Abdingbarkeit und Gegenstand der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht: Eine dogmatische Abhandlung de lege lata mit Blick auf die Rechtswissenschaft in den Vereinigten Staaten und die Rechtsökonomik [1 ed.] 9783428553860, 9783428153862

Die Treuepflicht ist die zentrale Pflicht im Gesellschaftsverhältnis. Literatur und Rechtsprechung haben sie in einer Fü

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Abdingbarkeit und Gegenstand der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht: Eine dogmatische Abhandlung de lege lata mit Blick auf die Rechtswissenschaft in den Vereinigten Staaten und die Rechtsökonomik [1 ed.]
 9783428553860, 9783428153862

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Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 116

Abdingbarkeit und Gegenstand der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht Eine dogmatische Abhandlung de lege lata mit Blick auf die Rechtswissenschaft in den Vereinigten Staaten und die Rechtsökonomik

Von

Maximilian Mann

Duncker & Humblot · Berlin

MAXIMILIAN MANN

Abdingbarkeit und Gegenstand der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen

Band 116

Abdingbarkeit und Gegenstand der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht Eine dogmatische Abhandlung de lege lata mit Blick auf die Rechtswissenschaft in den Vereinigten Staaten und die Rechtsökonomik

Von

Maximilian Mann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-15386-2 (Print) ISBN 978-3-428-55386-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-85386-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Elena

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2017 an der Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft – als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 13. Dezember 2017 in Hamburg statt. Rechtsprechung und Literatur wurden bis November 2017 berücksichtigt. Ich danke zuvorderst meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Holger Fleischer für die Betreuung und die interessante sowie lehrreiche Zeit als sein wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg. Außerdem gilt mein Dank Herrn Professor Dr. Rüdiger Veil für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herzlich danke ich auch meinen Kollegen am Max-Planck-Institut für die fruchtbaren fachlichen Diskussionen und den spannenden fachfremden Austausch. Zudem danke ich meinen Eltern, insbesondere für ihren Zuspruch während der Erstellung dieser Arbeit. Mein ganz besonderer Dank gilt schließlich Dir, Elena. Du hast mich über die gesamte Zeit mit Deiner humorvollen und liebevollen Art begleitet. Ohne Dich wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Sie ist Dir gewidmet. Hamburg, im Januar 2018

Maximilian Mann

Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einleitung

19

A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Gang der Darstellung und Forschungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

Teil 2 Allgemeiner Teil

26

A. Gegenstand der Treuepflicht und seine Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Abstrakte Begriffsbeschreibung der Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Gängige Begriffsbeschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Grundmanns Begriffsschärfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Ableitung exakterer Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Eingrenzungskriterium aus dem Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Eingrenzungskriterium aus der Wirkweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Eingrenzungsindiz aus dem Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4. Geschärfte Begriffsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II. Konkretes Vorkommen der Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Geschäftsleiterbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Gesellschafterbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 III. Verhältnis zur gesetzlichen Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Allgemeine Institute aus Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Widersprüchliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Missbräuchliche Rechtsausübung (Rechtsmissbrauch i. e. S.) . . . . . . . . . . . 53 2. (Ergänzende) Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4. Sittenwidrigkeit gemäß §§ 138 Abs. 1, 826 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 5. Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 6. Weitere gesetzliche Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 7. Schlussbemerkung zur gesetzlichen Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

10

Inhaltsverzeichnis IV. Flankierende außergesetzliche Mechanismen und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Monetärer Anreiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Persönliche Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3. Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4. Produktmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 5. Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 6. Internalisierte Moralvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 7. Reputationsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 8. Vertragliche Einzelpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 9. Schlussbemerkung zur außergesetzlichen Umgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 V. Rechtsgrundlage der Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 VI. Zwischenergebnis in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

B. Fundament einer Abdingbarkeit – Aspekte der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Zwecke der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Gewährleistung von Gerechtigkeit beziehungsweise Effizienz . . . . . . . . . . . . 74 2. Gewährleistung materieller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Gewährleistung formeller Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 II. Typen des Eingriffs in die Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Fremdinteressenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Weicher Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3. Harter Paternalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 III. Schutzpflicht aus der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 IV. Vertragsfreiheit und Abdingbarkeit der Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 V. Zwischenergebnis in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 C. Zweckmäßigkeitsprobleme bei richterlichen Billigkeitsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . 92 I. Begriff des richterlichen Billigkeitsspielraums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 II. Zweckmäßigkeitsprobleme bezüglich des Ergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Einfluss außerrechtlicher Umstände auf den Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Stützung mit der Anreizstruktur des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Stützung mit empirisch belegten Rationalitätsdefiziten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 III. Zweckmäßigkeitsprobleme bezüglich des Prozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 IV. Billigkeitsspielräume und Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Anwendung der Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Abdingbarkeit der Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 V. Zwischenergebnis in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

Inhaltsverzeichnis

11

Teil 3 Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

105

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Zulässigkeit nach gegenwärtigem Stand der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . 106 1. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Normative Anknüpfung einer Unabdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 1. Wesensmerkmal/Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Treuepflicht als zwingendes überpositives Rechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Treu und Glauben als zwingendes Rechtsinstitut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4. Perplexität des Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 5. § 276 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 6. Inhaltskontrolle/Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 IV. Rechtsgründe für eine Unabdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Fremdinteressenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Gläubiger- und Arbeitnehmerinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Minderheitsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Interessen zukünftiger Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 d) Kollektivinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Schutz vor Selbstbestimmungsdefiziten (weicher Paternalismus) . . . . . . . . . . 132 a) Sinnlosigkeit einer Abbedingung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Scheinbare Sinnlosigkeit einer Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Nebenwirkungen der Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 cc) Andere Schutzmechanismen und monetärer Ausgleich . . . . . . . . . . . . 137 dd) Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 ee) Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Empirisch belegte Rationalitätsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 c) Informationsdefizite, insbesondere Erfahrungsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . 143 d) Allgemeines Verhandlungsungleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Schutzpflicht des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 V. Entgegenstehende Rechtsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Vertragsfreiheit der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Hilfsweise: Keine Evidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 VI. Zusätzliche normative Anknüpfung an die Treuepflicht selbst . . . . . . . . . . . . . . 149 VII. Abschließende Bewertung der materiellen Abdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 VIII. Exkurs: Abdingbarkeit allgemeiner Institute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 IX. Prozedurale und formale Anforderungen bei Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Gegenwärtiger Stand der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

12

Inhaltsverzeichnis 2. Ausgangspunkt und allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB (Änderung des Gesellschaftszwecks) . . . . . . . . . . . . 157 4. § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG (Stimmrechtsausschluss) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 5. Bestimmtheitsgrundsatz/Kernbereich der Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 159 6. Treuepflicht selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Anforderungen an den Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Anforderungen an die Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 7. Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 X. Empfehlenswerte Maßnahmen bei Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 XI. Zwischenergebnis in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 I. Zulässigkeit nach gegenwärtigem Stand der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . 167 II. Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 III. Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Fremdinteressenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Transaktionskosten bei Anteilserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Kapitalmarkt als Ausgleichsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Schutz vor Selbstbestimmungsdefiziten (weicher Paternalismus) . . . . . . . . . . 175 a) Informationsdefizite bei Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Allgemeines Verhandlungsungleichgewicht bei Abbedingung . . . . . . . . . . 178 c) Defizite zukünftiger Aktionäre bei Anteilserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. Normative Anknüpfung an § 23 Abs. 5 AktG (Satzungsstrenge) . . . . . . . . . . 181 IV. Zwischenergebnis in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 C. Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der OHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 I. Zulässigkeit nach gegenwärtigem Stand der Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . 188 II. Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 III. Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Risikofaktoren für opportunistisches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Informationsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Normative Anknüpfung an § 705 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 4. Abschließende Bewertung der materiellen Abdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 196 IV. Prozedurale und formale Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 V. Zwischenergebnis in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 D. Abdingbarkeit im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Verallgemeinerungsbare Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 II. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 1. § 23 Abs. 5 AktG (Satzungsstrenge) bei Aktiengesellschaften . . . . . . . . . . . . 201 2. Offene Gesellschaften ohne hinreichend effizienten Markt . . . . . . . . . . . . . . . 202

Inhaltsverzeichnis

13

3. Inhaltskontrolle als Ausgleichsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 III. Prozedurale und formale Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 IV. Zwischenergebnis in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

Teil 4 Zusammenfassung in Thesen

206

A. Gegenstand der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 C. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 D. Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der OHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 E. Abdingbarkeit im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Abkürzungsverzeichnis ABGB Abs. abw. AcP a. D. a. E. AG AG [Zeitschrift] AktG allgm. Am. Bus. L.J. Am. Econ. Rev. Am. U. L. Rev. Anh. Ann. Ariz. L. Rev. art. Art. AT Aufl. AufsichtsRMitgl ausdr. ausf. BB bearb. Beschl. BGB BGH BGHZ BlgNR BRD Brook. L. Rev. Bsp. bspw. Buff. L. Rev. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl. bzw.

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis außer Dienst am Ende Aktiengesellschaft Die Aktiengesellschaft Aktiengesetz allgemein American Business Law Journal The American Economiv Review American University Law Review Anhang Annotated Arizona Law Review article(s) Artikel Allgemeiner Teil Auflage Aufsichtsratsmitglieder ausdrücklich ausführlich Betriebsberater bearbeitet Beschluss Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Beilage(-n) zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates Bundesrepublik Deutschland Brooklyn Law Review Beispiel beispielsweise Buffalo Law Review Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen Bundesverwaltungsgericht Bundesverwaltungsgerichtsentscheidungen bezüglich beziehungsweise

Abkürzungsverzeichnis Cal. Corp. Code Cal. L. Rev. Colo. L. Rev. Colum. L. Rev. Cornell L. Rev. DB Del. Del. J. Corp. L. DGCL DJT DLLCA Dr. DRiG DRiZ dsbzgl. DStR Duke L.J. DZWir ebd. EBOR ed. erg. Vertragsauslegung ErlRV erw. EWiR f. ff. Fla. St. U. L. Rev. Fn. Fordham J. Corp. & Fin. L. Fordham L. Rev. FS Geo. L.J. Ges. geschl. KapG GesR GesRZ GesV Gf. GG ggü. GmbH GmbHG GmbHR GmbHR [Zeitschrift] GP grds.

California Corporations Code California Law Review University of Colorado Law Review Columbia Law Review Cornell Law Review Der Betrieb Delaware Delaware Journal of Corporate Law Delaware General Corporation Law Deutscher Juristentag Delaware Limited Liability Company Act Doktor Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung diesbezüglich Deutsches Steuerrecht Duke Law Journal Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht ebenda European Business Organization Law Review edition ergänzende Vertragsauslegung Erläuterung zur Regierungsvorlage erweiterte Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht folgende [Seite] folgende [Seiten] Florida State University Law Review Fußnote(n) Fordham Journal of Corporate & Financial Law Fordham Law Review Festschrift Georgetown Law Journal Gesellschafter geschlossene Kapitalgesellschaft Gesellschaftsrecht Der Gesellschafter Gesellschaftsvertrag Geschäftsführung Grundgesetz gegenüber Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Recht GmbH-Rundschau Gesetzgebungsperiode grundsätzlich

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16 GroßK grundl. Harv. Bus. L. Rev. Online Harv. L. Rev. Hdb. HGB hinw. h. M. Hrsg. i. E. i. e. S. Ind. insb. insg. int. i. R. d. i. S. d. J. Corp. L. JITE J.L. & Econ. J. Small & Emerging Bus. L. JZ KapitalmarktdeliktsR KölnKomm krit. Ky. L.J. Law & Contemp. Probs. LG Lit. LLC LLP LP LS Marq. L. Rev. m. E. Mich. L. Rev. mitgl. MüKo m. w. N. Nachw. NJ NJW no. Nr. NZG OHG

Abkürzungsverzeichnis Großkommentar grundlegend Harvard Business Law Review Online Harvard Law Review Handbuch Handelsgesetzbuch hinweisend herrschende Meinung Herausgeber im Ergebnis im engeren Sinne Indiana insbesondere insgesamt international im Rahmen des im Sinne des Journal of Corporation Law Journal of Institutional and Theoretical Economics Journal of Law and Economics Journal of Small and Emerging Business Law Juristenzeitung Kapitalmarktdeliktsrecht Kölner Kommentar kritisch Kentucky Law Journal Law and Contemporary Problems Landgericht Literatur limited liability company limited liability partnership limited partnership Leitsatz Marquette Law Review meines Erachtens Michigan Law Review mitgliedschaftlich Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen Nachweis(e) New Jersey Neue Juristische Wochenschrift number(s) Nummer(n) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Offene Handelsgesellschaft

Abkürzungsverzeichnis OLG Or. L. Rev. Or. Rev. Stat. Oxford Econ. Papers RabelsZ RGZ Rn. Rspr. Rutgers L.J. S. s. s. a. S. Cal. L. Rev. SchuldR sec. s. o. sogl. StaatsR Stan. L. Rev. StPO st. Rspr. s. u. Suffolk U. L. Rev. tit. tlw. Tulsa L. Rev. u. a. U. Balt. L. Rev. U. Cin. L. Rev. U. Ill. L. Rev. ULLCA umfangr. U. Pa. L. Rev. Urt. v. USA U. S. Const. US-Recht u. U. v. [Name] vgl. Vorb. vs. Wake Forest L. Rev. Wash. & Lee L. Rev. Wash. L. Rev. Wash. U. L. Q. wbl widerspr. Verhalten

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Oberlandesgericht Oregon Law Review Oregon Revised Statutes Oxford Economic Papers Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer(n) Rechtsprechung Rutgers Law Journal Seite(n) siehe siehe auch Southern California Law Review Schuldrecht section(s) siehe oben sogleich Staatsrecht Stanford Law Review Strafprozessordnung ständige Rechtsprechung siehe unten Suffolk University Law Review title teilweise Tulsa Law Review und andere University of Baltimore Law Review University of Cincinnati Law Review University of Illinois Law Review Uniform Limited Liability Company Act umfangreich University of Pennsylvania Law Review Urteil vom United States of America Constitution of the United States of America Recht der Vereinigten Staaten von Amerika unter Umständen von vergleiche Vorbemerkungen versus Wake Forest Law Review Washington and Lee Law Review Washington Law Review Washington University Law Quarterly wirtschaftsrechtliche blätter widersprüchliches Verhalten

18 Wis. L. Rev. WM z. B. ZGR ZHR ZIP ZPO zumind. zum Vorst.

Abkürzungsverzeichnis Wisconsin Law Review Wertpapiermitteilungen zum Beispiel Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung zumindest zum Vorstehenden

Teil 1

Einleitung A. Problemaufriss Bibliothekfüllende streitende Literatur, zahlreiche wegweisende Entscheidungen, geführt über verschiedene juristische Generationen, vor dem Hintergrund wechselnder gesellschaftlicher Anschauungen. Das ist die Zwischenbilanz der deutschen Diskussion um die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht.1 Erweitert um bundesstaatliche korrigierende Kodifikationen, beschreibt die Aufstellung ebenfalls die USamerikanische Kontroverse um ihre Abdingbarkeit.2 Hierzulande hingegen fristete diese Diskussion bis vor kurzem ein „Schattendasein“.3 Soweit die deutsche Rechtswissenschaft die Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als solcher doch ansprach, wurde sie meist ohne vertiefende Begründung abgelehnt.4 Neuerdings erhebt sich jedoch Kritik gegen diese hergebrachte Position, beispielsweise von Hellgardt.5 Die meisten heutigen Stimmen befürworten im Ergebnis aber dennoch die hergebrachte Unabdingbarkeit der Treuepflicht als solcher, so etwa Fleischer und Kampf.6 Anders als früher wird das jedoch substantiiert begründet. 1

Bspw. RGZ 146, 385; BGHZ 14, 25; BGHZ 18, 350; BGHZ 65, 15 („ITT“); BGHZ 103, 184 („Linotype“); BGHZ 129, 136 („Girmes“); BGHZ 183, 1 („Sanieren oder Ausscheiden“); Hueck, Treuegedanke, 1947; Zöllner, Schranken mitgl. Stimmrechtsmacht, 1963, S. 335 ff.; Immenga, Personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Lutter, AcP 180 (1980), 84; Winter, Treuepflichtbindung, 1988; Wiedemann, in: FS Heinsius, 1991, S. 949; Fleischer, WM 2003, 1045; Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 89 ff. 2 Bspw. Brudney, 85 Colum. L. Rev. 1403 (1985); Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461 (1989); Coffee, 53 Brook. L. Rev. 919 (1988); Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1 (1990); Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209 (1995); Callison/Vestal, 42 Suffolk U. L. Rev. 493 (2009); Steele, 46 Am. Bus. L.J. 221 (2009); Guttenberg, 86 S. Cal. L. Rev. 869 (2013); insb. zur kontroversen Rspr. und den Korrekturen des Gesetzgebers Miller, 39 J. Corp. L. 296, 311 ff. (2014). 3 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 766. 4 Die Abdingbarkeit ablehnend Teichmann, Gestaltungsfreiheit in GesV, 1970, S. 170; Immenga, Personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 267, Reuter, ZHR 146 (1982), 1, 7; Timm, WM 1991, 481, 494; Schöne, WM 1991, 209, 212; Wiedemann, GesR, 2004, S. 198, 199; Röhricht, in: Hdb. Coporate Governance, 2009, S. 513, 515; Mertens/Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 97; differenzierend Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 190 ff. 5 Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, passim; auch von Waclawik, DB 2005, 1151, 1153; im Ergebnis zurückhaltender Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 668 f. 6 Vgl. Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, passim; Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, passim; vgl. auch Koppensteiner, GesRZ 2009, 197, 202; Armbrüster, ZGR 2014,

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Teil 1: Einleitung

Zudem wird auch in diesem Lager die grundsätzliche Disponibilität spezifizierter Ausprägungen der Treuepflicht stärker als in der hergebrachten Literatur betont.7 Damit scheint nun die deutsche Diskussion um die Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht angebrochen. Was ist die Erklärung für die zunächst spärliche Beleuchtung der Abdingbarkeit? Ist ein fehlendes praktisches Bedürfnis verantwortlich? Zur Beantwortung dieser Fragen bietet sich ein Blick auf die USA an. In Delaware wurde die Treuepflicht in nicht-körperschaftlichen Gesellschaften spätestens mit einer Gesetzesänderung aus dem Jahr 2004 dispositiv.8 Das griff die Praxis vielfach auf: In den Jahren 2011 und 2012 bedingten 75 % der neu gegründeten öffentlich gehandelten LLCs und LLPs entweder die Treuepflicht gänzlich ab oder eliminierten die Haftung für Verstöße.9 Mit diesen empirischen Daten zeigt sich – jedenfalls in den USA – ein praktisches Verlangen nach einer Abdingbarkeit der Treuepflicht. In der deutschen Literatur wird von Hellgardt ein Bedürfnis nach der Abdingbarkeit angenommen, insbesondere im Bereich des alternativen Investments und der Innovationsfinanzierung.10 Außerdem soll eine Abbedingung der Treuepflicht bei Familienunternehmen sinnvoll sein, wenn eine besondere persönliche Bindung besteht und der Treueberechtigte deswegen „freie Hand“ lassen möchte.11 Insgesamt scheint es nachvollziehbar, sich anstatt der Treuepflicht auf andere Schutzmechanismen zu verlassen, um ihre Nebenwirkungen zu vermeiden.12 Grund für die deutsche Zurückhaltung bei der Abbedingung der Treuepflicht ist wohl eher ein weiterer dunkler Bereich der Treuepflichtdogmatik. Weder im Geschäftsleiterbereich13 noch im Gesellschafterbereich14 ist eine leistungsfähige abstrakte Begriffsbeschreibung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht vorhanden.15 333, 350 f.; Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 130 ff., 137; Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, 2016, S. 499 ff. 7 Vgl. Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, passim, insb. 1291; anders aber Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, 2016, S. 516. 8 Für die LP vgl. die neue Fassung des Del Code Ann. tit. 6, § 17-1101 (d); für die LLC vgl. die neue Fassung des Del Code Ann. tit. 6 § 18-1101 (c). 9 Vgl. Manesh, 37 J. Corp. L. 555, 558 (2012); für weitere empirische Befunde s. a. Miller u. a., 43 Am. Bus. L.J. 609 (2006); Miller, 39 J. Corp. L. 296, 317 ff. (2014). 10 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 766; s. a. Haar, in: Perspektiven des Wirtschaftsrechts, 2008, S. 141, 149. 11 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 771. 12 Dazu ausf. unten Teil 3 – A.IV.2.a). 13 Vom Geschäftsleiterbereich sollen hier Verpflichtungen des Geschäftsleiters ggü. der Gesellschaft umfasst sein, insbesondere Verpflichtungen des Geschäftsführenden-Gesellschafters ggü. der Gesellschaft, die seiner Funktion als Geschäftsleiter entspringen. 14 Vom Gesellschafterbereich sollen hier Verpflichtungen der Gesellschafter ggü. der Gesellschaft und ggü. den Mitgesellschaftern umfasst sein, wobei Verpflichtungen des Gesellschafter-Geschäftsführers herausfallen, die seiner Funktion als Geschäftsleiter entspringen. 15 Vgl. bspw. Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 227: „Die mit dem Begriff der Treuepflicht gemeinten Verpflichtungen sind abstrakt kaum wiederzugeben.“ (Geschäftslei-

A. Problemaufriss

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Gleichermaßen ist ihr Verhältnis zu anderen Pflichten und allgemeinen Instituten weitgehend ungeklärt. Es herrscht zwar Uneinigkeit, dennoch werden die differierenden Positionen in der Regel kaum begründet. So wird beiläufig festgestellt, die Treuepflicht folge aus dem Rechtsmissbrauch16 oder der Rechtsmissbrauch folge aus der Treuepflicht,17 während der BGH beide nebeneinander angesprochen hat18 und damit implizit davon ausgeht, dass sie eigenständig bestehen. Den Versuch einer leistungsfähigen Definierung der Treuepflicht und Abgrenzung zu ihrer Umgebung unternimmt Grundmann.19 Eine scharfe Abgrenzung wird aber an anderer Stelle als nicht notwendig angesehen20 oder sogar als gefährlich erachtet.21 Diese Diskussions-Defizite waren bislang nicht von Bedeutung. Denn solange es um das Bestehen eines Handlungsge- oder -verbots geht, spielt es keine Rolle, welchem Institut oder welcher Pflicht es zuzuordnen ist. Das ändert sich bei einer Abbedingung der Treuepflicht, da niemand die Treuepflicht abbedingen möchte, ohne zu wissen, welche Handlungsge- und -verbote entfallen und welche nicht. Die dahingehende Unsicherheit mag erklären, warum die Praxis keine Abdingbarkeit der Treuepflicht fordert, obwohl ihre Abbedingung sinnvoll sein kann. Zudem können die fehlende Klärung des Begriffs der Treuepflicht und die weitgehend ungeklärte Abgrenzung einen Grund für die zunächst spärliche wissenschaftliche Beleuchtung liefern. So erschwert die Kombination von umfangreichen Beiträgen zu den konkreten Einzelfragen und stillschweigend differierendem Grundverständnis bezüglich des Gegenstandes der Treuepflicht die Aufarbeitung ihrer Abdingbarkeit. Ist dieses dogmatische Problem überwunden, schließt sich ein weiteres an: Die Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht gründet auf der Vertragsfreiheit. Die Vertragsfreiheit ist nicht rein formell zu verstehen. Sie hat in der deutschen Rechtswissenschaft eine Materialisierung erfahren, die bis zu einer richterlichen Inhaltskontrolle von Verträgen führen kann.22 Darüber hinaus hat das Europarecht zum Rückbau der Vertragsfreiheit beigetragen.23 In den letzten Jahrzehnten hat sich terbereich); Altmeppen, in: Altmeppen/Roth, GmbHG, § 13 Rn. 30: „Bei der Treuepflicht handelt es sich danach jedenfalls um eine allgemeine Charakterisierung der Gesellschafterstellung ohne spezifischen Aussagegehalt“ (Gesellschafterbereich). 16 Vgl. Bungert, DB 1995, 1749, 1750. 17 Vgl. Bezzenberger, ZIP 2002, 1917, 1926; vgl. auch Henze, BB 1996, 489, 494 m. w. N. 18 BGHZ 30, 195, 202 f.; aus der Lit. vgl. bspw. auch Marsch-Barner, WM 1996, 853, 857; Windbichler, in: RWS Forum 8, 1996, S. 23, 31; Fleischer, WM 2003, 1045, 1051. 19 Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 166 ff.; zu den Defiziten s. u. Teil 2 – A.I.2. 20 Vgl. Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 331. 21 Vgl. Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 13: „Der Versuch einer scharfen Abgrenzung zwischen „echter Treuepflicht“ und Geltung des „allgemeinen Grundsatzes“ des § 242 BGB und die Ableitung von Rechtsfolgen allein aus dieser Unterscheidung bergen die Gefahr des Argumentationsdefizits in sich.“ 22 Zur Materialisierung der Vertragsfreiheit und des Vertragsrechts Canaris, AcP 200 (2000), 273; s. a. Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 5. 23 Vgl. Haberer, Zwingendes KapGR, 2009, S. 8.

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Teil 1: Einleitung

aber auch Kritik gegen paternalistische24 Eingriffe in die Vertragsfreiheit erhoben.25 Es ist angebracht, diese Kritik zu unterstützen, um dem Einzelnen ein wenig mehr Raum zu erstreiten und die materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen der Rechtswissenschaft zugunsten derer des Individuums etwas zurückzudrängen; insbesondere die Gerechtigkeitsvorstellungen des Richters sollten mit Vorsicht genossen werden, weil die richterliche Entscheidung durch den Einfluss seiner persönlichen Vorstellungen schwer vorhersehbar sein kann. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass die richterliche Entscheidung von außerrechtlichen Umständen ungünstig beeinflusst wird, was gerade wieder in der US-amerikanischen Literatur aufgezeigt wurde.26 Neben Aktualität und dogmatischen Herausforderungen zeichnet sich das Thema durch methodische Vielfalt aus. Aufgrund der eingehenden Beleuchtung in den USA bietet sich ein Blick auf die dortige Rechtswissenschaft an. Zudem können punktuell Erkenntnisse aus der Rechtsökonomik, speziell aus der Verhaltensökonomik fruchtbar gemacht werden.27 Zwar ersetzen rechtsvergleichende und rechtsökonomische Erkenntnisse de lege lata keinesfalls dogmatische Erwägungen, aber an geeigneter Stelle können sie die dogmatischen Erwägungen empirisch untermauern und methodisch ergänzen.

B. Gang der Darstellung und Forschungsansätze Damit trotz der grundverschiedenen Problemfelder der Überblick gewahrt und eine flüssige Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht ermöglicht wird, bereitet ein allgemeiner Teil die isolierbaren Probleme im Hinblick auf die spätere Diskussion vor; eine weitergehende Vollständigkeit ist dabei weder angestrebt noch ist sie möglich. Der allgemeine Teil stellt bereits die Weichen für die spätere Diskussion. Zudem besteht er nicht lediglich aus der Darstellung vorhandener Erkenntnisse. Stattdessen greift er vorrangig Bereiche auf, die einer weiteren abstrakten Klärung bedürfen oder solche, die noch nicht vollkommen in der deutschen Rechtswissenschaft angekommen sind. Der Schwerpunkt des allgemeinen Teils liegt in seinem ersten Kapitel. Das erste Kapitel widmet sich dem weitgehend ungeklärten Abbedingungsgegenstand, genauer: der abstrakten Begriffsbeschreibung der gesellschaftsrechtlichen Treue24 Paternalismus ist die Beschränkung des Betroffenen zu seinem eigenen Wohl, vgl. zu diesem Begriff mit Nachw. Teil 2 – B.II.2. 25 Vgl. Schön, in: FS Canaris, 2007, S. 1191, 1193. 26 Zu ungünstigen Anreizen Oesterle, 66 Colo. L. Rev. 881, 913 f. (1995) m. w. N.; zu Rationalitätsdefiziten Guthriet u. a., 86 Cornell L. Rev. 777 (2001); allgm. zu persönlichen Einflüssen Posner, How Judges Think, 2008; Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013. 27 Zur Abdingbarkeit der Treuepflicht aus verhaltensökonomischer Sicht Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 593 ff., 667 ff.

B. Gang der Darstellung und Forschungsansätze

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pflicht, ihrem Verhältnis zur allgemeinen gesetzlichen und außergesetzlichen Umgebung sowie ihrer Rechtsgrundlage. Die Ausleuchtung dieser Bereiche wird zeigen, dass die Ableitung von Begriffsbeschreibung und die Klärung des Verhältnisses zur Umgebung nicht nur unabhängig von Geschäftsleiterbereich und Gesellschafterbereich und Gesellschaftsformen und -typen möglich sind, sondern dass dies auch zweckmäßig ist. So werden Wiederholungen erspart, zudem kristallisieren sich die strukturellen Abgrenzungsmerkmale der hergebrachten Treuepflicht besser bei einer bereichsübergreifenden Analyse heraus. Deswegen ist eine Aufschlüsselung nach den verschiedenen Bereichen in diesem Kapitel weder notwendig noch sinnvoll. Eventuell verbleibenden Unterschieden soll stehenden Fußes begegnet werden. Die Abhandlung beschränkt sich bei der Ermittlung des Gegenstandes der Treuepflicht auf Verpflichtungen des Geschäftsleiters und der einzelnen Gesellschafter. Dagegen werden Verpflichtungen der Gesellschaft nicht berücksichtigt. Das zweite Kapitel des allgemeinen Teils geht mit bestimmten Aspekten der Vertragsfreiheit auf das Fundament der Abdingbarkeit ein. Damit ermöglicht es später eine sinnvolle Ordnung und Bewertung der Argumente für und gegen die Abdingbarkeit der Treuepflicht, auch dann, wenn diese nicht der deutschen Dogmatik entstammen und wenn an gesetzlich kaum bestimmte Regelungen wie § 138 Abs. 1 BGB geknüpft wird. Besonderes Augenmerk wird auf den Zweck der Vertragsfreiheit und dort auf den Eigenwert der formellen Selbstbestimmung28 des Geschützten gelegt. Darauf aufbauend wird die Beschränkbarkeit der Vertragsfreiheit aufgrund von Fremdinteressen sowie weichem29 und hartem30 Paternalismus dargestellt; insbesondere soll dabei auf Selbstbestimmungsdefizite als Anknüpfungspunkte für verhaltensökonomische Erkenntnisse eingegangen werden. Abschließend wird herausgearbeitet, inwieweit die erworbenen allgemeinen Erkenntnisse zur Vertragsfreiheit auf die Abdingbarkeit der Treuepflicht anwendbar sind und inwieweit sich aus ihrem gesellschaftsrechtlichen Einschlag Besonderheiten ergeben. Dann wirft das dritte Kapitel des allgemeinen Teils kurz einen Blick auf Zweckmäßigkeitsprobleme bei richterlichen Billigkeitsspielräumen31. Sowohl bei der Anwendung der Treuepflicht als auch bei ihrer Abdingbarkeit wird dem Richter ein erheblicher Spielraum zur Entscheidung des Einzelfalls eingeräumt. Das Kapitel 28

Unter formeller Selbstbestimmung wird die rechtlich freie Entscheidung in eigenen Angelegenheiten verstanden, unter der materiellen Selbstbestimmung eine Entscheidung in eigenen Angelegenheiten, die frei von tatsächlichen Selbstbestimmungsdefiziten zustande kommt, ausf. dazu Teil 2 – B.I.1. 29 Unter weichem Paternalismus ist die Bekämpfung von Selbstbestimmungsdefiziten zu verstehen, ausf. dazu Teil 2 – B.II.2. 30 Unter hartem Paternalismus wird die Oktroyierung fremder Werte entgegen der materiell freien Entscheidung des Betroffenen verstanden, ausf. dazu Teil 2 – B.II.3. 31 Unter Billigkeitsspielraum wird ein tatsächlicher Spielraum des Richters auf Tatbestandsseite verstanden, der von weichen Kriterien wie Unbilligkeit, Erforderlichkeit oder Verhältnismäßigkeit eröffnet wird, ausf. dazu Teil 2 – C.I.

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Teil 1: Einleitung

überprüft, inwieweit er dabei von außerrechtlichen Umständen ungünstig beeinflusst wird und deswegen ein Urteil fällt, das nicht im ursprünglichen Interesse der Vertragsparteien liegt, dahingehend also unzweckmäßig ist. Damit soll keinesfalls die Zweckmäßigkeit der richterlichen Entscheidung an sich in Frage gestellt werden. Jedoch wäre es unvollständig, einerseits Selbstbestimmungsdefizite der Parteien zu berücksichtigen, aber gleichzeitig den Einfluss außerrechtlicher Umstände auf den Richter zu ignorieren. Mit einer Unzweckmäßigkeit der richterlichen Entscheidung kann später insbesondere begründet werden, dass es nachvollziehbare Gründe für eine Abbedingung der Treuepflicht gibt. Auf den allgemeinen Teil folgt die konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht. Der Schwerpunkt dieses Teils liegt in seinem ersten Kapitel. Dort wird exemplarisch die Abdingbarkeit der Treuepflicht des Geschäftsleiters einer geschlossenen32 GmbH behandelt. Auf die Darstellung des gegenwärtigen Stands in der deutschen und US-amerikanischen Rechtswissenschaft folgen die inhaltliche Auseinandersetzung mit der materiellen Abdingbarkeit und die Aufarbeitung der prozeduralen und formalen Voraussetzungen einer Abbedingung. Die inhaltliche Auseinandersetzung rekurriert auf die erarbeitete Begriffsbeschreibung der Treuepflicht, auf ihr ermitteltes Verhältnis zur Umgebung und auf ihre herauskristallisierte Rechtsgrundlage. Diese Rückgriffe sind besonders wichtig, weil diverse Befürchtungen bereits unbegründet sind, da ihnen ein unscharfer Abbedingungsgegenstand zugrundeliegt und die aushilfsbereite Umgebung der Treuepflicht nicht bedacht oder unterschätzt wird. Außerdem greift das Kapitel auf die grundlegenden Erkenntnisse über die Vertragsfreiheit und die Zweckmäßigkeit von Billigkeitsspielräumen zurück. Diese Erkenntnisse werden zusammengeführt und auf den speziellen Fall der Abdingbarkeit der Treuepflicht angewendet. Im Zuge dessen wird das Kapitel einzelne juristische und ökonomische Argumente – auch aus der US-amerikanischen Wissenschaft – prüfen und in die deutsche Dogmatik einpassen. Sodann wird die Abdingbarkeit in anderen Anwendungsbereichen der Treuepflicht besprochen, besonders die Abdingbarkeit der Treuepflicht des Geschäftsleiters einer offenen33 Aktiengesellschaft und die Abdingbarkeit der Treuepflicht der Gesellschafter in einer geschlossenen OHG werden untersucht. Aufgrund der vorherigen Einung des Begriffs der Treueplicht und ihres Verhältnisses zur Umgebung können viele Erkenntnisse aus der exemplarischen Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht in der GmbH auf diese Bereiche übertragen werden. Damit die einzelnen Gemeinsamkeiten und Besonderheiten besser herausgearbeitet werden 32 Eine geschlossene Gesellschaft charakterisiert, dass sie typischerweise eine geringe Anzahl von Mitgliedern hat, die Gesellschafter an der Geschäftsführung mitwirken, eine Übertragungsbeschränkung für die Gesellschaftsanteile vorhanden ist und kein liquider Markt für die Gesellschaftsanteile existiert, vgl. Fleischer, NZG 2014, 1081, 1082. 33 Eine offene Gesellschaft soll hier charakterisieren, dass sie eine Vielzahl von Mitgliedern hat, die Gesellschafter an der Geschäftsführung nicht mitwirken, keine Übertragungsbeschränkung für die Gesellschaftsanteile vorhanden ist und ein liquider Markt für die Gesellschaftsanteile existiert.

B. Gang der Darstellung und Forschungsansätze

25

können, ist der Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der offenen Aktiengesellschaft und der Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der geschlossenen OHG dennoch jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Unterschiede gleichen sich jedoch häufig gegenseitig aus oder haben lediglich Auswirkung auf die Verfahrensebene. Die Satzungsstrenge bei der deutschen Aktiengesellschaft könnte aber ein unüberwindbares Hindernis für eine einheitliche Lösung sein. Im letzten Kapitel des Teils wird schließlich überprüft, inwieweit die Ergebnisse zur Abdingbarkeit der Treuepflicht aus den speziellen Bereichen verallgemeinerbar sind und inwiefern Ausnahmen gemacht werden müssen.

Teil 2

Allgemeiner Teil A. Gegenstand der Treuepflicht und seine Umgebung Zunächst ist der Abbedingungsgegenstand zu klären. Denn erst dann zeigt sich, was mit Abbedingung der Treuepflicht entfällt und was nicht. Das ist Grundvoraussetzung für die Bewertung der Abdingbarkeit der Treuepflicht. Außerdem ist nur mit eindeutiger Ein- und Abgrenzung der Treuepflicht ihre isolierte Abbedingung technisch möglich. Die Abhandlung beschränkt sich bei der Ermittlung des Gegenstandes der Treuepflicht auf die Verpflichtungen des Geschäftsleiters und der einzelnen Gesellschafter.

I. Abstrakte Begriffsbeschreibung der Treuepflicht 1. Gängige Begriffsbeschreibungen Für die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht wird statt einer abstrakten Begriffsbeschreibung immer wieder ein Sammelbecken von Einzelpflichten bemüht; das gilt sowohl für die Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich als auch für die Treuepflicht im Gesellschafterbereich.1 Wer doch eine abstrakte Beschreibung versucht, definiert die Treuepflicht im Gesellschafterbereich laut Winter meist dahingehend, dass sie gebietet, die Interessen der Treueberechtigten zu wahren und zu fördern und ihre Schädigung zu unterlassen.2 Diese Beschreibung findet sich von früheren Zeiten bis heute immer wieder in der deutschen Rechtswissenschaft, zuweilen in unwesentlich veränderten Variationen3 – beispielsweise wird entweder das Merkmal ausgelassen, 1

Bspw. bei Wiedemann, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 5, 21 (Geschäftsleiterbereich); Wiedemann, GesR, 2004, S. 192 (allgm.); ähnlich bei Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 13 f.: „Sammelbegriff“ (Gesellschafterbereich); s. a. Martens, in: Rechtdogmatik & Rechtspolitik, 1990, S. 251, 259 (Gesellschafterbereich), der die Treuepflicht sogar als Sammelbecken für alle ungeschriebenen Gesellschafterpflichten bezeichnet. 2 Vgl. Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 2; s. a. Freese, Die positive Treuepflicht, 1970, S. 29 f. 3 Für solche Beschreibungen vgl. bspw. BGHZ 9, 157, 163; Hueck, Treuegedanke, 1947, S. 15; Schilling, in: Hachenburg, GroßK GmbHG, 7. Aufl., § 14 Rn. 24; Marsch-Barner,

A. Gegenstand der Treuepflicht und seine Umgebung

27

die Interessen des Treueberechtigten zu wahren, oder es wird auf die Pflicht verzichtet, Schädigungen des Treueberechtigten zu unterlassen.4 Die Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich sieht die Rechtswissenschaft als intensiver an.5 Dem Geschäftsleiter wird aufgegeben, in Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, allein deren Wohl und Wehe und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge zu haben.6 Abweichend davon wird teilweise das Gebot ergänzt, Schädigungen zu unterlassen.7 Zudem wird die Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich in bestimmten Situationen relativiert8 und die Treuepflicht im Gesellschafterbereich in bestimmten Situationen verschärft.9 Insoweit verschwimmen die Beschreibungen aus beiden Bereichen. Insgesamt werden die abstrakten Beschreibungen formelhaft vorangestellt, die Auseinandersetzung mit den konkreten Ausprägungen und einzelnen Anwendungsfällen der Treuepflicht steht im Vordergrund.10 Bei den Definitionen fällt zunächst auf, dass die Treuepflicht partiell mit dem Gebot beschrieben wird, Schädigungen zu unterlassen. Versteht man das technisch, ist problematisch, dass zwei juristische Figuren vermischt werden. Denn gemäß § 249 Abs. 1 BGB ergibt sich der konkrete Schaden erst infolge des verpflichtenden Umstands,11 der wiederum im besonderen Fall eine Pflichtverletzung voraussetzt. So kann der Geschädigte gemäß § 280 Abs. 1 BGB den Schaden ersetzt verlangen, der aufgrund einer schuldhaften Pflichtverletzung entsteht. Und bei § 826 BGB ergibt ZHR 157 (1993), 172, 172 f. m. w. N.; Lutter, ZHR 162 (1998), 164, 167 f.; Michalski, NZG 1998, 460 m. w. N.; Schmidt, GesR, 2002, § 20 IV 1.a); Wiedemann, GesR, 2004, S. 194; Windbichler, GesR, 2013, S. 61; Wicke, in: Wicke, GmbHG, § 13 Rn. 19; § 1186 Abs. 1 ABGB, der 2015 neu in Österreich eingeführt wurde; s. a. Dreher, DStR 1993, 1632, 1663. 4 Für den Verzicht auf das Gebot, Interessen zu wahren, vgl. Hueck, Treuegedanke, 1947, S. 15; für den Verzicht auf die Pflicht, Schädigungen zu Unterlassen, vgl. Schmidt, GesR, 2002, § 20 IV. 1. a). 5 Vgl. bspw. Wiedemann, in: FS Heinsius, 1991, S. 949, 954; Fleischer, WM 2003, 1045, 1047; Weller, in: FS Winter, 2011, S. 755, 756. 6 Vgl. BGH, Urt. v. 10. 2. 1977 – II ZR 79/75, WM 1977, 361, 362; Fleischer, WM 2003, 1045, 1045; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 114; Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 227. 7 So bei Schmidt, in: Heidel, AktG, § 93 Rn. 32; s. a. Leuschner, in: FS Ahrens, 2016, S. 637, 637 f. 8 So bei dem Aushandeln des Arbeitsvertrags durch die Vorstandsmitglieder, vgl. Hopt, ZGR 2004, 1, 50; Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 243; etwas strenger als die Vorangegangenen Fleischer/Bauer, ZIP 2015, 1901, 1903 f. 9 Vgl. etwa Immenga, Personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 268 f.; Immenga, in: FS 100 Jahre GmbH, 1992, S. 189, 199. 10 s. dazu die Aussage von Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 227: „Die mit dem Begriff der Treuepflicht gemeinten Verpflichtungen sind abstrakt kaum anzugeben, sondern leben von der Konkretisierung, die den Gerichten unter Vor- und Zuarbeit der Lehre übertragen ist.“ 11 § 249 Abs. 1 BGB: „Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.“

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Teil 2: Allgemeiner Teil

sich der Schaden aus einer sittenwidrigen Handlung, die wiederum mit einer qualifizierten Pflichtwidrigkeit begründet werden kann. Obwohl damit der konkrete Schaden erst aus einer Pflichtverletzung folgt, begründet die Definition der Treuepflicht die Pflichtverletzung mit einem Schaden, womit sie im Kreis verläuft. Selbst wenn die Schädigung abstrakt von einem verpflichtenden Umstand verstanden werden kann, bereitet dieses Merkmal Probleme. Denn der Schaden ist abstrakt umschrieben die Beeinträchtigung eines Interesses.12 Das Verbot, Interessen zu beeinträchtigen, ist aber bereits von dem Gebot umfasst, Interessen zu wahren. Folglich kann das Merkmal der Schädigung jedenfalls dann ohne inhaltlichen Verlust gestrichen werden, wenn das Merkmal der Interessenwahrung beibehalten wird. Die Beschreibungen können noch weiter vereinfacht werden. So wurde bei der strengen Variante formuliert, der Treueverpflichtete müsse allein das Wohl und Wehe des Treueberechtigten und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge haben. Dabei ist ein signifikanter Unterschied zwischen dem begrifflichen Inhalt der Merkmale Wohl und Wehe, Nutzen und Vorteil nicht ersichtlich und auch das zu fördernde Interesse aus der relativierten Variante enthält keine andere Substanz. Die unterschiedlichen Bezeichnungen sind wohl lediglich sprachlicher Ästhetik geschuldet und können deswegen synonym verwendet werden. Somit ergibt sich für die strenge Variante der Treuepflicht folgende Beschreibung: Der Treueverpflichtete muss allein das Interesse des Treueberechtigten und nicht sein eigenes Interesse oder das Interesse eines anderen im Auge haben. Dabei offenbart sich eine Redundanz: Das Verbot, eigene und dritte Interessen zu verfolgen, ist bereits in der Verpflichtung enthalten, allein das Interesse des Treueberechtigten im Auge zu haben. Folglich kann auf diese Merkmale ohne inhaltlichen Verlust verzichtet werden. Damit bleibt für die relativierte Variante der Treuepflicht das Fördern und Wahren der Interessen des Treueberechtigten und für die intensive Variante verbleibt, alleine die Interessen des Treueberechtigten im Auge zu haben. Diese Begriffsbeschreibungen sind für den hier verfolgten Zweck aber nicht weiterführend, weil sie keine exakte Abgrenzung ermöglichen. Denn es ist kaum ein schützendes Institut oder eine schützende Pflicht denkbar, die nicht auf die eine oder andere Art gebieten, die Interessen des Treueberechtigten zu fördern oder zu wahren beziehungsweise die Interessen des Treueberechtigten im Auge zu haben. Somit schließen relativierte und intensive Beschreibung sämtliche schützenden Pflichten und Institute als Ausprägungen der Treuepflicht ein. Nun könnte angeführt werden, dass die Treuepflicht sämtliche Pflichten und Institute im gesellschaftsrechtlichen Verhältnis umfasst.13 Dagegen spricht aber 12

Vgl. Oetker, in: MüKo BGB, § 249 Rn. 16 m. w. N. So zumind. für sämtliche ungeschriebenen Pflichten Martens, in: Rechtdogmatik & Rechtspolitik, 1990, S. 251, 259 (Gesellschafterbereich); etwas zurückhaltender Schmidt, GesR, 2002, § 20 IV. 1. a), der davon spricht, dass die Treuepflicht einen wesentlichen Teil der ungeschriebenen Pflichten ausmacht (Gesellschafterbereich); keine umfangr. Stellungnahme 13

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zunächst ein Argument aus der Rechtswirklichkeit. Die Rechtsprechung nimmt auch im Gesellschaftsrecht in verschiedenen Urteilen allgemeine Institute unabhängig von der Treuepflicht an, der BGH hat etwa Treuepflicht und ergänzende Vertragsauslegung eigenständig nebeneinander erwähnt;14 desgleichen hat er das Verbot des Rechtsmissbrauchs neben der Treuepflicht angesprochen.15 Zudem finden sich nicht nur rechtstatsächliche, sondern auch normative Gründe für einen engeren Begriff der Treuepflicht: Lediglich eine abstrakte Begrenzung auf eine leistungsfähige Beschreibung ermöglicht, die Treuepflicht mit einheitlichen Folgen zu verbinden. Außerdem ist die Treuepflicht eine Reaktion auf ein bestimmtes Phänomen, weswegen es geboten ist, sie auf diesen Bereich zu beschränken und für allgemeine Probleme auf allgemeine Lösungen zurückzugreifen. Folglich ist die Weite der gängigen Beschreibungen der Treuepflicht nicht der inhaltlichen Weite des Begriffs der Treuepflicht geschuldet. Es findet sich somit in der gesellschaftsrechtlichen Wissenschaft bislang weder im Geschäftsleiterbereich noch im Gesellschafterbereich eine scharfe kompakte Begriffsbeschreibung der Treuepflicht. Jedenfalls ermöglichen die vorhandenen gängigen Beschreibungen weder eine Ein- und Abgrenzung noch die Zuordnung von Handlungsge- oder -verboten zur Treuepflicht oder ihrer rechtlichen Umgebung. Dieser Befund stimmt nicht nur mit zahlreichen Feststellungen in der Literatur überein;16 für ihn gibt es auch eine einfache Erklärung: Die scharfe Eingrenzung der abgebend, aber davon ausgehend Janke, Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, 2003, S. 29 (allgm.). 14 BGHZ 44, 40, wobei hier der Teil über die ergänzende Vertragsauslegung gekürzt ist, vollständiger Abdruck in WM 1965, 744; s. a. BGH, Urt. v. 12. 01. 1956 – II ZR 120/54, WM 1956, 351. 15 BGHZ 30, 195, 202 f. 16 In umgekehrter chronologisher Reihenfolge vgl. Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 227: „Die mit dem Begriff der Treuepflicht gemeinten Verpflichtungen sind abstrakt kaum wiederzugeben“ (Geschäftsleiterbereich); Koppensteiner, GesRZ 2009, 197, 199: „Die aus der Bindung an das gemeinsame Interesse resultierenden Einzelpflichten lassen sich nicht abstrakt und aussagekräftig umschreiben.“ (Gesellschafterbereich); Altmeppen, in: Altmeppen/ Roth, GmbHG, § 13 Rn. 30: „Bei der Treuepflicht handelt es sich danach jedenfalls um eine allgemeine Charakterisierung der Gesellschafterstellung ohne spezifischen Aussagegehalt“ (Gesellschafterbereich); Verse, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, S. 579 Rn. 39: „Über einzelne Fallgruppen hinausgehende, übergreifende Aussagen lassen sich [über die Treuepflicht], jedenfalls was die Tatbestandsseite anbetrifft, kaum treffen“ (Gesellschafterbereich); Waclawik, DB 2005, 1151, der von unscharfen Inhalt der Treuepflicht spricht (Gesellschafterbereich); Janke, Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, 2003, S. 27, 30: „[…] weil mit dem Stichwort ,Treuepflicht‘ keineswegs ein feststehendes und definiertes und abgegrenztes Rechtsinstitut beschrieben wird“ (allgm.); Wellenhofer-Klein, RabelsZ 64 (2000), 564, 589, die von fehlender „Griffigkeit“ der Treuepflicht spricht (allgm.); Weber, Vormitgliedschaftliche Treuebindungen, 1999, S. 132, der aufgrund der verschiedenen Anwendungsbeispiele zweifelt, ob überhaupt von einer einheitlichen Treuepflicht gesprochen werden kann (allgm.); Martens, in: Rechtdogmatik & Rechtspolitik, 1990, S. 251, 259, der dem Begriff der Treuepflicht jeden „Erkenntniswert“ abspricht (Gesellschafterbereich der AG); s. a. Fischer, NJW 1954, 777; Baltzer, Treuepflicht, 1967, 190 ff.; Koppensteiner, wbl 2015, 301, 308;

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Treuepflicht war bislang nicht notwendig. Denn solange es um die Verletzung eines Handlungsge- oder -verbots geht, ist die exakte Zuordnung zu einem bestimmten Institut oder einer bestimmten Pflicht irrelevant. Entscheidend ist lediglich die Existenz. Die genaue Zuordnung ist jedoch spätestens bei der Frage nach der Abdingbarkeit von Bedeutung, weil dann von der Zuordnung abhängt, ob das Gebot zur Disposition steht. 2. Grundmanns Begriffsschärfung In der außergesellschaftsrechtlichen Literatur gibt es bereits von Grundmann Bemühungen, eine schärfere kompakte Begriffsbeschreibung für die Treuepflicht bei der Treuhand zu entwickeln und damit eine Abgrenzung zu ermöglichen. Er unterscheidet zwischen der Treuepflicht strictu sensu und der Treuepflicht im weiteren Sinne.17 Die Treuepflicht strictu sensu sei die Hauptpflicht des Treueverhältnisses, sie beziehe sich auf eine geldwerte Position, die der Treuepflichtige übertragen bekam, ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen, und aus diesen Gründen seien im Umgang mit dieser Position alleine die Interessen des Treugebers ausschlaggebend.18 Diese Pflicht bestimme im Gesellschaftsrecht den Geschäftsleiterbereich.19 Außerdem sei ebendiese Pflicht für den Gesellschafterbereich maßgeblich, wenn die Verteilungsquote (faktisch) verändert werde.20 Daneben bestehe die Treuepflicht im weiteren Sinne.21 Bei ihr seien eigene Interessen des Verpflichteten zu berücksichtigen.22 Deswegen unterscheide sich die Treuepflicht im weiteren Sinne im Gegensatz zu der Treuepflicht strictu sensu nicht strukturell von allgemeinen Nebenpflichten.23 Grundmanns kompakte Begriffsbeschreibung der Treuepflicht strictu sensu ist aus verschiedenen Gründen problematisch. Zunächst folgert sie aus der entgeltlosen Übertragung einer geldwerten Rechtsposition, dass alleine die Interessen des Übertragenden maßgeblich sind. Im deutschen Recht gibt es jedoch verschiedene Vertragstypen, bei denen eine geldwerte Rechtsposition ohne Gegenleistung übertragen wird und dennoch dem Annehmenden das Verfolgen eigener Interessen mit der Rechtsposition erlaubt ist – beispielsweise sind Schenkung und Leihe zu nennen. Nun gewichtet die gesetzliche Ausgestaltung von Schenkung und Leihe häufig Infür das US-amerikanische Recht s. Hynes, 58 Law & Contemp. Probs. 29, 32 (1995): „One conceives of fiduciary duties as not fully defined, and perhaps incapable of full definition.“ 17 Vgl. Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 133, 542, 545. 18 Vgl. ebd., S. 545; im Gesellschaftsrecht tritt dann anstelle der Übertragung die vergleichbare Eröffnung der umfassenden Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechtsposition, vgl. ebd., S. 269. 19 Vgl. ebd., S. 269, 541, 547. 20 Vgl. Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 272, 275, 277, 542, 547. 21 Vgl. ebd., S. 134. 22 Vgl. ebd., S. 134. 23 Vgl. ebd., S. 167, 545.

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teressen des Übertragenden höher als die Interessen des Annehmenden24 – das fällt insbesondere bei einem Vergleich von Vorschriften bei Schenkung und Leihe mit den entsprechenden Regelungen bei Kauf und Miete ins Auge.25 Dennoch darf der Annehmende sowohl bei der Schenkung als auch bei der Leihe den übertragenen Gegenstand für sich gebrauchen26 und dabei eigene Ziele verfolgen. Bei der Schenkung darf der Annehmende den Gegenstand sogar verwerten und dabei sein eigenes Interesse im Auge haben. Damit zeigt die positive Ausgestaltung von Schenkung und Leihe, dass die entgeltlose Übertragung einer geldwerten Rechtsposition nicht die alleinige Berücksichtigung des Interesses des Übertragenden erklären kann. Umso mehr verwundert es, dass Grundmann gerade mit entgeltlosen Verträgen wie Schenkung und Leihe seine Treuepflicht strictu sensu stützt: Er möchte sie in einer Gesamtanalogie zu solchen Schuldverhältnissen konstruieren.27 Bei einer Gesamtanalogie werden mehrere Bestimmungen, die an verschiedene Tatbestände die gleiche Rechtsfolge anknüpfen, entsprechend auf einen wertungsmäßig vergleichbaren Sachverhalt angewendet.28 Hingegen wird nicht eine neue Rechtsfolge geschaffen. Nun wurde aber gerade dargelegt, dass weder bei der Schenkung noch bei der Leihe der Annehmende verpflichtet ist, bezüglich des übertragenden Gegenstands lediglich das Interesse des Übertragenden zu verfolgen. Vielmehr darf er auch sein eigenes Interesse im Auge haben. Deswegen besteht weder bei der Schenkung noch bei der Leihe eine Treuepflicht strictu sensu, deren Rechtsfolge analog angewendet werden könnte. Somit kann eine Gesamtanalogie zu entgeltlosen Schuldverhältnissen Grundmanns Treuepflicht strictu sensu nicht stützen. Wohl aufgrund dieser Unzulänglichkeiten stellt Grundmann an zwei weniger prominenten Stellen zusätzlich zur entgeltlosen Übertragung einer geldwerten Rechtsposition für die Begründung der Treuepflicht strictu sensu darauf ab, dass die Übertragung nicht endgültig sein darf,29 und an einer wenig prominenten Stelle, dass die Übertragung nicht zu Gunsten des Annehmenden erfolgt.30 Grundmann geht aber nicht mehr explizit auf diese Kriterien ein. Zudem finden sie keinen Niederschlag in seiner kompakten Begriffsbeschreibung.31 Es scheint, dass er diese Merkmale für wenig wichtig hält. Bezüglich des ersten Kriteriums ist dem zuzustimmen. Denn bei der Leihe wird die Rechtsposition nicht endgültig übertragen, dennoch darf der Leihende sie gebrauchen und dabei sein eigenes Interesse verfolgen. Somit kann dieses Kriterium alleine die Unzulänglichkeit nicht beheben. Hingegen wird das 24 25 26 27 28 29 30 31

Vgl. etwa §§ 519 – 524, 528, 530, 599 ff. BGB. Bspw. §§ 434 ff., 536 ff. BGB. Für die Leihe vgl. § 598 BGB. Vgl. Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 192 ff. Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 1995, S. 204. Vgl. Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 167, 545. Vgl. ebd., S. 167, 197. Vgl. ebd., S. 545.

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Kriterium zu Gunsten später noch unter einer anderen Bezeichnung eine Rolle spielen.32 Weiterhin ist Grundmanns kompakte Begriffsbeschreibung problematisch, weil sie eine Abstufung der hergebrachten gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht vernachlässigt. So wird in der Rechtswissenschaft angenommen, dass die Treuepflicht sowohl im Geschäftsleiterbereich als auch im Gesellschafterbereich gebieten kann, die Interessen des Vertragspartners zwar nicht ausschließlich zu verfolgen, aber dennoch besonders zu berücksichtigten.33 Weil eigene Interessen verfolgt werden dürfen, fällt diese relativierte Treuepflicht nicht unter Grundmanns Treuepflicht strictu sensu. Damit wäre sie unter die Treuepflicht im weiteren Sinne zu fassen, die keine strukturellen Unterschiede zu allgemeinen Nebenpflichten aufweisen soll. Es liegt aber nahe, dass die besondere Berücksichtigungspflicht im gesellschaftsrechtlichen Treueverhältnis nicht willkürlich von der Rechtswissenschaft entwickelt wurde, sondern eine maßgeschneiderte Reaktion auf eine strukturelle Eigenheit darstellt und sich deswegen von allgemeinen Nebenpflichten abgrenzen lässt. Zudem ist Grundmanns Treuepflicht strictu sensu problematisch, weil sie sich darüber hinaus nicht in die hergebrachte Dogmatik einfügen lässt. Denn sie schließt anerkannte einzelne Ausprägungen der hergebrachten gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht aus. Der Ausschluss anerkannter Ausprägungen folgt zunächst aus der Charakterisierung als Hauptpflicht. Hauptpflichten sind Pflichten, welche die Eigenart des Schuldverhältnisses bestimmen und essentieller Bestandteil des Vertrags sind.34 Dagegen sind Nebenpflichten auf die Hauptpflicht bezogen und unterstützen deren Erfüllung.35 Hergebrachte Ausprägungen der Treuepflicht sind das Verbot, Geschäftschancen des Treueberechtigten zu nutzen, und das Verbot des Abschließens unangemessener Eigengeschäfte.36 Sogar Grundmann geht davon aus, dass solche Pflichten lediglich die Hauptpflicht des Treueverpflichteten „flankieren“.37 Diese Ausprägungen wären damit als Nebenpflichten einzuordnen, womit sie aber aus Grundmanns kompakter Begriffsbeschreibung herausfielen. Zudem ist das Verbot, unangemessene Eigengeschäfte zu tätigen, noch aus einem weiteren Grund 32 s. u. Teil 2 – A.I.3.a), Teil 2 – A.I.3.c); dort bei der Frage, wem die Rechtsposition zugewiesen ist. 33 Für den Gesellschafterbereich vgl. bspw. Henze, in: RWS Forum 8, 1996, S. 1, 13, der zwar dem Gesellschafter bei Wahrnehmung eigennütziger Rechte ein Eigeninteresse zugesteht, aber dennoch eine vollständige Verhältnis- und Erforderlichkeitsprüfung anhand des Gesellschaftsinteresses vornehmen möchte; für den Geschäftsleiterbereich vgl. etwa Fleischer, WM 2003, 1045, 1047 m. w. N., der dem Geschäftsleiter bei der Verhandlung seines Anstellungsvertrags die Berücksichtigung seiner eigenen Interessen zwar zugesteht, aber dennoch davon ausgeht, dass er zu einer Offenheit verpflichtet ist, die über den verkehrsüblichen Standard hinausgeht; ähnlich auch Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 243. 34 Vgl. Looschelders, SchuldR AT, 2015, Rn. 11. 35 Vgl. ebd., Rn. 13. 36 Vgl. Fleischer, WM 2003, 1045, 1052 ff., 1054 ff. 37 Vgl. Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 238 ff.

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nicht von der Treuepflicht strictu sensu erfasst: Die Treuepflicht strictu sensu gebietet, dass alleine die Interessen des Treueberechtigten maßgeblich sind. Jedoch dürfen die Interessen des Treueberechtigten bei dem Verbot, unangemessene Eigengeschäfts zu tätigen, gerade angemessen berücksichtigt werden. Auch insoweit kann sich Grundmanns Begriffsbeschreibung nicht in die bestehende Dogmatik einfügen. Schließlich weist Grundmanns kompakte Begriffsbeschreibung Defizite bei einer etwaigen Abbedingung der Treuepflicht auf. Weil seine Beschreibung keine strukturellen Unterschiede zwischen Treuepflicht im weiteren Sinne und allgemeinen Nebenpflichten anerkennt,38 sind diese nicht voneinander abgrenzbar. Deswegen kann die Treuepflicht im weiteren Sinne nicht isoliert abbedungen werden und es kommt lediglich die Abdingbarkeit der Treuepflicht strictu sensu in Betracht. Auf den ersten Blick existieren nach einer Abbedingung der Treuepflicht strictu sensu jedoch alle Handlungsge- und -verbote fort, bei deren Herleitung die Interessen des Treueverpflichteten – nur marginal – berücksichtigt werden. Demnach können weiterhin allgemeine Nebenpflichten bestehen, die so hohe Anforderungen an die Verfolgung eigener Interessen stellen, dass kaum ein Unterschied zur Treuepflicht strictu sensu besteht. Insofern hat ihre Abbedingung kaum Auswirkung. Grundmanns Begriffsbeschreibung führt insoweit nicht zu sinnvollen Ergebnissen. Nun könnte angeführt werden, dass bei Abbedingung der Treuepflicht strictu sensu ein Pflichtenfreiraum aufgrund Vertragsauslegung besteht, der über die Treuepflicht strictu sensu hinausgeht. Dann könnten mit Abbedingung der Treuepflicht strictu sensu etwa solche Gebote ausgeschlossen sein, bei deren Herleitung die Interessen beider Parteien berücksichtigt werden, die aber im Einzelfall ähnliche Wirkungen wie die Treuepflicht strictu sensu zeitigen. Jedoch eignet sich Grundmanns Begriffsbeschreibung dann nicht, um zu bestimmen, welche Pflichten aufgrund der Abdingbarkeit der Treuepflicht zur Disposition stehen. Denn seine Begriffsbeschreibung gibt keine klaren Kriterien an die Hand, um den weitergehenden Pflichtenfreiraum einzugrenzen. 3. Ableitung exakterer Kriterien Nachdem eine für die Zwecke dieser Abhandlung leistungsfähige Begriffsbeschreibung der Treuepflicht nicht auffindbar ist, müssen eigene Eingrenzungskriterien abgeleitet werden. Für die Präzisierung soll auf Eigenschaften der gegenwärtigen Treuepflicht zurückgegriffen werden, die in der deutschen Rechtswissenschaft bereits bekannt sind beziehungsweise vorausgesetzt werden. Aus diesem Grund wird sich die Begriffsschärfung weitestgehend in die vorhandene Dogmatik einfügen, insbesondere wird der Treuepflicht ihre Flexibilität gelassen. Es soll gerade nicht die hergebrachte Treuepflicht eingerissen und neu aufgebaut werden. Ziel der Abhandlung ist es stattdessen, eine Grenze zu ziehen, welche die hergebrachte 38

Vgl. Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 167, 545.

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Treuepflicht von anderen Pflichten und allgemeinen Instituten trennt. Nun ist es durchaus möglich, dass später einzelne Verbote aus dem geschärften Begriff der Treuepflicht herausfallen, obwohl in der Rechtswissenschaft vertreten wird, dass sie unter die Treuepflicht zu fassen sind. Das bedeutet dann keinesfalls, dass solche Verbote nicht existieren. Vielmehr sind solche Verbote lediglich allgemeinen Instituten zuzuordnen beziehungsweise als eigenständige Einzelpflichten anzusehen. Es entsteht bei Lutter und bei Wiedemann der Eindruck, die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht sei in verschiedenen Anwendungsbereichen so unterschiedlich, dass sie nur zufällig denselben Namen trägt.39 Die Grenzen zwischen den Anwendungsbereichen werden aber von Lutter und Wiedemann nicht einheitlich gezogen;40 wie kann das passieren, wenn die Unterschiede so evident sein sollen? Zudem hat Wiedemann später vorsichtigere Aussagen getroffen.41 Weiterhin sind von Immenga und Grundmann bereits einheitliche Strukturen der Treuepflicht in verschiedenen Anwendungsbereichen ermittelt worden; außerdem widerspricht Weber der Sinnhaftigkeit einer scharfen Trennung und völlig separaten Behandlung einzelner Anwendungsbereiche.42 Die nachfolgende Abhandlung wird zeigen, dass speziell für den Geschäftsleiterbereich und für den Gesellschafterbereich die Abgrenzungskriterien der Treuepflicht zu anderen Pflichten und allgemeinen Instituten gemeinsam herausgearbeitet werden können. Um das darzulegen, werden die herangezogenen Eigenschaften der Treuepflicht sogleich jeweils für die verschiedenen Bereiche belegt. Zudem erprobt die Abhandlung später die abgeleitete Begriffsbeschreibung exemplarisch bei der Vertiefung des konkreten Vorkommens der Treuepflicht43 und bei der darauffolgenden Abgrenzung zu anderen Pflichten und allgemeinen Instituten.44 Dabei soll untermauert werden, dass die Eingrenzungskriterien für die verschiedenen Bereiche gültig und für die Abgrenzung leistungsfähig sind. Diese Einung der Treuepflicht ist 39 Vgl. Lutter, ZHR 162 (1998), 164, 176: „[…] nur den Namen gemeinsam“; Wiedemann, in: FS Heinsius, 1991, S. 949, 950: „Die Treuepflichten: Ein Wort – drei Welten! Die erwähnten Treuepflichten haben das Wort gemeinsam, unterscheiden sich aber wesentlich in Grundlage, Aufgabenstellung, Inhalt und Folgen.“; ebenso Wiedemann, WM 1992, Sonderbeilage Nr. 7, 1, 18 f.; ähnlich auch Wiedemann, JZ 1989, 443, 448: „(fast) nur das Wort gemeinsam“; sich Lutter anschließend Röhricht, in: Hdb. Coporate Governance, 2009, S. 513, 514. 40 s. die Dreiteilung von Wiedemann, in: FS Heinsius, 1991, S. 949, 950 und die Zweiteilung von Lutter, ZHR 162 (1998), 164, 176. 41 Wiedemann, WM 2009, 1, 2, 5: Die Treuepflicht habe in den verschiedenen Verhältnissen einen „anderen Klang“, sie nehme „verschiedene Inhalte“ an, habe aber wohl denselben „Ursprung“. 42 Immenga, Personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 261 ff.; Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 272, 275, 277, 542, 547; Weber, Vormitgliedschaftliche Treuebindungen, 1999, S. 152; s. a. Wellenhofer-Klein, RabelsZ 64 (2000), 564, die sogar übergreifende Strukturen der Treuepflicht in verschiedenen Rechtsgebieten herausarbeitet; s. a. Janke, Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, 2003, S. 32. 43 s. u. Teil 2 – A.II. 44 s. u. Teil 2 – A.III.

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hier nicht nur möglich, sie ist ebenfalls zweckmäßig. Sie kann bei Begriffsbestimmung und Abgrenzung Wiederholungen verhindern und durch sie kristallisieren sich die strukturellen Abgrenzungsmerkmale der Treuepflicht besser heraus. a) Eingrenzungskriterium aus dem Zweck Zunächst bietet sich der vielbesprochene Zweck der Treuepflicht an, um ein Eingrenzungskriterium abzuleiten. Jedenfalls früher wurde der Zweck der Treuepflicht in der Verrechtlichung des Vertrauens des Treueberechtigten gesehen.45 Heutzutage wird vorrangig auf die Kompensation einer besonderen Einwirkungsmöglichkeit des Treueverpflichteten abgestellt.46 Bei objektiver Betrachtung wird deutlich, dass die Ansichten zwei Seiten derselben Medaille beschreiben. So erlangt der Treueverpflichtete eine Einwirkungsmöglichkeit und der Treueberechtigte vertraut eine Einwirkungsmöglichkeit an.47 Zu weit geht es jedoch, ein Vertrauen zu fordern, das einer persönlichen Bindung entspringt;48 das ist inzwischen anerkannt.49 Es bietet sich eher eine umgekehrte Beurteilung an. Denn ein persönliches Band hält bereits von dem opportunistischen Gebrauch der Einwirkungsmöglichkeit ab.50 Deswegen ist die Verrechtlichung des objektiven Vertrauens gerade wichtig, wenn keine persönliche Bindung besteht. Daher liegt der Zweck der Treuepflicht sinnvollerweise in der Kompensation für eine objektiv anvertraute Einwirkungsmöglichkeit. Die Treuepflicht reagiert aber nicht auf das Anvertrauen irgendeiner Einwirkungsmöglichkeit. Die Einwirkungsmöglichkeit weist im Treueverhältnis bekanntermaßen eine andere Qualität auf als bei anderen Sonderverbindungen.51 So hat der Treueverpflichtete im Treueverhältnis zumindest die latente Kontrolle über eine dem Treueberechtigten zugewiesene Rechtsposition: Das zeigt sich im Geschäftsleiter45 Für den Geschäftsleiterbereich vgl. etwa Hueck, in: FS Hübner, 1935, S. 72, 79 f.; für den Gesellschafterbereich der OHG vgl. etwa Hueck, ZGR 1972, 237, 245; für eine Zusammenfassung der Lit. s. Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 136. 46 Vgl. bspw. BGHZ 65, 15 („ITT“), 18; BGHZ 103, 184 („Linotype“), 194; BGHZ 129, 136 („Girmes“), 142; Mestmäcker, Verwaltung, 1958, S. 214; Zöllner, Schranken mitgl. Stimmrechtsmacht, 1963, S. 343; s. a. bereits Fechner, Treuebindungen, 1942, S. 76 f., 105; für die fiduciary duties des US-amerikanischen Rechts vgl. Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 215 ff. 47 Vgl. Zöllner, Schranken mitgl. Stimmrechtsmacht, 1963, S. 341 ff.; s. a. Mestmäcker, Verwaltung, 1958, S. 214, der sowohl eine Vertrauensstellung annimmt als auch die Einwirkungsmöglichkeit anführt. 48 Noch auf eine persönliche Beziehung abstellend BGHZ 9, 157, 163; Hueck, Treuegedanke, 1947, S. 12; Wohlmann, Treuepflicht des Aktionärs, 1968, passim. 49 So bewertend z. B. Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 327, der davon spricht, dass diese Ansicht als überwunden angesehen werden kann; ähnlich Wellenhofer-Klein, RabelsZ 64 (2000), 564 mit Fn. 47. 50 Vgl. aus dem US-amerikanischen Rechtskreis Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 228 f. 51 Vgl. bspw. Wellenhofer-Klein, RabelsZ 64 (2000), 564, 584.

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bereich etwa dann, wenn der Einzelgeschäftsleiter bei der täglichen Geschäftsführung die rechtliche Herrschaft über das ihm fremde Gesellschaftsvermögen erlangt.52 Zudem wird ebendiese Einwirkungsmöglichkeit im Gesellschafterbereich aktuell, wenn dem Mehrheitsgesellschafter bei einer Mehrheitsentscheidung die rechtliche Kontrolle über das der Gesellschaft(-ergesamtheit) gewidmete Vermögen zuteilwird.53 Schließlich hat der Minderheitsgesellschafter beispielsweise dann vergleichbare Kontrolle, wenn er mit einer Sperrminorität Beschlüsse über das in die Gesellschaft eingebrachte Vermögen der Mitgesellschafter blockiert.54 Mit latenter Kontrolle ist hier lediglich gemeint, dass der Treueverpflichtete in konkreten Fällen das Geschick der fremden Rechtsposition in der Hand hat. Dafür ist irrelevant, ob er eine Entscheidung über die Rechtsposition gestalten oder nur verhindern kann. Das wird besonders deutlich, wenn man die weitreichenden Folgen betrachtet, die mit der Verhinderung einer Gesellschaftssanierung für Gesellschaft, Mitgesellschafter und deren Vermögen einhergehen. Neben der besonderen rechtlichen Einwirkungsmöglichkeit kann im Treueverhältnis eine vergleichbare tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit bestehen,55 auf die mit der Treuepflicht reagiert wird. Die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit kann sich aus einer mangelnden Überwachbarkeit des Treueverpflichteten ergeben. Eine fehlende Überwachbarkeit folgt beispielsweise daraus, dass nur der Treueverpflichtete die Information und Expertise besitzt, die für die Bewertung der Sachlage notwendig sind.56 Jedoch begründet ein jedes Wissens- oder Fähigkeitsgefälle noch nicht diejenige Gefahrenlage, auf die mit der Treuepflicht reagiert wird.57 Vielmehr ist die Gefahrenlage erst erreicht, wenn die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit an die vorstehende rechtliche Einwirkungsmöglichkeit herankommt. Daher muss aus der tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit die faktische Kontrolle über die Rechtsposition folgen, diese Kontrolle muss der Treueberechtigte dem Treueverpflichteten anvertraut haben und die Rechtsposition muss dem Treueberechtigten 52 Dazu Fleischer, WM 2003, 1045, 1046, 1048 m. w. N.; die Kontrolle wird dem Geschäftsleiter bspw. anvertraut mit §§ 78 Abs. 1, 82 Abs. 1 AktG, §§ 35 Abs. 1, 37 Abs. 2 GmbHG, § 125 Abs. 1 HGB; für das US-amerikanische Recht vgl. Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 583 (1997); Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 215, 217. 53 Vgl. Immenga, Personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 262, der die Mehrheit als treuhänderischen Verwalter fremden Vermögens sieht; Wiedemann, in: FS Heinsius, 1991, S. 949, 960, der von einseitiger Gestaltungsmacht des Mehrheitsaktionärs auf fremde Rechtspositionen spricht; Timm, WM 1991, 481, 482 f., der von der Beherrschung der Hauptversammlung durch den Mehrheitsaktionär und seiner Treuhänderstellung spricht; vgl. auch Lutter, JZ 1976, 225, 231; Timm, ZGR 1987, 403, 405; aus der Rspr. s. a. bereits RGZ 132, 149 („Viktoria“), 163. 54 Dazu Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 18; Timm, WM 1991, 481, 483 f.; Henssler, DZWir 1995, 430, 431. 55 Vgl. Löhnig, Treuhand, 2006, S. 160, 833. 56 Zum Vorst. für das US-amerikanische Recht vgl. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1212 (1995); s. a. Easterbrook/Fischel, 36 J.L. & Econ. 425, 426, 441 (1993), die in der fehlenden Überwachbarkeit sogar ein Charakteristikum des Treueverhältnisses sehen. 57 Vgl. aus dem US-amerikanischen Rechtskreis Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 231.

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gewidmet sein. Eine solche tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit ist etwa gegeben, wenn die Gesellschaft dem Geschäftsleiter einen signifikanten Wissens- und Fähigkeitsvorsprung bezüglich des täglichen Geschäfts mit dem Gesellschaftsvermögen zugesteht oder wenn sich der rational passive Kleinaktionär dem Mehrheitsgesellschafter anvertraut, der bei einer Strukturmaßnahme der Gesellschaft signifikant besser informiert oder beraten ist. Im Gegensatz zur Treuepflicht reagieren Pflichten und allgemeine Institute in anderen Sonderverbindungen auf andere Gefahren. So ist dies zum Beispiel bei einer bekannten Rücksichtnahmepflicht aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis im Rahmen eines Kaufvertrags: Wenn der Kunde in einem Supermarkt auf einem Salatblatt ausrutscht,58 konnte er seine eigenen Schritte kontrollieren, hatte die Möglichkeit das Salatblatt zu sehen und bemerkt seinen Sturz. Er begibt sich in den Einflussbereich des Vertragspartners,59 er gibt jedoch nicht die Kontrolle über seine körperliche Unversehrtheit aus der Hand. Eine andere Gefahr ist beispielsweise auch bei einem gesetzlichen Schuldverhältnis gemäß § 823 BGB gegeben. Zwar hat der Gläubiger die Geltendmachung des Anspruchs aus § 823 BGB alleine in der Hand und damit die Kontrolle über den Anspruchsgegenstand; jedoch ist nicht dem Schuldner, sondern dem Gläubiger der Anspruchsgegenstand zugewiesen, weswegen der Gläubiger nicht über eine fremde Rechtsposition entscheidet. Eine andere Situation ist auch bei Überlassungsverträgen wie der Leihe gegeben. Zwar wird dort die tatsächliche Kontrolle bezüglich der überlassenen Rechtsposition aus der Hand gegeben und zudem gehört diese Rechtsposition weiterhin dem Überlassenden. Jedoch ist bei der Leihe dem Überlassenden die Rechtsposition nicht wie dem Treueberechtigten zugewiesen, insbesondere steht nicht dem Überlassenden, sondern dem Annehmenden der Gebrauch zu.60 Dort ist die kontrollierte Rechtsposition folglich nicht gleichermaßen fremd. Eine Pflicht, die auf eine bestimmte Gefahr reagiert, ist folgerichtig nur einschlägig, wenn dieser Gefahr begegnet wird. Deswegen können Pflichten und Institute, die eine Antwort auf allgemeine und andersartige Situationen darstellen, nicht auf die Treuepflicht zurückgeführt werden. Somit ist es notwendiges und universelles Merkmal der Treuepflicht und ihrer Ausprägungen, die objektiv anvertraute Einwirkungsmöglichkeit des Treueverpflichteten zu kompensieren.61 Die

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Dazu BGHZ 66, 51 („Salatblattfall“). Vgl. ebd., S. 54 m. w. N., der BGH sieht hierin die Rechtfertigung der Annahme einer Sonderverbindung mit erhöhten Schutzpflichten. 60 Vgl. oben Teil 2 – A.I.2. 61 Vgl. Dreher, ZHR 157 (1993), 150, 154 ff., 170, der die besondere Einwirkungsmöglichkeit als maßgebliches Kriterium für die Erstreckung des persönlichen Anwendungsbereichs sieht; vgl. auch Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 169; s. a. Wellenhofer-Klein, RabelsZ 64 (2000), 564, 594, welche die besondere Einwirkungsmöglichkeit als Wesensmerkmal des Treueverhältnisses und als Grundlage der rechtlichen Beschränkung sieht; für das USamerikanische Recht vgl. Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 217, 237; abw. für das deutsche 59

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Teil 2: Allgemeiner Teil

Einwirkungsmöglichkeit besteht in der (latenten) Kontrolle über eine anvertraute Rechtsposition, die dem Treueberechtigten gewidmet und deswegen dem Treueverpflichteten fremd ist. Mit dieser Eingrenzung fällt beispielsweise das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens aus dem Begriff der Treuepflicht heraus. Das Verbot ist vielmehr ein allgemeines Institut aus Treu und Glauben und besteht eigenständig.62 Denn das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens soll nicht speziell die Kontrolle über eine anvertraute fremde Rechtsposition beschränken. Das Verbot soll stattdessen den Glauben an einen allgemeinen Vertrauenstatbestand schützen, der durch ein vorheriges Verhalten geschaffen wurde.63 Es ist deswegen nicht spezifisch für das Treueverhältnis, sondern findet auch in Schuldverhältnissen at arm’s length Anwendung – etwa bei einem Anspruch aus § 823 BGB. b) Eingrenzungskriterium aus der Wirkweise Nicht nur der Zweck der Treuepflicht bietet sich an, um ein Eingrenzungsmerkmal zu gewinnen, Gleiches gilt für die Wirkweise der Treuepflicht. Die Rechtswissenschaft beschreibt die Wirkweise der Treuepflicht häufig dahingehend, dass die Treuepflicht auf vorhersehbare Weise unvorhergesehene Lücken schließt, die sich aus der praktischen Unmöglichkeit ergeben, sämtliche Umstände in einem Langzeitvertrag explizit zu regeln; die praktische Unmöglichkeit wird dann regelmäßig mit prohibitiven Kosten begründet.64 Die US-amerikanische Literatur sieht diese Charakterisierung der Treuepflicht teilweise als nicht hinreichend an.65 Diese Bewertung gilt auch für das deutsche Recht. Denn Vertragslücken bestehen nicht nur in Langzeitverträgen, wie dem gesellschaftsrechtlichen Treueverhältnis. Vertragslücken bestehen ebenfalls in einmaligen Austauschverträgen. Sie sind daher nicht spezifisch für das Treueverhältnis, während die Treuepflicht dies ist. Zudem gibt es bereits ein allgemeines Institut, das Vertragslücken schließen soll: Die (ergänzende) Vertragsauslegung. Nun kann die Treuepflicht das Handeln des Treueverpflichteten Recht Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 237, der eine Treuepflicht wohl unabhängig von einer besonderen Einwirkungsmöglichkeit annimmt. 62 Das durch eigenständige Prüfung neben der Treuepflicht implizierend Lutter, JZ 1976, 225, 232; anders Henze, BB 1996, 489, 495, der die widersprüchliche Rechtsausübung der Treuepflicht zuordnet; s. ausf. unten zur Abgrenzung von Treuepflicht und dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens Teil 2 – A.III.1.a). 63 Diese Darstellung ist verkürzt, aber als Demonstration ausreichend; ausf. zum widersprüchlichen Verhalten Roth/Schubert, in: MüKo BGB, § 242 Rn. 309 ff. 64 In diesem Sinne Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 17; Fleischer, ZGR 2001, 1, 4; Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 683; Wiedemann, GesR, 2004, S. 198; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 596 m. w. N.; s. a. Jickeli, Der langfristige Vertrag, 1996, S. 256; für das US-amerikanische Recht vgl. Easterbrook/Fischel, 36 J.L. & Econ. 425, 426 (1993); Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 90 f., die hierin sogar die Daseinsberechtigung der Treuepflicht sehen. 65 So Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 224; Laby, 56 Buff. L. Rev. 99, 166 f. (2008).

