, zog er sich aus der ganzen Angelegenheit zurück und überließ die Suche einem „some more happy Adventurer“25 (Williams 2002, S. 202). William Moor glaubte noch immer, dass es die Passage gebe, dass sie aber weiter nördlich liege. Er war sich nun aber nicht mehr sicher, ob sie befahrbar sei (Williams 2002, S. 196). Die Kaufleute, die die Reise finanziert hatten, verloren den Glauben an die Passage. Hinzu kam, dass die Passage ja nur für maximal drei Monate im Jahr befahrbar wäre und immer die Gefahr bestünde, dass ein von Westen kommendes Schiff es nicht mehr durch die Hudsonstraße schaffen würde, wenn diese früh im Jahr zufröre. Eine weitere Suche wäre nur sinnvoll, nachdem das Monopol der HBC auf die Posten und damit auf die Überwinterungsmöglichkeiten nicht mehr bestünde (Williams 2002, S. 198).
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Um 1750, nach unzähligen Enttäuschungen, die teilweise nach exakt gleichem Muster abliefen, kam die Suche nach der Nordwestpassage durch die Hudson Bay zu einem vorläufigen Ende. Sogar Henry Ellis schlug vor, dass man besser vom Pazifik aus suchen solle, da sei das Wetter milder und es gebe weniger Eis im Meer und die Entdeckerschiffe hätten nicht mit den Schwierigkeiten und Behinderungen durch die HBC zu kämpfen.
3.5
Die Hudson’s Bay Company dehnt ihren Wirkungskreis aus
Die Hudson’s Bay Company nahm die Erkundung des Nordwestens der Bucht und die Suche nach einer Verbindung zum Pazifik nun endlich selbst in Angriff. 1762 fuhr William Christopher mit der Schaluppe Churchill in den Chesterfield Inlet hinein, bis er einen See erreichte, den er Baker Lake taufte. Am Südufer des Sees fuhr er weiter nach Westen und sah, dass ringsherum Land war. Das Einzige, was Moses Norton fand, war ein kleines Flüsschen, das sehr flach und nicht befahrbar war. Das Wasser war süß und es gab keinen Tidenhub. Gemeinsam landeten Christopher und Norton auf einer kleinen Insel, die sie Despair Island tauften. Nachdem sie 230 Meilen in den Chesterfield Inlet hineingefahren waren, endete alles mit einer doppelten Enttäuschung: Dort waren weder der Eingang zur Passage noch die aufgrund von Erzählungen der Indianer erwarteten Wälder, Pelztiere und Mineralien (Williams 2002, S. 221) (Abb. 3.9). Um den immerwährenden Angriffen auf die HBC zu begegnen, weil sie nicht genug Interesse für die Suche nach der Nordwestpassage aufbringe, setzte sie die jetzt begonnene Suche fort. Aber nicht nur, um nach der Meeresstraße zu suchen, sondern auch um das Terrain, das inzwischen auch von der konkurrierenden North West Company sondiert wurde, besser kennen zu lernen. Christopher untersuchte 1763 die Küste südlich von Chesterfield Inlet und Magnus Johnston tat das Gleiche 1764. Auch Rankin Inlet wurde noch einmal inspiziert. Im Gegensatz zu den oberflächlichen Erkundungen in den 1720er und 1730er Jahren arbeiteten Christopher, Norton und Johnston sehr gründlich und fertigten exzellente Dokumentationen an. Alles wurde in einer Karte zusammengefasst, die nun erstmals ein genaueres Bild der Westküste der Hudson Bay ergab (Williams 2002, S. 222f.). Die HBC und vor allem Norton wollten weiter nach den angeblichen Mineralienvorkommen, insbesondere Kupfer suchen. Jetzt fing man an, sich auf das Landesinnere zu konzentrieren und sich auf die Ausdauer und Fähigkeiten der Chipewyan zu stützen (Williams 2002, S. 224) (Abb. 3.10). Erst 1767 wurde im Rahmen der intensiveren Rekognoszierungen mehr von Knights Expedition entdeckt: Seit den 1760er Jahren wurde der Südwesten von Marble Island durch Walfänger der HBC genutzt, denn statt Walbarten und Walöl von den Inuit einzuhandeln, betrieb die HBC jetzt selbst Walfang. 1767 waren die Schaluppen Success und Churchill in der Nähe von Marble Island. Auf der Suche nach Treibholz fanden sie im
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Abb. 3.9: Nachzeichnung einer Karte, die Moses Norton auf Hirschleder anfertigte und die 1767 nach Churchill gelangte. Osten der Insel Überreste eines Hauses und einen Haufen Kohle in dessen Nähe. 10 Tage später kamen sie wieder und suchten, ob sie Papiere finden würden. Sie stießen lediglich auf einen Schädel, bei dem aber nicht klar war, ob er von einem Europäer oder einem Einheimischen stammte. Von den Inuit erfuhren sie, dass einige der weißen Männer vor vielen Jahren den ersten Winter überlebt hatten, dann aber alle gestorben waren (Williams 2002, S. 31). Der junge Samuel Hearne fuhr als Offizier auf der Churchill. Sie fanden noch mehr Skelette in Gräbern, hinterließen aber keine schriftlichen Informationen darüber, ob ihnen damals bewusst war, dass sie Relikte der Knight-Expedition gefunden hatten. Im Jahr darauf fanden sie eine Gallionsfigur sowie andere Wrackteile und schickten sie nach England, wo eine Überprüfung ergab, dass sowohl die Gallionsfigur als auch die anderen Reste von der Albany und der Discovery stammten. Im Sommer des Jahres 1769 hörte Samuel Hearne, als er mittels eines Dolmetschers der HBC die Inuit
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Abb. 3.10: Phantasievolle Darstellung des Nordostpazifiks im frühen 18. Jh. von Robert Seale. befragte, die ergreifende Geschichte von den letzten Tagen zweier Überlebender. Bereits am Ende des ersten Winters sei die Zahl der Weißen erheblich reduziert gewesen und die Überlebenden schienen krank zu sein. Als die Inuit im Sommer des nächsten Jahres wiedergekommen seien, seien nur noch fünf Männer übrig gewesen. Man habe ihnen Seehundfleisch und Walfett zu essen gegeben, aber sie verdarben sich den Magen daran und drei von ihnen starben innerhalb kurzer Zeit. Die beiden anderen überlebten mehrere Tage und seien oft auf einen Felsen gestiegen und hätten Ausschau nach Osten gehalten, als ob sie von dort Hilfe zu erwarten hätten. Nachdem sie gemeinsam lange geschaut hatten, hockten sie sich eng nebeneinander und weinten bitterlich. Schließlich sei einer gestorben und der andere sei bei dem Versuch, ein Grab für seinen Freund auszuheben, zusammengebrochen und ebenfalls gestorben. So weit die Geschichte, die in die Annalen der Expeditionsgeschichte Eingang gefunden hat. Neuere archäologische Ausgrabungen zeigen aber, dass die Geschichte, die man Hearne erzählt hat, so nicht stimmen kann (Williams 2002, S. 32). Erstmals gab es 1970/1 Untersuchungen auf Marble Island, man fand u. a. das Wrack der Albany. In den Jahren von 1989 – 1992 führte Owen Beattie, der sich zuvor mit dem Schicksal der Franklin-Expedition befasst hatte, auf Marble Island Grabungen durch. Was aus den 40 Mann geworden ist, konnte aber auch er nicht eindeutig klären. Es wurden nur extrem wenige Knochen und Zähne gefunden. Die im 18. Jahrhundert entdeckten Gräber waren vermutlich von Inuit. 5000 andere Objekte wurden ausgegraben, Stückchen von Leder oder Stoff, Münzen, eine Schachfigur, Knöpfe etc., viele Tierknochen, einige mit Messerspuren, die meisten Kochen stammten von Karibus, Gänsen und Robben, woraus man schließen kann, dass
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die Männer erfolgreich gejagt haben. Es waren sogar einige Knochen von Schweinen und Schafen unter den Funden. Vermutlich hatten sie diese Tiere zur Frischfleischversorgung an Bord gehabt. Damit erscheint die Geschichte vom langsamen Verhungern auf Marble Island eher unwahrscheinlich (Geiger und Beattie 1993).
3.6
Zu Fuß zum Arktischen Ozean
Moses Norton kehrte 1769 mit der Erlaubnis aus England zurück, den Offizier der Churchill, Samuel Hearne auf eine Inlandreise zu schicken. Er sollte nach den Kupfervorkommen suchen, aber auch nach der Nordwestpassage, obwohl es einige Jahre zuvor so ausgesehen hatte, als sei dieses Thema ein für alle Mal abgehakt (Williams 2002, S. 227f.). Da aber Gerüchte verbreitet wurden, ein Mitarbeiter der HBC sei durch eine Öffnung in Repulse Bay auf eine Straße gestoßen, die ihn zum Polarmeer geführt habe, die dann sogar in Form eines Buches mit dem Titel „The American Traveller“ erschienen, wurde der HBC erneut unterstellt, die Passage gefunden zu haben und sie aus Wettbewerbsgründen geheim zu halten (Williams 2002, S. 228) (Abb. 3.11). Nach zwei missglückten Anläufen führte Hearne seine Reise von 1770 – 1772 durch. Er war in Begleitung von einer kleinen Gruppe von Chipewyan, die von Mattonabee angeführt wurde und die schon am Copper River gewesen war. Hearnes Tagebuch
Abb. 3.11: Fort Prince of Wales in der Nähe von Churchill, Manitoba. Aus Samuel Hearnes „A journey from Prince of Wales Fort … to the Northern Ocean“.
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wurde zu einem Klassiker über Reisen im Norden. Er war zu Fuß über kahle Gebiete unterwegs und schildert ausführlich die Schwierigkeiten, unter den extremen Bedingungen von Kälte und Schnee voranzukommen. Auch das Tauwetter machte es nicht besser, im Gegenteil, die Schlitten konnten nicht mehr benutzt werden, das Wasser versickerte im Permafrostboden aber auch nicht, so dass sie durch kniehohen Schneematsch zu waten hatten. Nach sechs Monaten, erreichten sie im Juli 1771 den Coppermine River, der sich als Enttäuschung entpuppte, weil er flach und nicht schiffbar war. Und die berühmten Kupferminen schrumpften auf einen Haufen von Felsen und Schotter. Vier Stunden mussten sie suchen, bis sie einen Brocken fanden, der groß genug war, um ihn als Beispiel mitzubringen. Hearne folgte dem Fluss bis ins Mündungsgebiet, von wo aus er das Polarmeer erblickte. Hearne war der erste Europäer, der die nördliche Küste des amerikanischen Kontinents erreicht hatte. Allerdings hatte er sich vertan und die Mündung des Coppermine 200 Meilen zu weit nördlich kartiert. Dies zeigt, dass viele der Erkundungen in dieser Zeit aufgrund von schlechten Instrumenten oder spärlichen Fähigkeiten der Reisenden ungenau waren (Williams 2002, S. 232). Hearne wurde noch Zeuge eines Massakers der Chipewyan an einer Inuit-Gruppe, bevor er die Rückreise antrat. Kein anderer Europäer sah die Mündung des Coppermine, bis John Franklin im Jahr 1821 nach einer noch entsetzlicheren Tortur dort ankam (Williams 2002, S. 233). Hearne kam auf dem Rückweg auf der Suche nach Bibern und Elchen noch am Großen Sklavensee vorbei. Im Juni 1772 kehrte er gemeinsam mit den Indianern nach Churchill zurück. Sie waren fast 19 Monate unterwegs gewesen und Hearne schrieb, dass es Zeiten gab, in denen er blutige Fußspuren hinterlassen habe (Williams 2002, S. 233) (Abb. 3.12).
Abb. 3.12: Winterlicher Blick auf den Athapuscow-See. Aus Samuel Hearnes „A journey from Prince of Wales Fort … to the Northern Ocean“.
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
Abb. 3.13: Das Kanu der nördlichen Indianer. Aus Samuel Hearnes „A journey from Prince of Wales Fort … to the Northern Ocean“. Die Ergebnisse seiner Erkundungstour fasste Hearne in einer Karte zusammen. War seine Reise auch in wirtschaftlicher Hinsicht enttäuschend, so brachte sie doch in geographischer Hinsicht neue Erkenntnisse: Der amerikanische Kontinent erwies sich als erheblich größer als bislang auf allen Karten dargestellt. Denn selbst an dem westlichsten Punkt, den er erreicht hatte, hatten ihm die befragten Indianer mitgeteilt, dass es andere Stämme weiter westlich gebe, und auch diese kannten kein Ende des Landes in westlicher Richtung. Hearnes Reise machte die Möglichkeit zunichte, dass von der Hudson Bay aus eine schiffbare Passage durch den amerikanischen Kontinent gefunden werden konnte, er hatte den Nordwestteil von der Hudson Bay bis zum Polarmeer durchquert ohne eine Meeresstraße oder schiffbare Flüsse gefunden zu haben. Eigentlich hätte man sich jetzt komplett und endgültig von der Idee einer Nordwestpassage verabschieden müssen,
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aber das Gegenteil war der Fall: Es tauchten neue Hoffnungen auf, man könne eine eisfreie Route durch das Meer finden, dessen Küste Hearne von der Mündung des Coppermine gesehen hatte. Eine neue Generation von Schreibtischgelehrten und hartnäckigen Enthusiasten schrieb sich die Finger darüber wund, dass es die Passage geben müsse. Und unentwegte Seeleute suchten genauso verbohrt danach wie zuvor, jetzt allerdings von der Pazifikseite aus oder weiter im Norden (Abb. 3.13).
3.7
Vielleicht durch die Hintertür?
Je mehr Versuche, die nördliche Durchfahrt von der Atlantikseite aus zu suchen, gescheitert waren, desto verlockender schien es, es von der Pazifikseite aus zu probieren. Und damit kommt James Cook ins Spiel. Zwar waren die Aufgaben für seine dritte Weltumsegelung weiter gesteckt als nur nach der Passage zu suchen, aber die nördliche Durchfahrt war immerhin eines der wesentlichen Ziele. Man war sich in England darüber einig, dass wenn überhaupt jemand in Lage sei, die Durchfahrt ausfindig zu machen, dann wäre dies James Cook. Mit den beiden Schiffen Resolution und Discovery, Letztere mit Charles Clerke als Kapitän, verließ Cook am 12. Juli 1776 Plymouth. In seinen Instruktionen stand, dass er sich beeilen solle, um früh in der Saison hoch in den Norden zu kommen, damit er rechtzeitig nördlich von 65° N mit der intensiven Suche und Kartierung beginnen könne. Ziel war, einen Fluss oder eine Meeresstraße zu finden, die Verbindung entweder zur Hudson Bay oder zur Baffin Bay hatte. Sollte er ein aussichtsreiches Gewässer ausfindig machen, so wären alle Anstrengungen zu unternehmen, die Passage zu durchfahren (Abb. 3.14). Als Cook schließlich die Küste von Neu-Albion, d. h. die Westküste des amerikanischen Kontinents nach Norden fuhr, stellte er fest, dass es die sogenannte Juande-Fuca-Straße definitiv nicht gab. Vier Wochen verbrachte Cook an der Westseite von Vancouver Island, bevor er weiter nach Norden vorstieß. Aufgrund schlechten Wetters konnte er auf 53° N das Gebiet, wo die Stra-
Abb. 3.14: Porträt von James Cook.
Wissensdurst und Machthunger (18. Jahrhundert)
Abb. 3.15: Eingeborene in ihren Kanus vor der Küste der Insel Oonalaska. Im Hintergrund ankert eines von Cooks Schiffen. ße des Admiral de Fonte auf den Karten eingezeichnet war, leider nicht genauer untersuchen. Nachdem er die Küste der Alaskahalbinsel erkundet hatte, segelte er durch einen Kanal östlich der Insel Unalaska und dann weiter nach Norden durch die Beringstraße. Er folgte der Küste, bis er auf 70° N Icy Cape erreichte und dort durch einen undurchdringlichen Eiswall gestoppt wurde. Nach einem kurzen Abstecher zur gegenüberliegenden Seite der Beringstraße wandte er sich nach Süden, um den Winter auf den zuvor entdeckten Sandwichinseln (heute Hawaii) zu verbringen, wo er 1779 den Tod fand. Da Cook vorgehabt hatte, im Sommer 1779 früher im Jahr noch einmal im Norden zu sein in der Hoffnung, dort auf weniger Eis zu treffen, führte Clerke, an den nun das Kommando übergegangen war, Cooks Plan aus (Abb. 3.15). Nach einem längeren Aufenthalt in Kamtschatka kamen sie am 19. Juli in die Nähe der Stelle, wo sie im Vorjahr mit Cook gewesen waren, gelangten aber nicht ganz so weit nach Norden wie im Sommer davor. Sie kämpften sich noch einige Tage durch das Eis, aber am 27. Juli gab Clerke Order, nach Süden abzudrehen. Clerke, zu diesem Zeitpunkt schon schwer krank, starb am 22. August und wurde auf Kamtschatka beigesetzt. Sie blieben einige Wochen in Kamtschatka, um ihre Schiffe zu reparieren, und begaben sich dann unter dem Kommando von John Gore auf den Rückweg. Obwohl die Expedition nicht die Nordwestpassage gefunden hatte, war sie durchaus erfolgreich gewesen, wurden doch die Hawaiiinseln entdeckt, weite Teile der amerikanischen Nordwestküste kartiert, Einblicke in den russischen Fellhandel dort gewonnen und in Kanton mit großem
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Gewinn Felle verkauft. Die Erkundungen von Cook bestätigten nun auch offiziell die Ergebnisse von Vitus Berings Kamtschatka-Expeditionen und es war Cook, der vorschlagen hatte, die Wasserstraße zwischen Russland und Amerika als Beringstraße zu bezeichnen. Für kurze Zeit schaltete sich Spanien nun in die Suche nach der Straße von Anián ein, indem es 1791 Alejandro Malaspina beauftragte, die von dem englischen Pelzhändler George Dixon angefertigte Karte zu überprüfen und zu klären, ob die Straße von Anián wirklich existiere. Noch immer hielten sich hartnäckig Gerüchte darüber, dass Lorenzo Ferrer Maldonado, Juan de Fuca und Admiral Bartolomé de Fonte die Straße von Anián durchfahren hätten.
Wissensdurst und Machthunger (18. Jahrhundert)
3.8
5000 Kilometer im Kanu
Alexander Mackenzie (1764 – 1820) war Mitarbeiter der North West Company, die ihren Sitz in Montreal hatte und der Hauptkonkurrent der Hudson’s Bay Company war. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wollte die North West Company ihren Aktionsradius nordwestlich der von der HBC genutzten Gebiete ausweiten. Dazu brauchten sie einen Wasserweg über die weiten Flächen des Landes bis zum Pazifik. Weil die Landkarten, die man zu dieser Zeit von der Region zur Verfügung hatte, noch immer die Entfernungen viel zu gering angaben, glaubte Mackenzie, er würde bald den Pazifik erreichen, wenn er dem Fluss folgte, der vom westlichen Ende des Großen Sklavensees ausfloss. Am
Abb. 3.16: Karte von Nord– amerika zeigt Mackenzies Weg den Fluss hinunter, der heute nach ihm benannt ist.
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3. Juni 1789 verließ Mackenzie Fort Chipewyan am Südufer des Athabaskesees gelegen. Als Begleiter hatte er vier frankokanadische Voyageurs dabei und einige indianische Führer. Zu Beginn kamen sie nur schleppend voran, da ihnen die vielen Stromschnellen auf dem Slave River zu schaffen machten und als sie am Großen Sklavensee ankamen, blieb die erwartete Besserung aus, weil der See noch voller Eis war. Erst nachdem sie in den Fluss hineingefahren waren, der westlich aus dem See kommt und heute als Mackenzie River bekannt ist, kamen sie erheblich schneller voran und konnten durchschnittlich 120 km pro Tag zurücklegen. Die erste Zeit floss der Mackenzie erwartungsgemäß nach Westen, bog dann aber nach ungefähr 500 Kilometern nach Norden ab und mündete in den Gefrorenen Ozean und nicht in den Pazifik, wie man sich das erhofft hatte. Am 12. Juli erreichten Mackenzie und seine Begleiter die Küste und nach einem Aufenthalt von vier Tagen auf einer vorgelagerten Insel begaben sie sich auf den Rückweg flussaufwärts. Am 12. September waren sie zurück in Fort Chipewyan und hatten innerhalb von 102 Tagen knapp 5000 Kilometer in Kanus zurückgelegt. Trotz dieser erstaunlichen Leistung waren Mackenzie und die North West Company enttäuscht von dem Ergebnis der Expedition, da sie keinerlei praktischen Nutzen daraus ziehen konnten und die Verbindung zum Pazifik noch immer nicht gefunden war. Für die Suche nach der Nordwestpassage war Mackenzies Expedition aber von entscheidender Bedeutung, war doch jetzt mit Samuel Hearnes und Mackenzies Ergebnissen eindeutig und endgültig bewiesen, dass es von der Hudson Bay aus keinen direkten Wasserweg zum Pazifik gab, und schon gar keine Meeresstraße, wie man das nun fast 100 Jahre lang – teilweise wider besseres Wissen – immer wieder vermutet hatte (Abb. 3.16).
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„Der Kapitän etc. war ein sehr beschwerlicher Gast, ich wünsche demütig falls erneut Schiffe kommen, um zu überwintern, das Ihro Ehren mir den Gefallen erweisen, vollständigere Order zu erteilen, wie zu handeln sei“ 19 „Es existiert zwischen Churchill und der Breite von 67° Nord keine Passage in den anderen Ozean.“ Ohne Nr. S. 62 „So etwas wie die erwartete Passage in den westlichen Ozean gab es nicht“ 20 „Kein Schiff war je so geplagt mit einem Haufen Schurken, von denen die meisten gehenkt gehört hätten, bevor sie an Bord kamen“ 21 „Sie haben einen viel größeren Erfolg in der Entdeckung der Passage erzielt, als sie glaubten, während sie dort waren... Ich glaube wirklich, dass sie die Existenz der Passage bewiesen haben, auch wenn sie nicht in der Lage waren, sie zu durchfahren... Ich denke Ich darf ihnen dazu gratulieren, die so sehr ersehnte Passage gefunden zu haben“ 22 „die wenig bekannten und viel gefürchteten Eskimaux“ 23 „fest die Sicherheit zu begründen scheinen, dass eine solche Passage dort existiert“ 24 „Die große Wahrscheinlichkeit einer Passage... obwohl dieselbe nicht während der letzten Expedition entdeckt werden konnte“ 25 „einem glücklicheren Abenteurer“
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Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert) Davisstraße
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500 Meilen Ross 1818 N 500 Kilometer Ross 1829 –1833 Parry 1819 –1820 Parry 1821 –1823 Franklin 1819 –1822 Franklin 1825 –1827 St. Lorenz-Golf Back 1833 –1834 Simpson+Dease 1837 –1839
Zum Wohle der Krone (19. Jahrhundert)
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ohn Franklin – das ist mit großem Abstand der berühmteste Name, der mit der Suche nach der Nordwestpassage verbunden ist, und nicht erst seit Sten Nadolnys „Die Entdeckung der Langsamkeit“. Das Verschwinden seiner gesamten Expedition, der beiden Schiffe Erebus und Terror sowie 128 Mann Besatzung bewegt bis heute die Gemüter und sorgt für die Aussendung von Suchexpeditionen, die heute allerdings archäologisch ausgerichtet sind. Der Name Franklin steht gewissermaßen als Synonym für die Nordwestpassage. Bis es aber so weit war, dass Franklin 1845 in See stechen konnte, waren bereits viele andere Expeditionen unterwegs gewesen. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts nach dem Ende der Napoleonischen Kriege suchte man mit einer völlig veränderten Motivation nach der nördlichen Durchfahrt. 90 Pro-
Abb. 4.1: Karte mit Expeditionsrouten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
500 Meile
500 Kilom
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Abenteuer Nordwestpassage
zent der Offiziere der Royal Navy waren in Friedenszeiten überflüssig und mit halbiertem Gehalt zur Untätigkeit verdammt. Da kamen Erkundungsreisen, die weiße Flecken auf den Landkarten füllen sollten, gerade recht. Es ging um Prestige und Ansehen der Royal Navy, was gleichbedeutend mit Prestige und Ansehen Großbritanniens war. John Barrow, Zweiter Sekretär der Admiralität seit 1804, wurde zur treibenden Kraft hinter vielen Expeditionen des 19. Jahrhunderts. Er war der Meinung, dass Entdeckungsreisen nicht nur die Wissenschaften und den Handel eines Landes beförderten, wichtiger noch sei, anderen Ländern bei der Entdeckung neuer geographischer Gegebenheiten oder neuer Reiserouten zuvorzukommen (Fleming 2002, S. 31). John Barrow, später Sir John Barrow, hatte seinen Posten als Zweiter Sekretär der Admiralität von 1804 bis 1845 inne, prägte also die Suche nach der Nordwestpassage im 19. Jahrhundert bis zum Verschwinden von Franklin. Point Barrow an der Nordspitze Alaskas sowie die Barrowstraße in der ostkanadischen Arktis wurden nach ihm benannt. Das Jahr 1818 bildete den Auftakt für eine Serie von Expeditionen zur Suche nach der Nordwestpassage bzw. zum Erreichen des Nordpols. Die Vorstellung, dass es ein offenes Meer am Pol gebe und man dieses leicht erreichen könne, sobald man den Eisgürtel, der es umgab, durchstoßen hatte, hielt sich hartnäckig. Aber schon ab der ersten Expedition zeigte sich eine gewisse Überheblichkeit der Marine gegenüber Nichtmarineangehörigen, wie das Beispiel von William Scoresby (1789 – 1857) zeigt. Scoresby war viele Jahre im Walfang aktiv gewesen und verfügte über vielfältige Erfahrungen mit Eisfahrten in den nördlichen Gefilden. Er hatte sogar eine Abhandlung „On the Greenland or polar ice“ veröffentlicht. Außerdem wies er 1817 darauf hin, dass ihm während seiner letzten Reise vor der grönländischen Küste eine geringere Eisbedeckung als in anderen Jahren aufgefallen sei. Unter diesen Bedingungen hätte er seiner Meinung nach, wäre er nicht auf Walfang, sondern auf einer Entdeckungsexpedition gewesen, die Nordwestpassage sicher finden können. Da aber die Marine keines ihrer Schiffe einem privaten Walfänger anvertrauen wollte und Scoresby bestenfalls als Lotse unter dem Kommando eines Kapitäns der Royal Navy an einer Expedition hätte teilnehmen dürfen, verzichtete er lieber ganz darauf und widmete sich weiterhin dem Walfang und seinen wissenschaftlichen Studien (Savours 1999, S. 41f.).
4.1
Die Suche nach dem offenen Polarmeer
Die Suche nach dem Nordpol via offenes Polarmeer hatte bereits 1773 begonnen. Die Admiralität hatte auf Geheiß der Royal Society die beiden Schiffe Racehorse und Carcass unter dem Kommando von Kapitän Constantine John Phipps entsandt, um 90° N zu erreichen. Phipps war immerhin bis 80° N gelangt und hatte die Gewässer nördlich von Spitzbergen exploriert, war dort aber durch Eis gestoppt worden.
Zum Wohle der Krone (19. Jahrhundert)
Die britischen Versuche, das offene Polarmeer zu finden, beruhten auf einer Theorie von Daines Barrington, dessen Abhandlung im Jahr 1818 in einer neuen Auflage erschien. So wundert es nicht, dass die Marine genau in diesem Jahr erneut zwei Schiffe mit demselben Ziel nach Norden schickte. Mit demselben Ergebnis, nämlich dass nördlich von 80° N der Weg durch Eis blockiert war, kehrten die Dorothea und die Trent wieder zurück nach England. Das Hauptkommando für diesen Versuch, den Nordpol zu erreichen, hatte David Buchan und das zweite Schiff wurde von keinem Geringeren als John Franklin (damals noch nicht Sir) kommandiert, der also bereits zu diesem Zeitpunkt Erfahrung in polaren Gewässern sammeln konnte. Die Marine machte es sich zur Gewohnheit, Expeditionen in die nördlichen Gefilde von erfahrenen Walfängern als Eislotsen begleiten zu lassen (Savours 1999, S. 43). Ein Bericht über den gescheiterten Versuch von Buchan und Franklin, über den Pol die Beringstraße zu erreichen, erschien erst im Jahr 1843 und wurde von Frederick William Beechey verfasst, der als Leutnant unter Franklin auf der Trent gesegelt war. John Barrow war der Meinung, dass das offene Wasser im Polarbecken auch die Nordwestpassage erheblich erleichtern und verkürzen würde, und schrieb in einem anonym erschienenen Artikel, dass eine transpolare Strömung existiere und dass die Erschließung der Nordwestpassage eine britische Aufgabe sei. Eine Karte, die seinem Artikel beigegeben wurde, zeigte, dass die nördliche Küste Russlands seit dem 18. Jahrhundert (Zweite Kamtschatkaexpedition unter Vitus Bering) gut kartiert war, während im Norden Amerikas lediglich die Mündungen der Flüsse Coppermine und Mackenzie Anhaltspunkte für den Küstenverlauf gaben. Ein Grund mehr für Großbritannien, aktiv zu werden. Großbritannien sah sich gezwungen zu handeln, wollte die Royal Navy die Entdeckung der Nordwestpassage nicht anderen Nationen überlassen. Denn zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren im Rahmen der ersten russischen Weltumsegelungen (1803 – 1806 Adam Johann von Krusenstern und 1815 – 1818 Otto von Kotzebue) Versuche unternommen worden, die Nordwestpassage vom Pazifik aus zu finden (Savours 1999, S. 47).
4.2
John Ross und die Croker Mountains (1818)
Zeitgleich mit der Suche nach dem offenen Polarmeer starteten 1818 zwei Schiffe unter dem Kommando von John Ross und William Edward Parry mit dem Ziel, die Nordwestpassage zu meistern. Endlich hatte man sich von der Idee verabschiedet, in der Hudson Bay nach der Durchfahrt zu schauen, und folgte den leider verwischten und schlecht dokumentierten Spuren von Robert Bylot und William Baffin. Smith, Jones und Lancaster Sound waren auf den gängigen Karten der Zeit nicht verzeichnet, obwohl Bylot und Baffin alle drei Einfahrten gesichtet hatten (Savours 1999, S. 46). John Ross oblag das Oberkommando über beide Schiffe. Die Expedition wurde von einem West-Grönländer
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Abb. 4.2: John Ross’ Zeichnung der Route der Schiffe Isabella und Alexander im Lancaster Sound im August 1818. Eingezeichnet sind auch die von Ross erwähnten Crocher Mountains. als Dolmetscher begleitet. Sein Name war John Sackheuse (Sackheouse oder Sacheuse). Sacheuse war zum Christentum übergegangen und hatte bei den Missionaren Lesen, Schreiben und Zeichnen gelernt. Das Vorankommen im Eis erwies sich als ausgesprochen schwierig, oft mussten Kanäle freigesägt werden, durch die die Schiffe dann zu den Klängen eines Geigenspielers mit Muskelkraft gezogen wurden. Als erster Engländer stieß John Ross im Nordwesten Grönlands auf Polareskimos (Inughuit), die er ‚Arctic Highlanders‘ nannte und mit denen er dank der Hilfe von Sacheuse einigermaßen kommunizieren konnte, obwohl sie zunächst eher zurückhaltend bis feindselig auftraten (Savours 1999, S. 51f.). Die Inughuit kamen auch an Bord und wurden porträtiert, bevor sie mit Geschenken versehen wieder an Land zurückkehrten. Offenbar erfuhr Ross durch Sacheuse auch, dass es in der Region Meteoreisen geben solle, allerdings war er zu diesem Zeitpunkt schon wieder auf hoher See und es war zu spät zurückzukehren und den Meteoriten zu untersuchen; das blieb dann Robert Peary Ende des 19. Jahrhunderts vorbehalten. John Ross war eigentlich auf dem richtigen Weg, als er am 31. August 1818 in den Lancaster Sound hineinfuhr. Er entschloss sich allerdings noch am selben Nachmittag zur Umkehr, weil er die Durchfahrt durch Berge versperrt wähnte, die er nach dem Ersten Sekretär der Admiralität J. W. Croker als Croker Mountains bezeichnete. Er glaubte,
Zum Wohle der Krone (19. Jahrhundert)
sich in einer Bucht zu befinden: „I distinctly saw the land, round the bottom of the bay, forming a connected chain of mountains with those which extended along the north and south sides“26 (zit. nach Savours 1999, S. 54). Auch Parry, der die Berge nicht gesehen hatte, wurde zur Umkehr gezwungen und war ausgesprochen enttäuscht über das frühe Ende der Expedition. Da nicht alle die Berge tatsächlich gesehen hatten, kam es nach John Ross’ Rückkehr zu einer heftigen Kontroverse, die Ross und Barrow zu erbitterten Gegnern machte, was dazu führte, dass Ross nie wieder ein Kommando über ein Schiff der Königlichen Marine erhielt (Abb. 4.2). Trotz aller Enttäuschungen und Streitigkeiten verfasste John Ross einen umfangreichen Bericht über seine Expedition, die von John Murray ein Jahr nach Ross’ Rückkehr unter dem Titel: „A voyage of discovery ... in His Majesty’s Ships Isabella and Alexander for the purpose of exploring Baffin’s Bay and inquiring into the probability of a North-west Passage“ publiziert wurde. Ross hatte sich unterwegs auch künstlerisch betätigt und seine mit Wasserfarben gestalteten Skizzen dienten zur Illustration des Buches, in dem er unter anderem erläutert, auf welche Art die Schiffe eisverstärkt worden waren, dass die Naval and Military Bible Society die Schiffe üppig mit Ausgaben des Neuen Testaments ausgestattet hatte und welche Geschenke für die Ureinwohner an den Küsten Grönlands und Amerikas mit an Bord genommen worden waren. Obwohl Ross nicht weiter als zum Eingang des Lancaster Sound gekommen war, hatte die Suche nach der Nordwestpassage neuen Schwung bekommen und wurde fortgesetzt. Schon im 18. Jahrhundert hatte das englische Parlament Belohnungen für das Auffinden der Nordwestpassage ausgesetzt. Diese wurden 1818 erneuert und erweitert. Nicht nur sollte 20 000 Pfund erhalten, wer die Passage fände und 5000 Pfund, wer auf See 89° N erreichte, sondern wer nördlich des Polarkreises segelnd den 110. Grad westlicher Länge erreichte, konnte mit 5000 Pfund rechnen und 10 000 Pfund winkten demjenigen, der unter den gleichen Bedingungen den 130. Längengrad W schaffte (Savours 1999, S. 56). Damit wurde die Suche natürlich zusätzlich angestachelt und schuf auch Anreize für Seeleute, die nicht der Marine angehörten.
4.3
Erste arktische Überwinterung einer Expedition der Royal Navy (1819)
Kaum war John Ross von seiner gescheiterten Erkundung des Lancaster Sound 1818 zurückgekehrt, wurde schon die nächste Expedition geplant. Im Sommer 1819 sollte William Edward Parry, der so enttäuscht über das frühzeitige Abdrehen der Schiffe gewesen war, das Kommando über die ehemalige Bombarde (bomb vessel) Hecla (375 Tonnen) übernehmen und Leutnant Matthew Liddon wurde die Verantwortung für die (gun-brig) Griper (180 Tonnen) übertragen. Es sollte erneut ein Versuch unternommen werden, die Nordwestpassage durch den Lancaster Sound zu finden. Ergänzt wurde die-
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Abb. 4.3: Die Mannschaften der Hecla und der Griper schneiden einen Weg in das Eis, um die Schiffe zu ihrem Überwinterungsplatz zu bringen. se See-Expedition, die legendär wurde und von den Leistungen her für lange Zeit unerreicht blieb, durch Erkundungen über Land den Copperminefluss hinauf, die von John Franklin geleitet wurden (Abb. 4.3). Die Schiffe Hecla und Griper fuhren in den Lancaster Sound hinein und durch die Croker Mountains hindurch, womit Parry den endgültigen Beweis lieferte, dass John Ross im Vorjahr Opfer einer der in Polargebieten häufig auftretenden Luftspiegelungen geworden war. Nach der Überwindung der Croker Mountains stieß Parry weiter nach Westen vor durch die Wasserstraße, die heute Parrykanal heißt. Es herrschte große Freude an Bord, als sie den 110. Längengrad passierten, winkte der Expedition doch eine Belohnung von 5000 Pfund. Sie erreichten eine Insel, die sie nach Lord Melville, dem Ersten Lord der Admiralität benannten. Da die kurze Sommersaison schon weit fortgeschritten war, entschied Parry, auf Melville Island zu überwintern, an einer Stelle, die den Namen Winter Harbour erhielt. Damit begann die erste Überwinterung einer Marineexpedition in der Arktis im 19. Jahrhundert. Parry hatte alles wohlüberlegt organisiert, so dass diese Überwinterung zum Beispiel und Vorbild für viele weitere wurde. Während der dunklen Zeit gab es Unterricht für die Seeleute. Neben Theateraufführungen und musikalischer Unterhaltung trugen wissenschaftliche Beobachtungen zur Abwechslung bei. Es wurden regelmäßig Messungen der Temperatur und des Magnetismus durchgeführt. Die Schiffe wurden zur Isolierung mit gefüttertem Tuch überdacht. Wann immer möglich, erlegten die Seeleute Karibus oder Moschusochsen, um die Nahrungsreserven aufzufüllen. Dies trug dazu bei, dass die Mannschaft den Winter in erstaunlich guter Gesundheit überstand. Die Namen der Schiffe Hecla und Griper wurden in einen Sandstein eingeritzt, um den Überwinterungsort damit zu markieren. Dieser Sandstein sollte später während der Suche nach Franklin eine wichtige Rolle zur Deponierung von Nachrichten spielen (Abb. 4.4).
Zum Wohle der Krone (19. Jahrhundert)
Parry musste feststellen, dass die von der Armee zur Verfügung gestellten Lederschuhe für solche extrem niedrigen Temperaturen ungeeignet waren und es darin häufig zu Erfrierungen kam. Darum entwickelte er mit Decken oder Wollstoff gefütterte Segeltuchstiefel mit Rohhaut als Sohle, in denen die Füße erheblich besser gegen die Kälte geschützt waren (Savours 1999, S. 57). Neben Nahrungsmitteln in Dosen hatte Parry Zitronensaft, Essig, Sauerkraut, eingelegtes Gemüse und Kräuter dabei. Nahrungsmittel in Konservendosen haltbar und transportierbar zu machen, war eine Erfindung des frühen 19. Jahrhunderts und Parry gehörte zu den Ersten, die auf Expeditionen davon profitieren konnten. Der Winter ging erst spät zu Ende. Es wurde Mitte Mai, bis die Mannschaft nach 10-tägigem Sägen und Graben die Schiffe wieder freibekam. Bevor es weitergehen konnte, mussten noch erhebliche Reparaturarbeiten durchgeführt werden. Eine Überprüfung der Vorräte ergab, dass der Proviant für ein weiteres Jahr reichen würde, so dass sie am 1. August 1820 zunächst Kurs nach Westen nahmen, um eine Durchfahrt von Melville Island zur Beringstraße zu suchen. Schaut man auf heutige Karten, sieht es so aus – offenes Meer vorausgesetzt –, als hätte Parry einfach nur nach Westen und später nach Süden weitersegeln müssen. Land wäre ihm auf der Weiterfahrt nicht im Weg gewesen. Allerdings wurde die Expedition schon bald durch extrem hartes und festes mehrjähriges Eis aufgehalten, das kein Durchkommen ermöglichte. Schon am 16. August hatten die Seeleute mit 113° 46' 43'' W ihren westlichsten Punkt bei Cape Dundas an der Südküste von Melville Island erreicht. Da sie nicht weiter nach Westen vordringen konnten, entschied Parry, nach England zu-
Abb. 4.4: Die Schiffe Hecla und Griper überwintern vor Melville Island.
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rückzukehren. Land, das südlich von Melville Island auftauchte, wurde nach Sir Joseph Banks, dem Präsidenten der Royal Society, benannt. Auf dem Rückweg wurde gründlich kartiert und viele Landmarken erhielten auf dieser Expedition ihre Namen, darunter auch Cape Franklin (Abb. 4.5, Farbtafel). Nach 18-monatiger Abwesenheit kehrten die 49 Personen, die Parry unterstellt waren, weitestgehend gesund zurück – das alleine galt schon als immenser Erfolg, nur noch gesteigert durch den Rekordvorstoß nach Westen so hoch im Norden. Parry war nun überzeugt, dass sich tatsächlich eine Passage finden lassen müsse, dass es aber aufgrund der Eisverhältnisse besser wäre, weiter südlich nach ihr zu suchen.
4.4
Der Mann, der seine Stiefel aß
Zeitgleich mit Parry schrieb John Franklin sich in die Annalen der Polargeschichte ein. Seine Aufgabe lautete, die Arbeiten von Alexander Mackenzie und Samuel Hearne fortzusetzen. Hearne hatte 1770 – 1772 in Diensten der Hudson’s Bay Company die Nordküste des Kontinents an der Mündung des Coppermineflusses erreicht und Mackenzie in Diensten der konkurrierenden North West Company mit Sitz in Montreal 1789 an der Mündung des nach ihm benannten Flusses ebenfalls am Nordmeer gestanden. Franklin sollte nun während seiner Landreisen die Gebiete östlich und westlich dieser beiden Flussmündungen kartieren. Dazu erhielt er Instruktionen von dem Colonial Secretary Earl Bathurst, nach dem Bathurst Inlet später benannt wurde (Abb. 4.6). Insgesamt führte Franklin zwei Landexpeditionen durch, eine von 1819 bis 1822 und die andere von 1825 bis 1827. Auf beiden wurde er von dem Arzt und Naturforscher John Richardson und dem Offiziersanwärter (später Admiral) George Back begleitet. Auf seiner ersten Expedition sollte Franklin die Küste östlich der Mündung des Coppermine vermessen. Franklin und seine Begleiter verließen England auf einem Versorgungsschiff der Hudson’s Bay Company. Sie entschieden sich, ihre Landexpedition von York Factory an der Mündung des Hayes River aus zu beginnen. Der Start von Franklins Expedition fand ausgerechnet während der Zeit der schärfsten Auseinandersetzungen zwischen der Hudson’s Bay Company und der North West Company statt, was seine Expedition sehr nachteilig beeinflusste. Die Streitigkeiten zwischen den beiden Handelskompanien wurden erst 1821 durch einen Zusammenschluss beigelegt.
Abb. 4.6: Sir John Franklin.
Zum Wohle der Krone (19. Jahrhundert)
Abb. 4.7: Vorbereiten eines Rastplatzes in einer Winternacht. Am 9. September 1819 verließen Franklin und seine Männer Fort York und legten die 700 Meilen Richtung Westen bis Cumberland House in den für die HBC typischen Transportbooten, den sogenannten York-Booten zurück. Sie überwinterten in Cumberland House. Da sie dort nicht die erwarteten Führer, Jäger und Dolmetscher vorfanden, verließ Franklin am 19. Januar 1820 gemeinsam mit Back und John Hepburn das Winterquartier und ließ Richardson und Robert Hood zurück. Franklin legte 857 Meilen bis Fort Chipewyan zurück, wo er mit seinen Begleitern am 26. März 1820 ankam und freundlich von den Mitarbeitern der North West Company empfangen wurde. Anschließend stattete er auch Fort Wedderburn, das der HBC gehörte und in der Nähe lag, einen Besuch ab. Richardson und Hood kamen auf dem Wasserweg nach, als die Flüsse wieder aufgetaut waren. Die Expedition litt die gesamte Zeit darunter, dass nicht genügend Vorräte zu ihrer Versorgung beschafft werden konnten und die beiden Handelskompanien sich gegenseitig die Verantwortung dafür zuschoben, statt zu überlegen, wie man Franklin helfen konnte. Am 18. Juli 1820 setzte die Expedition ihren Weg fort und erreichte am 29. Juli Fort Providence an der Nordküste des Großen Sklavensees, das ebenfalls der North West Company gehörte. Dort erhielten sie einen Dolmetscher und der indianische Chief Akaitcho schloss sich mit einigen seiner Leute der Expedition an, um zu jagen und die Expedition so mit Nahrungsmitteln zu versorgen (Abb. 4.7). Am 20. August erreichten sie die Stelle, die die Indianer als Ort für die Überwinterung ausgewählt hatten, und machten sich daran, ein Quartier aufzubauen, das sie Fort Enterprise tauften. Am 6. Oktober konnten sie aus ihren Zelten in das Gebäude umziehen. Zehn Monate verbrachten die Expeditionsteilnehmer dort gemeinsam mit einigen
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Copper-Indianern. Es wiederholte sich, was bereits vorher passiert war, versprochene Vorräte wurden nicht geliefert. Dieser Mangel veranlasste George Back während des Winters nach Fort Chipewyan zurückzukehren. Leider gelangte er nur mit wenigen zusätzlichen Vorräten und dem Versprechen zurück, dass weiterer Nachschub nach Fort Enterprise geliefert würde. Am 14. Juni 1821 war der Winter endlich vorbei und die Gruppe um Franklin verließ Fort Enterprise in Begleitung von frankokanadischen Voyageurs, darunter ein HalbIrokese namens Michel und ein Italiener namens Fontano. Inzwischen waren auch zwei Inuit von Fort Churchill aus angekommen, die nach den Monaten ihrer Ankunft Junius und Augustus genannt wurden und als Dolmetscher in den nördlichen Gebieten fungieren sollten. Ihre richtigen Namen waren Franklin zufolge ‚Tattannoeuck‘ und ‚Hoeootoerock‘, der ‚Bauch‘ und das ‚Ohr‘ (Williams 2009, S. 197). Am 21. Juni 1821 hatten sie nach erheblicher Mühsal die Küste erreicht und konnten nun von ihren Birkenrindenkanus aus, die für das offene Meer eigentlich völlig untauglich waren, mit ihren Kartierungsarbeiten beginnen – über zwei Jahre nachdem sie England verlassen hatten. Sie erkundeten die Küste des Coronation-Golfs, Bathurst Inlet und andere Buchten. Eigentlich hatten sie geplant, bis zur Westküste der Hudson Bay (Repulse Bay) vorzudringen, da aber sich die ersten Anzeichen des Winters schon früh zeigten, beschlossen sie am 22. August auf 110° 5‘ W an der Nordwestspitze der Kenthalbinsel umzukehren. Die Stelle trägt folgerichtig heute den Namen ‚Point Turnagain‘. Die Rückreise nahmen sie auf einem neuentdeckten Fluss, den sie nach Hood benannten, in Angriff. Da der Fluss sich aber in die falsche Richtung wandte, mussten sie erhebliche Strecken über baumloses, ihnen völlig unbekanntes Land zurücklegen. Da sie nicht wussten, welche Flüsse oder gar Seen ihren Weg kreuzen würden, mussten die Kanus über Land mitgeschleppt werden, was das Vorankommen zusätzlich erschwerte. Die Lebensmittelvorräte schrumpften bedrohlich. In der leeren Landschaft konnten sie sich auch nicht aus der Natur ernähren, denn es tauchte kein Wild auf, das man hätte jagen können. Darum gingen sie dazu über, sich von schlecht verdaulichen Flechten zu ernähren. „At other times the skin and bones and putrid flesh of a deer’s carcase, perhaps left by the wolves, plus leather from old shoes or pieces of their buffalo robes, were eaten“27 (Savours 1999, S. 72). Aus dieser Notsituation, in der Franklin voller Verzweiflung auf dem Leder seiner Mokassins kaute, resultierte der Spitzname für ihn: der Mann, der seine Stiefel aß. Auf dem Rückweg nach Fort Enterprise teilte sich die Gruppe auf: Hood, Richardson und Hepburn blieben zurück, Back war mit einigen Begleitern schon vorausgegangen und der Rest setzte den Weg im gleichen Tempo fort. Als Franklin mit seinen Männern völlig erschöpft Fort Enterprise erreichte, war der Schock groß, als er erkennen musste, dass weder die versprochenen Lebensmittel deponiert worden waren, noch die Gruppe von Indianern anwesend war, die Franklin dort in Empfang hätte nehmen sollen. Noch schlimmer war, dass nicht einmal die zugesicherte Nachricht darüber, wo die
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Indianer zu finden seien, hinterlegt worden war. George Back war auf der Suche nach den Indianern bereits vorausgeeilt und wollte probieren, falls er sie nicht finden konnte, Fort Providence zu erreichen, um von dort Hilfe zu organisieren. Am 29. Oktober kamen schließlich auch Richardson und Hepburn nach Fort Enterprise. Die Geschichte, die sie zu erzählen hatten, erfüllte Franklin mit Grauen. Lieber hätte er dies nicht erfahren. Was war passiert? Einer der Voyageurs, Michel, war zu Richardson, Hood und Hepburn zurückgekehrt und hatte etwas Fleisch dabei, das sie gemeinsam verzehrten. Sein Verhalten war aber sonderbar und auffällig. Als alle unterwegs waren, um Ausschau nach etwas Essbarem zu halten, hörten sie einen Schuss – und sahen, als sie zurückkehrten, dass Hood tot war. Zwar versuchte Michel zu erklären, es sei ein Unfall gewesen, aber Richardson und Hepburn hatten den Verdacht, dass Michel Hood umgebracht hatte und dass er das Gleiche mit ihnen tun würde, sobald er sicher sei, den Weg nach Fort Enterprise alleine zu finden. Um dem zuvorzukommen, erschoss Richardson den Voyageur. Langsam dämmerte ihm und Hepburn, dass das Fleisch, das Michel mitgebracht hatte und das sie gemeinsam mit ihm verzehrt hatten, vermutlich nicht von einem Tier, sondern von zwei vermissten Waldläufern (einer von ihnen der Italiener) stammte. Diese Erkenntnis erfüllte die beiden mit Entsetzen und es fiel ihnen schwer, Franklin davon zu berichten. Inzwischen waren alle in Fort Enterprise dem Tode nahe und am 1. November starben zwei weitere Waldläufer. Erleichterung kam erst am 7. November in Form von drei Indianern von Akaitchos Lager, die auf Backs Betreiben nach Fort Enterprise gegangen waren und getrocknetes Fleisch mitbrachten. Sobald die vier überlebenden Expeditionsmitglieder (Franklin, Hepburn, Richardson und einer der Voyageurs) halbwegs zu Kräften gekommen waren, setzten sie in Begleitung der Indianer ihren Weg fort. Am 14. Juli 1822 erreichten sie endlich York Factory, wo nun George Simpson Gouverneur der inzwischen vereinigten Handelskompanien war. Einer der Gründe für das Scheitern der Versorgung von Franklins Expedition waren die Rivalitäten der beiden Handelskompanien. Verantwortlichkeiten waren von der einen auf die andere Kompanie abgewälzt worden und Franklin sowie seine Männer waren die Leidtragenden. Von insgesamt 20 Expeditionsteilnehmern waren elf umgekommen: Hood sowie zehn der Dolmetscher und Voyageurs, die als Träger engagiert worden waren. Vermutlich wären die meisten dieser Todesfälle vermeidbar gewesen, hätte es die Reibereien zwischen den beiden Kompanien nicht gegeben. Die wissenschaftlichen Resultate waren aber exzellent. Franklin wurde in jüngerer Zeit häufig vorgeworfen, er habe sich nicht genug an die Lebensweise der Indianer angepasst. Ann Savours kommentiert diese Kritik mit den folgenden Worten: „Franklin learnt from his terrible experience in 1819 – 1821 and his second overland expedition turned out to be in great contrast to his first. Perhaps (rather than ‚ethnocentric‘) he should be viewed as a naval officer carrying out, in adverse circumstances, an unusual, arduous and difficult assignment, largely overland, which began the survey of the north
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coast of America, and which had many important scientific results. Would any of this critics, transported in time nearly two centuries ago, have done any better, were they in his shoes?“28 (Savours 1999, S. 79). Franklin schrieb alle seine Erlebnisse auf und dieser Bericht verkaufte sich extrem gut; insgesamt gab es vier Auflagen (Lambert 2009, S. 41). Dadurch wurde er einer breiten Leserschaft als der Mann bekannt, der seine Stiefel aß („Narrative of a Journey to the Shores of the Polar Sea, in the Years 1819 – 20 – 21 – 22.“ With an Appendix on Various Subjects Relating to Science and Natural History. London 1823).
4.5
William Edward Parry erneut unterwegs (1821 – 1 823)
Nach seinem großen Erfolg erhielt William Edward Parry für seinen zweiten Versuch, mit eigenem Kommando die Nordwestpassage zu finden, zwei baugleiche (bomb vessels) Bombarden – Fury und Hecla (jeweils ca. 375 Tonnen). Beide Schiffe waren mit Vorräten so voll geladen, dass sie zu tief im Wasser lagen. Darum entschied man sich, einen großen Teil der Ladung auf einem Transportschiff (Nautilus, 405 Tonnen) über den Atlantik bis zum Eisrand transportieren zu lassen und dort umzuladen. Parry war von seiner ersten Reise mit der Ansicht zurückgekehrt, man müsse weiter südlich nach einem Durchlass suchen als er es getan hatte, was dazu führte, dass er für seinen zweiten Versuch eine Instruktion erhielt, durch die Hudsonstraße zu fahren und dann den Norden der Hudson Bay und Middletons Frozen Strait genauer zu untersuchen. Zur Vorbereitung auf seine zweite Expedition beschäftigte sich Parry eingehend mit den Berichten von Middleton, Moor und Smith aus den 1740er Jahren. Zwar stand die Suche nach der Nordwestpassage im Vordergrund, aber auch wissenschaftliche Untersuchungen sollten im 19. Jahrhundert auf den Reisen nicht zu kurz kommen. Da Franklins Landexpedition zeitgleich unterwegs war, wurde Parry aufgefordert, entlang der Nordküste des amerikanischen Kontinents jeweils Nachrichten mit Positionsangaben zu hinterlassen. Man rechnete mit einem möglichen Zusammentreffen der beiden Expeditionen. 1821 fuhr Parry also direkt ins Foxebecken und an der Nordseite von Southampton Island entlang und wies nach, dass die Repulse Bay, genau wie Middleton seinerzeit geschrieben hatte und man ihm nicht glauben wollte, keine Durchfahrt nach Westen war (Savours 1999, S. 107). Am 8. Oktober 1821 wurde es dringend Zeit, sich nach einem Ort zum Überwintern umzuschauen, weil sich frisches Meereis bildete. Parry entschied, an einer kleinen, der Melvillehalbinsel vorgelagerten Insel, die er Winter Island taufte, den Winter zu verbringen. Bei der Ausstattung der Schiffe für die Überwinterung hatte die Royal Navy aus Parrys Erfahrungen 1819/20 gelernt. Damals hatten sich die unteren Decks im Innern der Schiffe aufgrund von Kondensation mit einer dicken und von Zeit zu Zeit tropfenden Eisschicht überzogen, was das Leben an Bord sehr unangenehm machte. Um dies zu verhindern, hatten die Fury und die Hecla nun einen Kohleofen
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Abb. 4.8: Von der Inuitfrau Iligiuk im Jahre 1822 gezeichnete Karte.
an Bord, der warme Luft in den Schlaf- und Aufenthaltsräumen zirkulieren ließ, was bewirkte, dass es dort während des Winters relativ warm und trocken war. Auch das Schuhwerk war verbessert worden: Die Schneestiefel der zweiten Expedition waren aus starkem braun-grünen Segeltuch mit einer Sohle aus Kork gemacht und wurden recht groß getragen, so dass das Blut gut zirkulieren konnte. Parry hatte Glück, denn eine Gruppe von Inuit ließ sich in ihren Iglus ganz in der Nähe der Schiffe nieder. Da er keinen Dolmetscher dabei hatte, gestaltete sich die Kommunikation schwierig und zuweilen missverständlich. Das erste Zusammentreffen mit den Inuit fand am 1. Februar 1822 statt (Savours 1999, S. 110ff.). Die Inuit nährten auch die Hoffnung von Parry, dass es eine Nordwestpassage gebe (Savours 1999, S. 111) (Abb. 4.8). Am 2. Juli 1822 verließ die Expedition ihr Winterquartier und erkundete die Ostseite der Melvillehalbinsel. Die Inuit waren bereits sechs Wochen vorher Richtung Norden
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aufgebrochen. Parry glaubte schon, die Passage gefunden zu haben, als er in die Straße hineinfuhr, die er Fury-und-Hecla-Straße taufte, wurde dort aber durch dichtes mehrjähriges Eis gebremst, das ihn zwang umzukehren und ein zweites Mal zu überwintern. Das zweite Winterquartier wurde in Igloolik an der Nordostspitze der Melvillehalbinsel eingerichtet. Erneut hielten sich während des Winters Inuit in der Nähe auf, was für Abwechslung sorgte. Parry und der Kapitän des zweiten Schiffs, George Francis Lyon, hatten im Sommer versucht Kajakfahren zu lernen und probierten im Winter den Umgang mit Schlittenhunden aus. Im nächsten Sommer versuchten sie ein zweites Mal durch die Fury-und-Hecla-Straße zu segeln, scheiterten erneut am Eis, gaben schließlich auf und kehrten nach England zurück. Im Vergleich zur ersten Reise unter seinem Oberkommando war Parry von den Ergebnissen seiner zweiten Expedition enttäuscht. Sein Wille, die Passage zu finden, war dennoch ungebrochen und im Sommer 1824 war er schon wieder unterwegs. Er hatte erkannt, dass die Fury-und-Hecla-Straße kein Durchlass war, denn das alte Eis wurde durch eine östliche Strömung darin festgehalten – es dauerte noch bis ins Jahr 1948, bis ein US-Eisbrecher die Durchfahrt von West nach Ost meisterte, und 1956 gelang es dem kanadischen Eisbrecher HMCS Labrador von Ost nach West, so wie Parry es 1822 und 1823 vergeblich versucht hatte. Nun wollte er es noch einmal durch den Lancaster Sound versuchen, aber nicht geradeaus durch den Parry Channel wie 1819. Dieses Mal wollte er am Ende des Lancaster Sound gleich nach Süden in den Prince Regent Inlet abbiegen, in den er 1819 schon ein Stück weit hineingefahren war. Parry hatte wieder die beiden Schiffe Hecla und Fury unter seinem Kommando. Und wieder wurden sie bis zur Westküste Grönlands von einem Transportschiff begleitet. Parrys dritte Reise wurde zu einer noch größeren Enttäuschung als die zweite und stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Parry benötigte aufgrund des schweren Eisgangs alleine für das Stück von der Westküste Grönlands bis zum Lancaster Sound acht Wochen. Über weite Strecken mussten die Schiffe durch das Eis gezogen werden (Abb. 4.9). Quälend langsam und mühsam erreichte er mit dieser Methode den Eingang zum Lancaster Sound erst am 10. September, also am Ende der schiffbaren Saison. Immerhin schaffte er es noch bis in den Prinz Regent Inlet hinein und wählte Port Bowen auf dessen Ostseite (im nördlichen Drittel an der schmalsten Stelle) als Ort zum Überwintern. Da viele Besatzungsmitglieder nun schon auf ihrer dritten Expedition gemeinsam unterwegs waren, musste das übliche Unterhaltungsprogramm während der Winterzeit anders gestaltet werden, um für Abwechslung zu sorgen. Zu dem schon bekannten Unterricht, der Produktion einer Zeitung und Theateraufführungen kamen nun Maskeraden hinzu, bei denen jeder einen Charakter seiner Wahl darstellen durfte, was allen großen Spaß bereitete. Tiere bekamen sie während dieses Winters nur wenige zu Gesicht, erlegten aber immerhin zwölf Eisbären, die sie an die Hunde verfütterten. Als es etwas wärmer wurde, unternahmen sie drei Landreisen, um ihre geographischen Kenntnisse zu erweitern.
Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
Abb. 4.9: Die Hecla und die Fury auf dem Weg ins Winterquartier. Erst am 20. Juli 1825 gelang es mittels Sägen und Ziehen das Schiff aus dem Eis zu befreien. Nun segelten sie an der Westküste von Prince Regent Inlet entlang immer auf der Suche nach einer möglichen Durchfahrt. Elwin Bay, Batty Bay und Cresswell Bay wurden auf diese Art entdeckt, benannt und kartiert. Anfang August gerieten sie in heftige Stürme, in deren Verlauf die Fury so stark beschädigt wurde, dass sie letztendlich aufgegeben werden musste, was gleichzeitig das Ende von Parrys dritter Expedition bedeutete. Ein Teil der Vorräte und die Mannschaft der Fury wurden von der Hecla übernommen (der Rest wurde am Strand zurückgelassen) und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als direkten Kurs nach England zu nehmen, um vor dem erneuten Wintereinbruch aus den vereisten Gebieten herauszukommen.
4.6
Die zweite Landexpedition von John Franklin (1825 – 1 827)
Als Parry von seiner dritten, völlig gescheiterten Expedition zurückkehrte, waren bereits mehrere andere Gruppen über Land und auf See unterwegs, um nach der Passage zu suchen. Franklin selbst hatte, als er hörte, dass Parry 1824 zu einer dritten Reise aufbrechen sollte, vorgeschlagen, das Ziel, das England nun schon seit 300 Jahren vor Augen schwebte, nun mit voller Kraft auf verschiedenen Wegen in Angriff zu nehmen. Seine Idee war, den Mackenzie flussabwärts zur Küste zu reisen, um die Küste vom Mündungsgebiet des Mackenzie aus in beide Richtungen zu erkunden. Dr. Richardson war bereit, aufs Neue an einer solchen Expedition teilzunehmen, und so wurde vereinbart, dass
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Abb. 4.10: Franklins „Walnussschale“, die zum Überqueren von Flüssen und Seen während Franklins zweiter Überlandexpedition konstruiert wurde.
Richardson die Erkundung vom Mackenzie nach Osten durchführen sollte, während Franklins Aufgabe lautete, nach Westen vorzudringen und möglichst bis zum von James Cook 1778 erreichten Icy Cape zu gelangen. Auch George Back war wieder mit von der Partie. Peter Warren Dease von der Hudson’s Bay Company, organisierte dieses Mal die Versorgung mit Nahrungsmitteln, was nun, da die beiden Handelskompanien seit 1821 vereinigt waren, sehr viel besser funktionierte als bei Franklins erster Expedition. Für seine zweite Expedition hatte Franklin spezielle Boote bauen lassen, die genau seinen Ansprüchen genügten, leicht und gut transportierbar zu sein, aber dennoch stabil genug, um sich auf dem offenen Meer gegen Wellen und Eis behaupten zu können (vgl. Savours 1999, S. 82). Hinzu kam die „Walnussschale“, ein kleines, innerhalb von 20 Minuten aufbaubares Boot zum Überqueren von Flüssen (Abb. 4.10). Als Franklin im Frühjahr 1825 am Lake Huron auf die Waldläufer wartete, die an der Expedition teilnehmen sollten, erfuhr er, dass seine Frau, die Dichterin Eleanor Anne Porden ihrer Tuberkulosekrankheit erlegen war und dass eine seiner Schwestern sich um die gemeinsame kleine Tochter kümmern würde. Die erste Überwinterung der Expedition sollte der Instruktion gemäß am Großen Bärensee stattfinden und Franklin wurde aufgefordert, freundliche Beziehungen zu den „Esquimaux“ aufzubauen (Savours 1999, S. 83). Im September des Jahres 1825 konnten die insgesamt 50 Expeditionsmitglieder ihr Winterlager am Großen Bärensee beziehen (Savours, S. 86). Der Inuit-Dolmetscher Augustus war wieder mit dabei und hatte noch einen Freund, Ouligbuck, mitgebracht. Zwar hatte Franklin zunächst keine Inuit angetroffen, ließ aber an deren Winterwohnungen Kessel, Messer, Beile, Feilen, Eispickel, Perlen sowie rot und blau gefärbten Stoff als Geschenke zurück.
Zum Wohle der Krone (19. Jahrhundert)
Im Frühjahr 1826 sollte Franklin den Mackenzie hinunterfahren und sobald das Meer offen wäre in Booten bis Icy Cape (den Punkt, den Cook vom Pazifik kommend 1778 erreicht hatte) und wenn möglich noch bis zum Kotzebue Inlet vordringen, wo HMS Blossom auf ihn warten sollte. Dr. Richardsons Aufgabe lautete, von der Mündung des Mackenzie aus die Küste nach Osten bis zur Mündung des Coppermine zu erkunden. Der Mackenzie wurde zu dieser Zeit nur „Der große Fluss“ genannt, und es war Franklin, der sich dafür einsetzte, dass er den Namen des Europäers – Alexander Mackenzie – bekam, der ihn erstmals bis zum Meer verfolgt hatte. Franklin war von der Genauigkeit der Karten und Vermessungen Mackenzies beeindruckt (Savours 1999, S. 86). Im Sommer 1826 konnte die eigentliche Expedition losgehen. 14 Mann begleiteten Franklin in der Lion und Reliance Richtung Westen, während Dr. Richardson mit 11 Begleitern in der Dolphin und Union Richtung Osten aufbrach. Der Unterschied zur ersten Expedition hätte größer nicht sein können. Gut mit Nahrungsmitteln versorgt, nahmen sie in hervorragend für ihr Vorhaben geeigneten Booten ihre Kartierungsarbeiten auf. Franklin und Back wurden von Inuit überfallen und ausgeraubt, büßten aber glücklicherweise weder Waffen noch wissenschaftliche Instrumente oder wichtige Bestandteile der Boote ein, so dass sie die Reise trotz des Vorfalls fortsetzen konnten (Savours 1999, S. 91). Franklin nannte die Stelle Pillage Point. Am 17. Juli erreichten sie Herschel Island und erfuhren dort, dass die Mackenzie-Delta-Eskimo russische Handelswaren besaßen. Franklin hatte viel mit Nebel und Meereis zu kämpfen. Am 18. August erreichte er 149° 37‘ W und 70° 24‘ N und an einer Stelle, die er Return Reef taufte, machte die Expedition kehrt, ohne auf das rettende Schiff, die Blossom getroffen zu sein. Auf Foggy Island hinterließen sie eine Nachricht für Parry, der nie so weit nach Westen gekommen war, und für die russischen Fellhändler, in der Hoffnung, dass die Inuit die Nachricht zu ihnen bringen würden (Savours 1999, S. 94). Der Rückweg zum Mackenzie erwies sich als noch schwieriger als der Hinweg, weil die Bildung von neuem Meereis bereits eingesetzt hatte. Am 21. September erreichten sie Fort Franklin am Großen Bärensee, wo sie den Winter 1826/27 verbrachten. Ouligbuck war zwar als Dolmetscher nicht von großem Nutzen für Dr. Richardson gewesen, weil er kein Englisch sprach, konnte aber den unterwegs angetroffenen Inuit deutlich machen, dass Dr. Richardsons Expedition mit freundlichen Absichten kam, was letztlich doch eine große Hilfe für die Expedition bedeutete. Außerdem gehörte er zu den eifrigsten Ruderern (Savours 1999, S. 96). An einem Kap, das er Cape Bathurst taufte, hatte Dr. Richardson ein Zusammentreffen mit Inuit. Dies war gleichzeitig mit 70° 36‘ N der nördlichste Landpunkt, den er erreichte. Am 23. Juli sichtete er noch etwas weiter östlich ein weiteres Kap, das er Cape Parry nannte, und die Bucht dazwischen taufte er Franklin Bay. Auch Dr. Richardson errichtete an verschiedenen Stellen Steinpyramiden mit Nachrichten für Parry. Ab Anfang August hatte er immer häufiger Probleme mit Eis und als er plötzlich nördlich Land sichtete, befürchtete er zuerst, in eine Bucht hineingefahren zu sein. Zum Glück stellte sich bald heraus, dass dem nicht so war, und Dr.
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Richardson benannte das Land nach dem „most distinguished philosopher“29, dem Arzt und Chemiker Dr. Hyde Wollaston (heute Wollastonhalbinsel, Victoriainsel) und die Straße zwischen dem Kontinent und dem neu entdeckten Land taufte er nach seinen beiden Booten Dolphin-und-Union-Straße (Savours 1999, S. 98). In der ersten Augustwoche traf Richardson auf die Mündung des Coppermine und auf bekannte Landmarken. Damit hatte er an die Erkundungen der ersten Expedition angeschlossen und machte sich nun, die Boote Dolphin und Union bei Bloody Falls zurücklassend, auf den Weg zum Großen Bärensee. Knapp drei Wochen vor Franklin, am 1. September erreichte er Fort Franklin, reiste aber gleich weiter bis Carlton House, um dort zu überwintern (Savours 1999, S. 101). Richardson war 71 Tage unterwegs gewesen und hatte in dieser Zeit fast 3000 Kilometer zurückgelegt. Im September 1827 waren Franklin und Richardson zurück in England, George Back und seine Begleiter kamen einen Monat später dort an. 1829 erhielt Franklin den Titel Sir.
4.7
Das verpasste Treffen
Abgerundet wurden die Aktivitäten der Admiralität in den Jahren um 1825 durch die Expedition der HMS Blossom unter dem Kommando von Frederick William Beechey. Beechey war bereits als Franklins Stellvertreter auf der Trent 1818 in der Arktis gewesen und als Leutnant auf der Hecla unter Parrys Kommando 1819 – 1820. Beechey hatte nun die Aufgabe, sowohl Parry als auch Franklin, der die Küstenerkundung durchführte, von der pazifischen Seite aus entgegenzukommen. Er sollte Franklin und seine Begleiter aufnehmen und nach Süden bringen. Beechey verließ England im Mai 1825, umrundete Kap Hoorn, kartierte Inseln im Pazifik, stattete den überlebenden Meuterern der Bounty auf der Insel Pitcairn einen Besuch ab und erfuhr im Juni 1826 auf Kamtschatka, dass Parry nach dem Verlust der Fury bereits nach England zurückgekehrt war. Da aber Franklin noch unterwegs war und man keine Nachrichten von ihm hatte, setzte Beechey seine Reise wie geplant fort. Allerdings erreichte er Chamisso Island im Kotzebue Sound erst am 25. Juli 1826, das war zwei Wochen nach dem vereinbarten Treffpunkt mit Franklin. Von Franklin war natürlich weit und breit keine Spur zu sehen und Beechey fuhr weiter und erreichte am 13. August Captain Cooks Icy Cape. An der Küste deponierte er Flaschen mit Nachrichten für Franklin in Englisch und auch in Russisch, falls die Flaschen von Angehörigen der Russisch-Amerikanischen Kompanie gefunden werden sollten (Abb. 4.11). Auch Beechey trug zur Erkundung von Abschnitten der nördlichen Küste bei, indem er Thomas Elson in einem winzigen Schoner am 17. August noch weiter nach Osten an der Küste entlangschickte, um diese zu kartieren. Elson gelangte bis zu einer Landspitze, die in der Folge Point Barrow genannt wurde, um den Zweiten Sekretär der Admiralität zu ehren, der am Zustandekommen all dieser Expeditionen beteiligt war. Point
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Abb. 4.11: Der Schoner wird um Cap Smyth gezogen. Barrow liegt nur 146 Meilen von der Stelle entfernt, an der Franklin kehrtgemacht und die er Return Reef genannt hatte. Gemessen an den riesigen Distanzen, die die Expeditionen jeweils zurückgelegt hatten, hatten sie sich nur knapp verpasst. Aber 146 Meilen unkartierter Küste befanden sich jetzt noch zwischen den bekannten Gebieten (über das Schicksal des Schoners und der Besatzung siehe Savours 1999, S. 121).
4.8
Gescheitert mit der Griper
George Francis Lyon hatte die Hecla 1821 – 1823 kommandiert und einen lebendigen Bericht darüber geschrieben. 1824 sollte Lyon in der Griper bis Repulse Bay segeln, dann die Melvillehalbinsel überqueren und weiter nach Westen bis zu Franklins Point Turnagain auf der Kenthalbinsel vordringen. Damals war nicht bekannt, dass eine solche Reise bedeutet hätte, den Rae Isthmus zu überqueren sowie die Basis der Boothiahalbinsel, die erst 1829 – 1833 erkundet wurde. Ambitionierte Pläne waren das, die von Anfang an vereitelt wurden. Die Griper erreichte nicht einmal ihren Ausgangspunkt an der Repulse Bay. Da sie in heftigen Stürmen beide Anker verlor und auch anderweitig beschädigt wurde, entschied Lyon nach England zurückzukehren. Am 10. November, fünf Monate nachdem er mit ehrgeizigen Plänen und Shetland-Ponys an Bord für die Landreisen Deptford verlassen hatte, war er wieder zurück in der Heimat. Lyon wurde kein weiteres Kommando mehr übertragen, obwohl die ungünstige Bauart der Griper und ihre miserablen Segeleigenschaften eher für das Scheitern der Expedition verantwortlich waren als das Verhalten des Kapitäns. Lyon zog seine Konsequenzen und ging als Commissioner für die Real del Monte Mining Company nach Mexiko.
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So waren alle Versuche, von verschiedenen Seiten die Nordwestpassage anzugehen und die Expeditionen sich unterwegs treffen zu lassen, grandios gescheitert.
4.9
Schon wieder Pech für John Ross (1829 – 1 833)
Ein weiterer Kapitän, der innerhalb der Royal Navy nicht mehr mit der Übertragung eines Kommandos rechnen durfte, war, wie bereits erwähnt, John Ross. Seine Sichtung der Croker Mountains bedeutete das Ende seiner aktiven Rolle innerhalb der Royal Navy. Aber auch John Ross ließ die Arktis nicht los, und er schaffte es, einen privaten Sponsor – seinen Freund Felix Booth – zu finden, der durch den Verkauf von Gin reich geworden war. John Ross war der Meinung, dass man mit einem Dampfschiff mit geringem Tiefgang bei der Suche nach der Nordwestpassage mehr erreichen könne als mit Segelschiffen. Deshalb kaufte er für die Expedition die Victory, einen Raddampfer. Allerdings zeigte sich unterwegs, dass die Maschine nicht richtig funktionierte und dass man auf der Victory unter Segeln besser vorankam, vorausgesetzt man entfernte das Rad aus dem Wasser. Bei einem Zwischenstopp an der Westküste Grönlands in der dänischen Ansiedlung Holsteinsborg (heute Sisimiut) erhielt die Expedition sechs Schlittenhunde als Geschenk. Bei herrlichem, warmem und ruhigem Wetter querten sie die Davisstraße und Baffin Bay und erreichten am 6. August den Eingang zum Lancaster Sound, der bei John Ross unangenehme Erinnerungen heraufbeschwor. Ohne Probleme gelangten sie in den Prince Regent Inlet und sogar die Maschine der Victory tat einige Tage lang gute Dienste. Am 12. August erreichten sie die Stelle, wo die Fury vier Jahre zuvor zu Bruch gegangen war, und fanden am Strand, dass die dort gelagerten Nahrungsmittelvorräte noch völlig in Ordnung und verzehrbar waren. Sie folgten dem Prince Regent Inlet nach Süden, übersahen aber die Bellotstraße, die Somerset Island von der Boothiahalbinsel trennt und die – Eisfreiheit vorausgesetzt – eine mögliche Durchfahrt nach Westen geboten hätte. Bis Ende August war die Victory bis 100 Meilen südlich von Fury Point gelangt; das offene Wasser, das sie dort vorfanden, nannte John Ross Golf of Boothia und das Land westlich davon Boothia Felix zu Ehren seines Sponsors (Savours 1999, S. 129). Der Neffe von John Ross, James Clark Ross, nahm an der Expedition seines Onkels teil. Zuvor hatte er William Edward Parry auf seinen drei Versuchen, die Nordwestpassage zu finden, begleitet und gehörte auch zu Parrys Mannschaft, als dieser 1827 über das Meereis von Spitzbergen aus den Nordpol erreichen wollte, aber nicht weit gekommen war. Als sie ihr Winterlager an der Küste von Boothia Felix – Felix Harbour – bezogen, bauten sie die Maschine aus der Victory aus, da sie mehr Ärger als Nutzen gebracht hatte. Im Januar kam eine Gruppe von 36 Netsilik-Inuit bei den Überwinterern vorbei. Offenbar hatte James Clark Ross etwas Inuktitut gelernt, so dass eine rudimentäre Verständigung möglich war (Delgado 1999, S. 91). Die Inuit vervollständigten die Karte,
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Abb. 4.12: Der Inuk Tulluachiu mit Holzbein und umgeben von seinen beiden Frauen. die Ross ihnen zeigte, und machten ihm klar, dass er in eine Sackgasse hineingesegelt war. Für einen der Inuit wurde dieses Zusammentreffen zu einem großen Glücksfall, da er bei einem Unfall einen Unterschenkel verloren hatte. Der Schiffszimmermann schnitzte ihm ein Holzbein, mit dem er wieder auf die Jagd gehen konnte (Abb. 4.12). James Clark Ross unternahm zwischen März und Juni einige Schlittentouren mit Inuit als Führern und erkundete so die Umgebung von Felix Harbour. Er überquerte die Boothiahalbinsel und erreichte das Meer. Er kartierte Matty Island und gelangte auf der zugefrorenen James-Ross-Straße nach King William Island. Ross hielt die Insel allerdings für eine Halbinsel, was später noch eine große Rolle spielen würde, und nannte sie King William Land. Die nördlichste Landspitze von King William Land taufte er Cape Felix und die nächste Landspitze Victory Point. Als er von dort nach Westen schaute, sah er eine weitere Spitze, die er als Point Franklin auf seiner Karte verzeichnete. Die Ironie des Schicksals wollte es wohl, dass Franklin später nicht weit von dieser nach ihm benannten Stelle starb. Da das Eis im Sommer 1830 erst sehr spät und schleppend aufbrach und die Victory in den flachen Gewässern häufig Grundberührungen hatte, schafften sie es gerade einmal das Schiff vier Meilen zu bewegen, bevor der nächste Winter ihnen Einhalt gebot. Dieser zweite Winter wurde schwieriger und eintöniger, weil die Inuit erst im April 1831 zurückkehrten. Wie im Jahr zuvor wurden Landerkundungen mit Schlitten vorgenommen und einer dieser Touren von James Clark Ross kommt erhebliche wissenschaftliche Bedeutung zu. Er überquerte im Mai und Juni 1831 die Boothiahalbinsel und hatte Instrumente bei sich, um magnetische Abweichungen zu messen. Ihm war von den vorherigen Erkundungen klar, dass der Magnetpol irgendwo in der Nähe sein müsse, und tatsächlich gelang es ihm am 1. Juni 1831, die genaue Lage des nördlichen Magnetpols zu bestimmen, er lag bei 70° 5' 17'' N und 96° 46' 45'' W. Ross nahm formal für England Besitz vom magnetischen Nordpol und feierte dieses Ereignis als den Höhepunkt der Expedition (Abb. 4.13). Auch im Sommer 1831 kam die Victory erst spät aus dem Eis frei. Am 28. August war es endlich so weit. Mit gesetzten Segeln schaffte sie es ganze 10 Meilen in nordöstliche Richtung, bevor sie auf Grund lief, wobei das Ruder zu Bruch ging. Der Expedition blieb nichts anderes übrig als sich auf einen dritten Winter in der Arktis einzurichten. Ross taufte die Stelle Victory Harbour. In diesem dritten Winter begannen die Vorräte
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Abb. 4.13: Veränderung der Lage des magnetischen Nordpols von 1813 bis in die späten 2000er Jahre. knapp zu werden und es brach Skorbut aus, dem ein Mann zum Opfer fiel. Während des Winters bereitete die Mannschaft sich darauf vor, das Schiff zu verlassen. Die Idee war, bis Fury Beach vorzudringen, um die dort noch lagernden Vorräte zu nutzen und sich dann in den Beibooten der Fury bis zum Lancaster Sound durchzukämpfen. Ihre eigenen Boote ließen sie an einer Stelle zurück, die sie noch erreichen könnten, sollte der Plan, die Boote der Fury zu nutzen, scheitern (Delgado 1999, S. 97). Am 28. Mai 1832 erhoben die ausgelaugten Seeleute traurig ein Glas auf die Victory und ließen sie in Victory Harbour zurück. Ungewiss, ob sie es irgendwie nach England zurück schaffen würden, machten sie sich auf den Weg und erreichten schließlich am 1. Juli 1832 Fury Beach. Mit Erleichterung stellten sie fest, dass die Beiboote der Fury noch am Strand lagen. Nun richteten sie sich notdürftig in einer Behausung aus Segeltuch und Holz ein. Somerset House nannten sie die vorübergehende Unterkunft und begannen mit Reparaturarbeiten an den Booten. Einen ganzen Monat brauchten sie in Fury Beach, um die Boote wieder auf Vordermann zu bringen. Sie hofften, es in den Booten bis in die Baffin Bay zu schaffen und dort ein Walfängerschiff auf sich aufmerksam zu machen. Am 1. August begaben sie sich auf den Weg. Zwei Monate lang versuchten sie sich durch das Eis nach Norden zu kämpfen – ohne Erfolg. Sie waren gezwungen, nach Fury Beach zurückzukehren und einen vierten Winter in der Arktis zu verbringen, der ein weiteres Todesopfer forderte. Die Vorräte, die Parry 1824 zurückgelassen hatte, retteten dem Rest von John Ross’ Mannschaft das Leben (Abb. 4.14). Am 8. Juli 1833 machten sie sich erneut in den Booten auf den Weg Richtung Norden und tatsächlich erreichten sie Mitte August den Lancaster Sound. Noch wurde ihnen aber Geduld abverlangt, bis sie am 26. August Segel sichteten, als sie gerade in einer kleinen Bucht westlich von Navy Board Inlet eine Rast einlegten. Ohne Zeit zu verlieren, machten sie die Boote wieder flott und sendeten Signale aus. Sie mussten das Schiff eine ganze Weile verfolgen, bis es plötzlich beidrehte und ein Boot herunterließ. Ironischerweise war das Walfangschiff, das die Mannschaft aufnahm, just die Isabella, die John Ross kommandiert hatte, als er 1818 die verfemten Croker Mountains erblickte. Auf die Bemerkung hin, dass er John Ross sei und die Isabella einst unter seinem Kommando gestanden habe, erhielt er zur Antwort, das könne nicht sein, weil John Ross bereits seit zwei Jahren tot sei – in England rechnete offenbar niemand mehr mit der Rückkehr der Expedition. Am 18. Oktober 1833 hatten sie es endlich geschafft. Nach vier Wintern in der Arktis waren sie wieder zuhause. Zurück in England wurden sie mit Ehrenbezeugun-
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Abb. 4.14: Die Besatzung der Victory wird im August 1833 von der Isabella aufgenommen. gen überschüttet. John Ross war rehabilitiert, obwohl er sein Ziel nicht erreicht hatte und ohne sein Schiff zurückgekehrt war. Die Leistung, vier Winter in der Arktis überlebt zu haben, wurde bewundert und ungleich höher geschätzt als alles andere, da fiel der Verlust der Victory kaum ins Gewicht. John Ross wurde zum Ritter geschlagen und die Admiralität zahlte rückwirkend Gehälter, obgleich seine Expedition ja eigentlich eine private gewesen war. James Clark Ross wurde zum Kapitän befördert und für die Entdeckung des magnetischen Nordpols geehrt.
4.10 George
Back erkundet den Großen Fischfluss
1832, als John Ross schon drei Jahre unterwegs war, wurde man in England unruhig, weil man nichts von der Expedition gehört hatte, und dachte, über eine Suchexpedition nach. George Back erhielt den Auftrag, über Land zu reisen, um nach John Ross Ausschau zu halten. Am 17. Februar 1833 verließ er Liverpool, fuhr nach Montreal und von dort zum Großen Sklavensee, wo er sein Winterlager in einem neuen Außenposten einrichtete, den er Fort Reliance nannte. Am Ende des Winters, am 25. April 1834 brachte ein Bote ihm die Nachricht, dass John Ross inzwischen nach England zurückgekehrt war. Gleichzeitig trafen neue Ordern für ihn ein: Er sollte zur Küste des Arktischen Oze-
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ans weiterreisen und die Region von Point Turnagain Richtung Osten bis zum westlichsten Punkt kartieren, den James Clark Ross auf seinen Schlittentouren erreicht hatte. Im Juli 1834 folgte Back also mit 12 Mann Begleitung dem Großen Fischfluss (heute Back River) bis zur Küste. Back musste sich 800 Meilen durch unkartiertes Gebiet kämpfen. Der Fluss erwies sich eher als eine Ansammlung von eisbedeckten Seen, die durch schmalere, flache Gewässer verbunden waren. Das Boot, das leer schon 3000 Pfund wog, mussten Back und seine Männer deshalb über weite Strecken tragen (Lehane 1981, S. 128). Drei Wochen lang folgte Back dem Fluss zunächst Richtung Osten, was ihn befürchten ließ, der Große Fischfluss münde in die Hudson Bay und nicht in den Arktischen Ozean, wie die Indianer ihm mitgeteilt hatten. Mit Erleichterung stellte er am 16. Juli fest, dass der Fluss eine Wendung nach Norden machte, und am 29. Juli erkannte er, dass der Fluss tatsächlich ins Nordmeer floss. Das Mündungsgebiet erhielt später den Namen Chantrey Inlet. Von dort kam Back nicht mehr weiter: weder per Boot, weil zu viel Eis im Meer war, noch über Land, weil das Tauwetter alles in tiefen Schlamm verwandelt hatte. Als Back Richtung Nordosten schaute, sah er eisfreies Meer. Deshalb schlug der 22-jährige Arzt und Naturforscher Richard King, der als Backs Stellvertreter an der Expedition teilnahm, vor, die Erkundung in diese Richtung fortzusetzen, wenn der Weg nach Westen weiterhin blockiert bliebe. Back lehnte dies ab. Denn er hatte gemeinsam mit der Nachricht von John Ross’ Rückkehr und seinen neuen Instruktionen auch Karten mit den Resultaten der Ross-Expedition inklusive der Schlittentouren von James Clark Ross erhalten. Auf einer dieser Karten hatte James Clark Ross eine gepunktete Linie eingezeichnet, weil er vermutete, ohne es genau geprüft zu haben, dass King William Land an seiner Ostseite mit Boothia Felix zusammenhing. Demzufolge wäre King William Land keine Insel, sondern eine Halbinsel. Back nahm diese Vermutung als Faktum hin und richtete seine Entscheidungen danach aus. – Wäre King William Land tatsächlich mit Boothia Felix verbunden, hätte dies bedeutet, dass Back sich in einer Bucht befand, eine Weiterfahrt nach Nordosten also in eine Sackgasse geführt hätte. Darum gab er Order zur Umkehr. Diese Unsicherheit auf den Karten und die Unkenntnis darüber, ob es sich bei King William um eine Insel oder eine Halbinsel handelte, sollte 12 Jahre später weitreichende Folgen haben und die Geschichte von Franklins letzter Expedition maßgeblich beeinflussen (Lehane 1981, S. 128).
4.11 Mit
der Terror im Eis
Nur neun Monate nach seiner Rückkehr erhielt George Back im Juni 1836 einen Auftrag für eine weitere Arktis-Expedition. Mit der robusten 340-Tonnen-Bombarde Terror (später durch die Franklin-Expedition zu trauriger Berühmtheit gelangt) sollte er zur Repulse Bay im Nordwesten der Hudson Bay segeln. Von dort sollte er kleine Boote über Land schleppen, um die Melvillehalbinsel an ihrer engsten Stelle zu überqueren (heu-
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te heißt dieses Gebiet Rae Isthmus). Anschließend sollte er die Küste bis Point Turnagain erkunden. Offenbar fußte dieser Plan auf Backs Vermutung, das es sich bei Boothia Felix um eine Insel und nicht um eine Halbinsel handelte. Selbst wenn der erste Teil der Instruktion (die Überquerung der Melvillehalbinsel) funktioniert hätte, hätte Back vom Golf of Boothia aus Point Turnagain nur auf dem Seeweg erreichen können, wenn es ihm gelungen wäre, die Bellotstraße erstens zu entdecken und zweitens zu passieren. Aber so weit kam es nicht, denn noch bevor er Repulse Bay erreichen konnte, fror die Terror in der Nähe der Frozen Strait im Packeis fest. Back hatte nicht einmal die Zeit, ein geeignetes Winterquartier in einer Bucht zu suchen, die Terror wurde auf dem offenen Meer in den Griff des Eises genommen und zehn Monate lang nicht mehr freigegeben. Im Laufe des Winters geriet sie in eine langsame südöstliche Eisdrift, die sie 200 Meilen Abb. 4.15: Beschädigung am Achtersteven der Terror. an der Nordostküste von Southampton Island entlangschob und ihr heftige Stöße und Pressungen versetzte (Abb. 4.15). Erst Mitte Juli gelang es der Mannschaft, das Schiff unter dramatischen Umständen aus dem Eis zu befreien, wobei die Terror erheblich beschädigt wurde. Mit diesen Schäden am Schiff und der durch den harten Winter extrem geschwächten Mannschaft war an eine Ausführung des ursprünglichen Auftrags gar nicht mehr zu denken und George Back kehrte unverrichteter Dinge nach England zurück. Die Terror wurde repariert und absolvierte als Nächstes eine Expedition in die Antarktis, bevor sie zu ihrer letzten Fahrt in die Arktis abkommandiert wurde. George Back hingegen hatte sich auf all diesen Touren, mit Franklin über Land, seine eigene den Back River hinunter und zurück und jetzt die zehnmonatige Überwinterung im Eis, die Gesundheit ruiniert und kehrte nicht mehr in die Arktis zurück. Richard King versuchte sich auf Kosten von Back in Szene zu setzen, wurde aber ob seiner arroganten Behauptung, dass er Erfolg haben würde, wo Parry, Franklin und Back gescheitert seien, nur mit eisigem Schweigen bedacht und verschwand vorläufig in der Versenkung (Lehane 1981, S. 130).
4.12 Dease
und Simpson – die HBC engagiert sich für die Geographie
Mit dem Zusammenschluss der North West Company und der Hudson’s Bay Company im Jahr 1821 hatte die neue Hudson’s Bay Company für 21 Jahre Sonderrechte und Steuerfreiheit erhalten. Um sich bei den Verhandlungen für eine Verlängerung dieser Privilegien in gutes Licht zu setzen, wurde nun, nach langer Pause, auch die HBC wie-
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der aktiv in der Suche nach der Nordwestpassage bzw. der Kartierung der Nordküste des amerikanischen Kontinents. Letzteres wurde inzwischen als wichtiger angesehen, weil man von einer möglichen Passage im Norden schon keinen wirtschaftlichen Vorteil mehr erwartete. Die Wahl der HBC für die weitere Erkundung fiel auf Peter Warren Dease. Dease war schon lange für die Company tätig und hatte sich bei Franklins zweiter Überlandexpedition um die Versorgung gekümmert. Dease sollte gemeinsam mit Thomas Simpson, dem Cousin des Gouverneurs George Simpson, reisen. Dease und Simpson hätten verschiedener nicht sein können. Der um 20 Jahre ältere Dease galt als gesetzt, ruhig und besonnen, während Simpson agil und ehrgeizig bis zur Überheblichkeit war. Ihre Aufgabe war zunächst, das fehlende Stück zwischen Franklins Return Reef in der Nähe des heutigen Prudhoe Bay (den westlichsten Punkt, den Franklin 1826 erreicht hatte) und Point Barrow (den östlichsten Punkt, den Elson unter Beecheys Kommando ebenfalls 1826 ansteuern konnte) zu kartieren – also genau jene 146 Meilen, die fehlten, um das Zusammentreffen der beiden Expeditionen Wirklichkeit werden zu lassen. Im Jahr danach, also 1838, sollten sie von der Mündung des Coppermine River starten und die Küste bis zur Mündung des Back River kartieren. Ähnlich wie bei den vorherigen Landexpeditionen waren riesige Strecken in schwierigem Gelände zurückzulegen, bevor die eigentliche Erkundung von Neuland beginnen konnte. Den Winter 1836 – 1837 verbrachten die beiden gemeinsam am Großen Bärensee. Von der Mündung des Mackenzie aus gelangten sie im folgenden Sommer nach Westen bis zum Return Reef, wo sie durch Stürme und treibende Eisschollen aufgehalten wurden. Simpson entschied sich, ohne Dease und zu Fuß weiter zu gehen. Während Dease zurückblieb, gelangte Simpson mit fünf Begleitern in einem von den Inuit geliehenen Boot bis Point Barrow, den östlichsten Punkt, der von der Beechey-Expedition erreicht worden war. Damit erhielt ein weiterer weißer Fleck auf der Kate des Nordens Farbe. Auf dem Rückweg traf er wieder mit Dease zusammen und gemeinsam kehrten sie am 25. September nach Fort Confidence am Großen Bärensee zurück. Simpson ärgerte sich, dass man nicht ihm, den in seinen Augen fähigeren Mann, die Leitung der Expedition übertragen hatte. Und er bedauerte, für die HBC tätig zu sein, weil er im Dienste Seiner Majestät mit höheren Belohnungen und Auszeichnungen hätte rechnen können (Williams 2009, S. 259). Trotz alledem setzten die beiden im nächsten Sommer ihre Erkundungstouren gemeinsam fort. Als sie an der Mündung des Coppermine anlangten, war das Meer noch eisbedeckt. Nur schleppend ging es voran und am 20. August hatten sie nicht einmal Point Turnagain auf der Kenthalbinsel erreicht. Sie wählten dieselbe Strategie wie im Jahr zuvor. Dease blieb mit den Booten zurück und Simpson drang bis zu einem Kap vor, das er Cape Alexander nach seinem Bruder nannte. Das Land im Norden taufte er nach der neuen Königin Victoria Land (heute Victoria Island). In Briefen beschwerte Simpson sich großtuerisch, er hätte noch weit mehr erreichen können, hätte er nicht den alten Herrn (gemeint war Dease) im Schlepptau gehabt. Zurück in Fort Confidence stachelten offizielle Gratulationsschreiben aus England sowie die Verleihung
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einer Goldmedaille der Royal Society seinen Ehrgeiz noch weiter an und er wollte den Sommer 1839 für weitere Erkundungen nutzen. Und tatsächlich war dieser Sommer wärmer als die beiden vorangegangenen, und trotz aller Beschwerden Simpsons waren die beiden erneut gemeinsam unterwegs. Sie gelangten bis Cape Felix, das James Clark Ross 1830 erstmals gesichtet und benannt hatte. Unterwegs nach Osten entdeckten und tauften sie Melbourne Island sowie O’Reilly Island. Sie rechneten damit, Cape Felix an der Nordwestspitze von King William Land umfahren zu müssen, aber zu ihrer Überraschung sahen sie eine bislang unbekannte Wasserstraße, die später den Namen Simpsonstraße erhielt (Williams 2009, S. 261; Savours 1999, S. 161). Durch die Simpsonstraße gelangten sie relativ einfach in den Chantrey Inlet, dort erreichten sie Point Ogle, den Back 1834 benannt hatte, als er den Back River abwärts unterwegs gewesen war. Damit hatten sie das Ziel ihrer Expedition erreicht. Da aber noch immer nicht geklärt war, ob es sich bei Boothia Felix um eine Insel oder eine Halbinsel handelte, drangen sie noch weiter nach Osten vor, mussten aber am 20. August 1839 umkehren, ohne die Frage geklärt zu haben. Simpson hielt die Südküste von King William Island für einen Teil von Boothia. Auf dem Rückweg tauften sie die Straße zwischen der Kenthalbinsel und Victoria Land (heute Island) Deasestraße. Am 24. September erreichten sie schließlich Fort Confidence und begaben sich von dort unmittelbar auf den Heimweg. Thomas Simpson unterbreitete einen Vorschlag für eine weitere Expedition, starb aber im Sommer 1840 unter ungeklärten Umständen auf der amerikanischen Prärie, bevor ihn die Bewilligung seiner Pläne erreicht hatte. Er war nur 32 Jahre alt geworden und wurde auf dem Friedhof der Red-River-Kolonie beigesetzt. „Thomas Simpson died in his youth, at the peak of his passion and abilities for polar exploration and, as L. H. Neatby, the Arctic historian points out, his death was a double tragedy. Had Simpson’s explorations continued in the same area, he might have been able to avert the Franklin tragedy thus saving those who were to perish on King William Island“30 (Savours 1999, S. 166). Weite Strecken der Nordwestpassage waren nun – zumindest mit kleinen, flachen Booten – erkundet und kartiert, auch wenn noch keinem Schiff die Durchfahrt gelungen war. Offen waren weiterhin die Fragen, ob Boothia Felix eine Insel oder Halbinsel war und ob King William Land im Osten mit Boothia Felix verbunden war oder ob es eine Insel war.
4.13 Die
letzte Expedition von Sir John Franklin
Am 5. November 1828 hatte John Franklin zum zweiten Mal geheiratet – die reiselustige Jane Griffin war an diesem Tag seine Frau geworden. Und ein Jahr später – 1829 – wurde Franklin zum Ritter geschlagen und tat von 1830 bis 1833 Dienst im Mittelmeer. Nachdem er drei Jahre lang kein wichtiges Kommando übertragen bekam und nur ein halbes Gehalt bezog, übernahm er 1836 den Posten des Gouverneurs von Tasmanien und blieb
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dort bis 1843. Ein Höhepunkt seiner eher unerquicklichen Zeit in Tasmanien war, als James Clark Ross’ Antarktis-Expedition (1839 – 1843) mit den Schiffen Erebus und Terror und F. R. M. Crozier als Stellvertreter in Tasmanien anlegte und Franklin einen Besuch abstattete. Ross wollte gerne, nachdem er schon den nördlichen Magnetpol entdeckt hatte, nun auch den südlichen mit dem Union Jack dekorieren. Dieser Pol lag aber unerreichbar für ihn auf dem Antarktischen Kontinent. Als Franklin von Tasmanien zurück in England war, wurden neue Pläne ausgearbeitet, die noch fehlenden Stücke einer Nordwestpassage zu erkunden. John Barrow war im Alter von 80 Jahren noch immer Zweiter Sekretär der Admiralität und die Ausarbeitung eines Vorschlags für eine weitere Expedition, die endlich die Nordwestpassage vervollständigen sollte, war seine letzte Amtshandlung, bevor er sich aus dem Dienst in der Admiralität zurückzog. Im Jahr 1818 waren nur drei Punkte auf den Karten hoch im Norden verzeichnet gewesen, nämlich Icy Cape (Cook 1778) und die Mündung des Mackenzie (Mackenzie 1789) und des Coppermine (Hearne 1770 – 1772). Im Jahr 1844 sah die Karte bereits erheblich differenzierter aus und die freien Lücken waren um Einiges kleiner geworden. Aber um genau diese restlichen weißen Flecken auf der Landkarte ging es bei der letzten Expedition, die John Barrow plante. Mehrere Arktisveteranen wurden um ihre Meinung zu dem neuen Vorhaben gebeten und alle unterstützten es, forderten aber, die Schiffe auf jeden Fall mit Dampfmaschinen auszustatten. Premierminister Sir Robert Peel gab seine Zustimmung. Als Schiffe wurden die polarerprobten Bombarden Erebus und Terror ausgewählt, die unlängst von der vierjährigen Antarktisreise unter dem Kommando von James Clark Ross zurückgekehrt waren. Auch galt Ross als der geeignete Kapitän für die neue Expedition. Er lehnte das Kommando aber ab, weil er gerade erst zurückgekehrt und frisch verheiratet war, außerdem war er einer der wenigen Gegner der Ausstattung der Schiffe mit Maschinen. Offenbar wurde hinter den Kulissen an verschiedenen Fäden gezogen und auch Jane Franklin äußerte brieflich, dass es für John Franklin nach seinem Misserfolg in Tasmanien trotz oder vielleicht gerade wegen seines fortgeschrittenen Alters (er war 58 Jahre alt) wichtig wäre, das Kommando zu übernehmen (Savours 1999, S. 177). Das Resultat längerer Diskussionen war, dass Franklin tatsächlich das Oberkommando übertragen wurde und er die Erebus übernehmen sollte. Als Kapitän für die Terror wurde Francis Rawdon Moira Crozier (48 Jahre alt) bestimmt. Er hatte die Terror bereits während Ross’ Expedition in die Antarktis kommandiert und hatte außerdem an drei der vier Expeditionen von William Edward Parry teilgenommen. Barrow hätte gerne James Fitzjames das Oberkommando übertragen. Dies wurde abgelehnt, weil er zu jung war. Fitzjames wurde aber als Franklins Stellvertreter auf der Erebus eingesetzt. Er war es auch, der eine Vielzahl von jungen Offizieren für die Expedition empfahl, von denen einige bereits Arktiserfahrung mitbrachten. Bei Franklins großer Expedition zur Suche nach dem letzten Stück der Nordwestpassage handelt es sich um die erste Expedition, deren Offiziere vor der Abreise auf Da-
Zum Wohle der Krone (19. Jahrhundert)
guerrotypien festgehalten wurden. Wie bereits erwähnt, sollten die Schiffe, die noch als reine Segelschiffe in antarktische Gewässer gefahren waren, nun mit Dampfmaschinen ausgestattet werden. Man baute zwei Maschinen aus Lokomotiven in die Schiffe ein und die Schraubenpropeller konnten aus dem Wasser gehoben werden, wenn die Schiffe unter Segeln fuhren. Da natürlich der Vorrat an Kohle, der mitgeführt werden konnte, sehr begrenzt war, sollten die Maschinen nur genutzt werden, wenn die Schiffe bei Windstille durch Kanäle zwischen dem Eis manövrieren mussten (Abb. 4.16).
Abb. 4.16: Franklins Offiziere: a. James Fitzjames und b. Francis Rawdon Moira Crozier. Die Expedition wurde für drei Jahre mit Lebensmitteln ausgestattet und auf jedem Schiff gab es eine ca. 1200 Bände umfassende Bibliothek sowie Unterrichtsmaterialien für die übliche „Winterschule“. Mr. Beard, der die Daguerrotypien der Offiziere angefertigt hatte, stellte der Expedition einen Apparat für Aufnahmen zur Verfügung. Ein neues Zeitalter der Dokumentation war angebrochen. Bestens ausgerüstet und üppig mit Nahrungsmitteln ausgestattet fuhr die letzte von der britischen Admiralität organisierte Expedition zur Suche nach dem noch fehlenden Stück der Nordwestpassage am 19. Mai 1845 die Themse hinunter Richtung Meer. Die Zurückgebliebenen waren voller Optimismus, dass die Expedition nun endlich nach über 350 Jahren mühevoller Suche die Nordwestpassage meistern werde. Ähnlich wie schon vorhergehende Expeditionen begleitete ein Transportschiff die Erebus und Terror bis zur Küste Westgrönlands auf der Höhe der Diskobucht. Das Transportschiff nahm, nachdem die Waren umgeladen waren, auch letzte Briefe der Mannschaft mit zurück nach England. Die nächste Post erwartete man mit dem Absender Petropawlowsk in Kamtschatka (Russland).
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Ende Juli 1845 wurden die Erebus und Terror von zwei Walfangschiffen gesichtet, beide berichteten, auf den Expeditionsschiffen sei alles in bester Ordnung gewesen und die Mannschaft wohlauf. Das waren die letzten Nachrichten, die England von den beiden Schiffen erreichten. 600 Meilen unbekanntes Gebiet hatte die Expedition noch zu erkunden, und man erwartete sie nicht allzu bald in England zurück. Schließlich waren Franklins Schiffe für drei Jahre mit Proviant ausgestattet, den man, wenn man sparsam war, sogar auf ein viertes Jahr strecken konnte. Das Jahr 1846 verging ohne jedwede Neuigkeiten von der Expedition.
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„Ich sah das Land deutlich, das um den Rand der Bucht, eine zusammenhängende Bergkette mit jenen Bergen bildete, die sich an der Nord- und Südseite entlangzogen“ 27 „zuweilen wurden die Haut und Knochen sowie verfaultes Fleisch eines Hirschkadavers, vielleicht von Wölfen übrig gelassen, sowie Leder von alten Schuhen oder Stücke ihrer Büffelriemen gegessen“ 28 „Franklin lernte aus dieser schrecklichen Erfahrung der Jahre 1819 – 1821 und seine zweite Landexpedition stand in erheblichem Kontrast zur ersten. Vielleicht sollte man ihn statt ihn als ethnozentristisch zu bezeichnen, eher als einen Marineoffizier sehen, der in widrigen Umständen eine ungewöhnliche, anstrengende und schwierige Aufgabe ausführte, die ihn über Land führte, mit der Kartierung der Nordküste Amerikas begann und viele wichtige wissenschaftliche Ergebnisse erbrachte. Würde irgendeiner seiner Kritiker, in seine Zeit vor zweihundert Jahren versetzt, es besser angestellt haben, wäre er an seiner Stelle gewesen?“ 29 „angesehensten Philosophen“ 30 „Thomas Simpson starb in seiner Jugend, auf dem Gipfel seiner Passion und Fähigkeiten für polare Erkundungen und wie L. H. Neatby, der Arktishistoriker betont, bedeutete sein Tod eine doppelte Tragödie. Hätte Simpson in der gleichen Region weiter kartiert, hätte er vielleicht die Franklin Tragödie und den Tod der Mannschaft auf King William Island verhindern können“
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Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert) Baffin Bay
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Franklin 1845 –1848 McClure 1850 –1854
Die vergebliche Suche nach Franklin – wenigstens ein Fortschritt für die Kartographie
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ane Franklin war die Erste, die Zeichen von Beunruhigung zeigte. Und Sir John Ross unterbreitete bereits im Januar 1847 der Admiralität den Vorschlag, eine Hilfsexpedition zu organisieren. Aber die Lords wollten zunächst den kommenden Sommer und die Berichte der Walfänger abwarten. Es stellte sich heraus, dass die Hudson’s Bay Company wegen einer schlechten Bisonjagd extrem spärlich mit Vorräten ausgestattet war und nicht in der Lage wäre, der Expedition auszuhelfen, sollte Franklin einen Posten der HBC erreichen. Darum wurde immerhin bewilligt, dass in England Pemmikan hergestellt und nach York Factory transportiert werden sollte. Mit diesem in England produzierten Pemmikan wollte man, falls es nötig würde, auch Suchexpeditionen ausrüsten und Depots für Franklin und seine Mannschaft an verschiedenen Stellen anlegen (Abb. 5.2).
Abb. 5.1: Expeditionen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Abb. 5.2. Lady Jane Franklin.
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Abenteuer Nordwestpassage
5.1
Die Suche nach der verschollenen Franklin-Expedition beginnt
Die ersten Suchexpeditionen starteten erst im Sommer 1848, also drei Jahre nachdem Franklin und seine 128 Begleiter letztmals in der Baffin Bay gesehen worden waren. Die Admiralität hatte mehrere der berühmten Arktisveteranen konsultiert, bevor sie aktiv wurde. Zu den Befragten gehörten James Clark Ross, Frederick William Beechey, William Edward Parry und George Back (Abb. 5.3). Die Suche nach Franklin startete zwar spät, wurde aber gründlich durchgeführt und sollte sich über ein Jahrzehnt hinziehen. Schließlich bedeutete es einen herben Schlag für die Royal Navy, die Beherrscherin aller Weltmeere, dass zwei der besten polartauglichen Schiffe, die so gut ausgerüstet waren wie nie eine Expedition zuvor, mitsamt 129 Besatzungsmitgliedern spurlos in den Weiten des Nordens verschwunden waren. Je mehr im Laufe der Zeit über den Verbleib der Expedition bekannt wurde, desto größer wurde das Erschrecken und Spekulationen begannen wild zu wuchern. Als fatal erwies sich, dass der Vorschlag von Beechey und Dr. Richard King, eine Suchexpedition den Back-Fluss hinunter in die Nähe von King William Land zu entsenden, abgelehnt wurde. Damit war von der aufwendigen Suche genau jenes Gebiet ausgeklammert, in dem die verzweifelte Expedition um ihr Überleben kämpfte. Als hätte sie geahnt, wo ihr Gatte sich tatsächlich aufgehalten hatte, wies Lady Franklin bereits im Dezember 1847 in einem Brief darauf hin, dass diese Region bei der Suche fehle (Savours 1999, S. 189). James Clark Ross hingegen war überzeugt, dass die Schiffe westlich von Cape Walker im Eis festsaßen, und er setzte sich mit seiner Meinung durch. Die Suche begann also 1848 mit drei Expeditionen.
5.2
1848 – drei Expeditionen suchen nach Franklin
Die Plover verließ England im Januar 1848, umschiffte Kap Hoorn und sollte Franklin im Norden der Beringstraße entgegenfahren. HMS Herald hatte die Küste Kaliforniens erkundet und wurde ebenfalls nach Norden abkommandiert. Gemeinsam sollten Plover und Herald die Küste Russisch-Amerikas bis zur Mündung des Mackenzie absuchen, um nach Spuren von Franklin Ausschau zu halten. Dr. Richardson und Dr. John Rae, ein Angestellter der Hudson’s Bay Company, der über Erfahrung mit Landreisen verfügte, sollten den Mackenzie hinunterfahren und von dessen Mündung aus nach Osten die Küste absuchen. Auch James Clark Ross, der seiner jungen Frau eigentlich versprochen hatte, nicht mehr in die Arktis zu fahren, änderte unter den gegebenen Umständen seine Meinung und meldete sich freiwillig für eine Suchexpedition. Er erhielt die beiden gerade fertiggestellten Schiffe Enterprise und Investigator (450 und 400 Tonnen), ausgestattet mit
Suche nach Franklin – Fortschritt für die Kartographie
Abb. 5.3: Gemälde des Arctic Council, einer Gruppe von bekannten Arktisfahrern – darunter George Back, William Parry und James Clark Ross –, die gebildet wurde, um die Admiralität bei der Suche nach Franklin zu beraten.
Vorräten für Franklin, mit denen er seine Mannschaften sechs Monate hätte ernähren können, sowie mit Nahrung für die eigenen Mannschaften für drei Jahre. Ross sollte den Lancaster Sound, die Barrowstraße und den Wellingtonkanal absuchen, und falls noch Zeit bliebe auch das Gebiet zwischen Cape Clarence und Cape Walker. Die Investigator sollte in der Nähe von Cape Rennell (im Norden von Somerset Island) überwintern. Der Plan war, mit Schlittenexpeditionen im nächsten Frühjahr die Westküste von Boothia Felix und den Süden von Prince Regent Inlet abzusuchen. Die Enterprise sollte erheblich weiter im Westen auf Melville Island, wo Parry 1819/20 in Winter Harbour den Winter verbracht hatte, oder gar auf Banks Island überwintern. Von dort aus sollte die Erkundung nach Süden bis Cape Bathurst erfolgen – dies war ebenfalls noch einer der weißen Flecken auf der Karte des Nordens. Alle Expeditionen sollten Depots anlegen und Markierungen errichten mit Hinweisen, wie die Depots zu erreichen seien, um Franklin, sollte er schiffbrüchig geworden sein, ein Überleben zu ermöglichen. Diese weitgefassten Pläne der Suche im Sommer 1848 hätten einen milden und eisarmen Sommer vorausgesetzt, um durchführbar zu sein. Da es aber ein kalter und besonders eisreicher Sommer wurde, kam ein weiteres Mal alles anders als geplant. Die Enterprise und die Investigator gelangten nicht weiter als zur Ostspitze von Somerset Island, wo sie in Port Leopold überwinterten. Mit Mühe erreichte eine Schlittenexpedition im Frühjahr Fury Beach. Eine andere Gruppe schaffte es, die unbekannte Westküste von Somerset Island auszukundschaften. Mit dem Peel Sound entdeckten sie eine neue Meeresstraße, über die Leutnant Francis Leopold McClintock, der 1848 erste Arktiserfah-
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rung sammelte und in der weiteren Suche nach Franklin noch eine wichtige Rolle spielen würde, schrieb, dass jeder Versuch, ein Schiff durch diese eisige Wasserstraße zu zwingen, nicht nur scheitern würde, sondern auch das fast unvermeidbare Risiko der völligen Zerstörung eingehe, da dieser Sund mit schwerem Eis gefüllt sei. Weder McClintock, der dies schrieb, noch James Clark Ross, dem das Oberkommando oblag, hatten den Funken einer Ahnung, dass es genau diese Wasserstraße war, durch die Franklin im sehr viel wärmeren Sommer 1846 – vermutlich bei offenem Wasser – seinem Untergang entgegengesegelt war (Savours 1999, S. 190). Eine dritte Gruppe ging mit Schlitten nach Norden über die Barrowstraße. Zwar waren sie nahe an Überreste von Franklins Expedition herangekommen, erreichten aber leider Beechey Island nicht, so dass im ersten Jahr der Suche keinerlei Hinweise auf das Schicksal von Franklins Expedition entdeckt wurden. Ross hatte zwar keine Hunde mitgebracht, verwendete aber Schlitten, die er an Bord des Schiffes nach Vorbildern von Inuitschlitten hatte anfertigen lassen. Jeder der Schlitten wurde von sechs Männern gezogen. Üblicherweise waren sie während der Nachtstunden unterwegs, wenn die Sonne nicht so stark brannte und der Schnee etwas härter war. 150 Meilen wurden neu kartiert, aber von Franklin keine Spur gefunden. Bevor Ross und seine Männer Port Leopold verließen, errichteten sie ein großes Lebensmittellager und deponierten außerdem ein dampfbetriebenes Boot, mit dem sich Franklins Mannschaften bis zum Lancaster Sound hätten durchkämpfen können, in der Hoffnung, dort auf Walfänger zu treffen, ähnlich wie John Ross dies 1833 nach dem Verlust der Victory geglückt war. Die beiden Schiffe Enterprise und Investigator wurden, nachdem sie ihr Winterlager verlassen hatten, von Eis eingeschlossen und drifteten 250 Meilen nach Osten, wo sie in der Nähe der Baffin Bay endlich offenes Wasser vorfanden. Da nun alles zu spät für weitere Aktivitäten war, kehrten sie nach England zurück. Im November 1849 waren sie wieder zuhause und sahen sich heftiger Kritik ausgesetzt, dass sie nicht mehr bewirkt hatten.