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vorhersehbarer beschränken als die Vertragsauslegung, da sie bereits eine Gewichtung der Interessen vornimmt. Das hat die Treuepflicht aber mit einer jeden Pflicht gemein, die aus Konkretisierung der Vertragsauslegung gewonnen wird. Die beschränkende Wirkweise der Treuepflicht kann somit nicht ihr Alleinstellungsmerkmal sein. Stattdessen hat die Treuepflicht ein anderes Charakteristikum, dass ihre Wirkweise grundlegend unterschiedet. So bewahrt sie gleichzeitig mit ihrer beschränkenden Wirkung eine Offenheit, die bereits in der deutschen Rechtswissenschaft bekannt ist.66 Die zwar beschränkende aber gleichzeitig offene Wirkung entsteht zwangsläufig, indem die Treuepflicht lediglich gebietet, das Interesse des Treueberechtigten als Handlungsziel anzusetzen67. Damit regelt die Treuepflicht verbindlich den Entscheidungsprozess. Die Treuepflicht gibt aber weder die konkrete Handlung als Entscheidungsergebnis noch einen konkreten Erfolg vor. Deswegen verbleibt bezüglich der konkreten Handlung und dem konkreten Erfolg ein Spielraum – eine Offenheit.68 Insoweit ist es sinnvoll, die Treuepflicht parallel zur Ermessensregelung im öffentlichen Recht zu betrachten.69 Im Geschäftsleiterbereich ist diese Anknüpfung an den Entscheidungsprozess bereits in der gängigen deutschen Definition der Treuepflicht vorausgesetzt, indem die gängige deutsche Definition verlangt, dass der Treueverpflichtete ausschließlich das Wohl und Wehe des Treueberechtigten im Auge haben muss.70 Im Gesellschafterbereich tritt die Anknüpfung an den Entscheidungsprozess in der Kali + Salz-Entscheidung des BGH besonders deutlich zu Tage.71 In der Entscheidung fordert der BGH nicht die Richtigkeit des Abstimmungsergebnisses, stattdessen überprüft der BGH die Abwägung als Prozess.72

66 Vgl. etwa Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 146 (allgm); Cahn, in: FS Wiese, 1998, S. 71, 79 (Gesellschafterbereich); Löhnig, Treuhand, 2006, 834 (allgm.); die Offenheit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht findet sich wohl auch bereits bei Zöllner, Schranken mitgl. Stimmrechtsmacht, 1963, S. 342 f. (Gesellschafterbereich); Fischer, in: FS Barz, 1974, S. 33, 36 (Gesellschafterbereich); Mayer-Maly, in: Treue- und Fürsorgepflicht im Arbeitsrecht, 1975, S. 71, 89 f. (Arbeitsrecht); Lutter, AcP 180 (1980), 84, 102 f. (Gesellschafterbereich); für das US-amerikanische Recht vgl. Laby, 56 Buff. L. Rev. 99, 146, 167 (2008) (Geschäftsleiterbereich). 67 Für das US-amerikanische Recht vgl. Laby, 56 Buff. L. Rev. 99, 145 f., 167 (2008). 68 Für das US-amerikanische Recht vgl. ebd., S. 146, 167. 69 Vgl. Timm, ZGR 1987, 403, 410 (Gesellschafterbereich). 70 Vgl. BGH, Urt. v. 10. 2. 1977 – II ZR 79/75, WM 1977, 361, 362; Fleischer, WM 2003, 1045, 1045; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 114; Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 227. 71 BGHZ 71, 40 („Kali + Salz“). 72 Zum Vorst. vgl. ebd., S. 49 f.; nicht so deutlich aber ähnlich auch OLG Nürnberg, Urt. v. 09. 07. 2008 – 12 U 690/07, DB 2008, 2415, 2418; zwar wurde die Kontrolle in der Kali & Salz Entscheidung nicht ausdr. auf die Treuepflicht gestützt, dennoch findet sie ihre Grundlage in ihr, vgl. Henze, BB 1996, 489, 499; Lutter, ZHR 162 (1998), 164, 167.

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Teil 2: Allgemeiner Teil

Nun soll bei der Treuepflicht im Gegensatz zur Sorgfaltspflicht aber gerade kein weiter unternehmerischer Ermessensspielraum gegeben sein.73 Dem ist insoweit beizupflichten, als dass der Treueverpflichtete bei seinem Entscheidungsprozess verbindlich das Interesse des Treueberechtigten im Auge haben muss. Richtig ist auch, dass dies vom Richter umfassend nachgeprüft werden kann. Beides ändert jedoch nicht, dass der Treueverpflichtete in der Regel das Interesse des Treueberechtigten mit verschiedenen konkreten Handlungen verfolgen kann. Bereits deswegen verbleibt in Bezug auf den konkreten Inhalt der Treuepflicht eine Offenheit. Anders ist das lediglich in Sonderfällen. Dort kann es vorkommen, dass es nur ein Verhalten gibt, mit dem das angesetzte Interesse verfolgt werden kann. Dann ist es sinnvoll, von einer „Ermessensreduzierung auf Null“ zu sprechen.74 Eine typisierte Ermessensreduzierung auf Null ist beispielsweise mit der Verpflichtung gegeben, einer dringend erforderlichen und zumutbaren Änderung des Gesellschaftsvertrags zuzustimmen.75 Auch dort wird dem Richter aber die tatsächliche Möglichkeit gegeben, die grundsätzliche Offenheit zu wahren. Dies wird durch weiche Billigkeitskriterien wie die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit erreicht. Jedoch werden zahlreiche weitere Regelungen unter die Treuepflicht gefasst, obwohl sie nicht an den Entscheidungsprozess knüpfen, sondern direkt eine Handlung verbieten; das gilt beispielsweise für ein Verbot der Nutzung von Geschäftschancen der Gesellschaft durch Geschäftsleiter oder Gesellschafter,76 für ein Wettbewerbsverbot des Geschäftsleiters oder der Gesellschafter,77 für ein Verbot unangemessene Eigengeschäfte mit der Gesellschaft zu tätigen,78 und für ein Verbot der Stimmrechtsausübung der Gesellschafter.79 Es könnte nun argumentiert werden, dass die Existenz solcher Ausprägungen der Treuepflicht das Kriterium der Offenheit durch Anknüpfung an den Entscheidungsprozess widerlegt. Allerdings regeln solche Handlungsverbote Konstellationen, bei denen typischerweise naheliegt, dass der Treueverpflichtete in seinem Entscheidungsprozess nicht oder nicht mehr das Interesse des Treueberechtigten ansetzt. Denn sie betreffen Situationen, denen offenbar ein Interessenkonflikt zugrunde liegt oder aus denen 73 Vgl. bspw. Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 227; Fleischer, in: Spindler/ Stilz, AktG, § 93 Rn. 115 m. w. N.; anders bei der Treuepflicht im Gesellschafterbereich Lutter, JZ 1995, 1053, 1055. 74 Von einer „Ermessenreduzierung auf Null“ im Gesellschafterbereich sprechend Lutter, JZ 1995, 1053, 1055; vgl. auch Windbichler, in: RWS Forum 8, 1996, S. 23, 38. 75 Für diese Pflicht s. etwa BGHZ 183, 1 („Sanieren oder Ausscheiden“), 8; s. zur Zustimmungspflicht allgm. zuletzt BGH, Urt. v. 12. 4. 2016 – II ZR 275/14, DB 2016, 1427 („Media-Saturn“); zu dem Urteil etwa Hippeli, GmbHR 2016, 1257, passim. 76 Dazu für den Geschäftsleiter ausf. Fleischer, WM 2003, 1045, 1054; für den Gesellschafter Schmidt, GesR, 2002, § 20 V. 3. 77 s. dazu für den Geschäftsleiter der AG § 88 Abs. 1 AktG; für den Gesellschafter der OHG § 112 Abs. 1 HGB. 78 Dazu für den Geschäftsleiter ausf. Fleischer, WM 2003, 1045, 1052. 79 Dazu Römermann, in: Michalski, GmbHG, § 47 Rn. 82.

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offenbar ein Interessenkonflikt entspringt.80 Namentlich handelt der Geschäftsleiter aufgrund eines offenbaren Interessenkonflikts typischerweise nicht im Sinne der Gesellschaft, wenn er eine lukrative Geschäftschance nicht für die Gesellschaft verwendet, aber kurz darauf für sich selbst nutzt. Es liegt dann vielmehr nahe, dass er beim Ausschlagen der Geschäftschance für die Gesellschaft sein eigenes Interesse verfolgt. Das wird verhindert, indem die Geschäftschancenlehre die Nutzung der Geschäftschance durch den Geschäftsleiter grundsätzlich verbietet. Gleichermaßen ist es aufgrund eines offenbaren Interessenkonflikts wahrscheinlich, dass der Gesellschafter nicht vorrangig das Interesse der Gesellschaft, sondern sein eigenes Interesse bei seiner Tätigkeit für die Gesellschaft im Auge hat, wenn er mit der Gesellschaft konkurriert. Dem kann ein Wettbewerbsverbot den Riegel vorschieben. Ähnliches gilt, wenn der Geschäftsleiter Eigengeschäfte mit der Gesellschaft abschließt. Auch dann besteht offenbar ein Interessenkonflikt, der nahelegt, dass der Geschäftsleiter sein eigenes Interesse verfolgt. Dem begegnet das Verbot, unangemessene Eigengeschäfte mit der Gesellschaft zu tätigen. Aber auch bei der Anknüpfung an einen offenbaren Interessenkonflikt bewahren Handlungsverbote wie die Geschäftschancenlehre, das Wettbewerbsverbot, die Angemessenheitskontrolle von Eigengeschäften und der Stimmrechtsausschluss eine Offenheit. Das wird teilweise durch weiche Tatbestandsmerkmale wie die Angemessenheit, die Verhältnismäßigkeit oder die Erforderlichkeit gewährleistet. Sie geben dem Richter die tatsächliche Möglichkeit, die Flexibilität des Treueverpflichteten zu erhalten, auch wenn diese Tatbestandsmerkmale vollständig überprüft werden können; das gilt etwa bei dem Verbot, unangemessene Eigengeschäfte zu tätigen. An anderer Stelle wird die Offenheit der Treuepflicht dadurch bewahrt, dass nicht die Kontrolle über die anvertraute Rechtsposition reglementiert, sondern stattdessen das private Verhalten des Treueverpflichteten beschränkt wird; das gilt insbesondere für das Wettbewerbsverbot und für die Geschäftschancenlehre. Beim Stimmrechtsausschluss wird der Spielraum der Gesellschafterversammlung insgesamt bewahrt, indem der Stimmrechtsausschluss kein Abstimmungsergebnis vorgibt, sondern lediglich einzelne Gesellschafter an der Abstimmung hindert, während die Gesellschafterversammlung als solche handlungsfähig bleibt. Aufgrund der Anknüpfung an einen offenbaren Interessenkonflikt bei gleichzeitiger Wahrung einer Offenheit können Handlungsverbote wie die Geschäftschancenlehre, das Wettbewerbsverbot, die Angemessenheitskontrolle von Eigengeschäften und der Stimmrechtsausschluss zwanglos als typisierte Ausprägungen der Treuepflicht erklärt werden. Daher werden sie nicht von dem Kriterium der offenen Wirkweise durch Anknüpfung an das Handlungsziel ausgeschlossen; ihre rechtstatsächliche Existenz steht diesem Kriterium also nicht entgegen. Typisierte Ausprägungen der Treuepflicht wie die Geschäftschancenlehre, das Wettbewerbs80 Allgm. die Hauptaufgabe der Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich in der Vermeidung und Lösung von Interessenkonflikten sehend Fleischer, WM 2003, 1045, 1049 f.; s. a. Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 61.

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verbot, die Angemessenheitskontrolle von Eigengeschäften und der Stimmrechtsausschluss erleichtern die Anwendung der Treuepflicht, insbesondere relativieren sie die Problematik, dass der Entscheidungsprozess als innerer Vorgang nicht unmittelbar von außen einsehbar ist. Das erreichen sie, indem sie an offenbare Interessenkonflikte knüpfen. Zudem gestatten sie mit ihrer Typisierung eine Fallgruppenbildung und führen damit zu mehr Rechtssicherheit. Die dargelegte offene Wirkweise der Treuepflicht folgt als natürliche Reaktion auf den Umstand, dass meist die absolut richtige Handlung des Geschäftsleiters oder des Mitgesellschafters nicht feststellbar ist. Das gilt besonders bei einer nachträglichen Kontrolle von wirtschaftlich komplexen Vorgängen durch Gerichte, etwa begegnet man dem Gedanken bei der Kali + Salz-Entscheidung des BGH.81 Zudem folgt die offene Wirkweise der Treuepflicht aus einem vorteilhaften Merkmal des gesellschaftlichen Verhältnisses: Im gesellschaftlichen Verhältnis haben die Beteiligten bestimmte Kompetenzen, bei deren Wahrnehmung sie nicht in jeder Einzelheit beschränkt sein sollen. Diese Offenheit im Verband wird bereits in der hergebrachten deutschen Literatur vielfach als Grundlage der Treuepflicht herangezogen.82 Durch die Offenheit im Verband wird ermöglicht, von der Flexibilität des Geschäftsleiters, des Mitgesellschafters und der Gesellschaft insgesamt zu profitieren; insbesondere kann genutzt werden, dass Geschäftsleiter oder Mitgesellschafter ihr Handeln im Rahmen der erteilten Kompetenzen eigenständig an sich wandelnde Umstände anpassen. Dieser Vorteil wird durch die Treuepflicht mit ihrem Spielraum trotz ihrer beschränkenden Wirkung gewahrt. Konkret wird die Wahrung der Offenheit relevant, wenn die rational passive Gesellschaft die Flexibilität und Expertise des aktiven Geschäftsleiters bei der Führung laufender Geschäfte nutzt. Zudem wird die Offenheit aktuell, wenn ein rational passiver Kleinaktionär sich der Flexibilität und Expertise83 eines aktiven Großaktionärs bei der Entscheidung über einzelne Strukturmaßnahmen bedient. Außerdem ist die Offenheit von Bedeutung, wenn ein passiver Kleinaktionär aus der informierten und flexiblen Teilnahme von anderen aktiven Kleinaktionären an der Hauptversammlung einen Vorteil zieht. Hier ist mit Offenheit der Treuepflicht aber nicht gemeint, dass die Treuepflicht eine Anpassung des Vertrags ermöglicht.84 Denn das kann bereits durch die Erteilung von Kompetenzen an Gesellschaftsorgane gewährleistet werden – beispielsweise durch das Ermöglichen von Mehrheitsentscheidungen in der Gesellschafterversammlung. Freilich kann die Treuepflicht die Entscheidung bei der Wahrnehmung 81

BGHZ 71, 40 („Kali + Salz“), 49 f.; s. a. Lutter, JZ 1995, 1053, 1055. Ähnlich bewertend Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 145; für das Heranziehen der Offenheit im Einzelnen vgl. bspw. Zöllner, Schranken mitgl. Stimmrechtsmacht, 1963, S. 342; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 91, 102; Cahn, in: FS Wiese, 1998, S. 71, 79; Fleischer, ZGR 2001, 1, 4; Koppensteiner, GesRZ 2009, 197, 202. 83 Der Großaktionär muss die Expertise nicht selbst besitzen, sondern kann sich externer Berater bedienen. 84 Hierauf aber wohl abstellend Lutter, AcP 180 (1980), 84, 102; für das Arbeitsrecht s. a. Mayer-Maly, in: Treue- und Fürsorgepflicht im Arbeitsrecht, 1975, S. 71, 89 f. 82

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dieser Kompetenzen beschränken und damit im Einzelfall eine Änderung des Gesellschaftsvertrags erzwingen. Auch dann gebietet sie aber lediglich eine konkrete Handlung, woraus sich kein Unterschied zur beschränkenden Wirkweise von typischen Pflichten ergibt. Aus dem Grund wird hier stattdessen darauf abgestellt, dass die Treuepflicht eine in sich offene Wirkweise hat. Anders gewendet: Maßgeblich ist nicht, dass mit der Treuepflicht ein Vertrag angepasst werden kann. Maßgeblich ist vielmehr, dass sie selbst anpassungsfähig ist und dass sie dem Treueverpflichteten seine eigenständige Anpassungsmöglichkeit belässt. Nach alledem ist es notwendiges universelles Merkmal der Treuepflicht, als Pflicht zwar unmittelbar beschränkende Wirkung zu haben, aber gleichzeitig eine Offenheit zu wahren, indem sie das Handlungsziel verbindlich regelt, aber weder eine konkrete Handlung noch einen konkreten Erfolg vorgibt. Vom Gegenstand der Treuepflicht sind ebenfalls ihre typisierten Ausprägungen umfasst. Sie regeln direkt eine Handlung, aber wahren den Spielraum auf andere Art. Die typisierten Ausprägungen können namentlich an einen offenbaren Interessenkonflikt knüpfen oder einer Ermessensreduzierung auf Null entspringen. Mit diesem Kriterium fallen beispielsweise konkludent vereinbarte Pflichten aus dem Begriff der Treuepflicht heraus, die in sich keine Offenheit gewährleisten. c) Eingrenzungsindiz aus dem Inhalt Schließlich bietet sich der Inhalt der Treuepflicht an, um ein Eingrenzungskriterium abzuleiten. Der Inhalt der Treuepflicht ist unkompliziert, wenn zuvorderst im fremden Interessenkreis gehandelt wird. Dann wird vorrangig über die Rechtsposition entschieden, die dem Treueberechtigten zugewiesen ist. Deswegen leuchtet es ein, dass allgemein und vorrangig das Interesse des Treueberechtigten maßgeblich ist – mit anderen Worten: dass allgemein und vorrangig seine Ziele zu verfolgen sind85. Zunächst ist eine solche Wahrnehmung fremden Interesses grundsätzlich bei der täglichen Geschäftsführung durch den Geschäftsleiter gegeben, weil dort in der Regel zuvorderst das fremde Gesellschaftsvermögen betroffen ist. Weiterhin liegt eine solche Wahrnehmung fremden Interesses bei der Ausübung uneigennütziger Mitgliedschaftsrechte86 durch den Gesellschafter vor,87 etwa bei der Abstimmung

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Es handelt sich nicht um jedes Interesse i. S. d. Schadensbegriffs. Es geht hier vielmehr um ein Interesse als Endziel. Die Bezeichnung als Ziel ist in dieser Hinsicht wohl genauer. Die Abhandlung wird beide Bezeichnungen (synonym) verwenden. Die Bezeichnung „Wahrnehmungsziele“ bereits verwendend Löhnig, Treuhand, 2006, S. 199 ff.; für das US-amerikanische Recht vgl. Laby, 56 Buff. L. Rev. 99, 146, 167 (2008) mit dem Titel: „The Fiduciary Obligation as the Adoption of Ends“. 86 Zum Begriff des uneigennützigen Rechts s. Windbichler, in: RWS Forum 8, 1996, S. 23, 26 f.; Michalski, NZG 1998, 460. 87 Vgl. Janke, Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, 2003, S. 32; s. a. Immenga, in: FS 100 Jahre GmbH, 1992, S. 189, 199 f.

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Teil 2: Allgemeiner Teil

über die Bestellung eines Geschäftsleiters,88 bei der Abstimmung über eine Geschäftsführungsmaßnahme (§ 119 Abs. 2 AktG)89 oder bei der Feststellung der Jahresbilanz.90 Denn auch dort ist grundsätzlich zuvorderst das fremde Gesellschaftsvermögen betroffen. Dementsprechend räumt die hergebrachte deutsche Rechtswissenschaft in solchen Fällen dem Interesse des Treueberechtigten in der Regel den alleinigen Vorrang ein.91 Komplizierter ist der Inhalt der Treuepflicht bei der Tätigkeit des Treueverpflichteten im auch-fremden Interessenkreis. Dort ist einerseits die anvertraute fremde Rechtsposition betroffen, zugleich aber das eigene Vermögen des Treueverpflichteten, weswegen eine hybride Situation gegeben ist. Eine solche Situation liegt beispielsweise bei dem Abschluss von Eigengeschäften des Geschäftsleiters mit der Gesellschaft vor. Ebenso ist eine hybride Situation bei der Wahrnehmung eines eigennützigen Rechts92 durch einen Gesellschafter gegeben, etwa bei der Abstimmung über eine Sanierungsmaßnahme. Zudem liegt eine hybride Situation bei der Nachverhandlung des Geschäftsleiters über seinen Arbeitsvertrag vor. Denn in diesen Fällen ist das Gesellschaftsvermögen betroffen und zugleich das private Sachvermögen des Treueverpflichteten tangiert, das Mitgliedschaftsrecht des Gesellschafters relevant beziehungsweise das Humankapital berührt, das auf Ebene der Vertragsverhandlung dem Geschäftsleiter zugewiesen ist. Dementsprechend gibt die hergebrachte deutsche Rechtswissenschaft in diesen Fällen dem Treueverpflichteten lediglich auf, das Interesse des Treueberechtigten besonders zu berücksichtigen.93

88 Für die Bestellung eines Geschäftsführers als uneigennütziges Recht vgl. Weber, Vormitgliedschaftliche Treuebindungen, 1999, S. 163. 89 Für die Abstimmung über eine Geschäftsführungsmaßnahme als uneigennütziges Recht vgl. Henze, in: RWS Forum 8, 1996, S. 1, 9 f.; an der Uneigennützigkeit zweifelnd aber Windbichler, in: RWS Forum 8, 1996, S. 23, 26. 90 Für die Abstimmung über die Feststellung der Jahresbilanz als uneigennütziges Recht vgl. Immenga, in: FS 100 Jahre GmbH, 1992, S. 189, 200. 91 Für den Gesellschafterbereich vgl. bspw. Marsch-Barner, ZHR 157 (1993), 172, 175; Henze, in: RWS Forum 8, 1996, S. 1, 12; Wellenhofer-Klein, RabelsZ 64 (2000), 564, 574; s. a. Immenga, in: FS 100 Jahre GmbH, 1992, S. 189, 199; für den Geschäftsleiterbereich vgl. etwa Fleischer, WM 2003, 1045, 1045; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 114 mit umfangr. Nachw. 92 Bsp. für eigennützige Rechte sind der Auflösungsbeschluss, die Kapitalerhöhung und die Kapitalherabsetzung, vgl. Henze, BB 1996, 489, 492 f.; weitere Beispiele sind die Ausübung von Sonderrechten, vgl. Immenga, in: FS 100 Jahre GmbH, 1992, S. 189, 200; wohl auch die Einberufungs- Antrags- und Informationsrechte, vgl. Weber, Vormitgliedschaftliche Treuebindungen, 1999, S. 165. 93 Für die Wahrnehmung eigennütziger Rechte im Gesellschafterbereich vgl. bspw. Henze, in: RWS Forum 8, 1996, S. 1, 13; für die Aushandlung des Arbeitsvertrags im Geschäftsleiterbereich vgl. etwa Fleischer, WM 2003, 1045, 1047 m. w. N.; Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 243; für Eigengeschäfte im Geschäftsleiterbereich vgl. bspw. Fleischer, WM 2003, 1045, 1052; Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 241 f.

A. Gegenstand der Treuepflicht und seine Umgebung

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Die Übergänge zwischen der Wahrnehmung fremden Interesses und der Wahrnehmung eigenen Interesses sind im Treueverhältnis fließend,94 weswegen die Gewichtung unterschiedlich stark ausfallen kann. So wird bei der Aushandlung des Anstellungsvertrags durch den Geschäftsleiter eine Offenheit verlangt, die über das verkehrsübliche Maß hinausgeht.95 Zudem wird dem Geschäftsleiter verboten, ein evidentes Missverhältnis der Leistungen herbeizuführen, wobei teilweise ein etwas strengerer Maßstab angelegt wird.96 Bei sonstigen Eigengeschäften des Treueverpflichteten mit dem Treueberechtigten wird bereits eine Angemessenheit des Ergebnisses gefordert.97 Ähnlich kann bei eigennützigen Rechten des Gesellschafters die Verhältnismäßigkeit der Ausübung auferlegt werden.98 Bei der täglichen Geschäftsführung ist dann zwar grundsätzlich vorrangig das Interesse der Gesellschaft maßgeblich, der Geschäftsleiter darf bis zu einem gewissen Punkt aber sein eigenes Interesse ansetzen, etwa die Entfaltung seiner Persönlichkeit und die Wahrung seiner Gesundheit.99 In jedem Fall muss der Treuepflichtete das Interesse des Treueberechtigten in Bezug auf die Rechtsposition allgemein und nicht nur punktuell im Auge haben, weil mit der anvertrauten Kontrolle über eine fremde Rechtsposition zumindest eine Tätigkeit im auch-fremden Interessenkreis gegeben ist. Nach alledem ist es universelles Merkmal der Treueplicht, den Treueverpflichteten beim Handeln im fremden Interessenkreis allgemein und vorrangig den Zielen des Treueberechtigten zu verpflichten und beim Handeln im auch-fremden Interessenkreis eine allgemeine und angemessene Berücksichtigung der Ziele des Treueberechtigten aufzuerlegen.100 Dieses Merkmal unterscheidet die Treuepflicht von anderen Pflichten und allgemeinen Instituten, die nur eine punktuelle Berücksichtigung des Interesses des Vertragspartners vorsehen. Es ist aber alleine nicht hinreichend, um die Einordnung einzelner Handlungsge- oder -verbote zu leisten. 94

Einen fließenden Übergang zwischen eigen- und uneigennützigen Rechten im Gesellschafterbereich annehmend Windbichler, in: RWS Forum 8, 1996, S. 23, 27; vgl. auch Zöllner, Schranken mitgl. Stimmrechtsmacht, 1963, S. 344; Immenga, in: FS 100 Jahre GmbH, 1992, S. 189, 200; Marsch-Barner, ZHR 157 (1993), 172, S. 175 f.; Weber, Vormitgliedschaftliche Treuebindungen, 1999, S. 165. 95 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 243; s. a. bereits Mestmäcker, Verwaltung, 1958, S. 215, der das für sämtliche Vertragsverhandlungen zwischen Organ und Gesellschaft verlangt. 96 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 243; etwas strenger Fleischer/Bauer, ZIP 2015, 1901, 1903 f. 97 Vgl. Fleischer, WM 2003, 1045, 1052; ähnlich Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 241. 98 Vgl. Henze, in: RWS Forum 8, 1996, S. 1, 13. 99 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 235. 100 Ähnlich Janke, Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, 2003, S. 30; anders aber Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 166, 169, der eine Pflicht, bei der die anderen Interessen nur berücksichtigt werden müssen, nicht als Treuepflicht (i. e. S.) ansieht, wobei die Treuepflicht im weiteren Sinne bei ihm nicht über die Intensität einer Nebenpflicht in anderen Schuldverhältnissen hinausgeht und deswegen den allgm. Pflichten zuzuordnen ist; ausf. zu dem Treuepflichtbegriff Grundmanns und seinen Defiziten oben Teil 2 – A.I.2.

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Teil 2: Allgemeiner Teil

Denn eine punktuelle Verpflichtung enthält zwar nicht das Gebot, die Ziele des Vertragspartners allgemein zu berücksichtigen, jedoch könnte eine jede punktuelle Verpflichtung noch immer eine einzelne Ausprägung der allgemeinen Treuepflicht sein. Deswegen ist das Merkmal mehr ein Indiz als ein hartes Kriterium für die Abgrenzung der Treuepflicht von anderen Pflichten. Auch mit diesem Merkmal kann beispielsweise eine konkludent vereinbarte Einzelpflicht von der Treuepflicht unterschieden werden. Zwar werden durch ein solches Verbot im Ergebnis die Interessen der anderen Beteiligten gewahrt, das Verbot zwingt jedoch nicht, den Zielen des Berechtigten einen allgemeinen Vorrang einzuräumen oder sie allgemein zu berücksichtigen. Vielmehr verbietet es punktuell eine bestimmte Handlung. 4. Geschärfte Begriffsbeschreibung Nach Analyse der hergebrachten Treuepflicht ist sie eine Pflicht, die speziell die (latente) Kontrolle über eine anvertraute fremde Rechtsposition kompensieren soll und dabei eine Offenheit wahrt, indem sie an den Entscheidungsprozess des Treueverpflichteten anknüpft und diesen dahingehend verbindlich regelt, dass der Treueverpflichtete bei Tätigkeit im fremden Interessenskreis allgemein und vorrangig die Ziele des Treueberechtigten für seine Entscheidungen ansetzen muss beziehungsweise bei Tätigkeit im auch-fremden Interessenkreis die Ziele des Treueberechtigten allgemein und angemessen berücksichtigen muss. Vom Gegenstand der Treuepflicht sind ebenfalls ihre typisierten Ausprägungen umfasst. Sie regeln direkt eine Handlung, aber wahren die Offenheit auf andere Art. Die typisierten Ausprägungen können namentlich an einen offenbaren Interessenkonflikt knüpfen oder einer Ermessensreduzierung auf Null entspringen. Diese Begriffsbestimmung der Treuepflicht gilt sowohl für den Geschäftsleiterbereich als auch für den Gesellschafterbereich. Jedoch ist im Geschäftsleiterbereich die Tätigkeit im fremden Interessenkreis der gewöhnliche Fall und die Tätigkeit im auch-fremden Interessenkreis der ungewöhnliche. Im Gesellschafterbereich ist es umgekehrt: Dort ist die Tätigkeit im auch-fremden Interessenkreis der gewöhnliche Fall, während die Tätigkeit im fremden Interessenkreis der ungewöhnliche ist.

II. Konkretes Vorkommen der Treuepflicht Bereits bei der Ableitung einzelner Kriterien der Treuepflicht wurde punktuell auf das konkrete Vorkommen der Treuepflicht eingegangen.101 Nun sollen das konkrete Vorkommen der Treuepflicht und sein Verhältnis zur abstrakten Beschreibung exemplarisch vertieft werden. 101

s. o. Teil 2 – A.I.3.

A. Gegenstand der Treuepflicht und seine Umgebung

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1. Geschäftsleiterbereich Der Geschäftsleiter ist anerkanntermaßen bei seiner Tätigkeit gegenüber der Gesellschaft zur Treue verpflichtet; das gilt unabhängig von Gesellschaftsform und -typ.102 Aus der Treuepflicht des Geschäftsleiters folgt beispielsweise die Geschäftschancenlehre.103 Nach der Geschäftschancenlehre darf der Geschäftsleiter Geschäftschancen nur zu Gunsten der Gesellschaft wahrnehmen und nicht für eigene Zwecke nutzen.104 Umfasst sind Geschäftschancen, an denen die Gesellschaft bereits Interesse bekundet hat, aber auch solche, die allgemein im Tätigkeitsbereich der Gesellschaft liegen.105 Jedoch soll dem Geschäftsführer der Einwand offen stehen, dass die Gesellschaft nachweislich nicht Willens oder nicht in der Lage war, die Geschäftschance zu realisieren und sie daher durch die Entziehung keinen Nachteil erleidet.106 Es wird aber von ihm erwartet, alles Erdenkliche zu tun, um die Geschäftschance für die Gesellschaft zu nutzen.107 Die Geschäftschancenlehre wird nicht nur als ein Kernbestandteil der Treuepflicht angesehen,108 auch ihre Abdingbarkeit ist besonders relevant. Die Befreiung von der Geschäftschancenlehre soll im Bereich des alternativen Investments sinnvoll sein, um dem Geschäftsleiter eine flexiblere Leitung mehrerer Fonds zu ermöglichen.109 Die Geschäftschancenlehre erfüllt alle oben abgeleiteten abstrakten Kriterien: Erstens hat der Geschäftsleiter die rechtliche Kontrolle über die täglichen Geschäfte der Gesellschaft.110 Zudem wird er meist nicht von der Gesellschaft im Einzelnen überwacht, womit ihm die tatsächliche Kontrolle über das fremde Gesellschaftsvermögen anvertraut wird. Zu seiner Kontrolle gehört insbesondere die Erforschung und Wahrnehmung von Geschäftschancen mit dem Gesellschaftsvermögen. Speziell diese Kontrolle wird kompensiert. Zweitens wird der Spielraum des Geschäftslei-

102

Vgl. für die AG statt aller Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 224; für die GmbH Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 152; für die OHG Rawert, in: MüKo HGB, § 114 Rn. 43. Die Treuepflicht kann aber wohl grds. nicht durch den Gesellschafter-Geschäftsleiters der Einmann-GmbH verletzt werden, vgl. BGHZ 119, 257, 262. Die Treuepflicht des Geschäftsleiters besteht jedenfalls bei Körperschaften nicht gegenüber den Gesellschaftern, vgl. LG Wiesbaden, Urt. v. 13. 08. 2015 – 9 O 286/14, ZIP 2015, 2028; Fleischer, WM 2003, 1045, 1046; Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 116 mit umfangr. Nachw. 103 Vgl. BGH, Urt. v. 04. 12. 2012 – II ZR 159/10, NZG 2013, 216, 218 m. umfangr. Nachw. 104 Vgl. ebd., S. 218 m. umfangr. Nachw. 105 Vgl. Fleischer, NZG 2013, 361, 363 f. 106 Das als hM bezeichnend Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 42; krit. zu dieser Möglichkeit Fleischer, NZG 2013, 361, 365. 107 Vgl. BGH, Urt. v. 04. 12. 2012 – II ZR 159/10, NZG 2013, 216, 218. 108 Vgl. Fleischer, NZG 2013, 361, 361. 109 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 766. 110 Vgl. bspw. §§ 78 Abs. 1, 82 Abs. 1 AktG, §§ 35 Abs. 1, 37 Abs. 2 GmbHG, § 125 Abs. 1 HGB.

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Teil 2: Allgemeiner Teil

ters111 durch typisierte Anknüpfung an das Entscheidungsergebnis eingeschränkt. So liegt nahe, dass der Geschäftsleiter nicht im Sinne der Gesellschaft handelt, wenn er eine Geschäftschance nicht für die Gesellschaft verwendet, aber kurz darauf für sich selbst nutzt. Vielmehr ist dann wahrscheinlich, dass er beim Ausschlagen der Geschäftschance für die Gesellschaft sein eigenes Interesse ansetzt. Trotz der Regelung möchte die Gesellschaft aber einen gewissen Spielraum bewahren. Sie möchte sich weiterhin die Flexibilität und Expertise des Geschäftsleiters bei Erforschung und Wahrnehmung von Geschäftschancen zu Nutze machen. Darüber hinaus soll der Spielraum bewahrt werden, weil bei der Wahrnehmung und Erkundung von Geschäftschancen im Nachhinein kaum eine absolut richtige Entscheidung feststellbar ist. Die Bewahrung des Spielraums wird erreicht, indem die Geschäftschancenlehre nicht direkt die Wahrnehmung und Erkundung von Geschäftschancen für die Gesellschaft reglementiert, sondern lediglich die private Nutzung durch den Geschäftsleiter grundsätzlich verbietet. Drittens ist der Geschäftsleiter bei Wahrnehmung und Erkundung einer Geschäftschance mit dem Gesellschaftsvermögen zuvorderst im Interessenkreis der Gesellschaft tätig, weswegen ihm die Geschäftschancenlehre gebietet, sein eigenes Interesse bezüglich der Geschäftschance grundsätzlich zurückstellen. 2. Gesellschafterbereich Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht existiert nicht nur im Geschäftsleiterbereich, sondern auch im Gesellschafterbereich. Die deutsche Rechtswissenschaft hat bei allen Gesellschaftsformen und -typen anerkannt, dass die Treuepflicht zunächst im Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft(-ergesamtheit) besteht.112 Gleiches gilt inzwischen für das Verhältnis zwischen den Gesellschaftern,113 wobei die Treuepflicht dort an das gesellschaftsbezogene Interesse der Mitgesellschafter 111 Zum Spielraum des Geschäftsleiters bspw. §§ 76 Abs. 1, 77 Abs. 1 AktG; Umkehrschluss aus § 37 Abs. 1 GmbHG, §§ 114 Abs. 1, 116 Abs. 1 HGB. 112 Für die AG vgl. etwa RGZ 146, 385, 395; RGZ 158, 248, 154; BGHZ 14, 25, 38; BGHZ 127, 107 („BMW/Scheich Kamel“), 111; historische Aufarbeitung bei Stelzig, Treuepflicht – geschichtliche Entwicklung, 2000; für die GmbH vgl. BGHZ 98, 276; 279 f.; für die KG, GmbH und für die atypische stille Gesellschaft vgl. BGHZ 89, 162 („Ogilvy“), 166; bei persönlich haftenden Personengesellschaftern war die Rechtlage nie kontrovers; für diese Wirkrichtung der Treuepflicht bei der OHG vgl. etwa Schäfer, in: Staub, HGB, § 105 Rn. 234. 113 Für die AG vgl. etwa BGHZ 103, 184 („Linotype“), 194; BGHZ 129, 136 („Girmes“), 136, 142; anders noch RGZ 158, 248, 254 f.; BGHZ 18, 350, 365; BGH, Urt. v. 16. 02. 1976 – II ZR 61/64, JZ 1976, 561 („Audi/NSU“); aus der Lit. noch abl. etwa Meyer-Landrut, in: FS Häußling, 1990, S. 249; historische Aufarbeitung bei Stelzig, Treuepflicht – geschichtliche Entwicklung, 2000; für die GmbH vgl. BGHZ 65, 15 („ITT“); insg. kritisch zur neueren Entwicklung der Rspr. in Bezug auf AG und GmbH Flume, ZIP 1995, 161, 163 ff.; bei persönlich haftenden Personengesellschaftern war die deutsche Rechtlage dsbzgl. nie kontrovers, für diese Wirkrichtung der Treuepflicht bei der OHG vgl. etwa Schäfer, in: Staub, HGB, § 105 Rn. 236; abw. für partnerships des US-amerikanischen Rechts Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 251.

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bindet.114 Die Differenzierung nach Bezugspunkten macht aber keinen strukturellen Unterschied für die Treuepflicht. Denn die Gesellschaft vertraut einem jedem Gesellschafter die latente Kontrolle über das Gesellschaftsvermögen an, wahrt mit der Treuepflicht eine Offenheit und zwingt die Gesellschafter jedenfalls, ihr Interesse allgemein und angemessen bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigten. Ähnlich vertrauen sich die Mitgesellschafter untereinander die latente Kontrolle über ihr in die Gesellschaft eingebrachtes Vermögen an, bewahren mit der Treuepflicht eine Offenheit und zwingen die Mitgesellschafter, ihr gesellschaftsbezogenes Interesse jedenfalls allgemein und angemessen bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Auch bezüglich des konkreten Inhalts der Treuepflicht bestehen aufgrund der verschiedenen Bezugspunkte meist keine Differenzen. So werden das gesellschaftsbezogene Gesellschafterinteresse und das Gesellschaftsinteresse häufig gleichlaufen und zumindest selten konfligieren. Eine konkrete Fallgruppe aus dem Gesellschafterbereich ist das Gebot der Zustimmung zur Sanierung einer Gesellschaft. Die Pflicht gebietet grob skizziert die Zustimmung des Gesellschafters zur Sanierungsmaßnahme, wenn die Maßnahme dringend erforderlich ist und die Zumutbarkeit gegenüber den Belangen des Gesellschafters gewahrt wird.115 Sie besteht jedenfalls dann, wenn der Gesellschafter in der Gesellschaft verbleiben möchte.116 Dieses Gebot steht als Ausprägung der Treuepflicht aufgrund ihrer Abdingbarkeit zur Disposition. Auch die Zustimmungspflicht zu einer Sanierungsmaßnahme erfüllt alle oben abgeleiteten abstrakten Kriterien: Erstens hat der Gesellschafter in den relevanten Situationen die Möglichkeit, die Sanierung der Gesellschaft mit seiner Stimme zu blockieren.117 Insoweit wurde ihm die Kontrolle über das in die Gesellschaft eingebrachte Vermögen der Gesellschafter anvertraut. Genau diese Kontrolle wird kompensiert. Zweitens wird der Spielraum des Gesellschafters durch typisierte Anknüpfung an das Entscheidungsergebnis eingeschränkt. So handelt der Gesellschafter in der Regel nicht im Interesse der Gesellschaft und den gesellschaftsbezogenen Interessen der anderen Gesellschafter, wenn er eine erforderliche Sanierung verweigert. Auch hier soll aber ein gewisser Spielraum bewahrt werden, da die Gesellschafter von der Flexibilität ihrer Mitgesellschafter und der Gesellschaft insgesamt profitieren möchten. Außerdem soll der Spielraum des Gesellschafters bewahrt werden, weil eine absolut richtige Entscheidung über eine Sanierung ty-

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Vgl. BGHZ 65, 15 („ITT“), 18 f.; BGHZ 103, 184 („Linotype“), 194; s. a. Wiedemann, in: FS Westermann, 1974, S. 585, 593. 115 Vgl. BGHZ 183, 1 („Sanieren oder Ausscheiden“), 8 ff.; vgl. auch bereits BGHZ 129, 136 („Girmes“), 152 f.; zur Zustimmungspflicht allgm. zuletzt BGH, Urt. v. 12. 4. 2016 – II ZR 275/14, DB 2016, 1427 („Media-Saturn“). 116 Vgl. BGHZ 183, 1 („Sanieren oder Ausscheiden“), 8. 117 Hierbei bedarf es keiner Entscheidung, ob die Treuepflicht nur in solchen Situationen oder zu jedem Zeitpunkt besteht, jedenfalls in den relevanten Situationen unterliegen die Gesellschafter der Treuepflicht; zu dieser Frage s. Bungert, DB 1995, 1749, 1751 f.

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Teil 2: Allgemeiner Teil

pischerweise schwer feststellbar ist.118 Die Bewahrung der Offenheit wird durch das weiche Kriterium der erforderlichen Maßnahme erreicht. Drittens wird der Gesellschafter bei der Strukturmaßnahme sowohl im Interessenkreis der Mitgesellschafter als auch in seinem eigenen Interessenkreis tätig, da er ein eigennütziges Mitgliedschaftsrecht ausübt,119 und deswegen neben dem Gesellschaftsvermögen sein Mitgliedschaftsrecht betroffen ist. Eine vollständige Rückstellung seines Interesses ist daher nicht geboten. Auf der anderen Seite muss der Gesellschafter das gesellschaftsbezogene Interesse der Mitgesellschafter und der Gesellschaft angemessen berücksichtigen, weil er auch über das in die Gesellschaft eingebrachte fremde Vermögen entscheidet. Dementsprechend gebietet diese Fallgruppe, der Sanierung zuzustimmen, wenn Nachteile des Gesellschafters zumutbar sind.

III. Verhältnis zur gesetzlichen Umgebung Ebenso wichtig wie die Frage, was mit einer Abdingbarkeit der Treuepflicht zur Disposition steht, ist die Frage, was mit ihrer Abdingbarkeit nicht verhandelbar wird. Dafür ist die gesetzliche Umgebung der Treuepflicht zu ermitteln und die Treuepflicht ist von ihr abzugrenzen. Hierbei soll sich auf andere Pflichten und allgemeine Institute beschränkt werden, die eine der Treuepflicht ähnliche Wirkung zeitigen; also auf solche, die das Dürfen des Treueverpflichteten zumindest mittelbar regeln und damit seine Kontrolle über die Rechtsposition beschränken. 1. Allgemeine Institute aus Treu und Glauben In den USA wird vielfach der Versuch unternommen, die Treuepflicht zu allgemeinen vertraglichen Instituten abzugrenzen.120 In Deutschland hingegen wird häufig lediglich eine Intensitätssteigerung der Treuepflicht zu Treu und Glauben 118

Dazu BGHZ 71, 40 („Kali + Salz“), S. 49 f. Vgl. Henze, ZHR 162 (1998), 186, 192; zur Abgrenzung eigen- und uneigennütziger Rechte bereits oben Teil 2 – A.I.3.c). 120 Zu Abgrenzung und Unterschieden von fiduciary duties und dem covenant of good faith and fair dealing aus dem allgm. Vertragsrecht etwa Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 583 (1997); Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 223; Dibadj, 41 Tulsa L. Rev. 451, 459 f. (2006); Gold, 41 Wake Forest L. Rev. 123 (2006); Steele, 32 Del. J. Corp. L. 1, 15 ff. (2007); Kleinberger, 14 Fordham J. Corp. & Fin. L. 445, 469 ff. (2008); Strine/Laster, Harvard Law School, Discussion Paper No. 789, 26 f. (2014); s. a. bereits DeMott, 1988 Duke L.J. 879, 892 ff. (1988); Coffee, 89 Colum. L. Rev. 1618, 1653 ff., 1665 (1989); hierbei darf der covenant of good faith and fair dealing aus dem allgm. Vertragsrecht nicht verwechselt werden mit dem Gebot des good faith aus den fiduciary duties, vgl. Strine/Laster, Harvard Law School, Discussion Paper No. 789, S. 26 ff. (2014); das Gebot des good faith aus den fiduciary duties stellt einen Unterfall der duty of loyality dar, vgl. Loewenstein, 34 Del. J. Corp. L. 433 443 ff. (2009); ausf. zu der duty of good faith aus den fiduciary duties allgm. Strine u. a., 98 Geo. L.J. 629 (2009); Eisenberg, 31 Del. J. Corp. L. 1 (2006). 119

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postuliert,121 die Treuepflicht wird als Sammelbecken sämtlicher ungeschriebener Pflichten angesehen122 oder die Treuepflicht wird neben Treu und Glauben als überflüssig bewertet.123 Eine Literaturstimme sieht das Verbot des Rechtsmissbrauchs als Kernbestand der Treuepflicht an.124 Eine andere fordert, den Rechtsmissbrauch „in die richterliche Generalklausel der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht einzubetten“.125 Es wird aber ebenfalls das Gegenteil vertreten: Die Treuepflicht folge aus der Schranke des Rechtmissbrauchs.126 Der BGH hat wiederum Rechtsmissbrauch und die Treuepflicht nebeneinander erwähnt.127 Zudem spricht ein großer Teil der Literatur Treuepflicht und allgemeine Institute aus Treu und Glauben nebeneinander an128 oder bezeichnet sie sogar explizit als eigenständig.129 Nahezu allen diesen Positionen ist gemeinsam, dass keine vertiefende Begründung vorhanden ist.130 Eine Abgrenzung sei nicht notwendig.131 Teilweise wird eine scharfe Abgrenzung sogar als gefährlich erachtet.132 Dennoch soll hier eine Abgrenzung von der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht exemplarisch zu einzelnen Instituten aus Treu und Glauben gewagt werden. a) Widersprüchliches Verhalten Ein Institut aus Treu und Glauben ist das Verbot widersprüchlichen Verhaltens.133 Für sein Eingreifen ist nicht das Anvertrauen der Kontrolle über eine fremde 121 Vgl. bspw. Hueck, Treuegedanke, 1947, S. 12, 16 ff.; Lutter, ZHR 180 (1989), 446, 452; Wiedemann, in: FS Heinsius, 1991, S. 949, 950; Wiedemann, WM 1992, Sonderbeilage Nr. 7, 1, 18; Fleischer, WM 2003, 1045, 1045; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 115. 122 Vgl. Martens, in: Rechtdogmatik & Rechtspolitik, 1990, S. 251, 259; in die Richtung auch Janke, Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, 2003, S. 28. 123 Vgl. Schmiedel, ZHR 134 (1970), 173, 182. 124 Vgl. Bezzenberger, ZIP 2002, 1917, 1926. 125 Henze, BB 1996, 489, 494 m. w. N. 126 Jedenfalls für den Gesellschafterbereich vgl. Bungert, DB 1995, 1749, 1750. 127 BGHZ 30, 195, 202 f.; für die obergerichtliche Rspr. vgl. auch OLG Nürnberg, Urt. v. 09. 07. 2008 – 12 U 690/07, DB 2008, 2415, 2418 f. 128 Für den Rechtsmissbrauch vgl. bspw. Marsch-Barner, WM 1996, 853, 857; Windbichler, in: RWS Forum 8, 1996, S. 23, 31; Fleischer, WM 2003, 1045, 1051; für das widersprüchliche Verhalten vgl. Lutter, JZ 1976, 225, 232. 129 So Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 137, 100. 130 Eine ausf. Abgrenzung für die Treuepflicht im Treuhandvertrag versucht aber Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 166 ff.; zu seinen Kriterien und deren Defiziten bereits oben Teil 2 – A.I.2. 131 Vgl. Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 331; s. a. Janke, Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, 2003, S. 28. 132 Vgl. Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 13: „Der Versuch einer scharfen Abgrenzung zwischen „echter Treuepflicht“ und Geltung des „allgemeinen Grundsatzes“ des § 242 BGB und die Ableitung von Rechtsfolgen allein aus dieser Unterscheidung bergen die Gefahr des Argumentationsdefizits in sich“. 133 Dazu Roth/Schubert, in: MüKo BGB, § 242 Rn. 309 ff.

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Rechtsposition notwendig. Vielmehr reagiert das Verbot widersprüchlichen Verhaltens allgemeiner auf die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes.134 Es ist deswegen nicht spezifisch für das Treueverhältnis, sondern findet auch in Schuldverhältnissen at arm’s length Anwendung – etwa einem Anspruch aus § 823 BGB. Weiterhin verpflichtet es weder dazu, umfassend und vorrangig die Ziele des Vertragspartners zu verfolgen noch verlangt es eine allgemeine Berücksichtigung seiner Ziele. Stattdessen verpflichtet es, sich nicht entgegen eines zuvor gesetzten Vertrauenstatbestandes zu verhalten. Darüber hinaus knüpft das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als solches nicht an den Entscheidungsprozess des Verpflichteten. Zudem gründet es seiner Konzeption nach nicht auf einem offenbaren Interessenkonflikt und entspringt keiner Ermessensreduzierung auf Null. Aus diesen Gründen unterscheidet sich das Verbot widersprüchlichen Verhaltens strukturell von der Treuepflicht und von ihren Ausprägungen. Es besteht deswegen eigenständig.135 Trotz der Eigenständigkeit kann eine Abbedingung der Treuepflicht aber mittelbar Auswirkung auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens haben: Jedenfalls nach Abbedingung der Treuepflicht kann alleine im Verfolgen eigenen Interesses und dem Nichtbeachten fremden Interesses kein widersprüchliches Verhalten gesehen werden, weil insoweit jeglicher Vertrauenstatbestand zerstört wurde. Es muss vielmehr ein weiteres Moment hinzukommen. Folgendes an Hellgardt136 angelehntes und hier fortgeführtes Beispiel soll Eigenständigkeit und Auswirkung einer Abbedingung der Treuepflicht veranschaulichen; es soll aber gleichzeitig zeigen, wie schwierig es ist, im Einzelfall eine Grenze zu ziehen: Ein Geschäftsleiter ist für zwei Fonds zuständig. Die Treuepflicht ist abbedungen. Der Geschäftsleiter erfährt aufgrund seiner Tätigkeit für den ersten Fonds von einer passenden Geschäftschance. Er versichert den Investoren des ersten Fonds, dass er diese Geschäftschance mit ihrem Fonds wahrnimmt. Da in dem anderen Fonds kurz darauf ein guter Freund von ihm investiert hat, entscheidet er sich dann doch, die Geschäftschance mit dem ersten Fonds auszuschlagen und stattdessen mit dem zweiten Fonds wahrzunehmen. Die Investoren haben dem Geschäftsleiter Geld anvertraut und grundsätzlich hat der Geschäftsleiter Freiheit bezüglich der konkreten Verwendung; das gilt insbesondere für die Entscheidung, ob er eine Geschäftschance mit dem Geld des Investors wahrnimmt oder nicht. Zudem wird er bei seiner Tätigkeit im Interessenkreis der Investoren tätig. Deswegen geböte ihm die Treuepflicht, den Freiraum vorrangig in ihrem Sinne zu nutzen. Indem er die Geschäftschance aus persönlichem Interesse nicht mit dem ersten Fonds wahrnimmt, würde er diese Pflicht verletzten. Nun ist die Treuepflicht aber abbedungen. Somit kann sie nicht verletzt werden. Ferner kann 134 Diese Darstellung ist verkürzt, aber für die Abgrenzung ausreichend; ausf. zum widersprüchlichen Verhalten Roth/Schubert, in: MüKo BGB, § 242 Rn. 309 ff. 135 Vgl. Lutter, JZ 1976, 225, 232, der das durch eigenständige Prüfung impliziert; anders wohl Henze, BB 1996, 489, 495, der die widersprüchliche Rechtsausübung der Treuepflicht zuordnet. 136 Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 786.

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dem Geschäftsleiter nicht vorgehalten werden, er verhalte sich widersprüchlich, wenn er einerseits die Leitung eines Fonds verspricht, aber anderseits Geschäftschancen aufgrund eigener Ziele nicht mit diesem Fonds verfolgt, da er spätestens mit der Abbedingung der Treuepflicht einen solchen Vertrauenstatbestand zerstört hat. Hier ist aber dennoch ein Verstoß gegen das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens gegeben: Der Manager hat mit der Versicherung einen von der Treuepflicht unabhängigen Vertrauenstatbestand geschaffen, den er mit der anderweitigen Verwendung der Geschäftschance enttäuscht. Deswegen ist diese Verwendung der Geschäftschance pflichtwidrig. Über die Frage, ob das konkrete Verhalten ausreicht, um einen zusätzlichen allgemeinen Vertrauenstatbestand zu schaffen, kann aber gerade im Grenzfall trefflich gestritten werden. Das Problem findet seinen Ursprung jedoch nicht im Gegenstand der Treuepflicht. Stattdessen ergibt sich das Problem aus der Subsumption unter das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens. Nach alledem besteht der Schutz durch das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens eigenständig. Deswegen wirkt er nach der Abbedingung der Treuepflicht fort.137 Somit steht dieses Institut als solches nicht aufgrund einer Abdingbarkeit der Treuepflicht zur Disposition. Jedoch kann eine Abbedingung der Treuepflicht mittelbar Auswirkung auf dessen Anwendung haben. b) Missbräuchliche Rechtsausübung (Rechtsmissbrauch i. e. S.) Die Ausübung eines Rechts wird als missbräuchlich angesehen, wenn keine schutzwürdigen Interessen bestehen, andere Interessen überwiegen und das Ergebnis grob unbillig und mit der Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren wäre.138 Da das Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung nicht Thema dieser Abhandlung ist, soll hier eine konkrete Ausprägung herausgegriffen werden: Ein verbotenes rechtsmissbräuchliches Verhalten liegt vor, wenn die Ausübung eines Rechts nur ein Vorwand ist, um rechtsfremde oder unlautere Zwecke zu verfolgen.139 Eine solche missbräuchliche Rechtsausübung setzt nicht das Anvertrauen der Kontrolle über eine fremde Rechtsposition voraus. Vielmehr kann die Zweckentfremdung eines Rechts oder die Verfolgung unlauterer Zwecke in einem Schuldverhältnis at arm’s length vorkommen – etwa einem Anspruch aus § 823 BGB. Damit reagiert dieses Institut auf eine allgemeine Situation und nicht speziell auf die anvertraute Kontrolle über eine fremde Rechtsposition. Zudem verpflichtet es weder dazu, vorrangig die Ziele des Vertragspartners zu verfolgen, noch verlangt es eine 137 I. E. so auch Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 786, ohne dass eine abstrakte Abgrenzung vorgenommen wird; wohl auch Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 669, der auch bei generellen Verzicht auf die Treuepflicht eine Ausübungskontrolle im einzelnen Anwendungsfall anhand von § 242 BGB vornehmen möchte, wiederum ohne abzugrenzen; s. a. Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1295. 138 Vgl. Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rn. 37; ähnlich auch Roth/Schubert, in: MüKo BGB, § 242 Rn. 243. 139 Vgl. Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rn. 38 m. w. N.

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umfassende Berücksichtigung seiner Ziele. Stattdessen verbietet es das Verfolgen unlauterer Zwecke und die Zweckentfremdung eines Rechts, wobei die Parteien den Zweck des Rechts grundsätzlich frei definieren können – insbesondere können sie den Zweck des Rechts ausschließlich eigennützig gestalten. Schließlich knüpft das Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung seiner Konzeption nach nicht an einen offenbaren Interessenkonflikt und entspringt keiner Ermessensreduzierung auf Null. Aus diesen Gründen unterscheidet sich dieses Verbot strukturell von der Treuepflicht und von ihren Ausprägungen. Das Verbot besteht deswegen eigenständig von der Treuepflicht. Die Eigenständigkeit stimmt etwa mit dem Verständnis verschiedener Literaturstimmen überein, welche die Eigenständigkeit durch selbständiges Ansprechen von Rechtsmissbrauch und Treuepflicht implizieren.140 Zudem hat der BGH den Rechtsmissbrauch explizit unabhängig von der Treuepflicht geprüft und bejaht.141 Trotz der Eigenständigkeit kann eine Abbedingung der Treuepflicht aber mittelbar Auswirkungen auf das Institut des Rechtsmissbrauchs haben.142 Denn spätestens nach Abbedingung der Treuepflicht kann alleine in dem Verfolgen eigener Ziele und der Nichtbeachtung fremder Ziele kein Rechtsmissbrauch gesehen werden, weil das Nichtbeachten fremder Ziele bei Ausübung des Rechts gerade erlaubt wurde. Vielmehr muss für die Begründung einer missbräuchlichen Rechtsausübung ein anderes, verwerfliches Element hinzukommen. Folgendes an eine BGH-Entscheidung angelehntes und fortgeführtes Beispiel soll Eigenständigkeit und Auswirkung veranschaulichen:143 Ein Minderheitsaktionär hat im Rahmen einer erforderlichen Kapitalerhöhung eine Sperrminorität, wobei die Treuepflicht abbedungen ist. In Variante A verweigert der Aktionär die Zustimmung zur erforderlichen und ihm zumutbaren Kapitalerhöhung, weil er in ein konkurrierendes Unternehmen investiert hat und deswegen eine Sanierung der Aktiengesellschaft verhindern möchte. In Variante B verweigert der Aktionär die Zustimmung 140 Vgl. bspw. Marsch-Barner, WM 1996, 853, 857; Windbichler, in: RWS Forum 8, 1996, S. 23, 31; Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 173 ff., 191; Cahn, in: FS Wiese, 1998, S. 71, 80; s. a. Fleischer, WM 2003, 1045, 1051; abw. Paschke, in: FS Serick, 1992, S. 313, 325 f.; Bezzenberger, ZIP 2002, 1917, 1926; wohl auch abw. Bungert, DB 1995, 1749, 1750; Henze, BB 1996, 489, 499; nicht eindeutig Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 331 f., der die Differenzierung als nicht notwendig ansieht; auf die fehlende praktische Relevanz hinw. auch Janke, Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, 2003, S. 8, der die Treuepflicht dann aber als allumfassend ansieht; für eine umfangr. Darstellung der insg. konfus anmutenden verschiedenen impliziten und expliziten Standpunkte Stelzig, Treuepflicht – geschichtliche Entwicklung, 2000 S. 130 ff. 141 BGHZ 107, 296 („Kochs-Adler“), 311. 142 Vgl. Kort, ZIP 1990, 294, 297. 143 In freier Anlehnung an BGHZ 107, 296 („Kochs-Adler“). Dort ging es um die Erhebung einer Anfechtungsklage mit dem Ziel, den Klagegegner dazu zu bringen, eine Forderung zu begleichen, die nicht bestand. Auch wenn die Treuepflicht nicht abbedungen war, wurde vom BGH der Rechtsmissbrauch geprüft. Der Rechtsmissbrauch war für die Entscheidung maßgeblich, ein Rückgriff auf die Treuepflicht war laut BGH in diesem Fall nicht notwendig.

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zur erforderlichen und ihm zumutbaren Kapitalerhöhung mit dem Hinweis, dass er nur zur Zustimmung bereit ist, wenn der Mehrheitsaktionär ihm eine tatsächlich inexistente Forderung begleicht. In Variante A läge eine Treuepflichtverletzung vor, denn der Aktionär hat grundsätzlich einen Handlungsspielraum bei der anvertrauten Kontrolle über eine fremde Rechtsposition und unterlässt entgegen den Zielen der Gesellschaft aufgrund eigenen Interesses eine zumutbare Handlung. Die Treuepflicht ist jedoch abbedungen, weswegen sie nicht verletzt werden kann. Auch kann sich in Variante A alleine aus dem Verfolgen eigener Ziele und der Nichtbeachtung fremder Ziele keine missbräuchliche Ausübung des Rechts ergeben, weil dies gerade erlaubt wurde. Anders zu beurteilen ist Variante B. Zwar ist dort die Treuepflicht abbedungen und kann schon deswegen nicht verletzt werden, jedoch kommt zu der Nichtbeachtung fremder Ziele ein allgemeines verwerfliches Moment hinzu. Die Stimmabgabe wird eigensüchtig für einen unlauteren Zweck entfremdet, für die Durchsetzung einer inexistenten Forderung. Folglich ist trotz Abbedingung der Treuepflicht in Variante B eine verbotene missbräuchliche Rechtsausübung gegeben. Über die Frage, ob zusätzlich zu dem Verfolgen eigener Ziele und der Nichtbeachtung fremder Ziele eine unlautere Zweckentfremdung vorliegt, kann gerade im Grenzfall aber trefflich gestritten werden. Das Problem findet seinen Ursprung aber erneut nicht im Gegenstand der Treuepflicht. Stattdessen ergibt sich das Problem aus Schwierigkeiten bei der Subsumption unter das Verbot der missbräuchlichen Rechtsausübung. Der Schutz durch das Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung besteht nach alledem eigenständig. Deswegen wirkt er nach einer Abbedingung der Treuepflicht fort.144 Somit steht das Institut des Rechtsmissbrauchs nicht aufgrund einer Abdingbarkeit der Treuepflicht zur Disposition. Jedoch kann eine Abbedingung der Treuepflicht mittelbar Auswirkung auf dessen Anwendung haben. 2. (Ergänzende) Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB Wenn die deutsche Rechtswissenschaft das Verhältnis von der (ergänzenden) Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB und der Treuepflicht bespricht, ist dies lange her und betrifft die Frage, ob aus der Treuepflicht ein Zwang zur Änderung des Gesellschaftsvertrags folgt.145 Jedoch ist eine Abgrenzung umfassender notwendig, da sich die Einsatzbereiche von Treuepflicht und Vertragsauslegung auf den ersten 144

I. E. so auch Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 786, ohne dass eine abstrakte Abgrenzung vorgenommen wird; wohl auch Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 669, der auch bei generellen Verzicht auf die Treuepflicht eine Ausübungskontrolle im einzelnen Anwendungsfall anhand von § 242 BGB vornehmen möchte, wiederum ohne abzugrenzen; s. a. Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1295. 145 So bspw. bei Zöllner, Anpassung von GesV, 1979, S. 32 ff.; in der US-amerikanischen Lit. wird hingegen der Versuch einer umfassenden Abgrenzung gemacht, bspw. bei Steele, 32 Del. J. Corp. L. 1, 15 ff. (2007); kurz auch Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 583 (1997); Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 223; s. a. Miller, 39 J. Corp. L. 296, 326 f. (2014).

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Teil 2: Allgemeiner Teil

Blick überschneiden146. So können aus beiden im speziellen Fall Handlungsge- und -verbote abgeleitet werden.147 Im Unterschied zur Treuepflicht ist die Vertragsauslegung aber keine Pflicht, die den Entscheidungsprozess des Treueverpflichteten verbindlich regelt. Vielmehr ist sie ein Institut zur Ermittlung von Pflichten direkt aus dem Parteiwillen beziehungsweise aus dem hypothetischen Parteiwillen; damit ist sie der Treuepflicht vorgeschaltet.148 Folglich kann eine Abbedingung der Treuepflicht die Vertragsauslegung nicht verhindern. Somit besteht die Vertragsauslegung grundsätzlich eigenständig von der Treuepflicht. Die Eigenständigkeit der Vertragsauslegung stimmt mit dem Verständnis verschiedener BGH-Urteile überein, in denen der BGH die Eigenständigkeit durch selbständiges Ansprechen von Treuepflicht und Vertragsauslegung impliziert.149 Eine Abbedingung der Treuepflicht hat aber mittelbar Auswirkung auf die Vertragsauslegung. Denn eine Abbedingung der Treuepflicht nimmt als Konkretisierung des Willens der Parteien Einfluss auf den Ausgang der Vertragsauslegung.150 So darf die Treuepflicht nach ihrer Abbedingung nicht über die Vertragsauslegung in das Verhältnis zurückfinden, da alles andere der Parteivereinbarung widerspricht. Deswegen kann nach einer Abbedingung der Treuepflicht im Rahmen der Vertragsauslegung grundsätzlich keine Pflicht hergeleitet werden, welche die oben abgeleiteten Kriterien der Treuepflicht erfüllt.151 Insbesondere kann in der Regel keine Pflicht hergeleitet werden, die einer typisierten Ausprägung der Treuepflicht entspricht.152 Zudem sind Pflichten heikel, deren Ergebnis mit der Anwendung der Treuepflicht im Einzelfall erzielt werden kann. Folglich sind Handlungsge- und -verbote problematisch, die speziell auf die Gefahr der Kontrolle über eine anvertraute fremde Rechtsposition reagieren und einen Bereich betreffen, in dem grundsätzlich ein Handlungsspielraum gewahrt werden soll. Damit solche treuepflichtähnlichen Pflichten dennoch im Rahmen der Vertragsauslegung abgeleitet werden können, müssen sich konkrete Anhaltspunkte in der Vereinbarung der Parteien finden oder die Pflichten müssen auf abstrakte Risiken reagieren, die von den Parteien nicht bedacht wurden. Im Gegensatz dazu können Pflichten, die eine Reaktion auf allgemeine Gefahren darstellen oder einen Bereich betreffen, in dem kein

146

Vgl. Zöllner, Anpassung von GesV, 1979, S. 33; s. a. Wellenhofer-Klein, RabelsZ 64 (2000), 564, 589. 147 Vgl. Hüffer, in: FS Steindorff, 1990, S. 59, 59; Wellenhofer-Klein, RabelsZ 64 (2000), 564, 586. 148 Für das US-amerikanische Recht vgl. Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 223; s. a. Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 583 (1997). 149 BGHZ 44, 40, wobei hier der Teil über die ergänzende Vertragsauslegung gekürzt ist, vollständiger Abdruck in WM 1965, 744; s. a. BGH, Urt. v. 12. 01. 1956 – II ZR 120/54, WM 1956, 351. 150 Für das US-amerikanische Recht vgl. Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 223. 151 Für die Kriterien s. o. Teil 2 – A.I.3. 152 Zu typisierten Ausprägungen der Treuepflicht oben Teil 2 – A.I.3.b).

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grundsätzlicher Handlungsspielraum gewährleistet sein soll, nach wie vor als allgemeine Nebenpflichten abgeleitet werden.153 Folgendes Beispiel soll Eigenständigkeit der Vertragsauslegung und mittelbare Auswirkung einer Abbedingung der Treuepflicht veranschaulichen. Es soll aber gleichzeitig zeigen, wie schwierig es ist, im Einzelfall eine Grenze zu ziehen: Ein Investor vertraut einem Manager sein Geld an. Die Treuepflicht wird abbedungen und der Manager verpflichtet sich, das Geld zu investieren. Zunächst bekommt der Manager bei seiner Tätigkeit ein Geschäftsangebot bezüglich eines Internetstartups, nimmt dieses aber nicht für den Investor, sondern für sich selbst wahr. Kurze Zeit später leistet sich der Manager von dem anvertrauten Geld einen Wellnessurlaub. Das Ausschlagen der Geschäftschance für den Investor und deren eigene Nutzung kann nach Abbedingung der Treueplicht nicht die Verletzung einer aufgrund Vertragsauslegung ermittelten Pflicht sein, weil ein solches Verbot typisierte Ausprägung der Treuepflicht ist.154 Es könnte nach Abbedingung deswegen nicht durch die Vertragsauslegung in das Verhältnis zurückfinden. Etwas anderes ergibt sich nicht aus spezifischen Hinweisen in der Vereinbarung, weil solche nicht ersichtlich sind. Die rechtliche Bewertung bezüglich einer Sanktionierung der Aneignung des Geldes für den Urlaub gestaltet sich hingegen schwieriger. Denn ein entsprechendes Handlungsverbot reagiert zwar auf die Kontrolle über eine anvertraute fremde Rechtsposition und zudem soll dem Manager ein Handlungsspielraum bezüglich der Verwendung des Geldes zustehen, jedoch soll sein grundsätzlicher Handlungsspielraum wohl schon typischerweise nicht die Aneignung des Geldes umfassen. Stattdessen wird die Aneignung des Geldes nach Auslegung des Parteiwillens in der Regel unter allen Umständen verboten sein. Deswegen ist ein solches Verbot bereits nicht treuepflichtähnlich,155 und die Sanktionierung aufgrund von Vertragsauslegung nach Abbedingung der Treuepflicht möglich. Jedenfalls finden sich im vorliegenden Fall konkrete Hinweise für ein spezifisches Verbot in der Vereinbarung. So sollte nur eine Investition (in den Markt) erlaubt sein, womit die Aneignung für einen Urlaub implizit verboten war. Jedenfalls deswegen kann das Handeln des Managers nach Vertragsauslegung sanktioniert werden. Jedoch ergibt sich eine andere Beurteilung, wenn die Weite des grundsätzlichen Handlungsspielraums oder die konkreten Anhaltspunkte in der Vereinbarung anders interpretiert werden. Hierüber kann gerade im Grenzfall trefflich gestritten werden. Das Problem findet seinen Ursprung jedoch abermals nicht im Gegenstand der Treuepflicht. Stattdessen folgt es aus allgemeinen Schwierigkeiten, bei der Ermittlung des Parteiwillens im Rahmen der Vertragsauslegung. 153 Wohl ebenfalls allgm. Rücksichtnahmepflichten neben der Treuepflicht zulassend Fleischer, WM 2003, 1045, 1051; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 130. 154 s. o. Teil 2 – A.II.1. 155 Zum Vorst. für das US-amerikanische Recht vgl. Ribstein, Uncorporation, 2010, S. 167; s. aber die Einordnung bei Fleischer, WM 2003, 1045, 1056; Fleischer, in: MüKo GmbHG, § 43 Rn. 192.

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Nach alledem besteht der Schutz der Vertragsauslegung eigenständig. Deswegen wirkt er nach einer Abbedingung der Treuepflicht fort. Folglich steht das Institut der Vertragsauslegung nicht aufgrund einer Abdingbarkeit der Treuepflicht zur Disposition. Jedoch kann eine Abbedingung der Treuepflicht mittelbar Auswirkung auf dessen Anwendung haben. 3. Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB Das Verhältnis der Treuepflicht zur Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB ist bislang nicht vollständig entwirrt.156 Die Störung der Geschäftsgrundlage ist zumindest strukturell verwandt mit der Vertragsauslegung.157 In der Literatur wird sie teilweise sogar mit der ergänzenden Vertragsauslegung gleichgesetzt.158 Unabhängig davon, ob die Störung der Geschäftsgrundlage noch Vertragsauslegung oder bereits Vertragskorrektur ist, gelten für die Abgrenzung zur Treuepflicht die Ausführungen zur Vertragsauslegung. Denn zum einen ist die Störung der Geschäftsgrundlage der Treuepflicht vorgelagert, weswegen sie nach Abbedingung der Treuepflicht noch möglich ist. Zum anderen muss bei der Anwendung der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB die gewillkürte Risikoverteilung der Vertragsparteien respektiert werden. Insoweit nimmt eine Abbedingung der Treuepflicht mittelbar Einfluss. Das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage besteht nach alledem grundsätzlich eigenständig. Diese Ansicht stimmt mit dem Verständnis verschiedener BGH-Urteile überein, in denen der BGH die Eigenständigkeit durch selbständiges Ansprechen impliziert.159 Somit garantiert das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage nach einer Abbedingung der Treuepflicht noch immer eine flexible Reaktion auf veränderte Umstände.

156 Vgl. die Aufstellung der verschiedenen Literaturstimmen bei Finkenauer, in: MüKo BGB, § 313 Rn. 175; ähnlich bewertend Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 32, mit Verweis auf die wenig hilfreiche Abgrenzung von Zöllner, Anpassung von GesV, 1979, S. 53: „[…] zwei sich stark überschneidende Kreise“ und Westermann, in: FS Hefermehl, 1976, S. 225, 240: (Zustimmungspflicht aus der) Treuepflicht als „gesellschaftsrechts-spezifische Ausprägung der Lehre vom Fortfall der Geschäftsgrundlage“. 157 Vgl. Finkenauer, in: MüKo BGB, § 313 Rn. 46. 158 So ebd., Rn. 41. 159 BGHZ 44, 40, 40 f.; BGH, Urt. v. 12. 01. 1956 – II ZR 120/54, WM 1956, 351, 352; vgl. aus der Lit. bspw. Baier, NZG 2004, 356, 359; Kollhosser, in: FS Westermann, 1974, S. 275, 280; Kollhosser, in: FS Bärmann, 1975, S. 533, 546; Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 32; Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 178 ff., 191; Cahn, in: FS Wiese, 1998, S. 71, 82; abw. OLG Bremen, Urt. v. 06. 04. 1972 – 2 U 92/71, NJW 1972, 1952.

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4. Sittenwidrigkeit gemäß §§ 138 Abs. 1, 826 BGB Jedes rechtliche Handeln wird an § 138 BGB gemessen. Zudem können aufgrund tatsächlichen Handelns Ansprüche aus § 826 BGB bestehen, die wie jeder Schadensersatz zunächst auf Naturalrestitution gerichtet sind. Beide Normen stellen auf die Sittenwidrigkeit der Handlung ab. Die Abgrenzung von Treuepflicht zur Sittenwidrigkeit verhält sich ähnlich der Abgrenzung zu den allgemeinen Instituten aus Treu und Glauben:160 Einerseits unterscheidet sich das Institut der Sittenwidrigkeit mit seinen Fallgruppen von der Treuepflicht strukturell und besteht deswegen eigenständig. Die Eigenständigkeit stimmt mit dem impliziten Verständnis verschiedener Literaturstimmen überein.161 Sie ist insbesondere damit begründet, dass im Gegensatz zur Treuepflicht auf Gefahren reagiert wird, die nicht spezifisch für das Treueverhältnis sind, und dass nicht die allgemeine Berücksichtigung der Ziele des Vertragspartners auferlegt wird, sondern lediglich eine sittenwidrige Handlung verboten ist. Andererseits bestehen mittelbare Auswirkungen einer Abbedingung der Treuepflicht. So kann spätestens nach einer Abbedingung der Treuepflicht das Verdikt der Sittenwidrigkeit nicht alleine daraus folgen, dass eigene Ziele verfolgt und fremde Ziele nicht beachtet wurden, weil das gerade erlaubt ist. Es muss deswegen ein unabhängiges verwerfliches Element hinzukommen. Nach alledem steht dieses Institut ebenfalls nicht aufgrund einer Abdingbarkeit der Treuepflicht zur Disposition.162 5. Sorgfaltspflicht Zusätzlich zu der Treuepflicht besteht die Sorgfaltspflicht des Treueverpflichteten.163 Die Sorgfaltspflicht unterscheidet sich strukturell von der Treuepflicht: Sie gibt dem Verpflichteten nicht das Interesse des Treueberechtigten als Ziel vor, stattdessen regelt sie die Art und Weise, wie Ziele verwirklicht,164 andere Pflichten erfüllt und sonstige Tätigkeiten ausgeführt werden müssen – nämlich mit Sorgfalt. Insoweit erscheint es sinnvoll, davon zu sprechen, dass die Treuepflicht der Sorg-

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s. zu dieser Abgrenzung Teil 2 – A.III.1. Vgl. bspw. Erman, in: FS Nipperdey, 1955, S. 277, 291; Henze, in: FS Kellermann, 1991, S. 141, S. 148; Windbichler, in: RWS Forum 8, 1996, S. 23, 44; Häsemeyer, ZHR 160 (1996), 109, 118; Odersky, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 103, 110; für die Rspr. vgl. auch OLG Nürnberg, Urt. v. 09. 07. 2008 – 12 U 690/07, DB 2008, 2415, 2418 f. 162 I. E. so auch Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 785; in die Richtung auch Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 669; s. a. Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1295. 163 Für die Eigenständigkeit der Sorgfaltspflicht und die Unklarheit der Abgrenzung s. die umfangr. Aufstellung der Literaturstimmen bei Knapp, Treuepflicht von AufsichtsRMitgl, 2004, S. 197 mit Fn. 1040; gegen die Eigenständigkeit noch Immenga, Personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 268 f. 164 Vgl. Knapp, Treuepflicht von AufsichtsRMitgl, 2004, S. 204. 161

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faltspflicht vorgelagert ist.165 Damit ergibt sich folgendes Zusammenspiel: Soweit die Treuepflicht abbedungen wird, müssen nicht mehr allgemein und vorrangig die Ziele des Treuberechtigten sorgfältig verfolgt werden; insofern könnte formuliert werden, dass die Sorgfaltspflicht entfällt.166 Aber soweit die Sorgfaltspflicht an andere Pflichten und Tätigkeiten anknüpft, steht sie nicht aufgrund einer Abdingbarkeit der Treuepflicht zur Disposition. 6. Weitere gesetzliche Umgebung Es bestehen weitere gesetzliche Regelungen, die dem Verhalten des Treueverpflichteten neben der Treuepflicht Grenzen setzen. So existiert der Gleichbehandlungsgrundsatz unabhängig von der Treuepflicht.167 Weiterhin besteht in der Aktiengesellschaft etwa die Vorschrift des § 57 AktG und in der GmbH existieren die Vorschriften der §§ 9, 14, 30, 64 GmbHG.168 Schließlich bietet das Konzernrecht einen unabhängigen Schutz,169 ebenso wie der Schutz des § 134 BGB bei Verstößen gegen gesetzliche Verbote. Dieser Schutz steht nicht aufgrund einer Abdingbarkeit der Treueplicht zur Disposition. 7. Schlussbemerkung zur gesetzlichen Umgebung Es konnte nicht die gesamte gesetzliche Umgebung der Treuepflicht vorgestellt werden. Außerdem konnte nicht für jeden konkreten Einzelfall eine klare Zuordnung der Handlungsge- oder -verbote als Ausprägungen der Treuepflicht oder als Element ihrer Umgebung vorgenommen werden. Dafür ist die Anwendung der Treuepflicht zu vielfältig und ihre Umgebung zu beweglich. Die Ausführungen haben aber gezeigt, dass es andere Pflichten und allgemeine Institute gibt, die zusätzlich zur Treuepflicht eigenständig bestehen. Diese Pflichten und Institute beschränken die Einwirkungsmöglichkeit des Treueverpflichteten auch nach Abbedingung der Treuepflicht. Zudem wurde mit Hilfe der abgeleiteten Begriffsbeschreibung der Treuepflicht eine grundlegende Vorstellung davon gegeben, wo die Grenze zwischen hergebrachter Treuepflicht und ihrer gesetzlichen Umgebung zu ziehen ist.

165 Vgl. Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 211; vgl. auch Knapp, Treuepflicht von AufsichtsRMitgl, 2004, S. 204; Torwegge, Treue- und Sorgfaltspflichten im deutschen und englischen GesR, 2009, S. 209. 166 Vgl. Knapp, Treuepflicht von AufsichtsRMitgl, 2004, S. 204. 167 Vgl. Wiedemann, WM 2009, 1, 9. 168 Zu dem Nebeneinander von Treuepflicht und § 30 Abs. 1 GmbHG Leuschner, in: FS Ahrens, 2016, S. 637, 640, 647 ff. 169 Zum Verhältnis von Konzernrecht und Treuepflicht Paschke, in: FS Serick, 1992, S. 313, 326 ff.

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IV. Flankierende außergesetzliche Mechanismen und Pflichten Es gibt nicht nur eine gesetzliche Umgebung der Treuepflicht. Vielmehr finden sich auch in der außergesetzlichen Umgebung der Treuepflicht Mechanismen und Pflichten, die das Handeln des Treueverpflichteten beeinflussen. Es sollen nun aber lediglich Mechanismen und Pflichten behandelt werden, die eine der Treuepflicht ähnliche Wirkung zeitigen, also solche, die einen unmittelbaren Anreiz schaffen, die Ziele des Treuberechtigten zu achten. Zudem kann und soll nur ein Überblick gegeben werden, da detailgenaue Analysen zu stark in die Ökonomie vordrängen. Im Gegensatz zur allgemeinen gesetzlichen Umgebung bestehen hier Unterschiede im Geschäftsleiterbereich und Gesellschafterbereich und bei verschiedenen Gesellschafsformen und -typen. Zwar existieren die meisten Mechanismen und Pflichten in verschiedenen Bereichen, aber teilweise lassen sie einzelne Bereiche aus. Zudem ergeben sich Unterschiede im Detail. Jedoch ist trotz oberflächlicher Differenzen der Hintergedanke der Mechanismen und Pflichten häufig identisch. Insgesamt bestehen in den verschiedenen Bereichen mehr Gemeinsamkeiten, als der erste Blick vermuten lässt; namentlich sind die folgenden Mechanismen und Pflichten meist nicht exklusiv auf den Geschäftsleiterbereich anwendbar, auch wenn dieser Eindruck in der Literatur entsteht.170 Deswegen werden unnötige Wiederholungen vermieden, indem nachfolgend nicht nach einzelnen Anwendungsbereichen der Treuepflicht, sondern nach einzelnen Mechanismen und Pflichten aufgeschlüsselt wird. 1. Monetärer Anreiz Als erster außergesetzlicher Mechanismus ist der unmittelbare monetäre Anreiz zu nennen. Durch einen unmittelbaren monetären Anreiz – wie eine erfolgsbezogene Vergütung – werden die Ziele der Vertragsparteien auf natürliche Art angenähert.171 Das geschieht, indem der Treueverpflichtete monetär profitiert, wenn der Treueberechtigte sein Ziel erreicht.172 Somit verliert eine rechtliche Bindung des Treueverpflichteten an die Ziele des Treueberechtigten einen Teil ihrer Bedeutung. Jedoch werfen monetäre Anreize verschiedene Probleme auf. So ist es häufig schwierig, objektiv überprüfbare Kriterien für das Erreichen eines Ziels zu finden und damit den 170

So bei Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 704 ff. Für die erfolgsbezogene Vergütung aus der deutschen Lit. vgl. Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 705; Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 789; krit. bzgl. der Wirksamkeit von erfolgsbezogenen Vergütungen bei Vorstandsmitgliedern insb. bei treuwidrigem Verhalten Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, 2007, S. 115 ff., 132; aus der US-amerikanischen Lit. vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 26 f. (1990); Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 9 f.; Manesh, 37 J. Corp. L. 555, 591 (2012); krit. Frankel, 71 Cal. L. Rev. 795, 811 ff. (1983); Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461 ff. (1989). 172 Vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 26 (1990). 171

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Auslöser des monetären Vorteils zu bestimmen.173 Zudem werden auch im besten Fall die Interessen der Vertragsparteien nur angenähert.174 Eine Handlung entgegen den Zielen des Treueberechtigten bleibt für den Treueverpflichteten sinnvoll, wenn sie eine höhere Entlohnung verspricht als der monetäre Anreiz.175 Das wird häufig bei übervorteilenden Eigengeschäften des Treueverpflichteten mit der Gesellschaft der Fall sein.176 Zudem kann ein erfolgsbezogener monetärer Vorteil ungewollte Anreize setzen,177 beispielsweise kann er eine überhöhte Risikobereitschaft herbeiführen. Die Effektivität dieses Mechanismus hängt also von der Ausgestaltung und dem Einzelfall ab.178 Im Gesellschafterbereich besteht grundsätzlich ein unmittelbarer monetärer Anreiz. So profitieren die Gesellschafter über ihre Dividende und die Wertsteigerung ihrer Anteile direkt vom Erfolg der Gesellschaft,179 wobei gilt: Je größer der Geschäftsanteil ist, desto größer ist der Anreiz im Interesse der Gesellschaft zu handeln. Im Geschäftsleiterbereich kann der unmittelbare monetäre Anreiz in Form einer erfolgsbezogenen Vergütung geschaffen werden, was in der Praxis Gang und Gäbe ist.180 Bei geschlossenen Gesellschaften ist ein unmittelbarer monetärer Anreiz im Geschäftsleiterbereich in der Regel bereits vorhanden, da Gesellschafter und Geschäftsleiter typischerweise identisch sind.181 Jedenfalls nach gesonderter Vereinbarung kann der Mechanismus im Gesellschafterbereich und im Geschäftsleiterbereich und bei allen Gesellschaftsformen und -typen relevant werden. 2. Persönliche Bindung Als weiterer flankierender Mechanismus ist die persönliche Bindung zu nennen.182 Eine solche Bindung besteht in Familienunternehmen.183 Ebenso ist sie in 173

Vgl. Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, 2007, S. 134 f. Zu Grenzen der Effektivität von erfolgsbezogenen Vergütung Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 789, 789; s. a. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1221 (1995). 175 Vgl. Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 234. 176 Vgl. Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1494 f. (1989); Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, 2007, S. 132. 177 Dazu Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 789. 178 Da hier lediglich demonstrativ einige Ausgleichinstrumente vorgestellt werden sollen, sind die Einzelheiten der Umsetzung nicht weiter von Interesse; ausf. zu Ausgestaltungsmöglichkeiten Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, 2007, S. 118 ff. 179 Das soll auch der Grund sein, warum Manager härter Arbeiten und weniger in die eigene Tasche wirtschaften, wenn sie gleichzeitig Geschäftsanteile halten, vgl. Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 274 (1986). 180 Für die erfolgsbezogene Vergütung von Fondsmanagern vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 789; Manesh, 37 J. Corp. L. 555, 591 (2012); zur extremen Ausprägung dieses Mittels im Capital Venture Bereich Gilson, 55 Stan. L. Rev. 1067, 1083, 1089 (2003). 181 Vgl. Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 273 f. (1986). 182 Dazu Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, S. 274; Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 228. 174

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Unternehmen zu finden, die auf Freundschaft aufgebaut sind.184 Aufgrund der persönlichen Bindung hat der Treueverpflichtete einen außerrechtlichen Anreiz, anhand der Ziele des Treueberechtigten zu handeln. Das Interesse des Treueverpflichteten wird dem Interesse des Treueberechtigten damit auf natürliche Weise angenähert, weswegen die Verrechtlichung des Vertrauens einen Teil ihrer Bedeutung verliert.185 Dieses Phänomen tritt im Gesellschafterbereich und im Geschäftsleiterbereich auf, ebenso macht die Gesellschaftsform keinen Unterschied; jedoch nimmt der Gesellschaftstyp Einfluss: Publikumsgesellschaften partizipieren weniger von diesem Effekt, da in der Regel kein persönliches Band zwischen den Gesellschaftern untereinander und den Gesellschaftern und den Geschäftsleitern besteht. 3. Kapitalmarkt Zudem kann der Kapitalmarkt als außerrechtlicher Mechanismus auf das Verhalten des Treueverpflichteten einwirken. Der Geschäftsleiter kann speziell durch den Übernahmemarkt beeinflusst werden.186 Wenn der Geschäftsleiter nicht anhand der Ziele der Gesellschaft handelt, nutzt die Gesellschaft nicht ihr wirtschaftliches Potential. Deswegen kann mit dem Austausch der Geschäftsleitung der Wert der Gesellschaft gesteigert werden. Diese Gewinnmöglichkeit schafft für Investoren einen Anreiz, die Gesellschaft zu erwerben und die Geschäftsleitung zu entlassen.187 Es liegt nahe, dass ein Geschäftsleiter das antezipiert und sich entsprechend verhält.188 Um seinen Arbeitsplatz zu behalten, hat der Geschäftsleiter deswegen einen Anreiz, anhand des Interesses der Gesellschaft zu handeln. Folglich werden durch den Kapitalmarkt das Interesse von Geschäftsleiter und Gesellschaft angeglichen. Insoweit verliert die Treuepflicht einen Teil ihrer Bedeutung. Jedoch funktioniert dieser Mechanismus nicht reibungslos. Damit der außenstehende Investor einen Anreiz hat, das Unternehmen zu erwerben und die Geschäftsleitung zu entlassen, muss er zunächst das Fehlverhalten des Managements und das Potential des Unternehmens erkennen.189 Zudem ist das Verhalten des Managements nur eines von vielen Kriterien, um den Wert eines Investments zu 183

Vgl. Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 274 (1986). Vgl. Frankel, 71 Cal. L. Rev. 795, 811 (1983). 185 Zum Vorst. vgl. Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 228. 186 Aus der deutschen Lit. vgl. Hellgardt, KapitalmarktdeliktsR, 2008, S. 161 ff.; Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 793 f.; krit. und mit umfangr. Nachw. für beide Seiten Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, 2007, S. 235 ff.; aus der US-amerikanischen Lit. vgl. Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 91, 96; eine leichte Interessenannäherung bejahend, aber insg. krit. Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1497 ff. (1989); krit. auch Brudney, 85 Colum. L. Rev. 1403, 1423 (1985). 187 Zum Vorst. vgl. Hellgardt, KapitalmarktdeliktsR, 2008, S. 161; Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 793. 188 Vgl. Hellgardt, KapitalmarktdeliktsR, 2008, S. 161. 189 Vgl. Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, 2007, S. 252 f. 184

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bestimmen.190 Deswegen schlägt das Verhalten des Managers nicht zwangsläufig auf den Wert der Gesellschaft durch. Außerdem entstehen beim Kauf der Gesellschaft erhebliche Transaktionskosten für den Investor,191 die ihn vom Erwerb abhalten können. Schließlich kann der Markt bei sogenannten one-shot Situationen machtlos sein,192 weil dort die Reaktion des Marktes für den Geschäftsleiter irrelevant ist. Den Informationsdefiziten kann aber ein weitgehend effizienter Kapitalmarkt entgegenwirken.193 Außerdem kann spätestens bei grobem und dauerhaftem Fehlverhalten des Geschäftsleiters die Diskrepanz zwischen Unternehmenspotential und gegenwärtigem Wert des Unternehmens eine solche Evidenz erreichen, dass sie von außen erkennbar wird, bei der Bestimmung des Wertes des Unternehmens einen signifikanten Ausschlag gibt und die Transaktionskosten für den Unternehmenserwerb übersteigt. Der Kapitalmarkt beeinflusst neben dem Geschäftsleiter auch die Gesellschafter. Der Anteil der Gesellschafter gewinnt mit dem Erfolg der Gesellschaft an Wert und der Kapitalmarkt gibt dem Gesellschafter die Möglichkeit, diesen Wert zu realisieren. Deswegen wird mit der Liquidität des Anteils ein Anreiz für den Gesellschafter geschaffen, im Interesse der Gesellschaft zu handeln. Insoweit nähert der Kapitalmarkt das Interesse von Gesellschafter und Gesellschaft an. Der Kapitalmarkt kann aber nur eingreifen, soweit er vorhanden ist. Er ist deswegen besonders wirksam bei an der Börse gehandelten offenen Gesellschaften.194 Aufgrund fehlender Liquidität der Anteile ist er bei geschlossenen Gesellschaften weitgehend wirkungslos.195 Richtig ist zwar, dass sich manche Gesellschaftsformen besser für einen Handel am Kapitalmarkt eignen als andere, die Gesellschaftsform für sich macht aber keinen Unterschied. 4. Produktmarkt Ferner kann der Produktmarkt eine zurückhaltende Wirkung auf den Treueverpflichteten entfalten.196 Soweit die Geschäftsleitung oder die Gesellschafter nicht im 190 Vgl. Brudney, 85 Colum. L. Rev. 1403, 1423 f. (1985); Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1498 f. (1989) m. w. N. 191 Vgl. Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, 2007, S. 250; vgl. auch Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1497 f. (1989). 192 Das gleiche Problem stellt sich bei allen Mechanismen, die auf wiederholte Interaktion gerichtete sind, also beim Arbeitsmarkt, Produktmarkt und beim Reputationsinteresse, dazu Fleischer, WM 2003, 1045, 1049 m. w. N. 193 Vgl. Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 96; krit. aber Brudney, 85 Colum. L. Rev. 1403, 1423 (1985); Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, 2007, S. 152. 194 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 793. 195 Vgl. Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 274 ff. (1986); vgl. auch Sneirson, Wis. L. Rev. 2008, 899, 919 (2008). 196 Vgl. Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 91; kurz Frankel, 71 Cal. L. Rev. 795, 815 (1983); krit. und mit umfangr. Nachw. für beide Seiten Arnold, Steuerung des

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Interesse der Gesellschaft handeln, nutzt die Gesellschaft nicht ihr Potential. Konkurrenten der Gesellschaft haben deswegen einen Vorteil. Dies kann dazu führen, dass die natürliche Selektion die Gesellschaft vom Produktmarkt verdrängt.197 Somit gefährdet der Geschäftsleiter durch ein Fehlverhalten seinen Arbeitsplatz und die Gesellschafter gefährden mit einem Fehlverhalten ihre Investition. Folglich wird ein außerrechtlicher Anreiz geschaffen, das Interesse der Gesellschaft zu achten. Ähnlich dem Kapitalmarkt funktioniert das Instrument jedoch nicht reibungslos.198 Dafür kann eine Intransparenz des Marktes sorgen, zudem ist ein Fehlverhalten der Gesellschafter oder des Geschäftsleiters nicht alleine ausschlaggebend für die Konkurrenzfähigkeit auf dem Produktmarkt und schließlich kann ein fehlender Wettbewerb auf dem Produktmarkt der Funktionsfähigkeit des Mechanismus entgegenstehen.199 Jedenfalls ab einer gewissen Evidenz des Fehlverhaltens kann der Produktmarkt aber eingreifen. Außerdem beeinflusst bereits die Möglichkeit seines Eingreifens das Handeln der Akteure, weil es nahe liegt, dass der Treueverpflichtete das Eingreifen des Produktmarkts antezipiert und sich entsprechend verhält. Bei diesem Mechanismus sind keine Gründe ersichtlich, zwischen Gesellschafterbereich und Geschäftsleiterbereich und zwischen verschiedenen Gesellschaftsformen und -typen zu unterscheiden. Er kann aber nur greifen, wenn die Gesellschaft unternehmerisch auf einem Produktmarkt tätig ist. 5. Arbeitsmarkt Zudem kann der Arbeitsmarkt auf das Verhalten des Treueverpflichteten wirken.200 Der Geschäftsleiter und die leitenden Angestellten einer Gesellschaft konkurrieren um die Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb der Gesellschaft und um Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Gesellschaft.201 Um auf der Karriereleiter aufzusteigen oder jedenfalls keinen Rückschritt zu machen, haben sie das Interesse, die Ziele der Gesellschaft zu verfolgen, in der Hoffnung, dass dies durch den gegenwärtigen beziehungsweise durch einen potentiellen Arbeitgeber entsprechend belohnt wird.202 Nun ist richtig, dass dieser Mechanismus mit TransparenzVorstandshandelns, 2007, S. 226 ff., 235 ff.; krit. auch Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1489 (1989). 197 Zum Vorst. vgl. Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 91. 198 Vgl. ebd., S. 91. 199 Zum Vorst. vgl. Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, 2007, S. 227. 200 Vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 27 (1990); Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 91; krit. und mit umfangr. Nachw. für beide Seiten Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, 2007, S. 231 ff.; eine leichte Interessenannäherung bejahend, aber insg. krit. Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1495 ff. (1989). 201 Vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 27 (1990). 202 Für die Beförderung vgl. Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461 (1989), der diesem Mechanismus aber für den Geschäftsleiter die Wirksamkeit abspricht, da der Geschäftsleiter nicht befördert werden könne; der Geschäftsleiter kann aber durch einen Wechsel zu einer anderen

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defiziten und Transaktionskosten zu kämpfen hat203 – beispielsweise arbeitet ihm entgegen, dass sich die Überwachung der Geschäftsleiter schwierig gestaltet und dass ein Geschäftsleiter typischerweise eine geringe Mobilität aufweist.204 Aber jedenfalls ab einer gewissen Evidenz kann das Instrument eingreifen und zuvor bereits im Hintergrund das Verhalten der Geschäftsleiter beeinflussen. Folglich führt der Arbeitsmarkt dazu, dass die Verrechtlichung der Treue an Bedeutung verliert. Bei den verschiedenen Gesellschaftstypen treten verschiedene Probleme auf. Zunächst kann der Arbeitsmarkt nur eingreifen, wenn eine gewisse Mobilität besteht. Dies ist fragwürdig, wenn sich die Gesellschafter in einer kleinen Gesellschaft zur persönlichen Zusammenarbeit zusammenschließen. Soweit die Geschäftsleiter dennoch austauschbar sind, kann der Arbeitsmarkt aber ebenfalls dort greifen. Zudem kommt es nicht nur in geschlossenen Gesellschaften zu Problemen, auch in Publikumsgesellschaften treten Reibungen auf. So sind Kleinanleger häufig aus rationalen Erwägungen passiv,205 wodurch es ihnen unmöglich sein kann, das Verhalten der Geschäftsleiter angemessen zu sanktionieren.206 Jedoch wird der Mangel durch andere Akteure abgefedert, insbesondere durch kontrollierende Gremien wie der Aufsichtsrat sowie durch professionelle Anleger, Großaktionäre207 und Analysten.208 Sie können für die Aktionäre eintreten und damit deren Passivität ausgleichen. Zudem kann ein effizienter Kapitalmarkt den Informationsdefiziten am Arbeitsmarkt entgegenwirken.209 Aus diesen Gründen kann der Arbeitsmarkt auch in Publikumsgesellschaften Einfluss auf den Geschäftsleiter ausüben. Der Arbeitsmarkt greift grundsätzlich unabhängig von der Gesellschaftsform ein. Bei Personengesellschaften ist jedoch der Grundsatz der Selbstorganschaft zu berücksichtigen. Im Gesellschafterbereich entfaltet der Arbeitsmarkt keine Wirkung, wenn die Gesellschafter nicht an der Geschäftsleitung beteiligt sind.

Gesellschaft seine Position verbessern; für die Degradierung vgl. Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 91; die drohende Entlassung grds. als interessenannähernd ansehend, aber krit. bzgl. des Gewichts Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1469 (1989). 203 Für die Transparenzdefizite vgl. Frankel, 71 Cal. L. Rev. 795, 813, 815 (1983); Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1497 (1989); für die Transaktionskosten vgl. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1256 (1995). 204 Vgl. Brudney, 85 Colum. L. Rev. 1403, 1422 (1985); Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1495, 1497 (1989). 205 Aus der deutschen Lit. vgl. Spindler, AG 1998, 53, 63; aus der US-amerikanische Lit. vgl. Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1474 f. (1989); Bebchuk, 102 Harv. L. Rev. 1820, 1836 ff. (1989); Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1256 f. (1995); zur Passivität von Aktionären auch Black, 89 Mich. L. Rev. 520 (1990). 206 Vgl. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1256 (1995). 207 Vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 28 (1990). 208 Vgl. Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 178 (1986); krit. Brudney, 85 Colum. L. Rev. 1403. 1421 (1985), da sich die directors weniger mit den Anlegern als mit den Managern identifizierten. 209 Vgl. Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 96.

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6. Internalisierte Moralvorstellung Außerdem können internalisierte210 Moralvorstellungen einen Einfluss auf das Verhalten des Treueverpflichteten haben.211 So finden sich in der Wirtschaftswissenschaft robuste empirische Belege, dass eine signifikante Anzahl von Menschen durch Moral beziehungsweise Fairness motiviert werden;212 diese Befunde gelten insbesondere auch, wenn der Einsatz hoch ist.213 Fairnessnormen wird von prominenter Stelle bei der Verhaltenskontrolle des Treueverpflichteten sogar eine zentralere Bedeutung zugewiesen als rechtlichen Regelungen.214 In dem Maße, wie Moral und Fairnessnormen greifen, verlieren rechtliche Regelungen an Bedeutung. Ein rechtlicher Zwang kann sogar kontraproduktiv sein.215 Jedoch muss bedacht werden, dass die Ausgestaltung der Rechtsnormen auf das Verständnis von Moral und Fairness in der soziologischen Gesellschaft einen Einfluss haben kann,216 weswegen eine Wechselwirkung zwischen rechtlichen und außerrechtlichen Normen besteht. Auf das Treueverhältnis angewandt, wird der Treueverpflichtete durch Moral und Fairnessnormen dazu gebracht, das Interesse des Treueberechtigten zu berücksichtigen – gerade, wenn er keine rechtliche Sanktion fürchten muss. Insoweit verliert die Verrechtlichung der Treue einen Teil ihrer Bedeutung. Nun könnte vermutet werden, dass eine Professionalität der Akteure dafür sorgt, dass sie sich ihr moralisches Handeln abgewöhnen.217 Jedoch zeigen empirische Daten, dass der Fairnesseffekt umso ausgeprägter ist, je mehr die soziologische Gesellschaft auf einen Markt zum Austausch von Gütern vertraut.218 Das könnte sogar dafür sprechen, dass profes210

Internalisierte Normen werden Teil des Charakters des Betroffenen, sie müssen deswegen nicht von außen durchgesetzt werden, sondern werden intern etwa durch Selbstkritik und Schuldgefühl sanktioniert, vgl. Cooter/Eisenberg, 149 U. Pa. L. Rev. 1717, 1717 1724 (2001). 211 Für den Einfluss von gesellschaftlichen Normen auf das Verhalten von Geschäftsleitern vgl. Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 706 mit umfangr. Nachw. 212 Vgl. Scott, 103 Colum. L. Rev. 1641, 1644, 1662 ff., 1672 ff., 1693 (2003) m. w. N., der empirische Experimente darstellt, die zeigen, dass etwa die Hälfte der Menschen sich von Fairnesserwägungen lenken lässt; das für die Treuepflicht aufgreifend Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 233 f.; allgm. zu empirischen Belegen fairen Verhaltens aus der deutschen Lit. Fleischer u. a., in: Beitrag der Verhaltensökonomie zum Recht, 2011, S. 9, 16, 29 ff.; aus der US-amerikanischen Lit. Korobkin/Ulen, 88 Cal. L. Rev. 1051, 1127 ff. (2000); Cooter/ Eisenberg, 149 U. Pa. L. Rev. 1717, 1725 (2001). 213 Vgl. Scott, 103 Colum. L. Rev. 1641, 1672 (2003), der auf verschiedene Experimente verweist. 214 Für den Geschäftsleiterbereich von Cooter/Eisenberg, 149 U. Pa. L. Rev. 1717, 1719 f. (2001). 215 Vgl. Scott, 103 Colum. L. Rev. 1641, 1645 (2003); Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 234 m. w. N. 216 Zum mittelbaren Einfluss der rechtlichen Treuepflicht auf Fairnessnormen noch später ausf. Teil 3 – A.IV.1.d). 217 Vgl. Scott, 103 Colum. L. Rev. 1641, 1673 (2003). 218 Vgl. ebd., S. 1674.

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sionelle Akteure außermaterielle Gründe umso mehr verinnerlichen. Ein Grund zwischen Geschäftsleiterbereich und Gesellschafterbereich und zwischen Gesellschaftsform und -typ zu unterscheiden, ist bei diesem Mechanismus nicht ersichtlich. 7. Reputationsinteresse Außerdem spielt das Reputationsinteresse des Treueverpflichteten eine Rolle.219 Dessen Wirkung überschneidet sich teilweise mit der Wirkung des Marktes,220 sie ist jedoch in mancher Hinsicht weitreichender. Zunächst kann es für den Treueverpflichteten wirtschaftlich sinnvoll sein, die Ziele des Treueberechtigten zu verfolgen, wenn zwischen den Parteien wiederholt Interaktionen stattfinden,221 weil der Treueverpflichtete in einem späteren Aufeinandertreffen von seiner Reputation wirtschaftlich profitieren kann.222 Das ist gerade bei Langzeitverträgen – wie dem Gesellschaftsvertrag – von Bedeutung, da wiederholte Interaktionen vorgezeichnet sind.223 Jedoch ist es nicht notwendig, dass sich dieselben Parteien wiedertreffen, da die Reputation weitergetragen werden kann. Zudem kann dem Treueverpflichteten außerhalb seiner wirtschaftlichen Tätigkeit an einem guten Ruf gelegen sein. In all den Fällen folgt aus dem Reputationsinteresse ein natürlicher Anreiz, die Ziele des Vertragspartners bei der Handlungsentscheidung zu berücksichtigen. Auch hierdurch verliert die Verrechtlichung der Treue an Bedeutung. Das Reputationsinteresse entfaltet seine Wirkung im Geschäftsleiterbereich und im Gesellschafterbereich. Gleichfalls hängt die Wirksamkeit des Reputationsinteresses nicht von der Gesellschaftsform ab. Jedoch kann der Gesellschaftstyp im Gesellschafterbereich einen Unterschied machen. So ist in der anonymen Publikumsgesellschaft unter Kleingesellschaftern der Ruf nicht so entscheidend, wie in kleineren Gesellschaften mit wenigen, einander bekannten Gesellschaftern, die häufig miteinander interagieren. 8. Vertragliche Einzelpflicht Schließlich können die Vertragsparteien einzelne Pflichten vereinbaren.224 Solche Pflichten können ausdrücklich und konkludent vereinbart werden.225 Mit ihnen kann 219

Vgl. Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 547 f. (1997); Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 233; speziell für den Venture Capital Bereich vgl. Haar, in: Perspektiven des Wirtschaftsrechts, 2008, S. 141, 148; Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 789; Gilson, 55 Stan. L. Rev. 1067, 1085, 1092 (2003); insg. krit. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1221 (1995). 220 Vgl. Arnold, Steuerung des Vorstandshandelns, 2007, S. 232. 221 Vgl. Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 233; in die Richtung auch Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 95 f. 222 Vgl. Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 548 (1997). 223 Vgl. Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 95. 224 Vgl. Frankel, 71 Cal. L. Rev. 795, 813 (1983); Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 546 f. (1997).

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die Wahrung oder Förderung bestimmter Interessen unabhängig von der Treuepflicht geregelt werden. Jedoch verliert der Verpflichtete mit der konkreten Regelung seine Flexibilität und ihm wird die Möglichkeit genommen, seine Expertise frei einzusetzen.226 Soweit die Pflichten nicht aus Vertragsauslegung gewonnen werden, können außerdem hohe Transaktionskosten entstehen.227 Deswegen haben konkrete Regelungen nicht nur Vorteile, sondern ebenfalls Nachteile. Sie können aber namentlich dafür genutzt werden, den Handlungsspielraum des Treueverpflichteten an den äußeren Grenzen festzuschreiben oder dem Treueverpflichteten elementare Leistungen abzuverlangen. Auch durch solche Pflichten verliert die Treuepflicht einen Teil ihrer Bedeutung. Einzelne Pflichten können im Gesellschafterbereich und im Geschäftsleiterbereich vereinbart werden. Zudem sind sie grundsätzlich unabhängig von Gesellschaftsform und -typ einsetzbar. Jedoch ist in der Aktiengesellschaft die Satzungsstrenge zu berücksichtigen (§ 23 Abs. 5 AktG). 9. Schlussbemerkung zur außergesetzlichen Umgebung Es konnten keinesfalls sämtliche außergesetzlichen Mechanismen und Pflichten umfassend vorgestellt werden. Die Ausführungen haben aber gezeigt, dass sowohl im Geschäftsleiterbereich als auch im Gesellschafterbereich und bei den verschiedenen Gesellschaftsformen und -typen eine außergesetzliche Umgebung neben der Treuepflicht besteht. Dabei waren lediglich der Übernahme- und der Arbeitsmarkt exklusiv auf den Geschäftsleiterbereich anwendbar. Die außergesetzlichen Mechanismen und Pflichten haben ihre individuellen Schwächen. Dennoch können sie bis zu einem gewissen Punkt den Anreiz setzen, die Ziele des Treueberechtigten zu verfolgen. Damit schmälern sie die Bedeutung einer rechtlichen Sanktionierung durch die Treuepflicht. Sie bestehen grundsätzlich bei einer Abbedingung der Treuepflicht fort und können für sie einspringen.

V. Rechtsgrundlage der Treuepflicht Nachdem der Begriff der Treuepflicht und ihr Verhältnis zur Umgebung besprochen wurden, ist es möglich, die Rechtsgrundlage der Treuepflicht zu ermitteln. Um die Rechtsgrundlage der Treuepflicht rankt sich ein alter Meinungsstreit.228 Der Meinungsstreit wurde nie entschieden. Er wird inzwischen häufig mit der Begründung abgetan, die Treuepflicht sei in ihrer richterrechtlichen Ausprägung gewohn-

225 Ausf. zur Abgrenzung von Treuepflicht und (ergänzender) Vertragsauslegung bereits oben Teil 2 – A.III.2. 226 Vgl. Frankel, 71 Cal. L. Rev. 795, 813 (1983). 227 Vgl. ebd., S. 813; Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 92. 228 Dazu sogleich.

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heitsrechtlich anerkannt.229 Dem ist im Grundsatz zuzustimmen. Hier geht es aber nicht um die Existenz und Anwendung der Treuepflicht. Stattdessen geht es um ihre Abdingbarkeit. Bei dieser Frage wird Neuland betreten, weswegen ein Hinweis auf Gewohnheitsrecht nicht weiterführend ist.230 Die Rechtswissenschaft gewinnt die Treuepflicht im Gesellschafterbereich teilweise aus einer Konkretisierung der Generalklausel des § 242 BGB,231 teilweise verortet sie die Treuepflicht in § 705 BGB,232 manchmal ist keine klare Stellungnahme erkennbar233 oder die Möglichkeit einer einheitlichen Einordnung wird explizit verneint.234 Trotz dieser Differenzen ist schon länger anerkannt, dass sich der Geltungsgrund der Treuepflicht im Gesellschaftsvertrag235 findet oder in einer vertragsähnlichen Beziehung liegt, die wiederum durch den Gesellschaftsvertrag begründet wird.236 Die Verortung der Treuepflicht der Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag wurde nun in zwei jüngeren Entscheidungen des BGH bestätigt.237 Im Geschäftsleiterbereich wird die Treuepflicht inzwischen auf das Organverhältnis und gleichzeitig auf den Anstellungsvertrag gegründet.238 Das Organverhältnis entsteht wiederum durch rechtsgeschäftliche Bestellung.239 Es wird als Teil des innerkorporativen Regelungsbereichs im Gesellschaftsvertrag abgeändert oder ergänzt.240

229 Vgl. Henze, ZHR 162 (1998), 186, 191. Im Zuge dessen wird teilweise auf die richterrechtliche Qualität der Treuepflicht hingewiesen, so bspw. für die Treuepflicht im Gesellschafterbereich Paschke, in: FS Serick, 1992, S. 313, 320; Röhricht, in: Hdb. Coporate Governance, 2009, S. 513, 515; für den Geschäftsleiterbereich vgl. Wiedemann, WM 2009, 1, 1; zurückhaltend formuliert auch Bungert, DB 1995, 1749, 1750. Ein solcher Hinweis sollte mit Vorsicht genossen werden, da Richterrecht im Gegensatz zu Gewohnheitsrecht keine eigene Normqualität hat, vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 1995, S. 253 ff. 230 Zum Vorst. vgl. Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 23. 231 Vgl. bspw. Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 228 ff. m. w. N. 232 Vgl. etwa Lutter, AcP 180 (1980), 84, 117; für die AG vgl. Marsch-Barner, ZHR 157 (1993), 172, 173; wohl auch Lutter, ZHR 180 (1989), 446, 454. 233 Vgl. bspw. Wiedemann, GesR, 2004, S. 198 f.; vgl. auch Henze, BB 1996, 489, 491 f., der eine Einordnung nicht für erforderlich hält. 234 Vgl. bspw. Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 13 ff., der die Treuepflicht bei uneigennützigen Rechten auf § 705 BGB, bei eigennützigen auf § 242 BGB stützt. 235 Gesellschaftsvertrag und Satzung werden hier synonym verwendet. 236 Vgl. etwa Hüffer, in: FS Steindorff, 1990, S. 59, 68; Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 328; speziell für Personengesellschaften vgl. Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 12, der das als allgm. anerkannt bezeichnet; speziell für die GmbH vgl. ebd., S. 67, 69 ff.; speziell für die AG vgl. Kindler, in: FS Spiegelberger, 2009, S. 778, 780, der das als hM bezeichnet. 237 BGH, Urt. v. 25. 01. 2011 – II ZR 122/09, NZG 2011, 510, Rn. 21; BGH, Urt. v. 09. 06. 2015 – II ZR 420/13, NZG 2015, 995, 997, Rn. 23. 238 Für die Verortung in Organverhältnis und Anstellungsvertrag vgl. statt aller Fleischer, WM 2003, 1045, 1046 m. w. N. 239 Vgl. Röhricht, in: Hdb. Coporate Governance, 2009, S. 513, 514, 515. 240 Vgl. Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rn. 8 ff. (speziell für die GmbH).

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Die Treuepflicht reagiert sowohl im Geschäftsleiterbereich als auch im Gesellschafterbereich auf die Gefahr der speziellen Einwirkungsmöglichkeit des Treueverpflichteten.241 Dabei passt sie sich mit ihrem Spielraum der Offenheit des Treueverhältnisses an.242 Zudem wird der Treueverpflichtete durch die Bindung an die Ziele des Treuberechtigten theoretisch nicht benachteiligt, weil die Verwaltung einer (auch-)fremden Rechtsposition reglementiert wird.243 All das spricht dafür, dass die Treuepflicht diejenige Regelung ist, welche die Beteiligten typischerweise treffen, wenn sie Gefahren, Vorteile und Wirkkreise des Treueverhältnisses berücksichtigen. Jedenfalls ist die Treuepflicht inzwischen derart gängig, dass die Parteien aus Sicht eines objektiven Dritten davon ausgehen können, sie zu vereinbaren. Deswegen könnte die Treuepflicht zwanglos über die Vertragsauslegung konstruiert werden.244 Einzig für die Treuepflicht im Gesellschafterbereich zwischen den Gesellschaftern in Körperschaften ist problematisch, dass die Satzung nach klassischer Dogmatik keine schuldrechtlichen Pflichten unter den Mitgesellschaftern zu begründen vermag,245 während eine Herleitung solcher Pflichten direkt aus § 242 BGB möglich sein soll.246 Jedoch ist heutzutage auch in diesem Bereich eine schuldrechtliche Beziehung zwischen den Gesellschaftern von der Rechtsprechung anerkannt.247 Die Herleitung der Treuepflicht über die Vertragsauslegung ist nicht nur möglich, sie ist auch eleganter als die Herleitung über § 242 BGB, weil sie im Gegensatz zu der Herleitung über § 242 BGB ohne Postulate auskommt. Der gleiche Vorteil besteht gegenüber der Herleitung aus § 705 BGB. Denn auch die Herleitung aus § 705 BGB ist lückenhaft. So gebietet § 705 BGB lediglich, den gemeinsamen Zweck „in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern“. Nun ist die Treuepflicht eine Art, den Gesellschafter zur Zweckförderung zu verpflichten, aber nicht die einzige – beispielsweise können Einzelpflichten vereinbart werden. Deswegen folgt die Treuepflicht nicht zwangsläufig aus § 705 BGB. Das bedeutet aber nicht, dass die Herleitungen aus § 242 BGB und § 705 BGB nicht sinnvoll sind. Beide Herleitungen können in die Vertragsauslegung integriert werden: Die Vertragsauslegung ist gemäß 241

s. o. Teil 2 – A.I.3.a). s. o. Teil 2 – A.I.3.b). 243 s. o. Teil 2 – A.I.3.a); Teil 2 – A.I.3.c). 244 So die wohl inzwischen hM für die Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich im USamerikanische Recht, vgl. bspw. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 28 (1990); Easterbrook/ Fischel, Economic Structure, 1998, S. 92 f.; ähnlich auch Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 215, 217 ff.; für das Bestehen der Treuepflicht aber gegen eine Konstruktion der Treuepflicht mit Hilfe der Vertragsauslegung Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1225 ff. (1995); sich Frankel anschließend Dibadj, 41 Tulsa L. Rev. 451, 458 (2006); s. a. Gibbon, 82 Marq. L. Rev. 303 (1999); DeMott, 48 Ariz. L. Rev. 925, 926 (2006); gegen das grundsätzliche Bestehen der Treuepflicht Steele, 46 Am. Bus. L.J. 221 (2009), der die Treuepflicht nur bei expliziter Vereinbarung annehmen möchte, s. aber den neuen Del Code Ann. tit. 6 § 18-1104. 245 Vgl. Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 62 m. w. N. 246 Vgl. ebd., S. 67 ff. 247 So bewertend Emmerich, in: Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 37 mit umfangr. Nachw. 242

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§ 157 BGB „wie Treu und Glauben […] es erfordern“ vorzunehmen, womit die Vertragsauslegung Treu und Glauben aufgreift. Zudem ist die Treuepflicht eine mögliche Maßnahme, die Zweckförderung zu gebieten, womit ebenfalls der Gedanke des § 705 BGB bei der Auslegung relevant ist. Auch die Herleitung über die Vertragsauslegung gründet die Treuepflicht auf den Gesellschaftsvertrag beziehungsweise auf den Anstellungsvertrag und führt insoweit zu keinem Unterschied. Nach alledem könnte die Treuepflicht zwanglos aus ergänzender Vertragsauslegung hergeleitet werden, in der Rechtswissenschaft wird aber meist auf § 242 BGB oder auf § 705 BGB verwiesen. Jedenfalls basiert die Treuepflicht im Gesellschafterbereich auf dem Gesellschaftsvertrag und im Geschäftsleiterbereich gründet sie auf dem Anstellungsvertrag und dem Organverhältnis, wobei das Organverhältnis durch Bestellung begründet wird und im Gesellschaftsvertrag abgeändert werden kann.

VI. Zwischenergebnis in Thesen 1. a) In der Rechtswissenschaft findet sich weder im Geschäftsleiterbereich noch im Gesellschafterbereich eine kompakte Begriffsbeschreibung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, die ihre Abgrenzung zur Umgebung ermöglicht. Dieser Befund stimmt nicht nur mit gängigen Feststellungen in der Literatur überein, für ihn gibt es auch eine Erklärung: Eine solche Eingrenzung war nicht notwendig, solange es nur um Existenz und Anwendung, nicht aber um die Abdingbarkeit der Treuepflicht ging. b) Eine leistungsfähige Begriffsbeschreibung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sollte gemeinsam für Geschäftsleiterbereich und Gesellschafterbereich abgeleitet werden. Denn obwohl in der Literatur zuweilen der Eindruck entsteht, die Treuepflicht trage in verschiedenen Anwendungsbereichen nur zufällig denselben Namen, bestehen bezüglich des Begriffs der Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich und im Gesellschafterbereich keine strukturellen Unterschiede. c) Nach Analyse der hergebrachten gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ist sie eine Pflicht, die speziell die Kontrolle über eine anvertraute fremde Rechtsposition kompensieren soll und dabei eine Offenheit wahrt, indem sie an den Entscheidungsprozess des Treueverpflichteten anknüpft und diesen dahingehend verbindlich regelt, dass der Treueverpflichtete bei Tätigkeit im fremden Interessenskreis allgemein und vorrangig die Ziele des Treueberechtigten für seine Entscheidungen ansetzen muss beziehungsweise bei Tätigkeit im auch-fremden Interessenkreis die Ziele des Treueberechtigten allgemein und angemessen berücksichtigen muss. Vom Gegenstand der Treuepflicht sind ebenfalls ihre typisierten Ausprägungen umfasst. Sie regeln direkt eine Handlung, aber wahren die Offenheit auf andere Art. Die typisierten Ausprägungen können namentlich an einen offenbaren Interessenkonflikt knüpfen oder einer Ermessensreduzierung auf Null entspringen.

B. Fundament einer Abdingbarkeit – Aspekte der Vertragsfreiheit

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d) Typisierte Ausprägungen der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sind beispielsweise die Geschäftschancenlehre, das Wettbewerbsverbot, die Angemessenheitskontrolle von Eigengeschäften mit dem Treueberechtigten, die Pflicht zur Änderung des Gesellschaftsvertrags und der Stimmrechtsausschluss. 2. a) Das Verhältnis der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zu anderen Pflichten und allgemeinen Instituten – etwa dem Institut des Rechtsmissbrauchs oder der ergänzenden Vertragsauslegung – ist weitgehend ungeklärt. Mithilfe der abgeleiteten Begriffsbeschreibung ist die Bestimmung dieses Verhältnisses bereichsübergreifend möglich. Jedoch verbleiben im konkreten Fall Unsicherheiten. b) Zusätzlich zur gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht bestehen abgrenzbare andere gesetzliche Pflichten und allgemeine Institute, welche die Einwirkungsmöglichkeit des Treueverpflichteten direkt oder mittelbar beschränken. Sie stehen als solche nicht aufgrund einer Abdingbarkeit der Treuepflicht zur Disposition, Beispiele sind die ergänzende Vertragsauslegung, die Störung der Geschäftsgrundlage, die Sittenwidrigkeit, das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, der Rechtsmissbrauch und die Sorgfaltspflicht. Diese Bewertung fügt sich in das meist stillschweigende Verständnis verschiedener BGH-Urteile und verschiedener Literaturstimmen ein. 3. Neben der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht gibt es außergesetzliche Mechanismen und Pflichten, die Anreize setzen, das Interesse des Treueberechtigten zu wahren. Sie sind meist nicht exklusiv auf den Geschäftsleiterbereich anwendbar. Zwar haben sie individuelle Schwächen, sie können aber ihren Teil zur Kompensation der anvertrauten Kontrolle leisten; beispielhaft genannt seien explizit oder konkludent vereinbarte Einzelpflichten, internalisierte Moralvorstellungen, persönliche Bindungen, das Reputationsinteresse, unmittelbare monetäre Anreize sowie der Kapital-, Produkt- und Arbeitsmarkt. 4. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht könnte zwanglos aus ergänzender Vertragsauslegung hergeleitet werden, in der Rechtswissenschaft wird aber meist auf § 242 BGB oder auf § 705 BGB verwiesen. Jedenfalls basiert die Treuepflicht im Gesellschafterbereich auf dem Gesellschaftsvertrag und im Geschäftsleiterbereich gründet sie auf Anstellungsvertrag und Organverhältnis, wobei das Organverhältnis durch Bestellung begründet und im Gesellschaftsvertrag abgeändert werden kann.

B. Fundament einer Abdingbarkeit – Aspekte der Vertragsfreiheit Das zweite Kapitel geht nun mit bestimmten Aspekten der Vertragsfreiheit auf das Fundament der Abdingbarkeit der Treuepflicht ein. Damit soll es später eine sinnvolle Ordnung und Bewertung der Argumente für und gegen die Abdingbarkeit

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ermöglichen, auch dann, wenn diese nicht der deutschen Dogmatik entspringen und wenn an gesetzlich kaum bestimmte Regelungen wie § 138 Abs. 1 BGB angeknüpft wird. Die Aspekte der Vertragsfreiheit werden lediglich im Hinblick auf diesen Zweck aufgearbeitet. Eine weitergehende Vollständigkeit ist weder angestrebt noch ist sie möglich.

I. Zwecke der Vertragsfreiheit 1. Gewährleistung von Gerechtigkeit beziehungsweise Effizienz Die Legitimität und die Notwendigkeit eines Eingriffs in die Vertragsfreiheit kann nur vor dem Hintergrund des Zwecks der Vertragsfreiheit bewertet werden. Das BVerfG und besonders die Zivilrechtswissenschaft stellen den dienenden Zweck der Vertragsfreiheit heraus – den Interessenausgleich.248 Prominent ist in diesem Zusammenhang Schmidt-Rimplers Grundsatz der Richtigkeitsgewähr der Vertragsfreiheit.249 Die grundlegende Funktionsweise der Richtigkeitsgewähr der Vertragsfreiheit ist wie folgt: Bei Vertragsschluss sind die Parteien auf ihre jeweiligen Interessen bedacht und gleichzeitig müssen sie sich einig werden. Deswegen verfolgt jede Partei einerseits für sie günstige Regelungen, andererseits verhindert die jeweils andere Partei für sie ungünstige Regelungen,250 weswegen dem Ergebnis eine „Tendenz zu Gerechtigkeit“ zugesprochen wird.251 Die Verfolgung eigener Interessen und die Notwendigkeit eines Konsenses lassen aber auch einen Schluss zu, der ethisch wertfrei ist. So kann gefolgert werden, dass durch den Vertrag die individuellen Interessen der Betroffenen bestmöglich umgesetzt werden. Damit gewährleistet die Vertragsfreiheit aus wirtschaftlicher Perspektive idealerweise die effiziente Verteilung von Ressourcen, wenn Transaktionskosten vernachlässigt werden.252 Dabei sind sowohl für die Gerechtigkeitserwägungen als auch für die Bewertung der Effizienz die subjektiven Präferenzen der

248 Auf den sachgerechten Ausgleich von Interessen im Rahmen der Vertragsfreiheit abstellend BVerfGE 81, 242, 255; BVerfGE 89, 214, 233; BVerfG, Urt. v. 6. 2. 2001 – 1 BvR 12/ 92, NJW 2001, 957, 958; für die Zivilrechtswissenschaft s. die folgenden Fn. 249 Grundl. Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130; Schmidt-Rimpler, in: FS Nipperdey, 1955, S. 1; Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S. 3, der hier verschiedene Aussagen klarer fasst, die so aufgrund des historischen Hintergrunds in seinem Aufsatz von 1941 nicht möglich gewesen seien; seine Theorie hat viele Anhänger gefunden, so bewertend bspw. Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 120 m. w. N. 250 Vgl. Schmidt-Rimpler, in: FS Nipperdey, 1955, S. 1, 5 f.; Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S. 3, 5. 251 Vgl. Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S. 3, 5, 8. 252 Vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 122 f., 133; grundl. wohl Coase, 3 J.L. & Econ. 1 (1960).

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Individuen maßgeblich.253 Dahingehend sind ethische und wirtschaftliche Perspektive vergleichbar. Die Vergleichbarkeit beider Blickwinkel setzt sich fort. Das gilt zunächst für den Fall, dass trotz der Relativität der Schuldverhältnisse Drittinteressen nachteilig betroffen sind – mit anderen Worten: für den Fall, dass negative Externalitäten auftreten.254 Dritte müssen der Gestaltung nicht freiwillig zustimmen, da sie am Vertragsschluss nicht beteiligt sind. Deswegen haben sie nicht die Möglichkeit, ihre Interessen zu verfolgen beziehungsweise zu schützen. Daher können ihnen nachteilige Folgen aufgezwungen werden. Insoweit wird durch die Vertragsfreiheit weder eine Tendenz zur effizienten Verteilung von Ressourcen noch eine Tendenz zur Gerechtigkeit gewährleistet.255 Ähnliches gilt für die Notwendigkeit einer materiell freien Entscheidung der Parteien. Mit materiell freier Entscheidung ist die tatsächliche freie Entscheidung gemeint, während eine tatsächlich unfreie aber rechtlich freie Entscheidung als lediglich formell freie Entscheidung bezeichnet wird.256 Die materielle Entscheidungsfreiheit ist nicht gegeben, soweit die Parteien Selbstbestimmungsdefiziten erliegen, etwa aufgrund von Informations-257 oder Rationalitätsdefiziten.258 Zudem hindert nach dem BVerfG ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht die tatsächlich freie Entscheidung der unterlegenen Partei und führt zu ihrer Fremdbestimmung.259 Soweit Selbstbestimmungsdefizite vorliegen, sind die Parteien unfähig, ihre eigenen Interessen zu schützen. Dann können ihnen negative Folgen aufgezwungen werden. Auch insofern wird keine Tendenz zur Gerechtigkeit oder Effizienz gewährleistet.260 253

Für die Gerechtigkeitserwägungen vgl. Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S. 3, 15; s. a. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 284; für die Effizienz vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 267. 254 Für diese Bedeutung von negativen Externalitäten vgl. Clark, 89 Colum. L. Rev. 1703, 1706 (1989). 255 Für die ethische Gerechtigkeit vgl. Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S. 3, 22, der die Gerechtigkeit bzgl. des Schutzes Dritter nur durch hoheitliche Maßnahme gewährleistet sieht. 256 Zu diesem Begriffspaar Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277 ff. m. w. N. 257 Vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 133; unter Informationsdefizite fällt hier insbesondere der Mangel an Geschäftsferfahrung. 258 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 772, der das speziell auf die Treuepflicht anwendet; vgl. auch Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 133. 259 Vgl. BVerfGE 81, 242, 255; s. a. Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S. 3, 13, 15; krit. bzgl. der Eignung des Begriffs „Ungleichgewicht“ Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff. 260 Für die ethische Betrachtungsweise Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S. 3, 13, 15, der ein gewisses Gleichgewicht der Kräfte für die (ethische) Richtigkeit des Interessenausgleichs verlangt und aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten einen Eingriff bei Angst, Not, Unterlegenheitsgefühl und Unfähigkeit für geboten hält; für die wirtschaftliche Betrachtungsweise s. etwa Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 133, der die Effizienz insb. beim Vorliegen von Informationsasymmetrien und Rationalitätsdefiziten verneint.

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Zusammenfassend soll die Vertragsfreiheit zunächst dem Interessenausgleich dienen. Mit ihrer Richtigkeitsgewähr gewährleistet sie aus ethischer Perspektive eine Tendenz zu Gerechtigkeit, aus wirtschaftlicher Perspektive gewährleistet sie eine Tendenz zur effizienten Verteilung von Ressourcen. Diese Tendenzen sind jedenfalls insoweit vergleichbar, als für ihre jeweilige Bewertung die subjektiven Interessen der Individuen maßgeblich sind. Zudem wird ihre Verwirklichung jeweils von Eingriffen in Fremdinteressen durch die Parteien und von Selbstbestimmungsdefiziten der Parteien beeinträchtigt. 2. Gewährleistung materieller Selbstbestimmung Weiterhin wird ein Selbstzweck der Vertragsfreiheit mit dem Eigenwert der materiellen Selbstbestimmung begründet – anders ausgedrückt: mit der materiellen Entscheidungsfreiheit in eigenen Angelegenheiten.261 Jedoch führt die materielle Entscheidungsfreiheit der Parteien bei Vertragsschluss idealerweise bereits zum richtigen Ergebnis, ebenso führt ihr Fehlen zu einem unrichtigen Ergebnis.262 Damit ist die materielle Entscheidungsfreiheit notwendige Voraussetzung für die Richtigkeitsgewähr der Vertragsfreiheit, weswegen sie nicht den dienenden Zweck der Vertragsfreiheit erweitert. Nun könnte aber argumentiert werden, dass die materielle Selbstbestimmung enger gefasst ist als der dienende Zweck der Vertragsfreiheit, da Fremdinteressen im Rahmen der materiellen Selbstbestimmung keine Rolle spielen. Das ist im Ergebnis aber irrelevant. Denn der Staat kann Fremdinteressen auch schützen, wenn lediglich die materielle Selbstbestimmung als Zweck der Vertragsfreiheit anerkannt wird. Dann ergibt sich die Rechtfertigung zwar nicht mehr direkt aus dem Zweck der Vertragsfreiheit; stattdessen kann sie aber aus anderen Wertungen der deutschen Rechtsordnung geschlossen werden, etwa den Grundrechten Dritter. Somit macht es keinen signifikanten Unterschied, ob entweder die Richtigkeit des Ergebnisses oder die materielle Entscheidungsfreiheit in eigenen Angelegenheiten angeführt263 oder beides als Zweck der Vertragsfreiheit angenommen wird.264 3. Gewährleistung formeller Selbstbestimmung Nun kommt aber auch die formelle Selbstbestimmung – die formell freie Entscheidung in eigenen Angelegenheiten – als Selbstzweck im Rahmen der Ver261 Bspw. weist das BVerfG einen solchen Wert zu, wenn es davon spricht, dass die Privatautonomie auf der tatsächlich freien Selbstbestimmung beruht, BVerfGE 81, 242, 255; auch im Zivilrecht wird der Eigenwert anerkannt, vgl. Flume, in: FS 100 Jahre Rechtsleben, 1960, S. 135, 136, 143. 262 s. o. Teil 2 – B.I.1. 263 So Flume, in: FS 100 Jahre Rechtsleben, 1960, S. 135. 264 So Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S. 3, 8; wohl auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 286, der aber Primär auf die Selbstbestimmung abstellt.

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tragsfreiheit in Betracht, wenn ihr ebenfalls ein Eigenwert zuzuweisen ist. Dabei ist mit dem Eigenwert der formellen Selbstbestimmung nicht die Selbstverständlichkeit gemeint, dass der formell freien Entscheidung aufgrund von Rechtssicherheit ein Wert beigemessen werden kann.265 Zudem soll dieser Eigenwert nicht auf die Entscheidungsfreiheit der anderen Partei gestützt266 oder aufgrund einer fehleranfälligen Bestimmung der materiellen Entscheidungsfreiheit entwickelt werden. Ebenso wird nicht der Wert einer teilweise materiell freien Entscheidung einbezogen. Stattdessen geht es hier um einen genuinen Eigenwert der formellen Entscheidungsfreiheit des Geschützten in seinen Angelegenheiten. Ein solcher Eigenwert würde den dienenden Zweck der Vertragsfreiheit substantiell erweitern, weil die formell freie Entscheidung nicht die Abwesenheit von Selbstbestimmungsdefiziten verlangt. Der formell freien Entscheidung wird häufig kein Eigenwert zugewiesen,267 oder er wird als gering und schwer feststellbarer angesehen.268 Zuweilen wird ein Eigenwert der formell freien Entscheidung aber angenommen und primär mit einem Lerneffekt der Parteien begründet.269 Der Mensch lerne aus seinen Fehlern; auch die formell freie aber materiell defizitäre Entscheidung habe für ihn einen Wert, da sie in Zukunft zu einer besseren Entscheidung führt.270 Jedoch ist hier bereits problematisch, von einem Selbstweck der Entscheidungsfreiheit zu sprechen. Vielmehr wird die gegenwärtige Entscheidung in den Dienst des zukünftigen richtigen Ergebnisses gestellt. Dieser Effekt sollte damit besser als dienender Zweck der Vertragsfreiheit eingeordnet werden.271 Abgesehen von der formalen Kritik können zudem unübliche oder sogar einmalige Entscheidungen nicht zu einem Lerneffekt führen.272 Gleiches gilt für Entscheidungen, die zwar häufig anfallen, deren negative Folge jedoch selten eintreten.273 Denn in beiden Fällen ist es für den Betroffenen unmöglich, signifikante Erfahrungen zu sammeln. Dann bleibt ein Lerneffekt aus. Zudem ist der Lerneffekt nur bei bestimmten Defizittypen einschlägig. So können manche Rationalitätsdefizite nicht abtrainiert werden,274 und bei so manchem allgemeinen Verhandlungsungleichgewicht ist ein Lerneffekt schwerlich zu konstruieren. Somit ist der Lerneffekt auch aus inhaltlichen Gründen mit Vorsicht zu genießen. Dennoch kann er in 265

Dazu BVerfGE 89, 214, 232. Dazu Canaris, AcP 200 (2000), 273, 300. 267 Ähnlich bewertend Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 93, mit Fn. 71. 268 Vgl. bspw. ebd., S. 93 m. w. N.; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 163 f.; aus der US-amerikanischen Lit. Clark, 89 Colum. L. Rev. 1703, 1716 (1989); aus der philosophischen Lit. Regan, in: Paternalism, 1983, S. 113, 116. 269 So Burrows, 45 Oxford Econ. Papers 542; 555 (1993) m. w. N.; auf diese Argumentation hinw. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 163. 270 Aus der philosophischen Lit. vgl. Regan, in: Paternalism, 1983, S. 113, 115 f. 271 Aus der philosophischen Lit. vgl. Dworkin, 7 Midwest Studies in Philosophy 47, 59 (1982), der den Lerneffekt als Grund eines instrumentalen Werts ansieht. 272 Vgl. Burrows, 45 Oxford Econ. Papers 542, 557 (1993). 273 Vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 146. 274 Vgl. ebd., S. 164, 192, 207, 244. 266

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einigen Fällen dazu führen, dass der Zweck der Vertragsfreiheit auch greift, wenn eine materiell unfreie Entscheidung vorliegt. Sekundär wird der Selbstzweck der Entscheidungsfreiheit in eigenen Angelegenheiten damit begründet, dass schon die Entscheidungsfreiheit an sich ein angenehmes Gefühl der Kontrolle vermittelt, welches zum Wohlbefinden des Entscheiders beiträgt.275 Zwar bezeichnet eine Literaturstimme diesen Gedankengang ohne weitere Begründung als zirkulär,276 dennoch sollte er mehr beachtet werden. Denn es leuchtet bereits intuitiv ein, dass nicht nur das Erreichen des eigenen Ziels, sondern auch das Erlebnis der freien Entscheidung Wohlbefinden auslöst. Zudem gibt es hierfür empirische Belege: Die empirische Forschung in der Psychologie hat gezeigt, dass nicht nur das Erreichen des Ziels, sondern auch die Art und Weise des Erreichens für den Menschen eine Rolle spielt.277 So führt alleine die Entscheidungsfreiheit während des Prozesses der Zielverfolgung zu Wohlbefinden und aus ihrem Fehlen ergeben sich – zum Beispiel bei externer Regulierung – negative psychische Auswirkungen, in extremen Fällen sogar Depressionen.278 Für diese Auswirkung ist das Freiheitserlebnis maßgeblich,279 also weder das Erreichen des eigenen Ziels noch die tatsächliche materielle Entscheidungsfreiheit relevant. Zudem tritt das Phänomen nicht nur bei einzelnen Individuen auf. Vielmehr findet es sich durch verschiedene Kulturen hinweg als universelles Grundbedürfnis des Menschen.280 Das intuitive und empirisch belegte Wohlbefinden legt seine normative Nachzeichnung nahe. Deswegen deutet es auf einen rechtlichen Eigenwert der frei erlebten Entscheidung. Wenn die Entscheidung zum Vertragsschluss führt, ist dieser Eigenwert unter dem Dach der Vertragsfreiheit richtig aufgehoben.281 Mit ihm läuft 275

Vgl. ebd., S. 163; vgl. auch Burrows, 45 Oxford Econ. Papers 542, 556 (1993) mit Verweis auf Gahagan, in: Textbook of Psychology, 1991, S. 659, 673. 276 Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013 S. 163. 277 Vgl. Deci/Ryan, 11 Psychological Inquiry 227, 236, 239, 243 (2000); aus der ökonomischen Lit. s. a Sen, Commodities and Capabilities, 1985, S. 69 f.; Frey u. a., 160 JITE 377 (2004); Bartling u. a., University of Zurich, Department of Economics Working Paper No. 120. 278 Vgl. Deci/Ryan, 11 Psychological Inquiry 227, 229 f., 232 ff., 244, 247 f. (2000), mit Verweisen auf verschiedene Studien; darauf bezugnehmend Brandstätter u. a., Intrinsische Motivation, 2013, S. 93; vgl. auch Gahagan, in: Textbook of Psychology, 1991, S. 659, 673, mit Verweis auf weitere Studien; in die Richtung aus der ökonomischen Lit. Sen, Commodities and Capabilities, 1985, S. 69 f.; Frey u. a., 160 JITE 377, 385 f., 397 (2004). 279 Vgl. Deci/Ryan, 11 Psychological Inquiry 227, 231, 243 (2000); Brandstätter u. a., Intrinsische Motivation, 2013, S. 93; aus der ökonomischen Lit. vgl. Frey u. a., 160 JITE 377, 397 (2004). 280 Vgl. Deci/Ryan, 11 Psychological Inquiry 227, 231, 240, 246 ff. (2000); s. aber Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 164, der eine starke Abhängigkeit von Person zu Person behauptet. 281 Der intrinsische Wert der Entscheidungsfreiheit muss nicht als Selbstzweck angesehen werde, er kann auch in die dienende Funktion der Vertragsfreiheit eingebettet werden. Dafür könnte der Wert einer freien Entscheidung in die Präferenzen des Betroffenen integriert und so bei der Bestimmung des richtigen Ergebnisses einbezogen werden. Die Einordnung macht keinen substanziellen Unterschied.

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der Zweck der Vertragsfreiheit auch dann nicht leer, wenn eine als frei erlebte, aber materiell unfreie Entscheidung gegeben ist, was etwa bei unerkannten Rationalitätsdefiziten aktuell werden kann. Gleiches gilt für ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht, soweit die Entscheidung noch als eigene erlebt wird. Ein Zirkelschluss ist hierbei nicht ersichtlich. Ein Eigenwert der lediglich formell freien Entscheidung wird nicht nur von empirischen Erkenntnissen nahegelegt. Vielmehr gibt es entsprechende normative Anhaltspunkte im positiven Recht. Zunächst spricht das BGB für einen Eigenwert der formellen Entscheidungsfreiheit: Grundsätzlich muss und darf sich der Bürger an seinem geäußerten rechtlichen Willen festhalten lassen. Nur in besonders schwerwiegenden Fällen sind Korrekturen aufgrund von Selbstbestimmungsdefiziten vorgesehen, beispielsweise bei Geschäftsunfähigkeit (§§ 104 ff. BGB), Irrtum bezüglich der Willenserklärung (§ 119 BGB), Drohung und vorsätzlicher Täuschung (§ 123 BGB) sowie Wucher (§ 138 Abs. 2 BGB).282 Mangels expliziter Regelung erklärt das Gesetz – abgesehen von solchen Extremfällen – Selbstbestimmungsdefizite für unbeachtlich; Beispiele für solche unbeachtlichen Selbstbestimmungsdefizite sind Irrtümer im Vorfeld des Vertragsschlusses oder ein tatsächliches allgemeines Verhandlungsungleichgewicht. Diese formelle Freiheit wird aber von vielen materiellen Korrekturen überlagert,283 beispielsweise AGB-Kontrolle (§§ 305 ff. BGB), Verbraucherschutz (§§ 312 ff., 355 ff., 491 ff. BGB), Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) und großzügige Einzelfallanwendungen des § 242 BGB beziehungsweise des § 138 Abs. 1 BGB.284 Darüber hinaus wurde zeitweilig sogar die Einführung einer zusätzlichen Generalklausel gefordert, die eine umfassende inhaltliche Kontrolle von Verträgen ermöglicht.285 Nichtsdestotrotz vermögen die materiellen Überlagerungen nicht zu ändern, dass auch das heutige BGB bewusst nicht jedes Selbstbestimmungsdefizit korrigiert – etwa lassen „selbst massive Zwangslagen die Verbindlichkeiten eines Vertrags grundsätzlich unberührt.“286 Gleichfalls führen Irrtümer bei der Willensbildung in der Regel zu keiner Korrektur. Das ist einmal auf Verkehrssicherheitsaspekte zurückzuführen287 und auf die Vertragsfreiheit des Gegenübers. Es liegt aber nahe, es ebenfalls auf den Respekt vor der formell freien Entscheidung des mündigen Bürgers zu stützen. 282

Vgl. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 280. Ausf. zur Materialisierung der Vertragsfreiheit Canaris, AcP 200 (2000), 273, 276, 292; s. a. Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 5: „Die jüngere Generation der Zivilrechtswissenschaftler scheint sich eher zu freuen, freischwebend der Angemessenheitskontrolle von Verträgen nähertreten zu können.“ 284 Zu letzterem BVerfGE 89, 214; BVerfG, Beschl. v. 5. 8. 1994 – 1 BvR 1402/89, NJW 1994, 2749; BVerfG, Beschl. v. 2. 5. 1996 – 1 BvR 696/96, NJW 1996, 2021. 285 So Wiedemann, JZ 1990, 691, 696 f. 286 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 278. 287 Vgl. Bydlinski, Privatautonomie, 1967, S. 65 f.; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 279; s. a. BVerfGE 89, 214, 232. 283

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Korrespondierend dazu können für den Eigenwert der formell freien Entscheidung die Grundrechte ins Feld geführt werden. Die Grundrechte waren ursprünglich lediglich subjektive Abwehrrechte gegen den Staat.288 Dahinter steht die liberale Interpretation der Grundrechte, die davon ausgeht, dass die Freiheit des Einzelnen auf natürlicher Weise vorhanden ist und nicht erst durch den Staat konstituiert wird.289 Damit ist nicht gemeint, dass der Staat keine Rahmenregelungen schaffen muss, beispielsweise für den Vertragsschluss und die Durchsetzung von Verträgen. Die Rahmenregelungen müssen aber nicht die materielle Selbstbestimmung gewährleisten, da sie bereits vorhanden ist. Insoweit wird formelle Freiheit und materiellen Freiheit gleichgesetzt und mit der liberalen Interpretation der Grundrechte bereits der formellen Selbstbestimmung ein Eigenwert zugewiesen. Nun wurde die liberale Interpretation der Grundrechte erweitert, etwa mit der Figur der objektiven Wertordnung der Grundrechte und mit der Entwicklung von Schutzpflichten.290 Durch diese Interpretationen wird dem Staat auferlegt, die materielle Freiheit zu gewährleisten. Somit werden die Grundrechte heutzutage nicht mehr ausschließlich in diesem Sinne liberal interpretiert. Aber auch wenn gleichzeitig ihre Funktion als objektive Wertordnung herausgestellt wird, sieht das BVerfG die Grundrechte weiterhin primär als Abwehrrechte an.291 Insoweit weist das Grundgesetz in seiner heutigen Interpretation der formellen Entscheidungsfreiheit des Geschützten einen Eigenwert zu. Nach alledem streiten sowohl empirische Erkenntnisse als auch entsprechende Anhaltspunkte im positiven Recht für einen Eigenwert der formellen Entscheidungsfreiheit des Geschützten in seinen Angelegenheiten.292 Obwohl gegenteiliges vertreten wird, sollte der Staat deswegen auch gegenüber Entscheidungen Respekt haben, soweit sie auf Selbstbestimmungsdefiziten beruhen.293 288

Vgl. Stern/Sachs, Staatsrecht der BRD, 1988 – 1994, S. 69. Vgl. Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1530. 290 Für einen historischen Abriss über die Entwicklung der Grundrechte als objektive Wertordnung s. Stern/Sachs, Staatsrecht der BRD, 1988 – 1994, S. 69 ff.; zu Schutzpflichten des Staates s. u. Teil 2 – B.III. 291 Vgl. BVerfGE 7, 198 („Lüth“), 1. LS; zu dem Verhältnis von den Grundrechten als Freiheitsrechte und den Grundrechten als objektive Wertordnung BVerfGE 50, 290, 337. 292 I. E. für einen Eigenwert der formell freien Entscheidung auch Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 94, 99, der ihn aber nicht hoch gewichtend; wohl auch für einen Wert der formell freien Entscheidung Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 59 ff.; aus der philosophischen Lit. vgl. Regan, in: Paternalism, 1983, S. 113, 116. 293 In neuerer Zeit wird Gegenteiliges bspw. vertreten bei Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 76, der aber dennoch eine Erforderlichkeit verlangt und die Anwendbarkeit der allgm. Schranken-Schranken vertritt; auf solche Positionen hinw. Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 93, 439 mit Nachw. auf die Lit.; in Richtung einer solche Position auch BVerfGE 81, 242, 254 f.; im Anschluss ebenfalls BVerfG, Urt. v. 6. 2. 2001 – 1 BvR 12/92, NJW 2001, 957, 958: „Die durch Art. 2 I GG gewährleistete Privatautonomie setzt voraus, dass die Bedingungen der Selbstbestimmung des Einzelnen auch tatsächlich gegeben sind.“ Das Urteil ist hier wohl aber nicht wörtlich auszulegen. Gemeint ist eher, dass ein Eingriff in die 289

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II. Typen des Eingriffs in die Vertragsfreiheit 1. Fremdinteressenschutz Es gibt verschiedene Typen des Eingriffs in die Vertragsfreiheit. Zunächst kann der Staat in die Vertragsfreiheit eingreifen, um Fremdinteressen zu schützen. Die Legitimität des Fremdinteressenschutzes ergibt sich bereits aus dem dienenden Zweck der Vertragsfreiheit, denn die Tendenz zu Gerechtigkeit beziehungsweise die Tendenz zu Effizienz werden durch den Eingriff in Fremdinteressen beeinträchtigt.294 Zudem stellt der Eingriff in Fremdinteressen durch die Vertragsparteien eine Fremdbestimmung und keine Selbstbestimmung dar. Damit steht die materielle Selbstbestimmung als Selbstzweck im Rahmen der Vertragsfreiheit dem Fremdinteressenschutz jedenfalls nicht entgegen. Neben dem Zweck der Vertragsfreiheit kann die Legitimität des Fremdinteressenschutzes mit Rechten Dritter begründet werden. Nach alledem verwundert es nicht, dass der Schutz von Fremdinteressen als „zweifellos“ legitim angesehen wird.295 Es ist aber zu bedenken, dass aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse bei Vertragsschluss grundsätzlich die direkt betroffenen Personen zugestimmt haben. Daher wird der Fremdinteressenschutz bei der Vertragsfreiheit nur aktuell, wenn relevante Drittinteressen mittelbar betroffen sind oder die direkt Betroffenen ausnahmsweise nicht zugestimmt haben. So einfach wie die Beantwortung der grundsätzlichen Legitimität des Fremdinteressenschutzes, so schwierig ist die Beantwortung der Folgefragen: Dient die betroffene Regelung dem Fremdinteresse, dem Eigeninteresse oder beidem?296 Soweit relevante Interessen anderer gefährdet sind, überwiegen sie die Interessen des Betroffenen? Die Beantwortung dieser Fragen für den speziellen Fall der Treueplicht soll der konkreten Diskussion um ihre Abdingbarkeit überlassen werden.297 2. Weicher Paternalismus Als legitimer Eingriffstyp kommt aber nicht nur der Schutz von Fremdinteressen in Betracht. Ein Eingriff in die Vertragsfreiheit kann auch zum Wohl des Betroffenen selbst erfolgen, wobei von Paternalismus gesprochen wird.298 Zunächst kann der Privatautonomie bei fehlender materieller Selbstbestimmungsfreiheit gerechtfertigt und geboten sein kann. Nicht gemeint ist, dass er nicht an der Privatautonomie gemessen werden muss. 294 s. o. Teil 2 – B.I.1. 295 Für diese Bewertung vgl. Singer, JZ 1995, 1133, 1133. 296 Auf diese Schwierigkeit hinw. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 67. 297 s. u. Teil 3 – A.IV.1. 298 Vgl. van Aaken, in: Paternalismus & Recht, 2006, S. 109, 110; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 11 ff.; aus der philosophischen Diskussion vgl. Dworkin, in: Paternalism, 1983, S. 19, 20; Dworkin, in: Paternalism, 1983, S. 105, 105 f.; zu den umstrittenen Einzelheiten, die hier nicht weiter relevant sind, ausf. Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 7 ff.

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Betroffene weich-paternalistisch eingeschränkt werden. Zuweilen wird weicher Paternalismus angenommen, wenn keine zwingenden Regeln vorliegen, sondern wenn der Betroffene lediglich in die vermeintlich richtige Richtung geschubst wird.299 Damit wird für die Klassifizierung als weicher Paternalismus an das Eingriffsmittel angeknüpft. Der Begriff des weichen Paternalismus wurde aber ursprünglich anders geprägt, er wurde als Eingriff aufgrund eines bestimmten Zwecks geschaffen.300 Auf diese ursprüngliche Bedeutung soll hier abgestellt werden. Der Zweck des Eingriffs wird dann auf verschiedene Weise definiert: Meist wird darauf abgestellt, dass die Regelung den Zweck hat, den Betroffenen vor Selbstbestimmungsdefiziten zu schützen.301 Teilweise wird darauf abgestellt, dass die Regelung den Betroffenen dazu bringen soll, sich anhand seiner wirklichen Präferenzen zu entscheiden.302 Die zweite Formulierung berücksichtigt nicht, dass die Präferenzen des Betroffenen instabil sein können.303 Abgesehen davon beschreiben beide Definitionen den gleichen Inhalt aus unterschiedlicher Perspektive, erstere knüpft an die Störung an, letztere an den Idealzustand. Indem der weiche Paternalismus Selbstbestimmungsdefizite des Betroffenen verhindert beziehungsweise die Entscheidung anhand seiner Präferenzen fördert, verfolgt er die materielle Entscheidungsfreiheit des Betroffenen. Erst durch die materiell freie Entscheidung gewährleistet das Ergebnis des Vertragsschlusses eine Tendenz zu Gerechtigkeit und Effizienz.304 Außerdem wird mit der materiellen Entscheidungsfreiheit die materielle Selbstbestimmung als Selbstzweck unterstützt.305 Deswegen ist die Verfolgung der materiellen Entscheidungsfreiheit ein legitimes Ziel des Staates, unabhängig davon, ob man auf den dienenden Zweck der Vertragsfreiheit abstellt oder die materielle Selbstbestimmung als Selbstzweck be-

299 Vgl. Sneirson, Wis. L. Rev. 2008, 899, 921 (2008): „In contrast to traditional or hard paternalism, which tends to be coercive, soft paternalism seeks to achieve the same results while preserving freedom of choice. To accomplish this, choices are skewed and choosers are nudged to encourage them to make decisions thought to be in their best interests.“ Für diesen weichen Paternalismus verweist Sneirson auf Thaler/Sunstein, 93 Am. Econ. Rev. 175 (2003) und Thaler/Sunstein, Nudge, 2009; Thaler und Sunstein nennen solchen Paternalismus aber zumeist libertarian paternalism und nicht soft paternalism. 300 s. Feinberg, in: Paternalism, 1983, S. 3, 17. 301 So etwa Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 20 f.; aus der philosophischen Lit. Feinberg, in: Paternalism, 1983, S. 3, 17, der aber statt von Selbstbestimmungsdefiziten von Unfreiwilligkeit spricht; s. a. Dworkin, in: Paternalism, 1983, S. 105, 107. 302 Darauf hinw. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 23, mit Verweisen auf die philosophische Lit. 303 Die Begriffsbestimmung dahingehend kritisierend Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 23; s. a. bereits aus der philosophischen Lit. Regan, in: Paternalism, 1983, S. 113, 116. 304 Zum Vorst. s. o. Teil 2 – B.I.1. 305 Zur materiellen Selbstbestimmung als Zweck der Vertragsfreiheit s. o. Teil 2 – B.I.2.

B. Fundament einer Abdingbarkeit – Aspekte der Vertragsfreiheit

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müht. Folglich ist der weiche Paternalismus mit der herrschenden Meinung sinnvollerweise ein legitimer Typ des Eingriffs in die Vertragsfreiheit.306 Größere Schwierigkeiten als die Frage nach der grundsätzlichen Legitimität des Eingriffs bereitet die Einordnung einer konkreten Maßnahme als weich-paternalistisch. Die Einordnung hat zunächst damit zu kämpfen, dass dem Betroffenen seine tatsächlichen Präferenzen und seine Selbstbestimmungsdefizite nicht auf der Stirn geschrieben stehen. Um die Einordnungsschwierigkeiten zu überwinden, wird deswegen häufig das Ergebnis an eigenen oder vermeintlich objektivierten Vorstellungen gemessen: Das Ergebnis widerspricht so evident diesen Wertvorstellungen, dass eine materiell unfreie Entscheidung vorgelegen haben muss.307 Wenn die angelegten Wertvorstellungen nicht mit den tatsächlichen Wertvorstellungen des Betroffenen zusammenfallen, wird dabei aber nicht mehr seine materielle Entscheidungsfreiheit verfolgt. Gleiches gilt bei einer sachlichen Fehleinschätzung des Bewertenden. Dann wird das Feld des weichen Paternalismus – meist unbemerkt – verlassen. Dabei ist besonders problematisch, dass eine solche Überschreitung des weichen Paternalismus kaum zu belegen ist,308 weil für seine Begründung an subjektive Erfahrungen und Postulate angeknüpft wird. Dadurch wird der Willkür des Staates Tür und Tor geöffnet – spätestens bei einer großzügigen Handhabung der Vermutung. Gerade in letzter Zeit hat aber Schmolke gezeigt, dass sich diese Einordnungsprobleme relativieren, wenn für die Begründung von Selbstbestimmungsdefiziten auf empirisch belegte Rationalitätsdefizite abgestellt wird; denn das kann „rationalisierende“ und „disziplinierende Wirkung“ für den Staat entfalten.309 So können empirische Erkenntnisse empirisch überprüft werden. Zudem können sie zuverlässiger sein als allgemeine Erfahrungssätze oder die Begründung anhand vermeintlich objektivierter Präferenzen. Neben Rationalitätsdefiziten können Selbstbestimmungsdefizite zudem aus typischen Informationsdefiziten gefolgert oder von einem allgemeinen Verhandlungsungleichgewicht nahegelegt werden.310 Ein weiteres Einordnungsproblem wird aber bezüglich der Intensität des Selbstbestimmungsdefizits gesehen; so wird als Anknüpfungspunkt für den weichen Paternalismus ein Selbstbestimmungsdefizit mit gewissem Gewicht verlangt.311 Jedoch ist die Verfolgung der materiellen Entscheidungsfreiheit unabhängig von der Intensität eines Selbstbestimmungsdefizits gegeben, weswegen eine Ausnahme 306 Die Legitimität als allgm. anerkannt bezeichnend Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 42, 138, 148 f.; ähnlich bewertend auch Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 63 ff. 307 Aus der philosophischen Lit. vgl. Feinberg, in: Paternalism, 1983, S. 3, 9. 308 Aus der philosophischen Lit. vgl. Dworkin, in: Paternalism, 1983, S. 105, S. 109. 309 Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 245, 247. 310 Vgl. BVerfGE 81, 242, 255. 311 So Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 17; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 21 f.

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Teil 2: Allgemeiner Teil

wenig intensiver Selbstbestimmungsdefizite aus der Kategorie des weichen Paternalismus nicht sinnvoll ist. Dem Intensitätsproblem ist vielmehr auf zweiter Stufe zu begegnen, wenn andere Rechtspositionen einbezogen werden.312 Zuweilen wird zusätzlich der Schutz der zukünftigen Entscheidungsfreiheit als weich-paternalistisch im weiteren Sinne angesehen.313 Diese Einordnung findet ihren Grund wohl darin, dass vermeintlich die materielle Entscheidungsfreiheit des Betroffenen verfolgt wird. Jedoch geht es beim Schutz der zukünftigen Entscheidungsfreiheit nicht um die Verfolgung der materiellen Entscheidungsfreiheit, sondern um eine gegenwärtige Gewichtungsfrage: Ist die gegenwärtige Freiheit, sich selbst zu binden, oder die zukünftige Freiheit, nun zu entscheiden, schwerwiegender? Jede externe Antwort auf diese Frage, mag sie noch so sachgerecht sein, schützt nicht die materielle Entscheidungsfreiheit.314 Vielmehr oktroyiert sie eine äußere Wertvorstellung über das Verhältnis von gegenwärtiger und zukünftiger Entscheidungsfreiheit.315 Nun wird vertreten, dass ein Unterlassen ebenfalls eine Gewichtung darstellt, es werde mit dem Unterlassen die gegenwärtige Entscheidungsfreiheit präferiert.316 Dem ist nicht so. Es wird stattdessen dem Betroffenen die Entscheidung überlassen, ob er die gegenwärtige oder die zukünftige Entscheidungsfreiheit bevorzugt. Nach alledem ist der vermeintliche Schutz der zukünftigen Entscheidungsfreiheit nicht als weicher Paternalismus zu klassifizieren, solange der Betroffene bei seiner Entscheidung keinen gegenwärtigen Selbstbestimmungsdefiziten erliegt. Freilich liegt bei einer langfristigen Bindung ein gegenwärtiges Selbstbestimmungsdefizit nahe.317 Auch wenn tatsächlich eine weich-paternalistische Maßnahme vorliegt, stellen sich auf zweiter Stufe Folgeprobleme. So muss eine solche Maßnahme – wie jedes grundrechtsrelevante staatliche Handeln – geeignet sein, ihr Ziel zu erreichen. Außerdem muss die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gewahrt werden.318 Die Erforderlichkeit ist gegeben, wenn kein milderes Mittel bereitsteht, wobei andere Rechtspositionen noch keine Rolle spielen. Weiter geht die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, bei der gewichtige andere Rechtspositionen zu beachten sind. Nachdem die lediglich formelle Selbstbestimmung einen Eigenwert hat,319 ist insbesondere dieser Eigenwert zu berücksichtigen. Außerdem müssen 312

s. sogl. So Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 17. 314 Anders Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 61; wie Enderlein aus der philosophischen Lit. Dworkin, in: Paternalism, 1983, S. 19, 27 f., der in dem Schutz der vermeintlich zukünftigen Entscheidungsfreiheit einen (weich-paternalistischen) legitimen Eingriff sieht, daran aber später zweifelt, vgl. Dworkin, in: Paternalism, 1983, S. 105. 315 Das als advocatus diaboli anführend Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 60; s. a. Dworkin, in: Paternalism, 1983, S. 105. 316 Zum Vorst. vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 61. 317 Zu Rationalitätsdefiziten bei langfristiger Bindung unten Teil 3 – A.IV.2.b). 318 Vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 69 ff. 319 s. o. Teil 2 – B.I.3. 313

B. Fundament einer Abdingbarkeit – Aspekte der Vertragsfreiheit

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bedacht werden: Die materielle Selbstbestimmung der anderen Parteien,320 der Kollateralschaden einer typisierenden Maßnahme,321 und auf der anderen Seite der Grad des Selbstbestimmungsdefizits. Zusammenfassend ist der weiche Paternalismus mit der herrschenden Meinung sinnvollerweise legitim, wobei als weicher Paternalismus der Schutz vor Selbstbestimmungsdefiziten zu verstehen ist. Bei der Einordnung als weich-paternalistische Maßnahme ist jedoch Vorsicht geboten. Zudem sind gewichtige andere Rechtspositionen zu beachten. Die Abgrenzung zum harten Paternalismus und die Abwägung der entgegenstehenden Rechtspositionen für den speziellen Fall der Treuepflicht soll der konkreten Diskussion um ihre Abdingbarkeit überlassen werden.322 3. Harter Paternalismus Weiterhin kann der Staat hart paternalistisch eingreifen. Auch ein solcher Eingriff schützt das Wohl des Betroffenen selbst. Jedoch wird im Gegensatz zum weichen Paternalismus nicht die materielle Entscheidungsfreiheit des Betroffenen verfolgt. Stattdessen wird der Betroffene entgegen seiner materiell freien Entscheidung vor vermeintlich unerwünschten Konsequenzen geschützt.323 Folglich werden ihm äußere Werte aufgedrängt, weswegen die Legitimität dieses Eingriffstyps problematischer ist. So steht dieser Eingriffstyp zunächst mit dem dienenden Zweck der Vertragsfreiheit in Widerspruch, weil maßgeblich für Gerechtigkeit beziehungsweise Effizienz die subjektiven Präferenzen der Parteien und damit gerade nicht externe Werte waren.324 Zudem kann weder der Schutz der materiellen Entscheidungsfreiheit noch der Schutz der formellen Entscheidungsfreiheit die Oktroyierung fremder Werte legitimieren. Denn bei der materiellen Entscheidungsfreiheit sind alleine die tatsächlichen Präferenzen des Geschützten maßgeblich, nicht äußere Werte, und der Schutz der formellen Entscheidungsfreiheit kann einen staatlichen Eingriff nur verbieten, nicht aber stützen. Außerdem wirft der harte Paternalismus aufgrund der Konzeption der Grundrechte Probleme auf. Die Grundrechte waren ursprünglich als subjektive Freiheitsrechte gegenüber dem Staat gedacht.325 Einem solchen liberalen Verständnis ist der staatliche Schutz des Betroffenen aufgrund externer Werte fremd.326 Mit der Zeit entwickelte sich aber die Figur der objektiven Werteordnung der Grundrechte327 und 320

Ähnlicher Gedanke bei Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 77. Dazu ebd., S. 250 ff. 322 s. u. Teil 3 – A.IV.2. 323 Grundl. aus der philosophischen Lit. Feinberg, in: Paternalism, 1983, S. 3, 17. 324 s. o. Teil 2 – B.I.1. 325 Vgl. Stern/Sachs, Staatsrecht der BRD, 1988 – 1994, S. 69. 326 Vgl. Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1530 f. 327 Für einen historischen Abriss über die Entwicklung der Grundrechte als objektive Wertordnung s. Stern/Sachs, Staatsrecht der BRD, 1988 – 1994, S. 69 ff. 321

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Teil 2: Allgemeiner Teil

ähnliche Figuren,328 mit denen die Ausstrahlung der Grundrechte auf andere Rechtsgebiete begründet329 oder eine Pflicht des Staates hergeleitet wird, den Betroffenen vor Selbstbestimmungsdefiziten zu schützen.330 Jedoch werden weder bei der Ausstrahlung der Grundrechte noch bei dem Schutz vor Selbstbestimmungsdefiziten fremde Werte aufgedrängt. Deswegen können solche Interpretationen der Grundrechte keinen harten Paternalismus rechtfertigen.331 Die modernen Interpretationen der Grundrechte sind aber nicht bei der Ausstrahlungswirkung und der Entwicklung von Schutzplichten stehen geblieben. Vielmehr wurde teilweise die Wirkweise der Grundrechte fundamentaler verändert. So schützt mit bestimmten moderneren Interpretationen das jeweilige Grundrecht nicht mehr die freie Ausübung des betroffenen Rechts und die Verfügung über das berührte Gut. Stattdessen wird die Freiheit lediglich funktional in Bezug auf das objektivierte zugrundeliegende Gut gewahrt.332 Folglich könnte nicht nur der Schutz der Freiheit, sondern auch der Schutz des objektivierten Guts als legitimer Zweck eines staatlichen Eingriffs dienen.333 Konkret und etwas vereinfacht: Nicht die Freiheit, das eigene Leben zu führen und über das eigene Leben zu verfügen, sondern das objektivierte Leben an sich ist geschützt. Mit diesem Verständnis könnte der Betroffene auch aufgrund des Guts geschützt werden, wenn er das Gut nicht wertschätzt oder die konkrete Interpretation des Gutes nicht teilt. Dann wäre harter Paternalismus mit der Konzeption der Grundrechte vereinbar. So argumentiert das BVerwG334 im Peep-Show-Urteil. Diese Argumentation des BVerwG wird aber im Schrifttum von der „überwältigenden Mehrheit“ abgelehnt.335 Die Ablehnung einer solchen Argumentation ist nicht verwunderlich. Denn bei der Anknüpfung an externe Werte entscheidet nicht mehr der Einzelne selbst, sondern die Gemeinschaft über seine Ziele. Damit wird der Mensch nicht mehr als Subjekt angesehen, sondern zur Verwirklichung fremder Vorstellungen instrumentalisiert. Daher rüttelt ein paternalistischer Eingriff aufgrund externer Werte an der Würde des Betroffenen.336 Spätestens aus diesem Grund leuchtet es ein, dass der harte Paternalismus laut Schmolke von der herrschenden Lehre im Staatsrecht als 328 Zu den verschiedenen Interpretationen der Grundrechte im Überblick Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1530 ff. 329 So grundl. BVerfGE 7, 198 („Lüth“), 206; das als st. Rspr. bezeichnend BVerfGE 73, 261, 269. 330 Dazu ausf. unten Teil 2 – B.III. 331 Vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 144 f. 332 Vgl. Böckenförde, NJW 1974, 1529, 1533, 1535. 333 Beides als möglichen Grund für einen Eingriff anführend Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, S. 48, 95. 334 BVerwGE 64, 274 („Peep-Show“). 335 So bewertend Singer, JZ 1995, 1133, 1135 mit umfangr. Nachw.; vgl. auch Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 160 m. w. N. 336 Zum Vorst. vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus, 1996, S. 153 f., mit Verweis auf die Rspr. des BVerfG.