5.3
Die Unruhe wächst – eine ganze Flotte durchkämmt die Arktis
Jetzt war man in England über Franklins Ausbleiben äußerst beunruhigt und die Öffentlichkeit wollte Aktivitäten sehen. Ein weiterer junger Leutnant – Robert McClure – hatte auf dieser Suchexpedition erste Arktiserfahrung gesammelt und würde eine weitere, wenn auch nur bedingt rühmliche Rolle bei der Suche nach Franklin spielen. Bereits im Mai 1849, also bevor Enterprise und Investigator unverrichteter Dinge zurückgekehrt waren, hatte die Admiralität ein Versorgungsschiff, die North Star, in die Arktis geschickt, wo sie mit der Investigator zusammentreffen sollte. Auch das war schiefgegangen. Wegen des dichten Eises musste die North Star an der Küste Grönlands überwintern, driftete im folgenden Sommer (1850) nach Westen und ließ im Navy Board
Suche nach Franklin – Fortschritt für die Kartographie
Inlet, im Eingang des Lancaster Sound, der die Bylotinsel von der Brodeurhalbinsel trennt, ein Nahrungsmitteldepot zurück. Im September 1850 war die North Star wieder in England. So nützlich diese Reisen zur Erweiterung der geographischen Kenntnisse des Nordens waren, ihr eigentliches Ziel, Franklin zu finden, verfehlten sie alle. Jedem der Schiffe, die an den Suchexpeditionen beteiligt waren, gab Lady Franklin unermüdlich Briefe an ihren Mann mit und jedes Mal war ihre Enttäuschung groß, wenn ein Schiff zurückkehrte und ihr die Briefe ungeöffnet zurückbrachte. Zehn Jahre lang beteiligte sich Lady Franklin aktiv an der Suche nach ihrem Mann, indem sie sich schriftlich äußerte, aber auch selbst Expeditionen ausrüstete bzw. Sponsoren für weitere privat finanzierte Suchfahrten auftrieb. Im Sommer 1850 erreichte die Suche nach Franklin ihren vorläufigen Höhepunkt. 13 Schiffe, teils von der Admiralität, teils privat finanziert, durchkämmten die Arktis. Die Admiralität setzte Abb. 5.4: Plakat, auf dem eine Belohnung für das Auffinden von Franklin, seiner einen zusätzlichen Anreiz, sich an der Suche zu Mannschaft oder seines Schiffs ausgebeteiligen, indem sie eine Belohnung von 20 000 lobt wird. Pfund auslobte, die jene Expedition erhalten sollte, die Franklin oder seine Mannschaft finde. Hinzu kam, dass einige der jüngeren Kapitäne eigentlich das Ziel verfolgten, selbst die Nordwestpassage zu meistern, statt einfach nur nach Franklin zu suchen (Lehane 1981, S. 141). Auch Lady Franklin hatte eine doppelte Motivation für ihr Engagement. Sie wollte nicht nur ihren Gatten möglichst lebendig wiederfinden, sie wollte außerdem beweisen, sollte er nicht mehr am Leben sein, dass er das fehlende Stück der Passage gefunden hatte und alle Ehre für die Durchfahrung der Nordwestpassage ihm gebühre – sei es auch postum (Abb. 5.4). Im Jahr 1850 wollte man von zwei Seiten kommend die Arktis nach Franklin durchkämmen. Drei Schiffe sollten von der Beringstraße aus nach der verschollenen Expedition Ausschau halten. Die Herald unter dem Kommando von Henry Kellet befand sich ohnehin in der Region. Die Enterprise und die Investigator, im Vorjahr von der Suche um Somerset Island zurückgekehrt, sollten um Kap Hoorn segeln und sich der Suche von Alaskas Nordküste aus anschließen. Die Enterprise stand unter dem Kommando von Richard Collinson, der auch das Oberkommando über die gesamte Expedition innehatte, und die Investigator war mit Robert McClure als Kapitän unterwegs (Abb. 5.5, Farbtafel).
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Sehr viel stärker war das Aufgebot an Schiffen, das von der Atlantikseite kommend nach Franklin suchen sollte. Horatio Austin, der im Jahr 1825 an Bord der Fury war, als sie Schiffbruch erlitten hatte, kommandierte eine Flotte von vier Schiffen: HMS Resolute mit Austin selbst als Kapitän und 60 Mann Besatzung, HMS Assistance unter dem Kommando von Erasmus Ommanney, ebenfalls mit 60 Mann Crew außerdem die Pioneer unter Sherard Osborn und 30 Mann sowie die Intrepid mit Bertie Cator als Kapitän und ebenfalls 30 Mann Besatzung. Die Admiralität entsandte noch zwei weitere Schiffe, die HMS Lady Franklin und die HMS Sophia (benannt nach Lady Jane Franklins Nichte Sophia Crawford, die ihr in den Jahren der Suche beistand und half). William Penny, ein Walfangkapitän mit entsprechender Eiserfahrung, erhielt das Kommando, was für die Admiralität sehr ungewöhnlich war, normalerweise verschmähte sie die Walfangkapitäne. Auch die USA beteiligten sich an der Suche; Lady Franklin hatte den Kaufmann Henry Grinnell als Sponsor gewonnen. Er stellte zwei Schiffe zur Verfügung, Advance und Rescue. Die US-Regierung steuerte weitere Geldmittel bei, Marineoffiziere und Crew meldeten sich freiwillig. Elisha Kent Kane reiste als Arzt auf der Advance mit, die von E.J. de Haven kommandiert wurde. Eine weitere Expedition wurde ganz von Lady Franklin finanziert: die Prince Albert unter dem Kommando von Charles Forsyth. Und auch Sir John Ross wurde im Alter von 72 Jahren noch einmal aktiv. Eigentlich hatte sein Sponsor Felix Booth eine Expedition finanzieren wollen, starb aber, bevor es so weit war. Ross steuerte eigene Mittel bei, gewann weitere Sponsoren und auch die HBC engagierte sich finanziell, so dass er eine eigene Expedition durchführen konnte; er taufte sein Schiff Felix, nach seinem Freund Felix Booth. Zehn Schiffe waren es also, die vom Atlantik aus im Sommer 1850 aufbrachen, um nach Franklin zu suchen. Früher oder später gelangten alle Schiffe in die Barrowstraße und trafen sich vor Beechey Island – einer winzigen Insel im Südwesten von Devon Island. Bei Ebbe ist Beechey Island durch eine Kalkrippe mit Devon Island verbunden. Die Bucht zwischen Beechey Island und Devon Island westlich der Kalkrippe heißt Unionbucht, weil die Suchschiffe sich dort trafen (die Bucht östlich davon erhielt nach einem von Franklins Schiffen den Namen Erebusbucht). Und noch während die Kapitäne beratschlagten, wie sie sich aufteilen sollten, um die Suche am sinnvollsten fortzusetzen, erkundete Erasmus Ommanney den Südwesten von Devon Island und fand dort einige Hinterlassenschaften bei Cape Riley, die zumindest auf eine kurze Anwesenheit von Europäern hindeuteten. Ommanney setzte die Suche fort und entdeckte hoch auf einer Landzunge auf Beechey Island einen großen Steinhaufen. Die Suche wurde daraufhin intensiviert und auf Beechey Island ausgedehnt. Am 27. August 1850 tauchte der erste eindeutige Hinweis auf Franklins Expedition auf: drei Gräber, die mit Holzplatten als Grabsteine markiert waren, auf die Inschriften eingraviert waren. Diesen Inschriften war zu entnehmen, dass im Winter 1845/46 zwei Seeleute der Erebus verstorben waren, nämlich John Hartnell (gest. 4. Januar 1846) und William Braine (gest. 3. April 1846). Außerdem war ein Besatzungsmitglied der Terror an dieser Stelle beerdigt, der Heizer John Torring-
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Abb. 5.6: Dr. Kanes Skizze der drei Gräber auf Beechey Island. ton. Auf John Torringtons Grab war zu lesen, dass er am 1. Januar 1846 an Bord der HMS Terror gestorben war, was den Rückschluss zulässt, dass die Schiffe nicht, wie manchmal vermutet worden war, vor Beechey Island Schiffbruch erlitten hatten (Abb. 5.6). Dr. Kane, der auf einem der amerikanischen Schiffe als Arzt tätig war, fertigte eine Skizze von den Gräbern und ihrer Umgebung an, die berühmt geworden ist. Einige 100 Meter von den Gräbern entfernt wurden weitere Hinterlassenschaften der Expedition gefunden, darunter mehr als 600 Konservendosen, die Fleisch oder Suppe enthalten hatten, jetzt aber geleert und mit Kieseln gefüllt waren. Es ist später darüber spekuliert worden, dass sie geleert worden seien, weil ihr Inhalt verdorben war, aber warum man sie mit Steinen gefüllt hatte, ließ sich nicht erklären. Was nicht nur die Suchexpeditionen des Jahres 1850, sondern auch viele nachfolgende Generationen beschäftigte, ist die erstaunliche Tatsache, dass nirgends eine Mitteilung über den bisherigen und weiter geplanten Verlauf von Franklins Expedition gefunden wurde. Eigentlich war es üblich, an allen Stellen, an denen sich eine Expedition länger aufgehalten hatte, solche Nachrichten zu deponieren. Und Franklin hatte zu diesem Zweck sogar Vordrucke an Bord, die nur noch mit den aktuellen Daten und Ereignissen hätten ausgefüllt werden müssen. Ein weiterer Fund von Sherard Osborn, nämlich Handschuhe mit einem Stein beschwert, als seien sie zum Trocknen ausgelegt worden, gab zu der Vermutung Anlass, dass die Insel sehr plötzlich von der Expedition verlassen wurde, so plötzlich, dass nicht einmal mehr Zeit blieb, eine Nachricht zu hinterlassen (einen Steinhügel hatten sie ja bereits auf einer Anhöhe errichtet) bzw. die ausgelegten Gegenstände einzusammeln (Williams 2009, S. 290) (Abb. 5.7, Farbtafel). Zwar hatte Ommanney von Austins Admiralitätsflotte als Erster Hinweise auf die Franklin-Expedition entdeckt, er sollte aber nicht derjenige sein, der die Nachricht als Erster in England verkünden würde. Dies blieb Kapitän Charles Forsyth von der Prince Albert vorbehalten, weil die Prince Albert als einziges Schiff noch im selben Jahr zurückkehrte. Die Expedition der Prince Albert war von Lady Franklin finanziert worden und im Rückblick zeigte sich, dass dieses Schiff als einziges den Auftrag hatte, in der richtigen
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Region nach Franklin zu suchen. Lady Jane hatte Folgendes angeordnet: Forsyth sollte den Prince Regent Inlet hinunterfahren und Somerset Island überqueren, dann weiter durch den Peel Sound nach Süden vordringen. Ziel war, weiter südlich zu gelangen als James Clark Ross dies im Vorjahr gelungen war. Hätte dies funktioniert, wäre Forsyth dem tatsächlichen Aufenthaltsort von Franklins Leuten immerhin bis auf 200 Meilen nahe gekommen. Seine Expedition war die einzige mit dem Auftrag, in der richtigen Richtung zu suchen. Zu Lady Franklins Enttäuschung gelangte Forsyth lediglich bis Fury Beach und wurde dann im Prince Regent Inlet vom Eis aufgehalten, was ihn zur Umkehr bewog. Auf dem Rückweg fand er auf Beechey Island eine Nachricht von Erasmus Ommanney über die wesentlichen Entdeckungen des Sommers. Da die Prince Albert als einziges der 13 Suchschiffe im Herbst 1850 nach England zurückkehrte, war es Forsyth, der die ersten Hinweise auf Franklins Expedition mitbrachte. Die beiden amerikanischen Schiffe Advance und Rescue waren eigentlich nicht für eine Überwinterung ausgestattet und verließen Beechey Island zeitig, gerieten aber im Eingang zum Wellingtonkanal in den Griff des Eises, als sie sich anschickten, die Rückreise anzutreten. Neun Monate drifteten sie hilflos im Eis und litten extrem unter der Kälte und Skorbut, ehe das Eis sie wieder freigab und sie im Herbst 1851 New York erreichten. Die verbliebenen sieben Schiffe überwinterten nicht weit voneinander entfernt und planten für das Frühjahr 1851 umfangreiche Schlittentouren. William Penny (HMS Lady Franklin und HMS Sophia) und John Ross (Felix) überwinterten in Assistance Bay an der Südküste von Cornwallis Island (Berton 1988, S. 185). Die vier Schiffe unter Austins Kommando (Resolute, Assistance, Pioneer und Intrepid) waren in der Nähe von Griffith Island im Eis eingefroren. Leopold McClintock, der ja schon 1848 mit James Clark Ross Erfahrung mit Schlittentouren gesammelt hatte, hatte sich in der Zwischenzeit intensiv mit Ausrüstung für Schlittenreisen beschäftigt und einige Verbesserungen eingeführt. Um längere Schlittentouren unternehmen zu können, legte McClintock bereits im Herbst 1850 Nahrungsmitteldepots auf den geplanten Strecken an. Außerdem ließ er jene Schlitten, die die größten Strecken zurücklegen sollten, zu Beginn der Tour mit Transportschlitten begleiten. Der Vorstoß in völlig unbekanntes Terrain erfolgte dann, nachdem die Vorräte umgeladen waren und die Transportschlitten kehrtgemacht hatten (Berton 1988, S. 187). Jeder Schlitten erhielt einen eigenen Namen, Flagge und ein Motto zur Unterstützung der Schlittenmannschaft bestehend aus sechs bis sieben Mann, die den Schlitten ziehen mussten, da McClintock zu dieser Zeit nicht in Betracht zog, Hunde als Zugtiere zu verwenden. Lediglich der Walfängerkapitän Penny hatte Schlittenhunde an Bord und nutzte diese auch (Berton 1988, S. 188) (Abb. 5.8, Farbtafel). McClintock selbst und Dr. Bradford reisten Richtung Melville Island, weit im Westen, wo Parry 1819 – 1820 überwintert hatte. Leutnant Aldrich und Leutnant Mecham legten Depots in der Nähe von Cornwallis Island an (Lowther Island, Assistance Harbour, Cape Martyr). Sherard Osborn suchte noch im Herbst die Küste von Cornwallis Island
Suche nach Franklin – Fortschritt für die Kartographie
nach Spuren von Franklin ab, fand aber nur Hinterlassenschaften von Inuit (Savours 1999, S. 203). Am 12. Oktober 1850 war die letzte Schlittengruppe zurück am Schiff und alle bereiteten sich auf die Polarnacht mit den üblichen Ablenkungen zum Vertreiben der Langeweile vor (Savours 1999, S. 204). Die Offiziere hatten Zeit an ihren Tagebüchern zu arbeiten, die sie als Grundlage für gut verkäufliche Publikationen über ihre Erlebnisse nutzen wollten. Eines der Ziele, das im nächsten Frühjahr abgesucht werden sollte, war Cape Walker auf Russell Island unmittelbar der Nordküste von Prince of Wales Island vorgelagert, da Franklin den Auftrag gehabt hatte, von dort aus nach Südwesten zu segeln. Man rechnete fest damit, an Cape Walker eine Nachricht von Franklin zu finden – aber auch dies erwies sich als Fehlanzeige.
Schlittentouren im Frühjahr 1851 Am 15. April 1851 verließen alle Schlitten das Winterquartier, sieben Schlitten fuhren Richtung Cape Walker und sogar darüber hinaus, sie wurden von Ommanney und Osborn geleitet. Zwei Schlitten unter Führung von Leutnant Aldrich kämpften sich an Byam Martin Island vorbei, um den bis dahin nicht erkundeten Kanal zwischen Bathurst und Melville Island abzusuchen. Fünf Schlitten unter McClintocks Leitung glückte es tatsächlich, bis nach Melville Island durchzudringen und wohlbehalten wieder zu den Schiffen zurückzukehren. Obwohl nun so viele Kräfte gebündelt wurden und die Aktivitäten sich in fast alle Richtungen erstreckten, verlief die gesamte Suche nach Franklin ähnlich ergebnislos wie die Suche nach der Nordwestpassage während der letzten 300 Jahre verlaufen war. Immerhin trugen die Schlittentouren zur weiteren Kartierung des Inselgewirrs im Norden bei: Die Nordhälfte von Prince of Wales Island, der größte Teil von Cornwallis Island, die südliche Hälfe von Bathurst und Melville Island, der größte Teil von Byam Martin Island und in der Barrowstraße die Küsten von Griffith, Lowther, Garrett und Russell Island erschienen nun auf den Karten (Clive Holland, S. 232, zit. nach Savours 1999, S. 211). Auf dem Rückweg im Sommer 1851 suchte Austin noch den Jones Sound ab – gleichfalls ohne Erfolg. Von dort aus benötigte er noch einen Monat, bis er im Herbst 1851 zurück in England war. Da die Nachrichten über die Gräber auf Beechey Island bereits im Vorjahr Verbreitung gefunden hatten, hatten Austin und seine Flotte außer ihren geographischen Arbeiten nichts Neues vorzuweisen. Entsprechend kühl wurden sie in England empfangen (Abb. 5.9). Gleichzeitig mit der Admiralitätsflotte war der Walfänger William Penny mit den Schiffen HMS Lady Franklin und HMS Sophia unterwegs. Die beiden Schiffe ankerten am 12. September 1850 in Assistance Bay. Dort fing man einige Tage später einen Fuchs ein, der ein Halsband mit einer Marke trug. Auch dies war ein Mittel gewesen, mit dem versucht wurde, Franklin auf die Anwesenheit von Suchexpeditionen aufmerksam zu machen. Die Mitglieder der Admiralitätsflotte hatten zu diesem Mittel gegriffen. Mit unterschiedlichsten Methoden versuchten die Suchexpeditionen auf sich aufmerksam zu machen. So ließ man kleine mit Wasserstoff gefüllte Ballone aufsteigen. Diese tru-
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Abb. 5.9: Anzeige für Ballons, um „in arktischen Regionen Nachrichten zu transportieren“. gen Bündel mit vorgedruckten Nachrichten, die von den jeweiligen Schiffen mit ihren aktuellen Positionsangaben auszufüllen waren. Diese Bündel wurden an einer Lunte befestigt, deren Brenndauer bei jedem Ballon eine andere war. Löste sich dann das Bündel, ging ein Regen von Benachrichtigungszetteln über der Arktis nieder. So versuchte man, möglichst flächendeckend die Informationen über die Anwesenheit der Suchexpeditionen zu verbreiten. Eine weitere Idee war, Knöpfe, auf die die Standorte von frisch angelegten Nahrungsmitteldepots eingeprägt waren, an die Inuit zu verteilen – in der Hoffnung, dass sollte es zu einem Zusammentreffen zwischen Inuit und Franklins Männern kommen, diese auf den Knöpfen lesen könnten, wo sie mit Depots und ggf. auch Landsleuten rechnen könnten. Leider wurden aber keine Inuit angetroffen, an die man die Knöpfe hätte austeilen können (Lehane 1981, S. 146 – 147). Auch Penny unternahm ab dem 17. April 1851 Schlittentouren; seine Aufgabe war es, den Wellingtonkanal gründlich abzusuchen, was auch glückte, aber natürlich gleichfalls ohne etwas von Franklin zu finden. Penny war verblüfft, auf 76° N bei Point Surprise, wie er die Stelle nannte, plötzlich auf offenes Wasser zu treffen. In Ermangelung eines Bootes ging es für ihn an dieser Stelle nicht mehr weiter und er kehrte zu seinem Schiff zurück, ließ einen riesigen Schlitten bauen, auf dem er ein Beiboot transportierten konnte, und machte sich wieder zum Nordteil des Wellingtonkanals auf. Als er das offene Wasser erneut erreichte, ließ er das Boot ins Meer und setzte seine Erkundung fort. Er entdeckte neue Wasserstraßen, die später die Namen Maury Channel (zwischen Baillie Hamilton Island und Cornwallis Island), Queens Channel zwischen Cornwallis und Bathurst Island und Penny Strait (zwischen Grinnel Peninsula und dem Nordosten von Bathurst Island) erhielten (Savours 1999, S. 214). Am 20. Juli musste Penny zu seinem Leidwesen umkehren, da er nur noch für eine Woche Nahrungsmittel an Bord seines Bootes hatte. Er ließ das Boot auf dem Rückweg bei Abandon Bay zurück, wo es ein Jahrhundert später vom Geological Survey of Canada gefunden wurde. Am 25. Juli erreichte er nur mit Mühe und dank der Umsicht seiner Kollegen, die Depots eingerichtet hatten, sein Schiff. Penny wäre gerne noch einen zweiten Winter geblieben, aber die Ausrüstung seiner beiden Schiffe ließ dies nicht zu, so dass sich alle Schiffe (auch die von Austins Flotte) im Spätsommer 1851 auf den Rückweg begaben (Savours 1999,
Suche nach Franklin – Fortschritt für die Kartographie
S. 217). Penny vermutete, dass Franklin den Wellingtonkanal hinaufgesegelt war, was sich später als richtig herausstellen sollte (Savours 1999, S. 217). Er erhielt aber kein weiteres Kommando mehr von der Admiralität und kehrte zum Walfang zurück. Das einzige Schiff der großen Suchflotte des Jahres 1850, das noch im selben Jahr zurückgekehrt war, war die von Lady Franklin finanzierte Prince Albert. Unzufrieden mit den Resultaten, wenngleich Kapitän Forsyth ja auch der Überbringer der Nachricht von dem Gräberfund war, rüstete sie die Prince Albert gleich im nächsten Jahr (1851) erneut aus, während die große Suchflotte noch in der Arktis unterwegs war. Als Kapitän wählte sie nun William Kennedy, dessen Vater für die Hudsons’s Bay Company tätig war und dessen Mutter eine Indianerin (Swampy Cree) war (Savours 1999, S. 240). Zwar verfügte Kennedy nur über wenig Erfahrung in der Seefahrt, aber Lady Franklin war von seinem Anstand und ernsthaften Wesen so beeindruckt, dass sie über den Rest hinwegsah. Auch die Wahl von Kennedys Stellvertreter war ungewöhnlich, fiel sie doch auf den jungen Franzosen Joseph René Bellot. Sie nannte den nachdenklichen jungen Mann ihren „französischen Sohn“. Bellot lehnte eine Bezahlung ab und nachdem er Lady Franklin getroffen hatte, soll er gesagt haben, er habe sich mit all seinen Gefühlen und all der pflichtbewussten Wärme eines Sohnes an der Suche beteiligt. Und auch John Hepburn, der mit Franklin schon auf der Trent unterwegs gewesen war, die entsetzlichen Strapazen der ersten Landexpedition mit ihm durchgestanden und die Franklins nach Tasmanien begleitet hatte, war mit von der Partie. Obwohl Hepburn nun schon Anfang 60 war, wollte er sich aus alter Verbundenheit Franklin gegenüber an der Suche beteiligen. Jane und Sophia waren eigens nach Stromness auf die Orkneyinseln gereist um bei der Organisation der Expedition zu helfen, die am 3. Juni 1851 Stromness verließ. Kennedy überwinterte in Batty Bay an der Ostseite von Somerset Island. Da er auf einem Posten der HBC geboren und aufgewachsen war, kannte er die Tricks und Methoden, die Landreisen auch im Winter möglich machten. Er verwendete Hundeschlitten und übernachtete in Schneehäusern statt in Zelten. So gelang es ihm und Bellot schon Ende Februar 1852 zu einer über 2000 Kilometer langen Schlittentour aufzubrechen, in deren Verlauf sie die Wasserstraße entdeckten, die Somerset Island von der Boothiahalbinsel trennt, ein Bindeglied der Nordwestpassage, damals aufgrund von zu viel Eis nicht schiffbar und der Kennedy den Namen Bellotstraße gab, den sie heute noch trägt. Sie überquerten den Peel Sound, allerdings nicht so weit im Süden wie Lady Franklin es vorgesehen hatte, und setzten ihren Weg auf der Prince of Wales Insel fort, die sie einmal im Süden von Ost nach West kreuzten und dann weiter im Norden noch einmal von West nach Ost, bevor sie über Cape Walker und Port Leopold zu ihrem Schiff zurückkehrten. 90 Tage hatten sie für diese Schlittentour benötigt, von Franklin aber keine Spur gefunden. Nach einem kurzen Zwischenstopp auf Beechey Island, wo sie auf andere Suchschiffe stießen, erreichte die Prince Albert im Herbst des Jahres 1852 wieder England und brachte erneut nichts als Enttäuschungen für Lady Franklin mit, aber auch neue geographische Entdeckungen.
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Abenteuer Nordwestpassage
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Zweite groß angelegte Suche nach Franklin (1852)
Die zweite große Suchaktion wurde im Sommer des Jahres 1852 unter dem Oberkommando des als jähzornig bekannten Sir Edward Belcher durchgeführt. Seine Flotte bestand insgesamt aus fünf Schiffen: Die Resolute mit Henry Kellett als Kapitän, die Intrepid unter dem Kommando von Francis Leopold McClintock, die Assistance wurde von Belcher selbst befehligt, die Pioneer mit Leutnant Sherard Osborn und als Versorgungsschiff die North Star mit Kapitän W. J. S. Pullen. Die Aufgabe der Flotte war zweigeteilt: Die Resolute und Intrepid sollten weit nach Westen vordringen und auf Melville Island oder in der Nähe der Insel Depots anlegen. Grund für diese Depots auf oder bei Melville Island war eine weitere Sorge, die die Admiralität plagte: Die beiden Schiffe, die 1850 gemeinsam mit den anderen aufgebrochen waren, um von der Beringstraße aus nach Franklin zu suchen, waren noch nicht zurückgekehrt und es gab auch keine Nachricht von ihnen. Dies bedeutete, dass die Suche sich jetzt nicht nur auf Franklins Erebus und Terror erstreckte, sondern auch auf die Enterprise und Investigator unter Collinson und McClure (Abb. 5.10). Die Assistance und die Pioneer sollten, wie Penny vorgeschlagen hatte, nördlich des Wellingtonkanals suchen. Die North Star bildete sozusagen ein Basislager und Kommunikationszentrum und blieb bei Beechey Island. Am 11. August hatten alle Schiffe der Flotte Beechey Island erreicht. Am 15. August trennten sie sich, um ihren jeweiligen Aufgaben nachzukommen.
Lady Franklin lässt nicht locker Auch im Sommer 1852 war gleichzeitig mit der Flotte der Admiralität wieder eine private, von Lady Franklin organisierte Expedition auf der Suche nach Franklin in der Arktis unterwegs. Edward Augustus Inglefield kommandierte den 149-Tonnen-Schoner Isabel. Inglefield konzentrierte seine Suche zunächst auf Whale Sound, Smith Sound und Jones Sound im Nordteil der Baffin Bay. Seit William Baffin im Jahr 1616 war kein Schiff mehr in den Smith Sound gefahren, so dass Inglefield zwar von Franklin nichts finden konnte, aber immerhin erfolgreiche geographische Entdeckungen machte. Beispielsweise erhielt Ellesmere Island damals seinen Namen. Um Belcher Bericht von seinen Ergebnissen zu erstatten, fuhr Inglefield durch den Lancaster Sound bis Beechey Island. Er erreichte die Insel am 7. September 1852. Sir Edward Belcher hatte bereits kurz nach seiner Ankunft versucht, die Gräber auf Beechey Island zu öffnen, hatte aber aufgrund des festgefrorenen Dauerfrostes die Idee wieder aufgegeben. Inglefield hingegen war etwas forscher in seinem Vorgehen und exhumierte Hartnell in einer Nacht- und-Nebel-Aktion gemeinsam mit seinem Schiffsarzt Dr. Sutherland. Enttäuscht mussten die beiden aber feststellen, dass der Leichnam keine Rückschlüsse auf die Todesursache zuließ. Inglefield nahm ein Stück Stoff sowie die Platte auf Hartnells Sarg an sich, bevor alles wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt wurde. Kaum war dies abgeschlossen, verließ Inglefield Beechey Island wieder.
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Abb. 5.10: Die Assistance und die Pioneer festgefroren im Northumberland Sound. In seinem Tagebuch erwähnt er nichts von seinem makabren Vorgehen, lediglich in einem Brief an John Barrow, der auf den 14. September datiert ist, berichtet er von der Exhumierung und überlässt es Barrow zu entscheiden, ob es besser sei, diese Information diskret für sich zu behalten oder öffentlich zu machen „as the prejudices of some people would deem this intended work for charity sacrilege“31 (Savours 1999, S. 200). Unterdessen hatten die vier Schiffe von Belchers Flotte ihre jeweiligen Aufgaben verfolgt: Assistance und Pioneer stießen im Wellingtonkanal auf offenes Wasser und gelangten in den Queenskanal, dann weiter nach Norden, wo sie an der Westseite der Grinnellhalbinsel einen Sund entdeckten, den sie nach dem Duke of Northumberland benannten. Der Duke of Northumberland war zu der Zeit Präsident des Board of Admiralty. Belcher überwinterte in Northumberland Sound. Bereits am 20. August, d. h. fünf Tage nachdem er Beechey Island verlassen hatte, waren seine Schiffe in ihrem Winterquartier festgefroren. Frühjahr und Sommer des Jahres 1853 waren mit Schlittentouren ausgefüllt, die wieder nichts von Franklin fanden, aber wie viele andere Aktivitäten der Franklin-Suche zur Erweiterung der geographischen Kenntnisse beitrugen. Belcher erreichte Cornwall Island nördlich von der Grinnellhalbinsel und entdeckte einen Kanal im Nordosten von Devon Island, der eine Verbindung zum Jones Sound darstellte, so dass Franklin theoretisch auf diesem Weg die Baffin Bay hätte erreicht haben können. Da Belcher im Sommer 1853 intensiv die Ostküste des Wellington Kanals explorierte, geschah es, dass seine beiden Schiffe ca. 50 km nördlich von Beechey Island für einen zweiten Winter, den von 1853 auf 1854 festfroren.
Ein unverhofftes Wiedersehen In der Zwischenzeit hatten sich weitere entscheidende Dinge ereignet. Zwei Schiffe aus Belchers Flotte (Resolute und Intrepid) waren im Sommer 1852 nach Westen geschickt worden, um auf Melville Island oder in der Nähe davon Depots für die vermissten Schiffe
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Enterprise und Investigator unter Collinson und McClure anzulegen. Kellet und McClintock erreichten Melville Island, richteten in Winter Harbour (Parrys Überwinterungsort von 1819/20) ein Depot ein und überwinterten selbst bei Dealy Island, einer winzigen Insel, dem Bridport Inlet vorgelagert und etwas östlich von Winter Harbour gelegen. Von Dealy Island sollten im nächsten Frühjahr Erkundungen per Schlitten durchgeführt werden. Um diese vorzubereiten, wurden mehrere Depots angelegt. George Mecham hatte die Aufgabe übernommen, die Depots am Liddongolf nördlich der Dundashalbinsel, an deren Südende sich Winter Harbour befindet, einzurichten. Auf der Rückreise kam er an Winter Harbour vorbei und sah sich dort genauer um. Zu seiner Überraschung entdeckte er in der Nähe des Felsens, den Parry 1819 mit dem Namen seines Schiffes versehen hatte, eine Nachricht. Diese war von Robert McClure, dem Kapitän der Investigator, in der Hoffnung dort hinterlegt worden, dass eine der anderen Suchexpeditionen diesen bekannten Punkt aufsuchen würde. Was war geschehen? Wie war die Nachricht dorthin geraten, wo war McClure jetzt – im Herbst 1852 –, schließlich hatte er England bereits im Januar 1850 verlassen? (Abb. 5.11) Robert McClure gehörte noch zu der ersten groß angelegten Suchexpedition aus dem Jahr 1850. Gemeinsam mit Kapitän Richard Collinson auf der Enterprise, dem auch das Oberkommando über beide Schiffe oblag, war McClure auf der Investigator aufgebrochen, um von der Beringstraßenseite aus nach Franklin zu suchen. Gemeinsam hatten sie England im Januar 1850 verlassen, sich aber bald aus den Augen verloren. Sie umrundeten Kap Hoorn, verpassten sich an dem vereinbarten Treffpunkt auf Hawaii um nur einen Tag und segelten dann weiterhin getrennt nach Norden. McClure hatte von einer Abkürzung durch die Inselkette der Aleuten erfahren und probierte diese gleich aus, statt außen herum zu fahren wie Collinson das tat. Resultat war, dass McClure vor Collinson am nächsten Treffpunkt bei Cape Lisburne ankam. Offenbar ging der Ehrgeiz mit McClure durch, er brannte darauf, selbst die Nordwestpassage zu entdecken; das war ihm insgeheim wichtiger als nach Franklin zu suchen. Nicht einmal 48 Stunden wollte er auf Collinson warten, der ja sein Vorgesetzter war. McClure setzte die Reise alleine mit der Investigator fort. Es glückte ihm durch eine Lücke im Eis bei Point Barrow zu schlüpfen und weiter der Küste nach Osten zu folgen, bis er neues Land entdeckte, das er Baring Land nannte, was aber, wie sich später herausstellte, ein Teil von Banks Land (heute Banks Island) war, das Parry 1819 von Osten kommend gesichtet hatte. Außerdem entdeckte er die Prince-of-Wales-Straße zwischen Banks Island und Victoria Island, fuhr hinein, wurde aber auf 73° 10‘ N durch Eis aufgehalten und musste in der Princeof-Wales-Straße in der Nähe der Princess-Royal-Inseln überwintern (von 1850 auf 1851). Auch er setzte die Erkundung per Schlitten fort und sah, dass die von ihm entdeckte Prince-of-Wales-Straße tatsächlich eine Verbindung nach Norden in den Viscount Melville Sound hatte. Im Oktober 1850 konnte McClure während seiner Schlittentour Melville Island in 60 Meilen Entfernung sehen. Die Passage war endlich entdeckt – auch wenn sie mit einem Schiff nicht befahrbar war – und er, McClure war stolz, ihr Entdecker zu sein.
Suche nach Franklin – Fortschritt für die Kartographie
Im Frühjahr 1851, als McClure noch darauf wartete, dass das Eis sein Schiff freigeben würde, unternahm er weitere Schlittentouren in der Prince-of-Wales-Straße und an den Küsten von Banks und Victoria Island. Die Investigator kam erst Mitte August 1851 wieder aus dem Eis frei und McClure scheiterte im für ihn zu kurzen Sommer des Jahres 1851 erneut. Dickes, mehrjähriges Eis vereitelte auch seinen zweiten Versuch, von der Prince-of-Wales-Straße zum Melville Sound durchzudringen. McClure wendete und wollte Banks Island auf der Westseite umrunden. Trotz schweren Eises gelangte er bis in die Straße, die später nach ihm benannt wurde. Während eines heftigen Sturmes suchte er Schutz in einer Bucht, die er Mercy Bay taufte und die gleichzeitig zu seinem nächsten Überwinterungsort auf 74° N wurde. Die Nahrungsmittelvorräte wurden während des zweiten arktischen Winters 1851/52 durch die Jagd auf Karibus, Moschusochsen und Hasen aufgefrischt. Im nächsten Frühjahr, d. h. 1852 unternahm McClure eine Schlittentour nach Winter Harbour auf Melville Island, wo er eine Nachricht mit Informationen über den Verlauf seiner Expedition und den Aufenthaltsort der Investigator hinterließ. Die Mannschaft befand sich nach diesem zweiten Winter in erheblich schlechterer Verfassung als im Jahr zuvor und auch die Stimmung stand nicht zum Besten. Dennoch wurde die Crew der Investigator auf eine noch härterer Probe gestellt, da das Schiff im Sommer 1852 nicht aus dem Eis freikam und den Männern nun der dritte Winter bevorstand. Während dieses dritten Winters verloren einer der Offiziere sowie einer der Matrosen den Verstand, was für die restliche Mannschaft eine besondere Herausforderung darstellte.
Abb. 5.11: Schlittengruppen verlassen die Resolute und die Intrepid.
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Abenteuer Nordwestpassage
Johann Miertsching, ein Missionar der Herrnhuter Brüdergemeine, war als Dolmetscher für die Expedition engagiert worden und reiste auf der Investigator mit. Miertsching hatte während eines mehrjährigen Einsatzes auf Labrador Inuktitut, die Sprache der Inuit, gelernt (Williams 2009, S. 298). Auch im Sommer 1853 kam die Investigator nicht aus dem Eis frei und McClure plante, das Schiff zu verlassen, die Mannschaft aufzuteilen und in verschiedene Richtungen zu schicken. Eine Gruppe sollte versuchen zum Prince Regent Inlet zu gelangen, um dort nach eventuellen Depots Ausschau zu halten und ggf. von einem Walfänger gerettet zu werden. Die andere Gruppe sollte sich auf den Weg zum Mackenzie River machen und von dort aus versuchen, einen Posten der HBC zu erreichen. McClures Plan war, die Schwächsten zuerst loszuschicken und mit den Kräftigsten noch an Bord zu verharren, in der Hoffnung, dass die Investigator doch noch einen Weg aus dem Eis finde. Falls dies nicht geschehe, wollte er im folgenden Sommer ebenfalls das Schiff verlassen. Diejenigen, die für die Schlittentouren ausgewählt waren, konnten sich allerdings kaum auf den Beinen halten und hatten so gut wie keine Chance, den anstrengenden Marsch und das Ziehen der Schlitten zu überstehen (Williams 2009, S. 304). Insgeheim bereiteten die meisten Männer der Investigator sich auf einen baldigen Tod vor, da ihnen bewusst war, dass sie in ihrem geschwächten Zustand die bevorstehenden Strapazen kaum überleben würden. Verstärkt wurde dieses Gefühl durch den ersten Todesfall am 5. April 1853. Als McClure und sein erster Leutnant gerade überlegten, wie sie aus dem gefrorenen Boden ein Grab ausheben sollten, gewahrten sie einen Menschen, der sich schnell und wild gestikulierend auf sie zu bewegte: Laufgeschwindigkeit und Gesten ließen sie vermuten, ein Mitglied der Mannschaft würde von einem Eisbär verfolgt, aber sie wunderten sich, wer es sein könne ... Es dauerte eine Weile, bis die Figur auf Rufnähe herangekommen war. Dann brüllte der Ankömmling den beiden zu, dass er Leutnant Pim von der Resolute sei und dass die Resolute bei Dealy Island überwintere. Als Nächstes erfuhr McClure, dass die Resolute unter dem Kommando von Kapitän Kellet stand, was ihn extrem verblüffte, war doch Kellet derjenige, der ihm bei seiner übereilten Abfahrt von Cap Lisburne (in der Nähe der Beringstraße) signalisiert hatte, er solle noch 48 Stunden warten. McClure aber hatte sich dieser Order widersetzt. Voller Erleichterung und Freude nahm die Mannschaft der Investigator die unglaublichen Neuigkeiten auf. Innerhalb der nächsten Wochen wurden alle Kranken zur Resolute geschafft und auch die noch Halbgesunden machten sich auf den Weg dorthin. McClure wollte aber die Investigator nicht aufgeben, noch immer brannte der Ehrgeiz in ihm. Er wollte die Passage mit seinem eigenen Schiff schaffen. Als aber Kellet den Zustand der Mannschaft sah, war das Thema schnell vom Tisch. McClure hatte in der Zwischenzeit die Order an seine Mannschaft ausgegeben, dass alle Tagebücher an Bord bleiben müssten, was insbesondere den Missionar Miertsching grämte. Immerhin gelang es ihm nach seiner Rückkehr, einiges aus dem Gedächtnis niederzuschreiben und einen lebhaften Bericht über die Reise zu geben.
Suche nach Franklin – Fortschritt für die Kartographie
Die Leiden für die Mannschaft der Investigator waren mit ihrer glücklichen Rettung aber noch nicht beendet, denn weder die Resolute noch die Intrepid kamen im Sommer 1853 aus dem Eis frei und die drei Schiffsmannschaften mussten nun verteilt auf zwei Schiffe einen weiteren Winter in der Arktis verbringen. Es dauerte noch bis Oktober 1854, bis die Überlebenden der Investigator nach vier arktischen Wintern endlich England erreichten. Robert McClure (und seine Mannschaft) waren durch ihre glückliche Rettung die Ersten, die die gesamte Nordwestpassage durchquert hatten, wenngleich sie das mittlere Stück per Schlitten und zu Fuß zurückgelegt hatten (Williams 2009, S. 308). Zwar war man auf Dealy Island im Frühjahr 1853 mit den Ankömmlingen der Investigator beschäftigt, dennoch wurden von der winzigen Insel aus weitere Erkundungen per Schlitten durchgeführt, deren wesentliche Erkenntnis war, dass westlich von Melville Island weitere Inseln liegen. Die größte davon ist Prince Patrick Island. McClintock erreichte die Insel von Norden aus und Leutnant George Mecham von Süden. Bis auf wenige Meilen wurde die gesamte Insel nach Hinterlassenschaften von Franklin abgesucht – ohne Ergebnis. Der Kapitän der Intrepid unternahm eine Schlittentour zur Investigator, um die zurückgelassenen Tagebücher zu bergen, aber keines konnte gefunden werden. Der Verdacht lastet schwer auf McClure, dass er sie hat verschwinden lassen, damit nur seine Variante der Expeditionsgeschichte veröffentlicht würde. Allerdings hatten der Schiffsarzt und sein Gehilfe ihre Tagebücher heimlich mitgenommen. Und als das Tagebuch des Schiffsarztes 1857 veröffentlicht wurde, zeigte sich, dass es viele kritische Bemerkungen über McClure enthielt. Die nordöstlich von Prince Patrick Island liegenden Inseln Borden und Brock wurden erst 1915 und 1916 während der Canadian-Arctic-Expedition unter Vilhjalmur Stefansson entdeckt. Auf der kleinen Insel Eglington zwischen Prince Patrick und Melville richtete Mecham ein Depot ein. McClintock entdeckte im Juni 1853 auf dem Rückweg noch Emerald Island. Insgesamt war er 105 Tage unterwegs gewesen, hatte 1400 Kilometer neues Land kartiert und dabei mit seinen Schlitten insgesamt über 2200 Kilometer zurückgelegt (Savours 1999, S. 254). Mecham war 91 Tage (vom 4. April bis 6. Juli 1853) unterwegs und legte in dieser Zeit ca. 1800 Kilometer zurück. Westlich von Prince Patrick Island trafen sie auf extrem festes mehrjähriges Packeis, was Mecham zu der Überzeugung brachte, dass sich kein Schiff gegen solche Hindernisse durchsetzen konnte.
5.5
Ohne Schiffe zurück nach England
Lady Franklin schreckte auch vor unkonventionellen Versuchen, etwas über den Verbleib ihres Gatten herauszufinden, nicht zurück. So wandte sie sich unter anderem an Hellseher und die Führung eines toten Kindes, mit dem in spiritistischen Sitzungen Kontakt aufgenommen wurde (Williams 2009, S. 309).
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Es gab auch im 19. Jahrhundert schon britische Kapitäne, die die Verwendung von Hunden für Schlittenreisen guthießen. Zu diesen gehörte unter anderen der Kapitän der North Star, der rückblickend äußerte, dass er nicht zu übertreiben glaube, wenn er sage, dass ein Team von vier Hunden einem Team von sechs Männern überlegen sei. Er schlug vor, in Zukunft auf jedem Schiff zwölf Hunde mitzuführen, gab aber auch zu, dass es schwierig werden könnte, diese regelmäßig zu füttern und ihnen den nötigen Auslauf zu gewähren. Im Februar 1854 wurde Belcher, der ja nun selbst schon zwei Winter im Eis verbracht hatte, nervös. Er übermittelte von Beechey Island aus unklare Befehle an Kellet, der sich daraufhin veranlasst sah, McClintock mit einem von Hunden gezogenen Schlitten zu Belcher zu schicken, um klare Anordnungen zu erhalten. McClintock erreichte Belcher am 28. April 1854 und kehrte mit dem jetzt eindeutig formulierten Befehl zu Kellet zurück, die Resolute und die Intrepid zu verlassen und die gesamte Mannschaft zu Fuß nach Beechey Island zu schicken. Die Kapitäne und Offiziere zeigten sich zunehmend irritiert durch Belchers Verhalten, Osborn schrieb Anfang März an Barrow, dass auf der Pioneer alle Journale und Karten konfisziert und versiegelt worden seien und dass sein offizielles Schiffslogbuch als ein gefälschtes Dokument bezeichnet worden sei, vermutlich, weil es von Belchers eigener Sicht der Dinge abwich (Williams 2009, S. 325). Am 13. Juni waren die Mannschaften der Resolute und der Intrepid mit ihren Vorbereitungen fertig, verließen ihre Schiffe und machten sich auf den Weg nach Beechey Island. Bücher sowie mineralogische und botanische Sammlungen mussten genauso zurückbleiben wie alles andere, was nicht überlebensnotwendig war. Am 28. Juni erreichten beide Mannschaften die North Star, auf der es durch den Zuwachs nun zuging wie auf einem überfüllten Auswandererschiff. Osborn war inzwischen von Belcher unter Arrest gestellt worden. Mitte Juli kam Belcher von der Assistance und der Pioneer auf Beechey Island an. Seine beiden Schiffe waren noch immer im Wellingtonkanal festgefroren. Belcher kehrte zu den Schiffen zurück und ordnete am 25. August 1854 an, die Assistance und Pioneer ebenfalls aufzugeben. Die beiden Kapitäne schmerzte das Verlassen der Schiffe sehr, da sie sich eng mit ihnen verbunden fühlten, und sie konnten Belcher nicht verstehen, der die Schiffe lediglich als eine angekaufte Menge von Holz bezeichnete und kein Problem darin sah, die Schiffe im Eis ihrem Schicksal zu überlassen (Williams 2009, S. 326). Für Collinson, den Kapitän der Enterprise, der England bereits 1850 gemeinsam mit McClure auf der Investigator verlassen hatte und von dem man noch immer nichts gehört hatte, wurden auf Melville Island, Dealy Island und Beechey Island Depots zurückgelassen. Zum Glück kamen zwei Schiffe aus England, um die Suchflotte mit den neuesten Nachrichten zu versorgen und zu schauen, ob alles in Ordnung sei. Es handelte sich um die Phoenix mit Kapitän Inglefield und die Talbot mit Commander Jenkins. So erfuhren die Mitglieder der Suchflotte, dass England nun im Krieg mit Russland stehe. Die
Suche nach Franklin – Fortschritt für die Kartographie
frisch angekommenen Schiffe konnten Teile der Schiffsmannschaften der inzwischen fünf verlassenen Schiffe (Investigator, Resolute, Intrepid, Assistance, Pioneer) aufnehmen und nach England zurückbringen. Bis auf Thomas Morgan, ein Mannschaftsmitglied der Investigator, der noch kurz vor der Abreise auf Beechey Island starb und der neben den drei Teilnehmern von Franklins Expedition begraben wurde, kehrten diejenigen, die bis dahin überlebt hatten, im Oktober 1854 nach England zurück. Von Franklin gab es aber noch immer keine Spur. Die Suche hatte lediglich neue geographische Entdeckungen gebracht – und die Arktis war nun übersät mit Gräbern, Depots und Steinhaufen mit Nachrichten darunter. Außerdem hatte man fünf Schiffe im Eis zurückgelassen. Was aber war mit Collinson geschehen, der ja McClures Vorgesetzter war? Als Collinson feststellte, dass McClure bei Cape Lisburne nicht auf ihn gewartet hatte, entschied er sich in Hongkong zu überwintern, was bei seinen Offizieren Missfallen erregte. Sie wollten den Winter lieber näher an der Beringstraße verbringen, um in der kommenden Saison früher in der Arktis sein zu können. Während des Aufenthalts in Hongkong desertierten zehn Mann und ein Teil der eingelagerten Lebensmittel verdarb in der feuchten Hitze. Dennoch war Collinson Mitte Juli 1851 zurück in der Arktis, umrundete Point Barrow und setzte die Fahrt weiter nach Osten fort. Am 29. August passierte die Enterprise die Südspitze von Banks Island und hatte zur Freude aller offenes Wasser vor sich. Collinson sah die Prince-of-Wales-Straße und entdeckte dort eine von McClures Markierungen mit der Nachricht, dass McClure den Winter 1850/51 dort verbracht hatte. Collinson fuhr die Prince-of-Wales-Straße nach Norden bis 73° 35' N – etwas weiter nördlich als McClure gekommen war, wurde dort aber ebenfalls durch Eis gestoppt. Auf seinem Weg aus der Straße fand Collinson eine weitere Nachricht von McClure. Er war nur 18 Tage vorher dort vorbeigekommen. Allerdings enthielt diese Nachricht keinen Hinweis darauf, dass McClure plante, Banks Island auf der Westseite zu umrunden. Collinson verbrachte den Winter 1851/52 im Minto Inlet an der Westküste von Victoria Island im Gebiet der Copper-Inuit. In diesem Inlet fand Collinson noch eine Nachricht von McClures Expedition und stieß auf ein verlassenes Lager von einer der Schlittenexpeditionen. Es wirkte demoralisierend auf Collinsons Crew, dass wo immer sie hinkamen, McClure bereits vor ihnen dort gewesen war. Im Frühjahr 1852 unternahmen auch die Männer der Enterprise Schlittentouren, eine davon nach Norden zur Melvilleinsel, wo sie auf Spuren im Schnee trafen, die sie sich nicht erklären konnten, die aber von McClures Leuten stammten, die zwei Wochen zuvor von Mercy Bay kommend auf Melville Island gewesen waren. Am 5. August 1852 kam die Enterprise aus dem Eis frei und konnte ihre Suche nach Franklin fortsetzen. Collinson segelte weiter nach Osten in die Dolphin-und-Union-Straße, die Victoria Island vom Festland trennt, und weiter in den Coronationgolf. Damit befand er sich in einem Gebiet, das seit Franklins erster Expedition 1821 bis zu Dease und Simpson 1836 – 1839 schon einige Male von Land aus erreicht worden war. Die Enterprise hatte in diesen sehr flachen Gewässern mehrfach Grundberührungen. Am dritten Oktober hatte Collinson bereits zwei seiner Offiziere unter Arrest gestellt, weil sie ihm
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in manchen Punkten widersprochen hatten. Den zweiten Winter in der Arktis (1852/53) verbrachte Collinson in Cambridge Bay an der Südostküste von Victoria Island. Damit hatte er sich erheblich weiter nach Osten vorgetastet als es je ein von der Beringstraße kommendes Schiff geschafft hatte. Unter anderem vertrieben sich die Seeleute die Zeit mit einer Kegelbahn, die sie sich auf dem Eis eingerichtet hatten, und mit einem Billardtisch aus Eis mit Bande und Löchern aus Walrosshaut und Bällen aus schwerem Holz (lignum vitae). Enterpiken dienten als Billardstöcke (Williams 2009, S. 313). Im Frühjahr 1853 unternahm Collinson erneut Schlittentouren und gelangte bis nach Pelly Point ganz im Osten von Victoria Island. Die Halbinsel, deren Teil Pelly Point ist, heißt heute Collinsonhalbinsel. Pelly Point war ebenfalls schon zwei Jahre zuvor von einer anderen Suchexpedition erreicht worden, nämlich von Dr. John Rae. Der Eismeister auf der Enterprise ließ sich von Inuit eine Karte der Region zeichnen, auf der die Inuit auch ein Schiff einzeichneten. Leider war Miertsching, der Dolmetscher, nicht an Bord der Enterprise, so dass keine eindeutige Kommunikation mit den Inuit möglich war, und Collinson unterließ es, in die angezeigte Richtung eine Schlittenexpedition zu schicken. So kam es, dass erneut eine Chance verpast wurde, tatsächlich auf Relikte von Franklins Expedition zu stoßen. Stattdessen entschied Collinson sich zur Rückkehr nach Westen und begab sich damit auf den Heimweg. Als die Enterprise die Beringstraße erreichte, befanden sich alle vier Offiziere unter Arrest, alle aus eher fadenscheinigen Gründen. Im Mai 1855 kehrten Schiff und Mannschaft zurück nach England. Die Schuld daran, dass er es unterlassen hatte, Schlitten Richtung King William Island zu schicken, schob Collinson McClure in die Schuhe, weil er sich von der Enterprise getrennt hatte und sie damit nicht über einen Dolmetscher verfügte. Aufgrund der Streitigkeiten an Bord ging die eigentliche Leistung Collinsons, sein Schiff durch die flachen Gewässer von Dolphin und Union Strait, Coronation Gulf und Dease Strait gesteuert zu haben, völlig unter. Es war erst Roald Amundsen, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts lobend darauf hinwies.
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Schockierende Neuigkeiten
Die ersten Nachrichten, die über Franklins Schicksal nach England gelangten, waren schockierend und gar nicht das, was man gerne hören wollte. Hinzu kam, dass sie nicht von der Royal Navy stammten, sondern von einem Arzt, der im Dienst der HBC stand und mehrere Suchexpeditionen über Land durchgeführt hatte. Sein Name war Dr. John Rae. John Rae kam im Oktober 1854 von York Factory aus in England an, also zur gleichen Zeit, zu der die fünf Mannschaften der Royal Navy ohne ihre Schiffe und ohne Neuigkeiten über Franklin zurückgekehrt waren. Rae hatte insgesamt vier Expeditionen unternommen und seine letzte von 1853/54 hatte gar nicht das Ziel, nach Franklin zu suchen. Eigentlich wollte er lediglich das letzte Stück der Nordküste Amerikas kartieren, das noch fehlte. Das war im Wesentlichen
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die Westseite von Boothia Felix, da ja noch nicht endgültig geklärt war, ob King William Land eine Insel oder Halbinsel und mit Boothia verbunden war (Savours 1999, S. 270, ausführlich über John Raes Leben siehe McGoogan 2002) (Abb. 5.12, Farbtafel). Von York Factory reiste Rae im Sommer 1853 mit 12 Mann Begleitung und zwei Dolmetschern zum Chesterfield Inlet. Im Laufe der Reise sandte er die Hälfte seiner Mannschaft nach York Factory zurück. Am 15. August erreichte er Repulse Bay, wo er während seiner ersten Expedition (1846/47) überwintert hatte. Da sein Steinhaus von damals noch stand, entschloss er sich, dort erneut den Winter zu verbringen. Am 31. März 1854 setzte er die Reise fort und erreichte den Castor-und-Pollux-Fluss, jene Stelle, die 1838 Thomas Simpsons östlichster Punkt gewesen war. Hier wird deutlich, dass die Arktis inzwischen kreuz und quer durchkämmt worden war. Nur noch selten betreten die Suchexpeditionen Land, das noch kein Europäer vor ihnen gesehen hat. Als Rae weiter nach Westen vordrang, traf er unterwegs auf Inuit, die seinem Dolmetscher erzählten, weiter entfernt – man wisse nicht genau wo – sei eine Gruppe von Kabluna (das Inuktitut-Wort für Weiße wird in vielen verschiedenen Schreibvarianten wiedergegeben) verhungert. Nach seinen Erkundungen, in deren Verlauf er die später nach ihm benannte Raestraße östlich von King William Island entdeckte, war er Ende Mai wieder zurück in Repulse Bay. Rae hatte nun den Nachweis geliefert, dass King William nicht mit Boothia verbunden war und es sich also um eine Insel handelte. – Hätte Franklin das gewusst, wäre seine Expedition vielleicht anders verlaufen. In Repulse Bay hörte Rae weitere Erzählungen von Inuit, die ihn veranlassten, seine geographischen Untersuchungen abzubrechen und sofort nach England zurückzukehren. Unmittelbar nach seiner Ankunft in England schrieb er nieder, was er gehört hatte. Er hatte erfahren, dass vier Winter zuvor (d. h. 1850) weiße Männer gesichtet worden waren, die nach Süden über das Eis unterwegs waren und ein Boot mitschleppten. Verständigung war nicht möglich, aber durch Zeichen machten die Weißen offenbar deutlich, dass ihr Schiff vom Eis zerdrückt worden war. Später, aber noch vor dem Aufbrechen des Eises seien ca. 30 Leichen auf dem Kontinent gefunden worden und fünf weitere auf einer Insel in der Nähe nicht weit vom Back River entfernt. Sosehr man in England an Nachrichten über Franklins Expedition interessiert war, so sehr hasste man John Rae aber auch für das, was er weiterhin mitzuteilen hatte. Es habe nämlich Hinweise gegeben, dass die Verhungernden zum letzten aller Mittel, zu Kannibalismus an den bereits Verstorbenen gegriffen hatten. Dies aufgedeckt zu haben verzieh man Rae nie! Die Inuit hatten einige Gegenstände, insbesondere Silberbesteck der Toten an sich genommen, und diese weitergetauscht, so dass es Rae gelang, einigen Inuit etwas von dem Besteck abzukaufen (Abb. 5.13). Einige der Löffel und Gabeln trugen eingravierte Initialen von Offizieren der Erebus und Terror. Raes Entschluss, sofort nach England zu reisen, nachdem er die Geschichten gehört und die Gegenstände erworben hatte, statt mit der Erkundung der Westkü-
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Abb. 5.13: Einige der von Inuit gefundenen Gegenstände, die Mitgliedern der Franklin-Expedition gehörten.
ste von Boothia fortzufahren, was er eigentlich im folgenden Sommer vorgehabt hatte (Savours 1999, S. 274), wurde heftig kritisiert. Rae argumentierte, er habe verhindern wollen, dass weitere Schiffe in der falschen Region suchen würden. Seine Gegner waren der Ansicht, es wäre besser gewesen, gleich weiterzuforschen, statt zu glauben, was irgendwelche (wilden) Eskimo zum Besten gaben. Man ging in England davon aus, die Eskimo hätten die Weißen umgebracht und dann Lügengeschichten verbreitet. Dennoch erhielt Rae nach langen Querelen die Belohnung von 10 000 Pfund, die für die Aufklärung des Schicksals der Vermissten ausgesetzt worden war (Savours 1999, S. 276). Nun wusste man wenigstens, wo man weitersuchen musste. Allerdings war der Krimkrieg zwischen England und Russland jetzt in vollem Gange. Da Englands Energien durch den Krieg gebunden waren, man aber irgendwie auf Raes Hinweise reagieren musste, finanzierte die Regierung im Sommer 1855 eine Landexpedition den Backfluss hinunter, um dort Kontakt mit Inuit aufzunehmen und weitere Hinweise auf den Verbleib von Franklins Expedition zu erhalten. Organisiert wurde diese Expedition von der HBC. Da aber leider kein Dolmetscher aufzutreiben war, konnten die angetroffenen Inuit nicht eingehend befragt werden. Resultat dieser Expedition war lediglich, dass vermutlich stimmte, was Rae erfahren hatte und dass nun eindeutig geklärt war, in welchem Gebiet die Suche fortzusetzen sei. Das Jahr 1855 markierte das Ende der offiziellen Suche nach Franklin. Lediglich Lady Jane wollte sich noch nicht geschlagen geben und wurde sofort nach dem Ende des Krimkrieges wieder aktiv.