B. Fundament einer Abdingbarkeit – Aspekte der Vertragsfreiheit

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illegitim angesehen wird.337 Dennoch lässt die wohl herrschende Meinung im Zivilrecht einen hart paternalistischen Eingriff in Extremfällen zu,338 namentlich bei der endgültigen und umfassenden Aufgabe selbstbestimmter Lebensführung aufgrund von Selbstversklavung.339 Nach alledem sind hart-paternalistische Argumente bei der späteren Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht grundsätzlich nicht oder allenfalls dann zulässig, wenn extreme Fälle anzunehmen wären.

III. Schutzpflicht aus der Vertragsfreiheit Die Vertragsfreiheit kann nicht nur den Eingriff aufgrund bestimmter Zwecke verbieten, sondern auch gebieten. Hierfür können erneut die Grundrechte angeführt werden. Nun sind sie zunächst Abwehrrechte gegen den Staat.340 Jedoch ist ihre Ausübung in bestimmten Situationen faktisch unmöglich. Dann kann ein Eingreifen des Staates geboten sein, was als Schutzpflicht bezeichnet wird. Die Unmöglichkeit der freiheitlichen Ausübung kann verschiedene Ursachentypen haben. So kann sich eine Schutzpflicht daraus ergeben, dass andere die Betätigung der Freiheit beeinträchtigen (Schutz vor Fremdeingriffen; aus anderer Perspektive: Schutz von Fremdinteressen).341 Auch kann das Eingreifen des Staates geboten sein, weil Gründe in dem Betroffenen selbst vorliegen, welche die Ausübung seine Grundrechte beeinträchtigen (Paternalismus).342 Hierbei ist mit obiger Argumentation343 grundsätzlich nur der Schutz der freiheitlichen Ausübung des Grundrechts zulässig (weicher Paternalismus),344 nicht aber der Schutz eines fremden Wertes (harter Paternalismus).345 Die Schutzpflicht des Staates kann zunächst de lege ferenda aktuell werden. So kann sie den Gesetzgeber dazu anhalten, eine Regelung zu treffen.346 Gleichfalls kann die Schutzpflicht de lege lata relevant sein: Nicht nur der Gesetzgeber ist an die Grundrechte gebunden, sondern auch der Zivilrichter muss sie unmittelbar in ihrer 337

Vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 57, 84 mit umfangr. Nachw. Vgl. ebd., S. 57 ff., 84 mit umfangr. Nachw. 339 Vgl. ebd., S. 267. 340 Vgl. BVerfGE 7, 198 („Lüth“), 1. LS. 341 Vgl. BVerfG, Urt. v. 6. 2. 2001 – 1 BvR 12/92, NJW 2001, 957, 958 mit umfangr. weiteren Nachw. auf die Rspr. des BVerfG; vgl. auch Hochhut, in: Paternalismus & Recht, 2006, S. 207, 207 f., der das als „Ur-Schutzpflicht“ bezeichnet; s. a. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, S. 38. 342 Vgl. Hochhut, in: Paternalismus & Recht, 2006, S. 207, 208. 343 s. o. Teil 2 – B.II.2.; Teil 2 – B.II.3. 344 Vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, S. 49. 345 Auch den harten Paternalismus zulassend Hochhut, in: Paternalismus & Recht, 2006, S. 207, 209; tlw. harten Paternalismus zulassend wohl auch Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, S. 48. 346 Vgl. BVerfGE 81, 242, 255. 338

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Teil 2: Allgemeiner Teil

Funktion als Schutzgebote beachten.347 Deswegen kann die Schutzpflicht den Richter dazu zwingen, eine Generalklausel auf eine bestimmte Weise auszulegen.348 Das handelnde Organ hat bezüglich der Schutzpflichten aber einen weitreichenden Spielraum.349 Eine Pflicht zum Handeln besteht lediglich, wenn das Untermaßverbot350 missachtet wird, was bei der Vertragsfreiheit der Fall ist, wenn der Richter die Beeinträchtigung der Selbstbestimmung nicht gesehen hat oder den Schutz mit untauglichen Mitteln versucht.351 Zudem ist staatliches Handeln aufgrund einer vermeintlichen Schutzpflicht als allfälliger Grundrechtseingriff rechtfertigungsbedürftig. Deswegen kann eine Schutzpflicht in keinem Fall bestehen, wenn das Handeln die Grundrechte des Betroffenen oder die Grundrechte eines Dritten verletzt. Somit stellen Abwehrrecht und Schutzpflicht den äußeren Rahmen der Handlungsmöglichkeiten des Staates dar,352 wobei der Rahmen des Untermaßverbots elastischer ist als der Rahmen des Übermaßverbots. Die Einordnung der Abdingbarkeit der Treuepflicht innerhalb oder außerhalb des Rahmens zwischen Abwehrrecht und Schutzpflicht soll der späteren konkreten Diskussion vorbehalten bleiben.353 Schon jetzt zeichnet sich aber ab, dass aufgrund des weiten Spielraums eine verfassungsrechtlich zwingende Unabdingbarkeit fernliegt.

IV. Vertragsfreiheit und Abdingbarkeit der Treuepflicht Die Anwendbarkeit der soeben erworbenen Erkenntnisse auf die Abdingbarkeit der Treuepflicht erfordert, dass eine Abbedingung der Treuepflicht nur mit gewillkürter Vereinbarung der unmittelbar Betroffenen möglich ist. Denn lediglich dann gewährleistet die Vertragsfreiheit eine Tendenz zu Gerechtigkeit beziehungsweise Effizienz und nur dann handelt es sich um Selbstbestimmung und nicht um Fremdbestimmung.354 Dabei sind die unmittelbar Betroffenen Treueberechtigte und Treueverpflichtete. 347

Vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, S. 25. Für die Bindung des Richters an die Schutzpflicht bei der Auslegung von Generalklauseln vgl. BVerfGE 81, 242, 256; grundl. zur Beachtung von Grundrechten bei der Auslegung von Generalklauseln BVerfGE 7, 198 („Lüth“), 206; zu methodischen Schwächen im Lüth-Urteil Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, S. 27 ff. 349 Vgl. Canaris, AcP 184 (1984), 201, 245; Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, S. 50. 350 Der Begriff ist zurückzuführen auf Canaris, AcP 184 (1984), 201; s. a. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, S. 39. 351 Zum Vorst. vgl. BVerfGE 89, 214, 234; BVerfG, Beschl. v. 2. 5. 1996 – 1 BvR 696/96, NJW 1996, 2021. 352 Vgl. Starck, in: v. Mangoldt, GG, Art. I Abs. III Rn. 196. 353 s. u. Teil 3 – A.IV.3. 354 Zu der Richtigkeitsgewähr und der Selbstbestimmung, insbesondere zu ihren Voraussetzungen bereits oben Teil 2 – B.I.1.; Teil 2 – B.I.2. 348

B. Fundament einer Abdingbarkeit – Aspekte der Vertragsfreiheit

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Wenig problematisch ist die Notwendigkeit einer Vereinbarung der direkt Betroffenen zum Zeitpunkt der Errichtung der Gesellschaft. Das gilt zunächst für den Gesellschafterbereich. Mit den obigen Ausführungen gründet die Treuepflicht im Gesellschafterbereich auf dem Gesellschaftsvertrag.355 Deswegen wäre für ihre Abbedingung zum Zeitpunkt der Errichtung die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter notwendig, die als Zustimmung für die Gesellschafter selbst und für die Gesellschaftergesamtheit zu sehen ist. Folglich ist mit Gesellschaftern und Gesellschaftergesamtheit die Zustimmung sämtlicher Treueberechtigter und -verpflichteter Voraussetzung.356 Ähnlich unproblematisch gestaltet es sich bei der Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich zum Zeitpunkt der Errichtung der Gesellschaft. Die Treuepflicht basiert dort sowohl auf dem Anstellungsvertrag als auch auf dem Organverhältnis, das als Teil des innerkorporativen Regelungsbereichs durch den Gesellschaftsvertrag abgeändert wird.357 Deshalb ist für die Abbedingung der Treuepflicht im Rahmen des Organisationsverhältnisses die Zustimmung aller Gesellschafter für die Gesellschaftergesamtheit und im Rahmen des Anstellungsverhältnisses die Zustimmung von Gesellschaft und Geschäftsleiter Voraussetzung. Mit der Zustimmung von Gesellschaft und Geschäftsleiter ist die Zustimmung des Treueberechtigten und des Treueverpflichteten notwendig.358 Problematischer ist die Anwendbarkeit der Erkenntnisse bei der nachträglichen Abdingbarkeit. Jedenfalls wenn ein einstimmiger Beschluss für die nachträgliche Abbedingung gefordert würde, ist die Vereinbarung der direkt Betroffenen notwendig, weil dann die Situation identisch mit der Situation zum Zeitpunkt der Errichtung ist. Hingegen fehlt bei einem Mehrheitsbeschluss auf den ersten Blick die Zustimmung der Überstimmten. Eine Zustimmung der Überstimmten kann dann aber bereits in der eingeschränkten Unterwerfung unter den Mehrheitswillen bei Vereinbarung des Gesellschaftsvertrags beziehungsweise bei Erwerb der Anteile gesehen werden. Gerade aufgrund der Einschränkung der Mehrheitsmacht durch die Treuepflicht kommt diese Anknüpfung in Betracht, denn die Treuepflicht zwingt die überstimmenden Gesellschafter dazu, die Interessen der überstimmten Gesellschafter zu berücksichtigen.359 Und selbst wenn vertreten würde, dass für die Zustimmung der Überstimmten nicht auf den Abschluss des Gesellschaftsvertrags oder Erwerb der Anteile abgestellt werden kann, fußen Treuepflicht und ihre Abbedingung zumindest auf einer gewillkürten Regelung eines Großteiles der Betroffenen. Die Erkenntnisse zur Vertragsfreiheit wären deswegen anwendbar, die Interessen der überstimmten Gesellschafter müssten lediglich im Rahmen des Fremdinteressenschutzes berücksichtigt werden. 355

Vgl. Teil 2 – A.V. Zu der Frage, wer im Gesellschafterbereich Treueberechtigter und Treueverpflichteter ist, mit umfangr. Nachw. bereits oben Teil 2 – A.II.2. 357 Vgl. Teil 2 – A.V. 358 Zu der Frage, wer im Geschäftsleiterbereich Treueberechtigter und Treueverpflichteter ist, mit umfangr. Nachw. Teil 2 – A.II.1. 359 Ähnlicher Gedanke bei Paefgen, in: GroßK, GmbHG, § 43 Rn. 14 m. w. N. 356

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Teil 2: Allgemeiner Teil

Jedoch wirft ein möglicher Erwerb der Mitgliedschaft nach Abbedingung der Treuepflicht Probleme auf, weil der Erwerber dann nicht explizit einer vorherigen Abbedingung zustimmen muss. Der Erwerb der Mitgliedschaft erfordert aber einen gewillkürten Rechtsakt, bei dem implizit die Rechte und Pflichten der Mitgliedschaft akzeptiert werden. Damit enthält der Erwerb die Zustimmung zu einer zuvor erfolgten Abbedingung. Nun könnte angeführt werden, dass der Erwerb der Mitgliedschaft nicht immer freiwillig erfolgt, beispielsweise bei einem Erbfall. Dann wird den Interessen der unfreiwillig Betroffenen aber bereits durch das einschlägige Spezialrecht Rechnung getragen, zum Beispiel durch das Erbrecht.360 Zudem profitiert ein unfreiwillig Betroffener von dem Selbstschutz seines Rechtsvorgängers. Somit steht auch der nachträgliche Erwerb der Mitgliedschaft der Anwendbarkeit der obigen Erkenntnisse nicht entgegen. Weiterhin ist aber problematisch, dass für die ethische Richtigkeitsgewähr des Konsenses teilweise gegenläufige Interessen der Vertragspartner verlangt werden.361 Bei Gesellschaftsverträgen liegt in der Regel eine gleichgerichtete Interessenlage vor, da mit ihm per Definition ein gemeinsamer Zweck verfolgt werden soll.362 Auch bei einem Gesellschaftsvertrag gibt es neben gleichlaufenden Interessen aber gegensätzliche Interessen.363 Gerade die Treuepflicht wird aktuell, wenn nicht das Interesse des Vertragspartners verfolgt wird, da ein offenbarer Interessenkonflikt zugrundliegt.364 Damit stehen gleichgerichtete Interessen in der Gesellschaft der Anwendbarkeit der erworbenen Erkenntnisse zur Vertragsfreiheit nicht entgegen. Schließlich ist zu bedenken, dass eine Änderung der Gesellschaftsverhältnisse nicht nur die Gesellschafter betrifft, sondern immer Auswirkungen auf andere Stakeholder der Gesellschaft hat, etwa auf Gläubiger und Arbeitnehmer. Diese Auswirkungen sind aber lediglich mittelbar, denn solche Stakeholder sind weder direkt treueberechtigt noch treueverpflichtet. Deswegen führen diese Auswirkungen nicht zur Unanwendbarkeit der obigen Erkenntnisse, sondern nur zu Besonderheiten bei ihrer Anwendung. So können die Interessen der anderen Stakeholder im Rahmen des Fremdinteressenschutzes zu beachten sein, namentlich können deswegen zusätzlich zu den Minderheitsinteressen, die Interessen von Gläubigern365 und Arbeitnehmern Eingriffe in die Vertragsfreiheit gebieten.366 Außerdem sind gerade im Gesellschaftsrecht Kollektivinteressen zu bedenken.367 360

s. insb. §§ 1942 ff., 1975 ff. BGB, 139 HGB. So Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S. 3, 5. 362 Vgl. § 705 BGB. 363 Vgl. Schmidt-Rimpler, in: FS Raiser, 1974, S. 3, 5, mit Fn. 13. 364 s. o. Teil 2 – A.I.3.b). 365 Ausf. Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 92. 366 Zu Gläubigerinteressen und Arbeitnehmerinteressen als typische Gründe für zwingendes Gesellschaftsrecht Wiedemann, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 5, 7; s. a. Hopt, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 123, 128 ff.; bzgl. Gläubigerinteressen und Minderheitsinteressen vgl. Hommelhoff, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 36, S. 40 ff. 361

B. Fundament einer Abdingbarkeit – Aspekte der Vertragsfreiheit

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Nach alledem sind die Erkenntnisse zur Vertragsfreiheit auf die Abdingbarkeit der Treuepflicht anwendbar. Jedoch ergeben sich bei der Anwendung Besonderheiten. So können im Rahmen des Fremdinteressenschutzes insbesondere Minderheits-, Gläubiger- Arbeitnehmer- und Kollektivinteressen relevant werden.

V. Zwischenergebnis in Thesen 1. a) Die Vertragsfreiheit gewährleistet mit ihrer Richtigkeitsgewähr aus ethischer Perspektive eine Tendenz zu Gerechtigkeit beziehungsweise aus wirtschaftlicher Perspektive eine Tendenz zur effizienten Verteilung von Ressourcen. Diese Tendenzen sind jedenfalls insoweit vergleichbar, als für ihre jeweilige Bewertung die subjektiven Präferenzen der Individuen maßgeblich sind. Zudem wird ihre Verwirklichung jeweils von Eingriffen in Fremdinteressen durch die Parteien und von Selbstbestimmungsdefiziten der Parteien beeinträchtigt. b) Die materielle Selbstbestimmung soll im Rahmen des Zwecks der Vertragsfreiheit einen Eigenwert haben. Jedoch macht es kaum einen Unterschied, ob auf diesen Eigenwert oder auf die Richtigkeitsgewähr der Vertragsfreiheit rekurriert wird, weil die materielle Selbstbestimmung in der Richtigkeitsgewähr der Vertragsfreiheit enthalten ist. c) Die formelle Selbstbestimmung hat im Rahmen der Vertragsfreiheit einen Eigenwert. Der Eigenwert erweitert den Zweck der Vertragsfreiheit, da die formelle Selbstbestimmung nicht die Abwesenheit von Selbstbestimmungsdefiziten voraussetzt. 2. a) Fremdinteressenschutz ist anerkanntermaßen legitim. Es stellen sich aber Einordnungs- und Abwägungsprobleme. Aufgrund der Zustimmung der direkt Betroffenen wird er bei der Vertragsfreiheit grundsätzlich nur am Rande aktuell. b) Beim weichen Paternalismus wird aufgrund von Selbstbestimmungsdefiziten der Parteien eingegriffen. Er ist mit der herrschenden Meinung sinnvollerweise legitim. Selbstbestimmungsdefizite der Parteien können aus Rationalitätsdefiziten und Informationsdefiziten geschlussfolgert werden, weiterhin kann eine objektiv sinnlose Entscheidung auf ein Selbstbestimmungsdefizit hinweisen und schließlich können Selbstbestimmungsdefizite nach dem BVerfG mit einem gewissen Verhandlungsungleichgewicht begründet werden. Bei der Einordnung einer Maßnahme als weich-paternalistisch ist aber Vorsicht geboten. Zudem sind auf der anderen Seite gewichtige andere Rechtspositionen zu berücksichtigen, beispielsweise der Wert der formellen Selbstbestimmung, die materielle Selbstbestimmung der anderen Parteien und ein etwaiger Kollateralschaden typisierender Maßnahmen.

367 Vgl. Hommelhoff, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 36, 42; Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 95 ff.

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Teil 2: Allgemeiner Teil

c) Beim harten Paternalismus werden den Parteien zu ihrem vermeintlichen Wohl externe Werte oktroyiert. Er ist sinnvollerweise nicht und anerkanntermaßen nur in Extremfällen rechtfertigungsfähig, wie etwa bei der Selbstversklavung. 3. Bei der Auslegung von Generalklauseln muss der Richter eine grundrechtliche Schutzpflicht beachten. Die Schutzpflicht kann auf Fremdinteressenschutz und weichen Paternalismus gegründet werden, grundsätzlich aber nicht auf harten Paternalismus. Sie belässt dem Richter einen erheblichen Spielraum. 4. Die vorstehenden Erkenntnisse zur Vertragsfreiheit sind trotz des gesellschaftsrechtlichen Einschlags der Treuepflicht auf ihre Abdingbarkeit anwendbar. Jedoch ergeben sich bei der Anwendung der Erkenntnisse Besonderheiten. So können im Rahmen des Fremdinteressenschutzes insbesondere Minderheits-, Gläubiger- Arbeitnehmer- und Kollektivinteressen relevant werden.

C. Zweckmäßigkeitsprobleme bei richterlichen Billigkeitsspielräumen Sowohl bei der Anwendung der Treuepflicht als auch bei ihrer Abdingbarkeit wird dem Richter ein erheblicher Billigkeitsspielraum zur Entscheidung des Einzelfalls eingeräumt. Dieses Kapitel soll nun kurz überprüfen, inwieweit er bei solchen Spielräumen von außerrechtlichen Umständen ungünstig beeinflusst wird und deswegen ein Urteil fällt, das nicht im ursprünglichen Interesse der Vertragsparteien liegt, dahingehend also unzweckmäßig ist. Mit einer solchen Unzweckmäßigkeit kann später begründet werden, dass es nachvollziehbare Gründe für eine Abbedingung der Treuepflicht und für eine richterliche Zurückhaltung bei der Frage um die Abdingbarkeit gibt.

I. Begriff des richterlichen Billigkeitsspielraums In anderen Rechtsordnungen begegnet man Gestaltungsspielräumen des Richters auf Rechtsfolgenseite.368 Jedoch soll es hier um Spielräume auf Tatbestandsseite gehen. Auf Tatbestandsseite kommen im deutschen Recht Spielräume – bei tatsächlicher Betrachtung –369 in verschiedener Weise vor: Namentlich bietet das deutsche Recht Generalklauseln, die diverse Entscheidungsmöglichkeiten zulassen; 368 So etwa den equitable remedies in den USA und UK; zu equitable remedies Fleischer/ Trinks, NZG 2015, 289, 297 ff., mit Verweisen auf die US-amerikanische und englische Rechtswissenschaft. 369 Die eher rechtsphilosophische Überlegung, ob der Richter auch normativ einen Spielraum hat, muss hier nicht angestellt werden. Es kommt lediglich darauf an, dass tatsächlich ein Spielraum besteht. Die Frage, ob der Richter normativ einen Spielraum hat am Rande ablehnend Larenz/Canaris, Methodenlehre, 1995, S. 116 mit Verweisen auf die Lit.

C. Zweckmäßigkeitsprobleme bei richterlichen Billigkeitsspielräumen

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aber auch bei der Anwendung bestimmterer Normen verbleiben im Einzelfall unterschiedliche vertretbare Lösungen.370 Es soll hier aber nur auf solche Spielräume eingegangen werden, die von weichen Kriterien wie Unbilligkeit, Erforderlichkeit oder Verhältnismäßigkeit eröffnet werden. Solche Kriterien dienen zum Beispiel dazu, Situationen zu regeln, die ex ante keine Bestimmung schärferer Kriterien zulassen,371 beziehungsweise kommen sie zum Einsatz, wenn aufgrund gesetzlicher Generalklauseln Ergebnisse korrigiert werden, die unbillig erscheinen.372 Auch wenn die Kriterien teilweise spezifiziert werden,373 erlauben sie häufig eine weitgehend freie Abwägung wenig bestimmter Rechtspositionen.

II. Zweckmäßigkeitsprobleme bezüglich des Ergebnisses Bei Billigkeitsspielräumen können zunächst Zweckmäßigkeitsproblemen bezüglich des Entscheidungsergebnisses auftreten. Um solche zu begründen, sollen außerrechtliche Einflüsse auf die Entscheidung des Richters fruchtbar gemacht werden. Dabei ist mit außerrechtlichen Umständen keine methodisch korrekte Rechtsfortbildung oder eine Interpretation anhand von rechtlichen Wertungen gemeint, weil solche dem bestehenden Recht bereits innewohnen.374 Auch sind nicht empirische Erkenntnisse anderer Wissenschaften umfasst, die hilfsweise in die normativen Erwägungen des Rechts eingearbeitet werden. Stattdessen sind mit außerrechtlichen Umständen Gegebenheiten beschrieben, die den Richter als Person betreffen und deswegen nicht im materiellen Recht vorgesehen sind. Bei Besprechung dieser Umstände soll keineswegs die Zweckmäßigkeit der richterlichen Entscheidung an sich bestritten werden, aber es wäre unvollständig, einerseits die kognitiven Schwächen der Vertragsparteien und die Grenzen ihrer vertraglichen Regelung zu beachten,375 und andererseits außerrechtliche Einflüsse auf den Richter und die daraus folgenden Grenzen seines Urteils zu ignorieren – zumal der Richter nicht über seine eigenen, sondern über fremde Geschicke entscheidet.

370

Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, 1995, S. 204, 109, 114 ff., 133, 135. s. z. B. bei der Zustimmungspflicht aus der Treuepflicht zu einer Sanierungsmaßnahe. 372 So z. B. beim Rechtsmissbrauch. 373 So z. B. bei der Angemessenheitsprüfung von Eigengeschäften des Vorstandsmitglieds mit der Gesellschaft, die durch einen Drittvergleich konkretisiert wird; dazu Fleischer, WM 2003, 1045, 1052. 374 Für die rechtliche Wertung vgl. Böckenförde, in: Staat, 2006, S. 67. 375 Dazu bereits oben Teil 2 – B.II.2. 371

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Teil 2: Allgemeiner Teil

1. Einfluss außerrechtlicher Umstände auf den Richter Gerade in den USA wurde der tatsächliche Einfluss außerrechtlicher Umstände auf die richterliche Entscheidung eingehend diskutiert und empirisch erforscht.376 Dort findet sich zunächst die Strömung des Legalism; sie geht davon aus, dass nicht der einzelne Richter, sondern das Recht entscheidet.377 Gegen diese Strömung wird aber insbesondere in letzter Zeit wieder Kritik laut.378 Dabei werden dem Legalism verschiedene Modelle entgegengestellt.379 Sie haben gemeinsam, dass der Einfluss außerrechtlicher Umstände auf die Entscheidung des Richters einbezogen wird. Diese Erklärungsmodelle werden hier unter der Sammelbezeichnung Realism zusammengefasst.380 Die ergiebigen Erkenntnisse des Realism bieten sich als Ausgangspunkt an. Zusätzlich können aber auch vereinzelte deutsche Stimmen ausgewertet werden.381 Bei der Übertragung US-amerikanischer Erkenntnisse muss bedacht werden, dass der US-amerikanische Richter382 und der deutsche Richter sich in diversen Punkten unterscheiden. Zunächst ist der vergleichsweise weite Spielraum des US-amerikanischen Richters zu nennen, der ihn für außerrechtliche Umstände anfälliger machen könnte, als es der deutsche Richter ist.383 Jedoch befindet sich bei Billigkeitsentscheidungen auch der deutsche Richter in der weitgehend freien Abwägung wenig bestimmter Rechtspositionen, weswegen bei Billigkeitsspielräumen kaum ein Unterschied besteht. Weiterhin ist die Politisierung der Berufung von Richtern in den USA zu bedenken. In den USA ist der Richter aber spätestens nach seiner Berufung von der Exekutiven und der Legislativen persönlich unabhängig,384 was den Unterschied relativiert. Mehr Beachtung sollte finden, dass der deutsche Richter meist sein Amt direkt nach seiner Ausbildung oder nach kurzer praktischer Tätigkeit 376 s. bspw. Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, insb. seine zehnseitige Zusammenstellung der empirischen Lit. auf S. 89 – 99; s. a. die umfassende Aufarbeitung bei Posner, How Judges Think, 2008. 377 Vgl. Posner, How Judges Think, 2008, S. 41 f. 378 Vgl. ebd.; Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013. 379 Dazu Posner, How Judges Think, 2008, S. 19 ff., der einen Überblick über die verschiedenen Ausprägungen außerrechtlicher Analyse der richterlichen Entscheidung gibt und zudem ein eigenes Modell entwickelt. 380 Zu den verschiedenenen Verständnissen dieses Begriffs in der US-amerikanischen Wissenschaft Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 25. 381 Es kann etwa zurückgegriffen werden auf die Schriften von Esser, Grundsatz und Norm, 1964; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1972; Heusinger, Rechtsfindung und Rechtsfortbildung, 1975; Hirsch, Zeitschrift für Rechtspolitik 2009, 61. 382 Wenn von US-amerikanischer Richter gesprochen wird, geht es um den Richter im Sinne von U. S. Const. art. III. Diese Richter sind Bundesrichter. Sie werden vom Präsidenten eingesetzt und vom Senat bestätigt; vgl. U. S. Const. art. II sec. 2. Ihre Amtszeit geht ein Leben lang; vgl. U. S. Const. art. III sec. 1: „[…] shall hold their office during good behavior.“ 383 Vgl. zum Vorst. Posner, How Judges Think, 2008, S. 142. 384 Vgl. zum Vorst. ebd., S. 58, 60.

C. Zweckmäßigkeitsprobleme bei richterlichen Billigkeitsspielräumen

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beginnt,385 wogegen der US-amerikanische Richter erst nach langjähriger anderweitiger Tätigkeit zum Richter berufen wird.386 Außerdem ist der deutsche Richter spezialisierter als sein US-amerikanischer Gegenpart.387 Auch wenn die Unterschiede im Hinterkopf behalten werden sollten, schließen sie nicht aus, Anleihen bei den Vertretern des Realism zu nehmen. Vertreter des Realism haben einzelne persönliche Umstände herausgearbeitet, die Entscheidungen eines Richters beeinflussen. Besonders prominent ist der Einfluss subjektiver Weltanschauung388 beziehungsweise subjektiver moralischer Einstellung; ein solcher Einfluss wurde in den USA vielfach empirisch belegt.389 Mit subjektiver Weltanschauung oder moralischer Einstellungen sind etwa eine liberale Ansicht, eine sozialdemokratische Prägung oder eine konservative Anschauung gemeint. Mit solchen Einstellungen können Regelungen und Wertungen des Rechts subjektiv eingefärbt und damit Wertungen umgangen werden, die in jahrzehntelangem Diskurs von Wissenschaft, Rechtspraxis und Wirtschaft entstanden sind. Das kann zu einer Entscheidung des Rechtsstreits führen, die zwar auf den ersten Blick sinnvoll erscheint, aber entgegen dem geltenden Recht gemessen an dem ursprünglichen Parteiinteresse nicht zweckmäßig ist. Ein außerrechtlicher Einfluss auf den Richter kann aber nicht nur durch umfassende Weltanschauung oder moralische Einstellung begründet werden. Stattdessen treten außerrechtliche Umstände auch punktueller in Erscheinung. So wird an prominenter Stelle sowohl in Deutschland als auch in den USA auf die einzigartigen Erfahrungen hingewiesen, die der Richter in Berufs- und Privatleben macht.390 Durch sie habe er zwangsläufig eine individuelle Vorprägung, die seine Entscheidung bewusst oder unbewusst beeinflusst.391 Die Vorprägung kann, muss aber nicht die 385 Vgl. für den kontinentaleuropäischen Richter allgm. Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 398. 386 Vgl. ebd., S. 35: „[…] a federal judge is rarely appointed before the age of forty, and often in his fifties and occasionally even in his early sixties. He will have had a substantial carrier in another branch of the legal profession […]“. 387 Vgl. für den kontinentaleuropäischen Richter allgm. Posner, How Judges Think, 2008, S. 132. 388 Der Begriff Ideologie wird hier bewusst wegen seiner negativen Konnotation vermieden. 389 So bewertend und belegend Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 66 ff., 385 mit umfangr. Nachw. auf die US-amerikanische Lit.; vgl. auch Heusinger, Rechtsfindung und Rechtsfortbildung, 1975, S. 116 ff., der dem „irrationalen“ „eigenem Gewissen“ einen Einfluss zuweist, auch wenn er bestimmte Fälle davon ausnimmt. 390 So Posner, How Judges Think, 2008, S. 8, 10, 73, 376; auch bereits Posner, 3 Supreme Court Economic Revue 1, 24 f. (1993); für den deutschen Rechtskreis Hirsch, Zeitschrift für Rechtspolitik 2009, 61, 62; Hirsch ist Präsident des BGH a.D. 391 Vgl. Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 44 f.; vgl. auch Posner, How Judges Think, 2008, S. 10 f., 67, 69, 73, 95, 369 f.; aus dem deutschen Rechtskreis vgl. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1972, S. 37: „Das Leben des Rechts im Wege der Entscheidungsfindung ist beides […] es ist Logik und es ist gespeicherte Erfahrung“; klassisch Holmes, The Common Law, 1949, S. 1: „The life of law has not been logic: it has been experience […] even the prejudices which judges share with their fellow-men, have a good deal

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Teil 2: Allgemeiner Teil

abgesicherten rechtlichen Wertungen fördern oder die sachliche Erarbeitung des Falles unterstützen. Stattdessen können Erfahrungsdefizite individuelle Fehleinschätzungen begünstigen;392 dies gilt insbesondere für den deutschen Richter, weil er regelmäßig nicht oder nur kurz in der Wirtschaft tätig war.393 Andererseits ist zu bedenken, dass der deutsche Richter eine Spezialisierung aufweist.394 Außerdem kann er sich Sachverständiger und anderer Hilfen bedienen. Schließlich haben die Parteien und ihre Anwälte einen Anreiz, für sie günstige unbekannte Aspekte anzubringen und für sie ungünstige unrichtige Aspekte zu korrigieren.395 Die Vorprägung des Richters wird besonders relevant, wenn der Richter eine pragmatische396 Entscheidung trifft oder sich von seiner Intuition397 leiten lässt. So besteht die Gefahr, dass spätestens bei solchen Entscheidungen ausdifferenzierte rechtliche Wertungen und Sacherwägungen übergangen werden, woraus wiederum unzweckmäßige Entscheidungen entstehen können. Das tatsächliche Vorkommen intuitiver und pragmatischer Entscheidungen wird sowohl von deutschen als auch von US-amerikanischen Richtern bestätigt.398 Für ihr Vorkommen spricht zudem, dass solche Entscheidungen in den USA und in Deutschland als legitim angesehen werden.399 Außerdem kann Zeitdruck den Richter zu solchen Entscheidungen bringen. Selbst eine ausführliche rechtliche Entscheidungsbegründung garantiert nicht, dass die Entscheidung nicht auf Intuition und Pragmatismus beruht; vielmehr kann die Entscheidungsbegründung eine zunächst intuitive oder pragmatische Entscheidung im Nachhinein rechtlich rationalisieren.400 Eine solche nachträgliche

more to do than the syllogism in determining the rules by which men should be governed“; s. a. Hirsch, Zeitschrift für Rechtspolitik 2009, 61, 62. 392 Vgl. Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 101 f. 393 Vgl. allgm. für den kontinentaleuropäischen Richter Posner, How Judges Think, 2008, S. 198. 394 Vgl. allgm. für den kontinentaleuropäischen Richter ebd., S. 132. 395 Vgl. ebd., S. 115. 396 Eine pragmatische Entscheidung liegt vor, wenn der Richter seine Entscheidungen auf die Abwägung ihrer direkten Konsequenzen und nicht auf eine Deduktion aus geltendem Recht stützt, vgl. ebd., S. 40. 397 Bzw. Instinkt. 398 Vgl. Heusinger, Rechtsfindung und Rechtsfortbildung, 1975, S. 7 – 28. (Pragmatik), 113 ff. (Instinkt), der sowohl der pragmatischen als auch der deduktiven Herangehensweise für die Rspr. des BGH eine große Bedeutung zuweist; vgl. auch Esser, Grundsatz und Norm, 1964, S. 7 (Pragmatik), 256 (Instinkt); aus der US-amerikanische Lit. vgl. Posner, How Judges Think, 2008, S. 98, 107, 112 f. (Intuition), 230 ff. (Pragmatik), der aber davon ausgeht, dass kontinentaleuropäische Richter weniger pragmatisch sind. 399 So aus dem amerikanischen Rechtskreis Posner, How Judges Think, 2008, S. 249 ff.; so aus dem deutschen Rechtskreis Heusinger, Rechtsfindung und Rechtsfortbildung, 1975, S. 7 – 28 (Pragmatik), 113 ff. (Instinkt). 400 Zum Vorst. vgl. Sinom, 30 Rutgers L.J. 1, 34 ff. (1998): Posner, How Judges Think, 2008, S. 110 f.; aus der deutschen Lit. vgl. Esser, Grundsatz und Norm, 1964, S. 256.

C. Zweckmäßigkeitsprobleme bei richterlichen Billigkeitsspielräumen

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Rationalisierung kann unbewusst erfolgen, weil die wirklichen Gründe der Entscheidungsfindung dem Richter verborgen bleiben können.401 Speziell Billigkeitsspielräume sind für die Verwirklichung außerrechtlicher Umstände wie subjektive Präferenzen und Fehleinschätzungen prädestiniert. Das ergibt sich zunächst aus der Möglichkeit einer freien Abwägung wenig bestimmter Rechtspositionen. So kann der weite Freiraum den Richter zu einer späteren Rationalisierung seiner persönlichen moralischen Erwägungen einladen.402 Zudem kann die Komplexität der Abwägung Fehleinschätzungen unterstützen. Schließlich werden Billigkeitsspielräume zum einen eingesetzt, wenn ein Umstand im Nachhinein unbillig erscheint und deswegen Korrektur verlangt. Zum anderen werden sie benutzt, wenn im Vorhinein das Verhalten des Verpflichteten nicht näher geregelt werden kann. Dann räumt der Berechtigte dem Verpflichteten mit Hilfe von weichen Kriterien einen Spielraum ein. Damit der Spielraum genutzt werden kann, wird der Verpflichtete häufig mit einem großzügigen rechtlichen Können ausgestattet. Deswegen ist der Berechtigte auf besondere Weise wehrlos. Sowohl eine allfällige Unbilligkeit als auch die Wehrlosigkeit appellieren auf besondere Weise an individuelle Gerechtigkeits- oder Moralvorstellungen, was Billigkeitsspielräume für den Einfluss außerrechtlicher Umstände besonders anfällig macht. 2. Stützung mit der Anreizstruktur des Richters Vertreter des Realism haben versucht, den Einfluss außerrechtlicher Umstände mit der Anreizstruktur des Richters zu stützten.403 Sie legen dabei das Modell des Menschen als Eigennutzenmaximierers an – spezieller das des Arbeitnehmers. Dieses Modell wurde von ihnen mit verschiedenen typischen konkreten Interessen des Richters angepasst, aus denen sie einzelne Anreize abgeleitet haben. Besonders hervorgehoben wird zunächst das Eigeninteresse des Richters, ein guter Richter zu sein.404 Soweit sich der Richter als Rechtsanwender begreift, ergibt sich aus diesem Interesse ein Anreiz, die rechtlichen Regelungen gewissenhaft anzuwenden.405 Jedoch entsteht der gegenteilige Anreiz, wenn der Richter seine 401

Vgl. Sinom, 30 Rutgers L.J. 1, 34 ff. (1998). Allgm. zur späteren Rationalisierung außerrechtlicher Erwägungen Sinom, 30 Rutgers L.J. 1, 34 ff. (1998); Posner, How Judges Think, 2008, S. 110 f.; aus der deutschen Lit. s. a. Esser, Grundsatz und Norm, 1964, S. 256. 403 Umfangr. Posner, How Judges Think, 2008, S. 35, 57 ff.; grundl. Posner, 3 Supreme Court Economic Revue 1 (1993); darauf bezugnehmend Schauer, 68 U. Cin. L. Rev. 615 (2000); vgl. auch Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 26, 30 ff.; kurz aber in konkretem Bezug auf die Treuepflicht Oesterle, 66 Colo. L. Rev. 881, 913 ff. (1995). 404 So bei Posner, How Judges Think, 2008, S. 60, 62, 174, 371. 405 Ähnlicher Gedanke bei Sinom, 30 Rutgers L.J. 1, 17 (1998): „If judges believe that by adhering to the finder metaphor they are performing their tasks appropriately and effectively, they will naturally conceive their role in that fashion and will likely behave in ways that correspond to that conception.“ 402

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Teil 2: Allgemeiner Teil

Aufgabe darin sieht, eigene außerrechtliche Präferenzen und Sacherwägungen einzubeziehen. Ein solches Verständnis des Richterberufs ist dem deutschen Rechtskreis nicht fremd.406 Mit dem Verständnis wird der Richter zu einer subjektiven Einfärbung der abgesicherten Regelungen und Wertungen angehalten. Sein intrinsisches Interesse, ein guter Richter zu sein, kann den Richter gemessen an dem ursprünglichen Interesse der Vertragsparteien somit sowohl ungünstig als auch günstig beeinflussen. Außerdem wird für den Richter ein Eigeninteresse an einer guten Reputation angenommen, etwa in der Wissenschaft,407 der Praxis,408 bei Kollegen,409 im privaten Umfeld410 oder in der Öffentlichkeit.411 Einerseits kann das Interesse an einer guten Reputation dazu führen, dass der Richter in besonderer Weise auf die gründliche Anwendung des Rechts Acht gibt;412 das kann bei unterinstanzlichen Entscheidungen durch die Möglichkeit der Aufhebung des Urteils verstärkt werden.413 Auf der anderen Seite kann das Reputationsinteresse den gegenteiligen Effekt haben. So können rechtlich unkonventionelle Urteile oder Entscheidungen, die mit individueller Moral aufgeladen sind, einen lauteren und positiveren Widerhall im professionellen und privaten Umfeld des Richters finden als die einfache Anwendung des Rechts.414 Das gilt gerade dann, wenn vordergründig kalte rechtliche Regelungen unbeachtet bleiben.415 Damit würde der Richter wieder zu einer subjektiven Einfärbung des Rechts angehalten. Deswegen kann sein Reputationsinteresse den

406 s. etwa Hirsch, Zeitschrift für Rechtspolitik 2009, 61, 61, der dieses Verständnis mit BVerfGE 34, 269, 287 stützt. Die Rechtsfindung sei ein Akt des bewertenden Erkennens, dem auch „willenhafte Elemente“ nicht fehlen. Er erwähnt jedoch nicht, dass das BVerfG in derselben Entscheidung zwei Sätze später ausführt: „Die richterliche Entscheidung schließt dann diese Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft.“ 407 So Baum, Judges and Their Audiences, 2006, S. 100 ff.; Posner, How Judges Think, 2008, S. 12, 204 ff. 408 So Baum, Judges and Their Audiences, 2006, S. 97 ff. 409 So Oesterle, 66 Colo. L. Rev. 881, 914 (1995); Posner, 3 Supreme Court Economic Revue 1, 15 (1993); ausf. Baum, Judges and Their Audiences, 2006, S. 50 ff., 103 ff. mit Hinweisen auf verschiedene Studien. 410 So Baum, Judges and Their Audiences, 2006, S. 88. 411 So Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 35, 88. 412 Vgl. Baum, Judges and Their Audiences, 2006, S. 55, 106, 160. 413 Ähnlicher Gedanke bei Posner, How Judges Think, 2008, S. 141. 414 Vgl. Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 43; vgl. auch Schauer, 68 U. Cin. L. Rev. 615, 632 (2000). 415 Zum Vorst. eindrücklich Oesterle, 66 Colo. L. Rev. 881, 914 (1995): „[…] consider a judge’s retirement banquet. Which of the following accolades would a judge prefer: ,He used his power to help the oppressed and victimized (overriding formality, precedent and convention)‘ or, ,He predictably enforced contracts […]‘“.

C. Zweckmäßigkeitsprobleme bei richterlichen Billigkeitsspielräumen

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Richter aus Sicht der Parteien günstig und ungünstig beeinflussen. Ähnliche Anreize entstehen aus dem Interesse des Richters an einer Beförderung.416 Schließlich wird das Eigeninteresse des Richters an der Minimierung seiner Arbeitsbelastung einbezogen.417 Das Interesse steht keinesfalls alleine, insbesondere können die zuvor benannten Interessen des Richters entgegenwirken.418 Dennoch kann es seinen Teil zur Anreizstruktur des Richters beitragen.419 So veranlasst dieses Interesse den Richter zum einen, bei der Entscheidung zeitsparend auf Intuition zu rekurrieren und komplexe Sach- und Rechtserwägungen zu übergehen.420 Daher wird es wahrscheinlicher, dass sich die subjektiven Präferenzen des Richters durchsetzen und es zu Fehleinschätzungen kommt. Zum anderen können rechtliche Wertungen und Präjudize die Entscheidungen des Richters vereinfachen. Damit kann das Interesse an der Minimierung der Arbeitsbelastung den Richter zur Anwendung des abgesicherten Rechts führen.421 Jedoch liegt es gerade bei komplexen Billigkeitsspielräumen nahe, dass die Herstellung eines Bezugs zu abgesicherten Erkenntnissen erhebliche Anstrengung erfordert. Aus dem Grund ist es für die Minimierung der Arbeitsbelastung effektiver, sich auf Intuition zu verlassen. Folglich ist ein ungünstiger Einfluss durch das Interesse an der Minimierung der Arbeitsbelastung wahrscheinlich. Nahezu irrelevant ist das Interesse des Richters am Erhalt seines Arbeitsplatzes,422 was sich aus der persönlichen Unabhängigkeit des Richters ergibt.423 Die persönliche Unabhängigkeit des Richters manifestiert sich insbesondere in der Ernennung auf Lebenszeit424 und in der grundsätzlich fehlenden Möglichkeit zur Entlassung oder Versetzung.425 Ebenfalls minimiert wird die Auswirkung des Eigeninteresses am Ausgang des Falles. Das geschieht durch Befangenheitsregelungen.426 Deswegen sind diese beiden Aspekte zu vernachlässigen.

416 Zu dem Beförderungsinteresse Posner, How Judges Think, 2008, S. 129, der dem Beförderungsinteresse besonders beim kontinentaleuropäischen Karriererichter eine besondere Bedeutung zuweist; s. a. Tullock, in: Selected Works of Gordon Tullock, 2006, S. 324, 325. 417 So bei Posner, How Judges Think, 2008, S. 61; Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 36, 385 f. 418 Vgl. Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 34. 419 Vgl. ebd., S. 36 f. 420 Vgl. Posner, How Judges Think, 2008, S. 77. 421 Zum Vorst. vgl. Posner, How Judges Think, 2008, S. 77, 145; Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 39, 386. 422 Vgl. Posner, How Judges Think, 2008, S. 37. 423 Für die Unabhängigkeit des Richters s. Art. 97 GG, § 1 GVG, § 25 DRiG und die Vorschriften in den folgenden Fn. 424 Dazu § 28 f. DRiG; s. aber zur Versetzung in den Ruhestand §§ 48, 76 DRiG. 425 Dazu Art. 97 Abs. 2 GG; s. aber die Ausnahmen in §§ 18, 19, 21, 24, 30 ff. DRiG. 426 Dazu die Befangenheitsregeln in §§ 41 ff. ZPO; §§ 22 ff. StPO.

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Teil 2: Allgemeiner Teil

3. Stützung mit empirisch belegten Rationalitätsdefiziten Um den ungünstigen Einfluss außerrechtlicher Umstände auf den Richter zu stützen, werden von Vertretern des Realisms zudem empirisch belegte Rationalitätsdefizite herangezogen.427 Deren Anwendung auf den Richter stehen insbesondere seine hohe Motivation und gute Ausbildung nicht im Weg.428 Es sollte aber bedacht werden, dass diese Phänomene zwar eine systematische429 Abweichung vom rationalen Handeln beschreiben, die Abweichung muss sich aber nicht in jedem Fall durchsetzen. Es wird zunächst der sogenannte hindsight bias angeführt.430 Unter dem Stichwort hindsight bias wurde belegt, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit tatsächlich vorgefallener Ereignisse im Nachhinein systematisch überschätzt wird.431 Bei Billigkeitsspielräumen wird das beispielsweise relevant, wenn der Richter mit Hilfe weicher Kriterien die konkrete Ausübung vereinbarter Rechte sanktioniert, nachdem diese wahrgenommen wurden. Denn der hindsight bias legt nahe, dass der Richter die Wahrscheinlichkeit der konkreten Ausübung des Rechts überschätzt. Ähnliches gilt, wenn der Richter tatsächliche Handlungen sanktioniert, die bereits vorgenommen wurden. Dort führt der hindsight bias dazu, dass der Richter die Eintrittswahrscheinlichkeit der konkreten Handlung überschätzt. Deswegen können ihm die freie Ausübung eines Rechts oder die Gestattung der Handlung als unangemessen erscheinen, obwohl sie dem ursprünglichen Interesse der Vertragsparteien gerecht werden. Dann verändert sein Eingriff die sinnvolle Risikoverteilung der Vertragsparteien. Die Folge ist ein unzweckmäßiges Ergebnis. Somit stützt der hindsight bias, dass der Richter ungünstig von Fehleinschätzungen beeinflusst wird. Weiterhin kann die sogenannte availability heuristic fruchtbar gemacht werden.432 Unter dem Stichwort availability heuristic wurde belegt, dass Menschen aktuell 427 Speziell zu Rationalitätsdefiziten des Richters Guthriet u. a., 86 Cornell L. Rev. 777 (2001); kurz auch Posner, How Judges Think, 2008, S. 69 f., 120; Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 45; allgm. zu Rationalitätsdefiziten und zu ihrer Bedeutung für das deutsche Recht Fleischer u. a., in: Beitrag der Verhaltensökonomie zum Recht, 2011, S. 9 mit umfangr. Nachw.; s. a. Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2016, S. 247 ff. 428 Dazu Guthriet u. a., 86 Cornell L. Rev. 777, 782 f. (2001). 429 Eine Abweichung ist immer dann systematisch, wenn sie vermehrt in die gleiche Richtung auftritt, so dass die einzelnen Abweichungen sich bei Wiederholung nicht ausgleichen. 430 Den Einfluss dieses Phänomens auf den Richter belegend Guthriet u. a., 86 Cornell L. Rev. 777, 799 ff. (2001); allgm. zu dem Phänomen Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2016, S. 250 f. 431 Vgl. Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2016, S. 251; etwas anders Guthriet u. a., 86 Cornell L. Rev. 777, 784 (2001), der von einer Fehleinschätzung der Vorhersehbarkeit nicht der Wahrscheinlichkeit spricht, diese Nuance ist wohl kontextbedingt, ein substanzieller Unterschied scheint nicht zu bestehen. 432 Allgm. zu diesem Phänomen aus der deutschen Lit. Englerth/Towfigh, in: Towfigh/ Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2016, S. 249; den Einfluss der verwandten rep-

C. Zweckmäßigkeitsprobleme bei richterlichen Billigkeitsspielräumen

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verfügbare Informationen überbewerten.433 Damit kann die availability heuristic stützen, dass die Vorprägung des Richters Einfluss auf seine Entscheidung nimmt. Der Einfluss zeigt sich erneut besonders deutlich bei der richterlichen Angemessenheitskontrolle der Ausübung von Rechten und Vornahme von Handlungen. Der Richter bekommt meist nur solche Fälle zu sehen, bei denen eine Vertragspartei im Nachhinein die Ausübung eines Rechts beziehungsweise die Vornahme einer Handlung als unangemessen erachtet. Es bleiben ihm diejenigen Fälle verborgen, bei denen das Recht zwar vereinbart oder die Handlung erlaubt wird, aber der Eintritt ausbleibt. Gleiches gilt für Fälle, bei denen das Recht ausgeübt beziehungsweise die Handlung vorgenommen wird, aber die Vertragsparteien das als angemessen erachten. Die Daten, die dem Richter aktuell verfügbar sind, spiegeln deswegen nicht die tatsächlichen Umstände wieder. Somit legt die availability heuristic nahe, dass der Richter seiner Entscheidung verzerrte Wahrscheinlichkeiten zugrundlegt. Folglich kann auch dieses Phänomen stützen, dass er ungünstig durch außerrechtliche Umstände beeinflusst wird. Zudem wird der sogenannte confirmation bias434 beziehungsweise der overconfidence bias angebracht.435 Unter dem Stichwort confirmation bias wurde belegt, dass der Richter Umstände systematisch überschätzt, die seinen bereits vorhandenen Vorstellungen entsprechen und widersprechende Umstände ausblendet.436 Unter dem Stichwort overconfidence bias wurde belegt, dass der Richter seine eigenen Fähigkeiten systematisch überschätzt. Beide Phänomene gehen Hand in Hand. So wird aus der Selbstüberschätzung die selektive Wahrnehmung bestätigender Umstände gefolgert,437 und aus der selektiven Wahrnehmung bestätigender Umstände auf die Selbstüberschätzung geschlossen.438 Unabhängig davon, wie die beiden Phänomene zueinanderstehen, legen sie nahe, dass sich individuelle Vorprägung und der erste Eindruck des Richters durchsetzen. Das gilt auch dann, wenn widersprechende Rechts- und Sachumstände tatsächlich bereitstehen oder bei Nachforschung bereitständen. Das kann gerade bei komplexen Billigkeitsabwägungen zur subjektiven Einfärbung der rechtlichen Regeln und zu Fehleinschätzungen führen, denn bei solchen komplexen Abwägungen liegen die relevanten Rechts- und Sachumstände

resentativeness heuristic auf den Richter belegend Guthriet u. a., 86 Cornell L. Rev. 777, 784, 805 ff. (2001). 433 Vgl. Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2016, S. 249. 434 Vgl. Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 45. 435 Vgl. Guthriet u. a., 86 Cornell L. Rev. 777, 784, 811 ff. (2001); Posner, How Judges Think, 2008, S. 120; allgm. zu diesem Phänomen aus der deutschen Lit. Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2016, S. 252; Fleischer u. a., in: Beitrag der Verhaltensökonomie zum Recht, 2011, S. 9, 37 f. 436 Vgl. Epstein u. a., Behaviour of Judges, 2013, S. 45. 437 Vgl. Posner, How Judges Think, 2008, S. 120. 438 Vgl. Fleischer u. a., in: Beitrag der Verhaltensökonomie zum Recht, 2011, S. 9, 37.

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Teil 2: Allgemeiner Teil

selten zu Beginn auf der Hand. Damit stützt auch dieses Phänomen, dass der Richter ungünstig durch außerrechtliche Umstände beeinflusst wird.

III. Zweckmäßigkeitsprobleme bezüglich des Prozesses Zweckmäßigkeitsprobleme bei Billigkeitsspielräumen können nicht nur bezüglich des Entscheidungsergebnisses auftreten, sie werden ebenfalls bei dem Prozess der Entscheidungsfindung aktuell. Dabei spielt zum einen der weite Freiraum des Richters eine Rolle. Schon durch ihn wird eine Vorhersage des Ausgangs des Rechtsstreits erschwert. Zum anderen ist die Anfälligkeit von Billigkeitsspielräumen für außerrechtliche Umstände zu nennen. Diese führen zur Abhängigkeit der Entscheidung vom konkreten Richter.439 Dadurch vergrößert sich der faktische Entscheidungsspielraum. Zudem wird eine Vorhersage über den Ausgang eines möglichen Streits aus der ex-ante-Perspektive unmöglich, da zu dem Zeitpunkt der entscheidende Richter nicht bekannt ist. Aus diesen Gründen können Billigkeitsspielräume zu Rechtsunsicherheiten führen,440 aus denen dann unvorhersehbare Entscheidungen441 und langwierige Prozesse folgen. Sowohl die Unvorhersehbarkeit als auch die Langwierigkeit können wiederum erhebliche Kosten bei den Vertragsparteien auslösen.

IV. Billigkeitsspielräume und Treuepflicht 1. Anwendung der Treuepflicht Billigkeitsspielräume treten zunächst bei der Anwendung der Treuepflicht auf. Zu Beginn der Abhandlung wurde der Begriff der Treuepflicht geschärft; so konnte Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen Pflichten und allgemeinen Instituten begegnet werden.442 Die Schärfung konnte und sollte aber nicht den Spielraum bei der individuellen Anwendung der Treuepflicht verkleinern.443 Die Abhandlung machte es sich vielmehr zur Aufgabe, die Flexibilität von Pflicht und Verpflichteten zu bewahren.444 Um trotz dieser Flexibilität ein Verhalten überprüfen zu können, kann ein richterlicher Billigkeitsspielraum notwendig werden. Konkret treten Billigkeitsspielräume bei Anwendung der Treuepflicht auf zwei verschiedenen Ebenen in Erscheinung. Zunächst kommen sie zum Tragen, wenn mit 439 440 441 442 443 444

Vgl. Posner, How Judges Think, 2008, S. 249. Vgl. Roth/Schubert, in: MüKo BGB, § 242 Rn. 31. Vgl. Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 4. s. o. Teil 2 – A.III. s. o. Teil 2 – A.I.3. s. o. ebd.

C. Zweckmäßigkeitsprobleme bei richterlichen Billigkeitsspielräumen

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typisierter Anwendung der Treuepflicht die Überprüfung des Verhaltens vereinfacht, aber gleichzeitig der Handlungsspielraum gewahrt werden soll.445 So bei dem Verbot, unangemessene Eigengeschäfte abzuschließen. Dort wird einerseits die Befolgung des Interesses des Treuberechtigten überprüft. Denn ein unangemessenes Eigengeschäft legt nahe, dass der Treueverpflichtete nicht das Interesse des Treueberechtigten, sondern sein eigenes verfolgt. Gleichzeitig gestattet das weiche Kriterium der Angemessenheit, die Flexibilität des Treueverpflichteten zu wahren.446 Auf zweiter Ebene werden Billigkeitsspielräume aktuell, wenn der Treueverpflichtete im auchfremden Interessenkreis handelt und deswegen sein eigenes Interesse zu berücksichtigen ist.447 Paradebeispiel ist die Zustimmungspflicht der Gesellschafter zu einer Sanierungsmaßnahme. Dort greift die Zustimmungspflicht nur, wenn die Nachteile des Gesellschafters zumutbar sind.448 2. Abdingbarkeit der Treuepflicht Billigkeitsspielräume werden auch bei der Frage nach der Abdingbarkeit der Treuepflicht relevant. So ist die Unabdingbarkeit der Treuepflicht nicht explizit im Gesetz vorgesehen. Sie könnte damit nur an einer offenen Regelung festgemacht werden, beispielsweise §§ 138, 134 BGB oder Treu und Glauben. Bei der Entwicklung von konkreten Rechtsfolgen aus diesen Normen wird wiederum auf weiche Kriterien abgestellt.449 Somit besteht bei der Entscheidung über die Unabdingbarkeit der Treuepflicht ein Billigkeitsspielraum. Das wird besonders deutlich, wenn nicht die absolute Unabdingbarkeit der Treuepflicht vertreten wird, sondern die Abdingbarkeit im Einzelfall verhindert werden soll,450 spätestens dann treten weiche Kriterien in Erscheinung.451

445

s. o. Teil 2 – A.I.3.b). s. zum Vorst. oben Teil 2 – A.I.3.b). 447 Vgl. Wellenhofer-Klein, RabelsZ 64 (2000), 564, 584, 588; s. a. Raiser, ZHR 151 (1987), 422, 437 f. 448 s. o. Teil 2 – A.II.2. 449 So liegt ein Rechtsmissbrauch dann vor, wenn keine schutzwürdigen Interessen bestehen, andere Interessen überwiegen und das Ergebnis grob unbillig und mit der Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren wäre, vgl. Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rn. 37. 450 So etwa Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 794; aus der US-amerikanischen Lit. s. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1234 (1995). 451 So bei Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 788, der prüfen möchte, ob ein „hinreichender“ Ausgleich vorliegt; so aus der US-amerikanischen Rechtswissenschaft bei Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1234 (1995): „the proposed bargain must be fair and reasonable“. 446

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Teil 2: Allgemeiner Teil

V. Zwischenergebnis in Thesen 1. Ein Billigkeitsspielraum ist ein tatsächlicher Entscheidungsspielraum des Richters auf Tatbestandsseite, der durch weiche Kriterien wie Unbilligkeit, Erforderlichkeit oder Verhältnismäßigkeit geschaffen wird. Die Kriterien ermöglichen grundsätzlich eine weitgehend freie Abwägung wenig bestimmter Rechtspositionen. 2. a) Nicht das Recht, sondern der Richter entscheidet den Rechtsstreit. Deswegen nehmen außerrechtliche Umstände Einfluss auf das Entscheidungsergebnis, etwa Vorprägungen des Richters wie individuelle Moralvorstellungen und persönliche Erfahrungen. Diese färben das Recht subjektiv ein und teilweise begünstigen sie Fehleinschätzungen. Deswegen können trotz sinnvoller rechtlicher Regelungen und Wertungen unzweckmäßige Entscheidungen gefällt werden. Billigkeitsspielräume sind hierfür besonders prädestiniert. b) Empirisch belegte Rationalitätsdefizite stützen die Annahme, dass der Richter besonders bei Billigkeitsspielräumen ungünstig von außerrechtlichen Umständen beeinflusst wird. Zu nennen sind etwa die Auswirkungen von hindsight bias, availability heuristic, confirmation bias und overconfidence bias. Die Anreizstruktur des Richters beeinflusst ihn sowohl ungünstig als auch günstig. c) Auch bezüglich der Entscheidungsfindung treten Zweckmäßigkeitsprobleme auf. So führen die weitreichende tatsächliche Freiheit des Richters bei Billigkeitsspielräumen und die daraus folgenden außerrechtlichen Einflüsse zu Rechtsunsicherheiten. Durch diese Rechtsunsicherheiten kann es zu erheblichen Kosten bei den Vertragsparteien kommen. 4. Sowohl bei Anwendung der Treuepflicht als auch bei der Abdingbarkeit der Treuepflicht werden Billigkeitsspielräume relevant: a) Bei der Anwendung der Treuepflicht kommen Billigkeitsspielräume besonders dann vor, wenn bei typisierter Anwendung der Treuepflicht die Flexibilität des Treueverpflichteten gewahrt werden soll oder wenn der Treueverpflichtete im auchfremden Interessenkreis tätig wird und deswegen sein Interesse zu berücksichtigen ist. b) Die Entscheidung über die Unabdingbarkeit der Treuepflicht beruht auf einem Billigkeitsspielraum. Das tritt besonders dann in Erscheinung, wenn nicht die absolute Unabdingbarkeit, sondern lediglich die Unabdingbarkeit im Einzelfall vertreten wird.

Teil 3

Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH Zunächst sei kurz daran erinnert, dass unter der Treuepflicht diejenige Pflicht zu verstehen ist, die speziell die Kontrolle über eine anvertraute fremde Rechtsposition kompensieren soll und dabei eine Offenheit wahrt, indem sie an den Entscheidungsprozess des Treueverpflichteten anknüpft und diesen dahingehend verbindlich regelt, dass der Treueverpflichtete bei Tätigkeit im fremden Interessenskreis allgemein und vorrangig die Ziele des Treueberechtigten für seine Entscheidungen ansetzen muss beziehungsweise bei Tätigkeit im auch-fremden Interessenkreis die Ziele des Treueberechtigten allgemein und angemessen berücksichtigen muss. Vom Gegenstand der Treuepflicht sind ebenfalls ihre typisierten Ausprägungen umfasst. Sie regeln direkt eine Handlung, aber wahren die Offenheit auf andere Art. Die typisierten Ausprägungen können namentlich an einen offenbaren Interessenkonflikt knüpfen oder einer Ermessensreduzierung auf Null entspringen. Typisierte Ausprägungen der Treuepflicht sind beispielsweise die Geschäftschancenlehre, das Wettbewerbsverbot und die Angemessenheitskontrolle von Eigengeschäften. Zum Abbedingungsgegenstand gehören hingegen weder andere vertragliche oder gesetzliche Pflichten noch allgemeine Institute wie der Rechtsmissbrauch, die Vertragsauslegung oder die Sittenwidrigkeit.1 Die Abgrenzung zu anderen Pflichten und allgemeinen Instituten ist mithilfe der abgeleiteten Begriffsbeschreibung möglich. Jedoch verbleiben im konkreten Einzelfall Unsicherheiten.2 Zudem kann eine Abbedingung der Treuepflicht mittelbar Auswirkung auf die Anwendung von anderen Pflichten und auf die Anwendung von allgemeinen Instituten haben.3 Die Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht soll zunächst exemplarisch an der Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich in der geschlossenen GmbH untersucht werden. Dabei zeichnet eine geschlossene Gesellschaft aus, dass sie eine geringe Anzahl von Gesellschaftern hat, die Gesellschafter aktiv an der Geschäftsführung mitwirken, eine Übertragungsbeschränkung für die Gesellschaftsanteile vorhanden ist und kein liquider Markt für die Gesellschaftsanteile 1 2 3

s. o. Teil 2 – A.III.; Teil 2 – A.IV.8. Zum Vorst. s. o. Teil 2 – A.III. s. o. Teil 2 – A.III.

106

Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

existiert.4 Diese Beschreibung ist aber nicht als strenge Definition zu sehen,5 es handelt sich lediglich um typische Merkmale. Der Geschäftsleiterbereich umfasst hier lediglich die Treuepflicht des Geschäftsleiters, eine Verpflichtung der Gesellschaft ist nicht einbegriffen.

I. Zulässigkeit nach gegenwärtigem Stand der Rechtswissenschaft 1. Deutschland In Deutschland ist die Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als solcher nicht gesetzlich geregelt. Außerdem gab es lange Zeit zu der Frage keine höchstrichterliche Rechtsprechung, auch wenn der BGH zuweilen fälschlich als ablehnend zitiert wurde.6 2015 hat der BGH für den Gesellschafterbereich in der Publikumspersonengesellschaft festgestellt, dass die Treuepflicht „jedem Gesellschaftsverhältnis ohne ausdrückliche Regel immanent ist“, wobei der Gesellschaftsvertrag „den Inhalt und Umfang“ der Treuepflicht bestimme und „konkretisierende Regelungen“ enthalten könne, insbesondere könne er „die aus der Treuepflicht folgende Zustimmungspflicht für bestimmte Sachverhalte einschränken oder an weitere Voraussetzungen knüpfen“.7 Wenn die Formulierung „jedem Gesellschaftsverhältnis“ wörtlich genommen wird, könnte nun gefolgert werden, dass die Treuepflicht als solche unabdingbar sein soll. Jedoch wird in dem Urteil bereits nicht deutlich, was der BGH unter dem Begriff der Treuepflicht versteht. Zudem war die vollständige Abbedingung der Treuepflicht nicht entscheidungsrelevant und wurde nicht weiter besprochen. Der BGH wollte mit seiner Formulierung wohl lediglich klarstellen, dass es für das Bestehen der Treuepflicht keiner expliziten Vereinbarung bedarf. Es bleibt abzuwarten, wie der BGH urteilt, wenn er sich speziell mit der Abbedingung der Treuepflicht als solcher befassen muss. Neben der Entscheidung des BGH gibt es in der unterinstanzlichen Rechtsprechung ein Urteil des LG München aus dem Jahr 2006, das die Regelung der Treuepflicht durch die Gesellschafter betrifft.8 Jedoch war in dem zugrunde liegenden Sachverhalt lediglich

4

Für diese Merkmale der geschlossenen Gesellschaft vgl. Fleischer, NZG 2014, 1081, 1082 f. 5 Vgl. ebd., S. 1082. 6 Nicht zur Treuepflicht, sondern zur Hinauskündigungsklausel beziehen Stellung BGHZ 81, 263 und BGH, Urt. v. 25. 03. 1985 – II ZR 240/84, WM 1985, 772. Beide Urteile werden aber ablehnend zur Abdingbarkeit der Treuepflicht zitiert, so für das erste Urteil Fillmann, Treuepflicht der Aktionäre, 1991, S. 208; so für beide Geiger, Wettbewerbsverbote, 1996, S. 172. 7 BGH, Urt. v. 09. 06. 2015 – II ZR 420/13, NZG 2015, 995, 1. LS, Rn. 21; s. a. bereits BGH, Urt. v. 25. 01. 2011 – II ZR 122/09, NZG 2011, 510, Rn. 21. 8 LG München I, Urt. v. 13. 04. 2006 – 5HK O 4326/05, AG 2007, 255; zu dem Fall Waclawik, DB 2005, 1151; Kindler, in: FS Spiegelberger, 2009, S. 778.

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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die ohnehin bestehende Treuepflicht in der Satzung einer Aktiengesellschaft festgeschrieben worden, was laut dem LG München möglich ist.9 In der Literatur führte die Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht bis vor kurzem ein „Schattendasein“.10 Soweit die hergebrachte Lehre doch Stellung bezieht, lehnt sie die Abdingbarkeit der Treuepflicht als solcher ab.11 Allerdings bestimmt sie den Abbedingungsgegenstand nicht eindeutig und begründet ihre Position kaum.12 Weiterhin beziehen sich die Aussagen in der Regel nicht auf den Geschäftsleiterbereich der GmbH, sondern betreffen die Treuepflicht im Allgemeinen, legen den Gesellschafterbereich zugrunde oder betrachten den Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft.13 Die Feststellungen zur Abdingbarkeit der Treuepflicht im Allgemeinen gelten dabei unproblematisch für den hier besprochenen Unterfall. Dagegen ist die Übertragbarkeit der Stellungnahmen aus den anderen Bereichen aufgrund ihrer Kürze schwer zu bewerten. Jedoch kann für die Übertragbarkeit der Aussagen zum Gesellschafterbereich angeführt werden, dass die Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich und im Gesellschafterbereich denselben Zweck verfolgt,14 dieselbe strukturelle Wirkweise hat,15 trotz gradueller Unterschiede denselben strukturellen Inhalt vorweist,16 und in beiden Bereichen als Rechtsprinzip bezeichnet wird.17 Für die Übertragbarkeit der Stellungnahmen aus dem Geschäftsleiterbereich bei der Aktiengesellschaft streitet, dass die Unabdingbarkeit dort nicht an aktiengesellschafts-spezifischen Gründen festgemacht wird.18

9

Vgl. LG München I, Urt. v. 13. 04. 2006 – 5HK O 4326/05, AG 2007, 255, 257 f. Ähnlich bewertend Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 766; Bachmann u. a., Rechtsregeln geschl. KapG, 2012, S. 45. 11 Ähnlich bewertend Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 765, 766; die Abdingbarkeit der Treuepflicht ablehnend im allgm. Wiedemann, GesR, 2004, S. 198, 199; die Abdingbarkeit der Treuepflicht ablehnend im Gesellschafterbereich Teichmann, Gestaltungsfreiheit in GesV, 1970, S. 170; Reuter, ZHR 146 (1982), 1, 7; Schöne, WM 1991, 209, 212; Timm, WM 1991, 481, 494; Pistor, in: Perspektiven des Wirtschaftsrechts, 2008, S. 481, 488; Röhricht, in: Hdb. Coporate Governance, 2009, S. 513, 515; zurückhaltend formulierend Bachmann u. a., Rechtsregeln geschl. KapG, 2012, S. 45: „Überzeugend […] erscheint eine vermittelnde Lösung, die einen generellen Verzicht für unwirksam hält […]“; die Abdingbarkeit der Treuepflicht ablehnend im Geschäftsleiterbereich der GmbH Immenga, Personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 267; im Geschäftsleiterbereich der AG Schmidt, in: Heidel, AktG, § 93 Rn. 31; Mertens/Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 97. 12 s. die einzelnen Nachw. in der vorhergehenden Fn. 13 s. die entsprechende Kennzeichnung der einzelnen Nachw. in Fn. 11 in diesem Teil. 14 s. o. Teil 2 – A.I.3.a). 15 s. o. Teil 2 – A.I.3.b). 16 s. o. Teil 2 – A.I.3.c). 17 Für beide Bereiche vgl. Wiedemann, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 5, 20 f.; für den Gesellschafterbereich vgl. Lutter, ZHR 162 (1998), 164, 165 f.; für den Geschäftsleiterbereich vgl. Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 206. 18 Vgl. etwa Mertens/Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 97; Schmidt, in: Heidel, AktG, § 93 Rn. 31. 10

108

Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Wenn die hergebrachte Lehre doch eine Aussage für den speziellen Fall der Treuepflicht als solcher im Geschäftsleiterbereich der GmbH trifft, fügt sie sich in das soeben gezeichnete Bild ein. So hat bereits Immenga die Abdingbarkeit der Treuepflicht in diesem Bereich ohne tiefgehende Begründung abgelehnt.19 Zudem sieht eine aktuelle Literaturstimme die Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich der GmbH als Rechtsprinzip,20 wobei ein solches Rechtsprinzip wiederum unabdingbar sein soll.21 Im Gegensatz dazu wird die allgemeine Disponibilität des Pflichten- und Haftungsmaßstabs für den Geschäftsleiterbereich der GmbH diskutiert und von der herrschenden Lehre weitgehend bejaht.22 Allerdings bespricht die Literatur dabei nicht speziell die Abdingbarkeit der Treuepflicht, vielmehr wird die Disponibilität einzelner Ausprägungen der Treuepflicht gesondert behandelt.23 Dies zeigt, dass diese Diskussion nicht die Frage nach der Abdingbarkeit der Treuepflicht umfassen soll. Insgesamt deutet damit auch die spezielle Literatur zum Geschäftsleiterbereich in der GmbH auf die Unabdingbarkeit der Treuepflicht als solcher, sie ist aber ebenfalls nicht besonders aussagekräftig. Gegen die hergebrachte Literaturmeinung erhebt sich in letzter Zeit substantiierte Kritik. So sieht Hellgardt eine Abbedingung der Treuepflicht als solcher im Geschäftsleiterbereich der GmbH als zulässig an; es soll aber eine Einzelfallbetrachtung verbleiben, die nach allgemeinen Regeln zur Unwirksamkeit einer Abbedingung führen kann.24 Insbesondere kann nach Hellgardt eine Abbedingung der Treuepflicht im Einzelfall aufgrund Verstoßes gegen ein „Willkürverbot“ aus dem „Sittengebot“ unwirksam sein, wenn die Abbedingung nicht durch andere Mechanismen ausgeglichen wird.25 Bei alledem nimmt Hellgardt allgemeine Rechtsinstitute und Einzelpflichten vom Abbedingungsgegenstand aus.26 Die Pflichten und Institute grenzt er aber nicht im erforderlichen Umfang zur Treuepflicht ab, insbesondere bespricht er nicht das Verhältnis von Treuepflicht und Vertragsauslegung.27 Neben Hellgardt äußert sich Schmolke kritisch.28 Er hält die vollständige Abdingbarkeit der Treue19 20 21

21. 22

Immenga, Personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 267. Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 206. Vgl. Wiedemann, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 5,

Das als hM bezeichnend Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 259 mit umfangr. Nachw.; vgl. auch Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rn. 60 ff.; Paefgen, in: GroßK, GmbHG, § 43 Rn. 8 ff., 227 ff.; Werner, GmbHR 2014, 792, 797; im Einzelfall sind die Grenzen aber strittig und insbesondere gläubigerschützende Pflichten können nicht abbedungen werden. 23 So Paefgen, in: GroßK, GmbHG, § 43 Rn. 103; Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 185, 210. 24 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 784 ff., 794. 25 Vgl. ebd., S. 788 ff. 26 Vgl. ebd., S. 785 ff. 27 Vgl. ebd., S. 785 ff. 28 Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 593 ff.

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

109

pflicht bei Fortgeltung von Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle gemäß §§ 242, 138 BGB nicht für fernliegend, wiederum ohne eine Abgrenzung der Treuepflicht zu §§ 242, 138 BGB im erforderlichen Umfang vorzunehmen.29 Auf der anderen Seite sieht er aber „gute Gründe“ gegen die vollständige Abdingbarkeit.30 Auch wenn sich Schmolkes Äußerungen direkt auf den Gesellschafterbereich in der geschlossenen GmbH beziehen, kann sein Ergebnis aufgrund der strukturellen Vergleichbarkeit wohl auf den Geschäftsleiterbereich übertragen werden. Außerdem ist Waclawik31 zu erwähnen, der eine vollständige Abbedingung der Treuepflicht im Gesellschafterbereich der Aktiengesellschaft zulassen möchte. Jedoch geht auch er davon aus, dass allgemeine Institute des Vertragsrechts sowie besondere Pflichten des Gesellschaftsrechts bestehen bleiben. Er grenzt diese aber ebenfalls nicht eindeutig ab; da sich seine Äußerungen auf die Aktiengesellschaft beziehen, sind sie erst recht auf die flexiblere GmbH anwendbar. Neuerdings hat die Kritik an der herrschenden Meinung sogar die Kommentarliteratur erreicht.32 In der jüngeren Literatur findet sich aber zunächst mit Fleischer auch ein Vertreter, der sich explizit gegen die Abdingbarkeit der Treuepflicht als solcher im Geschäftsleiterbereich der GmbH ausspricht, wobei er dennoch die hergebrachte Lehre kritisiert.33 Ebenfalls gegen die vollständige Abdingbarkeit der Treuepflicht positioniert sich in letzter Zeit Kampf.34 Zudem lehnen Koppensteiner, Kumpan, Armbrüster und Kuntz die vollständige Abdingbarkeit der Treuepflicht ab, jedoch behandeln sie das Thema eher am Rande.35 Andersherum gibt es mit Winter eine differenzierende Stimme in der älteren Literatur für den Gesellschafterbereich der GmbH. Winter möchte eine Abbedingung der Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft wohl grundsätzlich zulassen,36 nicht aber eine Abbedingung der Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern.37 Auch all diesen Stimmen ist gemein, dass sie keine differenzierte Abgrenzung von der Treuepflicht zu ihrer Umgebung vornehmen und den Begriff der Treuepflicht nicht näher definieren.

29 Vgl. ebd., S. 669: „Bei Fortgeltung der richterlichen Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle nach §§ 138, 242 BGB scheint es dann auch kein allzu großer Schritt mehr, auch die generelle Abbedingung der Treupflicht zu gestatten.“ 30 Ebd., S. 669, 670. 31 Waclawik, DB 2005, 1151, 1153. 32 Vgl. Lieder, in: Michalski, GmbHG, § 13 Rn. 150 ff. 33 Vgl. Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, passim; noch zurückhaltender Fleischer, NZG 2013, 361, 365. 34 Vgl. Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, passim. 35 Vgl. Koppensteiner, GesRZ 2009, 197, 202; Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 130 ff., 137; Armbrüster, ZGR 2014, 333, 350 f.; Armbrüster, EWiR 2015, 597, 598; Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, 2016, S. 499 ff. 36 Vgl. Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 214. 37 Vgl. ebd., S. 216.

110

Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Im Gegensatz zur Abdingbarkeit der Treuepflicht als solcher wird die Disponibilität einzelner Ausprägungen der Treuepflicht bereits im hohen Maße bejaht.38 So ist wohl insbesondere das obige Urteil des BGH zu verstehen,39 wenn der BGH davon spricht, dass der Gesellschaftsvertrag „den Inhalt und Umfang“ der Treuepflicht bestimme und „konkretisierende Regelungen“ enthalten könne und insbesondere „die aus der Treuepflicht folgende Zustimmungspflicht für bestimmte Sachverhalte einschränken oder an weitere Voraussetzungen knüpfen“ könne. Zudem sprach sich bereits Teichmann dafür aus,40 und gerade in neuerer Zeit wird die Disponibilität einzelner klar umrissener Ausprägungen der Treuepflicht namentlich von Fleischer wieder betont.41 Außerdem finden sich dafür weitere Stimmen zur Treuepflicht im Allgemeinen42 und zur Treuepflicht im Gesellschafterbereich,43 sowie speziell zur Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich der GmbH.44 Häufig wird aber ein unabdingbarer Kernbereich angenommen, der jedoch erneut nicht eindeutig definiert wird.45 Im Besonderen soll es etwa zulässig sein, den Geschäftsführer vom Wettbewerbsverbot zu befreien,46 gleiches gilt für das Verbot Geschäftschancen der Gesellschaft wahrzunehmen.47 Ebenfalls im hohen Maße bejaht wird die Möglichkeit der Einwilligung in eine Zuwiderhandlung gegen die Treuepflicht im Einzelfall.48 Dafür finden sich Stimmen

38 39 40 41

361. 42

Vgl. die Bewertung bei Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 781 ff. Gemeint ist BGH, Urt. v. 09. 06. 2015 – II ZR 420/13, NZG 2015, 995. Vgl. Teichmann, Gestaltungsfreiheit in GesV, 1970, S. 170. Vgl. Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, passim; s. a. bereits Fleischer, NZG 2013,

Vgl. etwa Wiedemann, GesR, 2004, S. 198; Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 137, 135 ff. 43 Vgl. bspw. Teichmann, Gestaltungsfreiheit in GesV, 1970, S. 170; Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 216; Koppensteiner, GesRZ 2009, 197, 199; Armbrüster, ZGR 2014, 333, 351; Emmerich, in: Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 38c m. w. N.; zurückhaltend formulierend Bachmann u. a., Rechtsregeln geschl. KapG, 2012, S. 45; s. a. BGH, Urt. v. 25. 01. 2011 – II ZR 122/09, NZG 2011, 510, Rn. 21; BGH, Urt. v. 09. 06. 2015 – II ZR 420/13, NZG 2015, 995, Rn. 23. 44 Vgl. etwa Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 214, der jedenfalls eine Modifizierung und Beschränkung grds. zulässt. 45 So Koppensteiner, GesRZ 2009, 197, 199; Armbrüster, ZGR 2014, 333, 351 f.; Emmerich, in: Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 38c; ähnlich auch Teichmann, Gestaltungsfreiheit in GesV, 1970, S. 170, der eine Abbedingung für unwirksam hält, wenn die sinnvolle Zusammenarbeit in der Gesellschaft nicht gefährdet wird. 46 So Paefgen, in: GroßK, GmbHG, § 43 Rn. 103 mit umfangr. Nachw.; Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 185; a. A. Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften, 2016, S. 514. 47 So Paefgen, in: GroßK, GmbHG, § 43 Rn. 103; Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 210, 185. 48 Vgl. die Bewertung bei Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 778 ff., 794.