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Ein makabrer Gruß aus dem Eis
In der Zwischenzeit ereignete sich aber noch eine völlig andere Kuriosität. Die große Suchexpedition unter Kapitän Belcher hatte ja vier Schiffe in der Arktis zurückgelassen, und zusätzlich war in der Mercy Bay noch die Investigator zurückgeblieben. Man war da-
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von ausgegangen, dass alle diese Schiffe im Laufe der Zeit vom Eis zermahlen und sinken würden. Der amerikanische Walfänger James Buddington aber staunte nicht schlecht, als er am 10. September 1855 in der Davisstraße in einem Eisfeld einem Schiff begegnete, das offenbar unbemannt war. Eine genauere Untersuchung brachte zum Vorschein, dass es sich offenbar um HMS Resolute handelte. Buddington ließ die Resolute notdürftig reparieren und nahm sie mit nach Neu-London, wo er am Heiligabend 1855 ankam. Der US-Kongress kaufte das Schiff für $ 40 000 und ließ es generalüberholen, um es Königin Victoria und der britischen Öffentlichkeit als Geschenk zu übergeben. Ein Jahr nachdem Buddigton die Resolute im Eis der Davisstraße entdeckt hatte, segelte sie – wieder flottgemacht – nach England zurück, wo sie am 12. Dezember 1856 ankam. Mit einem großen Fest wurde das Schiff in England begrüßt (Savours 1999, S. 267 – 269). Leider ist die Resolute nicht bis heute erhalten geblieben, 1880 wurde sie zerlegt. Aus ihrem Holz wurde ein Schreibtisch hergestellt, der als königliches Geschenk an Präsident Hayes in die USA zurückging. Es heißt, seit Hayes haben bis auf die Präsidenten Johnson, Nixon und Ford alle Präsidenten den Schreibtisch benutzt. 1952 sei er in den Rundfunkraum des Weißen Hauses gebracht worden, bis J. F. Kennedy den Resolute-Schreibtisch wieder im Oval Office verwendete, wo er noch heute steht. Aus dem Holz der Resolute hatte Queen Victoria 1880 noch weitere, kleinere Schreibtische anfertigen lassen, von denen sie einen der Witwe des amerikanischen Kaufmanns Henry Grinnell als Anerkennung für sein finanzielles Engagement bei der Suche nach Franklin schenkte. Weitere Gegenstände aus der Resolute befinden sich im Vancouver Maritime Museum (Sandler 2006, S. 216 – 219).
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Die Admiralität gibt auf
Lady Franklin hätte gerne die Resolute von der Admiralität ausgeliehen, um 1857 eine weitere von ihr finanzierte Expedition zur Suche nach ihrem Gatten in die Arktis zu schicken, dies wurde von der Regierung aber abgelehnt. So kam es, dass sie die Fox erwarb und Francis Leopold McClintock, der zu diesem Zeitpunkt ohne Kommando war, erklärte sich bereit, die Expedition zu leiten. Lady Franklin fand viele Unterstützer, die Geld gaben, so dass sie die Expedition ausrüsten konnte. Als Stellvertreter McClintocks wurde der junge Leutnant William Robertson Hobson gewonnen. Die Mannschaft umfasste 25 Mann, von denen 17 bereits vorher an Suchexpeditionen für Franklin beteiligt waren. Die Fox war erst 1855 gebaut worden, musste aber, um arktistauglich zu werden, etwas umgebaut werden. Es handelte sich bei ihr um einen Dreimasttoppsegelschoner mit 177 Tonnen und einer zusätzlichen Dampfmaschine. Nach der Suchexepedition fuhr sie noch 55 Jahre in grönländischen Gewässern. Lady Franklin hatte im Januar 1857 eigenhändig Instruktionen für McClintock verfasst. Wichtigstes Ziel der Expedition sollte noch immer sein, etwaige Überlebende zu finden, oder wenigstens weitere Hinterlassenschaften der Expedition. Außerdem sollte Mc-
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Clintock überprüfen, ob Franklin tatsächlich die Nordwestpassage als Erster gemeistert hatte, d. h. das damals noch fehlende Stück gefunden hatte, das war ihr sehr wichtig. Von Vorteil war, dass die Fox kleiner und wendiger war als die bis dahin von der Marine für die Arktis verwendeten Schiffe. Der Walfänger William Scoresby hatte für Reisen in die Arktis Schiffe in der Größenordnung zwischen 100 und 200 Tonnen empfohlen. Da die Mannschaft für solche Segler erheblich kleiner sein konnte, waren Überwinterungen einfacher zu organisieren. Die Reise der Fox hatte im Sommer 1857 kaum begonnen, da war sie am 17. August auch schon im Packeis gefangen, aus dem sie erst im April 1859 nach einer Drift aus der Baffin Bay zurück in die Davisstraße freikam. In Grönland hatte McClintock zuvor 30 Hunde gekauft, die er für die Schlittentouren einsetzen wollte und die das Überwintern an Bord des driftenden Schiffs nicht einfacher machten. Im August des nächsten Jahres (1858) erreichte McClintock trotz schlechter Eisbedingungen Beechey Island, wo er das von Lady Franklin gestiftete Denkmal zur Erinnerung an Franklin, Crozier und Fitzjames „and all their gallant brother officers and faithful companions“32 platzierte. Die Barrowstraße zeigte sich bei seiner Weiterfahrt eisfrei, aber der Weg nach Süden im Peel Sound war durch Eis blockiert. McClintock versuchte alternativ durch den Prince Regent Inlet und die Bellotstraße nach Süden zu gelangen, was aber am dichten Eis in der Bellotstraße scheiterte. Er überwinterte (1858/59) in einem kleinen natürlichen Hafen am Osteingang der Bellotstraße und hatte damit gleichzeitig einen guten Ausgangspunkt für die sommerlichen Schlittentouren nach King William Island und weiter nach Süden. Im Februar 1859 unternahm McClintock eine Schlittentour zum magnetischen Nordpol. Er ließ seine Schlitten von sechs Hunden ziehen, deren Ausdauer er bewunderte, über deren Durchtriebenheit er sich aber auch ärgerte. Am ersten März erreichte er die Stelle, wo der Magnetpol sein sollte, und traf dort auf Inuit, die von anderen Inuit Geschichten darüber gehört hatten, dass ein Schiff mit drei Masten vom Eis zerdrückt worden sei. Carl Petersen, ein Däne, der lange in Grönland gelebt hatte, war als Dolmetscher dabei, so dass der Informationsaustausch auf dieser Expedition glückte. Auch diese Inuit besaßen Silberbesteck, eine goldene Kette und Knöpfe, die McClintock ihnen abkaufte. Anfang April unternahm McClintock eine zweite Schlittentour, dieses Mal mit 12 Mann, 17 Hunden und fünf Schlitten. Unterwegs erfuhr er von Inuit Ähnliches wie das, was John Rae gehört hatte. Im Mai trennten sich Hobson und McClintock. McClintock untersuchte die Ostseite von King William Island und gelangte bis zur Montrealinsel im Mündungsgebiet des Backflusses, Hobson untersuchte die Westseite. Sie erwarben weitere Gegenstände, unter anderem sechs Silberteller, von denen einer die Initialen Franklins trug und ein anderer diejenigen von Crozier. Die Inuit erzählten dem Dolmetscher, dass das Wrack fünf Tagereisen entfernt an der Westküste der Insel liege, dass aber nicht mehr viel davon übrig sei. Eine alte Frau fügte hinzu, dass die weißen Männer auf dem Weg nach Süden niedergesunken und gestorben seien.
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Abb. 5.14: Die „letzte Notiz“ der FranklinExpedition.
Von Cape Felix kommend reiste Hobson an der Westseite von King William nach Süden. Am 5. Mai 1859 fand er auf der Westseite der Insel in einem Steinmal bei Victory Point den lang gesuchten Schlüssel zur Erkenntnis, eine schriftliche Nachricht der Franklin-Expedition. (Victory Point erhielt seinen Namen von James Clark Ross 1830 als Teilnehmer der Expedition von John Ross. 60 Meilen südlich von Victory Point liegt Kap Herschel, wo Thomas Simpson und Peter Warren Dease im Jahr 1839 einen großen Cairn errichtet hatten [Woodmann 1995, S. 3]) (Abb. 5.14). Genau genommen handelte es sich um zwei kurze Notizen, die auf ein Formblatt der Marine gekritzelt waren. Die erste war von Leutnant Graham Gore unterschrieben
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und schilderte den Expeditionsverlauf bis Mai 1847: „28. Mai 1847. HMS Erebus und Terror überwinterten im Eis, in 70° 05' nördlicher Breite, 98° 23' westlicher Länge. Nach Überwinterung 1846/47 auf Beechey Island, in 74° 43' 28'' nördlicher Breite, 90° 39' 15'' westlicher Länge, nach einer Fahrt den Wellington Channel hinauf bis zum 77. Breitengrad und Rückfahrt an der Westseite von Cornwallis Island. Sir John Franklin hat die Expedition geleitet. Alle wohlauf. Eine Gruppe von 2 Offizieren und 6 Mann verließ das Schiff am 24. Mai 1847. Gm Gore, Lieut. Chas. F. Des Voeux, mate“ (zit. nach Beattie und Geiger 2003, S. 36). Auf dem Rand des Formulars hatte Fitzjames am 25. April 1848 die folgenden beunruhigenden Sätze hinzugefügt: „HMS Terror und Erebus wurden am 22. April 1848 5 Meilen N. N. W. von diesem Platz entfernt aufgegeben, nachdem wir seit dem 12. September 1846 ringsum vom Eis eingeschlossen waren. Offiziere und Mannschaften, insgesamt 105 Männer, unter dem Kommando von Kapitän F. R. M. Crozier gingen hier, in 69° 37' 42'' nördlicher Breite, 98° 41' westlicher Länge an Land. Dieses Papier wurde von Leutnant Irving vier Meilen weiter nördlich unter einem Steinmal gefunden, von dem angenommen wurde, dass Sir John Ross es 1831 erreicht hatte. Dort hatte es der verstorbene Commander Gore im Juni 1847 deponiert. Tatsächlich handelte es sich jedoch nicht um Sir James Ross’ Steinmal, und so wurde das Papier auf diese Position verbracht, wo sein Steinmal einmal gestanden hatte. Sir John Franklin starb am 11. Juni 1847. Bis zu diesem Datum waren bereits insgesamt 9 Offiziere und 15 Seeleute der Expedition verstorben. James Fitzjames, Kapitän der HMS Erebus. F. R. M. Crozier, Kapitän und rangältester Offizier. Und brechen morgen, 26., in Richtung Back’s Fish River auf“ (zit. nach Beattie und Geiger 2003, S. 37f.). Um das Steinmal verstreut lagen Kleidungsstücke, Werkzeuge, Kocher, Segeltuch, Ruder, eine Medikamentenkiste und anderes – als ob man alles weggeworfen hätte, was man nicht mehr tragen konnte. „Eine so traurige Geschichte ist niemals in so kurzen Worten erzählt worden“, war McClintocks Kommentar, als er die beiden Botschaften zu Gesicht bekam. Weitere Funde, die McClintock bzw. Hobson in diesem Sommer machten, waren das Skelett eines Mannes, bei dem es sich seiner Uniform zufolge vermutlich um einen Steward eines der beiden Schiffe gehandelt hat und der bestätigte, was die alte Frau McClintock erzählt hatte, dass die Weißen einfach auf dem Weg zusammengebrochen und liegen geblieben waren (dieser Fund war von McClintock bei Cape Herschel gemacht worden). Hobson hatte in der Nähe von Cape Crozier ein Beiboot der Expedition gefunden, das auf behelfsmäßige Kufen montiert war. Am 30. Mai, ein paar Tage nach Hobson, kam auch McClintock zu dieser Stelle. Als hätte die Mannschaft ihren Versuch nach Süden vorzudringen vorzeitig aufgegeben, zeigte die Spitze Richtung Norden, dahin wo vermutlich die beiden Schiffe im Eis festsaßen. In dem Boot befanden sich zwei Skelette. Eines im Bug, das eindeutige Fraßspuren von Tieren aufwies; ein anderes in der Nähe des Hecks war unversehrt und in Felle gehüllt. Daneben lagen zwei geladene, doppelläufige Geweh-
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Abb. 5.15: Denkmal für McClintock, Fort Ross. re, zwei Taschenchronometer, drei andere Uhren, einige Bücher, die meisten religiöser Natur (Williams 2009, S. 344). Weiterhin fanden sie einige Teller mit eingravierten Initialen und weitere Dinge, die McClintock für eine Schlittenreise für überflüssigen Ballast hielt. Vielleicht hatten sie diese Gegenstände als Handelsware mitgeschleppt in der Hoffnung, dafür von Inuit, denen sie unterwegs möglicherweise begegneten, Fleisch einzutauschen. Das Einzige, was sie an Essbarem auf dem Boot fanden, war Schokolade und Tee, kein Schiffszwieback und auch kein Fleisch oder sonstige Nahrungsmittel befanden sich auf dem Boot. Hobson und McClintock vermuteten aufgrund ihres Fundes, dass ein Teil der Mannschaft den Weg nach Süden aufgegeben hatte und mit dem Boot zu den Schiffen zurückwollte, die laut den Angaben auf der Nachricht in ca. 70 Meilen Entfernung lagen. Als man nicht mehr in der Lage war, das Boot zu ziehen, hat man vielleicht die schwächsten zurückgelassen und versucht, das Schiff zu Fuß zu erreichen. (Abb. 5.15) McClintock machte sich Gedanken darüber, was vorgefallen sein mochte, und kam zu dem Schluss, dass Franklin, wenn er gewusst hätte, dass King William eine Insel war, dem in die Victoriastraße strömenden Eis ausgewichen wäre, indem er versucht hätte, um King William auf der Ostseite herumzufahren. Da er aber den zeitgenössischen Karten entsprechend davon ausgehen musste, dass es sich um eine Halbinsel handelte, versuchte er es auf der Westseite. Dorthin treibt das Eis. Selbst heutzutage trifft man am ehesten in der Victoriastraße auf Eis, selbst in den Sommern mit Rekordeisrückgang 2007 und 2012 war dort noch Eis zu sehen. Allerdings ist zu bezweifeln, ob die Erebus und Terror durch die flachen, mit hoch aufragenden Felsen übersäten Gewässer heil einen Weg östlich um King William Island gefunden hätten. Mit diesen Funden, die endlich Hinweise auf das Schicksal der Franklin-Expedition gaben, kehrten McClintock und Hobson im September 1859 nach England zurück. Auf der Rückfahrt resümierte McClintock, dass während der Suche nach Franklin mehr als 40 000 Meilen auf Schlitten zurückgelegt und 8000 Meilen Küstenlinie genau untersucht worden waren. Bis auf die dunklen Monate Dezember und Januar hatten sich die Unent-
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wegten in allen Monaten des Jahres mit ihren Schlitten ins Gelände gewagt, selbst bei extrem niedrigen Temperaturen. Die Erforschung der Arktis hatte durch diese Anstrengungen riesige Fortschritte gemacht. Zurück in England wurde McClintock zum Ritter geschlagen und erfuhr Ehrungen von drei Universitäten. Außerdem erhielt er die ‚Patron’s Gold Medal‘ von der Königlichen Geographischen Gesellschaft. Er und seine Mannschaft wurden darüber hinaus mit der vom Parlament ausgesetzten Belohnung in Höhe von 5000 Pfund bedacht. Offenbar war McClintock erheblich geschickter mit seiner Mannschaft umgegangen als der aufbrausende Belcher, denn er erhielt einen goldenen Chronometer als Geschenk zur Erinnerung an die glückliche, kleine Gemeinschaft an Bord der Fox. Auch im Schreiben erwies er sich als ausgesprochen versiert. Sein Reisebericht verkaufte sich von allen Arktis-Berichten am besten, es gab alleine 7000 Vorausbestellungen und in den Leihbüchereien wurde häufiger danach gefragt als nach den Werken von Dickens und Darwin (Williams 2009, S. 345). Im Oktober 1859 erschienen Faksimiles der letzten Nachricht der Expedition in Wochenzeitungen in Großbritannien und Amerika, außerdem wurden Zeichnungen veröffentlicht, die Szenen von McClintocks Reise darstellten, wie er z. B. ein Steinmal untersucht oder ein Skelett im Schnee entdeckt. Lady Franklin erhielt die ‚Founder’s Gold Medal‘ der Königlichen Geographischen Gesellschaft für ihre „noble and self-sacrificing perseverance in sending out at her own cost several expeditions until at length the fate of her husband was entertained“.33 Es war damals etwas Ungewöhnliches, eine solche Medaille an eine Frau zu verleihen.
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Franklins Schicksal bewegt weiterhin die Gemüter
Mit diesen Ehrungen nahm die Suche nach Franklin ein vorläufiges Ende. Dennoch gab es immer wieder (bis heute) Menschen, denen die ganze Geschichte keine Ruhe ließ bzw. lässt. Einer davon war Charles Francis Hall, der 1860 in Cincinnati lebte und im Alter von 38 Jahren beschloss, seine Präge- und Gravurwerkstatt sowie die Herausgabe seiner eigenen Zeitung aufzugeben, um nach Überlebenden oder weiteren Fundstücken der Franklin-Expedition zu fahnden. Er schien eine quasi religiöse Berufung zu spüren, nach Überlebenden Ausschau zu halten, obwohl man seit McClintocks Expedition davon ausging, dass alle 129 Mann den Tod im Eis gefunden hatten. Hall ließ sich durch nichts von seinem Vorhaben abbringen und unternahm mehrere Expeditionen in die Arktis. Zur Vorbereitung beschäftigte er sich mit den Berichten der vorherigen Suchexpeditionen. Unter anderem las er viel über die zweite Grinnell Expedition der Jahre 1853 – 1855, die sich einerseits der Suche nach Franklin gewidmet hatte, andererseits aber nach dem offenen Polarmeer Ausschau hielt. Die Teilnehmer waren ins Eis zwischen Ellesmere Island und Grönland gefahren, mussten ihr Schiff verlassen und sich mit Schlitten und Booten nach Süden durchkämpfen. Drei Männer kamen dabei ums Leben. Elisha Kent
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Kane hatte von den Inuit Überlebenstechniken gelernt und nach der Expedition zwei Bücher geschrieben, die sich gut verkauften und Hall zur Inspiration dienten. Letztlich las Hall in den Jahren 1857 – 1859 alles über die Arktis, was er in die Finger bekam. Charles Francis Hall ist ein Beispiel dafür, dass die Motivation hinter solchen Arktisexpeditionen sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts erneut veränderte. Jetzt ging es weniger um nationales Prestige als vielmehr um Ehrgeiz und Streben nach persönlichem Ruhm und Ehre. Das Ausleben von Träumen Einzelner, die ihre Ziele mit unglaublicher Energie verfolgten, trat nun mehr in den Vordergrund. Hall unternahm seine ersten beiden Expeditionen als Einzelgänger ohne eigenes Schiff. 1860 erhielt er die Erlaubnis, sich auf dem Walfänger George Henry einzuschiffen, und ließ sich auf Baffin Island absetzen. Dort lebte er zwei Jahre mit den Inuit, lernte halbwegs ihre Sprache, passte sich ihrer Lebensweise an und hörte ihren Geschichten zu, insbesondere wenn sie von Kontakten mit Weißen erzählten. Ein herausragendes Ereignis seiner ersten Expedition war, dass er Geschichten über fünf „Kabloonas“ (= Fremde) hörte, die von ihrem Schiff getrennt worden waren. Vermutlich bezogen sich diese Geschichten auf die fünf Männer, die 1576 bei der Frobisher-Expedition abhanden gekommen waren. Hall fand sogar Hinterlassenschaften von Frobishers Aktivitäten auf Kodlunarn Island, wie Gräben, Reste eines Wasserturms und Seekohle (siehe Kap. 6). Eigentlich hatte Hall King William Island erreichen wollen, war aber während seiner ersten Expedition nicht einmal in die Nähe der Insel gelangt. Immerhin glückte ihm der Nachweis, dass es sich bei der Frobisherstraße nur um eine Bucht handelte und keine Verbindung ins Foxe Basin bestand. Außerdem hatte er Hinterlassenschaften von Frobishers Expeditionen entdeckt und mitgebracht. Er hatte gelernt, ähnlich wie die Inuit zu leben, und viel über ihre Lebensweise erfahren. Ihm kam der Gedanke, dass vielleicht auch einige von Franklins Männern überlebt haben könnten, indem sie sich an das Leben der Inuit angepasst hätten und in der Arktis geblieben wären. Sollte es noch Überlebende der Erebus und Terror geben, so würde er, Charles Francis Hall, sie garantiert während seiner nächsten Expedition finden (Loomis 2000, S. 144). Hall schrieb: „Ich dachte bei mir, wenn Vorkommnisse einer Expedition, die vor fast 300 Jahren stattgefunden hat, den Eingeborenen im Gedächtnis bleiben und diese Fakten bewiesen werden können, wie viel mehr kann dann über Sir John Franklins Expedition vor nur 16 Jahren herausgefunden werden? Ich bin überzeugter denn je, dass man ihr rätselhaftes Schicksal mit gezielter Hilfe leicht hätte herausfinden können und immer noch herausfinden kann“ (zit. nach Loomis 2000, S. 117). Hall glaubte fest daran, mehr über Franklins Expedition herausfinden zu können, wenn es ihm nur gelang, mit den Inuit von King William Island in Kontakt zu kommen. Hall kehrte am 7. September 1862 von seiner ersten Expedition in die USA zurück und brachte die Inuit Tookoolito (Hannah) mit ihrem kleinen Sohn und ihrem Mann Joseph Ebierbing (Joe) mit nach Amerika. Sie hatten als Dolmetscher und Führer für Hall gearbeitet und waren bereits, bevor sie Hall kennen gelernt hatten, einmal in England
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gewesen (Potter 2007, S. 169). Sie waren auch schon häufiger für Walfänger tätig gewesen und begleiteten Hall auch auf seinen zwei weiteren Expeditionen. Ihre Inuktitut-Namen lauteten eigentlich Taqulittuq und Ipirvik. Hall ließ die beiden und ihren Sohn bei seinen Vorträgen auftreten und ihre Kleidung, Waffen und Werkzeuge vorführen. Anschließend wurden sie in ‚Barnum’s American Museum‘ für zwei Wochen ausgestellt. Nachdem Hall mit einem weiteren Auftritt der beiden in Shows schlechte Erfahrungen gemacht hatte, da das vereinbarte Geld nicht auszahlt wurde, begann er sich um die Gesundheit von Hannah und Joe zu sorgen und ließ sie fortan nicht mehr engagieren. Lediglich bei seinen eigenen Vorträgen führte Hall sie noch immer vor (Loomis 200, S. 153). Mit seiner Vortragsreihe wollte Hall Geld für seine nächste Expedition zusammentragen. Die Vorbereitung seiner zweiten Expedition wurde durch viele Rückschläge wie den Tod des kleinen Sohnes von Tookoolito und Ebierbing und das Zurückziehen finanzieller Zusagen während des amerikanischen Bürgerkrieges gebremst. Hall musste sich von seinem Traum, ein eigenes Schiff für seine zweite Expedition ausrüsten zu können, verabschieden und wieder als „Passagier“ auf einem Walfänger in die Arktis fahren (Abb. 5.16). Am 30. Juni 1864 schifften Ebierbing, Tookoolito und Hall auf der Monticello ein, die unter dem Kommando von Edward Chapel Kurs auf den Norden der Hudson Bay nahm. Fünf Jahre verbrachte Hall während seiner zweiten Expedition in der Arktis und
Abb. 5.16: Charles Francis Hall und seine beiden Dolmetscher Ebierbing und Tookoolito.
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sammelte Geschichten der Inuit über ihre Zusammentreffen mit Weißen. Das Bild, das er sich aus diesen Geschichten zusammenreimte, ist eher verwirrend. Eingehend analysiert hat die von Hall gesammelten Erzählungen David Woodman im Jahr 1995. Hall hatte die Tendenz, die Geschichten wörtlich zu nehmen und sie alle in seinem Sinne zu interpretieren. Jeder Kabluna, der erwähnt wurde, war für ihn ein Besatzungsmitglied von Erebus und Terror, was an Zusatzinformationen dagegen sprach, übersah er geflissentlich oder unterstellte den Inuit Irrtümer. Auch war er sich nicht bewusst, dass ihm manches Mal aus Höflichkeit erzählt wurde, was er gerne hören wollte. Beispielsweise hörte Hall im Frühjahr 1861 im Süden von Baffin Island eine Geschichte von Inuit, die in der Field Bay gewesen waren. Sie erzählten ihm, dass vor einigen Jahren Kabluna in zwei offenen Booten in ihr Land gekommen seien. Die Männer seien gesund gewesen, hätten reichlich Proviant besessen und seien nach einigen Tagen Richtung offene See davongerudert. Hall war der Überzeugung, dass es sich um Überlebende der Franklin-Expedition handeln musste. Später – zurück in New York – erfuhr er, dass 1859 der britische Walfänger Kitty in der Hudsonstraße vom Eis zerdrückt worden war und die Mannschaft sich in zwei Rettungsbooten in Sicherheit gebracht hatte. Wahrscheinlich hatten die Inuit jene Männer gesehen. Peinlich an dieser Angelegenheit war, dass Hall seine Entdeckung bei einem Zwischenstopp auf Neufundland einem Zeitungsreporter mitgeteilt hatte, der daraus die Schlagzeile „Zwei Bootsmannschaften von Franklin“ machte. Der Schwindel flog natürlich bald auf und Hall musste nun fürchten, dass er als Lügner dastehen würde und man seinen anderen Entdeckungen auch keinen Glauben schenken würde (Loomis 200, S. 144f.). Dennoch fuhr Hall fort, aus den Geschichten der Inuit herauszulesen, was er gerne finden wollte. Jede Erzählung über die Sichtung von Weißen bezog er sofort auf die Expedition von Franklin. Nachdem er seine neuen Informationen veröffentlicht hatte, schrieb John Rae, dass er offenbar die gesichtete Person sei, da er in der angegebenen Gegend unterwegs war und genau auf die Beschreibung passe. Erst in seinem fünften Jahr (1869) in der Arktis hatte Hall endlich während seiner zweiten Expedition King William Island erreicht. Dort fand er an der Südküste ein Skelett und nahm es mit. Es wurde später anhand mit Gold gefüllter Zähne als Leutnant Henry Le Vesconte von der Erebus identifiziert. Hall fand auch heraus, dass vier Inuit-Familien auf Croziers Leute gestoßen waren, diese aber zurückgelassen hatten, nachdem sie ihnen etwas Robbenfleisch gegeben hatten, weil sie sich nicht in der Lage sahen, dieser großen Gruppe sterbender Weißer dauerhaft zu helfen, ohne ihr eigenes Überleben aufs Spiel zu setzen. Als Hall wieder zurück in Cincinnatti war, traf er dort 1870 mit Lady Franklin zusammen, die offenbar gehofft hatte, er würde noch eine weitere Suchexpedition in Angriff nehmen. Hall richtete sein Interesse aber fortan auf den Nordpol und starb binnen Jahresfrist während seiner ersten Expedition mit eigenem Schiff eines mysteriösen Todes (Williams 2009, S. 350). Der Tod von Hall gehört zu den spannenden, noch nicht gänzlich geklärten Polargeschichten.
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Noch kurz vor ihrem Tod am 18. Juli 1875 finanzierte Lady Franklin gemeinsam mit dem Publizisten James Gordon Bennett und Allen Young eine weitere Expedition, deren Verlauf sie allerdings nicht mehr verfolgen konnte: Allen Young begab sich Ende Juni 1875 in der Dampfyacht Pandora auf den Weg – Arktiserfahrung hatte er bereits unter dem Kommando von McClintock in der Fox gesammelt. Ziel der Expedition war es, die ja jetzt weitestgehend bekannte Nordwestpassage innerhalb einer Saison zu bewältigen und unterwegs nach weiteren Resten der Franklin-Expedition Ausschau zu halten. Die Pandora schaffte es lediglich bis in den Peel Sound, wurde aber auf der Höhe der Bellotstraße durch Eis aufgehalten und daran gehindert, in die Franklinstraße einzudringen. Was blieb, war ein Rückzug in die Barrowstraße und den Lancaster Sound, der zu einem Wettrennen mit dichter werdendem Eis wurde. Am 7. September erreichte die Pandora den Lancaster Sound und war schon Mitte Oktober wieder zurück in England. Laut McClintock war diese Reise kühn und gekonnt wie keine zuvor, was aber kaum darüber hinwegtröstete, dass es ein weiterer Misserfolg war, weil keines der beiden Ziele erreicht wurde. Im selben Jahr wie Young (1875) war eine Expedition der Royal Navy unter der Leitung von George Nares aufgebrochen, um mit den Schiffen Alert und Discovery via Smith Sound den Nordpol zu erreichen. Per Schlitten reiste Nares über den gefrorenen Ozean, schaffte immerhin eine Breite von 83° 20‘ N, und stellte damit einen neuen Nordrekord auf. Aber noch trennten Nares und seine Mitstreiter fast 800 Kilometer vom Pol. Durch Skorbut verlor Nares vier Mann und musste sich, als er zurück in England war, einer enttäuschten Öffentlichkeit und kritischen Fragen der Admiralität stellen (Williams 2009, S. 362). Die Expeditionen von Young und Nares waren die letzten britischen Arktisunternehmungen des Jahrhunderts, das Feld war jetzt offen für andere Nationen und neue Aktivitäten. Auch wenn Hall nun das Interesse an Franklins Expedition verloren hatte und auch Lady Franklin tot war, gab es weitere Personen, die von Franklins Schicksal besessen waren und weitere Suchexpeditionen unternahmen. Einer von diesen „Besessenen“ war Leutnant Frederick Schwatka von der US-Army, der mit vier Begleitern in den Jahren 1878 bis 1880 in die Arktis reiste. Zu diesen Begleitern gehörten Heinrich Klutschak, ein Deutscher aus Prag, der in die USA emigriert war und auf Wal- und Robbenfangschiffen gearbeitet hatte, William Gilder, Korrespondent für den New York Herald, Frank Melms und Ebierbing als Dolmetscher, der die Region durch seine Reise mit Hall bereits gut kannte. Sie unternahmen Schlittentouren zwischen der Hudson Bay und King William Island mit Aivilik Inuit von Wager Bay als Schlittenführer. Bei dieser Expedition zeigte sich, dass sich nicht nur die Motivation zur Erkundung der Arktis geändert hatte, sondern dass jetzt auch andere Persönlichkeiten mit völlig anderen Hintergründen in die Arktis aufbrachen. Waren es früher hauptsächlich Seeleute, so rafften sich zunehmend Landratten auf, um in der Arktis ihre Bestimmung zu finden. Ähnlich wie schon John Rae und Charles Francis Hall passten die fünf sich der Lebensweise der Inuit an, soweit es ihnen möglich war, und legten erstaunliche Strecken per Schlitten
Suche nach Franklin – Fortschritt für die Kartographie
zurück. Klutschak verfasste einen Bericht darüber, der 1881 unter dem Titel „Als Eskimo unter den Eskimos“ auf Deutsch erschien. Sie suchten auf King William Island und der Adelaidehalbinsel nach Hinweisen auf oder Überresten von der Franklin-Expedition. An der Nordwestküste von King William Island fand Schwatka nicht weit von Victory Point ein Grab aus Sandsteinplatten und in der Nähe davon einen Schädel und Knochen. Blauer Stoff, Knöpfe und ein Seidentaschentuch deuteten darauf hin, dass es sich um einen Offizier handelte, was sich bestätigte, als in dem Grab eine Silbermedaille gefunden wurde, auf der Folgendes eingraviert war: „Seconde Mathematical Prize, Poyal Naval College ... Awarded to John Irving, Midsummer 1830“. Nur dieses einzige Grab wurde an der Seite der Insel gefunden, wo die Erebus und Terror in den Griff des Eises geraten waren. (1949 fand Henry Larsen einen einzelnen Schädel eines Weißen zwischen Felsen bei Cape Felix.) In der Erebusbucht fanden sie die Überreste von vier weiteren Männern, die nicht begraben waren. Offenbar hatten die Überlebenden zu diesem Zeitpunkt schon keine Kraft mehr, ihre verstorbenen Kameraden angemessen zu bestatten. Anfang November wechselten sie von King William Island zur Adelaidehalbinsel. Gleich beim ersten Camp von Netsilik, das sie auf der Adelaidehalbinsel erreichten, hörten sie von einer alten Frau, die ein Boot und Skelette in einer schmalen Bucht gesehen habe. Diese Bucht erhielt später den Namen Starvation Cove. Klutschak schrieb über die Hungerbucht: „Wahrlich der Anblick schon genügt, um den Besucher in eine Stimmung zu bringen, welche der historischen Bedeutung des Punktes entspricht. Einen öderen und verlasseneren Punkt hat die Mutter Natur auf dem weiten Erdenkreise wohl nicht mehr schaffen können, als den, wo die letzten Reste der Franklin’schen Expedition ihr Ende fanden“ (Klutschak 1881, S. 147). An diesem Ort hatten die Inuit einst eine blecherne Kiste mit Papieren und Schriften gefunden, deren Verbleib nicht geklärt werden konnte. Von den Inuit erfuhren sie lediglich, dass alle Papiere zerstört seien. Klutschak schreibt dazu: „Mit der Vernichtung der Documente (denn solche mögen es wohl gewesen sein, die der letzte Rest der Leute so lange bestens bewahrte, als sie oder auch nur Einer von ihnen Hoffnung hegen konnten, die Heimat wiederzusehen) ist der Geographie ein unersetzlicher Schatz geraubt worden“ (Klutschak 1881, S. 148). Ein junger Inuk brachte die Gruppe am nächsten Tag zu einer Stelle fünf Meilen südlich von Starvation Cove, wo sie Überreste von Kleidung fanden, die zeigte, dass dort die letzten von Franklins Männern gestorben waren, quasi in Sichtweite des Back River, der ja ihr Ziel gewesen war. Schwatka schätzte, dass sie insgesamt die Überreste von ungefähr 15 bis 30 Männern der Expedition gefunden und bestattet hatten, aber sie hatten keine Dokumente gefunden – die so wichtig gewesen wären, um Aufschluss über den genauen Verlauf der Ereignisse zu erhalten. Sie hatten sich gewünscht, wenigstens eines der Tagebücher zu finden, die die Männer vermutlich bis zum Schluss bei sich getragen hatten. Schwatkas Funde scheinen zu bestätigten, dass die verbliebenen 105 Mann Victory Point im April 1848 verlassen hatten, langsam weniger wurden, als sie nach Süden zo-
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gen, sich aufspalteten, Disziplin verloren. Falls es einer der Gruppen tatsächlich geglückt sein sollte, zu den Schiffen zurückzukehren, würde das einige der Inuit-Geschichten von einem sinkenden Schiff und ertrinkenden Männern erklären (Williams 2009, S. 353). Damit war ein vorläufiger Schlusspunkt unter die Franklin-Suche gesetzt – 35 Jahre nachdem die Expedition aufgebrochen war. Dennoch beschäftigt die verlorene Expedition noch bis heute die Gemüter (siehe Kap. 7). Während des ersten Internationalen Polarjahres 1882 – 1883 wurde mit intensiver wissenschaftlicher Arbeit in der Arktis begonnen, die gar nicht nach dem Geschmack des Sekretärs der Königlichen Geographischen Gesellschaft, Clements Markham, war, der Carl Weyprechts Forschungsvorschlag mit den Worten kritisierte, Weyprecht wolle, dass die Männer jahrelang auf der Stelle säßen und Beobachtungen und Messungen an einem Punkt notierten, statt die Arktis zu erkunden (Williams 2009, S. 362). Hier zeigt sich erstmals die Kluft zwischen gründlicher wissenschaftlicher Forschung und öffentlichkeitsheischender Entdeckerlust. Von den Aktivitäten des ersten Internationalen Polarjahres erhielt die amerikanische Expedition von Adolphus Greely in den Norden von Ellesmere Island traurige Berühmtheit, da von 25 Teilnehmern nur sieben überlebten. Über 40 Expeditionen, offizielle und privat finanzierte, z. T. auch von Ausländern organisierte, beteiligten sich an der Suche nach Franklin. Im Laufe der Zeit änderte sich die Vorgehensweise der Expeditionen und sie nahmen ihren jeweiligen Überwinterungsort als Ausgangspunkt für Schlittenexpeditionen oder Erkundungen mit kleinen Booten. Dadurch gelang es, riesige Gebiete zu kartierten, die per Schiff nicht zu erreichen gewesen wären, und jede Suchexpedition leistete einen Beitrag zur weiteren Erschließung des Nordens. Darüber hinaus entstand eine unüberschaubare Fülle von Reiseberichten, da fast jeder Offizier ein Journal führte und daraus nach der Rückkehr ein Buch machte. Offenbar wurden solche Geschichten gerne gelesen, einige erlebten sogar mehrere Auflagen. Für heutige Leser ist es Ann Savours zufolge fast genauso schwierig sich durch diesen Wust an Texten zu kämpfen wie es für die Navigatoren damals problematisch war, sich im noch nicht kartierten Teil des arktischen Inselgewirrs zurechtzufinden. Allerdings mahnt sie auch, dass so manche Kritik, die aus heutiger Sicht, gut genährt mit warmen Füßen vom Schreibtisch aus am Vorgehen der einzelnen Expeditionen geübt wird, der damaligen Situation, Experimentierfreude und dem Lernwillen der Beteiligten nicht immer gerecht wird (Savours 1999, S. 193).
31 „weil die Vorurteile einiger Leute, diese aus Mitleid getane Arbeit für ein Sakrileg halten werden“ 32 „und all ihre ritterlichen Offiziere und pflichttreuen Gefährten“ 33 „für ihre edle und selbstaufopfernde Ausdauer, mit der sie auf eigene Kosten mehrere Expeditionen aussandte, bis endlich das Schicksal ihres Mannes geklärt war“
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kurze Weg nach China (16. Jahrhundert)
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Endlich geschafft – aber wozu?
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Amundsen 1903 –1905 Larsen 1940 –1942 Larsen 1944
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egen Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich die Situation in der Arktis. Das Hauptinteresse richtete sich zunehmend auf den Nordpol. Die Theorie von dem offenen Meer am Pol lebte wieder auf und wurde im deutschen Sprachraum vor allem durch August Petermann vertreten, der bereits 1852 vermutet hatte, Franklins Schiffe steckten nicht irgendwo in der Nordwestpassage fest, sondern hätten das Packeis durchbrochen und befänden sich jetzt im offenen Polarmeer, wo es von Tieren nur so wimmele. Petermann zufolge sei der Nordpol der „Schlüssel zu den pysikalisch-geographischen Phänomenen der ganzen nördlichen Hemisphäre“. Er sei leicht an Spitzbergen vorbei über offenes Wasser zu erreichen (Felsch 2011, S. 12). Aber auch von britischer Seite kamen schon 1865 erste Vorschläge, den Pol anzusteuern. Sherard Osborn, der selbst an der Suche nach Franklin teilgenommen hatte, sprach sich dafür aus, eine Expedition zum Smith Sound in die nördliche Baffin Bay zu schicken und von dort weiter zum Pol. Unterstützt wurde diese Idee von McClintock und Clements Markham. Deutschland, Österreich-Ungarn und Schweden begannen sich nun gleichfalls für die Arktis zu interessieren und schickten eigene Expeditionen zur geographischen Erkundung oder mit anderen wissenschaftlichen Aufträgen in den Norden. Neue Methoden des Reisens in der Arktis führte der Norweger Fridtjof Nansen mit seiner Überquerung des grönländischen Inlandeises 1888 ein. Er benutzte Skier, leichte
Abb. 6.1: Karte mit den Routen von Amundsen und Larsen.
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Schlitten und Hunde und setzte damit Standards für kommende Expeditionen. Mit der Fram ließ er ein Schiff bauen, das durch seinen gerundeten Bug aus dem Eis gehoben wurde und dadurch nicht Gefahr lief, zerdrückt zu werden. So wollte er seine Theorie von Strömungen im nördlichen Ozean beweisen. Die Fram driftete von 1893 bis 1896 über den Arktischen Ozean, aber leider nicht über den Nordpol, wie Nansen sich das gewünscht hatte. Er verließ deshalb das Schiff und wollte gemeinsam mit Hjalmar Johansen den Nordpol zu Fuß erreichen, was ebenfalls misslang. Immerhin stellten er und Johansen mit 86° 14‘ N einen neuen Nordrekord auf, bevor sie völlig erschöpft FranzJosef-Land erreichten, wo sie auf Frederick George Jackson und dessen Expedition stießen, der ihnen die Rückkehr nach Norwegen ermöglichte. Dass der Nordwestpassage keinerlei wirtschaftliche Bedeutung zukommen konnte, hatten die Suchexpeditionen für Franklin eindeutig gezeigt. Ende des 19. Jahrhunderts waren große Teile der Zentralarktis kartiert und die Nordwestpassage zumindest mit einer Teilstrecke zu Fuß durch McClure einmal komplett gemeistert worden. Das öffentliche Interesse an dem nördlichen Wasserweg hatte daraufhin nachgelassen. Der Norweger Otto Sverdrup hatte in den Jahren 1898 bis 1902 die Hauptinseln des kanadischen Archipels westlich von Ellesmere Island (Sverdruparchipel) erforscht. Eigentlich hätte man das Thema vorerst ruhen lassen können.
6.1
Roald Amundsen findet das fehlende Stück
Ein junger Mann aus Norwegen, der seiner Mutter zuliebe ein Medizinstudium aufgenommen hatte, hatte sich als Kind schon in die Reiseberichte des 19. Jahrhunderts vertieft und war besonders beeindruckt von dem „Mann, der seine Stiefel aß“. Die Lektüre von John Franklins Beschreibung seiner ersten Expedition ließ in Roald Amundsen (1872 – 1928) den Wunsch wachsen, Polarforscher zu werden. Im Rückblick hatte Amundsen einmal mit Bezug auf Sir John Franklin geschrieben: „Eine seiner Schilderungen, in der er über den verzweiflungsvollen Rückzug einer seiner Expeditionen berichtete, fesselte mein Interesse mehr als alles, was ich je zuvor gelesen hatte. Er und seine wenigen Gefährten hatten drei bange Wochen mit Eis und Stürmen um ihre Leben kämpfen müssen, ihre einzige Nahrung bestand aus einigen Knochen, die sie in einem verlassenen Indianerlager fanden, und schließlich waren sie sogar genötigt, ihre eigenen Lederschuhe zu verzehren, ehe sie endlich wieder die ersten Vorposten der Zivilisation erreichten. – Seltsam, dass gerade die Beschreibung solcher Entbehrungen, die er und seine Leute zu erdulden hatten, mich an der Erzählung Sir Johns am meisten fesselte. Ein merkwürdiger Ehrgeiz brannte in mir, gleiche Leiden zu überwinden“ (Brennecke 2001, S. 11) (Abb. 6.2). Unmittelbar nach dem Tod seiner Mutter (1893) gab Amundsen das verhasste Medizinstudium auf und begann sich gezielt auf sein Leben als „Polbezwinger“ vorzubereiten. Sein eigentliches Ziel war zeitlebens der Nordpol. Aus den Berichten, die er
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gelesen hatte, ging hervor, dass es häufig zu Konflikten zwischen dem Kapitän eines Schiffes und dem Expeditionsleiter gekommen war. Um solchen Konflikten aus dem Weg zu gehen, musste er beide Funktionen in sich vereinen können, was bedeutete, dass er ein Kapitänspatent brauchte. Also fuhr Amundsen von 1894 bis 1896 auf verschiedenen Schiffen zur See. Erste Erfahrungen in den Polargebieten sammelte er als Zweiter Offizier auf der Antarktisexpedition von Adrien de Gerlache auf dem Schiff Belgica in den Jahren 1897 bis 1899. Es kam zu einer mehr oder weniger ungeplanten Überwinterung, während der Amundsen erlebte, welche Belastung die Dunkelheit und Kälte für die Psyche der Expeditionsmitglieder darstellen konnte. Gemeinsam mit dem Schiffsarzt Dr. Frederick Cook trug Amundsen dazu bei, dass die 377 Tage dauernde Drift der Belgica im südlichen Eis nicht in einem menschlichen Desaster endete. Er hatte seine Lektion gelernt. Amundsen fiel eine Sammlung von Büchern zur Entdeckungsgeschichte der Nordwestpassage in die Hände, die er mit Begeisterung verschlang. Es wurde ihm aber auch Abb. 6.2: Porträt von Roald Amundsen. klar, dass es sehr viel einfacher sein würde, Unterstützung für eine Expedition zu bekommen, wenn er – und sei es nur als Vorwand – sich mit einer wissenschaftlich relevanten Frage auseinandersetzen würde. Aber da war ja noch sein Traum vom Nordpol – geschickt verband er beides, indem er vorgab, die aktuelle Position des magnetischen Nordpols bestimmen zu wollen und somit herauszufinden, um wie viel und in welche Richtung er seit seiner Entdeckung im Jahr 1831 durch James Clark Ross gewandert war. Rein zufällig lag dieser Pol in der Nordwestpassage, die seinen Geist nun schon seit einiger Zeit gefangen hielt. Um glaubwürdig zu wirken, nahm er im Jahr 1900 Unterricht am Marine-Observatorium in Wilhelmshaven und an der Deutschen Seewarte in Hamburg, wo er Georg von Neumeyer für seine Idee der Bestimmung der aktuellen Position des Magnetpols begeistern konnte. Außerdem erhielt er sein Kapitänspatent und konnte fortan gleichzeitig Expeditionsleiter und Kapitän sein. Es wurde Zeit, mit den Vorbereitungen für seine eigene Expedition zu beginnen. Er wollte als Erster die Nordwestpassage komplett per Schiff bewältigen und damit einen Traum zur Realität werden lassen, den die Menschheit schon seit über 400 Jahren träumte und der etliche Menschenleben gefordert hatte. In Nordnorwegen kaufte Amundsen das passende Schiff, ein ehemaliges Fischerboot, die Gjøa. Mit 47 Tonnen und 21 m Länge war sie im Vergleich zu Franklins Schiffen winzig – Amundsen hatte aber aus der Lektüre gelernt, wie schwierig es war, eine große Mannschaft in der Arktis über den Winter zu bringen, so dass seine Expedition nur ein kleines Schiff und sechs von ihm persönlich ausgewählte Teilnehmer haben sollte. Die
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Gjøa war in Amundsens Geburtsjahr 1872 gebaut worden und hatte bereits Reisen in die Arktis zum Robbenfang überstanden. Sie war das perfekte Schiff für ihn: klein, aber kräftig, wendig und kompakt und nicht allzu teuer. Kleinere Umbauten, um sie noch eisgängiger zu machen, und der Einbau eines Hilfsmotors sowie die Ausstattung mit Nahrungsmitteln für fünf Jahre gehörten seit 1901 zu Amundsens Vorbereitungen. Von Otto Sverdrup, der gerade von der zweiten Expedition der Fram zurückgekehrt war, in deren Verlauf er viele Kilometer Küstenverläufe von Inseln und Halbinseln im kanadischen Norden kartiert hatte, erhielt er ein Hundeteam. In der Nacht vom 16. auf den 17. Juni 1903 verlässt die Gjøa in aller Stille Kristiania (Oslo). Nur die engsten Freunde der Besatzung sind zum Abschied gekommen. Im Rückblick brüstet sich Amundsen mit dieser nächtlichen Flucht vor den Gläubigern: „Als der Tag über unserem grausamen Gläubiger anbrach, waren wir schon in sicherer Ferne auf hoher See, sieben Seeräuber, wie sie nie leichtherziger unter der schwarzen Flagge gesegelt hatten“ (zit. nach Bomann-Larsen 2007, S. 71). Am 11. Juli kam die Südspitze Grönlands, Cape Farewell in Sicht und es folgten einige Stopps in Grönland, unter anderem in Godhavn (heute Qeqertarsuaq), um weitere Hunde und Ausrüstung zu kaufen. Durch den Lancaster Sound ging die Fahrt weiter und am 22. August erreichte Amundsen Beechey Island, wo er am Denkmal für Bellot, Franklin und die anderen verschollenen Seeleute eine Nachricht hinterließ: „An Bord alles wohl, 24. August 1903“. Über seine zwei Tage auf Beechey schreibt Amundsen im Rückblick, es sei unfruchtbar dort, aber doch nicht ganz ohne Reiz. Er nutzte die Zeit auf Beechey für magnetische Beobachtungen, die ihm zeigten, dass der Magnetpol weiter südlich, vermutlich in der Nähe der Stelle, wo James Clark Ross ihn 1831 ermittelt hatte, liegen müsse. Diese Erkenntnis passte gut in seine Pläne, da er glaubte, die beste Route durch die Nordwestpassage müsse weit im Süden in der Nähe der Festlandküste liegen. Wenn der Magnetpol auf diesem Weg lag – umso besser, das sparte Zeit. Von Beechey Island segelte Amundsen genauso wie Franklin es 1846 vermutlich getan hatte, den Peel Sound Richtung Süden. Bei Prescott Island begann der Kompass wegen der Nähe zum Magnetpol zu versagen und er musste nach den Gestirnen navigieren. Eine starke Dünung aus dem Süden zeigte an, dass er in der Franklinstraße mit offenem Wasser rechnen konnte, da wo er am meisten befürchtet hatte, auf Eis zu stoßen. Er sah Eis, aber im Westen. Amundsen wandte sich nach Osten an der Küste der Boothiahalbinsel entlang. Im Gegensatz zu Franklin, der ja versucht hatte, westlich an King-William-„Land“ vorbeizusegeln, wollte Amundsen, jetzt wissend, dass King William eine Insel ist, diese im Osten umfahren. Am 31. August erreichte er die James-Ross-Straße in der ein Malheur das nächste ablöste. Bei Matty Island lief er auf Grund und hatte Mühe, die Gjøa wieder frei zu bekommen. Kaum wieder in tieferem Wasser, brach im Maschinenraum in der Nähe der Öltanks ein Feuer aus, das zum Glück gelöscht werden konnte, bevor es erheblichen Schaden anrichten konnte. Unter ständigem Loten manövrierte er die Gjøa durch ein Labyrinth von Felsen und Untiefen. Am 9. September erreichte er die Simpsonstraße zwi-
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schen King William Island und der Adelaidehalbinsel. Zwar hatte Amundsen Richtung Westen noch offenes Wasser vor sich, da aber die Jahreszeit bereits fortgeschritten war, er die Suche nach dem magnetischen Nordpol noch nicht durchgeführt hatte und er in der Nähe der Schwatkabucht im Südosten von King William Island einen wunderbaren Hafen fand, entschloss er sich, an dieser Stelle, die er Gjøa Haven nannte, zu überwintern. Auch erschien es ihm der richtige Ort, um ein Magnetobservatorium zu errichten. (Abb. 6.3, Farbtafel). Da die Gjøa im Sommer 1904 nicht aus dem Eis freikam, verbrachten die sieben Norweger zwei Jahre in Gjøa Haven. Zeitweise hielten sich Netsilik, eine Gruppe von Inuit, in der Nähe auf, denen Amundsen mit lebhaftem Interesse begegnete und von denen er viele kälteerprobte Überlebensstrategien lernte. Er trug eine Sammlung von 900 Gegenständen der materiellen Kultur der Netsilik zusammen und übergab sie nach seiner Rückkehr dem Ethnographischen Museum in Oslo. Im Sommer 1904 unternahm Amundsen eine Schlittentour an die Stelle, wo James Clark Ross im Jahr 1831 den Magnetpol lokalisiert hatte (70° 05' N; 96° 46' W bei Cape Adelaide an der Westseite der Boothiahalbinsel) und gelangte weiter bis zu den Tasmanieninseln am Eingang zur Franklinstraße. Seine Instrumente zeigten ihm, dass der Pol jetzt weiter nördlich sein müsse, das genügte ihm als Erkenntnis und er gab sich mit den Messungen, die er gemacht hatte, zufrieden. Wenn Amundsen geglaubt haben mag, er und seine Gefährten seien die einzigen Nicht-Inuit in der kanadischen Arktis, täuschte er sich. Am 20. November 1904 erhielt er Besuch von Atagula, einem Inuk von Chesterfield Inlet, der ihm berichtete, dass dort bei Kap Fullerton zwei Schiffe überwinterten. Für ein Gewehr und 400 Patronen erklärte er sich bereit, Postdienste zu übernehmen, und transportierte Briefe zur Nordwestseite der Hudson Bay. Tatsächlich tauchte er am 20. Mai 1905 wieder auf, nachdem er eine Strecke von ungefähr 2800 Kilometern zurückgelegt hatte. Aus den Antwortbriefen, die Atagula mitbrachte, ging hervor, dass es sich bei einem der Schiffe, das im Norden der Hudson Bay überwinterte, um die Arctic handelte. Die Arctic stand jetzt in Diensten der kanadischen Regierung, war aber ursprünglich als Gauß für die deutsche Südpolexpedition unter Erich von Drygalski 1901 bis 1903 gebaut worden. Major Moodie, der das Oberkommando über die Fahrt der Arctic hatte, schickte Amundsen zehn Schlittenhunde, um die er per Brief gebeten hatte, da der größte Teil seiner Hunde verendet war. Am 13. August 1905 konnte die Gjøa ihren nach ihr benannten Winterhafen endlich verlassen und Amundsen konzentrierte sich nun auf sein eigentliches Ziel, die Nordwestpassage. Zur ersten Herausforderung wurde die Simpsonstraße wegen der vielen engen Passagen und Untiefen. Die nächste Herausforderung war der Queen-Maud-Golf, da er voller Eis war und Amundsen nur mit Mühe einen schmalen offenen Kanal fand. Am 17. August 1905 erreichte er Cambridge Bay, die Stelle, wo Collinson 1852/53 überwintert hatte. Amundsen war voller Bewunderung für Collinson, der es mit einem erheblich größeren Schiff geschafft hatte, durch die extrem flachen Gewässer im Coronationgolf, die noch
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dazu mit Untiefen gespickt waren, zu navigieren, ohne das Schiff dabei zu zerstören. Mit der Überwindung der Strecke von Gjøa Haven bis zum Coronationgolf war der schwierigste Teil der Reise überwunden. Mit seiner Passage östlich um King William Island hatte Amundsen das fehlende Stück für eine zumindest für kleinere Schiffe navigierbare Nordwestpassage gefunden und damit sein Ziel erreicht. Er war der Erste, der mit einem Schiff durch die James-Ross-Straße, Raestraße, Simpsonstraße und den Queen-Maud-Golf gefahren war. Amundsens Freude kannte keine Grenzen, als er, im später nach ihm benannten Golf, gegenüber von Nelson Head die Charles Hanson, ein amerikanisches Walfangschiff aus San Francisco, traf. Diese Begegnung lieferte den Beweis, dass er es tatsächlich geschafft hatte: Er war der Erste, der die Nordwestpassage im Ganzen per Schiff bewältigt hatte. Sein Kindheitstraum war erfüllt. Und nicht nur das – ein lange gehegter Menschheitstraum war von ihm, Roald Amundsen, verwirklicht worden. Vom Kapitän der Charles Hanson, James McKenna, nahm Amundsen die ersten Glückwünsche entgegen. So schnell wie möglich wollte er nun nach Westen, aber seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt: Als er bei King Point ein Stück östlich von Herschel Island war, versperrte Eis ihm den weiteren Weg nach Westen und er musste mit seinen sechs Gefährten noch einen dritten Winter in der Arktis verbringen und das, obwohl er sich nichts sehnlicher wünschte als der Welt seinen Erfolg mitzuteilen. Eine bittere Angelegenheit für Roald, den Ruhmvollen. Allerdings bot King Point vergleichsweise viel Abwechslung: Zum einen war dort der Walfänger Bonanza auf Grund gelaufen und die Matrosen des Wracks überwinterten gemeinsam mit Amundsen und seiner kleinen Crew und einigen Inuit-Familien direkt bei King Point (Berton 1988, S. 545). Zum anderen lag die Insel Herschel nur 35 Meilen entfernt und wurde von mehreren US-amerikanischen Walfängern als Winterlager genutzt, obwohl sie zu kanadischem Staatsgebiet gehört. Da die Walfänger auf Herschel für einigen Trubel sorgten, gab es bereits ab 1900 Pläne, einen Stützpunkt der Mounted Police dort einzurichten, was aber erst 1903 in die Tat umgesetzt werden konnte (Delgado 1999, S. 181) (Abb. 6.4, Farbtafel). Amundsen und Godfred Hansen blieben an Bord der Gjøa, während die anderen sich aus Treibholz kleine Häuser am Strand errichteten. Amundsen hatte mit der Londoner Times einen guten Vertrag über die Exklusivrechte seiner Geschichte abgeschlossen und brannte nun darauf, sie so schnell wie möglich zu übermitteln. Die nächstgelegene Telegrafenstation befand sich in Fort Egbert bei Eagle City Das bedeutete eine Schlittentour von 900 Kilometern über die Brooks Range. Jetzt war Amundsen aber nicht mehr zu bremsen und er nahm die Schlittentour auf sich. Er schickte ein langes Telegramm an Fridtjof Nansen, für das ihm 700 Dollar berechnet wurden. Da er aber kein Geld hatte, schickte er es als vom Empfänger zu bezahlen. Durch eine Indiskretion erhielt die lokale Presse in Seattle das Telegram vor Nansen und Amundsens Vertrag mit der Times platzte, was seine Geldsorgen noch vergrößerte. Hinzu kam, dass Nansen sich weigerte, die Gebühr für das Telegram zu bezahlen, nachdem der Inhalt vorab der Presse bekannt gegeben worden war.
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Am 12. März 1906 war Amundsen zurück von seinem Ausflug zur Telegrafenstation und brachte Informationen über Norwegens Unabhängigkeit mit nach Herschel Island und später auch nach King Point. Getrübt wurde Amundsens Rückkehr allerdings durch den Tod des Maschinisten Gustav Juel Wiik, der einige Tage, nachdem Amundsen wieder bei King Point war, hohes Fieber und stechende Schmerzen in der rechten Seite bekam und starb. Vermutlich hatte er entweder eine Rippenfell- oder eine Blinddarmentzündung. Er wurde in seinem Observatorium beigesetzt, das er sich für seine BeAbb. 6.5: Kreuz für Gustav Wiik. obachtungen errichtet hatte (Abb. 6.5). Am 11. Juli 1906 kam die Gjøa aus dem Eis frei und setzte die Reise nach Westen fort. Zwar musste Amundsen sich auf Herschel Island noch weitere drei Wochen in Geduld fassen, weil Eis seinen Weg blockierte, aber dann konnte die Fahrt weitergehen. Auf Herschel Island nahm er den Norweger Ole Foss und einen Amerikaner namens Beauvais zur Mitarbeit an Bord, um Wiiks Arbeitskraft zu ersetzen. Außerdem stieg ein amerikanischer Schiffsarzt als Passagier zu, weil er unter keinen Umständen auf Herschel Island überwintern wollte. Auf dem letzten Stück setzte das Eis der Gjøa noch erheblich zu. Aber Ende August war es vollbracht und den Norwegern wurde in Nome (Alaska) ein rauschender Empfang bereitet. Im Oktober endete die Reise in San Francisco und Amundsen schenke sein robustes Schiff der Stadt San Francisco. Die Crew der Gjøa erreichte Kristiania schließlich im November 1906 nach ca. dreieinhalb Jahren Abwesenheit. Amundsen war nun schlagartig berühmt und hatte es fortan leichter, Unterstützung für seine weiteren Polarexpeditionen zu finden. Sein Triumph, als Erster die Nordwestpassage per Schiff bewältigt zu haben, wurde erst während des Zweiten Weltkriegs von Henry Larsen überboten. Bis dahin gab es aber noch eine weitere Durchquerung der Nordwestpassage, und zwar auf Schlitten über Land durch Knud Rasmussen. Die Gjøa wurde 1972 von San Francisco nach Norwegen überführt und ist jetzt in Oslo vor dem Norwegischen Schifffahrtsmuseum zu bestaunen.
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Auf Skiern und Schlitten durch die Nordwestpassage – Knud Rasmussens Fünfte Thule-Expedition
Knud Rasmussen wurde am 7. Juni 1879 im Pfarrhaus von Ilulissat mit einigen Tropfen Inuit-Blut in den Adern geboren. Seine Ururgroßmutter mütterlicherseits war eine Grönländerin gewesen. Als Sohn des dänischen Pastors Christian Vilhelm Rasmussen
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wuchs Knud in Grönland auf und lernte von seinen Spielkameraden mühelos die grönländische Sprache. Schon als Kind begeisterte er sich für Hundeschlitten und lernte geschickt damit umzugehen. Nach seiner Durchquerung Grönlands im Jahr 1888 war Fridtjof Nansen kurze Zeit zu Gast im Pfarrhaus von Ilulissat und hinterließ einen nachhaltigen Eindruck bei dem kleinen Knud. Als 12-Jähriger wurde Rasmussen aber nach Dänemark zum Schulbesuch geschickt. Der Wechsel fiel ihm offenbar sehr schwer, zumal seine Eltern und die beiden jüngeren Geschwister erst fünf Jahre später nach Dänemark kamen. Nach dem Abitur studierte Rasmussen ein Jahr lang in Dänemark Völkerkunde, wollte zu dieser Zeit aber eigentlich Schauspieler werden. Als sich im Jahr 1902 die Möglichkeit bot, nach Grönland zurückzukehren, griff er zu und wurde Teilnehmer an Ludvig Mylius-Erichsens sogenannter „literarischen Expedition“ in den Norden Grönlands zu den Polareskimo (Inughuit). Der Zeichner und Maler Harald Moltke und Rasmussens Jugendfreund Jørgen Brønlund waren ebenfalls an dieser Expedition beteiligt. Im März 1903 brachen sie von Upernavik, der damals nördlichsten dänischen Siedlung Grönlands, auf. Ihr Weg führte sie noch weiter Richtung Norden, wo sie Informationen über die sehr isoliert lebenden Polareskimo sammelten. Rasmussen hatte den riesigen Vorteil, dass er sich problemlos mit den Inughuit verständigen konnte, da er die komplizierte Sprache ja bereits als Kind gelernt hatte. Er interessierte sich besonders für die mündliche Überlieferung der Polarmenschen und beschäftigte sich zeit seines Lebens damit, Geschichten anzuhören, zu sammeln, zu übersetzen, zu vergleichen und herauszugeben. (Abb. 6.6) Im Jahr 1910 gründete Rasmussen hoch im Norden Grönlands im Kap-York-Gebiet am Fuß des Mount Dundas an der North Star Bay auf 76° 33' N eine Handelsstation, der er den Namen Thule gab, weil es die nördlichste Handelsstation der Welt war. Von den Einnahmen dieser Station finanzierte Rasmussen seine eigenen Expeditionen, die deshalb unter dem Namen Erste bis Siebte Thule-Expedition bekannt wurden. Verwaltet wurde die Station in den Jahren von 1910 bis 1919 von Rasmussens Freund Peter Freuchen. Die Erste Thule-Expedition führte Rasmussen 1912 in den Nordosten Grönlands, während der Zweiten kartierte er von 1916 bis 1918 die grönländische Nordküste. An der Dritten Thule-Expedition nahm Rasmussen selbst nicht teil, sie hatte zum Ziel, auf Ellesmere Island 1919/20 Vorratsdepots für ein Polarvorhaben von Roald Amundsen anzulegen. Die Vierte Thule-Expedition war der Erforschung der Kultur der Ostgrönländer in Ammassalik gewidmet. Schon lange hatte Rasmussen davon geträumt, allen InuitGruppen der Welt einen Besuch abzustatten. Bekannt für seinen Ausspruch: „Gebt mir Hunde, gebt mir Schnee, den Rest könnt ihr behalten“, plante er die Nordwestpassage per Schlitten zu bereisen und dabei Forschungen über die Herkunft der Inuit anzustellen und weitere Geschichten zu sammeln und zu vergleichen. Eines der wichtigen Resultate seiner Fünften Thule-Expedition war denn auch der Nachweis, dass die Sprachen der Inuit von Grönland bis Nordwest-Alaska sehr eng miteinander verwandt sind. Sowohl die Sechste (1931) als auch die Siebte Thule-Expedition (1932/33) führten Rasmussen wieder
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nach Ostgrönland, wo er während seiner Siebten und letzten Thule-Expedition den Film „Palos Brautfahrt“ drehte. An Rasmussens Fünfter Thule-Expedition (1921 – 1924) waren außer ihm selbst und Peter Freuchen die Wissenschaftler Therkel Mathiessen und Kaj Birket-Smith sowie der Assistent Helge Bangsted und der grönländische Dolmetscher Jakob Olsen beteiligt. Für zwei Winter richteten sie ihr Hauptquartier auf der Dänemarkinsel an der Nordwestküste der Hudson Bay ein und nannten es wegen des ständigen Windes den „Blasebalg“. Von dort unternahmen sie mehrere längere Schlittentouren und studierten die Inuit der Barren Lands westlich des Chesterfield Inlet sowie im Nordwesten von Baffin Island. Am 11. April 1923 verließ Rasmussen den Blasebalg mit zwei Inuit und zwei Hundeschlitten und besuchte viele Punkte, die während der Franklin-Suchexpeditionen erstmals von Europäern aufgesucht worden waren, wie die Repulse Bay, den Südteil der Boothiahalbinsel und die Raestraße. Den Sommer 1923 verbrachte Rasmussen auf King William Island Abb. 6.6: Porträt von sowie auf der Adelaidehalbinsel. Östlich von Starvation Cove Knud Rasmussen. fand er menschliche Knochen und Kleidungsreste, bei denen es sich um weitere Relikte von Franklins verschollener Expedition handelte. Im Frühjahr 1924 reiste Rasmussen an der Küste entlang weiter nach Westen. Von Alaska setzte er über die Beringstraße nach Russland über, obwohl er keinen für diese Reise gültigen Pass besaß. Kaum dort angekommen, wurde er von Behördenvertretern festgesetzt und musste das Land bald wieder verlassen, aber er hatte immerhin einen kurzen Blick auf ein Camp von Tschuktschen erhaschen können – sein Lebenstraum, alle Inuit-Gruppen zu erforschen und auch den Tschuktschen, die eine ähnliche Lebensweise hatten, einen Besuch abzustatten, war nun erfüllt. Er konnte mit seinem Material den Beweis liefern, dass alle Inuit denselben Ursprung hatten. Zwar wurde die Erkundung einzelner Abschnitte der kanadischen Arktis weiter fortgesetzt, die nächste vollständige Durchquerung der Nordwestpassage aber gelang erst während des Zweiten Weltkrieges 1940 – 1942.
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Zweite und dritte Durchquerung der Nordwestpassage mit der St. Roch (1940 – 1942; 1944)
Nachdem Otto Sverdrup und Roald Amundsen sich in Kanadas Norden aufgehalten hatten, schenkte Kanada seinen nördlichen Gebieten mehr Aufmerksamkeit und richtete an mehreren Stellen Polizeistationen ein. Während die kanadische Regierung
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damit beschäftigt war, ihren Anspruch auf den Norden Kanadas sichtbar zu machen, kamen die ersten Händler und ließen sich im Norden nieder. So gründete z. B. der Däne Christian Klengenberg 1919 bei Rymer Point auf Victoria Island einen ständigen Handelsposten, nachdem er bereits 1905 erstmals auf dem Schoner Olga mit Handelsgütern die Gegend besucht hatte. Seine Nachkommen leben bis heute in der Region. Mehr oder weniger gleichzeitig mit den Händlern kamen Missionare der Anglikanischen und der Römisch-Katholischen Kirche. Handelsposten, Kirchen und Polizeistationen bildeten die Kerne, um die herum im Laufe der Jahre im Norden kleine Siedlungen wuchsen, aus denen inzwischen teilweise Kleinstädte geworden sind, wie z. B. Coppermine (Kuglugtuk), Holman (Ulukhaktok), Cambridge Bay (Ikaluktutiak), Gjøa Haven (Uqsuqtuuq), Spence Bay (Taloyoak) und andere. In den Anfangsjahren war die Polizei für Reisen auf dem Wasser auf das HBCSchiff Nascopie angewiesen, da die Royal Canadian Mounted Police (RCMP) über kein eigenes Schiff verfügte. Diese Situation war sowohl für die HBC als auch für die RCMP mit Schwierigkeiten verknüpft. Einer der Kapitäne der Nascopie, Robert Smellie beklagte sich, dass die Sporen an den Stiefeln der Mounties Decks und Teppiche in den Aufenthaltsräumen beschädigten. 1927 wurde endlich beschlossen, ein eigenes Schiff für die RCMP zu bauen, das die Posten in der Arktis versorgen und gleichzeitig den kanadischen Hoheitsanspruch über die Inseln sichtbar machen sollte (Delgado 1999, S. 185). Vorbild für das neue Schiff sollte Roald Amundsens Maud sein, die er für seine gescheiterte Nordostpassagen-Expedition im Jahr 1917 hatte bauen lassen. Im Mai 1928 lief das neue Schiff in Vancouver vom Stapel und wurde auf den Namen St. Roch getauft. Zur ersten Crew gehörte der frisch rekrutierte Constable Henry Asbjørn Larsen. Larsen hatte bereits 14 Jahre auf See hinter sich, zwei davon auf einem Handelsschiff von Klengenberg, was bedeutete, dass er auch über Arktiserfahrung verfügte. Larsen träumte davon, eines Tages durch die Nordwestpassage zu fahren, und glaubte, die St. Roch sei das richtige Schiff dafür (Delgado 1999, S. 187). Seine Chance kam im September 1939, er erhielt von der RCMP den Auftrag durch die Passage bis nach Halifax zu fahren. Seit Amundsens Erfolg mit der Gjøa hatte kein Schiff mehr versucht, die Nordwestpassage zu bezwingen. Es wäre also die zweite Durchfahrt und die erste in West-Ost-Richtung gewesen. Hintergrund der Reise war, dass Kanada während des Krieges die Hoheitsansprüche auf die arktischen Inseln deutlich machen wollte. Ein weiterer Grund kam 1940 hinzu: Nachdem Deutschland Dänemark besetzt hatte, hielt Kanada die Kryolithmine im Südwesten Grönlands für gefährdet und wollte dort Präsenz zeigen. Kryolith wurde zur Herstellung von Aluminium benötigt, was besonders in Kriegszeiten von Bedeutung war (Grant 1993, S. 83; Grant 2010, S. 251). Larsen wählte die südliche Route, ungefähr so wie Amundsen sie gefahren war. Als Lektüre hatte er unter anderem Amundsens Bericht über die Fahrt mit der Gjøa an Bord. Am 23. Juni 1940 verließ die St. Roch Vancouver und erreichte genau einen Monat später Point Barrow in Alaska. Larsen hatte das Pech, ein schwieriges Eisjahr erwischt
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zu haben. Schon auf dem Weg von Point Barrow bis Herschel Island hatte er mit dem Eis zu kämpfen. Den Winter 1940/41 verbrachte er in Walker Bay an der Westseite von Victoria Island. Am 31. Juli 1941 war die St. Roch wieder aus dem Eis freigekommen, aber statt jetzt zügig nach Osten fahren zu können, erhielt Larsen Order, nach Tuktoyaktuk zu fahren. Von dort brachte er Versorgungsgüter unter anderem nach Cambridge Bay. Erst ab dem 19. August konnte er seine Nordwestpasssage nach Osten fortsetzen und erreichte am 27. August Gjøa Haven. An der Stelle, an der Amundsen seine beiden ersten Winter verbracht hatte, war in der Zwischenzeit eine kleine Siedlung entstanden. Nördlich von Gjøa Haven gelangte Larsen noch bis Pasley Bay und glaubte dort, das Ende der St. Roch sei gekommen, weil sie auf eine Untiefe auflief und vom Eis hin- und hergeworfen wurde. Es sah, aus als würde das Eis den Rumpf zerdrücken wie eine Nussschale. Larsen schaffte es, ein Stahlseil in der Bucht festzuhaken, und brachte den Anker mit der gesamten Kette aus; so gelang es ihm, das Schiff anzuhalten. Er war aber gezwungen, einen zweiten Winter in der Arktis verbringen, den er nutzte, um die üblichen Patrouillen der RCMP durchzuführen. Larsen und seine Kollegen konzentrierten sich in diesem Winter auf die Inspektion der Boothiahalbinsel und King William Island. Im Februar starb Constable Albert „Frenchy“ Chartrand unerwartet an einem Herzinfarkt. Larsen unternahm gemeinsam mit Equalla, einem Inuk als Führer, eine 1140 Meilen lange Schlittentour, um einen Priester für die Bestattung von Chartrand zu holen. Chartrand wurde auf einem nahe gelegenen Hügel beigesetzt, ein fünf Meter hohes Steinmal markiert noch heute sein Grab in Pasley Bay an der Westseite der Boothiahalbinsel (Abb. 6.7, Farbtafel). Auch der nächste Sommer (1942) war eisreich und erst am 3. August schaffte es Larsen, Pasley Bay zu verlassen, nur um sofort wieder in heftiges Eis zu geraten. Das Heck der St. Roch ragte aus dem Wasser, der Bug geriet unter Wasser und Larsen blieb nichts anderes übrig, als die St. Roch freizusprengen (Delgado 1999, S. 192). Stück für Stück kämpfte sich das robuste und eisverstärkte Schiff voran. Manchmal sah Larsen ein Stück offenes Wasser, das sich unmittelbar vor ihm schloss, wenn er es ansteuerte, und manchmal, wenn er glaubte, wieder komplett festgefahren zu sein, tat sich plötzlich wie durch Geisterhand eine Rinne auf. Zu allem Überfluss ging am 12. August auch noch einer der Zylinder der Maschine zu Bruch, so dass gerade jetzt, da alle Kraft gebraucht wurde, nur noch ein Teil der Motorleistung zur Verfügung stand. Ganz langsam kam er an der Küste von Boothia entlang nach Norden. In 25 Tagen schaffte er gerade einmal 60 Meilen. Am 29. August erreichte Larsen die Bellotstraße und wollte sich schon freuen, dass er und seine Gefährten es bald geschafft hatten, als sie erneut von Eis in die Zange genommen wurden und mit knapper Not einem Schiffbruch entgingen. Nach längerem Kampf erreichten sie den östlichen Ausgang aus der ca. 18 Meilen langen z. T. nur eine Meile breiten Straße und ankerten vor dem Handelsposten der HBC, Fort Ross (Abb. 6.8, Farbtafel). Von Fort Ross fuhren sie den Prince Regent Inlet nach Norden bis zur Barrowstraße. Das Durchfahren der Bellotstraße bildet den Unterschied zu Amundsens Route, der
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den Peel Sound (westlich von Boothia) nach Süden genommen hatte, während Larsen den Prince Regent Inlet (östlich von Boothia) nach Norden gefahren war. In Pond Inlet wurden die Hunde und eine große Menge Versorgungsgüter abgeladen, bevor die St. Roch sich auf den Weg nach Halifax begab, wo sie am Nachmittag des 11. Oktober 1942 ankam (Delgado 1999, S. 193). Es war nicht einfach, kommentierte Larsen in seiner typisch lakonischen Art. Er hatte drei sehr schwierige Eisjahre erwischt, war aber stolz auf sein robustes Schiff und meinte, die meisten anderen Schiffe wären unter solchen Bedingungen wohl gescheitert. Die St. Roch erhielt in Halifax einen neuen und stärkeren Schiffsmotor, bevor Larsen sich mit ihr auf den Rückweg begab (Präsenz vor der Kryolithmine in Grönland zu zeigen, hatte sich in der Zwischenzeit erübrigt). Dieses Mal wollte Larsen die nördliche Route nehmen. Durch den Lancaster Sound nach Westen bis zur Melvilleinsel und dann durch die McClurestraße zur Prinz-of-Wales-Straße. Er war der Ansicht, dies sei die „echte“ Nordwestpassage und außerdem habe noch kein Schiff diese Route jemals geschafft. Lediglich Edward Parry war in dem warmen Sommer 1819 vom Lancaster Sound bis zur Melvilleinsel gelangt (Abb. 6.9). Am 26. Juli 1944 verließ die St. Roch Halifax und erreichte Pond Inlet am 13. August, wo Larsen den Inuk Joe Panippakussuk als Führer und Jäger engagierte. Joe kam mit seiner sechsköpfigen Familie und 17 Hunden an Bord (Delgado 1999, S. 195). Am 17. August 1944 verließ Larsen Pond Inlet und ankerte drei Tage später vor Beechey Island. Er ging an Land, um der bedeutenden Stelle von Franklins Überwinterung 1846 und den Denkmälern dort einen Besuch abzustatten. Wann immer es möglich war, suchte Larsen die Steinmale oder andere Hinterlassenschaften seiner Vorgänger auf, um ihre Leiden und Entbehrungen zu würdigen und ihren Leistungen und Erfolgen Ehrerbietung entgegenzubringen. (Abb. 6.10) Ende August 1944 befand die St. Roch sich am Eingang der McClurestraße und hatte jetzt Gewässer vor sich, die noch von keinem Schiff durchfahren worden waren. Durch die Prince-ofWales-Straße, in der ja sowohl McClure als auch Collinson schon gewesen waren – zumindest im südlichen Teil –, erreichte Larsen nach einigen Tagen Walker Bay, die Stelle, wo er den Winter 1940/41 verbracht hatte. Er beeilte sich nun, voranzukommen, was nötig war, wollte er nicht riskieren, einen weiteren Winter in der Arktis abwarten zu müssen. Auf Herschel Island setzte er Joe Panippakussuk mitsamt seiner Familie ab und musste jetzt noch das letzte Wettrennen mit dem Eis bestehen, das anfing, sich von Norden gegen die Küste zu bewegen. Die St. Roch blieb
Abb. 6.9: Kapitän Henry Larsen.
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Abb. 6.10: Bild der St. Roch an einer Hauswand in Cambridgebay. Sieger und erreichte am 27. September 1944 die Beringstraße und am 16. Oktober war sie zurück in ihrem Heimathafen Vancouver. Geschafft, erstmals hatte ein Schiff die Nordwestpassage innerhalb einer Saison, innerhalb von 86 Tagen bezwungen. Larsen war außerdem der Erste, der die nördliche Route genommen hatte. Die St. Roch hatte als erstes Schiff die Passage von West nach Ost durchfahren und war zudem das erste Schiff, das die Passage zweimal geschafft hatte. Still nahm Larsen Medaillen und Ehrungen entgegen und bereitete sich auf seinen normalen Dienst als Mountie in der Arktis vor (Delgado 1999, S. 195). Wenn Larsen auch nie die grönländische Küste und die Kryolithmine erreicht hat, so hat er mit seinem langen Aufenthalt in der Nordwestpassage während des Krieges doch deutlich gemacht, dass Kanada Souveränität über den arktischen Archipel beansprucht (Delgado 1999, S. 195). Mit den Fahrten der St. Roch war das Eis in der Passage sozusagen gebrochen und seither haben viele Schiffe den Weg vom Pazifik zum Atlantik und umgekehrt auf der Nordroute an den Küsten Alaskas und Kanadas vorbei genommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt die Moderne auch Einzug in der Arktis. Die Mannschaft der Versorgungsschiffe wurde über Winter ausgeflogen, wenn das Schiff in der Arktis festgefroren war. USA und Kanada taten sich zusammen, um militärische Ausrüstung unter arktischen Bedingungen zu testen. Die beiden Blöcke standen sich während des Kalten Krieges in der Arktis so nah gegenüber wie nirgends sonst. Dies führte dazu, dass man Mitte der 50er Jahre begann, Radarstationen über die gesamte Arktis zu verteilen, um damit ein Frühwarnsystem aufzubauen, die sogenannte DEW Line (Abb. 6.11). Das nächste Schiff, das nach der St. Roch, die im Übrigen heute im Seefahrtsmuseum in Vancouver zu besichtigen ist, durch die Passage fuhr, war im Jahr 1954 der kanadische Eisbrecher Labrador. Er nahm die Route vom Lancaster Sound durch die Barrowstraße, Viscount Melville Sound und dann genau wie die St. Roch auf ihrer Rückreise im Jahr 1944 durch die Prince-of-Wales-Straße, dann nach Westen durch den Amundsengolf und durch die Beringstraße. Auch die Arktis musste jetzt militärisch verteidigt werden können und war nicht mehr nur ein Reservoir möglicher Rohstofffunde. Die
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Abb. 6.11: Verlauf der DEW-Line-Stationen. Entwicklung des Atom-U-Bootes eröffnete neue Möglichkeiten und Bedrohungen. Die USS Nautilus war das erste Atom-U-Boot, das am 5. August 1958 90° N, also den Nordpol erreichte. Schon 1960 fuhr das US-amerikanische Atom-U-Boot USS Seadragon durch die Nordwestpassage ohne aufzutauchen. Damit war ein neues Zeitalter für die Nordwestpassage angebrochen und die Wasserstraße zumindest für Atom-U-Boote jederzeit und nahezu unbemerkt durch die kanadische Küstenwache nutzbar.
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Der Riesentanker Manhattan in der Nordwestpassage (1969)
Durch die Ölfunde in der Arktis, insbesondere in Prudhoe Bay 1967/68 wurde die Nordwestpassage wieder als Transportweg interessant. Wollte man das Öl in Alaskas North Slope tatsächlich fördern, musste man sich Gedanken darüber machen, wie man das Rohöl zu den Raffinerien im Süden transportieren könnte. Viele Möglichkeiten, teilweise auch absurd anmutende, wurden diskutiert. In diesem Zusammenhang kam die Nordwestpassage als Transportroute für eisverstärkte Öltanker ins Gespräch. Um zu testen, ob die Nordwestpassage wirklich eine Option wäre, ließ die Humble Oil & Refining Company das damals größte Transportschiff der USA, die Manhattan, zu einem Eisbrecher umbauen und eine Testfahrt unternehmen (Grant 2010, S. 348; Sale und Potapov 2010, S. 149). Schon der Umbau stellte ungeahnte Herausforderungen. Er fand unter extremem Zeitdruck statt, da gleichzeitig Verhandlungen wegen einer Pipeline durch Alaska zum Hafen Valdez geführt wurden. Weil die Zeit drängte, entschied man sich, die Manhattan in vier Teile zu zerlegen, diese in verschiedenen Werften umbauen zu lassen und das Schiff dann wieder zusammenzusetzen (Coen
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2012). Mit erheblicher Verspätung startete die Manhattan schließlich am 26. August 1969 (eigentlich war der Beginn der Reise für den 1. Juni vorgesehen gewesen) von der Sun Shipyard in Chester, Pennsylvania, mit einer Mannschaft von 54 Seeleuten, die von der Humble/Esso-Tankerflotte rekrutiert worden waren und drei Kapitänen. Außerdem waren 72 sonstige Personen an Bord, darunter Wissenschaftler, Hubschrauberpiloten, Journalisten und Vertreter von Humble Oil. Pikant an der ganzen Angelegenheit war der ungeklärte Status der Nordwestpassage. Die USA gingen und gehen bis heute davon aus, dass es sich um einen internationalen Wasserweg handelt, während Kanada die Nordwestpassage als interne Gewässer bezeichnet. Die USA haben, um deutlich zu machen, dass es sich tatsächlich um eine internationale Wasserstraße handelt, keine Erlaubnis zur Durchfahrt eingeholt und Kanada hat, um deutlich zu machen, dass es interne Gewässer sind, eine offizielle Erlaubnis erteilt und sogar einen eigenen Eisbrecher, die John A. MacDonald, zur Unterstützung entsandt (Byers 2009; Grant 2010, S. 349). Die Manhattan stoppte in Thule, der US Air Base im Nordwesten Grönlands, wo sie mit dem Eisbrecher der US-Küstenwache Northwind zusammentraf, in dessen Begleitung sie durch die Nordwestpassage fahren sollte. Gerne hätte sich die Crew der Manhattan als erstes Schiff überhaupt durch die McClurestraße gekämpft, aber selbst der unumstrittene Gigant unter den damals verfügbaren Eisbrechern musste sich den granitharten Presseisrücken nicht allzu weit von McClures Mercy Bay entfernt geschlagen geben (Coen 2012, S. 125). Das Hauptproblem war, dass bei einer Eisbedeckung von 100 % das gebrochene Eis nicht zu den Seiten hin ausweichen konnte, sich deshalb unter dem Kiel der Manhattan sammelte und drohte, die Schrauben zu beschädigen. Mit Hilfe der MacDonald und dem „toughest U-turn in the history of the Arctic“34 (Smith 1970, S. 132) kam die Manhattan aus dem Eis der McClure Straße frei. Immerhin hatte sie 117° 24' W erreicht und war damit weiter in die McClurestraße eingedrungen als je ein Schiff zuvor. Durch die Prince-of-Wales-Straße erreichte sie die Küste Alaskas, die Presse feierte pathetisch das erste Handelsschiff, das die Nordwestpassage gemeistert hatte (Coen 2012, S. 128). Eine bittere Pille für die USA war, dass der Eisbrecher Northwind schon vor der McClurestraße hatte abdrehen müssen, was Howard Pollock, Mitglied des US-Repräsentantenhauses zu der Aussage verleitete: „It is unacceptable to our national pride to discover that the U.S. icebreaker could not keep up to a commercial tanker and had to let the Canadians do the job alone“35 (zit. nach Coen 2012, S. 129). Die USA bauten 1976 den Eisbrecher Polar Star, 1977 die Polar Sea und 1999 die Healy. So lange dauerte es, bis die von Pollock geforderten drei Eisbrecher zur Ausübung der politischen und ökonomischen Verantwortung in der Arktis gebaut und in Betrieb genommen wurden (Coen 2012, S. 129). Die Manhattan ankerte vor Sachs Harbour, einer kleinen Siedlung im Südwesten von Banks Island, und startete von dort erste wirksame Aktivitäten in der Öffentlichkeitsarbeit. Die Kinder bekamen schulfrei, um den Riesentanker bestaunen zu können. Am 18. September 1969 ankerte die Manhattan vor Barter Island, wo der Gouverneur von Alaska Keith Miller an Bord kam, der eine
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Woche zuvor die Lizenzen für die Ölfelder in der North Slope für viel Geld verkauft hatte (Coen 2012, S. 133). Zuvor hatte die Northwind der Manhattan nicht in die McClurestraße folgen können, aber auch sie hatte einen kleinen Triumph zu feiern, war sie doch das erste Schiff, das die Nordwestpassage innerhalb einer Saison in beide Richtungen gefahren war (Coen 2012, S. 133). Sie war, um die Manhattan in Thule (Nordwestgrönland) treffen zu können, bereits von der Pazifikseite her durch die Nordwestpassage gekommen. Ihren Heimathafen in Seattle erreichte sie am 3. Oktober 1969. Die Manhattan kam am 19. September endlich in Prudhoe Bay an, dort nahm sie ein symbolisches Fass Rohöl an Bord. Da nur Behälter mit dem Emblem von Chevron vorhanden waren, was für eine Public-Relations-Aktion von Humble Oil natürlich nicht in Frage kam, wurde das Fass, dem Anlass angemessen, mit goldener Farbe angestrichen (Coen 2012, S. 137). Was schon vorher bekannt war, aber durch die Übernahme des einen goldenen Fasses Rohöl, die per Helikopter erfolgte, noch einmal deutlich wurde, war dass der Schelf vor Prudhoe Bay sehr flach abfällt. Dies bedeutete, dass die Manhattan mehrere Meilen weit draußen ankern musste. Die riesigen Eisbrecher, die der Ölgesellschaft Humble Oil für die Zukunft vorschwebten, hätten aufgrund ihres immensen Tiefganges volle 30 Meilen von der Küste entfernt ankern müssen – bevor dieses Problem keine Lösung hatte, brauchte man an die Nordwestpassage als reguläre Transportroute gar nicht zu denken. Viele Varianten wurden diskutiert, wie man das Rohöl auf die Tanker schaffen könnte. Darüber hinaus gab es auch Stimmen, die die erfolgreiche Passage der Manhattan weniger enthusiastisch bewerteten: „What did the Manhattan voyage prove? It proved that using a specially-built ship and sparing no expense (and with a lot of free government-furnished assistance) the Northwest Passage could be negotiated in September 1969. It did not prove that it could be done at any other time of the year (or in any other September). Most important, it did not prove it could be done at a reasonable cost“36 (zit. nach Coen 2012, S. 139). Manche glaubten auch, der ganze Test mit der Manhattan sei nur gemacht worden, um den Beginn der Ölförderung in der North-Slope-Region Alaskas zu verzögern (Coen 2012, S. 140). Auf dem Rückweg von Prudhoe Bay fuhr die Manhattan erneut durch die Nordwestpassage und stoppte am 27. Oktober 1969 vor Beechey Island, damit die Mannschaft dort an Land gehen und Franklin ihre Ehrerbietung erweisen konnte; sie deponierten dort einen Auszug aus George Henry Bokers „A Ballad of Sir John Franklin“ (Smith 1970, S. 199) (Abb. 6.12). Da die Manhattan auf der Rückreise weniger unter öffentlichem Druck stand und auch kein bestimmtes Datum vorgegeben war, wann sie zurück in New York sein sollte, nahm man sich die Zeit für wissenschaftliche Untersuchungen des Eises und führte Bohrungen und Messungen durch. Im Lancaster Sound gab es noch einen Zusammenstoß mit einem Eisberg, der ein Loch in einen der Ballastwassertanks riss, das so groß war, dass ein LKW hindurchgepasst hätte. Da der Tank aber gegen das restliche Schiff hinreichend abgesichert war, bestand keine Gefahr zu sinken und die tatsächliche Größe der
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Beschädigung wurde auch erst in Halifax festgestellt (Smith 1970, S. 187). Natürlich fragte man sich, was gewesen wäre, wenn der Tank statt mit Ballastwasser tatsächlich mit Öl gefüllt gewesen wäre – die erste riesige Ölpest in der Arktis. Eines der Resultate der Fahrt mit der Manhattan war denn auch, dass eine Diskussion über den Umweltschutz in der Arktis im Allgemeinen und in der Nordwestpassage im Besonderen in Gang kam (Byers 2009, Grant 2010). Die Umweltschutzdebatte ist eng mit der Frage der kanadischen Souveränitätsansprüche in der Arktis verbunden. Es hält sich hartnäckig eine Geschichte, deren Wahrheitsgehalt kaum zu überprüfen ist, es heißt aber, eine Gruppe von Inuit-Aktivisten (in manchen Varianten nur aus zwei Jägern bestehend) habe sich mit ihren Schlitten auf dem Eis vor der Manhattan aufgehalten und so den Riesentanker zu einem ungeplanten Stopp gezwungen. Sie wollten deutlich machen, dass bei allen Diskussionen um die künftige Nutzung der Arktis auch den Inuit eine Stimme zukommen müsse. In offiziellen Berichten über die Fahrt der Manhattan ist davon allerdings nichts zu lesen (Byers 2009, S. 126; Howard 2009, S. 186; Sale und Potapov 2010, S. 149). Am 12. November, 11 Wochen und 2 Tage nach ihrem Auslaufen, wurde die Manhattan triumphierend in New York empfangen. Ein paar Wochen später war sie mit einer Ladung Getreide unterwegs nach Pakistan, die normale Routine hatte wieder eingesetzt, während in den Büros von Humble Oil die denkwürdige Passage und die Forschungsergebnisse der Eisbeobachtungen noch analysiert wurden (Coen 2012). Im April 1970 war die Manhattan allerdings erneut unterwegs in Richtung Arktis. Humble Oil wollte weitere Daten zur Durchführbarkeit von Handelsfahrten durch die Nordwestpassage sammeln. Dieses Mal sollte sie allerdings nicht durch die Passage fahren, sondern nur ihre Fähigkeit Eis zu brechen unter spätwinterlichen Bedingungen erproben. Erneut wurde sie von einem kanadischen Eisbrecher begleitet, und zwar von dem modernsten, der der kanadischen Küstenwache zur Verfügung stand, der Louis St. Laurent unter dem Kommando von Kapitän George Burdoch. Die Monate April und Mai verbrachten die beiden Eisbrecher in der Baffin Bay in der Nähe von Bylot Island. Die Schwäche der Manhattan war eindeutig das Zurücksetzen, was sich ja im Vorjahr schon gezeigt hatte (Coen 2012, S. 158). Eine Woche lang wurden beide Eisbrecher im Eis eingeschlossen und beide erlitten kleinere Beschädigungen am Rumpf. Letztendlich kamen sie aber ohne zusätzliche Hilfe aus dem
Abb. 6.12: Der zum Eisbrecher umgebaute Tanker Manhattan in der Nordwestpassage.
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Eis frei und die Manhattan war am 3. Juni zurück in Chester, Pennsylvania, wo sie über ein Jahr zuvor von einem Riesentanker in einen Rieseneisbrecher verwandelt worden war. Resultat der zweiten Reise war die Erkenntnis, dass das Schiff sich in schneebedecktem, festem Wintereis anders verhielt als in dünnerem Sommereis. Die Erfahrungen, die man mit den Tests mit der Manhattan gewonnen hatte, schlugen sich auch beim Bau weiterer Eisbrecher nieder. Aus Kostengründen wurde letztlich doch die Pipeline-Lösung dem Transport des Öls mit eisbrechenden Riesentankern vorgezogen. Zumindest war dies die offizielle Begründung. Hinter den Kulissen wurden auch andere Gründe für die Aufgabe des Eisbrecher-Tanker-Projektes diskutiert: Die benötigte Zeit durch das Eis ließ sich nicht genau genug voraussehen, was keinen gleichmäßigen Abtransport aus Prudhoe Bay und keinen gleichmäßigen Nachschub an die Raffinerien zur Verarbeitung des Rohöls sichergestellt hätte. Man musste in der Nordwestpassage immer mit Stockungen rechnen. Ein weiterer Grund war der Jones Act von 1920, der besagt, dass Schiffe, die im amerikanischen Handel operieren, in Amerika gebaut werden und eine amerikanische Mannschaft beschäftigen müssen, was die Kosten zusätzlich enorm in die Höhe getrieben hätte. Ein weiteres Problem war das Ladeterminal im flachen Schelfgebiet der Prudhoe Bay, das ja auch noch nicht gelöst war. Während des Baus zeigte sich dann aber, dass die Pipeline erheblich teurer wurde als erwartet, so dass die Tankerlösung vielleicht doch eine Option gewesen wäre. Die Manhattan wurde 1987, nachdem sie in einem Sturm beschädigt worden war, abgewrackt, kein Teil von ihr wurde für ein Museum aufbewahrt. Damit ist die Manhattan, die ja auch Nordwestpassagen-Geschichte geschrieben hat, genauso verschwunden wie die Erebus und Terror – aber im Fall der Manhattan aus Desinteresse, fast 20 Jahre nachdem sie die Passage im Dienste der Ölindustrie gemeistert hatte (Coen 2012, S. 176). Zwar waren die ersten Versuche, die Nordwestpassage als Transportroute für in der Arktis abgebaute Bodenschätze zu nutzen, zunächst gescheitert. Das weiterhin zurückgehende Eis im Arktischen Ozean heizt die Nutzbarkeit der Nordwestpassage als Schifffahrtsstraße erneut an. Welche Schwierigkeiten und politische Fallstricke daran geknüpft sind, wird in Kapitel 8 vorgestellt. 34 „der heftigsten Kehrtwende in der Geschichte der Arktis“ 35 „es ist unserem Nationalstolz unerträglich zu entdecken, dass der amerikanische Eisbrecher nicht mit einem Handelstanker mithalten konnte, und die Kanadier die Aufgabe alleine bewältigen lassen musste“ 36 „Was hat die Reise der Manhattan bewiesen? Sie hat bewiesen, dass die Nordwestpassage im September 1969 mit einem speziell dafür umgebauten Schiff (ohne Rücksicht auf die Kosten und mit erheblicher staatlicher Unterstützung) durchfahren werden konnte. Sie hat nicht gezeigt, dass dies zu irgendeiner anderen Zeit des Jahres möglich gewesen wäre (oder in irgendeinem anderen September). Und das wichtigste ist, sie hat nicht gezeigt, dass die Passage mit vernünftigen Kosten bewältigbar ist.“
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Der kurze Weg nach China (16. Jahrhundert) Grönland
Baffin Bay Beaufortsee
Iglulingmiut
Ba
ffin
Mackenzie Inuit zie ken Mac
Netsilingmiut
Foxebecken
Rive
Copper Inuit
Davisstraße
Isla
nd
South Baffin Inuit
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Hudso
nstraß
Gr. Sklavensee
e
Caribou Inuit
La Ungava Inuit Hudson Bay
bra
do
r In
uit
Labrador
500 Meilen 500 Kilometer
Menschen in der Nordwestpassage
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7.1
Eskimo oder Inuit?
Alle indigenen Einwohner der kanadischen, US-amerikanischen und grönländischen Arktis werden heute häufig als Inuit bezeichnet, weil die Sammelbezeichnung Eskimo in Verruf geraten ist. Immer wieder ist zu lesen, das Wort stamme aus einer der AlgonquinSprachen und bedeute übersetzt Rohfleischfresser. Das ist ein Mythos, der sich hartnäckig hält, aber einer eindeutigen linguistischen Grundlage entbehrt. Genaue Herkunft und Bedeutung des Wortes Eskimo sind nicht so sicher nachvollziehbar, wie es oft dargestellt wird. Ausspracheschwierigkeiten, Übermittlungsfehler
Abb. 7.1: Verbreitung der Inuit im Gebiet der Nordwestpassage.
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und dadurch bedingte Veränderungen gestalten die Klärung schwierig. Es gibt Anzeichen dafür, dass das Wort aus der Sprache der Montagnais stammt – dann wäre es von ayaskime abgeleitet, was Schneeschuhflechter bedeutet. Vermutlich haben baskische Walfänger das Wort auf ihren Reisen zu den reichen Kabeljaugründen vor Neufundland gehört und mit nach Europa gebracht, wo es zu einer generellen Bezeichnung für die Bewohner des amerikanischen Nordens mutierte. Falls das stimmt, wären damit ursprünglich gar nicht die Bewohner der Arktis gemeint gewesen, sondern subarktische Nachbarn der Montaignais, die tatsächlich aus Haut geflochtene Rahmenschneeschuhe verwendeten, um sich im tiefen Schnee vorwärtsbewegen zu können. Eine andere Bedeutung könnte lauten „Leute aus einem fernen eisigen Land“. Das Wort erscheint erstmals gedruckt in Richard Hakluyts Abhandlung von 1584, in der er die Einwohner der „graunde baie“ als „Esquimauwes“ beschreibt, selbst aber nicht erklärt, woher die Bezeichnung stammt. Samuel de Champlain glaubte, es sei die Eigenbezeichnung der Einwohner des St.-Lorenz-Gebietes. Generell verwendeten einzelne Gruppen in der Arktis keine übergeordneten ethnischen Bezeichnungen für sich. Sie waren einfach nur die richtigen (oder echten) Menschen im Gegensatz zu den Fremden, den Anderen, den gefährlichen und nicht menschlichen Wesen. Der Bezug war immer ein lokaler, geografischer. Die Endung -miut bedeutet „Leute von“, so nannten sich die Sikimiut – Leute von dem Eisplatz, Netsilingmiut – Leute vom Robbenplatz etc. Jede kleine Gruppe verfügte über eine eigene Bezeichnung. Die Zuordnung zu einer solchen Gruppe war fluktuierend und konnte sich z. B. durch den Wechsel eines Wohnplatzes verändern. Erst Missionare, Seeleute und Forscher fassten benachbarte Gruppen mit kulturellen Ähnlichkeiten zusammen, um sich einen leichteren Überblick zu verschaffen. Das Wort Inuit stammt aus dem Inuktitut, der Sprache, die in der zentralen Arktis gesprochen wird, und bedeutet nichts anderes als Menschen. Die Einzahl von Inuit lautet Inuk – ein Mensch. Der in Kanada bevorzugte Begriff Inuit wird problematisch, wenn man ihn auf die gesamte Arktis anwenden möchte, da nur Inuktitutsprecher sich als Inuit bezeichnen. In Alaska nennen die Menschen im Norden sich Inupiaq, im Süden Yupik, im Mackenziedelta Inuvialuit, in Grönland Kalallit oder einfach Grönländer. Als übergreifende Bezeichnung bietet sich Eskimo daher noch immer an, auch wenn man das in der zentralen Arktis, d. h. vor allem in Nunavut gar nicht gerne hört. Am besten wäre allerdings zu differenzieren und aus Respekt die jeweilige Selbstbezeichnung der Menschen zu verwenden. Zugegebenermaßen ist dies oft recht kompliziert.
7.2
Der Norden als Lebensraum
Die Arktis war bereits seit mehreren Tausend Jahren besiedelt, als europäische Seeleute mit ihren Schiffen dort auftauchten. Die ersten Arktisbewohner waren aus Nordasien eingewandert und hatten sich über die gesamte Arktis ausgebreitet. Entsprechend ihren
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archäologischen Hinterlassenschaften wird ihre Kultur als die arktische Kleingerätetradition bezeichnet. Die nächste Kulturfolge wird als Dorset-Kultur bezeichnet. Um das Jahr 1000 nach Christus erfolgte eine weitere Einwanderungswelle. Menschen, die Ressourcen aus dem Meer meisterhaft zu nutzen verstanden, hauptsächlich vom Walfang und der Jagd auf Meeressäuger lebten und über Hautboote verfügten, breiteten sich schnell in der gesamten Arktis aus. Knud Rasmussen und seine Mitarbeiter gehörten während der Fünften Thule-Expedition zu den ersten, die an unterschiedlichen Stellen Grabungen durchführten und über die gesamte Arktis verbreitet Gegenstände von verblüffender Einheitlichkeit fanden. Sie bezeichneten ihre Funde und die damit verknüpfte Lebensweise als Thule-Kultur, da sie die ersten Hinterlassenschaften dieser Art in der Nähe ihrer Handelsstation „Thule“ ausgegraben hatten (McGhee 1996, S. 20). Die Thule-Kultur löste die Dorset-Kultur ab, wobei nicht eindeutig geklärt ist, ob die DorsetKultur verdrängt oder assimiliert wurde, da sich die Ereignisse nicht eindeutig aus den archäologischen Funden rekonstruieren lassen (McGhee 1996, S. 211). Klimaschwankungen entschieden jeweils darüber, welche Teile der Arktis für den Menschen bewohnbar waren und welche nicht. So erfolgte die extrem schnelle Ausbreitung der Thule-Kultur während eines Klimaoptimums, in etwa zur gleichen Zeit wie die Besiedlung Südgrönlands durch die Wikinger (McGhee 1996, S. 106 – 119). Die historischen Inuit sind Nachfahren jener Thule-Kultur. Die späte und schnelle Ausbreitung der Thule-Kultur erklärt die relative sprachliche Einheitlichkeit der heutigen Eskimokulturen. Alle Gruppen sprechen Sprachen, die zur eskimo-aleutischen Sprachfamilie gehören, und es ist möglich, sich von Grönland bis Nordwest-Alaska (Inupiaq) zu verständigen. Die Verständigung innerhalb Alaskas zwischen Inupiaq und Yupik ist schwieriger, da die sprachlichen Unterschiede größer sind. Einige charakteristische kulturelle Züge haben fast alle Eskimo-Gruppen gemeinsam, es gibt aber durchaus auch erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen. Kajak und Umiak waren die beiden wichtigsten Bootstypen fast aller Eskimo. Kajaks sind oben geschlossen und haben nur ein kleines Einstiegsloch, meist für eine Person, während Umiaks oben offen sind und zum Transport mehrerer Personen und Hausrat oder zur Waljagd verwendet wurden. Beide Bootstypen bestehen aus einem Gerüst aus Treibholz, das mit Robbenhäuten bespannt wird. Weitere Geräte, die in verschiedenen Formen in der gesamten Arktis verbreitet sind, sind Ulu (Frauenmesser) und Harpune. Mit seiner gekrümmten Klinge sieht das Ulu aus wie ein Wiegemesser und wurde von den Frauen für die Fellbearbeitung verwendet. Die Harpune war die wichtigste Waffe für die Jagd auf Meeressäuger. Eine bedeutende mythische Figur, die unter verschiedenen Namen bei fast allen Inuit-Gruppen vorkommt, ist die Herrin der Seetiere. Auch die Bezeichnung, mit der die Inuit die Fremden bzw. die Weißen titulierten, ist zwar in unterschiedlichsten Schreibweisen wiedergegeben worden, war aber in der ganzen Arktis verbreitet: Qallunaat oder Kabluna – Männer mit dicken Augenbrauen (Petrone 1992, S. 57).
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7.3 Begegnungen Im Laufe der jahrhundertelangen Suche nach der Nordwestpassage trafen die Seeleute immer wieder auf Einwohner des ihnen fremden Landes im Norden, darunter auch verschiedene Gruppen von Eskimo. Von Ost nach West waren dies: Baffinland-Inuit, Iglulik, Netsilik, Inuinnait (Kupfer-Eskimo), Karibu-Eskimo, Mackenziedelta-Eskimo in Kanada und Inupiaq in Nordwest-Alaska. Diese Begegnungen waren ausgesprochen vielfältig und reichten von freundlichen Zusammentreffen, die durch Handel, Austausch und gegenseitige Hilfeleistungen geprägt waren, über kleinere Scharmützel und Diebereien bis zu brutalen Entführungen und kriegerischen Auseinandersetzungen mit mehreren Toten. Insbesondere wenn Seeleute aus Europa oder Amerika sich länger bei ein und derselben Gruppe aufhielten, kam es zu sexuellen Kontakten mit einheimischen Frauen. Wenn aus solchen Verbindungen Kinder hervorgingen, erfuhren die Erzeuger nur in seltenen Fällen etwas von deren Geburt. Meist hielten sie sich längst in anderen Weltgegenden auf. Oft lagen die Gründe für feindliche Auseinandersetzungen in Verständigungsschwierigkeiten und daraus resultierenden Missverständnissen. Erst als die Expeditionen Dolmetscher an Bord hatten, funktionierte die Kommunikation etwas besser. Die Dolmetscher stießen meist in Grönland zur jeweiligen Expedition und waren Grönländer, die etwas Dänisch oder Englisch erlernt hatten. In manchen Fällen standen auch Missionare zur Verfügung, die im Laufe ihrer Tätigkeit die Sprache der Arktisbewohner gelernt hatten. Von Vorteil war die relative Einheitlichkeit der Sprachen innerhalb der Arktis, so dass ein aus Grönland mitgebrachter Dolmetscher sich auf den kanadischen Inseln tatsächlich einigermaßen verständigen konnte. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts war es auch möglich, vor Ort Dolmetscher zu engagieren, da einige Inuit durch den langen Kontakt zu Walfängern recht gut Englisch gelernt hatten. In manchen Fällen war das Zusammentreffen der unterschiedlichen Kulturen aber auch von gegenseitiger Neugierde geprägt. Insbesondere dann, wenn keine der beiden Seiten sich durch die andere bedroht fühlte, war es möglich, relativ offen aufeinander zuzugehen. Eskimo, die von den Seeleuten mit nach Europa gebracht wurden, bestaunte man als Kuriositäten und ließ sie ihre Kunstfertigkeiten, insbesondere die geschickte Handhabung des Kajaks, vorführen. Waren solche Veranstaltungen in den Anfangsjahren der Entdeckungsgeschichte vorwiegend Königen und anderen hochgestellten Persönlichkeiten vorbehalten, so entwickelten sie sich im 19. Jahrhundert zu einer beliebten Volksbelustigung, mit der die Veranstalter Geld verdienen konnten (vgl. Thode-Arora 1989).
Missverständnisse, Geiselnahmen und Menschenraub Bereits von den ersten Expeditionen, die zur Suche nach der Abkürzung zu den Gewürzen aufgebrochen waren, wurden Bewohner des Landes mit nach Europa gebracht. König Heinrich VII. staunte vermutlich nicht schlecht, als Sebastian Cabot ihm 1501 oder 1502 drei Männer vorführte, die sein Vater 1497 vermutlich von der Küste Labra-
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dors mitgebracht hatte. Über die drei ist nur wenig bekannt, sie wurden aber immerhin von Richard Hakluyt in seiner Reisesammlung kurz erwähnt und bildeten den Auftakt für eine Reihe von Entführungen von Inuit, die zunächst unfreiwillig in späteren Jahrhunderten sogar mit ihrem Einverständnis nach Europa verschifft wurden, um dort der Aristokratie bzw. der neugierigen Gelehrtenwelt und später sogar einer breiten Öffentlichkeit präsentiert zu werden (Abb. 7.2, Farbtafel). Die erste überlieferte bildliche Darstellung von Eskimo stammt aus dem Jahr 1567 und ist in leicht unterschiedlichen Varianten an mehreren Orten im Druck erschienen. Dem beigefügten Text zufolge wurden die abgebildeten Eskimo von der Besatzung eines französischen Schiffs, das 1566 nach „Terra Nova“ gesegelt war, nach Europa gebracht. Es heißt, die Matrosen hätten eine kleine Familie (Mann, Frau und Kind) gesehen, die sie mit in ihre Heimat nehmen wollten. Der Mann habe sich gegen die Gefangennahme gewehrt, sei verwundet worden und später seinen Verletzungen erlegen, aber nicht ohne vorher noch zwölf (!) Franzosen und Portugiesen erschlagen zu haben, in der Hoffnung sie zu verspeisen, weil „sie menschliches Fleisch jedem anderen Fleisch vorzogen“ (Oswalt 1999, S. 166). In der Vorstellung der Europäer konnte es sich bei den Fremden nur um Menschenfresser handeln. Kannibalismus wurde unterstellt, ohne irgendeine Kenntnis der Kultur zu haben. Frau und Kind wurden an Bord gezwungen und mit nach Antwerpen genommen. Außer in Antwerpen wurden Mutter und Kind noch in Den Haag gezeigt. Was aus ihnen geworden ist, ist leider nicht bekannt (Sturtevant und Quinn 1999, S. 68). Vermutlich war mit Terra Nova Labrador gemeint und es handelt sich bei dieser Darstellung tatsächlich um Eskimo, die hier erstmals Spuren in bildlichen und schriftlichen Quellen hinterlassen haben. Die Darstellung zeigt typische Elemente der Inuitkleidung, wie die große Kapuze und den verlängerten Schoß am Anorak. Auch Fellhosen und Fellstiefel sind deutlich zu erkennen und dafür, dass es sich um Holzschnitte handelt, sogar erstaunlich gut gelungen. Die Kleidung wird als „von Robbenhaut gemacht“ beschrieben (Sturtevant und Quinn 1999, S. 64). Der die Darstellung begleitende Text steht in erheblichem Kontrast zur Abbildung und zeugt mehr von der europäischen Einstellung den Fremden gegenüber als von interessierter Kenntnisnahme. So hatte man schnell eine Erklärung für die Gesichtstätowierungen der Frau parat: Es hieß, die Tätowierung der Frauen diene ihren Männern als Erkennungszeichen, „dann sonst lauffen sie under einander wie das Vihe“ (Traeger 1991, S. 116). Die abschließenden Sätze verdeutlichen den Geist, in dem die Beschäftigung mit den Menschen aus dem fremden Norden erfolgte, denn man dankte Gott, dem Allmächtigen, „das wir nicht so gar wilde Leut und Menschenfresser seind“, die „schier ärger als das Vihe leben“ (Traeger 1991, S. 116).
Scharmützel in der Frobisherstraße Als Martin Frobisher von seiner ersten Expedition zur Suche nach der Nordwestpassage im Oktober 1576 nach England zurückkehrte, hatte auch er eine Geisel an Bord.
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Abb. 7.3: Inuk, der im Jahre 1576 von Frobisher nach London gebracht wurde. Er hatte den Inuk mitsamt Boot entführt, um ihn gegen seine eigenen fünf abhandengekommenen Landsleute auszutauschen, was ihm aber nicht geglückt war. Die Fremdartigkeit des Gefangenen und die Unmöglichkeit der Verständigung mit ihm bezeugten, wie mutig sich Frobisher in völlig unbekannte Gefilde gewagt hatte (Sturtevant und Quinn 1999, S. 69). Immerhin hatte Frobisher eine gewisse Verantwortung für seinen Schützling übernommen, der allerdings bald nach seiner Ankunft in London an einer Erkältung starb, die er sich auf See zugezogen habe (Abb. 7.3). Die Rechnungen für die Expedition weisen aus, dass sowohl Frobisher als auch der Hauptfinanzier der Expedition, Michael Lok, Ausgaben für den Eskimo übernommen hatten. Der größte Teil der von ihnen verauslagten Kosten wurde jedoch für seine Beerdigung verwendet. Die Rechnungen zeigen aber auch, dass der flämische Maler Cornelis Ketel den Auftrag erhalten hatte, acht Bilder von dem Mann und seinem Boot sowie seinen Waffen anzufertigen. Leider hat keines dieser Bilder bis heute überdauert. Lediglich eine Zeichnung eines anderen Künstlers, Lucas de Heere, ist erhalten geblieben, wobei nicht geklärt ist, ob Lucas de Heere den lebendigen Inuk oder eines von Ketels Bildern als Vorlage verwendete. Die Zeichnung erschien in einem damals gängigen Kostüm- und Trachtenbuch. Während Frobishers zweiter Reise im Jahr 1577 gab es weitere Begegnungen mit Inuit. An einer Stelle im Süden von Kodlunarn Island (Insel der Weißen Männer), die Frobisher später Bloudie Point taufte, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf es Tote gab. Als die Inuit die Flucht ergriffen, nahmen die Engländer eine junge Frau mit Kind gefangen. Frobisher hatte bereits einen männlichen Inuk an Bord, der vorher von einem Seemann überwältigt worden war. Verstörend wirkte auf die Seeleute, dass sie in einem Lager der Inuit englische Kleidungsstücke fanden, zum Beispiel ein von Pfeilen durchlöchertes Wams, von dem sie annahmen, es gehöre einem ihrer im Vorjahr 100 Meilen weiter nördlich verschollenen Kollegen. Mittels der drei Geiseln
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wollte Frobisher erneut versuchen, seine Landsleute zu befreien, was wieder scheiterte. So wurden Mann, Frau und Kind mit nach England genommen (Williams 2009, S. 23). Der Mann hieß Kalicho, die Frau Arnaq und das Kleinkind Nutaaq. In Bristol erregten die drei Gefangenen großes Aufsehen und Kalicho führte den Einwohnern der Stadt auf dem Fluss Avon – es ist nicht bekannt ob freiwillig oder unter Zwang – seine Geschicklichkeit im Umgang mit dem Kajak vor (Abb. 7.4, Farbtafel). Aber auch diese drei starben bald nach ihrer Ankunft in England. Es wurde zunehmend Mode, lebendige „Souvenirs“ von Expeditionen nach Europa mitzubringen und diese als Kuriositäten einem staunenden Publikum vorzuführen. Meist waren die Aufenthalte der Eskimo in Europa nur von kurzer Dauer. Die ungewohnte Ernährung, das feuchte und für sie zu warme Klima, Infektionskrankheiten, aber auch Heimweh, Irritation und Verzweiflung im neuen Umfeld und in einigen Fällen ihre schlechte Behandlung setzten ihrem Leben oft ein allzu rasches Ende (Steffen-Schrade 1999, S. 8). Dass schon die ersten Treffen zwischen Eskimo und Engländern in Frobisher Bay zu feindlichen Handlungen führten, erklärt die Historikerin Renée Fossett damit, dass sich die Kultur der Inuit in Frobisher Bay ab ca. 1550 aufgrund der einsetzenden Kleinen Eiszeit in einem Prozess einschneidender Veränderungen befand. Bis dahin hatten sie ein hauptsächlich sesshaftes Leben in kleinen Dörfern geführt und sich hauptsächlich vom Walfang ernährt. Mit Beginn der Kleinen Eiszeit gingen die Wale zurück, was die Inuit dazu zwang, auf unterschiedliche Nahrungsressourcen zurückzugreifen, die weiter voneinander entfernt waren, was ihnen eine größere Mobilität abverlangte. Sie nahmen eine nomadische Lebensweise auf und wechselten von ihren festen, halbunterirdischen Häusern aus Stein und Grassoden zu leichteren Konstruktionen aus Fellen. Der generelle Kampf um geringer werdende Ressourcen habe die Bereitschaft der Inuit, ihr Gebiet gegen Eindringlinge zu verteidigen, die möglicherweise auf die gleichen Nahrungsmittel zurückgreifen wollten, stark erhöht (Fossett 2001, S. 33 – 35). Außerdem vermutet sie, dass die Inuit das Fehlen von Frauen auf den Schiffen der Weißen als Zeichen interpretiert hätten, dass die Kabluna nicht mit friedlichen Absichten gekommen sein konnten, sonst hätten sie ihre Frauen mitgebracht (Fossett 2001, S. 51) (Abb. 7.5, Farbtafel). Schon seit den ersten Begegnungen gab es neben Unverständnis und kriegerischen Auseinandersetzungen auch intellektuelle Neugierde. So entwickelte Christopher Hall, Frobishers Stellvertreter, ein gewisses Interesse für die Inuit. Er gilt als der erste Europäer, der Feldnotizen über sie anfertigte. Er trug sogar eine Liste von 17 Wörtern zusammen, aufgeschrieben nach Gehör und mit englischer Übersetzung versehen, so wie er glaubte, die Bedeutung verstanden zu haben (Oswalt 1999, S. 27). Nach diesen ersten kurzen Zusammenstößen mit englischen Seeleuten (tatsächlich vergingen fast 300 Jahre, bis ein Weißer – Charles Francis Hall – die Insel Kodlunarn erneut aufsuchte [Williams 2009, S. 28f.]) etablierten sich dauerhaftere Kontakte erst mit den Walfängern im 18. und 19. Jahrhundert. Den Walfängern folgten Händler und Missionare. Insbesondere die Missionare fingen an, sich mit der Kultur der Inuit zu be-
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Abb. 7.6: Eisberg im Lancaster Sound. schäftigen und die Sprache zu lernen, um erfolgreicher mit ihren Bekehrungsversuchen voranzukommen. Neben den Tagebüchern von Seeleuten spielen denn auch die Notizen der Missionare über die einzelnen Kulturen für die Ethnologie eine entscheidende Rolle. In vielen Regionen hatten bereits erhebliche Veränderungen der Kulturen durch europäische Einflüsse stattgefunden, als die ersten Ethnologen dorthin gelangten. Aber auch bei diesen älteren Beschreibungen der sogenannten traditionellen Lebensweise handelt es sich natürlich nur um Momentaufnahmen, denn die Kulturen waren ohnehin nicht statisch und hatten sich im Laufe der Jahrhunderte auch ohne die Einflüsse der Weißen gewandelt.