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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vorrangig zur Treuepflicht im Gesellschafterbereich,49 aber auch im Geschäftsleiterbereich der GmbH ist die Einwilligungsmöglichkeit weitgehend anerkannt. So werden dort insbesondere als einwilligungsfähig angesehen: einzelne Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsverbot50 und einzelne Zuwiderhandlungen gegen das Verbot, Geschäftschancen der Gesellschaft wahrzunehmen.51 Zusammenfassend ist mit gegenwärtigem Stand der Rechtswissenschaft in Deutschland die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als solche nicht abdingbar. Hiergegen erhebt sich aber neuerdings auch Kritik. Einzelne Ausprägungen der Treuepflicht sind grundsätzlich abdingbar. Weiterhin kann der Inhalt der Treuepflicht für hinreichend bestimmte Fälle begrenzt und konkretisiert werden. Zudem sind einzelne Zuwiderhandlungen gegen die Treuepflicht in hohem Maße einwilligungsfähig. 2. USA Zuweilen wird das US-amerikanische Gegenstück zur GmbH ausschließlich in der close corporation gesehen,52 aber dennoch der limited liability company (LLC) eine gewisse Ähnlichkeit attestiert.53 Dagegen halten diverse andere Stimmen die LLC für vergleichbar mit der GmbH.54 Teilweise wird die Zuordnung abhängig von der Ausgestaltung der Gesellschaft im Einzelfall vorgenommen.55 Zudem wird explizit beiden Gesellschaftsformen bescheinigt, die mit der GmbH gemeinsame Mittelstellung zwischen kapitalmarktorientierten kapitalistischen Gesellschaftsformen und Personengesellschaften mit partieller Haftungsbeschränkung einzunehmen.56 Hier soll auf eine Stellungnahme zur globalen Vergleichbarkeit von GmbH 49 Für die GmbH vgl. etwa Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 216; für die AG Fleischer, in: Schmidt/Lutter, AktG, § 53a Rn. 60; Henze/Notz, in: GroßK AtkG, 4. Aufl., § 53a Rn. 127. 50 Vgl. bspw. Paefgen, in: GroßK, GmbHG, § 43 Rn. 103; Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 190; beide besprechen die formellen Voraussetzungen einer solchen Befreiung und setzten die materielle Möglichkeit der Abbedingung damit voraus. 51 Vgl. etwa Paefgen, in: GroßK, GmbHG, § 43 Rn. 103; Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 210, 190. 52 So Bungert, GesR in den USA, 2003, S. 68 f.; wohl auch Gerber, in: Süss/Wachter Hdb. int. GmbHR, 2011, S. 1915, Rn. 2 f.; für weitere Nachw. s. Günther, GmbH und LLC, 2007, S. 251 mit Fn. 1127. 53 So Bungert, GmbH im US-Recht, Close Corporation, 1993, S. 99; wohl auch Gerber, in: Süss/Wachter Hdb. int. GmbHR, 2011, S. 1915, Rn. 3. 54 Vgl. Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 4a Rn. 9 a.E.; Koch, in: Staub, HGB, § 13e Rn. 13, der die Vergleichbarkeit als anerkannt bezeichnet; Krafka, in: MüKo HGB, § 13e Rn. 5 a.E.; die Vergleichbarkeit wird dort jeweils i. R. d. § 13e HGB bewertet; die Bewertung kann aber übertragen werden, da die Vergleichbarkeit i. R. d. § 13 HGB dann gegeben ist, wenn die Gesellschaft im Wesentlichen der deutschen GmbH entspricht, vgl. Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 4a Rn. 9. 55 So Halm, GmbHR 1995, 577, 578. 56 So Günther, GmbH und LLC, 2007, S. 249 f.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

und LLC oder close corporation verzichtet werden.57 Stattdessen wird die Rechtslage für beide kurz dargestellt. Dieses Vorgehen ist sinnvoll, da die Skizzierung der USamerikanischen Rechtslage ohnehin nur einen Anhaltspunkt für die inhaltliche Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht geben soll. Die einzelnen Sachargumente müssen später in jedem Fall individuell in die deutsche Dogmatik eingepasst werden. Aufgrund der erheblichen Bedeutung von Gesellschaften, die nach dem Recht des Bundesstaates Delaware gegründet sind,58 wird zunächst auf die dortige Rechtslage eingegangen.59 Bei der close corporation gelten grundsätzlich die gesetzlichen Regelungen für die corporation,60 insbesondere bezüglich der Abbedingung der Treuepflicht ist keine Sonderregel vorhanden. Aus diesem Grund ist die Gesetzeslage vergleichsweise restriktiv. So erlauben die einschlägigen Regelungen des Delaware General Corporation Law (DGCL) zwar eine Abbedingung der persönlichen Haftung für Sorgfaltspflichtverletzungen, verbieten aber den Haftungsausschluss für Verstöße gegen die Loyalitätspflicht61 – wobei die restriktive Regelung bezüglich der Loyalitätspflicht in der Literatur teilweise Kritik erfahren hat.62 Die Loyalitätspflicht gebietet, das Interesse der Gesellschaft aktiv zu verfolgen und Handlungen zu unterlassen, die der Gesellschaft schaden oder deren Vorteil verhindern.63 Weil das sinngemäß der gegenwärtigen Definition der deutschen Treuepflicht entspricht,64 kann die Loyalitätspflicht als ihr US-amerikanisches Gegenstück angesehen wer-

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Für einen ausf. Vergleich von LLC und GmbH s. Günther, GmbH und LLC, 2007. Vgl. bzgl. der corporation ausf. Merkt, US-amerikanisches GesR, 2013, S. 152 ff.; allgm. vgl. Conaway, 33 Del. J. Corp. L. 789, 796 ff. (2008). 59 Für einen Einblick in weitere US-amerikanische Rechtsordnungen und einen Einblick in die englische Rechtsordnung s. Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1292 f. 60 Vgl. Del Code Ann. tit. 8 §§ 343, 356. 61 Vgl. Del Code Ann. tit. 8 § 102 (b) (7): „[…] the certificate of incorporation may also contain any or all of the following matters: […] A provision eliminating or limiting the personal liability of a director to the corporation or its stockholders for monetary damages for breach of fiduciary duty as a director, provided that such provision shall not eliminate or limit the liability of a director: (i) For any breach of the director’s duty of loyalty to the corporation or its stockholders; (ii) for acts or omissions not in good faith or which involve intentional misconduct or a knowing violation of law; (iii) under § 174 of this title; or (iv) for any transaction from which the director derived an improper personal benefit.“; Del Code Ann. tit. 8 § 174 regelt die Haftung des Geschäftsleiters für unrechtmäßige Ausschüttung von Dividenden, unrechtmäßigen Erwerb von Aktien und unrechtmäßige Rückerstattung von Einlagen; zu Abgrenzungsproblemen insbesondere zwischen duty of care und good faith i. S. d. Norm s. etwa Lund, 37 Fla. St. U. L. Rev. 393 (2010). 62 s. Butler/Ribstein, 18 U. Balt. L. Rev. 352, 360 ff. (1989); Conaway, 33 Del. J. Corp. L. 789, 813 ff. (2008). 63 Vgl. Welch u. a., Delaware Corporation Law, Fundamentals, 2005, S. 82; vgl. auch die Interpretation von Strine u. a., 98 Geo. L.J. 629, 635 (2010) mit Fn. 10 m. w. N. 64 Dazu oben Teil 2 – A.I.1. 58

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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den.65 Im Gegensatz zur Loyalitätspflicht ist eine ihrer Ausprägungen in der close corporation weitgehend disponibel. So kann die Gesellschaft im Vorhinein auf Geschäftschancen oder auf Klassen und Kategorien von Geschäftschancen verzichten.66 Spätestens seit der Änderung des Delaware Limited Liability Company Acts (DLLCA) im Jahr 2004 ist die Gesetzeslage bei der LLC weitaus liberaler als bei der close corporation.67 Der DLLCA macht auf dem Weg zur Freiheit drei Schritte.68 Zunächst wird der Richter davon entbunden, den einschlägigen Abschnitt des Gesetzes bei Abweichungen vom common law strikt wörtlich zu interpretieren.69 Sodann räumt der Abschnitt allgemein der Vertragsfreiheit höchste Priorität ein.70 Schließlich erklärt er speziell die Treuepflicht für erweiterbar, einschränkbar und abdingbar, knüpft das aber an die Bedingung, dass nicht ebenfalls die implizite vertragliche Verpflichtung auf Treu und Glauben eliminiert wird.71 Die implizite vertragliche Verpflichtung auf Treu und Glauben ist ein allgemeiner vertraglicher Grundsatz, mit dessen Hilfe Vereinbarungen auszulegen und Vertragslücken zu schließen sind.72 Dieser Grundsatz gebietet, unabhängig vom Wort-

65 Vgl. die Zuordnung bei Borsdorff, Interessenkonflikte bei Organmitgliedern, 2010, S. 113. 66 Vgl. Del Code Ann. tit. 8 § 122 (17): „Every corporation created under this chapter shall have power to: […] Renounce, in its certificate of incorporation or by action of its board of directors, any interest or expectancy of the corporation in, or in being offered an opportunity to participate in, specified business opportunities or specified classes or categories of business opportunities that are presented to the corporation or 1 or more of its officers, directors or stockholders.“ 67 Für einen kurzen Abriss für die Zeit vor der Gesetzesänderung s. Lewis, 82 Fordham L. Rev. 1017, 1029 (2013). 68 Vgl. Dibadj, 41 Tulsa L. Rev. 451, 457 (2006). 69 Vgl. Del Code Ann. tit. 6 § 18-1101 (a): „The rule that statutes in derogation of the common law are to be strictly construed shall have no application to this chapter.“ 70 Vgl. Del Code Ann. tit. 6 § 18-1101 (b): „It is the policy of this chapter to give the maximum effect to the principle of freedom of contract and to the enforceability of limited liability company agreements.“ 71 Vgl. Del Code Ann. tit. 6 § 18-1101 (c): „To the extent that, at law or in equity, a member or manager or other person has duties (including fiduciary duties) to a limited liability company or to another member or manager or to another person that is a party to or is otherwise bound by a limited liability company agreement, the member’s or manager’s or other person’s duties may be expanded or restricted or eliminated by provisions in the limited liability company agreement; provided, that the limited liability company agreement may not eliminate the implied contractual covenant of good faith and fair dealing.“ 72 Vgl. Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 583 (1997); Ribstein, U. Ill. L. Rev. 2005, 209, 223; Gold, 41 Wake Forest L. Rev. 123, 127 (2006); dieser Grundsatz aus dem allgm. Vertragsrecht darf nicht verwechselt werden mit dem Gebot von Treu und Glauben aus der Treuepflicht, vgl. Strine/Laster, Harvard Law School, Discussion Paper No. 789, S. 26 (2014); ausf. zu letzerem Eisenberg, 31 Del. J. Corp. L. 1 (2006); Strine u. a., 98 Geo. L.J. 629 (2009).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

laut der Vereinbarungen ihren Geist zu verwirklichen73 beziehungsweise den vernünftigen Erwartungen des Vertragspartners Rechnung zu tragen.74 Dafür kann die implizite vertragliche Verpflichtung auf Treu und Glauben willkürliches oder unangemessenes Verhalten untersagen, das der anderen Partei die intendierten Früchte der Vereinbarung vorenthält.75 Mit dem Grundsatz wird insbesondere auf Situationen reagiert, die von den Parteien bei Vertragsschluss nicht vorhergesehen wurden.76 Folglich ähnelt die US-amerikanische implizite vertragliche Verpflichtung auf Treu und Glauben der deutschen Vertragsauslegung auf Basis von Treu und Glauben und dem deutschen Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Damit ist bei der LLC die Treuepflicht von Gesetzes wegen vollständig abdingbar, aber es werden allgemeine vertragsrechtliche Institute, die der Vertragsauslegung und dem Rechtsmissbrauch ähneln, vom Abbedingungsgegenstand ausgenommen. Die Rechtswissenschaft ging teilweise bei der LLC sogar noch einen Schritt weiter. So wurde die Treuepflicht zwischenzeitlich nicht nur als abdingbar angesehen, sondern insbesondere von dem damaligen Chief Justice des Deleware Supreme Court, Steele, in einem Aufsatz im Jahr 2009 auch als Standardregel abgelehnt; für ihren Bestand wurde gefordert, dass sie explizit vereinbart wird.77 Nachdem ein Urteil des Deleware Supreme Court im Jahr 2012 in dieser Frage zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führte,78 bereitete der Gesetzgeber der Diskussion ein Ende. Er hat 2013 bei der LLC die Treuepflicht als Standardregel festgeschrieben.79 In anderen Bundesstaaten ist die Gesetzeslage bei der LLC zur Abdingbarkeit der Treuepflicht restriktiver als in Delaware: In Oregon ist eine vollständige Abbedingung der Treuepflicht unmöglich. Die Gesellschafter können lediglich bestimmte Verhaltensweisen spezifizieren, die keine Treuepflichtverletzung darstellen, wobei die Befreiung nicht sittenwidrig sein darf.80 Auch in Kalifornien kann die Loyali73 Vgl. Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 583 (1997); s. a. Ribstein, Uncorporation, 2010, S. 167. 74 Vgl. Steele, 32 Del. J. Corp. L. 1, 17 (2007); Manesh, 38 Del. J. Corp. L. 1, 9 (2013). 75 Vgl. Steele, 32 Del. J. Corp. L. 1, 17 (2007); Manesh, 38 Del. J. Corp. L. 1, 8 (2013). 76 Vgl. Miller, 39 J. Corp. L. 296, 326 f. (2014) m. w. N. 77 Vgl. Steele, 46 Am. Bus. L.J. 221 (2009); dagegen etwa Miller, 39 J. Corp. L. 296, 309 ff., 311 ff., 315 ff., 324 (2014); zur geringen praktischen Relevanz dieser Diskussion Manesh, 2 Harv. Bus. L. Rev. Online 121 (2012). 78 Vgl. Manesh, 39 J. Corp. L. 35, 37 f. (2013); Ursache war das Urteil Garz Props., LLC v. Auriga Capital Corp., 59 A.3d 1206 (Del. 2012). 79 Vgl. Manesh, 39 J. Corp. L. 35, 67 f. (2013); Del Code Ann. tit. 6 § 18-1104: „In any case not provided for in this chapter, the rules of law and equity, including the rules of law and equity relating to fiduciary duties and the law merchant, shall govern.“ 80 Vgl. zum Vorst. Or. Rev. Stat. § 63 155 (10): „The articles of organization or an operating agreement of a limited liability company may not: (a) Eliminate completely the duty of loyalty under subsection (2) of this section, but the articles of organization or an operating agreement may: (A) Identify specific types or categories of activities that do not violate the duty of loyalty, if not unconscionable; […]“

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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tätspflicht als solche nicht abbedungen werden. Eine anfängliche Befreiung kann nur für bestimmte Verhaltensweisen erteilt werden, wenn die Befreiung nicht offenbar unangemessen ist.81 Liberaler als diese bundesstaatlichen Regelungen ist wiederum der Uniform Limited Liability Company Act (ULLCA). Er erlaubt die Eliminierung der Loyalitätspflicht, wenn diese nicht offenbar unangemessen ist.82

II. Ausgangspunkt Aufgrund des besonderen Klärungsbedarfs ist die Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als solcher zu diskutieren. Soweit sich ihre Zulässigkeit herausstellt, gilt dies aber erst recht für die Abdingbarkeit von einzelnen Ausprägungen der Treuepflicht, für die Modifizierung der Treuepflicht und für den Dispens im Einzelfall. Bei der Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht ist Ausgangspunkt die Zulässigkeit der Abbedingung. Denn solange keine abweichende Rechtsregel besteht, gewährleistet die Privatautonomie die Gestaltungsfreiheit und damit idealerweise eine Tendenz zu gerechten und effizienten Ergebnissen sowie die Selbstbestimmung der Parteien.83 Bei der GmbH wird der grundsätzliche Vorrang der Privatautonomie durch § 45 Abs. 2 GmbHG gestützt, nach dem sich die Verhältnisse der Gesellschafter untereinander zunächst aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben.84

III. Normative Anknüpfung einer Unabdingbarkeit Wegen des Grundsatzes der Privatautonomie bedarf eine Unabdingbarkeit der Treuepflicht der normativen Anknüpfung. Es ist aber nicht nur relevant, ob ein normativer Anknüpfungspunkt existiert. Es ist ebenfalls entscheidend, worin er besteht. Denn der konkrete Anknüpfungspunkt ist insbesondere für die spätere Gewichtung der einzelnen Sachargumente ausschlaggebend.

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Vgl. zum Vorst. Cal. Corp. Code § 17701.10 (c): „[…] an operating agreement shall not do any of the following: […] (14) Eliminate the duty of loyalty under subdivision (b) of Section 17704.09, but the operating agreement may do any of the following: (A) Identify specific types or categories of activities that do not violate the duty of loyalty, if not manifestly unreasonable. […]“ 82 Vgl. ULLCA § 105 (d) (3): „If not manifestly unreasonable, the operating agreement may: (A) alter or eliminate the aspects of the duty of loyalty stated in Section 409(b) and (i); (B) identify specific types or categories of activities that do not violate the duty of loyalty; […](D) alter or eliminate any other fiduciary duty.“ 83 Dazu ausf. oben Teil 2 – B.I. 84 Vgl. Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

1. Wesensmerkmal/Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts Verschiedene Vertreter des deutschen Schrifttums sehen die Treuepflicht wohl als notwendiges Wesensmerkmal des Gesellschaftsverhältnisses, zumindest gehen ihre Aussagen in die Richtung.85 Mit dieser Einordnung verstieße die Abbedingung der Treuepflicht gegen das Gesellschaftsrecht als positives Normengefüge.86 Inhaltlich identisch wird in solchen Fällen von einem Verstoß gegen „Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts“ gesprochen.87 Meist beziehen sich die Charakterisierungen als notwendiges Merkmal aber nicht auf den Geschäftsleiterbereich, sondern auf den Gesellschafterbereich.88 Die Übertragbarkeit der Aussagen auf den Geschäftsleiterbereich ist erneut aufgrund ihrer Kürze schwer zu bewerten. Jedoch kann für die Übertragbarkeit abermals die strukturelle Vergleichbarkeit der Treuepflicht im Gesellschafterbereich und im Geschäftsleiterbereich angeführt werden.89 Außerdem wird neben der Treuepflicht im Gesellschafterbereich zuweilen die Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich als notwendiges Wesensmerkmal eingestuft. So ist wohl namentlich Grundmann zu verstehen, wenn er die Treuepflicht als die Hauptpflicht des Organverhältnisses sieht.90 Denn eine Hauptpflicht ist essentieller und charaktergebender Bestandteil des Rechtsverhältnisses.91 Auch Kumpan könnte dahingehend interpretiert werden, wenn er die Treuepflicht als dem Organverhältnis inhärent ansieht.92 Soweit mit der Treuepflicht als notwendigem Wesensmerkmal der Gesellschaft argumentiert wird, bleibt die Literatur in der Regel eine Erklärung darüber schuldig, 85 Für den Gesellschafterbereich mit unterschiedlichen Formulierungen, aber ähnlichem Sinn: Timm, WM 1991, 481, 494: „unabdingbarer Bestandteil jeglicher Mitgliedschaft“; Geiger, Wettbewerbsverbote, 1996 S. 172: „die Abbedingung könne zur Denaturierung der Gesellschaft führen“; Wiedemann, GesR, 2004, S. 194: „zwingender Bestandteil jeder Gemeinschaftsethik“, S. 199: „naturnotwendiger Bestandteil“; Röhricht, in: Hdb. Coporate Governance, 2009, S. 513, 515: „notwendiger Teil der Mitgliedschaft“; s. a. Lutter, AcP 180 (1980), 84, 103, 117: „Element jeder Mitgliedschaft“; Schöne, WM 1991, 209, 212: „immanentes Element jeder Mitgliedschaft“; für den Geschäftsleiterbereich vgl. Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 269, 541, 545, 547; ähnlich für die Treuepflicht allgm. Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 132, 133 f.; für Österreich s. ErlRV, 270 BlgNR 25. GP, 13; Koppensteiner, wbl 2015, 301, 308; für die Treuepflicht als Wesensmerkmal im USamerikanischen trust law vgl. Laby, 56 Buff. L. Rev. 99, 122 (2008). 86 Für die Einordnung des Wesensverstoßes als Verstoß gegen das positive Normengefüge des Gesellschaftsrechts vgl. Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 224. 87 Mit Grundprinzipien des GesR argumentiert etwa der BGH für die Unabdingbarkeit von Hinauskündigungsklauseln, vgl. BGH, Urt. v. 25. 03. 1985 – II ZR 240/84, WM 1985, 772, 773; BGHZ 81, 263, 266. 88 s. die entsprechend gekennzeichneten Nachw. in Fn. 85 in diesem Teil. 89 Dazu oben Teil 2 – A.I.3. 90 Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 545; zur Übertragbarkeit auf das Organverhältnis ebd., S. 269, 541, 547; für die Treuepflicht als Wesensmerkmal im US-amerikanischen trust law vgl. Laby, 56 Buff. L. Rev. 99, 122 (2008). 91 Vgl. Looschelders, SchuldR AT, 2015, Rn. 11. 92 Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 134.

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was dieses Merkmal ausmacht und warum die Treuepflicht darunter subsumiert werden kann. Eine Erklärung für den Geschäftsleiterbereich könnte wie folgt aussehen: Der Geschäftsführer verwaltet fremdes Gesellschaftsvermögen. Das ist nicht nur typisch für das Organverhältnis, sondern es definiert sein Wesen. Bei der Entscheidung über fremdes Vermögen sind notwendigerweise die fremden Ziele zu verfolgen. Nur die Treuepflicht kann das sichern. Deswegen denaturiert ihr Fehlen das Wesen des Organverhältnisses und damit das Wesen der Gesellschaft. Folglich dürfte bei Fehlen der Treuepflicht eine Gesellschaft nicht rechtlich anerkannt werden. Deshalb ist eine Abbedingung der Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich ausgeschlossen. Auch diese Erklärung kommt zwar nicht ohne Postulate aus, gibt aber mehr Inhalt als die einfache Feststellung des notwendigen Wesensmerkmals. Gegen das Wesensargument wird vorgebracht, dass die Treuepflicht lediglich in dispositiven Einzelausprägungen gesetzlich geregelt ist.93 Hierauf könnte zunächst erwidert werden, dass die Treuepflicht in § 705 BGB normiert ist. Jedoch ist § 705 BGB vorrangig im Gesellschafterbereich einschlägig. Zudem verlangt die Vorschrift nur, dass die Vertragsparteien sich verpflichten, den Zweck, „in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern“. Die Treuepflicht ist zwar eine Art, zur Zweckförderung zu verpflichten, aber sie ist nicht die einzige – beispielsweise können eigenständige Einzelpflichten vereinbart werden.94 Damit ist die Treuepflicht nicht in § 705 BGB vorgeschrieben.95 Die spärliche Regelung der Treuepflicht ändert aber nichts daran, dass die Treuepflicht implizit im Wesen der Verwaltung fremden Vermögens angelegt sein könnte und die Verwaltung fremden Vermögens könnte noch immer implizit aus der Natur des Organverhältnisses folgen. Die spärliche Regelung der Treuepflicht kann deswegen nicht das Wesensargument widerlegen. Jedoch hat die Anknüpfung an das Wesen der Gesellschaft noch andere Unzulänglichkeiten: Im Gesellschaftsrecht gilt zwar der numerus clausus der Gesellschaftsformen, aber mit der heute herrschenden Meinung gerade kein allgemeiner Wesens- beziehungsweise Typenzwang.96 Deswegen ist es den Betroffenen bei Abwesenheit besonderer Vorschriften möglich, die Ausgestaltung von Gesellschaftsund Organverhältnis frei zu bestimmen. Dabei lässt die Rechtsprechung „erhebliche Verfremdungen der gesetzlichen Grundformen“ zu.97 Konkret: Auch wenn eine Abbedingung der Treuepflicht zur Folge hat, dass nicht – wie typischerweise – die Gesellschaftsziele Vorrang für den Geschäftsführer haben, und wenn dies wiederum zur Folge hat, dass nicht – wie typischerweise – das verwaltete Vermögen alleine der Gesellschaft zugewiesen ist, kann noch immer eine atypische aber dennoch zulässige 93 So Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 775; dies aufgreifend Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 668; krit. Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 134. 94 Vgl. oben Teil 2 – A.V. 95 Vgl. oben Teil 2 – A.V. 96 Vgl. Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 159, der das als ganz hM bezeichnet und zudem bereits dem numerus clausus des Gesellschaftsrecht geringe Aussagekraft zuweist; vgl. auch Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 678 f. 97 Vgl. Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 679.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Gesellschaft vorliegen.98 Ansonsten könnte die anerkannte Disponibilität einzelner Ausprägungen der Treuepflicht kaum erklärt werden. Denn wenn tatsächlich der Vorrang des Gesellschaftsinteresses Wesenselement der Gesellschaft wäre und dies nur mit der Treuepflicht erreicht werden könnte, dürfte die Treuepflicht nicht für bestimmte typisierte Fallgruppen abbedungen werden. Zweitens hat eine Abbedingung der Treuepflicht nicht zwangsläufig zur Folge, dass dem Gesellschaftsinteresse keine Bedeutung zukommt. Denn die Treuepflicht ist nicht die einzige Möglichkeit, den Geschäftsführer an die Ziele der Gesellschaft zu binden. So können explizit oder konkludent Einzelpflichten vereinbart werden, außerdem werden bestimmte Interessen bereits von allgemeinen Instituten wie dem Rechtsmissbrauch gewahrt.99 Weiterhin können außerrechtliche Mechanismen greifen – beispielsweise eine erfolgsbezogene Vergütung, eine persönliche Bindung, das Reputationsinteresse, der Produktmarkt oder internalisierte Moralvorstellungen.100 Auch diese Pflichten und Mechanismen können den Geschäftsführer bis zu einem gewissen Punkt an das Interesse der Gesellschaft binden.101 Insoweit führen sie dazu, dass der Geschäftsführer das fremde Vermögen im Sinne der fremden Ziele verwaltet, ohne dass die Treuepflicht notwendig ist und ihre etwaigen Nebenwirkungen in Kauf genommen werden müssen.102 Insofern ist die Gesellschaft trotz Abbedingung der Treuepflicht nicht atypisch. Drittens kommt das Wesensmerkmal weder in der Literatur noch hier ohne Postulate aus. Es ist eine leere Hülle. Aufgrund seines fehlenden Inhalts ist es einerseits schwer angreifbar,103 andererseits können aus ihm keine belastbaren Schlüsse gezogen werden.104 Insgesamt ist es rational kaum nachprüfbar.105 Der Begriff des Wesensmerkmals kann zwar als gedankliche Stütze nützlich sein, um dahinterstehende gesetzliche Wertungen und Regelungen zu bündeln. Jedoch entbindet das Wesensmerkmal weder von einer konkreten normativen Anknüpfung noch von einer konkreten Begründung.106 Bei deren Vorliegen werden aber wiederum die Anknüpfung an und die Begründung mit dem Wesen der Gesellschaft obsolet.107 98

Ähnlicher Gedanke bei. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 775. s. o. Teil 2 – A.IV.8. (vereinbarte Einzelpflichten); Teil 2 – A.III.1.b) (Abgrenzung von Treuepflicht und Rechtsmissbrauch). 100 Mit Markt ist hier speziell der Produkt- und Arbeitsmarkt gemeint; zu den einzelnen außerrechtlichen Mechanismen ausf. oben Teil 2 – A.IV. 101 Vgl. oben Teil 2 – A.IV. 102 Zu den Nebenwirkungen der Treuepflicht ausf. später Teil 3 – A.IV.2.a)bb). 103 Ähnlich Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 668. 104 Vgl. Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 224; s. a. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, 1970, S. 93. 105 Vgl. Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1295. 106 Vgl. Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 224 f.; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 668; zum Vorst. s. a Scheuerle, AcP 163 (1964), 429, 430 ff., 463, 469 ff. 107 Vgl. Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 225. 99

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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Nun könnte aber argumentiert werden, dass der Gesetzgeber für die Nichtigkeit von Beschlüssen in § 241 Nr. 3 Var. 1 AktG108 auf einen Verstoß gegen das Wesen der Gesellschaft verweist und es schon deswegen als normativer Anknüpfungspunkt für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht in Betracht kommen muss. Im Rahmen des § 241 Nr. 3 Var 1 AktG ist mit der Literatur aber nur dann ein Verstoß gegen das Wesen der Gesellschaft gegeben, wenn ein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften vorliegt.109 Eine Ausnahme kommt wohl lediglich in Betracht, wenn der Beschluss mit allgemeinen Rechtsregeln unvereinbar ist – etwa weil er perplex ist.110 Darauf aufbauend wird der Norm von manchen eine eigenständige Bedeutung abgesprochen.111 Jedenfalls kann das Wesen der Gesellschaft auch im Rahmen des § 241 Nr. 3 Var. 1 AktG nicht alleine als Anknüpfungspunkt für die Nichtigkeit dienen. Folglich werden die obigen Einwände nicht von der gesetzlichen Normierung des Wesens der Gesellschaft widerlegt. Vielmehr stützt die praktische Anwendung der Norm die obigen Bedenken. Damit eignet sich das Wesen der Gesellschaft nicht als selbständiger normativer Anknüpfungspunkt für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht. Die hinter dem Wesensargument stehenden Gedanken können aber später aufgegriffen werden, etwa wenn die Abhandlung eine etwaige Sinnlosigkeit der Abbedingung beleuchtet112 oder wenn die Perplexität des Rechtsverhältnisses aufgrund einer Abbedingung der Treuepflicht angedacht wird.113 2. Treuepflicht als zwingendes überpositives Rechtsprinzip Wiedemann erhebt die Treuepflicht sogar zu einem verbandsrechtlichen Rechtsprinzip mit rechtsethischer Verwurzelung, wobei Rechtsprinzipien überpositiven Charakter hätten und zwingendes Recht im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG darstellten.114 Wiedemann liefert dafür aber keine vertiefende Begründung. Dabei 108

§ 241 Nr. 3 AktG: „Ein Beschluß der Hauptversammlung ist […] nur dann nichtig, wenn er […] mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren ist oder durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind.“ 109 Vgl. Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, § 241 Rn. 206 ff.; dazu auch Scheuerle, AcP 163 (1964), 429, 438; speziell für die GmbH Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 47 Rn. 16. 110 Vgl. Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, § 241 Rn. 208. 111 Vgl. bspw. ebd., Rn. 208; s. a. Hüffer, in: MüKo AktG, § 241 Rn. 48 f. 112 s. u. Teil 3 – A.IV.2.a). 113 s. u. Teil 3 – A.III.4. 114 Vgl. Wiedemann, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 5, 21 (allgm.) und Wiedemann, GesR, 2004, S. 198 (allgm.); ähnlich auch Lutter, ZHR 162 (1998), 164, 166: „a priori existentes verbandsrechtliches Prinzip“ (wohl Gesellschafterbereich); sich Wiedemann und Lutter anschließend Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 206 (Geschäftsleiterbereich der GmbH); sich Lutter anschließend Röhricht, in: Hdb. Coporate Governance, 2009, S. 513, 515 (Gesellschafterbereich).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

bereitet schon ein überpositiver Charakter der Treuepflicht Probleme. So ist positives Recht alles Recht, das empirisch vorhanden ist; insbesondere sind Gesetze, Verordnungen, Satzungen und Gewohnheitsrecht positives Recht.115 Überpositives Recht – Naturrecht – steht wohl über diesen Normen. Es ist bereits abzulehnen, dass es ein zwingendes überpositives Rechtsprinzip mit Wirkung der Treuepflicht geben kann und dass es dem positiven Gesetzesvorbehalt der Vertragsfreiheit gerecht würde. Denn eine solche Möglichkeit öffnete einer willkürlichen Staatsgewalt Tür und Tor. Zum Zweck der Diskussion soll aber davon ausgegangen werden, dass ein solches Rechtsprinzip bestehen kann und dass es per Definition zwar nicht mit positivem Recht zu begründen, aber ebenso wenig mit positivem Recht zu widerlegen ist. Angesetzt werden soll hier bei der Frage, ob die Treuepflicht nach Wiedemanns eigenem Maßstab ein zwingendes überpositives Rechtsprinzip sein kann. Wiedemann116 verweist für den Begriff des überpositiven Rechtsprinzips auf Dworkin,117 der zwischen Regeln und Prinzipien unterscheidet.118 Nach Dworkin zeichnet Regeln aus, dass sie verbindliche Anweisungen enthalten, die entweder einschlägig sind oder nicht.119 Dennoch sollen Regeln unbestimmte Rechtsbegriffe wie angemessen und unfair beinhalten können, innerhalb derer wiederum Prinzipien zu berücksichtigen sind.120 Als Beispiel für eine Regel mit unbestimmtem Rechtsbegriff führt Dworkin eine Anweisung an, die einen unangemessenen Vertrag für nichtig erklärt.121 Im Gegensatz zu Regeln sollen Prinzipien allgemeine Erwägungen sein, die zwar eine Richtung vorgeben, aber nicht verbindlich sind und im Konfliktfall miteinander abgewogen werden müssen.122 Prinzipien sind damit Meta-Wertungen, welche die Anwendung des positiven Rechts vereinfachen, namentlich ist mit Dworkins Definition die den Vorschriften des BGB inhärente Vertragsfreiheit ein Rechtsprinzip. Kein Rechtsprinzip ist mit Dworkins Definition hingegen das subjektive Abwehrrecht auf Vertragsfreiheit, das mit bestimmten Voraussetzungen gegenüber dem Staat besteht. Die Treuepflicht beschränkt den Entscheidungsprozess des Treueverpflichteten, indem sie ihm verbindlich vorgibt, die Ziele des Treueberechtigten bei seiner Entscheidung jedenfalls angemessen zu berücksichtigen.123 Der Treueverpflichtete darf diese Pflicht unter keinen Umständen eigenmächtig ignorieren. Deswegen kann die 115

Vgl. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2008, S. 291. Wiedemann, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 5, 21. 117 Dworkin, Taking Rights Seriously, 1977, S. 14 – 45. 118 Vgl. ebd., S. 22, wobei er von den Prinzipien noch die Richtlinien u. a. Standards abspaltet. 119 Vgl. ebd., S. 24. 120 Vgl. ebd., S. 28. 121 Vgl. ebd., S. 28. 122 Vgl. ebd., S. 26. 123 Vgl. oben Teil 2 – A.I.3.b). 116

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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Treuepflicht entweder eingehalten werden oder nicht; mit anderen Worten: Die Treuepflicht kann nicht ein bisschen verletzt sein. Alles andere wäre nicht sinnvoll, da dann keine Rechtsfolgen an die Verletzung der Treuepflicht geknüpft werden könnten. Dem steht nicht entgegen, dass die Treuepflicht aufgrund ihrer Anknüpfung an den Entscheidungsprozess eine Offenheit wahrt und dass Typisierungen bestimmter Treuepflichtverletzungen entstanden sind, um ihre Anwendung praktisch handhabbar zu machen. Ebenfalls ist nach Dworkins Definition irrelevant, dass innerhalb der Treuepflicht und innerhalb ihrer Ausprägungen auf unbestimmte Rechtsbegriffe wie angemessen oder verhältnismäßig abgestellt wird, im Rahmen derer verschiedene Güter und gegebenenfalls allgemeine Prinzipien abgewogen werden können. Denn das ändert nicht, dass die Treuepflicht selbst nicht abgewogen werden kann. Folglich sind weder die Treuepflicht noch ihre Ausprägungen nach Wiedemanns eigenem Maßstab naturrechtliche Rechtsprinzipien. Sie können deswegen nicht als solche zwingend sein. Ob es zusätzlich zu der Treuepflicht ein Rechtsprinzip der Treue gibt, dass sich aus ihr ableiten lässt beziehungsweise durch sie verkörpert ist, kann hier dahingestellt sein. Denn die Existenz eines solchen Prinzips stände der Einordnung der Treuepflicht als positiver Regel nicht entgegen. Zudem entfaltete ein Prinzip der Treue mit Dworkins Definition keine verbindliche Wirkung gegenüber den Akteuren. Die Abbedingung eines solchen Prinzips wäre für die Akteure deswegen nicht sinnvoll. Im Übrigen könnte bei Existenz eines solchen Prinzips nach Abwägung mit anderen Prinzipien die Treuepflicht abbedungen werden. Das Prinzip der Treue wäre als Meta-Wertung nur eine Hülle, die mit konkretem Inhalt gefüllt werden müsste. Insoweit gelten die obigen Ausführungen zum Wesen der Gesellschaft.124 Nach alledem ist die Treuepflicht als zwingendes überpositives Rechtsprinzip für die normative Anknüpfung der Unabdingbarkeit ungeeignet. 3. Treu und Glauben als zwingendes Rechtsinstitut Weiterhin wird für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht mit einer Unabdingbarkeit von Treu und Glauben argumentiert.125 Unabhängig von der Abdingbarkeit von Treu und Glauben126 ist dagegen einzuwenden, dass die Treuepflicht nicht mit Treu und Glauben gleichzusetzen ist. Sie ist nicht einmal vergleichbar.127 Denn mit der Treuepflicht steht eine Pflicht zur Disposition, deren Existenz lediglich mit Treu 124

s. o. Teil 3 – A.III.1. So etwa Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 133; Armbrüster, ZGR 2014, 333, 350; Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1294; s. a. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 775, der das dann aber explizit ablehnt; für die Unabdingbarkeit von Treu und Glauben vgl. Larenz/Canaris, SchuldR, 1987, § 10 Abs. 1, S. 128; Wiedemann, GesR, 2004, S. 198; Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 108 m. w. N.; s. a. BGH, Urt. v. 24. 06. 1987 – IV a ZR 99/86, NJW 1987, 2808. 126 Dazu später Teil 3 – A.VIII. 127 Vgl. Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 92. 125

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

und Glauben begründet wird und die zudem wohl eher der Vertragsauslegung entstammt.128 Damit liegt – wenn überhaupt – eine Einzelausprägung von Treu und Glauben vor,129 die als solche mit gängiger Dogmatik nicht unabdingbar ist.130 Dabei ist unschädlich, dass eine Abbedingung der Treuepflicht mittelbar Auswirkung auf allgemeine Rechtsinstitute haben kann, die als zwingender Bestandteil von Treu und Glauben angesehen werden – etwa auf das Verbot des Rechtsmissbrauchs.131 Denn diese Rechtsinstitute blieben als solche mit Abbedingung der Treuepflicht bestehen.132 Eine Abbedingung der Treuepflicht wäre lediglich bei der Anwendung der allgemeinen Institute zu berücksichtigen und könnte deswegen nur mittelbaren Einfluss nehmen.133 Folglich eignet sich ein zwingender Charakter von Treu und Glauben nicht, um die Unabdingbarkeit der Treuepflicht anzuknüpfen. 4. Perplexität des Rechtsverhältnisses Zuweilen wird angedacht, die Unabdingbarkeit der Treuepflicht an eine Perplexität des Rechtsverhältnisses zu knüpfen.134 Dafür könnte wie folgt argumentiert werden: Der Geschäftsführer ist verpflichtet, das Vermögen zu verwalten. Nach allgemeiner Auslegung wird damit zumindest impliziert, dass er sich nicht das gesamte Vermögen aneignen darf, jedenfalls insoweit muss er das Interesse der Gesellschaft wahren. Zudem impliziert die Verwaltung fremden Vermögens, dass irgendeine Verwaltungshandlung vorgenommen werden muss; jedenfalls insoweit ist der Geschäftsführer zur Förderung des Gesellschaftsinteresses verpflichtet. Eine Abbedingung der Treuepflicht führt nun dazu, dass der Geschäftsführer das Interesse der Gesellschaft umfassend ignorieren darf. Somit steht sie im Widerspruch zu der vereinbarten Verwaltung fremden Vermögens. Folglich kann die Treuepflicht nicht abbedungen werden. Diese Argumentation übersieht jedoch einen wesentlichen Punkt: Eine Abbedingung der Treuepflicht bedeutet nicht, dass der Geschäftsführer das Interesse der Gesellschaft vollkommen ignorieren darf. Eine Abbedingung der Treuepflicht hat lediglich zur Folge, dass dem Geschäftsführer innerhalb seines grundsätzlichen Handlungsspielraums nicht mehr rechtlich geboten ist, allgemein die Ziele der 128

Vgl. oben Teil 2 – A.V. s. aber Stimpel, in: FS 25 Jahre BGH, 1975, S. 13, 19: „heute [ist] die Treuepflicht […] kein bloßer Untertatbestand des § 242 BGB mehr […]“. 130 Vgl. Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 109 m. w. N. 131 Für den Bereich des Rechtsmissbrauchs als zwingende Ausprägung des § 242 BGB vgl. Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 109. 132 Vgl. oben Teil 2 – A.III.1. 133 Vgl. oben Teil 2 – A.III.1. 134 So Koppensteiner, GesRZ 2009, 197, 199: „Daraus müsste man folgern, dass Treuepflichten, soweit auf die Gesellschaft, also das gemeinsame Interesse bezogen, wegen sonstiger Perplexität des Vertrages nicht disponibel sind. In Wahrheit liegen die Dinge komplizierter […]“. 129

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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Gesellschaft im Auge zu haben.135 Soweit aber gesetzliche oder vertragliche Einzelpflichten bestehen, ist ein solcher Spielraum nicht vorhanden. Deswegen zeitigt eine Abbedingung der Treuepflicht insoweit keine Wirkung. Folglich steht eine Abbedingung der Treuepflicht nicht im Widerspruch zu punktuellen Einzelpflichten. So durfte der Geschäftsführer – in dem oben dargestellten Beispiel –136 trotz Abbedingung der Treuepflicht nicht das anvertraute Geld für seinen Urlaub entwenden, weil die Einzelpflicht des Investierens – in den Markt – vereinbart war und deswegen insoweit kein Handlungsspielraum bestand. Jedoch durfte er die erkundete Geschäftschance aus eigenem Interesse der Gesellschaft vorenthalten, da er nach Vertragsauslegung einen grundsätzlichen Handlungsspielraum bei der Wahrnehmung und Ausschlagung von Geschäftschancen mit dem Gesellschaftsvermögen hatte und die Treuepflicht abbedungen war. Nach alledem führt eine Abbedingung der Treuepflicht nicht zur Perplexität des Rechtsverhältnisses. Hieran kann ihre Unabdingbarkeit daher nicht angeknüpft werden. 5. § 276 Abs. 3 BGB Außerdem wird angesprochen, die Unabdingbarkeit der Treuepflicht an § 276 Abs. 3 BGB zu knüpfen.137 Dafür könnte man wie folgt argumentieren: § 276 Abs. 3 BGB verbietet, die Haftung für Vorsatz auszuschließen.138 Die Treuepflicht ist verletzt, wenn der Treueverpflichtete nicht die Ziele des Treueberechtigten für seine Entscheidung ansetzt, sondern sein eigenes Interesse verfolgt beziehungsweise die fremden Ziele nicht hinreichend berücksichtigt. Das Ansetzen eigenen Interesses und die Nichtbeachtung fremden Interesses ist notwendigerweise ein wissentlicher und willentlicher Vorgang. Damit ist die Verletzung der Treuepflicht zwingend vorsätzlich. Folglich wird mit Abbedingung der Treuepflicht die Haftung für Vorsatz eliminiert. Somit verbietet § 276 Abs. 3 BGB die Abbedingung der Treuepflicht. Jedoch übersieht diese Argumentation, dass die Treuepflicht und ihre Abbedingung weder das Vertretenmüssen einer Verletzung bestehender Pflichten regeln noch anderweitig die Haftung für die Verletzung bestehender Pflichten unmittelbar139 modifizieren. Vielmehr würde mit der Treuepflicht eine haftungsbegründende Pflicht selbst eliminiert.140 Eine Abbedingung solcher Pflichten wird von § 276 135

Vgl. oben Teil 2 – A. s. o. Teil 2 – A.III.2. 137 Die Anknüpfung an § 276 Abs. 3 BGB erst ansprechend, dann aber widerlegend Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 776. 138 Vgl. § 276 Abs. 3 BGB: „Die Haftung wegen Vorsatzes kann dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden.“ 139 Die Treuepflicht kann aber u. U. ge- bzw. verbieten, bestimmte Ansprüche geltend zu machen und damit mittelbar Einfluss nehmen; das ist hier nicht relevant, da sie auch dann eine eigenständige Pflicht ist. 140 Zum Vorst. vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765. 776: „Die Abbedingung der organschaftlichen Treuepflicht scheitert auch nicht an § 276 Abs. 3 BGB, demzufolge die Haf136

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Abs. 3 BGB aber nicht verhindert, da die Vorschrift lediglich Haftungsbeschränkungen betrifft. Deswegen kann § 276 Abs. 3 BGB nicht der Abbedingung der Treuepflicht entgegenstehen.141 Folglich eignet sich die Norm nicht, um die Unabdingbarkeit der Treuepflicht anzuknüpfen. 6. Inhaltskontrolle/Sittenwidrigkeit Darüber hinaus könnte angedacht werden, die Unabdingbarkeit der Treuepflicht an eine Inhaltskontrolle aus Treu und Glauben zu knüpfen. Eine solche Inhaltkontrolle kann bei Gesellschaftsverträgen erfolgen.142 Sie wurde aber speziell für die Publikumspersonengesellschaft entwickelt.143 Dort wird sie vorwiegend damit begründet, dass die Gesellschafter einen vorgefertigten Formularvertrag unterzeichnen, auf dessen Gestaltung sie keinen Einfluss haben.144 Die Anwendung der Inhaltskontrolle aus Treu und Glauben wird dagegen bei geschlossenen Gesellschaften nicht praktiziert.145 Das ist folgerichtig. Denn bei geschlossenen Gesellschaften haben die Parteien typischerweise Einfluss auf die Vertragsgestaltung, weil es in der Regel wenige Akteure gibt, die aktiv an der Gesellschaft teilhaben.146 Eine Anknüpfung der Unabdingbarkeit an die Inhaltskontrolle aus Treu und Glauben ist deswegen in der geschlossenen GmbH nicht möglich. In der Literatur wird weiterhin darauf abgestellt, dass eine Abbedingung der Treuepflicht gegen § 138 Abs. 1 BGB verstößt; das wird jedoch nicht vertiefend begründet.147 Aufgrund der Weite seines Tatbestands und seiner Rechtsfolge liegt die tung für Vorsatz auch individualvertraglich nicht ausgeschlossen werden kann. Denn dieses Abbedingungsverbot kommt nur dann zum Tragen, wenn für Fälle feststehenden Vertragsbruchs nicht nur die Verschuldensform (grobe) Fahrlässigkeit ausgeschlossen wird, sondern der offene und gezielte Vertragsbruch legitimiert werden soll. Beim Dispens von der Treuepflicht geht es dagegen um die vorgelagerte Frage, wieweit die gesellschaftsrechtlichen Pflichten des Geschäftsführers überhaupt reichen.“ 141 So i. E. auch Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765. 776. 142 Grundlegend zur Inhaltskontrolle aufgrund von Treu und Glauben bei Gesellschaftsverträgen BGHZ 64, 238; nach Vorarbeit von Fischer, DRiZ 1974, 209; Fischer, in: FS Barz, 1974, S. 33, 37 ff.; Wiedemann, in: FS Westermann, 1974, S. 585, 590 f.; ausf. zur Inhaltskontrolle aufgrund von Treu und Glauben bei Gesellschaftsverträgen Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, 1992, S. 124 ff.; Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 292 ff. 143 Vgl. BGHZ 64, 238. 144 Vgl. ebd., S. 241. 145 Vgl. Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 296 f., mit Verweis auf die Rspr. des BGH, der bei geschlossenen Gesellschaften auf § 138 Abs. 1 BGB und auf Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts, aber nicht auf § 242 BGB abstelle. 146 Für diese Merkmale der geschlossenen Gesellschaft vgl. Fleischer, NZG 2014, 1081, 1082 f. 147 So etwa Teichmann, Gestaltungsfreiheit in GesV, 1970, S. 170 (Gesellschafterbereich); Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 216, der die Unabdingbarkeit auf die Sittenwidrigkeit stützt, aber wohl auch einen Verstoß gegen Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts für möglich hält (Gesellschafterbereich); s. a. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 775, 778, 780

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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Schwierigkeit nicht darin herauszufinden, ob sich die Grenze der Sittenwidrigkeit grundsätzlich als Anknüpfungspunkt für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht eignet – das tut sie. Problematisch ist die Beantwortung der Frage, ob die Grenze überschritten wird. Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.

IV. Rechtsgründe für eine Unabdingbarkeit 1. Fremdinteressenschutz Für eine Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB kann zunächst der Schutz von Fremdinteressen sprechen.148 Das wird besonders deutlich, wenn in gängigen Anwendungsfällen des § 138 Abs. 1 BGB die Nichtigkeit einer Vereinbarung wegen einer Verleitung zum Vertragsbruch angenommen wird – dann werden individuelle Fremdinteressen geschützt.149 Zudem zeigt sich ein Fremdinteressenschutz, wenn die Nichtigkeit einer Vereinbarung gemäß § 138 Abs. 1 BGB beim Verkauf von Doktortiteln vorliegen soll – dann werden Kollektivinteressen geschützt.150 a) Gläubiger- und Arbeitnehmerinteressen Als schutzbedürftige Fremdinteressen wurden in Bezug auf die Abdingbarkeit der Treuepflicht bereits von Winter Individualinteressen von Gläubigern der Gesellschaft ins Feld geführt.151 Gläubigerinteressen können aber nur dann für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht angebracht werden, wenn die Treuepflicht ihrem Schutz dient. Hiergegen spricht, dass die Treuepflicht den Geschäftsführer lediglich an das Gesellschaftsinteresse bindet und damit gerade nicht an die Gläubigerinteressen.

(Geschäftsleiterbereich), der für besondere Einzelfälle § 138 BGB als Grenze der Abdingbarkeit heranzieht; § 138 Abs. 1 BGB als Grundlage der Unabdingbarkeit ablehnend Waclawik, DB 2005, 1151, 1153 (Gesellschafterbereich). 148 Den Zweck des § 138 BGB insb. im Schutz von Interessen Dritter und der Allgemeinheit sehend Sack/Fischinger, in: Staudinger, BGB, § 138 Rn. 1; zum Fremdinteressenschutz als Eingriffstyp in die Vertragsfreiheit im Allgm. s. o. Teil 2 – B.II.1. 149 Für den Fremdinteressenschutz bei der Verleitung zum Vertragsbruch vgl. Armbrüster, in: MüKo BGB, § 138 Rn. 36. 150 Für den Schutz der Öffentlichkeit beim Kauf von Doktortiteln vgl. BGH, Urt. v. 05. 10. 1993 – XI ZR 200/92, NJW 1994, 187, 188; OLG Koblenz, Urt. v. 16. 12. 1998 – 7 U 124-98, NJW 1999, 2904, 1905. 151 Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 190 ff., der bei der Frage um die Abdingbarkeit der Treuepflicht immer wieder Gläubigerinteressen anspricht, aber insoweit nur die Existenzfähigkeit der Gesellschaft als absolute Grenze für relevant hält; s. a. Immenga, Personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 267; Hartmann, GmbHR 1999, 1061, 1066 ff.; für das US-amerikanische Recht Gläubigerschutz gegen die Abdingbarkeit anführend Miller, 46 Am. Bus. L.J. 243, 261 (2009).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Jedoch wird vertreten, dass sich das Gesellschaftsinteresse152 nicht nur aus dem Interesse der Gesellschaftergesamtheit speist, sondern sich aus den Interessen sämtlicher Stakeholder der Gesellschaft zusammensetzt;153 folgerichtig integriert das Gesellschaftsinteresse insbesondere die Gläubigerinteressen.154 Mit dieser Ansicht wären Gläubigerinteressen zwar nicht unmittelbar, aber mittelbar durch die Treuepflicht geschützt. Und auch wenn lediglich das Interesse der Gesellschaftergesamtheit für das Gesellschaftsinteresse als maßgeblich angesehen wird,155 schützt die Treuepflicht noch immer die Gläubigerinteressen, soweit diese mit dem Interesse der Gesellschaftergesamtheit gleichlaufen. Dass Gläubigerinteressen mit dem Gesellschaftsinteresse in bestimmten Fällen gleichlaufen, bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass ihr Schutz mit der Treuepflicht intendiert ist. Gleiches gilt für den Umstand, dass Gläubigerinteressen bei der Zusammensetzung des Gesellschaftsinteresses relevant sein können. Der Schutz von Gläubigerinteressen mit der Treuepflicht kann noch immer reflexiver Natur sein. Dann ist er als zufälliges Bei-Produkt der Treuepflicht für ihre Abdingbarkeit irrelevant. Für die reflexive Natur des Gläubigerschutzes spricht, dass die Treuepflicht primär das Gesellschaftsinteresse schützt und der Schutz der Gläubigerinteressen lediglich mittelbar folgt. Weiterhin kann angeführt werden, dass die Treuepflicht nur im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer besteht,156 die Treuepflicht also gerade nicht im Verhältnis zwischen Geschäftsführer und Gläubiger Wirkung entfalten soll.157 Außerdem ist nur mit einem reflexiven Schutz der Gläubigerinteressen zu erklären, dass die Gesellschaftergesamtheit anerkanntermaßen frei über das Gesellschaftsinteresse disponieren kann;158 denn anderenfalls ständen dabei Interessen der Gläubiger im Weg. Gleiches gilt für die weitgehende Dispositionsbefugnis der Gesellschaftergesamtheit über die allgemeine Haftung des Geschäftsführers der GmbH159 und für die weitgehende Dispositionsbefugnis der Gesellschaftergesamtheit über das Gesellschaftskapital oberhalb der Stammkapitalziffer.160 152 Ob hier von Gesellschaftsinteresse oder von Unternehmensinteresse gesprochen wird, macht keinen substantiellen Unterschied, vgl. Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1308. 153 So Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 150; für einen Überblick über den Meinungsstand s. Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1308 und Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 149. 154 Vgl. Ziemons, Haftung der Ges. für Einflussnahme auf die Gf., 1996, S. 86. 155 So Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 5. 156 Vgl. Teil 2 – A.II.1. 157 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 773. 158 Zur Disponibilität des Gesellschaftsinteresses Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 150. 159 Für die grds. disponible Haftung des Geschäftsführers (bis zur Grenze des § 43 Abs. 3 GmbHG) vgl. Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 4, insb. mit Verweis auf BGH, Urt. v. 16. 09. 2002 – II ZR 107/01, ZIP 2002, 2128. 160 Für die grds. freie Verfügung vgl. Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 3, insb. mit Verweis auf BGHZ 56, 97, 101; BGHZ 142, 92, 95.

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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Außerdem spricht für einen lediglich reflexiven Schutz durch die Treuepflicht, dass die Gläubigerinteressen bereits durch eigene Vorschriften gewahrt werden, beispielsweise die Vermögenserhaltungsvorschriften aus dem Gesellschaftsrecht sowie die deliktsrechtliche Haftung gemäß §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2, 826 BGB.161 Dabei ist insbesondere die Existenzvernichtungshaftung zu beachten, die seit der Trihotel-Entscheidung des BGH von der Rechtsprechung aus § 826 BGB abgeleitet wird.162 Durch diese Vorschriften ist ein umfassender Schutz der Gläubigerinteressen mit der Treuepflicht überflüssig. Zudem entstände durch einen solchen Schutz die Gefahr, dass die vorhandenen gesetzlichen Wertungen umgangen werden. Das wird besonders deutlich, wenn ein intendierter individueller Drittschutz durch die Treuepflicht zu Ende gedacht wird. Denn mit ihm würden den Gläubigern konsequenterweise Schadensersatzansprüche direkt gegen den Geschäftsführer bei einer jeden Verletzung seiner Treuepflicht zustehen. Nach alledem schützt die Treuepflicht die Gläubigerinteressen lediglich reflexiv.163 Damit können Individualinteressen von Gläubigern nicht für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht herangezogen werden. Gleich wie der Schutz von Gläubigerinteressen ist der Schutz von Individualinteressen der Arbeitnehmer zu bewerten. Er ist mit obiger Argumentation lediglich reflexives Bei-Produkt der Treuepflicht. Dies gilt auch, wenn Arbeitnehmerinteressen für die Zusammensetzung des Gesellschaftsinteresses als maßgeblich angesehen werden164. Arbeitnehmerinteressen können deswegen nicht für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht angeführt werden. b) Minderheitsinteressen Weiterhin kommt im Rahmen des Fremdinteressenschutzes der Schutz von Minderheitsinteressen in Betracht.165 Zum Zeitpunkt der Errichtung der Gesellschaft ist jedoch eine Zustimmung sämtlicher Gesellschafter für eine Abbedingung not-

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Bspw. haftet der Geschäftsführer gemäß § 826 BGB den Kunden, wenn das Geschäftsmodell der Gesellschaft von vorneherein auf Täuschung und Schädigung der Kunden angelegt ist (sog. „Schwindelunternehmen“), vgl. BGH, Urt. v. 14. 07. 2015 – VI ZR 463/14, ZIP 2015, 2169, 2170. 162 BGHZ 173, 247 („Trihotel“); zur Möglichkeit der Teilnahme und Mittäterschaft des Geschäftsführers Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 537. 163 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 773 f., insb. folgende Aussagen: „für die Behandlung des vorliegenden Themas [ist] festzuhalten, dass gläubigerschützende Regeln […] nicht als Ausfluss von „Treuepflichten“ betrachtet werden sollten.“; s. a. Leuschner, in: FS Ahrens, 2016, S. 637, 649 f.; abw. wohl noch Winter, Treuepflichtbindung, 1988, 214 f. für den Sonderfall der Existenzgefährdung, das ist aber mit der Verortung der Existenzvernichtungshaftung in § 826 BGB überholt. 164 Das annehmend bspw. Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 148 ff.; ders., Haftung der Ges. für Einflussnahme auf die Gf., 1996, S. 86. 165 Dazu oben Teil 2 – B.IV.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

wendig,166 weswegen Minderheitsgesellschafter ihre Interessen selbst schützen können. Damit ist ein externer Schutz der Minderheit bei Errichtung der Gesellschaft nicht notwendig. Bei einer nachträglichen Abbedingung sind Minderheitsinteressen nur relevant, wenn kein einstimmiger Beschluss sämtlicher Gesellschafter gefordert wird, weil die Minderheit anderenfalls erneut selbst ihre Interessen verteidigen kann. Folglich sind Minderheitsinteressen zu diesem Zeitpunkt in der Lage, prozedurale Anforderungen als mildere Mittel an eine Abbedingung zu stellen – im äußersten Fall ein Einstimmigkeitserfordernis. Sie können aber nicht für die materielle Unabdingbarkeit der Treuepflicht herangezogen werden. c) Interessen zukünftiger Gesellschafter Außerdem kann im Rahmen des Fremdinteressenschutzes der Schutz von Individualinteressen zukünftiger Gesellschafter angedacht werden.167 Jedoch sind die Geschäftsanteile der geschlossenen Gesellschaft typischerweise nicht liquide. Folglich soll es dort in der Regel schon keine schutzbedürftigen zukünftigen Gesellschafter geben. Sollte dennoch ein Gesellschafter hinzukommen, profitiert er zunächst von dem Eigenschutz der ursprünglichen Gesellschafter. Zudem hat er die Möglichkeit, sich selbst zu schützen. So kann er sich über den Bestand der Treuepflicht beim Handelsregister informieren, da eine Abbedingung der Treuepflicht im Gesellschaftsvertrag erfolgen müsste168 und dieser zum Handelsregister einzureichen ist.169 Gegebenenfalls steht es ihm dann frei, den Erwerb des Geschäftsanteils abzulehnen. Nun könnte aber argumentiert werden, dass es einem zukünftigen Gesellschafter aufgrund von Selbstbestimmungsdefiziten unmöglich sein kann, seine Interessen selbst zu schützen. Jedoch hätten solche Selbstbestimmungsdefizite zwar etwaige rechtliche Auswirkungen auf den Erwerb des Geschäftsanteils, nicht aber auf die ursprüngliche Abbedingung der Treuepflicht und damit nicht auf ihre allgemeine Unabdingbarkeit.170 Allerdings könnten die Interessen zukünftiger Gesellschafter Probleme aufwerfen, wenn der Erwerb ausnahmsweise ohne ihr Zutun erfolgt – zum Beispiel beim Erbfall. Jedoch ist ihr Schutz dann Sache des jeweiligen Spezialrechts, etwa des Erbrechts. Der Schutz von zukünftigen Gesellschaftern spielt deswegen bei der Frage nach der allgemeinen Abdingbarkeit der Treuepflicht in der geschlossenen GmbH keine Rolle.

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Vgl. oben Teil 2 – B.IV. Dazu auch bereits oben Teil 2 – B.IV. 168 Dazu oben Teil 2 – A.V. und ausf. unten Teil 3 – A.IX. 169 Vgl. § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG; § 54 GmbHG; zur Einsichtsmöglichkeit § 9 Abs. 1 HGB. 170 Zu Selbstbestimmungsdefiziten zukünftiger Gesellschafter bei der offenen AG noch ausf. unten Teil 3 – B.III.2.c), dort könnte angedacht werden, dass solche Defizite ausnahmsweise auf die Abbedingung der Treuepflicht durchschlagen, weil der öffentliche Handel intendiert ist. 167

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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d) Kollektivinteressen Als schützenswerte Fremdinteressen können im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB schließlich Kollektivinteressen angeführt werden.171 Für die Beeinträchtigung von Kollektivinteressen durch eine Abbedingung der Treuepflicht kann insbesondere auf Erkenntnisse der US-amerikanischen Rechtswissenschaft zurückgegriffen werden. Dort wird der Schutz von Kollektivinteressen vielfach gegen die Abdingbarkeit der Treuepflicht ins Feld geführt.172 Zunächst wird in den USA argumentiert, dass durch eine Abdingbarkeit der Treuepflicht dem Geschäftsverkehr allgemeine Überwachungskosten entständen, weil sich potentielle Vertragspartner einer Gesellschaft mit deren Regelungen im Innenverhältnis beschäftigen müssten – unabhängig davon, ob die Treuepflicht im konkreten Fall beibehalten oder abbedungen wurde.173 Die Treuepflicht soll im deutschen Recht aber keine Interessen von Vertragspartnern der Gesellschaft schützen, sondern lediglich das Interesse der Gesellschaftergesamtheit.174 Es wurde insbesondere dargelegt, dass im deutschen Recht bereits andere Normen bereitstehen, die den Schutz von Gläubigern der Gesellschaft gewährleisten.175 Deswegen gäbe es für potentielle Geschäftspartner keine rechtlich relevante Notwendigkeit, die Existenz der Treuepflicht zu prüfen. Selbst wenn es ein relevantes Interesse von potentiellen Geschäftspartnern an dem Bestand der Treuepflicht gäbe, könnten sie sich diskret und einfach beim Handelsregister über die Existenz der Treuepflicht informieren, da eine Abbedingung der Treuepflicht im Gesellschaftsvertrag erfolgen müsste176 und dieser zum Handelsregister einzureichen ist.177 Folglich sind keine signifikanten Überwachungskosten für potentielle Geschäftspartner der Gesellschaft zu befürchten.

171 Vgl. Sack/Fischinger, in: Staudinger, BGB, § 138 Rn. 1; aus der Rspr. s. bspw. die Entscheidungen zum Kauf von Titeln, bei denen die Sittenwidrigkeit insb. an der Täuschung der Öffentlichkeit und der Sinnentleerung von Titeln festgemacht wird BGH, Urt. v. 05. 10. 1993 – XI ZR 200/92, NJW 1994, 187, 188; OLG Koblenz, Urt. v. 16. 12. 1998 – 7 U 124-98, NJW 1999, 2904, 1905. 172 Vgl. etwa Gordon, 89 Colum. L. Rev. 1549, 1593 (1989); Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1245 f., 1267 ff. (1995); Eisenberg, 99 Colum. L. Rev. 1253, 1271 ff. (1999); Leslie, 94 Geo. L.J. 67, 88 ff. (2005); Vestal, 8 EBOR 71, 76 ff. (2007); Callison/Vestal, 42 Suffolk U. L. Rev. 493, 499 f. (2009); Miller, 46 Am. Bus. L.J. 243, 254, (2009); für das deutsche Recht vgl. Armbrüster, ZGR 2014, 333, 350 f., der kurz den Institutionenschutz als überindividuelles Interesse anbringt, das in Bezug auf die Abdingbarkeit der Treuepflicht aber nicht weiter ausführt. 173 Vgl. Callison/Vestal, 42 Suffolk U. L. Rev. 493, 505 (2009) und die genaueren Ausführungen bei Vestal, 8 EBOR 71, 77 f. (2007). 174 Vgl. Teil 3 – A.IV.1.a). 175 Vgl. Teil 3 – A.IV.1.a). 176 Dazu oben Teil 2 – A.V. und ausf. unten Teil 3 – A.IX. 177 Vgl. § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG; § 54 GmbHG; zur Einsichtsmöglichkeit § 9 Abs. 1 HGB.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Außerdem wird eine Beeinträchtigung von Kollektivinteressen damit begründet, dass durch die Abdingbarkeit der Treuepflicht andere Regelungsvarianten bei Vertragsschluss zu bedenken, zu bewerten und zu verhandeln seien.178 Dadurch entständen den Parteien Transaktionskosten – unabhängig davon, ob die Treuepflicht im konkreten Fall beibehalten oder abbedungen wird.179 Solche Transaktionskosten würden durch eine zwingende Regelung verhindert.180 Jedoch wird darauf hingewiesen, dass die konkreten Kosten schwierig festzustellen sind.181 Zudem spricht gerade in geschlossenen Gesellschaften gegen signifikante Kosten, dass sich nur wenige Gesellschafter einigen müssten. Weiterhin kann gegen hohe zusätzliche Kosten angeführt werden, dass in der geschlossenen Gesellschaft ohnehin flexible Verträge bestehen182 und sich die Gesellschafter deswegen auch bei Unabdingbarkeit der Treuepflicht ausgiebig mit der Vereinbarung beschäftigen müssten. Schließlich gehen die Verhandlungskosten gegen Null, soweit die Beteiligten den Standard übernehmen, ohne sich Gedanken über andere Varianten zu machen.183 So steht es den vertragsschließenden Parteien frei, die Kosten zu vermeiden. Allerdings haben nach Vertragsschluss hinzukommende Gesellschafter nicht die Möglichkeit auf Standardregeln auszuweichen, weil sie mit dem Erwerb der Mitgliedschaft bereits bestehende Regelungen akzeptieren. Damit stimmen sie solchen Regeln zu, die vom Standard abweichen. Nach Vertragsschluss hinzukommende Gesellschafter müssten sich deswegen der bestehenden Regeln vergewissern.184 Ihnen entständen deswegen Transaktionskosten. Jedoch sind die Gesellschaftsanteile in einer geschlossenen Gesellschaft typischerweise weder fungibel noch liquide.185 Hinzukommende Gesellschafter sind deswegen nicht vorgesehen. Zudem könnten sie die gesellschaftsvertraglichen Regelungen ohne signifikanten Aufwand beim Handelsregister einsehen – sollte ausnahmsweise ein Geschäftsanteil doch gehandelt werden. Folglich ist insoweit nicht mit einer bedeutenden Beeinträchtigung von Kollektivinteressen zu rechnen. Weiterhin wird angeführt, die Treuepflicht habe eine expressive Funktion.186 So unterstütze die rechtliche Treuepflicht entsprechende soziale Normen, die wiederum 178 In diesem Sinne etwa Vestal, 8 EBOR 71, 77 (2007); Callison/Vestal, 42 Suffolk U. L. Rev. 493, 500 (2009); krit. insb. bei geschlossenen Gesellschaften Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 558 (1997); s. a. Miller, 46 Am. Bus. L.J. 243, 267 (2009). 179 Vgl. Vestal, 8 EBOR 71, 76 (2007). 180 Vgl. Romano, 89 Colum. L. Rev. 1599, 1603 (1989). 181 Vgl. Vestal, 8 EBOR 71, 78 ff. (2007). 182 Vgl. Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 558 (1997). 183 Vgl. Vestal, 8 EBOR 71, 79 (2007). 184 Bzgl. Anlegern in einer corporation vgl. Coffee, 89 Colum. L. Rev. 1618, 1676 ff. (1989); Blair/Stout, 149 U. Pa. L. Rev. 1735, 1787 (2001). 185 Vgl. Fleischer, NZG 2014, 1081, 1082 f. 186 In diesem Sinne etwa Eisenberg, 99 Colum. L. Rev. 1253, 1276 (1999); Blair/Stout, 149 U. Pa. L. Rev. 1735, 1787 f. (2001); Miller, 46 Am. Bus. L.J. 243, 274 (2009); allgm. zur expressiven Funktion des Rechts Sunstein, 144 U. Pa. L. Rev. 2021 (1996).

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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Einfluss auf das Verhalten der Treueverpflichteten hätten.187 Eine Abdingbarkeit der Treuepflicht schwäche diese sozialen Normen, weil die Treuepflicht an moralischer Kraft verliere – das Stigma treuepflichtwidrigen Verhaltens werde verwässert. Deswegen nehme opportunistisches Verhalten in Treueverhältnissen zu, auch wenn die Treuepflicht im konkreten Verhältnis bestehe. Insgesamt verliere das Institut des Treueverhältnisses dadurch an Wert.188 Jedoch muss bedacht werden, dass die Treuepflicht bei ihrer Abdingbarkeit als Standardregel fortbestände. Für den Regelfall würde treuepflichtwidriges Verhalten deswegen noch immer rechtlich missbilligt. Zudem führt die Abdingbarkeit der Treuepflicht nicht notwendigerweise zu ihrer vermehrten Abbedingung, vielmehr könnten die Akteure die Treuepflicht bewahren und damit aus eigener Überzeugung treuepflichtwidriges Verhalten stigmatisieren. Außerdem stände es ihnen frei, trotz Abbedingung der Treuepflicht entsprechende Fairnessregeln festzuschreiben.189 Diese wären zwar nicht rechtlich sanktioniert, könnten aber die moralische Missbilligung transportieren. Weiterhin bliebe bei Abbedingung der Treuepflicht ein rechtliches Mindestmaß an Verhaltensregeln gewahrt – etwa durch §§ 138 Abs. 1, 826 BGB, diverse gesetzliche Verbote, vertragliche Einzelregelungen und das Institut des Rechtsmissbrauchs.190 All das könnte einer etwaigen Entstigmatisierung opportunistischen Verhaltens des Geschäftsleiters entgegenwirken. Schließlich ist zu bedenken, dass eine Abbedingung der Treuepflicht lediglich einvernehmlich möglich wäre.191 Eine solche Einigung tendiert idealerweise zu Gerechtigkeit.192 Sollte sich in vielen Fällen gegen die Treuepflicht und die entsprechenden sozialen Normen entschieden werden, liegt es nahe, dass die Treuepflicht und die korrespondierenden sozialen Normen typischerweise nicht gerecht sind. Ihre Erosion wäre dann sogar vorteilhaft für die Allgemeinheit. Damit ist eine bedeutende Beeinträchtigung von Kollektivinteressen durch die Schwächung sozialer Normen nicht wahrscheinlich, jedenfalls aber spekulativ. Schließlich wird für die Beeinträchtigung von Kollektivinteressen argumentiert, dass die Treuepflicht durch ihre Abdingbarkeit seltener bestehen würde. Somit fielen weniger Entscheidungen zu Treuepflichtverletzung. Deswegen ginge das allgemeine Verständnis über den Inhalt und die Bedeutung der Treuepflicht verloren. Dadurch entständen der Allgemeinheit Kosten bei Vertragsschlüssen und bei Rechtsstreitigkeiten; insbesondere seien Vertragsparteien dann angehalten, kostspielige Einzelregelungen zu vereinbaren, weil sie sich nicht auf die ausfüllende Wirkung der 187 Vgl. Eisenberg, 99 Colum. L. Rev. 1253, 1257 ff., 1276 f. (1999); Leslie, 94 Geo. L.J. 67, 89, 90 ff. (2005); s. a. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1268 ff. (1995). 188 Zum Vorst. vgl. Leslie, 94 Geo. L.J. 67, 89, 90 ff. (2005); ähnlich auch Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1267 ff. (1995). 189 Dazu oben Teil 2 – A.IV.6. 190 Zur Abgrenzung oben Teil 2 – A.III. 191 s. o. Teil 2 – B.IV. 192 s. o. Teil 2 – B.I.1.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Treuepflicht verlassen könnten.193 Hier ist aber erneut zu bedenken, dass eine Abdingbarkeit der Treuepflicht nicht unbedingt zu ihrer vermehrten Abbedingung führt. Bliebe die vermehrte Abbedingung aus, ginge die inhaltliche Ausformung der Treuepflicht unverändert voran. Fände die vermehrte Abbedingung statt, wäre das allgemeine Bedürfnis an inhaltlicher Ausformung nur gering. Außerdem könnte gerade die Abdingbarkeit der Treuepflicht weitere Forschungsanstöße setzen, insbesondere bezüglich des exakten Gegenstands der Treuepflicht und ihres Verhältnisses zur Umgebung. Schließlich besteht die bereits vorhandene Ausformung der Treuepflicht in jedem Fall fort. Sie würde nicht durch Entscheidungen verwässert, die sich mit der Abweichung von der Treuepflicht als Standardregel beschäftigen.194 Aus diesen Gründen ist hier nicht mit bedeutenden Kosten für die Allgemeinheit zu rechnen. Insgesamt ist damit eine gewisse Beeinträchtigung von Kollektivinteressen nicht ausgeschlossen, namentlich durch Transaktionskosten bei Vertragsschluss, durch eine Schwächung von sozialen Normen und durch eine gebremste Weiterentwicklung der Treuepflicht. Hiermit ist aber nicht gesagt, dass diese Auswirkungen – gar für sich alleine – die Sittenwidrigkeit der Abbedingung der Treuepflicht begründen können. Zumal mit einer bedeutenden Beeinträchtigung von Kollektivinteressen nicht zu rechnen ist und die konkreten Auswirkungen jedenfalls spekulativ sind. 2. Schutz vor Selbstbestimmungsdefiziten (weicher Paternalismus) Neben dem Schutz von Fremdinteressen können weich-paternalistische Erwägungen für die Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB sprechen,195 wobei unter weichem Paternalismus der Schutz vor Selbstbestimmungsdefiziten zu verstehen ist.196 Die Zulässigkeit weich-paternalistischer Erwägungen wird besonders deutlich, wenn das BVerfG aufgrund des Fehlens der tatsächlich freien Selbstbestimmung eine Korrektur gemäß § 138 Abs. 1 BGB für möglich hält.197 a) Sinnlosigkeit einer Abbedingung? Um das Vorliegen von Selbstbestimmungsdefiziten zu stützen, kann der Vertragsinhalt zunächst am objektivierten Interesse der Vertragsparteien gemessen 193

Zum Vorst. vgl. Leslie, 94 Geo. L.J. 67, 89, 93 (2005); ähnlicher Gedanke bei Gordon, 89 Colum. L. Rev. 1549, 1564 ff., 1667 ff., 1593 (1989); skeptisch Bebchuk, 89 Colum. L. Rev. 1395, 1405 (1989). 194 Vgl. Romano, 89 Colum. L. Rev. 1599, 1603 (1989). 195 Vgl. BVerfGE 81, 242, 254 ff.; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 6. 2. 2001 – 1 BvR 12/92, NJW 2001, 957, 958; zum weichen Paternalismus als Eingriffstyp in die Vertragsfreiheit im Allgm. ausf. oben Teil 2 – B.II.2. 196 Ausf. dazu oben Teil 2 – B.II.2. 197 Vgl. BVerfGE 81, 242, 254 ff.; BVerfG, Urt. v. 6. 2. 2001 – 1 BvR 12/92, NJW 2001, 957, 958.

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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werden,198 was auch im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB gilt.199 Dabei ist jedoch nicht umfassend zu überprüfen, ob die Abbedingung der Treuepflicht falsch ist. Denn erstens sind sämtliche Argumente und Fallgestaltungen nicht zu überblicken. Zweitens beurteilt sich die Zweckmäßigkeit des Vertragsinhalts nach den subjektiven Interessen der jeweils Beteiligten.200 Die Zweckmäßigkeit beurteilt sich hingegen nicht nach Gerechtigkeits- und Wirtschaftlichkeitsvorstellungen in der Rechtswissenschaft. Deswegen kann es hier nur darauf ankommen, ob die Abbedingung der Treuepflicht aus objektiver Sicht derart sinnlos ist, dass sie lediglich mit Selbstbestimmungsdefiziten der Parteien erklärt werden kann und damit weder zu ethischer und wirtschaftlicher Richtigkeit tendiert noch die materielle Selbstbestimmung der Parteien verwirklicht.201 Für diese äußerste Evidenzkontrolle sind die objektivierten ursprünglichen Parteiinteressen bei Abbedingung der Treuepflicht maßgeblich, weil nur zu diesem Zeitpunkt Selbstbestimmungsdefizite der Parteien relevant sind (Koinzidenzprinzip). aa) Scheinbare Sinnlosigkeit einer Abbedingung Dem Geschäftsführer wird im Geschäftsleiterverhältnis die Kontrolle über eine fremde Rechtsposition anvertraut.202 Als Korrelat bindet die Treuepflicht ihn allgemein und vorrangig an die Ziele der Gesellschaft.203 Die Treuepflicht reagiert damit auf zukünftiges opportunistisches Verhalten des Geschäftsführers, das im Einzelnen noch nicht vorhersehbar ist.204 Dabei bestehen gerade in geschlossenen Gesellschaften gewisse Risikofaktoren für opportunistisches Verhalten.205 Gleichzeitig wahrt die Treuepflicht den intendierten Spielraum des Geschäftsführers, indem sie lediglich den Entscheidungsprozess des Geschäftsführers, nicht aber das Entscheidungsergebnis regelt.206 Zudem wird der Geschäftsführer durch die Bindung an die Ziele der Gesellschaft theoretisch nicht benachteiligt, weil die Verwaltung

198 Allgm. zu der Anknüpfung an eine objektiv sinnlose Entscheidung für die Begründung eines Selbstbestimmungsdefizits oben Teil 2 – B.II.2.; für das US-amerikanische Recht s. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1237 (1995): „[…] if the bargain is highly unfair and unreasonable, the consent of the disadvantaged party is highly suspect.“ 199 Vgl. Wiedemann/Wank, JZ 2013, 340, 344. 200 Dazu ausf. oben Teil 2 – B.I.1. 201 Dazu im Allgm. ausf. oben Teil 2 – B.II.2. 202 Dazu ausf. oben Teil 2 – A.I.3.a). 203 Dazu ausf. oben Teil 2 – A.I.3.a); Teil 2 – A.I.3.c). 204 Für die Treuepflicht als Reaktion auf im Einzelnen unvorhersehbares Verhalten vgl. Fleischer, ZGR 2001, 1, 4 f. (Gesellschafterbereich); dazu allgm. bereits oben Teil 2 – A.I.3.b) m. umfangr. Nachw. 205 Bspw. kann es in geschlossenen Gesellschaften vorkommen, dass persönliche Konflikte in das Treueverhältnis hineinwirken und Nährboden für opportunistisches Verhalten bieten, vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 611 mit weiteren Bsp. 206 Dazu ausf. oben Teil 2 – A.I.3.b).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

einer fremden Rechtsposition reglementiert wird.207 Auch für den Fall, dass zusätzlich eine eigene Rechtsposition des Geschäftsführers betroffen ist, hält die Treuepflicht eine Lösung bereit. So muss der Geschäftsführer dann die Interessen der Gesellschaft zwar noch immer allgemein und angemessen, aber nicht mehr vorrangig verfolgen.208 Daher ist die Treuepflicht auf den ersten Blick die passende Regelung. Eine Abbedingung der Treuepflicht erscheint deswegen im allseitigen Parteiinteresse sinnlos und insbesondere für die Gesellschaft evident unangemessen.209 bb) Nebenwirkungen der Treuepflicht Jedoch bestehen gewisse Nebenwirkungen der Treuepflicht: Die Treuepflicht gibt das Handlungsziel vor und regelt damit den Entscheidungsprozess des Geschäftsführers.210 Der Entscheidungsprozess ist als innerer Vorgang nicht unmittelbar von außen erkennbar. Er kann nur unter Rückgriff auf äußere Umstände ermittelt werden, beispielsweise kann ein offenbarer Interessenkonflikt des Geschäftsführers für das Vernachlässigen der Gesellschaftsziele sprechen.211 Bei einem Rückgriff auf äußere Umstände sind richterliche Fehlschlüsse möglich. So ist nicht ausgeschlossen, dass der Geschäftsführer eine unangemessene Entscheidung vor dem Hintergrund eines offenbaren Interessenkonflikts trifft, aber dennoch vorrangig das Gesellschaftsinteresse bei seinem Entscheidungsprozess ansetzt. Vielmehr ist denkbar, dass der Geschäftsführer lediglich inkompetent oder unglücklich ist. Unterläuft in einer solchen Situation ein richterlicher Fehlschluss, wird im Nachhinein Verhalten sanktioniert, bei dem der Geschäftsleiter vorrangig die Ziele der Gesellschaft im Auge hatte. Die theoretisch sinnvolle Treuepflicht geht dann praktisch fehl. Das kann zum einen zu Urteilen führen, die nicht im ursprünglichen Interesse der Parteien liegen. Zum anderen ist denkbar, dass der Geschäftsführer richterliche Fehlschlüsse antezipiert und deswegen Handlungen unterlässt, obwohl sie dem Interesse der Gesellschaft entsprechen beziehungsweise nicht zuwiderlaufen. Das gilt insbesondere für Handlungen, die von außen lediglich den Anschein haben, dass die Interessen der Gesellschaft vernachlässigt werden. Das Unterlassen solcher Handlungen kann sowohl für den Geschäftsführer als auch für die Gesellschaft zu Nachteilen führen, beispielsweise können beiden Parteien Geschäftsmöglichkeiten entgehen. Gerade in Fällen, in denen nur der Anschein einer Verletzung besteht, könnte die Treuepflicht zudem unerkannt für opportunistische Klagen missbraucht 207

Dazu ausf. oben Teil 2 – A.I.3.a); Teil 2 – A.I.3.c). Dazu ausf. oben Teil 2 – A.I.3.c). 209 Dazu Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1297: „Unabhängig davon hat man das rechtspraktische Bedürfnis für eine vollständige Disponibilität der organschaftlichen Treuepflicht bisher nicht überzeugend dargetan.“; für die US-amerikanische corporation s. Romano, 89 Colum. L. Rev. 1599, 1601 (1989): „But the hypothetical, eliminating the duty of loyalty, is too incredible to be seriously entertained: what sane shareholders would agree to license theft?“ 210 Dazu ausf. Teil 2 – A.I.3.b). 211 s. zum Vorst. bereits oben Teil 2 – A.I.3.b). 208

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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werden.212 Diese Nebenwirkungen der Treuepflicht sprechen nachvollziehbar für ihre Abbedingung. Ähnliche Nebenwirkungen folgen aus den einzelnen Ausprägungen der Treuepflicht, etwa aus dem Wettbewerbsverbot und der Geschäftschancenlehre.213 Denn diese Ausprägungen der Treuepflicht knüpfen an äußere Umstände, namentlich an offenbare Interessenkonflikte.214 Zudem sind sie als typisierte Regelungen häufig überschießend.215 So ist es möglich, dass der Geschäftsführer entscheidet, eine Geschäftschance nicht für die Gesellschaft zu nutzen und dabei nur deren Interesse ansetzt, obwohl er sich daraufhin selbst die Geschäftschance aneignet. Die eigene Nutzung der Geschäftschance durch den Geschäftsführer wäre dann nicht entgegen den Zielen der Gesellschaft, aber ihm dennoch verboten. Eine überschießende Wirkung der Geschäftschancenlehre verbleibt auch, wenn dem Geschäftsführer der Einwand offensteht, dass die Gesellschaft nachweislich nicht Willens oder nicht in der Lage war, die Geschäftschance zu realisieren, und sie daher durch die Entziehung keinen Nachteil erleidet.216 Denn es ist möglich, dass dieser Nachweis nicht gelingt, obwohl der Geschäftsführer bei der Ausschlagung der Geschäftschance vorrangig das Interesse der Gesellschaft angesetzt hat. Auch können überschießende Regelungen wie die Geschäftschancenlehre sogar missbräuchlich durch die Gesellschaft zum Nachteil des Geschäftsführers ausgenutzt werden.217 Weiterhin entstehen bei der Anwendung der Treuepflicht Billigkeitsspielräume für den Richter, etwa bei der Tätigkeit des Geschäftsführers im auch-fremden Interessenkreis, weil dort die Rechtsposition des Geschäftsführers mit der Rechtsposition der Gesellschaft abwogen werden muss.218 Das kann nicht bereits dadurch umgangen werden, dass alleine die Treuepflicht im auch-fremden Interessenkreis abbedungen wird, weil die Übergänge von fremden Interessenkreis und auchfremden Interessenkreis fließend sind.219 Zudem entstehen Billigkeitsspielräume auch aus anderen Gründen, zum Beispiel aufgrund einer typisierten Anwendung der 212 Dazu auch Johnston, 70 Wash. U. L. Q. 291, 297, 339 (1992), der Missbrauch für opportunistische Klagen als eines der Hauptargumente gegen eine breit interpretierte Treuepflicht ansieht. 213 Zu Wettbewerbsverbot und Geschäftschancenlehre als typisierte Ausprägungen der Treuepflicht s. o. Teil 2 – A.I.3.b); Teil 2 – A.II.1. 214 Vgl. oben Teil 2 – A.I.3.b). 215 Zum Vorst. s. Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 128: „In der Regel gehen die besonderen Vorschriften zur Vermeidung von Interessenkonflikten vom abstrakten Interessenkonflikt aus. […] Aufgrund der abstrahierenden, formal-typisierenden Betrachtung erfolgt die Anwendung dieser Regelungen einheitlich und ohne Berücksichtigung des Einzelfalls. Dies gewährleistet Rechtssicherheit, nimmt jedoch in Kauf, dass die jeweiligen Regelungen im Einzelfall überschießen.“ 216 Das Bestehen dieser Möglichkeit als hM bezeichnend Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 42; krit. zu dieser Möglichkeit Fleischer, NZG 2013, 361, 365. 217 Vgl. Booth, 1 J. Small & Emerging Bus. L. 55, 59 f. (1997). 218 Vgl. oben Teil 2 – C.IV. 219 Vgl. oben Teil 2 – A.I.3.c).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Treuepflicht.220 Gerade bei Billigkeitsspielräumen ist die richterliche Entscheidung für sachfremde Überlegungen und Fehler anfällig,221 was empirisch durch systematische Rationalitätsdefizite gestützt werden kann, wie den hindsight bias, die availability heuristic, den confirmation bias und den overconfidence bias.222 Fehleinschätzungen liegen besonders nahe, wenn der Richter seine Einschätzung an die Stelle der Einschätzung von Geschäftsführern stellt, die sich im wirtschaftlichen Kontext besser auskennen.223 Setzen sich sachfremde Überlegungen und Fehleinschätzungen durch, fällt der Richter eine Entscheidung, die nicht im ursprünglichen Interesse der Parteien liegt. Auch dies spricht nachvollziehbar für eine Abbedingung der Treuepflicht durch die Vertragsparteien. Neben unzweckmäßigen Urteilen können aus Billigkeitsspielräumen des Richters Rechtsunsicherheiten folgen, die wiederum zu hohen Kosten für alle Beteiligten führen.224 Gleiches gilt für den insgesamt vagen Inhalt der Treuepflicht225 und für das differierende Grundverständnis über die Treuepflicht in der Rechtswissenschaft.226 Zudem können Rechtsprechungsänderungen und Rechtsprechungskonkretisierungen Unsicherheiten auslösen.227 Denn durch sie ist es den Parteien ex ante kaum möglich vorherzusehen, welche Auswirkungen die Existenz der Treuepflicht in der Zukunft auf ihr Rechtsverhältnis hat.228 Nun kann es ebenfalls aufgrund einer Abbedingung der Treuepflicht zu Rechtsunsicherheiten kommen; so wird im Grenzbereich zunächst unklar sein, welche konkreten Handlungsge- und -verbote nach Abbedingung der Treuepflicht aufgrund allgemeiner Institute und anderer Pflichten fortbestehen und welche nicht.229 Mit der Zeit würde sich aber hier Dogmatik herausbilden, die diese Unklarheiten relativiert. Zudem ist es jedenfalls nicht offen220

Vgl. oben Teil 2 – C.IV. Vgl. oben Teil 2 – C.II. 222 Dazu ausf. oben Teil 2 – C.II.3. 223 Vgl. Butler/Ribstein, 18 U. Balt. L. Rev. 352, 356 (1989): „[…] there are potentially significant error costs as courts substitute their judgments for those of the business experts on the board.“ 224 Vgl. oben Teil 2 – C.III. 225 Ähnlicher Gedanke bei Waclawik, DB 2005, 1151, 1153; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 597; für das US-amerikanische Recht vgl. Guttenberg, 86 S. Cal. L. Rev. 869, 883 f. (2013): „Fiduciary duties are, by the nature of ad-hoc common law, „vague and fact-oriented,“ inhibiting certainty and predictability in an agreement. Uncertainty, in turn, can lead to undesirable results, such as expensive litigation and managerial timidity, which may harm both parties.“ 226 Dazu oben Teil 2 – A. 227 Für das US-amerikanische Recht vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 43 (1990). 228 Vgl. ebd., S. 43. 229 Aus der US-amerikanischen Lit. vgl. Guttenberg, 86 S. Cal. L. Rev. 869, 885 (2013): „Although part of the goal of permitting prospective waiver of fiduciary duties was to avoid judicial uncertainty, it may have simply traded one ambiguity for another. Standards such as „manifest[ ] unreasonable[ness]“ and „good faith and fair dealing“ are rife with interpretation concerns.“; zu der Frage was nach Abbedingung der Treuepflicht fortbesteht ausf. oben Teil 2 – A.III. 221

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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sichtlich sinnlos, die Rechtsunsicherheiten bei Anwendung der Treuepflicht höher zu gewichten als die Rechtsunsicherheiten bei Abbedingung der Treuepflicht. Es könnte aber argumentiert werden, dass die Nebenwirkungen der Treuepflicht bereits mit der Abbedingung einzelner Ausprägungen der Treuepflicht verhindert werden können.230 Daraus könnte geschlossen werden, dass eine vollständige Abbedingung der Treuepflicht evident unangemessen ist. Jedoch sind die einzelnen Fälle und Fallgruppen, in denen Nebenwirkungen der Treuepflicht auftreten, genauso wenig aufzählbar, wie die einzelnen Möglichkeiten opportunistischen Verhaltens des Geschäftsführers. Die Nebenwirkungen einer offenen Pflicht können eben nur durch eine offene Abbedingung eliminiert werden. Daher ist die effektive Vermeidung von Nebenwirkungen durch Abbedingung einzelner Ausprägungen der Treuepflicht ex ante kaum möglich. Jedenfalls ist sie mit hohen Transaktionskosten für die Vertragsparteien verbunden, weil die Parteien eine Regelung für jeden erdenklichen Fall beziehungsweise eine Regelung für jede erdenkliche Fallgruppe treffen müssten. Einfacher und sicherer ist es für die Parteien, die Treuepflicht als solche abzubedingen. An dieser Stelle sei kurz auf korrespondierende schlechte Erfahrungen mit dem inzwischen aufgegebenen Bestimmtheitsgrundsatz hingewiesen;231 er sollte hier nicht seinen Weg in die Rechtspraxis zurückfinden – auch nicht unter anderem Namen.232 Weniger effektiv als die vollständige Abbedingung der Treuepflicht sind ebenfalls Einzeleinwilligungen in besonderen Fällen. Denn der Geschäftsführer kann sich dann ex ante nicht darauf verlassen, dass die Gesellschaft ihn später im konkreten Fall tatsächlich befreit. cc) Andere Schutzmechanismen und monetärer Ausgleich Es ließe sich aber anführen, dass die Gesellschaft durch eine Abbedingung der Treuepflicht schutzlos gestellt würde und dass deswegen die Treuepflicht trotz ihrer Nebenwirkungen die einzig sinnvolle Regelung ist.233 Jedoch stehen diverse andere Pflichten und Mechanismen bereit, die unabhängig von der Treuepflicht einen gewissen Schutz vor Fehlverhalten des Geschäftsführers gewährleisten.234 Zunächst besteht ein eigenständiger gesetzlicher Schutz, beispielsweise durch Einzelnormen und durch die Institute des Rechtsmissbrauchs, der Vertragsauslegung sowie durch 230 Ähnlicher Gedanke speziell für Wagniskapitalfälle bei Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1296 (Gesellschafterbereich). 231 Zum Bestimmtheitsgrundsatz und seiner Aufgabe durch die Rechtswissenschaft später Teil 3 – A.IX.5. 232 s. aber Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, passim; Fleischer, ZGR 2016, 36, 82, der die Abbedingung an einem Spezifizierungsgebot messen möchte. 233 Ähnlich Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1297. 234 Zum Vorst. für die corporation vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 18 ff. (1990); für die geschlossene Gesellschaft s. a. Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 546 ff. (1997); den allgm. bürgerlich rechtlichen Schutz nicht als ausreichend ansehend Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1295 f. (Gesellschafterbereich).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage235 – wobei Letztere gerade dann eingreifen können, wenn nicht nur das konkrete missliebige Verhalten, sondern auch sein abstraktes Risiko von den Parteien nicht erkannt wurde. Weiterhin können außergesetzliche Pflichten und Mechanismen aushelfen, etwa vertragliche Einzelregelungen und unmittelbare monetäre Anreize, der Produkt- und Arbeitsmarkt, das Reputationsinteresse des Geschäftsführers und seine internalisierten Moralvorstellungen.236 Viele dieser Mechanismen müssen nicht erst vereinbart werden, damit sie bestehen – so etwa die gesetzlichen Schutzinstrumente, das Reputationsinteresse oder die internalisierten Moralvorstellungen. Gerade bei der geschlossenen GmbH kann den Geschäftsführer zudem eine persönliche Bindung davon abhalten, entgegen den Zielen der Gesellschaft zu handeln.237 Gleiches gilt für den regelmäßig bedeutenden Geschäftsanteil des Geschäftsführers,238 weil sich durch ihn die Ziele des Geschäftsführers und die Ziele der Gesellschaft ohnehin weitgehend decken. Schließlich wird die Tätigkeit des Geschäftsführers in einer geschlossenen Gesellschaft besonders gut überwacht, da typischerweise alle Gesellschafter an der Geschäftsführung mitwirken.239 Deswegen wird opportunistisches Verhalten in der geschlossenen Gesellschaft vergleichsweise häufig erkannt und könnte in bestimmten Fällen durch einzelne Maßnahmen unterbunden werden, etwa durch Gesellschafterbeschlüsse. All die angeführten Mechanismen können ein Handeln des Geschäftsführers entgegen den Zielen der Gesellschaft nicht ausschließen. Gleiches gilt aber für die Treuepflicht, da sie erkannt oder unerkannt verletzt werden kann. Bei der Treuepflicht ist die Wahrscheinlichkeit einer unerkannten Verletzung sogar besonders hoch, weil Verstöße gegen sie häufig heimlich begangen werden.240 Für die Gesellschaft ist es auch nicht notwendig, sich umfassend zu schützen. Vielmehr gibt es einen Unterschied zwischen optimaler und vollständiger Disziplinierung des Geschäftsleiters.241 Damit erscheint es nicht evident unangemessen, sondern allseitig nachvollziehbar, wenn sich die Parteien anstatt der Treuepflicht auf andere Pflichten und Mechanismen verlassen, um die Nebenwirkungen der Treuepflicht zu verhindern. Zumal eine etwaig erhöhte Wahrscheinlichkeit missliebigen Verhaltens mit einer niedrigeren Entlohnung ausgeglichen werden könnte.242 Dagegen könnte an235

A.III. 236

s. zum Verhältnis von Treuepflicht zu ihrer gesetzlichen Umgebung ausf. oben Teil 2 –

s. a. ausf. oben Teil 2 – A.IV. Vgl. Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 274 (1986); dazu auch bereits oben Teil 2 – A.IV.2. 238 Vgl. Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 274 (1986). 239 Für dieses Merkmal der geschlossenen Gesellschaft vgl. Fleischer, NZG 2014, 1081, 1082 f. 240 Vgl. Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1311. 241 Vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 44 f. (1990). 242 Dieser Gedanke klingt für den Gesellschafterbereich bereits in der US-amerikanischen Lit. an, so bei Illig, 56 Am. U. L. Rev. 275, 281 (2006). 237

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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geführt werden, dass zukünftiges opportunistisches Verhalten im Einzelnen nicht vorhersehbar ist.243 Es ist aber nicht notwendig, das Verhalten im Einzelnen vorherzusehen, um seine abstrakte Wahrscheinlichkeit einzupreisen. Selbst wenn Unsicherheiten verbleiben (insbesondere im Rahmen einer unspezifischen Abbedingung),244 könnten diese Unsicherheiten bei der Verhandlung der Konditionen berücksichtigt werden. dd) Sonderfälle Eine Abbedingung der Treuepflicht kann in bestimmten Fällen besonders nachvollziehbar sein. So, wenn die Gesellschaft einen fähigen Geschäftsführer gewinnen möchte, bei dem aber bereits von Beginn an offenbare Interessenkonflikte bestehen, etwa weil er im Geschäftsfeld der Gesellschaft tätig ist.245 Aufgrund der offenbaren Interessenkonflikte des Geschäftsführers würden ständig äußere Umstände nahelegen, dass der Geschäftsführer anhand seines eigenen und nicht anhand des Interesses der Gesellschaft handelt. Deswegen wären die Nebenwirkungen der Ausprägungen der Treuepflicht und die Nebenwirkungen der Treuepflicht als solcher besonders schwerwiegend, insbesondere wären richterliche Fehlschlüsse besonders wahrscheinlich. Daher könnte mit der Abbedingung der Treuepflicht außergewöhnlich viel gewonnen werden. Zudem kann es in solchen Situationen unabhängig von den Nebenwirkungen der Treuepflicht sinnvoll sein, sie abzubedingen. So wird dem potentiellen Geschäftsführer erst durch eine Abbedingung erlaubt, die Tätigkeit für die Gesellschaft frei an das Interesse einer anderen Unternehmung anzupassen – beispielsweise um eigene Synergieeffekte zu erzielen. Zudem wird ihm mit der Abbedingung gestattet, Geschäftschancen und eigene Ideen nach seinem Gutdünken für die eine oder die andere Unternehmung zu verwenden.246 Es ist denkbar, dass nur solche Vorteile den potentiellen Geschäftsführer und seine Expertise für die Gesellschaft gewinnen und deswegen im allseitigen Interesse der Parteien liegen. Zudem könnten etwaige Vorteile des Geschäftsführers durch eine niedrigere Entlohnung ausgeglichen werden. ee) Schlussbemerkungen Nach alledem ist eine Entscheidung für eine Abbedingung der Treuepflicht nicht derart unangemessen, dass sie typischerweise nur mit einem Selbstbestimmungsdefizit erklärt werden kann. Stattdessen wurden Gründe dargelegt, die eine Abbe243

Vgl. Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1469 f. (1989). Zu diesen Unsicherheiten Coffee, 89 Colum. L. Rev. 1618, 1667 ff. (1989). 245 Vgl. Guttenberg, 86 S. Cal. L. Rev. 869, 883 (2013); s. a. das konkrete Bsp. bei Campbell, Jr., 96 Ky. L.J. 163, 187 (2007). 246 Ähnlicher Gedanke bei Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 598. 244

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

dingung der Treuepflicht als solcher und eine Abbedingung einzelner Ausprägungen der Treuepflicht nachvollziehbar erscheinen lassen. Damit ist aber nicht gesagt, dass die Abbedingung der Treuepflicht zweckmäßig ist, nur dass eine Abbedingung der Treuepflicht aus Sicht der Beteiligten zweckmäßig sein kann. Zudem wird hier nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall eine Abbedingung evident sinnlos ist. Dafür müssten aber konkrete Tatsachen hinzukommen. Zudem sollte auch dann bedacht werden, dass bei der Anknüpfung an vermeintlich objektivierte Interessen häufig unbemerkt nicht mehr Selbstbestimmungsdefizite der Parteien bekämpft, sondern subjektive Wertvorstellungen oktroyiert werden.247 Dann wird aus einem legitimen weich-paternalistischen Eingriff ein grundsätzlich illegitimer hart-paternalistischer Eingriff.248 Aus diesem Grund sollte in jedem Fall Zurückhaltung gewahrt werden, auch wenn eine Abbedingung im Einzelfall als evident sinnlos erscheint. b) Empirisch belegte Rationalitätsdefizite Weiterhin können aber empirisch belegte systematische249 Rationalitätsdefizite angeführt werden, um Selbstbestimmungsdefizite der Parteien darzulegen,250 auch sie können unter Umständen zu einer Nichtigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB führen.251 Dabei kann zunächst auf Erkenntnisse der deutschen Rechtswissenschaft zurückgegriffen werden. Dort haben insbesondere Schmolke, Fleischer und Kampf Rationalitätsdefizite im Rahmen der Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht angeführt.252 Daneben sind weitere deutsche Stimmen zu berücksichtigen.253 Zudem 247

Vgl. oben Teil 2 – B.II.2. Ein hart parternalistischer Eingriff ist nach der hM in der Zivilrechtswissenschaft nur dann zulässig, wenn ein Extremfall vorliegt, wie die endgültige und umfassende Aufgabe selbstbestimmter Lebensführung bei der Selbstversklavung; die staatsrechtliche Rechtswissenschaft lehnt die Zulässigkeit insg. ab; zur Legitimität von weich- und hart-paternalistischen Eingriffen und ihrer Abgrenzung oben Teil 2 – B.II.2.; Teil 2 – B.II.3. 249 Eine Abweichung ist immer dann systematisch, wenn sie vermehrt in die gleiche Richtung auftritt, so dass die einzelnen Abweichungen sich bei Wiederholung nicht ausgleichen. 250 s. dazu im allgm. oben Teil 2 – B.II.2. 251 Vgl. Wiedemann/Wank, JZ 2013, 340, 441, der das jedenfalls bei krassen Fällen für möglich hält. 252 Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 667 ff. (Gesellschafterbereich); Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1295 (Gesellschafterbereich); Fleischer, ZGR 2016, 36, 81 f.; Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 124 ff. 253 Speziell zu Rationalitätsdefiziten im Rahmen der Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht Bachmann u. a., Rechtsregeln geschl. KapG, 2012, S. 46 f. (Gesellschafterbereich); Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, S. 771 f. (Geschäftsleiterbereich), der Rationalitätsdefizite aber wohl nur für geschäftlich weniger erfahrene Akteure relevant hält und zudem lediglich prozedurale Anforderungen ableitet; s. a. Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 131 (wohl allgm.); allgm. zu Rationalitätsdefiziten aus der deutschen Lit. Englerth/ Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2016, S. 247 ff.; Fleischer u. a., in: Beitrag der Verhaltensökonomie zum Recht, 2011, S. 9. 248

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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können Erkenntnisse der US-amerikanischen Rechtswissenschaft fruchtbar gemacht werden.254 Als erstes Rationalitätsdefizit ist der sogenannte overconfidence bias anzubringen.255 Unter dem Stichwort overconfidence bias wurde belegt, dass der Mensch unsichere Zustände systematisch falsch beurteilt, weil er seine eigenen Fähigkeiten überschätzt.256 Die Treuepflicht reagiert auf zukünftiges opportunistisches Verhalten, das im Einzelnen nicht vorhersehbar ist,257 und abstrakt schwierig zu bewerten sein dürfte. Der overconfidence bias spricht dafür, dass die Vertragsparteien dieses Verhalten bei Vertragsschluss schlechter einschätzen können als sie denken.258 Damit würden die Vertragsparteien den zukünftigen Nutzen der Treuepflicht unterbewerten und insoweit einem Selbstbestimmungsdefizit unterliegen. Jedoch muss bedacht werden, dass unvorhergesehenem opportunistischem Verhalten bis zu einem gewissen Punkt nach Abbedingung der Treuepflicht mit allgemeinen Instituten begegnet werden kann.259 So bestehen die Institute der Vertragsauslegung, der Störung der Geschäftsgrundlage und des Rechtsmissbrauchs als solche unabhängig von der Treuepflicht und könnten für sie aushelfen.260 Insoweit wird eine allfällige Unterbewertung des Nutzens der Treuepflicht relativiert. Aus dem overconfidence bias ergibt sich im Zusammenspiel mit weiteren Einzelphänomenen der sogenannte over-optimism.261 Unter over-optimism ist zu verstehen, dass der Mensch einem Wunschdenken erliegt, aufgrund dessen er künftige Entwicklungen zu positiv bewertet.262 Auch der over-optimism kann für den speziellen Fall der Abbedingung der Treuepflicht fruchtbar gemacht werden.263 So führt dieses Defizit im Treueverhältnis dazu, dass die Vertragsparteien die Wahrschein254

Speziell zu Rationalitätsdefiziten im Rahmen der Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. 211, 249 ff. (1995) (Geschäftsleiterbereich); kurz auch Miller, 39 J. Corp. L. 296, 323 f. (2014) (Geschäftsleiterbereich); krit. Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 553 ff. (1997) (Geschäftsleiterbereich). 255 Diesen bias im Rahmen der Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht anführend Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 131; allgm. zu diesem Phänomen aus der deutschen Lit. Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2016, S. 252; Fleischer u. a., in: Beitrag der Verhaltensökonomie zum Recht, 2011, S. 9, 37 f. 256 Vgl. Fleischer u. a., in: Beitrag der Verhaltensökonomie zum Recht, 2011, S. 9, 37. 257 Vgl. Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1469 f. (1989); Fleischer, ZGR 2001, 1, 4 f. 258 Vgl. Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 131 f. 259 Ähnlicher Gedanke für das US-amerikanische Recht im Gesellschafterbereich in der geschlossenen Gesellschaft bei Means, 79 Fordham L. Rev. 1161, 1161, 1164, 1197 f. (2010). 260 Zu Verhältnis von Treuepflicht und den genannten Instituten s. o. Teil 2 – A.III.1.b); Teil 2 – A.III.2.; Teil 2 – A.III.3. 261 Vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 627, 628 f. 262 Zum Überoptimismus allgm. aus der deutschen Lit. Englerth/Towfigh, in: Towfigh/ Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2016, S. 252 ff. 263 Aus der deutschen Lit. vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 772; Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 126 f.; aus der US-amerikanischen Lit. vgl. Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. 211, 249 (1995); Miller, 39 J. Corp. L. 296, 323 f. (2014).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

lichkeit von zukünftigen Konfliktsituationen unterschätzen.264 Gleiches gilt für zukünftiges opportunistisches Verhalten. Die Treuepflicht reagiert gerade auf solche Situationen und solches Verhalten. Damit spricht der over-optimism dafür, dass die Vertragsparteien den Nutzen der Treuepflicht bei Abbedingung systematisch verkennen und insoweit einem Selbstbestimmungsdefizit erliegen können. Auch hier kann aber das rechtliche und außerrechtliche Umfeld der Treuepflicht bis zu einem gewissen Punkt eingreifen. Außerdem kann für ein Selbstbestimmungsdefizit angeführt werden, dass der Mensch zukünftigen Nutzen übermäßig diskontiert265 – mit anderen Worten: dass der Mensch zukünftigen Nutzen im Vergleich zum gegenwärtigen Nutzen zu gering gewichtet.266 Das kann auf die Abbedingung der Treuepflicht angewendet werden.267 So verhindert die Treuepflicht zukünftiges opportunistisches Verhalten oder bietet zumindest die Grundlage für einen nachträglichen Ausgleich dieses Verhaltens. Insoweit nutzt die Treuepflicht dem Geschützten. Es ist aber wahrscheinlich, dass sich der Nutzen erst Jahre oder Jahrzehnte nach Vertragsschluss realisiert. Mit einer übermäßigen Diskontierung können die Vertragsparteien den zukünftigen Nutzen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unterschätzen und insoweit einem Selbstbestimmungsdefizit erliegen. Darüber hinaus schätzt der Mensch geringe zukünftige Wahrscheinlichkeiten systematisch falsch ein, insbesondere vernachlässigt er geringe zukünftige Wahrscheinlichkeiten.268 Die Wahrscheinlichkeit von zukünftigem opportunistischem Verhalten dürfte jedenfalls gering sein, wenn das Vorhaben der Vertragspartner sinnvoll und durchdacht ist und sich zudem bewusst anderer Instrumente bedient wird, um opportunistischem Verhalten entgegenzuwirken. Gerade dann vernachlässigen die Vertragsparteien mit dem hier besprochenen Defizit die verbleibende Wahrscheinlichkeit und unterschätzen damit den Nutzen der Treuepflicht. Jedoch ist zu bedenken, dass hier lediglich eine geringfügige Wahrscheinlichkeit unterschätzt wird. Deswegen ist es unwahrscheinlich, dass sich dieses Selbstbestimmungsdefizit im konkreten Fall auswirkt. Als letztes Rationalitätsdefizit kann die sogenannte availability heuristic angeführt werden.269 Es wurde belegt, dass der Mensch aktuell verfügbare Informationen zu hoch gewichtet.270 Auch dieses Defizit kann auf die Abbedingung der Treuepflicht 264

Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 772. Das speziell auf die Treuepflicht anwendend Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 131; s. a. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 627, 629, 195 f. 266 Vgl. Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. 211, 222, 249 (1995). 267 Aus der deutschen Lit. vgl. Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 126 f.; aus der US-amerikanischen Lit. Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. 211, 249 (1995). 268 Vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 628. 269 Allgm. zu dem Phänomen aus der deutschen Lit. Englerth/Towfigh, in: Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2016, S. 249. 270 Vgl. ebd., S. 179. 265

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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angewendet werden.271 So führt es dazu, dass die Vertragspartner eine gute Beziehung zu den jeweils anderen Parteien bei Vertragsschluss systematisch überbewerten,272 wobei eine gute Beziehung gerade bei einer geschlossenen Gesellschaft nahe liegt, die zwischen Familienmitgliedern oder Freunden gegründet wird. Auch insoweit unterschätzen die Parteien die Wahrscheinlichkeit eines opportunistischen Verhaltens und damit den Nutzen der Treuepflicht. Nach alledem sprechen Rationalitätsdefizite bei Abbedingung der Treuepflicht für gewisse Selbstbestimmungsdefizite der Parteien. Als systematische Defizite treten sie vermehrt in die gleiche Richtung auf und gleichen sich deswegen nicht aus. Zudem können sie gar nicht oder zumindest nicht hinreichend durch Informationspflichten als mildere Mittel bekämpft werden.273 Damit ist aber weder gesagt, dass sie ständig relevant werden noch, dass sie – gar für sich alleine – bedeutend genug sind, um die Sittenwidrigkeit der Abbedingung der Treuepflicht zu begründen. c) Informationsdefizite, insbesondere Erfahrungsdefizite Außerdem können Informationsdefizite herangezogen werden, um Selbstbestimmungsdefizite der Parteien zu begründen.274 Insbesondere in den USA werden Informationsdefizite beziehungsweise -asymmetrien gegen die Abdingbarkeit der Treuepflicht angeführt,275 es wird aber auch in Deutschland mit ihnen argumentiert.276 Soweit eine Informationsasymmetrie vorliegt, kann ihr jedoch bereits mit prozeduralen Anforderungen begegnet werden – etwa Informations- und Beratungspflichten der überlegenen Beteiligten.277 Solche Mittel sind gegenüber der Unabdingbarkeit der Treuepflicht milder; deswegen gebietet die Verhältnismäßigkeit, auf diese Mittel zu rekurrieren.278 Außerdem steht es den Parteien grundsätzlich frei, Regeln zu treffen, obwohl sie die Auswirkungen der Regeln nicht exakt kennen. Denn erstens kann das Eingehen einer solchen Unsicherheit aufgrund der Kosten von

271

Vgl. Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. 211, 249 (1995). Vgl. ebd., S. 249. 273 Vgl. Schön, in: FS Canaris, 2007, S. 1191, 1209 f.; s. a. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 772. 274 s. o. Teil 2 – B.I.1.; Teil 2 – B.II.2. 275 Gegen die Abdingbarkeit der Treuepflicht in der LLC mit Informationsdefiziten argumentierend Dibadj, 41 Tulsa L. Rev. 451, 465 (2006); Miller, 46 Am. Bus. L.J. 243, 255 ff. (2009); in der partnership Mitchell, 54 Wash. & Lee L. Rev. 465, 477 ff. (1997); s. a. Weidner, 58 Law & Contemp. Probs. 81, 100 (1995); in der close corporation Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1469 f. (1989). 276 So Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 131. 277 Vgl. Guttenberg, 86 S. Cal. L. Rev. 869, 894 ff. (2013); s. a. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1235 (1995); diese können sich insbesondere aus der Treuepflicht selbst ergeben, s. u. Teil 3 – A.IX.6. 278 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 793. 272

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Informationen wirtschaftlich sinnvoll sein,279 gerade wenn die Unsicherheit eingepreist wird, und Zweitens wäre alles andere eine grundsätzlich unzulässige Oktroyierung fremder Präferenzen.280 Weiterhin sind die Parteien bei ihrer Entscheidung nicht auf sich gestellt, da sie sich professionell beraten lassen können. Zudem können sie ohne großen Aufwand der bisherigen Praxis vertrauen und die Treuepflicht als Standardregel akzeptieren, wodurch sie die Möglichkeit haben, die Auswirkungen ihrer Informationsdefizite ohne großen Aufwand zu relativieren. Schließlich gibt es in der GmbH bereits eine gesetzliche Regelung, mit der Fehlvorstellungen begegnet wird. So muss die Satzung bei Vertragsschluss und bei ihrer Änderung notariell beurkundet werden,281 wobei der Notar eine Belehrungspflicht hat.282 Nach alledem sind Informationsdefizite nicht ausgeschlossen, aber haben typischerweise geringe Relevanz für die materielle Abdingbarkeit in der geschlossenen GmbH. Damit wird aber wiederum nicht geleugnet, dass im Einzelfall ein relevantes Informationsdefizit vorliegen kann, insbesondere wenn der Treueverpflichtete eine Informationspflicht vernachlässigt oder sogar arglistig täuscht. Dafür stehen im Einzelfall aber andere Institute als die Nichtigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB zur Verfügung, beispielsweise die Anfechtung aufgrund arglistiger Täuschung oder ein Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung von Informationspflichten. d) Allgemeines Verhandlungsungleichgewicht Schließlich kann ein Selbstbestimmungsdefizit – mit der Rechtsprechung des BVerfG – aus einem allgemeinen Verhandlungsungleichgewicht folgen.283 Soweit angedacht werden könnte, ein Verhandlungsungleichgewicht an einem unangemessenen Geschäft abzulesen oder aus Rationalitätsdefiziten beziehungsweise Informationsasymmetrien zu folgern, sei auf die drei vorstehenden Gliederungspunkte verwiesen. Hier wird lediglich auf ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht als Auffangkriterium eingegangen. Eine geschlossene Gesellschaft besteht aus wenigen aktiven Gesellschaftern, die sich an der Geschäftsführung beteiligen.284 Deswegen ist es wahrscheinlich, dass keiner der Gesellschafter-Geschäftsführer eine außergewöhnliche Macht hat. Daher ist ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht bei Abbedingung der Treuepflicht 279 Dazu Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 552 f. (1997): „Because information is inherently costly, ignorance is a possibility in every contract, depending on how much the parties want to spend to be informed.“ 280 Zur grds. Unzulässigkeit der Oktroyierung fremder Werte s. o. Teil 2 – B.II.3. 281 Vgl. §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG. 282 Vgl. § 17 Abs. 1 BeurkG. 283 Vgl. BVerfGE 81, 242, 255, das BverfG verneint bei einem gewissen Ungleichgewicht die tatsächliche Selbstbestimmung und nimmt eine Fremdbestimmung an. 284 Vgl. Fleischer, NZG 2014, 1081, 1082 f.

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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im Geschäftsleiterbereich in der geschlossenen GmbH untypisch. Es könnte aber argumentiert werden, dass sich ein Verhandlungsungleichgewicht aus der Vertrauensstellung des Geschäftsführers ergibt,285 genauer: aus der anvertrauten Kontrolle über eine fremde Rechtsposition. Um dieses Ungleichgewicht zu bekämpfen, gibt es aber bereits ein Instrument. So kann die Treuepflicht selbst prozedurale Anforderung an ihre eigene Abbedingung stellen,286 die als mildere Mittel vorgehen. Deswegen kann die Vertrauensstellung nicht zur materiellen Unabdingbarkeit der Treuepflicht führen. Eine weitere typische Quelle für ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht ist hier nicht ersichtlich. Damit liegt ein typisches allgemeines Verhandlungsungleichgewicht im Geschäftsleiterbereich in der geschlossenen GmbH fern. Es wird aber nicht geleugnet, dass im Einzelfall ein solches bestehen kann. Dafür bedarf es aber weiterer konkreter Tatsachen. Und auch bei Vorliegen eines hinreichenden Verhandlungsungleichgewichts muss bedacht werden, dass es für die übermächtige Partei sinnvoller ist, direkt eine unangemessene Vergütung auszuhandeln als den Umweg über eine ineffiziente Vertragsklausel zu gehen – soweit keine Informationsasymmetrien bestehen.287 Eine Unabdingbarkeit der Treuepflicht ist dann überflüssig. 3. Schutzpflicht des Richters Schließlich kann im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB eine Schutzpflicht aus der Vertragsfreiheit für die Sittenwidrigkeit sprechen.288 Soweit eine Schutzpflicht des Staates einschlägig ist, wäre die Unabdingbarkeit der Treuepflicht nicht nur aufgrund einfachen Rechts, sondern sogar von Verfassung wegen geboten. Die Schutzpflicht des Richters ist aber nur verletzt, wenn dieser die Schutzbedürftigkeit verkennt oder den Schutz mit untauglichen Mitteln versucht.289 Das kann aber bereits durch eine Unabdingbarkeit der Treuepflicht im Einzelfall verhindert werden. Die allgemeine Unabdingbarkeit der Treuepflicht ist deswegen nicht notwendig, um dem Maßstab der Schutzpflicht gerecht zu werden. Folglich gibt es keine Schutzpflicht des Staates, welche die allgemeine Unabdingbarkeit der Treuepflicht gebietet.

285

Dazu Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1235 ff. (1995). Dazu noch später Teil 3 – A.IX.6. 287 Vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 130 m. w. N; dazu noch ausf. unten Teil 3 – B.III.2.b). 288 Vgl. BVerfGE 81, 242, 256; BVerfGE 89, 214, 217; BVerfGE 97, 169, 178; zur staatlichen Schutzpflicht aus der Vertragsfreiheit ausf. oben Teil 2 – B.III. 289 Vgl. BVerfGE 89, 214, 234; BVerfG, Beschl. v. 2. 5. 1996 – 1 BvR 696/96, NJW 1996, 2021. 286

146

Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

V. Entgegenstehende Rechtsgründe Soeben wurde dargelegt, dass lediglich der Schutz von gewissen Kollektivinteressen und der Schutz vor gewissen Selbstbestimmungsdefiziten für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht sprechen. Dabei stellte sich heraus, dass mit einer bedeutenden Beeinträchtigung von Kollektivinteressen nicht zu rechnen ist. Zudem zeigte sich, dass für Selbstbestimmungsdefizite lediglich systematische Rationalitätsdefizite der Parteien streiten, deren ständiges und bedeutendes Auftreten unsicher ist. Typische Selbstbestimmungsdefizite konnten hingegen nicht mit einer objektiv sinnlosen Entscheidung gestützt werden. Ebenso wenig sprachen relevante Informationsdefizite oder ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht für Selbstbestimmungsdefizite. Damit wiegen die Gründe für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht bereits nicht besonders schwer. Auf der anderen Seite sind nun entgegenstehende Rechtsgründe beziehungsweise weitere Anforderungen zu beachten und die entgegenstehenden Rechtsgründe sind mit den genannten Gütern abzuwägen. 1. Vertragsfreiheit der Parteien Gegen die Unabdingbarkeit der Treuepflicht ist zunächst die Vertragsfreiheit der Parteien anzuführen. Sie wird von einer Unabdingbarkeit der Treuepflicht je nach Schutzrichtung auf verschiedene Weise beeinträchtigt. Zunächst kann der Schutz von Kollektivinteressen auf der einen Seite bedeuten, dass Transaktionskosten bei Vertragsschlüssen sinken, soziale Normen gestärkt werden und die Anwendung der Treuepflicht unverändert verbessert wird.290 Auf der anderen Seite aber werden die Vertragsparteien daran gehindert, ihr Rechtsverhältnis frei zu bestimmen, auch wenn sie keinen Selbstbestimmungsdefiziten unterliegen. Damit ist sowohl ihre formelle Entscheidungsfreiheit in eigenen Angelegenheiten als auch ihre materielle Entscheidungsfreiheit in eigenen Angelegenheiten beeinträchtigt.291 Soweit die materielle Selbstbestimmung eingeschränkt wird, gewährleistet die Vereinbarung nicht mehr die Tendenz zu Gerechtigkeit und Effizienz.292 Das zeitigt besonders dann Wirkung, wenn die Parteien typischerweise ein besonderes Interesse an der Abbedingung haben – beispielsweise in Situationen, in denen der Geschäftsführer bereits bei seiner Einstellung offenbar Interessenkonflikte hat293. Denn gerade in solchen Fällen kommt es durch die Unabdingbarkeit der Treuepflicht zu Ergebnissen, die nicht den tatsächlichen Präferenzen der Parteien gerecht werden. Die Unabdingbarkeit der Treuepflicht wurde aber nicht nur durch den Schutz von Kollektivinteressen, sondern auch durch den Schutz vor Selbstbestimmungsdefiziten der Parteien gestützt. Bei dem Schutz vor Selbstbestimmungsdefiziten der Parteien 290 291 292 293

s. o. ausf. Teil 3 – A.IV.1.d). Zu dem Begriffspaar Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277 ff. m. w. N. Hierzu ausf. im Allgm. oben Teil 2 – B.I.1. Hierzu bereits oben Teil 3 – A.IV.2.a)dd).

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

147

ist die Vertragsfreiheit der Parteien in dreierlei Hinsicht betroffen. Erstens werden die Parteien in ihrer formellen Selbstbestimmung beeinträchtigt: Ihnen wird die von BGB und Grundgesetz grundsätzlich zugewiesene Mündigkeit abgesprochen, ihr menschliches Bedürfnis nach einer formell freien Entscheidung wird beeinträchtigt294 und ein Lerneffekt für zukünftige Entscheidungen wird verhindert.295 Zweitens ist die allgemeine Unabdingbarkeit der Treuepflicht eine typisierte Regel und zieht deswegen einen Kollateralschaden nach sich. Dies wirkt sich einerseits aus, wenn die Parteien fälschlicherweise geschützt werden, obwohl sie keinem Selbstbestimmungsdefizit erliegen, und andererseits, wenn die Parteien übermäßig geschützt werden, weil sie nur an einem partiellen Selbstbestimmungsdefizit leiden. Insoweit wird mit der Unabdingbarkeit der Treuepflicht in die materielle Selbstbestimmung der Parteien eingegriffen. Gleichermaßen gewährleistet die Vereinbarung dann erneut nicht die Tendenz zu Gerechtigkeit und Effizienz. Drittens wird für den Fall, dass nicht alle Parteien von Selbstbestimmungsdefiziten betroffen sind, in die materielle Selbstbestimmung der defizitfreien Vertragspartner eingegriffen. Nach alledem spricht die formelle Selbstbestimmung der Parteien und teilweise ihre materielle Selbstbestimmung sowie die Richtigkeitsgewähr der Vertragsfreiheit gegen die Unabdingbarkeit der Treuepflicht. Das reicht bereits aus, um die allgemeine Unabdingbarkeit der Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich in der geschlossenen GmbH abzulehnen, weil die dafürsprechenden Rechtsgründe – wie soeben dargelegt – typischerweise nicht besonders schwerwiegen. Nicht ausgeschlossen ist jedoch ein Überwiegen der Rechtsgründe für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht im Einzelfall, wofür aber weitere Tatsachen hinzutreten müssen. 2. Hilfsweise: Keine Evidenz Sollte entgegen der hier vertretenen Auffassung angenommen werden, dass die Rechtsgründe für die allgemeine Unabdingbarkeit der Treuepflicht überwiegen, ist eine weitere Hürde zu nehmen. Mit der herrschenden Meinung ist gemäß § 138 Abs. 1 BGB nur in „Extremfällen“ einzugreifen und lediglich ein „Minimalschutz“ zu gewährleisten.296 Dementsprechend wird in der gesellschaftsrechtlichen Literatur formuliert, dass die Sittenwidrigkeit auf „offensichtliche Fälle mit unerträglichem Ergebnis“ beschränkt sei.297 Auch in der Rechtsprechung wird die restriktive Handhabung deutlich. So ist vor Selbstbestimmungsdefiziten nach Ansicht des 294

Ähnlich für das US-amerikanischen Recht argumentierend Ribstein, 54 Wash. & Lee L. Rev. 537, 564 (1997). 295 s. ausf. zu diesen Aspekten und allgm. zum Wert der formellen Selbstbestimmung oben Teil 2 – B.I.3. 296 Das als hM bewertend Sack/Fischinger, in: Staudinger, BGB, § 138 Rn. 28 ff. m. umfangr. Nachw., aber selbst verlangen Sack und Fischinger lediglich, dass eine „Erheblichkeitsschwelle“ überschritten wird; die Begriffe des Extremfalls und des Minimalschutzes verwendend Canaris, AcP 184 (1984), 201, 236. 297 Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 211.

148

Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

BVerfG zu schützen, wenn die „strukturelle Unterlegenheit“ einer Vertragspartei vorliegt und der Vertrag „ungewöhnlich belastend“ und „offensichtlich unangemessen“ ist.298 Kollektivinteressen sind nach der Rechtsprechung etwa zu schützen, wenn eine Täuschung der Öffentlichkeit vorliegt,299 die „Sinnentleerung von Titeln“ droht300 oder die „wesentliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit öffentlicher Ämter“ im Raum steht.301 Es wurde gezeigt, dass eine Abbedingung der Treuepflicht durchaus im allseitigen Interesse der Parteien liegen kann.302 Folglich ist eine Abbedingung der Treuepflicht nicht typischerweise offensichtlich unangemessen. Außerdem konnten zwar systematische Rationalitätsdefizite der Parteien dargelegt werden; diese waren aber nicht in der Lage, eine ständige und bedeutende Beeinträchtigung der Selbstbestimmung zu belegen.303 Zudem treten sie bei allen Beteiligten auf und können deswegen keine strukturelle Unterlegenheit einer Partei stützen. Ebenso waren keine typischen Informationsasymmetrien auffindbar,304 die eine strukturelle Unterlegenheit begründen können. Schließlich konnte kein relevantes allgemeines Verhandlungsungleichgewicht aufgezeigt werden.305 Eine Abbedingung der Treuepflicht ist damit in der Regel weder offensichtlich unangemessen noch beruht sie auf einem strukturellen Verhandlungsungleichgewicht. Daher wiegen die Selbstbestimmungsdefizite der Parteien nach gängiger Dogmatik grundsätzlich nicht so schwer, dass sie ein richterliches Eingreifen gemäß § 138 Abs. 1 BGB rechtfertigen können. Auch die betroffenen Kollektivinteressen reichen nicht aus, um die Evidenzhürde zu nehmen. So werden mit der Abbedingung der Treuepflicht keine potentiellen Vertragspartner der Gesellschaft als Vertreter der Öffentlichkeit getäuscht. Stattdessen haben potentielle Vertragspartner bereits kein rechtlich relevantes Interesse an der Treuepflicht des Geschäftsführers.306 Ohnehin können sie die Regelung beim Handelsregister problemlos einsehen und müssen sich der flexiblen Verhältnisse in der GmbH bewusst sein. Gleichermaßen ist keine Täuschung von zukünftigen Gesellschaftern gegeben, weil auch sie sich der Flexibilität einer GmbH bewusst sein müssen und beim Handelsregister Einsicht in die Regelungen nehmen können. Schließlich wird mit der Abdingbarkeit nicht die Funktionsfähigkeit des Treueverhältnisses in Frage gestellt – etwa durch die Erosion von sozialen Normen oder durch

298 299 300 301 302 303 304 305 306

BVerfGE 89, 214, 234. OLG Koblenz, Urt. v. 16. 12. 1998 – 7 U 124-98, NJW 1999, 2904, 2905. BGH, Urt. v. 05. 10. 1993 – XI ZR 200/92, NJW 1994, 187, 188. Ebd., S. 188. s. o. Teil 3 – A.IV.2.a). s. o. Teil 3 – A.IV.2.b). s. o. Teil 3 – A.IV.2.c). s. o. Teil 3 – A.IV.2.d). s. o. Teil 3 – A.IV.1.a).

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

149

Transaktionskosten. Vielmehr ist das Bestehen solcher Beeinträchtigungen nicht zu erwarten.307 Mit einer Abbedingung der Treuepflicht in der geschlossenen GmbH ist damit jedenfalls typischerweise kein Extremfall gegeben. Deswegen ist eine Abbedingung grundsätzlich nicht gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Anders kann das aber im Einzelfall zu beurteilen sein. Jedoch müssen dafür weitere Tatsachen hinzukommen, welche die strengen Anforderungen der Sittenwidrigkeit erfüllen. Und auch in krassen Einzelfällen sollte zurückhaltend agiert werden. Der Richter sollte sich mit Fischers Worten „davor hüten, des vermeintlich Guten zu viel zu tun“.308 Denn nicht nur die Vertragsparteien, sondern auch den Richter können Entscheidungsdefizite ereilen,309 etwa kann er insbesondere bei Billigkeitserwägungen durch außerrechtliche Umstände dazu gebracht werden, eine unzweckmäßige Entscheidung zu treffen.310

VI. Zusätzliche normative Anknüpfung an die Treuepflicht selbst In den USA wird nun noch ein Verstoß gegen die Treuepflicht selbst angesprochen, um ihre Unabdingbarkeit zu begründen.311 Dieser Gedanke kann für das deutsche Recht fruchtbar gemacht werden. So könnte in Deutschland die Treuepflicht als normativer Anknüpfungspunkt für die Unabdingbarkeit neben § 138 Abs. 1 BGB einschlägig sein. Dabei muss zwischen nachträglicher und anfänglicher Abbedingung unterschieden werden. Bei nachträglicher Abbedingung ist der Geschäftsführer unproblematisch zum maßgeblichen Zeitpunkt zur Treue verpflichtet, weil die Treuepflicht den bereits bestellten Geschäftsführer an das Interesse der Gesellschaft bindet, jedenfalls bis ihre Abbedingung erfolgt ist. Entscheidend für die konkreten Anforderungen aus der Treuepflicht ist dann, welche Variante der Treuepflicht einschlägig ist: Auf der einen Seite kontrolliert der Geschäftsführer bei nachträglicher Abbedingung das anvertraute fremde Vermögen. Er kann als Geschäftsführer zwar die Treuepflicht nicht eigenmächtig abbedingen und hat damit keine rechtliche Kontrolle, jedoch wird ihm mitunter ein hinreichender Vorsprung an Information und Expertise anvertraut sein. Insoweit hat er die tatsächliche Kontrolle. Auf der anderen Seite sind aber auch eigene berechtigte Interessen des Geschäftsführers tangiert, weil die Treuepflicht 307

s. o. Teil 3 – A.IV.1.d). Fischer, DRiZ 1974, 209, 212. Fischer ist ehemaliger Präsident des BGH. 309 s. o. Teil 2 – C.II.3. 310 s. o. Teil 2 – C.II. 311 In diesem Sinne Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1230 (1995); s. a. Dickerson, 26 J. Corp. L. 1001, 1015 (2001): „[…] if the parties purport to agree that neither shall owe heightened duties to the other, that agreement at minimum should be subject to scrutiny on the same level as the duties to be waived.“ 308

150

Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

sein Humankapital betrifft, das ihm auf Ebene der Vertragsverhandlung selbst zugewiesen ist – etwa, wenn sie ihm verbietet, mit Hilfe seiner Expertise erworbene Geschäftschancen zu nutzen. Folglich wird der Geschäftsführer bei nachträglicher Abbedingung der Treuepflicht im auch-fremden Interessenkreis tätig. Deswegen kann die Treuepflicht bei ihrer nachträglichen Abbedingung zwar nicht den ausschließlichen Vorrang der Ziele der Gesellschaft gebieten, sie kann aber dazu verpflichten, das Interesse der Gesellschaft allgemein und angemessen zu berücksichtigen. Konkret stellt die nachträgliche Abbedingung der Treuepflicht einen Unterfall der Verhandlung des Geschäftsführers über seinen bestehenden Arbeitsvertrag dar – jedenfalls sind beide Situationen vergleichbar. Deshalb ist mit gängiger Dogmatik dem Geschäftsführer eine über das verkehrsübliche Maß hinausgehende Offenheit geboten.312 Er muss die Gesellschaft in die Position versetzen, eine Entscheidung auf Augenhöhe zu treffen; insbesondere muss er dafür die Gesellschaft gegebenenfalls davon in Kenntnis setzen, dass sie sich selbst schützen muss beziehungsweise dass sie sich nicht auf ihn verlassen kann, ihr Interesse zu wahren.313 Die Verpflichtung zur Offenheit ist grundsätzlich hinreichend, um den Informationsvorsprung des Geschäftsführers auszugleichen und damit die tatsächliche Kontrolle unschädlich zu machen, auf die hier mit der Treuepflicht reagiert wird. Eine inhaltliche Kontrolle erfolgt deswegen mit gängiger Dogmatik nur soweit der Geschäftsführer mit der Abbedingung ein evidentes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung herbeiführt.314 Es wurde aber gezeigt, dass eine Abbedingung der Treuepflicht in der Regel nicht evident unangemessen ist.315 Folglich ergibt sich grundsätzlich keine Unabdingbarkeit aus der Treuepflicht selbst. Anders kann das lediglich in Einzelfällen sein. Dafür müsste ausnahmsweise ein evidentes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vorliegen. Bei anfänglicher Abbedingung der Treuepflicht ist bereits fragwürdig, ob der zukünftige Geschäftsführer zur Treue verpflichtet ist.316 Selbst, wenn dies der Fall sein sollte, gelten die obigen Einwände entsprechend; insbesondere könnten grundsätzlich lediglich prozedurale Anforderungen aus der Treuepflicht folgen, nicht aber die materielle Unabdingbarkeit der Treuepflicht.

312

Vgl. Fleischer, WM 2003, 1045, 1052 (allgm.); Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 243 (AG). 313 Vgl. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1212, 1230, 1234 ff. (1995). 314 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 243 (AG); etwas strenger Fleischer/ Bauer, ZIP 2015, 1901, 1903 f. 315 s. o. Teil 3 – A.IV.2.a). 316 Dazu unten Teil 3 – A.IX.6.

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

151

VII. Abschließende Bewertung der materiellen Abdingbarkeit Nach alledem ist die Treuepflicht des Geschäftsleiters einer geschlossenen GmbH als solche de lege lata grundsätzlich abdingbar. Als Minus hierzu können ebenfalls einzelne Ausprägungen der Treuepflicht eliminiert werden, die Treuepflicht kann konkretisiert und begrenzt werden und es ist möglich, in individuelle Zuwiderhandlungen gegen die Treuepflicht einzuwilligen. Jedoch kann im Einzelfall die Disposition über die Treuepflicht nach allgemeinen Regeln unwirksam sein. Hierfür müssen aber konkrete und gewichtige Tatsachen hinzukommen. So kommt eine Sittenwidrigkeit in Betracht, wenn die Vereinbarung ausnahmsweise evident unangemessen ist und eine strukturelle Unterlegenheit vorliegt. Zudem kommt ein Verstoß gegen die Treuepflicht selbst in Betracht, wenn sie bei Abbedingung bereits besteht und ihre Abbedingung ausnahmsweise ein evidentes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung zur Folge hat. Ähnlich ist die Ansicht von Hellgardt. Er lässt die Abbedingung der Treuepflicht grundsätzlich zu, hält aber im Einzelfall eine Unwirksamkeit nach allgemeinen Regeln für möglich.317 Vergleichbar ist zudem die gesetzliche Regelung bei der USamerikanischen LLC in Delaware.318 Auch die hergebrachte Position in der deutschen Rechtswissenschaft ist nicht weit entfernt, weil sie grundsätzlich eine Abbedingung einzelner Ausprägungen der Treuepflicht zulässt und eine Konkretisierung und Modifizierung der Treuepflicht für möglich hält. Darüber hinaus ist eine Gegenüberstellung mit der hergebrachten Position kaum möglich, da bei ihr weder der sogenannte unabdingbare Kernbereich noch die unabdingbare Treuepflicht hinreichend bestimmt werden.

VIII. Exkurs: Abdingbarkeit allgemeiner Institute Bislang wurde lediglich die Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht diskutiert. Zwar kann eine Abbedingung der Treuepflicht mittelbar Auswirkungen auf die Anwendung allgemeiner Institute haben, wie etwa auf die Anwendung der Vertragsauslegung oder auf die Anwendung des Verbots missbräuchlicher Rechtsausübung; dennoch gehören solche Institute nicht zum Gegenstand der hergebrachten Treuepflicht.319 Deswegen wurde zu ihrer Abdingbarkeit noch nicht Stellung bezogen. Für das allgemeine Institut der (ergänzenden) Vertragsauslegung ist die Unabdingbarkeit einleuchtend. Denn das Institut der Vertragsauslegung ist keine Pflicht, sondern eine gesetzlich eingefasste Methode zur Ermittlung von Pflichten und anderen Vereinbarungen direkt aus dem Parteiwillen beziehungsweise aus dem hy317 318 319

Dazu ausf. oben Teil 3 – A.I.1. Dazu ausf. oben Teil 3 – A.I.2. Dazu ausf. oben Teil 2 – A.III.

152

Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

pothetischen Parteiwillen.320 Dabei entfaltet die Vertragsauslegung als solche keine unmittelbare und verbindliche Wirkung gegenüber den Parteien, oktroyiert keinen Inhalt der Vereinbarung und diktiert keine Gewichtung der Parteiinteressen. Aus diesen Gründen ist eine Abbedingung der Vertragsauslegung weder sinnvoll noch denkbar. Jedoch haben die Vertragsparteien den Ausgang der Vertragsauslegung in der Hand, etwa indem sie Pflichten festlegen, Pflichtenfreiräume schaffen, Risiken zuweisen oder andere Vereinbarungen treffen. Das ist möglich, soweit die Vertragsparteien keine relevanten Fremdinteressen verletzen und keinen bedeutenden Selbstbestimmungsdefiziten erliegen.321 Die Parteien können die Vertragsauslegung damit nicht abbedingen, aber sie können über ihr Ergebnis disponieren. Das gilt entsprechend für das zumindest strukturell vergleichbare Institut der Störung der Geschäftsgrundlage.322 Weiterhin ist die Nichtigkeit sittenwidriger Rechtsgeschäfte gemäß § 138 Abs. 1 BGB nicht abdingbar. Dies ergibt sich bereits daraus, dass durch die Norm nicht nur Interessen der Vertragsparteien geschützt werden. Vielmehr wahrt die Vorschrift Kollektivinteressen – etwa bei der Nichtigkeit eines Kaufvertrags, der einen Doktortitel zum Gegenstand hat.323 Zudem schützt die Regelung individuelle Fremdinteressen Dritter, beispielsweise bei der Nichtigkeit aufgrund einer Verleitung zum Vertragsbruch.324 Außerdem kann § 138 Abs. 1 BGB gerade dann greifen, wenn die Parteien erheblichen Selbstbestimmungsdefiziten erliegen, die zu einer tatsächlichen Fremdbestimmung führen.325 Dort werden Interessen gewahrt, die mit Fremdinteressen vergleichbar sind. Auch dann ist eine Disposition über § 138 Abs. 1 BGB nicht möglich. Jedoch können tatsächlich selbstbestimmte Akteure in ihrem Verhältnis in zukünftiges Verhalten einwilligen, das anderenfalls sittenwidrig wäre; beispielsweise ist keine sittenwidrige Verleitung zum Vertragsbruch gegeben, wenn der materiell selbstbestimmte Betroffene im Vorhinein einwilligt. Insoweit können die Akteure über § 138 Abs. 1 BGB disponieren. Diese Ausführungen zu § 138 Abs. 1 BGB gelten entsprechend für das Verbot sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB.

320 Vgl. § 133 BGB: „Bei Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.“; § 157 BGB: „Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“ 321 Allgm. zu den Grenzen der Vertragsfreiheit s. o. Teil 2 – B.II. 322 Für die strukturelle Vergleichbarkeit vgl. Finkenauer, in: MüKo BGB, § 313 Rn. 46, Rn. 41. 323 Für den Schutz der Öffentlichkeit beim Kauf von Doktortiteln vgl. BGH, Urt. v. 05. 10. 1993 – XI ZR 200/92, NJW 1994, 187, 188; OLG Koblenz, Urt. v. 16. 12. 1998 – 7 U 124-98, NJW 1999, 2904, 1905. 324 Für den Fremdinteressenschutz bei der Verleitung zum Vertragsbruch vgl. Armbrüster, in: MüKo BGB, § 138 Rn. 36. 325 Vgl. BVerfGE 81, 242, 254 ff.; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 6. 2. 2001 – 1 BvR 12/92, NJW 2001, 957, 958.

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

153

Das Verbot des Rechtmissbrauchs wird als unabdingbar angesehen.326 Die Unabdingbarkeit des Verbots rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ist jedenfalls insofern sinnvoll, wie es individuelle Fremdinteressen und Kollektivinteressen schützt. Abseits des Schutzes solcher Interessen können jedoch tatsächlich selbstbestimmte Akteure den Zweck eines Rechts, das sie ihrem Vertragspartner einräumen, frei bestimmen; insbesondere können sie den Zweck ausschließlich eigennützig definieren. Soweit wie die tatsächlich selbstbestimmten Parteien den Zweck des eingeräumten Rechts fassen, ist ein Rechtsmissbrauch ausgeschlossen. Zumindest auf diese Art können die Akteure über das Verbot des Rechtsmissbrauchs disponieren. Schließlich wird Treu und Glauben als unabdingbar angesehen.327 Treu und Glauben umfasst verschiedenste Rechtsfiguren, etwa wird das Verbot des Rechtsmissbrauchs in ihm verortet und von Teilen der Literatur wird die ergänzende Vertragsauslegung ihm zugeordnet.328 Zudem enthielt Treu und Glauben ursprünglich die AGB-Kontrolle und die Störung der Geschäftsgrundlage.329 Zumindest die Vertragsauslegung, die Störung der Geschäftsgrundlage und wohl auch das Verbot des Rechtsmissbrauchs sind – wie gerade dargelegt – als solche sinnvollerweise nicht abdingbar. Damit ist erst recht das übergeordnete Institut von Treu und Glauben nicht abdingbar. Eine Abbedingung wäre auch nicht sinnvoll, weil Treu und Glauben lediglich eine Zusammenfassung verschiedenster rechtlicher Institute und MetaWertungen ist und keine direkte Wirkung gegenüber den Rechtssubjekten entfaltet. Es besteht somit bereits kein potentielles Interesse an einer Abbedingung von Treu und Glauben.

IX. Prozedurale und formale Anforderungen bei Abbedingung Nachdem die Treuepflicht grundsätzlich abdingbar ist, stellt sich zwangsläufig eine Folgefrage: Welche prozeduralen und formalen Anforderungen gelten für eine Abbedingung? 1. Gegenwärtiger Stand der Rechtswissenschaft Zu den prozeduralen und formalen Anforderungen an eine Abbedingung der Treuepflicht als solcher finden sich kaum Ausführungen in der deutschen 326

Für den Rechtsmissbrauch als zwingende Ausprägung von Treu und Glauben vgl. Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 109. 327 Vgl. etwa Larenz/Canaris, SchuldR, 1987, § 10 I, S. 128; Wiedemann, GesR, 2004, S. 198; Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 108 m. w. N.; s. a. BGH, Urt. v. 24. 06. 1987 – IV a ZR 99/86, NJW 1987, 2808. 328 Für die Verortung des allgemeinen Rechtsmissbrauchs in Treu und Glauben vgl. Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 213 ff. m. w. N.; für die Verortung der ergänzenden Vertragsauslegung in Treu und Glauben vgl. Busche, in: MüKo BGB, § 157 Rn. 28. 329 Vgl. Looschelders/Olzen, in: Staudinger, BGB, § 242 Rn. 204.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Rechtswissenschaft. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da die hergebrachte Meinung die Abdingbarkeit der Treuepflicht als solcher ablehnt. Stellung bezieht jedoch Hellgardt. Er fordert aufgrund § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB330 den einstimmigen Beschluss sämtlicher Gesellschafter.331 Gleiches gilt für Kampf.332 Zudem äußert sich Winter zu den prozeduralen Anforderungen bei einer Abbedingung im Gesellschafterbereich, er verlangt dort ebenfalls eine einstimmige Satzungsänderung, allerdings ohne das normativ anzuknüpfen.333 Schließlich macht Waclawik Ausführungen zu den prozeduralen Anforderungen im Gesellschafterbereich der Aktiengesellschaft. Er lässt die anfängliche Abbedingung der Treuepflicht in der Ursprungssatzung zu und hält eine nachträgliche Abbedingung mit satzungsändernder Mehrheit für möglich.334 Im Gegensatz zu den Anforderungen an eine Abbedingung der Treuepflicht als solcher werden die Anforderungen an eine Abbedingung bestimmter Ausprägungen der Treuepflicht ausführlicher besprochen. Nach gängiger Dogmatik kann eine Befreiung vom Wettbewerbsverbot in der Satzung erfolgen.335 Zudem kann die Satzung eine Öffnungsklausel enthalten, die den Gesellschaftern erlaubt, im Einzelfall durch Mehrheitsbeschluss vom Wettbewerbsverbot zu befreien.336 Außerdem ist eine Öffnungsklausel möglich, die den Gesellschaftern erlaubt, generell vom Wettbewerbsverbot zu befreien.337 Sowohl Befreiungsklausel als auch Öffnungsklausel können in der Gründungssatzung vereinbart oder nachträglich mit satzungsändernder Mehrheit eingeführt werden.338 Bei der nachträglichen Einführung bedarf es keiner Einstimmigkeit aufgrund § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB.339 Jedoch ist mit der herrschendem Meinung das Stimmrechtsverbot des § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG340 anwendbar.341 Über die Befreiung durch Satzungsänderung hinaus wird

330 § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB: „Zur Änderung des Zwecks des Vereins ist die Zustimmung alle Mitglieder erforderlich; die Zustimmung der nicht erschienenen Mitglieder muss schriftlich erfolgen.“ 331 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 783. 332 Vgl. Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 98. 333 Vgl. Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 214. 334 Vgl. Waclawik, DB 2005, 1151, 1153. 335 Vgl. etwa Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 245; Paefgen, in: GroßK, GmbHG, § 43 Rn. 103; Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 188. 336 Vgl. Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 51; Paefgen, in: GroßK, GmbHG, § 43 Rn. 104; Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 189. 337 Vgl. Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 245. 338 Vgl. ebd., Rn. 108, 109; Paefgen, in: GroßK, GmbHG, § 43 Rn. 103. 339 Vgl. Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 247; Paefgen, in: GroßK, GmbHG, § 43 Rn. 103. 340 § 47 Abs. 4 S. 1 GmbHG: „Ein Gesellschafter, welcher durch die Beschlußfassung entlastet oder von einer Verbindlichkeit befreit werden soll, hat hierbei kein Stimmrecht und darf ein solches auch nicht für andere ausüben.“

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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zuweilen eine konkrete oder generelle Befreiung mit einfachem Gesellschafterbeschluss für möglich gehalten, auch wenn es keine Öffnungsklausel in der Satzung gibt.342 Das Quorum für einen solchen Beschluss ist dann wiederum umstritten.343 Während manche für den Beschluss die einfache Mehrheit genügen lassen,344 fordern andere Einstimmigkeit.345 In jedem Fall ist bei einer Befreiung aufgrund einfachen Gesellschafterbeschlusses der Stimmrechtsausschluss gemäß § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG zu beachten.346 2. Ausgangspunkt und allgemeine Anforderungen Aufgrund des besonderen Klärungsbedarfs sind die prozeduralen und formalen Anforderungen an eine Abbedingung der Treuepflicht als solcher zu diskutieren. Jedenfalls unter diesen Voraussetzungen sind aber auch ihre Ausprägungen abdingbar und Modifizierungen der Treuepflicht möglich. Für die prozeduralen und formalen Anforderungen ist Ausgangspunkt das gewohnheitsrechtliche Bestehen der Treuepflicht im Anstellungs- und im Organverhältnis,347 weswegen die Treuepflicht in beiden Verhältnissen abbedungen werden muss. Für eine Abbedingung im Organverhältnis ist eine Festschreibung in der Satzung notwendig, da das Organverhältnis als Teil des innerkorporativen Regelungsbereichs dort abgeändert oder ergänzt wird348. Für die Festschreibung in der Satzung gelten die Regeln des allgemeinen Vertragsrechts und die Vorgaben des GmbH-Rechts.349 Folglich ist bei Errichtung der Gesellschaft eine notariell beurkundete Vereinbarung sämtlicher Gesellschafter erforderlich350 sowie die Anmeldung zum Handelsregister.351 Bei 341 Das als hM bezeichnend, selbst aber anderer Ansicht Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 47 Rn. 113; für die Anwendbarkeit des § 47 Abs. 4 GmbHG vgl. Römermann, in: Michalski, GmbHG, § 47 Rn. 206; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 47 Rn. 79. 342 Für die generelle und die konkrete Befreiung ohne Grundlage in der Satzung bspw. Altmeppen, in: Altmeppen/Roth, GmbHG, § 43 Rn. 31; Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 6 Rn. 23, der das für die konkrete Befreiung als hM bezeichnet; jedenfalls für die konkrete Befreiung Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 51; die Befreiung ohne Satzungsgrundlage insgesamt abl. bspw. Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 245. 343 Vgl. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 192 m. w. N. 344 Vgl. bspw. Altmeppen, in: Altmeppen/Roth, GmbHG, § 43 Rn. 31; wohl auch Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 6 Rn. 23; explizit nur für die konkrete Befreiung Klöhn, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 43 Rn. 51. 345 Vgl. bspw. Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 192. 346 Vgl. Altmeppen, in: Altmeppen/Roth, GmbHG, § 43 Rn. 31; Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 189. 347 s. o.. Teil 2 – A.V. 348 Vgl. Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rn. 7 ff. 349 Für die Geltung des allgm. Vertragsrechts statt aller Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 2 Rn. 6. 350 Vgl. § 2 Abs. 1 GmbHG. 351 Vgl. § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

nachträglicher Abbedingung ist ein notariell beurkundeter Beschluss mit satzungsändernder Dreiviertelmehrheit notwendig352 sowie die Anmeldung zum Handelsregister.353 Bezüglich des Anstellungsverhältnisses gelten die Regeln des allgemeinen Vertragsrechts. Damit kann eine Abbedingung dort grundsätzlich formlos durch Vereinbarung zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft erfolgen. Praktisch werden in der geschlossenen Gesellschaft die Anforderungen für die Änderung des Anstellungsvertrags meist mit der Abbedingung der Treuepflicht in der Satzung erfüllt sein. Die Vereinbarungen in Satzung und Anstellungsvertrag müssen inhaltlich die Abbedingung der Treuepflicht enthalten. Bislang fehlt es an einer leistungsfähigen und gängigen Begriffsbeschreibung der Treuepflicht.354 Deswegen könnte man für eine inhaltlich hinreichende Abbedingung fordern, dass die Parteien die Treuepflicht abstrakt beschreiben, ihre Umgebung explizit ausnehmen und die einzelnen Ausprägungen der Treuepflicht benennen. Die strukturellen Eigenschaften der Treuepflicht sind aber bereits in der gegenwärtigen Rechtswissenschaft bekannt beziehungsweise werden die strukturellen Eigenschaften der Treuepflicht in der gegenwärtigen Rechtswissenschaft vorausgesetzt; aus ihnen kann eine leistungsfähige Begriffsbeschreibung abgeleitet werden.355 Daher ist eine entsprechende Ermittlung des Parteiwillens gemäß §§ 133, 157 BGB möglich, wenn die Parteien lediglich „die Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht des Geschäftsleiters inklusive ihrer Ausprägungen“ anordnen. Dennoch kann im Einzelfall die Auslegung der Vereinbarung Schwierigkeiten bereiten. Solche Schwierigkeiten sind allerdings der natürliche Preis einer Vertragsauslegung anhand des Parteiwillens. Deswegen führen sie nicht dazu, dass weitere Formalien notwendig sind. Sie können aber dazu führen, dass weitere Formalien empfehlenswert sind – dazu wird erst später Stellung bezogen.356 Hier stellt sich noch die Frage, ob die nachträgliche Abbedingung der Treuepflicht aufgrund einer Öffnungsklausel in der Satzung erfolgen kann. Mit einer Öffnungsklausel wird den Gesellschaftern ermöglicht, von einer Satzungsregel mit einfachem Mehrheitsbeschluss abzuweichen.357 Eine Öffnungsklausel muss sich auf eine konkret bezeichnete Satzungsregel beziehen,358 was sichert, dass weder die Publizität einer Satzungsänderung ausgehebelt wird noch eine Umgehung ihres Minderheits- und Formschutzes vorliegt. Nun könnte angeführt werden, dass eine 352

Vgl. § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG. Vgl. § 54 S. 1 GmbHG. 354 Vgl. oben Teil 2 – A.I.1.; Teil 2 – A.I.2. 355 Vgl. oben Teil 2 – A.I.3. 356 s. u. Teil 3 – A.X. 357 Vgl. Arnold, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 53 Rn. 22; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 34; s. a. Harbarth, in: MüKo GmbHG, § 53 Rn. 47. 358 Vgl. Arnold, in: Bork/Schäfer, GmbHG, § 53, Rn. 22; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 34. 353

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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globale Abbedingung der Treuepflicht aufgrund einer Öffnungsklausel nicht spezifisch genug ist, weil dann eine Vielzahl noch unbestimmter Ausprägungen der Treuepflicht durch einfachen Mehrheitsbeschluss verhandelbar wird.359 Jedoch ist die Treuepflicht eine einheitliche Pflicht und die angeführten Ausprägungen sind ihre abgrenzbaren Produkte.360 Die Treuepflicht und ihre typisierten Ausprägungen könnten deswegen mit einer einzelnen Regelung in der Satzung vereinbart werden. Gleichermaßen könnten sie mit einer einzelnen Satzungsänderung global eliminiert werden. Mit einer Öffnungsklausel, die eine entsprechende Abbedingung ermöglicht, wird eine vergleichbare Publizität gewahrt: Im ersten Fall weiß der Geschäftsverkehr um die globale Abbedingung der Treuepflicht und im zweiten Fall muss er spezifisch mit der globalen Abbedingung der Treuepflicht rechnen. Auf gleiche Weise wird der Minderheits- und Formschutz erhalten. Eine Abbedingung der Treuepflicht aufgrund einer entsprechenden Öffnungsklausel ist daher möglich. Die Gesellschafter können die Öffnungsklausel in der Ursprungssatzung vereinbaren oder nachträglich mit satzungsändernder Dreiviertelmehrheit einführen. Gibt es keine Öffnungsklausel, kann die Treuepflicht nicht mit einfachem Gesellschafterbeschlusses abbedungen werden, da ansonsten die Publizität einer Satzungsänderung sowie ihr Minderheits- und Formschutz umgangen würden. 3. § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB (Änderung des Gesellschaftszwecks) Nach Hellgardt und Kampf muss die nachträgliche Abbedingung der Treuepflicht aufgrund von § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB einstimmig erfolgen.361 Diese Vorschrift ist trotz ihres Zuschnitts auf den Verein bei der GmbH anwendbar.362 Sie gebietet die Zustimmung aller Mitglieder bei Änderung des Gesellschaftszwecks, womit der Gesellschaftszweck im engeren Sinne gemeint ist.363 Deswegen fällt eine Änderung erst unter § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB, wenn sie einer Entscheidung für oder gegen die erwerbswirtschaftliche Ausrichtung der Gesellschaft gleichkommt.364 Mit der Abbedingung der Treuepflicht wird die Ausrichtung der Gesellschaft nicht unmittelbar modifiziert, vielmehr bleibt der Gesellschaftszweck gleich. Der Geschäftsführer ist mit Abbedingung der Treuepflicht bei seinem Entscheidungsprozess aber nicht mehr allgemein und vorrangig an die Ziele der Gesellschaft gebunden. Gleichermaßen darf

359

Vgl. Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 100. Vgl. oben Teil 2 – A.I.3. 361 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 784 f.; Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 98. 362 Vgl. Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 23; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rn. 29; jeweils m. w. N. 363 Vgl. Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 23; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rn. 29. 364 Vgl. Arnold, in: MüKo BGB, § 33 Rn. 4; speziell für die GmbH s. a. Arnold, in: Bork/ Schäfer, GmbHG, § 53 Rn. 18; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rn. 29. 360

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

er den Gesellschaftszweck missachten. Deswegen könnte vertreten werden, dass eine Abbedingung der Treuepflicht faktisch einer Zweckänderung entspricht. Jedoch darf der Geschäftsführer nach Abbedingung der Treuepflicht den Gesellschaftszweck nur insoweit missachten, wie sein grundsätzlicher Handlungsspielraum reicht. Dabei wird sein Handlungsspielraum insbesondere von der Vertragsauslegung und dem Institut des Rechtsmissbrauchs begrenzt,365 etwa darf er nach Abbedingung der Treuepflicht nicht den Gesellschaftszweck vollständig vereiteln.366 Zudem hat er weitere vertragliche und gesetzliche Einzelpflichten zu beachten.367 Damit besteht eine gewisse rechtliche Bindung des Geschäftsführers an den Gesellschaftszweck fort, deren genaue Ausgestaltung jedoch vom konkreten Fall abhängt. Im Regelfall dürfte eine rechtliche Bindung verbleiben, die stark genug ist, um den § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB tatbestandlich auszuschließen. Daneben besteht zudem eine faktische Bindung durch außerrechtliche Mechanismen.368 Auch durch diese Mechanismen wird der Geschäftsführer im gewissen Maße dazu gebracht, den Zweck der Gesellschaft zu achten. Der Grad der Bindung hängt dabei wiederum vom konkreten Einzelfall ab. Erneut dürfte die faktische Bindung in der Regel ausreichen, um den § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB tatbestandlich auszuschließen. Somit folgen typischerweise keine besonderen Voraussetzungen aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB. Anders ist das, wenn die verbleibende rechtliche Bindung und die verbleibende faktische Bindung an den Gesellschaftszweck ausnahmsweise nicht ausreichen, um § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB tatbestandlich auszuschließen. Dann ist jedoch zu beachten, dass von § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB in der Satzung abgewichen werden kann.369 4. § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG (Stimmrechtsausschluss) Gemäß § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG hat ein Gesellschafter kein Stimmrecht, wenn er von einer Verbindlichkeit befreit werden soll. Dementsprechend kommt ein Stimmrechtsausschluss in Betracht, wenn ein Gesellschafter-Geschäftsführer durch Beschluss von der Treuepflicht entbunden werden soll. Soweit dies durch Satzungsänderung geschieht, ist aber bereits die Anwendbarkeit des § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG fraglich. So greift der Stimmrechtsausschluss in der Regel nicht bei satzungsändernden Beschlüssen.370 Jedoch soll hiervon eine Ausnahme möglich sein, wenn der Gesellschafter in besonderem Maße in seinem individuellen Interesse

365

Zum Vorst. s. o. Teil 2 – A.III. Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 788. 367 Dazu ausf. oben Teil 2 – A.III.; Teil 2 – A.IV. 368 Dazu ausf. oben Teil 2 – A.IV. 369 Vgl. § 40 BGB; vgl. auch Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 23; Zöllner/ Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 53 Rn. 29. 370 Vgl. Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 14; Römermann, in: Michalski, GmbHG, § 47 Rn. 276; Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 47 Rn. 113. 366

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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berührt ist,371 was bei der Entbindung von der Treuepflicht der Fall ist. Eine solche Ausnahme wird aber von prominenter Stelle bestritten.372 Durch die Treuepflicht wird das Humankapital des Gesellschafter-Geschäftsführers berührt, das auf Ebene der Satzungsänderung ihm selbst zugewiesen ist. Deswegen wird der Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Abstimmung über die Entbindung von der Treuepflicht im auch-fremden Interessenkreis tätig. Folgerichtig darf er sein eigenes Interesse ansetzen, er muss das Gesellschaftsinteresse lediglich angemessen berücksichtigen. Der Stimmrechtsausschluss würde ihn gänzlich daran hindern, sein eigenes Interesse einzubringen. Damit ist der Stimmrechtsausschluss im hohen Maße überschießend. Passendere Schutzinstrumente sind die Treuepflicht und der Gleichbehandlungsgrundsatz.373 Denn diese Institute erlauben dem Abstimmenden einerseits, sein Interesse zu vertreten; auf der anderen Seite schützen sie das Interesse der Gesellschaftergesamtheit. Somit ist § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG bei der Entbindung von der Treuepflicht durch Satzungsänderung nicht anwendbar. Anders zu beurteilen ist das bei der Befreiung durch einfachen Gesellschafterbeschluss, weil dort die Rechtsposition nicht dem Gesellschafter, sondern ausschließlich der Gesellschaft zugewiesen ist. 5. Bestimmtheitsgrundsatz/Kernbereich der Mitgliedschaft Der Bestimmtheitsgrundsatz stellte früher besondere Anforderungen an die Auslegung von gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklauseln: Damit eine ungewöhnliche Vertragsänderung von einer Mehrheitsklausel erfasst war, musste sich das zweifelsfrei aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben.374 Die Praxis reagierte mit mehr oder weniger langen Katalogen von ungewöhnlichen Vertragsänderungen, um diese Anforderung zu erfüllen.375 Nachdem der BGH den Bestimmtheitsgrundsatz zuvor bereits relativiert hatte,376 wurde er mit dem BGH-Urteil vom 21. Oktober 2014377 endgültig beerdigt.378 Deswegen folgen aus dem Bestimmtheitsgrundsatz rechtstatsächlich keine weiteren Anforderungen für eine Abbedingung der Treuepflicht. 371 Vgl. Römermann, in: Michalski, GmbHG, § 47 Rn. 277; zur Anwendung des § 47 Abs. 4 S. 1 GmbHG auf die Abbedingung des Wettbewerbsverbots durch Satzungsänderung auch bereits oben Teil 3 – A.IX.1. 372 Von Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 47 Rn. 113 m. w. N. 373 Ähnlicher Gedanke für die Abbedingung des Wettbewerbsverbots bei Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 47 Rn. 113. 374 Vgl. BGHZ 8, 35, 41 f.; in Forführung von RGZ 91, 166, 168 f.; RGZ 151, 321, 327; RGZ 163, 385, 391. 375 Vgl. Schäfer, NZG 2014, 1401, 1402. 376 BGHZ 170, 283 („Otto“), 286 f.; BGHZ 179, 13 („Schutzgemeinschaft II“), 20. 377 BGHZ 203, 77. 378 So bewertend Schäfer, NZG 2014, 1401, 1401; Priester, NZG 2015, 529, 529; Ulmer, ZIP 2015, 657, 657; zurückhaltender aber Altmeppen, NJW 2015, 2065, 2065, der wohl nur eine terminologische Änderung annimmt.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Mit der Kernbereichslehre sollte ein Eingriff in den relativen Kernbereich der Mitgliedschaft nur unter Zustimmung aller Betroffenen möglich sein.379 Das Urteil des BGH vom 21. Oktober 2014 wird aber nicht nur als Aufgabe des Bestimmtheitsgrundsatzes gedeutet, sondern auch als Distanzierung von der Kernbereichslehre,380 zuweilen wird jedoch nur eine terminologische Veränderung angenommen,381 und teilweise wird die künftige Relevanz der Kernbereichslehre ausdrücklich als offen bewertet.382 Der BGH spricht davon, dass der Senat in seiner jüngeren Rechtsprechung nicht mehr darauf abstelle, ob ein Eingriff in den sogenannten Kernbereich gegeben sei. In der Senatsrechtsprechung sei zu Recht darauf hingewiesen worden, dass sich der Kreis der nicht ohne weiteres durch Mehrheitsbeschlüsse entziehbaren Rechte nicht abstrakt und ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände umschreiben lasse. Soweit kein unverzichtbares Recht gegeben sei – unabhängig davon, ob man solche überhaupt anerkennen wolle –, komme es bei Eingriffen in die Rechtstellung des Gesellschafters letztlich maßgeblich immer darauf an, ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und unter Berücksichtigung der eigenen schutzwerten Belange zumutbar sei.383 An der tatsächlichen Distanzierung des BGH von der starren Kernbereichslehre zugunsten einer flexiblen Überprüfung anhand der Treuepflicht ist damit schwerlich zu zweifeln. Daher folgen rechtstatsächlich keine weiteren Voraussetzungen aus der Kernbereichslehre. Eine normative Bewertung der Rechtsprechung soll hier nicht erfolgen – sie würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.384 6. Treuepflicht selbst a) Anforderungen an den Geschäftsführer Bei der Frage, ob sich weitere prozedurale Anforderungen aus der Treuepflicht selbst ergeben, ist zwischen Gesellschafterbereich und Geschäftsleiterbereich sowie zwischen anfänglicher und nachträglicher Abbedingung der Treuepflicht zu unterscheiden. Bei nachträglicher Abbedingung ist der Geschäftsführer unproblematisch zum maßgeblichen Zeitpunkt zur Treue verpflichtet; denn die Treuepflicht bindet den bereits bestellten Geschäftsführer an das Interesse der Gesellschaft, jedenfalls bis ihre Abbedingung erfolgt ist. Mit gängiger Dogmatik zwingt ihn die Treuepflicht 379

Für die GmbH vgl. Hoffmann, in: Michalski, GmbHG, § 53 Rn. 89 m. w. N.; Ulmer, in: Hachenburg, GroßK GmbHG, 7. Aufl., § 53 Rn. 67, 69. 380 Vgl. bspw. Wertenbruch, DB 2014, 2875, 2875; Priester, NZG 2015, 529, 529; Altmeppen, NJW 2015, 2065, 2065. 381 Vgl. bspw. Altmeppen, NJW 2015, 2065, 2065; so zu verstehen ist wohl auch Seidel/ Wolf, BB 2015, 2563, passim. 382 Vgl. bspw. Ulmer, ZIP 2015, 657, 662; zurückhaltend auch Schäfer, NZG 2014, 1401, 1403 f. 383 Zum Vorst. vgl. BGHZ 203, 77, 90. 384 Für die geteilte normative Bewertung in der Lit. s. bspw. Wertenbruch, DB 2014, 2875; Priester, NZG 2015, 529; Ulmer, ZIP 2015, 657; Altmeppen, NJW 2015, 2065.

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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dort zu einer Offenheit, die über das gewöhnliche Maß hinausgeht.385 Durch die Offenheit muss er relevante Informationsasymmetrien ausgleichen und der Gesellschaft ermöglichen, eine Entscheidung auf Augenhöhe zu treffen;386 insbesondere muss er die Gesellschaft gegebenenfalls in Kenntnis setzen, dass sie sich selbst schützen muss und sich nicht auf ihn verlassen kann, ihr Interesse zu wahren.387 Mit diesen Anforderungen können in der Regel allfällige Informationsasymmetrien zwischen den Akteuren ausgeglichen werden. Außerdem wird ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht bekämpft, das aus der Vertrauensstellung des Geschäftsführers folgt. Bei der geschlossenen Gesellschaft sind die konkreten Anforderungen an den Geschäftsführer aber nicht besonders hoch, da in der Regel weder eine bedeutende Informationsasymmetrie besteht noch ein ausgeprägtes allgemeines Verhandlungsungleichgewicht vorliegt, weil sich typischerweise wenige und gleichermaßen aktive Gesellschafter gegenüberstehen.388 Bei anfänglicher Abbedingung der Treuepflicht ist fragwürdig, ob der zukünftige Geschäftsführer der Gesellschaft gegenüber zur Treue verpflichtet ist. Im Gesellschafterbereich bejaht der BGH die Anwendung der Treuepflicht bei Vertragsschluss in einer Entscheidung zur Hinauskündigungsklausel.389 In der Literatur wird Bestand und Reichweite einer vormitgliedschaftlichen Treuepflicht uneinheitlich beurteilt.390 Auch im Geschäftsleiterbereich ist die Lage nicht eindeutig: Teilweise wird von einer Vorwirkung der Treuepflicht ausgegangen.391 Es wird aber auch das Bestehen der Treuepflicht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses verneint.392 Sinnvollerweise ist zu differenzieren, wobei sich als Kriterium für die Differenzierung der oben erarbeitete Zweck der Treuepflicht anbietet:393 Liegt die Gefahrensituation vor, auf die mit der Treuepflicht reagiert wird, ist sie einschlägig. Liegt diese Gefahrensituation nicht vor, ergeben sich aus ihr keine Anforderungen. Die Treuepflicht ist also dann zu berücksichtigen, wenn die Gesellschaft dem zukünftigen Geschäftsführer bereits die Kontrolle über ihre Rechtsposition anvertraut hat. Die Kontrolle kann sich insbesondere aus einem hinreichenden Vorsprung an Informationen und Expertise erge385

s. bereits oben Teil 3 – A.VI. Vgl. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1235 f. (1995); s. a. bereits oben Teil 3 – A.VI. 387 Vgl. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1212, 1230, 1234 ff. (1995). 388 Zum Vorst. bereits oben Teil 3 – A.IV.2.c) (Informationsasymmetrien); Teil 3 – A.IV.2.d) (allgm.Verhandlungsungleichgewicht). 389 Vgl. BGHZ 81, 263, 266. 390 Eine vormitgliedschaftliche Treuepflicht, die sich auf die individuelle Vertragsverhandlung auswirkt, bejaht Weber, Vormitgliedschaftliche Treuebindungen, 1999, S. 137 f.; zurückhaltend Fleischer, NZG 2000, 561, 563, 567; eine inhaltliche Lenkung durch die Treuepflicht bei Vertragsschluss verneint Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 227. 391 So Ziemons, in: FS Huber, 2006, S. 1035, 1045 f.; s. a. Peltzer, in: FS Lutter, 2000, S. 571, 578. 392 So Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 243; Fleischer/Bauer, ZIP 2015, 1901, 1903; für das US-amerikanische Recht s. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1233 (1995). 393 s. o. Teil 2 – A.I.3.a). 386

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

ben. Für das Anvertrauen genügt nicht die subjektive Vorstellung der Gesellschaft. Vielmehr ist ein beidseitiger objektiver Akt erforderlich – nicht aber ein Geschäftsführervertrag oder eine Bestellung. Sind die Voraussetzungen erfüllt, gelten die Ausführungen zur nachträglichen Abbedingung der Treuepflicht entsprechend: Der zukünftige Geschäftsführer muss relevante Informationsasymmetrien ausgleichen. Sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, folgen für den zukünftigen Geschäftsführer keine Anforderungen aus der Treuepflicht. b) Anforderungen an die Gesellschafter Neben den Anforderungen an den Geschäftsführer können aus der Treuepflicht Anforderungen an die Gesellschafter folgen. Dies gilt insbesondere bei einer nachträglichen Abbedingung der Treuepflicht durch Satzungsänderung. Die Gesellschafter sind bei der Satzungsänderung unproblematisch der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern gegenüber zur Treue verpflichtet. Die konkreten Anforderungen an die Gesellschafter werden davon beeinflusst, ob sie im fremden oder im auch-fremden Interessenkreis handeln. Handeln die Gesellschafter im fremden Interessenkreis, müssen sie bei ihrer Entscheidung über die Abbedingung der Treuepflicht allgemein und vorrangig das Interesse der Gesellschaft und die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter ansetzen. Soweit dagegen im auch-fremden Interessenkreis gehandelt wird, müssen die Gesellschafter das Interesse der Gesellschaft und die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter zwar allgemein, aber lediglich angemessen bei ihrer Entscheidung berücksichtigen.394 Insbesondere ist eine Entscheidung im auch-fremden Interessenkreis gegeben, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer im Rahmen einer Satzungsänderung über den Bestand seiner eigenen Treuepflicht abstimmt. Die Treuepflicht kann auch im Gesellschafterbereich bei einer anfänglichen Abbedingung Wirkung entfalten. Gleiches gilt gegenüber potentiellen Gesellschaftern. Die Treuepflicht entfaltet aber – wie im Geschäftsleiterbereich – nur Wirkung, wenn bereits die Kontrolle über eine fremde Rechtsposition objektiv anvertraut wurde. Eine rechtliche Kontrolle wird bei einer anfänglichen Abbedingung zumeist nicht gegeben sein. Jedoch ist eine anvertraute tatsächliche Kontrolle denkbar. Die Treuepflicht kann in diesem Fall gebieten, Informationsasymmetrien auszugleichen.395 7. Gleichbehandlungsgrundsatz Weiterhin ergeben sich für die Gesellschafter bei Abbedingung der Treuepflicht prozedurale Anforderungen aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes dürfen die Gesellschafter mit der wohl herrschenden 394 395

Zum Vorst. Teil 2 – A.I.3.c). Zum Vorst. die Ausführungen zum Geschäftsführer Teil 3 – A.IX.6.a).