Baffinland-Inuit Archäologische Funde deuten darauf hin, dass die Nordküste der Hudsonstraße bereits seit 2200 v. Chr. bewohnt war. Von ca. 500 v. Chr. bis 1400 n. Chr. lebten dort Menschen der Dorset-Kultur und ab ca. 1200 n. Chr. breitete sich die Thule-Kultur aus. Ausführlichere Beschreibungen der Baffinland-Inuit verdanken wir dem in Deutschland gebürtigen Begründer der amerikanischen Ethnologie, Franz Boas, der 1883/84 auf Baffin Island forschte. Die Baffinland-Inuit bewohnten den südlichen Teil von Baffin Island. Der Tidenhub an der Ostseite von Baffin Island ist extrem hoch und gehört an einigen Stellen, wie z. B. Iqaluit (der heutigen Hauptstadt von Nunavut) mit bis zu 12 m zu den höchsten der Welt (Abb. 7.6).
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Wie bei den meisten Arktisbewohnern unterlag das Leben der Baffinland-Inuit jahreszeitlichen Zyklen. Im Winter jagten sie Robben an ihren Atemlöchern und im Frühjahr Ringelrobben, Walrosse und Belugawale am Eisrand. Im Frühsommer dominierte Fischfang die wirtschaftlichen Aktivitäten, außerdem wurden Eier von Eiderenten gesammelt; Wurzeln und Muscheln ergänzten das Nahrungsangebot. Im Spätsommer konzentrierten sich die Baffinland-Inuit auf die Karibujagd im Landesinneren, im Herbst wurde mit Steinwehren Fischfang (Saibling) betrieben, im Spätherbst konzentrierte man sich auf die Walross- und Waljagd (Narwal und Beluga), um dann im Winter wieder am Atemloch zu jagen. Die wichtigsten Waffen waren Harpunen für die Seesäugerjagd und Pfeil und Bogen für die Jagd auf Karibus. Bogen wurden aus Treibholz oder Karibugeweih hergestellt und mit Riemen aus Robbenhaut verstärkt. Winterliches Transportmittel war der Hundeschlitten (Abb. 7.7). Auch die Behausung war saisonal unterschiedlich. Im Winter wohnte man in Schneehäusern (Iglus) und im Sommer in Zelten, deren Vorderseite aus extrem dünner Haut bestand, damit Licht eindringen konnte. Die hintere Seite bestand aus Fellen, um Kälte und Regen abzuhalten. Winterkleidung fertigten die Frauen der Baffinland-Inuit aus den Fellen von Karibus, Sommerkleidung bestand hingegen aus einer Kombination von Robben- und Karibufellen. Ähnlich wie im Nordosten Grönlands wurden Hosen aus Eisbärenfell getragen. Im Sommer schützte man die Füße mit Robbenfellstiefeln, im Winter wurden wärmere Stiefel aus Karibufell mit Sohlen aus Robbenhaut bevorzugt.
Abb. 7.7: Jagd am Atemloch.
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Verwandtschaftliche Beziehungen regelten das soziale Leben, man sprach sich sogar statt mit Namen mit der entsprechenden Verwandtschaftsbezeichung an.
Zwei Winter bei den Iglulik Besonders ergiebig sind die Reisejournale aus dem 19. Jahrhundert über die Gruppen der zentralen Arktis, zu denen Iglulik, Netsilik und Inuinnait (Kupfer-Eskimo) gehören. In vielen Fällen waren die Expeditionsteilnehmer auf der Suche nach der Nordwestpassage die ersten Weißen, die die zentralarktischen Inuit zu Gesicht bekamen, und Vieles, was man über ihre Kulturen weiß, stammt von den Beobachtungen der Kapitäne, Offiziere, Ärzte und Dolmetscher. So kam es, dass durch die Suche nach der Nordwestpassage mit der Erkundung von verschiedenen Inuitgruppen begonnen wurde, noch bevor sich die Ethnologie als eigenständige Wissenschaft institutionell etabliert hatte. William Edward Parry verbrachte während seiner zweiten Expedition mit den Schiffen Fury und Hecla die Winter 1821/22 und 1822/23 im Lebensraum der Iglulik (Melvillehalbinsel). Sowohl er als auch sein Stellvertreter, George Francis Lyon, schrieben eifrig Tagebuch und dokumentierten, was sie von der Lebensweise der Iglulik verstanden zu haben glaubten. Auch wenn die veröffentlichten Tagebücher im Titel als „private journals“ bezeichnet wurden, waren sie bereits mit Blick auf eine künftige Leserschaft geschrieben und „private“ bezieht sich wohl eher darauf, dass sie persönliche Beobachtungen enthalten und es sich dabei nicht um nautische Logbücher handelt. Das erste Zusammentreffen zwischen den Expeditionsteilnehmern und einigen Iglulik fand am 1. Februar 1822 statt. Vorsichtig näherten sich die Iglulik den Schiffen. Man ging unbewaffnet aufeinander zu und tauschte Geschenke aus. Später luden die Iglulik die Kabluna in ihre ungefähr drei Kilometer entfernt liegende Siedlung ein. Lyon war von der Ansammlung von miteinander verbundenen Iglus beeindruckt. Später fand er heraus, dass dort 64 Personen wohnten, die zu 13 Familien gehörten (Oswalt 1999, S. 171) (Abb. 7.8). Die Gruppen der zentralen Arktis entsprechen noch am ehesten dem typischen Eskimo-Stereotyp, das sich durch Beschreibungen ihrer Lebensweise herausgebildet hat. Es ist extrem kalt in ihrem Lebensraum, minus 50 Grad sind im Winter keine Seltenheit und selbst die kälteangepassten Tundrapflanzen kommen nur sehr spärlich vor. Der Bewuchs beschränkt sich auf Flechten, Moose und einige grasartige Pflanzen. Die Sommer sind kurz, kühl und nebelig – die Niederschlagsmenge ist gering. So sind die Gruppen der zentralen Arktis tatsächlich jene, die die meiste Zeit des Jahres im Iglu, einem kuppelförmigen Haus aus Schnee, wohnen. Dieses war mit einem Fenster aus Eis versehen. Es wohnten mehrere Familien in einem Iglu und häufig wurden mehrere Iglus durch überdachte Gänge miteinander verbunden. Lyon und Parry beschrieben außerdem Häuser aus Walknochen, Steinen und Grassoden mit einem Dach aus Häuten. Um Licht hineinzulassen wurden diese Häuser mit einem Fenster aus Robbendarm ausgestattet.
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Abb. 7.8: Ansammlung von Iglus nach einer Skizze von John Ross. Parry hatte eine Liste von grönländischen Wörtern dabei, die ihm das Erlernen von Sprachfetzen erleichterte. Er stellte dann selbst eine Wortliste mit 750 Einträgen zusammen (Parry 1824, S. 557 – 569; Bravo 1996, S. 9). Eine Frau namens Iligliuk begeisterte Parry, weil sie es verstand, die Küstenverläufe und weiten Landschaften, in denen sie weite Schlittenreisen unternahm, auf Papier zu bringen, das sie vorher ja nie gesehen hatte (s. Abb. 4.8, S. 95). Der Kapitän hatte allerdings Mühe, das Raumkonzept von Iligliuk mit seinem eigenen in Einklang zu bringen. Beispielsweise machte sie keine für Parry nachvollziehbaren Entfernungsangaben, sondern zeichnete Übernachtungsplätze auf ihrer Karte ein, die jeweils eine Tagesreise voneinander entfernt lagen. Die Tagesreisen waren aber sehr unterschiedlich lang, je nach Gelände und Eis- sowie Wetterbedingungen. Dennoch war Parry erstaunt über die Genauigkeit, mit der sie auch ihm bekannte Küstenverläufe wiedergeben konnte. Zu Parrys Freude ging aus ihrer Karte hervor, dass sie kurz davor waren, die gesuchte Durchfahrt nach Westen zu finden. Wie sich aber später zeigen sollte, war die Fury-und-Hecla-Straße mit Eis verstopft und es wurde nichts aus dem ersehnten Ziel der Reise. Die Frauen der Iglulik waren im Gesicht und am Körper tätowiert. Lyon zeigte großes Interesse für diese Tätowierungen, und um zu verstehen, wie sie gemacht wurden, ließ er sich selbst tätowieren und beschrieb diesen Prozess ausführlich. (Abb. 7.9) Schockiert äußerte Parry sich über den Umgang der Iglulik mit Sterbenden. Sie wurden mit etwas Nahrung und Licht versorgt in einem Iglu zurückgelassen, ohne dass
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Abb. 7.9: Tätowierte Eskimofrau gezeichnet von George Lyon. man sich weiter um sie kümmerte. Das empörte Parry, der ein sehr religiöser Mensch war. Entsetzt war er auch darüber, dass unter dem Müll, der sich um einen Siedlungsplatz ansammelte, neben Fett, Resten von Häuten und Tierknochen auch menschliche Knochen zu finden waren. Andererseits hielt ihn sein Schaudern nicht davon ab, an solchen Stellen menschliche Schädel aufzusammeln und für die anthropologischen Sammlungen in England mitzunehmen (Harley Eber 2008, S. 21). Im Lebensraum der Iglulik kamen Ringel- und Bartrobben, Grönlandwal, im Sommer Narwal und Beluga sowie Walrosse vor. Außerdem gab es Eisbären und Karibus, aber so gut wie keine Moschusochsen. Der Saibling ging in alle großen Flüsse, Schneegänse und Prachteiderenten gab es in großer Zahl. Parry schrieb, dass ganze Gruppen von Kajakfahrern gemeinsam Grönlandwale verfolgten. Und John Rae hatte während seiner Expeditionen beobachtet, dass zur Jagd auf Walrosse in offenem Wasser mehrere Kajaks zusammengebunden wurden. Für jedes Tier gab es eine speziell dafür angefertigte Harpunenspitze, so dass die Waffen optimal an die jeweilige Beute angepasst wurden. Karibus wurden vom Kajak aus erlegt, während sie durch einen See schwammen. Vögel wurden mit speziellen mehrspitzigen Vogelpfeilen gejagt, die mit Hilfe eines Wurfbretts geworfen wurden. Wenn die Iglulik im Sommer unterwegs waren, lebten sie in ähnlichen Zelten wie die Baffinland-Inuit. Gekocht wurde in einem Gefäß aus Speckstein, das über die Specksteinlampe gehängt wurde. Feuer wurde entweder mittels eines Pyrits und eines Flintsteins geschlagen oder mit einem Feuerbohrer entfacht. Teilweise wurde Fleisch gegart, aber auch roh und gefroren gegessen. Aufgabe der Frauen war die Herstellung von Kleidung. Die dafür benötigten Häute, insbesondere die für Stiefelsohlen mussten weichgekaut werden, bevor sie mit Nadeln aus Knochen und Fäden aus Sehnen genäht werden konnten. Sowohl Männer als auch Frauen trugen einen Anorak aus Karibufell und Hosen, die bis zum Knie reichten. Die Männeranoraks hatten hinten einen langen Schoß und vorne einen kurzen, während die Anoraks der Frauen vorne und hinten einen langen schmalen Schoß aufwiesen. Unter der riesigen Kapuze der Frauen befand sich ein Beutel für den Säugling, der auf dem Rücken getragen wurde. Weite Armlöcher ermöglichten der Frau, ihr Kind zum Stillen nach vorne zu holen, ohne es bei der Kälte herausnehmen zu müssen. Kleine Kinder hatten nahezu unbegrenzte Freiheiten, lernten aber gleichzeitig, dass sie den Eltern und überhaupt Älteren Respekt zu erweisen hatten. Jüngere Geschwi-
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ster mussten sich auch den älteren Geschwistern unterordnen. Kinder wurden häufig in andere Familien gegeben, was zu einem engen Verhältnis zwischen den leiblichen Eltern und den Adoptiveltern führte und so die Bande zwischen nicht verwandten Familien festigte. Der Frauentausch kam vor, führte aber oft zu heftigen Rivalitäten und Auseinandersetzungen. Meist wurden die Iglulik schon als Kinder „verlobt“. Wenn sie heranwuchsen, musste der Mann einige Monate für seinen Schwiegervater arbeiten, bevor er „heiraten“ konnte. Polygamie war relativ häufig, da viele Männer bei Jagdunfällen ums Leben kamen und es dadurch einen Frauenüberschuss gab. Trennungen gab es recht häufig, vor allem bei jungen Leuten. Erst wenn Kinder da waren, wurden die Beziehungen stabiler. Den zweiten Winter verbrachten Parry und Lyon in der Nähe einer vergleichsweise großen Siedlung, Iglulik. Parry zählte dort 219 Einwohner und dokumentierte während des Winters 18 Sterbefälle und 9 Geburten. 60 Personen verließen das Dorf und zogen nach Aivilik in der Repulse Bay, weil die Ressourcen im Umfeld von Iglulik nicht für alle reichten (Fossett 2001, S. 127). Die Beschreibungen der Iglulik von Parry und Lyon waren so umfangreich, dass sie sogar noch 1984 im fünften Band des „Handbook of North American Indians“ über die Arktis ausgiebig zitiert werden. Schließlich handelt es sich um die frühesten Quellen zur Lebensweise der Iglulik. Aufgrund der Überwinterungen von Parry und Lyon weiß man über die Iglulik mehr als über die anderen Gruppen der zentralen Arktis. Allerdings beschränkten sie sich nicht zuletzt wegen ihrer nur rudimentären Sprachkenntnisse nur auf das Beobachtbare. Erst Knud Rasmussen konnte mehr über das geistige Leben und die religiösen Vorstellungen in Erfahrung bringen. Offenbar hatte das Leben der Iglulik sich in den 100 Jahren zwischen Parry und Rasmussen nur wenig verändert, weil sie sehr isoliert lebten. Sie bekamen auch keinen Besuch mehr von Weißen auf ihren Schiffen, was ihrer eigenen Überlieferung zufolge daran lag, dass ein Schamane die Schiffe der Weißen mit einem Fluch belegt hatte, als sie Iglulik verließen. Dieser Fluch wurde erst 1912/13 mit der Ankunft eines französisch-kanadischen Goldsuchers, Alfred Tremblay, gebannt. Hierbei übergeht die mündliche Überlieferung allerdings Charles Francis Halls Besuch bei den Iglulik, als dieser auf der Suche nach Überlebenden der Franklin-Expedition war (Eber 2008, S. 33f.). Wie es zu diesem Bannfluch gekommen war, schildert Dorothy Harley Eber folgendermaßen: Der Kontakt zwischen den Engländern und den Iglulik war bis kurz vor Schluss friedlich und zu beiderseitiger Zufriedenheit verlaufen. Über die plötzliche Verschlechterung der Beziehungen sind bei den Inuit noch heute zwei unterschiedliche Versionen im Umlauf. In der einen Version heißt es, dass einer der Engländer Gefallen an der Frau eines eifersüchtigen Schamanen gefunden hatte, der den Kontakt zwischen seiner Frau und dem Engländer unterbinden wollte und deshalb einen Bannfluch ausgesprochen hatte. In der anderen Variante geht es um eine gestohlene Schaufel. Parry schreibt selbst ausführlich darüber, wie er ein Exempel statuieren wollte und den Dieb zunächst einsperrte und dann im Beisein der anderen Iglulik auspeitschen
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ließ, im Glauben, sie würden verstehen, dass dies eine gerechte Strafe sei, die jeden bei vergleichbaren Verfehlungen ereilen würde. In der Geschichte, die sich unter den Inuit über weite Teile der Arktis ausgebreitet hatte, hieß es, der Dieb sei ein Schamane gewesen und die Weißen hätten ihn umbringen wollen, was ihnen aber nicht geglückt sei, da er von seinen Hilfsgeistern Schutz erhalten habe und seine schamanischen Fähigkeiten eingesetzt habe, um sich aus der Gefangenschaft der Weißen zu befreien. Dieser Schamane habe dann mit seinem Fluch über die Schiffe dafür gesorgt, dass 100 Jahre lang kein Schiff der Weißen mehr in der Lage war, die Insel Iglulik aufzusuchen (Eber 2008, S. 25 – 32). In beiden Varianten gehen die Inuit aber siegreich und überlegen und nicht gemaßregelt, wie Parry das empfunden hatte, aus der Situation hervor.
Reichtümer für die Netsilik oder wie wertvoll ist ein Wrack? George Back (1836), Sir John Ross (1835) und Roald Amundsen (1908) schrieben relativ ausführlich über die Netsilik, deren Lebensraum sich von Committee Bay im Osten bis zur Victoriastraße im Westen und von der Bellotstraße im Norden bis Garry Lake im Süden erstreckte, wobei King William Island, Adelaide- und Simpsonhalbinsel weitestgehend flach sind und die Boothiahalbinsel durch felsige Hügel geprägt ist. Die Netsilik hatten eine nomadische Lebensweise und insbesondere die Bewohner der Boothiahalbinsel waren es gewohnt, weite Strecken zu reisen, weil sie ein riesiges Territorium für ihren Lebensunterhalt nutzen mussten. Zeitweilig teilten sie sich in winzige Grüppchen auf, die manchmal nur aus einer einzigen Kernfamilie bestanden. Meist aber lebten sie in erweiterten Familien: entweder Eltern mit ihren verheirateten Söhnen und deren Kindern oder zwei Brüder mit ihren Frauen und Kindern. Eine dieser erweiterten Familien bewohnte mehrere miteinander verbundene Iglus. Der älteste Jäger einer Familie war gewissermaßen der Anführer; er entschied, wann die Familie weiterzog, suchte Jagdgebiete aus und beriet die jüngeren Männer bei allem was mit Jagd und Reisen zu tun hatte. Aber er durfte keine Anweisungen erteilen, sondern nur Ratschläge geben. Im Januar kamen die Nestilik in größeren Gemeinschaften zusammen, um am Atemloch Robben zu jagen (Fossett 2001, S. 142). Für die Jagd am Atemloch brauchte man möglichst viele Jäger. Da die Robben sich viele Atemlöcher offen halten und man nie wusste, an welchem sie auftauchen würden, war es wichtig, an möglichst allen Atemlöchern einen Jäger zu positionieren. Große Geduld war gefragt, oft musste man mehrere Stunden regungslos verharren, bis sich eine Robbe zeigte. Als Baumaterial nutzten die Nestilik hauptsächlich Schnee und Eis. Die wichtigsten Werkzeuge waren denn auch Schneemesser aus dem Geweih des Karibus, Schneeschaufeln und Eispickel mit einer Knochenspitze. Schlitten fertigten sie aus Knochen, Horn und Häuten. Die Kufen wurden aus gefrorenem Fisch, der in Häute gewickelt wurde, geformt und dann mit Eis „beschichtet“. Diese Schlitten konnten natürlich nur bei extrem kaltem Wetter eingesetzt werden; wenn plötzlich Tauwetter herrschte, kam man
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damit nicht mehr vom Fleck. Manche Gruppen machten ihre Schlittenkufen auch aus zusammengerollten und gefrorenen Robbenhäuten (Fossett 2001, S. 146f.). Es gab eine strenge Arbeitsteilung nach Geschlechtern: Die Männer machten alle Arbeiten mit Schnee. Die Frauen benutzten Schnee lediglich um das Dach des Iglus zu reparieren, wenn es anfing zu tropfen. Arbeiten mit Knochen, Holz, Eisen und Stein war gleichfalls die Aufgabe der Männer. Alles was mit Häuten und Fellen zu tun hatte, war die Domäne der Frauen. Alle Haushaltsgeräte, auch wenn sie von Männern hergestellt wurden, gehörten der Frau. Zum Besitz der Männer gehörten Waffen, Werkzeuge, Schlitten und Kajaks. Nicht gruppenkonformes Verhalten wurde mit Hohn und Spott geahndet. Konflikte wurden mittels öffentlicher Faustkämpfe oder Gesangsduellen, bei denen Spottlieder gesungen wurden, ausgetragen. In seltenen Fällen kam es zu einer allseits gebilligten Hinrichtung, aber nur wenn ein Individuum der Hexerei überführt wurde, als verrückt galt oder als extreme Bedrohung für die gesamte Gruppe empfunden wurde. Normalerweise versuchte man die Eskalation von Konflikten zu vermeiden, indem man sich zurückzog oder sogar ganz von der Gruppe fortging. In extremen Notzeiten wurden weibliche Säuglinge von den Netsilik getötet, bevor sie einen Namen bekamen, d. h. bevor sie echte Menschen waren. Darum wurde diese Form des Infantizids nicht als Mord angesehen (Fossett 2001, S. 229). Wie groß das Ausmaß der Kindstötungen tatsächlich war, ist jedoch umstritten. Sie werden aber als Erklärung dafür herangezogen, dass Frauen von weiter entfernt lebenden Gruppen mit Netsilik-Männern lebten, um nämlich den Mangel an Frauen auszugleichen, den es angeblich gegeben habe (Guting 1987; Fossett 2001, S. 145). Der Austausch von Menschen verschiedener Territorialgruppen schaffte darüber hinaus Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Gruppen, sorgte damit für friedliches Auskommen und verhinderte Inzucht. Wie alle Inuit, glaubten die Netsilik, dass nicht nur Menschen, sondern auch Tiere, Pflanzen und Steine eine Seele haben. Die Netsilik hatten viele Gebote und Verbote zu respektieren, die sich um die Jagd rankten und um die kritischen Phasen im Lebenszyklus, Geburt und Tod sowie Menstruation. Es ging dabei meist um die Trennung zwischen Land und Seetieren, die symbolische Teilung der Welt in Land und See. Das nicht Beachten dieser Verbote galt als Ursache von Krankheit und Unheil. Es gab drei Formen von Schamanismus: Die aktive Form beinhaltete Trance, die Verwendung eines geheimen Schamanenvokabulars und eine enge Beziehung zu Schutzgeistern. Die zweite Variante wurde als weniger effizient angesehen und bestand in der Befragung eines Hilfsgeistes zum Zwecke der Wahrsagerei. Die dritte Methode konzentrierte sich auf die Krankenheilung. Der Schamane ermittelte die Krankheitsursache – meist in Form eines bösen Geistes im Körper des Kranken – und zwang diesen, den Leib zu verlassen. Sir John Ross verbrachte drei Winter im Gebiet der Netsilik, bevor er die Victory zurücklassen musste. Felix Harbour, die Stelle, wo Ross den ersten Winter zubrachte,
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wurde von den Netsilik Kablunaaqhiuvik genannt – Ort, an dem man Weiße trifft (Eber 2008, S. 43). Die Begegnungen liefen freundlich ab, und es kam ein reger Tauschhandel in Gang. Die Engländer erhielten warme Kleidung und Fleisch von den Netsilik, die wiederum großes Interesse für Metallgegenstände zeigten. Sogar ein Hundegespann tauschten die Engländer ein und nutzten dies für Erkundungstouren. Nach dem dritten Winter war die Victory so stark beschädigt, dass Ross sie zurücklassen musste. Das Wrack der Victory bot in Hülle und Fülle, was für die Netsilik am schwierigsten zu bekommen war: Holz und Metall. Das veränderte die materielle Kultur der Netsilik, die ab 1832, als Ross mit seinen Männern das Schiff verlassen hatte, anfingen ihre Waffen mit Metallspitzen statt wie zuvor mit Spitzen aus Stein zu versehen (Fossett 2001, S. 146). Der britischen Marine wird häufig vorgeworfen, aus Überheblichkeit nicht von den Inuit gelernt zu haben. Das stimmt zwar zu einem gewissen Teil, es gibt aber auch Hinweise, dass einige Marineangehörige zumindest genau hingeschaut und das ein oder andere übernommen und beispielsweise erkannt haben, dass Schlittenreisen mit Hunden sehr viel effizienter durchzuführen sind, als wenn man Männer vor den Schlitten spannt. So haben auch James Clark und John Ross von den Inuit Schlittenhunde eingetauscht und verwendeten während ihrer Kartierungsarbeiten Hundeschlitten. Auch anderweitig hatte man sich Mühe gegeben. So wurde im Jahr 1850 auf Anordnung der Admiralität zum Nutzen arktischer Expeditionen ein Esquimaux-English-Wörterbüchlein herausgegeben, das auch ganze Sätze enthielt, wie die wichtige Frage, ob vor kurzem zwei große Schiffe gesichtet worden waren. Die Wörter und Sätze wurden phonetisch aufgeschrieben, damit jeder sie anwenden konnte. Die einzige Schwierigkeit bestand dann darin, die Antworten zu verstehen (Eber 2008, S. 108) (Abb. 7.10). Der Norweger Roald Amundsen ist berühmt dafür geworden, dass er während seiner zwei Winter in Gjøa Haven engen Kontakt zu den dortigen Netsilik hatte und sich viel von ihren Überlebenstechniken, angefangen von Fellkleidung über die Nutzung von Hundeschlitten und Kajakfahren bis zur Ernährung, die Skorbut vermeidet, angeschaut hatte und diese dann ja auch konsequent einsetzte, was ihn als Ersten zum Ziel am Südpol führte, während Robert Falcon Scott auf der Verwendung von Ponys zum Einrichten von Depots bestand und auf der Tour zum Pol die Männer die Schlitten selbst ziehen ließ. Dies war erheblich anstrengender als das Vorankommen mit Hundeschlitten und trug letztlich zum Tod Scotts und seiner Begleiter bei, nachdem sie über einen Monat später als Amundsen ebenfalls den Pol erreicht hatten.
Inuinnait (Kupfer-Eskimo) lösen geografische Rätsel Die Lebensweise der Inuinnait ist ähnlich wie die der Iglulik und Netsilik, mit denen sie häufig zu Zentral-Eskimo zusammengefasst werden. Herausragende Besonderheit sind die Kupfervorkommen in ihrem Lebensraum, denen sie die Bezeichnung Kupfer-Eskimo verdanken. McClure war beeindruckt von den Werkzeugen, die sie aus dem kalt behauenen Kupfer herstellten.
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Abb. 7.10: Angehörige der Netsilik vor Amundsens Schiff Gjøa. Erste Kontakte der Inuinnait mit der europäischen Welt fanden während der Suche nach Franklins verschollenen Schiffen statt. Robert McClure mit der Investigator hielt sich im Winter 1850/51 im Lebensraum der Kupfer-Eskimo auf. Einige Meilen nördlich des Minto Inlet traf eine von McClures Schlittenexpeditionen unter der Leitung von William Haswell auf eine Gruppe von 18 Inuinnait. Zwar wurden Geschenke ausgetauscht, aber eine Verständigung war nicht möglich und deshalb brachte Haswell auch keine neuen Informationen mit (Condon 1996, S. 24). Als McClure von dem Zusammentreffen hörte, machte er sich ein paar Tage nach Haswells Rückkehr zusammen mit seinem Dolmetscher, Johann Miertsching, auf den Weg und fand die Gruppe an der von Haswell beschriebenen Stelle. Die Kommunikation funktionierte nun etwas besser und McClure ließ sich eine Karte der Umgebung zeichnen. Dadurch erfuhr er, dass Victoria Land, Prince Albert Land und Wollaston Land alles Teile ein und derselben großen Insel sind, was die Engländer bis dahin nicht wussten. Ähnlich wie die von John Ross zurückgelassene Victory wurde die Investigator für Jahre ein wichtiges Rohstofflager für die Kupfer-Eskimo, die sich besonders für Metall und Holzteile interessierten.
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Auch Collinson gelangte mit der Enterprise in den Lebensraum der Inuinnait. Ohne Dolmetscher war die Kommunikation für ihn jedoch schwieriger als für McClure und er beschränkte sich auf den Austausch von Geschenken. Der zweite Schiffsarzt, Edward Adams, fertigte einige Skizzen und Zeichnungen an. Ihm verdanken wir die ersten bildlichen Darstellungen der Kupfer-Eskimo (Condon 1996, S. 34).
Franklin und die Mackenziedelta-Eskimo Während seiner zweiten Landexpedition erreichte Franklin im Juli 1826 das Mackenziedelta. Kurz nachdem er sich von dort nach Westen gewandt hatte, traf er erstmals auf Eskimo und wurde von ihnen feindlich empfangen. Seinem Dolmetscher Augustus (Tattannoeuck) gelang es, die Eskimo von Franklins friedlichen Absichten zu überzeugen, und es kam zu einem kurzen Tauschhandel. Franklin hat nicht viel über die Eskimo aufgeschrieben, er war froh, wenn er sie nicht traf, weil sie ihn nur aufhielten. So kommt es, dass die ersten ausführlicheren Beschreibungen ihrer inzwischen untergegangenen Kultur von dem katholischen Missionar Emile Petitot stammen, der sich Ende des 19. Jahrhunderts einige Zeit bei ihnen aufgehalten hatte. Die am Mackenziedelta beheimateten Eskimo waren den Inupiaq in Alaska ähnlicher als den Inuit im übrigen Kanada. Ihr Lebensraum war reich an Robben und Fisch, was ihnen das Zusammenleben in umfangreicheren Gemeinschaften erlaubte und zu einer größeren Bevölkerungsdichte führte als in anderen Gebieten Nordkanadas. Die Zahl der Mackenziedelta-Eskimo wird für das Jahr 1830 mit 2000 angegeben (Morrison 1985, S. 74; Nagy 2006, S. 72). Die Küstenbewohner betrieben vom Umiak aus Jagd auf Grönlandwale, während direkt im Delta des Mackenzie Weißwale die wichtigste Nahrungsgrundlage bildeten, die im Sommer ins flache Wasser kamen um zu fressen. Wenn die Belugas in die Flussarme hineinschwammen, schnitt man ihnen mit Kajaks den Rückweg ab. Ergänzend betrieben die Mackenziedelta-Eskimo Fischfang, Robben- und Karibujagd. Als Baumaterial stand den Mackenziedelta-Eskimo Treibholz in riesigen Mengen zur Verfügung, aus dem sie große, halbunterirdische Häuser bauten, die durch einen tiefergelegten Eingangstunnel, der als Wärmefalle diente, betreten wurden. Jedes Haus wurde von mehreren Familien bewohnt. Ähnlich wie in Alaska hatten auch die Mackenziedelta-Eskimo spezielle Männerhäuser, in denen sie zu Festlichkeiten zusammenkamen. Die Männer trugen Lippenpflöcke aus poliertem Stein oder Elfenbein. Im Gegensatz zu den Inuit in der zentralen Arktis war die Führerschaft einer Gruppe vererbbar (Abb. 7.11). Die Siglit, wie sie sich selbst nannten, fielen im späten 19. Jahrhundert Krankheiten zum Opfer, die die Walfänger eingeschleppt hatten. Dies führte zum fast völligen Verschwinden der einst zahlreichen Gruppe. Weil die Walfänger aber Eskimo als Hilfspersonal für den Walfang benötigten, brachten sie Inupiaq aus Alaska mit, die sich mit
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Abb. 7.11: Bild eines Inuk aus Qikiqtaryuk gezeichnet während Franklins Reise zum Yukon 1826. den Siglit vermischten. Die Nachfahren dieser Mischbevölkerung nennen sich heute Inuvialuit und sind inzwischen wieder relativ zahlreich (Lührmann 2000, S. 33; Nagy 2006, S. 72).
Verdrängungen Ganz anders verlief der Kulturkontakt während des 18. Jahrhunderts an den Handelsposten der Hudson’s Bay Company. Dadurch, dass es regelmäßig zu Überwinterungen kam und viele Mitarbeiter der HBC sich mehrere Jahre hintereinander in einem der Forts aufhielten, kam es zu engerem Zusammenleben mit den dortigen Indianern. Viele der Engländer taten sich mit einer Indianerin, einer sog. „country-wife“, zusammen. Die Kinder, die aus diesen Verbindungen hervorgingen, lernten sowohl die einheimische Sprache als auch Englisch und wurden später gerne als Dolmetscher eingesetzt. Auch durch das gemeinsame Reisen bzw. den Kontakt mit den „home-indians“, also solchen Indianern, die sich dauerhaft in der Nähe der Handelsposten ansiedelten, lernten auch einige der Engländer zumindest so viel Chippewyan, dass eine rudimentäre Verständigung möglich wurde. Problematisch war für die Mitarbeiter der HBC, dass sie im Kontaktbereich von Eskimo und Indianern lebten und häufig in Streitigkeiten zwischen den beiden Gruppen gerieten. Es war schwierig, sowohl mit Eskimo als auch mit Indianern gute Beziehungen aufrechtzuerhalten. Der Umgang der HBC mit der indigenen Bevölkerung war insgesamt sehr viel pragmatischer als der der Marineangehörigen während der Suche nach der Nordwestpassage. Dieser pragmatische Umgang ist aber auch dafür verantwortlich, dass in den Aufzeichnungen der HBC sich kein Material befindet, das herangezogen werden könnte, demographische Veränderungen an der Westseite der Hudson Bay zu rekonstruieren; solches Material lieferten hingegen die Marineangehörigen (Fossett 2001, S. 124). Das Landesinnere westlich der Hudson Bay war noch Ende des 18. Jahrhunderts, als Samuel Hearne sich auf die Suche nach den Kupfervorkommen machte, von denen er gehört hatte, von Chipewyan bewohnt. Diese infizierten sich durch den engen Kontakt zu den Weißen an der Hudson Bay mit Krankheiten, die zu einer drastischen Dezimierung ihrer Zahl führten und es den Eskimo ermöglichte, sich das Gebiet zu erschließen. So kam es zur Herausbildung der Karibu-Eskimo, die sich auf Inlandressourcen spezialisierten und fast ausschließlich von der Jagd auf Karibus lebten. Ihre Jagdmethoden äh-
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nelten denen anderer Inuitgruppen: Entweder verfolgten die Jäger die Tiere, schlichen sich an und töteten sie mit Pfeil und Bogen, oder sie erlegten sie vom Kajak aus, wenn sie ein Gewässer durchschwammen. Eine weitere Methode bestand darin, die Karibus mittels inuksuit in einen Hinterhalt zu locken. Unter einem inuksuk (plural inuksuit) versteht man Steine, die in Form eines Steinmännchens aufgeschichtet werden und als weithin sichtbare Landmarken zur Orientierung dienten, wichtige Orte markierten oder eben dazu verwendet wurden, die Zugrouten der Karibus zu beeinflussen. Im Herbst mussten große Mengen an Karibus erlegt werden, damit aus ihren Fellen Kleidung für den Winter hergestellt und Fleisch als Wintervorrat eingelagert werden konnte. Im Winter hielten die Karibus sich weiter südlich auf, so dass die Eskimo hauptsächlich auf ihre Vorräte angewiesen waren. Sie ergänzten das spärliche winterliche Nahrungsangebot, indem sie durch das Eis Fische fingen oder Moschusochsen jagten. Die Konzentration auf die Karibus barg das Risiko von Hungersnöten, wenn die Herden im Herbst ausblieben oder ihre Zugrouten änderten. In flachen Lampen verbrannten sie Karibufett, das zwar Licht spendete, aber nur wenig Wärme, so dass die Iglus, die als Winterbehausung dienten, nur durch die Körperwärme der anwesenden Personen beheizt wurden (McMillan 1995, S. 280f.). Die materielle Kultur der Karibu-Eskimo war sehr viel spärlicher als die der Küstenbewohner. Die ersten ausführlicheren Beschreibungen ihrer Kultur fertigte der Ethnologe Kaj Birket Smith in den Jahren 1921 – 1924 während Knud Rasmussens fünfter Thule-Expedition an.
Innerarktischer Fernhandel Zu ihrer Verblüffung stellten die Kabluna fest, dass es ausgeprägte Handelsnetze durch die gesamte Arktis gab. Selbst Gruppen, die noch nie Weiße gesehen hatten, verfügten über europäische Waren, die sie bei benachbarten Gruppen eingetauscht hatten. Lyon fiel beispielsweise auf, dass die Inuit der Melvillehalbinsel Kupferkessel und Eisenmesser besaßen, die die Namen europäischer Hersteller eingraviert hatten (Lyon 1824, S. 123; Parry S. 503f.). Das Kupfer, das in der Nähe des Coppermine River gefunden und kalt bearbeitet wurde, war ein sehr begehrtes Handelsgut, das weite Verbreitung fand. Im Gebiet der Kupfer-Eskimo gab es neben Kupfer auch Speckstein von extrem guter Qualität, der den Inuinnait gleichfalls als wichtiges Handelsgut diente. Mitte des 19. Jahrhunderts gelang es ihnen sogar, dafür russisches Eisen aus Sibirien einzutauschen (Condon 1996, S. 79). Selbst das Meteoreisen, das von einem bei Kap York im Nordwesten Grönlands niedergegangenen Meteoriten stammte, war aufgrund von Handelsbeziehungen fast in der gesamten Arktis verbreitet. Obwohl das Verhältnis zwischen den Netsilik und den Kupfer-Eskimo von Victoria Island durch Feindschaft geprägt war – sie warfen sich gegenseitig Grausamkeiten und Verrat vor –, trieben sie Handel miteinander (Jenness 1922, S. 49). Dank des Wracks der Victory verfügten auch die Netsilik über interessante Waren. So tauschten sie Eisen-
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messer und Harpunenköpfe, die sie aus den Resten der Victory hergestellt hatten, gegen Treibholz und Kupfer. Außerdem unternahmen die Netsilik extrem weite Schlittenreisen in den Süden, um von den Karibu-Eskimo Holz einzutauschen. John West untersuchte um 1823 die weitreichenden Handelsbeziehungen der Inuit und fand heraus, dass im Chesterfield Inlet ein wichtiger Treffpunkt verschiedener Gruppen war. Waren, die in Churchill von Europäern erworben worden waren, wechselten dort den Besitzer und wurden weiter nach Norden transportiert. Bei einer solchen Zusammenkunft in Chesterfield Inlet wurde erzählt, dass Inuit, die „am großen See im Norden leben“, zwei riesige Boote gesehen hatten, vor denen sie erschreckt davongelaufen seien und sich erst aus ihren Verstecken getraut hätten, als die riesigen Boote außer Sicht gewesen seien (Fossett 2001, S. 125). West glaubte, dass es sich bei den riesigen Booten um Fury und Hecla handelte, und fand Bestätigung in den Berichten von Parry und Lyon, aus denen hervorging, dass sie in Repulse Bay unerwartet offenes Wasser in einer Bucht sahen, die sonst vereist war. Dort sei ein Dorf gewesen, das wirkte, als sei es erst kürzlich verlassen worden. Lyon vermutete, die Einwohner seien vor den Schiffen geflohen. Als die Schiffe sich dann für den Winter bei Winter Island eingerichtet hatten und Kontakte zu den Inuit bestanden, bestätigte sich Lyons Vermutung, und er erfuhr, dass die Inuit sie heimlich beobachtet hatten (Fossett 2001, S. 125f.; Lyon 1824, S. 71; Parry 1824, S. 56, 175, 184).
Geschichte und Geschichten – oder zur Interpretation mündlicher Überlieferung So wie die Handelsgüter sich flächendeckend über die gesamte Arktis verbreiteten, geschah es auch mit Mythen, Geschichten und Erzählungen. Es gab keinerlei schriftliche Überlieferung, die Kultur der Inuit war eine rein mündliche. Das Geschichtenerzählen war für die Inuit die wichtigste Form der Unterhaltung. Man kam zusammen, tauschte sich aus, erzählte dieselben Geschichten immer wieder, natürlich mit Auslassungen und Ausschmückungen je nach aktueller Befindlichkeit. Dem Erzählen fiel neben der Unterhaltung aber auch die Rolle zu, Wissen weiterzugeben und einen gewissen Erfahrungsschatz zu erhalten; die gesamte Mythologie, religiöse Anschauungen, aber auch Alltagswissen und herausragende Erlebnisse wurden auf diese Weise konserviert und weitergegeben. Dass die Überlieferung sich nicht nur mit mythischen Inhalten beschäftigte, sondern auch mit historischen Ereignissen, wenn auch ohne exakte Zeitangaben und zum Teil etwas ausgeschmückt oder in verschiedenen Varianten, aber im Kern erkennbar, erfuhr auch Charles Francis Hall während seiner zwei ersten Arktisexpeditionen. Er ist aber auch gleichzeitig ein Beispiel dafür, dass die Interpretation der gehörten Geschichten nicht immer einfach ist. Oft las er aus den Bruchstücken, die man ihm erzählte, heraus, was er hören wollte, und füllte Andeutungen mit Inhalten, die er sich während seiner Vorbereitung auf die Expeditionen angelesen hatte (vgl. Kap. 5). Neben Charles Francis Hall beschäftigte sich auch der Reporter, der bei der Schwatka-
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Abb. 7.12: Silbenschrift des Inuktitut. Expedition dabei war, William Gilder intensiv mit den Geschichten der Inuit, die Ende des 19. Jahrhunderts natürlich noch präsenter waren als heute, wo aufgrund anderer Zerstreuungsmöglichkeiten wie Radio, Fernsehen und Internet das Erzählen mehr und mehr in den Hintergrund tritt. In vielen Teilen von Nunavut gibt es deshalb heute Projekte, die Geschichten und Lieder bzw. das, was davon noch erhalten geblieben ist, aufnehmen und archivieren. Durch solche Geschichten kann man Dorothy Harley Eber zufolge der Geschichtsschreibung neue Dimensionen beifügen – den Blick der Inuit auf die Suche bzw. eher auf die Sucher nach der Nordwestpassage (Abb. 7.12). Die Verschriftlichung der Sprachen der Inuit begann Ende des 18. Jahrhunderts, als die Herrnhuter Missionare in Labrador eine Rechtschreibung mit lateinischen Buchstaben für das Inuktitut entwickelten. Da es schwierig war, mit dem lateinischen Alphabet die Laute halbwegs korrekt wiederzugeben, suchte man nach anderen Lösungen. Mitte des 19. Jahrhunderts erfand der Methodistenmissionar Reverend Thomas Evans eine Silbenschrift für die Sprache der Cree; diese wurde 1876 durch den anglikanischen Missionar Rev. Edmund Peck für das Inuktitut angepasst. Sie ist relativ leicht zu lernen und hat sich bis heute in der östlichen und zentralen Arktis durchgesetzt, auch im öffentlichen Leben. In der westlichen Arktis werden Innuinaktun und Inupiat mit lateinischen Buchstaben geschrieben (Abb. 7.13, Farbtafel).
7.4 Veränderungen Der Bundesstaat Kanada wurde 1867 zu einer Zeit gegründet, als man sich, von einigen Enthusiasten wie Hall und Schwatka abgesehen, kaum noch für Franklin oder die Nordwestpassage interessierte. Kurz darauf schlossen sich weitere Provinzen dieser Kanadischen Föderation an. Siedler drangen nun immer weiter nach Norden und Westen der Plains vor, was im Jahr 1873 als Folge des Cypress-Hill-Massakers zur Gründung der North West Mounted Police führte, aus der 1904 die Royal North West Mounted Police und 1920 die heute noch existierende Royal Canadian Mounted Police (RCMP) hervorging.
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Der British North America Act von 1876 erwähnte weder Eskimo noch Inuit, es ging nur um „Indians and lands reserved for Indians“37. Inuit gab es in diesem Dokument nicht. Damals besaß Kanada die arktischen Inseln noch nicht und demzufolge gab es kaum Inuit innerhalb der damaligen Grenzen Kanadas (Tester und Kulchyski 1994, S. 13f.). 1880 übergab Großbritannien die arktischen Inseln an Kanada. Um welche Inseln es sich dabei im Einzelnen handelte, blieb offen, was später zu Irritationen zwischen Norwegen und Kanada führen sollte. In den Jahren, als all dies geschah, hatten die Inuit an den westlichen und östlichen Rändern der Arktis Kontakte zu Walfängern, die ihr Leben maßgeblich beeinflussten; die Gruppen in der Zentralarktis lebten aber noch einigermaßen unbehelligt. Zu einem extremen kulturellen Bruch kam es erst im 20. Jahrhundert. Aber auch als die arktischen Inseln 1880 von Großbritannien an Kanada übergingen, dachte man zunächst nicht an die indigene Bevölkerung. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war die Oberhoheit Kanadas im Norden zum einen durch USWalfänger, die in der Beaufortsee und in der östlichen Arktis operierten, bedroht, zum anderen durch Entdecker aus anderen Staaten, vor allem Briten, Norweger und Amerikaner. In erster Linie ist hier Otto Sverdrup zu nennen, der die nach im benannten Inseln entdeckt hatte und deren Zugehörigkeit zu Kanada erst 1930 eindeutig geklärt wurde. Norwegen verzichtete auf die Inseln, Kanada zahlte Sverdrup 67 000 $ für seine Expeditionsunterlagen (Tester und Kulchyski 1994, S. 110). Eine dritte Herausforderung für die noch junge kanadische Souveränität im Norden waren Grönländer, die auf Ellesmere Island, also in kanadischem Territorium jagten (Tester und Kulchyski 1994, S. 14). Der Walfang war nicht nur ein politisches, sondern auch ein wirtschaftliches Problem, weil wertvolle Ressourcen ungefragt aus kanadischem Gebiet entfernt wurden und dabei wie im Fall von Herschel Island kanadisches Land als Stützpunkt verwendet wurde. Als Reaktion darauf gründete Kanada 1903 drei Polizeistationen: Herschel Island, Fort Macpherson (ganz im Nordwesten Kanadas, 120 km südlich von Inuvik) und Fullerton Harbour (in Roes Welcome Sound an der Westküste der Hudson Bay). Die Regierung schickte das Schiff Neptune nach Baffin Island und nach Ellesmere Island, um Flagge zu zeigen. Die Patrouillen der RCMP waren extrem wichtig für die Bekundung kanadischer Souveränitätsansprüche im Norden. Als 1920 im Norman-Wells-Gebiet (westlich des Great Bear Lake am Nordufer des Mackenzie) in der westlichen Arktis bei Bohrungen Öl gefunden wurde, richtete Kanada mehr Aufmerksamkeit auf die Verwaltung des Nordens. Dazu gehörte die Gründung weiterer Polizeistationen wie z. B. in Craig Harbour auf Ellesmere Island und in Pond Inlet auf Baffin Island (beide 1922). 1924 wurde ein RCMP-Posten in Dundas Harbour im Südosten von Devon Island eröffnet. Alle drei waren strategisch wichtige Punkte, von denen aus die Einfahrt zu den arktischen Inseln von Osten aus kontrolliert werden konnte. In den 1920er und 1930er Jahren bestanden die Kontakte zwischen Inuit und Nicht-Inuit aus rein wirtschaftlichen Verbindungen. Die Inuit stellten dem weißen Polarfuchs nach, der ihnen als wichtigstes Handelsgut zur Erlangung europäischer Wa-
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ren diente. Um die Fuchsjagd weiter auszudehnen, siedelte die HBC Inuit in Gebiete um, die zuvor nicht von ihnen genutzt worden waren. Das bedeutete in vielen Fällen, dass die Inuit zunehmend abhängig von gekauften Lebensmitteln wurden, da sie jetzt in Regionen lebten, in denen es zwar viele Füchse gab, aber sonst kaum Wild, das ihnen als Nahrung hätte dienen können. Zusätzlich waren die Inuit durch die Fuchsjagd in ein höchst verwundbares ökonomisches System eingebunden, das sich nur auf ein Produkt stützte und extremen Preisschwankungen unterlag, deren Ursachen sich dem Erkenntnishorizont der Inuit aber nicht erschließen konnten. Dies machte sie – für sie selbst unverständlich – in Jahren guten Fangs aufgrund der niedrigen Preise, die dann aufgrund des Überangebotes für Fuchsfelle gezahlt wurden, von Sozialhilfe abhängig. Mit dem endgültigen Zusammenbruch der Fellpreise Ende der 1940er Jahre war es ihnen nicht mehr möglich, ihren Lebensunterhalt durch Fallenstellerei zu bestreiten. Eine Rückkehr zum traditionellen Leben war in den neuen Gebieten, in denen sie jetzt lebten, aber meist nicht möglich. Es wurde diskutiert, ob man die Inuit sich selbst überlassen oder ob der Staat die Kosten für Unterstützung übernehmen sollte. Die Lebensweise der Inuit hatte sich aufgrund der Einbindung in den Fellhandel und damit verbundenen Abhängigkeiten derart verändert, dass es, ohne Hilfeleistungen von außen, immer häufiger zu dramatischen Situationen kam und ganze Camps verhungerten oder ohne medizinische Versorgung an simplen Erkältungen starben (Tester und Kulchyski 1994, S. 22). Ein Argument gegen Hilfeleistungen war, dass Unterstützung die Unabhängigkeit der Inuit untergrabe und Armut hervorrufe (Tester und Kulchyski 1994, S. 24). Die Frage war auch, ob die Verantwortung für Hilfeleistungen beim Staat, den Handelsgesellschaften oder den Missionen liegen sollte. In den 1940er Jahren begann der kanadische Staat, sich in das Leben der Inuit einzumischen; sie sollten in die kanadische Gesellschaft als kanadische Bürger integriert werden. Außerdem wurden sie zu einem wichtigen Instrument zur Verteidigung kanadischer Hoheitsansprüche in der Arktis (Tester und Kulchyski 1994, S. 4). Das Leben der Inuit in der kanadischen Arktis änderte sich in den Jahren 1939 bis 1963 von Grund auf (Tester und Kulchyski 1994, S. 3). Bereits 1965 gab es so gut wie keine nomadisch lebenden Inuit mehr in der östlichen Arktis, d. h. in etwas über 20 Jahren, also innerhalb einer einzigen Generation hatte sich die Lebensweise komplett verändert. Oft gerieten die Inuit in die Mühlen der Feindschaft zwischen den anglikanischen und den römisch-katholischen Missionaren, die sich heftig bekämpften, gegenseitig verleumdeten und um Finanzmittel zum Betreiben von Schulen und Krankenstationen konkurrierten. Die Missionare ermunterten die Inuit, in die Siedlungen zu kommen, Kinder in die Kirchenschule zu schicken und die Messe zu besuchen, während die Royal Canadian Mounted Police die Inuit dazu motivieren wollte, hinaus aufs Land zum Jagen und Fallenstellen zu gehen, um sich selbst zu ernähren (Tester und Kulchyski 1994, S. 54). Viele der angebotenen Hilfsleistungen linderten zwar aktuelle Not und lösten vordergründig
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Probleme, schufen aber gleichzeitig neue. So war Tuberkulose während der 50er Jahre im Norden weit verbreitet und viele Inuit hatten sich damit infiziert. Dem versuchte man zu begegnen, indem man die Kranken in Krankenhäuser im Süden brachte und und sie dort stationär behandelte, was zwar zum Rückgang der Neuinfektionen führte, aber die Familienstrukturen, die ja das tragende Gerüst der Inuit-Gesellschaft waren, zerstörten. Im Jahr 1957 waren insgesamt 10 % der Inuit aus der östlichen Arktis zur Tuberkulosebehandlung in den Süden gebracht worden, was das Ausmaß der damit verbundenen Schwierigkeiten verdeutlicht (Tester und Kulchyski 1994, S. 53). Was die Familien zusätzlich auseinanderriss, war der Schulbesuch der Kinder. Die Schulen waren meist weit von den Camps der Inuit entfernt und wurden deshalb als Internate betrieben. Da staatliche Unterstützung für die Kinder an deren Schulbesuch gebunden war, ließen viele Familien ihre Kunder nur in die Schule gehen, um die Sozialhilfe nicht zu verlieren (Tester und Kulchyski 1994, S. 73, 89).
Umsiedlungen Im Jahr 1933 wurde der RCMP-Posten in Dundas Harbour aufgegeben. Ein Jahr später ließ die HBC sich stattdessen dort nieder und brachte auf ihrem Schiff Nascopie 22 Inuit von Cape Dorset, 12 von Pangnirtung und 18 von Pond Inlet nach Dundas Harbour. Man wollte herausfinden, ob Inuit dort leben könnten, was grundlegend schiefging. Zwar gab es in der Bucht Robben, Wale und Walrosse, aber da die Bucht immer voller großer Eisbrocken war, war es unmöglich, die Tiere zu fangen. Ähnlich sah es an der ganzen Küste aus. Die Posten der HBC wurden immer an Stellen gegründet, die gut per Schiff zu erreichen waren, und nicht unbedingt an Stellen, wo man gut jagen konnte. Das bedeutet, dass auch die Siedlungen im Grunde für Menschen, die sich von der Jagd ernähren wollten bzw. sollten, ungünstig gelegen waren (Tester und Kulchyski 1994, S. 155). 1936 wurden die meisten Inuit von Dundas Harbour nach Arctic Bay umgesiedelt, und Dundas Harbour verlassen, bis 1945 die RCMP den Posten wiedereröffnete. Ein Jahr nachdem man die Inuit nach Arctic Bay gebracht hatte, wurden sie noch einmal umgesiedelt, wieder zu einem Posten der HBC, nach Fort Ross am Osteingang der Bellotstraße, ganz im Süden von Somerset Island. Es war extrem schwierig, Fort Ross zu erreichen. Wegen der Eisbedingungen gelangte die Nascopie weder 1942 noch 1943 nach Fort Ross. Dies führte dazu, dass die zwei Angestellten der HBC 1943 mit einem Militärflugzeug ausgeflogen wurden und mit diesem Flugzeug Nahrung für die Inuit gebracht wurde. Ernie Lyall, der mit seiner Inuit-Frau und Kindern bei Fort Ross lebte, schildert dies sehr anschaulich in seinem Buch „An Arctic Man“, in dem er über sein Leben im Norden berichtet (Lyall 1983, S. 147 – 149). Aufgrund der Versorgungsschwierigkeiten wurde der Posten Fort Ross im Jahr 1947 endgültig geschlossen. Die Inuit wurden dann von dort weiter nach Süden nach Spence Bay (heute Taloyoak) auf der Boothiahalbinsel umgesiedelt. Unglücklich damit, forderten die ehemals aus Cape Dorset stammenden
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Inuit jahrelang vergeblich ihre Rücksiedlung nach Cape Dorset. Da die einzige Transportmöglichkeit für sie das Schiff der HBC war, waren sie abhängig von Entscheidungen der Regierung oder der HBC und konnten ihren Lebensort nicht frei wählen. Diamond Jenness äußerte Mitte der 1940er Jahre, dass es sinnvoll wäre, die arktischen Inseln mit Eskimo zu besiedeln oder dort Forschungsstationen einzurichten, um die Ansprüche Kanadas auf die Inseln deutlich zu machen. Es sei wenig sinnvoll, Weiße dort dauerhaft anzusiedeln, weil sie ohne medizinische Versorgung und andere Segnungen der Zivilisation wie Bildungseinrichtungen etc. dort nicht leben könnten (Tester und Kulchyski 1994, S. 112). Die Eskimo hingegen würde man überall ansiedeln können, so lange es dort genügend Robben, Karibus und Moschusochsen gäbe. Es ist erschreckend, eine solche Aussage von einem der damals führenden Ethnologen zu lesen, der bei den Kupfer-Eskimo Feldforschung betrieben hatte und der um die fragile Komplexität der Wirtschaftsweisen der Inuit und die wechselhaften Bedingungen in der Hocharktis hätte wissen müssen (Tester und Kulchyski 1994, S. 112). Obwohl die HBC bereits schlechte Erfahrungen mit Umsiedlungen von Inuit gemacht hatte und Informationen über das Scheitern des Projekts zur Verfügung standen, entschied die Regierung 1953 weitere Umsiedlungen durchzuführen. Gründe dafür waren einerseits die Unterstützung der RCMP bei der Sichtbarmachung kanadischer Hoheitsansprüche in der Arktis – indem man nämlich kanadische Staatsbürger dort ansiedelte –, andererseits wollte man den Inuit ermöglichen, ihre Jagdtraditionen in solchen Gebieten zu pflegen, die von den Weißen nicht ausgebeutet wurden. Man glaubte, durch die Umsiedlungen könne man das enorme Sozialhilfeproblem im nördlichen Quebec lösen. Da man wusste, dass Inuit bis ins 16. Jahrhundert auch in der Hocharktis gelebt hatten, diese aber mit der beginnenden Abkühlung während der Kleinen Eiszeit zu verlassen gezwungen waren, hielt man es für sinnvoll, dass nun, da die Kleine Eiszeit zu Ende war, Inuit wieder in der Hocharktis leben würden (Tester und Kulchyski 1994, S. 134). Die RCMP und Regierungsleute lebten mit der Vorstellung, Inuit könnten überall in der Arktis jagen, und übersahen dabei völlig, dass man ein Gebiet extrem gut kennen und das Verhalten der Tiere beobachtet haben musste, bevor man erfolgreich von der Jagd leben konnte. Am 28. Juli 1953 nahm die C. D. Howe, das neue Schiff der Regierung, sieben Familien von Port Harrison (heute Inukjuak; Ostküste der Hudson Bay, Quebec) an Bord. Offenbar hatte man den Familien versprochen, dass sie zusammenbleiben könnten. Allerdings wollte man an Bord erst entscheiden, wer wo angesiedelt werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt waren noch drei Orte geplant: Cape Herschel, Craig Harbour und Resolute Bay. Genau einen Monat später nahm die C. D. Howe in Pond Inlet noch drei weitere Familien auf. Außerdem ging Doug Wilkinson, ein kanadischer Filmemacher, an Bord, der gerade dabei war, einen Dokumentarfilm über das Leben der Inuit zu drehen. Unter dem Titel „Land of the Long Day“ beschrieb er das Leben von Joseph Idlout, einem erfolgreichen Jäger und Fallensteller, der einer der besten Felllieferanten der HBC in Pond Inlet war.
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Da Cape Herschel aufgrund der Eisverhältnisse nicht erreicht werden konnte, erfolgte die Ansiedlung der Inuit lediglich bei Craig Harbour (an der Südspitze von Ellesmere Island) und Resolute (auf Cornwallis Island). In Craig Harbour sollten sie mindestens eine Tagesreise von der Polizeistation entfernt wohnen, damit sie nicht zu oft auf Waren der Weißen zurückgreifen könnten; denn das Ziel war größtmögliche Eigenständigkeit. Etwas östlich der Stelle, wo man die Inuit 1953 ansiedelte, befindet sich heute die nördlichste dauerhaft von Inuit bewohnte Siedlung Kanadas, Grise Fjord (Grant 2010, S. 320; Tester und Kulchyski 1994, S. 147). Doug Wilkinson sollte die Ankunft der Familien in Resolute Bay filmen. Auch in Resolute wurde darauf geachtet, die Inuit einige Meilen von der Militärstation entfernt anzusiedeln. Unmittelbar nach Ankunft der Inuit in Resolute setzte der Winter ein (Tester und Kulchyski 1994, S. 149). Aber noch war das Meer nicht gefroren. Auf dem Land konnte man sich nur zu Fuß bewegen, weil der Wind den Schnee verdriftete und man auf dem groben Kies nicht mit Schlitten fahren konnte. Ein Boot hatten die frisch angekommenen Inuit nicht zur Verfügung, was zur Folge hatte, dass sie mit ihren ohnehin nur schlechten Gewehren in der ersten Zeit gar nicht jagen konnten. Es gab dort keine Karibus und die Walrosse waren bereits weiter nach Süden gezogen. Weitere Schwierigkeiten entstanden, weil es in Resolute um einiges kälter wurde als an der Ostküste der Hudson Bay, es aber nicht genug geeigneten Schnee zum Bau von Iglus gab. Deshalb mussten die Inuit den ersten Winter in Zelten verbringen. Erschwerend kam hinzu, dass das Gehen in Fellstiefeln auf dem groben Geröll extrem anstrengend und auch schmerzhaft war, was bedeutete, dass insbesondere die Frauen im Winter bei minus 40 °C und völliger Dunkelheit kaum die Zelte verlassen konnten. Es gab nicht einmal genug zu essen für alle. Die Fische, die sie fingen, waren voller Würmer und ungenießbar. Hinzu kam, dass die Kleidung, die sie von den Händlern erworben hatten, untauglich für die extreme Kälte war (Tester und Kulchyski 1994, S. 159). Die Inuit aus Port Harrison von der Hudson Bay (Inukjuak) waren nicht an den Gebrauch von Tranlampen gewöhnt, weil sie mit Holz geheizt hatten. Außerdem hatten sie noch nie Eisbären gejagt oder Robben mit Netzen unter dem Eis gefangen. Sie mochten auch nicht das ihnen unbekannte Eisbärenfleisch essen. Zum Glück brachte einer der Jäger aus Pond Inlet die passenden Jagd- und Fangtechniken mit und konnte die anderen instruieren (Tester und Kulchyski 1994, S. 151). Selbst der verantwortliche Constable der RCMP in Resolute, Ross Gibson, gab zu, dass es kaum möglich war, dort von der Jagd zu leben (Abb. 7.14). Sowohl in Grise Fjord bzw. Craig Harbour als auch in Resolute gab es erhebliche Probleme mit dem Angebot in dem einzigen Laden. Es war unzureichend und führte zu vielen Beschwerden und dem Wunsch, wieder zurückzukehren in die alte Heimat. Und obwohl den Inuit versprochen worden war, dass sie, sollte es ihnen an dem neuen Ort nicht gefallen, nach einem Jahr wieder zurückkehren dürften, wurde ihnen die Rückkehr aus fadenscheinigen Gründen verweigert. Familien waren somit zerrissen (Tester
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Abb. 7.14: Anzünden einer Tranlampe in Cambridge Bay. und Kulchyski 1994, S. 202). Es gab in den beiden Orten keine dauerhafte Gesundheitsversorgung und weil sie so abgelegen waren, konnte selbst in Notfällen oder bei Epidemien nicht schnell genug Hilfe geleistet werden. Die Umgebung von Craig Harbour war zwar reicher an Tieren, die die Inuit jagen konnten, die Ankömmlinge von der Ostküste der Hudson Bay mussten aber noch eine andere unangenehme neue Erfahrung machen, nämlich zwei Wintermonate ohne Sonnenaufgang. Damit kamen sie zunächst nur schlecht zurecht (Tester und Kulchyski 1994, S. 157). Lediglich die Umsiedler aus Pond Inlet waren daran gewöhnt und wussten mit der Dunkelheit umzugehen. Obwohl die Umsiedlung von 1953 gründlich schiefgegangen war, hielt sich an offiziellen Stellen die Formulierung, dass das Umsiedlungsprojekt ein voller Erfolg gewesen sei, was dazu führte, dass es später zu weiteren Umsiedlungen kam, die Familien auseinanderrissen und die Inuit zunehmend abhängig von den Weißen machten, obwohl eigentlich genau das Gegenteil mit den Umsiedlungen bezweckt werden sollte. Völlige Unkenntnis des Wertesystems der Inuit führte zu vielen Missverständnissen und Fehlentscheidungen, die schwierige Situationen schlimmer machten, statt sie zu lösen (Texter und Kulchyski 1994, S. 206). Zum Beispiel versuchte man Karibujäger durch eine Umsiedlung zu Fischern zu machen, allerdings ohne ihnen eine adäquate Ausrüstung zu verschaffen. Es ist nicht verwunderlich, dass auch dieses Experiment schiefging. Unter anderem das Buch von Farley Mowat „People of the Deer“ von 1952, in dem er die
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Untätigkeit der kanadischen Regierung anprangerte, die zum Aussterben einer kleinen Gruppe von Karibu-Eskimo geführt hatte, rüttelte die Regierung auf, nicht zuletzt da sie aus der gesamten englischsprachigen Welt empörte Briefe über diese Situation erhielt (Tester und Kulchyski 1994, S. 56f.).
Ein trauriges Beispiel Im Leben von Joseph Idlout spiegelt sich die Tragik des extrem schnellen Wechsels der Lebensweise der Inuit. Idlouts weiteres Leben, nachdem er die Hauptfigur in Doug Wilkinsons Film von 1952 gewesen war, wird in einem Film von Barry Greenwald mit dem Titel „Between Two Worlds“ aus dem Jahr 1990 dargestellt und macht die Zerrissenheit deutlich, die viele Inuit in diesen Jahren prägte. Joseph Idlout wollte 1954 ebenfalls nach Resolute auswandern. Der Grund dafür war der Verfall der Preise für Füchse. Idlout galt in Pond Inlet als der fähigste Jäger und Fallensteller, aber dadurch, dass er für die Füchse kaum noch eine Gegenleistung bekam, konnte er sich keine Munition und andere Güter des täglichen Bedarfs mehr leisten, von denen er durch die einseitige Konzentration auf Fallenstellerei abhängig geworden war. Da er seine Familie nicht mehr ernähren konnte, wollte er, in der Hoffnung dort besser jagen zu können, nach Resolute umziehen. Da die HBC ein Interesse an seiner Anwesenheit hatte – Idlout besaß das einzige funktionstüchtige Boot in Pond Inlet, so dass andere Inuit von ihm abhängig waren –, wurde ihm der Ortswechsel zunächst untersagt. Die HBC fürchtete, ihren tüchtigsten Zulieferer von Fellen zu verlieren. Es hieß zwar, es seien ausschließlich Freiwillige umgesiedelt worden, aber schon dieser Vorgang zeigt, wie eingeschränkt diese Freiwilligkeit offenbar war. Erst 1955 ließ man Idlout dann schließlich nach Resolute umziehen. Allerdings erfüllten sich seine Erwartungen in Resolute nicht. Weder hatte er intensiveren Kontakt zu den Weißen, weil das Militär und die Inuit in Resolute strikt getrennt wurden, noch konnte er seine Talente als Camp Leader ausleben, da die Weißen bereits andere Inuit als Führer ausgedeutet hatten. Da Idlout erst später als die anderen nach Resolute gekommen war, traf er auf inzwischen etablierte soziale Strukturen. Erschwerend kam hinzu, dass die Inuit von Port Harrison und die von Pond Inlet sich nicht miteinander vertrugen. Noch 1960 gab es erhebliche Animositäten zwischen den beiden Gruppen. Sie lebten getrennt, jagten getrennt und es gab keinerlei ehelichen Verbindungen zwischen ihnen (Tester und Kulchyski 1994, S. 203). In Anbetracht dieser verfahrenen Situation wollte Idlout lieber nach Churchill umziehen. Das wurde unterbunden, indem man ihm deutlich machte, dass er dort kein Haus bekommen würde, was zeigt, dass die von der Regierung für die Inuit zur Verfügung gestellten Häuser auch dazu dienten, Kontrolle über die Inuit auszuüben. Zu Beginn der 1960er Jahre wurde das Verbot für die Inuit aufgehoben, die Militärbasis bei Resolute zu besuchen. Ab dieser Zeit war ihnen auch der Besuch des Arctic Circle Club, der Bar der Basis gestattet. Das führte letztlich dazu, dass einige Inuit aus
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Resolute, unter ihnen auch Idlout, aufgrund ihrer unglücklichen Lebensumstände zu Alkoholikern wurden (Tester und Kulchyski 1994, S. 191). Bei Idlout kam noch der Tod seiner Frau hinzu, der ihn völlig aus der Bahn warf. Zwar heiratete er nach einer Weile eine jüngere Frau, genoss aber nie mehr das Ansehen, das er sich erhofft hatte, und zwar weder unter den Inuit noch unter den Weißen. Am 2. Juni 1968 hatte er gemeinsam mit seiner zweiten Frau im Arctic Circle Club getrunken. Auf dem Rückweg hatte sein Schneemobil eine Panne. Ein anderer Inuk nahm seine Frau mit zurück in die Siedlung, Idlout reparierte sein Schneemobil und fuhr – vermutlich absichtlich – von dem gut ausgefahrenen Weg ab in eine tiefe Schlucht, wo er den Tod fand. Dieser Lebenslauf ist exemplarisch für die tiefe Entwurzelung, die viele Inuit bis heute empfinden. Insbesondere für junge Männer ist es unter den aktuellen Bedingungen schwierig, eine angemessene Beschäftigung zu finden, die ihnen Ansehen und eine gewisse Verankerung in der Gesellschaft verschafft. Diese Orientierungslosigkeit trägt dazu bei, dass die Selbstmordrate unter den Inuit zu den höchsten der Welt gehört (Hicks 2009, S. 467 – 495).
Nichts bleibt wie es ist Die Christianisierung der Inuit setzte Mitte des 18. Jahrhunderts mit der Gründung einer Missionsstation durch die Herrnhuter Brüdergemeine in Labrador ein. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts reisten Missionare – anglikanische und katholische – durch die gesamte Arktis, um Inuit zu Christen zu bekehren, und im frühen 20. Jahrhundert wurden bei den Handelsposten erste Missionsstationen gegründet. Die Missionare banden die Inuit an sich, indem sie medizinische Versorgung und eine rudimentäre Bildung anboten, und wurden zu einem Zugfaktor zur Ansiedlung in der Nähe der Handelsstationen. Das sesshafte Leben in den kleinen Ortschaften verstärkte die Abhängigkeit der Inuit von Versorgungsleistungen, weil sie nicht mehr ihren nomadischen Zyklen folgen konnten, wenn sie regelmäßig in die Kirche und die Kinder in die kirchlichen Schulen gehen sollten. Bis in die 1950er Jahre waren fast alle Inuit getauft, d. h., binnen 50 Jahren war diese Umwälzung vollzogen. Viele haben das Christentum aber nur nach außen hin übernommen (Hessel 1998, S. 8) (Abb. 7.15). Die Einführung des Christentums führte auch zu tief greifenden Veränderungen, die nicht unmittelbar das geistige Leben betrafen. So hatten die Inuit in der Vergangenheit nur einen Namen, nicht Vor- und Familiennamen, sondern nur einen Namen, den sie einige Zeit nach ihrer Geburt erhielten. Da er nicht geschlechtsspezifisch war, konnte man das Geschlecht einer Person nicht an diesem Namen erkennen. Namen und Seele galten als extrem eng miteinander verknüpft. Ein Neugeborenes erhielt den Namen eines verstorbenen Vorfahren und man ging davon aus, dass dessen Seele in dem Neugeborenen weiterlebte. Mit der Taufe erhielten die Inuit zusätzlich christliche Namen, die etwas abgewandelt wurden, damit sie mehr wie ein Inuit-Name klangen; so wurde aus Thomas Tumasi oder aus Elisabeth Elisapee usw.
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Abb. 7.15: Kirche in Cambridge Bay. Als nun die RCMP in den 1940er Jahren begann, statistisches Material zusammenzutragen, waren die einzelnen Personen anhand der Namen nicht auseinanderzuhalten. Darum erhielt jeder Inuk eine Identifikationsnummer, die auf einem Metallplättchen um den Hals getragen werden musste. Diese Nummern wurden von den Inuit in den 50er und 60er Jahren auch als Unterschrift verwendet, sogar Künstler gravierten die Nummer als Signatur in ihre Schnitzarbeiten ein. Die Nummern wurden aufgegeben, als die „Operation Nachname“ alle Inuit mit Familiennamen versah. Dies geschah im Jahr 1969 und führte aber auch wieder zu einigen Konfusionen, denn üblicherweise wurde der Name des männlichen Oberhaupts einer Familie als Nachname gewählt. So entschied sich beispielsweise der Schnitzer Osuitok (mit der Nummer E7-1154) für den Namen seines Vaters Ipeelee als Nachnamen. Osuitoks Frau und Kinder aber wählten Osuitok als Familiennamen, so dass es innerhalb einer Kernfamilie nun verschiedene Nachnamen gab. Aber immerhin waren die Inuit nun ordnungsgemäß mit Vor- und Nachnamen versehen, wie alle anderen kanadischen Staatsbürger auch (Hessel 1998, S. 8).
Neue Wege Nur langsam erholen sich die Inuit von den heftigen und schnellen Umwälzungen, die sie während des 20. Jahrhunderts überstehen mussten. Viele Probleme sind noch ungelöst, aber die Zahl von gut ausgebildeten Inuit, die mit vernehmbarer Stimme für die eigenen Rechte und die eigene Kultur eintreten, wird größer. Ab den 1960er Jahren
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reagierten die Inuit auf sich verändernde Umstände und forderten mehr Kontrolle über lokale Belange und wehrten sich gegen von Weißen auferlegte Jagdregelungen. Ab den 1970er Jahren wurden Forderungen nach Landrückgabe und Selbstbestimmung laut (Tester und Kulchyski 1994, S. 44). 1971 wurde Inuit Tapirisat (Inuit-Bruderschaft) gegründet und 1976 die erste Forderung nach Landrückgabe formuliert. Es dauerte noch bis 1993, bis das Nunavut Land Claims Agreement unterschrieben wurde, und am 1. April 1999 wurde Nunavut als eigenständiges Inuit-Territorium gegründet. Bis dahin hatte die Landmasse im Nordosten Kanadas verwaltungstechnisch zu den North West Territories gehört. Mit einer Größe von über zwei Millionen Quadratkilometern und etwas über 30 000 Einwohner, von denen ungefähr 85 Prozent Inuit sind, ist Nunavut extrem dünn besiedelt, nur 0,01 Einwohner pro Quadratkilometer. Obwohl Nunavut als Territorium unmittelbar der kanadischen Bundesregierung zugeordnet ist, haben die Inuit die Möglichkeit, das Gebiet weitestgehend selbständig zu verwalten. Nunavut bedeutet übersetzt: Unser Land. Inuktitut ist offizielle Amtssprache, alles Schriftliche liegt auch in der Silbenschrift vor. Auch im 21. Jahrhundert bietet der Norden begehrte Ressourcen. Öl und Gas haben die Felle abgelöst. Damit bleibt das Interesse der Kabluna am Norden lebendig. Bereits in den 1970er Jahren wuchs das Unwohlsein in der Akrtis darüber, dass die Geschicke der Menschen stark von außen und fremden Interessen bestimmt wurden. Das führte dazu, dass die Inuit verschiedener Staaten sich zusammenschlossen, um sich besser wehren zu können. 1973 wurde auf der Arctic People’s Conference in Kopenhagen diskutiert, wie man sich mit gemeinsamer Stimme gegen Bevormundungen aus dem Süden zur Wehr setzen könne; man brauchte eine Organisation aller Inuit in den Staaten Dänemark (Grönland), Kanada und USA. Neben der Öl- und Gasindustrie gab es weitere Bedrohungen von ganz anderer Seite. Die Internationale Walfangkommission wollte den indigenen Fang von Grönlandwalen verbieten, was den Inupiat in Alaska nicht nur ihre Lebensgrundlage entzogen hätte, sondern auch ihre Kultur restlos zerstört hätte, da sie extrem durch den Walfang geprägt war bzw. ist. Aktiv wurden nun vor allem junge Inuit, die eine Schulbildung erhalten hatten. Das erste Treffen der sogenannten Inuit Circumpolar Conference (ICC), aus der später der Inuit Circum Council wurde, fand vom 12. bis 15. Juni 1977 in Barrow, Alaska, statt. Es nahmen 18 offizielle Delegierte von Grönland, 20 aus Alaska und 18 aus Kanada teil. Das erklärte Ziel der ICC war, alle Inuit zu ermutigen, nach Formen von Selbstbestimmung zu suchen, die ihnen ermöglichten, die Stimmen zu erheben, wenn es um die Entwicklung und das Management arktischer Ressourcen gehe. Die Ersten, die einen Teil ihrer Ansprüche erfolgreich durchsetzen konnten, waren die Grönländer mit dem Home Rule (1979), das selbständige Entscheidungen über Teilbereiche des Lebens in Grönland (Kultur, Medien, Bildung etc.) ermöglichte. Die dänischen Orts- und Straßennamen wurden durch grönländische ersetzt und im Jahr 1985 trat Grönland aus der EU aus, um zu verhindern, dass Fangflotten aus EU-
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Ländern ungehindert in grönländischen Gewässern fischen durften. Ein zweites Treffen der ICC fand 1980 in Grönlands Hauptstadt Nuuk statt, nicht zuletzt, um die Erfolge des Home Rule zu feiern. Eines der Themen war der Tankerverkehr durch die Davisstraße und den Lancaster Sound, der ja der Eingang zur Nordwestpassage ist, weil geplant war, Gasfunde in der Hocharktis auszubeuten (Grant 2010, S. 275). Das dritte Treffen des ICC war 1983 in Iqaluit (ehemals Frobisher Bay) auf Baffin Island. In diesem Jahr wurde die ICC als NGO (Nichtregierungsorganisation) beim United Nations Economic and Social Council anerkannt. Wie die Gründung von Nunavut zeigt, sind durchaus Erfolge zu vermelden. 1987 forderten die umgesiedelten Inuit eine Kompensation in Höhe von 10 Millionen US-Dollar von der Regierung. Das Argument war, sie seien benutzt worden, und der einzige Grund ihrer Umsiedlung sei die Festigung kanadischer Hoheitsansprüche gewesen (Tester und Kulchyski 1994, S. 112). Eine Maßnahme, die Inuit nicht völlig abhängig von Hilfslieferungen und Sozialhilfe zu machen, war, dass die Canadian Guild of Crafts und die HBC unterstützt durch die Regierung ab 1949 begannen, in größerem Stil Schnitzarbeiten der Inuit für den Export aufzukaufen. Daraus entwickelte sich im Laufe der Jahre ein boomender Markt für Inuit-Kunst, den längst nicht mehr nur Schnitzereien dominieren, sondern Sieb-, Steindrucke, Perlenstickereien und sogar Webarbeiten erweitern das Spektrum charakteristischer Inuit-Kunst. Der Verkauf von Kunstwerken ermöglichte den Inuit eine Teilhabe an der Geldwirtschaft in Gebieten, in denen es so gut wie keine bezahlten Jobs gab. Neben den politischen Erfolgen melden Inuit sich in der modernisierten Welt auch kulturell zu Wort. Als Beispiel sei hier der Erfolg von Isuma Film Productions erwähnt. 1990 von Zacharias Kunuk und Norman Cohn gegründet, machte das in Igloolik ansässige Unternehmen mit dem Film „Atanarjuat – die Legende vom schnellen Läufer“ auch international auf sich aufmerksam. Der von Inuit konzipierte und gedrehte Film wurde mehrfach prämiert und erhielt 2001 bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Kamera. Ziel von Isuma (das Wort bedeutet Gedanke) war, Filme aus der Perspektive der Inuit zu drehen. Dabei sind spannende Serien, aber auch abendfüllende Filme herausgekommen. Ausführlich beschreibt Michael Robert Evans die Entstehungsgeschichte und Philosopie von Isuma (Evans 2008). Aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten existiert Isuma Film Productions heute in seiner ursprünglichen Form nicht mehr. Aber das daraus hervorgegangene Isuma TV ist noch aktiv. Weitere Beispiele ließen sich in großer Zahl anführen, erwähnt sei an dieser Stelle nur noch Tanja Gillis aus Cambridge Bay, die als Tagaq in der Musikszene bekannt ist und auf faszinierende Weise den traditionellen Kehlgesang der Inuit mit avantgardistischen Klängen zusammenbringt. Wie im nächsten Kapitel zu zeigen sein wird, heizt die Eisschmelze im Arktischen Ozean die Diskussion um eine Nutzung der Nordwestpassage als Schifffahrtsroute erneut an. Und egal welchen Weg durch die Passage man heute wählt, er führt in jedem
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Fall zu einem erheblichen Teil durch das Territorium von Nunavut, und wie auch immer die Entwicklungen der Zukunft aussehen werden, die Inuit werden zu diesem Thema nicht schweigen und sich den neuen Herausforderungen stellen.
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ech für die vielen Seeleute, die vergeblich nach der Nordwestpassage gesucht hatten, war, dass ihre Aktivitäten während der sogenannten Kleinen Eiszeit stattfanden, die zu Beginn des 15. Jahrhunderts einsetzte und um die Mitte des 19. Jahrhunderts endete. Früher oder später wurden die Schiffe durch Eis aufgehalten, selbst wenn sie eigentlich auf dem richtigen Weg waren. Und auch Versuche, die Passage im 20. Jahrhundert doch noch als Transportroute zu nutzen, um das in der Arktis geförderte Öl zu den Raffinerien im Süden zu bringen, wurden, wie das Projekt der Manhattan zeigte, wieder aufgegeben. Da die Nordwestpassage ohnehin die meiste Zeit des Jahres in Eis erstarrt und damit unzugänglich war, brauchte man sich keine größeren Gedanken darüber zu machen. Das änderte sich erst während des Zweiten Weltkriegs. Die USA und Kanada hatten sich zusammengetan, um gemeinsam Nordamerika zu verteidigen. Um eine Luftbrücke nach Großbritannien zu bilden, wurden Luftstützpunkte in Frobisher Bay (heute Iqaluit), auf Southampton Island, Churchill und in Goose Bay (damals noch nicht Bestandteil der Kanadischen Föderation) eingerichtet. Während des Kalten Kriegs zeigte
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sich, dass der Arktis eine große strategische Bedeutung zukommt, nicht zuletzt deshalb, weil die beiden Blöcke sich hier – zwar durch den Arktischen Ozean getrennt – unmittelbar gegenüberstanden. Mit der zunehmenden Aufrüstung in der Sowjetunion wurde es in den 1950er Jahren als nötig empfunden, ein Frühwarnsystem einzurichten. 1954 einigten sich Kanada und die USA über den Bau eines gemeinsamen Frühwarnsystems in der kanadischen Arktis. Bis 1957 wurden, zum größten Teil durch die USA finanziert, 22 Radarstationen der sogenannten DEW Line (Distant Early Warning System) fertig gestellt. Da ein erheblicher Teil des Personals der jeweiligen Stationen aus den USA stammte, wurde die ohnehin schwierig zu manifestierende Souveränität über den Norden Kanadas erneut herausgefordert, da die Anzahl von US-Bürgern in den abgelegenen Regionen teilweise höher war als die der kanadischen Einwohner (Coates et al. 2008, S. 59). Hinzu kamen unangemeldete Durchfahrten der Nordwestpassage von amerikanischen Eisbrechern sowie unbemerkte Aufenthalte von U-Booten mit atomarem Antrieb unter dem Eis der Passage, die die strategische Bedeutung verdeutlichten, aber auch die Verwundbarkeit einer bis dahin als unzugänglich eingestuften Region zeigten. Waren dies während des 20. Jahrhunderts noch Einzelfälle, über die man sich verständigen konnte, so ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit dem kontinuierlichen Rückgang des Eises im Arktischen Ozean die Diskussion um eine Nutzung der nördlichen Seewege (auch der Nordostpassage) und damit über den Status der Nordwestpassage, verbunden mit den offenen Fragen bezüglich der kanadischen Hoheitsansprüche in der Arktis, erneut angeheizt worden. Insbesondere Kanada und die USA stehen sich, was die Nordwestpassage anbelangt, als entschiedene Gegner gegenüber, obwohl sie ansonsten eng verbündet sind. Das neue Interesse an der Nordwestpassage besteht aus verschiedenen Gründen. Zum einen ist sie – so wie man das bereits vor über 400 Jahren erträumt hatte – als Abkürzung der Transportwege zwischen Europa bzw. der Ostküste des nordamerikanischen Kontinents in den Fernen Osten, insbesondere China, Japan und Korea, im Gespräch. Es interessieren sich nicht nur die arktischen Anrainerstaaten dafür, sondern alle Nationen, die große Warenmengen auf dem Seeweg transportieren. Der Weg durch die Nordwestpassage von der Ostküste der Vereinigten Staaten bis nach Asien wäre 6000 – 7000 Kilometer kürzer als der durch den Panamakanal (Byers 2007, S. 147). Die Länge der Nordwestpassage beträgt ungefähr 5300 Kilometer, gerechnet von der Südspitze Grönlands bis in die Beringstraße. Insgesamt gibt es sieben verschiedene Routen durch die Nordwestpassage (siehe Karte im Vorsatz). Voraussetzung für eine Nutzung der Nordwestpassage wäre, dass der Parrykanal hoch im Norden, also die gerade Linie durch das Inselgewirr eisfrei wäre, weil nur dort Schiffe mit erheblichem Tiefgang fahren können. Sollte der Parrykanal kalkulierbar eisfrei sein – und sei es nur für ein bis zwei Monate im Jahr –, könnten dort auch Containerschiffe oder Supertanker verkehren, die für den Panamakanal zu groß sind. Interessant ist die nördliche Route nicht nur für den Transport von Waren im Allgemeinen, sondern auch für den Abtransport von Bodenschätzen, deren Abbau unter arktischen
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Bedingungen in Zukunft rentabel werden könnte, sowie für das Militär. Dass die Arktis reich an Ressourcen ist, wird immer deutlicher (Abb. 8.1, Farbtafel). 2007 war das Meereis in der Arktis auf ein Minimum zurückgegangen, das Jahr 2012 übertrifft noch die Marke von 2007, es gibt also einen neuen Minimalrekord der Meereisausbreitung in der Arktis. Problematisch dabei ist allerdings, dass sich diese geringere Eismenge, weil sie nicht mehr dicht gepackt ist, erheblich mehr bewegt, sobald Wind aufkommt. Insbesondere für die schmalen Wasserwege zwischen den Inseln gibt es deshalb keine Garantie für eine Durchfahrt. Jede der möglichen Routen durch die Passage hat ihre Vor- bzw. Nachteile. Insbesondere die sogenannte klassische Route Roald Amundsens durch den Peel Sound und südlich um King William Island herum birgt zahllose nautische Schwierigkeiten. Ohnehin ist sie nur für Schiffe mit geringem Tiefgang geeignet und weist viele Untiefen auf. Wenn dann noch Eis enge Kanäle blockiert, sind die Ausweichmöglichkeiten zu gering, um diese Route wirtschaftlich nutzbar zu machen. Vermutlich wird sie deshalb auch in Zukunft eine dem Tourismus und privaten Segelbooten vorbehaltene Route bleiben. Aber noch hängt auch hier alles von den Eisverhältnissen ab. Zum Beispiel ist die Durchfahrt durch die schmale Bellotstraße nicht kalkulierbar, weil auch dann, wenn das Eis grundsätzlich zurückgeht, es sich mehr bewegt und es immer wieder vorkommt, dass die Durchfahrt durch Eis versperrt ist, obwohl insgesamt weniger Eis vorhanden ist. Die südliche Route durch die Hudsonstraße, das Foxebecken und die Fury-und-Hecla-Straße ist aufgrund der Labrador Narrows am Eingang der Fury-und-Hecla-Straße für große Transportschiffe oder Tanker ebenfalls ungeeignet (Elliot-Meisel 1998, S. 9f.). Für Schiffe mit größerem Tiefgang wäre einzig die nördliche Route durch den Parrykanal möglich. Aktuell ist dieser Teil der Nordwestpassage aber noch nicht über längere Zeiträume zuverlässig eisfrei. Da aber nicht auszuschließen ist, dass es in absehbarer Zeit so weit kommt, werden derzeit die politischen, strategischen, wirtschaftlichen und ethischen Probleme kontrovers diskutiert. Als Alternative zur Nordwestpassage werden für die fernere Zukunft, wenn die Erwärmung weitergeht wie in den letzten Jahren, auch schon Routen direkt durch den Arktischen Ozean in Betracht gezogen. Neben der Nutzung der Nordwestpassage als Transportroute sind aber auch andere Fragen im Gespräch.
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We agree to disagree – beiderseitig akzeptierte Uneinigkeit
Der Hauptstreitpunkt bezüglich der Nordwestpassage besteht zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada. Die USA sehen in der Nordwestpassage eine „internationale Seestraße“. In Artikel 37 der UN-Seerechtskonvention aus dem Jahr 1982 werden internationale Seestraßen als Meerengen definiert, die zwei Hochseegebiete miteinander
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verbinden. Im Falle der Nordwestpassage wäre das zum einen die Verbindung zwischen dem Atlantik und dem Arktischen Ozean und zum anderen die Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik. Wenn eine Meerenge zwei Gebiete der Hohen See miteinander verbindet und für die internationale Schifffahrt genutzt wird, steht sie allen Schiffen fast ohne Beschränkungen offen. Zwar behält der Küstenstaat die Hoheit über solche Gewässer, fremde Schiffe haben aber ein Recht auf Durchfahrt. In Artikel 38/2 heißt es: „‚Transitdurchfahrt‘ bedeutet die in Übereinstimmung mit diesem Teil erfolgende Ausübung der Freiheit der Schifffahrt und des Überflugs lediglich zum Zweck des ununterbrochenen und zügigen Transits durch die Meerenge zwischen einem Teil der Hohen See oder einer ausschließlichen Wirtschaftszone und einem anderen Teil der Hohen See oder einer ausschließlichen Wirtschaftszone. (...)“ In einer internationalen Seestraße können gemäß dem geltenden Seerecht Unterseeboote verkehren, ohne aufzutauchen. Ebenso wenig sind sie verpflichtet, den angrenzenden Küstenstaat über ihre Anwesenheit zu informieren, sofern sie „sich jeder Tätigkeit enthalten, die nicht mit ihrem normalen ununterbrochenen und zügigen Transit zusammenhängt, sofern sie nicht durch höhere Gewalt oder einen Notfall erforderlich wird“ (UN-Seerechtskonvention Artikel 39/1c). Da die Vereinigten Staaten der Nordwestpassage eine erhebliche strategische bzw. militärische Bedeutung beimessen, beharren sie darauf, dass es sich bei der Nordroute durch kanadisches Staatsgebiet um eine internationale Wasserstraße handelt. Um ihren Standpunkt zu untermauern, schickten die USA 1985 ihren Eisbrecher Polar Sea durch die Nordwestpassage, ohne vorher um Kanadas Erlaubnis zu bitten. Kanada verfolgte die gleiche Taktik wie 1969 bei der Manhattan und erteilte die Erlaubnis, ohne darum gebeten worden zu sein. Als Folge der Passage der Polar Sea legte Kanada gerade Basislinien zwischen den äußeren Landzungen des arktischen Inselarchipels fest. Bei diesen Linien handelt es sich um ein rechtlich akzeptiertes Mittel zur Bestimmung des Herrschaftsbereichs eines Küstenstaates entlang einer durch vorgelagerte Inseln geprägten Küste (Byers 2007, S. 152). Einer der führenden Spezialisten für Rechtsfragen in arktischen Gewässern, Donat Pharand, sieht in diesen Basislinien die beste Verteidigung der kanadischen Ansprüche auf die Nordwestpassage (Pharand 1988). Kanada argumentierte darüber hinaus, dass sich die eigene Hoheit über die Gewässer auch darin manifestiere, dass sie durch kanadische Staatsbürger, nämlich durch die Inuit genutzt würden (Byers 2007, S. 152). Seit 1999 gestaltet sich die Diskussion um die Nordwestpassage noch vielschichtiger und komplizierter, da die fraglichen Inseln und Wasserwege zum größten Teil im von den Inuit weitestgehend selbständig verwalteten Territorium Nunavut liegen. Kanada vertritt hingegen die Ansicht, dass es sich bei den Seewegen zwischen den Inseln um „historische Binnengewässer“ handelt. Argumente dafür sind zum einen die Inuit, die seit Jahrtausenden auf dem Packeis reisen und jagen, außerdem sei es nur zu wenigen von der kanadischen Regierung nicht ausdrücklich gebilligten Schiffspassagen gekommen. Dieses bildet den Kernpunkt der Debatte, denn wenn eine internationale Seestraße dadurch definiert ist, dass sie von der Schifffahrt regelmäßig genutzt wird,
Neues Interesse am kurzen Seeweg
stärkt jede Durchfahrt die Argumentation der USA. Die bislang vorherrschende Eisbedeckung stärkte die kanadische Position. Das schmelzende Eis zwingt also regelrecht, sich mit der Frage erneut zu befassen. Allerdings legt der Gesetzestext nicht fest, wie häufig die Passage durchfahren werden muss, um als Meerenge zu gelten, die der internationalen Schifffahrt dient. Da aber in der Vergangenheit aufgrund der Eissituation kaum Durchfahrten möglich waren, kann es sich Kanada zufolge nicht um eine internationale Seestraße handeln (Byers 2007, S. 153). Um die kanadische Position zu stärken, ist es wichtig, dass keine ungenehmigten Durchfahrten stattfinden. Da Kanadas Küstenwache nicht so gut ausgerüstet ist, dass sie die Durchfahrt fremder Schiffe verhindern könnte, versucht Kanada dem Problem zu begegnen, indem die Regierung ungefragt jede geplante Durchfahrt gestattet, ohne je eine diesbezügliche Anfrage erhalten zu haben. Eine besondere Schwierigkeit bilden die Fahrten von Unterseebooten mit atomarem Antrieb, da sie nicht darauf angewiesen sind, dass das Wasser eisfrei ist. Wenn solche Durchfahrten stattfinden, liegt es im Interesse Kanadas, dass sie nicht offiziell bekannt werden, weil dies wieder auf eine regelmäßige Nutzung der Meerenge hinweisen würde. In den letzten Jahren kommen verstärkte Sicherheitsbedenken hinzu. Zwar favorisieren die USA den Status der Nordwestpassage als eine internationale Wasserstraße, das würde aber das Risiko verstärken, dass sie zum Einfallstor für Terroristen würde, oder Schmuggel von Drogen und Waffen in größerem Stil unbemerkt stattfinden könnte. Um dies zu verhindern, wäre eine stärkere Militärpräsenz im Norden nötig, die wiederum Kanada nicht finanzieren könnte und zum Schutz der Region auf seinen engen Verbündeten USA zurückgreifen müsste. Kanada wiederum sorgt sich um die Umwelt im Norden. Eine stärkere Nutzung der Passage insbesondere durch Öltanker würde das Risiko einer Ölpest entsprechend vergrößern. Aber auch unabhängig von Unfällen während einer Durchfahrt wäre auch durch normale Nutzung der Route mit Belastungen für die Umwelt zu rechnen. Wenn die Passagen offiziell als kanadische Binnengewässer anerkannt würden, wäre Kanada für Such- und Hilfsdienste in Notfällen verantwortlich. Auch das ist in dem riesigen Gebiet kaum zu finanzieren und nur schwierig zu bewerkstelligen, weil weder ausgebildetes Personal noch entsprechendes Gerät in ausreichender Menge und geografischer Nähe zur Verfügung steht. Aufgrund dieser insgesamt widersprüchlichen Lage haben die USA und Kanada sich zunächst darüber verständigt, dass sie sich einig darüber sind, dass Uneinigkeit über den Status der Nordwestpassage besteht. 1988 unterzeichneten Kanada und die USA eine Vereinbarung, die den USA gestattet, mit kanadischer Erlaubnis Eisbrecher durch die Passage zu schicken, ohne dass dies einen Einfluss auf den noch ungeklärten Status hat (Tester und Kulchyski 1994, S. 114). Allerdings kann es passieren, dass die häufiger werdenden Durchfahrten, und sei es nur von Kreuzfahrtschiffen, innerhalb der nächsten Jahre Fakten schaffen. Auch ist mit internationalem Druck auf Kanada zu rechnen, wenn das Eis weiter zurückgeht und nicht mehr nur die USA ein Interesse daran haben, dass es sich bei der Nordwestpassa-
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ge um eine internationale Wasserstraße handelt, sondern auch die Länder Westeuropas und China (Grant 2010, S. 450). Sollte das Eis allerdings völlig aus dem Arktischen Ozean verschwinden und eine Route über den Pol möglich werden, sind ganz andere Diskussionen zu führen.
8.2 Umweltschutzmaßnahmen Um den Hoheitsanspruch über die Nordwestpassage nicht zu verlieren, erließ Kanada als Folge der Fahrt des Riesentankers Manhattan ein Gesetz zum Schutz der Umwelt, das sich auch auf Gebiete 100 Meilen von der Küste entfernt erstreckte. Dieses Gesetz stand zunächst nicht im Einklang mit dem Völkerrecht, wurde aber 1982 in etwas abgeänderter Form Bestandteil des neuen Seerechts und damit gültig (Fairhall 2010, S. 132 – 134). In Artikel 234 heißt es: „Die Küstenstaaten haben das Recht, nicht diskriminierende Gesetze und sonstige Vorschriften zur Verhütung, Verringerung und Überwachung der Meeresverschmutzung durch Schiffe in eisbedeckten Gebieten innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone zu erlassen und durchzusetzen, wenn dort besonders strenge klimatische Bedingungen und das diese Gebiete während des größten Teiles des Jahres bedeckende Eis Hindernisse oder außergewöhnliche Gefahren für die Schifffahrt schaffen und die Verschmutzung der Meeresumwelt das ökologische Gleichgewicht ernstlich schädigen oder endgültig zerstören könnte. Diese Gesetze und sonstigen Vorschriften müssen die Schifffahrt sowie den Schutz und die Bewahrung der Meeresumwelt auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Angaben gebührend berücksichtigen“ (Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982). Mit diesem Gesetz war der Status der Nordwestpassage zumindest einigermaßen im Sinne Kanadas gesichert, solange weite Teile davon ganzjährig mit Eis bedeckt sind. Auch in diesem Punkt schafft die Eisschmelze neuen Gesprächsbedarf. Das driftende Eis auf dem Arktischen Ozean ist ein Problem für Juristen und Verfasser von Gesetzestexten. Zum einen gibt es Eismassen, die mit dem Land verbunden sind (fast ice), zum anderen Packeis, das sich auf dem Ozean befindet. Beides ist gefrorenes Meereswasser und unterscheidet sich damit von Gletschereis und Schelfeis, das an Land aus kompaktiertem Schnee entstanden ist. Es gibt beispielsweise Forschungsstationen, die auf dem Eis des Arktischen Ozeans errichtet wurden und mit dem Eis driften. Welche Gesetze sind dort anzuwenden? Ein Verbrechen eines Inuk, das auf Eis begangen wurde, das noch mit dem Land verbunden war, wurde von Kanada nach den Gesetzen behandelt, die an Land gelten (Sale und Potapov 2010, S. 143). Die Streitigkeiten um den Status der Nordwestpassage sind eng mit anderen Fragen bezüglich der Arktis verknüpft. So hat eine russische Aktion im August des Jahres 2007 erhebliche Aufmerksamkeit erregt, als mit zwei U-Booten der Ozeanboden des Nordpols erreicht, dort Bodenproben entnommen und eine russische Flagge aus Titan
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aufgestellt wurde: „Um genau 13 Uhr 33 Moskauer Zeit stellte Sagalewitsch das rund einen Meter hohe und zehn Kilogramm schwere Hoheitszeichen in einer Tiefe von 4261 Metern ab“ (Seidler 2009, S. 44). Eng verknüpft mit Fragen des Umweltschutzes ist der Abbau von Rohstoffen in der Arktis. Offenbar ist die Arktis reich an Ressourcen, insbesondere Öl und Gas werden in großen Mengen vermutet und sind zum Teil bereits entdeckt. Abhängig von der Entwicklung des Ölpreises und des wachsenden Bedarfs insbesondere in den Schwellenländern, kann sich ein Abbau solcher Ressourcen in Zukunft lohnen. Zwar sind noch technische Voraussetzungen zu schaffen, wie der Abbau von Erdöl im Offshore-Bereich unter extremen klimatischen Bedingungen oder der Abtransport der Produkte, aber die Diskussion ist aktiv im Gange. Zwei Positionen werden vertreten: Die einen vermuten, dass es zu Konflikten um die Rohstoffe in der Arktis kommen wird. Die anderen argumentieren, dass die Ölfunde ohnehin in Gebieten liegen, deren Grenzen nicht umstritten sind, und die strategische Bedeutung der Arktis ihre Rolle als Rohstofflieferant bei weitem übersteigt und die Konflikte eher in diesem Bereich auftauchen werden (vgl. Howard 2009).
8.3
Das Seerechtsübereinkommen von 1982
Dem Seerechtsübereinkommen sind bisher 161 Partner – 160 Staaten und die EU – beigetreten, nicht aber die USA. 40 Staaten, vor allem Binnenstaaten in Asien und Afrika haben noch nicht unterzeichnet. Jeder Staat mit direktem Zugang zum Meer kann gemäß dem Seerechtsübereinkommen eine 12 Seemeilen breite Zone als Hoheitsgewässer beanspruchen, in der das Recht der friedlichen Durchfahrt für Handels- und Kriegsschiffe gilt. Darüber hinaus können alle Staaten eine Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) von 200 Seemeilen (inklusive der 12 Seemeilen Hoheitsgewässer) geltend machen. In der AWZ sind die Ausbeutung der lebenden Ressourcen in der Wassersäule, d. h. Fischfang sowie der Abbau von Bodenschätzen im Festlandsockel gestattet. Auf Antrag bei der Festlandsockelgrenzkommission ist es unter bestimmten Umständen möglich, die AWZ noch zu erweitern, was dazu führen könnte, dass große Teile des Arktischen Ozeans, die jetzt noch als Hochsee Allgemeingut sind, nationalem Recht unterstellt werden könnten. Diese Ansprüche müssen innerhalb von 10 Jahren nach dem Beitritt zum Seerechtsübereinkommen angemeldet werden, und es obliegt dem jeweiligen Staat, den Nachweis zu führen, ob die Ausweitung berechtigt ist, wozu umfangreiche und kostenintensive Untersuchungen des Meeresbodens nötig sind. Die Kriterien zur Erweiterung der AWZ sind nicht ganz unkompliziert: Befindet sich der Kontinental- bzw. Festlandsockel innerhalb der 200-Seemeilen-Zone, ist keine Erweiterung möglich. Befindet sich der Festlandsockel aber außerhalb dieser Zone, sind Erweiterungen unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Als erste Maßnahme muss mit bathymetrischen Daten der Fuß des Kontinentalabhangs bestimmt werden. Dabei handelt es sich um eine Linie, die jene Punkte ver-
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bindet, an denen der Gefällewechsel vom steilen Abhang zum flachen Meeresboden am größten ist (Hinz 2011, S. 93). Befindet sich dieser Fuß des Kontinentalabhangs außerhalb der 200-Seemeilen-Zone, darf man vom Kontinentalfuß aus noch 60 Seemeilen beanspruchen. Die zweite Möglichkeit ist ein Anspruch bis zu der Stelle, an der die Sedimentdicke noch 1 % der Distanz zum Fuß des Kontinentalabhangs beträgt. Das bedeutet: Ein Punkt, der 100 Kilometer vom Fuß des Kontinentalabhangs entfernt liegt, muss noch 1000 Meter Sedimentmächtigkeit aufweisen, damit er als AWZ beansprucht werden kann (Hinz 2011, S. 94). Allerdings gibt es Obergrenzen. Diese betragen entweder 350 Seemeilen von der durchschnittlichen Ebbelinie (Basislinie) aus oder die Linie von 2500 Meter Wassertiefe plus 100 Seemeilen. Der jeweilige Staat darf wählen, welche der beiden Obergrenzen für ihn günstiger ausfällt. Diese Regeln gelten zwar für die ganze Welt, sind aber für die arktische Region von besonderer Brisanz, weil die Schelfe flach abfallen und es sich um riesige Gebiete handelt, die von den Anrainerstaaten beansprucht werden können. Für unterseeische Rücken gelten im Seerechtsübereinkommen spezielle Regeln. Was die Situation in der Arktis so kompliziert macht, ist, dass es dort drei große submarine Rücken gibt, den Lomonossow-Rücken, den Mendelejew-Rücken und den Alpha-Rücken. Wenn diese Rücken als Unterseeische Erhebungen eingestuft werden, gelten sie als natürliche Bestandteile des Festlandrands, was dazu führt, dass die Kappungsgrenzen nicht mehr gelten und sehr viel größere Gebiete beansprucht werden können. Die geologische Natur der Rücken im Nordpolarmeer ist aber heftig umstritten (Hinz 2011, S. 99). Russland hatte 2001 einen Antrag auf Erweiterung des Festlandsockels gestellt, der unter Einbeziehung des Lomonossow-Rückens bis zum Nordpol reicht und 1,2 Millionen Quadratkilometer umfasst (Jenisch 2011, S. 74). Der Antrag wurde vorläufig zurückgestellt und Russland soll bis 2014 bessere wissenschaftliche Daten liefern. Dieses Beispiel zeigt, dass für die Zukunft mit weiteren Diskussionen um die Aufteilung der Arktis zu rechnen ist. Hinzu kommt, dass auch die politischen Grenzen nicht in allen Fällen hundertprozentig geklärt sind; es finden Diskussionen zwischen den USA und Kanada, zwischen Norwegen und Russland sowie zwischen Kanada und Dänemark statt (Griffiths 2009, S. 107 – 136; Howard 2009, S. 53 – 61; Sale und Potapov 2010, S. 31 – 103).
8.4
Tourismus in der Nordwestpassage
Vorerst scheint die Nordwestpassage dem Tourismus vorbehalten zu bleiben. Jedes Jahr nutzen mehr Schiffe die im August meist eisfreie Passage, um ihren Passagieren eine als abenteuerlich empfundene Route anzubieten. Dabei spielt die lange Geschichte der Suche nach der Nordwestpassage und das dramatische Verschwinden der Franklin-Expedition eine große Rolle und hat zur Mythenbildung beigetragen. Es ist ein besonderes Gefühl, in abgelegenen Weltgegenden auf den Spuren so vieler berühmter Entdecker unterwegs zu sein. Durch den hohen Preis haben die Reisen einen Hauch von Exklusivität.
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Im Jahr 1984 fuhren erstmals Touristen auf einem sogenannten Expeditionskreuzfahrtschiff, der Lindblad Explorer unter Kapitän Hasse Nilsson, durch die Nordwestpassage. Die Lindblad Explorer war kein Eisbrecher, sondern ein Passagierschiff mit einem eisverstärkten Rumpf. Im nächsten Jahr folgte die ebenfalls eisverstärkte World Discoverer mit Kapitän Heinz Aye. Das touristische Interesse an der Nordwestpassage wuchs. Jetzt, da gleich zweimal gezeigt worden war, dass eisverstärkte Passagierschiffe die Passage meistern konnten, wagten auch andere Reedereien mit entsprechenden Schiffen die teure, lange und exklusive Reise in ihr Programm zu nehmen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion vercharterte Russland einige seiner kleinen Eisbrecher an ausländische Tourismusfirmen. Die Kapitan Khlebnikov schaffte die Passage gleich mehrfach hintereinander. Neben Reisen in die Antarktis und zum Nordpol stand nun auch die Nordwestpassage auf dem Programm dieser Firmen (Abb. 8.2, Farbtafel). Einen ersten Rückschlag erhielt der aufkeimende Tourismus in der Nordwestpassage, als die MS Hanseatic im Jahr 1996 in der Simpsonstraße Grundberührung hatte und die Reise abgebrochen werden musste. Dennoch wurde 1997 ein erneuter Versuch unternommen, der dann auch klappte. Und seither wird die Passage fast jeden Sommer von einem oder sogar mehreren Touristenschiffen durchfahren. Ab Ende der 1990er Jahre nahmen sich auch vermehrt Privatyachten die Passage vor wie z. B. Arved Fuchs 2003/2004. Je mehr sich das sommerliche Eis zurückzieht, desto sicherer ist ein Durchkommen gewährleistet und die Begleitung durch einen Eisbrecher der Kanadischen Küstenwache ist heutzutage nicht mehr zwingend erforderlich. Das bedeutet aber auch, dass es schwieriger wird, tatsächlich Eis zu sehen, und durchs Eis zu fahren ist ja häufig einer der Beweggründe, warum Touristen sich für eine Reise durch die Nordwestpassage entscheiden. Robert Headland vom Scott Polar Research Institute in Cambridge führt eine Liste von erfolgreichen Durchfahrten durch die Nordwestpassage und kommt bis Ende 2011 auf 160 geglückte Reisen. Was gemessen an einer Zeitspanne von über 100 Jahren natürlich nicht allzu viele sind.
8.5
Orte in der Nordwestpassage
Die wenigen Orte bzw. kleineren Städte, die man auf einer Reise durch die Nordwestpassage besuchen kann, verdanken ihre Entstehung alle den in Kapitel 7 geschilderten Umsiedlungen, sind also völlig künstliche Gebilde, die erst seit kurzem existieren und von Menschen bewohnt werden, die zum Teil noch in einem Iglu in der Tundra geboren wurden und als Kinder noch den Nomadenalltag kannten. Die mittlere Generation hatte darunter zu leiden, gewaltsam den Eltern weggenommen und in Internatsschulen geschickt worden zu sein, in denen den Kindern verboten war, ihre Muttersprache zu sprechen. Als völlig Entwurzelte kehrten sie in die langsam größer werdenden, künstlich geschaffenen Häuseransammlungen zurück, die sich jeweils um zwei bis drei Kirchen
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unterschiedlicher Konfession, die Polizeistation und den Handelsposten der HBC, heute ersetzt durch Coop oder Northern Store, gruppierten. Die meisten Ortschaften erscheinen heute unter den Namen der Inuit auf den Landkarten, aber nicht bei allen hat sich die Benutzung des Inuktitut-Namens eingebürgert. Von Osten kommend ist die erste Siedlung, die man möglicherweise besuchen kann, Pond Inlet (72° 41' N und 77° 57' W). Der Inuktitut-Name lautet Mittimatalik = der Platz, wo Mitima begraben ist, wird aber kaum verwendet, auch nicht von der lokalen Bevölkerung. John Ross besuchte die Stelle als erster Europäer im Jahr 1818 und benannte seinen Ankerplatz nach John Pond (1767 – 1836), einem englischen Astronomen, der zu der Zeit von Ross’ Expedition das Amt des Königlichen Astronomen in London innehatte (von 1811 bis 1835). Die Volkszählung von 2011 ergab eine Einwohnerzahl von 1549, was einer Steigerung von 17,8 % gegenüber der Zählung von 2006 entspricht. Insgesamt ist die Bevölkerung in Nunavut jung und kinderreich und wächst trotz der extrem hohen Selbstmordrate und einer geringeren Lebenserwartung im Vergleich zum südlichen Kanada. Wie in allen Siedlungen ist in Pond Inlet die Regierung der Hauptarbeitgeber. Ansonsten bieten Tourismus, Kleingewerbe sowie die Herstellung von Kunsthandwerk weitere Verdienstmöglichkeiten. Es gibt eine Flugzeugverbindung zwischen Pond Inlet und Iqaluit, der Hauptstadt Nunavuts. Obst, Gemüse und Milch werden mehrmals pro Woche aus dem 2500 km entfernt gelegenen Montreal eingeflogen, was die extrem hohen Preise für frische Lebensmittel erklärt. Die Durchschnittstemperaturen liegen im Winter bei ungefähr minus 25 °C, im Sommer schwanken sie um 7 – 10 °C plus. Die Umgebung von Pond Inlet ist durch Gebirge und Gletscher geprägt und in Pond Inlet befindet sich das Informationszentrum des Sirmilik-Nationalparks, einem der jüngsten Nationalparks in Kanada. Es gibt sowohl eine katholische als auch eine anglikanische Kirche, in letzterer befindet sich ein Kreuz aus Narwalzahn. Dundas Harbour (74° 31' N 82° 30' W) im Südosten von Devon Island. Der Inuit-Name lautet Talluruti und bedeutet „Kinn einer Frau mit Tätowierungen darauf“. Eine landschaftlich schöne Stelle. Zu sehen sind die Ruinen der ehemaligen Station der Royal Canadian Mounted Police sowie etwas oberhalb davon ein winziger Friedhof mit zwei Gräbern. Constable V. Maisonneuve starb am 16. Juni 1926, als er sich alleine in einem Camp zur Robbenjagd aufhielt, an einer selbstzugefügten Schusswunde in den Kopf. Constable William Robert Stephens starb ebenfalls in seinem Dienst auf Dundas Harbour während der Walrossjagd durch einen Schuss, der sich versehentlich aus seinem Gewehr gelöst hatte.
Beechey Island (74° 71' N 91° 85' W) Einer der Höhepunkte einer jeden Nordwestpassage ist selbstverständlich der Besuch von Beechey Island, jener Stelle, an der Franklin den Winter 1845/46 verbracht hatte und drei seiner Expeditionsmitglieder begraben musste. Beechey Island liegt im
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Südwesten von Devon Island und ist bei Niedrigwasser mittels einer Kalkrippe mit Devon Island verbunden, bei Hochwasser ist es eine echte Insel. Der erste Europäer, der die winzige Insel entdeckte, war Leutnant William Edward Parry mit HMS Hecla. Er benannte die Insel nach Frederick William Beechey, der im Jahr zuvor unter John Franklins Kommando an einer Expedition teilgenommen hatte, deren Ziel es war, den Nordpol zu erreichen (vgl. Kap. 4). Die drei Gräber wurden in den Jahren 1984 und 1986 von Owen Beattie und seinem Team genauestens untersucht, die im Eis gut konservierten Leichen exhumiert, Proben von Haaren, Gewebe und Fingernägeln genommen und alles wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Die Gräber sind heute mit Holztafeln markiert, bei denen es sich allerdings um Nachbildungen handelt. Die Originale befinden sich im Prince-of-Wales-Museum in Yellowknife (Soper 2012, S. 62). Es befindet sich noch ein viertes Grab auf der Insel, welches von Thomas Morgan, einem Seemann der Investigator stammt, der am 22. Mai 1854 auf Beechey Island starb. Darüber hinaus sind die Überreste von Northumberland-Haus, das vom Kapitän der North Star als Vorratslager errichtet worden war, zu sehen sowie diverse Denkmäler, darunter als berühmtestes das von Lady Franklin für ihren Mann errichtete. Seit dem Sommer 2012 ist ein neues Denkmal hinzugekommen. Nadine und Jean-Claude Forestier haben es für ihren Landsmann Joseph René Bellot errichtet, der bei der Suche nach Franklin ertrunken war (vgl. Forestier 2011) (Abb. 8.3: Farbtafel).