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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Meinung nur unter ihrer Zustimmung hinter andere Gesellschafter zurückgesetzt werden, sei es durch die Verbesserung von Rechten oder die Verkürzung von Pflichten.396 Soweit in der Entbindung von der Treuepflicht eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung liegt, gebietet deswegen der Gleichbehandlungsgrundsatz die Zustimmung der benachteiligten Gesellschafter.

X. Empfehlenswerte Maßnahmen bei Abbedingung Über die rechtlich notwendigen Anforderungen hinaus sind gewisse prozedurale und formale Maßnahmen bei Abbedingung der Treuepflicht empfehlenswert. Zunächst sind Angaben zum Abbedingungsgegenstand sinnvoll. Denn solche Angaben können trotz der gegenwärtigen Unsicherheit über den Gegenstand der Treuepflicht in späteren Rechtstreitigkeiten dazu beitragen, dass dem Parteiwillen Rechnung getragen wird.397 Außerdem können solche Angaben die Kosten der Rechtsfindung verringern. Zudem bringen sie die Vertragspartner dazu, sich bei Vertragsschluss der Bedeutung der Abbedingung bewusst zu werden. Damit unterstützen sie nicht nur die nachträgliche Rechtsfindung, sondern auch eine informierte Entscheidung der Parteien. Konkret sollte eine Beschreibung der abbedungenen Treuepflicht aufgenommen werden. Zudem kann es empfehlenswert sein, Ausprägungen der Treuepflicht aufzuzählen, deren Abbedingung den Parteien besonders wichtig ist oder deren Zugehörigkeit zum Gegenstand der Treuepflicht unsicher ist. Gleichermaßen ist es sinnvoll, Ausprägungen zu spezifizieren, die nicht abbedungen werden sollen. Weiterhin sollten andere Pflichten und allgemeine Institute ausdrücklich vom Abbedingungsgegenstand ausgenommen werden. Die Beschreibung der Treuepflicht und die Ausnahme ihrer Umgebung könnten sich an sich der Einleitung dieses Kapitels und dem allgemeinen Teil dieser Abhandlung orientieren.398 Neben den Angaben zum Abbedingungsgegenstand ist eine individuelle und substantiierte Begründung der Abbedingung sinnvoll. Denn eine solche Begründung kann in späteren Rechtsstreitigkeiten stützen, dass die Vereinbarung im allseitigen Interesse nachvollziehbar war. Das weist wiederum daraufhin, dass keine Selbstbestimmungsdefizite der Parteien vorlagen. Gerade solange die Zulässigkeit der Abbedingung der Treuepflicht unsicher ist, könnte das im konkreten Fall den Ausschlag zur Wirksamkeit der Abbedingung geben. Zudem hilft die Begründung den Parteien, sich bei Vertragsschluss ihrer Interessen bewusst zu werden und fördert damit ihre informierte Entscheidung. Konkret kann die Begründung etwa auf die überschießende Wirkung der Treuepflicht und auf Rechtsunsicherheiten bei Anwendung der Treuepflicht hinweisen. Dabei sollte auf bereits absehbare offenbare 396

Vgl. Roth, in: Altmeppen/Roth, GmbHG, § 53 Rn. 33, der das als ganz hM bezeichnet; vgl. auch Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 53 Rn. 26. 397 Dazu Gold, 41 Wake Forest L. Rev. 123, 153 (2006): „The more tailored the fiduciary opt-out, the easier it is to determine whether it covers the conduct at issue.“ 398 s. o. Teil 3 – A. (Einleitung dieses Kapitels); Teil 2 – A. (AT).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Interessenkonflikte des Geschäftsführers eingegangen werden. Zudem ist es empfehlenswert, andere Mechanismen und Pflichten darzulegen, die zum Schutz der Gesellschaft verbleiben beziehungsweise implementiert wurden. Ebenfalls kann es sinnvoll sein, einen allfälligen monetären Ausgleich für die Abbedingung offenzulegen. Die Begründung könnte sich an den obigen Ausführungen zur Sinnhaftigkeit einer Abbedingung der Treuepflicht orientieren.399 Außerdem empfiehlt es sich, eine nachträgliche Abbedingung durch einstimmige Satzungsänderung vorzunehmen. Mit der Vorgehensweise können insbesondere Unsicherheiten bezüglich der prozeduralen und formalen Anforderungen aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG, der Treuepflicht, dem Gleichbehandlungsgrundsatz, dem Bestimmtheitsgebot und der Kernbereichslehre vermieden werden. Das gilt jedenfalls solange sich diesbezüglich noch keine gesicherte Dogmatik herausgebildet hat. Schließlich kann es für Gesellschafter-Geschäftsführer empfehlenswert sein, bei der Abbedingung ihrer Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich ebenfalls ihre Treuepflicht im Gesellschafterbereich zu eliminieren. Es ist zwar theoretisch denkbar, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer bei seiner Tätigkeit als Geschäftsleiter nicht der Treuepflicht unterliegt und gleichzeitig in seiner Funktion als Gesellschafter zur Treue verpflichtet ist. Es liegen aber praktische Abgrenzungsprobleme auf der Hand, die zu Rechtsunsicherheiten führen können. Zudem werden die Gründe, die für eine Abbedingung der Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich sprechen, häufig auch für den Gesellschafterbereich einschlägig sein. Dass eine Abbedingung der Treuepflicht im Gesellschafterbereich möglich ist, legen schon die strukturelle Vergleichbarkeit der Treuepflicht und das ähnliche Umfeld nahe. Auf diese Frage wird aber später noch im Einzelnen eingegangen.400

XI. Zwischenergebnis in Thesen 1. Die hergebrachte Meinung hält die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht des Geschäftsleiters einer geschlossenen GmbH als solche für nicht abdingbar. Dagegen erhebt sich aber neuerdings auch substantiierte Kritik. Hinreichend bestimmte Ausprägungen der Treuepflicht werden grundsätzlich als abdingbar angesehen, das gilt im Besonderen für das Wettbewerbsverbot und die Geschäftschancenlehre. Weiterhin soll der Inhalt der Treuepflicht begrenzt und konkretisiert werden können. Zudem wird angenommen, dass einzelne Zuwiderhandlungen gegen die Treuepflicht in hohem Maße einwilligungsfähig sind. 2. Die materielle Unabdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht bedarf der normativen Anknüpfung. Denn solange keine abweichende Rechtsregel besteht, gewährleistet die Privatautonomie Gestaltungsfreiheit. Als normativer 399 400

s. o. Teil 3 – A.IV.2.a). s. u. Teil 3 – C.; Teil 3 – D.

A. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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Anknüpfungspunkt für eine materielle Unabdingbarkeit der Treuepflicht kann § 138 Abs. 1 BGB und in bestimmten Fällen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht selbst herangezogen werden, ungeeignet sind dagegen das Wesen der Gesellschaft beziehungsweise Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts, die Treuepflicht als überpositives Rechtsprinzip, Treu und Glauben als zwingendes Rechtsinstitut und die Inhaltskontrolle aus Treu und Glauben. 3. a) Für die Unabdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht spricht der Schutz von gewissen Kollektivinteressen und der Schutz vor gewissen Selbstbestimmungsdefiziten. Jedoch ist mit einer bedeutenden Beeinträchtigung von Kollektivinteressen nicht zu rechnen. Zudem streiten für Selbstbestimmungsdefizite lediglich systematische Rationalitätsdefizite der Parteien, deren ständiges und bedeutendes Auftreten nicht sicher ist. Typische Selbstbestimmungsdefizite können hingegen nicht mit einer objektiv sinnlosen Entscheidung gestützt werden. Ebenso wenig sprechen relevante Informationsdefizite oder ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht für Selbstbestimmungsdefizite. Somit wiegen die Gründe für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht nicht besonders schwer. b) Den Rechtsgründen für die Unabdingbarkeit stehen entgegen: Die formelle Selbstbestimmung der Parteien und teilweise ihre materielle Selbstbestimmung sowie die Richtigkeitsgewähr der Vertragsfreiheit. Diese Rechtsgründe überwiegen. Und anderenfalls müsste noch immer eine gewisse Evidenzschwelle überschritten werden, damit ein richterlicher Eingriff vorzunehmen ist. Jedenfalls diese Schwelle wird nicht erreicht. 4. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht des Geschäftsleiters einer geschlossenen GmbH ist als solche de lege lata grundsätzlich abdingbar. Als Minus hierzu können ebenfalls einzelne Ausprägungen der Treuepflicht eliminiert werden, die Treuepflicht kann konkretisiert und begrenzt werden und es ist möglich, in individuelle Zuwiderhandlungen gegen die Treuepflicht einzuwilligen. Bei alledem sind andere Pflichten und allgemeine Institute als solche nicht betroffen, wobei manche dieser allgemeinen Institute unabdingbar sind. Im Einzelfall kann die Disposition über die Treuepflicht nach allgemeinen Regeln unwirksam sein. Hierfür müssen aber konkrete und gewichtige Tatsachen hinzukommen. So kommt eine Sittenwidrigkeit in Betracht, wenn die Vereinbarung ausnahmsweise evident unangemessen ist und eine strukturelle Unterlegenheit vorliegt. Zudem kommt ein Verstoß gegen die Treuepflicht selbst in Betracht, wenn sie bei Abbedingung bereits besteht und ihre Abbedingung ausnahmsweise ein evidentes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung zur Folge hat. 5. In der deutschen Rechtwissenschaft finden sich bislang kaum Ausführungen zu den prozeduralen und formalen Anforderungen an eine Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als solcher. Für den Geschäftsleiterbereich der GmbH beziehen Hellgardt und Kampf Stellung. Sie fordern aufgrund § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB einen einstimmigen Beschluss sämtlicher Gesellschafter. Dagegen werden die prozeduralen und formalen Anforderungen bei der Abbedingung ein-

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

zelner Ausprägungen der Treuepflicht ausführlicher besprochen. Mit gängiger Dogmatik kann etwa das Wettbewerbsverbot anfänglich und nachträglich in der Satzung eliminiert werden. Zudem kann in der Satzung anfänglich und nachträglich eine Öffnungsklausel vereinbart werden, die eine punktuelle Befreiung durch einfachen Gesellschafterbeschluss zulässt oder eine generelle Befreiung gestattet. Bei alledem bedarf es nicht der Einstimmigkeit aufgrund § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB. Jedoch ist mit der herrschenden Meinung der Stimmenrechtsausschluss gemäß § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG zu beachten. 6. a) Für die anfängliche Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als solcher ist im Geschäftsleiterbereich in der geschlossenen GmbH de lege lata eine Vereinbarung sämtlicher Gesellschafter in der Satzung und eine Festschreibung im Anstellungsvertrag notwendig. Dabei ist inhaltlich die Statuierung der „Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht des Geschäftsleiters inklusive ihrer Ausprägungen“ hinreichend. Bei nachträglicher Abbedingung sind insbesondere die allgemeinen Voraussetzungen einer Satzungsänderung zu erfüllen. Anstelle der Satzungsänderung kann die nachträgliche Abbedingung auch aufgrund einer ursprünglich bestehenden oder nachträglich eingefügten Öffnungsklausel erfolgen. Es ergeben sich bei alledem in der Regel keine weiteren Anforderungen aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB, der Kernbereichslehre und dem Bestimmtheitsgrundsatz. Sowohl bei anfänglicher als auch bei nachträglicher Abbedingung können aber zusätzliche Anforderungen aus der Treuepflicht selbst folgen, insbesondere kann sie die Beteiligten dazu zwingen, Informationsasymmetrien auszugleichen oder die Interessen der anderen Akteure angemessen zu berücksichtigen. Zudem kommen bei nachträglicher Abbedingung weitere Anforderungen aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und aus § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG in Betracht. Jedenfalls unter diesen Voraussetzungen können auch die einzelnen Ausprägungen der Treuepflicht abbedungen oder andere Modifizierungen vorgenommen werden. b) Empfehlenswerte aber nicht notwendige Maßnahmen bei Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sind eine abstrakte Beschreibung der eliminierten Treuepflicht, die explizite Ausnahme ihrer Umgebung, die Aufzählung besonders wichtiger Ausprägungen sowie eine substantiierte und individuelle Begründung der Abbedingung. Zudem empfiehlt sich bei nachträglicher Abbedingung eine einstimmige Satzungsänderung. Das alles gilt, solange die Rechtslage um Gegenstand und Abdingbarkeit der Treuepflicht unsicher ist. Für GesellschafterGeschäftsführer kann es überdies sinnvoll sein, bei der Abbedingung ihrer Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich zusätzlich ihre Treuepflicht im Gesellschafterbereich zu eliminieren.

B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft

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B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft Nachdem die Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich der geschlossenen GmbH geklärt ist, soll nun auf ihre Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der offenen AG eingegangen werden. Spiegelbildlich zur geschlossenen Gesellschaft401 wird hier unter offener Aktiengesellschaft eine Gesellschaft verstanden, die eine hohe Anzahl von Gesellschaftern hat, deren Gesellschafter nicht an der Geschäftsführung mitwirken, für deren Geschäftsanteile keine Übertragungsbeschränkungen bestehen und für deren Geschäftsanteile ein liquider Markt existiert. Prototyp der hier besprochenen Gesellschaft soll die aktiv gehandelte börsennotierte Publikums-AG sein. Der Geschäftsleiterbereich umfasst auch hier lediglich die Treuepflicht des Geschäftsleiters, eine Verpflichtung der Gesellschaft ist nicht einbegriffen.

I. Zulässigkeit nach gegenwärtigem Stand der Rechtswissenschaft In Deutschland ist eine Abbedingung der Treuepflicht als solcher im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft mit der hergebrachten Meinung nicht zulässig.402 Dem pflichtet de lege lata sogar Hellgardt bei, obwohl er sich ansonsten für die grundsätzliche Disponibilität der Treuepflicht stark macht.403 Dabei stützt Hellgardt die Unabdingbarkeit der Treuepflicht auf die Satzungsstrenge, der er rechtspolitisch aber skeptisch gegenübersteht.404 Lediglich Waclawik sieht die Treuepflicht in der Aktiengesellschaft als abdingbar an, wobei er sich auf den Gesellschafterbereich bezieht.405 Im Gegensatz zur Treuepflicht als solcher sind in der Aktiengesellschaft bereits bestimmte Ausprägungen der Treuepflicht im hohen Maße disponibel, beispielsweise kann der Aufsichtsrat die Vorstandsmitglieder gemäß § 88 Abs. 1 AktG für bestimmte Handelsgewerbe, Handelsgesellschaften oder Arten von Geschäften vom Wettbewerbsverbot freistellen. Entsprechend gilt das für andere Ausprägungen der Treuepflicht wie die Geschäftschancenlehre.406 Außerdem ist wohl auch in der Satzung eine Einschränkung des Wettbewerbsverbots 401

Zu den Eigenschaften der geschlossenen Gesellschaft mit Nachw. auf die Lit. oben in der Einleitung zu Teil 3 – A. 402 Speziell für den Geschäftsleiterbereich in der AG vgl. etwa Mertens/Cahn, in: KölnKomm AktG, § 93 Rn. 97; Schmidt, in: Heidel, AktG, § 93 Rn. 31; für den Gesellschafterbereich in der AG Piepenburg, Treupflichten der Aktionäre, 1996, S. 139 f.; zu der Abdingbarkeit im Allgm. oben Teil 3 – A.I.1. 403 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 784. 404 Vgl. ebd., S. 784, 794. 405 Vgl. Waclawik, DB 2005, 1151, 1153. 406 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 276, 252, 261 m. w. N.; s. a. Spindler, in: MüKo AktG, § 88 Rn. 67.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

möglich.407 Zudem soll das Wettbewerbsverbot in der Satzung konkretisiert werden können, dazu gehöre etwa die nähere Bestimmung des Geschäftszweigs der Gesellschaft.408 Ausgeschlossen ist hingegen eine Blankoeinwilligung in Verstöße gegen das Wettbewerbsverbot.409 In den USA (Delaware) kann bei der corporation zwar die Haftung für die Sorgfaltspflicht abbedungen, nicht aber die Haftung für die Loyalitätspflicht eliminiert werden410 – wobei die Loyalitätspflicht der deutschen Treuepflicht funktional entspricht.411 Jedoch ist in Delaware mit der Geschäftschancenlehre eine Ausprägung der Treuepflicht weitgehend verhandelbar: Die Gesellschaft kann im Vorhinein auf bestimmte Geschäftschancen oder auf Klassen und Kategorien von Geschäftschancen verzichten.412

II. Gemeinsamkeiten Bezüglich der Abdingbarkeit der Treuepflicht bestehen in der geschlossenen GmbH und in der offenen Aktiengesellschaft zunächst einige Gemeinsamkeiten. An dieser Stelle kann nur ein kurzer Überblick über sie und ihre Implikationen gegeben werden. Für eine tiefgehende Argumentation ist auf die obige Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht in der geschlossenen GmbH zu verweisen.413 Die dortigen Ausführungen sind auf die folgenden Aspekte in weiten Teilen übertragbar. Auf kleinere Unterschiede wird hier ad-hoc eingegangen.

407 Vgl. Fleischer, AG 2005, 336, 345; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 88 Rn. 30; Kort, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 88 Rn. 115 f.; Spindler, in: MüKo AktG, § 88 Rn. 28; a. A. Mertens/Cahn, in: KölnKomm AktG, § 88 Rn. 8. 408 Vgl. Fleischer, AG 2005, 336, 346; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 88 Rn. 31; jeweils m. w. N. 409 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 88 Rn. 31 m. w. N.; Mertens/Cahn, in: KölnKomm AktG, § 88 Rn. 8. 410 Vgl. Del Code Ann. tit. 8 § 102 (b) (7): „[…] the certificate of incorporation may also contain any or all of the following matters: […] A provision eliminating or limiting the personal liability of a director to the corporation or its stockholders for monetary damages for breach of fiduciary duty as a director, provided that such provision shall not eliminate or limit the liability of a director: (i) For any breach of the director’s duty of loyalty to the corporation or its stockholders; […]“. 411 Dazu oben Teil 3 – A.I.2. 412 Vgl. Del Code Ann. tit. 8 § 122 (17): „Every corporation created under this chapter shall have power to: […] Renounce, in its certificate of incorporation or by action of its board of directors, any interest or expectancy of the corporation in, or in being offered an opportunity to participate in, specified business opportunities or specified classes or categories of business opportunities that are presented to the corporation or 1 or more of its officers, directors or stockholders.“ 413 s. o. Teil 3 – A.

B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft

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Die wohl bedeutendste Gemeinsamkeit bei Abdingbarkeit der Treuepflicht in der geschlossenen GmbH und bei Abdingbarkeit in der offenen Aktiengesellschaft ist der Abbedingungsgegenstand. So mag zwar ein unterschiedliches Umfeld gegeben sein, die Treuepflicht ist jedoch in den verschiedenen Bereichen strukturell identisch. Etwas vereinfacht reagiert sie in beiden Bereichen auf die Kontrolle über eine anvertraute fremde Rechtsposition, wahrt durch die Anknüpfung an den Entscheidungsprozess eine Offenheit und gibt dem Geschäftsleiter verbindlich vor, die Ziele der Gesellschaft im Auge zu haben. Sie ist dabei gegenüber anderen Pflichten und allgemeinen Instituten eigenständig, kann allerdings mittelbar Auswirkung auf deren Anwendung haben.414 Aus dem strukturell identischen Abbedingungsgegenstand folgen Gemeinsamkeiten bezüglich der Relevanz von Fremdinteressen für die Abdingbarkeit. So schützt die Treuepflicht in der Aktiengesellschaft nur das Gesellschaftsinteresse und damit das Interesse der Gesellschaftergesamtheit. Der Schutz von Interessen anderer Stakeholder durch die Treuepflicht ist lediglich reflexiv – auch soweit sie das Gesellschaftsinteresse speisen.415 Denn für den Schutz anderer Stakeholder stehen passendere Vorschriften bereit. Irrelevant für die materielle Abdingbarkeit ist zudem der Schutz von Individualinteressen der Minderheitsgesellschafter, da sie ihre Interessen selbst schützen können und ihnen anderenfalls mit prozeduralen Maßnahmen als milderen Mitteln zu helfen ist – im äußersten Fall durch ein Einstimmigkeitserfordernis416. Gleiches gilt für den Schutz von Individualinteressen zukünftiger Gesellschafter, weil sie ebenfalls Gelegenheit haben, sich selbst zu schützen. Zumindest können sich zukünftige Gesellschafter über den Bestand der Treuepflicht beim Handelsregister informieren417 und gegebenenfalls den Erwerb der Anteile ablehnen. Anderenfalls werden sie durch Spezialrecht geschützt, etwa durch das Erbrecht. Gegenwärtige und zukünftige Gesellschafter können jedoch Informationsdefiziten erliegen. Dann sind sie materiell unfähig, ihre Interessen selbst zu schützen, obwohl sie formell die Möglichkeit haben. Hierauf soll aber erst später eingegangen werden, weil sich dort Differenzen zwischen offener Aktiengesellschaft und geschlossener GmbH zeigen.418 Es bestehen weiterhin Gemeinsamkeiten bezüglich der Relevanz von Kollektivinteressen bei Abdingbarkeit der Treuepflicht in der geschlossenen GmbH und bei Abdingbarkeit in der offenen Aktiengesellschaft. So fallen durch die Abdingbarkeit der Treuepflicht keine signifikanten Überwachungskosten für potentielle Geschäftspartner an, da sie kein rechtlich relevantes Interesse an dem Bestand der 414

Zum Vorst. ausf. oben Teil 2 – A.I. Ausf. zu der Diskussion um die Bedeutung der Interessen anderer Stakeholder für das Unternehmensinteresse bei der AG Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 21 ff., Fleischer misst der Diskussion aber keine große praktische Relevanz zu, vgl. ebd., Rn. 43 f. 416 Dazu Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 65 (1990). 417 Vgl. § 9 Abs. 1 HGB, §§ 37 Abs. 4 Nr. 1, 181 Abs. 1 AktG. 418 s. u. Teil 3 – B.III.2. 415

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Treuepflicht haben und sich anderenfalls beim Handelsregister diskret und einfach über den Bestand der Treuepflicht vergewissern können. Zudem spielen zusätzliche Transaktionskosten bei Abbedingung der Treueplicht keine bedeutende Rolle, weil die Vertragsparteien diese Kosten vermeiden können, indem sie die Treuepflicht als Standardregel akzeptieren. Relevante Kosten für die Allgemeinheit entstehen auch nicht dadurch, dass mit der Abdingbarkeit der Treuepflicht das Verständnis über sie verloren geht und dadurch Rechtsunsicherheiten auftreten. Denn soweit die Treuepflicht als Standardregel akzeptiert wird, geht ihre Entwicklung unverändert voran und sofern die Treuepflicht abbedungen wird, besteht kein Interesse an ihrer Fortentwicklung. In jedem Fall bleibt der gegenwärtige Stand der Rechtswissenschaft bestehen. Zudem kann eine Abdingbarkeit der Treuepflicht sogar weitere Forschungsanreize setzen. Schließlich sind keine bedeutenden Kosten für die Allgemeinheit aus einer Störung der expressiven Funktion der Treuepflicht zu befürchten, weil opportunistisches Verhalten weiterhin durch andere rechtliche und außerrechtliche Mechanismen stigmatisiert werden kann und freiwillige Vereinbarungen ohnehin idealerweise zu Gerechtigkeit tendieren. Daher wird das Institut des Treueverhältnisses nicht durch die Abdingbarkeit der Treuepflicht abgewertet. Deswegen wäre es insbesondere irrelevant, wenn das Vertrauen der Aktionäre in das Institut des Treueverhältnisses bei offenen Gesellschaften für die Gesamtwirtschaft wichtiger sein sollte als bei geschlossenen Gesellschaften419. Neben Gemeinsamkeiten beim Schutz von Fremdinteressen bestehen einige Gemeinsamkeiten bezüglich eines weich-paternalistischen Schutzes der Parteien, wobei unter weichem Paternalismus der Schutz vor Selbstbestimmungsdefiziten zu verstehen ist420. So ergeben sich aufgrund des identischen Abbedingungsgegenstands in der offenen Aktiengesellschaft Nebenwirkungen der Treuepflicht, die eine Abbedingung als nachvollziehbar erscheinen lassen. Nun haben die Vorstandsmitglieder einer offenen Aktiengesellschaft aber in mancher Hinsicht größere Macht als die Geschäftsführer einer geschlossenen GmbH, etwa weil die Gesellschafter passiver sind.421 Daraus könnte geschlossen werden, dass die Disziplinierung der Vorstandsmitglieder einen höheren Stellenwert hat und deswegen eine Abbedingung der Treuepflicht trotz ihrer Nebenwirkungen bei der Aktiengesellschaft evident unangemessen ist. Jedoch existieren auch in der offenen Aktiengesellschaft andere gesetzliche und außergesetzliche Mechanismen, die nach der Abbedingung der Treuepflicht für die Disziplinierung der Vorstandsmitglieder sorgen können.422 Bei den außergesetzlichen Mechanismen bestehen zwar Differenzen im Detail, diese wirken aber in unterschiedliche Richtungen – etwa sind persönliche Bindungen in 419

s. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1259 f. (1995), der dem Vertrauen dort einen größeren Wert zumisst. 420 s. o. Teil 2 – B.II.2. 421 Vgl. Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1252 ff. (1995). 422 Dazu ausf. oben Teil 2 – A.IV.; speziell zur corporation vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 18 ff. (1990).

B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft

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der offenen Gesellschaft weniger effektiv,423 dafür können Kapital- und Arbeitsmarkt den Geschäftsleiter der offenen Gesellschafter besser beschränken.424 In jedem Fall besteht in der offenen Aktiengesellschaft ein unabhängiger gesetzlicher Schutz. Er senkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Vorstandsmitgliedsmitglieder opportunistisch verhalten. Außerdem steht es den Parteien frei, eine gegebenenfalls erhöhte Wahrscheinlichkeit missliebigen Verhaltens einzupreisen. Bei der offenen Aktiengesellschaft kommt noch hinzu, dass die Aktionäre das Risiko – nicht die Wahrscheinlichkeit – eines Fehlverhaltens der Vorstandsmitglieder durch Diversifizierung ihrer Investitionen eliminieren können.425 Freilich ist es möglich, dass Anleger sich dagegen entscheiden zu diversifizieren.426 Auch das kann aber für sie sinnvoll sein, beispielsweise wenn sie bewusst ein erhöhtes Risiko eingehen wollen, um ihre Gewinnmöglichkeit zu steigern. Nach alledem ist eine Abbedingung der Treuepflicht in der offenen Aktiengesellschaft nicht evident sinnlos. Damit kann hieraus kein Selbstbestimmungsdefizit gefolgert werden. Ein Selbstbestimmungsdefizit legen aber empirisch belegte, systematische Rationalitätsdefizite der Akteure nahe, insbesondere werden die Akteure von overconfidence bias, over-optimism bias, übermäßiger Diskontierung, Fehleinschätzung geringer Wahrscheinlichkeiten und availability heuristic beeinflusst. Jedoch ist das ständige und bedeutende Auftreten solcher Defizite in Einzelfällen abermals ungewiss. Darüber hinaus bestehen Gemeinsamkeiten bei Rechtsgründen, die einer Unabdingbarkeit entgegenstehen. Wie in der geschlossenen GmbH greift die allgemeine Unabdingbarkeit der Treuepflicht in der offenen Aktiengesellschaft in die formelle und in die materielle Selbstbestimmung der Parteien ein. Soweit sie in die formelle Selbstbestimmung der Parteien eingreift, wird den Parteien die von BGB und Grundgesetz grundsätzlich zugewiesene Mündigkeit abgesprochen, ihr menschliches Bedürfnis nach einer formell freien Entscheidung wird beeinträchtigt und ein Lerneffekt für zukünftige Entscheidungen wird verhindert. Soweit die Unabdingbarkeit in die materielle Selbstbestimmung eingreift, wird zusätzlich die Gewährleistung einer Tendenz zu Gerechtigkeit und Effizienz der Vereinbarung gestört. Das wirkt sich besonders aus, wenn ein großes Interesse der Parteien an der Abbedingung der Treuepflicht besteht, etwa weil das Vorstandsmitglied bereits bei seiner Bestellung offenbar Interessenkonflikte hat, die Gesellschaft sich aber dennoch seiner Fähigkeiten bedienen möchte.

423

s. o. Teil 2 – A.IV.2. s. o. Teil 2 – A.IV.3.; Teil 2 – A.IV.5. 425 Vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1. 39 f. (1990); s. a. Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 29; anders Coffee, 53 Brook. L. Rev. 919, 946 (1988), der fälschlich davon ausgeht, dass das Risiko von Treuepflichtverletzungen als systematisches Risiko nicht durch Diversifizierung eliminiert werden kann, dies eindrücklich widerlegend Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 39 (1990). 426 Das in der US-amerikanischen Diskussion einwendend Branson, 57 Fordham L. Rev. 375, 398 ff. (1988). 424

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Schließlich existieren einige Gemeinsamkeiten bezüglich der normativen Anknüpfung der Unabdingbarkeit. So kann das Wesen der Gesellschaft auch bei der Aktiengesellschaft lediglich als leere Hülle für rechtliche Wertungen dienen, nicht aber selbständig die Unabdingbarkeit begründen. Außerdem stellt die Treuepflicht kein überpositives Rechtsprinzip dar und ihre Abdingbarkeit ist weder mit der Abbedingung von Treu und Glauben gleichzusetzen noch führt sie zur Perplexität des Rechtsverhältnisses. Schließlich sind bezüglich des § 138 Abs. 1 BGB obige Wertungen einschlägig:427 Zwar eignet sich § 138 Abs. 1 BGB grundsätzlich, um die Unabdingbarkeit der Treuepflicht normativ anzuknüpfen, für sein Eingreifen müsste aber ein Extremfall vorliegen.

III. Besonderheiten Interessanter als die Gemeinsamkeiten sind die Besonderheiten bei Abdingbarkeit der Treuepflicht in der offenen Aktiengesellschaft, da sie zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten. Auf sie können die Erkenntnisse der obigen Diskussion nicht übertragen werden. Zumindest sind sie erheblich zu modifizieren. 1. Fremdinteressenschutz a) Transaktionskosten bei Anteilserwerb Zunächst bestehen in der offenen Aktiengesellschaft einige Besonderheiten bezüglich schutzwürdiger Fremdinteressen; speziell bezüglich schutzwürdiger Kollektivinteressen. Für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht in der geschlossenen GmbH wurden bereits oben Transaktionskosten bei Erwerb eines Geschäftsanteils angeführt.428 Dort wurde argumentiert, dass sich zukünftige Gesellschafter bei Abdingbarkeit der Treuepflicht des Bestandes der Treuepflicht versichern müssten und ihnen damit Kosten entstehen – unabhängig davon, ob im konkreten Fall die Treuepflicht abbedungen ist oder nicht. Diese Kosten könnten mit einer Unabdingbarkeit der Treuepflicht verhindert werden. Gegen das Vorliegen signifikanter Transaktionskosten bei Anteilserwerb sprach aber, dass die Gesellschaftsanteile bei geschlossen Gesellschaften typischerweise nicht liquide sind und sich zukünftige Gesellschafter problemlos beim Handelsregister über den Bestand der Treuepflicht vergewissern könnten, sollte ein Geschäftsanteil doch gehandelt werden. Daraus folgte, dass Transaktionskosten für zukünftige Gesellschafter einer geschlossenen GmbH keine große Bedeutung haben. Bei der offenen Aktiengesellschaft weicht die Ausgangslage ab. Einerseits können sich auch dort die zukünftigen Gesellschafter beim Handelsregister über den 427 428

s. o. Teil 3 – A.III.6. und Teil 3 – A.V.2. s. o. Teil 3 – A.IV.1.d).

B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft

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Bestand der Treuepflicht als solcher informieren, weil die vollständige Abbedingung der Treuepflicht in der Satzung festgeschrieben werden müsste.429 Andererseits wechseln bei der offenen Aktiengesellschaft die Gesellschaftsanteile jedoch deutlich häufiger ihren Inhaber als bei der geschlossenen GmbH. Zudem konzentrieren sich die Anleger nicht auf eine Aktie, sondern erwerben häufig Anteile an diversen Gesellschaften. In der Summe könnten deswegen selbst geringfügige Nachforschungen beim Handelsregister zu signifikanten Kosten für zukünftige Gesellschafter führen. Solche Nachforschungskosten werden mit der Unabdingbarkeit der Treuepflicht vermieden. Dann wird Anlegern bereits mit dem Rechtskleid der deutschen Aktiengesellschaft einfach und zuverlässig signalisiert, dass die Treuepflicht der Vorstandsmitglieder besteht.430 Ein Kollektivinteresse an der Unabdingbarkeit der Treuepflicht liegt damit bei der offenen Aktiengesellschaft näher als bei der geschlossenen GmbH. Eine unterschiedliche Behandlung von Aktiengesellschaft und GmbH scheint dabei gerade deswegen sinnvoll, weil die Akteure dann die Wahl haben, ob sie sich für die signalstarke Aktiengesellschaft oder für die flexiblere GmbH entscheiden.431 b) Kapitalmarkt als Ausgleichsmechanismus Zukünftige Aktionäre einer offenen Aktiengesellschaft sind aber nicht auf eigene Nachforschungen angewiesen, um sich Informationen zu beschaffen.432 Vielmehr existiert dort ein Mechanismus, der Informationsdefizite anderweitig ausgleicht und damit Transaktionskosten senkt: Es gib den Kapitalmarkt.433 Durch den öffentlichen Markt für die Geschäftsanteile haben professionelle Anleger ein Interesse daran, vorhandene Informationen auszuwerten und entsprechende Transaktionen zu tätigen; denn sofern die Informationen nicht bereits eingepreist sind, können sie auf diese Weise Gewinne erzielen.434 Die Informationen können sie auf verschiedenen Wegen erlangen, etwa durch Informationspflichten der Zielgesellschaft, durch die Finanzpresse oder durch Berichte von Analysten.435 Ein liquider Markt führt somit dazu, dass sich öffentlich zugängliche Informationen relativ schnell im Kaufpreis der gehandelten Geschäftsanteile wiederspiegeln.436 Dabei ist kein Grund ersichtlich, 429 Vgl. § 9 Abs. 1 HGB, §§ 37 Abs. 4 Nr. 1, 181 Abs. 1 AktG; zur Notwendigkeit einer Abbedingung durch Festschreibung in der Satzung s. bereits Teil 3 – A.IX.2. (GmbH). 430 Für die corporation (Delaware) vgl. Welch/Saunders, 33 Del. J. Corp. L. 845, 865 f. (2008). 431 Für corporation und LLC (Delaware) vgl. ebd., S. 868. 432 Vgl. Gordon, 89 Colum. L. Rev. 1549, 1557 (1989): „It is a mistake to assume that investors can obtain information only through independent research […].“ 433 Vgl. Spindler, AG 1998, 53, 60 ff. 434 Vgl. Easterbrook/Fischel, 89 Colum. L. Rev. 1416, 1430 f. (1989). 435 Vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 35 (1990). 436 Speziell für aktiv gehandelte Geschäftsanteile an dem US-amerikanischen securities market vgl. Easterbrook/Fischel, 89 Colum. L. Rev. 1416, 1430 f. (1989): „A great deal of data,

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

zwischen Satzungsregeln und anderen Geschäftsfaktoren zu unterscheiden.437 Daher besteht für einzelne Anleger keine Notwendigkeit, die öffentlich zugänglichen und weitgehend konstanten Satzungsregelungen auszuwerten; namentlich müssen sie nicht eigenhändig den Bestand der Treuepflicht nachprüfen und gegebenenfalls ihre Abbedingung bewerten. Wenn der einzelne Anleger nicht davon ausgeht, einen Vorsprung an Informationen oder Expertise gegenüber dem Markt zu haben, kann er sich vielmehr auf diesen verlassen. Der Markt sorgt dann dafür, dass der Anleger das bekommt, wofür er bezahlt hat – ohne, dass es auf die Kenntnis des individuellen Anlegers ankommt.438 Nun ist richtig, dass die Bewertung durch den Markt nicht in jedem Fall akkurat sein muss.439 Eine Fehlbewertung ergibt sich aber nicht bereits daraus, dass eine Abbedingung der Treuepflicht zu keinem Wertverlust der Aktie führt, obwohl keine anderen Schutzmechanismen eingeführt wurden. Denn Grund hierfür könnte sein, dass die ohnehin vorhandenen Mechanismen bereits die Vorstandsmitglieder hinreichend disziplinieren oder die Nebenwirkungen der Treuepflicht ihre Vorteile ausgleichen. Außerdem kann eine fehlende Reaktion des Marktes damit erklärt werden, dass die verbleibenden Auswirkungen nicht bedeutend genug sind, um sich auf den Kurs durchzuschlagen. Und selbst wenn der Markt nicht akkurat bewerten sollte, kann eine Abbedingung gleichermaßen von staatlicher Stelle oder vom einzelnen Anleger falsch eingeschätzt werden.440 Es scheint sogar naheliegend, dass ein Aggregat professioneller Anleger größeren Sachverstand sowie passendere Anreize hat und deswegen eine bessere Bewertung vornimmt. Daher wird es für den Anleger typischerweise sinnvoll sein, sich trotz der Fehlbarkeit des Marktes auf ihn zu verlassen und damit seine Transaktionskosten zu senken.

including evidence that most professional investors are unable to „beat the market,“ supports the position that prices quickly and accurately reflect public information about firms.“; Butler/ Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 34, 44 (1990); für Deutschland s. a. Spindler, AG 1998, 53, 61 f. 437 Vgl. Gordon, 89 Colum. L. Rev. 1549, 1562 (1989); zurückhaltender Spindler, AG 1998, 53, 61 f., 66 f.: „Aus dem derzeitigem empirischen non liquet kann man jedoch nicht den Schluß ziehen, daß Kapitalmärkte generell nicht imstande seien, rechtliche Regelungen als nach- oder vorteilig zu bewerten, da – wie dargelegt – die empirischen Befunde zmd. bei einigen Rechtsgestaltungen Kurseffekte nachweisen konnten.“ 438 Vgl. Easterbrook/Fischel, 89 Colum. L. Rev. 1416, 1435 (1989): „[…] knowledge about corporate transactions does not depend on the wisdom of individual Investors. What is not understood through professional advice is priced, so that the investor gets what he pays for […]“; ähnlich Butler/Ribstein, 18 U. Balt. L. Rev. 352, 360 (1989); Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 33 ff. (1990). 439 Skeptisch bzgl. der Bewertung durch den Markt Brudney, 85 Colum. L. Rev. 1403, 1420 ff. (1985); s. a. Easterbrook/Fischel, 89 Colum. L. Rev. 1416, 1432 (1989). 440 Bzgl. der Fehlbarkeit staatlicher Stellen vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 56 (1990); s. a. Easterbrook/Fischel, 89 Colum. L. Rev. 1416, 1432 (1989).

B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft

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Es könnte aber angeführt werden, dass Satzungsregeln jedenfalls bei der öffentlichen Erstemission noch nicht akkurat und zuverlässig eingepreist sind.441 Dann müsste der Anleger zu diesem Zeitpunkt eine eigene Recherche betreiben. Jedoch steht es ihm frei, abzuwarten, bis der Markt genügend Zeit hatte, die Anteile zu bewerten, und sich der Preis stabilisiert hat. Damit könnte er seine Nachforschungskosten vermeiden. Nach alledem ist bei der offenen Aktiengesellschaft trotz der abweichenden Ausgangslage nicht mit relevanten Transaktionskosten für zukünftige Aktionäre durch eine Abdingbarkeit der Treuepflicht zu rechnen. Daher sollten solche Kosten nicht den Ausschlag für eine allgemeine Unabdingbarkeit der Treuepflicht geben. 2. Schutz vor Selbstbestimmungsdefiziten (weicher Paternalismus) a) Informationsdefizite bei Abbedingung Weiterhin bestehen auf Ebene des weichen Paternalismus Besonderheiten. Zunächst ergeben sich Besonderheiten daraus, dass in der offenen Aktiengesellschaft im Unterschied zur geschlossenen GmbH Kleinaktionäre beteiligt sind. Die Kleinaktionäre verhalten sich in der Regel passiv, da es für sie wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, aktiv zu werden.442 So ist es sogar möglich, dass die Kosten für die Bewertung von Auswirkungen einer Satzungsregel das gesamte Investment des Kleinaktionärs übersteigen.443 Aus der Passivität des Kleinaktionärs könnte auf relevante Defizite bezüglich Informationen und Expertise bei Abbedingung der Treuepflicht geschlossen werden.444 Diese könnten durch eine strategische Festsetzung von Tagesordnungspunkten in der Hauptversammlung noch vergrößert werden. Dafür könnte die Tagesordnung so gestaltet werden, dass die Kleinaktionäre nicht zwischen vorteilhaften und nachteiligen Abstimmungsgegenständen zu unterscheiden vermögen.445 Jedoch kann es Großaktionäre geben, die bereits aus eigenem Interesse für eine sinnvolle Regelung des Organverhältnisses eintreten. Die Defizite der Großaktionäre sind weniger ausgeprägt als die Defizite der Kleinaktionäre, weil die Großaktionäre aufgrund ihres hohen Einsatzes einen Anreiz haben, sich zu informieren. Zudem können sie den notwendigen Sachverstand bereits aus vergleichbaren Situationen

441 So Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1516 ff. (1989); krit. Gordon, 89 Colum. L. Rev. 1549, 1557 ff. (1989). 442 Aus der deutschen Lit. vgl. Spindler, AG 1998, 53, 63: für das US-amerikanische Recht vgl. Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1474 f. (1989); Bebchuk, 102 Harv. L. Rev. 1820, 1836 ff. (1989); Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1256 f. (1995); zur Passivität von Aktionären auch Black, 89 Mich. L. Rev. 520 (1990). 443 Vgl. Macey, 18 J. Corp. L. 185, 191 (1993). 444 Vgl. Bebchuk, 102 Harv. L. Rev. 1820, 1836 ff. (1989). 445 Zum Vorst. vgl. Spindler, AG 1998, 53, 63.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

mitbringen. Nachdem die Treuepflicht auch im Organverhältnis verortet wird,446 bedarf ihre Abbedingung als solche mangels abweichender Kompetenzzuweisung einer Festschreibung in der Satzung durch die Gesellschafter.447 Hierauf haben die Großaktionäre maßgeblich Einfluss. Mit diesem Einfluss kommt ihr Sachverstand den uninformierten Kleinaktionären zu Gute, selbst wenn sie ihre Informationen nicht unmittelbar weitergeben.448 Insoweit werden die Defizite der Kleinaktionäre relativiert. Dagegen könnte jedoch angeführt werden, dass die Interessen der Großaktionäre und die Interessen der Kleinaktionäre nicht gleichlaufen müssen. Dann würden die Kleinaktionäre nicht von der Expertise der Großaktionäre profitieren. Eine abweichende Interessenlage kann insbesondere bestehen, wenn der Großaktionär ein institutioneller Anleger ist, der noch anderweitig mit den Vorstandsmitgliedern geschäftlich in Verbindung steht.449 Auch in solchen Fällen werden die Großaktionäre aber durch die Treuepflicht im Gesellschafterbereich verpflichtet, das Gesellschaftsinteresse und die gesellschaftsbezogenen Interessen der Kleinaktionäre im Auge zu haben.450 Außerdem bestehen verschiedene andere gesetzliche und außergesetzliche Mechanismen, die Großaktionäre dazu anhalten, die Ziele der Gesellschaft beziehungsweise der Kleinaktionäre zu beachten.451 Weiterhin existiert in der Aktiengesellschaft ein Aufsichtstrat. Der Aufsichtsrat ist für die Entscheidung über den Anstellungsvertrag und dessen Inhalt zuständig.452 Nachdem die Treuepflicht neben dem Organverhältnis zusätzlich im Anstellungsvertrag verortet wird,453 hätte der Aufsichtsrat Einfluss auf ihre Abbedingung. Mit seinem Einfluss könnte er Defizite der Aktionäre relativieren. Nun sind das Interesse der Aufsichtsratsmitglieder und das Interesse der Aktionäre nicht deckungsgleich, beispielsweise aufgrund sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen der Aufsichtsratsmitglieder zu den Geschäftsleitern oder aufgrund persönlicher wirtschaftlicher Anreize der Aufsichtsratsmitglieder.454 Die Aufsichtsratsmitglieder werden jedoch von rechtlichen und außerrechtlichen Mechanismen dazu angehalten, anhand der Ziele der Aktionäre zu handeln.455 Diese Mechanismen – insbesondere die rechtliche 446

Vgl. Fleischer, WM 2003, 1045, 1046 m. w. N. Dazu allgm. oben Teil 2 – A.V. und für die GmbH Teil 3 – A.IX.2. 448 Skeptisch bzgl. der direkten Weitergabe von Informationen Bebchuk, 102 Harv. L. Rev. 1820, 1837 f. (1989). 449 Vgl. Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1476 (1989); zu Interessenkonflikten von institutionellen Anlegern Black, 89 Mich. L. Rev. 520, 595 ff. (1990). 450 Vgl. oben Teil 2 – A.II.2. 451 Vgl. oben Teil 2 – A.III.; Teil 2 – A.IV. 452 Vgl. Spindler, in: MüKo AktG, § 84 Rn. 68. 453 Vgl. Fleischer, WM 2003, 1045, 1046 m. w. N. 454 Für die outside directors in der corporation vgl. Brudney, 85 Colum. L. Rev. 1403, 1421 (1985). 455 Zur Treuepflicht der Aufsichtsratsmitglieder Habersack, in: MüKo AktG, § 116 Rn. 43 ff. m. umfangr. Nachw.; monographisch Knapp, Treuepflicht von AufsichtsRMitgl, 2004; auch einige außerrechtliche Mechanismen greifen bei Aufsichtsratsmitgliedern, bspw. 447

B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft

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Überwachung – können aber Kosten verursachen und führen nicht zwangsläufig zur Zuverlässigkeit des Gremiums.456 Deswegen wirken Institutionen wie der Aufsichtsrat den Defiziten der Aktionäre zwar entgegen, beseitigen sie aber nicht. Weiterhin gleicht der Kapitalmarkt Informationsasymmetrien der Parteien bei Abbedingung der Treuepflicht aus.457 So kann er Aufschluss über den Wert der Treuepflicht geben, indem er Kursverluste nach Abbedingung der Treuepflicht in ähnlichen Fällen abbildet. Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass der Markt bereits auf den Vorschlag einer Abbedingung reagiert und damit im Vorfeld einen ersten Eindruck über den Wert der Treuepflicht vermittelt.458 Schließlich ruft der Kapitalmarkt Finanzintermediäre auf den Plan, die bereits vor Abbedingung der Treuepflicht ihre Auswirkungen analysieren und prognostizieren; insbesondere die Finanzpresse könnte vor etwaigen Gefahren verständlich und öffentlichkeitswirksam warnen oder auf Vorteile der Abbedingung aufmerksam machen. Nun mag es sein, dass diese Mechanismen nicht perfekt funktionieren, beispielsweise kann es Schwierigkeiten bereiten, die Auswirkung auf den Kursverlauf zu isolieren, die aus dem Vorschlag folgen, die Treuepflicht abzubedingen.459 Dennoch können der Kapitalmarkt und seine Begleiterscheinungen Informationsasymmetrien zwischen den Akteuren zumindest verringern. Allerdings sorgt der Kapitalmarkt bei Abbedingung der Treuepflicht nicht automatisch dafür, dass der Aktionär bekommt, wofür er bezahlt hat.460 Denn die Anpassung des Preises durch den Markt erfolgt erst nach der Abbedingung der Treuepflicht. Das nützt zukünftigen Aktionären, die nachträglich hinzukommen. Es hilft aber nicht den gegenwärtigen Aktionären, die zum Zeitpunkt der Abbedingung bereits beteiligt sind.461 Sollten bei Abbedingung der Treuepflicht relevante Informationsasymmetrien zwischen den Parteien verbleiben, können sie durch Informations- und Beratungspflichten als mildere Mittel bekämpft werden.462 Solche Pflichten ergeben sich für die Vorstandsmitglieder bereits aus der Treuepflicht selbst; so sind sie durch die Treuepflicht zu einer Offenheit verpflichtet, die über das übliche Maß hinausgeht.463 Mit dieser Offenheit müssen sie relevante Informationsasymmetrien ausgleichen. Dabei sind die konkreten Anforderungen an die Vorstandsmitglieder einer offenen Aktiengesellschaft ausgeprägter als die Anforderungen an den Geschäftsführer einer das Reputationsinteresse und internalisierte Moralvorstellungen, ausf. zu diesen Mechanismen oben Teil 2 – A.IV. 456 Dazu Frankel, 74 Or. L. Rev. 1209, 1264 (1995). 457 Krit. Brudney, 85 Colum. L. Rev. 1403, 1423 (1985). 458 Krit. Bebchuk, 102 Harv. L. Rev. 1820, 1838 (1989). 459 Vgl. ebd., S. 1838. 460 Vgl. Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1515 (1989); s. a. Bebchuk, 102 Harv. L. Rev. 1820, 1839 (1989). 461 Vgl. Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1515 (1989). 462 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 793. 463 Dazu Mestmäcker, Verwaltung, 1958, S. 215; Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 243.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

geschlossenen GmbH, weil der anvertraute Wissens- und Fähigkeitsvorsprung der Vorstandsmitglieder in der Regel größer ist. Nun besteht aber noch immer die Gefahr, dass sich die Akteure nicht der angebotenen Informationen bedienen.464 Jedoch ist eine solche Entscheidung zu akzeptieren, alles andere wäre ein grundsätzlich illegitimer hart-paternalistischer Eingriff.465 Zudem kann eine Abbedingung aufgrund einer stark eingeschränkten Informationsgrundlage wirtschaftlich sinnvoll sein. Das ist der Fall, wenn der erwartete Gewinn durch die Abbedingung größer ist als der mögliche Verlust durch die unsichere Entscheidung und die Berücksichtigung weiterer Informationen höhere Kosten verursacht als die Unsicherheit, die aus ihrer Nichtbeachtung folgt. Weiterhin können die Aktionäre etwaige Informationsdefizite ohne großen Aufwand relativieren, indem sie auf die bisherige Praxis vertrauen und gegen die Abbedingung der Treuepflicht stimmen. Schließlich bestehen nicht nur Informations- und Beratungspflichten der Geschäftsleiter. Vielmehr gebietet die Treuepflicht dem Vorstandsmitglied, das Interesse der Aktionäre bei ihrer Abbedingung zu berücksichtigen.466 Zumindest darf der Geschäftsleiter mit gängiger Dogmatik nicht auf ein evidentes Missverhältnis zwischen seiner Leistung und der Leistung der Gesellschaft hinwirken,467 wobei teilweise sogar ein strengerer Maßstab angelegt wird.468 Jedenfalls wenn die Abbedingung der Treuepflicht im konkreten Fall zu einem solchen Ergebnis führt, ist es dem Vorstandsmitglied versagt, sie zu verlangen. Zudem können außerrechtliche Mechanismen das Vorstandsmitglied dazu bringen, die Interessen der Aktionäre zu achten, beispielsweise der Markt.469 Insoweit werden Defizite der Aktionäre relativiert. Diese Schutzmechanismen führen in ihrer Gesamtheit dazu, dass Informationsasymmetrien zwischen den Parteien bei Abbedingung der Treuepflicht nicht den Ausschlag zu ihrer materiellen Unabdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich in der offenen Aktiengesellschaft geben sollten. b) Allgemeines Verhandlungsungleichgewicht bei Abbedingung Es könnte aber angeführt werden, dass bei Abbedingung der Treuepflicht in der offenen Aktiengesellschaft ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht zwischen den Parteien besteht und dass sich daraus relevante Selbstbestimmungsdefizite ergeben können. Soweit ein Verhandlungsungleichgewicht aus Informationsasymmetrien folgt, wurde das soeben besprochen. Sofern sich darüber hinaus ein Verhandlungsungleichgewicht aus der Vertrauensstellung des Vorstandsmitglieds ergibt, 464 Ähnlich für Informationen, die Großaktionäre den Kleinaktionären zugänglich machen, Bebchuk, 102 Harv. L. Rev. 1820, 1838 (1989). 465 Zum Begriff des hart-paternalistischen Eingriffs und seiner grds. Rechtswidrigkeit ausf. oben Teil 2 – B.II.3. 466 Dazu oben Teil 3 – A.IX.6. 467 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 243. 468 Vgl. Fleischer/Bauer, ZIP 2015, 1901, 1903 f. 469 Dazu ausf. oben Teil 2 – A.IV.

B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft

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wird es durch die Treuepflicht auf prozeduraler Ebene bekämpft.470 Sollte abseits davon ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht bestehen, ist es für das Vorstandsmitglied sinnvoller, ein solches Ungleichgewicht für eine unangemessene Vergütung zu nutzen, als eine ineffiziente Regelung zu vereinbaren.471 Folgendes Beispiel soll das veranschaulichen: G ist Geschäftsleiter mit einer besonderen Zusatzqualifikation. Aufgrund einer außergewöhnlichen Drucksituation benötigt die A-AG sofort diesen Geschäftsleiter mit dieser Zusatzqualifikation. Ohne Verlust zu erwirtschaften, kann die A-AG dem G insgesamt eine Vergütung von 100 Einheiten pro Jahr gewähren. Eine vergleichbare Position wird normalerweise mit 30 Einheiten pro Jahr entlohnt. Gewohnheitsrechtlich besteht die Treuepflicht.472 Sie hat für die A-AG einen Wert von 5 Einheiten pro Jahr, weil sie die Wahrscheinlichkeit senkt, dass sich der G opportunistisch verhält. Für den G hat die Treuepflicht hingegen einen negativen Wert, da sie die Gefahr des Missbrauchs durch die A-AG birgt. Die Treuepflicht ist effizient, wenn sie die aggregierten Interessen der Parteien bestmöglich umsetzt. Sie ist also nur effizient, wenn der Vorteil der A-AG größer ist als der Nachteil des G. G hat nun zwei Möglichkeiten, um den finanziellen Spielraum der A-AG von 100 Einheiten auszureizen. Erstens kann er eine Vergütung von 100 Einheiten verlangen, die gegenüber den üblichen 30 Einheiten als unangemessen erscheint. Zweitens kann er die Abbedingung der Treuepflicht und eine Vergütung von 95 Einheiten verlangen. Bei Effizienz der Treuepflicht hat seine Gesamtvergütung einen Wert von 95 Einheiten zuzüglich weniger als 5 Einheiten. Daher ist es für den G sinnvoller, direkt die scheinbar unangemessene Vergütung von 100 Einheiten zu verlangen. Anders ist das, wenn die Treuepflicht nicht effizient ist, mit anderen Worten: wenn sie die Interessen der Parteien nicht bestmöglich umsetzt. Dann würden rational handelnde Vertragsparteien die Treuepflicht aber auch abbedingen, wenn kein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht besteht. Sie würden ein eventuell resultierendes Missverhältnis über den Preis korrigieren. Ein solches allgemeines Verhandlungsungleichgewicht hat damit keine Auswirkung auf die Abbedingung der Treuepflicht. Deswegen sollte es nicht den Ausschlag für eine allgemeine Unabdingbarkeit der Treuepflicht in der offenen Aktiengesellschaft geben. c) Defizite zukünftiger Aktionäre bei Anteilserwerb Bereits bei der geschlossenen GmbH wurde zusätzlich der Schutz zukünftiger Gesellschafter vor Selbstbestimmungsdefiziten bei Anteilserwerb für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht angeführt.473 Dort wurde die Relevanz solcher Defizite aber mit der Begründung abgelehnt, dass Defizite zukünftiger Gesellschafter zwar 470 471 472 473

Vgl. die Ausführungen zur GmbH Teil 3 – A.IX.6.a). Vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 130 m. w. N. s. o. Teil 2 – A.V. s. o. Teil 3 – A.IV.1.c).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

rechtliche Auswirkungen auf den Erwerb des Geschäftsanteils haben können, aber nicht für die ursprüngliche Abbedingung der Treuepflicht relevant sind. Im Gegensatz zur geschlossenen GmbH sind bei der offenen Aktiengesellschaft die Geschäftsanteile für den Handel bestimmt. Daher kann hier angedacht werden, dass Selbstbestimmungsdefizite zukünftiger Aktionäre ausnahmsweise auf eine Abbedingung der Treuepflicht durchschlagen. Das liegt insbesondere nahe, wenn eine Abbedingung der Treuepflicht direkt vor der öffentlichen Erstemission erfolgt, weil die Abbedingung dann gerade die zukünftigen Aktionäre betrifft. Die gleichen Erwägungen, die eine Abbedingung der Treuepflicht für den gegenwärtigen Aktionär sinnvoll erscheinen lassen, sprechen dafür, dass ihre Eliminierung für den zukünftigen Aktionär zweckmäßig sein kann. So können ungewollte Nebenwirkungen der Treuepflicht und die Existenz anderer Schutzmechanismen dazu führen, dass eine Abbedingung der Treuepflicht im allseitigen Interesse nachvollziehbar ist. Zumal eine Abbedingung der Treuepflicht im Erwerbspreis berücksichtigt werden kann und die Anleger die Möglichkeit haben, ihr Risiko durch Diversifizierung zu eliminieren. Damit ist es nicht zwingend sinnlos, wenn ein zukünftiger Aktionär mit dem Erwerb der Mitgliedschaft die vorherige Abbedingung der Treuepflicht akzeptiert. Folglich kann hierauf kein Selbstbestimmungsdefizit gestützt werden, das auf die Abbedingung der Treuepflicht durchschlägt. Einzelne Anleger haben beim Erwerb ihres Anteils einen größeren Anreiz, sich zu informieren, als bei der Abstimmung über eine Satzungsänderung.474 Dennoch wird der durchschnittliche Investor auch dort weitgehend ignorant gegenüber einzelnen Satzungsregelungen der Zielgesellschaft sein.475 Das ist aber nicht problematisch, da diese Ignoranz grundsätzlich keine Relevanz für die Entscheidung des Investors hat; denn eine Abbedingung der Treuepflicht ist in der Regel bereits durch den Kapitalmarkt eingepreist.476 Auch hier ist allerdings zu beachten, dass dies insbesondere bei einer öffentlichen Erstemission nicht der Fall sein muss, weil noch keine akkurate und zuverlässige Preisbildung stattfinden konnte.477 Jedoch steht es dem Aktionär frei, das Risiko zu vermeiden, indem er abwartet, bis die Bewertung durch den Markt vorgenommen wurde und sich der Preis stabilisiert hat. Neben dem Kapitalmarkt können Finanzintermediäre Informationsasymmetrien relativieren. Ohnehin ist die Informationsauswahl des Anlegers grundsätzlich zu akzeptieren, weil alles andere als hart paternalistischer Eingriff in der Regel rechtswidrig478 und in so mancher Situation wirtschaftlich wenig sinnvoll wäre. Aus Informationsasymmetrien folgen 474

Vgl. Bebchuk, 102 Harv. L. Rev. 1820, 1837 (1989). Vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 42 (1990). 476 Vgl. Easterbrook/Fischel, 89 Colum. L. Rev. 1416, 1435 (1989); Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 42 (1990); s. a. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 791; zu der Einpreisung durch den Kapitalmarkt und ihrer Probleme bereits ausf. Teil 3 – B.III.1.b). 477 Dazu Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1516 (1989); krit. Gordon, 89 Colum. L. Rev. 1549, 1557 ff. (1989). 478 Zum Begriff des hart-paternalistischen Eingriffs und seiner grds. Rechtswidrigkeit ausf. oben Teil 2 – B.II.3. 475

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deswegen keine relevanten Selbstbestimmungsdefizite zukünftiger Aktionäre, die zur allgemeinen Unabdingbarkeit der Treuepflicht führen sollten. Gerade in den USA wird außerdem angeführt, der Anleger habe nicht die Möglichkeit, über einzelne Satzungsregeln zu verhandeln. Der Anleger könne lediglich entscheiden, Anteile zu verkaufen oder zu kaufen. Die einzelnen Regelungen würden ihm deswegen diktiert.479 Insoweit wäre der Anleger dem Eigeninteresse des Managements beziehungsweise dem Eigeninteresse der Initiatoren ausgeliefert. Jedoch ist zu bedenken, dass Anleger diverse andere Investitionsmöglichkeiten haben; sie können beispielsweise in Gesellschaften mit anderen Organisationsstrukturen, in Anlagefonds, Devisen oder Immobilien investieren.480 Bereits deswegen sind sie nicht gezwungen, die speziellen Regelungen einer konkreten Aktiengesellschaft zu akzeptieren.481 Zudem gilt auch hier: Soweit keine Informationsdefizite vorliegen, ist es sinnvoller, die Verhandlungsmacht für einen unangemessenen Preis zu nutzen als ineffiziente Klauseln zu vereinbaren. Folglich sollte dies nicht den Ausschlag für eine allgemeine Unabdingbarkeit der Treuepflicht in der offenen Aktiengesellschaft geben. Gleiches gilt für empirisch belegte Rationalitätsdefizite der Anleger, da das ständige und bedeutende Auftreten solcher Defizite erneut ungewiss ist. 3. Normative Anknüpfung an § 23 Abs. 5 AktG (Satzungsstrenge) Obwohl eine unterschiedlich Behandlung aus tatsächlichen Gründen – wie soeben dargelegt – nicht geboten scheint, stellt eine normative Besonderheit in der Aktiengesellschaft die Gleichbehandlung in Frage: Die zumindest rechtspolitisch immer wieder kritisierte rigorose Satzungsstrenge gemäß § 23 Abs. 5 AktG.482 Sowohl Hellgardt als auch Fleischer sehen in der Satzungsstrenge ein unüberwindbares Hindernis für die vollständige Abbedingung der Treuepflicht, wobei eine ausführliche Begründung nicht erfolgt.483 Anders aber Waclawik:484 Die Treuepflicht stelle 479 Vgl. Brudney, 85 Colum. L. Rev. 1403, 1412 ff., 1424 (1985); dazu auch Coffee, 53 Brook. L. Rev. 919, 933 (1988). 480 Vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 13 (1990); s. a. die Aussage von Fischel: „It is very, very difficult for managers to make what you refer to as self-interested choices in organizational forms in a way that operates to shareholders’ detriment because shareholders have an infinite number of alternative investment opportunities“, veröffentlicht bei Ribstein, 71 Cornell L. Rev. 357, 391 (1986). 481 Vgl. Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1, 13 (1990). 482 Die rigorose Satzungsstrenge zmd. in Frage stellend etwa Mertens, ZGR 1994, 426, 427 ff.; Hopt, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 123, 144 f.; Hirte, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 61, passim; Spindler, AG 1998, 53, passim; Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 691 f.; Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, 170 ff.; Spindler, AG 2008, 598, passim; s. a. Spindler, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, S. 995, passim; s. aber Mülbert, in: Verhandlungen des 67. DJT, 2008, S. N51–N78, N 55 ff. 483 Vgl. Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, eindeutig auf S. 784: „Bei der Aktiengesellschaft steht der gänzlichen Abbedingung der Treuepflicht de lege lata § 23 Abs. 5 AktG

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

eine Rechtsfortbildung praeter legem dar, zu der sich der Gesetzgeber nicht ausdrücklich bekannt habe. Deswegen könne die Satzungsstrenge einer Abbedingung nicht entgegenstehen. Waclawiks Ausführungen beziehen sich jedoch nicht auf den Geschäftsleiterbereich, sondern auf den Gesellschafterbereich. Sie können aber wegen der strukturellen Vergleichbarkeit der Treuepflicht in den verschiedenen Bereichen übertragen werden. Nicht eindeutig positioniert sich Kumpan.485 Er geht davon aus, dass die Satzungsstrenge einer Abbedingung entgegensteht, wenn die Treuepflicht in § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG verortet wird. Kumpan äußert sich aber zur Verortung der Treuepflicht nicht weiter. Gemäß § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG kann die Satzung von Vorschriften des Aktiengesetzes nur abweichen, wenn das ausdrücklich zugelassen ist.486 Als eine Vorschrift des Aktiengesetzes, die gemäß § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG eine Abbedingung der Treuepflicht sperren könnte, kommt § 93 AktG in Betracht. Der § 93 AktG normiert „Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder“. Jedoch betrifft § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG zunächst alleine die Sorgfaltspflicht, wenn er gebietet: „Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden.“ Bereits oben wurde dargelegt, dass die Sorgfaltspflicht von der Treuepflicht zu unterscheiden ist.487 So gibt die Sorgfaltspflicht nicht das Interesse der Gesellschaft als Ziel vor. Stattdessen regelt sie die Art und Weise, wie Ziele verwirklicht, andere Pflichten erfüllt und sonstige Tätigkeiten ausgeführt werden müssen – nämlich mit Sorgfalt. Nun spricht § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG im Rahmen der Business Judgment Rule davon, dass das Vorstandsmitglied „vernünftigerweise annehmen durfte, […] zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“. Dies klingt zwar der Treuepflicht ähnlich, mit der Business Judgment Rule wird aber nicht eine weitere Pflicht statuiert. Vielmehr wird festgelegt, wann eine Pflichtverletzung ausgeschlossen ist. Dort ist die Treuepflicht somit nicht geregelt. Weiterhin ist die Treuepflicht als solche weder mit dem Verschwiegenheitsgebot des § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG noch mit den einzelnen Regelungen des § 93 Abs. 5 AktG gleichzusetzen, auch wenn das Verschwiegenheitsverbot eine einzelne Ausprägung der Treuepflicht darstellt. Mit dem Wettbewerbsverbot in § 88 Abs. 1 AktG findet sich noch eine weitere Ausprägung der Treuepflicht im Aktiengesetz. Eine Regelung der Treuepflicht als solcher sucht man

entgegen“, nicht so eindeutig auf S. 777: „Wenn man die organschaftliche Treuepflicht in der Generalklausel des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG verortet, steht § 23 Abs. 5 AktG der generellen Abbedingung entgegen“; Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1296; s. a. Piepenburg, Treupflichten der Aktionäre, 1996, 139 f. (Gesellschafterbereich); Kindler, in: FS Spiegelberger, 2009, S. 778, 784 f. (Gesellschafterbereich). 484 Waclawik, DB 2005, 1151, 1153. 485 Kumpan, Interessenkonflikt im Privatrecht, 2014, S. 135. 486 § 23 Abs. 5 S. 1 AktG: „Die Satzung kann von den Vorschriften dieses Gesetzes nur abweichen, wenn es ausdrücklich zugelassen ist.“ 487 s. o. Teil 2 – A.III.5.

B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft

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im Aktiengesetz jedoch vergebens. § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG steht damit nach unbefangener Wortlautauslegung einer Abbedingung der Treuepflicht nicht entgegen. Der § 23 Abs. 5 AktG enthält aber einen zweiten Satz, nach dem ergänzende Bestimmungen durch die Satzung zulässig sind, es sei denn, das Aktiengesetz enthält eine abschließende Regelung.488 Nun könnte argumentiert werden, dass die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder abschließend im Aktiengesetz geregelt ist. Das Aktiengesetz normiert allerdings nicht die Treuepflicht. Wäre das Aktiengesetz bezüglich der Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder vollständig, dürfte es daher die Treuepflicht nicht geben. Nachdem die Treuepflicht aber besteht, kann das Aktiengesetz in Bezug auf sie nicht abschließend sein; das gilt insbesondere für einzelne Eigenschaften der Treuepflicht wie ihre Disponibilität. Folglich steht auch § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG nach unbefangener Wortlautauslegung einer Abbedingung der Treuepflicht nicht entgegen. Neben der Wortlautauslegung ist jedoch eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm vorzunehmen. Der Zweck des § 23 Abs. 5 AktG ergibt sich nicht aus der Regierungsbegründung, für ihn ist die Literatur zu bemühen:489 § 23 Abs. 5 AktG solle sowohl die Gläubiger als auch zukünftige Aktionäre schützen.490 Nachdem die Treuepflicht Gläubigerinteressen lediglich reflexiv schützt,491 kommt hier nur letzteres in Betracht. Aufgrund von § 23 Abs. 5 AktG solle sich ein jeder zukünftiger Aktionär darauf verlassen können, dass die Satzung keine ungewöhnlichen Bestimmungen enthält.492 Das bewahre die Fungibilität der Aktie; denn die Handelbarkeit wäre praktisch aufgehoben, wenn sich jeder Anleger anhand der Satzung über die einzelnen Regelungen vergewissern müsse.493 Zudem würden aufgrund der Satzungsstrenge Streitigkeiten über die Auslegung individueller Vereinbarung vermieden.494 Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der Vorstandsmitglieder besteht gegenwärtig in jeder Aktiengesellschaft als Gewohnheitsrecht.495 Darüber hinaus ist die Treuepflicht auf den ersten Blick die passende Regelung, um die Vorstandsmitglieder zu disziplinieren.496 Zudem ist sie eine der zentralen Pflichten der Vorstandsmitglieder und schützt das Interesse der Aktionäre. Anleger könnten daher von einer 488

§ 23 Abs. 5 S. 1 AktG: „Ergänzende Bestimmungen der Satzung sind zulässig, es sei denn, daß dieses Gesetz eine abschließende Regelung enthält.“ 489 Vgl. Hirte, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 61, 64. 490 Vgl. Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 23 Rn. 34; Limmer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 23 Rn. 28 m. w. N. 491 s. o. Teil 3 – B.II.; Teil 3 – A.IV.1.a). 492 Vgl. Pentz, in: MüKo AktG, § 23 Rn. 158. 493 Vgl. ebd., Rn. 158; ähnlich Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, § 23 Rn. 34. 494 Vgl. Bayer, in: Verhandlungen des 67. DJT, 2008, S. E1–E129, E32 mit umfangr. Nachw. 495 s. o. Teil 2 – A.V.; Teil 2 – A.II.1. 496 s. o. Teil 3 – A.IV.2.a)aa).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Abbedingung der Treuepflicht unangenehm überrascht sein. Außerdem könnten sie sich bei Abdingbarkeit der Treuepflicht dazu gezwungen sehen, Nachforschungen über ihre Existenz und die Bedeutung einer Abbedingung anzustellen. Gerade solche Überraschungen und die Notwendigkeit solcher Nachforschungen sollen durch die Satzungsstrenge vermieden werden. § 23 Abs. 5 AktG ist damit seinem Sinn und Zweck nach auf die Treuepflicht anwendbar. Für die Anwendbarkeit des § 23 Abs. 5 AktG ist weiterhin anzuführen, dass die Treuepflicht zwar nicht vom Aktiengesetz ausbuchstabiert wird, auf die Existenz der Treuepflicht deutet aber die Normierung des Wettbewerbsverbots in § 88 Abs. 1 AktG und die Regelung des Verschwiegenheitsverbots in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG. Zudem klingt die Treuepflicht in der Business Judgment Rule an. Die Treuepflicht ist insoweit im Aktiengesetz angelegt. Bereits deswegen ist die Wortlautgrenze des § 23 Abs. 5 AktG nicht überschritten. All das spricht dafür, dass die Treuepflicht als solche aufgrund § 23 Abs. 5 AktG nicht abdingbar ist. Nun wurde aber oben dargelegt, dass Informationsdefizite und die Notwendigkeit von Nachforschungen bereits durch den Kapitalmarkt relativiert werden.497 Dieses Argument richtet sich allerdings nicht gegen die Anwendbarkeit des § 23 Abs. 5 AktG auf den speziellen Fall der Treuepflicht. Vielmehr stellt es den Sinn und Zweck des § 23 Abs. 5 AktG grundlegender in Frage. So könnte bei aktiv gehandelten Gesellschaften stets der Kapitalmarkt als Ausgleichmechanismus für Informationsdefizite und Transaktionskosten angeführt werden.498 Würde ein funktionsfähiger Kapitalmarkt deswegen zur Unanwendbarkeit des § 23 Abs. 5 AktG führen, hätte das faktisch die Abschaffung des § 23 Abs. 5 AktG bei börsennotierten Gesellschaften zur Folge. Eine solch grundlegende Entscheidung ist aber dem Gesetzgeber vorbehalten. Denn vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung liegt es an ihm, zu entscheiden, ob andere Mechanismen abstrakt-generell genügen, damit die Satzungsstrenge entbehrlich ist. Zumal der Verzicht auf die Satzungsstrenge Auswirkungen haben könnte, die vor ihrer Abschaffung durch andere gesetzliche Regelungen ausgeglichen werden müssten. Außerdem können die Auswirkungen unmöglich im Rahmen dieser Arbeit überblickt werden. Daher kann die Existenz von Ausgleichsmechanismen zwar rechtspolitisch nachdenklich stimmen,499 de lege lata ändert die Existenz von Ausgleichsmechanismen aber nichts an der Wirkung der Satzungsstrenge – auch wenn das zuweilen anders gesehen wird.500 Folglich ist die Treuepflicht als solche aufgrund § 23 Abs. 5 AktG unabdingbar.

497

s. o. Teil 3 – B.III.1.b); Teil 3 – B.III.2.a). Dazu Spindler, AG 1998, 53, passim, der allerdings auch auf diverse Probleme im Zusammenhang mit dem Kapitalmarkt als zuverlässigen Ausgleichsmechanismus hinw. 499 Vgl. etwa Mertens, ZGR 1994, 426, passim; Spindler, AG 1998, 53, passim; Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 790 ff. 500 Vgl. bspw. Hirte, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 61, passim, der den § 23 Abs. 5 AktG bei Vorliegen eines funktionsfähigen Kapitalmarkts weitgehend teleologisch reduzieren möchte; dazu auch Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 181 ff. 498

B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft

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Der Disponibilität einzelner Ausprägungen der Treuepflicht steht die Satzungsstrenge insoweit nicht entgegen, wie ihre Verhandelbarkeit vom Aktiengesetz angeordnet wird. So kann gemäß § 88 Abs. 1 AktG der Aufsichtsrat die Vorstandsmitglieder für bestimmte Handelsgewerbe, Handelsgesellschaften oder Arten von Geschäften vom Wettbewerbsverbot freistellen. Diese Regelung wird sinnvollerweise analog auf andere Ausprägungen der Treuepflicht angewendet, etwa auf die Geschäftschancenlehre.501 Darüber hinaus soll eine Beschränkung des Wettbewerbsverbots in der Satzung möglich sein.502 Richtigerweise ist hierbei zu differenzieren: Eine Disposition in der Satzung über Ausprägungen der Treuepflicht ist jedenfalls nicht möglich, wenn sie inhaltlich über § 88 Abs. 1 AktG hinausgeht. Denn eine solche Einschränkung wäre ungewöhnlich und könnte zu Nachforschungskosten für potentielle Anleger führen. Nun bestehen graduelle Unterschiede zwischen einer Disposition über die Treuepflicht als solcher und einer Disposition über eine ihrer Ausprägung. So ist die Treuepflicht zentraler als ihre einzelnen Ausprägungen, weswegen der Bestand der Treuepflicht als solcher wichtiger für potentielle Aktionäre ist als der Bestand ihrer Ausprägungen. Zudem sind die einzelnen Ausprägungen der Treuepflicht ohnehin gemäß beziehungsweise analog § 88 Abs. 1 AktG weitgehend disponibel. Daher muss der Anleger bereits mit einer gewissen Einschränkung rechnen. Jedoch nimmt § 23 Abs. 5 AktG gerade keine graduellen Unterscheidungen vor. Hingegen ist in Bezug auf die betroffene Ausprägung der Treuepflicht irrelevant, ob die Disposition durch den Aufsichtsrat oder durch die Gesellschafter in der Satzung erfolgt, wenn inhaltlich die Grenze des § 88 Abs. 1 AktG gewahrt wird. Denn ein zukünftiger Aktionär muss in beiden Fällen mit der gleichen Abänderung der Ausprägung rechnen. Eine Nachforschung ist für ihn sogar weniger aufwendig, wenn die Einschränkung in der Satzung erfolgt, weil er sich dann beim Handelsregister informieren kann. Insoweit wird die Verkehrsfähigkeit der Aktie nicht durch eine zusätzliche Änderungsmöglichkeit in der Satzung beeinträchtigt. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob § 88 Abs. 1 AktG eine Kompetenzzuweisung enthält, deren ausbalancierte Gewichtsverteilung auf die verschiedenen Organe durch Satzungsänderungen nicht umgangen werden darf,503 und ob deswegen keine Einschränkung der Ausprägungen der Treuepflicht durch die Gesellschafter möglich ist. Denn dort geht es nicht um den Bestand der Treuepflicht und ihrer Ausprägungen, sondern um die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Aktiengesellschaft. Da hier die materielle Abdingbarkeit der Treuepflicht besprochen wird, kann dieser Frage nicht weiter nachgegangen werden. 501 Vgl. Hopt/Roth, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 276, 252, 261 m. w. N.; Spindler, in: MüKo AktG, § 88 Rn. 67. 502 Vgl. bspw. Fleischer, AG 2005, 336, 345; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 88 Rn. 30; Kort, in: GroßK AktG, 5. Aufl., § 88 Rn. 115 f.; Spindler, in: MüKo AktG, § 88 Rn. 28; a. A. Mertens/Cahn, in: KölnKomm AktG, § 88 Rn. 8. 503 Dazu Mertens/Cahn, in: KölnKomm AktG, § 88 Rn. 8; Mertens/Cahn, in: KölnKomm AktG, Vorb. vor § 76 Rn. 10.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Nach alledem ist es wegen § 23 Abs. 5 AktG weder möglich, die Treuepflicht als solche abzubedingen noch ihre einzelnen Ausprägungen gänzlich zu eliminieren. Jedoch steht die Satzungsstrenge einer Befreiung von den Ausprägungen der Treuepflicht durch den Aufsichtsrat für bestimmte Fälle und Fallgruppen aufgrund § 88 Abs. 1 AktG nicht entgegen.

IV. Zwischenergebnis in Thesen 1. Die hergebrachte Meinung hält die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht des Geschäftsleiters einer offenen Aktiengesellschaft als solche für nicht abdingbar. Die einzelnen Ausprägungen der Treuepflicht sind dagegen nach gegenwärtigem Stand in der Rechtswissenschaft im hohen Maße disponibel. Möglich sind etwa Einwilligungen in Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsverbot und ebenso sollen Zuwiderhandlungen gegen die Geschäftschancenlehre und andere Ausprägungen der Treuepflicht einwilligungsfähig sein. 2. Es bestehen bei Abdingbarkeit der Treuepflicht in der offenen Aktiengesellschaft und bei Abdingbarkeit in der geschlossenen GmbH einige Gemeinsamkeiten: Der Abbedingungsgegenstand ist strukturell identisch. Die Treuepflicht schützt nur das Interesse der Gesellschaftergesamtheit, nicht das Interesse anderer Stakeholder. Individualinteressen der Minderheit und Fremdinteressen der zukünftigen Gesellschafter sind für die materielle Abdingbarkeit irrelevant. Es kann weder aus einer objektiv sinnlosen Entscheidung noch aus Rationalitätsdefiziten zuverlässig auf Selbstbestimmungsdefizite der Akteure geschlossen werden. Sowohl die formelle als auch die materielle Entscheidungsfreiheit der Akteure spricht einer Unabdingbarkeit entgegen. Das Wesen der Gesellschaft, die Treuepflicht als überpositives Rechtsprinzip, Treu und Glauben als zwingendes Rechtsinstitut und § 276 Abs. 3 BGB sind nicht in der Lage, ihre Unabdingbarkeit normativ zu begründen. Eine Anknüpfung der Unabdingbarkeit an § 138 Abs. 1 BGB ist zwar möglich, § 138 Abs. 1 BGB verlangt aber einen Extremfall. 3. Es bestehen aber ebenfalls Besonderheiten bei Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht in der offenen Aktiengesellschaft. So haben in der offenen Aktiengesellschaft eine größere Bedeutung: Transaktionskosten zukünftiger Aktionäre bei Anteilserwerb; Informationsdefizite gegenwärtiger Aktionäre bei Abbedingung der Treuepflicht und Selbstbestimmungsdefizite zukünftiger Aktionäre bei Anteilserwerb. Diesen Besonderheiten begegnet aber insbesondere der Kapitalmarkt als Ausgleichsmechanismus. Eine abweichende Bewertung der Abdingbarkeit ergibt sich daher erst aus der normativen Wertung der Satzungsstrenge. 4. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht des Geschäftsleiters einer offenen Aktiengesellschaft ist als solche de lege lata nicht abdingbar, weil im Gegensatz zur GmbH die rechtspolitisch fragwürdige Satzungsstrenge entgegensteht. Einzelne Ausprägungen der Treuepflicht sind für bestimmte Fälle und Fallgruppen im Sinne

C. Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der OHG

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des § 88 Abs. 1 AktG disponibel, aber nicht gänzlich abdingbar. Bei Vernachlässigung der Satzungsstrenge wären auch eine vollständige Abbedingung der Treuepflicht und die gänzliche Eliminierung einzelner Ausprägungen der Treuepflicht möglich. Beides könnte jedoch im Einzelfall nach allgemeinen Regeln unwirksam sein. In jedem Fall verbleiben nach einer Disposition über die Treuepflicht oder über ihre Ausprägungen andere Pflichten und allgemeine Institute.

C. Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der OHG Als letzter spezieller Fall wird nun auf die Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im Gesellschafterbereich der OHG eingegangen. Ebenso wie die geschlossene GmbH zeichnet sich die geschlossenen OHG dadurch aus, dass sie eine geringe Anzahl von Gesellschaftern hat, die Gesellschafter aktiv an der Geschäftsführung mitwirken, eine Übertragungsbeschränkung für die Gesellschaftsanteile vorhanden ist und kein liquider Markt für die Gesellschaftsanteile existiert.504 Bei der geschlossenen GmbH wurde auf die Abdingbarkeit der Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich eingegangen.505 Hier wir stattdessen ihre Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich besprochen. Der Gesellschafterbereich soll dabei lediglich die Treuepflicht der Gesellschafter umfassen, eine Verpflichtung der Gesellschaft ist nicht einbegriffen. Im Gesellschafterbereich hat die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht zwei Wirkrichtungen: Erstens besteht sie zwischen den jeweiligen Gesellschaftern und der Gesellschaftergesamtheit;506 zweitens entfaltet sie Wirkung zwischen den einzelnen Gesellschaftern.507 Trotz der unterschiedlichen Wirkrichtungen bestehen aber keine signifikanten strukturellen Unterschiede. So vertraut die Gesellschaftergesamtheit einem jedem Gesellschafter die latente Kontrolle über das Gesellschaftsvermögen an, wahrt mit der Treuepflicht eine Offenheit und zwingt die Gesellschafter jedenfalls, ihr Interesse allgemein und angemessen bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigten. Ähnlich vertrauen die Mitgesellschafter sich untereinander die latente Kontrolle über ihr in die Gesellschaft eingebrachtes Vermögen an, bewahren mit der Treuepflicht eine Offenheit und zwingen die anderen Gesellschafter, ihr gesellschaftsbezogenes Interesse jedenfalls allgemein und angemessen bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.508 Auch bezüglich des konkreten Inhalts der Treuepflicht bestehen aufgrund der verschiedenen Bezugspunkte selten Diffe-

504 Für diese Merkmale der geschlossenen Gesellschaft vgl. Fleischer, NZG 2014, 1081, 1082 f. 505 s. o. Teil 3 – A. 506 Vgl. Schäfer, in: Staub, HGB, § 105 Rn. 234. 507 Vgl. ebd., Rn. 236. 508 Vgl. zum Vorst. bereits oben Teil 2 – A.II.2.; s. a. oben Teil 2 – A.I.3.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

renzen. Das gesellschaftsbezogene Gesellschafterinteresse und das Gesellschaftsinteresse werden häufig gleichlaufen und zumindest selten konfligieren. Aufgrund der strukturellen Vergleichbarkeit und der inhaltlichen Ähnlichkeit kann die Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im Gesellschafterbereich unabhängig von ihren verschiedenen Wirkrichtungen bewertet werden. Sie sollte es auch, da eine isolierte Abbedingung wenig sinnvoll wäre. Denn eine isolierte Abbedingung hätte aufgrund der Ähnlichkeit der Treuepflicht in ihren verschiedenen Wirkrichtung kaum Relevanz: Würde lediglich die Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern abbedungen, käme man mit der Treuepflicht der Gesellschafter zur Gesellschaftergesamtheit zu ähnlichen Ergebnissen und vice versa.

I. Zulässigkeit nach gegenwärtigem Stand der Rechtswissenschaft Die Abdingbarkeit der Treuepflicht ist im Gesellschafterbereich bei der geschlossenen OHG in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Seit 2015 gibt es aber relevante höchstrichterliche Rechtsprechung: Der BGH hat sich zur Dispositionsmöglichkeit über die Treuepflicht im Gesellschafterbereich bei der Publikumspersonengesellschaft geäußert.509 Er hat festgestellt, dass die Treuepflicht „jedem Gesellschaftsverhältnis ohne ausdrückliche Regel immanent ist“, wobei der Gesellschaftsvertrag „den Inhalt und Umfang“ der Treuepflicht bestimme und „konkretisierende Regelungen“ enthalten könne, insbesondere könne er „die aus der Treuepflicht folgende Zustimmungspflicht für bestimmte Sachverhalte einschränken oder an weitere Voraussetzungen knüpfen“.510 Damit ist wohl keine Aussage über die vollständige Abdingbarkeit der Treuepflicht getroffen.511 Jedoch wird deutlich, dass nach dem Verständnis des BGH im hohen Maße über die Treuepflicht und ihre Ausprägungen disponiert werden kann. Zwar war Gegenstand des genannten BGHUrteils eine Publikumspersonengesellschaft, das Ergebnis gilt aber erst-recht für die grundsätzlich flexiblere geschlossene OHG. In der Kommentarliteratur findet sich eine Aussage zur Abdingbarkeit der Treuepflicht speziell im Gesellschafterbereich der OHG bei Schäfer. Er formuliert: „Im Gesellschaftsvertrag können zwar gewisse Einschränkungen […] vereinbart werden […] Diese Einschränkungen dürfen aber nicht so weit gehen, dass sie die für die Annahme einer Gesellschaft wesentliche Pflicht aller Vertragspartner zur Förderung des gemeinsamen Zwecks aufheben oder ernsthaft in Frage stellen.“512 All das ist der hergebrachten Meinung in der allgemeinen Literatur zur Abdingbarkeit 509

BGH, Urt. v. 09. 06. 2015 – II ZR 420/13, NZG 2015, 995. Ebd., 1. LS, Rn. 21, s. a. bereits BGH, Urt. v. 25. 01. 2011 – II ZR 122/09, NZG 2011, 510, Rn. 21. 511 Dazu bereits oben Teil 3 – A.I.1. 512 Schäfer, in: Staub, HGB, § 105 Rn. 234. 510

C. Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der OHG

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der Treuepflicht ähnlich, die eine vollständige Abbedingung der Treuepflicht nicht für möglich hält, aber eine Disposition über einzelne Ausprägungen und konkrete Modifizierungen zulässt, dabei aber einen unabdingbaren Kernbereich annimmt.513 Explizit und substantiiert gegen die vollständige Abdingbarkeit der Treuepflicht im Gesellschafterbereich der OHG spricht sich in letzter Zeit Fleischer aus, wobei er „Modulationen“ für möglich hält.514 Eine ähnliche Ansicht vertritt Koppensteiner, der zwar Abänderungen zulassen möchte, aber einen unabdingbaren Kernbereich der Treuepflicht annimmt.515 Unentschlossen ist Schmolke. Er hält die Abdingbarkeit der Treuepflicht im Gesellschafterbereich bei der geschlossenen GmbH unter Fortgeltung der Ausübungs- und Wirksamkeitskontrolle gemäß §§ 242, 138 BGB nicht für fernliegend.516 Auf der anderen Seite sieht er „gute Gründe“ gegen die vollständige Abdingbarkeit.517 Eine differenzierende Ansicht findet sich für die GmbH bei Winter. Winter möchte eine Abbedingung der Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft wohl grundsätzlich zulassen,518 nicht aber eine Abbedingung der Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern.519 Aufgrund des vergleichbaren Realtyps sind die Ergebnisse für die geschlossene GmbH von Schmolke und Winter wohl auf die geschlossene OHG übertragbar. Hervorzuheben ist die gegenwärtige Rechtslage im Gesellschafterbereich der OHG bezüglich einer bestimmten Ausprägung der Treuepflicht. In der OHG besteht analog §§ 47 Abs. 4 GmbHG, 34 BGB ein Stimmrechtsausschluss bei offenbaren Interessenkonflikten des Gesellschafters.520 Dieser Stimmrechtsausschluss soll nach herrschender Meinung nicht dispositiv sein, soweit der Kernbereich des Richtens in eigener Sache betroffen ist.521 Im Besonderen ist es nach der Rechtsprechung nicht möglich, den Stimmrechtsausschluss für Entlastungsbeschlüsse abzubedingen;522 die Satzung könne den Stimmrechtsausschluss etwa nicht eliminieren, soweit es um die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den Geschäftsführer aus pflicht-

513

Zur hergebrachten allgm. Lit. oben Teil 3 – A.I.1. Vgl. Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1297. 515 Vgl. Koppensteiner, GesRZ 2009, 197, passim. 516 Vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 669: „Bei Fortgeltung der richterlichen Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle nach §§ 138, 242 BGB scheint es dann auch kein allzu großer Schritt mehr, auch die generelle Abbedingung der Treupflicht zu gestatten.“ 517 Ebd., S. 669, 670. 518 Vgl. Winter, Treuepflichtbindung, 1988, S. 214. 519 Vgl. ebd., S. 216. 520 Vgl. Roth, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 119 Rn. 8; zum Stimmrechtsausschluss als Ausprägung der Treuepflicht vgl. Teil 2 – A.I.3.b). 521 Für die Rspr. vgl. etwa BGHZ 108, 21, 1. LS, 26 ff.; für die Lit vgl. bspw. Zöllner, Schranken mitgl. Stimmrechtsmacht, 1963, 181; Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 47 Rn. 37 m. w. N.; Roth, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 119 Rn. 12. 522 Vgl. BGHZ 108, 21, 1. LS, 26 ff.; s. a. BGH, Urt. v. 28. Januar – II ZR 84/79, WM 1980, 649, dort wurde die Frage zwar angesprochen aber nicht entschieden. 514

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

widriger Geschäftsführung gehe.523 Zuweilen wird sogar die gänzliche Unabdingbarkeit des Stimmrechtsverbots angenommen.524 Gerade in letzter Zeit wird aber wieder für die vollständige Abdingbarkeit des Stimmrechtsausschlusses eingetreten.525 Dieser Meinungsstreit dauert noch an.526 Im Unterschied zu dem gegenwärtigen Stand der Rechtswissenschaft in Deutschland ist die Rechtslage im US-amerikanischen Bundesstaat Delaware gesicherter. Dort kann von Gesetzes wegen bei der partnership die Haftung für Verstöße gegen die Treuepflicht der Gesellschafter gegenüber Gesellschaft und anderen Gesellschaftern eingeschränkt und abbedungen werden; nur die Haftung für böswillige Verstöße gegen die implizite vertragliche Verpflichtung auf Treu und Glauben muss bestehen bleiben.527 Die implizite vertragliche Verpflichtung auf Treu und Glauben ähnelt dabei den allgemeinen deutschen Instituten der Vertragsauslegung auf Basis von Treu und Glauben und dem Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens.528

II. Gemeinsamkeiten Bezüglich der Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im Gesellschafterbereich der OHG und im Geschäftsleiterbereich der GmbH bestehen einige Gemeinsamkeiten:529 Das gilt zunächst für den Abbedingungsgegenstand. Denn ähnlich wie im Geschäftsleiterbereich ist die Treuepflicht im Gesellschafterbereich – etwas vereinfacht – eine Pflicht, die auf die Kontrolle über eine anvertraute fremde Rechtsposition reagiert und durch die Anknüpfung an den Entscheidungsprozess eine Offenheit wahrt, aber gleichzeitig dem jeweiligen Gesellschafter ver523

Vgl. BGHZ 108, 21, 27. Vgl. etwa Flume, AT bürgerliches Recht, juristische Person, 1983, S. 224 ff.; Römermann, in: Michalski, GmbHG, § 47 Rn. 342. 525 So Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 162 ff.; vgl. auch bereits Immenga, GmbHR 1976, 53, 55; Bacher, GmbHR 2001, 133, passim. 526 Vgl. Priester, GmbHR 2013, 225, 229; für eine ausführliche Aufstellung der verschiedenen Stimmen s. Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht, 2016, S. 154 ff. 527 Vgl. Del Code Ann. tit. 6 § 15-103 (f): „A partnership agreement may provide for the limitation or elimination of any and all liabilities for breach of contract and breach of duties (including fiduciary duties) of a partner or other person to a partnership or to another partner or to another person that is a party to or is otherwise bound by a partnership agreement; provided, that a partnership agreement may not limit or eliminate liability for any actor omission that constitutes a bad faith violation of the implied contractual covenant of good faith and fair dealing.“ 528 s. o. Teil 3 – A.I.2. 529 An dieser Stelle kann nur ein kurzer Überblick über die Gemeinsamkeiten und ihre Implikationen gegeben werden, für eine tiefgehende Argumentation und umfangr. einzelne Nachw. wird auf die obige Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht in der geschlossenen GmbH verwiesen. Die dortigen Erkenntnisse können weitgehen übertragen werden. s. o. Teil 3 – A. 524

C. Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der OHG

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bindlich vorgibt, das Interesse der Gesellschaftergesamtheit beziehungsweise die gesellschaftsbezogenen Interessen der anderen Gesellschafter im Auge zu haben.530 Zudem ist die Treuepflicht auch im Gesellschafterbereich gegenüber anderen Pflichten und allgemeinen Instituten eigenständig, etwa gegenüber dem Institut des Rechtsmissbrauchs. Sie kann allerdings mittelbar Auswirkung auf die Anwendung anderer Pflichten und allgemeiner Institute haben.531 Aus dem vergleichbaren Abbedingungsgegenstand folgen Gemeinsamkeiten bezüglich der Relevanz von Fremdinteressen für die Abdingbarkeit. So schützt die Treuepflicht auch im Gesellschafterbereich lediglich das Gesellschaftsinteresse und die gesellschaftsbezogenen Interessen der Gesellschafter, nicht die Interessen anderer Stakeholder. Ein Gläubigerschutz durch die Treuepflicht liegt sogar ferner als bei der GmbH, da die Gläubiger aufgrund der persönlichen Haftung der Gesellschafter gemäß § 128 HGB nicht auf das Gesellschaftsvermögen als Haftungsfonds angewiesen sind. Weiterhin ist der Schutz der Minderheit bei der geschlossenen OHG insoweit irrelevant, wie Einstimmigkeit für die Änderung des Gesellschaftsvertrags vorgesehen ist.532 Im Übrigen könnte die Minderheit durch prozedurale Maßnahmen als mildere Mittel geschützt werden. Außerdem bestehen Gemeinsamkeiten bezüglich der Relevanz von Kollektivinteressen. So spielen zusätzliche Transaktionskosten bei Abbedingung der Treueplicht keine bedeutende Rolle, weil die Vertragsparteien diese Kosten vermeiden können, indem sie die Treuepflicht als Standardregel akzeptieren. Relevante Kosten entstehen auch nicht dadurch, dass mit der Abdingbarkeit der Treuepflicht das Verständnis über sie verloren geht und deswegen Rechtsunsicherheiten auftreten. Denn soweit die Treuepflicht als Standardregel akzeptiert wird, geht ihre Entwicklung unverändert voran, und sofern die Treuepflicht abbedungen wird, besteht kein Interesse an ihrer Fortentwicklung. Gemeinsamkeiten bestehen ebenfalls beim weich-paternalistischen Schutz. So belegen empirische Erkenntnisse zwar systematische Rationalitätsdefizite der Akteure, nicht aber deren ständiges und bedeutendes Auftreten in Einzelfällen. Außerdem liegt in der geschlossenen OHG ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht bei einer Abbedingung der Treuepflicht fern, weil sich die Akteure typischerweise auf Augenhöhe begegnen.533 Darüber hinaus bestehen Gemeinsamkeiten bei Rechtsgründen, die einer Abdingbarkeit entgegenstehen: Wie in der geschlossenen GmbH greift die allgemeine Unabdingbarkeit der Treuepflicht in der OHG in die formelle und die materielle Selbstbestimmung der Parteien ein. Schließlich finden sich einige Gemeinsamkeiten bezüglich der normativen Anknüpfung der Unabdingbarkeit. Das Wesen der Gesellschaft kann auch bei der OHG lediglich als leere Hülle für rechtliche Wertungen dienen, nicht aber selbständig die 530 531 532

C.IV. 533

Zum Vorst. oben Teil 2 – A. Zum Vorst. oben Teil 2 – A. Zu der Abbedingung der Treuepflicht als Änderung des Gesellschaftsvertrag s. u. Teil 3 – Aus der US-amerikanischen Lit. vgl. Hynes, 58 Law & Contemp. Probs. 29, 40 (1995).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Unabdingbarkeit begründen. Außerdem stellt die Treuepflicht kein überpositives Rechtsprinzip dar und ihre Abdingbarkeit ist weder mit der Abbedingung von Treu und Glauben gleichzusetzen noch führt sie zur Perplexität des Rechtsverhältnisses. Weiterhin ist in der geschlossenen OHG grundsätzlich keine Inhaltskontrolle aufgrund von Treu und Glauben vorzunehmen, weil sich die Vertragspartner in der Regel auf Augenhöhe begegnen und deswegen potentiellen Einfluss auf die individuellen Vertragsregeln haben.534 Schließlich sind bezüglich des § 138 Abs. 1 BGB obige Wertungen einschlägig:535 Zwar eignet sich § 138 Abs. 1 BGB grundsätzlich, um die Unabdingbarkeit der Treuepflicht normativ anzuknüpfen, für sein Eingreifen müsste aber ein Extremfall vorliegen.

III. Besonderheiten Neben Gemeinsamkeiten bestehen aber auch Besonderheiten bezüglich der Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im Gesellschafterbereich der OHG. Ihre Ursache haben sie zum einen in der abweichenden Rechtsform und zum anderen in den Differenzen zwischen Geschäftsleiterbereich und Gesellschafterbereich. 1. Risikofaktoren für opportunistisches Verhalten Zunächst sind besondere Risikofaktoren für opportunistisches Verhalten im Gesellschafterbereich der OHG zu beachten. In der geschlossenen Gesellschaft investieren die Gesellschafter in der Regel einen großen Teil ihres Vermögens. Aufgrund der fehlenden Liquidität und eingeschränkten Fungibilität der Gesellschaftsanteile haben sie keine einfache Möglichkeit, dieses Vermögen aus der Gesellschaft abzuziehen. Zudem sind die Gesellschaftsverträge bei geschlossenen Gesellschaften außergewöhnlich lückenhaft, etwa weil die Gesellschafter die Regelung naheliegender Konflikte bewusst vermeiden, um das Vorhaben nicht zu gefährden. Aus diesen Gründen sind Gesellschafter in geschlossenen Gesellschaften typischerweise besonders anfällig für opportunistisches Verhalten ihrer Mitstreiter. Das gilt insbesondere für die Minderheitsgesellschafter. Es kommt beispielsweise vor, dass der geschäftsführende Mehrheitsgesellschafter sich ein überhöhtes Gehalt bewilligt und gleichzeitig die Gewinnausschüttung stark reduziert, ohne dass die Minderheit das verhindern kann.536 Die Gefahr eines solchen opportunistischen Verhaltens durch die Mehrheit besteht aber nicht, soweit § 119 HGB die „Zustimmung aller zur Mitwirkung bei der Beschlussfassung berufenen Gesellschafter“ 534

Dazu auch bereits oben Teil 3 – A.III.6. s. o. Teil 3 – A.III.6. und Teil 3 – A.V.2. 536 Zum Vorst. vgl. Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, 2013, S. 611, der auch noch weitere Beispiele anführt; aus der US-amerikanischen Lit. s. Moll, 40 Wake Forest L. Rev. 883 (2005), passim; Illig, 56 Am. U. L. Rev. 275, 288 (2006). 535

C. Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der OHG

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voraussetzt.537 Jedoch kann von dieser Regelung im Gesellschaftsvertrag abgewichen werden.538 Zudem ergibt sich ein kehrseitiges Problem, wenn die Vorschrift greift: Dann kann ein jeder Gesellschafter aus opportunistischen Gründen die Beschlussfassung blockieren und insoweit seinen Willen der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern aufzwingen. In der OHG kommt bei alledem hinzu, dass die Gesellschafter nicht nur mit dem eingebrachten Vermögen investiert sind. Vielmehr haften sie gemäß § 128 HGB mit ihrem gesamten Privatvermögen. Das erhöht den Einsatz der Gesellschafter und macht sie abermals verwundbarer.539 Die Treuepflicht kann den genannten Gefahren entgegenwirken, da sie opportunistisches Verhalten der Mitstreiter sanktioniert und damit die Wahrscheinlichkeit missliebigen Handelns senkt. Deswegen könnte eine Abbedingung der Treuepflicht auf den ersten Blick sinnlos erscheinen. Aufgrund des vergleichbaren Abbedingungsgegenstands bestehen jedoch auch im Gesellschafterbereich in der geschlossenen OHG Nebenwirkungen der Treuepflicht.540 So knüpft die Treuepflicht an den Entscheidungsprozess an, der von außen schwer einsehbar ist. Deswegen kann es bei Anwendung der Treuepflicht zu richterlichen Fehlschlüssen kommen. Solche Fehlschlüsse können im Nachhinein zu Ergebnissen führen, die nicht im ursprünglichen Interesse der Gesellschafter liegen. Darüber hinaus können mögliche Fehlschlüsse ungünstige Anreize für die Gesellschafter setzen. Zudem ist es dem Gesellschafter häufig erlaubt, seine eigenen Interessen bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Deswegen wird im Gesellschafterbereich vermehrt auf weiche Billigkeitskriterien wie die Angemessenheit oder die Verhältnismäßigkeit zurückgegriffen, bei denen der Richter außergewöhnlich anfällig für Fehlschlüsse ist.541 Daher liegt dort das Fehlgehen der Treuepflicht besonders nahe. Diese und weitere542 Nebenwirkungen der Treuepflicht können ihre Abbedingung nachvollziehbar erscheinen lassen. Außerdem bestehen im Gesellschafterbereich der OHG andere Mechanismen, die einem opportunistischen Verhalten der Gesellschafter entgegenwirken.543 Als gesetzliche Mechanismen flankieren die Treuepflicht insbesondere das Verbot des 537 Beschlüsse sind etwa für außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen, Änderungen des Gesellschaftsvertrags und alle sonstigen Grundlagengeschäften erforderlich, vgl. Roth, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 119 Rn. 1 mit weiteren Bsp. 538 Vgl. § 119 Abs. 2 HGB. 539 Dazu Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 778, mit Fn. 75. 540 Hier wird sich mit einem kurzen Überblick begnügt, da die ausf. obigen Ausführungen zu den Nebenwirkungen der Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich in der geschlossenen Gesellschaft weitgehend übertragbar sind, s. o. Teil 3 – A.IV.2.a)bb). 541 Dazu ausf. oben Teil 2 – C.II. 542 Dazu oben Teil 3 – A.IV.2.a)bb). 543 Hier wird sich mit einem kurzen Überblick begnügt, da die ausf. obigen Ausführungen zu den allgm. flankierenden gesetzlichen und außergesetzlichen Mechanismen im Geschäftsleiterbereich in der geschlossenen Gesellschaft weitgehend übertragbar sind, s. o. Teil 3 – A.IV.2.a)cc).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Rechtsmissbrauchs, die ergänzende Vertragsauslegung und die Störung der Geschäftsgrundlage.544 Als außergesetzliche Mechanismen bestehen neben der Treuepflicht namentlich persönliche Bindungen, internalisierte Moralvorstellungen und vertragliche Einzelpflichten.545 Solche Mechanismen schützen die Gesellschafter und die Gesellschaftergesamtheit auch dann vor missliebigen Verhalten der Mitstreiter, wenn die Treuepflicht abbedungen wird. Im Gesellschafterbereich der OHG sind zudem die Interessen der Gesellschafter und das Interesse der Gesellschaftergesamtheit ohnehin im hohen Maße deckungsgleich. Denn die Gesellschafter verfolgen in der Regel nicht nur normativ, sondern auch tatsächlich ein einheitliches Ziel. Insoweit ist die Verrechtlichung durch die Treuepflicht irrelevant. Nach alledem ist eine Abbedingung der Treuepflicht auch im Gesellschafterbereich der OHG trotz besonderer Risikofaktoren nicht zwangsläufig sinnlos. Deswegen kann hieraus nicht auf Selbstbestimmungsdefizite der Akteure geschlossen werden.

2. Informationsprobleme Es ergeben sich aber weitere Besonderheiten im Gesellschafterbereich in der geschlossenen OHG: Bei der GmbH wurde angeführt, dass die Existenz der Treuepflicht beim Handelsregister überprüft werden kann, da die Treuepflicht als solche im Gesellschaftsvertrag abzubedingen ist und dieser zum Handelsregister eingereicht werden muss.546 Damit wurde erstens gestützt, dass potentielle Geschäftspartner sich ohne großen Aufwand über eine Abbedingung der Treuepflicht informieren können und ihnen deswegen keine relevanten Überwachungskosten entstehen.547 Zweitens wurde angeführt, dass sich potentielle Gesellschafter beim Handelsregister über den Bestand der Treuepflicht informieren können und sich dann selbst schützen können, ohne dass ihnen signifikante Transaktionskosten entstehen.548 Bei der OHG ist der Gesellschaftsvertrag nicht zum Handelsregister einzureichen. Somit ist es weder für potentielle Geschäftspartner noch für zukünftige Gesellschafter möglich, sich beim Handelsregister über den Bestand der Treuepflicht zu informieren. Jedoch haben potentielle Geschäftspartner bereits kein rechtlich relevantes Interesse an dem Bestand der Treuepflicht, da ihre Interessen durch andere Vorschriften geschützt werden.549 Sollte ihnen dennoch die Existenz der Treuepflicht wichtig sein, könnten sie sich bei der Gesellschaft erkundigen. Auch die Interessen potentieller Gesellschafter sind irrelevant, da zukünftige Gesellschafter bei der geschlossenen OHG grundsätzlich nicht vorgesehen sind. Zudem könnten zukünftige 544 545 546 547 548 549

s. o. Teil 2 – A.III. s. o. Teil 2 – A.IV. s. o. Teil 3 – A.IV.1.c); Teil 3 – A.IV.1.d). s. o. Teil 3 – A.IV.1.d). s. o. Teil 3 – A.IV.1.c); Teil 3 – A.IV.1.d). s. dazu ausf. oben Teil 3 – A.IV.1.a).

C. Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der OHG

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Gesellschafter sich problemlos über den Inhalt des Gesellschaftsvertrags bei den gegenwärtigen Gesellschaftern informieren, sollte ein Gesellschaftsanteil doch übertragen werden. Zuweilen sind die gegenwärtigen Gesellschafter sogar verpflichtet, über eine abbedungene Treuepflicht aufzuklären.550 Gegebenenfalls können zukünftige Gesellschafter dann über den Inhalt des Vertrages verhandeln oder den Erwerb der Mitgliedschaft ablehnen und sich auf diese Weise selbst schützen. Es besteht aber ein weiteres potentielles Informationsproblem: Bei der GmbH wurde angeführt, dass die Erstellung und Änderung des Gesellschaftsvertrags eine Beurkundung und Belehrung durch einen Notar erfordert.551 Damit wurde gestützt, dass keine relevanten Informationsdefizite der Akteure bei Abbedingung der Treuepflicht bestehen.552 In der OHG ist keine Beurkundung oder Belehrung durch einen Notar notwendig. Somit fehlt dieser Schutzmechanismus. Jedoch können vorhandene Informationsasymmetrien bereits durch Informationspflichten einer gegebenenfalls überlegenden Partei ausgeglichen werden. Solche Pflichten folgen etwa aus der Treuepflicht selbst.553 Zudem können sich die Akteure auf die Entwicklung in der Rechtswissenschaft verlassen und die Treuepflicht als Standardregel akzeptieren. Auf die Weise ist es ihnen möglich, ohne großen Aufwand ihre Informationsdefizite zu relativieren. Weiterhin liegt es ohnehin grundsätzlich im Ermessen der Parteien zu entscheiden, aufgrund welcher Informationsbasis sie ihre Entscheidungen treffen. In evidenten Einzelfällen stehen zudem allgemeine zivilrechtliche Instrumente bereit, um einer Benachteiligung aufgrund von Informationsdefiziten entgegenzuwirken,554 zum Beispiel Schadensersatzansprüche aufgrund einer Verletzung von Informationspflichten oder im äußersten Fall eine Sittenwidrigkeit der Vereinbarung. Nach alledem sollten die spezifischen Informationsprobleme in der OHG nicht den Ausschlag für eine allgemeine Unabdingbarkeit der Treuepflicht geben. 3. Normative Anknüpfung an § 705 BGB Neben tatsächlichen Besonderheiten besteht bei der OHG eine normative Besonderheit – § 705 BGB. Er statuiert, dass sich die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag verpflichten, die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes zu fördern. Es könnte argumentiert werden, dass durch eine Abbedingung der Treuepflicht die Gesellschafter nicht mehr zur Zweckförderung verpflichtet sind – mit anderen Worten: „dass sich das für Verbände charakteristische gemeinsame Interesse dann

550 Zu Aufklärungspflichten der Gesellschafter unten Teil 3 – C.IV. und für die GmbH oben Teil 3 – A.IX.6. 551 s. o. Teil 3 – A.IV.2.c). 552 s. o. ebd. 553 Dazu unten Teil 3 – C.IV. und für die GmbH oben Teil 3 – A.IX.6. 554 Aus der US-amerikanischen Lit. vgl. Hynes, 58 Law & Contemp. Probs. 29, 46 (1995).

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

überhaupt verflüchtigt“555. Daraus könnte geschlossen werden, dass eine Abbedingung der Treuepflicht gegen § 705 BGB verstößt. Jedoch verlangt § 705 BGB nur, dass die Vertragsparteien sich verpflichten, den Zweck, „in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern.“ Die Treuepflicht ist zwar eine Art, zur Zweckförderung anzuhalten, aber sie ist nicht die einzige – beispielsweise können Einzelpflichten vereinbart werden, die zur Zweckförderung anhalten, und es können andere rechtliche und außerrechtliche Mechanismen dafür Sorge tragen, dass die Gesellschafter den gemeinsamen Zweck verfolgen.556 Solche Pflichten und Mechanismen können erreichen, dass sich das Gesellschaftsinteresse nicht verflüchtigt und dass die Gesellschafter noch immer zur Zweckförderung verpflichtete sind. Folglich ergibt sich aus der normativen Wertung des § 705 BGB keine abweichende Bewertung der Abdingbarkeit. 4. Abschließende Bewertung der materiellen Abdingbarkeit Da sich aus den Unterschieden keine abweichende Bewertung ergibt, ist die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als solche im Gesellschafterbereich in der geschlossenen OHG de lege lata grundsätzlich abdingbar und modifizierbar. Das gilt sowohl für die Treuepflicht gegenüber der Gesellschaftergesamtheit als auch für die Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern. Erst recht ist damit die generelle Abbedingung des Stimmverbots analog § 47 Abs. 4 GmbHG möglich. Eine Disposition über die Treuepflicht oder ihre Ausprägungen kann jedoch im Einzelfall nach allgemeinen Regeln nichtig sein. Außerdem verbleiben nach Abbedingung der Treuepflicht andere Pflichten und allgemeine Institute.

IV. Prozedurale und formale Anforderungen Für die prozeduralen Anforderungen kann sich weitgehend an den Ausführungen zur Abdingbarkeit der Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich in der geschlossenen GmbH orientiert werden.557 Einige Umstände sind aber hervorzuheben: Nach der Rechtsprechung des BGH bildet der Gesellschaftsvertrag „die Grundlage der gesellschafterlichen Treuepflicht und bestimmt damit auch deren Inhalt und Umfang“.558 Der BGH geht somit davon aus, dass Modifizierungen der Treuepflicht der Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag vorzunehmen sind. Das gilt erst recht für eine vollständige Abbedingung der Treuepflicht im Gesellschafterbereich. Folgerichtig ist in der OHG nach allgemeinen Regeln eine formlose Zustimmung sämtlicher 555

Koppensteiner, GesRZ 2009, 197, 199; krit. dazu aber Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289, 1295. 556 s. o. Teil 2 – A.III.; Teil 2 – A.IV. 557 Dazu oben Teil 3 – A.IX. 558 BGH, Urt. v. 09. 06. 2015 – II ZR 420/13, NZG 2015, 995, 996, Rn. 23; vgl. auch BGH, Urt. v. 25. 01. 2011 – II ZR 122/09, NZG 2011, 510, Rn. 21.

C. Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der OHG

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Gesellschafter für eine Abbedingung der Treuepflicht erforderlich, sofern sich keine abweichende Regelung im Gesellschaftsvertrag findet.559 Inhaltlich ist dabei die „Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft und gegenüber den Gesellschaftern inklusive ihrer Ausprägungen“ hinreichend. Denn trotz derzeitiger Unsicherheiten bezüglich des Begriffs der Treuepflicht wird mit dieser Beschreibung der Abbedingungsgegenstand hinreichend bestimmt; so geben Eigenschaften der Treuepflicht, die bereits in der gegenwärtigen Rechtswissenschaft bekannt sind beziehungsweise vorausgesetzt werden, hinreichend Aufschluss.560 In Betracht kommen weitergehende Anforderungen aufgrund von § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB, der die Zustimmung aller Mitglieder bei Änderung des Gesellschaftszwecks gebietet. In der OHG ist jedoch bereits für eine einfache Änderung des Gesellschaftsvertrags im Regelfall Einstimmigkeit notwendig.561 Selbst, wenn § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB einschlägig ist, wird er deswegen grundsätzlich die prozeduralen Voraussetzungen nicht verändern. Verändern kann er die prozeduralen Anforderungen nur, wenn die Gesellschafter für die Abbedingung der Treuepflicht im Gesellschaftsvertrag ein geringeres Quorum vorgesehen haben. Für diesen Fall ist aber zu bedenken, dass von § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB im Gesellschaftsvertrag abgewichen werden kann.562 Außerdem ist § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB nur einschlägig, wenn die Abbedingung der Treuepflicht einer Änderung des Gesellschaftszwecks gleichkommt. Eine Abbedingung der Treuepflicht wird aber im Regelfall keiner Änderung des Gesellschaftszwecks gleichkommen, da der Gesellschaftszweck als solcher nicht angetastet wird und die Gesellschafter noch immer von Einzelpflichten, allgemeinen Instituten und außerrechtlichen Instrumenten an den Gesellschaftszweck gebunden werden.563 Somit folgen aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB in der Regel keine weiteren prozeduralen Anforderungen an eine Abbedingung der Treuepflicht im Gesellschafterbereich der OHG. Aus dem Bestimmtheitsgrundsatz und der Kernbereichslehre ergeben sich rechtstatsächlich ebenfalls keine weiteren prozeduralen Anforderungen an eine Abbedingung der Treuepflicht, da Bestimmtheitsgrundsatz und Kernbereichslehre als solche von der Rechtsprechung aufgegeben wurden.564 Vom Abschluss des Gesellschaftsvertrags bis zu ihrer Abbedingung bindet die Treuepflicht die Gesellschafter an das Interesse der Gesellschaftergesamtheit und an die gesellschaftsbezogenen Interessen der Mitgesellschafter. Sie kann auch schon vor Abschluss des Gesellschaftsvertrags und gegenüber einem potentiellen Gesellschafter Wirkung entfalten, wenn die Kontrolle über eine fremde Rechtsposition

559 560 561 562 563 564

Vgl. § 119 HGB; Roth, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 119 Rn. 2. Vgl. oben Teil 2 – A.I.3. Vgl. § 119 HGB; Roth, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 119 Rn. 1. Vgl. § 40 BGB. Dazu ausf. für den Geschäftsleiterbereich der GmbH oben Teil 3 – A.IX.3. Dazu ausf. mit umfangr. Nachw. oben Teil 3 – A.IX.5.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

objektiv anvertraut wurde.565 In beiden Fällen kann die Treuepflicht die Gesellschafter dazu zwingen, Informationsasymmetrien auszugleichen, und sie kann gebieten, die Interessen der Mitstreiter bei ihrer Abbedingung angemessen zu berücksichtigen.566 Neben der Treuepflicht selbst ist zudem der Gleichbehandlungsgrundsatz zu berücksichtigen.567

V. Zwischenergebnis in Thesen 1. Die hergebrachte Meinung hält die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der Gesellschafter in einer geschlossenen OHG nicht für vollständig abdingbar. Allerdings soll es möglich sein, die Treuepflicht zu modifizieren, zu konkretisieren und zu begrenzen. Nicht gänzlich eliminieren können die Gesellschafter aber mit der herrschenden Meinung das Stimmrechtsverbot analog § 47 Abs. 4 GmbHG. 2. Es bestehen bei Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im Gesellschafterbereich in OHG und bei Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich in der geschlossenen GmbH einige Gemeinsamkeiten: Der Abbedingungsgegenstand ist vergleichbar. Die Treuepflicht schützt nur das Interesse der Gesellschaftergesamtheit, nicht das Interesse anderer Stakeholder. Individualinteressen der Minderheit sind für die materielle Abdingbarkeit irrelevant. Es stehen keine bedeutenden Kollektivinteressen einer Abdingbarkeit entgegen. Aus Rationalitätsdefiziten kann nicht zuverlässig auf Selbstbestimmungsdefizite der Akteure geschlossen werden. Sowohl die formelle als auch die materielle Entscheidungsfreiheit der Akteure spricht einer Unabdingbarkeit entgegen. Das Wesen der Gesellschaft, die Treuepflicht als überpositives Rechtsprinzip, Treu und Glauben als zwingendes Rechtsinstitut und § 276 Abs. 3 BGB sind nicht in der Lage, ihre Unabdingbarkeit normativ zu begründen. Eine Inhaltskontrolle aufgrund von Treu und Glauben ist nicht vorzunehmen. Eine Anknüpfung der Unabdingbarkeit an § 138 Abs. 1 BGB ist zwar möglich, § 138 Abs. 1 BGB verlangt aber einen Extremfall. 3. Aus der abweichenden Rechtsform und dem unterschiedlichen Anwendungsbereich ergeben sich Besonderheiten; insbesondere bestehen im Gesellschafterbereich der OHG spezifische Risikofaktoren für opportunistisches Verhalten, spezifische Informationsprobleme und mit § 705 BGB eine normative Besonderheit. Diese Umstände wiegen jedoch nicht so schwer, dass sie den Ausschlag zur allgemeinen Unabdingbarkeit der Treuepflicht geben. 4. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der Gesellschafter in einer geschlossenen OHG ist als solche de lege lata grundsätzlich abdingbar und modifizierbar. Das gilt sowohl für die Treuepflicht gegenüber der Gesellschaftergesamtheit als auch für die Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern. Erst recht ist die generelle Abbe565 566 567

Dazu ausf. für die GmbH oben Teil 3 – A.IX.6. Dazu ausf. für die GmbH oben ebd. Dazu für die GmbH oben Teil 3 – A.IX.7.

D. Abdingbarkeit im Allgemeinen

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dingung des Stimmverbots analog § 47 Abs. 4 GmbHG möglich. Eine Disposition über die Treuepflicht oder ihre Ausprägungen kann jedoch im Einzelfall nach allgemeinen Regeln nichtig sein. Außerdem verbleiben nach Abbedingung der Treuepflicht andere Pflichten und allgemeine Institute. 5. Für eine Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als solcher ist im Gesellschafterbereich in der geschlossenen OHG die Festschreibung im Gesellschaftsvertrag notwendig. Dabei ist die Statuierung der „Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft und gegenüber den Gesellschaftern inklusive ihrer Ausprägungen“ hinreichend. Bei Abbedingung der Treuepflicht können insbesondere prozedurale Voraussetzungen aus ihr selbst zu beachten sein. Sie kann die Parteien dazu zwingen, Informationsasymmetrien auszugleichen beziehungsweise das Interesse der anderen Akteure zu berücksichtigen. Hingegen folgen in der Regel keine weiteren Voraussetzungen aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB, der Kernbereichslehre und dem Bestimmtheitsgrundsatz.

D. Abdingbarkeit im Allgemeinen Die Treuepflicht kommt in diversen Gesellschaftsformen sowohl im Geschäftsleiterbereich als auch im Gesellschafterbereich vor, wobei die verschiedenen Gesellschaftsformen wiederum unterschiedlichen Realtyps sein können. Damit ergibt sich für die Frage nach der Abdingbarkeit der Treuepflicht ein weites Feld von Variationen. Es kann hier nicht auf jede einzelne dieser Variationen eingegangen werden. Mit der Abdingbarkeit der Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich der geschlossenen GmbH, der Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der offenen Aktiengesellschaft und der Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der geschlossenen OHG wurden aber bereits wichtige Eckpunkte ausgeleuchtet. Dabei zeigten sich einige Unterschiede, aber auch gewichtige Gemeinsamkeiten. Diese Erkenntnisse bieten sich nun an, um aus ihnen allgemeine Schlüsse für sämtliche Bereiche zu ziehen und ebenso um Ausnahmen für einzelne Bereichsgruppen herauszukristallisieren.

I. Verallgemeinerungsbare Erkenntnisse Bereits zu Beginn der Abhandlung wurde ein verallgemeinerungsbarer Umstand erarbeitetet – Der Begriff der Treuepflicht.568 Seine Konstanz in den verschiedenen Bereichen führte dazu, dass der Abbedingungsgegenstand in allen besprochenen Bereichen strukturell identisch war. Daraus folgten weitere Gemeinsamkeiten:569 In allen Bereichen war der Individualschutz anderer Stakeholder der Gesellschaft als 568 569

s. o. Teil 2 – A.I. s. o. Teil 3 – B.II.; Teil 3 – C.II.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

tragendes Argument für eine Unabdingbarkeit der Treuepflicht abzulehnen. Gleichermaßen waren Minderheitsschutz und Schutz der Interessen zukünftiger Gesellschafter für die materielle Abdingbarkeit der Treuepflicht irrelevant. Ebenfalls waren Überwachungskosten für den Geschäftsverkehr, Kosten aus einem Verlust der expressiven Funktion der Treuepflicht, Kosten aufgrund steigender Komplexität von Gesellschafts- und Anstellungsverträgen und Kosten, die aus einem Verständnisverlust über die Treuepflicht entstehen, in keinem Bereich bedeutend genug, um eine Unabdingbarkeit der Treuepflicht zu begründen. Gleiches galt für den Schutz vor Rationalitätsdefiziten der Akteure. Zudem sprach in allen Bereichen die Vertragsfreiheit der Parteien gegen eine Unabdingbarkeit der Treuepflicht. Weiterhin konnte eine materielle Unabdingbarkeit in keinem Fall an das Wesen der Gesellschaft, an die Treuepflicht als zwingendes Rechtsprinzip, an Treu und Glauben als zwingendes Rechtsinstitut, an § 276 Abs. 3 BGB, an eine Perplexität des Rechtsverhältnisses oder an die Treuepflicht selbst angeknüpft werden. § 138 Abs. 1 BGB stand in allen Bereichen zur Anknüpfung bereit, für ihn war jedoch überall eine gewisse Evidenz erforderlich. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, dass diese Gemeinsamkeiten nicht für die anderen Variationen der Abdingbarkeit Geltung beanspruchen. Aus dem unterschiedlichen Umfeld der Treuepflicht folgten zudem einige Besonderheiten in den verschiedenen Bereichen, die nicht den Ausschlag zu einer Unabdingbarkeit der Treuepflicht geben konnten:570 In den verschiedenen Bereichen bestanden zunächst verschiedene Risikofaktoren für opportunistisches Verhalten des Treueverpflichteten. Es traten aber überall Nebenwirkungen der Treuepflicht auf. Zudem konnten in allen Bereichen andere Schutzmechanismen neben der Treuepflicht aufgezeigt werden. Die unterschiedlichen Risikofaktoren führten deswegen nirgendwo zu einer typischen objektiven Sinnlosigkeit der Abbedingung und konnten damit nicht die Unabdingbarkeit der Treuepflicht begründen. In manchen Bereichen lag zudem ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht näher als in anderen Bereichen. In sämtlichen Bereichen war es jedoch für den Verpflichteten sinnvoller, ein gegebenenfalls bestehendes allgemeines Verhandlungsungleichwicht mit einem überhöhten Preis auszunutzen und nicht für die Vereinbarung einer ineffizienten Nebenklausel zu verwenden. Ein allgemeines Verhandlungsungleichgewicht konnte deswegen nirgendwo eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. In manchen Bereichen fanden sich weiterhin besondere Indizien für Informationsdefizite der Akteure bei Abbedingung der Treuepflicht. Eine unterschiedliche Behandlung war jedoch abermals abzulehnen, insbesondere weil die Informationsdefizite problemlos relativiert werden können, indem die Akteure die Treuepflicht als Standardregel akzeptieren, und weil überall gewisse Aufklärungspflichten bestehen. Schließlich ist noch § 705 BGB als Besonderheit des Gesellschafterbereichs zu nennen. § 705 BGB führte aber zu keinem anderen Ergebnis, da er sich als Anknüpfungspunkt für die Unabdingbarkeit der Treuepflicht nicht eignet. Es ist kein

570

s. o. Teil 3 – B.III.1.; Teil 3 – B.III.2.; Teil 3 – C.III.

D. Abdingbarkeit im Allgemeinen

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Grund dafür ersichtlich, dass eine dieser Besonderheiten in einer anderen Variation der Abdingbarkeit zu differierenden Ergebnissen führt.

II. Ausnahmen 1. § 23 Abs. 5 AktG (Satzungsstrenge) bei Aktiengesellschaften Neben verallgemeinerungsbaren Erkenntnissen treten in manchen Bereichen aber auch relevante Ausnahmen auf. Mit der Satzungsstrenge wurde bereits eine der Ausnahmen dargelegt. Sie gab im Geschäftsleiterbereich der offenen Aktiengesellschaft den Ausschlag zur Unabdingbarkeit der Treuepflicht als solcher und beschränkte ebenfalls die Abdingbarkeit ihrer Ausprägungen, obwohl dies aus tatsächlichen Gründen nicht geboten schien.571 Die Satzungsstrenge gemäß § 23 Abs. 5 AktG gilt dem Wortlaut nach nicht nur für offene, sondern für alle Aktiengesellschaften. Nun wird teilweise eine restriktive Auslegung der Norm vertreten, weil sie weit über das Ziel hinausschieße; denn sie unterscheide nicht zwischen Gesellschaftstypen, obwohl die standardisierende Wirkung des § 23 Abs. 5 AktG lediglich bei börsennotierten Papieren notwendig sei.572 Wenn diese Erwägung aber zur Reduktion der Satzungsstrenge führte, hätte sie konsequenterweise zur Folge, dass die Satzungsstrenge keinerlei Anwendung auf geschlossene Aktiengesellschaften findet. Eine solch pauschale Ausnahme von geschlossenen Gesellschaften aus dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 5 AktG sprengt die Gesetzesauslegung.573 Für Entscheidungen dieser Art ist alleine der Gesetzgeber legitimiert. Solange keine Gesetzesänderung erfolgt,574 ist die Treuepflicht als solche damit gemäß § 23 Abs. 5 AktG im Geschäftsleiterbereich bei allen Aktiengesellschaften unabdingbar. Zudem sind die Ausprägungen der Treuepflicht lediglich im Sinne von § 88 Abs. 1 AktG beschränkbar.575 Weiterhin ist kein Grund ersichtlich, die Treuepflicht als solche im Geschäftsleiterbereich aufgrund § 23 Abs. 5 AktG als zwingend anzusehen und im Gesellschafterbereich von § 23 Abs. 5 AktG auszunehmen. Nach alledem gilt aufgrund von § 23 Abs. 5 AktG eine Ausnahme von der dargelegten Abdingbarkeit der Treuepflicht in allen Bereichen sämtlicher Aktiengesellschaften.

571

s. o. Teil 3 – B.III.3. Vgl. Hopt, in: Gestaltungsfreiheit im GesR, ZGR Sonderheft Nr. 13, 1998, S. 123, 144 f. 573 Dazu auch Fleischer/Kalss, AG 2013, 693, 700 ff., 703. 574 Zmd. für eine Lockerung des § 23 Abs. 5 AktG bei geschlossenen Gesellschaften durch Gesetzesänderung sprechen noch weitere gute Gründe, dazu Bayer, in: Verhandlungen des 67. DJT, 2008, S. E1–E129, E81 ff. Auch diese Gründe sind aber lediglich rechtspolitischer Natur. Sie können für eine Gesetzesänderung sprechen, aber haben keinen Einfluss auf die gegenwärtige Rechtslage. 575 Dazu ausf. oben Teil 3 – B.III.3. 572

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

2. Offene Gesellschaften ohne hinreichend effizienten Markt Weiterhin stehen zwei tatsächliche Besonderheiten im Raum. Sie knüpfen an einen bestimmten Gesellschaftstyp: Die offene Gesellschaft ohne hinreichend effizienten Markt.576 Das ist eine Gesellschaft, die eine Vielzahl von Gesellschaftern hat, deren Gesellschafter nicht an der Geschäftsführung teilnehmen, deren Anteile fungibel sind und deren Anteile zwar gehandelt werden, jedoch in so geringem Maße, dass sich kein hinreichend effizienter Markt entwickelt. Soweit es sich dabei um Aktiengesellschaften handelt, ist die Treuepflicht ohnehin aufgrund der Satzungsstrenge unabdingbar. Die tatsächlichen Besonderheiten sind deswegen dort irrelevant. Die tatsächlichen Besonderheiten können aber bei offenen Gesellschaften ohne hinreichend effizienten Markt relevant werden, die nicht Aktiengesellschaften sind – etwa Publikumspersonengesellschaften. Es wurde gezeigt, dass Transaktionskosten in offenen Gesellschaften für zukünftige Gesellschafter bei Anteilserwerb eine größere Rolle spielen als bei geschlossenen Gesellschaften.577 Dem wurde entgegengehalten, dass ein weitgehend effizienter Kapitalmarkt bei offenen Gesellschaften bereits eine Abbedingung der Treuepflicht einpreist und damit die Transaktionskosten bekämpfen kann.578 Der Mechanismus fehlt bei offenen Gesellschaften ohne einen hinreichend effizienten Markt. Er kann die Transaktionskosten also dort nicht bekämpfen. Aufgrund des geringeren Handelsvolumens bei offenen Gesellschaften ohne hinreichend effizienten Markt fallen die Transaktionskosten jedoch seltener an. Daher sind sie im Aggregat geringer. Zudem können die zukünftigen Gesellschafter ohne Probleme auf einen effizienteren Markt ausweichen. Auf die Weise steht es ihnen frei, die Transaktionskosten zu vermeiden. Insoweit verliert dieses Kollektivinteresse an Bedeutung. Es wurde aber weiterhin dargelegt, dass Informationsdefizite zukünftiger Gesellschafter beim Anteilserwerb an offenen Gesellschaften häufiger auftreten als beim Erwerb von Anteilen an geschlossenen Gesellschaften. Dem wurde erneut ein weitgehend effizienter Kapitalmarkt entgegengehalten. So wurde gezeigt, dass durch einen effizienten Kapitalmarkt unbekannte Informationen bereits eingepreist sind und dadurch etwaige Defizite der zukünftigen Gesellschafter relativiert werden.579 Bei der offenen Gesellschaft ohne einen hinreichend effizienten Markt existiert der Mechanismus nicht. Er kann Informationsdefizite daher nicht bekämpfen. Informationsasymmetrien kann jedoch noch immer mit Aufklärungspflichten entgegengetreten werden, die beispielsweise aus der Treuepflicht selbst folgen. Zudem ist

576 Zur Sonderbehandlung einer solchen Gesellschaft kurz auch Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 792. 577 s. o. Teil 3 – B.III.1.a). 578 s. o. Teil 3 – B.III.1.b). 579 Zum Vorst. s. o. Teil 3 – B.III.2.c).

D. Abdingbarkeit im Allgemeinen

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es grundsätzlich den Akteuren anheimgestellt, über ihre Entscheidungsgrundlage frei zu bestimmen. Somit verliert dieser Einwand an Bedeutung. 3. Inhaltskontrolle als Ausgleichsmechanismus Sollte trotz der vorstehenden Ausführungen eine Schutzlücke bei offenen Gesellschaften ohne hinreichend effizienten Markt bestehen, gibt es abseits der Satzungsstrenge bereits ein Mittel, das hierauf reagiert: Die flexible Inhaltskontrolle von Gesellschaftsverträgen aufgrund von Treu und Glauben.580 Die Inhaltskontrolle kommt speziell bei Publikumsgesellschaften zum Einsatz.581 Dort wird sie vorwiegend damit begründet, dass die Gesellschafter einen vorgefertigten Formularvertrag unterzeichnen auf dessen Gestaltung sie keinen Einfluss haben.582 Insbesondere können dabei Informationsdefizite dafür sprechen, dass den Parteien der notwendige Einfluss auf die Gestaltung des Vertrags fehlt.583 Damit ist mit der Inhaltskontrolle im Einzelfall die Korrektur einer Abbedingung der Treuepflicht möglich, wenn sich die dargestellten Risiken verwirklichen.584 Folglich ist abseits der Satzungsstrenge eine generelle Ausnahme von der grundsätzlichen Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht bei offenen Gesellschaften ohne hinreichend effizienten Markt nicht vorzunehmen. Stattdessen kommt der Inhaltskontrolle aufgrund von Treu und Glauben im Einzelfall besondere Bedeutung zu.585 Auch bei dieser Kontrolle sollte aber Zurückhaltung gewahrt werden. Dem Richter sollte insbesondere bewusst sein, dass Rationalitätsdefizite nicht nur die Parteien, sondern auch ihn ereilen können.586

III. Prozedurale und formale Anforderungen Bei den prozeduralen und formalen Anforderungen an eine Abbedingung der Treuepflicht bestehen zunächst verallgemeinerungsbare Umstände. Das ergibt sich daraus, dass die maßgebliche Rechtsgrundlage der Treuepflicht bei sämtlichen 580 Grundlegend zur Inhaltskontrolle aufgrund von Treu und Glauben bei Gesellschaftsverträgen BGHZ 64, 238; nach Vorarbeit von Fischer, DRiZ 1974, 209; Fischer, in: FS Barz, 1974, S. 33, 37 ff.; Wiedemann, in: FS Westermann, 1974, S. 585, 590 f.; ausf. zur Inhaltskontrolle aufgrund von Treu und Glauben von Gesellschaftsverträgen Hey, Gestaltungsfreiheit, 2004, S. 292 ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle, 1992, S. 124 ff. 581 Vgl. BGHZ 64, 238; vgl. auch Fischer, in: FS Barz, 1974, S. 33, 38 f. 582 Vgl. BGHZ 64, 238, 241. 583 Dazu BGHZ 101, 350, 354. 584 Für eine Inhaltskontrolle bei einer Abbedingung der Treuepflicht in Publikumsgesellschaften auch Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 793 f. 585 Für eine Inhaltskontrolle bei Publikumspersonengesellschaften auch Hellgardt, in: FS Hopt, 2010, S. 765, 793. 586 Zu Rationalitätsdefiziten des Richters ausf. oben Teil 2 – C.II.3.

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Teil 3: Konkrete Diskussion um die Abdingbarkeit

Abbedingungsvariationen nahezu identisch ist: Die Treuepflicht fußt überall auf dem Gesellschaftsvertrag beziehungsweise auf dem Organverhältnis, das im Gesellschaftsvertrag ausgestaltet wird.587 Zwar gründet die Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich noch zusätzlich im Anstellungsvertrag,588 jedoch sind in der Regel die Anforderungen an eine Festschreibung im Gesellschaftsvertrag höher als die Anforderungen an die Festschreibung im Anstellungsvertrag. Deswegen macht die zusätzliche Rechtsgrundlage der Treuepflicht im Anstellungsvertrag typischerweise keinen signifikanten Unterschied.589 Für eine Abbedingung der Treuepflicht ist damit überall eine Festschreibung im Gesellschaftsvertrag maßgeblich. Die konkreten Anforderungen an diese Festschreibung differieren aber freilich in den verschiedenen Bereichen. So ist bei der OHG auch bei nachträglicher Abbedingung in der Regel Einstimmigkeit notwendig,590 und in der GmbH genügt bei der nachträglichen Abbedingung typischerweise eine Dreiviertelmehrheit.591 Es bestehen noch andere verallgemeinerungsbare Umstände bezüglich der formalen und prozeduralen Anforderungen an die Abbedingung der Treuepflicht. Aufgrund des strukturell gleichen Abbedingungsgegenstands sind die inhaltlichen Anforderungen an eine Abbedingung der Treuepflicht in allen überprüften Variationen identisch. So genügt es in sämtlichen Bereichen, zu statuieren, dass die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht des Geschäftsleiters beziehungsweise des Gesellschafters inklusive ihrer Ausprägungen abbedungen wird.592 Weiterhin können in allen überprüften Bereichen zusätzliche Anforderungen aus der Treuepflicht selbst folgen. Die Treuepflicht gebietet überall, dass die Akteure gewisse Informationsasymmetrien ausgleichen und gegebenenfalls die Interessen der anderen Parteien angemessen berücksichtigen.593 Es ist kein Grund ersichtlich, warum diese Anforderungen nicht für die anderen Bereiche Geltung beanspruchen sollten. Zudem ist mangels entgegenstehender Umstände ebenfalls verallgemeinerungsbar, dass grundsätzlich keine weiteren Anforderungen aus § 33 Abs. 1 Satz 1 BGB folgen und dass keine weiteren Anforderungen aus Bestimmtheitsgebot sowie Kernbereichslehre erwachsen.

IV. Zwischenergebnis in Thesen 1. Die Erkenntnisse aus den speziellen Bereichen zur materiellen Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sind weitgehend verallgemeinerungsbar. 587 588 589 590 591 592 593

s. o. Teil 2 – A.V. Vgl. Fleischer, WM 2003, 1045, 1046 m. w. N. Dazu auch bereits oben Teil 3 – A.IX.2. Vgl. § 119 Abs. 1 HGB; Roth, in: Baumbach/Hopt, HGB, § 119 Rn. 1. Vgl. § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG. s. o. Teil 3 – A.IX.2.; Teil 3 – C.IV. s. o. Teil 3 – A.IX.6.; Teil 3 – C.IV.

D. Abdingbarkeit im Allgemeinen

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Damit ist die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als solche de lege lata grundsätzlich abdingbar und modifizierbar. Gleiches gilt für einzelne Ausprägungen. Eine Ausnahme besteht in Aktiengesellschaften, soweit die Satzungsstrenge entgegensteht. In anderen Bereichen kann im Einzelfall eine Disposition über die Treuepflicht nach allgemeinen Regeln verhindert werden. Dabei ist in offenen Gesellschaften die Inhaltskontrolle aufgrund von Treu und Glauben zu beachten, besonders wenn kein hinreichender Markt für die Gesellschaftsanteile besteht. In jedem Fall verbleiben nach einer Abbedingung der Treuepflicht andere Pflichten und allgemeine Institute, die teilweise unabdingbar sind. 2. Auch die Erkenntnisse zu den prozeduralen Anforderungen in den speziellen Bereichen sind weitgehend verallgemeinerungsbar. Für eine Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als solcher ist damit die Festschreibung im Gesellschaftsvertrag und gegebenenfalls im Anstellungsvertrag notwendig. Die Anforderungen an eine Festschreibung im Gesellschaftsvertrag können aber je nach Gesellschaftsform im Detail variieren. In jedem Fall ist inhaltlich die Statuierung der „Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht inklusive ihrer Ausprägungen“ hinreichend. Zudem sind bei Abbedingung der Treuepflicht prozedurale Voraussetzungen aus ihr selbst zu beachten. Die Treuepflicht kann die Parteien dazu zwingen, Informationsasymmetrien auszugleichen beziehungsweise das Interesse der anderen Akteure zu berücksichtigen. Hingegen folgen in der Regel keine weiteren Voraussetzungen aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB, der Kernbereichslehre und dem Bestimmtheitsgrundsatz.

Teil 4

Zusammenfassung in Thesen A. Gegenstand der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht 1. Es findet sich weder im Geschäftsleiterbereich noch im Gesellschafterbereich eine leistungsfähige kompakte Begriffsbeschreibung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht. Dieser Befund stimmt nicht nur mit gängigen Feststellungen in der Literatur überein, für ihn gibt es auch eine Erklärung: Eine solche Begriffsbeschreibung war nicht notwendig, solange es um Existenz und Anwendung der Treuepflicht ging. Mit der Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht wird ihre exakte Eingrenzung jedoch unverzichtbar. 2. Das Verhältnis der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zu anderen Pflichten und allgemeinen Instituten – etwa dem Institut des Rechtsmissbrauchs oder dem Institut der ergänzenden Vertragsauslegung – ist weitgehend ungeklärt. Dieses Verhältnis muss ergründet werden, bevor in die Diskussion um die Abdingbarkeit der Treuepflicht eingestiegen wird. 3. Eine leistungsfähige Begriffsbeschreibung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sollte gemeinsam für Geschäftsleiterbereich und Gesellschafterbereich ermittelt werden. Das gilt auch für die Erforschung des Verhältnisses der Treuepflicht zu ihrer Umgebung. Denn obwohl in der Literatur zuweilen der Eindruck entsteht, die Treuepflicht trage in verschiedenen Anwendungsbereichen nur zufällig denselben Namen, bestehen bezüglich des Begriffs der Treuepflicht und ihrem Verhältnis zu anderen Pflichten und allgemeinen Instituten im Geschäftsleiterbereich und im Gesellschafterbereich keine strukturellen Unterschiede. 4. Nach Analyse der hergebrachten gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ist sie eine Pflicht, die speziell die Kontrolle über eine anvertraute fremde Rechtsposition kompensieren soll und dabei eine Offenheit wahrt, indem sie an den Entscheidungsprozess des Treueverpflichteten anknüpft und diesen dahingehend verbindlich regelt, dass der Treueverpflichtete bei Tätigkeit im fremden Interessenskreis allgemein und vorrangig die Ziele des Treueberechtigten für seine Entscheidungen ansetzen muss beziehungsweise bei Tätigkeit im auch-fremden Interessenkreis die Ziele des Treueberechtigten allgemein und angemessen berücksichtigen muss. Vom Gegenstand der Treuepflicht sind ebenfalls ihre typisierten Ausprägungen umfasst. Sie regeln direkt eine Handlung, aber wahren die Offenheit auf andere Art. Die typisierten Ausprägungen können namentlich an einen offenbaren Interessenkonflikt

B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH

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knüpfen oder einer Ermessensreduzierung auf Null entspringen. Typisierte Ausprägungen der Treuepflicht sind beispielsweise die Geschäftschancenlehre, das Wettbewerbsverbot, die Angemessenheitskontrolle von Eigengeschäften mit dem Treueberechtigten, der Stimmrechtsausschluss und die Pflicht zur Änderung des Gesellschaftsvertrags. Zum Gegenstand der Treuepflicht gehören hingegen weder andere vertragliche und gesetzliche Pflichten noch allgemeine Institute wie der Rechtsmissbrauch, die Vertragsauslegung oder die Sittenwidrigkeit. Die Abgrenzung zu anderen Pflichten und allgemeinen Instituten ist mithilfe der abgeleiteten Begriffsbeschreibung möglich. Jedoch verbleiben im konkreten Einzelfall Unsicherheiten. Zudem kann eine Abbedingung der Treuepflicht mittelbar Auswirkung auf die Anwendung der anderen Pflichten und auf die Anwendung der allgemeinen Institute haben. 5. Neben der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht gibt es eigenständige außerrechtliche Mechanismen, die Anreize setzen können, die Ziele des Treueberechtigten zu verfolgen. Zwar haben solche Mechanismen individuelle Schwächen, sie tragen aber ihren Teil zur Kompensation der anvertrauten Kontrolle bei. Zu nennen sind internalisierte Moralvorstellungen, persönliche Bindungen, das Reputationsinteresse, unmittelbare monetäre Anreize sowie der Kapital-, Produkt- und Arbeitsmarkt.

B. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der GmbH 1. Die hergebrachte Meinung hält die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht des Geschäftsleiters einer geschlossenen GmbH als solche für nicht abdingbar, wogegen sich aber neuerdings auch substantiierte Kritik erhebt. Hinreichend bestimmte Ausprägungen der Treuepflicht werden grundsätzlich als abdingbar angesehen, was im Besonderen für das Wettbewerbsverbot und die Geschäftschancenlehre gilt. Weiterhin soll der Inhalt der Treuepflicht begrenzt und konkretisiert werden können. Zudem wird angenommen, dass einzelne Zuwiderhandlungen gegen die Treuepflicht in hohem Maße einwilligungsfähig sind. 2. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht des Geschäftsleiters einer geschlossenen GmbH ist als solche de lege lata grundsätzlich abdingbar. Als Minus hierzu können ebenfalls einzelne Ausprägungen der Treuepflicht eliminiert werden, die Treuepflicht kann konkretisiert und begrenzt werden und es ist möglich, in individuelle Zuwiderhandlungen gegen die Treuepflicht einzuwilligen. Bei alledem sind andere Pflichten und allgemeine Institute als solche nicht betroffen, wobei manche dieser allgemeinen Institute unabdingbar sind. Im Einzelfall kann die Disposition über die Treuepflicht nach allgemeinen Regeln unwirksam sein, wofür aber konkrete und gewichtige Tatsachen hinzukommen müssen. So kommt eine Sittenwidrigkeit in Betracht, wenn die Vereinbarung ausnahmsweise evident unangemessen ist und eine strukturelle Unterlegenheit vorliegt. Zudem kommt ein Verstoß gegen die Treue-

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Teil 4: Zusammenfassung in Thesen

pflicht selbst in Betracht, wenn sie bei Abbedingung bereits besteht und ihre Abbedingung ausnahmsweise ein evidentes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung zur Folge hat. 3. In der deutschen Rechtwissenschaft finden sich bislang kaum Ausführungen zu den prozeduralen und formalen Anforderungen an eine Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als solcher. Für den Geschäftsleiterbereich der GmbH beziehen Hellgardt und Kampf Stellung: Sie fordern aufgrund § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB einen einstimmigen Beschluss sämtlicher Gesellschafter. Dagegen werden die prozeduralen und formalen Anforderungen bei der Abbedingung einzelner Ausprägungen der Treuepflicht ausführlicher besprochen. Mit gängiger Dogmatik kann etwa das Wettbewerbsverbot anfänglich und nachträglich in der Satzung eliminiert werden. Zudem kann in der Satzung anfänglich und nachträglich eine Öffnungsklausel vereinbart werden, die eine punktuelle Befreiung durch einfachen Gesellschafterbeschluss zulässt oder eine generelle Befreiung gestattet. Bei alledem bedarf es nicht der Einstimmigkeit aufgrund § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB. Jedoch ist mit der herrschenden Meinung der Stimmenrechtsausschluss gemäß § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG zu beachten. 4. Für die anfängliche Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als solcher ist im Geschäftsleiterbereich in der geschlossenen GmbH de lege lata eine Vereinbarung sämtlicher Gesellschafter in der Satzung und eine Festschreibung im Anstellungsvertrag notwendig. Dabei ist inhaltlich die Statuierung der „Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht des Geschäftsleiters inklusive ihrer Ausprägungen“ hinreichend. Bei nachträglicher Abbedingung sind insbesondere die allgemeinen Voraussetzungen einer Satzungsänderung zu erfüllen. Anstelle der Satzungsänderung kann die nachträgliche Abbedingung auch aufgrund einer ursprünglich bestehenden oder nachträglich eingefügten Öffnungsklausel erfolgen. Es ergeben sich bei alledem in der Regel keine weiteren Anforderungen aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB, der Kernbereichslehre und dem Bestimmtheitsgrundsatz. Sowohl bei anfänglicher als auch bei nachträglicher Abbedingung können aber zusätzliche Anforderungen aus der Treuepflicht selbst folgen, insbesondere kann sie die Beteiligten dazu zwingen, Informationsasymmetrien auszugleichen oder die Interessen der anderen Akteure angemessen zu berücksichtigen. Zudem kommen bei nachträglicher Abbedingung weitere Anforderungen aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und aus § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG in Betracht. Jedenfalls unter den genannten Voraussetzungen können auch die einzelnen Ausprägungen der Treuepflicht abbedungen oder andere Modifizierungen vorgenommen werden. 5. Empfehlenswerte aber nicht notwendige Maßnahmen bei Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sind eine abstrakte Beschreibung der eliminierten Treuepflicht, die explizite Ausnahme ihrer Umgebung, die Aufzählung besonders wichtiger Ausprägungen sowie eine substantiierte und individuelle Begründung der Abbedingung. Zudem empfiehlt sich bei nachträglicher Abbedingung eine einstimmige Satzungsänderung. Das alles gilt, solange die Rechtslage um

D. Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der OHG

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Gegenstand und Abdingbarkeit der Treuepflicht unsicher ist. Für GesellschafterGeschäftsführer kann es überdies sinnvoll sein, bei der Abbedingung ihrer Treuepflicht im Geschäftsleiterbereich zusätzlich ihre Treuepflicht im Gesellschafterbereich zu eliminieren.

C. Abdingbarkeit im Geschäftsleiterbereich der Aktiengesellschaft 1. Die hergebrachte Meinung hält die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht des Geschäftsleiters einer offenen Aktiengesellschaft als solche für nicht abdingbar. Die Ausprägungen der Treuepflicht sind dagegen nach gegenwärtigem Stand in der Rechtswissenschaft im hohen Maße disponibel. Möglich sind etwa Einwilligungen in Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsverbot und ebenso sollen Zuwiderhandlungen gegen die Geschäftschancenlehre und andere Ausprägungen der Treuepflicht einwilligungsfähig sein. 2. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht des Geschäftsleiters einer offenen Aktiengesellschaft ist als solche de lege lata nicht abdingbar, weil im Gegensatz zur GmbH die rechtspolitisch fragwürdige Satzungsstrenge entgegensteht. Einzelne Ausprägungen der Treuepflicht sind für bestimmte Fälle und Fallgruppen im Sinne des § 88 Abs. 1 AktG disponibel, aber nicht gänzlich abdingbar. Bei Vernachlässigung der Satzungsstrenge wären auch eine vollständige Abbedingung der Treuepflicht und die gänzliche Eliminierung einzelner Ausprägungen der Treuepflicht möglich. Beides könnte jedoch im Einzelfall nach allgemeinen Regeln unwirksam sein. In jedem Fall verbleiben nach einer Disposition über die Treuepflicht oder über ihre Ausprägungen andere Pflichten und allgemeine Institute.

D. Abdingbarkeit im Gesellschafterbereich der OHG 1. Die hergebrachte Meinung hält die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der Gesellschafter einer geschlossenen OHG nicht für vollständig abdingbar. Allerdings soll es möglich sein, die Treuepflicht zu modifizieren, zu konkretisieren und zu begrenzen. Nicht gänzlich eliminieren können die Gesellschafter aber mit der herrschenden Meinung das Stimmrechtsverbot analog § 47 Abs. 4 GmbHG. 2. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der Gesellschafter einer geschlossenen OHG ist als solche de lege lata grundsätzlich abdingbar und modifizierbar, was sowohl für die Treuepflicht gegenüber der Gesellschaftergesamtheit als auch für die Treuepflicht zwischen den Gesellschaftern gilt. Erst recht ist die generelle Abbedingung des Stimmverbots analog § 47 Abs. 4 GmbHG möglich. Eine Disposition über die Treuepflicht oder ihre Ausprägungen kann jedoch im Einzelfall nach all-

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Teil 4: Zusammenfassung in Thesen

gemeinen Regeln nichtig sein. Außerdem verbleiben nach Abbedingung der Treuepflicht andere Pflichten und allgemeine Institute. 3. Für eine Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als solcher ist im Gesellschafterbereich in der geschlossenen OHG die Festschreibung im Gesellschaftsvertrag notwendig, wobei die Statuierung der „Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft und gegenüber den Gesellschaftern inklusive ihrer Ausprägungen“ hinreichend ist. Bei Abbedingung der Treuepflicht können insbesondere prozedurale Voraussetzungen aus ihr selbst zu beachten sein. Sie kann die Parteien dazu zwingen, Informationsasymmetrien auszugleichen beziehungsweise das Interesse der anderen Akteure zu berücksichtigen. Hingegen folgen in der Regel keine weiteren Voraussetzungen aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB, der Kernbereichslehre und dem Bestimmtheitsgrundsatz.

E. Abdingbarkeit im Allgemeinen 1. Die Erkenntnisse aus den speziellen Bereichen zur materiellen Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sind weitgehend verallgemeinerungsbar. Damit ist die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als solche de lege lata grundsätzlich abdingbar und modifizierbar. Gleiches gilt für einzelne Ausprägungen der Treuepflicht. Eine Ausnahme besteht in Aktiengesellschaften, soweit die Satzungsstrenge entgegensteht. In anderen Bereichen kann im Einzelfall eine Disposition über die Treuepflicht nach allgemeinen Regeln verhindert werden. Dabei ist in offenen Gesellschaften die Inhaltskontrolle aufgrund von Treu und Glauben zu beachten, besonders wenn kein hinreichender Markt für die Gesellschaftsanteile besteht. In jedem Fall verbleiben nach einer Abbedingung der Treuepflicht andere Pflichten und allgemeine Institute, die teilweise unabdingbar sind. 2. Auch die Erkenntnisse zu den prozeduralen Anforderungen in den speziellen Bereichen sind weitgehend verallgemeinerungsbar. Für eine Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als solcher ist damit die Festschreibung im Gesellschaftsvertrag und gegebenenfalls im Anstellungsvertrag notwendig. Die Anforderungen an eine Festschreibung im Gesellschaftsvertrag können aber je nach Gesellschaftsform im Detail variieren. In jedem Fall ist inhaltlich die Statuierung der „Abbedingung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht inklusive ihrer Ausprägungen“ hinreichend. Zudem sind bei Abbedingung der Treuepflicht prozedurale Voraussetzungen aus ihr selbst zu beachten: Die Treuepflicht kann die Parteien dazu zwingen, Informationsasymmetrien auszugleichen beziehungsweise das Interesse der anderen Akteure zu berücksichtigen. Hingegen folgen in der Regel keine weiteren Voraussetzungen aus § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB, der Kernbereichslehre und dem Bestimmtheitsgrundsatz.

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Sachwortregister AGB 79, 124, 203 alternatives Investment 20 Anreizstruktur – Richter 95, 97 – 99 – Treueverpflichteter 61 – 69, 118, 138, 170, 193 Arbeitsmarkt 65 auch-fremder Interessenkreis 44, 159, 162 Aufklärungspflicht 45, 150, 161, 177, 195, 202 Aufsichtsrat 176 availability heuristic 100, 142 Befreiungsklausel 154 Bestätigugsfehler siehe confirmation bias Bestimmtheitsgrundsatz 137, 159 Billigkeitsspielraum – Begriff 92 – bei Abbedingung der Treuepflicht 103 – bei Anwendung der Treuepflicht 102, 135 – Rechtsunsicherheiten 102, 136 – Zweckmäßigkeitsprobleme 93, 193 Business Judgment Rule 182

Effizienz – Markt 64, 66, 173, 180, 202 – Vertrag 74 – 80, 146 eigennützige Rechte 44, 50 Eigenwert freier Entscheidung 76 – 81 Einwirkungsmöglichkeit – rechtlich 35 – tatsächlich 36 empirische Daten 20, 67, 78, 83 Entscheidungsprozess 39, 134 erg. Vertragsauslegung – Abdingbarkeit 151 – Abgrenzung Störung der Geschäftsgrundlage 58 – Abgrenzung Treuepflicht 38, 55 – als Rechtsgrundlage der Treuepflicht 71 Ermessensreduzierung auf Null 40 Erstemission 175, 180 Evidenzkontrolle 133, 147 Existenzvernichtungshaftung 127 expressive Funktion des Rechts 130, 170

close corporation 111 confirmations bias 101 covenant of good faith and fair dealing siehe duty of good faith and fair dealing

Fairnessnormen 67, 131 Familienunternehmen 20, 62 Finanzintermediäre 177, 180 Formularvertrag siehe AGB fremder Interessenkreis 43, 162 Fremdinteressenschutz – bei Abbedingung der Treuepflicht 132, 169 – Zulässigkeit 81

default rule siehe Standardregel Diversifizierung 171, 180 duty of good faith and fair dealing – Abdingbarkeit 113, 190 – Abgrenzung Treuepflicht 50 – Begriff 113 duty of loyalty – Abdingbarkeit 112 – Begriff 112

Geschäftschancenlehre – Abdingbarkeit 110, 113, 151, 167 – Abgrenzung erg. Vetragsauslegung 57 – Abgrenzung widerspr. Verhalten 52 – als Ausprägung der Treuepflicht 40, 47 f. – Begriff 47 f. – Nebenwirkungen 135 geschlossene Gesellschaft 105, 187

125 –

228

Sachwortregister

gesellschaftsbezogenes Interesse 48 Gesellschaftszweck i. e. S. 157 Gläubigerschutz 125, 191 Gleichbehandlungsgrundsatz – Abgrenzung Treuepflicht 60 – bei Abbedingung der Treuepflicht 162 Grundprinzipen des Gesellschaftsrechts 116 – 119 Grundrechte – liberale Interpretation 80 – objektive Wertordnung 80, 85 – Schutzpflichten siehe Schutzpflichten – subjektive Freiheitsrechte 85 harter Paternalismus hindsight bias 100

85 – 87, 140

Informationsasymmetrien 143, 148, 161, 177, 180 Informationsdefizite 143, 173, 175, 194, 202 Inhaltskontrolle 21, 124, 203 Innovationsfinanzierung 20 Interessenkonflikt 40, 139 Interessenwahrungspflicht 26 internalisierte Moralvorstellungen 67 Kali+Salz 39, 42 Kapitalmarkt 63, 173, 177, 184 Kernbereichslehre 160 Kochs-Adler 54 Koinzidenzprinzip 133 Kollektivinteressen 129, 169, 172, 191 Konfliktvermeidung 192 Langzeitvertrag 38 latente Kontrolle 35 Legalism 94 Lerneffekt 77, 147, 171 limited liability company 111 Loyalitätspflicht siehe duty of loyalty Mehrheitsklausel 159 Minderheitsschutz 127, 169, 191 Modulationen 189 monetärer Anreiz 61 mündiger Bürger 79

Nachforschungskosten Naturrecht 120 nudging 82

173, 185

offenbarer Interessenkonflikt 40, 134, 139 offene Gesellschaft 167, 202 Öffnungsklausel 154, 156 overconfidence bias 101, 141 over-optimism 141 partnership 190 Passivität der Aktionäre 175, 180 Paternalismus siehe harter Paternalismus/weicher Paternalismus Peep-Show-Urteil 86 Perplexität 122 persönliche Bindung 62 persönliches Vertrauen 35 positives Recht 120 Pragmatismus 96 Produktmarkt 64 professionelle Anleger 173 prohibitive Kosten 38 Rationalitätsdefizite – Richter 100 – 102, 136 – Vertragsparteien 83, 140 – 143, 148, 171 Realism 94 Rechtsmissbrauch – Abdingbarkeit 122, 153 – Abgrenzung Treuepflicht 53 – 55 Rechtsprinzip 108, 119, 172 reflexiver Gläubigerschutz 126 Relativität der Schuldverhältnisse 75, 81 Reputationsinteresse – Richter 98 – Treueverpflichteter 68 Richten in eigener Sache 189 Richtigkeit privatautonomen Handelns 74 – 80 Rückschaufehler siehe hindsight bias Salatblattfall 37 Satzungsstrenge 69, 181 – 186, 201 Schutzpflichten 87, 145 Selbstbereicherung 57

Sachwortregister Selbstbestimmung – formell 76 – 81, 146, 171 – materiell 76, 147, 171 Selbstüberschätzung siehe overconfidence bias Selbstversklavung 87 signaling 173 sittenwidrige Schädigung 27, 59 Sittenwidrigkeit – Abdingbarkeit 152 – Abgrenzung Treuepflicht 59 – bei Abbedingung der Treuepflicht 147 – bei Abdingbarkeit Treuepflicht 124 Sorgfaltspflicht – Abgrenzung Treuepflicht 40, 59, 182 – Begriff 59 soziale Normen siehe Fairnessnormen Stakeholder 90, 125, 169, 191 Stakeholdervalue 125 Standardregel 114, 130, 144, 170, 191 Stimmrechtsausschluss siehe Stimmrechtsverbot Stimmrechtsverbot – Abdingbarkeit 189 – als Ausprägung der Treuepflicht 40 – bei Abbedingung der Treuepflicht 154, 158 Störung der Geschäftsgrundlage – Abdingbarkeit 152 – Abgrenzung erg. Vertragauslegung 58 – Abgrenzung Treuepflicht 58 strukturelle Unterlegenheit 148 Tendenz zu Gerechtigkeit 74 – 80, 131, 146 Transaktionskosten 69, 130, 137, 170, 172, 191, 202 Treu und Glauben – Abdingbarkeit 121, 153 – Abgrenzung Treuepflicht 38, 50, 121 – als Rechtsgrundlage der Treuepflicht 70 Treuepflicht – als Hauptpflicht 32 – Billigkeitsspielräume 102 – Einheitlichkeit 34, 157 – Ermessensspielraum 40 – gängige Definition 26 – 30 – Geschäftsleiterbereich 20, 47 f., 70 – geschärfte Definition 46

229

– – – –

Gesellschafterbereich 20, 48 – 50, 70 Gewohnheitsrecht 70 Inhalt 43 – 46 Nebenwirkungen 134 – 137, 139, 170, 193 – Offenheit 38 – 43 – Rechtsgrundlage 69 – Sanierungszustimmung 49, 54 – Schädigungsverbot 26 – strictu sensu 30 – 33 – überschießende Wirkung 134 – Vorwirkung 161 – Wirkweise 38 – 43 – Zweck 35 – 38 treuepflichtähnliche Pflichten 56 Typenzwang 117 Überoptimismus siehe over-optimism überpositives Recht siehe Naturrecht Überwachungskosten 129, 169 unabdingbarer Kernbereich 110 Unabhängigkeit des Richters 99 uneigennützige Rechte 43 Untermaßverbot 88 Verfügbarkeitsheuristik siehe availability heuristic Verhandlungskosten 130 Verhandlungsungleichgewicht 75, 144, 148, 161, 178 Verschwiegenheitspflicht 182 Vertragsanpassung 42 Vertragsauslegung siehe erg. Vertragsauslegung Vertragsfreiheit – bei Abbedingung der Treuepflicht 146 – Eingriffstypen 81 – 87 – ethische Perspektive 76 – in der GmbH 115 – Materialisierung 21 – wirtschaftliche Perspektive 74 – Zweck 74 – 80 Vertrauenstatbestand 52 Vorprägung des Richters 95 weicher Paternalismus – Begriff 81 – 85

230

Sachwortregister

– bei Abbedingung der Treuepflicht 132 – 145, 170, 175 – 181, 191 – Zulässigkeit 81 – 85 Wesensmerkmal (notwendiges) 116 – 119, 172, 191 Wesenszwang siehe Typenzwang Wettbewerbsverbot – Abdingbarkeit 110, 154, 167, 185 – als Ausprägung der Treuepflicht 40

– Nebenwirkungen 135 widerspr. Verhalten – Abgrenzung Treuepflicht – Begriff 51 Wohl und Wehe 27, 39

38, 51 – 53

zukünftige Entscheidungsfreiheit 84 Zweckänderung 157, 197 Zweckförderpflicht 71, 117, 195