Resolute (74° 42' N 94° 50' W) Der Inuktitut-Name für Resolute Qausuittuq bedeutet „Platz ohne Morgendämmerung“ und geht auf die Umsiedlungen des Jahres 1953 zurück, als die Ankömmlinge aus Quebec entsetzt feststellten, dass sie im Winter längere Zeit ohne Tageslicht auskommen mussten. Mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von minus 16 Grad gehört Resolute zu den kältesten dauerhaft bewohnten Orten der Erde (Soper 2012, S. 63). 1947 war Resolute als Wetterstation gegründet worden, 1948 folgte US-amerikanisches Militär. Die Versorgung wurde mit amerikansichen Flugzeugen und Schiffen durchgeführt und wurde Operation Nanook genannt (Nanuk ist das Inuktitut-Wort für Eisbär). Im Jahr 2011 hatte Resolute 214 Einwohner, von denen 50 angaben, zu Hause hauptsächlich Inuktitut zu sprechen, was bedeutet, dass die Mehrheit der Einwohner von Resolute die meiste Zeit des Tages auf Englisch kommuniziert. Im Vergleich zu 2006 ist die Einwohnerzahl von 229 auf 214 zurückgegangen, was gegen den generellen Trend in Nunavut geht und vielleicht ein Zeichen dafür ist, wie schwierig das Leben in Resolute noch immer ist. Archäologische Ausgrabungen haben in der Nähe des heutigen Resolute Spuren der Dorset-Kultur und der Thule-Kultur gefunden. In der Nähe der Ortschaft befindet sich ein militärisches Trainingscenter, das weiter ausgebaut wird. Dahinter steht das von Premierminister Stephen Harper in Bezug auf die kanadische Arktis ausgegebene Motto: „use it or lose it“38 (Fairhall 2010, S. 135).
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Bei der Entscheidung zum Ausbau des Standorts spielte eine Rolle, dass Cornwallis Island relativ nahe am östlichen Eingang der Nordwestpassage liegt. Als Alternative wäre Cambridge Bay in Frage gekommen, das zwar erheblich mehr Infrastruktur geboten hätte, aber fernab des Parrykanals auf der Südseite von Victoria Island liegt.
Bellotstraße (östlicher Eingang 71° 59' N 94° 24' W) Die Bellotstraße ist die ca. 20 km lange und an der engsten Stelle nur 1 km breite Verbindung zwischen dem Prince Regent Inlet und dem Peel Sound. Sie trennt die Somersetinsel von der Boothiahalbinsel. Bei einer Durchquerung der Bellotstraße kommt man am nördlichsten Punkt des amerikanischen Kontinents vorbei. Das Relief erhebt sich auf der Nordseite ca. 450 m und auf der Südseite der Straße ca. 750 m. Entdeckt wurde die Straße während der Suche nach Franklin von William Kennedy auf der Prince Albert, der sie nach einem seiner Offiziere, Joseph René Bellot, benannte. Allerdings gelang im 19. Jahrhundert keine Durchfahrt, die glückte erstmals im Jahr 1937 einem Schiff der Hudson’s Bay Company. Noch heute birgt die Bellotstraße eine Herausforderung für den Schiffsverkehr, da die Strömungen Geschwindigkeiten von 8 Knoten erreichen und es nur möglich ist, bei Stillwasser hindurchzufahren. Außerdem wird häufig Eis in die Straße getrieben, so dass nur kurzfristige Voraussagen bezüglich der Passierbarkeit möglich sind. Eine Bedingung für die Wahl der Standorte der einzelnen Stationen für die DEW Line war, dass sie gut per Schiff versorgt werden konnten. In diesem Zusammenhang wurden viele Gewässer innerhalb der Nordwestpassage erstmals gründlich kartiert. So auch die Bellotstraße im Rahmen der Operation Bellot 1957. HMCS Labrador war daran beteiligt und entdeckte Magpie Rock, der hoch in der Fahrrinne aufragt und bei Ebbe nur 60 cm unter der Wasseroberfläche endet. Das verengt die Fahrrinne erheblich. Zur Erinnerung an die gründliche Kartierung der Bellotstraße errichtete die Besatzung der Labrador auf einem Hügel bei Fort Ross eine noch heute gut sichtbare Steinpyramide, in der ein Bericht ihrer Tätigkeit hinterlegt wurde, ähnlich wie die Seeleute es das gesamte 18. und 19. Jahrhundert hindurch getan hatten. Fort Ross war 1937 als Handelsstation der HBC gegründet worden und wurde 1947 aufgrund der Versorgungsschwierigkeiten aufgegeben. Als die Kartierungsarbeiten 1957 stattfanden, wählten die Vermesser das gut erhalten gebliebene Gebäude der HBC als Quartier. Kaum hatten sie sich dort eingerichtet, tauchten Inuit auf und wollten im Glauben, der Handelsposten würde wiedereröffnet, ihre Felle anbieten und waren ziemlich enttäuscht, dass es sich nur um Vermesser handelte (Marshall 1958, S. 104 – 111). Direkt bei Fort Ross errichteten Nachfahren von McClintock ihm zu Ehren ein Denkmal.
Gjøa Haven (68° 37' N 95° 53' W) Der Inuktitut-Name Uqsuqtuuq bedeutet „viel Fett“ und bezieht sich auf das reichhaltige Vorkommen von Robben in den umliegenden Gewässern. Der Name ist eine Anspielung auf die dicke Fettschicht, die den Robben zur Isolierung dient. Gjøa Haven ist
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die einzige Siedlung auf King William Island und verdankt ihren Namen Roald Amundsen, der die Bucht, an der die heutige Ortschaft Gjøa Haven liegt, als Überwintergungsort gewählt und die Stelle nach seinem Schiff benannt hatte. Zu Amundsens Zeit gab es keine dauerhafte Siedlung, die Stelle wurde aber regelmäßig von Netsilik zur Jagd aufgesucht. Die Ortschaft entwickelte sich wie die meisten im Norden im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, was die Bevölkerungszahlen ganz gut verdeutlichen. Im Jahr 1961 lebten 110 Personen dauerhaft in Gjøa Haven, 2001 waren es 960, 2006 betrug die Einwohnerzahl 1064 und 2011 war sie auf 1279 gestiegen (Soper 2012, S. 80; www.statcan.gc.ca). Im Hamlet Office befindet sich eine kleine Ausstellung zur Kultur der Netsilik und über die Suche nach der Nordwestpassage, die u. a. ein Modell der Gjøa zeigt. Eine Büste, die in gleicher Form auch in Ny Alesund (Spitzbergen), Tromsö (Norwegen) und Nome (Alaska) zu sehen ist, erinnert an Roald Amundsen.
Cambridge Bay (69° 02' N 105° 10' W) Ikaluktutiak – guter Platz zum Fischen – gehört mit 1608 Einwohnern im Jahr 2011 zu den größeren Zentren in Nunavut. Auch hier ist die Einwohnerzahl im Vergleich zur Zählung von 2006 gestiegen, da waren es nur 1477 Personen. Cambridge Bay ist Verwaltungszentrum für die Region Kitikmeot und im Sommer 2012 waren dort sogar die Mitarbeiter von Google Street View anzutreffen. Es gibt ein informatives Besucherzentrum, zwei Schulen, einen Campus des Nunavut Arctic College und drei Kirchen, eine anglikanische, eine römisch-katholische und eine Kirche der Pfingstler. Die Überreste des Schiffes Maud, mit dem Roald Amundsen vorhatte, nach seinem Erfolg in der Nordwestpassage und am Südpol auch die Nordostpassage zur durchfahren, sind in Cambridge Bay noch zu sehen. Allerdings ragt nur noch ein kleiner Teil des 1925 an die Hudson’s Bay Company verkauften Schiffs aus dem Wasser. Die HBC hatte die Maud in Baymaud umgetauft und das Schiff einige Jahre als Transportschiff genutzt, um die abgelegenen Handelsstationen zu versorgen. 1930 schlug es in der Bucht von Cambridge Bay leck und sank auf den Strand. Einige Jahre wurde die Baymaud noch als Lager verwendet, bis sie langsam anfing, auseinanderzubrechen. Die aus dem Wasser ragenden Überreste werden vielleicht nicht mehr lange zu sehen sein, da es Pläne gibt, das Schiff nach Norwegen zurückzuholen, zu restaurieren und auszustellen. Die Stoppschilder an den Straßen von Cambridge Bay sehen anders aus als im Rest von Nunavut, da hier nicht Inuktitut gesprochen und damit auch nicht die Silbenschrift verwendet wird. Die Menschen sprechen Innuinaktun, das mit lateinischen Buchstaben geschrieben wird (Abb. 7.13, Farbtafel).
Holman (70° 44' N 117° 46' W) Die Einwohnerzahlen in Ulukhaktok (= der Ort, wo man Material für Ulus findet), wie die Siedlung seit 2006 offiziell heißt, sind mit 398 im Jahr 2006 und 402 im Jahr 2011 relativ stabil. Die Bevölkerung des Ortes stammt aus verschiedenen Regionen des
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Abb. 8.5: Smoking Hills. Nordens und ist entsprechend gemischt. Es leben auch Nachfahren des dänischen Händlers Christian Klengenberg in der Siedlung. Landschaftlich wird Ulukhaktok von einigen Hügeln dominiert, auf denen man Schiefer fand, Gestein, das hervorragend zur Herstellung der Klingen für Ulus (Frauenmesser) geeignet war, daher der einheimische Name. Auf den Hügeln bilden inuksuit (Steinmännchen, vgl. Kap. 7) ein beliebtes Fotomotiv. Wenn man Ulukhaktok erreicht hat, befindet man sich nicht mehr in Nunavut, sondern in den North West Territories. Die Siedlung hat sich durch die Holman Eskimo Co-op in der Kunstszene einen Namen gemacht. Es werden Stein-, Sieb- und Schablonendrucke angefertigt, die teilweise in internationalen Museen gezeigt werden. Die Gründung der Kunstkooperative erfolgte 1961 durch Helen Kalvak, die damals berühmteste Künstlerin Holmans, in Zusammenarbeit mit dem katholischen Priester Henri Tardy. Die Schule des Ortes ist nach Helen Kalvak benannt und verfügt über eine interessante archäologische und ethnographische Sammlung. Neben dem Kunstzentrum betreibt die Kooperative außerdem ein Hotel, ein Geschäft, die Post und die Versorgung mit Kabelfernsehen sowie die Auslieferung von Heizöl. Das Gemeindezentrum ist mit einem gigantischen Ulu verziert. Am Übergang des Amundsengolfs in die Beaufortsee befinden sich die Smoking Hills. Bereits Richardson, der während Franklins zweiter Expedition die Erkundung des
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Gebietes östlich der Mackenziemündung übernommen hatte, sah die Smoking Hills und benannte die Bucht, in der sie sich befanden, nach John Franklin. Auch McClure auf der Investigator berichtet, dass er die rauchenden Hügel gesehen habe. Es handelt sich dabei um ein Naturschauspiel ganz besonderer Art: Schwefel- und xylithaltige Schichten von Ölschiefer glimmen seit Jahrhunderten durch Selbstentzündung und hinterlassen bizarre Formen in verschiedenen Rot- und Gelbtönen (Abb. 8.5).
Herschel Island (69° 33' N 138° 57' W) Die kleine Insel Herschel bildet den nördlichsten Punkt des Yukon Territory und wurde wie in Kapitel 6 bereits erwähnt Ende des 19. Jahrhunderts intensiv von amerikanischen Walfängern als Standort für Überwinterungen genutzt. John Franklin hatte die Insel im Juli 1826 erstmals erreicht und betrat sie ein zweites Mal im August desselben Jahres, als er bereits auf dem Rückweg von seiner Erkundung der Region westlich der Mackenziemündung war. Er gab der Insel den Namen Herschel, vermutlich um an mehrere Mitglieder der Familie Herschel zu erinnern. John Herschel war zu der Zeit Sekretär der Royal Society of London und persönlich mit Franklin bekannt. John Herschels Vater, William Herschel, war ein berühmter Astronom, der von Deutschland nach England übersiedelt war und in der Nähe von Windsor Castle ein 12-Meter-Fernrohr errichtet hatte. Auch Williams Schwester Caroline war eine bekannte Astronomin (Hoskin 2012, S. 14) (Abb. 8.6). Archäologische Untersuchungen zeigten, dass die Insel bereits ab ca. 1200 n. Chr. von Angehörigen der Thule-Kultur als Lebensraum genutzt wurde. Zu Franklins Zeiten
Abb. 8.6: Herschel Island.
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waren es Mackenziedelta-Eskimo, im Wesentlichen Siglit, die sich im Sommer auf der Insel aufhielten. Heute sind in Pauline Cove im Nordosten der Insel noch die Spuren der kurzen, aber spannenden Geschichte von Herschel zu sehen. Neben den Walfängern gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Handelsposten, eine RCMP- und eine Missionsstation auf Herschel. Derzeit gehört die Insel, die in der Sprache der Inuvialuit Qikiqtaryuk (Insel) heißt, zum Herschel Island Territorial Park. Während der Sommermonate befinden sich Ranger in Pauline Cove, die Erhaltungsarbeiten durchführen, Touristen über Natur und Geschichte der Insel informieren und darauf achten, dass die Gräber der Inuvialuit, aber auch die der RCMP und der Walfänger respektiert werden. Auf Herschel findet die Ein- bzw. Ausreise nach bzw. aus Kanada statt, die Grenz- und Zollbehörden werden zu diesem Zweck mit Wasserflugzeugen eingeflogen.
Barrow (71° 34' N 155° 27' W) Hat man Barrow erreicht, befindet man sich bereits seit einiger Zeit in Alaska. Ukpeagvik lautet der Inupiaq-Name von Barrow, was so viel wie „Platz, wo Schneeeulen gejagt werden“ bedeutet. An 325 Tagen im Jahr herrschen in Barrow Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Mit etwa 4000 Einwohnern ist Barrow erheblich größer als die anderen Orte, die man während einer Fahrt durch die Nordwestpassage besuchen kann.
8.6
Franklins Schicksal beschäftigt weiter
Wie bereits erwähnt, hat Owen Beattie Ausgrabungen in arktischen Gefilden durchgeführt. Einerseits war er auf der Suche nach Hinterlassenschaften der verschollenen Expedition von James Knight auf Marble Island (vgl. Geiger und Beattie 1993), zum anderen hatte er vorher 1981 auf King William Island nach Franklin-Relikten geforscht und dabei Knochen von vier Skeletten gefunden, die bis dahin offenbar übersehen worden waren. Bei der genaueren Untersuchung stellte sich heraus, dass drei der Skelette von Inuit waren, das vierte aber tatsächlich von Franklins Expedition stammt. Analysen ergaben, dass der Bleigehalt in den Knochen des Seemanns erheblich höher war als in denen der Inuit. Dieser Fund führte dazu, dass Beattie um die Genehmigung ersuchte, die drei Toten auf Beechey Island zu exhumieren, um Gewebeproben entnehmen zu können. Im August 1984 wurde zunächst John Torrington ausgegraben. Ausführlich beschrieben wird das gesamte Vorgehen der Wissenschaftler in dem Buch „Frozen in Time. The Fate of the Franklin Expedition“ von Owen Beattie und John Geiger (1987; dt.: Der eisige Schlaf, 1992). Auch der Leichnam von John Torrington wies insbesondere in den Haaren einen erhöhten Bleigehalt auf, was aber nicht die Todesursache war. Torrington hatte an Tuberkulose gelitten und war an einer Lungenentzündung gestorben. Beattie hatte sich die auf Beechey Island noch herumliegenden Konservendosen genauer angeschaut. Das Blei war an den Lötstellen dick aufgebracht und an der Innenseite der Dosen hinabge-
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laufen (Beattie und Geiger 2003, S. 113). Die Dosen waren von Stephan Goldner geliefert worden, der in den 1850er Jahren Schwierigkeiten wegen der schlechten Qualität der Konservendosen bekam, die er an eine andere Expedition geliefert hatte. 1986 wurden die Arbeiten auf Beechey Island fortgesetzt. Das Grab von John Hartnell war 1852 durch Inglefield bereits geöffnet worden, 1984 hatte Beattie nur kurz hineingeschaut und 1986 wurde Hartnell schließlich exhumiert. Zu ihrer Verblüffung stellten Beattie und seine Mitarbeiter fest, dass offenbar unmittelbar nach Hartnells Tod der Schiffsarzt eine Autopsie vorgenommen hatte, um die Todesursache festzustellen. So konnte man bei der Gelegenheit gleich etwas über Autopsietechniken des 19. Jahrhunderts lernen. Die Schnitte waren genau andersherum gesetzt, als es in den 1980er Jahren üblich war (Beattie und Geiger 2003, S. 139). Bei Röntgenaufnahmen zeigte sich, dass die Organe nicht mehr an ihrem üblichen Platz waren. Auch William Braine wurde exhumiert. Alle drei hatten an Tuberkulose gelitten und waren an Lungenentzündungen gestorben, hatten aber offenbar auch alle drei eine Bleivergiftung (Beattie und Geiger 2003, S. 158). Da das Verschwinden der Franklin-Expedition die Gemüter noch immer nicht ruhen lässt und durch das zurückgehende Eis nun auch Stellen untersucht werden können, die bislang kaum zu erreichen waren, geht die Suche im 21. Jahrhundert mit wachsender Intensität weiter. Wie bereits im 19. Jahrhundert sind die Motivationen hinter den einzelnen Aktionen vielfältig. Sie konzentrieren sich außerdem nicht ausschließlich auf das Auffinden von Erebus und Terror, denn wie in Kapitel 5 deutlich wurde, blieben ja auch andere Schiffe in der Arktis zurück. Beispielsweise war bis 2010 das Schicksal von McClures Investigator ungeklärt, weil das Eis die Nordseite von Banks Island fest im Griff hatte. Im Sommer 2010 konnten aufgrund des Eisrückgangs Untersuchungen in der Mercy Bay durchgeführt werden. An Land wurden Überreste von McClures Überwinterung gefunden: verrostete Bleche, Fassdauben aus Hartholz, ein Treibanker, ein Haufen Kohle. Außerdem wurden die Grabstätten der drei Seeleute entdeckt, die kurz vor der Rettung gestorben waren. Unterwasserarchäologen fanden einige Tage später das Wrack der Investigator, die nur 7 m unter der Wasseroberfläche lag. Mit einem Seitensichtsonar wurde der gut erhaltene Bootskörper gescannt und mit einer ferngesteuerten Videokamera Außenaufnahmen des Schiffskörpers gemacht (Opel 2011). Im darauf folgenden Jahr (2011) war erneut so wenig Eis in der Passage, dass die MS Bremen als erstes Kreuzfahrtschiff die Erlaubnis erhielt, Banks Island im Norden zu umrunden, wobei ein Blick in die Mercy Bay möglich war. Die Passagiere konnten sich nun von der extremen Unwirtlichkeit des Ortes überzeugen, zu dem McClure in einem Sturm Zuflucht gesucht hatte und dann zwei Winter dort im Eis gefangen war, bevor er sein Schiff aufgeben musste. Die kanadische Regierung setzt Sommer für Sommer eines ihrer Küstenwachschiffe, meist die Sir Wilfried Laurier, für die Suche nach den Wracks von Erebus und Terror ein. 2008, 2010, 2011 und 2012 fanden Expeditionen statt. Mit jeder Saison wird das noch abzusuchende Gebiet kleiner und die Hoffnung, endlich etwas zu finden, größer. Robin
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Rondeau vermutet die beiden Wracks nördlich von King William Island auf dem Grund des Larsen Sound (Rondeau 2010, S. 11). Finanziert wird die neuerliche Suche einerseits von der kanadischen Regierung, andererseits zeigen aber auch private Institutionen Interesse an der Auffindung von Erebus und Terror. Nachdem schon in den 1980er Jahren intensiv aber vergeblich nach den beiden Wracks gesucht worden war, wurde 1992 vom Historic Sites and Monument Board entschieden, Erebus und Terror, ohne dass sie gefunden worden waren, zur „national historic site“39 zu erklären. 1997 unterzeichneten Kanada und Großbritannien eine Vereinbarung, die Kanada das Recht zusprach, die britischen Schiffe und eventuelle menschliche Überreste zu bergen, zu erhalten und zu verwalten. 2006 wurde der Status der beiden bislang nicht gefundenen Wracks als „national historic site“ bestätigt. Es handelt sich dabei um das einzige historische Monument, das registriert ist, ohne vorhanden zu sein. Die Suche nach Erebus und Terror beschäftigt keineswegs nur Geschichtsfreaks, Unterwasserarchäologen oder Liebhaber historischer Schiffe. Sie wird aktiv in die Diskussion um die Wahrung der kanadischen Hoheitsansprüche im Norden einbezogen. Würde eines der beiden Wracks in der Nordwestpassage lokalisiert, könnte Kanada den Status als Weltkulturerbe dafür beantragen und dies dazu benutzen, seinen Anspruch auf Kontrolle des Verkehrs in der Nordwestpassage zu untermauern. Außerdem könnte den ehemals britischen Schiffen Erebus und Terror eine symbolische Rolle für Kanadas Argumentation zukommen, dass es sich bei der Nordwestpassage um historische Binnengewässer handelt. Schon länger überlegt Kanada, für die Nordwestpassage aufgrund ihrer ökologischen Bedeutung den Status als Weltnaturerbe zu beantragen. Wenn man das mit einem Weltkulturerbe kombinieren könnte, wäre das hervorragend und würde Kanadas Autorität zur Regulierung des Zugangs zur Passage stärken, meint Adriana Craciun, Professorin an der University of California (Craciun 2012). Außerdem könnte eine Anerkennung als Welterbe auch eine Rolle spielen, wenn es darum geht, den Abbau von Bodenschätzen in umweltschutzbedürftigen Regionen zu regulieren. Heikel dabei ist, dass durch private Investoren finanzierte moderne Suchexpeditonen vielschichtig angelegt sind und teilweise von Firmen finanziert werden, die den Meeresboden eigentlich nach Lagerstätten absuchen oder anderweitige Interessen verfolgen. So war bei der Untersuchung des Wracks der Breadalbane, die von mehreren Sponsoren, darunter auch eine Ölfirma, finanziert worden war, eigentlich eruiert worden, ob und wo man am besten eine Pipeline verlegen könnte. Die Breadalbane war nach Beechey Island geschickt worden, um Belchers Schiffe mit frischem Proviant zu versorgen. Von Eis zerdrückt war sie am 21. August 1853 vor der Küste von Beechey Island gesunken. 1980 hatte Dr. Joe MacInnis die Überreste des gut erhaltenen Schiffs in 100 m Tiefe lokalisiert. 1983 hatte eine Tauchergruppe unter seiner Leitung das Wrack in Augenschein genommen. Ohne die Unterstützung von Dome Petroleum hätten die Archäologen keinen Zugang zu der teuren Forschungsausrüstung gehabt, die die Entdeckung des Wracks erst möglich gemacht hatte. Vergleichbare Verknüpfungen sind auch bei der Suche nach Erebus und
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Terror zu erwarten (Craciun 2012), was zeigt, dass die Nordwestpassage auch im 21. Jahrhundert der Kernpunkt von widerstreitenden politischen, militärisch-strategischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und nicht zuletzt auch romantischen Interessen bleibt. Und weil Kanadas Hoheitsansprüche in der Arktis und über die Gewässer der Nordwestpassage wichtig für die kanadische Identität sind – sie werden sogar zum Wahlkampfthema gemacht –, wird die Suche nach den Überresten von Franklins Expedition unermüdlich weitergehen.
Northwest Passage Song by Stan Rogers Ah, for just one time I would take the Northwest Passage To find the hand of Franklin reaching for the Beaufort Sea; Tracing one warm line through a land so wild and savage And make a Northwest Passage to the sea. Westward from the Davis Strait ’tis there ’twas said to lie The sea route to the Orient for which so many died; Seeking gold and glory, leaving weathered, broken bones And a long-forgotten lonely cairn of stones. Three centuries thereafter, I take passage overland In the footsteps of brave Kelso, where his “sea of flowers” began Watching cities rise before me, then behind me sink again This tardiest explorer, driving hard across the plain. And through the night, behind the wheel, the mileage clicking west I think upon Mackenzie, David Thompson and the rest Who cracked the mountain ramparts and did show a path for me To race the roaring Fraser to the sea. How then am I so different from the first men through this way? Like them, I left a settled life, I threw it all away. To seek a Northwest Passage at the call of many men To find there but the road back home again.
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„nutze es oder büße es ein“ „nationale kulturhistorische Sehenswürdigkeiten“
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Ortsregister Adelaidehalbinsel, 145, 151,
155, 178 Amundsengolf, 160, 212 Anián, Straße von, 19, 20, 25, 26, 29, 52 – 54, 80
Back River (Großer Fischfluss), 105 – 109, 133,
138, 145 Baffin Bay, 9, 31, 49, 78, 83, 102, 104, 113, 114, 116, 124, 125, 136, 147, 165, 199 Banks Island, 115, 126, 127, 131, 162, 215 Barrow, 196, 214 Barrowstraße, 84, 115, 116,
118, 121, 136, 144, 157, 160 Bathurst Inlet, 90, 92 Bathurst Island, 122 Batty Bay, 97, 123 Beaufortsee, 187, 212 Beechey Island, 116, 118 – 121, 123 – 125, 130, 131, 136, 138, 150, 158,
162, 208, 209, 214 – 216 Bellotstraße, 123, 136, 144, 157, 178, 189, 201, 210 Beringstraße, 53, 79, 80, 85, 89, 114, 117, 124, 126, 128, 131, 132, 155, 159, 160, 200 Bloody Falls, 100
Ortsregister
Bloudie Point, 170 Boothia Felix, 102, 106, 107, 109, 115, 133, Boothiahalbinsel, 102, 103, 123, 150, 151, 155, 157, 178, 189, 210 Borden Island, 129 Brodeurhalbinsel, 117 Byam Martin Island, 121 Bylotinseln, 117, 164
Cambridge Bay (Ikaluktutiak),
132, 151, 156, 157, 192, 195, 197, 201, 211 Cape Bathurst, 99, 115 Cape Crozier, 138 Cape Dundas, 89 Cape Farewell, 20, 150 Cape Felix, 103, 109, 137, 145 Cape Franklin, 90 Cape Fullerton, 70, 151 Cape Herschel, 137, 138, 190 Cape Hope, 62 Cape Lisburne, 126, 128, 131 Cape Parry, 99 Cape Walker, 114, 115, 121, 123 Carlton House, 100 Castor-und-Pollux-Fluss, 133 Chamisso Island, 100 Chantrey Inlet, 106, 109 Chester, 161, 164 Chesterfield Inlet, 62, 63, 65, 67, 70 – 72, 133, 151, 155, 185 Churchill, 38, 41, 50, 53, 60 – 62, 68, 69, 73, 75, 76, 92, 185, 193, 199 Collinsonhalbinsel, 132 Coppermine (Kuglugtuk), 156 Coppermine River, 51, 76, 78, 85, 88, 90, 99, 100, 108, 110, 184 Cornwall Island, 152 Cornwallis Island, 120 – 122, 138, 191, 210 Coronationgolf, 92, 131, 132, 151, 152 Countess of Warwick, 22, 24 Craig Harbour, 187, 190 – 192 Croker Mountains, 85, 86, 88, 102, 104 Cumberland Sound, 27, 28
Dänemarkinsel, 155
Davisstraße, 9, 20, 28, 31, 32, 38, 39, 47, 49, 83, 102, 113, 135, 136, 147, 156, 197, 199 Dealy Island, 126, 128 – 131 Deasestraße, 109, 132 Devon Island, 118, 152, 187, 208, 209 Digges Island, 37, 38, Dolphin-und-Union-Straße, 100, 131, 132 Dundas Harbour (Talluruti), 187, 189, 208 Dundashalbinsel, 126
Elizabeth’s Foreland, 20 Ellesmere Island, 124, 140, 146, 148, 154, 187, 191 Erebusbucht, 118, 145 Eskimo Point, 69 Five Men’s Sound, 21
Fort Chipewyan, 82, 91, 92 Fort Confidence, 108, 109 Fort Enterprise, 91 – 93 Fort Franklin, 99, 100 Fort Macpherson, 187 Fort Prince of Wales, 50, 75 Fort Providence, 91, 93 Fort Reliance, 105 Fort Wedderburn, 91 Fort York, 68, 91 Foxebecken, 9, 31, 38, 49, 83, 94, 113, 141, 147, 165, 199, 201 Franklin Bay, 99 Franklinstraße, 144, 150, 151 Frobisher Bay, 21, 28, 171, 197, 199 Frobisherstraße, 21 – 23, 25 – 27, 29, 141, 169 Frozen Strait, 62, 64, 94, 107 Fullerton Harbour, 187 Fury Beach, 104, 115, 120 Fury Point, 102 Fury-und-Hecla-Straße, 96, 175, 201
Gjøa Haven (Uqsuqtuuq),
151, 152, 156, 157, 210, 211 Golf of Boothia, 102, 107 Grinnellhalbinsel, 125 Großer Bärensee, 98 – 100, 108, 187, Großer Sklavensee, 9, 31, 49, 76, 81 – 83, 105, 113, 147, 165, 199
James Bay, 35, 45
James-Ross-Straße, 103, 150, 152 Jones Sound, 38, 85, 121, 124, 125 Juan-de-Fuca-Straße, 78
Kamtschatka, 54, 55 – 57,
79, 100. 111, 218 Kap der Guten Hoffnung, 45, 46 Kap Hoorn, 58, 100, 114, 117, 126 Kap York, 154, 184 Kenthalbinsel, 92, 101, 108, 109 King Point, 152, 153 King William Island, 103, 109, 132, 133, 136, 139, 141, 143 – 145, 151, 152, 155, 157, 178, 201, 211, 214, 216 King William Land, 103, 106, 109, 114, 133, 150 Kodlunarn Island, 22, 25, 141, 170
Labrador, 9, 10, 12, 13, 20,
28, 31, 32, 38, 49, 83, 113, 128, 147, 165, 169, 186, 194, 199, 201 Lake Huron, 98 Lancaster Sound, 85 – 88, 96, 102, 104, 115 – 117, 124, 144, 150, 158, 160, 163, 197 Larsen Sound, 216 Little Hall Island, 21, 22
Mackenzie River, 49, 82, 83,
Herschel Island (Qikiqtaryuk), 99. 152, 153, 157, 158, 187, 213, 214, 219 Holman (Ulukhaktok), 156, 211, 212 Hopes Check’d, 37 Hudson Bay, 9, 23, 31, 34 – 47, 49 – 52, 54, 57, 59, 60, 62, 63, 65, 67, 68, 70 – 72, 77, 78, 82, 83, 85, 92, 94, 106, 113, 142, 144, 147, 151, 155, 165, 183, 187, 190 – 192, 199 Hudsonstraße, 9, 21, 23, 28, 31, 32, 34, 36, 38, 39, 43 – 45, 49 – 52, 57, 60, 67, 68, 71, 83, 94, 113, 143, 147, 165, 172, 199, 201
98, 99, 108, 110, 113, 114, 128, 147, 165, 166, 182, 187, 199, 213, 217 Marmorinsel (Marble Island), 44, 52, 53, 62, 68 – 70, 72, 74, 75, 214 Matty Island, 103, 150 Maury Channel, 122 McClurestraße, 158, 161, 162 Melville Island, 88 – 90, 115, 120, 121, 124 – 127, 129 – 131, 158 Melvillehalbinsel, 94 – 96, 101, 106, 107, 174, 184 Mercy Bay, 127, 131, 161, 215 Minto Inlet, 131, 181 Mistaken Strait, 23, 26, 28, 29, 34, 36 Molukken, 11, 14, 18, 26 Montreal, 15, 16, 81, 90, 208 Montrealinsel, 136 Mount Dundas, 154
Icy Cape, 49, 79, 98 – 100,
Navy Board Inlet, 104
Halifax, 156, 158, 163
110 Igloolik, 96, 197 Iqaluit (Frobisher Bay), 172, 197, 199, 208
Ne Ultra, 37, 38, 43, 52, 59 Nelson (Nelson River), 38, 44 Neufundland, 9, 10, 12 – 15, 28, 31, 49, 83, 113, 143,
147, 166, 199 Nome, 153, 211 Norman-Wells-Gebiet, 187 North Slope, 160, 162 Northumberland Sound, 125 Nowaja Semlja, 17, 29, 33 Nunavut, 166, 172, 186, 196 – 198, 202, 208, 209, 211, 212
Parrykanal, 88, 96, 200,
201, 210 Pasley Bay, 157 Pauline Cove, 214 Peel Sound, 115, 120, 123, 136, 144, 150, 158, 201, 210 Pelly Point, 132 Pillage Point, 99 Point Barrow, 100, 101, 108, 126, 131, 156, 157 Point Franklin, 103 Point Surprise, 122 Point Turnagain, 92, 101, 106 – 108 Pond Inlet (Mittimatalik), 158, 187, 189 – 193, 208 Port Harrison (Inukjuak), 190, 191, 193 Port Leopold, 115, 116, 123 Prince of Wales Island, 121 Prince Patrick Island, 129 Prince Regent Inlet, 96, 97, 102, 115, 120, 128, 136, 157, 158, 210 Prince-of-Wales-Straße, 126, 127, 131, 158, 160, 161 Prudhoe Bay, 108, 160, 162, 164 Resolute (Qausuittuq), 190, 191, 193, 194, 209
Queen-Maud-Golf, 151, 152 Rae Isthmus, 101, 107 Rankin Inlet, 69, 70, 72, 74 Repulse Bay, 62, 71, 75, 92, 94, 101, 106, 107, 133, 155, 177, 185 Resolution Island, 20. 28, 51 Return Reef, 99, 101, 108 Roes Welcome Sound, 37, 38, 43, 52, 57, 59 – 62, 70, 71, 187 Sachs Harbour, 162
Schwatkabucht, 151 Simpsonhalbinsel, 178 Simpsonstraße, 109, 150 – 152, 207 Smith Sound, 38, 85, 124, 144, 147 Smoking Hills, 212, 213 Somerset Island, 102, 115, 117, 120, 123, 189 Southampton Island, 38, 43, 61, 94, 107, 199
221
222
Abenteuer Nordwestpassage
Spence Bay (Taloyoak), 156, 189 Spitzbergen, 17, 33, 38, 47, 84, 102, 147, 211 St.-Lorenz-Golf, 14, 15 Starvation Cove, 145, 155 Sverdruparchipel, 148
Tasmanieninseln, 151
Thomas Roe’s Welcome Insel, 43 Thule, 9, 154, 161, 162, 167 Tuktoyaktuk, 157
Victoria Land (Victoria Island), 100, 108, 109, 126, 127, 131, 132, 156, 157, 181, 184, 210
Victoriastraße, 139, 178 Victory Harbour, 103, 104 Victory Point, 103, 137, 145 Viscount Melville Sound, 126, 160
Wagerbucht, 62 – 64, 70,
122 – 125, 130, 138 Winter Harbour, 88, 115, 126, 127 Winter Island, 94, 185 Wollaston Land, 181 Wollastonhalbinsel, 100
144 Wellingtonkanal, 115, 120,
York Factory, 61, 68, 69, 90,
52, 60, 61, 69, 72, 76, 77, 91 – 93, 106, 123, 148, 183, 220 Innuinaktun, 186, 211 Intrepid, 118, 120, 124, 125, 127, 129 – 131 Inuit, 21, 24, 27, 33, 36, 37, 51 – 53, 58, 62, 68 – 70, 72 – 74, 76, 92, 95, 96, 98, 99, 102, 103, 108, 116, 121, 122, 128, 131 – 134, 136, 139, 141, 143 – 146, 151 – 155, 163, 165 – 174, 176 – 180, 182, 184 – 198, 202, 208, 210, 214, 218 – 220 Inuksuit, 184, 212 Inuktitut, 102, 128, 133, 142, 166, 186, 196, 208 – 211 Inupiaq, 166 – 168, 182, 214 Inuvialuit, 166, 183, 214 Investigator, 114 – 117, 124, 126 – 131, 134, 181, 209, 213, 215, 220 Isabella, 86, 87, 104, 105, 221
Maud, 156, 211 Meereis, 94, 99, 102, 201 Mermaid, 27, 28 Meteoreisen, 86, 184 Meuterei, 32, 33, 35 – 37, 100 Michael, 20 – 22 Mission, 15, 86, 128, 156, 166, 168, 171, 172, 182, 186, 188, 194, 214 Moonshine, 27, 28 Moschusochsen, 88, 127, 176, 184, 190 Mounted Police (RCMP), 152, 156, 157, 186 – 191, 195, 208, 214, 218, 220 Muscovy Company, 13, 16, 32, 33, 47
93, 113, 132, 133
Sachregister Admiralität, 17, 42, 58, 59,
84, 86, 88, 100, 105, 110, 111, 113 – 119, 121, 123, 124, 135, 144, 180, Advance, 118, 120 Albany, 51, 53, 73, 74 Alexander, 86, 87 Alkohol, 60, 69, 194 Assistance, 118, 120, 124, 125, 130, 131 AWZ (Ausschließliche Wirtschaftszone), 205, 206 Ayde, 22
Baffinland-Inuit, 168, 172,
173, 176 Beiboot, 21, 36, 52, 56, 62, 69, 70, 104, 122, 138 Beluga, 173, 176, 182 Biberfelle, 47, 49 Blei, 214, 215 Blossom, 99, 100 Breadalbane, 216
Chipewyan, 51, 72, 75, 76,
82, 91, 92, 183 Churchill, 72, 73, 75 Company of Cathay, 20 Company of Merchant Adventurers, 13, 16 Cree, 35, 51, 60, 123, 186 Cypress-Hill Massaker, 186
Depot, 113, 115, 117, 120,
122, 124 – 131, 154, 180 DEW Line, 159. 160, 200, 210 Discovery, 32, 34, 35, 37, 38, 51 – 53, 59, 73, 78, 144 Dobbs Galley, 68 Dolmetscher, 55, 73, 86, 91 – 93, 95, 98, 99, 128, 132 – 134, 136, 144, 155, 168, 174, 181 – 183 Dolphin, 99, 100 Dorothea, 85 Dorset-Kultur, 167, 172, 209
East India Company, 31,
32, 34 Eisbär, 96, 128, 173, 176, 191, 209 Eisbrecher, 96, 160 – 164, 200, 202, 203, 207 Enterprise, 114 – 117, 124,
126, 130 – 132, 182 Erdöl, 150, 160, 162 – 164, 187, 196, 199, 203, 205, 213, 216 Erebus, 83, 110 – 112, 118, 124, 133, 138, 139, 141, 143, 145, 164, 215 – 217 Erfrierungen, 61, 89 Erz, 22 – 25, 50, 51 Eskimo, 21, 53, 68, 69, 86, 99, 134, 145, 154, 165 – 171, 174, 176, 180 – 185, 187, 190, 193, 212, 214, 218 – 221
Felix, 118, 120 Fellhandel, 54, 80, 188 Fischfang, 173, 182, 205 Fram, 148, 150 Frühwarnsystem, 159, 200 Furnace, 59, 60, 63 Gabriel, 20 – 22
Geisel, 21, 168 – 170 Gewürz, 7, 11 – 14, 31, 46, 168 Gjøa, 149 – 153, 156, 211 Gold, 12, 15, 16, 20, 22, 23, 25, 51, 52, 63, 177, 217 Grindwal, 57, 62 Griper, 87 – 89, 101
Harpune, 167, 173, 176, 185 Hecla, 87 – 89, 94, 96, 97, 100, 101, 174, 185. 209, 220 Henrietta Maria, 42, 44 Herald, 114, 117 Herrnhuter Brüdergemeine, 128, 186, 194 Holzbein, 103 Home-Indians, 60, 68, 183 Hopewell, 32, 33 Hudson’s Bay Company (HBC), 47, 49, 50 – 54, 57 – 61, 63 – 65, 67 – 69, 71 – 73, 75, 81, 90, 91, 98, 107, 108, 113, 114, 118, 123, 128, 132, 134, 156, 157, 183, 188 – 190, 193, 197, 208, 210, 211, 220
Iglu, 95, 191, 207
Iglulik, 168, 174 – 178, 180 Indianer, 13 – 16, 35, 51,
Kabluna, 133, 141, 143, 167,
171, 174, 180, 184, 196 Kajak, 21, 27, 68, 96,167, 168, 171, 176, 179, 180, 182,184 Kannibalismus, 133, 169 Kanu, 69, 70, 77, 79, 81, 82, 92 Karibu, 75, 88, 127, 168, 173, 176, 178, 182 – 185, 190, 191 – 193 Kleine Eiszeit, 60, 171, 190, 199 Konservendosen, 89, 119, 215 Kryolith, 156, 158, 159 Kupfer, 51, 53, 70, 72, 75, 76, 168, 174, 180 – 185, 190
Labrador, 160, 210
Lady Franklin, 118, 120, 121 Lederschuhe, 89, 90, 92, 94, 148, 173, 176, 191 Louis St. Laurent, 164
Magnetpol, 103 – 105, 110, 136, 149 – 151 Manhattan, 160 – 164, 199, 202, 204, 218, 221
Narwal, 39, 40, 173, 176,
208 Nascopie, 156, 189 Netsilik, 145, 151, 168, 174, 178 – 181, 184, 185, 211, 218, 219, 221 Nordostpassage, 7, 16 – 18, 40, 55, 60, 156, 200, 211 Nordpol, 18, 52, 84, 85, 102, 143, 144, 147 – 149, 160, 204, 206, 207, 209, 220, 221 North Star, 116, 117, 124, 130, 209 North West Committee, 67, 68 North West Company, 72, 81, 82, 90, 91, 107 Northumberland-Haus, 209 Northwind, 161, 162
Ölpest, 163, 203
Ostindienkompanie, 31 – 34
Packeis, 107, 129, 136, 147,
202, 204 Pelze (Felle), 28, 29, 31, 35, 47, 49, 57, 69, 80, 138, 171, 173, 179, 184, 188, 193, 196, 201 Pioneer, 118, 120, 124, 125, 130, 131 Polar Sea, 161, 202 Polar Star, 161 Polarkreis, 45, 87 Polarmeer, 7, 18, 29, 75 – 77, 84, 85, 140, 147, 206, 219
Personenregister
Prince Albert, 118 – 120, 123, 210 Pyrit, 16, 25, 176
Rescue, 118, 120
Resolute, 118, 120, 124, 125, 127 – 131, 135, 221 Resolution, 37, 59, 78 Robben, 27 – 29, 75, 143, 144, 150, 166, 167, 169, 173, 174, 176, 178, 179, 182, 189 – 191, 208, 210 Royal Navy, 37, 38, 58 – 60, 84, 85, 87, 88, 94, 102, 114, 118, 132, 136, 137, 144, 180, 183
Schlitten, 76, 96, 102, 103,
106, 115, 116, 120 – 123, 125 – 132, 136, 139, 140, 144, 146, 148, 151 – 155, 157, 163, 173, 175, 178 – 181, 185, 191, 221
Schneeschuhe, 60, 166 Seerecht, 201, 202, 204 – 206, 220 Seide, 11, 12, 14, 145 Siglit, 182, 183, 214 Silbenschrift, 186, 196, 211 Silber, 23, 133, 136, 145 Sir Wilfried Laurier, 215 Skelette, 73, 138, 140, 143, 145, 214 Skorbut, 15, 17, 39, 41, 45, 56, 61, 69, 104, 120, 144, 180 Somerset House, 104 Sophia, 118, 120, 121, 123 Souveränität, 159, 163, 187, 200 St. Roch, 155 – 160, 218 Steinmal (Cairn), 99, 118, 119, 131, 137, 138, 140, 157, 158, 184, 210, 212, 217 Sunshine, 27, 28
Tätowierung, 169, 175, 176, 208
Terror, 83, 106, 107, 110 – 112, 118, 119, 124, 133, 138, 139, 141, 143, 145, 164, 215 – 217, 221 Thule, 9, 153 – 155, 161, 162, 167, 184, 221 Thule-Kultur, 167, 172, 209, 214 Tide, 24, 27, 37, 42, 43, 45, 50, 59, 61, 62, 68, 71, 72, 172 Tourismus, 201, 206 – 208 Tranlampe, 191, 192 Treibholz, 17, 72, 152, 167, 173, 182, 185 Trent, 85, 100, 123 Tuberkulose, 98, 189, 214, 215
Ulu, 167, 211, 212 Umiak, 167, 182 Umsiedlungen, 189, 190, 192, 197, 201, 209 Umweltschutz, 163, 204, 205, 216
Union, 99, 100
Victory, 102 – 105, 116, 179 – 181, 184, 185
Wal, Walfang, 27, 33, 38 –
40, 43, 47, 58, 72, 74, 84, 85, 104, 112, 113, 116, 118, 120, 121, 123, 128, 135, 136, 141 – 144, 152, 166 – 168, 171, 173, 174, 182, 187, 189, 196, 213, 214 Waldläufer (Voyageurs), 82, 92, 93, 98 Walross, 39, 40, 132, 173, 176, 189, 191, 208 Wikinger, 10, 27, 167 World Discoverer, 207
York-Boote, 91
Yupik, 166, 167
Personenregister Akaitcho, 91, 93 Aldrich, Leutnant, 120, 121 Amundsen, Roald, 7, 132, 147 – 157, 178, 180, 181, 201, 211, 218 Anson, George Lord, 58, 60 Augustus (Tattannoeuck), 92, 98, 182, Austin, Horatio, 118 – 122 Back, George, 90 – 93,
98 – 100, 105 – 109, 114, 115, 178, 218 Baffin, William, 31, 38 – 42, 85, 124 Banks, Joseph Sir, 90 Barents Willem, 17, 18, 29, 32, 33 Barrington, Daines, 85 Barrow, John Sir, 84, 85, 87, 110, 125, 130, 219 Bathurst, Henry 3. Earl of Bathurst, 90 Beattie, Owen, 74, 209, 214, 215, 218 Beechey, Frederick William, 85, 100, 108, 114 Belcher, Edward Sir, 124, 125, 130, 134, 140, 216, 218 Bellot, Joseph René, 123, 150, 209, 210, 218 Bennett, James Gordon, 144 Bering, Vitus, 54 – 57, 68, 80, 85, 221 Best, Geoffrey, 22, 23 Best, George, 25, 26 Birket-Smith, Kaj, 155, 218 Booth, Felix, 102, 118
Braine, William, 118, 215 Briggs, Henry, 42, 43 Brønlund, Jørgen, 154 Brownel (Brunel), Oliver, 32, 33 Buchan, David, 85 Buddington, James, 135 Button, Thomas Sir, 31, 37, 38, 41 – 45, 52 Bylot, Robert, 36 – 41, 85
Cabot, John, 12, 13, 14
Cabot, Sebastian, 12, 13, 16, 32, 36, 168 Cartier, Jacques, 9, 15, 16 Champlain, Samuel de, 166 Chancellor, Richard, 16 Chartrand, Albert, 157 Chesterfield, Earl of, 67, 70 Clerke, Charles, 78, 79 Collinson, Richard, 117, 124, 126, 130 – 132, 151, 158, 182 Cook, James, 49, 59, 78 – 80, 98 – 100, 110, 218 Corte Real, Gaspar, 13, 14, 32, 36 Corte Real, Miguel, 13, 32, 36 Crawford, Sophia, 118 Crozier, Francis Rawdon Moira, 110, 111, 136, 138, 143
Davis, John, 9, 26 – 29, 32,
34, 36, 38 de l’Isle, Guillaume, 53, 55 de l’Isle, Joseph Nicolas, 55, 56, 66, 218 Dease, Peter Warren, 98, 107, 108, 113, 131, 132, 137
Dee, John, 26 Digges, Dudley Sir, 34 Dixon, George, 80 Dobbs, Arthur, 57 – 59, 63 – 71, 218 Drage, Theodore Swaine, 68 – 71 Drake, Francis, 26, 29,
Ellis, Henry, 24, 68 – 72, 219 Elson, Thomas, 100, 108, Evans, Michael Robert, 197, 218 Fitzjames, James, 110, 111,
136, 138 Fonte, Bartolomé de Admiral, 65,66,79, 80, Forsyth, Charles, 118 – 121, 123 Foxe, Luke, 31, 42 – 46, 52 Franklin, Jane Lady (Jane Griffin), 109, 110, 113, 114, 117 – 120, 123, 124, 129, 134 – 136, 140, 143, 144, 209 Franklin, John Sir, 50, 53, 74, 76, 83 – 85, 88, 90 – 94, 97 – 100, 101, 103, 106 – 111, 113, 114 – 126, 129, 131 – 150, 155, 158, 168, 177, 181, 182, 183, 186, 206, 208, 209, 210, 212 – 215, 217 – 221 Freuchen, Peter, 154, 155 Frobisher, Martin, 9, 20 – 29, 32, 34, 36, 42, 141, 169 – 171, 221 Fuca, Juan de, 65, 80
Gastaldi, Giacomo, 18, 19 Gilbert, Humphrey, 17, 18, 26, 27 Gilder, William, 144, 186, 219 Gillis, Tanja (Tagaq), 197 Gómez, Esteban, 14 Gore, Graham, 137, 138 Greely, Adolphus, 146 Grinnell, Henry, 118, 135, 140 Hakluyt, Richard, 26, 29, 32, 166, 169, 219, 221 Hall, Charles Francis, 140 – 144, 171, 177, 185, 186, 219, 220 Hall, Christopher, 20 – 22, 24, 171 Hall, James, 40 Hannah (Tookoolito; Taqulittuq), 141, 142 Hartnell, John, 118, 124, 215 Hearne, Samuel, 73 – 78, 82, 90, 110, 183, 219 Heere, Lucas de, 170 Heinrich Prinz von Wales, 37, 38 Hepburn, John, 91 – 93, 123 Hobson, William Robertson, 135 – 139 Hood, Robert, 91 – 93 Hudson, Henry, 31, 33 – 38, 40
Idlout, Joseph, 190, 193, 194 Inglefield, Edward Augustus, 124, 130, 215 Irving, John, 138, 145 Isham, James, 61, 69, 71
223
224
Abenteuer Nordwestpassage
Jackson, Frederick George,
148 James, Thomas, 42 – 47 Janes, John, 26 – 29 Jenkins, Commander, 130 Jenness, Diamond, 190, 220 Johansen, Hjalmar, 148 Johnston, Magnus, 72 Joseph Ebierbing (Joe; Ipirvik), 141, 142, 144 Junius (Hoeootoerock), 92
Kane, Elisha Kent, 118 Kellett, Henry, 117, 124 King, Richard, 106, 107, 114 Klengenberg, Christian, 156, 212 Klutschak, Heinrich, 144, 145, 220 Knight, James, 50 – 54, 57, 59, 62, 72, 73 Knight, John, 32 Kolumbus, Christoph, 11 – 13, 23 Kotzebue, Otto von, 85 Krusenstern, Adam Johann von, 85 Lake, Bibiye Sir, 57
Larsen, Henry Asbjørn, 145, 147, 153, 156 – 159 Lok, Michael, 21, 23, 65, 170 Lyall, Ernie, 189, 220 Lyon, George Francis, 96, 101, 174, 175, 177, 184, 185
Mackenzie, Alexander, 49,
81, 82 Magellan, Fernando, 11, 14 Malaspina, Alejandro, 80 Maldonado, Ferrer, 53, 80 Markham, Clements Sir, 146, 147 McClintock, Francis Leopold, 115, 120, 121, 124, 126, 129, 130, 135, 136, 138 – 140, 144, 147, 210, 220 McClure, Robert, 113, 116, 117, 124, 126 – 132, 148, 158, 161, 180, 181, 182, 213, 215, 220 Mecham, Geroge, F. Leutnant, 120, 126, 129 Mercator, Gerhard, 19, 20 Michel, 92, 93 Middleton, Christopher, 58 – 65, 68 – 70, 94 Miertsching, Johann, 128, 132, 181, 220 Moodie, Major, 151 Moor, William, 59, 62 – 65, 68 – 71, 94 Morgan, Thomas, 131, 209 Munk, Jens, 37, 40, 41, 50, 59
Nansen, Fridtjof, 147, 148, 152, 154 Nares, George, 144 Norton, Moses, 72, 73, 75
Ommanney, Erasmus,
118 – 121 Ortelius, Abraham, 19, 20
Osborn, Sherard, 118 – 121, 124, 130, 147, 220 Ouligbuck, 98, 99
Parry, William Edward, 83,
85, 87 – 90, 94 – 97, 99, 100, 102, 104, 107, 110, 114, 115, 120, 126, 158, 174 – 178, 184, 185, 209 Penny, William, 118, 120 – 124 Petitot, Emile, 182 Pim, Bedford C. T., Leutnant, 128 Porden, Eleanor Anne, 98 Pricket, Abacuk, 37
Radisson, Pierre-Esprit, 47 Rae, John Dr., 114, 132 – 134, 136, 143, 144, 176 Rankin, John, 59, 62, 63 Rasmussen, Knud, 153 – 155, 167, 177, 184, 218, 219, 221 Richardson, John, 90 – 93, 97 – 100, 114, 212 Roberval, Sieur de, 15, 16 Roe, Thomas Sir, 42, 45 Ross, James Clark, 102, 103, 105, 106, 109, 110, 114 – 116, 120, 137, 149 – 151 Ross, John Sir, 85 – 88, 102, 104 – 106, 113, 116, 118, 120, 137, 138, 175, 178 – 181, 208 Sackheuse, John (Sack-
heouse, Sacheuse), 86
Sanderson, William, 26, 28, 29 Schutz, Jonas, 22, 23 Schwatka, Frederick Leutnant, 144, 145, 186 Scoresby, William, 84 Scroggs, John, 52, 53, 59, 61 Simpson, George, 93, 108 Simpson, Thomas, 107, 108, 109, 113, 131, 133, 137 Stefansson, Vilhjalmur, 129, 221 Sutherland, Dr., 124 Sverdrup, Otto, 148, 150, 155, 187
Thompson, Edward, 59,
63 – 65 Thorne, Robert, 17, 18, 27 Tookoolito (Hannah), 141, 142 Torrington, John, 119, 214
Vaughan, David, 51, 52
Verrazano, Giovanni, 14, 15, 33 Vesconte, Henry Le, 143
Wager, Charles Sir, 58, 62 Waymouth, George, 32, 36 Wigate, John, 63 – 65, 68 Wiik, Gustav Juel, 153 Wilkinson, Doug, 190, 191, 193 Willoughby, Hugh Sir, 16, 18, 32 Wollaston, Hyde Dr., 100 Wolstenholme, John Sir, 34, 39
Abbildungsnachweis 1.2: © Magnus Manske – wikimedia commons; 1.3: Martin Frobisher © akg-images; 1.4: © Gordon Miller; 1.5: aus Thomas Ellis: A true report of the third and last voyage …; 1.6: © Canadian Museum of Civilizations; 2.3: © akg-images; 2.4: © Dreizung – wikimedia commons; 2.5 – 2.8: © Manitoba Historical Maps; 3.3: Karte der ersten Bering-Expedition © Frank Schulenburg – wikimedia commons; 3.4: aus: Wieland Hintzsche und Thomas Nickol (Hrsg.) Die Große Nordische Expedition. Gotha 1996; 3.5: Arthur Dobbs © Adam sk – wikimedia commons; 3.6: © Graham Young – www. ancientshore.com; 3.8: © Association of Canadian Map Libraries and Archives; 3.11–3.13 aus Samuel Hearne: A journey from Prince of Wales Fort …; 3.14: © Jan Arkesteijn – wikimedia commons; 3.16: aus Alexander MacKenzie: Voyages from Montreal through the continent of north America to the frozen and Pacific Oceans in 1789 and 1793 © www.gutenberg.org; 4.2: aus John Ross: A voyage of discovery …; 4.3: © akg-images/Britisch Library; 4.4: aus William Edward Parry: Journal of a voyage …; 4.5: © Dcoetzee – wikimedia commons; 4.7: aus John Franklin: Narrative of a journey ...; 4.8: aus William Edward Parry: Journal of a second voyage …; 4.9: aus William Edward Parry: Journal of a second voyage …; 4.10: aus John Franklin: Narrative of a second expedition ...; 4.11: aus Frederick William Beechey: Narrative of a Voyage to the Pacific and Beering‘s Strait, to Co-operate with the Polar Expeditions: Performed in His Majesty‘s Ship Blossom, under the Command of Captain F.W. Beechey ... in the years 1825, 26, 27, 28; 4.12: © akg-images; 4.13: © Arnaud Chulliat, Institut de Physique du Globe de Paris; 4.14: aus John Ross: Narrative of a Second Voyage …; 4.15: aus George Back: Narrative of an Expedition in HMS Terror …; 4.16: © bahatur – wikimedia commons; 5.2: © kavebear – wikimedia commons; 5.3: © dcoetzee – wikimedia commons; 5.4: © Auckland City Libraries; 5.5: © dcoetzee – wikimedia commons; 5.6: aus Elisha Kent Kane: The U.S. Grinnell Expedition in Search of Sir John Franklin: A Personal Narrative. New York: Harper & Brothers, 1854; 5.9: National Maritime Museum Greenwich; 5.10: aus Edward Belcher: The Last of the Arctic Voyages …; 5.11: aus George F.McDougall: The Eventful Voyage of H.M. Discovery Ship Resolute to the Arctic Regions in Search of Sir John Franklin. London: Longman, Brown, Green, Longmans, & Roberts, 1857; 5.12: © dcoetzee – wikimedia commons; 5.13: aus Illustrated London News; 5.14: © Petecarney – wikimedia commons; 5.16: © eng261.blogspot.de; 6.2: © akg/Science Photo Library; 6.6: © akg-images/Imagno; 6.9: © blogs.vancouversun.com; 6.11: © dewlinehistory.com; 6.12: © D. Kavanagh; 7.2:© akg-images/British Library; 7.3: aus Lucas de Heere: Théatre de tous le peuple ...; 7.4: :© akg-images; 7.5: :© akg-images; 7.7: aus William Edward Perry: Journal of a Second Voyage ...; 7.8: © akg-images; 7.10: © digitalfilmtree.com; 5.7, 5.8, 5.15, 6.3, 6.4, 6.5, 6.7, 6.8, 6.10, 7.6, 7.13, 7.14, 7.15, 8.1, 8.2, 8.3, 8.4, 8.5, 8.6, : © Gudrun Bucher